(Göthe.)
Verlag von Gustav Fischer.
[[II]][[III]]
Rudolph Leuckart
zu seinem siebzigsten Geburtstag
in alter Verehrung
gewidmet.
[[IV]][[V]]
Inhalts-Übersicht.
- Einleitung:Seite
- A.Historischer Theil1
- B.Sachlicher Theil27
- Erstes Buch:
Materielle Grundlage der Vererbungserscheinungen46 - Capitel I. Das Keimplasma49
- 1. Die Grund-Einheiten49
- 2. Die Beherrschung der Zelle61
- 3. Die Determinanten71
- 4. Das Id und die Ontogenese81
- 5. Zusammenfassung des Keimplasma-Baues101
- 6. Mechanik der phyletischen Veränderungen des
Keimplasma’s104 - 7. Grössenverhältnisse der Theile des Keimplasma’s115
- Zweites Buch:
Die Vererbung bei einelterlicher Fortpflanzung123 - Capitel II. Die Regeneration124
- 1. Die idioplasmatische Grundlage derselben124
- 2. Phylogenese der Regeneration152
- 3. Facultative oder polygene Regeneration168
- 4. Regeneration bei Pflanzen177
- 5. Die Regeneration an thierischen Embryonen und
die Principien der Ontogenese179 - Capitel III. Vermehrung durch Theilung179
- 1. Einleitung193
- 2. Die Theilung bei den Naiden195
- 3. „ „ „ „ Mikrostomeen199
- 4. Phylogenese der Theilung200
- Seite
- Capitel IV. Vermehrung durch Knospung204
- 1. Knospung bei den Thieren204
- a) Cölenteraten 204
- b) Bryozoen 209
- c) Tunicaten 212
- 2. Knospung bei den Pflanzen216
- 3. Vergleich der Knospung bei Pflanzen und bei
Thieren219 - 4. Phylogenese der Knospung222
- Capitel V. Die idioplasmatische Grundlage des Generations-
wechsels228 - Capitel VI. Die Bildung von Keimzellen241
- 1. Die Continuität des Keimplasma’s241
- 2. Die Keimbahnen253
- 3. Historisches hierzu260
- 4. Einwürfe gegen die Keimplasma-Theorie265
- 5. Die Gallen287
- Capitel VII. Zusammenfassung des zweiten Buches295
- Drittes Buch:
Die Vererbungserscheinungen bei geschlechtlicher Fortpflanzung302 - Einleitung. Wesen der sexuellen Fortpflanzung302
- Capitel VIII. Veränderung des Keimplasma’s durch Amphimixis308
- 1. Notwendigkeit einer Halbirung des Keimplasma’s308
- 2. Die Reductionstheilung als Ausschaltung von Iden 315
- Capitel IX. Die Ontogenese unter der Leitung des amphi-
mixotischen Keimplasma’s330 - 1. Bestimmung des Kindes mit der Befruchtung ge-
geben330 - 2. Quantitativer Antheil der Vorfahren am Keim-
plasma336 - 3. Kampf der Ide bei der Leitung der Ontogenese340
- a) Die Pflanzenbastarde als Beispiel des Kampfes der
Rassen-Charaktere 340 - b) Intermezzo über Variation 355
- c) Kampf der individuellen Merkmale 359
- 4. Die „Vererbungskraft“380
- 5. Zusammenfassung des Capitels IX 384
- Seite
- Capitel X. Die Erscheinungen des Rückschlages abgeleitet
aus dem amphimixotischen Keimplasma392 - 1. Rückschlag auf Rassencharaktere bei Pflanzen-
mischlingen392 - 2. Rückschlag auf Individual-Charaktere beim Men-
schen403 - 3. Rückschlag auf Charaktere weit entfernter Vor-
fahren bei Thieren und Pflanzen415 - 4. Rückschlag auf rudimentäre Charaktere437
- 5. Zusammenfassung des bisher über Rückschlag
Vorgebrachten439 - 6. Rückschlag bei ungeschlechtlicher Fortpflanzung443
- a) Rückschlag bei Knospung 443
- b) „ „ Parthenogenese 451
- 7. Ein Beweis für die Auflösung der Determinanten
in Biophoren456 - Capitel XI. Dimorphismus und Polymorphismus460
- 1. Normaler Dimorphismus460
- 2. Pathologischer Dimorphismus, die Bluterkrankheit 484
- 3. Polymorphismus491
- 4. Dichogenie bei Pflanzen500
- Capitel XII. Zweifelhafte Vererbungserscheinungen503
- 1. Xenien und Telegonie oder Fernzeugung503
- 2. Einfluss vorübergehender Zustände des Zeugenden
auf das Kind507 - 3. Scheinbare Vererbung von Krankheiten509
- Viertes Buch:
Die Abänderung der Arten in ihrer idioplasmatischen Wurzel515 - Capitel XIII. Die vermeintliche Vererbung erworbener Eigen-
schaften515 - 1. Schwierigkeiten einer theoretischen Begründung
dieser Hypothese516 - 2. Prüfung der Hypothese an den Thatsachen521
- 3. Die klimatischen Varietäten der Schmetterlinge
in ihrer idioplasmatischen Wurzel524 - Capitel XIV. Variation538
- 1. Normale, individuelle Variation540
- Seite
- 2. Pathologische Variation562
- 3. Zusammenfassung und Folgerungen566
- 4. Variationen grösseren Betrags572
- a) Ihre Entstehung 572
- b) Ihre Vererbung 583
- Zusammenfassung der vier Bücher und Abschluss591
[[IX]]
Vorwort.
Eine ausgeführte Theorie der Vererbung heute schon geben
zu wollen, mag Vielen fast als ein vermessenes Unternehmen
erscheinen, und ich gestehe, dass es mir selbst mehr als ein
Mal so erschienen ist, wenn ich nach langer Arbeit wieder auf
unüberwindliche Hindernisse in der Durchführung der zu Grunde
gelegten Principien stiess und einsah, dass ich wieder von
vorne anfangen musste. Dennoch konnte ich dem Reiz nicht
widerstehen, den Versuch zu wagen, in diese überaus wunder-
bare und verwickelte Erscheinung des Lebens so tief einzu-
dringen, als es bei den heute vorliegenden Thatsachen meinen
Kräften möglich war.
Ich bin auch nicht der Ansicht, dass es ein verfrühter
Versuch ist, möchte er auch noch so schwach und lückenvoll
sein, denn einmal haben die letzten zwanzig Jahre eine so
bedeutende Zunahme unserer Kenntnisse gebracht, dass es nicht
mehr ganz aussichtslos scheinen kann, den wirklichen Vor-
gängen, die der Vererbung zu Grunde liegen, nachzuspüren,
und dann scheint es mir durchaus nothwendig, eine durch-
gearbeitete Vererbungstheorie zu haben, damit von deren Boden
aus neue Fragen gestellt und ihre Beantwortung versucht
werden kann.
Die bisherigen Theorien entsprachen gerade diesem Be-
dürfniss nur wenig, weil sie — etwa mit Ausnahme der Pan-
genesis Darwin’s — nur Andeutungen einer Theorie waren,
[X] Aufstellungen eines Erklärungsprincips, aber keine Durch-
führungen. Die Tragweite eines Princips lässt sich aber
erst erkennen, wenn seine Durchführung wirklich versucht
wird; erst dann treten die Schwierigkeiten hervor, und erst
dann erheben sich neue Fragestellungen von allen Seiten.
Aber auch der geniale Entwurf Darwin’s konnte hierin
nicht genügen, weil er — entsprechend dem Wissen der
Zeit, in welcher er entstand — eine „ideale“ Theorie
war, d. h. weil er auf Erklärungs-Principien gegründet war,
deren Realität zunächst gar nicht in Frage kam, weil es fürs
Erste sich nur darum handelte, die Gesammtmasse der Er-
scheinungen unter irgend einem gemeinsamen Gesichtspunkte
zusammenzufassen, irgend eine Erklärung für sie zu geben,
ohne Rücksicht darauf, ob sie richtig oder auch nur möglich
war. Die Bedeutung solcher Theorien liegt nach einer andern
Seite; zur Leitung der weiteren Forschung dienen sie aber aus
dem Grunde weniger, weil sie schon Alles erklären, sobald
man einmal das Princip zugiebt; sie bieten, so zu sagen, dem
Zweifel keinen Ansatzpunkt.
Wenn ich annehme, im Keim seien Millionen von „Anlagen“
der kleinsten Körpertheile enthalten und diese befänden sich
bei der Entwickelung eines Organismus stets in der richtigen
Zusammenstellung an demjenigen Ort, an welchem ein bestimmtes
Organ entstehen soll, so ist das zwar eine Erklärung, aber eine
solche, gegen die sich entweder Nichts oder Alles einwenden
lässt; neue Fragen aber gehen aus ihr erst dann hervor, wenn
sie sich vertieft, wenn sie den Beweis antritt, dass wirklich
vorgebildete „Anlagen“ den Keim zusammensetzen müssen,
wenn sie versucht, die Mittel und Wege aufzuzeigen, durch
welche diese Anlagen in der erforderlichen Zusammenstellung
gerade an jene Stelle gelangen, an der sie nöthig sind, und in
welcher Weise sie dann zur Organbildung führen können.
[XI] Nun wird es möglich, alle diese Punkte an den verschiedensten
Erscheinungen zu prüfen, und Versuche auszudenken, welche
die Theorie stützen, widerlegen oder auch einfach weiterführen
sollen.
Gewiss macht sich jeder Beobachter seine theoretischen
Gedanken, aus welchen heraus er Fragen an die Natur stellt,
aber es ist ein Anderes, ob er dabei nur von den ihm augen-
blicklich gerade gegenwärtigen und besonders eindrucksvollen
Erscheinungen allein geleitet wird, oder ob er auf Grund einer
durchgearbeiteten Theorie operirt, der die Haupt-Erscheinungen
des betreffenden Gebietes als Grundlage dienen. Ich wenigstens
habe mancherlei Vererbungsversuche begonnen und dann wieder
fallen lassen, weil ich einsah, dass man ohne die Leitung einer
durchgeführten, auf realem Boden gewachsenen Theorie völlig im
Dunkeln umhertappt. Der Werth einer solchen liegt wesentlich
darin, ein heuristisches Princip zu sein. Die wahre und voll-
kommene Theorie kann nur aus unvollkommneren Anfängen her-
vorgehen; diese bilden die Stufen, welche zu jener emporführen.
Nur sehr allmählich ist dieses Buch entstanden. Als ich
vor etwa zehn Jahren anfing, mich ernstlicher dem Vererbungs-
problem zuzuwenden, war es zuerst die Existenz einer besondern
Vererbungssubstanz, die sich mir aufdrängte, einer organi-
sirten, lebenden Substanz, welche von einer Generation der
andern überliefert wird, im Gegensatz stehend zu derjenigen
Substanz, welche den vergänglichen Körper des Einzelwesens
ausmacht. So entstanden die Schriften über das Keimplasma
und die Continuität des Keimplasma’s. Dies leitete zugleich
dazu hin, die bisher angenommene Vererbung der vom Körper
erworbenen Abänderungen in Zweifel zu ziehen, und ge-
naueres Eingehen, verbunden mit dem Experiment, befestigte
mehr und mehr die Überzeugung, dass eine derartige Vererbung
in der That nicht besteht. Gleichzeitig führten die Unter-
[XII] suchungen so mancher ausgezeichneter Forscher über den Vor-
gang der Befruchtung und der Conjugation — an welchen auch
mir einigen Antheil zu nehmen vergönnt war — zu einer voll-
kommenen Umwälzung der bisherigen Ansicht vom Wesen
dieser Vorgänge und leiteten mich zu der Erkenntniss einer
Zusammensetzung des Keimplasma’s aus gleichwerthigen Lebens-
einheiten, von welchen jede einzelne die sämmtlichen Anlagen
zu einem Individuum in sich einschliesst, die sich aber indi-
viduell von einander unterscheiden. In diesen „Ahnen-
plasmen“, wie ich sie zuerst nannte, oder „Iden“, wie ich
sie jetzt nenne, waren somit weitere Bausteine zur Aufrichtung
einer Vererbungstheorie gewonnen, aber es fehlte noch viel
zum vollständigen Aufbau einer solchen, und wenn auch in
der letzten meiner Schriften1) schon angedeutet ist, in welcher
Weise ich hoffte, gerade eines der schwierigsten Probleme der
Vererbung — das Zusammenwirken der elterlichen Vererbungs-
Substanzen — mit Hülfe dieser Ide bis zu einem gewissen
Grade lösen zu können, so war ich doch weit entfernt zu
glauben, damit schon eine ganze und durchgearbeitete Ver-
erbungstheorie gegeben zu haben, wie Manche meinten. Daran
fehlte noch viel. Nicht nur hatte ich diejenigen Erscheinungen,
welche unabhängig von geschlechtlicher Fortpflanzung sind,
noch ganz bei Seite gelassen, sondern ich hatte es auch ver-
mieden, mich über die letzte materielle Grundlage meiner
Theorie auszusprechen, über die Zusammensetzung der Ide.
Wohl war angedeutet worden, dass sie einen verwickelten Bau
besitzen müssen, und dass dieser sich während der Entwickelung
des Individuums aus der Eizelle allmählich und gesetzmässig ver-
ändere, aber ich unterliess es, genauer auf diesen Bau einzu-
gehen, weil es mir durchaus unsicher schien, ob die Vorstellung,
[XIII] welche ich mir — gewissermassen provisorisch — davon ge-
bildet hatte, sich der ganzen Fülle von Erscheinungen gegenüber
als durchführbar erweisen werde; erst mussten diese alle im
Einzelnen durchgeprüft sein, ehe ich mich für einen bestimmten
Aufbau der Ide entscheiden konnte.
So war Alles, was ich bisher über Vererbung geschrieben
habe, nur Vorarbeit für eine Theorie, noch keine Theorie
selbst. Gerade über die letzten Principien einer solchen bin ich
am längsten im Zweifel geblieben. Darwin’s Keimchenlehre
schien mir allzu weit von der Wirklichkeit entfernt zu bleiben,
und ich glaube auch heute noch, dass ein wesentlicher Theil
derselben, nämlich die ganze Lehre von der Erzeugung der
„Keimchen“ in den Körperzellen, von ihrer Abwerfung, ihrer
Circulation im Blut und ihrer Sammlung in den Fortpflanzungs-
zellen, also gerade das, was ihr den Namen der „Pangenesis“
eingetragen hat, der Wirklichkeit nicht entspricht. Nach meiner
Auffassung kann nicht „Alles“ das Ganze wieder von Neuem
hervorbringen, sondern nur eine gewisse, eigens dazu bestimmte
und in verwickeltster Weise gebaute Substanz, das Keim-
plasma, und diese setzt sich nie wieder neu zusammen, sondern
sie wächst nur, vermehrt sich und überträgt sich von einer
Generation auf die andere. Man könnte deshalb wohl meine
Theorie als „Blastogenesis“ oder Entstehung von der
Keimsubstanz aus der „Pangenesis“ oder Entstehung
von allen Theilen aus gegenüberstellen.
Lange Zeit hindurch aber erstreckten sich meine Zweifel
nicht nur auf diese Seite der „Pangenesis“, sondern auch auf
ihre allgemeinste Grundlage. Die Annahme vorgebildeter
„Anlagen“ schien mir eine allzu leichte Lösung des Räthsels.
Eine ganz unglaubliche Masse von „Anlagen“ schien mir durch
sie im Keim angehäuft zu werden, und ich versuchte deshalb einen
Bau der Keimsubstanz auszudenken, der minder verwickelt sei,
[XIV] indem er sich erst während der Entwickelung complicirte. Mit
andern Worten, ich suchte nach einer Keimsubstanz, die durch
Epigenese und nicht durch Evolution den Organismus aus
sich hervorgehen lasse. Mancher Versuch nach dieser Richtung
wurde gemacht, mehr wie ein Mal glaubte ich ihn gelungen,
aber bei weiterer Prüfung an den Thatsachen sah ich ihn jedes-
mal doch schliesslich scheitern, und so kam ich zuletzt zu der
Einsicht, dass es eine epigenetische Entwickelung
überhaupt nicht geben kann. Im ersten Capitel dieses
Buches wird man einen förmlichen Beweis für die Wirklichkeit
der Evolution finden, und zwar einen so einfachen und nahe-
liegenden, dass ich heute kaum begreife, wie ich so lange an
ihm vorübergehen konnte.
So freue ich mich, wenigstens in der allgemeinsten Grund-
lage meiner theoretischen Vorstellungen wieder mit dem grossen
englischen Naturforscher zusammengetroffen zu sein, und inso-
weit wenigstens auf der von ihm gelegten Grundlage weiter
zu bauen. Aber auch mit einigen andern Forschern wird man
mich in wesentlichen Punkten in Übereinstimmung finden, so
vor Allem mit de Vries und mit Wiesner. Ich sehe in
diesem Zusammentreffen ein Zeichen, dass es doch auch auf
diesem Gebiete möglich sein muss, das Richtige vom Falschen
zu scheiden, dass auch das scheinbar der willkürlichsten Specu-
lation preisgegebene Problem der Vererbung dennoch lösbar
ist; dass es immer mehr gelingen wird, unter den Möglich-
keiten das Wahrscheinliche herauszuerkennen, und später
auch unter den Wahrscheinlichkeiten diejenige, welche zugleich
wirklich ist. Freilich wird dies noch lange Zeit erfordern,
und nur sehr allmählich werden wir uns der Wahrheit nähern;
aber der Weg dahin ist vorgezeichnet, er liegt in der Ver-
einigung von Beobachten und Denken. Die Thatsachen
führen uns zu einer Ansicht über ihren Zusammenhang, und
[XV] diese Ansicht stellt neue Fragen und ruft neue Beobachtungen
hervor, welche wieder zu neuer Deutung führen.
Auf diesem Wege ist erst in jüngster Zeit eine biologische
Erscheinung zu relativer Klarheit gebracht worden, welche bis
dahin ganz unverständlich gewesen war, ich meine die ge-
schlechtliche Fortpflanzung. So wird es auch gelingen, immer
sicherer Fuss zu fassen auf dem noch vor Kurzem so überaus
unzugänglichen Gebiet der Vererbung. Besonders aussichts-
reich scheint mir gerade bei diesem Problem, dass wir ihm
gewissermassen von zwei Seiten her beikommen können, einmal
durch die Beobachtung der Vererbungs-Erscheinungen und
dann durch die Beobachtung der uns jetzt ja bekannten Ver-
erbungs-Substanz. Wir können jetzt abwägen, ob die Er-
klärung einer Erscheinung der Vererbung realen Werth hat,
weil wir bis zu einem gewissen Grade wenigstens beurtheilen
können, ob sie mit dem Verhalten der Vererbungs-Substanz
vereinbar ist. Das war bisher nicht möglich, und darum
schwebten die früheren Erklärungs-Principien einigermassen in
der Luft, die „Keimchen“ Darwin’s sowohl, als die „Units“
Herbert Spencer’s. Heute sind wir in dieser Hinsicht besser
daran, und ich zweifle nicht, dass die Forschung noch weit
tiefer in die verwickelten Vorgänge an den Kernsubstanzen
eindringen wird, wenn sie es nicht verschmäht, den Gedanken
mit der blossen Beobachtung zu verbinden, und jeden weiteren
Schritt auf dem Gebiete der Theorie zu neuer Fragestellung in
Bezug auf das Verhalten der geheimnissvollen Kernsubstanzen
zu verwerthen.
Wenn wir aber auch heute noch weit von voller Einsicht
entfernt sind, so hoffe ich doch, in der Theorie, welche ich
hier vorlege, kein blosses Phantasie-Gebäude gegeben zu haben;
ich möchte glauben, dass die Zukunft vielleicht doch einige
feste Punkte darin erkennen wird, um welche sich die blossen
[XVI] Möglichkeiten schaaren. Nichtsdestoweniger aber kann Niemand
mehr empfinden, als ich selbst, wie sehr es nur ein erster
Versuch ist, dem bessere folgen müssen, und ich habe ihm
deshalb auch so wenig als möglich die Form eines Lehrgebäudes
gegeben, sondern mehr die einer Untersuchung; nicht Axiome
sollten verkündet, sondern Fragen sollten gestellt, und entweder
mehr oder weniger sicher beantwortet, oder auch der Zukunft
zur Lösung zugeschoben werden. Ich betrachte meine Theorie
nicht als ein Unveränderbares und Abgeschlossenes, sondern als
ein der Verbesserung sehr Bedürftiges und hoffentlich auch
Fähiges.
Es war mein Bestreben, einfach und verständlich zu
schreiben, nicht wie Einer, der nur für Fachmänner schreibt,
sondern wie Einer, der wünscht, seine Sache Allen nahe zu
legen, die sich für biologische Probleme interessiren, vor Allem
dem Mediciner und dem Philosophen. Aus diesem Grunde habe
ich auch eine Anzahl von Figuren beigegeben, von denen viele
dem Zoologen oder Botaniker überflüssig scheinen werden, die
aber dem ferner Stehenden eine deutlichere Vorstellung der
besprochenen Dinge vermitteln sollen.
Dass mir als Zoologen zunächst die Erscheinungen bei den
Thieren, einschliesslich des Menschen vor Augen schwebten,
war unvermeidlich; Jeder bildet seine Anschauungen nach dem
ihm geläufigsten Kreis von Thatsachen. Ich habe mich aber
bemüht, auch den Thatsachen gerecht zu werden, welche uns
die Pflanzen an die Hand geben, und den Ansichten der
Botaniker Rechnung zu tragen, soweit mir dies nur irgend
möglich war. Es wird sich zeigen, dass gerade gewisse Ver-
erbungs-Erscheinungen bei Pflanzen fundamentalen Annahmen
meiner Theorie sehr günstig sind, und dass auch scheinbar ihr
widerstreitende Thatsachen sich ihr einordnen lassen.
Manche werden vielleicht ein genaueres und vielseitigeres
[XVII] Eingehen auf die Vererbung von Krankheiten vermissen.
Wohl liegt darüber ein reiches Material an Beobachtungen vor,
und ich habe davon benutzt, was mir zur Begründung einer
Theorie werthvoll zu sein schien, man darf aber nicht vergessen,
dass die Übertragung von Krankheiten durchaus nicht allein
auf wirklicher Vererbung, d. h. auf einer individuellen Variation
des Keimes beruht, sondern zum Theil sicherlich auch auf
Infection des Keimes, und dass diese beiden von Grund aus
verschiedenen Ursachen erblicher Übertragung heute keineswegs
immer schon von einander unterschieden werden können. Im
zwölften Capitel findet man Genaueres darüber.
Das Erscheinen des Buches hat sich um mehrere Monate
dadurch verzögert, dass es gleichzeitig in englischer Über-
setzung veröffentlicht wird. Das deutsche Manuskript lag schon
Ende April soweit fertig vor, dass es nur kleine Abänderungen
und Zusätze noch zuliess. Damit möge es entschuldigt sein,
wenn neueste literarische Erscheinungen keine oder nur kurze
Erwähnung noch finden konnten.
Zum Schluss spreche ich der Grossherzoglich Badischen
Regierung warmen Dank aus für die kräftige Unterstützung,
welche sie meiner Arbeit dadurch gewährte, dass sie mich auf
längere Zeit von meinen akademischen Verpflichtungen entband.
Auch meinen Freunden und Collegen, den Professoren Bau-
mann, Lüroth, Wiedersheim und Ziegler in Frei-
burg, sowie Herrn Professor Göbel in München sei hiermit
herzlicher Dank gesagt für die mannigfache Auskunft und
Anregung, die sie mir gespendet haben. Nicht minder bin
ich Fräulein Else Diestel zu Dank verpflichtet, welche
sich ausser vielfacher technischer Beihülfe der grossen Mühe
unterzog, einen alphabetischen Index auszuarbeiten.
So möge denn diese Frucht langer Arbeit und vielen
[XVIII] Zweifels sich ans Licht wagen. Sollten auch nur wenige meiner
theoretischen Aufstellungen unveränderten Bestand behalten
gegenüber den Ergebnissen zukünftiger Forschung, so würde
ich doch nicht glauben, vergeblich gearbeitet zu haben; denn
auch der Irrthum, wofern er nur auf richtigen Schlüssen beruht,
muss zur Wahrheit führen.
Freiburg im Breisgau, 19. Mai 1892.
August Weismann.
[[1]]Einleitung.
A. Historischer Theil.
Den ersten Versuch unserer Zeit, die Vererbung theoretisch
zu erklären, hat wohl Herbert Spencer1) gemacht, indem er
seine „physiologischen Einheiten“ aufstellte. Die Regeneration
verloren gegangener Theile, z. B. eines Beines oder Schwanzes
des Salamanders führt ihn zu der Vorstellung dieser Einheiten,
„in welchen allen das Vermögen schlummert, sich in die Form
dieser Art umzugestalten, gerade wie in den Molekülen eines
Salzes die innere Fähigkeit schlummert, nach einem bestimmten
System zu krystallisiren“. Er bezeichnet dieses Vermögen als
„Polarität der organischen Einheiten“ und bestimmt diese selbst
als die Mitte haltend zwischen den chemischen Einheiten, den
Molekülen und den „morphologischen“ Einheiten, den Zellen;
es müssen „Einheiten unendlich viel complicirterer Art sein, als
die chemischen Einheiten“, also Molekül-Gruppen. Es ist sehr
interessant, sich heute, wo wir in der Theorie der Vererbung
doch schon etwas weiter vorgedrungen sind, sich darüber Rechen-
schaft zu geben, welche Fähigkeiten und Kräfte Herbert
Spencer seinen „physiologischen Einheiten“ zuschreiben zu
müssen glaubte, um die Erscheinungen erklären zu können.
Obgleich der Abschnitt über Vererbung und Regeneration ja
nur ein kleiner Theil seines grossen Werkes über die „Prin-
Weismann, Das Keimplasma. 1
[2] cipien der Biologie“ ist und deshalb eine ins Einzelne gehende
Durcharbeitung der Vererbungs-Erscheinungen nicht enthalten
kann, so lässt sich doch seine Meinung darüber klar erkennen.
Einmal setzt sich der ganze Organismus aus diesen Ein-
heiten zusammen, die alle untereinander gleich sind, dann aber
enthalten auch die Keimzellen „kleine Gruppen“ derselben. Das
Erstere befähigt jeden hinreichend grossen Theil des Körpers zur
Regeneration, das Letztere giebt der Keimzelle die Kraft, das
Ganze aus sich hervorzubringen, Beides dadurch, dass die „Ein-
heiten“ mittelst ihrer „Polarität“ bestrebt sind, sich so anzu-
ordnen, dass dadurch der ganze Krystall — der Organismus —
entweder blos wieder hergestellt, oder neu gebildet wird. Die
blosse verschiedene Anordnung der in ihrem Wesen gleichen
Einheiten also bedingt die Verschiedenheit der Körpertheile,
die Verschiedenheit der Arten aber und auch die der In-
dividuen wird auf eine Verschiedenheit in der Zusammen-
setzung der „Einheiten“ bezogen.
Die Einheiten des Individuums sind also gewissermassen
in physiologischem Sinne proteusartig; sie können sich in un-
endlich vielfältiger Weise zusammenordnen und bilden so die
verschiedenartigsten Zellen, Gewebe, Organe und Körpertheile;
sie thun dies aber immer nur unter dem dirigirenden Einfluss
des Ganzen, so zwar, dass das Ganze den Einheiten eines Theiles
die Nothwendigkeit aufzwingt, sich gerade so anzuordnen, wie
es zum Zustandekommen des für die Harmonie des Ganzen noch
erforderlichen Theiles nöthig ist. Spencer sagt darüber: „es
scheint zunächst schwierig, sich vorzustellen, dass sich dies
so verhalten könne; allein wir sehen, dass es so ist. Gruppen
von Einheiten, die wir aus einem Organismus herausnehmen,
besitzen in der That dieses Vermögen, das Ganze von Neuem
aufzubauen, und wir sind somit genöthigt, anzuerkennen, dass
allen Theilen des Organismus das Streben innewohne, die
[3] specifische Form anzunehmen.“ Die „Einheiten“ sind also
physiologisch veränderliche Grössen, welche immer so
thätig sind, wie es das Ganze vorschreibt.
Zur Erklärung der Vererbung reicht die Annahme dieser
„physiologischen Einheiten“ nicht aus; sie erweist sich schon
bei der einfachen Ontogenese, der Differenzirung der Organe
als unzureichend, geschweige denn bei der Hinzuziehung der
zweielterlichen Vererbung. Aber sie hat das Verdienst, kleinste
Lebens-Einheiten als Bausteine des Organismus aufgestellt und
darauf den Versuch einer theoretischen Erklärung der Vererbung
gegründet zu haben.
Der Erste, der solche kleinste Lebenstheilchen angenommen
und mit zwingenden Gründen ihre Existenz erhärtet hatte, war
Ernst Brücke gewesen. Wenn er sie auch in seinem bahn-
brechenden Aufsatz „Elementarorganismen“1) nicht mit einem
besonderen Namen belegte, so trat er doch zuerst gegen das
alte Schema der Zelle auf, vor Allem gegen den „flüssigen“
Zelleninhalt und zeigte, dass der Körper der Zelle „abgesehen
von der Molekülarstruction der organischen Verbindungen“
noch eine andere Structur besitzen müsse: „Organisation“.
Schon wenige Jahre nach H. Spencer’s Principien der
Biologie erschien Ch. Darwin’s „Pangenesis“, als Schluss-
capitel seines grossen Werkes über das Variiren der Thiere
und Pflanzen im Zustande der Domestication. Schon allein der
enorme Reichthum an Thatsachen der Vererbung, welcher in
diesem Buche angehäuft ist, zeigt, wie sein genialer Verfasser
bestrebt war, von allen Seiten her in das zu bewältigende, ver-
wickelte Problem einzudringen. Wenn Darwin selbst auch
seinen theoretischen Aufstellungen den bescheidenen Titel einer
„provisorischen Hypothese“ gab, so liegt doch jedenfalls hier
1*
[4] der erste umfassende Versuch vor, alle bekannten Erscheinungen
der Vererbung von einem gemeinsamen Princip aus zu erklären.
Die Theorie ist so oft besprochen worden und so allgemein
bekannt, dass es genügen wird, nur kurz an das Wesentliche
derselben zu erinnern.
Der aus Zellen zusammengesetzte Organismus der Pflanzen
und Thiere baut sich zwar durch Zelltheilung auf, allein
diese Vermehrungsweise derselben — so wird angenommen —
ist nicht die einzige. Vielmehr besitzt jede dieser Zellen auf
jeder Stufe ihrer Entwickelung die Fähigkeit, unsichtbar kleine
„Körnchen oder Atome“ abzugeben, welche sich später und
unter gewissen Bedingungen wieder zu solchen Zellen entwickeln
können, wie diejenigen waren, von welchen sie herrühren. Diese
„gemmules“ oder „Keimchen“ von Zellen werden zu jeder Zeit
von allen Zellen des Körpers in Masse abgeworfen und in das
Blut gebracht. Dort circuliren sie, um sich schliesslich irgendwo
im Körper festzusetzen, hauptsächlich an solchen Stellen, von
welchen später die Entwickelung eines Sprösslings ausgeht,
also in Knospen und in Keimzellen. Indem nun in solchen
Zellen sich die Keimchen von allen Zellen des ganzen Körpers
zusammenfinden, verleihen sie diesen die Möglichkeit, sich zu
einem neuen vollständigen Bion, einem Sprössling zu entwickeln.
Dies aber geschieht derart, dass jedes Keimchen seine Zelle, von
der es herstammt, wieder hervorbringt, und dass die Keimchen
der verschiedenen Zellen in derselben Reihenfolge in Thätigkeit
gerathen, in welcher die ihnen entsprechenden Zellen in der Onto-
genese des Elters sich folgten.
Der Keim setzt sich aber keineswegs blos aus den „gem-
mules“ zusammen, welche von dem aktuellen Bion selbst ab-
geworfen und der Keimzelle zugeführt werden, sondern zugleich
aus einer sehr grossen Masse von Zellenkeimchen, welche von
den Eltern und Voreltern bis in weit zurückliegende Genera-
[5] tionen hin herstammen, und in jeder Ontogenese spielen also
viel mehr Keimchen mit, als Zellen gebildet werden; jede Zelle
und jeder Theil ist durch zahlreiche und verschiedenartige
Keimchen vertreten, so dass eine Auswahl stattfinden muss, da
nur je ein Keimchen die erforderliche Zelle wirklich bilden
kann, die übrigen aber latent bleiben müssen. So wird von
einer Generation zur andern eine Menge von bisher latenten
Keimchen übertragen, die unter Umständen zur Thätigkeit ge-
langen können und dann Charaktere der Voreltern, die bei den
Eltern verschwunden waren, wieder ins Leben zu rufen.
Dies in Kürze die Theorie der Pangenesis. Auf die phy-
sische Beschaffenheit der gemmules wird nicht eingegangen;
dieselben können sich vermehren und thun dies fortwährend,
aber ob und wie sie etwa gegenseitig angeordnet sind und durch
welche Ursachen, welchen Mechanismus es kommt, dass sie
stets an der rechten Stelle vorhanden sind und sich zur rechten
Zeit zur Zelle entwickeln, wird nicht berührt.
Ich sage dies keineswegs im Sinne eines Tadels, sondern
nur um den fictionellen Charakter der ganzen Hypothese klar
zu legen. Darwin fragte nicht weiter, wie sind alle diese
Annahmen möglich, er fragte nur, was ist nöthig anzunehmen,
um diese oder jene Vererbungserscheinung zu erklären, unbe-
kümmert, ob diese Annahme irgend einen realen Boden unter
den Füssen hat oder nicht. Er hatte Recht, dies zu thun,
denn zu der Zeit, als er seine Hypothese ausdachte, war ein
Anschluss einer Vererbungstheorie an den realen Boden der
feinsten Zellen-Organisation noch nicht möglich. Ich habe aber
früher schon dargelegt, wie überaus wichtig und erfolgreich für
die Wissenschaft seine Pangenesis gewesen ist, weil sie zum
ersten Male zeigte, welche Erscheinungen alle zu erklären seien,
und welche Annahmen man machen müsse, wollte man sie er-
klären. Es wird sich auch später herausstellen, dass, trotzdem
[6] ein wesentlicher Theil der Annahmen der Pangenesis nicht
haltbar ist, doch ein anderer Theil übrig bleibt, der nicht nur
heute, sondern, wie ich glaube, für alle Zukunft wenigstens
im Princip als richtig und grundlegend beibehalten werden
wird. Allerdings ist dies nur der allgemeinste Inhalt dieser
Annahmen, nämlich die Existenz materieller Theilchen im Keim,
welche die Eigenschaften des Lebendigen besitzen und von
denen jedes als Anlage eines Theils des Organismus anzu-
sehen ist. Ich gestehe offen, dass ich mich lange Zeit gegen
diese Grundanschauung der Darwin’schen Lehre innerlich
gewehrt habe. Es kam mir fast unmöglich vor, dass in dem
Minimum von Substanz, welche wir, wie nachher gezeigt
werden soll, als materiellen Träger der Vererbung zu betrachten
haben, eine so überaus grosse Anzahl von Einzel-Anlagen ent-
halten sein könne, wie wir sie nach Darwin’s Vorstellung an-
nehmen müssten. Ich versuchte in verschiedener Weise, zu einer
befriedigenden epigenetischen Theorie zu gelangen1), welche von
einer verhältnissmässig einfachen Structur der Keimsubstanz aus-
ginge und durch gesetzmässige, mit Theilung verbundenen Ver-
änderungen dieser primären Structur zu der so mannigfaltigen
Differenzirung des Organismus hinführte. Je tiefer ich aber im
Laufe der Jahre in das Problem eindrang, um so mehr musste
ich mich überzeugen, dass eine solche Lösung nicht möglich
ist, und in diesem Buche glaube ich den förmlichen Beweis
dafür geben zu können, dass nur eine Evolutionstheorie im
Sinne Darwin’s, d. h. die Annahme kleinster Anlagen im Keim
den Thatsachen gerecht zu werden vermag, und dass der Ein-
wurf, der mich selbst lange Zeit gehindert hat, diese einfachste
Annahme als der Wirklichkeit entsprechend anzunehmen, hin-
[7] fällig wird durch die Erkenntniss, dass das scheinbar Unmögliche
eben wirklich ist.
Allerdings halte ich auch heute noch dafür, dass Darwin
in seiner Theorie mehr eine Fragestellung, als eine Lösung des
Problems der Vererbung gegeben hat und wohl auch geben
wollte. Seine Annahmen enthalten nicht eigentlich schon eine
Erklärung der Erscheinungen, sondern sind gewissermassen nur
eine Umschreibung der Thatsachen, eine Erklärung rein for-
maler Natur, basirt auf fictive Annahmen, welche nicht ge-
macht wurden, weil sie in sich möglich oder gar wahrscheinlich
erschienen wären, sondern weil sie eine formale Erklärung aller
Erscheinungen von einem Princip aus zuliessen. Wenn man
annimmt, dass jede Zelle aus einem besonderen Keimchen her-
vorgeht, und dass diese Keimchen überall da vorhanden sind,
wo man sie gerade braucht, so kann man überall das entstehen
lassen, dessen Entstehung erklärt werden soll, und wenn eine
grosse Menge Zellen aus der einen Eizelle in gesetzmässiger
Folge hervorgehen soll, und man nimmt an, dass die vor-
handenen Keimchen eben nur successive und zwar in der er-
forderlichen Reihenfolge thätig werden, so muss freilich die
verlangte Folge von Zellen sich einstellen, aber eine wirkliche
Erklärung liegt nicht in dieser Vorstellung. Nun sind auch
heute unsere Erklärungen noch unvollkommen genug und weit
davon entfernt, bis auf den Grund zu gehen, aber sie unter-
scheiden sich doch von der „provisorischen“ Hypothese Darwin’s
dadurch, dass sie danach streben, der Wirklichkeit der Vor-
gänge auf die Spur zu kommen, zu einer realen, nicht einer
blos formalen Lösung des Problems zu gelangen. Das Ver-
dienst des grossen Forschers, gleich die richtige Grundlage für
eine reale Lösung gefunden zu haben, kann nicht dadurch
geschmälert werden, dass er eben in dem Streben nach einer
zunächst blos formalen Lösung weniger durch die Consequenzen
[8] seiner „Keimchen“-Hypothese zurückgeschreckt wurde, als wenn
er versucht hätte, sie der Wirklichkeit anzupassen. So, wie
die Hypothese von ihm aufgestellt war, konnte sie nicht als
Versuch einer realen Lösung des Vererbungsproblems gelten,
schon allein wegen der „Abgabe“ von Keimchen an das Blut,
dem Circuliren derselben durch den Körper und ihrem Ein-
dringen in die Keim- und andere Zellen — lauter Annahmen,
für die eine thatsächliche Unterlage fehlt. Darin liegt auch
offenbar die Ursache, warum sehr bald und wiederholt Um-
gestaltungen der „Pangenesis“ versucht wurden.
Bevor ich diese ins Auge fasse, möchte ich noch das Ver-
hältniss der „physiologischen Einheiten“ Herbert Spencer’s
zu den „Keimchen“ Darwin’s klarlegen. Darwin selbst hielt
die Ersteren für seinen Keimchen nahe verwandt, ja er würde
„die Ansichten Mr. Spencer’s für fundamental die gleichen“
mit den seinigen gehalten haben, wären ihm nicht „mehrere
Stellen“ bei Spencer vorgekommen, die „etwas völlig Ver-
schiedenes“ anzuzeigen scheinen.1)
Ich glaube nun, aus dem bisher Gesagten geht schon her-
vor, dass diese beiden Annahmen völlig verschieden sind. Ge-
meinsam sind allerdings Beiden kleinste lebendige, durch Thei-
lung sich fortpflanzende Einheiten, aber schon der Antheil,
den dieselben am Aufbau des Körpers nehmen, ist ein ganz
verschiedener; Spencer’s Einheiten sind die Elemente, welche
den lebenden Körper ausschliesslich zusammensetzen, während
Darwin’s Zellenkeimchen nur Zellen hervorbringen, d. h. Ele-
mente sind, welche speciell zur Bewirkung der Vererbung vor-
handen sind, ohne dass über ihren Antheil an der Zusammen-
setzung der lebendigen Masse Etwas ausgesagt wird. Hier ist —
[9] wie sich später noch deutlicher zeigen wird — die Spencer-
sche Annahme der Darwin’schen überlegen. Auf der andern
Seite sind die gleichartigen Einheiten Spencer’s Träger der
gesammten Artcharaktere durch die Art und Weise ihres compli-
cirten Molekülarbaues, die Darwin’schen „Keimchen“ aber sind
Anlagen einzelner Zellen, die untereinander entsprechend ver-
schieden zu denken sind. Die Theorie Spencer’s ist eine epi-
genetische, die Darwin’s eine evolutionistische, und hierin ist
Darwin — nach meiner Ansicht — Spencer überlegen.
Der Erste, der den Versuch einer Verbesserung der Pan-
genesis machte, war Galton1). In einem kurzen, aber gedanken-
reichen Aufsatz schliesst er sich zwar der Annahme der „Keim-
chen“ an, verwirft aber die freie Circulation derselben durch
das Blut und somit auch die Wiederansammlung der von den
Zellen des Körpers abgegebenen Keimchen in den Keimzellen.
Da nun diejenigen Keimchen, welche sich in die Zellen des
Körpers verwandelt haben, verbraucht sind, so folgt daraus,
dass die Keimzellen nur den übrig gebliebenen Rest von Keim-
chen enthalten können, diejenigen von der ungeheuren Schaar
der in einer Keimzelle enthaltenen Keimchen, welche nicht zur
Entwickelung gelangten. Denn jede Keimzelle enthält — wie
Galton mit Darwin annimmt — jede Art von Keimchen in
vielen Modificationen, herrührend von den verschiedenen Ver-
fahren des Bion. Man hat diese Annahme der Entstehung der
Keimzellen aus dem bei der Ontogenese unverbraucht gebliebenen
Überrest der Keimchenmasse (the residue of the stirp) der von
mir viel später in die Wissenschaft eingeführten Vorstellung
von der Continuität des Keimplasmas verglichen und in ihr
den Vorläufer derselben gesehen. Eine gewisse Ähnlichkeit
[10] beider Vorstellungen ist auch gewiss vorhanden, aber es wird
sich in dem Abschnitt über die Continuität des Keimplasmas
zeigen, dass dieselbe doch nur eine ganz äusserliche ist.
Herbert Spencer definirt die Vererbung als die Fähig-
keit jeder Pflanze und jeden Thieres, neue Individuen von
gleicher Art zu erzeugen und betont besonders, dass in dieser
Thatsache, die uns völlig vertraut ist und die uns deshalb leicht
als selbstverständlich erscheint, gerade das eigentliche Wesen
und die Hauptsache der Vererbung verborgen liegt, „während
die gewöhnlich auf dieselbe bezogenen Thatsachen eigentlich
nur ganz untergeordnete Kundgebungen derselben sind“. In
der That hat man meistens die Mischung der individuellen
elterlichen Eigenschaften bei den Kindern in den Vorder-
grund der Vererbung gestellt und übersehen, dass dies doch
nur eine ganz sekundäre Vererbungserscheinung ist, wichtig
ganz gewiss in vieler Hinsicht und interessant in hohem Grade,
aber doch nur die Folge einer gewissen Fortpflanzungsform,
der geschlechtlichen und keineswegs eine Fundamentalerscheinung
der Vererbung. Darwin hat dies sehr gut erkannt und seine
erste Sorge war: die theoretische Erklärung der Einzel-Ent-
wickelung (Ontogenese). Aber die Meisten, welche über Ver-
erbung geschrieben haben, und so auch Galton, haben ihre
ganze Aufmerksamkeit der Mischung der elterlichen Eigen-
schaften in den Kindern zugewandt, einem Problem, welches
ohne Zweifel in hohem Grade der Untersuchung werth ist,
welches aber doch nur einen Seitenzweig der Vererbungs-
vorgänge darstellt. Wie wenig ich die Bedeutung der zwei-
elterlichen Vererbung auch in theoretischer Beziehung unter-
schätze, wird gleich im folgenden Abschnitt klar werden, in
welchem ich aus den Erscheinungen dieser Vererbung die
Existenz des Keimplasma’s abzuleiten suche, allein es scheint
mir eine Gefahr, die Vererbung ausschliesslich unter der Vor-
[11] stellung zwei-elterlicher Abstammung theoretisch zu untersuchen,
weil man dabei gerade mit den verwickeltsten Erscheinungen
zu thun hat und die Hauptsache leicht über der Masse ver-
wirrender Nebensachen übersieht. Auch Galton hat sich allzu
stark, wie ich glaube, von dieser Seite der Vererbungserschei-
nungen beeinflussen lassen. So Vortreffliches seine späteren
Untersuchungen über die Gesetze der Mischung elterlicher Eigen-
schaften in den Kindern gebracht haben, so halte ich doch seine
theoretischen Vorstellungen gerade über die grundlegenden That-
sachen der Vererbung für nicht zutreffend. Das Wenige, was
er über die Ursachen der Ontogenese andeutet, scheint mir
gegen die einfachen, aber im Grunde durchschlagenden und
richtigen Aufstellungen Darwin’s weit zurückzustehen. Es ist
begreiflich, dass dem Statistiker und Anthropologen Galton
gerade die Erscheinungen der Mischung der elterlichen Eigen-
schaften die interessantesten waren, aber sie haben ihn fest-
gehalten in dem speciellen Kreis dieser Erscheinungen und ihn
verhindert, zu wirklich allgemeinen Principien und zu einer
eigentlichen Vererbungstheorie im allgemeineren Sinne zu ge-
langen.
Galton hat aber das Verdienst, zuerst die „Circulation
der Keimchen“ bestritten und im Zusammenhang damit, die
allgemeine Gültigkeit einer Vererbung erworbener Eigenschaften
bezweifelt zu haben. Allerdings hält er an einer „schwachen“
Vererbbarkeit derselben fest und nimmt zu ihrer Erklärung an,
dass zwar keine allgemeine „Circulation der Keimchen“ statt-
finde, dass aber jede Zelle einige Keimchen abwerfe, die in
Circulation kommen und gelegentlich in die „Sexual-Elemente“
eindringen.
Galton’s Aufsatz ist zwar schon sehr früh, nämlich wenige
Jahre nach dem Erscheinen der Pangenesis veröffentlicht worden,
aber es kann wohl nicht behauptet werden, dass er einen Ein-
[12] fluss auf die Weiterentwickelung der Vererbungstheorie ge-
habt habe; er wurde selbst in England — wie es scheint —
nicht sehr beachtet und ist im Ausland lange Zeit unbekannt
geblieben. Damit darf ich es wohl entschuldigen, wenn ich
in meinen, fast ein Jahrzehnt später erschienenen Schriften von
seinem eben besprochenen Aufsatz keine Kenntniss hatte und
also auch keinen Bezug darauf nehmen konnte. 1) In einer
dieser Schriften, betitelt „über die Vererbung“ (1883), bestritt
ich zuerst ganz allgemein nicht nur die Existenz, sondern auch
die theoretische Möglichkeit einer Vererbung erworbener (soma-
togener) Eigenschaften und suchte so die Theorie von der Last
einer Erklärungspflicht zu befreien, die ihr jede weitere freie
Entwickelung abschnitt. In dieser Schrift auch nahm ich zu-
erst eine Vererbungssubstanz an, das Keimplasma, welches
in den Keimzellen enthalten ist und welches nie neu gebildet
werden kann, sondern sich immer nur von der Keimzelle, aus
der ein Bion entsteht, in direkter Continuität auf die Keim-
zellen der folgenden Generation überträgt. Ein Gegensatz von
„Körper“ im engeren Sinne (Soma) und Fortpflanzungszellen
wurde hervorgehoben, und die Auffassung vertheidigt, dass
allein die Keimzellen die Vererbungssubstanz, das Keimplasma,
in ununterbrochener Folge von einer zur andern Generation
weitergeben, während die Körper (Somata) gewissermassen
[13] nur Auswüchse je einer Keimzelle, zugleich aber ihre Träger
und Ernährer sind.
Es muss hier noch eines zweiten Versuches, die Pange-
nesis-Theorie zu verbessern gedacht werden. Ich habe schon
früher einmal über das interessante und geistreiche Buch1) von
W. K. Brooks berichtet2), betitelt „the Law of Heredity“.
Der Verfasser behält die ganze Grundlage der Pangenesis bei,
die Erzeugung von „Keimchen“ durch alle Zellen des Körpers,
ihre Circulation im Körper und ihre Ansammlung in den Keim-
zellen oder Knospen; er weicht aber darin hauptsächlich von
Darwin ab, dass er der männlichen Keimzelle eine besonders
starke Anziehungskraft auf die Keimchen zuschreibt, so dass
diese sich in besonderer Menge in ihnen sammeln und auf-
speichern. Da diese Annahme vor Allem zur Erklärung der
Variation gemacht wird, so will ich eine genauere Besprechung
derselben auf den Abschnitt über Variation verschieben.
Ein Jahr später erschien Nägeli’s „mechanisch-physio-
logische Theorie der Abstammungslehre“3), ein Buch reich an
scharfsinnigen Deductionen und anregenden Betrachtungen,
welche unzweifelhaft einen grossen Einfluss ausgeübt und ent-
schieden in die Gedanken-Arbeit der Zeit eingegriffen haben.
Man wird diesem Werke auch dann seine Bedeutung nicht ab-
sprechen dürfen, wenn nur Weniges von seinen theoretischen
Aufstellungen Bestand haben sollte, und ich glaube, es darf
schon jetzt gesagt werden, dass dies der Fall sein wird. So
viele richtige Gedanken, ja sogar hinterher bestätigte Voraus-
[14] sagen von Thatsachen wir Nägeli auch verdanken, seine eigne
Vererbungstheorie hat sich heute schon als unhaltbar erwiesen.
Aus diesem Grunde und weil sie ohnehin Allen bekannt ist,
möchte ich sie hier nicht ausführlich besprechen und mich
lieber auf die Beurtheilung derselben beziehen, die ich vor
Jahren schon gegeben habe1), sowie auch auf die von Wiesner2)
vor Kurzem gegebene ausführliche Kritik. Wenn ich aber
auch nicht glaube, dass die Nägeli’sche Theorie auf dem Weg
zur richtigen Vererbungstheorie liegt, so enthält sie doch
jedenfalls einen wichtigen, und für die Weiterentwickelung
unserer Einsicht bedeutsamen Gedanken, den des Idioplasma’s.
Wie ich selbst schon eine besondere Vererbungssubstanz, das
Keimplasma angenommen hatte, von dessen Veränderungen die
Entwickelung abhängt, und von dessen Übertragung von einer
Generation auf die andere die Vererbung, so postulirte jetzt —
ganz unabhängig von mir — Nägeli eine besondere Ver-
erbungssubstanz, ein „Anlagenplasma“ oder „Idioplasma“, wel-
ches an Masse viel geringer sei, als die übrige lebende Substanz
des Körpers, das „Ernährungsplasma“, welches aber dieses in
seinem feinsten Bau bestimme. Die Richtigkeit dieses Gedankens
ist — soweit ich sehe — bisher von Niemanden bestritten
worden, wenn es sich auch bald zeigte, dass die Form, in
welcher sich Nägeli dieses Idioplasma vorstellte, der Wirklich-
keit nicht entsprach. Er dachte sich dasselbe als feinste parallele
Stränge, welche zu Bündeln vereinigt und netzförmig sich
kreuzend die Zellensubstanz durchziehen und von einer Zelle
zur andern sich fortsetzend den ganzen Körper als ein zu-
sammenhängendes Netz durchsetzen.
[15]
Schon zur Zeit aber des Erscheinens von Nägeli’s Buch
konnte man ahnen, dass die Vererbungssubstanz nicht im Zell-
körper, sondern im Zellkern enthalten ist, und sehr bald
folgten sich verschiedene Entdeckungen, welche es zur Gewiss-
heit erhoben, dass das „Idioplasma“ in den „Chromosomen“ der
Kerne zu sehen sei, in jenen stäbchen-, schleifen- oder körner-
förmigen Gebilden, welche sich durch ihre auffallend starke
Färbbarkeit mit verschiedensten Farbstoffen auszeichnen. Auf
den Beweis dafür werde ich in dem folgenden Abschnitt zurück-
kommen.
Damit war jeder weiteren Vererbungstheorie ein sicherer,
realer Boden angewiesen, man wusste nun nicht nur, dass die
Vererbungserscheinungen der höheren Lebewesen an eine Sub-
stanz gebunden sind, sondern auch wo dieselbe ihren Sitz hat.
Auf diese sichere Grundlage übertrug ich denn nun auch meine
Keimplasma-Theorie, wenn man der damals noch sehr unvoll-
kommenen Form derselben diese Bezeichnung gönnen will; ich
lokalisirte das Keimplasma in die Kernsubstanz der Keimzelle
und leitete die Ontogenese aus einer „qualitativen Veränderung“
desselben ab, welche durch das Mittel der Kern- und Zelltheilung
das Idioplasma von einer Zellgeneration auf die folgende über-
trägt. Ich ging aber bald weiter und folgerte aus der ge-
schlechtlichen Fortpflanzung, welche bei jeder Befruchtung
gleiche Mengen von väterlichem und mütterlichem Keimplasma
zusammenführt, die Zusammensetzung des Keimplasma’s aus
einer Anzahl von Einheiten, den „Ahnenplasmen“ und weiter
die Nothwendigkeit einer jedesmaligen Reduction des Keim-
plasma’s auf die Hälfte seiner Masse und der Zahl der darin
enthaltenen Ahnenplasmen.1) Das theoretische Postulat von
„Reductionstheilungen der Keimzellen ist seither durch die
[16] Beobachtung aufs schönste bestätigt worden, ja es hat sich
gezeigt, dass dieselbe in vielen Fällen genau so abläuft, wie
ich es im Voraus erschlossen und in einer schematischen Zeich-
nung dargestellt hatte, nämlich durch Unterbleiben der bei
gewöhnlicher Kerntheilung eintretenden Längstheilung der Chro-
mosomen und Vertheilung derselben auf die Tochterkerne. Dies
gilt sowohl für das Ei als auch die Samenzelle der Thiere und
soweit man es kennt, auch der Pflanzen. Überall muss die
Keimzelle, um befruchtungsfähig zu werden, durch Theilung
die Hälfte ihrer Kernstäbchen, d. h. ihres Keimplasma’s, ab-
geben, eine Thatsache, durch welche nun auch die andere An-
nahme einer Zusammensetzung des Keimplasma’s aus Ahnen-
plasmen eine reale Basis gewonnen hat. In dem Abschnitt
über amphigone Vererbung wird davon genauer die Rede sein;
hier möchte ich nur hervorheben, dass diese Ahnenplasmen
nicht etwa kleinste Lebenstheilchen, die Analoga der „physio-
logischen Einheiten“ H. Spencer’s sein sollten, vielmehr Körper
von äusserst verwickelter Zusammensetzung, jeder für sich die
sämmtlichen Anlagen, welche zum Aufbau eines Bion erforder-
lich sind enthaltend. Jedes Ahnenplasma war mir „eine be-
sondere Art von Keimplasma“ und mit der Reductionstheilung
werden „ebenso viele verschiedene Idioplasma-Arten aus dem
Ei entfernt, als nachher durch den Spermakern“ bei der Befruch-
tung wieder „in dasselbe eingeführt werden“. Man wird sehen, dass
ich auch in der jetzt vorgelegten Ausführung der Keimplasma
Theorie diese ihre Grundlage vollkommen beibehalte, und ich
glaube, es sollte mir nun gelungen sein, die Einwände, welche
gegen die „Ahnenplasmen“, oder wie ich sie jetzt nenne, die „Ide“
vorgebracht worden sind, zu entkräften. Jedenfalls wird man
ihnen eine bedeutende Erklärungskraft nicht absprechen können.
Wohl der gewichtigste Gegner derselben war bisher de
Vries, aber sein Widerspruch gründet sich auf das eben an-
[17] gedeutete Missverständniss, dass er in meinen „Ahnenplasmen“
kleinste Lebenstheilchen zu sehen glaubt, eine Vorstellung, die
mir von Anfang an fremd war. Ich beklage mich indessen nicht
darüber, da ich damals gerade den Punkt des Baues der Ahnen-
plasmen offen gelassen hatte.1) In vorliegendem Buche soll
diese Lücke ausgefüllt werden und es wird sich zeigen, dass
mir zwar wohl jedes „Ahnenplasma“ Träger der sämmtlichen,
zum Aufbau eines Bion erforderlichen Anlagen ist, dass diese
Annahme aber nicht eine Zusammensetzung desselben aus eben
diesen „Anlagen“ in Form kleinster Lebenstheilchen ausschliesst.
Das „Ahnenplasma“ ist eine Einheit, aber eine solche höherer
Ordnung. Es hat schon deshalb nichts mit den Spencer’schen
„physiologischen Einheiten“ zu thun, weil diese als kleinste
Lebenstheilchen den ganzen Körper zusammensetzen, während
die „Ahnenplasmen“ nur die Kernsubstanz ausmachen und ledig-
lich dem Mechanismus der Vererbungs-Vorgänge dienen.
De Vries selbst hat in bedeutungsvoller Weise in die
Weiterentwickelung einer Vererbungstheorie eingegriffen durch
seine Schrift „intracellulare Pangenesis“.2) Die darin nieder-
gelegten Ansichten widersprechen zwar eigentlich dem Titel,
insofern Pangenesis bei Darwin doch die Überall-Entstehung
von Keimchen bedeuten sollte, die Zusammensetzung der Ver-
erbungssubstanz aus Keimchen, welche von allen Zellen des
Körpers abstammen; de Vries aber beseitigt gerade diesen
Weismann, Das Keimplasma. 2
[18] Theil der Darwin’schen Hypothese vollkommen. Das Charak-
teristischste derselben wird hinweggenommen und was bleibt,
ist mehr allgemeiner Natur, Principien, von denen in dieser
oder jener Form heute wenigstens jede Vererbungstheorie aus-
gehen muss. Dazu kommen dann aber noch eigne Ideen, die
dem ganzen Vorstellungskreis erst den Stempel aufdrücken. Will
man — wie es de Vries thut — seine Theorie als eine Um-
gestaltung der Darwin’schen Pangenesis betrachten, so ist sie
jedenfalls eine radikale und eine solche, die mit einem Schlage die
unhaltbar gewordene Pangenesis von Neuem lebensfähig macht.
De Vries unterscheidet in der Darwin’schen Pangenesis
zwei Hälften, deren eine er verwirft, während er die andere
beibehält. Die erste nennt er die „Transport-Hypothese“ und
versteht darunter die Annahme von der Entstehung von Keim-
chen in allen Zellen des Körpers, ihrem „Abwerfen“, ihrer Cir-
culation im Blut und ihrer endlichen Ansammlung in den
Keimzellen. Er stützt sich dabei auf meine Verwerfung einer
Vererbung „somatogener“ Eigenschaften, wodurch ja allerdings
die Annahme eines Transports von Keimchen aus den Zellen
des Körpers nach den Keimzellen hin überflüssig wird. So
beseitigt er denjenigen Theil der Pangenesis, der dieselbe für
die Meisten unannehmbar machte, und stellt die Theorie auf
einen neuen realen Boden, von welchem aus sie entwickelungs-
fähig wird.
Übrigens geht er doch wohl zu weit, wenn er die Trans-
port-Hypothese lediglich aus dem Bedürfniss einer Erklärung
für die Vererbung somatogener Eigenschaften herleitet. Man
darf nicht vergessen, dass der Gedanke einer „Continuität des
Keimplasma’s“ zu Darwin’s Zeiten noch nicht zur Geltung
gelangt war. Wie sollten denn die Keimchen sämmtlicher Zellen
eines Bion in seine Keimzellen kommen, wenn sie nicht eben
in den Körperzellen sich bilden, dann auswandern, circuliren
[19] und sich in den Keimzellen alle zusammenfinden? Ein direkter
Zusammenhang der befruchteten Eizelle mit den Keimzellen des
daraus sich entwickelnden Bion’s war weder damals von Jemand
behauptet worden, noch besteht er überhaupt, mit Ausnahme
ganz vereinzelter Fälle. Die Transport-Hypothese war also
nothwendig auch für die Erklärung der Hervorbringung von
Keimzellen jeder Art, die die Keimchen der Eltern wieder in
sich enthalten mussten. Galton, der ja auch die „Transport-
Hypothese“ verwarf, kam dadurch in die sonderbare Lage, die
Keimzellen, die das Bion hervorbringt, nur mit dem unver-
brauchten Rest von Keimchen und deren Nachkommen füllen
zu können, also mit den Keimchen, welche selbst keinen Antheil
hatten nehmen können, den latent gebliebenen und individuell
anders gearteten Keimchen. Er benutzte dies, um daraus die
Verschiedenheit der Kinder eines Elternpaares zu erklären,
sah sich aber genöthigt, für die in erster Linie zu erklärende
Ähnlichkeit solcher Kinder mit den Eltern zu sehr künst-
lichen Erklärungen zu greifen.
Was de Vries von Darwin’s Pangenesis beibehält, ist
eine Vererbungssubstanz, welche sich aus „Keimchen“ zusammen-
setzt, die kleinste Lebenstheilchen sind, wachsen und sich durch
Theilung vermehren können, die successive bei der Ontogenese
in Thätigkeit gerathen und so den Organismus aufbauen. Die
Theorie wird dadurch der rein fictiven Elemente ganz entkleidet
und indem nun noch die „Keimchen“ entsprechend den Resul-
taten der neuesten Zeit in die Kernsubstanz verlegt werden,
welche, wie wir wissen, durch die Theilungen von Zelle zu Zelle
weiter gegeben wird, erhält die Pangenesis vollends festen Grund
unter die Füsse.
De Vries begnügte sich aber nicht damit, die Darwin’sche
Pangenesis gewissermassen bloss negativ umzugestalten, indem
er die eine und fast die grössere Hälfte von ihr abtrennt, son-
2*
[20] dern er reformirt sie auch positiv, indem er den „Keimchen“
einen andern Begriff unterlegt. Diese „Keimchen“, oder wie
sie de Vries nennt, „Pangene“ unterscheiden sich dadurch sehr
wesentlich von den Darwin’schen „gemmules“, dass sie keine
Zellen-Keimchen sind, sondern vielmehr Keimchen für viel
kleinere Elemente, nämlich für die kleinsten Theilchen, aus
welchen sich die einzelne Zelle aufbaut. Die Pangene sind
Träger der einzelnen „Eigenschaften“ der Zelle.
Der Gedankengang, der de Vries zu der Vorstellung der
Zusammensetzung der Vererbungssubstanz aus solchen „Eigen-
schafts-Trägern“ der Zellen führte, ist zu interessant, um über-
gangen zu werden. Er fusst dabei auf der Annahme einer
„gegenseitigen Unabhängigkeit der erblichen Eigen-
schaften“. Nach seiner Ansicht bestehen die Arten aus einer
Summe „erblicher Eigenschaften“, von denen die wenigsten
oder auch gar keine der einzelnen Art allein eigen sind, deren
Combination aber den Charakter der Art ausmacht.
Dieselbe Eigenschaft wiederholt sich bei vielen Arten,
aber in anderer Verbindung mit andern „Eigenschaften“. „Überall
sehen wir, wie eine und dieselbe erbliche Eigenschaft, oder wie
eine bestimmte kleine Gruppe von solchen mit den verschieden-
sten andern erblichen Eigenschaften verbunden werden kann,
und wie durch diese äusserst variirten Verbindungen die ein-
zelnen Artcharaktere zu Stande kommen.“ Ähnlich wie die
Arten sich in dieser Beziehung zu einander verhalten, thun es
auch die verschiedenen Organe derselben Art, auch sie setzen
sich aus denselben Eigenschaften zusammen, nur in anderer
Combination. Die einzelnen „Eigenschaften“ nun, welche die
Art zusammensetzen, können „fast jede unabhängig von den
andern“ variiren und können deshalb auch durch künstliche
Züchtung je nach dem Gefallen des Züchters gesteigert werden,
ohne dass deshalb die übrigen „Eigenschaften“ der Art eben-
[21] falls verändert zu werden brauchten. Die „Eigenschaften“ sind
aber auch „fast in jedem Verhältniss mit einander mischbar“,
wie besonders die Versuche über Bastardirung und Kreuzung
lehren sollen; „nirgendwo tritt so klar wie hier das Bild der
Art gegenüber seiner Zusammensetzung aus selbständigen Fak-
toren in den Hintergrund“. Die Eigenschaften, oder vielmehr
ihr materielles Substrat, sind also selbständig und fast beliebig
mischbar.
Die Träger nun dieser die Art zusammensetzenden „Eigen-
schaften“ sind eben jene „Pangene“, jene kleinsten Lebens-Ein-
heiten, welche de Vries an Stelle der Darwin’schen „Zellen-
keimchen“ setzt.
Der Grundgedanke der ganzen Deduction ist gewiss voll-
kommen richtig; als ich vor einem Jahrzehnt zuerst anfing,
mich in das Problem der Vererbung zu vertiefen, glaubte ich
noch an die Möglichkeit einer epigenetischen Theorie, habe sie
aber auch längst als unmöglich erkannt, wie man im Verlauf
dieses Buches sehen wird. Auch ich denke mir die Vererbungs-
substanz aus „Anlagen“ zusammengesetzt und glaube sogar,
diese Annahme als unvermeidlich und als eine völlig gesicherte
nachweisen zu können. Aber ich meine nicht, dass wir mit
„Pangenen“ ausreichen zur Erklärung der Vererbungserschei-
nungen. De Vries lässt die Keimsubstanz aus einer Menge
verschiedener Arten von Pangenen bestehen, von denen so viele
vorhanden sein müssen, als „Eigenschaften“ bei der Art vor-
kommen. Diese Pangene denkt sich nun de Vries nicht in
festem geordneten Verband, sondern frei mischbar, wie es der
angenommenen „freien Mischbarkeit der Eigenschaften“ entspricht.
Höhere Einheiten, die etwa eine bestimmte Zahl Pangene ge-
ordnet zusammenhielten, bekämpft er als eine überflüssige An-
nahme und darin scheint mir der schwache Punkt seiner Auf-
stellungen zu liegen.
[22]
In dem Abschnitt über die Beherrschung der Zelle durch
die Kernsubstanz werde ich mich dem — wie ich glaube —
sehr glücklichen Gedanken von de Vries anschliessen, nach
welchem materielle Theilchen aus dem Kern austreten und in
den Bau des Zellkörpers eingreifen. Diese Theilchen entsprechen
den „Pangenen“, sie sind die „Eigenschaftsträger“ der Zelle;
durch ihre Natur, durch ihre verschiedenen Arten und durch
die Verhältnisszahl derselben wird auch nach meiner Ansicht
der Zelle ihr specifischer Stempel aufgedrückt.
Aber beruht denn der Charakter einer Art blos auf diesen
primären „Eigenschaften“ der Zellen? Giebt es nicht „Eigen-
schaften“ sehr verschiedner Ordnung? primäre, sekundäre u. s. w.?
Die „Pangene“ sind primäre Eigenschaftsträger, ihre blosse
Anwesenheit in der Vererbungssubstanz sagt noch gar Nichts
oder doch sehr Wenig über den Charakter einer Art aus. Wenn
z. B. in der Eizelle einer Pflanze „Chlorophyll-Pangene“ ent-
halten sind, so können wir daraus keinen weiteren Schluss auf
ihre Artcharaktere machen, als dass sie irgend welche grüne
Zellen besitzen wird; wo dieselben liegen, welche Theile der
Pflanze grün, welche etwa „panaschirt“ sein werden, ob grüne,
ob weisse oder anderswie gefärbte Blüthen an ihr entstehen
werden, lässt sich daraus nicht entnehmen. Erst wenn wir in
der Keimsubstanz Gruppen von Pangenen entdeckten, von
welchen die einen für Blätter, die andern für Blüthen bestimmt
wären, könnten wir sagen, ob die Letzteren grün oder anders-
wie ausfallen werden.
De Vries erwähnt einmal die Zebrastreifung. Wie soll
ein Charakter, wie dieser vererbbar sein, wenn im Keim blos
verschiedene Arten von Pangenen lose nebeneinander liegen,
ohne zu festen und als solche vererbbaren Gruppen ver-
bunden zu sein? Zebrapangene kann es nicht geben, weil die
Zebrastreifung keine Zellen-Eigenschaft ist; es kann vielleicht
[23] kurz gesagt „schwarze“ und „weisse“ Pangene geben, deren
Anwesenheit die schwarze oder weisse Färbung einer Zelle be-
dingen. Aber die Zebrastreifung beruht nicht auf Entwickelung
von Schwarz und Weiss innerhalb einer Zelle, sondern auf
der regelmässigen Abwechselung von Tausenden streifenweise
angeordneten schwarzen oder weissen Zellen.
De Vries bezieht sich auch einmal auf die zuweilen durch
Rückschlag auf eine weit zurückliegende Stammform entstehende
langstengelige Abart der alpinen Primula acaulis. Auch hier
kann der Charakter der Langstengeligkeit nicht auf „Langstengel-
Pangenen“ beruhen, denn die Langstengeligkeit ist keine intra-
celluläre Eigenschaft. Ebensowenig die specifische Form der
Blätter u. s. w. Der gesägte Rand eines Blattes kann nicht
auf der Anwesenheit von „Säge-Pangenen“ beruhen, sondern
er beruht auf eigenthümlicher Anordnung der Zellen des Blatt-
randes. Ebenso verhält es sich fast bei allen Charakteren,
die wir als sichtbare „Eigenschaften“ der Art, Gattung,
Familie u. s. w. bezeichnen, so bei der Grösse, Structur, Be-
filzung, Gestalt eines Blattes, den charakteristischen und oft so
durchaus constanten Farbenflecken auf Blumenblättern (Orchi-
deen) u. s. w. Alle diese „Eigenschaften“ kommen nur durch das
ordnungsmässige Zusammenwirken vieler Zellen zu Stande. Oder
denke man an „Eigenschaften“ des Menschen, an seine Schädel-,
seine Nasenform u. s. w. Alle diese so charakteristischen „Eigen-
schaften“ können nicht einfach nur auf der blossen Anwesen-
heit der Pangene im Keim beruhen, welche die Hunderte und
Tausende verschiedener Zellen bilden sollen, die die betreffende
„Eigenschaft“ zusammensetzen, sondern sie müssen auf einer
festen und von Generation auf Generation übertrag-
baren Gruppenbildung der „Pangene“ oder irgend welcher
andern primärer Elemente des Keimes beruhen.
Das Charakteristische der Art kann nicht blos auf Anzahl
[24] und Verhältniss der Pangene im Keim beruhen. Es liessen sich
ganz wohl zwei recht verschieden gebaute Arten denken, deren
Pangen-Material des Keimes nach Art und Zahl gleich wäre;
der Unterschied würde dann lediglich in einer Gruppen-
bildung von Pangenen im Keim liegen. Allerdings führt
de Vries „die systematische Differenz auf den Besitz ver-
schiedener Arten von Pangenen“ zurück und meint „die An-
zahl der gleichartigen Pangene in zwei Species sei das wirkliche
Maass ihrer Verwandtschaft“1), allein dieser Ausspruch scheint
mir nicht ganz zu stimmen mit der Grundanschauung, von
welcher ausgegangen wird, und nach welcher „der Charakter
jeder einzelnen Art aus zahlreichen erblichen Eigenschaften zu-
sammengesetzt ist, von denen weitaus die meisten bei
fast unzähligen andern Arten wiederkehren“. Wird
doch ausdrücklich hervorgehoben, dass die grosse Anzahl ver-
schiedener Pangene, welche, „zum Aufbau einer einzelnen Art“
schon gehört, doch nicht zu einer ganz unfassbaren Menge ver-
schiedener Pangene in der gesammten Organismenwelt führt,
weil zum Aufbau dieser „eine im Verhältniss zur Artenzahl
geringe Anzahl von einheitlichen erblichen Eigenschaften aus-
reicht. Jede Art erscheint uns als ein äusserst complicirtes
Bild, die ganze Organismenwelt aber als das Ergebniss un-
zähliger verschiedener Combinationen und Permutationen von
relativ wenigen Faktoren“.
Der hier so klar und bestimmt ausgesprochene Gedanke des
Aufbaues zahlloser Arten aus verschiedenen Zusammenstellungen
relativ weniger Pangene zeigt, dass auch vom de Vries’schen
Standpunkt aus nicht das den Keim zusammensetzende Mate-
rial an Pangenen in erster Linie das Bestimmende für den
Charakter der Art sein kann, sondern in viel höherem Grade2)
[25] die Anordnung desselben, oder wie ich es später bezeichnen
werde: die Architektur des Keimplasma’s.
Wohl spricht auch de Vries an verschiedenen Stellen von
„Gruppen“ von Pangenen, aber er streift den Gedanken nur,
und verweist seine Ausführung auf die noch zu erwartenden
weiteren Aufschlüsse über den Mechanismus der Kerntheilung.
So wichtig aber ohne allen Zweifel die von de Vries ver-
tretene Grundanschauung einer Zusammensetzung der Keim-
substanz aus primären Anlagen ist, so täuscht sie doch leicht
über die Tragweite ihres Erklärungsvermögens; ohne die An-
nahme einer Bildung vieler, einander umfassenden Ordnungen
von Gruppen solcher primärer Anlagen kommt man nicht zur
Erklärung auch nur der einfachsten Ontogenese, geschweige
denn der verwickelten Erscheinungen des Rückschlags und der
amphigonen Vererbung überhaupt. Die Darwin’sche Pangenesis
leistet hier noch mehr, als die de Vries’sche Abänderung der-
selben, insofern sie doch wenigstens mit Zellen-Anlagen operirt,
während die blosse Anwesenheit einer bestimmten Pangen-Gesell-
schaft im Keim nicht einmal Sicherheit dafür gewährt, dass die
gleichen Zellen beim Kind zu Stande kommen, wie sie beim
Elter vorhanden waren; denn der Charakter der einzelnen Zelle
wird durch eine bestimme Auswahl von Pangenen bestimmt.
Wenn freilich angenommen wird, dass die erforderlichen Pangene
überall da beisammen liegen und zur Verfügung stehen, wo
man sie zur Erklärung einer Vererbungserscheinung braucht,
dann ist die Erklärung nicht mehr schwer, aber mir scheint,
dass es eben gerade darauf ankäme, zu zeigen, wieso die Be-
schaffenheit des Keims es bedingen kann, dass die rechten An-
lagen immer am rechten Ort sein müssen.
De Vries spricht, wie gesagt, gelegentlich von Pangen-
Gruppen, auf der andern Seite aber verwahrt er sich gegen
jede „höhere Einheiten“ im Keim als überflüssig. Ich kann
[26] diesen Widerspruch nur daraus verstehen, dass er die „Eigen-
schaften“ für selbständig und völlig frei mischbar hält, somit
eines Keim-Mechanismus bedarf, der ihre Trennung in beliebiger
Weise gestattet. Verhielte sich dies wirklich so, wären die
Anlagen nicht im Keim schon zu festen Gruppen verbunden,
wie könnten jemals complicirte, aus vielen verschiedenartigen
Zellen in bestimmter Anordnung zusammengesetzte Charaktere,
z. B. ein Augenfleck auf einer bestimmten Feder eines Vogels
zum festen Artcharakter geworden sein? Ich bin der Ansicht,
dass die Selbständigkeit und freie Mischbarkeit der Eigenschaften
eine Täuschung ist, hervorgerufen durch die amphigone Fort-
pflanzung. Der Abschnitt über amphigone Vererbung, Rück-
schlag u. s. w. wird zeigen, wie ich mir das Zustandekommen
dieses Scheins einer freien Mischbarkeit der vereinzelten Eigen-
schaften vorstelle.
Es wird im Verlauf dieses Buches noch vielfach hervor-
treten, in wie vielen und gerade den wichtigsten Punkten ich
mit dem holländischen Botaniker auf dem gleichen Boden stehe,
ich glaube aber allerdings, dass seine „Pangene“, oder ähnliche
kleinste Lebenstheilchen allein zum Aufbau einer Vererbungs-
theorie noch nicht genügen, dass noch Einiges hinzugefügt
werden muss, um die Erscheinungen im Princip wenigstens
begreifbar zu machen.
Das Manuskript des vorliegenden Buches war bereits längst
niedergeschrieben, als das Werk von J. Wiesner über „die
Elementarstructur und das Wachsthum der lebenden Substanz“
erschien. Wenn dasselbe auch nicht eine Vererbungstheorie ent-
hält oder zu geben beabsichtigt, so ist es doch von grosser
Bedeutung auch für die Theorie der Vererbung, weil es die
Grundlage einer solchen behandelt: die Zusammensetzung
der lebenden Substanz aus kleinsten Einheiten. Wiesner
bemerkt, dass die bisherigen Vererbungstheorien stets besondere,
[27] ad hoc erfundene Einheiten angenommen hätten, während doch
dieselben Einheiten, welche Leben überhaupt ermöglichen, welche
der Assimilation und dem Wachsthum vorstehen, zugleich auch
die Vererbung vermitteln müssten. In der That sind die „phy-
siologischen Einheiten“ Herbert Spencer’s, die „Keimchen“
Darwin’s, die „Plastidule“ Häckel’s und meine Ahnenplasmen
solche speciell zur Erklärung der Vererbung angenommenen
Elemente. Nur de Vries lässt aus seinen „Pangenen“ zugleich
alle lebende Substanz zusammengesetzt sein, und ich habe schon
angedeutet, dass auch meine „Ahnenplasmen“ sich aus ähnlichen
primären Einheiten zusammensetzen, welche nicht blos in ihnen
vorkommen. Die von Wiesner nach Brücke’s Vorgang an-
genommenen kleinsten Lebenstheilchen, seine „Plasome“1) ent-
sprechen in allem Wesentlichen den von mir angenommenen
„Biophoren“ oder Lebensträgern.
B. Sachlicher Theil.
Unter Vererbung versteht man schlechthin die Erfahrungs-
Thatsache, dass lebende Organismen Ihresgleichen wieder her-
vorbringen können und dass diese „Gleichheit“ von Kind und
Elter, wenn sie auch niemals eine vollständige ist, sich doch
bis in sehr geringfügige Einzelheiten des Baues und der Funk-
tion erstrecken kann.
Die Grunderscheinungen der Vererbung sind von allen leben-
den Wesen bekannt: die Übertragung des Artcharakters vom Elter
auf das Kind, sei es, dass die Vermehrung durch Zweitheilung
eines einzelligen Wesens erfolgt, sei es, dass es sich um die
[28] Wiederholung eines vielzelligen Organismus handelt, der nur
durch eine verwickelte Aufeinanderfolge immer mehr anwachsen-
der Zellgruppen, d. h. durch Entwickelung entstehen kann.
Diese Grunderscheinungen der Vererbung compliciren sich aber
bei allen höheren Organismen durch die Verbindung der Fort-
pflanzung mit jenem Vorgang, den man als Amphimixis1), als
Vermischung zweier Individuen oder ihrer Keime bezeichnen
kann und welchen man in seiner bei Vielzelligen constanten
Verbindung mit Fortpflanzung als „geschlechtliche Fortpflanzung“
zu bezeichnen gewohnt ist. Die Erscheinungen der Mischung
der elterlichen Charaktere, des Rückschlags und andere mehr
beruhen ausschliesslich auf dem Eingreifen der Amphimixis in
das Leben der Arten, wie später genauer zu zeigen sein wird.
Bei den Einzelligen, bei welchen Amphimixis in der Form der
Conjugation sehr verbreitet, wenn nicht allgemein vorkommt,
also nicht direkt mit Fortpflanzung verknüpft, müssen ähnliche
Vererbungserscheinungen vorkommen; wir kennen sie aber noch
nicht und sind also in Bezug auf diese Seite der Vererbung
ganz auf die Vielzelligen angewiesen. Genauer beobachtet sind
diese Vererbungserscheinungen überhaupt nur bei höheren
Pflanzen und Thieren und von den Letzteren am genauesten
beim Menschen. Bei diesen höheren Lebensformen steht ein
grosses Arsenal von Thatsachen der theoretischen Analyse zur
Verfügung.
Obgleich nun durch Amphimixis eine sehr bedeutende Ver-
wickelung der Vererbungserscheinungen verursacht wird, so
gestattet uns doch gerade die Vermischung zweier elterlichen
Vererbungstendenzen und die Vorgänge der geschlechtlichen
Fortpflanzung selbst, welche diese herbeiführen, einen wesentlich
tieferen Einblick in die Vererbungsvorgänge selbst, als wir ihn
[29] auf andere Weise wohl jemals hätten erhalten können, und wir
dürfen hoffen, durch immer genauere Untersuchungen gerade
dieser Erscheinungen mit der Zeit noch tiefer in das Wesen
derselben einzudringen.
Um aber dieses Ziel zu erreichen, werden wir nie vergessen
dürfen, dass diese Form der Fortpflanzung weder die einzige,
noch die ursprüngliche ist, dass auch bei den Vielzelligen nicht
jede Fortpflanzung mit Amphimixis verbunden ist, dass vielmehr
die sogenannte „ungeschlechtliche“, d. h. einelterliche Fort-
pflanzung die Wurzel der zweielterlichen sein muss. Die Grund-
erscheinungen der Vererbung haben aber auch vor Einführung
der Amphimixis in die Lebewelt ihren Ablauf genommen, und
sie haben also Nichts mit der zweielterlichen Abstammung und
der aus dieser resultirenden Complicirung der Vererbung zu thun.
Das ist oft übersehen oder doch nicht berücksichtigt worden
und man hat sich dadurch die Lösung des Vererbungs-Problems
ungemein erschwert. Eine ganze Reihe von Vererbungserschei-
nungen können theoretisch untersucht werden, ohne Rücksicht
zu nehmen auf ihre Complication durch die thatsächlich überall
hineinspielende Amphimixis, und die zu lösende Aufgabe ver-
einfacht sich dadurch recht beträchtlich.
Der natürliche Gang der Untersuchung würde vom Ein-
fachen zum Zusammengesetzten leiten, aber es empfiehlt sich,
heute noch nicht mit der Vererbung der Urwesen zu beginnen
und durch die Einzelligen zu den Vielzelligen aufzusteigen.
Nicht blos deshalb, weil wir über die Einzelerscheinungen,
z. B. über die Vererbung individueller Charaktere bei niederen
Lebensformen so gut wie Nichts wissen, sondern vor Allem aus
dem Grund, weil gerade die zweielterliche Fortpflanzung der
Vielzelligen, der Befruchtungsprocess und die complicirte Ent-
wickelung derselben uns — wie schon gesagt wurde — einen
tiefen Blick in das Wesen des Vererbungsvorgangs thun lassen.
[30] Es geht hier, wie bei fast allen physiologischen Vorgängen:
Die Forschung kann nicht den regulären Weg vom Einfachen
zum Verwickelten gehen, unbekümmert darum, welche Objekte
und Vorgänge ihr dabei zuerst entgegentreten; sie muss viel-
mehr auf den dicht verwachsenen, geraden Weg verzichten und
die Dornenhecke umkreisen, welche das verzauberte Schloss des
Naturgeheimnisses umgiebt, um zu sehen, ob nicht irgendwo
eine Lücke geblieben ist, durch welche sie eindringen und
innerhalb festen Fuss fassen kann.
Eine solche Lücke in der Dornenhecke, welche das Ge-
heimniss der Vererbung einschliesst, dürfen wir in dem Be-
fruchtungsvorgang sehen, wenn wir ihn zusammenhalten mit
den Thatsachen der Vererbung, wie wir sie bei den Organismen
mit geschlechtlicher Fortpflanzung beobachten.
Solange man noch in der irrigen Vorstellung befangen
war, die Befruchtung des Eies durch den Samen beruhe auf
einer Aura seminalis, welche dem Ei den Anstoss zu seiner
Entwickelung ertheile, konnte man die Vererbungsthatsache,
dass nicht nur die Mutter, sondern auch der Vater seine Eigen-
schaften auf die Kinder übertragen könne, nur dadurch halb-
wegs verständlich machen, dass man einen Spiritus Rector an-
nahm, der in der Aura seminalis enthalten sich auf das Ei
übertrug und dort mit dem im Ei schon enthaltenen vereinigte,
um gemeinsam die Entwickelung zu leiten. Erst die Ent-
deckung, dass materielle Substanztheilchen des Samens die Be-
fruchtung bewirken, die Samenzellen, welche ins Ei eindringen,
eröffnete einer richtigeren Auffassung die Bahn. Heute wissen
wir, dass die Befruchtung nichts Anderes ist, als die theilweise
oder völlige Verschmelzung zweier Zellen, der Samenzelle und
der Eizelle, und dass normalerweise stets nur eine Samenzelle
sich mit einer Eizelle vereinigt. Demnach beruht die Be-
fruchtung in der Vereinigung zweier protoplasmatischer Sub-
[31] stanzen, und da nun einerseits die männliche Keimzelle stets
sehr viel kleiner und geringer an Masse ist, als die weibliche,
andrerseits aber die Vererbungskraft des Vaters erfahrungs-
gemäss ebenso gross sein kann, wie die der Mutter, so muss
daraus der wichtige Schluss gezogen werden, dass jedenfalls
nur ein kleiner Theil der Substanz des Eies eigentliche Ver-
erbungssubstanz sein kann. Pflüger und Nägeli haben
diesen Gedankengang zuerst geltend gemacht, und der Letztere
genauer ausgeführt, dass man der Annahme nicht ausweichen
kann, es sei in der weiblichen Keimzelle, dem Ei, nicht mehr
Vererbungssubstanz enthalten, als in der männlichen, folglich
nur eine ganz minimale Menge. Denn die Samenzelle ist in
den meisten Fällen hundert und tausend Mal kleiner als die
Eizelle.
Es ist aber durch die zahlreichen und wichtigen Ergeb-
nisse der Forschung so vieler ausgezeichneter Beobachter über
den Befruchtungsvorgang nahezu, oder — wie ich glaube —
ganz sichergestellt worden, dass nicht nur der bei Weitem
grösste Theil der Eizelle keine Vererbungssubstanz ist, sondern
dass auch nur ein kleiner Theil der Spermazelle aus dieser be-
steht. Schon O. Hertwig hatte nach seinen Beobachtungen
am Seestern-Ei das Wesentliche des Befruchtungsvorganges in
der Vereinigung der Kerne der Ei- und Samenzelle vermuthet
und diese Auffassung hat sich wenigstens insoweit als richtig
bestätigt, als die Vererbungssubstanz zweifellos im Kern ent-
halten ist. Allerdings wird in keinem Falle lediglich der Kern
ohne jede Zugabe von Zellkörper bei der Befruchtung von Seiten
des männlichen Theiles übertragen, wie man nach früheren
Beobachtungen von Strasburger an höheren Pflanzen eine
Zeit lang glauben musste. Jetzt wissen wir durch die Unter-
suchungen von Guignard, dass auch bei den Phanerogamen
ein kleiner Zellkörper den befruchtenden Kern umgiebt und
[32] dass in ihm ein eigenthümliches Organ enthalten ist, das Cen-
trosoma, welches für den Eintritt der Entwickelung unentbehr-
lich ist. Ich werde später noch auf dasselbe näher zu sprechen
kommen; soviel aber möchte ich hier schon sagen, dass dieses
Centrosoma mit seiner sog. „Attractionssphäre“ in jedem Falle
keine Vererbungssubstanz sein kann, sondern dass es blos der
„Theilungsapparat“ der Zelle und des Kerns ist.
Was aber im Kern der Samenzelle enthalten ist, ist nicht
nur bei allen Pflanzen, sondern auch bei allen Thieren im
Wesentlichen dasselbe, nämlich die Vererbungssubstanz der
betreffenden Art, dasselbe, was auch im Kern der Eizelle ent-
halten ist, denn es kann heute kein Zweifel mehr darüber sein,
dass die von Strasburger und mir schon seit Jahren ver-
tretene Auffassung die richtige ist, nach welcher auch die
Kerne der männlichen und die der weiblichen Ge-
schlechtszellen im Wesentlichen gleich sind, d. h. bei
ein und derselben Art dieselbe Vererbungssubstanz der
Species enthalten.
Die vortrefflichen Untersuchungen von Auerbach, Bütschli,
Flemming und so vielen Andern über die intimen Vorgänge
bei der Kerntheilung im Allgemeinen und anderseits besonders
die wichtigen Beobachtungen von Beneden’s, Boveri’s und
Andern über die Befruchtung des Ascariden-Eies, haben uns
die Mittel an die Hand gegeben, mit Sicherheit noch genauer
zu bestimmen, welcher Theil des Kerns die Substanz ist, an
der die Vererbung hängt. Wie oben schon erwähnt, sind es
jene „Chromosomen“, stark mit Farbstoffen färbbare Körperchen
im Innern des Kerns von Stäbchen-, Schleifen- oder Kügelchen-
Gestalt.
Sobald es erst gelungen war, zu schliessen, dass nicht der
Zellkörper, sondern nur der Kern die Vererbungssubstanz ent-
halten müsse, war es auch gegeben, dass weder die Membran
[33] des Kerns, noch dessen flüssiger Inhalt, noch die die Auf-
merksamkeit zuerst auf sich ablenkenden Kernkörperchen (Nuc-
leolen) als solche angesehen werden können, sondern einzig
und allein jene „Chromatinkörner“. In der That haben denn
auch kurz nach einander und auf denselben Daten fussend,
mehrere Forscher diesen Schluss gezogen, so Strasburger,
O. Hertwig, ich selbst und Kölliker.
Es ist nicht uninteressant und nicht überflüssig, sich die
Gründe, welche zu diesem Schluss drängen und damit zugleich
die zwingende Kraft, welche ihnen inne wohnt, hier vorzu-
führen, denn es leuchtet ein, dass es für eine Theorie der Ver-
erbung von fundamentaler Bedeutung sein muss, darüber Sicher-
heit zu haben, welches die Substanz ist, von der die zu er-
klärenden Erscheinungen ausgehen.
Die Sicherheit, mit welcher wir gerade die sog. „Chroma-
tinkörper“ des Zellkerns als Vererbungssubstanz in Anspruch
nehmen können, beruht einmal auf dem Vorgang der Amphi-
mixis und zweitens auf dem der Kerntheilung. Wir wissen,
dass der Befruchtungsvorgang wesentlich darin besteht, dass
Chromatinstäbchen in gleicher Zahl von Seiten der väterlichen
und der mütterlichen Keimzelle zusammentreten und einen neuen
Kern bilden, von welchem nun die Bildung des kindlichen
Organismus ausgeht. Wir wissen auch, dass jede Keimzelle,
um zur Befruchtung geeignet zu werden, zuerst der Hälfte
seiner Kernstäbchen sich entäussern muss, ein Vorgang, der
durch sehr eigenthümliche Theilungen zu Stande kommt. Ohne
hier schon näher darauf einzugehen, kann doch die Amphi-
mixis als ein Vorgang charakterisirt werden, durch welchen
die halbe Zahl der Kernstäbchen einer Keimzelle (der
männlichen) entfernt und durch die gleiche Zahl von
Kernstäbchen einer andern Keimzelle (der weiblichen)
ersetzt wird.
Weismann, Das Keimplasma. 3
[34]
Aber auch die Art und Weise, wie die Chromatinsubstanz
bei der Kerntheilung getheilt wird, bestärkt die Ansicht von
ihrer fundamentalen Natur. Dieser Theilungsmodus lässt keinen
Zweifel darüber, dass es sich um eine Substanz von der aller-
grössten Wichtigkeit handelt. Ich will nur kurz an die Haupt-
momente des wunderbar complicirten und bis ins Feinste hinein
regulirten Vorgangs der sog. mitotischen Kerntheilung erinnern.
Wenn der Kern einer Zelle zur Theilung schreitet, so
sammeln sich zunächst die bisher zerstreuten Chromatinkörnchen,
indem sie sich aneinanderreihen und einen langen Faden bilden,
der in unregelmässigen Spiralwindungen den Kernraum durch-
zieht und der sich dann in ziemlich gleich lange Stücke theilt:
die Chromosomen. Diese erscheinen meist zuerst in Form
langer Bänder oder Schleifen, verkürzen sich aber dann und
werden so zu kurzen Schleifen, oder auch zu geraden Stäbchen
oder kugeligen Körnern. Die Zahl der auf diese Weise her-
vortretenden Chromosomen ist bei einer Thier- oder Pflanzen-
art immer dieselbe, später zu erwähnende Ausnahmen abge-
rechnet, und ist also auch die gleiche, die sie nach der Ent-
stehung der gerade beobachteten Zelle gewesen ist.
Wenn der Vorgang soweit vorgeschritten ist, so hat sich
bereits ein besonderer, grossentheils im Zellkörper bisher verborgen
gewesener Apparat entfaltet, der dazu bestimmt ist, die eben be-
zeichneten Chromatin-Elemente in zwei gleiche Hälften zu theilen
und diese Hälften in gesetzmässiger Weise von einander zu ent-
fernen und zu lagern. Es werden nämlich an den beiden ent-
gegengesetzten Polen der Längsachse des Kernes zwei früher schon
vorhandene helle Körperchen sichtbar, die „Centrosomen“, um-
geben von einer hellen Zone, der sogen. „Attractionssphäre“,
die in ihrer Bedeutung von Fol, van Beneden und Boveri
zuerst erkannt wurden. Sie entwickeln zu Zeiten eine An-
ziehungskraft auf die Lebenstheilchen der Zelle, so dass diese
[35]
Schema der Kerntheilung. A Zelle mit Kern n und
Centrosoma cs in Vorbereitung zur Theilung; die chromatische Sub-
stanz hat sich zu einem spiralig verschlungenen Faden verdichtet chr.
B. Die Kernmembran hat sich aufgelöst; von den Centrosomen
strahlen blasse Fäden aus und bilden die sogen. „Spindelfigur“, in deren
Äquator acht Chromosomen oder Kernschleifen chr liegen, die sich
durch Theilung des spiraligen Chromatinfadens von Figur A gebildet
haben.
C. Die Chromosomen haben sich verdoppelt durch Längsspaltung
und werden jetzt durch die Spindelfäden auseinander gezogen (es sind
nur vier von den acht sich spaltenden Schleifen der Deutlichkeit halber
eingezeichnet).
D. Die Tochterschleifen rücken gegen die Pole der Spindelfigur.
E. Der Zellkörper hat sich getheilt; jeder enthält ein Centrosoma
und acht Kernschleifen.
3*
[36] sich wie die Strahlen einer Sonne um sie anordnen. Auf einem
bestimmten Stadium der Theilungs-Vorbereitung formt sich
sogar die weiche protoplasmatische Substanz des Zellkörpers,
wie des Kernes zu wirklichen feinen Fäden. Diese Fäden sind
beweglich und ergreifen nach Auflösung der Kernmembran
mit wunderbarer Sicherheit und Regelmässigkeit die Chromo-
somen, seien sie nun Schleifen, Stäbchen oder kugelige Körner,
und zwar so, dass ein jedes Element von beiden Polen und
von jeder Seite her durch mehrere Fäden gefasst wird. Zu-
gleich ordnen sie die Chromatin-Elemente in einer ganz be-
stimmten, gesetzmässigen Weise an, nämlich so, dass sie alle
in die Äquatorial-Ebene des kugelig gedachten Kernes zu liegen
kommen, und nun verdoppeln sich — wie Flemming zuerst
gezeigt hat — die Chromatin-Elemente, indem sie sich der
Länge nach spalten. Es darf nicht unerwähnt bleiben, dass
diese Spaltung nicht etwa durch einen Zug der von beiden
Seiten her sich an das Chromatinstäbchen ansetzenden Spindel-
fäden hervorgerufen wird. Die Spaltung erfolgt vielmehr aus
innern, im Stäbchen selbst wirkenden Kräften, wie daraus her-
vorgeht, dass sie oft schon viel früher sich vorbereitet oder auch
wirklich schon erfolgt, als die äquatoriale Anordnung der Ele-
mente durch jene Fäden zu Stande kommt.
Die Spaltung vollendet sich, indem die Spalthälften immer
weiter auseinander gezogen werden gegen die entgegengesetzten
Pole der Kernspindel hin, bis sie schliesslich in die Nähe des
Anziehungsmittelpunktes kommen, jenes Centrosoma, welches
nun für diesmal seine Rolle ausgespielt hat und in das Dunkel
des Zellkörpers, aus dem es hervorgetaucht war, zurücktritt,
um erst bei der nächsten Kerntheilung wieder in Thätigkeit
zu treten. Die Spalthälften der Chromatin-Elemente aber con-
stituiren nun einen Tochterkern, in welchem sie sich alsbald
auflösen, d. h. in feinste Körnchen getrennt in jenem zarten
[37] Netzwerk blasser Fäden zerstreuen, so dass zuletzt wieder ein
Kern von ganz ähnlichem Bau zu Stande kommt, wie der war,
von dem wir ausgegangen sind. Der Zerstreuungsprocess durch-
läuft auch dieselben Phasen, welche der Verdichtungsprocess
der Chromatinsubstanz1) im Mutterkern durchlief, als er sich
zur Theilung anschickte, nur in umgekehrter Reihenfolge.
Man sieht: der ganze verwickelte, aber höchst präcis ar-
beitende Theilungsapparat des Kernes ist lediglich dazu da, die
Chromatinsubstanz in einer bestimmten und gesetzmässigen
Weise zu theilen, wie Wilhelm Roux zuerst dargethan hat,
und zwar nicht nur der Masse nach, sondern nach den in ihm
vorauszusetzenden verschiedenen Qualitäten; zu einer blossen
Massentheilung wäre ein so verwickelter Apparat nicht nöthig
gewesen, wenn aber das Chromatin nicht gleichmässig, sondern
aus mehreren oder vielen verschiedenen Qualitäten zusammen-
gesetzt ist, von denen jede möglichst genau halbirt oder über-
haupt gesetzmässig vertheilt werden sollte, dann könnte ein
besserer Apparat dafür nicht ersonnen werden. Wir werden
also schon allein durch die Erkenntniss des Theilungsapparates
auf die Vorstellung geleitet, dass die Vererbungssubstanz
aus verschiedenen Qualitäten zusammengesetzt ist. Zu
derselben Vorstellung kommen wir auch von rein theoretischer
Seite her, wie später gezeigt werden soll, wenn wir den Vor-
gang der Amphimixis in seine Consequenzen verfolgen.
Für jetzt kam es nur darauf an, zu zeigen, dass die com-
[38] plicirte Theilungsmaschine der Zelle wesentlich nur wegen der
Theilung der Chromatinsubstanz des Kernes vorhanden ist, dass
diese also unzweifelhaft der wichtigste Theil des Kernes ist.
Da nun die Vererbungssubstanz im Kern enthalten ist, so muss
das Chromatin die Vererbungssubstanz sein.
Den Widerspruch, welchen de Vries gegen diese Meinung
erhoben hat, halte ich nur für einen scheinbaren. Denn es ist
nicht behauptet worden, „dass nur der Kern Träger der
erblichen Eigenschaften sei“, wie de Vries meint, sondern,
dass nur der Kern die Vererbungssubstanz enthalte,
d. h. diejenige Substanz, welche im Stande ist, nicht nur
den Charakter der betreffenden Zelle, sondern auch den ihrer
Nachkommen zu bestimmen. Diese Substanz aber ist bei
Vielzelligen und wohl auch bei Einzelligen niemals im Zell-
körper, sondern immer im Kern enthalten. Es mag sein,
dass bei gewissen niederen Algen einzelne Zellorgane (Vacuolen,
Chlorophyllkörper) direkt von der mütterlichen Eizelle auf
ihre Tochterzellen übergehen, obwohl auch dieses keineswegs
als erwiesen anzusehen ist. Jedenfalls spielt aber diese direkte
Vererbung auch bei Pflanzen nur eine sehr geringfügige
Rolle, und bei Thieren wohl gar keine. Denn specifische
Organe oder Structuren kommen bei der thierischen Eizelle
nicht vor, höchstens Ablagerungen von Nährstoffen. Diese
aber sind keine lebendigen Zellorgane, sondern passive chemische
Substanzen. De Vries bestreitet auch nicht, dass der Kern
die Vererbungssubstanz enthalte, er baut vielmehr seine ganze
Theorie auf dieser Basis auf, die in der That auch nicht mehr
zu bestreiten ist. Den letzten Zweifel daran mussten die Ver-
suche Boveri’s1) beseitigen, der künstlich kernlos gemachte
[39] Eier einer Seeigel-Art A mit Samen einer andern Art B über-
goss und darauf diese Eier sich zu Larven der Art B entwickeln
sah. Hier verhielt sich also der Zellkörper der mütterlichen
Keimzelle lediglich als Nährmaterial, welchem die väterliche
Keimzelle den Artcharakter aufprägte. Nichts von mütterlichen
Art-Merkmalen wurde hier übertragen und eine „Erblichkeit
ausserhalb der Zellkerne“ ist für diesen Fall wenigstens aus-
geschlossen.
Man hat kürzlich meiner Ansicht vom Sitz der Vererbungs-
substanz im Kern Mancherlei entgegengehalten. So wiederholt
Verworn1) die früher von Whitman geäusserte Ansicht, nach
welcher nicht nur der Kern, sondern ebensosehr der Zellkörper
als Vererbungssubstanz zu betrachten wäre, weil der Kern nicht
allein für sich leben kann, sondern des Zellkörpers bedarf und
weil nach seiner unzweifelhaft richtigen Ansicht das Leben der
Zelle auf einer steten Wechselwirkung, einem Stoffaustausch
zwischen Zelle und Kern besteht. Ist denn aber die Frage, ob
Zelle und Kern in intimsten physiologischen Beziehungen stehen,
so dass Eines ohne das Andere nicht leben kann, gleichbedeutend
mit der Frage, ob die Vererbungssubstanz im Kern oder im
Zellkörper enthalten ist? Zum Mindesten wird also doch wohl
die Hypothese erlaubt sein, dass das „Anlagen-Magazin“ der
Vererbungssubstanz im Kern eingeschlossen und verwahrt sei,
denn an zwei verschiedenen Stätten wird dasselbe schwerlich
aufgespeichert sein, da seine richtige Vertheilung — wie wir
sehen werden und wie ja schon angedeutet wurde — einen
sehr complicirten Theilungs-Apparat voraussetzt, der sicherlich
nicht doppelt von der Natur gebildet wurde. Solche Meinungen
wie die von der Vertheilung der Vererbungssubstanz auf Zelle
und Kern kann man nur so lange hegen, als man den Ver-
[40] erbungserscheinungen selbst und ihrer Erklärung noch recht
ferne steht. Ist man in diese etwas tiefer eingedrungen, so
wird man nicht mehr zweifeln, dass der Bau der Vererbungs-
substanz ein so verwickelter sein muss, dass wir nur staunen
können, wie er dennoch ausführbar war. Wenn wir nun sehen,
dass im Kern eine Substanz enthalten ist, welche schon für
unser blödes Auge sehr complicirt beschaffen ist, welche in
höchst auffälliger Weise sich nach jeder Zelltheilung verändert,
um sich bei Herannahen einer neuen Zelltheilung wieder rück-
zuverändern; wenn wir weiter sehen, dass offenbar für die
genaueste Halbirung dieser Substanz ein besonderer Theilungs-
apparat der Zelle beigegeben ist, so ist es kaum mehr eine
Hypothese zu nennen, wenn wir sagen: diese Substanz ist
die Vererbungssubstanz.
Man hat auch gemeint, der neuerdings durch Fol1) und
Guignard2) gelieferte Nachweis, dass bei der Befruchtung nicht
lediglich der Kern, sondern immer auch der dem Zellkörper
angehörige Theilungs-Apparat, das Centrosama mit seiner
Attractionssphäre übertragen werde, sei ein Beweis gegen die
Auffassung der Chromosomen als der Vererbungssubstanz. Wenn
ich aber zwei entfernte Haufen Getreide auf zwei Wagen lade,
vor jeden Wagen ein Pferd spanne und sie zusammen auf einen
Platz führen lasse, liegt darin ein Beweis, dass die Pferde auch
Getreide sind? Sie sind Bewegungsmittel, und so sind es auch
die Centrosomen; ob diese Letzteren zugleich auch noch etwas
Anderes, also Vererbungssubstanz sind, wäre erst noch zu be-
weisen und ist wohl kaum unwahrscheinlicher, als dass die
Pferde zugleich Korn seien.
[41]
Man könnte aber sagen, dadurch, dass bei der Befruchtung
nicht nur die Vererbungssubstanz, d. h. der Anlagen-Vor-
rath, sondern auch das Centrosoma, d. h. das Bewegungs-
mittel desselben übertragen würde, sei zugleich der Rhythmus
der Zelltheilung übertragen, der in diesem Centrosoma seinen
Sitz habe und der ja wesentlich die Zellfolge des Kindes be-
stimme, folglich auch einen Theil der Vererbung. Ich halte
aber auch diese Schlussfolge nicht für richtig und zwar deshalb,
weil die Perioden der Thätigkeit des Theilungsapparates offen-
bar von den Zuständen der Zelle selbst abhängig sein müssen,
diese aber hängen, abgesehen von der Ernährung, vom specifischen
feinsten Bau der Zelle ab. Da nun dieser nach meiner Ansicht
von der Kernsubstanz der Zelle aufgeprägt wird, so hängt also
auch die Periodicität der Zelltheilung von der Kernsubstanz
ab. Mir scheint der Satz, dass allein in einem Theil der
Kernsubstanz die Vererbungssubstanz zu sehen ist,
durch alle neuere Erfahrungen nur um so fester be-
gründet zu werden.1)
[42]
Es enthalten nun aber nicht blos die beiden Keimzellen
und die befruchtete Eizelle Chromatinsubstanz in ihrem Kern,
sondern alle Zellen des gesammten Organismus in jeder Phase
seiner Entwickelung, wenigstens solange sie noch vermehrungs-
fähig und lebenskräftig sind. Das Chromatin aller Zellen des
Körpers aber stammt von dem der befruchteten Eizelle ab, in-
dem ja der Aufbau des Körpers aus der Eizelle durch eine
Reihe von Zelltheilungen zu Stande kommt, deren jede eine
Kerntheilung nach dem soeben geschilderten Modus einschliesst.
Während der Ontogenese wird also das Chromatin des ersten
Kernes fort und fort von Neuem seiner Masse nach halbirt und
es würde sehr bald auch für unsere besten Mikroskope ver-
schwindend klein werden, wenn es nicht ebenso, wie die Zell-
körper fortwährend wüchse. Es geschieht dies ebensowohl bei
den zahlreichen thierischen Eiern, welchen während der Ent-
wickelung des Embryo kein Nährmaterial zugeführt wird, als
bei jenen, welche von Anfang an ernährt werden, oder bei den
Pflanzen, bei welchen auch meistens die selbständige Ernäh-
rung schon früh beginnt. Die Chromatin- oder Vererbungs-
substanz des befruchteten Eies geht also einen langen und ver-
wickelten Wachsthumsprocess ein, der erst dann endet, wenn
keine neuen Zellen, sei es zur Bildung neuer Theile, sei es
zum Ersatz zu Grunde gegangener alter mehr hervorgebracht
werden, mit andern Worten: am Ende des individuellen Lebens.
Diese wachsende Vererbungssubstanz lässt sich einem Baume
vergleichen, dessen Äste streng dichotomisch gegliedert sind,
nur dass der Chromatinbaum nicht aus einem Gusse ist,
sondern aus lauter einzelnen, nicht direkt aneinander stossenden
Theilchen besteht. Denn bei jeder Zelltheilung scheiden sich
1)
[43] die beiden Hälften der Chromatinstäbchen, um von nun an nie
wieder in einem Kern zusammenzutreffen; jede kommt in
einen besonderen Kern zu liegen und jeder Kern wird durch
einen besonderen Zellkörper von dem andern getrennt. Es
fragt sich nun, ob alle diese Stückchen der Vererbungssubstanz,
welche den Chromatinbaum eines Organismus zusammensetzen,
untereinander gleich oder aber verschieden sind, und es lässt
sich leicht zeigen, dass das Letztere der Fall sein muss.
Wir fussen auf der sichergestellten Annahme, dass das
Chromatin im Kern des befruchteten Eies diejenige Substanz
ist, welche die Vererbung bewirkt. Wir wissen, dass an der
winzigen Masse einiger Chromatinkörnchen im Kern z. B. der
Samenzelle die Möglichkeit hängt, dass der sich entwickelnde
Organismus dem Vater in tausenderlei physischen und geistigen
Eigenschaften ähnlich wird. Da wir nun andrerseits auch
wissen, dass die Eigenschaften eines fertigen Organismus im
Grossen, wie im Kleinsten von der Anordnung, Zahl und Be-
schaffenheit der Zellen abhängt, die ihn zusammensetzen, so
kann der Einfluss, den die winzige Menge von väterlichem
Chromatin im Kern der befruchteten Eizelle auf den Gang der
Entwickelung ausübt, kein anderer sein, als dass durch sie das
Wesen und der Vermehrungsrhythmus der kindlichen Körper-
zellen derart bestimmt wird, dass sie den Zellen des väterlichen
Körpers ähnlich werden. Das Chromatin ist also im
Stande, der Zelle, in deren Kern es liegt, einen speci-
fischen Charakter aufzudrücken. Da nun die Tausende
von Zellen, welche den Organismus zusammensetzen, einen sehr
verschiedenen Charakter besitzen, so kann das Chromatin,
welches sie beherrscht, nicht das gleiche, es muss viel-
mehr in jeder Art von Zellen ein verschiedenes sein.
Auch kann dasselbe nicht erst in den Zellen des fertigen
Organismus verschieden werden, sondern die Verschiedenheit
[44] des die Zellen beherrschenden Chromatins muss mit der Ent-
wickelung der Eizelle beginnen und fortschreiten, andernfalls
könnten nicht die verschiedenen Theilungsprodukte der Eizelle
ganz verschiedene Entwickelungstendenzen enthalten. Dies ist
aber der Fall. Schon die beiden ersten Tochterzellen, welche
der Theilung der Eizelle ihren Ursprung verdanken, werden bei
vielen Thieren zu völlig verschiedenen Theilen. Die eine bildet
aus sich durch fortgesetzte Zelltheilung das äussere Keimblatt
und später alle die Organe, welche aus diesem hervorgehen,
wie Haut, centrales Nervensystem und Sinneszellen, die andere
entwickelt sich zum innern Keimblatt und den aus diesem
entstehenden Organen, dem Darm, gewissen Drüsen u. s. w.
Der Schluss ist unvermeidlich, dass auch das diese Entwicke-
lungstendenzen bestimmende Chromatin in beiden Tochterzellen
verschieden sei.
Ebenso muss es auf allen folgenden Stadien der Ontogenese
sich verhalten: in dem Maasse, als die Entwickelungstendenzen
der aus der Theilung der Eizelle hervorgehenden Zellen ver-
schieden sind, muss auch die Chromatinsubstanz ihrer Kerne
verschieden sein. Die Ontogenese oder Entwickelung
des Individuums beruht demnach auf einer Reihe
stufenweiser Qualitäts-Änderungen der Kernsubstanz
der Eizelle.
Die Grundzüge der eben kurz entwickelten Ansicht habe
ich schon vor längeren Jahren dargelegt und damals schon auf
diese in den Chromatinkörpern der Zellkerne enthaltene, die
gesammte Zelle in ihrem Wesen bestimmende Substanz mit den
Namen übertragen, welchen zuerst Nägeli in einem etwas
andern Sinn in die Wissenschaft eingeführt hat, den des Idio-
plasma’s. Unabhängig von mir hat auch O. Hertwig das-
selbe gethan. Wie im ersten Abschnitt schon erwähnt, ver-
stand Nägeli unter der Bezeichnung des Idioplasma’s oder
[45] „Anlagenplasma“ die leitende und bestimmende Substanz des
Körpers im Gegensatz zu dem mehr passiven und bestimmbaren
„Nährplasma“ oder Trophoplasma. Ob die letztere Bezeichnung
beizubehalten ist, darf wohl bezweifelt werden, die erstere aber
ist ohne Zweifel eine glücklich gewählte. Allerdings hat
Nägeli noch keine bestimmte, mit dem Mikroskop wahrnehm-
bare Substanz als das erschlossene Idioplasma bezeichnet, da
ihm die Thatsachen der Kerntheilung und der Befruchtung, wie
wir sie heute kennen, noch unbekannt gewesen waren. Aber
diese Thatsachen sind so zwingend, dass ein Zweifel darüber,
was als Idioplasma zu betrachten sei, heute nicht mehr möglich
sein sollte, also auch die Vorstellung Nägeli’s von einem netz-
förmig zusammenhängenden, alle Zellkörper des Organismus
durchsetzenden und verbindenden Idioplasma’s als aufgegeben
betrachtet werden darf. Wir sind deshalb wohl gerechtfertigt,
wenn wir seine Bezeichnung auf die die Zelle bestimmende
Kernsubstanz übertragen.
Wir verstehen also unter Idioplasma die bestimmende Kern-
substanz irgend einer Zelle. Diese ist zugleich Vererbungs-
substanz, weil sie niemals neu entsteht, sondern immer von
dem Idioplasma einer anderen Zelle abstammt, und weil sie
ferner nicht blos die aktuellen Eigenschaften der betreffenden
Zelle bestimmt, sondern zugleich auch diejenigen aller ihrer
Nachkommen.
Eine Verschiedenheit des Idioplasma’s werden wir also
nicht blos da annehmen müssen, wo uns zwei in Bau und Funk-
tion verschiedene Zellen vorliegen, sondern auch überall da,
wo wir wissen, dass verschiedene Anlagen in zwei Zellen ent-
halten sind. Dies ist oft vergessen worden, wenn man schlecht-
hin von „Embryonalzellen“ sprach als von gleichwerthigen Ele-
menten, „aus denen noch Alles werden kann“, einfach weil die-
selben häufig sehr ähnlich aussehen und in der Meinung, sie
[46] müssten deshalb auch innerlich gleich sein. Allerdings sieht
auch das Idioplasma solcher Zellen gleich aus, oder wir können
wenigstens keine bestimm- und deutbaren Unterschiede an den
Chromatinstäbchen zweier Zellen desselben Thieres erkennen.
Darin kann aber so wenig ein Grund gegen die Annahme einer
innern Verschiedenheit liegen, als etwa in der vollkommen
äussern Ähnlichkeit zweier Hühnereier ein genügender Grund
dafür liegt, dass auch zwei identische Hühnchen aus ihnen aus-
schlüpfen müssten. Sie können von zwei verschiedenen Müttern
herrühren, oder von verschiedenen Hähnen befruchtet worden
sein. Wir sehen eben die feinen Unterschiede nicht, hier wie
dort, und wir würden sie auch dann nicht sehen, wenn wir die
im Zellkern verborgenen Idioplasmen der beiden Eier mit
unseren schärfsten Systemen zu analysiren suchten. Theoretische
Erwägungen werden später zeigen, dass es nicht anders sein
kann, dass die Einheiten des Idioplasma’s, welche dessen Wesen
bedingen, viel zu zahlreich und deshalb eben auch viel zu klein
sein müssen, als dass sie noch gesehen werden könnten.
Wenn deshalb bei der Karyokinese die beiden Hälften, in
welche sich die Chromatinstäbchen theilen, auch ganz gleich
aussehen, ja wenn selbst die Theilhälften der kleinen Kügelchen
(Mikrosomen), aus welchen die Stäbchen häufig sichtbarlich be-
stehen, vollkommen sich gleichen, so liegt darin doch kein
Grund, weshalb sie nicht ebensowohl auch ungleich in ihrem
Wesen sein könnten. In vielen Fällen wird das Eine, in vielen
andern Fällen das Andere stattfinden. Man wird somit nach
dieser Richtung zwei äusserlich ununterscheidbare Arten von
Kerntheilung annehmen dürfen: eine solche, bei welcher die
beiden Tochterkerne gleichartiges Idioplasma erhalten, und eine
andere, bei der sie verschiedenes Idioplasma erhalten, eine Ho-
moiokinesis und eine Heterokinesis, oder erbgleiche und
erbungleiche Theilung. Die erstere wird auf einer ganz gleich-
[47] mässigen Vertheilung der „Anlagen“ auf beide Stäbchenhälften
beruhen müssen, der somit eine Verdoppelung durch Wachs-
thum vorhergegangen sein wird; bei der Letzteren wird dieses
Wachsthum mit einer ungleichen Gruppirung der Anlagen ver-
bunden sein.
Wenn wir auch über die Kräfte, welche diese Spaltung her-
vorbringen, direkt Nichts erfahren können, so darf doch so
Viel behauptet werden, dass dieselben in der Substanz der
Stäbchen selbst liegen müssen und dass sie zusammenhängen
müssen mit der Qualitätenbildung des Idioplasma’s selbst, da
sonst bei Qualitätsänderung während der Kerntheilung nicht
abzusehen wäre, wieso sich diese Qualitäten scharf getrennt in
die beiden Spalthälften zusammenordneten. Und doch muss dies
der Fall sein, wenn überhaupt differente Zellen mit verschiednem
Idioplasma aus einer Mutterzelle hervorgehen können, woran
ja nicht zu zweifeln.
Ich stelle mir also die gesetzmässigen ontogenetischen Ver-
änderungen des Idioplasma’s, wie sie mit der Theilung der Ei-
zelle beginnen und mit dem natürlichen Tod des Organismus
ihr Ende finden, derart vor, dass sie auf rein innern, d. h. in
der physischen Natur des Idioplasma’s liegenden Ursachen be-
ruhen und zwar so, dass mit jeder Qualitätsänderung des Idio-
plasma’s auch eine Kerntheilung einhergeht, bei welcher die
differenten Qualitäten sich in die beiden Spalthälften der Chro-
matinstäbchen auseinanderlegen. Ich bezeichne die verschiednen
auf diese Weise entstehenden Idioplasma-Arten als die onto-
genetischen Stufen des Idioplasma’s, oder abgekürzt als
die Onto-Idstufen.
Vererbungssubstanz in der vollen Bedeutung des Wortes,
d. h. diejenige Substanz, welche sämmtliche Anlagen für den
ganzen Organismus enthält, ist nur das Idioplasma der Keim-
zelle und es empfiehlt sich aus praktischen Gründen, diese erste
[48] Ondo-Idstufe mit dem kurzen Namen des Keimplasma’s zu
bezeichnen, den ich dafür schon zu einer Zeit vorschlug, zu
welcher der Begriff des Idioplasma noch nicht aufgestellt worden
war. Ich verstand damals unter „Keimplasma“ die Vererbungs-
substanz der entwickelungsfähigen Keimzelle, ohne noch über
deren Lagerung oder Beschaffenheit Etwas auszusagen. Wir
dürfen jetzt sagen: Keimplasma ist die erste ontogene-
tische Stufe des Idioplasma’s einer Thier- oder Pflanzen-
art, mag dasselbe nun im Kern einer geschlechtlich differen-
zirten oder in dem einer nicht geschlechtlich differenzirten Zelle
enthalten sein.
Es fragt sich nun zunächst, welche Vorstellung wir uns
von dem Bau und der Beschaffenheit des Keimplasma’s
und der aus ihm hervorgehenden ontogenetischen Idioplasma-
stufen oder Onto-Idstufen machen können.
[[49]]
Erstes Buch.
Capitel I.
Das Keimplasma.
1. Die Grundeinheiten.
Nachdem der Begriff des Keimplasma’s als der in den Keim-
zellen enthaltenen Vererbungssubstanz festgestellt und im All-
gemeinen gezeigt wurde, dass diese Art des Idioplasma’s
während der Ontogenese sich verändern und in die Idioplasmen
der Zellen verwandeln muss, welche den fertigen Organismus
zusammensetzen, muss nun zunächst versucht werden, irgend
eine Anschauung über dessen Beschaffenheit zu gewinnen. Ohne
eine solche wäre eine Theorie der Vererbung nicht möglich.
Wir werden dabei zunächst ganz von der Complication, wie sie
durch die geschlechtliche Fortpflanzung gesetzt wird, absehen
und ein Keimplasma annehmen, in welchem nicht die Anlagen
zweier Eltern enthalten sind, sondern nur die eines einzigen,
ein Keimplasma also, welches so beschaffen ist, wie es bei Arten
sein müsste, welche sich von jeher nur auf ungeschlechtlichem
Wege fortgepflanzt hätten.
Wenn ich nun den Versuch wage, über die Zusammen-
setzung des Keimplasma’s Etwas auszusagen und daraus die Er-
scheinungen der Vererbung abzuleiten, so möchte ich voraus-
schicken, dass es nicht etwa meine Absicht ist, damit eine Er-
klärung des Lebens zu versuchen. Man muss unterscheiden
Weismann, Das Keimplasma. 4
[50] zwischen einer Theorie des Lebens und einer solchen der Ver-
erbung. De Vries hat sehr gut hervorgehoben, wie zwar die
Erstere für jetzt unmöglich ist, wie es aber keineswegs un-
möglich erscheint zu einer befriedigenden Erklärung der Ver-
erbungserscheinungen zu gelangen, wenn man die Grunderschei-
nungen des Lebens, Ernährung, Assimilation, Wachsthum als
gegeben annimmt.
Diese Funktionen, nebst den ihnen associirten der Empfindung
und Bewegung hängen bei allen uns genauer bekannten Organismen
von dem einfachsten Einzelligen bis zu den höchsten Pflanzen
und Thieren hinauf mindestens an zwei verschiedenen Sub-
stanzen, an dem „Anlagenplasma“ oder „Idioplasma“ des Kerns,
eben dem Vererbungsplasma im weiteren Sinne und an dem
Protoplasma des Zellkörpers. Beide sind verschieden in ihren
Wirkungen, beide stimmen aber darin überein, dass sie lebende
Substanz sind, d. h. dass sie die Grundkräfte des Lebens in sich
entwickeln: Ernährung und Wachsthum. Da das Wort „Proto-
plasma“ in allzu unbestimmtem Sinne gebraucht wird, will ich
nach dem Vorgang von Nägeli die lebende Substanz des Zell-
körpers als „Gestaltungsplasma“ oder Morphoplasma (Nägeli’s
Trophoplasma) dem Anlagenplasma oder Idioplasma gegen-
überstellen. Das Letztere ist das aktive, gestaltende Element,
das Erstere das passive, gestaltete. Da wir heute wissen, dass
das „Anlagenplasma“ nur im Kern seinen Sitz hat, so können
wir den, allen Theilen des Organismus ihre Gestalt gebenden
Zellkörper nicht als blosses „Nährplasma“ auffassen.
Beide Formen der lebenden Substanz zusammen kann man
in der hergebrachten Bezeichnung „Protoplasma“ zusammen-
fassen, und es fragt sich nun zunächst, wie wir uns die feinere
Constitution desselben zu denken haben. Häufig, ja bis in die
jüngste Zeit ganz allgemein ist das „Protoplasma“ als eine
„Eiweiss-Modifikation“ aufgefasst worden. Brücke hat aber
[51] schon vor geraumer Zeit betont, dass das Eiweiss die Fähigkeit
der Assimilation nicht besitze, also nicht lebe, und die physio-
logische Chemie hat nachgewiesen, dass neben dem Eiweiss
noch andere Stoffe aus dem Protoplama erhalten werden, von
denen nicht ohne Weiteres angenommen werden darf, dass sie
bedeutungslos sind. Allerdings sind sie, z. B. die Schwefel-
und Phosphorverbindungen, nur in verhältnissmässig geringer
Menge im Protoplasma vorhanden, aber daraus kann nicht
auf geringe Bedeutung geschlossen werden. Jedenfalls wird
man schon deshalb nicht sagen dürfen, Protoplasma sei eine
Eiweiss-Modification, weil wir nur todtes Protoplasma chemisch
untersuchen können, d. h. ein solches, welches gerade seine
wichtigsten Eigenschaften verloren, folglich sich in einer
für uns nicht weiter zu ergründenden Weise verändert hat.
De Vries drückt dies dahin aus, Protoplasma sei überhaupt
kein chemischer, sondern ein morphologischer Begriff. Das
heisst: es besteht nicht blos aus einem ungeordneten Haufen
irgend welcher chemischen Moleküle, sondern aus morphologischen
Einheiten, welche ihrerseits erst wieder aus Molekülen zusammen-
gesetzt sind, oder wie Brücke es zuerst ausgedrückt hat, das
Protoplasma ist „organisirt“. Herbert Spencer und neuer-
dings de Vries und Wiesner haben solche Einheiten an-
genommen, wie in der historischen Einleitung bereits gezeigt
wurde.
De Vries hebt noch hervor, dass das Protoplasma ausser
seinen physikalischen und chemischen Merkmalen noch gewisse
„historische“ Eigenschaften besitze. Man wird gewiss mit de
Vries bezweifeln dürfen, dass es jemals gelingen werde, „lebendes
Protoplasma auf anderm als auf phylogenetischem Wege“ ent-
stehen zu lassen, d. h. also: künstlich im Laboratorium zu
machen, aber man wird nicht zugeben können, dass dies des-
halb so unwahrscheinlich sei, weil der Begriff des Protoplasma’s
4*
[52] verlange, dass es von schon vorhandenem Protoplasma abstamme.
Damit wäre der logisch unvermeidlichen und unentbehrlichen
Urzeugung der Weg für immer verlegt nicht nur in unserm
Laboratorium, sondern auch im grossen Laboratorium der
Natur. Zweifellos besitzen die meisten Protoplasma-Arten, ver-
muthlich sogar alle, die wir kennen, auch „historische“ Eigen-
schaften nicht neben, aber doch in ihren physikalisch-
chemischen; d. h. sie enthalten specielle, ihnen eigenthümliche
Modificationen der Zusammensetzung, welche in Anpassung
an die Lebensbedingungen entstanden und durch lange Zeit-
räume hindurch weiter vererbt worden sind. Allein undenk-
bar scheint mir doch ein Protoplasma nicht welches „historische“,
d. h. ererbte Eigenschaften noch nicht besässe. Dieses wäre
dann die einfachste Form der lebenden Substanz, das einfache
Ur-Protoplasma, welches vermöge seiner physischen Beschaffen-
heit die Grundkräfte des Lebens: Assimilation, Stoffwechsel
u. s. w. in sich enthielte. Die historischen Eigenschaften des
Protoplasma’s, die speciellen Vererbungstendenzen, berühren
diese Grundkräfte des Lebens nicht, dieselben müssen unabhängig
von ihnen in jedem Protoplasma vorhanden sein.
Die Einheiten nun, welche die Lebenskräfte des Proto-
plasma’s bedingen, können, wie Alle1) hervorhoben, die solche
Einheiten annahmen, nicht die chemischen Moleküle sein, da
diese erfahrungsgemäss nicht die Fähigkeit der Assimilation
und Vermehrung besitzen. Daraus folgt schon, dass das Proto-
plasma ein zusammengesetzter Körper ist, der nicht aus gleich-
artigen, sondern aus verschiedenartigen Molekülen besteht. Es
giebt also keine Protoplasma-Moleküle, sondern wir haben uns
zu denken, dass das Protoplasma in allen, auch den einfachsten
Modificationen aus Molekülgruppen besteht, deren jede sich
[53] aus verschiedenartigen chemischen Molekülen zusammensetzt.
Ich bezeichne diese Einheiten als Lebensträger oder „Bio-
phoren“, weil sie die kleinsten Einheiten sind, an welchen die
Grundkräfte des Lebens zu Tage treten: Assimilation und
Stoffwechsel, Wachsthum und Vermehrung durch
Theilung.
Wir können ihre chemische Zusammensetzung zwar nicht
im Genaueren angeben, da lebendes Protoplasma der chemi-
schen Analyse nicht unterworfen werden kann, allein das, was
bis jetzt durch Analyse des todten Protoplasma’s festgestellt
ist, weist mit Sicherheit darauf hin, dass nicht, wie man meist
angenommen hat, die Eiweisskörper allein die Lebensträger
sind, sondern dass, wie Hoppe-Seyler und Baumann schon
hervorgehoben haben, neben ihnen im lebenden Protoplasma
noch andere Substanzen eine nicht minder wichtige Rolle spielen.
Im todten Protoplasma kommen bekanntlich neben den Eiweiss-
stoffen noch phosphorhaltige Verbindungen, wie Lecithin und
Nuclein vor, welche dem Eiweiss chemisch nicht verwandt sind,
sondern mit ihm Verbindungen eingehen, dann Cholesterin,
vermuthlich ein Zerfallprodukt des Stoffwechsels, ferner Kohlen-
hydrate wie Glykogen, Stärkemehl, Inulin und Dextrin, schliess-
lich Kaliumverbindungen.1) Wenn wir auch heute noch nicht
errathen können, aus welchen chemischen Verbindungen des
lebenden Protoplasma’s diese Körper sich abgespaltet haben, so
kann es doch keinem Zweifel unterliegen, dass „eine Beziehung
derselben zu den Lebensvorgängen besteht“ (Hoppe-Seyler)
und dass nicht blos Eiweiss oder verschiedene Eiweissarten die
Processe des Lebens zu Stande bringen, sondern dass dazu noch
verschiedene andere chemische Körper, Salze, phosphorhaltige
und andere Verbindungen, vor Allem auch Wasser ebenso noth-
[54] wendig sind, kurz, dass das Leben eben gerade an dem Auf-
einanderwirken chemisch verschiedenartiger, aber in gewissen
Grenzen bestimmter Moleküle beruht.
Nicht ohne längeres Bedenken habe ich mich entschlossen,
eine solche die Lebenserscheinungen bedingende Gruppe von
Molekülen mit dem besondern Namen des Biophor’s zu be-
legen, allein es schien schliesslich doch durchaus geboten, weil
die verschiedenen, von Andern früher schon eingeführten Be-
zeichnungen für solche kleinste Einheiten des Lebens entweder
zu unbestimmt gelassen wurden, um mit ihnen identificirt wer-
den zu können, oder aber zwar genauer bestimmt wurden, aber
in anderer Weise. Es wäre aber sicherlich verkehrt, einen schon
eingeführten Namen in anderem Sinne zu gebrauchen. Den
Biophoren ähnliche Einheiten sind schon die „physiologischen
Einheiten“ von Herbert Spencer1), von welchen er sagt,
dass sie zwischen den chemischen Einheiten (Molekülen) und
den morphologischen Einheiten (Zellen) ihren Sitz haben müssten;
aber er überträgt denselben eine ganz andere Rolle bei der Ver-
erbung, als ich sie meinen Biophoren zuerkenne. — Unter dem
von Elsberg2) eingeführten Namen des „Plastidul’s“ versteht
Häckel3) die hypothetischen kleinsten Theilchen, welche das
„Protoplasma“ zusammensetzen; er stellt sie den „Molekülen“
der anorganischen Materie gleich, theilt ihnen aber, im Gegen-
satz zu anorganischen Molekülen „die Lebenseigenschaften“ zu.
Freilich folgt gerade aus dieser Zutheilung, wie de Vries sehr
richtig bemerkt, dass die Plastidule Häckel’s eben keine Mole-
küle im Sinne der Physik sind, sondern „sich von ihnen gerade
[55] durch die Lebenseigenschaften unterscheiden“. Das Nägeli’sche
Micell durfte ich ebensowenig wählen, da es sich sowohl in
seiner Zusammensetzung, als in seinen Eigenschaften wesentlich
vom Biophor unterscheidet. Es wird definirt als „mikrosko-
pisch unsichtbares, aus einer grösseren oder kleineren Zahl von
Molekülen bestehendes Kryställchen, von denen jedes im imbi-
birten Zustande mit einer Wasserhülle umgeben ist.“1)Nägeli
nimmt bei Gelegenheit einer Berechnung der absoluten Grösse
seiner Micelle an, dass es zwar aus 100, aber auch aus nur
einem „Eiweiss-Molekül“ bestehen können. Wir haben es also
hier, wie bei Häckel’s Plastidulen, mit einer Lebenseinheit zu
thun, deren Lebenseigenschaft nicht auf einer eigenthümlichen
Gruppirung mehrerer oder vieler verschiedenartiger Moleküle
beruht. Allerdings macht Nägeli an einer andern Stelle seines
Buches (p. 63) auf die schwankende chemische Zusammensetzung
der Albuminate aufmerksam, soweit wir dieselbe aus Analysen
ersehen können und hält es — gewiss mit Recht — für äusserst
wahrscheinlich, „dass es verschiedene Eiweissmoleküle gebe, die
durch den ungleichen Wasserstoff- und Sauerstoffgehalt“ u. s. w.
„von einander abweichen“. Dies führt ihn dann zu der weiteren
Annahme, „dass die Micelle der Albuminate aus einem Gemenge
von zwei oder mehreren verschiedenartigen Eiweiss-Molekülen“
bestehen. In jedem Albuminat wären die verschiedenartigen
Eiweiss-Moleküle in eigenthümlichen Verhältnissen gemengt, in
jedem wären ferner eigenthümliche Mengen von Phosphaten,
von Magnesia- und Kalksalzen u. s. w. enthalten. Diese Vor-
stellung verträgt sich nun wohl kaum mit der Vorstellung von
der „Krystall“-Natur des Micells, denn Krystalle sind eben ge-
rade keine „Gemenge“, sondern chemisch reine Körper, aber
abgesehen davon würde man irren, wollte man aus dieser Stelle
[56] schliessen, dass Nägeli die Lebenseigenschaften seines Micells
von dem Zusammenwirken verschiedener, in einem einheit-
lichen Verband zusammengeschlossener Moleküle abhängig denkt,
denn an der oben angeführten Stelle hält er auch ein Eiweiss-
molekül als hinreichend zur Constituirung eines Micells.
Die Begriffe des Biophors und Micells decken sich also
schon aus diesem Grunde durchaus nicht. Sie unterscheiden
sich aber ausserdem noch in einem Punkte, dessen fundamen-
tale Bedeutung erst später ganz hervortreten wird, nämlich in
der Art ihrer Vermehrung. Meine Biophoren besitzen als
Lebensträger das Vermögen des Wachsthums und der Ver-
mehrung durch Theilung, wie dies alle Ordnungen von
Lebenseinheiten besitzen, über welche direkte Be-
obachtungen vorliegen, von den Mikrosomen an, welche
die Chromatin-Stäbchen des Zellkernes zusammensetzen durch
die Chlorophyll-Körner, Zellkerne, Zellen hindurch bis zu den
einfacheren Pflanzen und Thieren hinauf. Nägeli’s Micellen
vermehren sich auch, aber „durch freie Einlagerung neuer“,
den schon vorhandenen ähnlichen oder gleichen „Micelle“, wie
die Stärketheilchen („Kryställchen“) im Stärkekorn oder wie
Krystalle sich aus einer Mutterlauge abscheiden. Letztere müsste
freilich erst durch einen nicht weiter zu definirenden Einfluss
der schon vorhandenen Micelle gebildet werden.
Fast ganz würden die „Pangene“ von de Vries1) mit
meinen „Biophoren“ übereinstimmen, da auch ihnen die Funk-
tionen des Wachsthums und der Vermehrung durch Theilung
zugeschrieben und ihnen eine ganz ähnliche Rolle bei der Ver-
erbung übertragen wird. Nur insofern die Biophoren Theile
von höheren Einheiten der Vererbungssubstanz sind — wie im
Folgenden klar werden wird —, unterscheiden sie sich von den
„Pangenen“.
[57]
Auch die kürzlich von Wiesner1) aufgestellten kleinsten
Lebenstheilchen, die „Plasome“, stimmen ihren Eigenschaften
nach sowohl mit den Pangenen, als mit den Biophoren. Ihre
Rolle bei der Vererbung wird aber nur angedeutet, und es ist
somit wohl vorzuziehen, wenn ich ihnen meine Vererbungs-
theorie nicht aufzwinge, sondern dieselbe mit der besonderen
Bezeichnung der Biophoren verknüpfe.
In Bezug auf die Vererbung haben die Biophoren dieselbe
Rolle zu spielen, welche de Vries seinen Pangenen zutheilte,
d. h. sie sind die „Eigenschaftsträger“ der Zellen, oder ge-
nauer: die Träger der Zelleneigenschaften. Da alle
lebende Substanz aus Biophoren besteht, so können die Unter-
schiede derselben nur auf Unterschieden der Biophoren beruhen;
eine thierische Zelle, welche z. B. quergestreifte Muskelsubstanz
oder Nervenstäbchen feinster Art oder Drüsenröhrchen, eine
pflanzliche Zelle, welche Chlorophyllkörper enthält, muss mehrere
verschiedene Biophoren-Arten enthalten, aus welchen sich
eben jene Zellenstructuren zusammensetzen. Diese verschiedenen
Biophoren-Arten setzen das Keimplasma einer Art zusammen.
Es muss eine grosse Menge verschiedenartiger Bio-
phoren geben, sonst könnte sich aus ihnen nicht eine so über-
aus grosse Mannigfaltigkeit von Zellen aufbauen, wie wir sie
thatsächlich beobachten. Auch hält es nicht schwer, aus der
angenommenen Zusammensetzung des Biophors die Möglichkeit
einer beinahe unendlichen Zahl von verschiedenen Arten des-
selben abzuleiten.
Da dieselben nicht einzelne Moleküle, sondern Molekül-
Gruppen sind, so hindert Nichts, schon auf die zwischen
weiten Grenzen schwankende Zahl ihrer Moleküle eine grosse
Zahl von Variationen des Biophors zu gründen. Aber auch
[58] die chemische Beschaffenheit der Moleküle braucht
keineswegs überall dieselbe zu sein, wenn auch sicherlich ein
bestimmter Rahmen den möglichen Schwankungen Grenzen
ziehen wird. Zahlreiche Thatsachen weisen darauf hin, dass
mindestens in den beiden grössten Gruppen der Organismen-
welt, dem Pflanzen- und Thierreich, mehrere der das Biophor
zusammensetzenden Moleküle chemisch verschieden sind, dass
also Substitutionen stattfinden. Während im thierischen Proto-
plasma, „soweit dasselbe amöboide Bewegungen zeigt, Glykogen
ein nie fehlender Bestandtheil“ ist, ist dieses Kohlehydrat in
Pflanzen noch nicht aufgefunden worden und wird, wie Hoppe-
Seyler vermuthet, durch Amylum, Dextrin oder Gummi ver-
treten. Ebenso sind die krystallisirenden Albuminate, welche
bei den Pflanzen als Aleuron-Krystalle, bei den Thieren als
Dotterplättchen bekannt sind, chemisch verschieden.
Eine Verschiedenheit der Biophoren wird ferner auch ohne
Veränderung ihrer atomistischen Zusammensetzung durch Um-
gruppirung der Atome im einzelnen Molekül als möglich
zu denken sein. Das Eiweiss-Molekül vor Allem hat nach den
Anschauungen der heutigen Chemie mindestens ein Molekül-
gewicht von 1000, so dass eine unzählige Menge von isomeren
Eiweiss-Molekülen denkbar erscheint. Wie viele davon wirklich
vorkommen, lässt sich freilich nicht angeben.
Um aber mit Hülfe des Biophors zu einer möglichst voll-
ständigen Erklärung der Vererbungserscheinungen zu gelangen,
wird demselben noch eine weitere Art der Veränderungsmöglich-
keit zugeschrieben werden dürfen, nämlich eine Umgruppi-
rung der Moleküle, analog der isomeren Umgruppirung der
Atome im einzelnen Molekül. Diese Annahme schwebt nicht
in der Luft, insofern der Chemie „Molekülverbindungen“ in
mehreren Fällen schon bekannt sind; so bei den „Doppelsalzen“
und dem Krystallwasser der Salze, welches stets in einer ganz
[59] bestimmten Anzahl von Molekülen vorhanden ist und auch bei
Substitutionen in derselben Anzahl von Molekülen beibehalten
wird. So enthalten die Alaune stets 24 Moleküle Krystall-
wasser, was offenbar auf Affinitätsbeziehungen zwischen den
Molekülen hindeutet. Solche werden wir auch für das Biophor
annehmen müssen, da ohne sie das Biophor überhaupt keine
wirkliche Einheit wäre. Wir werden aber auch weiterhin
schliessen dürfen, dass diese Affinitätsbeziehungen mannigfacher
Art sind, dass die Moleküle in vielfacher, verschiedener Weise
sich aneinanderhängen und gruppiren können, so dass isomere
Molekülverbindungen entstehen. Solche isomere Verbindungen
werden aber wie die isomeren Gruppirungen der Atome im
einzelnen Molekül andere Eigenschaften besitzen, und wir
kommen so zu dem Schluss, dass die speciellen Eigenschaften
eines Biophors nicht nur von der chemisch-physikalischen Be-
schaffenheit seiner Moleküle, sondern sehr wesentlich auch von
deren Stellung und Beziehung zu einander abhängig zu denken
sind, so dass ein Biophor schon dadurch zu einem andern
werden kann, dass seine Moleküle sich anders gruppiren.
Es giebt also nach dieser Darlegung vielerlei Arten von
Biophoren, je nach der absoluten Zahl der Moleküle, den Ver-
hältnisszahlen derselben, je nach der chemischen Beschaffenheit
(Isomerie mit eingerechnet) und der Gruppirung der Moleküle;
ja man wird sagen dürfen, dass die Zahl der möglichen
Biophoren-Arten eine unbegrenzte ist, etwa so wie die
Zahl der denkbaren organischen Moleküle. Wir werden jeden-
falls von dieser Seite her auf keine theoretischen Schwierig-
keiten stossen, wenn wir auch eine noch so grosse Zahl ver-
schiedener Biophoren-Arten zur Erklärung der Vererbungs-
erscheinungen bedürften.
Diese Biophoren sind nun, wie ich glaube, keines-
wegs rein hypothetische Einheiten; sie müssen exi-
[60] stiren, denn die Lebenserscheinungen müssen an irgend welche
Einheit der Materie gebunden sein. Da nun aber die Grund-
kräfte des Lebens, Assimilation und Wachsthum weder von den
Atomen, noch von den Molekülen für sich ausgehen, so muss
es eine Einheit höherer Art geben, die diese Kräfte aus sich
heraus entwickelt, und diese kann nur eine in sich gebundene
Gruppe ungleichartiger Moleküle sein. Ich hebe dies besonders
hervor, weil bei einer Theorie der Vererbung, die so viele nicht
sicher begründbare Annahmen erfordert, die wenigen festen
Punkte, auf welchen wir fussen können, doppelt werthvoll sind.
Die Biophoren setzen alles Protoplasma zusammen, sowohl
das zu Zellkörpern differenzirte Morphoplasma, als das im Kern
enthaltene Vererbungs- oder Idioplasma. In welcher Weise sich
diese beiden Protoplasmen in Bezug auf ihre Zusammensetzung
unterscheiden, soll später zur Sprache kommen; hier sei nur
soviel gesagt, dass das Idioplasma im Allgemeinen eine weit
verwickeltere Structur haben muss, als das Morphoplasma.
Letzteres assimilirt, wächst und theilt sich zwar auch, wie der
Zellkörper einer Muskel- oder Drüsenzelle lehrt, allein ohne
sich dabei aus sich selbst heraus verändern zu können. Das
Anlagenplasma aber vermag sich während seines Wachsthums
gesetzmässig zu verändern, und darauf beruht die Ontogenese,
die Entwickelung des Individuums bei den Vielzelligen. Aus
der Eizelle eines Thieres gehen die beiden ersten Embryonal-
zellen durch Theilung hervor, und aus diesen werden im Laufe
der Embryogenese immer wieder anders geartete Zellen und
ihre Verschiedenheit muss, wie gezeigt wurde, auf Veränderungen
der Kernsubstanz beruhen.
Es fragt sich nun, wie diese Fähigkeit des Idioplasma’s,
sich gesetzmässig und aus sich selbst heraus zu verändern, vor-
gestellt werden kann. An der Thatsache selbst kann ja kein
Zweifel sein, sobald es feststeht, dass das Morphoplasma jeder
[61] Zelle vom Idioplasma des Kerns beherrscht, d. h. in seinem
Charakter bestimmt wird. Die gesetzmässigen Veränderungen,
welche wir an der Eizelle und ihren Theilungsprodukten bei
jeder Embryogenese ihren Ablauf nehmen sehen, müssen ja dann
auf entsprechende gesetzmässige Veränderungen des Idioplasma’s
bezogen werden. Aber welcher Art sind diese Verände-
rungen und wie kommen sie zu Stande?
2. Beherrschung der Zelle durch das Idioplasma.
Um die zuletzt gestellte Frage beantworten zu können, ist
es nöthig, sich zunächst darüber Rechenschaft zu geben, auf
welche Weise die Bestimmung der Zelleigenschaften durch das
Idioplasma des Kerns zu Stande kommt. Wir wissen bis jetzt
nur, dass das Idioplasma einer Zelle zusammengesetzt ist aus
einer grossen Anzahl verschiedener Biophoren und zwar ver-
schiedener Arten derselben.
Damit dasselbe einen bestimmenden Einfluss auf den feinsten
Bau des Zellkörpers und die chemische Zusammensetzung seiner
verschiedenen Theile ausübe, muss es entweder eine Fernwirkung
von sich ausgehen lassen, oder es müssen materielle Theile vom
Kern aus in den Zellkörper austreten.
Strasburger1) hat es versucht, eine dynamische Wirkung
der Kernsubstanz näher zu begründen. Nach seiner Ansicht
pflanzen sich „vom Zellkern aus molekülare Erregungen auf das
umgebende Cytoplasma fort, welche einerseits die Vorgänge des
Stoffwechsels in der Zelle beherrschen, andererseits dem durch
die Ernährung bedingten Wachsthum des Cytoplasma einen be-
stimmten der Species eigenen Charakter geben“. So denkbar
eine solche Fortpflanzung vom Kern ausgehender molekülarer
Erregungen auf den Zellkörper sicherlich auch ist, so hat doch
[62]de Vries mit Recht geltend gemacht, dass sie zur Erklärung
der Erscheinungen nicht ausreicht, weil sie die Grundlage dessen,
was erklärt werden soll, voraussetzt. Wenn die Zelle irgend
einer Pflanze die erbliche Eigenschaft erhalten soll, Apfelsäure
zu bilden, so könnten zwar wohl diejenigen „Pangene“ des
Zellkörpers, welche diese Säure hervorbringen können, durch
Fortpflanzung molekülarer Erregungen des Kerns in Thätigkeit
gerathen, aber ihr Vorhandensein werde dabei vorausgesetzt,
und die Hauptfrage — wie kommen diese Apfelsäure-Bildner
in die Zelle? — bleibe ungelöst.
Auch der Versuch Haberlandt’s1), die Beherrschung der
Zelle durch den Kern auf enzymatische Wirkungen desselben
zurückzuführen, also auf eine Ausscheidung bestimmter chemi-
scher Verbindungen, welche die Zellsubstanz veranlassten, sich
in bestimmter Weise zu verändern, wird von de Vries als
nicht ausreichend betrachtet, weil auch bei ihm eine bestimmte
Differenzirung des Zellkörpers als schon vorhanden vorausgesetzt
werden muss.
De Vries selbst giebt eine Lösung des Räthsels, welche
jedenfalls den Vorzug grosser Einfachheit und Klarheit hat.
Nach seiner Ansicht tritt immer ein Theil der „Pangene“,
welche die Kernsubstanz zusammensetzen, durch die Kernmem-
bran in den Zellkörper aus und bildet dort die Zelltheile und
Zellorgane, deren specifische „Eigenschaftsträger“ sie sind.
Obgleich ich früher der Strasburger’schen Ansicht zu-
neigte, so erschien sie mir doch immer mehr als eine formale,
denn als eine reale Lösung des Räthsels, mehr als eine provi-
sorische Formel, denn als wirkliche Einsicht. Ich möchte den
de Vries’schen Gedanken eines Austritts specifischer kleinster
Lebenstheilchen aus dem Kern in den Zellkörper für eine äusserst
[63] glückliche Lösung des vorher fast unzugänglich scheinenden
Problems von der Beherrschung der Zelle durch den Kern halten.
Sie verbindet sich auch sehr gut mit meinen übrigen Anschau-
ungen. Allerdings, so lange ich noch in dem Suchen nach
einer epigenetischen Vererbungstheorie begriffen war, musste
eine derartige Lösung unmöglich erachtet werden, sobald aber
das Keimplasma aus Biophoren zusammengesetzt angenommen
wurde, deren verschiedene Arten die verschiedenen Charaktere
der betreffenden Zellen bedingen, wurde diese Art ihrer Wir-
kung auf die Zelle nicht nur eine mögliche, sondern auch
die bei Weitem natürlichste und befriedigendste. Wohl lässt
sich Mancherlei dagegen einwenden und nicht Alles wird schon
allein durch diese Grund-Annahme erklärt, aber nicht nur wird
man vergebens versuchen, von der entgegengesetzten Annahme
aus zu einer befriedigenden Erklärung zu gelangen; die von
de Vries begründete Vorstellung steht auch allein in Einklang
mit gewissen Grundprincipien der Biologie, wie sich sogleich
zeigen wird.
Wirkte die Kernsubstanz aus der Ferne her auf den Zell-
körper derart, dass in diesem die für die betreffende Zellenart
charakteristischen Zellorgane und Zellstructuren entstünden,
so wäre das gewissermassen eine generatio aequivoca dieser
Structuren und Organe; sie entstünden durch eine äussere Ein-
wirkung auf die gegebene Substanz des Zellkörpers, so etwa,
wie man sich bei der Urzeugung vorstellen muss, dass besonders
günstige Einflüsse auf gewisse Combinationen unorganischer
Gemenge so einwirkten, dass daraus ein Lebenstheilchen entstand.
Soweit nun die Erfahrung reicht, wissen wir Nichts von
einer solchen Urzeugung und wenn wir sie auch logisch als
möglich fordern müssen, so haben wir doch allen Grund zu der
Annahme, dass sie bei der Entstehung derjenigen Lebensformen,
welche wir kennen, keine Rolle spielt, dass diese vielmehr nur
[64] aus ihres Gleichen entstehen und zwar durch Theilung. Was
aber für die uns bekannten selbständigen Lebewesen gilt, das
mus gelten für alle die verschiedenen Stufen von Lebens-
einheiten, die sich zu höheren Lebewesen verbunden haben,
denn die ersten und niedersten Organismen können keine andern
gewesen sein, als solche vom Werth eines einzelnen Bio-
phors. Wenn wir nun auch zur Erklärung des Lebens auf
unserer Erde die Annahme machen müssen, dass solche Einzel-
Biophoren einstens durch Urzeugung entstanden sind, so muss
ihnen doch — sofort nach ihrer Entstehung — die Fähigkeit
der Fortpflanzung durch Theilung innegewohnt haben, weil
diese unmittelbar aus den Grundkräften des Lebens: Assimilation
und Wachsthum hervorgeht. Nur diese allereinfachsten Bio-
phoren dürfen wir uns überhaupt als durch Urzeugung ent-
standen vorstellen, alle späteren und complicirteren Bio-
phoren-Arten können nur auf Grund von Anpassung
an neue Lebensbedingungen entstanden sein und zwar
allmählich durch die lange dauernde Zusammenwirkung von
Vererbung und Selection. Alle diese höheren und auf specielle
Existenzbedingungen eingerichtete Biophoren-Arten, wie sie in
unendlicher Mannigfaltigkeit die für uns sichtbaren Lebewesen
zusammensetzen, besitzen „historische“ Eigenschaften, können
somit nur aus ihres Gleichen und nicht „von selbst“ entstehen.
Damit stimmt die Erfahrung. Wie de Vries bereits und kürz-
lich Wiesner dargelegt haben, entsteht nicht nur die Zelle
stets aus einer Zelle, der Kern aus einem Kern, sondern auch
die übrigen Organe und Theilchen, welche als structurbestimmend
im Zellkörper vorkommen, entstehen nie, soweit wir sehen,
durch „generatio aequivoca“, oder wie de Vries sich ausdrückt
„neogenetisch“, sondern vielmehr durch Theilung schon vor-
handener ähnlicher Gebilde. So verhält es sich — wie es
scheint — mit den Chromatophoren der grünen Pflanzenzellen
[65] und mit den „Vacuolen“ derselben, so auch mit der die Kern-
theilung leitenden „Attractionssphäre“ oder dem Centrosoma,
und so muss es sich auch mit den unsichtbaren kleinsten Lebens-
einheiten, den verschiednen Biophoren-Arten verhalten, welche
sich im Laufe der Erdgeschichte durch allmälige Anpassung an
immer wieder neue Lebensbedingungen gebildet haben.
Wenn dem nun so ist, wenn jede Lebenseinheit der uns
sichtbaren Wesen von der niedersten bis zu der höchsten Stufe
hinauf nur aus ihres Gleichen durch Theilung hervorgehen kann,
dann ist die Entscheidung der oben aufgeworfenen Frage ge-
geben, dann können die Organe und Structuren des Zellkörpers,
welche eben den specifischen Charakter einer Zelle ausmachen,
nicht durch Fernwirkung der Kernsubstanz hervorgerufen werden,
auch nicht durch Enzyme, sondern nur dadurch, dass materielle
Theilchen der Kernsubstanz in den Zellkörper austreten. Dann
muss die Kernsubstanz gewissermassen ein Magazin
von den verschiedenen Biophoren-Arten sein, welche
in den betreffenden Zellkörper eintreten und ihn um-
gestalten sollen. Dann wird die „indifferente“ Embryonal-
zelle zur Nervenzelle, Drüsen- oder Muskelzelle dadurch, dass in
dem Kern der einen Nerven-Biophoren, in dem der andern die
die Drüsen-Röhrchen constituirenden Biophoren, in dem Muskel-
kern aber Muskel-Biophoren enthalten sind, um zu gewisser
Zeit in den Zellkörper auszutreten und denselben umzuge-
stalten.
Ich halte diesen Gedankengang für so zwingend, dass ihm
gegenüber die Schwierigkeiten kaum stark ins Gewicht fallen,
welche sich dem Process der Zellbestimmung allerdings noch
entgegenstellen. Gewiss sind wir noch weit davon entfernt,
den histologischen Differenzirungsprocess einer Zelle im Ge-
naueren angeben zu können; der Durchtritt unsichtbar kleiner
„Biophoren“ durch Poren der Kernmembran ist zwar wohl eine
Weismann, Das Keimplasma. 5
[66] ebenso zulässige Annahme als die dazu nöthige selbständige
Beweglichkeit dieser Lebensträger, allein mit der Entsendung
einiger mit starker Vermehrungskraft ausgerüsteter Biophoren-
Arten in den Zellkörper ist der histologische Bau einer Zelle
noch nicht vollendet. Zahlreiche Fragen stellen sich uns hier
entgegen, welche alle darauf hinweisen, dass dabei Kräfte thätig
sein müssen, die uns noch unbekannt sind. Die einwandernden
Biophoren bilden nur das Baumaterial, aus welchem die histo-
logische Structur der Zelle erst durch richtende, vermuthlich
anziehende und abstossende Kräfte zu Stande kommt, welche
in den Biophoren ihren Sitz haben müssen.
Wir können uns davon noch kein genaueres Bild machen
und ebensowenig davon, wie die im Zellkörper bereits ent-
haltenen Biophoren sich zu den neu vom Kern her ein-
wandernden verhalten. Vermuthlich findet hier ein „Kampf der
Theile“ statt, bei welchem die Schwächeren unterliegen und als
Nährmaterial für die Stärkeren dienen. So Vieles aber auch
hier zukünftiger Forschung offen bleiben muss, so steht doch
die Hauptsache fest, dass wirklich das Wesen der Zelle durch
die Elemente des Kernes bestimmt wird, und wir werden dar-
unter nicht blos die histologische Structur der ganzen Zelle
und ihre Reactionsweise auf äussere Einflüsse zu verstehen
haben, sondern vor Allem auch die Art ihrer Theilung nach
Zeit und Ort. Ob eine Zelle sich früh oder spät, ob sie sich
in gleiche oder ungleiche Hälften theilt, wird zunächst zwar
vom Zellkörper selbst und seinem Theilungsapparat, dem Cen-
trosoma abhängen, in letzter Instanz aber von dem den Zell-
körper bestimmenden Kern, der dem Zellkörper eben gerade
diese bestimmte Beschaffenheit aufprägt.
Der scheinbar stärkste Einwand, den man gegen die Ein-
wanderung von Idioplasma-Theilchen in den Zellkörper machen
kann, ist aber wohl der, dass die chemische Substanz des Zell-
[67] körpers und die der Kernsubstanz gänzlich verschieden sei. Das
Verhalten gegen Farbstoffe ist in der That verschieden, wie
schon die Bezeichnung Chromosomen und Chromatin andeuten.
Wenn aber auch daraus auf Verschiedenheiten der chemischen
Zusammensetzung geschlossen werden dürfte, so läge darin doch
noch kein entscheidender Beweis gegen die Auswanderungs-
hypothese. Denn es ist bekannt, dass die Färbbarkeit der
Chromosomen zu verschiedenen Perioden auffallenden Schwan-
kungen unterliegt, welche darauf deuten, dass kleine für uns
uncontrolirbare Veränderungen in der Constitution dieser Sub-
stanz vorkommen, welche genügen, um gerade die auffallendste
Reaction, die starke Anziehung der Farbstoffe vorübergehend
verschwinden zu machen.1) Nun hat freilich auch die chemische
Analyse der in den Kernen enthaltenen Stoffe daselbst das
„Nuclein“ nachgewiesen, allein wenn es auch nach der vortreff-
lichen Arbeit Miescher’s2) über den Lachssamen wahrscheinlich
ist, dass das Nuclein aus den Kernen der Samenzellen stammt,
so ist damit doch noch keineswegs entschieden, aus welchem
Theil der Kerne es stammt und wenn man erwägt, dass über
48 % des trocknen Samens aus Nuclein bestehen, so muss be-
zweifelt werden, dass die geringe Menge Chromatin, welche wir
in Gestalt der Chromosomen in den Kernen sehen, der Träger
des Nuclein’s sei.
Hierher gehört noch eine Beobachtung der neuesten Zeit,
welche wenigstens so viel beweist, dass überhaupt Stoff von den
Chromosomen des Kernes gerade während des Aufbaues der
5*
[68] charakteristischen Structur des Zellkörpers in den Zellkörper
gesandt wird. Ich meine die von J. Rückert am Ei eines
Haifischs gemachte Beobachtung über den auffallenden Wechsel
in der Grösse der Chromosomen des Eikernes während
des Wachsthums des Eies. Einer der 30—36 Chromosomen
des jüngsten zur Beobachtung gelangten Eierstockeies von
2 Mm. Durchmesser misst 12 Micro in der Länge und hat etwa
2 Cubikmicra im Inhalt, später im nahezu reifen Ei beträgt
die Länge eines Chromosoma bis zu 100 Micro, sein Inhalt
7850 Cubikmicra, oder, da es sich inzwischen durch Theilung
verdoppelt, hat 15,700 Cubikmicra. Noch etwas später, wenn
das Ei seine volle Grösse und seine fertige Structur erreicht
hat, also unmittelbar vor der ersten Richtungstheilung, sinkt
die Länge des einzelnen Chromosoma auf 2 Micro und der
Inhalt eines Doppelstäbchens auf 3 Cubikmicra herab. Also —
so schliesst Rückert — wird während der allmäligen Reifung
des Eies eine grosse Menge von Substanz von den Chromosomen
an das Ei abgegeben und man wird ihm darin nur zustimmen
können. Es fragt sich aber, in welcher Weise man sich diese
Abgabe von Substanz zu denken habe, ob in der gewöhnlichen
Form von gelösten Nährsubstanzen, welche dann vom Zellkörper
assimilirt werden, oder anderswie. Mir scheint hier Nichts der
Annahme im Wege zu stehen, dass nicht blosse Nahrung,
sondern specifische kleine Lebenstheilchen von dem
Chromosoma während des Wachsthums des Eies in Masse zuerst
hervorgebracht und dann durch die Kernmembran in den Zell-
körper entsandt werden. Ich kann hier auf die merkwürdigen
morphologischen Umgestaltungen der Chromosomen, welche sie
während dieses Wachsthums durchmachen, nicht näher eintreten,
man wird noch weitere Thatsachen sammeln müssen, ehe man
an die Deutung der Vorgänge im Einzelnen herantreten kann.
Soviel aber darf heute schon gesagt werden, dass nämlich diese
[69] von Rückert entdeckten, höchst interessanten Thatsachen eine
allgemeine Bedeutung besitzen müssen, dass sie sich nicht nur
bei allen thierischen Eiern in irgend einer Form vorfinden
müssen, sondern auch bei allen im Zustand der histologischen
Differenzirung befindlichen Zellen. Aber freilich werden sie
nicht leicht bei andern Zellen in so prägnanter Weise hervor-
treten, da keine thierische Zelle ein so enormes Wachsthum
durchmacht, wie die Eizelle. Ich werde auf den Vorgang noch
einmal wieder zurückkommen, um eine Folgerung daraus noch
mehr hervorzuheben.
Nehmen wir also mit de Vries an, es beruhe die Be-
stimmung der Zelle auf einem Austritt kleinster Lebenstheilchen
verschiedener Art aus dem Kern in den Zellkörper, mit nach-
träglicher Vermehrung und mit gesetzmässiger Gruppirung und
gegenseitiger Anordnung derselben nach den in ihnen thätigen
Kräften der Anziehung und Abstossung, so würde sich die
Vererbung bei den Einzelligen einfach und leicht erklären.
Bei ihnen beruht die Vermehrung auf einer Zweitheilung des
ganzen Körpers, so dass also jeder Theilsprössling den gleichen
Vorrath an latenten Biophoren, welche den Kern zusammensetzen,
erhält und von diesem aus seinen Zellkörper mit den nöthigen
Bausteinen versehen kann.
Von der bei den höchsten Einzelligen, den Infusorien fast
allgemeinen Scheidung des Kernes in zwei verschiedenartige
Kerne kann ich hier absehen, da wir für jezt überhaupt noch
von dem Hineinspielen der Amphimixis in die Vererbung ab-
sehen, diese Einrichtung aber eine Anpassung an die Conjugation
ist. Die Vererbung der Einzelligen wird also darauf beruhen,
dass in ihrem Kern alle die verschiednen Biophoren-Arten ent-
halten sind, welche zum Aufbau ihres Körpers gehören, in
latentem Zustand und in einem bestimmten Zahlenverhältniss,
höchst wahrscheinlich auch in einer bestimmten Architektonik,
[70] und dass diese Kern-Biophoren periodisch oder nach Bedürfniss
in den Zellkörper austreten, sich dort vermehren und nach den
in ihnen waltenden Kräften anordnen. Diese Anordnung selbst
bleibt ein Problem, dessen Schwierigkeit nirgends schärfer hervor-
tritt, als gerade bei den höheren Einzelligen. Wie es möglich
ist, dass der Kern immer nur gerade diejenigen Arten von
Biophoren austreten lässt, die den Ersatz der bei der Theilung
verlorenen Organe bedingen, wie es kommt, dass diese Kern-
Biophoren sich gerade nach der Stelle des fehlenden Mundfeldes
oder des fehlenden Hinterendes, wie sie die Zweitheilung des
Thieres veranlasst, hinbegeben u. s. w., das sind vorläufig un-
lösbare Fragen; es muss einstweilen genügen, gezeigt zu haben,
wie etwa diese Bausteine des Zellkörpers von der Mutter auf
die Töchter übergehen und wie sie sich den im Zellkörper
waltenden Kräften zur Verfügung stellen.
Dass wirklich der Kern auch hier den Zellkörper bestimmt,
ist durch die künstliche Theilung erwiesen, welche Nussbaum1)
und Gruber2) mit Infusorien vorgenommen haben. Nur solche
Theilstücke ergänzten sich zum vollständigen Thier, die ein
Stück des Kernes enthielten, die andern lebten zwar noch eine
Zeit lang, gingen aber dann zu Grunde. Aber auch dafür, dass
der Kern unsichtbare materielle Theilchen in den Zellkörper
entsendet, wenn Ergänzung der fehlenden Organe eintreten soll,
spricht eine der Beobachtungen von Gruber. Derselbe schnitt
einen zur Theilung sich anschickenden grossen Stentor derart
quer durch, dass die hintere Theilhälfte keine Spur von Kern
mehr enthielt, und beobachtete, dass dennoch Ergänzung der
fehlenden Theile, besonders des Mundfeldes eintrat. Hinge die
[71] Beherrschung des Zellkörpers von einer Fernwirkung des Kerns
ab, so wäre dies völlig unerklärlich, wenn aber Kern-Biophoren
in den Zellkörper austreten müssen behufs Regeneration, so
konnte dies bei einem zur Theilung sich anschickenden Thier
bereits erfolgt sein, als die künstliche Theilung vorgenommen
wurde.
Bei den Einzelligen sind die Nachkommen den Vorfahren
gleich, die Theilung der Mutterzelle bringt zwei gleiche Tochter-
zellen hervor, die Kernsubstanz bleibt also in ihrer Zusammen-
setzung aus verschiednen Biophoren-Arten immer dieselbe. Wie
aber bei den Vielzelligen, bei welchen aus dem Keimplasma
des Eies eine so grosse Menge ganz verschiedenartiger Zellen
hervorgeht, von denen jede eine andere Zusammensetzung ihrer
Kernsubstanz voraussetzt? Wir sehen uns so zurückgeführt zu
der am Schluss des vorigen Abschnitts gestellten Frage: worauf
beruht die gesetzmässige Veränderung des Keimplasma’s in der
Ontogenese?
3. Determinanten.
Die Kernsubstanz eines Infusoriums muss sich, wie eben
gezeigt wurde, aus einer Menge verschiedenartiger Biophoren
zusammensetzen, von denen jede der Anlage eines bestimmten
Theiles einer Zelle des Thieres entspricht. Sollten die Zellen
eines vielzelligen Thieres alle im Keimplasma durch die in
ihnen vorkommenden Biophoren-Arten vertreten sein, so würde
dadurch eine so ungeheure Anhäufung von Biophoren zu Stande
kommen, dass selbst bei einer bedeutenden Kleinheit derselben
die geringe Substanzmenge des Keimplasma’s sie nicht fassen
könnte. Diese Erwägung ist es vor Allem gewesen, welche
mich lange Jahre bei dem Versuch festgehalten hat, eine
epigenetische Vererbungstheorie zu finden.
Ich glaubte, es müsse möglich sein, ein Keimplasma aus-
[72] zudenken, welches zwar höchst zusammengesetzt, aber doch
nicht aus einer so unfassbaren Menge von Einzeltheilchen ge-
bildet sei und welches zugleich so gebaut sei, dass es sich beim
Wachsthum in der Ontogenese gesetzmässig derart verändere,
dass es schliesslich eine noch viel grössere Zahl verschieden-
artiger Idioplasmen liefere, welche nun die Zellen des Körpers
in specifischer Weise bestimmten.
In ähnlicher Weise meinte Hatschek1) noch kürzlich, man
könne „in der Eizelle eine relativ geringe Zahl von Qualitäten
annehmen“, nicht grösser, als sie in irgend einer histologisch
differenzirten Körperzelle anzunehmen sei. Die Mannigfaltigkeit
im viellzelligen Organismus beruhe darauf, „dass trotz der be-
schränkten Mannigfaltigkeit der Qualitäten innerhalb der ein-
zelnen Zelle (auch der Eizelle) doch eine viel complicirtere Ge-
sammtleistung des Körpers durch Variirung des einen Grund-
thema’s erreicht“ werde.
Handelte es sich bei einer Vererbungstheorie nur um Er-
klärung der Übertragung eines unveränderlichen Körper-
baues vom Elter auf das Kind durch alle Generationen hin-
durch, so würde einer solchen Structur des Keimplasma’s
theoretisch Nichts entgegenzustellen sein, allein es handelt sich
bei der Vererbung um die Übertragung veränderlicher Stücke,
und dies verlangt die Annahme, dass im Keimplasma ebenso
viel selbstständig veränderliche Theile enthalten sind, als solcher
am ausgebildeten Organismus vorkommen. Es ist unmöglich,
dass ein Theil des Körpers selbstständig und übertragbar variire,
wenn er nicht auch im Keimplasma schon durch ein besonderes
Theilchen vertreten ist, dessen Variiren sein Variiren nach
sich zieht. Wäre er mit andern Körpertheilen zusammen durch
ein Theilchen des Keimplasma’s vertreten, so würde eine Ver-
[73] änderung dieses Letzteren, ein Variiren aller der von ihm aus
bestimmten Körpertheile nach sich ziehen. Wir haben also
in den selbstständig und erblich veränderlichen Theilen
des Körpers ein genaues Maass für die Zahl der kleinsten
Lebens-Theilchen, welche das Keimplasma zusammen-
setzen müssen; weniger können es nicht sein.
Dass die selbstständig veränderbaren Theile nicht mit den
schlechthin vererbbaren zusammenfallen, mag ein Beispiel
anschaulich machen.
Die Schmetterlinge entwickeln sich bekanntlich durch eine
Metamorphose und die Stadien derselben sind selbstständig vom
Keim aus veränderlich, d. h. eine Variation der Raupe muss
keineswegs auch eine solche des Schmetterlings nach sich ziehen,
noch umgekehrt. Die Raupen einer Art können zweigestaltig
sein, grün oder braun, der Schmetterling aber tritt trotzdem
immer mit derselben einen Färbung auf. Wenn nun die phy-
letischen Umgestaltungen auf Änderungen im feinsten Bau des
Keimplasma’s beruhen, so muss es im Keimplasma eines Schmetter-
lings mindestens zwei selbstständig veränderliche Einheiten geben,
denn gäbe es nur eine, so müsste durch deren Abänderung
nicht nur die Raupe, sondern auch der Schmetterling verändert
werden. Nun lehrt uns aber der Vergleich nahe verwandter
Arten, dass auch einzelne Theile der Raupe oder des Schmetter-
lings vom Keim aus veränderlich sein müssen, dass z. B. die
Beine zweier Arten fast gleich sein, während ihre Flügel ver-
schieden sein können, ja dass selbst die einzelnen Theile der
Flügel selbstständig variiren können. Wir werden also zu der
Annahme einer ganzen Zahl von Einheiten geführt, die im
Keimplasma enthalten sein müssen und von deren Variiren die
selbstständige Abänderung gewisser Körpertheile abhängt.
Bei allen höheren Thieren muss die Anzahl dieser Einheiten
eine sehr grosse sein, weil die vom Keim aus selbstständig ver-
änderlichen Theile des Körpers eine sehr grosse ist.
[74]
Wie gross sie sein kann, sehen wir am deutlichsten an den
individuellen vererbbaren Charakteren des Menschen. Ich kenne
eine Familie, in welcher sich ein etwa stecknadelkopf-grosses
Grübchen in der Haut vor dem linken Ohr durch drei Genera-
tionen hindurch vererbt hat. Diese kleine Abnormität muss
als potentia im Keimplasma der betreffenden Individuen ent-
halten sein, und ihr Keimplasma muss sich von dem anderer
Menschen dadurch unterscheiden, dass dasjenige Element des-
selben, von welchem aus jene Hautstelle bestimmt wird, etwas
abweichend gebildet ist. Nicht darin, dass überhaupt eine Ver-
erbung bis in solche kleinste Einzelheiten hinein möglich ist,
liegt der logische Zwang für uns, für jede solche Einzelheit
ein besonderes Element im Keimplasma anzunehmen, sondern
darin, dass diese einzelne Stelle des Körpers für sich
allein erblich abändern kann. Wenn alle Menschen dieses
Grübchen vor dem Ohr besässen, so könnten wir allein daraus,
dass dies vererbbar ist, noch nicht schliessen, dass es im Keim-
plasma durch ein besonderes Element vertreten sein müsse. Es
wäre denkbar, dass es mit der Haut der ganzen Gesichtshälfte
zusammen durch ein Element, z. B. ein Biophor vertreten wäre,
das sich dann im Laufe der Ontogenese aber in viele sekundäre
Biophoren spaltete, die verschieden wären, und von welchen
eines abweichend ausfallen müsste und gerade an jene Haut-
stelle zu liegen käme. Das Zwingende liegt vielmehr darin,
dass nicht alle Menschen dieses Grübchen besitzen, dass zwei
Menschen denkbar sind, die in allem Übrigen sich gleich sind,
von denen aber der Eine das Grübchen besitzt, der Andere
nicht. Das Keimplasma der Beiden müsste dann fast gleich
sein, doch könnte es nicht wirklich ganz gleich sein, son-
dern müsste irgend ein Element enthalten, welches abweicht
von dem entsprechenden des andern Keimplasma’s. Dies
heisst aber nichts Anderes, als dass der betreffende, selbst-
ständig vom Keim aus veränderliche Charakter auch
[75] durch ein besonderes Element im Keimplasma ver-
treten ist. Aus der Vererbbarkeit allein hätten wir das nicht
erschliessen können; es wäre denkbar, dass hundert verschiedene
Charaktere von einem einzigen Element des Keimplasma’s aus
bestimmt würden; sie würden dann alle hundert vererbt, sobald
das bestimmende Element im Keimplasma vorhanden wäre, aber
keiner der hundert Charaktere wäre selbstständig vom Keim aus
veränderlich, sondern wenn das bestimmende Element sich änderte,
so änderten sich auch alle hundert Charaktere auf ein Mal.
Vererbbarkeit und selbstständige Veränderlichkeit vom
Keim aus fällt nicht zusammen.
Das Keimplasma muss also aus so vielen verschiedenen
Einheiten zusammengesetzt sein, als vererbbare, vom Keim aus
selbstständig veränderliche Theilstücke am Körper auftreten.
Diese Einheiten können nicht kleiner sein, als ein Biophor,
können also nicht etwa einzelne Moleküle innerhalb eines
Biophors sein, weil der Begriff des Variirens ein biologischer
ist und ein biologisches Element, kein blos physikalisches
voraussetzt.
Welche Bezirke des viellzelligen Körpers sind nun durch
besondere Theilchen vom Mindestwerth eines Biophors im Keim-
plasma vertreten? Ist jede Zelle ein solcher Bezirk, oder gar
jedes Organ jeder Zelle? Das Erstere nahm Darwin an, seine
Keimchen sind Zellenkeimchen, und jede Zelle des Körpers
sollte durch Keimchen in der Eizelle vertreten sein; das Letztere
ist die Meinung von de Vries, dessen Pangene gewissermassen
Keimchen von Zellen-Eigenschaften oder Zellorganen sind. Es
lässt sich nun nicht verkennen, dass die erblichen Variationen
bei Pflanzen und Thieren nicht blos sich in der Zahl der Zellen
und ihrer gegenseitigen Anordnung, auch nicht blos in Än-
derungen ihrer Form, Grösse und Beschaffenheit als Ganzes
äussern, sondern auch in Abänderung einzelner Zelltheile und
[76] Zellorgane. Die panaschirten Varietäten unserer Zierpflanzen
zeigen dieselben Zellen wie ihre Stammformen, aber in vielen
derselben fehlt das Blattgrün; das Roth der Blätter bei der
Blutbuche und ähnlichen Varietäten beruht auf einer Roth-
färbung des Zellsaftes in einer gewissen Zellschicht, welche erb-
lich übertragbar ist, und die Musterkarte von Farben, welche
auf dem Flügel eines Schmetterlinges oder dem Gefieder eines
Vogels zu sehen ist hängt von zelligen Elementen ab, welche
bei weit entfernten Vorfahren wohl einmal alle gleich waren,
später aber nach und nach durch erbliche Variation einzelner
Zellbestandtheile oder Zellstructuren verschieden wurden. Wenn
auch keineswegs die ganze phyletische Umgestaltung der Arten
auf intracellulärer Variation beruht, so hat dieselbe doch un-
ausgesetzt die andern Veränderungen begleitet und nimmt einen
bald grösseren, bald kleineren Theil an der Artumwandlung.
Es kann also nicht bezweifelt werden, dass auch bei den Viel-
zelligen nicht blos die Zellen als Ganzes vom Keim aus bestimmt
werden, sondern auch ihre Theile.
So scheint es denn, als ob wir der ersterwähnten un-
geheuerlichen Annahme nicht entgehen könnten, dass jede der
Milliarden von Zellen des vielzelligen Organismus schon im
Keimplasma durch mehrere oder viele verschiedene Biophoren
vertreten sei. Aber es giebt einen einfachen und natürlichen
Ausweg aus diesem Dilemma, sobald man sich fragt, ob denn
überhaupt jede Zelle eines Thieres oder einer Pflanze selbst-
ständig veränderlich ist, somit durch besondere Theile im Keim-
plasma enthalten sein muss.
Ich will die Zellen oder Zellengruppen, welche selbstständig
vom Keim aus veränderlich sind, als „Vererbungsstücke“
oder „Determinaten“ bezeichnen, die ihnen entsprechenden
und sie bestimmenden Theilchen des Keimplasma’s aber als
„Bestimmungsstücke“ oder „Determinanten“.
[77]
Es giebt nun offenbar viele Zellen bei höheren Thieren,
welche nicht einzeln durch je eine Determinante im Keim-
plasma vertreten sein werden. Die Milliarden von Blutzellen,
welche bei den Wirbelthieren im Laufe des Lebens sich ablösen,
dürften möglicherweise von einer einzigen Determinante des
Keimplasma’s aus bestimmt werden. Es würde jedenfalls kein
Nachtheil für die Art daraus erwachsen, weil eine selbstständige
Bestimmbarkeit einzelner Blutkörperchen oder selbst einzelner
Tausende von ihnen werthlos wäre. Sie sind nicht lokalisirt;
eines ist soviel werth wie das andere, und ihre Variabilität
könnte deshalb sehr wohl von einem einzigen Punkte aus
geleitet werden. Nach dem Gesetz der Sparsamkeit wird die
Natur nicht mehr Determinanten dem Keimplasma einverleibt
haben, als nothwendig war.
So wird es vermuthlich bei höheren Thieren noch viele
Zellengruppen geben, deren Zellen nicht einzeln im Keimplasma
vertreten sind. Wenn auch die Nervenzellen des Gehirns sicher-
lich alle ihre besondere Determinanten besitzen, da andernfalls
die so sehr ins Einzelne gehende Vererbung geistiger Anlagen
beim Menschen unerklärt bleiben würde, so kann doch Wenig
darauf ankommen, dass jede Faser eines Muskels, jede Zelle der
Haut oder des Bindegewebes oder der Epithelschicht des Darms
seine besondere Determinante hätte. Vermuthlich werden hier
grössere oder kleinere Gruppen von Zellen durch eine gemein-
same Determinante bestimmt. Ein Hinweis für diese Auffassung
darf vielleicht in der Art gesehen werden, wie das Epithel des
Darmes bei Insektenpuppen sich erneut. Bei Musciden z. B.
und bei Schmetterlingen zerfällt der Darm der Larve, wie ich
vor langer Zeit nachwies, und aus seinen Trümmern baut sich
der sehr verschiedenartige Darm der Imago auf. Kowalewsky
und von Rees haben später gezeigt, dass dies in der Weise
geschieht, dass von gewissen, in ziemlich regelmässigen Ab-
[78] ständen von einander liegenden Zellen aus ein Stück des neuen
Darmes gebildet wird und sich soweit ausbreitet, bis es mit
dem nächstliegenden Stück zusammenstösst. Es ist also nur
in diesen Bildungszellen das Idioplasma der neuen Darmzellen
enthalten und es liegt nahe zu vermuthen, dass jede derselben
nur eine Art von Determinanten enthält.
Ähnlich scheint es sich bei der Behaarung der Säugethiere
zu verhalten; nicht jedes Haar besitzt seine besondere Deter-
minante im Keim, kleinere oder grössere Haarbezirke sind durch
je eine Determinante vertreten. Diese Bezirke sind nicht gross,
wie die Streifung und Fleckung des Haarkleides beim Leoparden,
Tiger u. s. w. beweist. Beim Menschen hat man beobachtet,
dass ein abnormes weisses Haarbüschel auf einer bestimmten
Stelle des Kopfes mitten unter den normalen dunkeln Haaren
sich auf die entsprechende Stelle beim Sohne vererbt hat.
Nach Zellen abschätzbare Vererbungsstücke oder Deter-
minaten lassen sich wohl auch bei Schmetterlingen beob-
achten, bei welchen die Farben der Flügel oft sehr verwickelte
Linien und Flecken von geringer Ausdehnung, aber von grosser
Constanz bilden. Solche Flecken setzen sich zuweilen nur aus
ganz wenigen Schuppen, d. h. Zellen zusammen; bei Lycaena
Argus z. B. steht an einer bestimmten Stelle des Vorderflügels
ein schwarzer Fleck, der nur aus zehn Schuppen besteht, wäh-
rend die unmittelbare Umgebung desselben blau ist. Hier
werden wir also schliessen dürfen, dass diese schwarzen Zellen
im Keimplasma durch mindestens eine Determinante vertreten
sind. Es ist aber sehr möglich, dass die Determinirung hier
noch mehr ins Einzelne geht, dass jede Zelle des ganzen Flecks
vom Keim aus determinirt ist, und dass uns dies nur durch
die stete Vermischung zweier Vererbungstendenzen bei der ge-
schlechtlichen Fortpflanzung und die daher entstehende Varia-
bilität der Schuppenzahl verhüllt wird — jedenfalls aber können
[79] wir die Determinirung einzelner Zellen bei andern Thierarten
nachweisen. So steht auf den vorderen Fühlern vieler Kruster
eine Anzahl nervöser Endapparate, welche dem Geruchsinn
dienen und deren jeder einer Zelle entspricht. Die Anzahl,
Stellung und Gestalt dieser sogenannten „Riechfäden“ ist für
jede Art genau bestimmt, bei den Muschelkrebsen der Gattung
Cypris ist immer nur ein Riechfaden vorhanden, bei dem ge-
meinen Flohkrebs finden sich deren etwa 20, die einzeln stehen
an der Basis mehrerer aufeinander folgender Fühlerglieder. Bei
manchen im Dunkeln lebenden blinden Krebsen steigt die Zahl
dieser Riechfäden höher als bei ihren sehenden Verwandten,
und wenn auch hier, wie in allen den erwähnten Fällen indi-
viduelle Schwankungen vorkommen, so dürfen wir doch ver-
muthen, dass diese vererbbar sind, weil sonst die Zunahme der
Riechfäden mit dem Leben in Finsterniss sich nicht als Art-
charakter hätte festsetzen können.
Bei kleineren und einfacheren Organismen mag wohl jede
einzelne Zelle vom Keimplasma aus determinirt sein, nicht nur
derart, dass die Zahl der Zellen eine fest bestimmte und die
Stellung einer jeden von ihnen eine fest lokalisirte ist, sondern
in dem Sinn, dass individuelle Besonderheiten einer derselben
— falls sie überhaupt auf Keimesänderung beruhen, also blasto-
gen sind, auch in der nächsten Generation wieder an derselben
Zelle auftreten, ganz so, wie bei jenem Muttermal des Menschen,
das genau auf dieselbe Stelle derselben Körperhälfte sich ver-
erbte. So mag es etwa bei Thieren von der Einfachheit der
Dicyemiden oder der Tardigraden sich verhalten, wenn es auch
nicht möglich ist, einen förmlichen Beweis dafür beizubringen.
Bei allen höher differenzirten Thieren ist die Zahl der
Determinanten wohl immer sehr viel geringer, als die der Zellen,
welche die Ontogenese ausmachen. Das Keimplasma wird also
auf diese Weise einigermassen entlastet gegenüber der Annahme
[80]Darwin’s, der für jede Zelle ein (oder eigentlich viele) Keim-
chen annahm.
Wir dürfen aber nicht vergessen, dass nicht nur ganze
Zellen erblich variiren können, sondern, wie oben gezeigt wurde,
auch die Zellorgane, dass somit für jede Determinante einer
Zelle oder Zellengruppe nicht blos ein, sondern mehrere Bio-
phoren angenommen werden müssen, so viele, als selbständig
vom Keim aus veränderliche Organe an ihr sich befinden.
Eigentlich müssten wir diese den Pangenen von de Vries ent-
sprechenden „Eigenschaftsträger“ auch als „Determinanten“ be-
zeichnen, denn sie determiniren die Zellentheile. Da dieselben
indessen schon ihren Namen als Biophoren erhalten haben, so
möge ihnen diese Bezeichnung bleiben und das Wort „Deter-
minante“ immer nur im Sinne von Anlage einer Zelle
oder Zellengruppe genommen werden. Eine Determinante
ist also nie ein einzelnes Biophor, sondern immer eine Gruppe
von Biophoren.
Es lässt sich nun, wie ich glaube, unschwer zeigen, dass
die eine Zelle bestimmenden Biophoren im Keimplasma nicht
nur beisammen liegen, also eine Gruppe bilden müssen, sondern
dass sie zu einer höheren Einheit verbunden sind. Die
Determinante ist nicht ein loser Haufen verschiedener Biophoren,
sondern eine mit besonderen Eigenschaften ausgerüstete,
dem Biophor übergeordnete Lebenseinheit.
Dies geht schon daraus hervor, dass die Determinanten
das Vermögen der Vermehrung besitzen müssen. Wie sehr die
Kernsubstanz, welche in der befruchteten Eizelle enthalten ist,
während der Entwickelung an Masse zunimmt, ist bekannt, dies
kann aber nur dadurch geschehen, dass ihre Lebenstheilchen,
die Biophoren, sich vermehren. Dieses nun würde niemals so
genau und gleichmässig geschehen können, als es nothwendig
ist zum Festhalten des Charakters einer bestimmten Zelle, wenn
[81] die für diese Zelle bestimmenden Biophoren lose bei einander
und nicht abgegrenzt von denen anderer Zellen im Keimplasma
lägen. Die Vermehrung der Biophoren muss deshalb innerhalb
des festen Verbandes der Determinante vor sich gehen und
muss die Einleitung sein zu einer Theilung der Determinante
selbst. Diese Letztere ist somit auch eine Lebenseinheit.
Dass die Determinanten als solche sich vermehren müssen,
geht auch daraus hervor, dass nach unserer, wohl nicht abzu-
weisenden Annahme häufig eine Determinante des Keimplasma’s
ganze Gruppen von Zellen bestimmt. Dies ist nur möglich,
wenn dieselbe sich während der Ontogenese vervielfacht. Über-
dies ist es sehr wahrscheinlich, dass das Kernplasma irgend
einer Körperzelle niemals nur ein Exemplar der dieselbe be-
stimmenden Determinante enthält, sondern deren viele. Wie
sollte sonst die Kernsubstanz einer solchen Zelle überhaupt für
unsere Mikroskope sichtbar sein können, da Biophoren jeden-
falls sehr weit unter der Grenze der Sichtbarkeit liegen, und
auch Determinanten dieser sich kaum erheblich nähern können.
So wäre denn die Annahme des genialen Erfinders der
Pangenesis insoweit gerechtfertigt. Es giebt wirklich „Keim-
chen“ der Zellen, die sich durch Theilung vermehren, aber sie
sind nicht die letzten Lebenstheilchen, und auch nicht alle
Zellen des Körpers besitzen ihre besonderen Keimchen schon
im Keimplasma.
Es fragt sich nun, wie diese beiden jetzt erschlossenen
Elemente des Keimplasma’s die Ontogenese zu Stande bringen.
4. Das Id und die Ontogenese.
Wie kommt das Keimplasma dazu, alle die verschiedenen
Idioplasmen der Zellen in gesetzmässiger Weise aus sich her-
vorgehen zu lassen, welche den Aufbau des Organismus aus-
Weismann, Das Keimplasma. 6
[82] machen? Das ist die oben schon gestellte Frage, an deren Be-
antwortung wir jetzt herantreten können.
Das Keimplasma enthält, wie wir sahen, die Anlagen
sämmtlicher Zellen des Körpers in seinen Determinanten, und
es fragt sich jetzt nur noch, in welcher Art es bewirkt wird,
dass jede derselben in der richtigen Zahl an den richtigen Ort
gelangt. Wenn wir auch die Kräfte, welche dabei thätig sind,
nicht kennen, so vermögen wir doch aus den jetzt erschlossenen
Elementen des Keimplasma’s, und den Vorgängen und dem
Verlauf der Ontogenese gewisse Rückschlüsse auf die Structur
des Keimplasma’s und auf die Art seiner Veränderungen zu
machen, die, wie ich glauben möchte, nicht gar zu weit von
der Wirklichkeit abweichen werden.
Vor Allem kann mit Sicherheit behauptet werden, dass das
Keimplasma eine feste, historisch überlieferte Archi-
tektur besitzen muss. Bei Entwickelung des Begriffes der
Determinanten wurde als wahrscheinlich hingestellt, dass lange
nicht alle Zellen der höheren Organismen durch besondere Deter-
minanten im Keimplasma vertreten sind, dass z. B. möglicher-
weise sämmtliche Blutzellen, oder die Tausende von Fasern
eines bestimmten Muskels u. s. w. nur durch je eine Deter-
minante vertreten wären. Daraus darf aber nicht etwa ge-
schlossen werden, dass überhaupt alle am Körper vorkommen-
den gleichartigen Zellen auch nur durch je eine gemeinsame
Determinante vertreten sein könnten. Dies würde einem Auf-
geben des Begriffes der Determinante gleich kommen. Denn
wären z. B. sämmtliche quergestreifte Muskeln eines Wirbel-
thieres nur durch eine Determinante im Keimplasma vertreten,
so würde jede Variation dieser Letzteren alle Muskeln eben-
falls abändern machen, und die selbstständige Variation jedes
einzelnen Muskels, welche doch thatsächlich besteht, wäre un-
möglich.
[83]
Es müssen also im Keimplasma eines Thieres die-
selben Determinanten mehrfach oder sogar vielfach
vorhanden sein. Muskel- und Nervenzellen wiederholen sich
ja auch im fertigen Organismus und werden im Keimplasma,
soweit sie überhaupt einzeln vom Keim aus variiren können,
durch die gleichen oder doch sehr ähnliche Determinanten ver-
treten sein.
Wenn nun solche gleiche Determinanten je eine be-
stimmte Zelle oder Zellengruppe des Körpers vertreten sollen,
so können sie nicht an beliebiger Stelle des Keimplasma’s
liegen, können auch nicht ihren Platz darin je nach wechselnden
Einflüssen ändern, sondern sie müssen fest lokalisirt sein;
nur darin kann die Gewähr liegen, dass sie im Laufe der Onto-
genese in die richtige Zelle und an den richtigen Platz ge-
langen. Ich habe oben die Riechfäden des Flohkrebses er-
wähnt, von welchen jeder auf einem besonderen Fühlerglied
steht. Jeder von diesen kann für sich erblich variiren, verlangt
also die Annahme besonderer Determinanten des Keimplasma’s,
die aber untereinander gleich sein werden. Ähnlich verhält es
sich mit den ebenfalls bereits erwähnten schwarzen Flecken auf
den Flügeln eines Schmetterlings. Bei der Bläulingsart Lycaena
Argus steht ein solcher Fleck z. B. auf derjenigen Stelle des
Flügels, welche von den Entomologen als „Zelle 1, b“ be-
zeichnet wird und dieser Fleck ist selbstständig variabel, er kann
grösser oder kleiner sein, und diese Unterschiede können sich
vererben völlig unabhängig von den vielen andern schwarzen
Flecken. So kann der erwähnte Fleck bei andern Lycaena-
Arten ganz geschwunden sein, während ein ihm genau ent-
sprechender Fleck in „Zelle 4“ bedeutend grösser geworden ist.
Wir haben auch bestimmte Anzeichen, dass homologe Theile
beider Körperhälften unabhängig voneinander abändern können
bei bilateral gebauten Thieren. Das oben besprochene Mutter-
6*
[84] mal des Menschen vererbte sich stets nur auf die linke Seite,
nicht auf die rechte.
Wenn nun jede Determinante ihren festen Platz im Keim-
plasma hat, so kann dieses selbst nicht eine beliebige
oder eine wechselnde Grösse und Gestalt haben, son-
dern es muss eine in sich abgeschlossene Einheit sein,
an der Nichts weggenommen und der Nichts zugelegt werden
kann. Wir werden mit andern Worten auf die Annahme von
Determinanten-Gruppen geführt, welche eine in sich ge-
schlossene höhere Lebenseinheit darstellen, die dritte Stufe der-
selben, da sie sich direkt aus Determinanten, diese aber wieder
aus Biophoren zusammensetzen. Diese Einheiten sind die schon
längst auf ganz anderem Weg von mir erschlossenen „Ahnen-
plasmen“, die ich jetzt mit dem an das Idioplasma’s Nägeli’s
anklingenden Namen der „Ide“ bezeichnen will.1)
Wie das einzelne Biophor andere Eigenschaften hat, als
die Determinante, welche aus Biophoren zusammengesetzt ist,
so wird auch — so nehme ich an — das Id andere Eigen-
schaften besitzen, als die dasselbe zusammensetzenden Deter-
minanten. Doch müssen die Grundeigenschaften des Lebens:
Wachsthum und Vermehrung durch Theilung ihm, wie allen
Lebens-Einheiten, zugesprochen werden. Mehrfache Gründe,
besonders aber die Vererbungs-Erscheinungen bei sexueller Fort-
pflanzung leiten zu der Annahme, dass das Keimplasma nicht
blos aus einem Id besteht, sondern aus mehreren, oder selbst
aus vielen Iden, und dies wird auch dann anzunehmen sein,
wenn die Fortpflanzung augenblicklich keine geschlechtliche ist.
[85]
Ich nehme also an, dass jedes Idioplasma aus mehreren
oder vielen Iden zusammengesetzt ist, die wachsen
und sich durch Theilung vermehren können. Gäbe es
Thiere, in deren Vorfahren-Reihe geschlechtliche Fortpflanzung
niemals hineingespielt hätte, so müssten diese Ide untereinander
völlig gleich sein. In jedem Falle aber enthält jedes Id des
Keimplasma’s die sämmtlichen Elemente, welche für die Ent-
wickelung aller folgenden Id-Stufen erforderlich sind. Theo-
retisch also würde eines dieser Ide für die Ontogenese ge-
nügen.
Die Veränderungen dieses Keimplasma-Id’s in der
Ontogenese können nach unseren Voraussetzungen nur in
einer gesetzmässigen Zerlegung der Determinanten in immer
kleinere Gruppen bestehen, die so lange fortgeht, bis schliesslich
in jeder Zelle nur noch eine Art von Determinanten enthalten
ist, diejenige, welche sie zu determiniren hat. Es ist durchaus
unwahrscheinlich, dass alle Determinanten des Keimplasma-
Id’s in die sämmtlichen Id-Stufen der Ontogenese mitgeführt
werden. Ich werde zwar später bei Besprechung der Regene-
ration, Knospung u. s. w. zu zeigen haben, dass unter Um-
ständen Determinanten-Gruppen gewissen Zellenfolgen beigegeben
werden, welche zur Determinirung dieser Zellen selbst nicht
gehören, aber dies beruht, wie ich glaube, auf besonderen An-
passungen und ist nicht das Ursprüngliche, wenigstens gewiss
nicht bei den höheren Thieren und Pflanzen. Weshalb sollte
die Natur, die doch überall Sparsamkeit walten lässt, den Luxus
treiben, sämmtliche Determinanten des Keimplasmas’s allen Zellen
des ganzen Körpers mitzugeben, wenn eine einzige Art von
ihnen genügt? Dies wird also voraussichtlich nur da geschehen
sein, wo es bestimmten Zwecken dient. Auch die enorme
Zahl der im Keimplasma enthaltenen Determinanten spricht gegen
eine solche Annahme, denn ihre Zahl wird bei den höheren
[86] Thieren mindestens nach Hunderttausenden zu zählen sein, und
wenn man ja auch annehmen kann, dass diese alle in latentem
Zustand in jeder Zelle verharren und so die Thätigkeit der die
Zelle bestimmenden Determinante nicht zu stören brauchten,
so nehmen sie doch immer einen verhältnissmässig bedeutenden
Raum ein und entziehen ihn der bestimmenden Determinante,
die wir uns doch ebenfalls vielfach vorhanden vorstellen müssen.
Wollte man die Annahme machen, dass alle Determinanten
des Keimplasma’s sämmtlichen Zellen der Ontogenese mitgegeben
würden, so müsste man die gesammte Differenzirung des Körpers
auf ein gesetzmässig geregeltes Latentbleiben aller Determinanten
mit Ausnahme einer bestimmten und für jede Zelle verschiednen
beziehen, eine Vorstellung, die wohl der andern an Wahrschein-
lichkeit nachsteht, dass in jeder Zelle des definitiven Organismus
— abgesehen von besondern Anpassungen — nur eben die eine
Determinante gelangt, welche sie zu bestimmen hat.
Machen wir also diese Annahme, so fragt es sich, welche
Momente die Zerlegung des Keimplasma-Id’s in immer kleinere
Determinantengruppen, also in Ide, die immer weniger Determi-
nanten-Arten enthalten, bewirken könnten.
Ich denke mir, dass hier drei Momente zusammen wirken:
einmal die ererbte Architektur des Keimplasma’s, in
welchem jede Determinante ihren bestimmten Platz hat, dann
die ungleich rasche Vermehrung der verschiedenen
Determinanten und schliesslich Kräfte der Anziehung,
welche in den Determinanten ihren Sitz haben und ein Ausfluss
sind ihrer specifischen Natur, als einer besondern und selbst-
ständigen Lebenseinheit.
Über die Architektur des Keimplasma’s im Allgemeinen
ist schon gesprochen worden; im Einzelnen können wir sie wohl
kaum errathen, wenigstens für jetzt nicht. Bei den höheren
Organismen werden wir uns vorzustellen haben, dass Hundert-
[87] tausende oder Millionen von Determinanten in den Bau des-
selben eingehen, welche alle bestimmt lokalisirt sind. Die Er-
fahrung, dass bei bilateral gebauten Thieren die entsprechenden
Theile der rechten und der linken Körperhälfte unabhängig
voneinander variiren können, lässt schliessen, dass alle Deter-
minanten hier doppelt im Keimplasma vorhanden sind. Er-
wägen wir weiter, dass bei vielen solcher Thiere, z. B. beim
Frosch, die Theilung der Eizelle in die beiden ersten Embryo-
nalzellen die Scheidung der rechten und linken Körperhälfte
bedeutet, so müssen wir schliessen, dass das Keimplasma-Id
selbst schon einen bilateralen Bau besitzt und sich bei der
ersten Theilung in die Determinanten für die rechte und die
linke Körperhälfte spaltet. Wir dürfen darin eine weitere Be-
stätigung unserer Ansicht von der festen Architektur des Keim-
plasma’s finden. Ein Id desselben ist offenbar nicht etwa so
geordnet wie der Niederschlag aus einer complicirten Schüttel-
mixtur, bei welcher die schwereren Theilchen unten, die leichteren
weiter oben zu liegen kommen, überhaupt nicht so, als ob die
gegenseitige Lage der Theilchen lediglich durch die momentan
auf sie und zwischen ihnen wirkenden Kräfte frei bestimmt
würde, sondern wie ein complicirtes Gebäude, das von alter Zeit
her übernommen wird, dessen Steine aber lebendig sind, wachsen
und sich vermehren können und welche dann Verschiebungen
und Spaltungen der Mauern hervorrufen, bei welchen die in
ihnen liegenden Anziehungskräfte mitspielen. Die historische
Überlieferung der Keimplasma-Architektur bildet die
Grundlage der ganzen ontogenetischen Idioplasma-
Entwickelung.
Wenn aber auch bei bilateralen Thieren das Id eine rechte
und linke Hälfte hat, so darf daraus doch nicht etwa geschlossen
werden, dass das Id überhaupt nichts weiter sei, als ein Miniatur-
bild des fertigen Thieres, dass es sich also hier um eine Wieder-
[88] holung der alten Einschachtelungstheorie handle. Die genaue
Architektur eines Keimplasma-Id’s lässt sich zwar nicht wohl
errathen, aber so viel wenigstens lässt sich mit Bestimmtheit
sagen, dass die Determinanten in ihm ganz anders angeordnet
liegen, als die ihnen entsprechenden Körpertheile im fertigen
Thier. Dies geht unmittelbar aus der Entwickelungsgeschichte
hervor und bedarf kaum noch einer besondern Ausführung.
Wer irgend einige Einsicht in die Embryologie der Thiere hat,
weiss, wie ganz anders die Theile im Embryo auseinander her-
vorgehen, als sie schliesslich im fertigen Organismus zu ein-
ander gelagert sind. Die ersten Theilungen des Eies zeigen
schon, dass die Determinanten Gruppen im Keimplasma-Id ge-
bildet haben, welche zwar wohl den successive auseinander her-
vorgehenden Theilen des Körpers entsprechen, mit der Gestalt
und Ausbildung seiner Theile aber keine Ähnlichkeit haben
können.
So giebt es Würmer, bei welchen die beiden ersten Blasto-
meren nicht die rechte und linke Körperhälfte liefern, sondern
das gesammte Ektoderm und Entoderm. Hier wird also durch
diese erste Theilung das Keimplasma-Id in zwei Gruppen zer-
legt, von denen die eine sämmtliche Determinanten der ektoder-
malen Organe, die andere sämmtliche Determinanten des Ento-
derms enthalten, eine Anordnung, die mit der Lagerung der
fertigen Organe des Thieres keine Analogie hat. Kennten wir
von irgend einer Art den „Anlagenwerth“ — wenn ich so sagen
darf — jeder Zelle der Ontogenese, so könnten wir uns ein
annäherndes Bild von der Architektur des Keimplasma’s ent-
werfen, denn anfangend von den letztentstehenden Zellen könnten
wir die Determinanten erschliessen, welche in jeder der zunächst
rückwärts gegen die Eizelle liegenden Mutterzelle enthalten ge-
wesen sein muss und würden so bis zu den beiden ersten
Blastomeren und schliesslich zur Eizelle gelangen. Damit wären
[89] denn die Gruppen von Determinanten, welche in jeder Zelle
jeder Stufe enthalten sein müssen, gegeben und man könnte
versuchen, sie räumlich nebeneinander so zu ordnen, dass damit
ihre Zerlegung in die betreffenden Folgen von immer kleineren
Gruppen denkbar erschiene.
Genau würde ein solches Bild von der Architektur des
Keimplasma-Id’s aber niemals sein, und zwar deshalb, weil die
Theile desselben während der Entwicklung und des Wachsthums
des Idioplasma’s unaufhörlichen langsamen Verschiebungen aus-
gesetzt sein müssen.
Dies führt zu dem zweiten Moment, welches in die
Ontogenese des Idioplasma’s eingreift, zu der ungleichen Ver-
mehrungsgeschwindigkeit der Determinanten. Ein aus
lauter gleichen Determinanten zusammengesetztes Keimplasma-
Id würde auch beim stärksten Wachsthum und fortgesetzten
Theilungen seine ursprüngliche Architektur beibehalten müssen,
ungefähr so wie ein hypothetisches niederstes Lebewesen, welches
noch aus lauter identischen Biophoren bestünde, sich durch alle
Theilungen hindurch gleich bleiben müsste. Bei einem aus
einer Menge verschiedener Determinanten zusammengesetzten
Keimplasma ist ein völlig gleiches Tempo der Vermehrung für
alle diese Determinanten-Arten nicht anzunehmen. Denn die
Verschiedenheit zweier Determinanten beruht der Voraussetzung
nach auf Unterschieden in der Beschaffenheit, Zahl oder An-
ordnung der sie zusammensetzenden Biophoren, und diese Letzteren
unterscheiden sich wiederum in ihrem Aufbau aus Molekülen,
also in ihren chemisch-physikalischen Grundeigenschaften. Die
Determinanten werden deshalb je nach ihrer Zusammensetzung
sich auch in ihrer Reaction auf äussere Einflüsse verschieden ver-
halten, vor Allem in ihrer Wachsthums- und Vermehrungs-
geschwindigkeit. Dieselben Ernährungsbedingungen werden also
die einen zu schnellerem, die andern zu langsamerem Wachs-
[90] thum und entsprechender Vermehrung anregen, und es muss
somit im Laufe der Embryogenese, welche ja mit einem stetigen
Wachsthum des Idioplasma’s, also auch einer stetigen Vermehrung
der Determinanten verbunden ist, unausgesetzt eine Verschiebung
der Verhältnisszahlen eintreten, in welchen die einzelnen Determi-
nanten-Arten im Idioplasma enthalten sind. Dadurch allein
muss schon eine Veränderung der Architektur des Keimplasma’s
hervorgerufen werden, in die dann noch der dritte Faktor der
Veränderung eingreift; nämlich Anziehungskräfte der De-
terminanten.
Der Annahme solcher Kräfte lässt sich kaum entgehen.
Einmal ist es a priori sehr wahrscheinlich, dass Lebenseinheiten
derartige Wirkungen in verschiednem Grade aufeinander ausüben,
und dann sprechen die Vorgänge der Kerntheilung dafür, wenn
man sie mit der Vertheilung der Anlagen in der Ontogenese
zusammenhält.
Ich habe bisher noch nicht berührt, welche beobacht-
baren Theile des sichtbaren Idioplasma’s wohl als Ide
anzusehen seien. Eine sichere Entscheidung darüber ist zwar
zur Zeit noch nicht möglich, aber ich habe mich schon an
einem andern Ort dafür ausgesprochen1), dass die Chromosomen,
die stäbchen-, schleifen- oder körnerartigen Chromatin-Bildungen
des Kerns wahrscheinlich nicht einzelne Ide, sondern Reihen
oder Haufen von Iden gleichzusetzen seien. Ich habe deshalb,
um eine gewisse Gleichmässigkeit der Nomenclatur herbeizu-
führen, vorgeschlagen, die Chromosomen als Idanten zu be-
zeichnen. Es ist mir am wahrscheinlichsten, dass die Ide jene
bisher als Mikrosomen bezeichneten Kügelchen sind, welche bei
manchen Thieren, vor Allem bei dem in Hinsicht der Kern-
structur bestgekannten Thier, der Ascaris megalocephala, den
[91] einzelnen Idanten zusammensetzen. Da diese Microsomen in
einer Reihe liegend zwar dicht aneinander stossen, aber doch
getrennt sind durch eine dünne Lage von Zwischensubstanz, so
kann nicht der ganze Idant den Werth eines Id’s haben, denn das
Id ist eine geschlossene Lebenseinheit mit fester Architektur und
kann nicht aus völlig getrennten Stücken bestehen. Bei der
grossen Mannigfaltigkeit der Chromosomen ver-
schiedner Thierarten nach Zahl, Gestalt und Grösse
ist aber auch der Gedanke nicht ganz zurückzu-
weisen, dass dieselben nicht immer genau den
gleichen morphologischen Werth besitzen möchten.
Da indessen kein Grund vorliegt zu der Annahme,
dass die Zahl der Ide bei allen Arten dieselbe sein
müsse, da im Gegentheil bedeutende Schwankungen
Zwei Idanten
mit ihren Iden,
a—f.
darin viel wahrscheinlicher sind, so kann man auch daraus
kein entscheidendes Argument ableiten. Soviel darf wohl gesagt
werden, dass das einzelne Chromosom oder der einzelne
Idant eine der Art nach wechselnde Anzahl von Iden
darstellt.
Nun beruht die Kerntheilung auf einer Längsspaltung der
Idanten, welche jedes der kugeligen Ide — die Mikrosomen
einmal als solche angenommen — in zwei Hälften spaltet.
Jede derselben rundet sich dann zur Kugel ab und beide ge-
langen mitsammt dem Idanten, dem sie angehören, in je einen
der beiden neuentstehenden Tochterkerne.
Bei der gewöhnlichen Zelltheilung von Gewebezellen, die
Tochterzellen der gleichen Art hervorbringt, enthalten diese
Theilungs-Ide genau dieselben Determinanten, wie wir eben
aus der Gleichheit der Tochterzellen abnehmen können, allein in
der Embryogenese kommen meist Theilungen vor, bei welchen
die beiden Tochterkerne eine ganz verschiedene Combination
von Determinanten enthalten müssen. Wenn aus der Eizelle
[92] durch ihre erste Theilung, wie oben für gewisse Würmer an-
geführt wurde, zwei Zellen entstehen, von welchen die eine die
gesammten Determinanten für das innere, die andere die für
das äussere Keimblatt enthalten, so ist dies ein Beispiel
einer solchen Kerntheilung, die man als differentielle oder
erbungleiche der integrellen oder erbgleichen entgegen-
stellen kann. Die Ide, wie die ganzen Idanten spalten sich aus
innerer Kraft, sie werden nicht etwa mechanisch durch die sich
an sie ansetzenden Fäden der „Kernspindel“ auseinander gezogen.
Flemming hat gezeigt, dass die Spaltung häufig viel früher
erfolgt, als die Spindelfäden in Thätigkeit treten. Es müssen
also wohl Anziehungskräfte der Determinanten hier mit im
Spiel sein, ganz ebenso, wie solche zwischen den Biophoren
angenommen werden müssen, welche den Körper einer sich
theilenden Zelle zusammensetzen.
Ich denke mir daher, dass die ererbte Architektur des Keim-
plasma-Ids durch ungleiche Vermehrungs-Geschwindigkeit der
Determinanten eine allmälige Verschiebung des Baues erleiden,
die noch weiter regulirt wird durch Anziehungskräfte, welche
zwischen den Determinanten thätig sind. Wenn wir die Archi-
tektur des Id’s unter dem Bilde einer sehr verwickelten geo-
metrischen Figur auffassen, so würde also während des Wachs-
thums des Keimplasma-Ids die ursprüngliche Figur sich allmälig
ändern, noch nicht bei der ersten Theilung, die ja in der ur-
sprünglichen Figur schon genau vorbereitet sein wird, aber in
den weiteren Stadien der Ontogenese. Indem die meisten dieser
Theilungen mit einer Verminderung der Anzahl der Determi-
nanten-Arten verbunden sind, wird die geometrische Figur der
Ide immer einfacher, bis sie schliesslich, wenn eine jede Zelle blos
noch die eine Art von Determinante enthält, die sie bestimmt,
die denkbar einfachste Form annimmt. Es ist ein wunderbar
verwickelter Process der Auseinanderlegung des Keimplasma’s, eine
[93] wahre „Entwicklung“, bei welcher jede Id-Stufe mit Nothwendig-
keit aus der vorhergehenden folgt und so allmälig die Tausende
und Hunderttausende von Vererbungsstücken zu Stande kommen,
jedes am richtigen Platz und jedes mit der ihm zukommenden
Determinante versehen.
Auf dieser verwickelten Zerlegung der Determinanten des
Keimplasma-Id’s beruht der ganze Aufbau des Körpers, beruht
die Herstellung seiner gröberen Theile, seiner Gliederung, seiner
Organbildung bis herab zu der durch die Zellenzahl bestimmten
Grösse dieser Organe. Die Vererbung der Eigenschaften
allgemeinster Art, also des Bauplanes eines Thieres,
aber auch die die Klasse, Ordnung, Familie, Gattung
kennzeichnenden Eigenschaften beruhen ausschliess-
lich auf diesem Vorgang. Erst die kleinen Unterschiede,
welche Art von Art, Individuum von Individuum scheiden,
hängen zum Theil auch von den Eigenschaften der einzelnen
Zellen ab; das hat de Vries übersehen, wenn er die Vererbung
durch seine „intracelluläre“ Pangenesis allein erklären zu
können meinte. Gerade die meisten „Eigenschaften“ irgend
einer höheren Lebensform beruhen nicht auf den Eigenschaften
der einzelnen Zellen, sondern auf der Art ihrer Zusammen-
stellung, wie in der historischen Einleitung schon entwickelt
wurde. Auf der andern Seite aber ist ohne eine Bestimmung
der Eigenschaften jeder Zelle die Ausführung irgend eines lebens-
fähigen Organismus nicht denkbar.
Es handelt sich also noch um die Erklärung dieses letzten
Theiles der Ontogenese. Sie ist zum grossen Theil schon in
dem gegeben, was oben über die Bestimmung der Zelle durch
das Idioplasma gesagt wurde.
Es wurde dort mit de Vries angenommen, dass diese Be-
stimmung auf dem Austritt kleinster Lebenstheilchen aus dem
Kern in den Zellkörper beruht. Wir haben jetzt gesehen, auf
[94] welche Weise diese für eine bestimmte Zelle charakteristischen
Biophoren gerade in dem erforderlichen Verhältniss in die be-
treffende Zelle gelangen. Es geschieht dies dadurch, dass sie
in einer „Determinante“ zusammengehalten werden, die schon
im Keimplasma als solche vorhanden war und nun durch die
ontogenetische Zerlegung desselben an die richtige Stelle des
Körpers mechanisch geschoben wurde. Damit aber diese Deter-
minante die Zelle wirklich bestimmen könne, muss sie sich
nun in ihre Biophoren zerlegen. Dies ist eine unvermeid-
liche Consequenz aus der von uns angenommenen Art, wie die
Bestimmung der Zelle erfolgt. Wir müssen annehmen, dass
die Determinanten sich nach und nach in ihre Biophoren auf-
lösen, wenn sie an ihrem Bestimmungsort angelangt sind. Die
Annahme lässt zugleich eine Erklärung des sonst räthselhaften
Verhältnisses zu, dass die übrigen Determinanten, welche in
jedem Id mit Ausnahme der letzten Entwickelungsstufen ent-
halten sind, keinen Einfluss auf die Zelle ausüben. Da jede
Determinante aus vielen Biophoren besteht, so muss sie erheb-
lich grösser sein, als ein Biophor, und man könnte sich denken,
dass sie durch die sehr klein anzunehmenden Poren der Kern-
membran nicht hindurchzutreten vermöchte, die eben auf den
Durchtritt der Biophoren eingerichtet sind.
Dass nun jede Determinante sich erst dann in ihre Bio-
phoren auflöst, wenn sie in die Zelle gelangt ist, welche sie
zu bestimmen hat, muss seinen Grund in dem inneren Bau der-
selben haben, ohne dass wir aber Genaueres darüber anzugeben
vermöchten. Wie die eine Frucht eines Obstbaumes rascher
reift, als die andere, auch wenn die gleichen äusseren Einflüsse
auf sie einwirken, so wird auch die eine Art von Determinanten
früher zur Reife kommen, als die andere, wenn auch die gleiche
Ernährung beiden zu Theil wird. Übrigens darf dabei nicht
übersehen werden, dass eine verschiedene Reifungsdauer der
[95] Determinanten bei der thierischen Embryogenese hauptsächlich
nur für die eigentlichen Embryonalzellen anzunehmen ist, denn
die histologische Differenzirung der Zellen des in seinen Theilen
bereits angelegten Körpers findet ziemlich gleichzeitig, nämlich
erst dann statt, wenn die Organe als bestimmt geformte Zellen-
gruppen schon vorhanden sind. Das heisst aber in vielen Fällen
nichts Anderes, als dass die Zerlegung in Biophoren dann er-
folgt, wenn das Id nur noch die eine, die betreffende Zellenart
bestimmende Determinante enthält. Es ist von jeher auf-
gefallen, wie plötzlich in der Embryogenese eines Thieres die
histologische Differenzirung der Zellen einsetzt. Lange Zeit
hindurch behalten die Zellen der verschiedensten Theile und
Gewebe ein zwar nicht völlig gleiches, aber doch sehr ähnliches
Aussehen, dann plötzlich beginnt die histologische Differen-
zirung. Ganz besonders auffällig tritt dies an den quer-
gestreiften Muskeln der Gliederthiere und Wirbelthiere hervor,
und hier ist die Art, wie die Differenzirung der Querstreifung
zuerst nur in einem schmalen Streifen oder Ring des Zell-
körpers erscheint und sich von diesem aus dann über den
grössten Theil des Zellkörpers ausbreitet ganz so, wie man sie
erwarten müsste, würde sie veranlasst durch in den Zellkörper
ausgewanderte und dort sich vermehrende Muskel-Biophoren.
Immerhin bleibt die Annahme einer ungleichzeitigen, aber
genau normirten „Reifung“ der Determinanten unerlässlich, oder
wenn man lieber will die Annahme einer genau normirten
Inaktivitätsperiode der Determinanten, am Ende deren
die Zerlegung in Biophoren einsetzt. Freilich wird das Wachs-
thum und die Vermehrung der Determinanten während dieser
Periode ungestört weiter gehen, wie man daraus schliessen kann,
dass die Masse der Kernsubstanz in der einzelnen Zelle während
der Embryogenese nicht abnimmt, trotzdem eine so ungeheure
Vermehrung der Zellen stattfindet. Genaue methodische Be-
[96] obachtungen über die Grössenverhältnisse der Chromosomen in
den verschiedenen Entwickelungsphasen und Organen des Körpers
liegen zwar noch nicht vor, aber dass die Gesammtmasse der
Kernsubstanz sehr bedeutend wächst während der Embryonal-
entwickelung darf auch ohne solche als sicher gelten. Aus der
oben angeführten Beobachtung von Rückert1) über die Chromo-
somen des Haifisch-Eies scheint mir aber hervorzugehen, dass
das stärkste Wachsthum der Determinanten unmittel-
bar vor und während ihrer Thätigkeit stattfindet. Die
Idanten des Haifisch-Eies wachsen enorm während der Zeit des
Ei-Wachsthums und der histologischen Differenzirung des Eies,
um gegen die Vollendung desselben allmälig wieder an Grösse
abzunehmen und zuletzt bei der erreichten Reife fast auf die
ursprüngliche Kleinheit herabzusinken.
Dies heisst ins Theoretische übersetzt: die den histo-
logischen Bau des Eies bestimmenden Determinanten2)
vermehren sich während der Periode des Eiwachsthums
ganz enorm und entsenden ihre zahllosen Biophoren in
den Eikörper; nachdem dies erfolgt ist, bleiben nur noch die
inzwischen inaktiv gebliebenen Determinanten des Keimplasma’s
übrig, welche sich seither nur wenig vermehrt haben und daher
Idanten darstellen, welche nicht viel grösser sind, als sie in der
jugendlichen Eizelle waren. Von diesen Determinanten tritt
dann eine nach der andern vom Beginn der Embryogenese an
[97] in Thätigkeit, und auch hier wird eine Vermehrung derselben
mit ihrer Thätigkeit Hand in Hand gehen.
Es war mir schon seit lange wahrscheinlich, dass die Be-
stimmung einer Zelle nicht etwa durch eine einzige Determinante
geschieht, sondern durch viele der gleichen Art und ich stellte
mir vor, dass die Determinanten-Art, welche eine gewisse Zelle
zu bestimmen hat, sich vorher oder vielleicht auch noch während-
dem durch Theilung auf das Vielfache vermehrt. Diese Auf-
fassung wird mir durch die interessante Beobachtung Rückert’s
in willkommener Weise bestätigt.
Jede Zelle der gesammten Ontogenese wird aber immer nur
durch eine Determinanten-Art bestimmt, und zwar in ihrer
Structur sowohl als in ihrem Theilungs-Modus; die inaktiven
Determinanten bleiben ohne Einfluss auf den Zellkörper, be-
stimmen aber die Architektur des Id’s und insofern den weiteren
Aufbau des Embryo. Denn der Modus der Zerlegung des Id’s
in kleinere Determinanten-Gruppen wird eben durch seine Archi-
tektur bedingt.
Ich habe oben den Determinanten Anziehungskräfte zu-
geschrieben, die an der Configuration des Id-Baues Antheil
haben und ich glaube in der That, dass solche Kräfte vor-
handen sein müssen, da andernfalls das Id wohl überhaupt keine
bestimmte Architektur besitzen könnte, aber ich möchte mich
doch gegen das Missverständniss verwahren, als ob ich diesen
Kräften etwa den Hauptantheil an der Lagerung und Ordnung
der Determinanten im Id zuschriebe. Sie sind nur das zu-
sammenhaltende Princip, nicht aber eines, welches die Deter-
minanten etwa in ihren Lagebeziehungen im Laufe der Onto-
genese immer wieder neu ordnete. In erster Linie ist es immer
die ererbte feste Architektur des Keimplasma-Id’s, welche die
Id-Figur der folgenden Stufen mechanisch zur Folge hat; Ver-
schiebungen derselben erfolgen durch ungleich rasche Ver-
Weismann, Das Keimplasma. 7
[98] mehrung der verschiedenen Determinanten-Arten, die aber natür-
lich auch im Voraus genau bestimmt sind. Ein willkürliches
oder zufälliges Eingreifen von Anziehungskräften kann dabei
überhaupt nicht mitspielen.
Besonders Galton gegenüber muss ich dies hervorheben,
welcher von „repulsions und affinities“ der Keimchen spricht,
die seinen „stirp“ zusammensetzen. Er vergleicht die Massen
dieser Keimchen, die nach Anziehung und Abstossung in leb-
hafter und unaufhörlicher Veränderung ihrer gegenseitigen Lage
begriffen sind, mit einem Schwarm fliegender Insekten, in welchem
„the personal likings and dislikings of an individual may be
supposed to determine the position that he occupies in it“.
Diese Vorstellung ist mir durchaus fremd; sie bezieht sich auf
die Zusammensetzung der Keimsubstanz aus vielen homologen
Keimchen, „competing germs“, welche nun untereinander um
den Vortritt kämpfen, d. h. darum, welches von ihnen den
Charakter des in Bildung begriffenen Bion bestimmen soll.
Galton zieht eben von vornherein die Complicationen der
Keimsubstanz mit in die Betrachtung, welche durch geschlecht-
liche Fortpflanzung gesetzt werden und welche, wie später ge-
zeigt werden wird, wesentlich darin bestehen, dass das Keim-
plasma nicht jede Anlage blos ein Mal, sondern viele Male und
in verschiedenen Modificationen enthält. Der Kampf dieser
homologen Anlagen ist es, den Galton in dieser Stelle den
schwärmenden Insekten vergleicht, von denen bald diese, bald
jene den bevorzugten Platz erreicht. Dies tritt noch deutlicher
an einer anderen Stelle hervor, wo er das Keimplasma (seinen
„stirp“) mit einer Nation vergleicht und diejenigen Keimchen
„that achieve development“, d. h. die sich in die entsprechenden
Stellen des Körpers umwandeln, „to the foremost men of that
nation, who succeed in becoming its representatives“.
So schön diese Gleichnisse an und für sich sind, so fürchte
[99] ich doch, dass sie etwas Unrichtiges erläutern sollen, falls da-
mit eine Erklärung der Ontogenese beabsichtigt wird. Stellen
wir uns auf den Standpunkt der Pangenesis-Theorie, auf welchem
im Wesentlichen Galton steht, so sind also im stirp, d. h. der
Keimsubstanz des „befruchteten Eies“ eine sehr grosse Zahl von
„Keimchen“ enthalten, viel mehr, als zum Aufbau des Körpers
erforderlich sind. Denn für jede Zelle desselben ist nur ein
Keimchen erforderlich, es sind aber für jede Zelle eine Menge
verschiedener Keimchen vorhanden und diese kämpfen nun ge-
wissermassen um den Vorrang, d. h. darum, welches von ihnen
sich in die zu bildende Zelle verwandeln soll. Dabei wird ganz
übersehen, dass die Ontogenese selbst unmöglich auf diesem
Kampf beruhen kann, sondern vor sich gehen würde, auch
wenn für jede Zelle nur ein Keimchen im „stirp“ vorhanden
wäre und dass somit die Ursache der vorschreitenden Ent-
wickelung anderswo als in der Rivalität homologer Keimchen,
nämlich in der richtigen Succession der Keimchen liegen
muss. Galton hält die von Darwin in seiner Pangenesis
angenommene „purely step by step development“ für unge-
nügend, ich glaube indessen, dass Darwin die richtigere An-
sicht vertritt.
Aber auch für die Erklärung des Kampfes der homologen,
von verschiedenen Vorfahren stammenden Keimchen scheint
mir Galton’s Bild vom Insektenschwarm nicht zutreffend.
Wenn in der That die Keimchen im „stirp“ in ewiger Be-
wegung wären, und wenn es davon abhinge, welches von ihnen
den Vorzug erlangt, an der Bildung des Bion Theil zu nehmen,
wie wollte man da die Existenz identischer Zwillinge erklären,
über welche wir durch Galton selbst so werthvolle Aufschlüsse
erhalten haben? Wie sollte es möglich sein, dass bei zwei
Individuen, auch wenn sie genau die gleichen „Keimchen“ in
ihrem „stirp“ enthalten, stets die genau entsprechenden
7*
[100] Keimchen in dem fliegenden und stets sich verändernden Schwarm
von Keimchen die günstigste Position erlangten?
In einem späteren Abschnitt werde ich zu zeigen versuchen,
dass sich dieser Kampf homologer, aber individuell verschiedener
Anlagen doch noch in ganz anderer Weise idioplasmatisch
begründen lässt. Hier musste ich die Anschauung Galton’s
schon erwähnen, um zu zeigen, dass die von ihm angenommenen
Anziehungs- und Abstossungskräfte zu ganz anderem Zweck ein-
geführt werden, als die von mir den Biophoren des Idioplasma’s
vindicirten Anziehungskräfte.
In physiologischer Beziehung kommen die Elemente des
Idioplasma’s in zweierlei Zuständen vor, in einem aktiven
und einem inaktiven. In ersterem zerlegen sie sich in ihre
Constituenten, in letzterem verharren sie in ihrer Verbindung,
können sich aber vermehren. Wenn Determinanten aktiv werden,
so zerlegen sie sich in ihre Biophoren und diese bestimmen
dann die Zelle, in deren Nucleus sie enthalten sind; wenn ganze
Ide aktiv werden, so beruht dies auch auf einer allerdings succes-
siven und oft sehr langsamen Zerlegung in ihre verschiedenen
Determinanten. Diesem Zustand steht dann der inaktive gegen-
über, der bei beiden Elementen des Idioplasma’s darauf beruht,
dass ihre Theile sich nicht von einander lösen, sondern in der
einmal bestehenden Verbindung verharren. In dem jugendlichen
Ei z. B. ist nur eine Art von Determinanten aktiv, nämlich
die „ovogene“, welche das Wachsthum und die histologische
Differenzirung des Eies bestimmen; sämmtliche übrige Determi-
nanten des Keimplasma’s bleiben inaktiv, und die Ide, welche
aus ihnen gebildet sind, bleiben ebenfalls inaktiv. Erst wenn
die Befruchtung eingetreten ist, werden sie aktiv, d. h. nun
beginnt sich eine Determinanten-Art nach der andern aus der
Architektur des Id’s loszulösen. Wir werden aber später sehen,
dass es auch Ide des Keimplasma’s giebt, die trotz eingetretener
[101] Befruchtung des Eies doch inaktiv bleiben und gewissermassen
in gebundenem Zustand von Zelle zu Zelle weitergegeben
werden, um später die Keimzellen des Embryo zu bilden.
Die Ursachen dieses Verhaltens kennen wir so wenig, als
die des Schlafzustandes des Gehirns oder der Latenzperiode ge-
wisser befruchteter thierischer Eier, die ihre Embryonalent-
wickelung zwar beginnen, aber dann auf einem gewissen Stadium
für Monate stehen bleiben. Die Annahme aber eines aktiven
und inaktiven Zustandes der Ide und Determinanten wird uns
durch die Thatsachen aufgezwungen, sie ist unvermeidlich, wie
sich im Verlauf dieses Buches immer deutlicher zeigen wird;
sie ist auch von Allen für ihre Vererbungs-Einheiten gemacht
worden, welche solche aufgestellt haben, von Darwin für seine
Keimchen, von de Vries für seine Pangene.
Zwei Formen der Vererbung ergeben sich unmittel-
bar aus der eben vorgetragenen Theorie, die homologe und
die homochrone Vererbung. Da die einzelne Determi-
nante vom Keimplasma an durch alle Stufen der Ontogenese
hindurch ihren bestimmten Platz im Id einnimmt, so muss sie
auch an die richtige Stelle des Körpers gelangen und dort die
entsprechende Bildung des Elters hervorrufen. Da ferner jede
Determinante ihren Reifungs-Termin in sich trägt, so wird sie
um dieselbe Entwickelungsperiode des betreffenden Individuums
aktiv werden, wie beim Elter, und wird also den Körpertheil
genau zur selben Zeit zur Entfaltung bringen. Ausnahmen
davon kommen vor, theils als Abnormitäten, theils aber auch
als phylogenetische Verschiebungen.
5. Zusammenfassung des Keimplasma-Baues.
Nach meiner Auffassung setzt sich das Keimplasma der
Vielzelligen aus Ahnenplasmen oder Iden zusammen, Lebens-
einheiten der dritten Stufe, welche in Mehrzahl die Kernstäbchen
[102] oder Idanten zusammensetzen. Jedes Id des Keimplasma’s
ist aus Tausenden oder Hunderttausenden von Determinanten
erbaut, Lebenseinheiten zweiter Stufe, die sich dann wieder aus
den eigentlichen Lebensträgern, den Biophoren zusammen-
setzen, den kleinsten Lebenseinheiten. Die Biophoren sind ver-
schiedener Art und jede Art entspricht bestimmten Theilen
einer Zelle; sie sind also „Eigenschaftsträger“ von Zellen. In
verschiedener aber fest bestimmter Zahl und Mischung setzen
sie die Determinanten zusammen, deren jede die Anlage einer
bestimmten Zelle, oder einer kleineren, grösseren oder selbst
sehr grossen Zellengruppe (Blutzellen) ist.
Diese Determinanten bestimmen die Zelle dadurch, dass sie
sich in ihre Biophoren auflösen, welche nun durch Poren der
Kernmembran in den Zellkörper auswandern und dort sich
vermehren und nach in ihnen enthaltenen Kräften sich ordnen
und die histologische Structur der Zelle bestimmen. Sie thun
dies aber erst nach Ablauf einer gewissen fest normirten Ent-
wickelungsdauer, während deren sie in die Zelle gelangt sind,
die sie zu determiniren haben.
Dass jede Determinante an den ihr bestimmten Platz im
Körper gelangt, beruht darauf, dass jede von ihnen schon im
Keimplasma-Id ihren bestimmten Platz einnimmt, dass dieses
also eine ererbte und fest bestimmte Architektur besitzt. Die
Ontogenese beruht auf einem allmählichen Zerlegungs-Process
des Keimplasma-Id’s, welches sich bei jeder oder doch sehr vielen
Zell- und Kerntheilungen der Entwickelung in immer kleinere
Gruppen von Determinanten spaltet, so dass an Stelle einer
Million verschiedener Determinanten, die etwa das Keimplasma-
Id zusammensetzen möge, auf der folgenden ontogenetischen
Stufe jede Tochterzelle deren nur noch eine halbe Million, jede
der darauf folgenden Stufe nur eine viertel Million u. s. w. ent-
hielte. Zuletzt bleibt in jeder Zelle nur noch eine Art von
[103] Determinanten übrig — wenn wir von möglichen Complicationen
absehen —, diejenige nämlich, welche die betreffende Zelle oder
Zellengruppe zu bestimmen hat. Diese allmähliche Zerlegung
des Keimplasma-Id’s in die späteren Id-Stufen mit immer
kleineren Determinanten-Gruppen geschieht nicht wie eine ein-
fache Zerschneidung desselben in Stücke, sondern ist, wie alle
Zerlegungen von Lebenseinheiten, mit Verschiebungen der De-
terminanten-Gruppen verbunden, wie sie durch ungleich rasche
Vermehrung der verschiedenen Determinanten gesetzt und durch
die in diesen waltenden Kräfte der Anziehung geregelt werden.
Die ursprüngliche Lage jeder Determinante in dem unendlich
verwickelten Bau des Keimplasma-Id’s bedingt es, dass trotz
aller Verschiebungen der Determinanten-Figur, welche durch
die erbungleichen Kerntheilungen verbunden mit ungleichem
Wachsthum der verschiedenen Determinanten-Arten eintreten
muss, dennoch jede Determinante in jeder Id-Stufe wieder ihren
fest bestimmten Platz einnimmt und einen sicher geregelten
Weg einhält, vom Keimplasma-Id durch ganz bestimmte Zellen-
folgen hindurch bis zu der Zelle am Ende der Entwickelung,
in welcher sie ihre Reife erlangt, sich in ihre Biophoren auf-
löst und der Zelle ihren ererbten specifischen Charakter auf-
prägt. Jedes Id jeder Stufe hat seine fest ererbte Archi-
tektur, einen verwickelten, aber völlig fest bestimmten
und gesetzmässigen Bau, der vom Id des Keimplasma’s
ausgehend, sich in gesetzmässiger Veränderung auf
die folgenden Id-Stufen überträgt. In der Architektur
des Keimplasma-Id’s sind alle Structuren der folgenden Id-
Stufen potentia enthalten, in ihr liegt der Grund der regel-
rechten Vertheilung der Determinanten, d. h. der Grund für
den gesammten Aufbau des Körpers von seiner Grundform an
zu der Anlage und zu den Beziehungen der Theile, in ihr liegt
der Grund, warum z. B. die Determinante für einen kleinen
[104] Fleck auf dem Flügel eines Schmetterlings genau an die richtige
Stelle gelangt und an keine andere, warum die Determinante für
das fünfte Fühlerglied eines Flohkrebses genau an dieses und nicht
etwa an das vierte gelangt. Die Bestimmung des Charakters
der einzelnen Zelle hängt von den Biophoren ab, welche die
betreffende Determinante enthält und in die Zelle entsendet.
6. Mechanik der phyletischen Veränderungen des
Idioplasma’s.
Es soll in diesem Abschnitt nicht von den Ursachen
der phyletischen Entwickelung die Rede sein — dies gehört in
das Capitel von der Variation —, sondern nur von der idio-
plasmatischen Mechanik derselben. Es soll versucht werden,
zu zeigen, in welcher Weise aus dem angenommenen feinsten
Bau des Idioplasma’s sich seine phyletische Abänderung mecha-
nisch ableiten lässt.
Da alle Theile des Organismus vom Keim aus bestimmt
werden, so können dauernde Veränderungen desselben auch nur
von Veränderungen des Keimes ausgehen. Jede phyletische
Veränderung muss also von einer Veränderung im Bau des
Keimplasma-Id’s ausgehen. Wenn wir uns die Umwandlung
der Arten nach dem Vorgang von Darwin als eine all-
mähliche vorstellen, ausgehend von den individuellen Varia-
tionen und gesteigert und gerichtet durch Selection, so wird
der entsprechende idioplasmatische Vorgang nicht in einer
plötzlichen und totalen Veränderung des ganzen Id’s bestehen
können, sondern er wird mit der Abänderung einzelner Bio-
phoren oder auch einzelner Determinanten und Determinanten-
Gruppen beginnen müssen und erst nach und nach auch andere
gleichwerthige Gruppen ergreifen, bis zuletzt das Id ganz oder
grossentheils ein anderes geworden ist.
Die Grundlage des Vorgangs muss somit in einer Varia-
[105] bilität der Biophoren gesehen werden, welche ihrerseits dann
wieder eine solche der höheren Lebenseinheiten, der Determinante
und des Id’s nach sich zieht. Diese Variationen beziehen sich
aber keineswegs blos auf den Bau der einzelnen Zelle, sondern
vor Allem auch auf die Zahl der Zellen, welche ein Organ
zusammensetzen. Das Blatt einer Pflanze, die Feder eines Vogels
kann in der Phylogenese bedeutend an Grösse zunehmen, ohne dass
deshalb nothwendig schon eine Veränderung der diese Theile auf-
bauenden Zellen selbst eintreten müsste. Die Variation wird
dann zuerst auf einer Steigerung der Vermehrungskraft der be-
treffenden Determinanten, in vielen Fällen später auch auf einer
Vermehrung der betreffenden Determinanten beruhen. Wenn
das primitive Auge eines niederen Thieres nur aus einem
Sehstäbchen bestand, und die Determinante desselben erlangt
im Laufe der Phylogenese allmälig eine grössere Vermehrungs-
kraft, so wird die Anzahl identischer Determinanten, welche
während der Entwickelung durch Vermehrung der einen Deter-
minante des Keimplasma’s entsteht, allmälig so zunehmen, dass
sie statt nur für eine, jetzt für zwei Zellen ausreicht. Das
Auge wird dann zwei Sehstäbchen besitzen, und wenn die Ver-
mehrungskraft dann noch weiter zunimmt, wird eine ganze
Gruppe von Sehstäbchen von der einen Determinante beherrscht
werden. Von welchen innern Veränderungen der Determinante
eine solche Steigerung der Vermehrungskraft abhängig ist,
können wir nicht errathen, dass sie aber möglich sein muss,
geht schon daraus hervor, dass nicht jede einzelne Zelle des
Körpers ihre besondere Determinante besitzt, dass grosse Gruppen
derselben von einer aus bestimmt werden.
Diese einfachste phyletische Veränderung der lokalen Steige-
rung der Zellenzahl wird nun eine weitere Veränderung im
Gefolge haben können, sobald die Vermehrung der Determi-
nante, z. B. einer Sinneszelle unbestimmter Art sich nicht blos
[106] auf die späteren Stadien der Ontogenese, sondern auch auf das
Stadium des Keimplasma’s selbst bezieht; mit andern Worten:
wenn die Determinante sich schon im Keimplasma-Id verdoppelt.
Denn nun wird die Gruppe von Sinneszellen, die sich aus der
ursprünglich einen Zelle phyletisch entwickelt hat, von zwei
Determinanten beherrscht, von denen jede unabhängig von der
andern variiren und die von ihr abhängige Zellengruppe um-
gestalten kann. So könnte die eine zu Hörzellen, die andere
zu Geschmacks- oder Riechzellen werden.
Durch Vermehrung der Determinanten des Keimplasma-Id’s
also wird die Zunahme der Differenzirung des Körpers ein-
geleitet, vollzogen aber wird sie erst durch Veränderung der
Determinanten gleicher Abstammung in verschiednen Richtungen.
Eine blosse Vermehrung der Onto-Stufen um eine neue kann
sehr wohl ohne Vermehrung der Determinanten des Keim-Id’s
gedacht werden, sobald aber die auf der neuen Idstufe auf-
tretende doppelte Zellenzahl in verschiedentlicher Weise diffe-
renzirt werden soll, muss die Verdoppelung der Determinanten
des Keim-Id’s vorhergehen. Höhere Differenzirung wird des-
halb in erster Linie mit Zunahme der das Bion bildenden Zellen-
zahl verbunden sein.
Die aus einer steten Hinzufügung neuer Zellgenerationen
ans Ende der Ontogenese hervorgehende unabsehbare Ver-
längerung der Entwicklung kann bekanntlich durch Verkürzung
und Zusammenschiebung der Onto-Stadien neutralisiert werden,
und auch dieser Vorgang lässt sich von dem zu Grunde gelegten
Bau des Idioplasma’s aus einigermassen verstehen. Wenn zwei
oder mehrere Generationen von Zellen in eine zusammengezogen
werden, so wird dies darauf beruhen, dass die Determinanten
während der betreffenden Stadien rascher sich vermehren und
neu gruppiren, als die Zelltheilung ihnen folgen kann, wodurch
dann einige Id-Stufen, von denen jede früher eine besondere
[107]Zellenstufe bezeichnete, innerhalb ein und derselben Zellenstufe
ineinander übergehen. Die betreffenden Idstufen sind nicht
völlig ausgefallen, sie folgen sich nur rascher, und verschwinden
deshalb als sichtbare Entwickelungsstufen.
Solange die Organisationshöhe der Organismen noch eine
geringe ist, solange wird aber eine Zunahme der Differenzirung
des Körpers auch ohne Vermehrung der Zellgenerationen desselben
sehr wohl erreicht werden können und zwar einfach durch eine
Verkleinerung der Vererbungsstücke oder Determi-
naten. Wenn eine Determinante, die einen Bezirk von
hundert Zellen beherrschte, sich in zwei theilt, von welchen
jede nur fünfzig Zellen bestimmt, so können diese beiden Zell-
gruppen von da ab unabhängig voneinander variiren und also
auch sich verschiedenartig ausbilden. Auf diese Weise kann
eine fortgesetzte Spaltung der Determinanten und damit eine
stets sich steigernde Differenzirung der Arten zu Stande kommen,
ohne dass die Gesammtmenge der in der Ontogenese auftretenden
Zellen zuzunehmen braucht.
Jede Zunahme der Differenzirung bedeutet eine Steigerung
der Organisationshöhe. Nun ist aber die phyletische Entwicklung
der Organismen keineswegs stets mit einer Steigerung oder über-
haupt einer Veränderung der Organisationshöhe verbunden. Die
Arten einer Gattung, sehr häufig auch die Gattungen einer
Familie unterscheiden sich nicht durch grössere Zellenzahl oder
durch gesteigerte Mannigfaltigkeit der Zellen, sondern nur durch
qualitative Verschiedenheiten in der Bildung der verschiedenen
Theile. Man wird die phyletische Entwickelung der Lebens-
formen deshalb nicht blos aus einer Vermehrung der Zahl der
Determinanten des Keim-Id’s, sondern zugleich aus einer
Änderung in Beschaffenheit derselben und der sie zusammen-
setzenden Biophoren ableiten müssen.
Auch die Erscheinungen des Parallelismus zwischen
[108] Ontogenese und Phylogenese, beruhend auf dem bio-
genetischen Gesetz, sowie das ebenfalls aus ihm hervorgehende
Zurückrücken der Endcharaktere auf immer jüngere Onto-
Stufen im Verlauf der Phylogenese lassen sich aus der an-
genommenen Structur des Idioplasma’s ableiten.
Was die Ersteren betrifft, so nahmen wir an, dass jedes
Onto-Stadium durch eine bestimmte Determinanten-„Figur“,
d. h. also eine Art von geometrischem Aufbau der Determi-
nanten charakterisirt werde. Nun wird zwar die einzelne Zelle
in ihrem Wesen von denjenigen Determinanten der Kernsubstanz
bestimmt, welche ihre Reife erlangt haben, d. h. welche auf
dem Stadium angelangt sind, in welchem sie sich in Biophoren
auflösen und in den Zellkörper einwandern. Allein die Art
und Weise der Ontogenese, z. B. der Embryonal-Entwickelung
eines Thieres hängt keineswegs blos an dem histologischen
Charakter der einzelnen Zellen eines jeden Stadiums, sondern viel
mehr noch an der Art und Weise, wie diese Zellen sich theilen,
ob schneller, ob langsamer, und in erster Linie an der Art und
Weise, wie die noch latenten, „unreifen“ Determinanten der
Kernsubstanz gruppirt und bei den Zelltheilungen vertheilt
werden. Diese Vertheilung der Anlagen an die ver-
schiedenen Zellen bestimmt vor Allem den Charakter der Onto-
genese, und man könnte sich ganz wohl eine thierische Embryo-
genese denken, bei welcher zehn oder zwanzig Generationen
gleich beschaffener „Embryonalzellen“ aufeinander folgten, und
bei welchen dennoch eine ganz bestimmte Vertheilung der An-
lagen (Determinanten) stattgefunden hätte und nun erst hervor-
träte. Es ist ja bekannt, wie ähnlich sich die Zellen des
Embryo der höheren Thiere viele Stadien hindurchsehen.
Es ist also die gesetzmässige Vertheilung der noch
latenten oder noch „unreifen“ Determinanten, welche
den Gang der Ontogenese bestimmt und der Ausdruck
[109] derselben ist die Architektur einer jeden Id-Stufe oder
wie ich es nannte: die Determinanten-Figur.
Nun kann aber offenbar dieselbe geometrische Figur aus
verschiedenen Elementen gebildet werden, wie auch die gleiche
Krystallform aus verschiedenartigen Molekülen. So wird bei
nahe verwandten Arten die Ähnlichkeit der Onto-Stadien sich
durch die Gleichheit oder Ähnlichkeit der betreffenden De-
terminanten-Figur erklären, welche bestehen bleibt, trotz-
dem die einzelnen die Figur zusammensetzenden Determinanten
mehr oder weniger von einander abweichen. Dabei erklärt es
sich ferner ganz einfach, dass wie die Entwickelungsgeschichte
uns lehrt, die früheren Onto-Stufen verwandter Arten so sehr
ähnlich sind und die Unterschiede erst später hervortreten, denn
auf die früheren Id-Stufen kann die Verschiedenheit einzelner
Determinanten oder Determinanten-Gruppen nach Beschaffenheit
oder Vermehrungskraft noch keinen erheblichen Einfluss aus-
üben, weil die Gesammtzahl der Determinanten noch sehr gross
ist; die Architektur des Id’s wird deshalb auf gleicher Stufe
nahezu die gleiche sein. Je mehr aber die Ontogenese vor-
schreitet und in je kleinere Gruppen sich die Determinanten
auseinander legen, um so stärker muss sich diese Verschiedenheit
auch in der Id-Architektur äussern und in der daraus hervor-
gehenden weiteren Vertheilung der „unreifen“ Determinanten.
So wird ein und derselbe Theil länger oder kürzer, ein Farben-
fleck grösser oder kleiner ausfallen, und die letzten Stadien der
Ontogenese, welche durch Zellen bestimmt werden, die nur noch
eine Determinante enthalten, werden in dem Maasse verschieden
sein, als ihre Determinanten von einander abweichen. So erklärt
sich die oft vollkommene Ähnlichkeit der Furchungszellen bei
verwandten Thierarten, oder auch die zwar nicht vollkommene,
aber doch sehr starke Übereinstimmung vieler Säugethier-
Embryonen in ihren jüngeren Stadien.
[110]
Das biogenetische Gesetz — soweit es überhaupt reicht —
beruht darauf, dass die phyletische Entwickelung zum Theil
durch Anhängen neuer Onto-Stufen an das Ende der Onto-
genese zu Stande kommt. Damit diese letzte erreicht werde,
müssen die früheren Endstufen jedesmal wieder durchlaufen
werden. Idioplasmatisch wird dies so auszudrücken sein: die
Determinanten des Keim-Id’s erlangen eine grössere Vermehrungs-
kraft, so dass eine jede von ihnen eine oder mehrere Zell-
generationen am Ende der Ontogenese anfügt; zugleich spalten
sich die Determinanten im Keimplasma, vermehren sich dadurch
und jede differenzirt sich in neuer Weise. Da nun aber je
zwei neue Determinanten denselben Weg vom Keim-Id nach
dem Endstadium der Ontogenese nehmen, den vorher die eine
Stamm-Determinante nahm, so werden sie dieselben Determi-
nanten-Figuren durchlaufen wie vorher und nur in den letzten
Stadien, wenn sie sich trennen, zu neuen Bildungen führen. Die
Onto-Stadien der Voreltern werden aber um so weniger genau
wiederholt werden, je mehr die Entwickelung sich ihrem Ende
nähert.
Das Verschwinden eines überflüssig gewordenen
Charakters lässt sich wohl auch mit der Idioplasma-Mechanik
in Einklang setzen. Die Determinanten-Gruppe, welche den
betreffenden Theil bedingt, wird aus dem Keimplasma ganz be-
seitigt werden müssen, wenn der Theil ganz schwinden soll.
Dies wird aber bei zusammengesetzteren Organen, wie z. B. bei
den Gliedmaassen der Wirbelthiere, ein sehr verwickelter und
langwieriger Process sein müssen, weil die Determinanten,
welche zur Entstehung einer Extremität zusammenwirken, sehr
zahlreiche und verschiedenartige sind, und weil sie schon
früh in der Ontogenese die Grundlage des Organs bilden.
Hier werden die Determinanten viele rückschreitende, ver-
einfachende Veränderungen nacheinander erleiden müssen, ehe
[111] eine merkliche Abnahme des Organs eintritt. Wenn man die
gänzlich funktionslosen, unter dem Federkleid versteckten Flügel-
rudimente des australischen Kiwi-Kiwi (Apteryx) untersucht,
so enthalten dieselben noch alle Knochen des ausgebildeten
Vogelflügels, aber vielfach verkleinert. Dies wäre dahin zu
verstehen, dass zuerst die ganze Determinanten-Gruppe des
Flügels noch bestehen bleibt im Keim-Id, dass sie aber an Kraft
abnimmt, d. h. dass ihre Elemente sich nicht mehr so stark ver-
mehren und also nur kleinere Zellgruppen noch bestimmen
können. Schreitet der Rückbildungsprocess weiter fort, so ver-
kleinert sich das Organ nicht nur immer noch mehr, sondern
nun schwinden auch in ungleichem Tempo die einzelnen Theile
desselben, verlieren die charakteristische Form und werden zu
fast unkenntlichen Rudimenten, wie dies z. B. bei den unter
der Haut liegenden Rudimenten der hinteren Extremität bei
den Walen in einzelnen Arten schon eingetreten ist, während
bei anderen immer noch die Gestalt der einzelnen Knochenstücke
einigermassen erhalten geblieben ist, und das Oberschenkelbein
sich von den Unterschenkelknochen noch deutlich unterscheidet.
Hier müssen also viele der früheren Determinanten ganz aus-
gefallen sein aus dem Bau des Keim-Id’s, die übriggebliebenen
aber noch mehr als im Stadium des Apteryx-Flügels die „Kraft“
der Vermehrung eingebüsst haben.
Wir wissen aber, dass selbst bei solchen Thieren, deren
Extremitäten seit ganzen geologischen Perioden vollständig ver-
loren gegangen sind, wie bei den meisten Schlangen, dennoch
heute noch in frühen Stadien der Ontogenese die Anlagen der-
selben, als sog. Muskelknospen auftreten, um bald wieder zu
verschwinden 1), und dies dürfte idioplasmatisch so gedeutet
[112] werden, dass hier der kleine Rest von der Determinanten-Gruppe
der Extremität, welcher noch im Keim-Id vorhanden ist, auch
so sehr an Vermehrungskraft eingebüsst hat, dass er nur noch
bis zu den betreffenden frühen Embryonalstadien hinreicht. Die
jüngsten Determinaten, d. h. Vererbungsstücke, schwinden er-
fahrungsgemäss zuerst, und dann allmälig auch die älteren bis
ältesten, und diese Erscheinung muss wohl in der Vermehrungs-
art der Determinanten seinen Grund haben, wenn wir auch den
inneren Zusammenhang der Erscheinungen noch nicht klar er-
kennen können. Vielleicht liegt er darin, dass die phyletisch
jüngsten Determinanten für die spätesten ontogenetischen Stadien
bestimmt sind, also auch erst in diesen die „Reife“ erlangen,
d. h. sich in ihre Biophoren auflösen. Büssen sie nun bei der
Rückbildung ihre Vermehrungskraft bedeutend ein, so erreichen
sie weder diejenige Zahl, welche zur Beherrschung ihrer Zellen-
gruppe erforderlich ist, noch auch nur das Reifestadium über-
haupt. Sie sind noch vorhanden, können sich aber nicht mehr
geltend machen, während die Determinanten der älteren phyle-
tischen Stadien noch in den früheren ontogenetischen Stadien
zur Reife kommen, welche auch jetzt noch erreicht werden.
Man wird also den Rückbildungs-Process eines Organs
sich darauf beruhend vorstellen dürfen, dass zuerst die Deter-
minanten sich derart verändern, dass sie an Vermehrungskraft
abnehmen und dass dies zu einem sehr allmäligen Ver-
kümmern erst weniger, dann immer zahlreicherer Determinanten
der betreffenden Gruppe führt. Zugleich nimmt die Ver-
mehrungskraft auch der noch übrig bleibenden Determinanten
ab, so dass ihre Gruppen immer weniger weit in die Onto-
genese hineinreichen, bis sie schliesslich alle ganz ausfallen.
Es soll damit, dass ich die Thatsachen der Rückbildung
mit der Determinanten-Lehre zusammenhalte, nicht etwa der
Anspruch erhoben werden, eine mechanisch-physiologische Er-
[113] klärung des Vorganges gegeben zu haben. Von einer solchen
sind wir noch weit entfernt, solange wir über die Kräfte, welche
in und zwischen den Biophoren walten, noch so gut wie Nichts
wissen. Soviel nur glaubte ich zeigen zu können, dass diese
Lehre nicht in Widerspruch mit den betreffenden Thatsachen
steht, vielmehr denselben bis zu einem gewissen Grad gerecht
zu werden vermag. Die Erscheinungen der Rückbildung sind
bisher noch nicht unter diesen Gesichtspunkten betrachtet wor-
den; wenn man von ihnen aus tiefer in die Erscheinungen selbst
eingedrungen sein wird, würden vielleicht von da aus auch
wieder Rückschlüsse auf die Theorie und damit eine genauere
Ausarbeitung der Determinantenlehre möglich werden.
Die correlativen Abänderungen dürften hier noch eine
kurze Erwähnung finden. Wir wissen durch Darwin, welche
bedeutende Rolle dieselben bei der Artumwandlung spielen, wie
Abänderungen, die wir als die primären, gewissermassen die
von der Natur beabsichtigten betrachten müssen, eine Menge
von Abänderungen anderer Theile nach sich ziehen. So bedingt
die Zunahme des Hirschgeweihes eine Verdickung der Schädel-
knochen, eine Verstärkung der Nackenmuskeln, der Dornfort-
sätze der Halswirbel, des Ligamentum nuchae, schliesslich auch
des Brustkorbes und der Vorderbeine. Idioplasmatisch werden
alle diese Veränderungen auf Abänderungen der betreffenden
Determinantengruppen des Keim-Id’s beruhen müssen, welche
nicht direkt durch Abänderung und Vermehrung der Deter-
minantengruppe des Geweihes, sondern sekundär durch Selection
sich darbietender Determinanten-Variationen zu erklären sein
werden. Aber es giebt noch eine ganz andere Art der Cor-
relation, darin bestehend, dass die Abänderung eines Theils die
eines andern nach sich zieht, der in keinem anatomischen oder
auch nur funktionellen Zusammenhang mit ihm steht. So er-
wähnt Darwin, dass Katzen mit blauen Augen gewöhnlich
Weismann, Das Keimplasma. 8
[114] taub sind, dass Tauben mit befiederten Füssen eine Verbindungs-
haut zwischen den äusseren Zehen besitzen u. s. w.
Ich glaube nicht, dass solche Correlationen auf Nerven-
zusammenhänge zurückgeführt werden können; eher vielleicht
dürften sie auf eine Zusammenlagerung der Determinanten
der in Correlation variirenden Theile im Keim-Id bezogen
werden. Es wird später noch gezeigt werden, dass lokale Er-
nährungs-Unterschiede im Keim-Id vorkommen, und dass diese
Abänderungen der davon berührten Determinanten nach sich
ziehen können. Wenn nun die Determinanten von Organen,
die weit von einander entfernte Theile des Körpers bestimmen
im Keim-Id nahe bei einander liegen, so würden sie von ab-
ändernden Einflüssen leicht zugleich getroffen werden. Die fest
bestimmte Architektur des Keim-Id’s, auf welcher wir fussen,
gestattet aber nicht nur eine Nachbarschaft der Determinanten
weit entfernter Körpertheile, sondern sie verlangt sie sogar.
Denn das Keim-Id ist unserer Voraussetzung nach nicht ein
Miniaturbild des Körpers, sondern ein Bau ganz eigner Art, in
welchem die einzelnen Steine so zusammengeordnet sind, wie
sie zunächst in der Ontogenese gegen ihr Endziel hin — die
Determinaten (Vererbungsstücke) — weiter befördert werden.
Dies bedingt aber, dass Determinanten z. B. des Ektoderm’s
im Keimes-Id dicht an solche des Entoderm’s anstossen, wenn
sie etwa durch die erste Theilung des Eies einer Ur-Ektoderm-
zelle und einer Ur-Entodermzelle zugetheilt werden sollen.
Eine Zelltheilung, welche zur Trennung weit differirender
Determinantengruppen führt, lässt dennoch eine dichte An-
einanderlagerung dieser differenten Determinantengruppen in
dem Id der Mutterzelle zu. Bis zu einem gewissen, wenn auch
schwachen Grad, eröffnet dies vielleicht eine Art von Einsicht
in die Möglichkeit und die Ursachen der obenerwähnten Cor-
relationen.
[115]
7. Grössenverhältnisse der Theile des Keimplasma’s.
Die Zusammensetzung des Keimplasma’s aus Biophoren,
Determinanten und Iden verlangt bei allen höheren Organismen
eine sehr grosse Zahl kleinster Lebenseinheiten oder Biophoren
in engem Raum; die Frage liegt nahe, ob der Raum eines Id
dafür ausreicht. Eine irgend zuverlässige Antwort durch die
Rechnung darauf zu geben, halte ich augenblicklich noch für
ganz unmöglich, aber es ist doch vielleicht nicht uninteressant,
wenigstens den Versuch einer solchen Berechnung zu machen.
Um eine sichere Antwort zu geben, müssten wir mindestens
die Grösse eines Biophors, die eines Id’s und die Zahl der
Determinanten kennen für irgend eine Art. Leider kennen wir
aber keine dieser drei Grössen auch nur annähernd genau; wir
wissen weiter nicht einmal, wie viele Moleküle etwa am Aufbau
eines Biophors Theil nehmen, und selbst die Grösse des Moleküls
ist ein ziemlich unsicherer Werth.
Vier Wege haben übereinstimmend die Grösse eines Mole-
küls zwischen 1 und 1/10 Millionstel Millimeter bestimmt, näm-
lich: 1) der Weg durch die Undulationstheorie des Lichtes,
2) die Erscheinungen der Contact-Elektricität, 3) die der Ca-
pillar-Attraction und 4) die der kinetischen Theorie der Gase. 1)
O. E. Meyer berechnete die Grösse des Moleküls „aus den
Eigenschaften und dem Verhalten der Gase und Dämpfe. Aus
der Reibungsconstante und der Vergleichung der Raumerfüllung
im tropfbaren und gasförmigen Zustand, sowie aus den Ab-
weichungen vom Boyle-Mariotte’schen Gesetze lässt sich
das Volumen zunächst aller in einem bestimmten Raume ent-
haltenen Theilchen, ferner das eines einzelnen Theilchens, daraus
die Anzahl und schliesslich auch das Gewicht eines einzelnen
8*
[116] Theilchens angenähert berechnen.“ Daraus ergiebt sich das
obige Resultat.
Nimmt man nun das Molekül im Durchschnitt zu ½ Micro-
Millimeter an und rechnet 1000 Moleküle auf 1 cubisch ge-
dachtes Biophor, so würde ein solches 10 Molekel in der Länge
messen, d. h. 5 Millionstel Millimeter oder 5 Tausendstel
eines Mikro-Millimeters (Micro). Es gingen dann 200 Biophoren
auf die Länge eines Micro-Millimeters und 8 Millionen Bio-
phoren auf einen Cubik-Mikro-Millimeter. Ein menschliches
Blutkörperchen misst 7,7 Mikro im Durchmesser; denkt man
sich dasselbe zu einem Cubus von der Diagonallänge 7,7 er-
weitert, so würde ein solcher Raum 543 Millionen Biophoren
enthalten können. Wenn man erwägt, dass die Chromosomen
des Zellkerns meist ausserordentlich viel kleiner als der Kern
sind, und dabei in Betracht zieht, dass das Keimplasma sicher-
lich nicht blos ein Id enthält, sondern mindestens mehrere Ide,
von denen jedes sämmtliche zum Aufbau des gesammten Körpers
erforderliche Biophoren enthält, so erscheint die Zahl der Bio-
phoren, welche nach diesen Annahmen in einem Id Platz hätten,
doch als eine recht beschränkte.
Die grössten, bisher bekannt gewordenen Chromosomen des
Keimplasma’s sind diejenigen von Ascaris megalocephala. Hier
finden sich zwei oder vier stäbchenförmige Chromosomen. Jedes
Stäbchen setzt sich aus „sechs stärker sich färbenden verdickten
Schema zweier
Idanten mit ihren
Iden a—f.
Abschnitten zusammen, Körnern oder Scheiben, die
durch schwächer chromatische Portionen von ein-
ander getrennt sind“ (Boveri). Wenn die hier
angenommene Zusammensetzung des Keimplasma’s
aus Iden auf diesen Befund angewandt wird, so
kann ein Id in jedem Falle nicht grösser sein, wohl
aber kleiner als ein solches Korn oder Microsoma.
Grösser nicht, weil, wie schon oben gesagt wurde,
[117] das Id eine Einheit ist, die sich zwar wohl in zwei Töchter-Ide
theilen kann, die aber nicht durch andersartige Zwischensubstanz
in Stücke dauernd getrennt bleiben könnte. Nehmen wir also
einmal das Id so gross als möglich an, so misst ein Microsoma
nach Boveri’s Zeichnung und Vergrösserungsangabe im Durch-
messer 0,0008 Mm., also nicht ganz einen Micro; so gross
sind indessen nur die Endkörner der Stäbchen, die mittleren
messen in ihrem grössten Durchmesser nur 0,0006 Mm[.,] im
kleineren vielleicht 0,0003—4. Die Endkörner als Kugeln ge-
nommen würden von den oben angenommenen Biophoren etwa
zwei Millionen enthalten können.
Das ist nun gewiss eine ansehnliche Zahl, und man sollte
denken, dass sie ausreichte, um bei einem so niedern Thier,
wie ein Spulwurm ist, die Determinantenzahl herzustellen. Schon
bei Gliederthieren aber wächst die Zahl der Determinaten und
damit auch die der Determinanten beträchtlich. Es wurde
oben schon auf die Riechfäden an den Fühlern der Kruster
hingewiesen, deren jeder vom Keim aus determinirbar sein muss;
ebenso auf die Flecke und Striche auf den Flügeln der Schmetter-
linge, von denen jeder zum mindesten eine Determinate dar-
stellt, alle grösseren aber sicherlich mehrere oder viele. Wenn
man bedenkt, dass die Zeichnung häufig recht verwickelt, dabei
oft die Ober- und Unterseite des Flügels verschieden gezeichnet
ist, so gelangt man allein schon für die Flügelzeichnung auf
Hunderte von Determinanten. Nun giebt es aber mancherlei
Eigenthümlichkeiten in der Schuppenbildung, welche es wahr-
scheinlich machen, dass beinahe jede Schuppe vom Keim aus
selbstständig variabel ist. Wenn bei manchen männlichen
Bläulingen, z. B. bei Lycaena Adonis in regelmässiger Ver-
theilung kleine guittarrenförmige Duftschuppen zwischen
den Farbschuppen stehen, während bei nächstverwandten Arten,
z. B. bei Lycaena Agestis dieselben gänzlich fehlen, so müssen
[118] wir schliessen, dass diese Duftschuppen durch Umwandlung
aus gewöhnlichen Schuppen entstanden sind. Dies setzt aber
die selbstständige Veränderlichkeit jeder der phyletisch umzu-
wandelnden Schuppen voraus, folglich ihre Bestimmbarkeit
vom Keim aus. Wäre diese nicht vorhanden gewesen, so hätte
niemals eine einzelne Schuppe mitten unter den andern erblich
variiren können.
Auf der Oberfläche des Flügels einer Lycaena Adonis
stehen etwa 30,830 Schuppen. 1) Wenn jede derselben als De-
terminate aufzufassen wäre, so erhielten wir allein von der Be-
schuppung der Flügel her schon die enorme Zahl von etwa
240,000 Determinanten des Keimplasma’s, vorausgesetzt, dass
Ober- und Unterfläche der vier Flügel ungefähr die gleiche
Anzahl von Schuppen besässen.
Ich habe mich bemüht, die untere Grenze der Determi-
natengrösse, d. h. also die kleinsten Determinaten durch direkte
Versuche für eine bestimmte Art und für bestimmte Charaktere
festzustellen und wählte dazu einen durch Parthenogenese sich
fortpflanzenden Muschelkrebs, Cypris reptans, bei welchem eine
bestimmte grüne Zeichnung der Schale die Vergleichung der-
selben sehr kleinen Pigmentflecke bei Mutter und Tochter mög-
lich macht. Es zeigte sich, dass zwar die grösseren Flecke
streng vererbt werden, nicht aber die ganz kleinen, nur aus
einer oder zwei Pigmentzellen bestehenden. Auch wechselte
die Gestalt der aus fünfzig oder hundert Pigmentzellen zu-
sammengesetzten Flecke immer etwas, so dass auch bei ihnen
die Zellenzahl nicht genau die gleiche blieb. Wenn man die par-
thenogenetische Fortpflanzung als eine einreihige betrachten
könnte, so dürfte daraus geschlossen werden, dass die Determi-
[119] naten hier keine einzelnen Zellen, sondern Zellengruppen sind,
leider aber kann der Versuch nicht als rein gelten, da — wie
später zu zeigen sein wird — bei Parthenogenese das Keim-
plasma nicht aus gleichen Iden zusammengesetzt ist, sondern
wie bei geschlechtlicher Fortpflanzung, aus ungleichen, und da
daraus Schwankungen in der Vererbung entstehen können.
Bei höheren Wirbelthieren ist die Zahl der Determinaten,
welche allein aus der Färbung und Zeichnung des Thieres sich
erschliessen lassen, eine sehr bedeutende. So müssen wohl die
meisten, wenn nicht alle Conturfedern der Vögel durch be-
sondere Determinanten im Keimplasma bestimmt werden, denn
sie sind selbstständig erblich veränderbar. Ist doch die Zahl
der Schwung- und Steuerfedern bei jeder Vogelart eine fest
bestimmte und besitzt doch jede dieser Federn ihre bestimmte
Form, Grösse und Färbung. Die Annahme einer Determi-
nante genügt auch nicht einmal für die ganze Feder, denn die-
selbe besteht aus Tausenden von Epidermiszellen, und diese
verhalten sich keineswegs alle gleich, weder in Bezug auf
Gestalt und Zusammenfügung, noch in Bezug auf Färbung.
Viele Federn sind gebändert, andere tragen an der Spitze einen
brillanten Schmuckfleck, wie bei manchen Kolibri’s, dem Pfau
und gewissen Paradiesvögeln. Die Zellen, welche diese Bänder
und Flecken bilden, müssen andere Determinanten enthalten,
als die übrigen Zellen der Feder, beide also setzen mindestens
eine besondere Determinante des Keimes voraus, oft aber deren
mehrere und viele, da solche Schmuckflecke, wie bekannt, oft
recht complicirt aus mehreren Farben zusammengestellt sind.
Es wäre auch ein Irrthum zu glauben, dass bei Vögeln
mit einfarbigem Gefieder, wie die Raben, die Conturfedern nicht
einzeln determinirt wären; die Qualitäts-Unterschiede beziehen
sich hier nur weniger auf die Farbe, als auf Form und Grösse.
Dass auch hier jede Feder erblich determinirt ist, auch der
[120] Farbe nach, zeigt uns ihr Variiren, welches bei einzelnen Arten
bestimmte Federn ganz oder theilweise weiss, oder wie bei den
den Raben verwandten Paradiesvögeln bunt gefärbt hat. Man
braucht nur eine Kolibri-Sammlung durchzusehen, und die oft
sehr einfach gefärbten Weibchen mit den wunderbar mannig-
faltig gefärbten Männchen zu vergleichen, um zu der Über-
zeugung zu kommen, dass hier so ziemlich jede Conturfeder
selbstständig variiren kann, und zwar in den allerverschiedensten
Richtungen, in Farbe, Gestalt, Grösse und im feineren Bau.
Es scheint allerdings, wie früher schon hervorgehoben
wurde, dass dem gegenüber die inneren Organe bei Weitem
nicht so speciell vom Keim aus bestimmt werden, dass hier
also die Determinanten grössere Zellbezirke beherrschen, wie
das oben gegebene Beispiel der Blutkörperchen und der Darm-
epithelzellen beweist. Dennoch wird die Zahl der Determi-
nanten des Keimplasma’s bei den höheren Thieren eine enorme
und der Zweifel erscheint berechtigt, ob denn auch diese Masse
von Biophoren, deren wir für ein Id des Keimplasma’s bedürfen,
in den Raum eines solchen hineingehen?
Die Rechnung giebt — wie wir gesehen haben — keine
genügende Antwort. Nehmen wir aber einmal an, wir besässen
sicherere Daten für die Zahl der Determinaten einer bestimmten
Art und die Grösse ihres Id’s, und es ergäbe sich, dass bei Zu-
grundelegung von Determinanten aus je fünfzig Biophoren und
von Biophoren aus je tausend Molekülen oder irgend andern
willkürlich gewählten Zahlen und der Durchschnittsgrösse eines
Moleküls von ein halb Millionstel Millimeter der Raum eines
Id’s nicht ausreicht für ihre Unterbringung, was würde daraus
folgen? Ich glaube nichts Anderes, als dass wir eine oder
mehrere dieser Werthe zu gross angenommen haben. Die De-
terminantenlehre könnte dadurch nicht erschüttert werden, denn
kleinste Theilchen müssen im Keimplasma vorhanden sein für
[121] jedes selbstständig veränderbare und vererbbare Element des
Körpers. Ich halte es deshalb für unfruchtbar, genauere
Abschätzungen der Determinaten-Zahlen bestimmter Arten zu
versuchen und durch Rechnung diese Grundanschauung zu
stützen. Dieselbe ist in jedem Falle richtig, mag im Übrigen
auch unsere Vorstellung vom Bau des Keimplasma’s eine sehr
unvollkommene sein.
Dies ist es, was ich mit dem Versuch einer Berechnung
habe zeigen wollen. Das Keimplasma ist ein unendlich fein
zusammengesetzter Organismus, ein Mikrokosmus im wahren Sinn,
in welchem jeder selbstständig variable Theil, der in der ganzen
Ontogenese vorkommt, auch durch ein lebendes Theilchen ver-
treten ist, und in welchem jedes dieser Theilchen seine bestimmte
vererbte Lage, Zusammensetzung und Vermehrungsgeschwindig-
keit hat. Eine Evolutionstheorie in diesem Sinne
scheint mir die einzig mögliche zu sein. Es sind keine
Abbilder der fertigen Theile, welche das Keimplasma zusammen-
setzen, es sind nicht einmal Theilchen, welche ausschliesslich für
die Bildung der entsprechenden Theile des fertigen Körpers
vorhanden sind. Ein jedes von ihnen (den Biophoren und De-
terminanten) nimmt vielmehr an vielen andern der vorher-
gehenden Entwickelungsstadien auch einen gewissen und zwar
bedeutsamen Antheil, indem es die Architektur jeder Id-Stufe
mit bestimmen hilft und somit auch die weitere ontogenetische
Zerlegung und Vertheilung der Determinanten auf die weiteren
Zellenstufen. Gerade darauf beruhen die tieferen Unterschiede
im Bau der Organismen. Es sind Theilchen, von deren Be-
schaffenheit die Beschaffenheit des correspondirenden Theils des
fertigen Körpers abhängt, sei dieser eine Zelle oder deren
mehrere oder viele. Über die Annahme solcher Theilchen kann
keine Vererbungs-Theorie hinwegkommen und sie allein be-
dingt schon eine beinahe unfassbare Complicirtheit der Archi-
[122] tektur des Keimplasma’s. Sobald wir weniger kleinste Theilchen
in seinen Bau eingehen lassen, als erblich selbstständig variable
Körpertheile da sind, müssen von der Veränderung eines solchen
Theilchens mehrere kleinste Körpertheile gleichzeitig verändert
werden, d. h. die Zahl der Determinaten fällt dann in der
Theorie zu klein aus.
[[123]]
Zweites Buch.
Die Vererbung bei einelterlicher
Fortpflanzung.
In den folgenden Abschnitten sollen solche Vererbungs-
Erscheinungen untersucht werden, welche sich nicht unmittelbar
schon aus der bis jetzt dargelegten Zusammensetzung des Keim-
plasma’s ergeben, welche aber andrerseits denkbar wären auch
ohne dass eine geschlechtliche Fortpflanzung schon bestünde.
Es wird die Erreichung klarer Ergebnisse wesentlich erleichtern,
wenn bei diesen Erscheinungen der Regeneration verloren
gegangener Theile, der Vermehrung durch Theilung und
durch Knospung, der Hervorbringung einzelliger Keime
und der Continuität des Keimplasma’s die Untersuchung so
geführt wird, als ob diese Erscheinungen an Organismen ihren
Ablauf nähmen, die sich rein ungeschlechtlich fortpflanzten
und von jeher fortgepflanzt hätten. Wenn dann später die
Complicationen festgestellt worden sind, welche durch das Ein-
greifen geschlechtlicher Fortpflanzung an dem Vererbungs-Apparat
gesetzt werden, so wird es leicht sein, dieselben auch auf alle
diese Vererbungs-Erscheinungen zu übertragen.
[124]
Capitel II.
Die Regeneration.
1. Die idioplasmatische Grundlage derselben.
Die Fähigkeit, verloren gegangene Theile mehr oder weniger
vollständig wieder zu ersetzen, ergiebt sich nicht ohne Weiteres
allein schon aus der angenommenen Structur des Keimplasma’s.
Aus dieser geht nur hervor, dass alle Theile, die zum ganzen
Bion gehören, einmal, nämlich bei der Entwickelung aus dem
Ei zur Bildung gelangen, nicht aber, dass einzelne von ihnen,
wenn sie durch irgend welche äussere Einwirkungen verloren
gegangen sind, noch einmal vom Organismus hervorgebracht
werden können. Die Determinanten des betreffenden Theils
sind bei der Ontogenese aus der thierischen Eizelle in die
Furchungszellen, aus diesen in die späteren Embryonalzellen
und schliesslich in diejenigen Zellen übergegangen, welche den
betreffenden fertigen Theil selbst zusammensetzen. Wird dieser
Theil gewaltsam entfernt, so sind nach dem, was bisher von
den Onto-Stadien des Idioplasma’s angenommen wurde, auch
die Determinanten desselben aus dem Organismus entfernt, und
es fragt sich also, wie es zu erklären sei, dass dennoch der
Theil sich wieder neu bilden kann.
Dass die Fähigkeit zur Regeneration von der Natur ein-
gerichtet werden musste, falls sie überhaupt möglich war, be-
greift sich, denn ihre biologische Bedeutung liegt auf der
Hand. Das Vermögen, verloren gegangene kleinere oder grössere
Theile wieder zu ersetzen, muss dem betreffenden Bion in allen
Fällen nützlich, in vielen aber sogar zum Weiterleben unent-
behrlich sein.
Mit Recht zählt A. Lang1) das Regenerationsvermögen
[125] der Thiere geradezu zu den „Schutzeinrichtungen“, welche
die Art mit vor dem Untergang bewahren. Für zahlreiche
niedere Thiere, besonders Polypen und Würmer ist die Fähig-
keit, ihren durch den Biss eines Feindes verstümmelten Körper
wieder völlig herzustellen, ein werthvollerer Schutz für den Be-
stand der Art, als Schalen, Stacheln, Gifte und Waffen aller
Art und selbst als sympathische Färbungen, die sie ihren Feinden
unsichtbar machen sollen. Denn alle diese Einrichtungen schützen
wohl gegen viele Feinde und viele Angriffe, aber niemals gegen
alle, und jedenfalls wird die Fähigkeit, erlittene Substanz-Ver-
luste wieder zu ersetzen stets äusserst werthvoll sein. Dies
darf man nicht vergessen, wenn man über den Ursprung der
Regenerationskraft Etwas auszumachen beabsichtigt.
Bedenkt man diese ungemein hohe biologische Bedeutung
der Regeneration, so wird man sich über ihre weite, ja, man
darf sagen, allgemeine Verbreitung in der Thierwelt nicht
wundern und man wird es begreifen, dass dieselbe sogar in
den normalen Verlauf des Lebens mit hereingezogen ist,
dadurch, dass die Funktion gewisser Organe auf ihre fort-
währende Zerstörung und eine dieser parallellaufenden Regene-
ration basirt ist. Hier ist der Feind, der das Leben der Zelle
zerstört, kein äusserer, sondern der Lebensprocess selber; es
ist die „physiologische Regeneration“, von der ich rede.
Die Histologie hat noch nicht abgeschlossen mit den Unter-
suchungen darüber, welche Gewebezellen bei den höheren
Thieren durch den Gebrauch während des Lebens abgenützt
werden und deshalb immer wieder ersetzt werden müssen, allein
für viele Fälle steht es doch fest, dass eine Abnützung der
Gewebezellen fortwährend stattfindet, und dass das Leben nicht
weitergehen könnte, wenn nicht fortwährend ein Ersatz von
Zellen stattfände. So verhält es sich bei der Epidermis der
höheren Wirbelthiere, bei den Geweben der Fingernägel des
[126] Menschen, den Blutzellen, den Haaren und Federn, den Krallen
und Hufen, den Deckepithelien auf den Flächen der Athem-
wege, auch bei dem Geweih der Hirsche u. s. w. In allen diesen
Fällen findet normaler Weise continuirlich oder periodisch eine
Abnutzung und Abstossung von Zellengruppen statt, deren con-
tinuirlicher oder periodischer Wiederersatz ebenfalls zu den
normalen Funktionen des Körpers gehört und also vor-
gesehen ist.
Die theoretische Erklärung der einfachsten dieser Fälle
von physiologischer Regeneration ist unschwer zu geben. So-
bald das sich abnützende und stets wieder ergänzende Gewebe,
z. B. die Epidermis des Menschen, nur aus einer Art von
Zellen besteht, wird dazu Nichts nöthig sein, als dass nicht
alle Zellen, welche das Gewebe bilden, zu gleicher Zeit ab-
gängig werden, dass vielmehr mehrere Altersstufen derselben
gleichzeitig vorhanden sind, und dass die jüngsten unter be-
stimmten Ernährungs- und Druck-Einflüssen stets jung und
vermehrungsfähig bleiben, so dass sie einen Grundstock bilden,
von welchem der nothwendige Ersatz für die alternden Zellen
fortwährend abgegeben werden kann. Hier wird also durch den
Verlust an abgängigen Zellen nicht zugleich der ganze Vor-
rath an Determinanten dieser Art aus dem Körper entfernt,
denn die zurückbleibenden jungen Zellen enthalten diese Deter-
minante. Bei der Epidermis des Menschen bildet das sogen.
Rete Malpighi, oder die „Schleimschicht“ diesen Grundstock,
von welchem, als der tiefsten Lage der Oberhaut immer neue
junge Zellen durch Theilung gebildet werden und in dem
Maasse altern, als sie mechanisch in die obern Schichten empor-
geschoben werden, während die tiefsten immerfort aus jungen
und theilungsfähigen Zellen fortbestehen.
Wir brauchen hier keine besondere theoretische Annahme
zu machen, als die einer auf viele Generationen von Zellen
[127] hinaus vorgesehenen Vermehrungsfähigkeit der ersten, die Epi-
dermis constituirenden Zellen. Dass die Normirung der Ver-
mehrungskraft einer Zelle ihren Sitz im Idioplasma derselben
hat, muss angenommen werden, weil die Vermehrungskraft und
-Schnelligkeit mit zu den wesentlichen Eigenschaften einer Zelle
gehören und weil diese — wie wir gesehen haben — durch
die Kernsubstanz bestimmt werden. In welcherlei Eigenschaften
des Idioplasma’s aber der Grad und das Tempo der Vermehrungs-
fähigkeit liegt, können wir heute nicht einmal ahnen. Wir
müssen uns damit begnügen, den ersten, die Epidermis bilden-
den Zellen des Embryo ein Idioplasma zuzuschreiben, welches
auf eine bestimmte Vermehrungskraft normirt ist, die dann all-
mälig abnimmt, und können im Übrigen sagen, dass dieses
Idioplasma während des Lebens seine Constitution beibehält,
d. h. dass in dem sich erhaltenden Grundstock jugendlicher
Zellen immer wieder dieselbe Determinante der betreffenden
Epidermis-Stelle enthalten ist. Die Regeneration beruht einfach
auf einer gesetzmässig geregelten Vermehrung dieser Zellen mit
Epidermis-Idioplasma.
Nicht überall auf der Haut des Menschen ist die Epidermis
von der gleichen Beschaffenheit; an der Volarfläche des Fingers
ist sie anders, als an der Dorsalfläche und dort wieder anders
an den zwei ersten Gliedern, als am Nagelglied. Für die
theoretische Erklärung der Regeneration macht dies keine
Schwierigkeit, die Determinanten der verschiedenartigen Stellen
müssen dann etwas verschieden sein. Auch da, wo zwei oder
mehrere Verschiedenheiten dicht nebeneinander liegen, erklärt
sich die Beibehaltung dieser Grenzen während der ununter-
brochen stattfindenden Regeneration einfach dadurch, dass die
verschiedenen Bezirke des Gewebes von Bildungszellen mit ver-
schiedenen Determinanten aus regenerirt werden.
In ganz derselben Weise, wie in den bisher erwähnten
[128] Fällen physiologischer Regeneration erneuen sich auch viele
Gewebe selbst der höchsten Thiere, wenn sie abnormen Sub-
stanzverlust erlitten haben. So können verloren gegangene
Stücke eines Muskels, eines Decken-Epithels, eines Stückes vom
Epithel eines Drüsenganges, eines Knochens bei den Säuge-
thieren sich durch zellige Elemente derselben Art wieder er-
setzen, und die heutige pathologische Anatomie hat es nahezu
sicher festgestellt, dass alle solche Regenerationsvorgänge stets
von den Zellen des Gewebes selbst ausgehen, welches ersetzt
werden soll. Diese Gewebezellen behalten also die Fähigkeit,
sich durch Theilung zu vermehren, sie treten aber nur auf ge-
wisse äussere Anregungen hin, vor Allem auf Substanzverluste
in ihrer unmittelbaren Umgebung hin in Vermehrung. So
proliferiren die Epithelzellen um einen Defekt des Epithels
herum, und im verletzten Muskel vermehren sich die Muskel-
kerne und formen das sie einhüllende Protoplasma zu Zellen
um, welche spindelförmig auswachsen und zu Muskelfasern
werden. In beiden Fällen ist es nur die Fähigkeit der Ver-
mehrung, welche man dem Idioplasma der betreffenden Zellen
zuzuschreiben hat und welche ausgelöst wird durch den Reiz
des Substanzverlustes, oder wie die moderne Pathologie1) sagt:
„durch Aufhebung der Wachsthumswiderstände“. Also auch
in diesen einfachsten Fällen abnormen Verlustes bildet der
übrigbleibende Rest des betreffenden Gewebes einen Grundstock
von Determinanten, von welchem aus Ersatz stattfinden kann.
Verwickelter wird der Vorgang, sobald ein Gewebe von
complicirterem Bau regenerirt werden soll. So regenerirt sich
die gesammte Epidermis sammt Schleimdrüsen und Haut-
sinnesorganen bei den Amphibien nach den Untersuchungen
[129] von Fraisse von den dem Defekte benachbarten Zellen der Epi-
dermis aus. Auch hier sind es die tieferen, noch unverhornten
Schichten der Epidermis, welche das Material für den Wieder-
aufbau liefern. Nicht alle neu entstandenen Zellen aber liefern
dasselbe Gewebe; die Hauptmasse derselben zwar bildet die
geschichtete Epidermis selbst, andere aber „schliessen sich zu
perlförmigen Zellgruppen in der Tiefe der Epidermis aneinander
und gruppiren sich um einen idealen Mittelpunkt“. „Dann
wandern von der Cutis her Bindegewebszellen ein und schnüren“
diese zehn bis zwanzig Zellen von der Epidermis ab. „Zu-
gleich wandern auch Pigmentzellen dazwischen und endlich ent-
stehen die glatten Muskeln“.1) Ganz ähnlich bilden sich auch
neue Hautsinnesorgane; auch hier ballen sich im tieferen Theil
der neugebildeten Epidermis eine Anzahl von jungen Zellen
zu einem rundlichen soliden Haufen zusammen, die Zellen
strecken sich dann in die Länge, senkrecht auf die Oberfläche
der Haut und nun differenziren sich die in der Mitte liegenden
unter ihnen zu den Sinneszellen, die peripheren dagegen zu den
„Mantelzellen“.
Man sieht, der Vorgang ist hier dadurch complicirt, dass
aus den jungen Epidermiszellen, welche durch Wucherung der
schon vorhandenen neu entstanden sind, verschiedene Zellarten
hervorgehen: gewöhnliche Epidermiszellen, Drüsenzellen, Sinnes-
zellen und Schutzzellen für die Sinneszellen (Mantelzellen), und
dass diese sich in ganz bestimmter, gewissermassen vorgeschrie-
bener Weise anordnen und lokalisiren. Offenbar kann man nicht
annehmen, dass die Bildungszellen, aus welchen diese verschie-
denen Zellenarten hervorgehen, wirklich identisch wären, wenn
Weismann, Das Keimplasma. 9
[130] sie uns auch so erscheinen. Es kann unmöglich blos von
äusseren Einwirkungen abhängen, ob sich eine derselben später
zur Drüsen-, Horn- oder Sinneszelle umgestaltet, und zwar schon
deshalb nicht, weil eine so regelmässige und lokalisirte Ver-
schiedenheit äusserer Einwirkungen nicht angenommen werden
kann. Die verschiedene Differenzirung der Bildungszellen muss
also von ihrem eigenen Wesen abhängen, d. h. von den De-
terminanten, welche in ihnen — bisher in latentem Zustand —
enthalten waren und welche nun gereift sind und der Zelle
einen specifischen Charakter aufprägen. Diese Bildungs-
zellen müssen von vornherein verschiedene Determi-
nanten enthalten.
Fraisse vergleicht die sichtbaren Vorgänge bei der Re-
generation der Amphibienhaut mit denjenigen bei der Embryo-
genese und findet beide im Wesentlichen gleich. So werden
wir berechtigt sein, auch das, was man nicht sieht, die trans-
mikroskopischen Vorgänge im Idioplasma, als homolog den
embryonalen uns vorzustellen.
Wir gelangen dann zu der Annahme, dass in der sog.
„Schleimschicht“ der Epidermis eine Zellenmasse aufgeschichtet
liegt, welche zwar dem Aussehen nach nur von einerlei Art
ist, gerade wie die Embryonalzellen, welche die erste Anlage
der Haut bilden, welche aber dennoch verschiedene Determi-
nanten enthalten müssen. Ob die drei Determinanten-Arten,
welche hier in Betracht kommen, in den Bildungszellen noch
vereinigt beisammen liegen und sich erst auf besondere Zellen
vertheilen, wenn die Regeneration einsetzt, oder ob sie von vorn-
herein schon auf besondere Zellen verteilt sind, lässt sich kaum
sagen; Beides ist denkbar. Wir können also annehmen, dass
das Lager junger Zellen aus solchen mit Drüsen-Determinanten,
aus anderen mit Hornzellen- und aus solchen mit Sinneszellen-
Determinanten bestehen, und zwar von vornherein in einem
[131] bestimmten Mischungsverhältniss und einer bestimmten topo-
graphischen Anordnung.
Ganz dieselben Annahmen sind auch für die Embryogenese
erforderlich. Wenn z. B. die Sinnesorgane der Seitenlinie bei
Fischen und Amphibien sich eben nur auf den Seitenlinien und
ihren Verzweigungen vorfinden, so müssen wir annehmen, dass
beim embryonalen Aufbau der Epidermis die Spaltungen des
Idioplasma’s der Ektoderm-Zellen derart vor sich gehen, dass
nur in den Seitenlinien und auch dort nur an bestimmten
Stellen Zellen mit den Determinanten jener Sinnesorgane zu
liegen kommen. Wenn nun nicht alle diese Sinnes-Bildungs-
zellen sofort zur Entwickelung gelangen, wenn vielmehr einige
von ihnen in der Nachbarschaft, nämlich in dem tiefen Lager
jugendlicher Zellen, unentwickelt harren, bis die Nothwendigkeit
einer Regeneration an sie herantritt, so können wir es im Princip
verstehen, warum bei der Regeneration eine ähnliche topo-
graphische Anordnung und ein ähnliches numerisches Verhältniss
der Sinnesorgane und der übrigen Epidermis-Elemente sich
herstellt, wie beim primären Aufbau der Oberhaut im Embryo.
Dass bei einer solchen Regeneration das Idioplasma der
Zellen nicht ganz allein entscheidet über das, was geschehen
soll, zeigt sich schon darin, dass der Eintritt regenerativer
Zellenvermehrung von dem Eintritt eines Substanzverlustes ab-
hängt, und dass Stillstand der Zellwucherung eintritt, sobald
der Defekt ausgefüllt ist. Der Reiz zu weiterer Proliferation
der Zellen hört damit auf. Immerhin ist damit nur eine sehr
unbestimmte Einsicht in die Ursachen der Selbstbegrenzung des
regenerativen Vorganges gegeben und wir werden bald sehen,
dass bei verwickelteren Regenerationen diese Erklärung nicht
ausreicht, vielmehr noch andere regulirende Faktoren angenommen
werden müssen, die nicht ausserhalb, sondern innerhalb der
thätigen Zellen liegen.
9*
[132]
Es ist bekannt, dass bei den Salamandern die Beine
wieder wachsen, wenn sie abgeschnitten werden, und wir
verdanken vor Allem den Untersuchungen Götte’s1) und
Fraisse’s2) eine recht genaue Kenntniss der betreffenden Re-
generations-Vorgänge. Die Untersuchungen beider Forscher
stimmen darin überein, dass die Neubildung des Beines nach
demselben Typus vor sich geht, wie die erste Bildung desselben
in der Embryogenese, d. h. die einzelnen Theile und Abschnitte
der Extremität legen sich in derselben Reihenfolge an, wie
beim Embryo und aus ähnlichem Zellmaterial. Wir hätten also
hier, wie bei Regeneration der Oberhaut, eine palingenetische
Form der Regeneration vor uns.
Gehen wir dabei von dem wenigstens für Wirbelthiere
gültigen Gesetz aus, dass jedes specifische Gewebe nur seine
eigenen specifischen Gewebezellen durch Regeneration hervor-
bringen kann, so wird es möglich, einen einzelnen Gewebetheil
der Extremität allein und für sich in Bezug auf die Theorie
der Regeneration zu prüfen, z. B. das Knochensystem der-
selben. Gerade für dieses steht es fest, dass seine Regeneration
stets nur vom verletzten Knochen resp. seinem Periost ausgeht.
Ist kein Knochen verletzt worden, ist z. B. die Extremität aus
dem Schultergürtel heraus exartikulirt worden, so erfolgt keine
Knochen-Neubildung. Wenn nun auch ein Aufeinander-Wirken
der verschiedenen Gewebearten, welche zur Regeneration des
ganzen Gliedes gehören, besonders durch Druck, nicht entfernt
in Abrede gestellt werden soll, so ist doch klar, dass die Ent-
stehung der Knochen lediglich vom alten Knochen abhängt,
[133] nicht nur in Betreff der Qualität des Gewebes, sondern auch
in Betreff des Volumens und der Gestalt des neu zu bildenden
Knochengewebes. Diese beiden letzten Punkte sind aber gerade
die wichtigsten, wenn die Neubildung der Knochen des Beines
erklärt werden soll. Dass überhaupt Knochengewebe von den
Zellen des alten Knochens, die Knochenhaut mit eingerechnet,
gebildet werden kann, erklärt sich schon aus dem früher Ge-
sagten; wir bedürfen dazu nur einen Vorrath von proliferations-
fähigen Zellen, welche „Knochen-Idioplasma“ enthalten und
welche durch den Reiz der Verletzung ihrer Umgebung zur
Vermehrung angeregt werden. Dementsprechend konnten wir
die Regeneration der Epidermis erklären. Hier aber handelt es
sich nicht nur um Produktion von Knochengewebe bestimmter
Struktur schlechthin, sondern um Hervorbringung einer
ganz bestimmten Anzahl ganz bestimmt gestalteter, be-
stimmt aneinandergefügter und in bestimmten Grössen-
verhältnissen abgemessener, in bestimmter Reihenfolge
aufeinander folgender Knochenstücke. Welche Voraus-
setzungen müssen wir machen, um einen so bestimmt vor-
geschriebenen und dabei so complicirten Aufbau zu erklären?
Wird einem Wassermolch (Triton) der Oberarm abgeschnitten,
so bildet sich nicht nur das abgeschnittene Stück des Oberarm-
knochens, sondern auch die beiden Vorderarmknochen, sämmt-
liche Handwurzel- und Metakarpalknochen und die vier Finger-
knochen wieder neu, und diese Letzteren gliedern sich wieder
in genau so viele Stücke, als jedem derselben zukommt. Man
sollte meinen, es könne eine so complicirte Bildung nicht ledig-
lich von dem Zusammenwirken wuchernder Zellen zu Stande
gebracht werden, es müsse eine unsichtbare Oberleitung, ein
Spiritus rector, eine Vis formativa, über ihnen stehen und ihre
Vermehrung und Aneinanderlagerung leiten. Dennoch nehmen
wir an — und wohl mit Recht —, dass etwas Derartiges nicht
[134] existirt und dass die complicirten Bildungen der lebenden Wesen
allein von den Kräften ausgehen, welche in den einzelnen Zellen
ihren Sitz haben.
Für die Embryogenese lässt sich das auch einigermassen
begreifen, wenn wir auf dem oben bei der Besprechung der
Ontogenese dargelegten Princip der stufenweisen Umwandlung
des Idioplasma’s fussen. Dieselbe lässt sich für die Knochen-
kette der vorderen Extremität etwa folgendermassen schematisch
zurechtlegen.
Wenn das Vorderbein eines Triton anfängt hervorzuwachsen
als ein kleiner stumpfer Höcker auf der Haut, so besteht es
aus die Zellen zweier Embryonalblätter: des äusseren und des
mittleren Blattes. Das erstere und derjenige Theil des zweiten,
welcher die Cutis bildet, können hier zunächst ausser Acht ge-
lassen werden; sie bilden zusammen die Haut. Die übrigen
Zellen des Mesoderms aber bilden zu dieser Zeit eine Masse,
in welcher eine Differenzirung noch nicht stattgefunden hat,
wie denn auch die einzelnen Zellen sich dem Aussehen nach
nicht irgendwie principiell unterscheiden. Nichtsdestoweniger
müssen dieselben den Anlagen nach, welche sie enthalten, sehr
verschieden sein, denn einige von ihnen werden später zu Muskeln,
andere zu Bindegewebe, andere zu Gefässen u. s. w., und noch
andere zu Knochen. Es müssen also in diesen verschieden be-
anlagten Zellen verschiedene Determinanten enthalten sein, welche,
wenn sie im Laufe der weiteren Zelltheilungen in den späteren
Generationen zur Herrschaft über die Zelle gelangen, ihr den
Charakter der Muskel-, Bindegewebs- oder Knochenzelle aufprägen.
Jede dieser Zellen-Arten muss auch von vornherein in einer
ganz bestimmten Zahl und Lage vorhanden sein.
Verfolgen wir dies nun an einem Organsystem, den
Knochen, weiter und nehmen der Einfachheit halber nur eine
einzige Knochen-Bildungszelle in der ersten Anlage des Beines
[135] an, so würde in dieser also die ganze Kochenkette des Beines
virtuell enthalten sein, und wir müssten ihr ein Idioplasma
zuschreiben, welches nicht nur die Zellen-Nachkommen be-
stimmter Generationen zu knochenbildenden Zellen stempelt,
sondern welches auch die ganze Succession knochenbildender
Zellen nach Quantität, Qualität und gegenseitiger Anordnung,
ja auch nach dem Rhythmus bestimmt, nach welchem die
Theilungen einander zu folgen haben. Denn von letzterem
Punkt möchte es wohl wesentlich mit abhängen, wo eine Unter-
brechung in der Continuität eines Knochenstückes eintritt, wo
also die Grenze zwischen zwei Gliedern der Knochenkette zu
liegen kommt.
Wir werden also der ersten Ur-Knochenzelle des Beines ein
Idioplasma zuschreiben müssen, dessen Zusammensetzung alle
diese Sequenzen bedingt, ein Idioplasma, welches die De-
terminanten für alle folgenden Knochenzellen enthält.
Wenn wir die thatsächlichen Verhältnisse, bei welchen es sich
um Hunderte und Tausende von Zellen handelt, in unendlicher
Verkürzung zusammenziehen und einen Zellenstammbaum will-
kürlich erfinden, dessen realer Zusammenhang jedenfalls ein
ganz andrer ist, so können wir etwa zu nebenstehendem Schema
gelangen.
Die Kreise in Figur 3 bedeuten je eine Stammzelle des
betreffenden Knochenstückes, von denen jede der Einfachheit
halber als durch eine Determinante bestimmt gedacht wird.
Also die Urzelle der ganzen Knochenkette würde durch die
Determinante 1 bestimmt, enthielte aber daneben noch in ihren
Iden die Determinanten 2—35. Bei der ersten Zelltheilung trennen
sich diese in die Stammzelle des Oberarms (Humerus) und des
Vorderarms sammt Hand. Erstere enthält die Determinanten 2
und von ihr ist hier die weitere Theilung in Zellen angedeutet
mit den Determinanten 2a—2x, Letztere enthält die übrigen
[136] Determinanten 3—35, die sich nun bei jeder weiteren Zelltheilung
in immer kleinere Gruppen spalten, bis zuletzt jede Zelle nur
noch je eine Determinante enthält. Das Schema giebt nur
ungefähr die Knochenstücke der vorderen Extremität wieder,
die einzelnen Handwurzelknochen sind weggelassen.
Wenden wir uns nun zur Frage der Regeneration.
Wenn jede Zelle des fertigen Knochens nur dasjenige Idio-
plasma in sich enthielte, welches sie beherrscht, welches also
der molekülare Ausdruck ihrer eignen Natur ist, so wäre nicht
abzusehen, wieso eine Regeneration des Knochens stattfinden
könnte, welcher z. B. in seiner Längsmitte durchgeschnitten
[137] worden ist. Gesetzt auch, es würde durch die Verletzung ein Reiz
auf die Zellen des Stumpfes ausgeübt, der sie zur Vermehrung
zwänge, so würde dadurch zwar wohl Knochenmasse, aber nie-
mals ein Knochen von bestimmter Gestalt und Grösse entstehen
können. Dies kann nur dann geschehen, wenn die proliferirenden
Zellen ausser ihrer aktiven Determinante noch einen Vorrath
von den Determinanten besitzen, welche die fehlenden und jetzt
neu zu bildenden Knochen bestimmen. Es leuchtet also ein,
dass wenn wir den Nisus formativus Blumenbach’s in die
Zelle und zwar in deren Idioplasma verlegen wollen, wir die
Annahme machen müssen, es enthalte jede der zur Regeneration
befähigten Zellen noch ein „Neben-Idioplasma“ neben seinem
Haupt-Idioplasma, welches aus den Determinanten der von ihr
aus regenerirbaren Theile besteht. So müssen z. B. die Zellen
des Oberarmknochens ausser der sie beherrschenden Determi-
nante 2 noch die Determinanten 3—35 als Neben-Idioplasma ent-
halten, weil von ihnen aus die ganze Knochenkette des Vorder-
arms neu gebildet werden kann; die Zellen des Radius müssen die
Determinanten 4—20 als Neben-Idioplasma enthalten, da von
ihnen aus der radiale Theil der Handwurzel, Mittelhand und
der Finger neu gebildet werden kann.
Diese theoretische Forderung kann auch als wohl erfüllbar
angesehen werden, insofern das geforderte Neben-Idioplasma
bei der ersten Anlage des gesammten Organs sehr wohl von
dem sich zerlegenden embryonalen Idioplasma abgespalten werden
kann. Unserer Annahme gemäss sind die einzelnen Determi-
nanten nur im Keimplasma einfach vorhanden, sie verviel-
fachen sich um so mehr, je weiter die Ontogenese vorschreitet.
Da nun immer nur die Determinanten solcher Theile für das
Neben-Idioplasma gefordert werden müssen, welche später an-
zulegenden Theilen entsprechen, so ist das Material zum Neben-
Idioplasma immer vorhanden und wir brauchen nur die Annahme
[138] zu machen, dass sich bei jeder Abspaltung einer Stammzelle
irgend eines Knochenstücks zugleich ein Theil der für die
Folgestücke bestimmten Determinanten als Neben-Idioplasma
abspalte und nun inaktiv in der Kernsubstanz der Zelle ver-
harre, bis eine Ursache zur Regeneration eintritt.
Ich bezeichne diese Gruppe von Determinanten als Neben-
Idioplasma und seine Determinanten als Ersatz-Determi-
nanten. Man wird sich vorstellen dürfen, dass diesselbe eine
besondere, wenn auch sehr kleine Gruppe neben dem in sich
geschlossnen Id bilden, welches die betreffende Zelle bestimmt.
Dasselbe, was für die Knochenkette des ganzen Armes
möglich ist, wird auch für jeden einzelnen Knochen angenommen
werden können. Die Regeneration des in seiner Mitte durch-
geschnittenen Humerus wird so zu erklären sein, dass jeder der
zur Regeneration fähigen Zellen ein Neben-Idioplasma bei-
gegeben ist, welches die Determinanten der distalwärts liegenden
und von dieser Zelle aus zu bildenden Zellen enthält, und auch
hier wird die Möglichkeit hierzu, d. h. das Determinanten-
Material, vorhanden sein; es kommt nur darauf an, dass bei
jeder differentiellen Zelltheilung eine gewisse Anzahl der später
zur Reifung gelangenden Determinanten sich von den übrigen
abspaltet und in der einen Zelle als Neben-Idioplasma zurück-
bleibt. Gewiss ist diese Mechanik der Regeneration eine sehr
verwickelte, denn jeder einzelne Knochen wird nicht durch eine,
sondern durch zahlreiche von einander abweichende Determi-
nanten bestimmt, und es scheint, dass alle diese Special-Determi-
nanten in den Neben-Idioplasmen enthalten sind. Wenigstens
stellen sich die Knochen bei der Regeneration auch in ihren
Einzelheiten ziemlich genau wieder her, soweit dies aus den
bisherigen Untersuchungen zu entnehmen ist. Die Complication
des Mechanismus wird, wie ich glaube, auch die Ursache sein,
warum dieselbe vordere Gliedmasse, welche beim Salamander
[139] noch so starke Regenerationskraft besitzt, bei den höheren
Wirbelthieren dieselbe ganz verloren hat; der Mechanismus wäre
dort allzu verwickelt geworden.
Ein einfacherer Mechanismus, als der hier angenommene,
lässt sich nur dann ausdenken, wenn man mit Herbert Spencer1)
jeder der „Einheiten“, welche den Körper zusammensetzen, das
Vermögen zuspricht, sich je nach Bedürfniss zu jedem gerade
nothwendigen Organ zusammenzuordnen. Man muss sich dann
das ganze Thier als einen Krystall vorstellen, in dessen ein-
zelnen Theilchen „das Vermögen schlummert, sich in die Form
dieser Art umzugestalten, gerade wie in den Molekülen eines
Salzes die innere Fähigkeit schlummert, nach einem bestimmten
System zu krystallisiren“. Der Unterschied zwischen den Krystall-
theilchen und denen des Organismus ist nur immer der, dass
die ersteren untereinander gleich sind und bleiben, dass die
letzteren aber sich sehr verschiedenartig zusammenordnen müssen,
um Regeneration zu ermöglichen, je nachdem ein ganzes Bein,
oder ein ganzer Schwanz, oder Kiemen, oder aber blos eine
Zehe, oder blos Vorderarm und Hand wieder ersetzt werden
sollen. Wer zeigt den „Einheiten“ an, was fehlt, und wie sie
sich diesmal anzuordnen haben? Wir kommen auf diesem
Wege zum Nisus formativus Blumenbach’s zurück. In der
That sagt auch Spencer selbst: „wenn wir bei dem Krystall
annehmen, dass das Ganze über seine Theile eine gewisse Kraft
ausübe, welche die neu integrirten Moleküle zwinge, eine be-
stimmte Form anzunehmen, so müssen wir bei dem Organismus
wohl eine analoge Kraft voraussetzen“. Diese Kraft wäre eben
der Spiritus rector oder Nisus formativus früherer Zeiten und
enthielte keine Spur einer mechanischen Erklärung. Spencer
fügt zwar noch hinzu, diese seine Annahme sei „nicht eine
[140] blosse Hypothese, sondern nur ein verallgemeinerter Ausdruck
der Thatsachen“, und an einer anderen Stelle, es sei zwar wohl
„schwierig“, sich die Regeneration nach Art eines Krystallisations-
Processes vorzustellen, aber „wir sehen, dass es so ist“;
allein gerade dieses muss ich bestreiten. Wir sehen, dass es
manchmal so ist, oder besser, dass es so aussieht, aber wir
sehen auch, dass es häufig nicht so ist. Wären die „Ein-
heiten“ des Körpers fähig, sich unter dem Einfluss des Ganzen
beliebig umzugestalten und zu dem gerade fehlenden Theil zu
krystallisiren, so müssten sie dies bei allen Arten thun können
und bei allen Organen. Dies ist aber gerade nicht der Fall.
Das Bein des Salamanders regenerirt sich, das der Eidechse aber
thut es nicht. Ich werde im speciellen Theil dieses Abschnittes
noch genauer zeigen können, dass Regeneration nicht auf einem
allgemeinen Vermögen des thierischen Körpers, sondern dass
es auf besonderer Anpassung beruht.
Ich will darauf verzichten, auch für die Regeneration eines
einzelnen Knochens, z. B. des Oberarm-Knochens ein Schema
zu entwerfen, aus welchem zu ersehen wäre, welche Ersatz-
Determinanten jeder der den Knochen zusammensetzenden Zellen
beigegeben sein muss, damit Regeneration von jeder Stelle des
Knochens aus erfolgen kann. Das oben gegebene Schema für
den ganzen Arm genügt wohl, um das Erklärungsprincip deut-
lich zu machen, und im Einzelnen ist ja eine Annäherung an
die thatsächlichen Verhältnisse überhaupt nicht zu erreichen, wie
ja schon ein Vergleich der hier angenommenen und der in
Wirklichkeit den Knochen aufbauenden Zellenziffern ergiebt.
Ich habe deshalb auch gar keinen Versuch gemacht, die feineren
Verhältnisse der Histologie mit hereinzuziehen und etwa die
Qualität der zur Regeneration befähigten Zellen, ob es solche
des Periost’s oder des Knochens selbst, ob es alle oder nur
gewisse Zellen sind, zu bestimmen. Es kam hier nur darauf
[141] an, ein Schema zu gewinnen, welches sich auf die wirklichen
Verhältnisse, sobald man sie hinreichend genau kennte, über-
tragen liesse. Es genügt, wenn gezeigt werden konnte, dass
die Regeneration sich aus der Thätigkeit der Zellen selbst be-
greifen lässt, ohne dass man zur Annahme einer unbekannten
gemeinsamen Oberleitung derselben seine Zuflucht nehmen muss.
Der „Nisus formativus“ steigt von seiner bisherigen Höhe als
eine einheitliche, das Ganze beherrschende Kraft herab und zer-
theilt sich in unendlich viele Einzelkräfte oder besser materielle
Theile, von welchen jeder in einer einzelnen Zelle seinen Sitz
hat und derselben ihren Lebensgang vorschreibt, und von welchen
jeder so genau nach seiner Art bestimmt und nach seinem Sitz
vertheilt ist, dass aus dem Zusammenwirken aller ein vernünf-
tiges Ganze, z. B. eine Knochenkette sammt Gelenkkapseln und
Bändern, sammt Muskeln, Nerven, Gefässen, Bindegewebe und
Haut werden muss. Denn es leuchtet ein, dass die Übertragung
des für den Knochen entwickelten Regenerations-Schemas sich
auf alle anderen Theile und Gewebe übertragen lässt. Ohnehin
ist es ja Täuschung und beruht lediglich auf unserm Bedürfniss,
zu scheiden und zu sondern, wenn wir uns den Knochen als
etwas von den übrigen Theilen des Armes völlig Getrenntes
vorstellen. In Wirklichkeit ist er auf seiner ganzen Oberfläche
auf Innigste mit den ihn umgebenden Geweben verbunden, mit
dem Periost, mit dem auf diesem liegenden lockeren Binde-
gewebe, mit zahlreichen Gefässen, die in ihn eindringen, mit
Nerven u. s. w. Ist ja doch die erste Anlage des Armes ein
Haufen Mesoderm-Zellen, an denen sich noch nicht erkennen
lässt, was später aus ihnen wird. Dennoch hängt dies — nach
meiner Ansicht — nicht von ihrer zufälligen Lagerung oder
von sonstigen äusseren Einwirkungen ab, sondern in erster Linie
von ihrer eigenen Natur, d. h. von der Zusammensetzung
ihres Idioplasma’s. Die das Id zusammensetzenden „Determi-
[142] nanten“ bestimmen, was weiter aus dieser Zelle und aus allen
ihren Nachkommen werden soll. Mit der Zusammensetzung
des Id’s sind die weiteren Veränderungen desselben gegeben,
die im Laufe der Zelltheilungen eintreten, die Art und Weise
der Zerlegung der Determinanten in die Ide der Tochterzellen
aller folgenden Generationen.
So können wir es bis zu einem gewissen Grade wenigstens
begreifen, wie es möglich ist, dass aus einem Haufen scheinbar
gleicher Zellen allmälig ein so complicirtes und in seiner Com-
plicirtheit so genau vorgeschriebenes Organ wie ein Arm ent-
stehen kann. Nicht das Aufeinanderwirken der allmälig sich diffe-
renzirenden Zellen ist es, was in erster Linie die Harmonie des
Ganzen bewirkt, sondern die durch das Idioplasma jeder einzelnen
Zelle nach Art und Rhythmus vorgeschriebene Vermehrung und
Veränderung. Der Muskel bildet sich gerade an dieser Stelle
und an keiner andern, weil eine bestimmte Zelle jener scheinbar
gleichen Mesoderm-Zellen der ersten Anlage des Armes die De-
minanten enthielt, welche eine grössere Zahl von Nachkommen
jener Zelle zu Muskelzellen stempeln mussten, und das Id jener
ersten Zelle bedingte einen Rhythmus der Zellvermehrung, der
mit Nothwendigkeit diejenigen Nachkommen derselben, welche
die Muskel-Determinanten enthielten mechanisch gerade nach
der Stelle hindrängten, welche dem betreffenden Muskel in dem
Bau des Armes angewiesen ist.
Es soll damit natürlich nicht gesagt werden, dass äussere
Einflüsse gänzlich bedeutungslos wären für die Ontogenese,
wohl aber, dass dieselben nur eine sekundäre Rolle spielen.
Gewiss wird der Arm krumm wachsen, wenn ein entsprechender
Druck von aussen auf ihn ausgeübt wird. Die wachsenden
Zellen stellen nicht sofort ihre Thätigkeit ein, falls sie nicht
die normalen äusseren Einflüsse erfahren, sie können sich
accomodiren, und gerade die Regeneration gebrochner Knochen,
[143] die Neubildung von Gelenken unter abnormen äusseren Be-
dingungen beweisen, dass sie auch unter recht stark von der
Norm abweichenden Verhältnissen immer noch fortfahren zu
funktioniren, d. h. zu wachsen und zu Organen zu werden.
Diese falschen Gelenke zeigen auch, eine wie starke Anpassungs-
fähigkeit die Zellen besitzen und wie zweckmässig die Organe
immer noch aufallen können, die sie unter abnormen Verhält-
nissen hervorbringen können, aber wenn auch das von Roux1)
entdeckte Princip des Kampfes der Theile, oder wie man es
wohl nennen könnte, der intra-biontischen Selection sicherlich
seine grosse Bedeutung besitzt, so wäre es doch, wie ich glaube,
ein grosser Irrthum, die normale Ontogenese zum grössten Theil
auf dieses Princip zu beziehen. Gewiss finden Druckverhältnisse
zwischen den sich differenzirenden Zellengruppen und Zellen-
massen statt, gewiss schieben sich wuchernde Bindegewebszellen
an einer Stelle zwischen die Knorpelzelle einer Knochenanlage
ein, trennen dieselbe und bilden später das betreffende Gelenk.
Allein diese Wucherung, dieser Druck sind ebenso vorgesehen,
wie das Zurückweichen, oder die Auflösung der an jener Stelle
gelegenen Zellen des primordialen Knorpels. Man könnte glauben,
die sog. „identischen“ Zwillinge des Menschen sprächen gegen
meine Auffassung der Ontogenese, insofern dieselben eben nie-
mals wirklich „indentisch“, sondern immer nur sehr ähnlich sind,
obwohl sie aus einem Ei und ohne Zweifel auch aus einer
Sammenzelle herstammen, folglich das gleiche Keimplasma be-
sitzen. Aber selbst abgesehen davon, dass die absolute Identität
des Keimplasma’s selbst in diesen Fällen nicht erwiesen ist, so
zeigt doch die überaus hochgradige Ähnlichkeit solcher Zwillinge,
einen wie geringen Einfluss die Verschiedenheit äusserer Ein-
wirkungen auf die Ausbildung eines Organismus hat. Wie wunder-
bar genau muss der Weg der Ontogenese vorgeschrieben sein,
wenn er von der Eizelle an durch Tausende von Zellgenerationen
[144] hindurch derart festgehalten werden kann, dass „identische“
Zwillinge dabei herauskommen! Es ist etwa zwei Schiffen zu
vergleichen, die von demselben Punkt ausfahren, denen derselbe
sehr verwickelte Kurs vorgeschrieben ist, zusammengesetzt aus
Tausenden verschiedner, genau bestimmter Kursänderungen, und
die nun unabhängig voneinander dieselbe ferne Küste er-
reichen, noch nicht um die Distanz einer Meile auseinander
weichend.
Wenn man gerade diesen Fall genau erwägt, kann man
nicht zweifelhaft sein über die unfassbar genaue und bestimmte
Kursdirektion, welche der Eizelle in ihrem Idioplasma beigegeben
ist, welche allen den zahllosen Zellgenerationen wieder ihren
Specialkurs vorschreibt, und in welche die äusseren Einflüsse
nur in sehr untergeordneter Weise bestimmend eingreifen können.
Man wird dann auch weniger leicht geneigt sein, dem Theo-
retiker vorzuwerfen, dass er dem Idioplasma des Keimes eine
allzu verwickelte Structur zuertheile. Diese Structur muss
weit verwickelter sein, als wir uns vorzustellen ver-
mögen, und unsere theoretischen Constructionen desselben
bleiben sicherlich ungemein weit hinter der Wirklichkeit zurück.
Man wird dann auch weniger geneigt sein, der hier vorgelegten
Regenerationstheorie den gleichen Vorwurf zu machen. Ver-
wickelte Erscheinungen können unmöglich auf einem einfachen
Mechanismus beruhen. Die Maschinen einer Baumwoll-Spinnerei
lassen sich nicht durch einige einfache Hebel herstellen und ein
Phonograph nicht mit zwei Schwefelhölzchen.
Die bisher betrachtete Form der Regeneration muss als
palingenetische bezeichnet werden, da sie den Weg der
primären oder der embryonalen Genese einhält. Sobald aber
dieser Weg verlassen und ein kürzerer eingeschlagen wird,
werden wir von einer cönogenetischen Regeneration sprechen
dürfen.
[145]
Wahrscheinlich spielen bei der Regeneration complicirter
Theile stets cönogenetische Abänderungen des primären Ent-
wickelungsganges mit hinein, und selbst der bisher als Beispiel
gewählte Fall der Extremitäten-Regeneration wird schwerlich
genau so verlaufen, wie die primäre Entwickelung, wenn er
auch in den hauptsächlichsten Phasen mit dieser zusammenfällt.
Wenn aber auch die blosse Verkürzung der Entwickelung
eines Theils durch Zusammenlegung und andere Spaltung der
Determinanten des Idioplasma’s ohne Schwierigkeit denkbar
ist, so wird der Vorgang der Id-Spaltung doch recht verwickelt,
sobald die primäre Genese nach einem andern Schema erfolgt,
als die sekundäre; denn es müssen dann bei der Regeneration
die Ersatz - Determinanten in anderen Combinationen dem Id
der Zellenfolgen beigegeben werden, als sie in der primären
Genese sich folgen. Offenbar liegt darin aber nur eine grössere
Verwickelung des Vorganges, nicht eine wirkliche Schwierigkeit
für die Theorie.
In allen Fällen von Regeneration muss die Art der Ab-
spaltung von Ersatz-Determinanten schon im Keimplasma irgend-
wie vorbereitet sein. Bei der palingenetischen Form der Re-
generation könnte es scheinen, als ob die Annahme einer blossen
Steigerung der Vermehrungskraft bestimmter Determinanten
genüge, welche dazu führt, dass auf einem bestimmten Onto-
Stadium sich ein Theil einer bestimmten Determinantengruppe
als Neben-Idioplasma abspaltet. Bei der cönogenetischen Re-
generation bleibt aber Nichts übrig, als anzunehmen, dass ge-
wisse Determinanten doppelt oder mehrfach neben einander im
Keimplasma vorhanden sind, von denen die eine für die Em-
bryonal-Entwickelung, die anderen für die Regeneration bestimmt
sind und im Voraus in ihren inneren Kräften, besonders in
ihrer Vermehrungskraft so eingerichtet, dass sie sich allein oder
mit benachbarten „Regenerations-Determinanten“ zusammen auf
Weismann, Das Keimplasma. 10
[146] einem bestimmten Entwickelungsstadium als „Neben-Idioplasma“
abspalten.
Ich glaube indessen, dass auch die palingenetische Re-
generation ohne die Annahme besonderer Regenerations-Determi-
nanten nicht auskommt, da andernfalls die phyletische Ent-
stehung der cönogenetischen Abänderungen der Regeneration
ganz unverständlich blieben. Diese können doch nur auf Varia-
tion einer Determinante des Keimplasma’s beruhen; wenn aber
dort nur die eine für die Embryogenese bestimmte Deter-
minante vorhanden wäre, so müsste die Embryogenese stets
gleichzeitig abändern. Dies ist aber nicht der Fall, folglich
muss eine Art von Doppel-Determinante für regenerationsfähige
Vererbungsstücke (Determinaten) im Keimplasma enthalten sein,
d. h. zwei ursprünglich identische Determinanten, deren eine
für die Embryogenese, die andere für die Regeneration in
Funktion tritt. Beispiele werden dies anschaulich machen.
Bei der Regeneration der Schwanzwirbelsäule bei
den meisten heutigen Amphibien regenerirt sich zwar die
Wirbelsäule selbst, nicht aber ihre embryonale Grundlage die
Chorda. Bekanntlich spielt der Knorpelstrang der Chorda beim
primären Aufbau der Wirbelsäule eine bedeutsame Rolle, um
dann später mehr oder weniger zu verkümmern. Wenn es nun
möglich war, die Wirbel zu regeneriren nach dem Verlust
eines Schwanzstückes, ohne zugleich auch die Chorda zu er-
neuen, so lag darin eine zweckmässige Abkürzung des Regene-
rationsvorganges. Dass dies möglich war, sehen wir, allein
Alles spricht dafür, dass die Chorda in früherer Zeit der
phyletischen Entwickelung regenerationsfähig war
und dass sie diese Fähigkeit erst sekundär verloren hat. Die
Froschlarven regeneriren heute noch ihren Schwanz, wenn
er abgeschnitten wird, sammt seiner Chorda. Man kann
auch nicht annehmen, dass bei den übrigen Amphibien die
[147] Chorda sich deshalb nicht regenerire, weil sie im erwachsenen
Thiere nicht mehr vorhanden sei, denn vollständig fehlt sie nur
bei Wenigen, z. B. bei Salamandrina, und bei den Larven von
Salamandern regenerirt sich die Chorda ebensowenig, wie bei
erwachsenen Thieren. Die Regenerationsfähigkeit der Chorda
ist also bei den meisten Amphibien im Laufe der Phylogenese
verloren gegangen. Ein solcher Vorgang der Rückbildung aber
lässt sich jedenfalls am leichtesten durch die Annahme beson-
derer Regenerations-Determinanten erklären, welche verkümmern
können, ohne dass ihr embryogenetischer Partner an dieser
Rückbildung Theil zu nehmen braucht.
Noch beweisender für die Nothwendigkeit dieser Annahme
sind jene Fälle, wie sie z. B. die Wiederherstellung der festen
Achse des Schwanzes bei Reptilien bietet. Der abge-
schnittene Eidechsenschwanz stellt sich leicht und rasch wieder
her, enthält aber nicht dieselben Theile, die er früher enthielt,
indem das Rückenmark sowohl, als die Wirbelsäule sich nach
den übereinstimmenden Angaben von Leydig und Fraisse
nicht wieder bilden. Wohl aber bildet sich statt des ersteren
eine „als Rückenmark zu deutende Epithelröhre“, die aber keine
Nerven entsendet, und an Stelle der Wirbelsäule ein „unseg-
mentirtes Knorpelrohr“. Dieses Letztere ist, wie Fraisse aus-
drücklich hervorhebt, nicht etwa eine regenerirte Chorda, son-
dern eine Neubildung, ein Substitut dafür.
Hier hat also in Bezug auf die Regeneration eine
phyletische Entwickelung, und zwar im Wesentlichen eine
auf Vereinfachung abzielende Entwickelung stattgefunden. In
ähnlicher Weise, wie ein Schwanz oder irgend ein anderes
Organ eines Thieres im Verlauf der Phylogenese sich allmälig
zurückbilden kann, so hat sich hier die Schwanzwirbelsäule
zurückgebildet, aber nicht für die primäre (embryonale) Onto-
genese derselben, sondern nur für seine sekundäre Entstehung
10*
[148] durch Regeneration. Primär bildet sich eine Wirbelsäule aus;
wird aber durch Verlust des Schwanzes die sekundäre Wieder-
entstehung desselben nöthig, so tritt das zweite, reducirte Ver-
fahren der Achsenbildung in Thätigkeit, und es bildet sich das
blosse Knorpelrohr. Das Verhältniss erinnert an die Erschei-
nungen der „Dichogenie“, wie sie so vielfach bei Pflanzen
vorkommen, wo dieselbe Zellengruppe sich in dieser oder in
jener Weise ausbilden kann, je nachdem dieser oder jener äussere
Reiz auf sie einwirkt. So treiben die Ranken des Epheu an
derselben Seite Wurzeln, wenn sie beschattet ist, Blätter aber,
wenn sie beleuchtet wird u. s. w. Im Thierreich dürfte die Ent-
scheidung über das Geschlecht hierher zu beziehen sein, wenn
man wenigstens annehmen darf, dass nicht immer und überall
schon mit dem Akt der Befruchtung das Geschlecht gegeben
ist, sondern dass darauf auch spätere Einwirkungen noch ent-
scheidend sein können. Wir kennen ja in gewissen parasitischen
Crustaceen, den Cymothoiden, Fälle, in welchen zuerst das männ-
liche Geschlecht sich ausbildet, und das betreffende Thier als
Männchen funktionirt, dann aber die weiblichen Geschlechts-
organe sich entwickeln und dem Thier den Stempel des Weib-
chens aufdrücken. Hier kommen also auch zeitlich nacheinander
erst die eine, dann die andere Entwickelungstendenz zur Geltung,
wie bei der Bildung des Eidechsenschwanzes zuerst die Tendenz
zur Wirbelbildung, dann aber die zur Bildung des dieselbe er-
setzenden Knorpelrohres. Allerdings muss hier der zweite Fall
nicht eintreten, gerade wie beim Epheu-Spross die Wurzelseite
nicht nothwendig später beleuchtet werden und zur Blätterseite
werden muss; die Möglichkeit dazu ist nur von der Natur
vorgesehen. Als erheblicher Unterschied zwischen der Regene-
ration des Eidechsenschwanzes und der Succession von beiderlei
Geschlechtsorganen bei den Cymothoiden könnte geltend gemacht
werden, dass bei Letzteren beiderlei Geschlechtsorgane schon im
[149] Embryo angelegt werden, und dass nur ihre Ausbildung succe-
sive eintritt. Gewiss ist dies ein Unterschied, allein wohl gerade
ein solcher, der uns darauf hinweist, in welcher Weise diese
Fälle des Substitutions-Ersatzes theoretisch zu erklären sein
werden. So wie das Idioplasma der Bildungszellen für Hoden und
Eierstöcke ungleiche Determinanten enthalten muss, so müssen
auch die Zellen des Eidechsenschwanzes, welche das Ersatz-
Knorpelrohr entstehen lassen, andere Determinanten enthalten,
als die embryonalen Bildungszellen der Schwanzwirbelsäule.
Es müssen somit die Ersatz-Determinanten, welche
dem Idioplasma gewisser Wirbelsäule-Zellen behufs
Regeneration beigegeben sind, im Laufe der Phylo-
genese sich verändert haben. Eine solche erbliche Ver-
änderung müsste aber auch die Embryogenese getroffen haben,
falls für beide Bildungsweisen nur ein und dieselbe Determi-
nante im Keimplasma läge. Es muss somit jede Determi-
nante dieser Schwanzwirbelsäule doppelt im Keim-
plasma enthalten sein.
Weiter zu gehen als zu dieser Annahme und etwa zu ver-
suchen, Etwas über die Art und Weise festzustellen, wie die
verschiednen Ersatz-Determinanten, welche zur Herstellung eines
grösseren Theils, z. B. also der Schwanzwirbelsäule erforderlich
sind, sich zusammenfinden und wo sie sich von den primären
Determinanten sondern, wäre verfrüht. Die Regenerationsvor-
gänge sind von den hier aufgestellten Gesichtspunkten aus noch
nicht untersucht worden; man kennt in vielen Fällen nicht
einmal mit Sicherheit die Zellen, von welchen sie ausgehen.
Es wurde bisher die Frage noch nicht näher berührt,
welcher Art Zellen es sind, die die Ersatz-Determi-
nanten enthalten und von denen somit die Regene-
ration ausgeht. Können es beliebige Zellen diesen oder jenen
Gewebes sein, oder sind es stets junge, anscheinend indifferente
Zellen von sog. „embryonalem Typus“?
[150]
Wenn man nur den Menschen und die höheren Wirbel-
thiere im Auge hat, so wird man leicht geneigt sein, die letztere
Antwort für die allgemein richtige zu halten. In der That
schienen noch vor Kurzem viele Schriftsteller dieser Ansicht
zuzuneigen; man stellte sich vor, dass „embryonale“ Zellen
überall in den regenerationsfähigen Geweben enthalten seien,
ja Viele glaubten als solche die Leukocyten ansprechen zu
dürfen. Bekanntlich haben die neuesten Untersuchungen zu
dem Ergebniss geführt, dass dem nicht so ist, dass die weissen
Blutzellen zwar eine bedeutsame Ernährungsrolle bei der Re-
generation spielen können, nicht aber einen formativen Antheil
am Aufbau eines Gewebes haben. Ziegler spricht in seinem
Lehrbuch der pathologischen Anatomie von einem förmlichen
„Gesetz der Specifität der Gewebe“ und versteht darunter den
Satz, dass „die Abkömmlinge der verschiedenen in früher Em-
bryonalperiode sich sondernden Keimblätter immer nur solche
Gewebe zu bilden vermögen, die ihrem Keimblatte zukommen“.
Da nun aber — wie die Brüder Hertwig gezeigt haben —
die Keimblätter der Metazoen keine Primitivorgane im histo-
logischen Sinne sind, da vielmehr bei niederen Thieren von
jedem Keimblatt vielleicht alle überhaupt vorkommenden Gewebe
gebildet werden können, gewiss aber deren mehrere, so wird
dieser Satz wohl nur für die höchsten Wirbelthiere Gültigkeit
beanspruchen dürfen. Bei niederen Thieren können nicht nur
sämmtliche Gewebeformen aus jungen Zellen, die innerhalb eines
Keimblattes liegen, hervorgehen, sondern unter Umständen sogar
die Zellschichten des andern Keimblattes, ja des ganzen Thieres.
In dem Capitel über Theilung und Knospung wird die idio-
plasmatische Wurzel dieses Vermögens aufzusuchen sein. Hier
handelt es sich zunächst nur darum, ob etwa blos jugendliche
Zellen die Determinanten zu verschiedenen Zellenarten, wie sie
für die Regeneration erforderlich sind, in sich enthalten können,
oder auch solche, die schon histologisch differenzirt sind.
[151]
Obwohl nun gewiss in sehr vielen Fällen die „Ersatz-
Determinanten“ jungen Zellen ohne histologisch ausgeprägten
Charakter beigegeben sind, so ist dies doch wohl kaum all-
gemein der Fall. Sowohl bei Pflanzen als bei niedern Thieren
wenigstens kommt es vor, dass histologisch völlig ausgebildete
Zellen sämmtliche Determinanten der Art, d. h. Keimplasma
als Ersatz-Idioplasma in sich enthalten, wie später genauer zu
zeigen sein wird. Es liegt deshalb kein Grund vor, anzunehmen,
dass nicht auch kleinere Determinanten-Gruppen specifischen
Gewebezellen sollten beigegeben worden sein, wo solches noth-
wendig war, wenn ich auch dafür ein bestimmtes Beispiel nicht
anzuführen weiss.
Wenn aber auch die Regeneration in den meisten Fällen
von jugendlichen Zellen ausgehen mag, sog. „Embryonal-
zellen“, so ist es doch ganz irrig, damit die Vorstellung der
Indifferenz solcher Zellen zu verbinden, wie es so häufig ge-
schieht. Diese „Embryonalzellen“ sind nicht etwa Zellen, „aus
welchen noch alles Mögliche werden kann“, sondern jede von
ihnen kann sich nur zu der Zellenart entwickeln, deren Determi-
nante sie enthält. Sie mag unter Umständen mehrere, ver-
schiedene Determinanten zugleich enthalten, die sich dann erst
in späteren Zellgenerationen auf einzelne Zellen vertheilen, aber
das, was aus ihr werden kann und wird, liegt stets in ihr; sie
trägt ihr Schicksal in ihrem Idioplasma und kann durch äussere
Einflüsse nur in sekundärer Weise bestimmt werden. Es giebt
auch Zellen, deren Idioplasma dauernd die Möglichkeit zwei-
facher Entwickelung enthält; diese bereits erwähnte „Dichogenie“
der Pflanzen wird aber ebenfalls vom Idioplasma bestimmt, in-
sofern dieses dann zweierlei Determinanten enthalten wird, von
welchen je eine durch die Art der äusseren, auf die Zellen
wirkenden Einflüsse entweder inaktiv bleibt oder aktiv wird
und die Zelle bestimmt.
[152]
„Embryonalzellen“ aber im Sinne der Autoren giebt es im
fertigen Organismus nicht. Wenn z. B. in der tiefen Schicht
des Ektoderms beim Süsswasserpolypen, der Hydra, junge, histo-
logisch undifferenzirte Zellen liegen, die sog. „intermediären“
Zellen, so kann aus diesen allerdings Mehrerlei werden: ge-
wöhnliche Hautzellen, Nesselzellen, Muskelzellen, vermuthlich
auch Nervenzellen und sicher Geschlechtszellen. Es wäre aber
verkehrt, wollte man glauben, dass eine bestimmte derartige
Zelle eines oder das andere werden könnte. Offenbar ent-
halten diese Zellen entweder Keimplasma, d. h. sämmtliche
Determinanten, und dann können sie sich zu Geschlechtszellen
entwickeln, oder sie enthalten nur die Determinanten der Nessel-
zellen, Nervenzellen u. s. w., [und] dann können sie nur Nessel-
zellen, Nervenzellen u. s. w., niemals aber Geschlechtszellen
werden.
2. Phylogenese der Regeneration.
Aus den Erscheinungen der Regeneration, wie sie uns heute
vorliegen, lässt sich, wie ich glaube, mit Sicherheit ableiten,
dass die Fähigkeit der Regeneration nicht auf einer
primären Eigenschaft des Bion beruht, sondern dass
sie eine Anpassungs-Erscheinung ist.
Man hat wohl allgemein die Regenerationskraft bisher als
eine primäre Eigenschaft der Organismen aufgefasst, d. h. als
den unmittelbaren Ausfluss ihrer Organisation, als ein Vermögen,
für welches nicht erst besondere Einrichtungen getroffen werden
mussten, sondern welches sich von selbst ergab, als eine un-
beabsichtigte Nebenwirkung der ohnehin bestehenden Organi-
sation.
Diese Ansicht hat ihre Wurzel in der im Allgemeinen zu-
treffenden Ansicht, dass die Regenerationskraft eines Thieres
im umgekehrten Verhältniss zu dessen Organisationshöhe
[153] stehe1). Verhielte sich dies wirklich überall so, so wäre das zwar
immer noch kein zwingender Grund für die bezeichnete Auf-
fassung, aber doch eine Stütze. Bei näherem Zusehen ist dem
aber nicht so. Wohl besitzen höchste thierische Organismen
niemals ein so weit gehendes Regenerationsvermögen, wie es bei
niederen vorkommt, und dies muss seinen Grund haben, allein
auf derselben Organisationshöhe kommen sehr verschiedene Grade
der Regenerationskraft vor, ja Thiere von höherer Organisation
können eine weit grössere Regenerationskraft besitzen als
niedere. So vermögen Fische die abgeschnittene Brust- oder
Bauchflosse nicht wieder zu regeneriren, während die viel höher
organisirten Salamander das Bein bis sechsmal hintereinander
zu regeneriren im Stande sind (Spallanzani).
Auch innerhalb derselben Thiergruppe ist die Re-
generationskraft oft recht verschieden stark. Bei Triton und
Salamandra wächst das abgeschnittene Bein vollständig wieder
nach, bei Proteus scheint dies nicht vorzukommen, ich wenig-
stens habe es nicht erzielen können. Auch der Schwanz er-
setzt sich bei Proteus nur langsam und unvollkommen, während
er von den Salamandern sehr leicht wieder ersetzt wird. Im
Jahre 1878 erhielt ich einen lebenden Siren lacertina, dem das
eine Vorderbein abgerissen worden war, er besass davon nur
noch einen Stummel des Oberarms, aber innerhalb der zehn Jahre,
[154] während deren ich das gefrässige Thier in bestem Ernährungs-
zustand hielt, wuchs der Arm nicht wieder nach. Auch hier
also scheint die Regenerationskraft in Bezug auf die Extremität
geringer zu sein, als bei den phyletisch weit jüngeren und höher
organisirten Salamandern.
Bekannt ist es auch, dass den Fröschen die abgeschnittenen
Beine nicht wieder nachwachsen, auch nicht im Larvenzustand
Besonders auffallend aber muss es erscheinen, dass selbst inner-
halb der gleichen Gattung die Reproductionskraft eine recht
verschiedene sein kann. Schreiber beobachtete, dass Triton
marmoratus im Gegensatz zu allen übrigen darauf untersuchten
Triton-Arten ein relativ sehr geringes Regenerationsvermögen
besitzt. „Selbst kleine Verletzungen des Kammes und der-
gleichen werden wenigstens in der Gefangenschaft nie wieder
ersetzt, und bei grösseren Verlusten geht das Thier regelmässig
ein.“ Fraisse konnte Ähnliches feststellen; „niemals wuchs
eine abgeschnittene Extremität zur normalen Grösse wieder
nach, es bildete sich nur ein etwas deformirter Kegel an dem
Amputationsstumpf; auch der Schwanz wurde nur in sehr ge-
ringem Maasse reproducirt“ (a. a. O. p. 152).
In Bezug auf die Reptilien hebt schon Fraisse hervor,
dass einzelnen Gruppen die Regenerationsfähigkeit in viel ge-
ringerem Maasse zukommt, als andern. Schildkröten, Krokodile
und Schlangen „sind nicht im Stande, verloren gegangene
Theile auch nur einigermassen zu regeneriren, während diese
Fähigkeit den Eidechsen und Geckotiden in so hohem Maasse
zukommt“.
Aber auch die Ungleichheit der Regenerationskraft ver-
schiedener Theile derselben Thierart deuten darauf hin,
dass Anpassung eine grosse Rolle bei Regeneration spielt. Bei
dem sonst so wenig zur Regeneration befähigten Proteus wachsen
die abgeschnittenen Kiemen rasch wieder nach. Ebenso be-
[155] schränkt sich bei den Eidechsen das Regenerationsvermögen auf
den Schwanz, Extremitäten aber werden nicht regenerirt. Offen-
bar ist aber der Schwanz der Eidechsen ungleich mehr der Ver-
stümmelung ausgesetzt, als die Beine, die Letzteren gehen that-
sächlich selten verloren, wenn man auch hin und wieder einmal
ein Thier mit stummelförmigem Bein findet. Die biologische
Bedeutung des Eidechsenschwanzes darf eben darin gefunden
werden, dass er das Thier vor völligem Untergang schützt,
indem der Verfolger zumeist nach dem lange nachschleppenden
Schwanz zielen wird, dabei aber oft das Thier selbst entwischen
lässt, weil der festgehaltene Schwanz abbricht. Ist derselbe
doch ganz besonders zum Abbrechen eingerichtet, indem, wie
Leydig zuerst nachwies, die Schwanzwirbelkörper vom siebenten
an mit vorbereiteter Bruchfläche quer durch die Wirbelkörper
hindurch versehen sind. Wenn nun das Abbrechen durch eine
besondere Vorrichtung und Anpassung vorgesehen ist, so wird
es kein allzu kühner Schluss sein, wenn man auch die Regene-
rationskraft des Schwanzes selbst als eine Anpassung betrachtet,
also nicht als den Ausfluss einer unbekannten „Regenerations-
kraft“ des gesammten Thieres, sondern als eine durch Se-
lection hervorgerufene specielle Anpassung dieses
einen Körpertheiles an den häufig eintretenden, ge-
wissermassen vorgesehenen Verlust des Theiles. Hätte
derselbe keine oder nur eine geringe biologische Bedeutung,
so würde diese Einrichtung nicht getroffen worden sein, wie
sie denn thatsächlich bei den auf gleicher Organisationshöhe
stehenden Schlangen und Schildkröten nicht getroffen worden
ist. Dass aber die Beine der Eidechsen sich nicht wieder
ersetzen, hat, wie ich glaube, seinen Grund darin, dass eine
Eidechse bei ihrer enorm raschen Beweglichkeit selten an einem
Bein gepackt werden wird. Geschieht es aber einmal, so ist
das Thier unrettbar die Beute des Verfolgers, und Regenerations-
[156] fähigkeit des Beines wäre nutzlos. Bei Tritonen verhält sich
die Sache wesentlich anders. Ihre Bewegungen sind weit we-
niger rasch und ihre Angreifer beschränken sich häufig darauf,
nur ein Bein abzubeissen, weil sie zu klein sind, um ein ganzes
Thier zu verschlucken. Häufig gehen solche Angriffe von
Thieren derselben Art aus, die durch immer wieder von Neuem
wiederholte Bisse einem schwächeren Genossen das Bein, den
Schwanz oder die Kiemen abnagen. War hier eine bedeutende
Regenerationskraft überhaupt möglich, so musste sie eingerichtet
werden. Bei Proteus finden wir sie in weit geringerem Grade,
aber diese Thiere haben in den Höhlen von Krain, ihrem aus-
schliesslichen Aufenthalt, weder grössere Feinde, noch starke
Concurrenz um ihre Nahrung, und fressen sich deshalb auch
gegenseitig nicht an, soweit meine Beobachtungen reichen.
Schon Spallanzani sagte, die Natur reproducire nicht
Alles, was man abschneidet, und diese Erfahrung kann, ins
Theoretische übersetzt, nichts Anderes heissen, als: die ver-
schiedenen Organe eines Thieres haben verschiedene
Grade von Regenerationskraft. Stellt man sich dann
weiter die Frage, welches die am leichtesten regenerirenden
Theile sein werden, so ergiebt sich, dass die Theile den höch-
sten Grad von Regenerationsvermögen besitzen müssen, welche
am häufigsten einer Beschädigung oder einem Verluste aus-
gesetzt sind. Soweit ich die bis jetzt vorliegenden Thatsachen
übersehe, stimmen die Beobachtungen mit dieser Auffassung.
Zwar hat leider Spallanzani seinem oben citirten Satz, dass
die Natur nicht Alles reproducire, was man abschneidet, keine
weitere Erläuterung beigegeben, so dass wir seine Erfahrungen
darüber, was sich nicht regenerirt, nicht kennen. Ich habe
aber selbst eine Reihe von Untersuchungen angestellt, um einige
Sicherheit darüber zu erlangen, ob die Höhe der Regenerations-
kraft wirklich in Beziehung zur Verletzbarkeit des Theiles steht.
[157]
Wenn Regeneration eine Anpassungserscheinung ist, dann
müssen innere Organe, welche im Naturleben des Thieres
Verstümmelungen nicht ausgesetzt sind, keine Regenerations-
kraft besitzen und dies auch bei solchen Thieren, deren äussere
den Angriffen ihrer Feinde ausgesetzten Theile ein hohes Re-
generationsvermögen besitzen.
Ich schnitt einem unserer grossen Wassersalamander, Triton
cristatus, die rechte Lunge etwa in ihrer Längsmitte ab und
nähte die Hautwunde wieder zu. Das Thier erholte sich bald
aus der Chloroform-Narkose, heilte rasch und wurde während
vierzehn Monaten sehr gut genährt und dann getödtet. Die
rechte Lunge hatte sich nicht ergänzt, sie war nur halb so
lang, als die linke und endete nicht spitz, wie diese, sondern
mit dickem Blindsack. Vier andere Fälle verliefen ähnlich, in
einem derselben blieb es zweifelhaft, ob nicht doch ein Wachs-
thum der Lunge eingetreten war, aber auch in diesem hatte sie
nicht die ursprüngliche lange spitze Gestalt wiedererlangt.
Die Versuche werden noch fortgesetzt, soviel darf aber
schon jetzt aus ihnen abgenommen werden, dass ein auffallendes
Missverhältniss in der Regenerationskraft der äusseren Theile
der Salamander und ihrer Lunge besteht. Dasselbe erscheint
um so grösser, wenn man bedenkt, dass es sich bei der Regene-
ration der Extremität um die Wiederherstellung eines sehr ver-
wickelt gebauten, aus vielen ganz verschiedenen Stücken zu-
sammengesetzten Theils handelt, während die Lunge ein ein-
facher hohler Sack ist ohne Gliederung und von relativ einfachem
histologischen Bau.
Man wird also schliessen dürfen, dass die innern, für gewöhn-
lich Verletzungen nicht ausgesetzten Theile bei diesen Arten
kein höheres Regenerationsvermögen besitzen, als bei den höchsten
Wirbelthieren, die ihnen in Bezug auf Regenerationskraft der
äussern Theile so ausserordentlich nachstehen. Es giebt dem-
[158] nach keine allgemeine Regenerationskraft, sondern
dieselbe ist bei ein und derselben Thierform abgestuft
nach dem Regenerationsbedürfniss des Theiles, d. h. in
erster Linie nach der Ausgesetztheit desselben.
In genauem Zusammenhang damit steht die Thatsache, dass
die Regeneration eines höchst regenerationskräftigen Theiles
doch nur von bestimmten, gewissermassen vorgesehenen Ver-
letzungen desselben ausgehen kann, nicht aber von jeder be-
liebigen. Philippeaux fand zuerst, dass das Bein des Triton
nicht wieder wächst, wenn man es aus dem Gelenk herausnimmt,
vielmehr nur dann, wenn es mit Verletzung des Knochens ab-
geschnitten oder abgerissen wird. Man hat dieser Thatsache
die Erklärung gegeben, dass sie auf dem Gesetz von der
Specifität der Gewebe beruhe, dass Knochen nur vom Knochen
gebildet werden können, und dass somit der Knochen des Beines
selbst verletzt sein müsse, um neu gebildet werden zu können.
Diese Erklärung, obwohl von einem richtigen Princip ausgehend,
scheint mir indessen doch nicht ausreichend. Die Verletzung des
Knochens setzt den Reiz, durch welchen die Zellen des Stumpfes
zur Wucherung angeregt werden; das ist gewiss richtig, und nach
unserer Theorie werden dadurch die in denselben schlummernden
Ersatz-Determinanten zur Thätigkeit veranlasst. Wenn aber eine
Gelenkhöhle blossgelegt wird, setzt dies ebenfalls einen Reiz
auf die Zellen des Knorpels und ohne Zweifel auch auf die des
darunter liegenden Knochens oder des Periost’s. Wenn deshalb
die Zellen dieser Stellen überhaupt fähig wären, die verloren
gegangenen Knochen zu reproduciren, und wenn die Bloss-
legung der Gelenkhöhle die gewöhnlich vorkommende Art der
Verletzung wäre, so würden diese Zellen gewiss ebenso gut
diesem Reiz angepasst und ausgerüstet worden sein, denselben
mit formativer Wucherung zu beantworten, als sie an den
Bruchstellen des Knochens mit dieser Fähigkeit ausgerüstet sind.
[159]Exartikulation des Beines, oder eines Abschnittes des-
selben kommt aber unter natürlichen Lebensbeding-
ungen kaum jemals vor, und so konnte dieser Fall
von dem Organismus auch nicht vorgesehen, und die
betreffenden Zellen des geöffneten Gelenkes nicht mit
den zur Regeneration nöthigen Ersatz-Determinanten
ausgerüstet werden. Deshalb fehlt ihnen die Fähigkeit, auf
den Reiz der Exartikulation in adäquater Weise zu reagiren.
Wenn man aber auch allen den bis jetzt angeführten
Thatsachen gegenüber vielleicht noch zweifelhaft sein könnte,
ob wirklich die Regenerationskraft auf einer speciellen Anpassung
des betreffenden Theils beruhe, und nicht ein Ausfluss der Organi-
sationshöhe des Thieres oder doch einer allgemeinen, dem
ganzen Organismus innewohnenden Kraft der Regeneration be-
ruhe, so müssten die folgenden Erwägungen, wie mir scheint,
alle Zweifel beseitigen. Offenbar beruht die physiologische
Regeneration auf den gleichen Ursachen wie die pathologische,
beide gehen vielfach ineinander über, und eine wirkliche Grenze
besteht nicht zwischen ihnen. Nun finden wir aber gerade
bei solchen Thierklassen, deren pathologische „Regenerations-
kraft“ eine sehr geringe ist, eine ungemein hohe physio-
logische Regenerationskraft, und dies beweist, dass die geringe
Höhe der ersteren unmöglich auf einer dem Organismus
innewohnenden allgemeinen Regenerationskraft beruhen kann,
dass vielmehr an solchen Theilen des Körpers, welche einer
steten oder periodischen Regeneration bedurften, eine solche
auch eingerichtet werden konnte, oder mit anderen Worten:
dass die Regenerationskraft eines Theiles auf
Anpassung beruht. Beispiele dafür sind leicht zu finden.
Die Fische wurden oben schon erwähnt als Thiere, denen
man eine sehr geringe „allgemeine Regenerationskraft“ zu-
schreibt, weil sie verloren gegangene äussere Theile, Flossen
[160] vor Allem nicht wieder zu ersetzen im Stande sind. Dennoch
haben viele Fische Zähne, die der Abnutzung stark ausgesetzt
sind, und besitzen deshalb die Fähigkeit, immer wieder neue
Zähne zum Ersatz der alten hervorzubringen. Am Gebiss eines
Rochen oder Haien stehen die Zähne in Längsreihen auf dem
Kieferrand, und zwar folgen sich mehrere bis viele solcher
Längsreihen hintereinander, von denen die vordersten die ab-
genutzten, die dahinter folgenden immer jüngere Ersatzzähne
sind. Neben den Fischen zeigen die Vögel ein sehr geringes
Vermögen, zufällig entstandene Defekte zu ergänzen, und man
bezeichnet sie deshalb als Thiere mit sehr geringem Regene-
rationsvermögen. Aber gerade die Vögel haben in Bezug auf
gewisse Theile ein ganz ausserordentlich hohes physiologisches
Regenerationsvermögen, für das Federkleid nämlich, welches sie
bekanntlich in jedem Jahre einmal ganz abstossen und neu
wieder hervorbringen. Bei den Säugern beschränkt sich die
pathologische Regeneration auf ein sehr geringes Maass: Deck-
epithelien, die Epithelien der Drüsengänge, die Gewebe der
Bindesubstanzen, worunter auch das Knochengewebe gehört,
die Nervenfasern können Defekte wieder durch die eigenen Ge-
webselemente ausbessern, keinem Säugethier aber wächst ein
Fingerglied oder ein Augenlid wieder, wenn es abgeschnitten
wurde. Dennoch giebt es Säugethiere, deren physiologische
Regenerationskraft in Bezug auf ein bestimmtes Organ ungemein
gross ist. Die männlichen Hirsche werfen jährlich ihr Geweih
ab und bilden es wieder neu im Verlauf von vier bis fünf
Monaten, eine Leistung, die in Betracht der Masse organischen
Gewebes, welche hier in so kurzer Zeit gebildet wird, selbst
die regenerativen Leistungen der erwachsenen Salamander hinter
sich lässt, denn diese brauchen nach Spallanzani mehr als
ein Jahr, um ein abgeschnittenes Bein in der normalen Grösse
und Festigkeit wieder herzustellen. Junge Thiere freilich re-
[161] produciren ein Bein in wenigen Tagen und der geniale Ex-
perimentator beobachtete sechsmaliges Wiederwachsen sämmt-
licher vier Beine und des Schwanzes bei einem jungen Triton
in der Zeit von drei Sommermonaten!
In einer Beziehung steht aber doch diese hohe Regenerations-
kraft der Hirsche und der Vögel gegen die Leistungen der
Tritonen weit zurück, nämlich in Bezug auf die Complicirt-
heit des zu ersetzenden Theils. Obgleich eine Vogelfeder
sicherlich ein bewunderungswürdig fein gebautes Gebilde ist,
so besteht es doch nur aus Epidermiszellen, und das Geweih
der Hirsche ist ein mit Epidermis überzogener Hautknochen.
Das Bein eines Triton aber enthält alle Arten von Geweben
mit Ausnahme der Entoderm-Epithelien, nämlich: Haut, Muskeln,
Knochen in grosser Zahl, Bindegewebe, Blutgefässe, Nerven u. s. w.,
und das Alles in ganz fest vorgeschriebener Anordnung, Zahl
und Form. Ohne Zweifel ist die Regeneration eines Beines
deshalb eine höhere Leistung als die der Federn oder des Ge-
weihes, und es ist in der That auch ein Erfahrungssatz, den
schon die älteren Experimentatoren aufstellten, dass compli-
cirtere Organe weniger leicht regeneriren als einfacher
gebaute. Es wäre von grossem theoretischen Werth, diesen
etwas ungenauen Satz durch planmässige Versuche genauer zu
präcisiren. Man darf im Voraus erwarten, ihn in irgend einem
Sinne bestätigt zu finden, d. h. zu finden, dass unter sonst
gleichen Umständen bei ein und derselben Art einfache Organe
durchschnittlich leichter regeneriren als complicirte. Selbst
beim Menschen ersetzen sich viele einfache Gewebe, die Binde-
substanzen, Epithelien, Nerven, und nur die histologisch höchst
differenzirten Zellen der Drüsen und Ganglien thun es nicht
oder nur schwach. Auch die Theorie lässt einsehen, dass hierzu
ein weit weniger verwickelter Apparat gehört, als bei der Re-
generation ganzer Körpertheile, wie Schwanz oder Beine, denn
Weismann, Das Keimplasma. 11
[162] es genügt, dass das betreffende Gewebe Zellen enthält, welche
im Stande sind, sich auf den Reiz des Substanzverlustes der
Umgebung hin zu vermehren und dies so lange fortzusetzen, bis
der Substanzverlust ausgeglichen ist. Erst wenn mehrere Zellen-
arten beim Wiederaufbau zusammenwirken müssen mit genauer
Normirung ihrer Massen- und Gestaltungs-Verhältnisse, ihrer
Wachsthumsrichtung und Vermehrungsrhythmus tritt die Noth-
wendigkeit einer genauen Ausrüstung der einzelnen den Ersatz
einleitenden Zellen mit Ersatz-Determinanten verschiedener Art
heran, und es ist klar, dass diese Ausrüstung eine um so ver-
wickeltere und schwieriger herzustellende wird, je complicirter
der zu regenerirende Theil ist, und je genauer alle Einzelheiten
seines Baues eingehalten werden müssen.
Wenn man aber die Thatsachen überblickt, welche über
Regeneration bei Thieren verschiedener Organisationshöhe und
verschiedener Gruppen überhaupt vorliegen, so begegnet man
so grossen Unterschieden in der Regenerationskraft selbst homo-
loger Theile, dass man durchaus den Eindruck bekommt, der
bei allen Schriftstellern über Regeneration zu erkennen ist, dass
im Allgemeinen die Regenerationskraft grösser ist bei
nieder organisirten Thieren als bei complicirter ge-
bauten, und es erhebt sich die Frage, wie dies zu verstehen
und in welche wissenschaftliche Formel es zu bringen wäre.
Schon innerhalb der Wirbelthiere treten uns solche That-
sachen entgegen, welche auf eine dem „niederen“ Thier als
solchen, primär eigenthümlichen grösseren Kraft, verlorene Theile
zu ersetzen, hinweisen. Allerdings besitzen die Fische ein viel
geringeres Regenerationsvermögen, als die höher organisirten
Amphibien; aber wenn eine Fischflosse nicht wieder wächst,
wohl aber das Bein eines Triton, so darf nicht übersehen werden,
dass die beiden Organe biologisch von ziemlich ungleicher
Bedeutung sind. Das Vorderbein des Triton und der Arm des
[163] Menschen dagegen sind nicht nur homologe Theile, sondern auch
von nahezu gleicher biologischer Bedeutung; ihre Regenerations-
kraft aber ist sehr ungleich, und es fragt sich also, worauf diese
Ungleichheit beruht.
Die Regenerationskraft irgend eines Theils wird niemals
blos von den Verhältnissen abhängen, welche gerade für die
ins Auge gefasste Thierart massgebend sind, sondern auch von
den Regenerationseinrichtungen, welche schon in der Vorfahren-
reihe dieser Art vorhanden und auf sie durch Vererbung über-
tragen wurden. Sehen wir aber einmal davon ab und betrachten
die Regenerationskraft als nur auf Anpassung des einzelnen
Falles beruhend, so wird man etwa in folgender Weise schliessen.
Ob die Ausrüstung der Zellen eines Theils mit Ersatz-Determi-
nanten behufs seiner Regenerationsfähigkeit eingerichtet wird
oder nicht, hängt in erster Linie davon ab, ob der betreffende
Theil überhaupt von häufigerem Verlust bedroht ist, also von
der Höhe der Verlust-Wahrscheinlichkeit desselben. Für
selten eintretende Verluste kann nicht Vorsorge getroffen werden,
selbst wenn dieselben von grossem biologischen Nachtheil wären,
weil die Einbusse an Individuenzahl, welche die Art etwa da-
durch erleiden könnte, verschwindend klein wäre. Für das be-
troffene Individuum kann ein solcher Verlust von grossem Nach-
theil sein, nicht aber für die Art; Selectionsprocesse können
also durch ihn nicht in Gang gesetzt werden.
In zweiter Linie muss es die physiologische oder bio-
logische Bedeutung des Organs selbst sein, welche in Be-
tracht kommt. Ein rudimentärer, fast oder ganz bedeutungslos
gewordener Theil wird häufig verstümmelt oder abgerissen werden
können, ohne dass daraus Selectionsprocesse hervorgehen, die
dessen Regenerationsfähigkeit bezwecken. So ersetzen sich z. B.,
soviel bekannt ist, die häufig abgebissenen schwachen Beine von
Siren oder Proteus nicht, wohl aber die ebenso häufig abgefressenen
11*
[164] Kiemen derselben Arten und des Axolotl. Letztere sind eben
physiologisch werthvolle Organe, erstere nicht. Ebenso re-
generirt sich der so häufig verstümmelte Schwanz der Eidechsen,
weil derselbe, wie oben gezeigt wurde, ein biologisch werth-
volles Organ ist, dessen Fehlen seinen Träger in Nachtheil setzt.
Als drittes Moment endlich, welches bei der Regulirung
der Regenerationskraft eines Theiles in Betracht kommt, wird
die Complicirtheit des betreffenden Theiles zu betrachten
sein, denn je complicirter derselbe gebaut ist, um so länger und
energischer werden Selectionsprocesse thätig sein müssen, damit
der Regenerations-Mechanismus, d. h. die Ausrüstung einer grossen
Menge verschiedenartiger Zellen mit genau abgestuften und in
ihrer Vermehrungskraft regulirten Ersatz-Determinanten her-
gestellt werde. So liesse es sich begreifen, dass z. B. die vordere
Extremität der Tritonen regenerirt wird, nicht aber die der
Vögel, obwohl der Flügel biologisch noch weit bedeutsamer
und unentbehrlicher für seinen Träger ist, als das Vorderbein
des Triton. Der Flügel des Vogels enthält zwar weniger Knochen-
stücke, als der Arm des Triton, aber er ist im Übrigen weit
höher, d. h. weit complicirter gebaut, wie sofort klar wird, wenn
man sich erinnert, dass er mit Federn bedeckt ist, und dass jede
der Schwungfedern wenigstens nach Grösse, Gestalt und Färbung
genau individualisirt ist, also eine grosse Menge besonderer
Determinanten in ihren Bildungszellen enthalten muss. Diese
Determinanten müssen alle geordnet im Keimplasma enthalten
sein, um bei der primären Entwickelung des Vogels mittelst ge-
wisser Zellfolgen zunächst in das äussere Keimblatt, später in
die Epidermis der vorderen Extremität geschoben zu werden
und von da durch im Laufe des Wachsthums entstehende
weitere Zellfolgen an den ihnen speciell zukommenden Ort.
Wie es möglich ist, dass dabei die Vertheilung der Determi-
nanten in einer so genauen und sicheren Weise vor sich geht,
[165] wie es thatsächlich der Fall sein muss, damit nicht nur die
Gestalt der Feder, sondern auch jeder Farbenfleck auf derselben
bei allen Individuen der Art in gleicher Weise sich wiederholt,
das ist schon schwer genug sich vorzustellen; dass aber dieser
ganze complicirte Bildungs-Mechanismus sich auch noch ausser-
dem derart sollte umgestalten können, dass von jeder Schnitt-
fläche des Flügels aus der ganze Flügel mit allen seinen Federn
und Farbenfleckchen auf den Federn sollte regenerirt werden
können, das möchte man wohl für unmöglich erklären. Nach
unserer Theorie gehörte dazu, dass die Zellen einer jeden Quer-
schnittfläche des Flügels neben dem ihnen für ihre eigentliche
Natur zukommenden Idioplasma noch sämmtliche Determinanten
sämmtlicher Zellen als Ersatz-Determinanten enthielten, welche
zum Aufbau des distalwärts noch folgenden Stückes des Flügels
gehören, und zwar in entsprechender Vertheilung auf die Zellen
der radialen und ulnaren, der oberen und unteren Fläche des
Flügels, und mit genauer Abwägung der Vermehrungskraft
jeder Zelle und ihrer Nachfolge. So wenig wir auch urtheilen
können über das, was in der Natur möglich ist, und so sehr
wir durchdrungen sind von der niederschlagenden Überzeugung,
dass zahlreiche Vorgänge des Lebens immer noch unverstanden
für uns geblieben sind, so möchten wir uns doch berechtigt
glauben, in diesem Falle aus dem Nichtgeschehen auf die
Unmöglichkeit solchen Geschehens zu schliessen, d. h.
daraus, dass thatsächlich eine Regeneration des Vogelflügels
nicht vorkommt, zu schliessen, dass sie der Complicirtheit des
dazu erforderlichen Mechanismus halber nicht möglich sei.
Dennoch darf ein förmlicher Beweis, dass dem so ist in
der Thatsache, dass Regeneration hier nicht vorkommt, nicht
gesehen werden. Dies wäre schon deshalb unstatthaft, weil der
erste der drei Faktoren, welche nach unserer Annahme den
Regenerations-Mechanismus hervorrufen, hier nicht vorhanden
[166] ist; ich meine die Verlust-Wahrscheinlichkeit. Selten wird einem
Vogel der Flügel verstümmelt, ohne dass er nicht zugleich das
Leben einbüsst, wenigstens im Naturleben. Schon aus diesem
Grunde also würden Selectionsprocesse, die auf einen Regene-
rations-Mechanismus gerichtet wären, hier nicht eingeleitet
werden können. Ich habe auch den ganzen Fall nicht deshalb
hier vorgebracht, um gerade für ihn einen solchen Beweis zu
führen, sondern deshalb, weil er mir besonders geeignet erschien,
anschaulich zu machen, wie ausserordentlich die Complicirtheit
des Regenerations-Mechanismus wachsen muss mit der grösseren
Complicirtheit des Theiles. Diese Einsicht aber führt nun wieder
zurück zu der oben schon aufgeworfenen Frage von der all-
gemeinen Regenerationskraft der niederen gegenüber
den höheren Thiergruppen.
Ich glaube, dass in gewissem Sinne eine solche zugegeben
werden darf, in dem Sinne nämlich, dass vermöge der einer
niederen Thiergruppe zukommenden geringeren Complication
des Baues aller ihrer Theile irgend ein bestimmter Theil
auch leichter regenerationsfähig gemacht werden kann, als bei
höheren Thiergruppen. Dabei ist aber immer vorausgesetzt,
dass die beiden anderen Faktoren, die Verlust-Wahrscheinlichkeit
und die biologische Wichtigkeit des Organs in dem erforder-
lichen Grade vorhanden sind, so dass diese „höhere Reproduktions-
kraft niederer Thiertypen“ im Grunde nichts ist, als ein anderer
Ausdruck für den oben festgestellten dritten Faktor: die Com-
plicirtheit des zu regenerirenden Organs.
Es fragt sich aber, ob wirklich das Regenerationsvermögen
jeglichen Theiles das Resultat besonderer Anpassungsvorgänge
ist, ob nicht doch Regeneration als blosser gewissermassen nicht
vorgesehener Ausfluss der physischen Beschaffenheit eines Thieres
vorkommt. Es liegen Angaben vor, die kaum eine andere
Deutung zuzulassen scheinen. So regenerirt sich nach Spallan-
[167] zani der ausgeschnittene Kiefer von Triton sammt Knochen
und Zähnen und nach Bonnet sogar das exstirpirte Auge des-
selben Thieres. Ich habe nun zwar nie gehört, dass die Tritonen
im Naturzustande häufig den Unterkiefer einbüssten, etwa im
Kampfe miteinander, aber Tritonen, die ich dicht beisammen
für kurze Zeit in ein enges Gefäss gesetzt hatte, griffen sich
heftig an, und mehr wie einmal packte dabei einer den andern
am Unterkiefer und zerrte und biss daran so heftig, dass der-
selbe abgerissen wäre, wenn ich die Thiere nicht gewaltsam
getrennt hätte. So mag denn wohl auch im Naturzustand das
Ausreissen eines Kiefers und selbst eines Theiles des Auges
nicht allzu selten vorkommen, und es schiene somit gestattet,
eine Anpassung der betreffenden Theile an die Regeneration
anzunehmen. Kennel berichtet aber von einem Storch, dem
der Oberschnabel zufällig in der Mitte abgebrochen und darauf
der Unterschnabel an der gleichen Stelle abgesägt worden war,
und der beide wieder vollständig regenerirte. Solche Fälle, an
deren Genauigkeit kaum zu zweifeln ist, deuten darauf hin, dass
die Regenerationsfähigkeit doch nicht allein auf specieller An-
passung eines bestimmten Organs beruht, sondern dass es auch
eine allgemeine Regenerationskraft des ganzen Organismus giebt,
die sich bis zu einem gewissen Grade auf viele, vielleicht auf
alle Theile bezieht, und kraft deren einfachere Organe, auch
wenn sie nicht speciell der Regeneration angepasst sind, doch
wieder ersetzt werden können.
Theoretisch und im Princip würde ein solches Verhalten
von unserem Standpunkt aus nicht unverständlich sein; man
brauchte nur anzunehmen, dass bei allen oder doch bei vielen
Kerntheilungen der Embryogenese einige der früheren Deter-
minanten dem Idioplasma der später auftretenden Zellen als
Neben-Idioplasma beigesellt blieben. Es fragt sich nur, woher
diese Einrichtung als eine mehr oder minder allgemeine, den
[168] ganzen Körper betreffende stammt, wie sie zu Stande kommen
konnte, da doch nur das Nützliche zu Stande kommt, zumal
wenn es sich um einen so complicirten Mechanismus handelt,
wie es die Ausrüstung des Idioplasma’s mit Ersatz-Determinanten
sein muss. Wir werden so zu der Vermuthung geführt, es
möchte die allgemeine Regenerationsfähigkeit sämmt-
licher Theile eine durch Selection herbeigeführte Er-
rungenschaft niederer und einfacherer Thierformen
sein, die im Laufe der Phylogenese und der steigenden
Complicirtheit des Baues zwar allmälig mehr und mehr
von ihrer ursprünglichen Höhe herabsank, die aber
auf jeder Stufe ihrer Rückbildung in Bezug auf be-
stimmte, biologisch wichtige und zugleich häufigem
Verlust ausgesetzte Theile durch speciell auf diese
Theile gerichtete Selectionsprocesse wieder gesteigert
werden konnte.
3. Fakultative oder polygene Regeneration.
Der abgeschnittene Schwanz einer Eidechse, das Bein eines
Triton wächst wieder, nicht aber ergänzt sich das abgeschnittene
Stück wieder zum ganzen Thier. Anders bei manchen Ringel-
wärmern, z. B. Nais und Lumbriculus; wenn man ihnen den
Schwanz abschneidet, so wächst nicht nur ein neuer Schwanz
von der Schnittfläche hervor, sondern der abgeschnittene Schwanz
bildet auch wieder ein neues Vorderende mit neuem Kopf, so
dass also dann zwei Thiere aus einem entstehen.
Offenbar lässt sich diese Thatsache aus der bisher ge-
machten Annahme von Ersatz-Determinanten noch nicht ohne
Weiteres ableiten, denn danach befänden sich in den Zellen
nur einerlei Art von Ersatz-Determinanten, solche nämlich,
wie sie zum Aufbau des dem Ganzen verloren gegangenen Theils
erforderlich sind; hier aber erzeugen dieselben Zellen, je nach-
[169] dem sie der vorderen oder der hinteren Schnittfläche angehören,
ganz verschiedene Theile, im ersten Falle einen Schwanz, im
zweiten einen Kopf. Dass es dieselben Zellen sind, von welchen
die eine oder die andere regenerative Leistung ausgeht, ergiebt
sich daraus, dass es ganz gleich ist, an welcher Stelle man
den Wurm durchschneidet, beide Hälften ergänzen sich immer
wieder, es sind also nicht etwa die Zellen bestimmter Quer-
schnitte mit Ersatz-Determinanten für die Kopfbildung, die
anderer Querschnitte mit solchen für die Schwanzbildung aus-
gerüstet, sondern eine jede Zelle kann in dieser, oder in jener
Weise reagiren, je nachdem sie in die vordere, oder in die
hintere Schnittfläche zu liegen kommt. Wenn wir also an der
hier zu Grunde gelegten Anschauung festhalten wollen, nach welcher
die zur Regeneration verwendeten Zellen nicht von einer ausser-
halb ihrer selbst gelegenen Oberleitung geordnet und bestimmt
werden, sondern von den in ihnen selbst gelegenen Kräften, so bleibt,
wie mir scheint, zur Erklärung dieser doppelten Reactionsweise
der Zellen Nichts übrig, als die Annahme, dass jede derselben zwei
verschiedene Ersatz-Determinanten enthält, eine für den Aufbau
des Kopfes und eine für den des Schwanzes, und dass die eine
oder die andere in Thätigkeit geräth, je nachdem die betreffende
Zelle von ihrer vorderen oder von ihrer hinteren Fläche her
dem Reiz der Blosslegung ausgesetzt wird.
Ehe ich versuche, diese Annahme näher zu begründen,
muss ich noch diejenigen Fälle berühren, in denen die re-
generative Thätigkeit der einzelnen Zelle nicht nur eine zwei-
fache, sondern sogar eine dreifache sein kann.
Mir scheint, dass die Regenerationsvorgänge, wie sie vom
Süsswasser-Polypen, der Hydra, und den Seeanemonen, Acti-
nien, bekannt sind, hierher gehören. Wenn man einen Wurm
in der Medianebene halbirt, so ergänzt sich keine der beiden
Hälften, und ebensowenig geschieht dies, wenn man sie in irgend
[170] einer andern Längsebene halbirt; beide Hälften sterben viel-
mehr. Anders bei Hydra; theilt man sie in einer Längsebene,
so ergänzen sich beide Hälften wieder zum ganzen Individuum,
und es ist dabei gleichgültig, welche Ebene vom Schnitt ge-
troffen wird. Da nun Quertheilung des Thieres an beliebiger
Stelle ebenfalls eine Ergänzung jeder Hälfte zum Ganzen zur
Folge hat, so muss also von jeder Stelle des Körpers eine Re-
generation in dreifacher Richtung ausgehen können, nämlich
nach den drei Richtungen des Raumes, und da der Körper in
diesen drei Richtungen verschieden gebaut ist, so wird man zu
der Annahme gedrängt, dass in jeder Zelle drei verschiedene
Arten von Determinanten-Gruppen enthalten sind, nämlich solche
für das Vorderende, solche für das Hinderende und solche für
den Mauerschluss des Körpers, wenn ich diesen Ausdruck für
den Ausbau der Körperwandung in der Richtung der Quer-
achsen gebrauchen darf. Ein und dieselbe Zelle1) müsste also
in dreierlei Richtung hin sich theilen und dreierlei Abschnitte
des Körpers liefern können, und zwar müsste auch hier nicht
die Qualität, sondern die Richtung, von welcher her der Wund-
reiz wirkt, die Entscheidung darüber geben, welche Theilungs-
art faktisch ausgeführt wird, d. h. welche Determinanten in
in Activität treten und die Herrschaft über die Zelle über-
nehmen.
Mit dieser Annahme, scheint mir, lassen sich die Regene-
rations-Vorgänge bei Hydra einigermassen verstehen. Wird
z. B. die Gruppe der Ersatz-Determinanten des Hinderendes
activ, so entstehen seitlich zu Ringen geschlossene lineare Zellen-
reihen in der Richtung von vorn nach hinten mit der Tendenz,
sich zum Fussgewölbe so bald als möglich zusammenzuschliessen
[171] und mit der ferneren Tendenz, im Mittelpunkt dieses Gewölbes
eine kleine Lücke zu lassen, sowie die Ektoderm-Zellen der
Fussfläche zu Schleim absondernden auszugestalten. Dagegen
fehlen in dieser Gruppe die Determinanten zur Tentakelbildung.
Wird umgekehrt die Gruppe der Ersatz-Determinanten des
Vorderendes activ, so erfolgt die Bildung von Zellenreihen mit
der Tendenz, sich zur Mundscheibe zusammen zu wölben und
eine grosse Lücke, den Mund darin zu lassen. Gewisse Stellen
im Umkreise des Mundes wachsen dann zu Tentakeln aus, wo-
bei freilich nicht sicher zu sagen ist, warum gerade an dieser
und nicht an jener Stelle die Tentakel-Determinanten activ
werden. Es wird aber nachher gezeigt werden, dass die Zellen
der Hydra und vermuthlich aller thierischen Gewebe „polarisirt“
sind in einem gewissen Sinne, d. h. dass sie sich nach vorn
und hinten und auch in der Richtung der Querachse verschieden
verhalten. Damit und mit den eigenthümlichen Druckverhält-
nissen innerhalb des Zellengewölbes der Mundscheibe darf es
wohl in Zusammenhang gebracht werden, dass die in Zellen
aller Körpergegenden anzunehmenden Tentakel-Determinanten
nur an bestimmten Stellen im Umkreis des Mundes activ
werden.
Das sind freilich nur Andeutungen, fast nur blosse Ahnungen
einer Erklärung, allein ich sehe nicht, wie wir heute schon etwas
Besseres geben wollten. Immerhin scheint mir dieser Erklärungs-
versuch etwas tiefer zu dringen, als die Annahme Herbert
Spencer’s, der die Regeneration im Allgemeinen der Krystalli-
sation vergleicht, und jedem kleinsten Lebenstheilchen die
Fähigkeit zuschreibt, sich unter dem Einfluss des Ganzen jedes-
mal so anzuordnen, wie es nöthig ist, damit der gerade fehlende
Theil wieder neu gebildet werde. Wenn man nur den Süss-
wasser-Polypen ins Auge fasst, dann scheint freilich die eine
Erklärung so gut, wie die andere, sobald man aber andere
[172] Thiergruppen zum Vergleich herbeizieht, erkennt man, dass
den Theilchen keineswegs immer diese Fähigkeit innewohnt,
dass selbst die Zelle bald verschiedene Theile des Ganzen,
bald nur einen bestimmten Theil, bald nur ihres Gleichen
regenerativ hervorbringen kann, dass somit etwas Besonderes
in ihr enthalten sein muss, welches sie zu dieser oder jener
Art der Regeneration befähigt. Dieses Etwas sind die Ersatz-
Determinanten.
Wenn ein Polyp oder ein Wurm quer durchgeschnitten,
wenn überhaupt an irgend einem Organismus ein Substanz-
verlust künstlich gesetzt wird, so ändern sich vor Allem die
Druckverhältnisse, unter welchen die an den Substanzverlust
angrenzenden Zellen sich bisher befanden; der Gegendruck, dem
sie bisher von der Seite des weggenommenen Theils des Körpers
ausgesetzt waren, hört auf. Damit wird eine Änderung in den
Lebensbedingungen der so betroffenen Zellen gesetzt, welche
von bestimmten morphologischen und physiologischen Folgen
für dieselben sein muss. Wir können dieselben zur Zeit noch
nicht im Genaueren angeben, aber da wir erfahrungsgemäss
wissen, dass solche Substanzverluste mit Zellvermehrung be-
antwortet werden, dürfen wir bestimmt behaupten, dass dadurch
ein Reiz auf die Zelle und vor Allem auf deren Idioplasma
ausgeübt werde, der sie zur Vermehrung zwingt. Dies ist auch
die Ansicht derjenigen Forscher, welche am meisten und ein-
gehendsten sich mit den Folgen von Substanzverlusten zu be-
fassen Gelegenheit haben, die pathologischen Anatomen.
Dieselben erklären die Wucherungen, welche nach Substanz-
verlusten in dem benachbarten Gewebe eintreten, zwar nicht
durch einen Reiz im eigentlichen Sinne, der auf die Nachbar-
zellen ausgeübt wird, wohl aber durch Aufhören der „Wachs-
thums-Widerstände“, und in unserem Sinne kann auch
dies als „Reiz“, nämlich im Sinne von „Veranlassung“ be-
zeichnet werden.
[173]
Wenn nun die Zellen nach den drei Richtungen des Raumes
ganz gleich beschaffen wären, so müsste es die gleiche Wirkung
auf das Idioplasma haben, ob der Reiz des Substanzverlustes
von vorn, von hinten oder von der Seite her auf sie einwirkt.
Es könnte dann unmöglich in dem einen Falle nur die eine
Determinanten-Gruppe vom Reiz getroffen und zum Activwerden
bestimmt werden, in dem andern nur die zweite, in dem dritten
nur die dritte. Wir haben aber allen Grund zu glauben, dass
der Bau einer solchen Gewebezelle nach den drei Richtungen
des Raumes nicht der gleiche ist, dass dieselben vielmehr nach
den drei Richtungen verschieden differenzirt sind, folglich auch
auf Reize in verschiedener Weise reagiren, je nach der
Richtung, in welcher dieselben auf sie einwirken. Vöchting1)
hat an höheren Pflanzen den Beweis erbracht, dass zum min-
desten bei diesen „jede lebendige Zelle von Wurzel und Stengel
ein verschiedenes Oben und Unten, ein verschiedenes Vorn und
Hinten und damit eine rechte und linke Hälfte besitzt“. Die
Transplantation von Wurzelstücken der Pappel auf den Stengel,
oder von Stengelstücken auf die Wurzel zeigten ihm, dass
diese Stücke nur dann anwuchsen und gediehen, wenn sie in
bestimmter Orientirung eingesetzt worden waren; in der um-
gekehrten Orientirung eingesetzt, wuchsen sie zwar zuweilen
auch an, zeigten aber dann bald Entartungs-Erscheinungen. Er
schliesst daraus auf eine „Polarisirung“ der Zellen, den Aus-
druck zunächst nur im Sinne einer allgemeinen Analogie ge-
nommen. „Die Wurzel und der Stengel verhalten sich in ge-
wissem Sinne wie ein cylindrischer Magnet, der aus einzelnen,
nicht nur in longitudinaler, sondern auch in radialer Richtung
gleichsinnig magnetisirten Ausschnitten zusammengesetzt ist.
Einen solchen Magneten kann man in Theilstücke zerlegen,
[174] wie Spross und Wurzel. Fügt man die Theilmagnete mit
glatter Querschnittsfläche mit den ungleichnamigen Polen mög-
lichst innig wieder zusammen, so erhält man wieder den ganzen
Magneten ohne Folgepunkte. Zerlegt man eine Pappelwurzel
in zwei Hälften, so erzeugt jede an den entsprechenden Polen
Knospen und Wurzeln; verbindet man dagegen die Stücke nach
der Durchschneidung an den ungleichnamigen Enden in geeig-
neter Weise wieder, so erhält man durch Verwachsung wieder
das ursprüngliche Stück mit seinen zwei Polen.“
Ich habe diese bedeutenden Ergebnisse, zu welchen Vöch-
ting durch seine Transplantationsversuche gelangt ist, hierher
gesetzt, weil sie sich direkt auch auf die eben besprochenen
Regenerationserscheinungen der Thiere anwenden lassen. Eine
Hydra verhält sich ähnlich der Pappelwurzel. Schneidet man
sie in der Mitte quer durch, so treibt das Vorderstück an der
Hinterfläche einen neuen Fuss, das Hinterstück aber an seiner
Vorderfläche einen neuen „Mund“! Wir könnten also hier
statt von Wurzel- und Sprosspolen von Fuss- und Mundpolen
reden. In der That, schneidet man ein ringförmiges Stück
aus der Mitte der Hydra heraus, so erzeugt die Vorderfläche,
der Mundpol, einen neuen Mund, die Hinterfläche, der Fusspol,
einen neuen Fuss. Einem geschickten Experimentator würde
es vielleicht auch nicht unmöglich sein, den herausgeschnittenen
Ring, bevor er sich zum Thier ergänzt hat, etwa mittelst durch-
gesteckter Borsten mit den beiden Endstücken wieder zu ver-
einigen und dann dieselben zur Verwachsung zu bringen, wie
bei der Pappelwurzel.
Es wäre nun offenbar ein Trugschluss, wollte man aus der
Polarisirung der Pappelwurzel allein schon die Thatsache ab-
leiten, dass der eine Pol derselben Sprosse, der andere Wurzeln
treiben müsse; beinahe ebenso gut könnte man dies aus der
Polarisirung eines wirklichen Magneten ableiten. Es muss noch
[175] Etwas hinzukommen, damit dies geschehen könne, es muss
die Anlage zur Sprossbildung und zur Wurzelbildung
in den Zellen der Pappelwurzel enthalten sein, die Zu-
stände der Zellen aber, welche von Vöchting als Polarisirung
bezeichnet wurden, stellen nur die Bedingungen her, unter welchen
die eine oder die andere Anlage aktiv wird, d. h. zur Entfaltung
gelangt. Wir werden also durch den Nachweis einer Polari-
sation der Zellen keineswegs der Verpflichtung enthoben, eine
theoretische Annahme zu machen, welche erklärt, wieso die
Anlage zu verschiedenartigen Bildungen in ein und dieselbe
Zelle kommt. Bei der Pappelwurzel muss nach meiner Ansicht
die Annahme gemacht werden, dass zweierlei verschiedene Idio-
plasmen den Zellen beigegeben sind, welche so lange inaktiv
bleiben, bis der adäquate Reiz eintritt und entweder das Spross-
idioplasma oder das Wurzelidioplasma zur Aktivität veranlasst.
In beiden Fällen muss wohl der Substanzverlust als dieser Reiz
betrachtet werden, und die Richtung, von welcher her er ein-
wirkt, als entscheidend für die Qualität der Reaction.
Wäre an und für sich schon das Idioplasma der Gewebe-
zellen im Stande, durch Einwirkung dieses Reizes mit Re-
generation des fehlenden Körperstückes zu antworten, so müssten
die mit so hoher Regenerationskraft begabten Würmer, wie
Nais und Lumbriculus sich nicht nur nach vorn und hinten,
sondern auch nach der Seite hin regeneriren können; dazu sind
sie aber, wie schon Bonnet nachwies, nicht im Stande; der
Länge nach durchschnittene Würmer erzeugen nicht die fehlende
rechte oder linke Hälfte, es muss also ihren Zellen das fehlen,
was sie zu dieser Art der Regeneration befähigt: die anti-
meralen Ersatz-Determinanten.
Dass diese bei den Würmern fehlen, kann von unserm
Standpunkte aus nicht überraschen; denn ein Wurm wird im
Naturzustand niemals der Länge nach zerrissen, die Natur brauchte
also diesen Fall nicht vorzusehen.
[176]
Berücksichtigt man, dass die Gruppen von Ersatz-Determi-
nanten um so verwickelter sein müssen, je complicirter der
Organismus ist, und der Theil, der durch sie ins Leben gerufen
werden soll, so begreift man, dass die facultative Regeneration
nur bei relativ einfachen Organismen gefunden wird, dass sie
nach drei Dimensionen hin nur bei Polypen und Plattwürmern
vorzukommen scheint, bei Anneliden und Seesternen aber nur
nach zwei Dimensionen eintritt, um dann bei Arthropoden,
Mollusken und Wirbelthieren überall zur eindimensionalen Re-
generation herabzusinken.
Es soll dabei nicht verkannt werden, dass noch andere
Momente hinzutreten, welche die Regenerationsfähigkeit ein-
schränken, vor Allem die Vulnerabilität der höheren Organismen
und ihre Abhängigkeit von Blutkreislauf, Bluttemperatur, des
Einflusses des Nervensystems nicht zu gedenken, dessen tieferes
Wesen wir noch so wenig kennen. Auch die geringe Substanz-
menge des abgetrennten Theiles gegenüber der Substanzmenge
des übrigen Körpers würden es verbieten, dass z. B. das ab-
geschnittene Bein eines Molches sich zum ganzen Thier re-
generirte. Alles dieses erklärt, warum die Einrichtung zwei-
dimensionaler, d. h. facultativer Regeneration in zwei Rich-
tungen bei höheren Thieren nicht getroffen werden konnte.
Wenn nun die Regeneration auf der Zutheilung von Ersatz-
Determinanten an gewisse Zellen beruht, die nach Bedürfniss
und Möglichkeit erfolgte, so wird die Wurzel derselben bei
Metazoen immer in einer Verdoppelung der Ide irgend einer
ontogenetischen Stufe liegen müssen. Da bei jeder mitotischen
Kerntheilung Spaltung und Verdoppelung der Idanten vor-
kommt, so fehlt also der Theorie nicht die reale Basis, wenn
freilich auch von dem Wachsthum und der Verdoppelung von
Iden und Determinanten im Allgemeinen bis zu der plan-
[177] mässigen Abgabe solcher inaktiver Determinanten an bestimmte
Zellen und Zellfolgen noch ein weiter Weg ist. Indessen wird
die Natur auch hier vom Einfachen zum Verwickelten fort-
geschritten sein, und ganz so, wie complicirte Organismen nur
im Laufe ungezählter Generationsfolgen und Artenfolgen ent-
stehen konnten, wird auch der complicirte Regenerations-Apparat
im Schwanz oder Bein eines Wassermolches sich nicht plötzlich
und unvermittelt, sondern nur auf Grund ähnlicher Errungen-
schaften ungezählter Vorfahren entwickelt haben können.
Es wäre wohl nicht unausführbar, sich ein ungefähres Bild
von der Reihe von Steigerungen zu entwerfen, welche der Re-
generations-Apparat von den niedersten vielzelligen Wesen an-
gefangen bis zu denjenigen Thieren durchlaufen hat, welche die
höchstentwickelte und complicirteste Regeneration besitzen, in-
dessen verzichte ich darauf. Vielleicht wird die Zukunft Ver-
schiedenheiten in der Zahl der Ide bei Zellen stark regene-
rationsfähiger Theile auffinden, und wenn erst eine thatsächliche
idioplasmatische Basis für die Theorie gewonnen ist, dann wird
es sich lohnen, den Wegen im Einzelnen nachzuspüren, welche
die Entwickelung des Regenerationsvermögens genommen hat.
4. Regeneration bei Pflanzen.
Von dem, was man bei niedern Pflanzen, Pilzen und Moosen
als Regeneration bezeichnen kann, soll später noch genauer
gehandelt werden. Hier möchte ich nur hervorheben, dass bei
allen höheren Pflanzen, bei allen solchen, die als Cormen oder
Pflanzenstöcke zu betrachten sind, eine eigentliche Regeneration
nur in sehr beschränktem Maasse vorkommt. Schneidet man
aus dem Blatte eines Baumes oder irgend einer phanerogamen
Pflanze ein Stück heraus, so ergänzt sich dasselbe nicht
wieder. Ebensowenig wächst ein Staubbeutel aus dem Stiel
wieder neu hervor, oder es bildet sich eine neue Narbe auf
Weismann, Das Keimplasma. 12
[178] dem Griffel, nachdem man die alte weggeschnitten hat. Die
Zellen dieser Organe sind also nicht für Regeneration angepasst,
sie enthalten keine „Ersatz-Determinanten“.
Manche Botaniker werden mir darauf antworten, das käme
davon her, dass diese Zellen sich bereits gestreckt, also ihre
volle histologische Ausbildung erlangt und damit ihre Ver-
mehrungskraft eingebüsst hätten. Dem ist gewiss auch so, nur
liegt darin keine Erklärung in meinem Sinn, ich muss vielmehr
fragen, warum sind diese Zellen nicht mit Ersatz-Determi-
nanten ausgerüstet worden? Dass dies möglich gewesen wäre,
beweisen die zahlreichen Fälle, in welchen fertige, „gestreckte“
Blatt- oder sonstige Zellen unter Umständen in Vermehrung
eintreten und Knospen bilden können, aus denen ganze Pflanzen
hervorwachsen (Begonie).
Die Antwort liegt darin, dass es für die Pflanze von allzu
geringem Vortheil gewesen wäre, Löcher in ihren Blättern
wieder ausfüllen zu können, da sie ohnehin das Vermögen be-
sitzt, neue Blätter zu treiben. Sie kann an vielen Orten
Knospen zur Entfaltung bringen, und gewinnt dadurch viel
mehr, als durch die Vervollständigung einzelner Blätter für sie
zu gewinnen gewesen wäre. Sie konnte der Regeneration
entbehren, da sie die weit ausgiebigere Knospung
besitzt.
In dieser Thatsache aber des Fehlens des Regenerations-
vermögens bei den höheren Pflanzen, wenigstens in Bezug auf
Blatttheile u. s. w., liegt ein neuer und starker Hinweis auf die
Abhängigkeit der Regeneration von den äussern Umständen, auf
ihre Natur als eine Anpassungserscheinung. Da, wo Defekte
der Pflanze schädlich sein würden, und wo sie nicht durch
Knospenbildung ersetzbar sind, da findet sich auch bei den
Pflanzen echtes Regenerationsvermögen. So wird ein Substanz-
verlust der Rinde eines Baumes durch „Überwellung“ und
[179] Callusbildung von den Wundrändern her geschlossen und da-
durch das freiliegende Holz vor Schädlichkeiten bewahrt. Ebenso
bedeckt sich die Schnitt- oder Bruchfläche eines Astes, selbst
vieler saftiger Stengel mit wucherndem Callusgewebe, in dem
sogar neue Vegetationspunkte von Sprossen und Wurzeln ent-
stehen können, so dass der Callus zum Ausgangspunkt neuer
Pflanzen-Individuen wird.1) Der Anstoss zur Wucherung liegt
hier, wie bei der thierischen Regeneration in der Aufhebung
der Wachsthums-Widerstände, allein die Zellen müssen auf
diese Reaction eingerichtet sein, sonst erfolgt die Wucherung
nicht, wie denn bei Weitem nicht alle Stengel, Wurzeln oder
Blattrippen krautartiger Pflanzen eine Verwundung mit Callus-
bildung beantworten. Es liegt also hier keine Ureigenschaft
der Pflanze vor, sondern eine Anpassung, die meines Erachtens
auf der Beigesellung gewisser Ersatz-Determinanten zu dem
aktiven Idioplasma bestimmter Zellenarten beruht.
Callusbildung ist wohl der einzige Vorgang, der bei den
Pflanzen als eigentliche Regeneration aufzufassen ist.
5. Die Regeneration an thierischen Embryonen und
die Principien der Ontogenese.
Der Vererbungstheorie, wie sie bis jetzt dargelegt wurde,
vor Allem der Vorstellung von der Zusammensetzung des Keim-
plasma’s aus Determinanten und der Abwickelung der Ontogenese
durch allmälige Auseinanderlegung der Determinanten-Masse
des Keimplasma’s liegt die Anschauung zu Grunde, dass die
Zellen sich selbst bestimmen, dass ihr Schicksal ihnen
durch innere, in ihnen selbst gelegene Kräfte aufgezwungen
wird, nicht oder doch nur in zweiter Linie durch äussere Ein-
wirkungen. Wenn aus der befruchteten Eizelle, z. B. bei der
12*
[180] ersten Theilung die Urzelle des Entoderm’s und des Ektoderm’s
hervorgeht, so geschieht dies aus dem Grunde, weil in die eine
die Determinanten des Entoderm’s, in die andere die Deter-
minanten des Ektoderm’s bei der Theilung des Keimplasma’s
zu liegen kommen, nicht aber weil irgend welche äussere Ein-
flüsse, z. B. die Schwerkraft, die beiden Zellen verschiedentlich
beeinflussten. Ebenso wird in späterer Embryonalperiode eine
gewisse Zelle nicht deshalb zur Muskel-, Nerven- oder Epithel-
zelle, weil sie zufällig an einer bestimmten Stelle liegt, wo sie
von gewissen andern Zellen von dieser oder jener Seite her
beeinflusst würde, sondern weil sie Muskel-Determinanten oder
Nerven- oder Epithel-Determinanten bestimmter Art enthält.
Diese Vorstellung von der Prädestinirung der einzelnen
Zellen, denen durch ihr Idioplasma ihre und ihrer Nachkommen
Schicksal aufgeprägt ist, hat ihren ersten, wenn auch noch
unvollkommenen Ausdruck in der Lehre von den „organbilden-
den Keimbezirken“ gefunden, wie sie His1) im Anfang der
siebziger Jahre aufstellte. His glaubte, dass in der „Keim-
scheibe“ des Hühnchens, d. h. also im Zellkörper des Eies,
„die Organanlagen in flacher Ausbreitung vorgebildet ent-
halten“ seien, dass also jedes Organ durch eine bestimmte
Parthie des Eikörpers repräsentirt sei. Erst ein Jahrzehnt
später — wie in der historischen Einleitung gezeigt wurde —
gelangte die Untersuchung so weit, dass man einsah, die „An-
lagen“ des Embryo müssten in die Kernsubstanz verlegt
werden. Damit war die specielle Form der Lehre von His
allerdings widerlegt, nicht aber das zu Grunde liegende Princip
in seinem allgemeinen Sinne. Denn dieses besagte, dass das
differenzirende Princip der Ontogenese in den Zellen selbst
seinen Sitz habe, nicht in äusseren Einwirkungen. Wilhelm
[181] Roux1) war es, der zuerst durch den Versuch nachwies, dass
die Differenzirung des Eies zum Embryo jedenfalls nicht von
ausserhalb des Eies gelegenen Einwirkungen hervorgerufen
wird, sondern von innen heraus erfolgt. Pflüger2) hatte ge-
zeigt, dass beim Froschei immer der nach oben gerichtete Theil
des Eies sich zum animalen Pol des Embryo gestalte, mochte
man das Ei in dieser oder jener Zwangslage festhalten, und er
glaubte dies auf eine „richtende Wirkung der Schwerkraft“
beziehen zu müssen; Roux aber wies nach, dass Froscheier,
welche in einer Verticalebene langsam rotirten, sich ebenso
gut entwickelten als solche, auf welche die Schwerkraft ein-
wirkte, und Born3) fügte hinzu, dass bei Entwickelung eines
Eies in Zwangslage zwar der Zellkörper sich zunächst nicht
mit verschiebe, dass aber der Kern eine Verlagerung erleide,
indem er sehr bald den höchsten Punkt im Ei aufsuche, von
dem dann die Entwickelung ausgehe. Damit war unzweifelhaft
nachgewiesen, dass die gestaltenden Kräfte im Ei selbst ihren
Sitz haben, aber es war noch nicht darüber entschieden, ob
die Differenzirung desselben wesentlich nur in den einzelnen
Zellen zu suchen ist, ob also Selbstdifferenzirung jeder ein-
zelnen Zelle bestehe, die ihre Entwickelungsbahn nöthigenfalls
auch ohne die übrigen Embryonalzellen durchlaufen würde,
oder ob die Aufeinanderwirkung der verschiedenen Zellen des
Embryo sie gegenseitig differenzire, ob gewissermassen ein be-
stimmender Einfluss des Ganzen auf die Theile ausgeübt
werde und den Zellen ihr Geschick vorschreibe.
[182]
Der experimentelle Beweis für die Selbstdifferenzirung
oder Prädisponirung der einzelnen Zellen wurde dann, wie ich
glaube, durch Wilhelm Roux1) geliefert. Dieser ebenso scharf-
sinnige Denker als geniale Experimentator zerstörte durch Ein-
senken einer heissen Nadel eine Furchungshälfte des in Ent-
wickelung begriffenen Froscheies und beobachtete dann, dass
solche Eier sich zu Halb-Embryonen entwickelten. Es fehlte
die entsprechende Parthie des Embryo; war die eine der beiden
ersten Furchungszellen zerstört worden, so entstand ein Halb-
Embryo, und zwar entweder ein „Hemiembryo lateralis“ oder
ein „anterior“, je nachdem die erste Furchung die Vererbungs-
substanz für die rechte und linke Körperhälfte, oder die für die
vordere und hintere Hälfte geschieden hatte. Bekanntlich variirt
die Furchung beim Froschei in dieser Hinsicht. Wurde eine
der vier ersten Furchungszellen zerstört, so entstand ein Drei-
viertel-Embryo.
Diese Versuche mussten als beweisend für die Selbstdifferen-
zirung der Zellen gelten. Es sind nun in neuester Zeit Er-
fahrungen bekannt geworden, welche dem zu widersprechen
scheinen, und obgleich dieselben noch unfertig sind und nur
als Anfang eingehenderer Untersuchungen betrachtet werden
können, so möchte ich sie hier doch nicht mit Stillschweigen
übergehen, und dies um so weniger, als ich überzeugt bin, dass
sie keine Widerlegung der Selbstbestimmung der Zellen ent-
halten, wie Manche zu glauben geneigt sein könnten.
Es sind hier zuerst die Versuche von Chabry2) an den
Eiern von Seescheiden (Ascidien) zu erwähnen. Dieser Unter-
sucher zerstörte mittelst eines besonderen Apparates eine der
[183] beiden ersten Furchungszellen und beobachtete danach, dass
die andere sich weiter entwickelte, und zwar nicht zu einem
halben Embryo, wie beim Frosch, sondern zu einem ganzen
von halber Grösse. Allerdings war ein solcher Embryo nicht
ganz vollständig, doch fehlten ihm nur Organe von geringerer
Bedeutung. Chabry selbst hat aus diesen Beobachtungen keine
theoretischen Folgerungen gezogen, wohl aber sein Nachfolger
auf diesem Gebiet, H. Driesch1), der an Seeigeleiern ähnliche
Resultate erhielt. Durch anhaltendes Schütteln konnte dieser
Experimentator die zwei ersten Furchungszellen mechanisch von
einander trennen und sah dann, dass jede derselben zunächst
sich weiter theilte, als ob das Ei noch ganz wäre, dass später
aber die aus der Furchung hervorgehende halbe Blastula sich
zu einer ganzen vervollständigte. An einigen solchen Halb-
Blastulen ging die Entwickelung noch weiter, es entstand die
Gastrula-Einstülpung, der Urdarm bildete sich aus, und es kam
bis zur Anlage einer zwar kleinen, aber sonst normalen Pluteus-
Larve.
„Es ist also durch diese Versuche dargethan, dass unter
Umständen jede der beiden ersten Furchungszellen des Echinus
microtuberculatus eine normal gebildete, der Form nach ganze
Larve aus sich hervorgehen lassen kann, eine Theilbildung,
keine Halbbildung“; in diesen Worten fasst der Verfasser
seine Resultate zusammen und zieht daraus den Schluss, dass
diese der „Lehre von den organbildenden Keimbezirken in funda-
mentaler Weise widerspreche“. Er schliesst sich dem Ausspruch
von Hallez2) an, der sagte: „il n’est pas dès lors permis de
croire que chaque sphère de segmentation doit occuper une
dlace et jouer un rôle, qui lui sont assignés à l’avance“.
[184]
Obgleich weit entfernt zu behaupten, wir seien im Stande,
im Augenblick schon eine völlig sichere oder gar ins Einzelne
gehende Erklärung der gewiss höchst interessanten und wichtigen
Versuchsresultate von Chabry und Driesch zu geben, glaube
ich doch, dass sie uns keineswegs zwingen, die Vorstellung von
der Prädestinirung der einzelnen Furchungszellen und der Zellen
überhaupt aufzugeben. Es giebt eben noch andere Wege, um
zu principiellen Anschauungen zu gelangen, als den Versuch,
und nicht immer ist der Versuch die sicherste Entscheidung,
wenn er auch zuerst völlig beweisend erscheint. Zweifelt doch
Driesch selbst die Beweiskraft des oben erwähnten Versuches
von Roux an — ich glaube mit Unrecht —, indem er die
Frage stellt, ob nicht etwa die Furchungskugeln des Frosches
sich ebenso verhalten würden, wie die der Seeigel, wenn sie
wirklich isolirt werden könnten, statt eng mit der abgestor-
benen anderen Hälfte des Eies verbunden zu sein. Selbst dieses,
so unzweifelhaft scheinende Resultat des Versuches kann also
angezweifelt werden.
Mir scheint, dass uns vorsichtige Schlüsse aus den all-
gemeinen Vererbungsthatsachen hier sicherer leiten, als die Er-
gebnisse solcher nie ganz reinen und unzweifelhaften Versuche,
so höchst werthvoll dieselben auch sind, und so sehr sie mit
in die Waagschale zu legen sind. Wenn man sich dessen er-
innert, was in dem Abschnitt über die Architektur des Keim-
plasma’s zur Begründung der Determinantenlehre gesagt wurde,
so wird man wohl mit mir die Überzeugung gewinnen, dass
die Ontogenese nur durch Evolution, nicht durch Epigenese
erklärt werden kann. Es wäre unmöglich, dass irgend eine
kleine Stelle der Haut des Menschen sich vom Keim aus, d. h.
erblich und für sich allein verändern könnte, wenn nicht in
der Keimsubstanz ein wenn auch noch so kleines Lebenselement
vorhanden wäre, welches gerade dieser Hautstelle entspräche
[185] und dessen Variation die der betreffenden Hautstelle nach sich
zöge. Verhielte es sich nicht so, so könnte es keine „Mutter-
mäler“ geben. Wenn aber „Determinanten“ im Keimplasma
enthalten sind, so können sie nur dann beim Aufbau des Körpers
bestimmend eingreifen, wenn sie durch die Zellfolgen der Embryo-
genese genau an jene Stelle und in jene Zellen gelangen, welche
sie bestimmen sollen — oder mit anderen Worten, wenn es
nicht von irgend welchen anderen Momenten abhängt, was aus
einer Zelle werden soll, sondern in erster Linie von ihr selbst.
Wenn nun also die Ontogenese nach Roux’ treffendem
Ausdruck nicht „Neubildung von Mannigfaltigkeit“ oder Epi-
genese, sondern nur Entwickelung von Mannigfaltigkeit, d. h.
Evolution ist, oder wie man auch sagen könnte: Sichtbar-
werden einer vorher für uns unsichtbaren Mannig-
faltigkeit, so ist damit allerdings nur das Princip der Selbst-
bestimmung jeder Zelle und die Leitung der Ontogenese durch
die Selbstbestimmung des Eies als Ganzem festgestellt; die
Selbstbestimmung jeder Zelle folgt daraus noch nicht ohne
Weiteres. Es ist nur die einfachste Annahme, durch successive
Kerntheilungen, die wir beobachten können, das Anlagenmaterial
des Keimplasma’s sich so vertheilt zu denken, wie es der Aus-
einanderlegung der Anlagen in die Körperbezirke entspricht,
und in jeder Zelle diejenigen Anlagen als vorhanden anzunehmen,
welche den aus ihr hervorgehenden Theilen entsprechen.
Die umgekehrte Annahme wäre aber — wie eben gezeigt
wurde — auch möglich, die Annahme, dass zwar in jeder Zelle
das gesammte Anlagenplasma vorhanden wäre, aber immer nur
diejenige Anlage zur Wirkung auf die Zelle gelangte, welche
der Rolle entspräche, die diese spielen soll. Dieses Wirksam-
werden der Anlage hinge dann nicht von dem Idioplasma der
Zelle, sondern von Einflüssen ab, welche von dem Gesammt-
complex der übrigen Zellen des Organismus ausgingen. Man
[186] müsste sich vorstellen, dass jeder Ort des Körpers von sämmt-
lichen übrigen Orten bestimmt würde, und käme dann im
Wesentlichen auf die Vorstellung Spencer’s von dem Orga-
nismus als complicirtem Krystall zurück. Eine solche „Er-
klärung“ ist aber nichts Anderes, als ein Verzicht auf Erklärung,
da wir uns einen solchen bestimmenden Einfluss des Ganzen auf
die tausend- und millionenfach verschiedenen Theile in keiner
Weise vorstellen oder auf irgend welche Analogien beziehen
können. Zahlreiche Beobachtungen von Vererbungserschei-
nungen blieben völlig unverständlich. Wie wollte man es er-
klären, dass beim Menschen ein gewisses Muttermal sich nur
auf die linke Körperhälfte vererbt, und nicht auch einmal auf
die rechte? Das Keimplasma wäre in den betreffenden Zellen
der rechten Seite ebenso gut vollständig vorhanden, als in denen
der entsprechenden Stelle der linken; die beiden Körperhälften
sind sonst gleich; wie sollte nun das Ganze auf die Stelle der
linken Seite einen andern Einfluss ausüben, als auf die der
rechten?
Ich glaube also, dass wir das Princip der Selbstbestim-
mung der Zellen nicht aufgeben dürfen trotz des scheinbaren
Widerspruches der von Chabry und Driesch gefundenen
Thatsachen. Ich glaube ferner, dass sich diese Thatsachen
principiell wenigstens ganz wohl erklären lassen. Sie sind
als Regeneration aufzufassen, und zwar nicht als eine
für die ersten Furchungsstadien vorgesehene Regeneration,
sondern als eine für spätere Zeit der Ontogenese berechnete
Einrichtung.
Es ist kaum zu erwarten, dass die ersten Furchungsstadien
auf Regeneration gewissermassen absichtlich eingerichtet
seien. Sowohl bei den Ascidien, als bei Seeigeln ist die Zahl
der Eier eine so grosse, dass wohl wenig darauf ankommt, ob
ein Ei, welches von irgend einem kleinen Feinde in seiner
[187]einen Furchungshälfte angefressen wird, zu Grunde geht, oder
sich regeneriren kann. Es sind zwar wohl Fälle denkbar, in
denen Eier in dieser Weise Schutz vor sehr häufigen Feinden
suchen könnten, aber ich verzichte darauf, diese Erklärung zu
benutzen.
Dann bleibt zunächst die folgende Auffassung übrig. Die
erste Theilung bewirkt die Trennung der Determinanten-Gruppe
für die linke und die rechte Körperhälfte; jede von diesen ist
zwar kein volles Keimplasma, insofern sie nicht jede Determi-
nante doppelt enthält, aber es ist sehr wahrscheinlich, dass
diese Ide das Vermögen besitzen, sich unter Umständen in der
Weise zu theilen, dass sie sich dabei verdoppeln. Ein solches
Keimplasma würde dann zwar ein Muttermal oder irgend eine
Asymmetrie der andern Körperhälfte nicht enthalten können,
würde aber ein vollständiges Thier liefern. Der Anstoss zur
Verdoppelung der Ide des ersten Furchungsstadiums mag in
der Tödtung oder mechanischen Entfernung der andern Furchungs-
zelle liegen.
Für diese Auffassung der Regeneration einer isolirten ersten
Furchungszelle liesse sich anführen: die Fähigkeit des noch un-
getheilten Keimplasma’s, sich in gewissen Fällen zu verdoppeln.
Dass die Ide im Allgemeinen das Vermögen besitzen, zu wachsen
und sich durch Theilung zu verdoppeln, sehen wir direkt an
der Längsspaltung der Kernstäbchen und ihrer Mikrosomen bei
jeder erbgleichen Zell- und Kerntheilung. Für die Ide des
Keimplasma’s wird eine solche Verdoppelung anzunehmen sein
bei der Entstehung identischer Zwillinge, d. h. solcher
Zwillinge, bei welchen wir die Theilung des Kernes nach der
Befruchtung annehmen müssen, weil bei Theilung vor der Be-
fruchtung Identität der Embryonen nicht entstehen könnte, da
in diesem Falle zwei Spermatozoen zur Befruchtung erforderlich
wären. Auch bei facultativer Parthenogenese des Eies findet
[188] wahrscheinlich eine Verdoppelung der vorher durch die Re-
ductionstheilungen halbirten Zahl der Ide und Idanten statt.
Aber die Regeneration der ersten Blastomeren zum ganzen
Embryo ist noch einer andern Auslegung fähig. Ascidien ver-
mehren sich nicht blos auf geschlechtlichem Weg, sondern auch
intensiv durch Knospung; Seeigel thun dies zwar nicht, aber
sie besitzen ein ungemein hohes Regenerationsvermögen. In
diesem Capitel wurde das Letztere durch die Annahme erklärt,
dass bestimmten Idstufen der Ontogenese ein „Neben-Idioplasma“
beigegeben sei, zusammengesetzt aus den für die Regeneration
nöthigen Determinanten. In einem folgenden Capitel werde
ich zu zeigen haben, dass wir für die Knospung dieselbe An-
nahme machen müssen. Diese Annahmen sind unerlässlich, so-
bald man auf der Keimplasma- und Determinantenlehre fusst.
Das zur Knospung erforderliche Neben-Idioplasma bringt das
ganze Thier wieder hervor, muss also alle Determinanten des
Keimplasma’s enthalten und muss schon vor der ersten Furchung
im Ei enthalten sein, um dann in latentem Zustand durch alle
Entwickelungsstadien hindurch gewissen Zellfolgen beigegeben
zu bleiben. Wenn nun dieses Neben-Idioplasma durch irgend
welche abnormale Einflüsse, z. B. die Tödtung der andern
Blastomere aktiv werden könnte, so würde auch auf diesem
Wege eine Regeneration des ganzen Embryo zu Stande kommen
können.
Alles dies sind zwar nur Möglichkeiten, deren Aufzählung
ich mir gern erspart hätte, da ich ihre Unvollkommenheit und
Unsicherheit sehr wohl erkenne, ich wollte aber doch zeigen,
dass die erwähnten Beobachtungen nicht jeder Erklärungs-Mög-
lichkeit spotten, wenn wir auch zur Zeit eine irgend sichere
Deutung noch nicht geben können, vor Allem schon deshalb
nicht, weil die betreffenden Beobachtungen selbst noch viel zu
unvollkommen und lückenhaft sind. Ich gehe aus diesem Grunde
[189] auch nicht auf eine nähere Erklärung der Embryologie dieser
Fälle ein.
Auf Eines aber möchte ich doch noch hinweisen, nämlich
auf das entgegengesetzte Verhalten des Froscheies
und der Eier der Ascidie und des Seeigels. Aus einer
Blastomere des Froscheies entsteht nur ein halber Embryo,
wenn wir von der besonders zu betrachtenden „Postgeneration“
absehen, aus einer Blastomere der beiden andern Eiarten ent-
steht dagegen das ganze Thier. Mögen meine Erklärungs-
Andeutungen noch so unvollkommen sein, die ihnen zu Grunde
liegende Annahme muss im Allgemeinen richtig sein, d. h.
es muss das Ei des Frosches in seiner ersten Blastomere ein
Vermögen nicht enthalten, welches bei den andern Eiern in
ihr enthalten ist. Da aber Kräfte an Substanzen gebunden
sind, so wird es wahrscheinlich, dass die Blastomere der Ascidie
und des Seeigels ein Plus von Substanz enthalten, welches
sie zur Regeneration befähigt und welches der Frosch-Blasto-
mere abgeht — Neben-Idioplasma. Driesch äussert
zwar, wie oben angeführt wurde, den Zweifel, ob nicht etwa
die Blastomere des Frosches sich ebenso verhalten würde, wie
die des Seeigels, wenn man sie wie diese von der operirten
Blastomere wirklich trennen und isoliren könnte, allein dieser
Zweifel ist wohl kaum berechtigt, da auch bei dem Ascidienei
eine solche Isolirung der normalen Blastomere durch Chabry’s
Versuch nicht bewirkt wurde, und dennoch die Entwickelung
zum ganzen Thier ebenso eintrat, wie beim Seeigelei.
Wenn nun auch das halbe Froschei sich zunächst nur zu
einem halben Embryo entwickelt, so kann sich doch ein solcher
Halb-Embryo vervollständigen durch einen sehr eigenthümlichen
Regenerations-Vorgang, welchen Wilhelm Roux an seinen
Halb- und Dreiviertels-Embryonen beobachtet und „Postgene-
ration“ genannt hat.
[190]
Roux beobachtete, dass die ihrer Entwickelungsfähigkeit
beraubte Furchungszelle des Froscheies wieder „belebt“ werden
kann. Aus der normal entwickelten Eihälfte tritt eine grössere
Zahl von Zellkernen in die Dottermasse des verletzten Theiles,
die sich vermehren und zu Zellen gestalten. „Die postgenera-
tive Bildung der Keimblätter geht in dem durch die nachträg-
liche Cellulation gebildeten Zellmateriale vor sich, indem der
Process der Differenzirung in dem ruhenden Zellmateriale fort-
schreitet.“ Es kann auf diese Weise, wie Roux gesehen zu
haben glaubt, zu einer vollständigen Ergänzung des Embryo
kommen, der lebensfähig ist, und auch wirklich längere Zeit
am Leben erhalten wurde.
Gewiss mit Recht haben diese Beobachtungen grosses Auf-
sehen erregt; sie sind in jedem Falle im höchsten Grade
interessant. Ob sie aber, so, wie sie uns bis jetzt vorliegen,
schon vollständig genug sind, um fundamentale theoretische
Schlüsse darauf zu bauen, das muss ich doch bezweifeln. Bei
aller Hochachtung vor der Beobachtungs-Sicherheit und Experi-
mentirkunst von Roux, kann ich doch nicht umhin, mir zu
sagen, dass diejenigen Halbembryonen, welche sich später zu
ganzen Thieren „postgenerirten“, möglicherweise solche waren,
bei denen der Stich mit der heissen Nadel den Kern der
Furchungszelle nicht getroffen hatte. Jedenfalls konnte der
Thatbestand darüber und über die ganze spätere Kette von
Vorgängen, welche zur Ergänzung führten, immer nur an an-
dern Individuen beobachtet werden, als an den sich schliess-
lich ergänzenden. Es ist doch immerhin ein relativ roher Ein-
griff, wenn man mit der heissen Nadel in eine Furchungszelle
stösst, und das, was dabei zerstört wird, kann in jedem Falle
wieder etwas Anderes sein. Nicht nur könnte die Kernsubstanz
als Ganzes unter Umständen unversehrt bleiben, sondern mög-
licherweise auch blos einzelne Idanten derselben. Diese
[191] könnten sich später durch Verdoppelung zur Normalzahl der-
selben ergänzen und dann die Entwickelung der Eihälfte ein-
leiten. Allerdings sagt Roux, dass die Postgeneration nicht
auf demselben Wege erfolge, wie die normale Entwickelung
der primär gebildeten Hälfte, also nicht durch selbstständige
Anlage der Keimblätter, allein die Vorgänge im Innern des
Eies lassen sich nur auf Schnitten verfolgen, und die Anfertigung
dieser gebietet die Tödtung des Embryo’s. Bei solchen Experi-
menten ist aber kein Fall dem andern gleich, und man wird
über ein sehr grosses Material gebieten müssen, um mit einiger
Sicherheit sagen zu können, dass das in Schnitte zerlegte Ei
in seiner innerlichen Beschaffenheit einem andern gleich ge-
wesen sei, dessen Entwickelung und Postgeneration man ver-
folgt hat.
Roux hat drei Arten von „Wiederbelebung“ der operirten
Eihälfte beobachtet, unter Anderem auch eine „Umwachsung“
der getödteten Hälfte von der äusseren Zellenschicht der leben-
den Hälfte aus; diese führte aber nicht zur Postgeneration,
vielmehr nur die oben erwähnte Art durch Eindringen einiger
„Kerne“ von der lebenden Hälfte in die operirte, welches
aber nur bei schwacher pathologischer Veränderung
des Dotters erfolgte, und auch dann nicht immer. Der
Gedanke liegt nahe, es möchte die Postgeneration nur da er-
folgt sein, wo die Zerstörung eine geringe war und Kern-
material übrig gelassen hatte, von dem nachträglich eine Zell-
bildung ausgehen konnte. — Damit soll nicht bezweifelt werden,
dass auch lebende „Kerne“ von der anderen Seite her in die
operirte Hälfte des Eies eingedrungen seien; die Furchungs-
zellen haben ja auch im normalen Entwickelungsgang noch
eine ungeheure Vermehrung zu leisten, und es kann somit nicht
Wunder nehmen, dass sie — nach Aufhebung des Wachsthums-
widerstandes durch Operation der andern Eihälfte — sich auch
[192] auf Kosten dieser vermehren, aber dass in jenen Fällen, in welchen
die andere Hälfte des Embryo sich nachträglich ergänzte, diese
Ergänzung auf dem Wege einer Art von Zellen-Infection statt-
gefunden habe, derart, dass das blosse Anstossen z. B. an Ekto-
dermzellen die noch undifferenzirten Zellen der operirten Ei-
hälfte bestimmte, sich ebenfalls zu Ektodermzellen auszugestalten,
das Anstossen an Mesoblastzellen aber sie zu Mesoblastzellen
bestimmte, — einer solchen, alle unsere bisherigen Anschau-
ungen über den Haufen werfenden Annahme könnte ich nur zu-
stimmen, wenn unwiderlegliche Thatsachen sie bewiesen.
Roux selbst aber hat seine Arbeit nur als „eine erste
Abschlagszahlung an das grosse Thema“ betrachtet, und eine
Fortsetzung seiner Versuche in Aussicht gestellt. Solange aber
hier nicht ganz unzweideutige Thatsachen vorliegen, werden
wir die in so zahlreichen Thatsachen wurzelnde, gerade auch
durch den ersten Theil der Roux’schen Versuche mächtig ge-
stützte Vorstellung von der Prädestinirung der Zellen durch
Zuertheilung bestimmter Determinanten und Determinanten-
gruppen nicht aufgeben dürfen. Ein Aufgeben aber dieser
Vorstellung würde unvermeidlich sein, wenn es Thatsache wäre,
dass die Zellen der Keimblätter wirklich die Fähigkeit hätten,
etwa durch den Ort, an den sie zufällig gelangen, oder durch
ihre zufällige Nachbarschaft in ihrem Wesen bestimmt zu werden.
Ich bin überzeugt, dass eine noch mehr ins Einzelne gehende
erneute Durchforschung des von Roux eröffneten Untersuchungs-
feldes uns die Thatsachen in noch anderem Licht zeigen und
eine Versöhnung mit unseren übrigen Vorstellungen über die
Ursachen der Ontogenese ermöglichen wird. Für den Augenblick
aber halte ich es noch nicht für erspriesslich, allen den Mög-
lichkeiten nachzugehen, welche bei einem Erklärungs-Versuch
der „Postgeneration“ in Betracht kommen müssten.
[193]
Capitel III.
Vermehrung durch Theilung.
1. Einleitung.
Bis in die letzten Jahre hinein hat man die Vermehrung
durch Knospung aus der durch Theilung phyletisch ab-
geleitet und beide Vorgänge als nahe verwandt und durch all-
mälige Übergänge miteinander verbunden angesehen. Erst
F. von Wagner hat es neuerdings versucht, dieser Anschauung
entgegenzutreten und zu zeigen, dass sich beide Vorgänge nicht
nur begrifflich schärfer von einander sondern lassen, als bisher
geschah, sondern dass sie auch genetisch zu trennen sind.
Wagner1) versteht unter Theilung einen Vermehrungs-
vorgang der durch ein gleichmässiges Wachsthum des Mutter-
thieres eingeleitet wird, und durch welchen die Individualität
desselben verändert, gewissermassen aufgehoben wird; unter
Knospung aber einen Vermehrungsvorgang, bei welchem ein
ungleichmässiges (differentielles) Wachsthum des Mutterthieres
den Vorgang einleitet, und durch welchen die Individualität
des Mutterthieres nicht aufgehoben und eine neue an ihre Stelle
gesetzt wird.
Ich theile diese Anschauung insoweit, als ich die Über-
zeugung hege, dass die Vermehrung durch Theilung und durch
Knospung bei Vielzelligen genetisch nicht auseinander hervor-
gegangen sind, und dass auch die Vorgänge selbst sich so
wesentlich voneinander unterscheiden, dass es sich empfiehlt, sie
getrennt zu behandeln.
Weismann, Das Keimplasma. 13
[194]
Ich rechne deshalb zur Theilung mit v. Wagner alle
Vorgänge ungeschlechtlicher Vermehrung bei den Würmern, und
zwar sowohl bei den Plattwürmern (Turbellarier, Cestoden), als
auch bei den Ringelwürmern (Syllideen, Naidinen, Tubificiden
u. s. w.), dann die Strobilation der höheren Medusen. In allen
diesen Fällen beruht die Vermehrung auf einer Theilung des
Mutterthieres in zwei oder mehrere Stücke, wobei dann noth-
wendig eine Regeneration entweder des Vorder- oder des Hinter-
endes, oder auch beider eintreten muss. Diese kann entweder
erst nach vollendeter Theilung beginnen (Lumbriculus) oder die-
selbe einleiten, ihr also mehr oder weniger vollständig vorher-
gehen. In beiden Fällen ist der eigentliche Bildungsvorgang
im Wesentlichen derselbe und durchgreifende Verschiedenheiten
finden sich nur in den verschiedenen systematischen Gruppen.
Myrianida, ein durch Theilung sich vermehrender Meereswurm; die
Buchstaben a—g zeigen die Alterssuccession der Theilstücke an (nach
Milne-Edwards aus Hatschek’s Lehrbuch der Zoologie).
Besonders genau kennen wir diese die Theilung vorberei-
tenden oder ihr nachfolgenden Regenerationsvorgänge bei ver-
schiedenen Würmern, und an diesen soll zunächst der Vorgang
in seinen Hauptzügen gekennzeichnet werden.
[195]
2. Die Theilung bei den Naiden.
Bei diesen kleinen Ringelwürmern des süssen Wassers hat
Semper den Vorgang der Theilung sehr genau verfolgt. Ein
Thier theilt sich in zwei, gewöhnlich aber in mehrere Tochter-
thiere gleichzeitig, und der Akt der Theilung wird in sehr voll-
ständiger Weise vorbereitet, indem an einer umschriebenen Stelle
des Körpers eine ringförmige Zellenwucherung im ganzen Um-
fang des Thieres entsteht, welche zur Bildung eines Schwanz-
endes für das vordere Theilstück und eines Kopfes für das
hintere Theilstück führt. Man hat diese wuchernden Zellen-
ringe bisher „Knospungszonen“ genannt, doch wird man sie
besser als „Regenerationszonen“ bezeichnen, da in der That von
einer Knospung im eigentlichen Sinne hier nicht die Rede sein
kann. Wenn zwei solche Ringe im Verlauf eines Thieres sich
bilden, wie es in der Regel geschieht, so erfolgt dann nach
völliger Ausbildung von Schwanz- und Kopfstücken die Trennung
in drei Tochterthiere dadurch, dass das Thier sich inmitten
jeden Regenerationsringes durchschnürt.
Die Regenerationszonen bilden sich bei Nais stets an der
Grenze zwischen zwei Segmenten, d. h. also sie gehen von den
aneinander stossenden Rändern zweier Segmente aus, und zwar
derart, dass zunächst die Zellen der Epidermis in Vermehrung
treten und zu einem ringförmigen Lager kleiner Zellen werden,
welche besonders an der Bauchseite mehrfach geschichtet sind;
sie entbehren noch eines ausgesprochenen histologischen Cha-
rakters. Hand in Hand damit geht ein Wachsthum der inneren
Organe in die Länge, welches schon dadurch nothwendig wird,
dass die wachsende Regenerationszone sich zwischen die beiden
Segmente, von denen sie ausgeht, einschiebt und sie auseinander
drängt. Der Darm allein aber von den inneren Organen re-
generirt sich aus sich selbst, alle übrigen Neubildungen gehen
von jenem wuchernden Zellenring aus, welcher von der Haut
13*
[196] seinen Ursprung genommen hat, sowohl die Nervencentren (die
„Bauchganglien“), als auch die Muskeln, Blutgefässe, Leberzellen
und die Excretionsorgane.
Diese die Theilung vorbereitende Neubildung von Kopf-
und Schwanzstücken ist somit ein Vorgang, der sich — wie
schon Semper hervorhob — einigermassen mit dem Aufbau
des Thieres durch die Embryogenese vergleichen lässt, wenn
man vom Gastrula-Stadium ausgeht, in welchem die Haupt-
keimblätter: Entoderm und Ektoderm schon geschieden sind.
Durch die Wucherung der Hautzellen einerseits und der Darm-
zellen andererseits werden auch hier zwei Lagen von Bildungs-
zellen hergestellt, von deren innerer nur die Darmwandung,
von deren äusserer alles Übrige gebildet wird, nicht nur die
eigentlich ektodermalen Gebilde der Haut, sondern auch die
mesodermalen. Die Ähnlichkeit geht sogar so weit, dass sich
hier wie dort aus der vom Ektoderm hergestellten Bildungs-
zellenmasse das „Mesoderm“ in Gestalt zweier Längsbänder ab-
spaltet, aus denen sich dann die Blutgefässe, Muskeln u. s. w.
differenziren.
Die theoretische Erklärung dieser Vorgänge wird von
unserem Standpunkte aus dadurch gegeben sein, dass wir den-
jenigen Zellen der Epidermis, von welchen die Bildungszellen
entstehen, ausser dem sie zur specifischen Hauptzelle stempeln-
den Idioplasma noch ein „Neben-Idioplasma“ zuschreiben,
welches die Determinanten derjenigen Organe enthält, welche
sich bei der Regeneration aus ihnen bilden. Sowohl der
Theilungsrhythmus einer jeden dieser Zellen, als auch die Art,
wie sich die in ihnen enthaltene Gruppe von Determinanten im
Laufe der succesiven Theilungen auseinander legt, ist fest be-
stimmt. Darauf muss sowohl die Anzahl von Nachkommen,
welche eine jede dieser Zellen hervorbringt, beruhen, als auch
die relative Lagerung einer jeden derselben und schliesslich ihr
[197] Zusammenschluss zu Organen und zu histologisch differenzirten
Zellen. Wenn der Wucherungsprocess beginnt, geben die neu-
entstandenen Zellen den specifischen Charakter von Hautzellen
auf, und man kann ganz wohl ihre Nachkommen dann als
Zellen von „embryonalem Charakter“ bezeichnen, wie es bisher
geschah, wenn man nur damit nicht den Begriff verbindet, dass
sie alle dieselben Anlagen enthalten müssen. Dass dem nicht
so sein kann, lehrt die Weiterentwickelung derselben, die That-
sache, dass die Zellen einer bestimmten Stelle z. B. das
Rückengefäss, die einer andern den Nervenstrang, wiederum
andere gewisse Muskeln u. s. w. liefern.
Querschnitt durch
eine Nais in der Regenerations-
zone. Ekt Haut, Ent Darmrohr,
N Nervenstrang, Ms mesodermale
Umkleidung des Darmes, Vd dorsales
Blutgefäss, Vv ventrales Blutgefäss;
m Zellen mit Ersatz-Determinanten
des Mesoderms, n solche mit Ersatz-
Determinanten des Nervenstranges.
Man würde sich also die verschiedenen Hautzellen des
Mutterthieres etwa in der Weise mit inaktivem Neben-Idio-
plasma ausgerüstet zu denken haben, wie es in dem beistehen-
den Schema (Fig. 5) angedeutet ist. Es würden z. B. die
Zellen, welche mit n bezeichnet sind, inaktive Determinanten-
gruppen für die Bildung des Nervenstranges N enthalten, die
Zellen m der Epidermis würden neben ihrem eigenen Idio-
plasma noch Determinantengruppen für Mesodermgebilde ent-
halten und zwar etwa m1 diejenigen für die Seitenmuskeln,
m2 diejenigen für das Bauchgefäss, m3 die für die Leberzellen,
m4 die für die mesodermale Umkleidung des Darmrohres,
m5 die Determinanten für die Segmentalorgane und die Muskel-
[198] gruppen in dessen Nähe, m6 die für das Rückengefäss und die
Rückenmuskellagen u. s. w. Ich habe der Einfachheit halber
nur eine Zellenschicht der Epidermis angenommen, in Wirk-
lichkeit liegen sie an vielen Stellen zweifach übereinander,
überhaupt beansprucht dieses Schema nicht entfernt, die wirk-
lichen Verhältnisse genau oder vollständig wiederzugeben, oder
gar die einzelnen Zellen zu bestimmen in Bezug auf die Rolle,
die sie bei der Knospung im Einzelnen spielen.
Diese idioplasmatische Erklärung des Regenerations-
vorganges stösst auch auf keinerlei Schwierigkeiten durch die
Frage nach der Herkunft der Ersatz-Determinanten,
welche wir den Bildungszellen der Epidermis zugeschrieben
haben. Denn — wie schon gesagt wurde — hält die Embryo-
genese im Grossen und Ganzen den gleichen Weg ein, wie die
Regeneration, d. h. das Ur-Mesoderm entsteht aus dem Ur-
Ektoderm. Die definitiven Ektodermzellen haben also Gelegen-
heit bei ihrer embryonalen Entstehung aus den Ur-Ektodermzellen
etwas Ur-Mesoderm-Idioplasma als Neben-Idioplasma zu über-
nehmen, und dieses kann sich dann bei der Vermehrung der
Ektodermzellen in mehrere Determinanten-Gruppen spalten, so
dass die Epidermiszellen im Umkreis des Körpers mit ver-
schiedenen mesodermalen Determinanten als Neben-Idioplasma
ausgerüstet sind.
Dabei ist aber noch Eines zu berücksichtigen, nämlich der
Umstand, dass das Wachsthum des Wurmes nur am Hinter-
ende vor sich geht, und zwar auf ganz ähnliche Weise, wie
bei der Regeneration, welche die Theilung einleitet. Hier wie
dort wird ein neues Segment, ein Leibesring, eingeschoben und
zwar hier zwischen Schwanzende und vorhergehendes Segment,
und die Bildung dieses neuen Segmentes geht auch hier so
vor sich, dass nur der Darm vom Entoderm aus entsteht, die
Haut aber und die gesammten mesodermalen Gebilde vom Ekto-
[199] derm aus. Somit würden die von uns angenommenen Neben-
Determinanten der Epidermiszellen, welche die Theilungs-Re-
generation ermöglichen, nicht direkt aus der Embryogenese
stammen, sondern aus der Wachsthumszone des Schwanzendes,
welches sie seinerseits aber aus der Embryogenese über-
nommen hat.
3. Theilung bei den Mikrostomeen.
Dass es nun nicht etwa in der Natur jeder Ektodermzelle
liegt, alle möglichen Zellenarten und Organe mit Ausnahme des
Darmepithels aus sich hervorgehen zu lassen, sondern dass sie
dazu in besonderer Weise ausgerüstet sein müssen, beweist die
Thatsache, dass das Ektoderm keineswegs bei allen Thieren,
welche sich durch Theilung fortpflanzen, ja nicht einmal bei
allen Würmern diese Rolle spielt.
Nach den schönen Untersuchungen von F. von Wagner1)
geht bei der Theilung eines Plattwurmes, des Microstoma
lineare, die Neubildung des Hinter- oder Vorderendes zum ge-
ringsten Theil von den Zellen der Haut aus, vielmehr zum
grössten Theil von Mesodermzellen, jenen sogenannten „Binde-
gewebszellen“, welche „zwischen den Trabekeln der Gerüst-
substanz zahlreich in der Perivisceralflüssigkeit suspendirt
liegen“. Diese fangen an sich zu vermehren, wenn das Thier
sich zur Theilung vorbereitet, und bilden durch ihre Vermehrung
einen ventral gelegenen Haufen sogenannter „embryonaler“
Zellen, von welchen dann die Bildung des Pharynx, der Pharyn-
gealdrüsen, der Kopfdrüsen, ja, wie es scheint, sogar gewisser
Theile des Nervensystems, jedenfalls aber aller der Theile aus-
geht, welche gewöhnlich als „parenchymatische Bildungen“ oder
„mesodermale“ bezeichnet werden. Ähnlich fand es Kennel2)
bei einer Planarie.
[200]
Hier werden wir also nicht den Zellen der Haut, sondern
jenen mesodermalen Zellen die zur Regeneration erforderlichen
Neben-Determinanten beigegeben denken müssen. Ob dies nun
in der Weise geschieht, dass jede dieser Zellen sämmtliche
Mesoderm-Determinanten enthält, und diese erst bei ihrer Ver-
mehrung auseinander gelegt und auf einzelne Zellen vertheilt
werden, oder so, wie es bei den Ektodermzellen von Nais an-
genommen wurde, dass schon vor der Wucherung eine Ver-
theilung der verschiedenen Determinanten auf verschiedene dieser
Zellen stattgefunden hat, muss für jetzt dahingestellt bleiben.
In der Regelmässigkeit, mit welcher alle Organe an ihrer richtigen
Stelle und in ihrem richtigen Zusammenhang sich bilden, liegt
vielleicht ein Hinweis darauf, in ihnen von vornherein getrennte,
je nach ihrer topographischen Lage verschiedne latente Anlagen
anzunehmen. Schwerlich wird die umgekehrte Annahme durch-
führbar sein, nach welcher zwar in jeder Bildungszelle alle
Anlagen vorhanden wären, aber immer nur diejenige zur Ent-
wickelung gelangte, welche dem Ort entspräche, an dem sich
die Zelle zufällig befände.
In der ontogenetischen Herleitung der nöthigen Ersatz-
Determinanten begegnen wir auch hier keiner ernstlichen
Schwierigkeit, ja noch weniger als bei Nais, da hier Zellen der
gleichen Körperschicht die Ersatz-Determinanten für die zu
bildenden Organe zu enthalten haben.
4. Phylogenese der Theilung bei den Metazoen.
Es kann kaum zweifelhaft erscheinen, dass die spontane
Theilung, wie sie sich bei Platt- und Ringelwürmern vorfindet,
phylogenetisch von der Regeneration abzuleiten ist, wie dies schon
v. Kennel vor Kurzem hervorhob1), dem sich A. Lang2) an-
[201] schloss. Mit Recht, wie mir scheint, weisen diese Forscher
darauf hin, dass die Vermehrung durch spontanes Zerbrechen,
wie sie bei einem Süsswasser-Regenwurm, Lumbriculus, regel-
mässig vorkommt, als eine Vorstufe der mit Regeneration ver-
bundenen Theilung aufgefasst werden muss, wie wir ihr z. B.
bei den Naidinen begegnen. Der Unterschied beider Vorgänge
liegt wesentlich darin, dass bei Nais die Trennung des Thieres
in Stücke eingeleitet und vorbereitet wird durch vorherige
Bildung neuer Schwanz- und Kopfstücke. Diese wachsen vor
der Trennung hervor und schieben sich zwischen die alten Seg-
mente an der Stelle ein, an welcher die Trennung in Stücke er-
folgen soll. Bei Lumbriculus findet eine solche Vorbereitung
nicht statt; der Wurm bricht an einer Stelle durch, die vorher
durch Nichts vor andern Stellen ausgezeichnet war, und der
neue Schwanz und Kopf bilden sich erst nachträglich, nach
erfolgter Theilung.
Diese Fähigkeit der Selbsttheilung ist natürlich auch eine
Anpassung und setzt irgend eine, wenn auch uns zur Zeit noch
nicht verständliche histologisch-physiologische Einrichtung vor-
aus; aber man kann sich leicht vorstellen, dass, wenn sie einmal
bei einer Art bestand, es von Vortheil gewesen sein kann, die
Theilung noch besser vorzubereiten, und die doch nachträglich
nöthigen Ergänzungen des Theilstückes der Theilung zeitlich
vorher zu schicken.
Andererseits nun ist die Voraussetzung einer jeden Ver-
mehrung durch spontane Theilung die Fähigkeit zur Regene-
ration. Diese muss also schon dagewesen sein, ehe spontane
Theilung eine regelmässig eintretende Einrichtung der Art
werden konnte, und so werden wir zu der Vorstellung geleitet,
dass zuerst, und zwar schon sehr früh, in der Phylogenese der
vielzelligen Thiere die Fähigkeit erworben wurde, zufällig ent-
standene Zerreissung des Körpers durch Regeneration auszu-
[202] gleichen, und dass aus dieser Regenerationsfähigkeit sich dann
die Einrichtung der Vermehrung durch Selbsttheilung mit nach-
träglicher Kopf- und Schwanzbildung, aus dieser aber die
Theilung mit vorhergehender Bildung der neuen Theile ent-
wickelte.
Diese Folgerung erhält noch eine weitere Stütze, wenn wir
uns erinnern, was oben über die Regeneration festgestellt wurde,
dass sie nämlich keineswegs eine inhärente Eigenschaft der Orga-
nismen, ein unmittelbarer und unvermeidlicher Ausfluss einer be-
stimmten Organisation oder Organisationshöhe ist, sondern eben-
falls eine durch Naturzüchtung erst hervorgerufene Anpassung,
eine besondere Einrichtung, die in höherem oder geringerem Grade
getroffen werden kann, oder auch nicht. Der in zwei Stücke
geschnittene Regenwurm bildet sich zwar am Vorderstück ein
neues Schwanzende, nicht aber am Hinterstück einen neuen
Kopf. Dazu fehlt also hier noch die Einrichtung, welche bei
Lumbriculus und Nais vorhanden ist. Diese Einrichtung besteht
nun nach meiner Auffassung darin, dass den Zellen der Haut
und des Darms die zur Kopfbildung erforderlichen Determinanten
als Neben-Idioplasma beigegeben sind. Beim Regenwurm be-
sitzen sie nur diejenigen der Schwanzbildung.
Es kann wohl sein, dass die Regeneration des Schwanzes
deshalb leichter einzurichten war, weil das letzte Segment bei
den Ringelwürmern ohnehin schon zur Hervorbringung ganzer
neuer Segmente eingerichtet war. Das Wachsthum geschieht
ja durch Neubildung von Segmenten vom Schwanzende aus,
dort waren also schon die nöthigen Neben-Determinanten den
Zellen beigegeben und der Schluss des bei der Theilung durch-
getrennten Körpers konnte vielleicht mechanisch erfolgen. Die
Kopf-Determinanten können dagegen nur vom Ei und der
Embryonalentwickelung aus als Neben-Idioplasma den betreffenden
Zellen beigegeben worden sein, und es begreift sich daraus, dass
[203] die Fähigkeit, einen neuen Kopf zu bilden, erst später erworben
wurde, und dass es Würmer giebt, welche zwar wohl ein neues
Schwanzende, nicht aber einen Kopf am durchschnittenen Rumpf
neu bilden können.
Wir haben also von der Segmentbildung am wachsenden
Schwanzende, durch die Regenerationsfähigkeit des Schwanzes
zu der des Kopfes, und weiter durch die Selbsttheilung des
Lumbriculus bis zu der von Nais einen einzigen, sich immer
mehr steigernden und complicirenden Entwickelungsgang, und
derselbe beruht nach unserer Vorstellung auf einer immer ver-
wickelter sich gestaltenden, gesetzmässigen Vertheilung be-
stimmter Neben-Determinanten an bestimmte Gewebezellen.
Die idioplasmatische Grundlage des die Theilung ermög-
lichenden Regenerationsvorgangs muss also wohl in einer Ver-
doppelung gewisser Determinanten-Gruppen gesehen werden,
verbunden mit Abspaltung und Inaktivbleiben der einen von
beiden. Soviel ich sehe, braucht diese Verdoppelung mit nach-
folgender eventueller Vervielfachung der inaktiven Determinanten-
Gruppen nicht von vornherein schon im Keimplasma vor sich
zu gehen, und es wäre eine nutzlose Belastung desselben, falls
sie immer dort schon vor sich ginge. Nur wenn die Theilung
zum Generationswechsel führt, d. h. wenn die durch Theilung
entstandenen Thiere anders gebaut sind, als die aus dem Ei
schlüpfenden, müsste schon das Keimplasma die Theilungs-
Determinanten enthalten, weil dann die durch Theilung ent-
standenen Formen selbstständig erblich veränderlich sich er-
weisen. So beim Generationswechsel gewisser Ringelwürmer
des Meeres, den Syllideen und bei der Strobilation der Polypen,
von welcher später die Rede sein soll. In allen solchen Fällen
müssen zweierlei Ide im Keimplasma angenommen werden. Bei
der gewöhnlichen Theilung dagegen, wie sie uns die Ringel-
würmer des süssen Wassers vorführen, kann wohl die Abspaltung
[204] der zur Regeneration des Theilstückes nöthigen Determinanten-
Gruppen während der Embryogenese erfolgen. Etwas Bestimmtes
lässt sich aber darüber nicht sagen; jedenfalls ist es denkbar,
dass der Vorgang der Abspaltung von Neben-Determinanten
aus den späteren Stadien der Ontogenese in frühere und so
weiter bis zuletzt in das befruchtete Ei zurückrücken kann, so
dass zuletzt Doppel-Ide im Keimplasma entstehen, wie sie
weiter unten als Ausgangspunkt für die Knospung angenommen
werden.
Capitel IV.
Vermehrung durch Knospung.
Wenn wir mit von Wagner die Knospung als einen
„Neubildungsprocess ganzer Individuen“ auffassen, der „aus-
schliesslich auf einem vom normalen verschiedenen, besondern
(differentiellen) Wachsthum“ beruht, so fällt die ungeschlecht-
liche Vermehrung der Bryozoen, die der meisten Cölen-
teraten und der Tunikaten unter diesen Begriff. Was bei
den Pflanzen Knospung bedeutet, kann überhaupt kaum zweifel-
haft sein.
Da die Knospung in den verschiedenen Organismengruppen,
in welchen sie vorkommt, durchaus nicht ganz gleich verläuft,
so empfiehlt es sich, einige dieser Gruppen gesondert ins Auge
zu fassen.
Knospung bei den Thieren.
Coelenteraten.
Man glaubte bisher die Knospung der Cölenteraten und
besonders die der Hydrozoen-Klasse unter ihnen genau zu kennen;
man hatte beobachtet, dass schon in ganz jungen Knospen von
[205] Medusen und Hydroidpolypen die beiden Zellenlagen, welche
den Leib dieser Thiere bilden, enthalten sind. Sie umgeben
die Leibeshöhle, ganz wie im Mutterthier, und da sowohl diese,
wie die beiden Zellen-Blätter mit den entsprechenden Gebilden
der Mutter in unmittelbarem Zusammenhang stehen, so war
Nichts natürlicher, als die Vorstellung, dass die Knospe als
eine Ausstülpung der Leibeswand des Mutterthieres
entstehe und von beiden Blättern desselben zugleich
gebildet werde. Ein Zweifel an der Richtigkeit dieser Auf-
fassung konnte um so weniger aufkommen, als man in den
jüngsten Knospen von Hydroidpolypen, ehe sie noch hohl sind,
beide Schichten, das Ektoderm und das Entoderm der Knospe
aus einer grösseren Zahl in lebhafter Vermehrung begriffener
junger Zellen zusammengesetzt fand. So habe ich es selbst
noch in meinen Untersuchungen über die Bildung der Ge-
schlechtszellen bei Hydroiden1) angegeben, und nirgends ist ein
Zweifel an der Richtigkeit dieser Darstellung oder vielmehr
ihrer Auslegung laut geworden.
Dennoch ist die Annahme, dass beide Keimblätter des
Mutterthieres die Knospenbildung veranlassen, nicht richtig,
die Knospe bildet sich lediglich vom Ektoderm aus,
und die jungen Zellen, welche man in den jüngsten Knospen
das Entoderm bilden sieht, sind nicht Abkömmlinge der
mütterlichen Entodermzellen, sondern sind eingewandert vom
Ektoderm her.
Die Vermuthung, dass es so sein müsse, ist mir durch
rein theoretische Erwägungen erst gekommen. Die Theorie
von der Continuität des Keimplasma’s kann Knospung idio-
plasmatisch nur so erklären, dass die Zellen des Mutterthieres,
von welchen die Knospung ausgeht, zusammengenommen sämmt-
[206] liche Determinanten der Art als Neben-Idioplasma enthalten.
Andernfalls könnte aus der Knospe niemals ein ganzes, fort-
pflanzungsfähiges Thier werden. Wenn nun je eine Zelle des
Ektoderms sämmtliche Determinanten des Ektoderms, eine Zelle
des Entoderms sämmtliche Determinanten des Entoderms enthielte,
so würde daraus doch nur dann eine Knospe hervorgehen
können, wenn beide gerade zufällig genau an derselben Stelle
übereinander zu liegen kämen. Da nun aber die Zellen des
Entoderms eine geschlossene, nicht verschiebbare Epithellage
bilden, diejenigen des Ektoderms zwar beweglicher sind, aber
im Ganzen doch auch ihre relative Lage behalten, so schien es
mir schwer vorstellbar, wieso nun doch die Knospung so fest
und gesetzmässig an ganz bestimmten Stellen des Polypen und
Polypenstockes erfolgen könne, wie es doch thatsächlich in so
vielen Fällen geschieht. Die Annahme, dass alle Zellen des
Ektoderms und Entoderms mit dem erforderlichen Neben-Idio-
plasma in gleicher Weise ausgerüstet seien, war durch die eben
erwähnte Gesetzmässigkeit der Knospung ausgeschlossen. So
kam ich auf den Gedanken, es möchte wohl das „Knospungs-
Keimplasma“ nicht auf beide Keimblätter vertheilt, sondern in
einem allein enthalten sein, und da wir wissen, dass bei den
Hydroiden die Bildung der Keimzellen stets von Ektoderm-
zellen ausgeht, so durfte erwartet werden, dass auch das
Knospungs-Idioplasma in Zellen des Ektoderms enthalten sein
werde.
Die Erfahrung hat diese Erwartung bestätigt. Unter-
suchungen, welche Herr Albert Lang auf dem Freiburger
zoologischen Institut auf meine Bitte ausführte, haben ergeben,
dass die Sache sich wirklich so verhält. Die Knospe bei ver-
schiedenen Hydroidpolypen (Eudendrium, Plumularia, Hydra)
entsteht in der Weise, dass zuerst eine Zellvermehrung an einer be-
stimmt umgrenzten kleinen Stelle des Ektoderms eintritt, während
[207] deren zugleich die die beiden Leibesschichten trennende „Stütz-
membran“ an dieser Stelle (st) immer dünner und weicher wird
und zuletzt sich auflöst; dass dann eine kleine Anzahl der neu-
gebildeten Ektodermzellen durch diese Membran hindurch ins
Entoderm eindringt. Sie bildet hier ein Lager junger, sich stark
vermehrender Zellen — dasselbe, welches ich in früherer Zeit
in jüngsten Knospen schon beobachtet hatte — und dieses
drängt nun die alten Entodermzellen von der Stützmembran
ab (Ent'), was zur Folge hat, dass dieselben sich aus dem Zu-
sammenhang des Entoderms loslösen, zerfallen und nach und
nach resorbirt werden. Die eingewanderten Zellen aber bilden
das Entoderm der Knospe.
Schnitt durch eine
Knospenanlage von Euden-
drium nach A. Lang frei
schematisirt. Ps das hornige
Perisarc, Ps' die Stelle des-
selben, welche durch die
darunter liegende Wucherung
des Ektoderms’s (Ekt') bereits
stark verdünnt ist; Ent' die
alten Entodermzellen an der
Stelle, an welcher eine Schaar
von wuchernden Ektoderm-
zellen die Stützlamelle (st)
aufgelöst, durchbrochen und
ins Entoderm eingewandert
ist, die alten Entodermzellen
dieser Stelle in die Magen-
höhle Mh drängend.
Nachdem durch A. Lang’s Untersuchungen1) dieser Sach-
verhalt festgestellt ist, wird die theoretische Zurechtlegung der
Knospung bei den Hydroiden eine einfachere. Wir bedürfen
dazu nur der Annahme, dass gewissen Zellen und Zellfolgen des
[208] Ektoderm’s ein Neben-Idioplasma beigegeben ist, welches sämmt-
liche Determinanten der Art enthält, also Keimplasma ist, wenn
es vielleicht auch nicht völlig identisch mit Keimplasma ist; ich
bezeichne es als „Knospungs-Keimplasma“. In welchen
Zellen des Ektoderm’s dieses Idioplasma enthalten ist, lässt sich
nicht sicher sagen; doch scheint die Wucherung der Knospe
von Zellen der tieferen Lage auszugehen, von den „interstitiellen“
Zellen der Autoren. Man wird also annehmen dürfen, dass ein
Theil dieser interstitiellen Zellen inaktives Knospungs-Keimplasma
enthält, und dass dieses nach einer bestimmten Reihe von Zell-
theilungen, wie sie durch das Wachsthum des Polypen bedingt
sind, zur Herrschaft in einer der Zellen-Nachkommen gelangt
und somit die Knospung hervorruft. Jede Knospung wird ur-
sprünglich nur von einer Zelle ausgehen, wenn sich dies auch
bisher nicht direkt nachweisen liess, und bei der ersten oder doch
bei den ersten Theilungen der die Knospung hervorrufenden
Zelle wird sich die Determinanten-Gruppe des Ektoderm’s von
der des Entoderm’s trennen, und die Träger der Letzteren werden
durch die sich auflösende Stützlamelle in das alte Entoderm
einwandern. Das Weitere ergiebt sich dann von selbst.
Die Knospung der Hydromedusen geht also von
einer einzelnen Zelle aus, und darin liegt jedenfalls ein
tiefgreifender Unterschied von der Fortpflanzung durch Theilung.
Diese Knospung entspringt von dem vollständigen, noch un-
zerlegten Determinanten-Bestand der Art, die mit der Theilung
verbundenen Neubildungen aber von zahlreichen, kleineren, den
späteren Stufen der Ontogenese entsprechenden Determinanten-
Gruppen zugleich.
Dennoch wäre es ein Irrthum, wollte man darin den durch-
greifenden Unterschied zwischen Theilung und Knospung über-
haupt sehen, wie die Knospungsvorgänge bei andern Thiergruppen
sogleich erweisen werden.
[209]
Was zunächst die übrigen Cölenteraten betrifft, so sind die
Untersuchungen erst noch zu machen, welche nachweisen sollen,
ob bei den Korallenpolypen, den höheren Medusen und
den Rippenquallen der Knospungsprocess ebenfalls nur schein-
bar von beiden Leibesschichten des Thieres ausgeht, in Wirklich-
keit aber doch auch nur von einer. Da man an diese Möglich-
keit bisher nicht dachte, so könnten auch hier Zellenwanderungen
übersehen worden sein.
Wenden wir uns aber zu den andern Gruppen des Thier-
reichs, bei welchen Knospung vorkommt, den Bryozoen und
Tunicaten, so liegen hier sehr gute Untersuchungen vor, und
die histologischen Verhältnisse sind derart, dass ein Übersehen
von Zellenwanderungen nicht leicht denkbar scheint.
Bryozoen.
Die kleinen Thierstöcke der Mooskorallen oder Bryo-
zoen entstehen durch Knospung, und auch die wenigen Bryozoen-
Arten, welche keine Stöcke bilden, pflanzen sich dennoch leb-
haft durch Knospung fort, nur dass die Knospen sich dann
früher oder später vom Mutterthier loslösen.
Der Vorgang der Knospung scheint im Wesentlichen bei
allen Bryozoen derselbe zu sein. An einer Stelle der äussern
Haut des Thieres bildet sich eine Zellenwucherung, welche in
ihrem Ursprung auf eine Zelle zurückzuführen sein wird. Der
so entstehende Zellenhaufen gestaltet sich zu einer nach innen,
d. h. in die Leibeshöhle des Thieres wachsenden hohlen Ein-
stülpung, und aus dieser bildet sich der gesammte Verdauungs-
kanal mit Vorder-, Mittel- und Hinterdarm, sowie das vor dem
Munde gelegene sogenannte Atrium mit dem Tentakelapparat.
Aus der Leibeshöhle des Mutterthieres sollen dann noch einige
sog. „freie Mesodermzellen“ in die Knospe aktiv auswandern, um
Weismann, Das Keimplasma. 14
[210] dort die Muskeln, die Geschlechtsorgane und in gewissen Gruppen
auch einen äussern (serösen) Zellbelag des Darmrohrs, in noch
andern Gruppen auch eine subcutane Zellschicht zu bilden. So
ergaben wenigstens die neuesten, ohne Zweifel sehr genauen
und zuverlässigen Untersuchungen von Seeliger.1) Unsicher
kann an ihnen nur der eine Punkt erscheinen, ob nicht viel-
leicht doch die Geschlechtsorgane auch aus jener ersten Wuche-
rung der Hautzellen hervorgehen.
Diese Knospungs-Vorgänge fassen unsere allzu schematisch
ausgearbeiteten Schulbegriffe von den Keimblättern etwas un-
sanft an, insofern hier die specifischen Organe des innern Keim-
blattes, der Darm, vom äussern Keimblatt, der Haut geliefert
wird. Vom Standpunkt der Keimplasmalehre verursacht dies
keine Schwierigkeit; man bedarf nur der Annahme, dass ge-
wissen Zellen der Haut die Determinantengruppe des Entoderms
als Neben-Idioplasma beigegeben ist. Diese Beigabe muss zu
einer frühen Zeit der Embryogenese erfolgen, ehe noch die
Trennung der Ur-Entodermzellen von denen des Ektoderms vor
sich geht.
Nitsche glaubte in seinen werthvollen, aber noch mit
weniger vollkommenen Mitteln ausgeführten Untersuchungen die
ganze Knospe auf eine Wucherung der Haut (des Ektoderms)
zurückführen zu können, und wenn seine Angabe sich bestätigt
hätte, so würde die idioplasmatische Erklärung der Bryozoen-
Knospung ebenso einfach sein, wie die der Hydroiden-Knospung,
man hätte dann nur nöthig, jener Ektodermzelle „Knospen-
Idioplasma“ als „Neben-Idioplasma“ zuzuerkennen. Allein See-
liger konnte diese Angabe nicht bestätigen und auch die
[211] Untersuchungen von Oka1), Davenport2) und Braem3) lassen
keinen Zweifel an der Betheiligung von „Mesodermzellen“ des
Mutterthieres an der Knospenbildung. So wird man denn an-
nehmen müssen, dass gewisse, mit bestimmten Determinanten-
Gruppen für Muskeln, Endothelien und Geschlechtsorgane aus-
gerüstete Mesodermzellen in die Knospe einwandern. Für die
Bildung von Muskeln, und noch leichter für Endothelien, lässt
sich dies begreifen, wie aber freie Zellen aus der Leibeshöhle
des Mutterthieres in die Knospung einwandern sollen, um dort
an ganz bestimmten Stellen Geschlechtsorgane zu bilden,
das wäre schwer zu verstehen, es sei denn, dass nur scheinbar
beliebige, in Wirklichkeit aber bestimmte Zellindividuen
einwanderten. Einer solchen Annahme widersprechen aber die
abnormalen Knospungs-Vorgänge, wie sie bei Pedicellina vor-
kommen. Ich halte deshalb diese Frage nach dem Ursprung
der Geschlechtsorgane noch nicht für abgeschlossen, sondern
vermuthe, dass dennoch eine oder zwei der Mesodermzellen der
Knospe aus der primären Ektoderm-Wucherung herrührt. Dies
findet sogar in der Darstellung Seeliger’s eine Stütze, indem
derselbe bei Loxosoma wenigstens eine solche Herkunft ein-
zelner der Mesodermzellen der Knospe für möglich hielt.
Da es sich hier nicht um die Knospung der Bryozoen als
solche, sondern nur um ein Beispiel einer von zwei Keim-
blättern zugleich ausgehenden Knospung handelt, so kann diese
Frage unentschieden bleiben. Soviel wenigstens steht fest, dass
bei der Knospung der Bryozoen nicht allein eine Zelle der
14*
[212] äussern Körperschicht betheiligt ist, sondern auch einige Par-
enchym-Zellen. Dies bedingt die Annahme, dass die Determi-
nanten der Art nicht sammt und sonders in einer Zelle als
„Knospungs-Idioplasma“ enthalten sein können, wie bei den
Hydrozoen, sondern dass eine Anzahl von Determinanten und
zwar diejenigen der Muskeln, Endothelien, Blutkörperchen und
vielleicht auch der Geschlechtsorgane gewissen Mesodermzellen
des Mutterthieres beigegeben sind. Die Bildung von Geschlechts-
zellen setzt ausserdem die Beigabe von Keimplasma bei den-
jenigen Zellen voraus, von welchen diese hervorgebracht werden,
und diejenigen Hautzellen des Mutterthieres, welche gewisser-
massen rein mechanisch zur Haut der Knospe werden, müssen
ektodermale Determinanten enthalten.
Die Auseinanderlegung der Determinanten, wie sie nöthig
ist, um die Knospung zu ermöglichen, ist aber offenbar eine
ganz andere, wie bei der Embryonalentwickelung. Schon See-
liger macht darauf aufmerksam, dass die Ontogenese durch
Knospung viel kürzer ist, als die durch Embryo- und Larven-
bildung. Nicht nur der ganze Furchungsprocess des Eies und
später das Stadium einer freischwimmenden Larve kommt in
Wegfall, sondern auch keines der späteren Stadien der Embryo-
genese entspricht genau einem Knospenstadium. Ohne dies ins
Einzelne verfolgen zu wollen, möchte ich doch die allgemeine
theoretische Erklärung dafür darin suchen, dass die Ersatz-
Determinantengruppen, mit welchen bestimmte Zellen im Laufe
der Embryogenese versehen werden, die Determinanten in andern
Combinationen enthalten, als sie in der Embryogenese von Zelle
zu Zelle weitergegeben werden.
Tunicaten.
Die am Meeresgrund festgewachsenen Mantelthiere, die
Ascidien oder Seescheiden, vermehren sich zum grossen Theil
[213] intensiv durch Knospungsvorgänge und bilden so Thierstöcke,
deren Personen in mehr oder minder innigem Zusammenhang
stehen.
Bei der Ascidien-Gattung Clavellina ist der Vorgang der
Knospung durch Seeliger1) genau bekannt geworden. Das
aus dem Ei hervorgegangene Mutterthier treibt hier lange, stiel-
förmige Fortsätze, Stolonen, an denen neue Thiere hervor-
knospen. Ein solcher Stolo besteht aus drei Zellenlagen, einer
äusseren ektodermalen, einem inneren Entodermrohr und frei
beweglichen „Mesodermzellen“. Aus der Ektodermlage geht
nur die äussere Haut der Knospe hervor, aus dem Entoderm-
rohr bildet sich der Darmkanal mit seinen Nebenorganen, so-
wie der Kiemensack (das „Peribranchialrohr“), auch das Peri-
cardialrohr, und aus den freien „Mesodermzellen“ wird die Musku-
latur, das Ganglion (?) und die Geschlechtsdrüsen.
Das hauptsächlich formbestimmende Element bei diesen
Vorgängen ist das Entodermrohr, indem es durch seine, in ganz
bestimmter Weise erfolgende Gliederung die Gestalt des wachsen-
den Ektodermrohres bestimmt. Wir werden also zu der An-
schauung geleitet, dass in dem Entodermrohr des Stolo homo-
loge Bildungszonen sich wiederholen, deren jede man sich als
einen Ring von ursprünglich nur einer Zellenbreite vorstellen
kann. Am Knospungsort angelangt, wächst dieser zu einer
blasenförmigen Erweiterung aus, die sich von ihrem Ursprung,
dem Entodermrohr des Stolo loslöst und nun ihre gesetz-
mässige Gliederung in Peribranchialrohr, Darmrohr u. s. w.
eingeht. Die Zellen dieser Entodermblase können nicht alle
gleichwerthig sein, können nicht alle genau dieselben Deter-
minanten enthalten, sonst könnte eben diese Gliederung nicht
[214] eintreten, es könnte nicht aus der einen ein Theil der
Peribranchialwand, aus der anderen ein Theil des Darmrohres
werden. Aber auch innerhalb der primitiven Darmblase muss
die eine Zelle die Determinanten des Magens, die andere die
des Hinterdarmes u. s. w. enthalten — kurz, wir werden hier,
wie bei der Embryogenese annehmen müssen, dass eine Ver-
theilung der Determinanten-Gruppen auf die verschie-
denen Zellen während der Entwickelung stattfindet,
eine Auseinanderlegung des Idioplasma’s, ganz ähnlich,
wie bei der Embryonalentwickelung, wenn auch nur im Princip,
nicht in den Einzelheiten. In jedem Zellenring des Entoderm-
rohres, von dem die Ausstülpung einer Entodermblase ausgeht,
müssen sämmtliche Determinanten aller Theile enthalten sein,
welche aus der Blase hervorgehen.
Am schwierigsten ist die Bildung derjenigen Organe zu
verstehen, die sich aus den „freien“ im Stolo enthaltenen „Meso-
derm“-Zellen entwickeln. Allerdings steht Nichts im Wege,
diesen Zellen sehr verschiedenes Idioplasma zuzuschreiben, den
einen „Muskel-Determinanten“, den anderen „Nerven-Determi-
nanten“, den dritten „Blutkörperchen-Determinanten“ u. s. w.
Schon ihr Aussehen lässt verschiedene Arten von ihnen unter-
scheiden, solange sie noch frei im Blut des Stolo schwimmen.
Die Schwierigkeit liegt nur in ihrem lokalen Eingreifen in
den Bau der sich entwickelnden Knospe. Diejenigen unter
ihnen, welche zu den Längsmuskeln werden sollen, ordnen sich
zu Längsreihen, welche von einem oder zwei bestimmten Punkten
schräg divergirend von hinten nach vorn über das Thier hin-
laufen, um an ziemlich fest bestimmten Punkten in der Vorder-
region desselben sich anzuheften. Ebenso hat das Ganglion
seine ganz bestimmte Lage im Thier und die Geschlechtsdrüsen.
In der Embryogenese und auch bei der Entwickelung der Ento-
dermblase der Knospe wird jeder Zelle ihr Platz mechanisch
[215] angewiesen durch ihre Entstehung aus den früheren Zellgene-
rationen, durch den Rhythmus der Zell-Theilungen. Hier aber
müssten die Zellen des Ganglions z. B. sich durch freie Orts-
bewegung am richtigen Platz zusammenfinden. Aber auch in
der Embryogenese mancher Thiergruppen, z. B. der Echino-
dermen kommt Ähnliches vor, und es wird bis zu weiterer
Klärung der Thatsachen Nichts übrig bleiben, als den Zellen
eine ihrer Bestimmung entsprechende Neigung zur Festsetzung
an bestimmten Stellen zuzuschreiben, so unbefriedigend eine
solche Annahme auch erscheint. Die umgekehrte Annahme
wenigstens, dass diese Zellen sich je nach dem zufälligen Fest-
setzungsort zu Muskel-, Nerven- oder Sexualzellen entwickelten,
scheint mir weit weniger annehmbar.
Vergleicht man nun die Knospung dieser Ascidien mit
ihrer Embryogenese, so finden sich grosse Verschiedenheiten.
Nicht nur, dass bei der Knospung die ganze Ei-Furchung wegfällt
und die Gastrulation mit der Bildung des Mesoderm’s, sondern
es entstehen auch manche Theile im Embryo aus dem Ekto-
derm, in der Knospe aus dem Mesoderm. Noch auffälliger
vielleicht ist dies bei den frei im Meere schwimmenden Mantel-
thieren, den Salpen. Auch diese vermehren sich durch Knospung
an einem Fortsatz des Thieres, dem sog. Stolo, und auch bei
ihnen entsteht fast Nichts ausser der Haut aus dem Ektoderm,
Einiges aus dem Entoderm, Vieles aber aus den „Mesoderm-
zellen“. Seeliger1) glaubt die Erklärung dafür darin zu finden,
dass das „Mesoderm des Mutterthieres, welches in die Knospen
übergeht, eigentlich nichts Anderes ist, als sein Geschlechts-
apparat“. Dies wäre indessen doch nur insoweit eine Er-
klärung zu nennen, als es für die „Mesodermzellen“ des Stolo
und der Knospe die Möglichkeit eröffnet, jede verlangte Deter-
[216] minantengruppe enthalten zu können. Denn in den Geschlechts-
zellen müssen alle Determinanten enthalten sein und durch
Zerlegung derselben bei der Theilung können somit die ver-
schiedensten Gruppen derselben gebildet, bestimmte Mesoderm-
zellen also mit dieser, andere mit jener Gruppe ausgerüstet
werden. Dies setzt dann freilich einen ganz anderen Ver-
theilungsprocess der Determinanten voraus, als er in der Em-
bryogenese stattfindet, und diese wiederum kann nur auf einer
von Anfang an verschiedenen Architektur des Idioplasma’s be-
ruhen. Ich werde bei der Besprechung des Generationswechsels
auf diesen in theoretischer Beziehung fundamentalen Punkt
zurückkommen.
2. Knospung bei den Pflanzen.
Der Begriff der Knospung ist dem Pflanzenreich entnommen;
alle höheren Pflanzen sind Pflanzenstöcke, Cormen, und be-
ruhen auf ausgiebiger und gesetzmässiger Knospung, ähnlich
wie die Thierstöcke der Hydrozoen und andere. Mag auch
die physiologische Individualität der einzelnen Person der Pflanze
häufig noch undeutlicher sich abgrenzen, als es schon bei vielen
Thierstöcken der Fall ist, der morphologische Werth des Sprosses
als einer „Person“ im Sinne Häckel’s lässt sich nicht bestreiten.
Während es nun bei den Thierstöcken bis jetzt noch nicht
überall möglich war, den Ausgangspunkt für diese Knospungs-
vorgänge in seinem Zusammenhang mit den Zellfolgen der ersten
Person des Stockes völlig klarzulegen, ist dies bei den Pflanzen
auf das Schönste gelungen, und es lässt sich deshalb auch eine
Vererbungstheorie auf die pflanzliche Knospung mit weit grösserer
Sicherheit anwenden, als auf die thierische.
Die vegetabilische Knospung geht in den meisten Fällen
von einer Zelle aus, welche an der Spitze des wachsenden
Sprosses liegt, von der „Scheitelzelle“. Durch Wachsthum
[217] und gesetzmässige Theilungen dieser Zelle wird nach Art der
Embryonalbildung eine Gruppe von Zellen gebildet, die nach
Zahl, Gestalt und Anordnung der Zellen fest bestimmt ist. Sie
enthält als Anlagen bereits den ganzen neuen Spross in sich,
und man kann von jeder ihrer Zellen im Voraus sagen, welche
Theile des Sprosses aus ihr hervorgehen werden. Die Nach-
kommen dieser Zellengruppe vermehren sich dann bis zu einer
bestimmten Grenze weiter und brauchen sich dann nur noch
zu vergrössern (zu „strecken“) und zugleich feiner zu differen-
ziren, um eine vollständig fertige „Person“ des Pflanzenstockes
darzustellen. Diese Person verändert sich dann nicht wesentlich
mehr weiter, aber von der Scheitelzelle kann die Bildung einer
neuen Person ausgehen u. s. w., denn die Scheitelzelle erneut
sich immer wieder, oder wenn man lieber will, sie bleibt immer
dieselbe.
Nehmen wir eine Alge, Chara, als Schema mit Zugrunde-
legung der von Sachs (a. a. O. p. 550) gegebenen Figur, so
erkennt man sofort, dass das Idioplasma der Scheitelzelle (v) bei
ihrer Theilung noch keine Zerlegung in verschiedene Deter-
minanten-Gruppen erleiden kann, weil durch diese Theilung
zwei Zellen gesetzt werden, deren eine die Scheitelzelle bleibt,
deren andere, das sog. „Segment“, aber einen ganzen Spross aus
sich hervorgehen lässt, also eben gerade diejenige Bildung, zu
deren Hervorbringung die Scheitelzelle befähigt ist. Aber schon
die folgende Theilung der unteren der beiden Tochterzellen
bringt die erste Sonderung in ungleiche Determinanten-Gruppen
mit sich, indem sie eine obere, biconcave, die sog. „Knoten“-
Zelle hervorbringt, aus welcher die Blätter b', b'', b''', die Seiten-
sprossen K und Geschlechtsorgane a und o hervorgehen, und
eine untere, biconvexe Zelle, welche keine weiteren Theilungen
erfährt, sondern nur bedeutend in die Länge wächst, um so
einen Abschnitt der Längsachse i' i'' i''' des Sprosses zu bilden.
[218]
Gipfel eines Sprosses von Chara im Längsschnitt (aus Sachs
„Vorlesungen über Pflanzen-Physiologie“).
Diese „Zwischenknotenzelle“ geht also keine weiteren Zerlegungen
ihres Idioplasma’s ein, während die „Knotenzelle“ sich in verti-
caler Ebene theilt und sich in Zellen zerlegt, welche verschiedene
Determinanten-Gruppen enthalten müssen, da andere Theile des
Sprosses von ihnen ihren Ursprung nehmen. So geht aus der
äusseren der in der fünften Zellenreihe der Figur liegenden
Zellen (b') das ganze Blatt sammt Geschlechtsorganen hervor,
wie ein Vergleich der jüngeren mit den älteren Abschnitten
des Chara-Sprosses erkennen lässt. Die inneren Zellen dagegen
entwickeln sich zu dem Knoten selbst. Die äussere theilt sich
unter steten, wenn auch häufig unbedeutenden Veränderungen
des Idioplasma’s, wie ein Blick auf den Zellenbau eines Blattes
erkennen lässt, an welchem ähnliche Abschnitte sich vielfach
wiederholen. Wenn wir von dem dem aktiven Haupt-Idioplasma
[219] der Zellen etwa beigegebenen Neben-Idioplasma jetzt absehen,
so wird die Auseinanderlegung der von der Scheitelzelle über-
lieferten Determinanten-Gruppe einfach so erfolgen, dass jede
Zelle immer nur diejenigen Determinanten-Gruppen bei ihrer Ent-
stehung zugetheilt erhält, deren Einzel-Determinanten in ihren
Nachkommen zur Bestimmung der einzelnen Zellen nöthig sind.
So werden wir den Zwischenknoten-Zellen des Stammes nur
das ihnen selbst specifische Idioplasma, also die „Zwischen-
knoten-Determinante“ zusprechen können, da aus ihnen Nichts
weiter mehr hervorgeht, während wir der Knoten-Stammzelle
eine ganze Gruppe von Determinanten zuerkennen müssen, weil
aus ihr eine Menge verschieden gestalteter und funktionirender
Zellen hervorgeht. Wenn auch die Pflanzenzellen unserm Auge
häufig sehr ähnlich sehen und einen wesentlichen Unterschied
nicht erkennen lassen, so muss doch ein solcher da sein, wenn
wir anders das Zustandekommen der specifischen Blatt-, Stamm-
und Fortpflanzungsorgane theoretisch begründen wollen. Nur
dadurch, dass in jedem dieser Lebenscentren ein specifisches
Idioplasma, eine von den übrigen in Etwas verschiedene Determi-
nante herrscht, lässt sich dies wenigstens im Princip verstehen.
Vergleich der Knospung bei Pflanzen und Thieren.
In idioplasmatischer Hinsicht lassen die verschiedenen
Knospungsarten verschiedene Stufen erkennen. Das einfachste
Verhalten zeigen die höheren Pflanzen, weil hier die Knospung,
d. h. die Herstellung einer neuen Person stets von einer Zelle
ausgeht. Hier muss also dieser Zelle ein Idioplasma zugeschrieben
werden, welches alle Determinanten des Sprosses enthält; ja es
darf vermuthet werden, dass auch die Determinanten der Wurzel
in demselben enthalten sind, denn die meisten Pflanzensprosse
können, wenn sie künstlich vom Stamme abgetrennt werden,
unter günstigen Bedingungen Wurzel treiben; unter den normalen
[220] Verhältnissen, d. h. solange der Spross mit der Mutterpflanze
verbunden ist, kann sich die Fähigkeit Wurzeln zu bilden in
der Regel nicht offenbaren. Dieses „Knospen-Idioplasma“ kann
mit Keimplasma nicht völlig identisch sein, wenn auch genau
dieselben Theile daraus hervorgingen, wie aus der befruchteten
Eizelle, so wäre doch durch die verschiedene Zellfolge, welche
in der Embryogenese und der Knospung eingehalten wird, ein
Hinweis darauf enthalten, dass hier die Determinanten mindestens
in einer andern Anordnung, vielleicht auch in andern Verhältniss-
zahlen im Idioplasma enthalten sein müssen. Knospen-Idio-
plasma und Keimplasma wären also gewissermassen als
„isomere“ Idioplasmen aufzufassen, analog den isomeren
chemischen Verbindungen.
Ähnlich wird es sich bei denjenigen Thieren verhalten, deren
Knospenbildung von einer Zelle ausgeht, bei den Hydroiden.
Auch hier ist die Embryonal-Entwickelung dem Knospungs-
vorgang nicht völlig gleich, wenn sie sich ihm auch bis zu
einem gewissen Grade annähert; auch hier aber muss angenommen
werden, dass sämmtliche Determinanten der Art im „Knospen-
Idioplasma“ enthalten sind, nicht nur diejenigen, welche in der
Regel zur Entfaltung kommen, sondern auch solche, wie die
zur Bildung von Fuss- oder Wurzelstücken nöthigen Determi-
nanten. Dafür spricht schon die Existenz von Polypen, deren
Knospen sich regelmässig ablösen und selbstständig weiterleben,
wie Hydra. Hier haben die Tochterpolypen noch keinen Fuss,
solange sie an der Mutter festsitzen, sobald sie sich aber los-
lösen, bilden sie sich einen.
Die folgende Stufe der Knospung findet sich bei den
Bryozoen. Hier ist es nicht mehr eine Zelle, welche die
gesammten Determinanten der Art enthält und aus ihnen die
Knospe aufbaut, sondern dieselben sind, zu zwei Hauptgruppen
geordnet, einer Zelle des Ektoderms und einer oder einigen
[221] Zellen des Mesoderms als Neben-Idioplasma beigegeben. Die
eine Ektodermzelle lässt das gesammte Entoderm aus sich
hervorgehen, dennoch ist sie nicht jenen Zellen des embryonalen
Ektoderms gleich zu setzen, welche die Entoderm-Einstülpung
dort bewirken, denn aus ihr gehen Theile hervor, die im Embryo
überhaupt noch nicht, oder doch aus andern Ektodermzellen
angelegt werden. Ohne hier auf die Einzelheiten einzugehen,
kann man doch die Thatsachen idioplasmatisch so fassen, dass
man jener Knospungs-Ektodermzelle ein Idioplasma zuschreibt,
welches zwar sämmtliche entodermale Determinanten enthält,
daneben aber noch eine Anzahl anderer, also eine Combination
von Determinanten, wie sie in der Embryogenese nicht vor-
kommt. Ebenso müssen jene Mesodermzellen des Mutterthieres,
welche die Muskeln und Endothelien u. s. w. der Knospe bilden,
eine eigenthümliche Zusammenstellung von Determinanten ent-
halten, wie sie in der Embryogenese wohl nicht genau so vor-
kommt. Die Knospung muss also hier in der Embryogenese
dadurch vorbereitet werden, dass gewissen Zellfolgen des
Ektoderm’s und des Mesoderm’s jene Determinantengruppen
als Neben-Idioplasma beigegeben werden.
Eine dritte Stufe wäre dann durch die Knospung der
Seescheiden und Salpen gebildet. Hier geht die Knospung von
dreierlei Zellen des schon fertigen oder noch in Embryogenese
befindlichen Thieres aus, von solchen des Ektoderm’s, des Ento-
derm’s und des Mesoderm’s. Aber auch hier entspricht die
Determinantengruppe, die in jeder der die Zellenarten anzunehmen
ist, nicht genau derjenigen, welche in der Ur-Ektoderm-, der
Ur-Mesoderm- und der Ur-Entodermzelle der Embryogenese
enthalten sein muss. Es giebt überhaupt keine Zelle der
Embryogenese, welche genau dieselbe Determinantengruppe ent-
hielte, wie die entodermale Knospungszelle. Es muss also hier
in noch erhöhtem Maassstabe während der Embryogenese eine
[222] besonders für die Knospung eingerichtete Zusammenordnung
von Determinaten vorgesehen sein, damit schliesslich bestimmte
Zellen mit diesen als Neben-Id ausgerüstet werden können.
Diese letzte Art der Knospung nähert sich ihrer idioplas-
matischen Grundlage nach sehr der Regeneration, womit indessen
durchaus nicht gesagt sein soll, sie leite sich phylogenetisch
von Regeneration ab. Die Übereinstimmung liegt nur darin,
dass die Neubildung einer Person von mehreren mit verschiednen
Determinantengruppen ausgerüsteten Zellen ausgeht, die sich
gegenseitig ergänzen und so ineinandergreifen, dass eine voll-
ständige Person zu Stande kommen muss.
4. Phylogenese der Knospung.
Eine gemeinsame Phylogenese der Knospung giebt es wohl
nicht; der Vorgang wird unabhängig von einander bei Pflanzen
und Thieren, und vielleicht auch innerhalb des Thierreichs un-
abhängig von einander in mehreren Gruppen sich ausgebildet
haben.
Wenn man erwägt, dass bei vielen niederen Pflanzen mit
geringer Zellen- und Organdifferenzirung alle, oder doch sehr
viele Zellen der Pflanze das Vermögen besitzen, sich unter Um-
ständen zur ganzen Pflanze zu entwickeln, so wird man geneigt
sein, für diese Fälle anzunehmen, dass von vornherein, also
schon bei der phyletischen Entstehung solcher Pflanzen, jede
Zelle den gesammten Determinanten-Complex der Art, d. h.
Keimplasma enthalten habe, und dass die verschiedene Diffe-
renzirung der Zellen auf der Ober- und Unterseite u. s. w. darauf
beruhe, dass gewisse Determinanten unter diesen, andere unter
jenen äussern Einwirkungen in Aktivität treten, z. B. die einen
bei starkem Lichtreiz, die andern bei schwachem.
Bei höheren Pflanzen dürfte diese Erklärungsweise kaum
ausreichen, da hier die Differenzirung eine allzu mannigfaltige
[223] ist, um aus äussern Ursachen erklärt werden zu können. Immer-
hin werden aber auch bei diesen zahlreiche Zellen Keimplasma
enthalten, wenn auch in gebundenem Zustand, inaktiv und un-
zerlegbar. Man wird dieses Stadium der Knospungs-Phylogenese
wohl von dem ersten ableiten dürfen, so dass also mit zu-
nehmender Differenzirung der Pflanzen neben Zellen mit vollem
Keimplasma nun auch solche auftraten, die nur bestimmte
einzelne Determinanten enthielten, und dieses kann dann zu
dem Zustand hingeführt haben, den wir heute bei den höchsten
Gewächsen finden, und der sich dadurch kennzeichnet, dass viele
Zellen blos specifische Determinanten enthalten, zahlreiche andere
daneben noch Keimplasma in gebundenem und nur unter ge-
wissen Einflüssen aktiv werdendem Zustand. Ich werde darauf
in einem späteren Abschnitt zurückkommen.
Auch bei den verschiedenen niederen Thiergruppen, bei
welchen Knospung vorkommt, wird ein gemeinsamer Ursprung
derselben nicht angenommen werden dürfen. Wenn aber auch
Knospung unabhängig in verschiedenen Abtheilungen des Thier-
reichs entstand, so wird die Entstehungsgeschichte derselben
im Wesentlichen überall dieselbe gewesen sein, da Knospungs-
Idioplasma sich schon in der Eizelle vom Keimplasma abge-
spaltet haben muss, insofern nur in diesem sämmtliche Determi-
nanten der Art sich bei einander befinden. Auch heute muss
das Knospungs-Idioplasma schon als solches im Keim-
plasma enthalten sein, weil es andernfalls nicht selbst-
ständig und erblich variirt haben könnte. Dass es dies aber
gethan hat, beweist die Knospung der Medusen von Polypen
und viele andere Fälle von Generationswechsel.
Balfour1) glaubte die Knospung auf jene Theilungen
der befruchteten Eizelle zurückführen zu können, welche bei
[224] einzelnen Thierformen beobachtet werden und zur Bildung von
zwei Individuen führen. Er meinte, wenn man sich diese Ver-
doppelung in spätere Stadien der Ontogenese verschoben denke,
so erhalte man Knospung. Er sagt darüber: „Während es
nahezu unmöglich ist, sich vorzustellen, wie die Erzeugung
einer Knospe zum ersten Mal bei den Erwachsenen von hoch-
organisirten Formen beginnen könnte, erscheint es keineswegs
schwierig, sich ein Bild von den verschiedenen Zwischenstufen
zu machen, vermittelst welcher die Spaltung eines Keimes all-
mälig bis zu der Ausbildung von Knospen in erwachsenem Zu-
stande führen könnte.“ Leider hat der geniale Forscher uns
keine ins Einzelne gehende Durchführung dieses Gedankens
hinterlassen; es ist aber, wie mir scheint, eine Herleitung der
Knospung von der Verdoppelung des befruchteten Eies durch
Theilung nicht so einfach und selbstverständlich, als man auf
den ersten Blick glauben möchte.
Gesetzt, ein befruchtetes Ei erlangte die Fähigkeit, sich
durch Theilung zu verdoppeln, so würden dann die beiden ersten
Furchungszellen keine Blastomeren mehr in physiologischem
Sinne sein, sondern selbst wieder Eizellen, befähigt, ein ganzes
Thier aus sich hervorgehen zu lassen. Dies ist noch keine
Knospung, und auch durch Verschiebung dieses Verdoppelungs-
vorganges auf spätere Stadien würde keine Knospung entstehen,
sondern nur Vervielfachung der Eizelle; man erhielte dann statt
zwei Eizellen deren vier, acht, sechszehn u. s. w. Denkt man
sich aber die Theilung des Eies derart, dass die beiden Hälften
zunächst noch beisammen bleiben, als bildeten sie zusammen
nur einen Embryo, so erhalten wir den Zustand, den Kleinen-
berg bei einem Regenwurm (Lumbricus trapezoides) nachwies,
in welchem die Entwickelung bis zum Gastrula-Stadium schein-
bar einfach ist, weil dann erst die Trennung der beiden Em-
bryonen von einander erfolgt. Lassen wir nun die Trennung
[225] der beiden Embryonen auch viel später erst erfolgen, vielleicht
erst nach ihrer vollkommenen Ausbildung, so wird doch keine
Knospung daraus entstehen, sondern nur eine Verdoppelung des
Embryo.
Damit Knospung daraus werde, ist noch eine wesentliche
Veränderung des Vorganges unerlässlich, nämlich die Zurück-
haltung der Entwickelung der einen Eihälfte. Wenn
die eine der beiden einem Ei gleichwerthigen Blastomeren nicht
sofort mit der anderen in Embryogenese einträte, sondern im
einzelligen Zustand verharrte, von dem aus der andere Blasto-
mere entstehenden Embryo eingeschlossen würde und dann
später, nachdem dieser schon zum fertigen Thier sich aus-
gebildet hat, in Entwickelung träte, dann hätten wir Knospung.
Ich will nicht bestimmt behaupten, dass die Phylogenese der
Knospung nicht so vor sich gegangen sein könnte. Es wäre
ja nicht geradezu undenkbar, dass eine Zurückhaltung der Ent-
wickelung bei der einen Blastomere eingetreten wäre und sich
später immer weiter vom Ausgangspunkt der Ontogenese weg
verschoben hätte. Damit aber die heute vorliegende Erscheinung
auch der einfachsten Knospungsform entstehe, müsste diese Ver-
schiebung noch mindestens einen Schritt weiter gegangen sein;
es müsste nicht nur eine Verschiebung nach vorwärts, sondern
zugleich eine nach rückwärts erfolgt sein, d. h. die Spaltung
des Eies in zwei Eier müsste unterdrückt und dafür
die blosse Spaltung des Keimplasma’s eingetreten sein.
Denn wir sehen ja bei Hydroiden oder anderen durch
Knospung sich fortpflanzenden Thieren, dass die Eizelle sich
nicht in zwei Blastomeren theilt, von denen die eine gewisser-
massen als Reservezelle für die später eintretende Knospung
dient; beide Blastomeren theilen sich vielmehr weiter und bilden
zusammen den Embryo, und auch von dessen Zellen kann keine
schon als „Knospungszelle“ bezeichnet werden, die Knospungs-
Weismann, Das Keimplasma. 15
[226] zellen treten vielmehr erst weit später auf, wenn der Polyp
schon ausgebildet ist. Wenn also Knospung in diesem Falle
aus Verdoppelung des Eies hervorgegangen ist, so muss diese
Verdoppelung selbst wieder zurückgegangen sein, und nur ihr
wesentlichster Inhalt geblieben: dass nämlich Keimplasma in
gebundenem Zustand dem aktiven Keimplasma der Eizelle
beigesellt blieb und dann gewissen Zellfolgen der Ontogenese
mitgegeben wurde.
Mag sich nun der Vorgang der Knospung wirklich aus
der Ei-Verdoppelung abgeleitet haben, oder nicht, so viel scheint
mir jedenfalls sicher, dass der idioplasmatische Vorgang dabei
zuerst die Verdoppelung der Ide des Keimplasma’s in
der befruchteten Eizelle gewesen sein muss, und dass
diese eintrat, ohne dass damit schon eine Theilung der Eizelle
verbunden war, so also, dass die eine Hälfte des Keimplasma’s
als „Knospen-Keimplasma“ in gebundenem, unthätigen, aber
vermehrungsfähigen Zustand verharrte. Dieses Knospenplasma
wurde dann bei der ersten Theilung der Eizelle einer der beiden
ersten Furchungszellen als „Neben-Idioplasma“ beigegeben und
ging von dieser dann durch bestimmte Zellfolgen weiter, immer
in gebundenem Zustand, und erst dann zur Aktivität übergehend,
wenn es im ausgebildeten Thier an gewisse Stellen gelangte,
wo es nun Knospung veranlasste.
Es ist mir nicht undenkbar, dass die Knospung phyletisch
von einer solchen spontanen Spaltung und Verdoppelung des
Keimplasma’s der Eizelle ausging, die von vornherein mit In-
aktivität der einen Hälfte verbunden war, und dass somit ihr
Zusammenhang mit der Ei-Verdoppelung nicht der oben an-
gedeutete war, d. h. dass Knospung nicht aus Ei-Verdoppelung
hervorging, sondern dass beide Vorgänge, die Ei-Verdop-
pelung und die Knospung ihre Wurzel in einer Spaltung
und Verdoppelung des Keimplasma’s der Eizelle haben,
[227] die ja ohnehin der Ei-Verdoppelung zu Grunde liegen muss.
Der Unterschied bei beiden Vorgängen läge dann darin, dass
bei der Knospung die eine Hälfte des gespaltenen Keim-
plasma’s in den Zustand der Inaktivität überging, während
bei der Ei-Verdoppelung beide Hälften sofort aktiv wurden.
Complicirter wird die idioplasmatische Grundlage der
Knospung, sobald nicht blos ein Keimblatt die Knospung ver-
mittelt, sondern deren zwei, oder gar drei. Hier muss eine
Zerlegung des zuvor gebundenen Knospenkeimplasma’s statt-
finden, und zwar auf bestimmten Stadien der Ontogenese, z. B. bei
der Trennung von Entoderm und Ektoderm, und etwa noch-
mals bei der Trennung des Mesoderm von einem der beiden
Haupt-Keimblätter. Diese Zerlegung des Neben-Keimplasma’s
in zwei oder drei Gruppen gebundenen Neben-Idioplasma’s
brauchte nicht nothwendigerweise in genau derselben Combi-
nation von Determinanten zu erfolgen, wie bei der Embryo-
genese, und so können wir uns erklären, dass entodermale Or-
gane von knospenden Ektodermzellen ihren Ursprung nehmen
können, wie bei den Mooskorallen u. s. w., oder dass gar
drei Keimblätter bei dem Zustandekommen einer Knospe zu-
sammenwirken.
Ich halte den umgekehrten Weg der Knospungs-Phylo-
genese für die Thiere für unwahrscheinlich. Man könnte ja
auch hier daran denken, dass bei heute ausgestorbenen nieder-
sten Metazoen alle oder viele Zellen des Körpers noch Keim-
plasma enthielten, wie das oben für niedere viellzellige Pflanzen
als möglich angenommen wurde. Aus jeder dieser Zellen hätte
dann ein ganzes Thier unter Umständen hervorgehen können.
Diese Annahme würde aber allein für sich nur so lange ge-
nügen, als die durch Knospung entstehenden Individuen dem
aus dem Ei entstandenen völlig gleich sind. Sobald beide sich
von einander unterscheiden, wenn auch nur in geringem Grade,
15*
[228]so setzt dies die Anwesenheit besonderer Ide im Keim-
plasma voraus, denn diese Verschiedenheit kann nur darauf
beruhen, dass beide Arten von Individuen selbstständig vom
Keim aus variiren können. Wir müssten also zu jener An-
nahme noch die hinzufügen, dass im Laufe der Phylogenese
das Keimplasma jener somatischen Zellen, von welchen Knos-
pung ausging, sich gewissermassen rückwärts in der Ontogenese
verdoppelte, bis es endlich auch im Keimplasma der Eizelle
als besondere Idgruppe mehrfach enthalten war. Dies ist aber
jedenfalls eine verwickelte und kaum sehr wahrscheinliche An-
nahme, der die einer primären Verdoppelung der Keimplasma-
Ide vorzuziehen sein dürfte. Der folgende Abschnitt wird dies
noch deutlicher hervortreten lassen.
Capitel V.
Die idioplasmatische Grundlage des
Generationswechsels.
Von den zur Amphimixis (geschlechtlichen Vermischung)
bestimmten Keimen ausgehend, haben wir die bestimmt geordnete
Gruppe von Determinanten, welche in den Geschlechtszellen ent-
halten sein muss, als Keimplasma bezeichnet. Wir verstehen
unter dieser Bezeichnung ein Idioplasma, welches sämmtliche
Determinanten der Art enthält. Es giebt indessen zahlreiche
Arten, bei welchen die Geschlechtszellen nicht die einzigen
sind, welche sämmtliche Determinanten enthalten, sondern bei
welchen im Kreislauf des Lebens noch einmal die Weiter-
entwickelung von einer einzigen Zelle ausgeht, deren
Idioplasma somit ebenfalls aus sämmtlichen Determinanten der
[229] Art zusammengesetzt sein muss. Dies ist bei den meisten nie-
deren Pflanzen, den Moosen, Schachtelhalmen und Farnen der
Fall, bei welchen allen die geschlechtliche Fortpflanzung mit
ungeschlechtlicher „Sporenbildung“ abwechselt, auch bei solchen
Thiergruppen, welche diejenige Form des Generationswechsels
aufweisen, die man als Heterogonie bezeichnet. Aber auch
bei dem Generationswechsel im engeren Sinne, d. h. bei dem
Wechsel von geschlechtlicher Fortpflanzung und Knospung, kann
zweimal die Entwickelung des Individuums von einer Zelle
ausgehen, wie für die Pflanzenstöcke und die Hydroidpolypen-
stöcke schon erwähnt wurde. In allen diesen Fällen tritt in
dem Kreislauf des Lebens, welcher von der befruchteten Eizelle
wieder zu ihr zurückführt, zweimal eine Zelle auf, deren Idio-
plasma sämmtliche Determinanten der Art enthält, und es fragt
sich, ob diese beiden Idioplasmen als identisch betrachtet und
schlechthin als Keimplasma bezeichnet werden können.
Die Frage wurde oben schon bei Gelegenheit der Knospung
von Pflanzen erörtert und dahin entschieden, dass eine völlige
Identität des Idioplasma’s der Scheitelzelle und der befruchteten
Eizelle nicht angenommen werden kann, weil die Embryogenese,
aus welcher der erste bewurzelte Spross hervorgeht, verschieden
verläuft von der Zelltheilung, durch welche die Scheitelzelle
einen neuen Spross aus sich hervorgehen lässt. Ebenso verhält
es sich bei der Herstellung eines Polypen aus einer Knospungs-
zelle und aus dem Ei. In beiden Fällen ist zwar das End-
resultat ganz oder doch nahezu dasselbe, der Weg aber zu dem-
selben ein verschiedener. Wenn also auch genau dasselbe Bion
auf beiden Entwickelungswegen entstünde, demnach auch die-
selben Determinanten in beiden Ursprungszellen vorhanden sein
müssten, so würden diese doch mindestens in verschiedener
Gruppirung in beiden Idioplasmen enthalten sein müssen, so
dass sie auch in der Ontogenese verschiedene Gruppen durch-
[230] laufen müssten bis zu ihrer völligen Auseinanderlegung in die
einzelnen Determinanten.
Schon in diesem einfachsten Falle würde man genöthigt
sein, das eigentliche „Keimplasma“ der Eizelle und Samenzelle
von dem „Scheitelzellenplasma“ oder „Knospenplasma“ zu unter-
scheiden. Es empfiehlt sich aber, jedes Idioplasma, welches
sämmtliche Determinanten der Art enthält, als Keimplasma
im weiteren Sinn zu bezeichnen und demnach also mehrere
Unterarten des Keimplasma’s, wie „Knospen-Keimplasma“, „Sporen-
Keimplasma“ u. s. w. zu unterscheiden, und dieselben als Neben-
Keimplasmen oder Para-Germoplasmen von dem Haupt-
Keimplasma oder Stamm-Keimplasma zu unterscheiden.
Man möchte nun vielleicht geneigt sein, überall da, wo
zweierlei Arten von Keimplasma im Lebenskreislauf einer Art
vorkommen, anzunehmen, dieselben gingen während des Lebens-
laufes abwechselnd ineinander über. Diese Ansicht wäre aber
nicht haltbar; wir sind vielmehr, wie oben schon gezeigt wurde,
zu der Annahme gezwungen, dass beide Arten von Keim-
plasma stets gleichzeitig nebeneinander auf den Keim-
bahnen weitergegeben werden, und dass abwechselnd
die eine oder die andere Art aktiv wird.
Diese Annahme ist deshalb unvermeidlich, weil die phyle-
tische Entwickelung der Arten zeigt, dass die einzelnen Gene-
rationen eines Generationswechsels selbstständig und
erblich sich verändern können. Dies setzt aber voraus,
dass jede ihre besonderen Determinanten im Keimplasma hat,
andernfalls stets beide Generationen zugleich von einer Keimes-
Variation getroffen werden müssten. Es ist ähnlich, wie wir
es uns bei der Metamorphose vorzustellen haben. Die Flügel
des Schmetterlings müssen als eine Determinantengruppe im
Keimplasma enthalten sein. Bildeten sie sich erst durch Um-
wandlung von irgend welchen Raupen-Determinanten, so könnten
[231]
Daphnia pulex, ein Weibchen mit zwei durch Parthenogenese sich ent-
wickelnden Sommer-Eiern im Brutraum b (nach R. Hertwig).
[232] die Flügel niemals abändern, ohne dass nicht zugleich irgend
welche Bildungen der Raupe abänderten, und umgekehrt.
Es wird nicht uninteressant sein, dies an einigen Beispielen
näher zu verfolgen.
Als Ausgangspunkt wähle ich einen Generationswechsel,
dessen Generationen sich im ausgebildeten Zustand gar nicht
unterscheiden, wohl aber in der Ontogenese: die Heterogonie
der Daphniden oder Wasserflöhe. In der Regel besteht der
Unterschied der beiden Generationsfolgen bei diesen Crustaceen
darin, dass die eine Art von Generationen aus einem dotter-
armen Ei, dem Sommerei sich entwickelt, die andere aus einem
sehr dotterreichen Ei, dem Winterei. Aus beiden Eiarten ent-
wickelt sich ein genau gleiches weibliches Thier (Fig. 8) — von
der Complication durch das periodische Auftreten von Männchen
sehe ich jetzt ab. Die Sommereier werden vom Blute der
Mutter aus ernährt, die Wintereier nicht; die Dottermenge der
Letzteren bedingt eine andere Art der Embryogenese, und diese
Nauplius-Larve von Leptodora hyalina (nach Sars aus Korschelt und
Heider’s Lehrbuch der vergleichenden Entwickelungsgeschichte).
setzt nicht nur eine andere Anordnung der Determinanten im
Keimplasma voraus gegenüber der des Neben-Keimplasma, son-
dern auch verschiedene Determinanten für einen Theil
der Embryonalstadien. Noch klarer aber wird die Sache,
[233] wenn wir eine bestimmte Daphnidenart ins Auge fassen, die
Leptodora hyalina, bei welcher die Embryogenese der Winter-
eier nur bis zur Bildung der uralten Larvenform der Crustaceen
mit nur drei Beinpaaren, dem Nauplius, führt (Fig. 9), während
die Sommereier gleich das fertige Thier mit allen Gliedmaassen
zur Entwickelung bringen. Allerdings werden die Stadien vom
Nauplius zum reifen Thier auch im Sommerei durchlaufen, aber
in abgekürzter Form. Das Nauplius-Stadium des Sommereies
hat zwar die drei Beinpaare, aber nur in rudimentärer Form, un-
brauchbar zum Leben im Wasser. Es müssen also zwei Keim-
plasmen-Arten bei Leptodora bestehen, von denen die eine
noch alle Determinanten des Nauplius enthält, die andere nur
noch einen Theil derselben, und auch diesen wahrscheinlich
verändert. Diese beiden Arten von Keimplasmen müssen ge-
trennt von einander auf den Keimbahnen von einer Generation
der andern überliefert werden, so dass also in jedem Keim-
plasma immer zugleich das andere in inaktivem Zustand ent-
halten, gewissermassen demselben beigepackt ist. Es scheint
mir unmöglich, die Thatsachen anders zu erklären, da es un-
denkbar ist, dass ein bereits reducirtes, an Determinanten ärmeres
Sommerei-Keimplasma die verlorenen Determinanten je-
mals wieder aus sich heraus sollte erzeugen können.
Die phyletische Entstehung solcher zweierlei Keim-
plasma-Arten müsste sehr räthselvoll erscheinen, wenn wir ge-
zwungen wären, die Keimplasma-Einheit als nur einmal vor-
handen im Kern der Keimzelle anzunehmen. Wir haben in-
dessen von vornherein die entgegengesetzte Annahme gemacht,
und es wird sich später noch zeigen, dass die geschlechtliche
Fortpflanzung, die Amphimixis, zu einer sicheren Begründung
der Vorstellung leitet, dass in dem Keimplasma aller auf ge-
schlechtlichem Wege sich fortpflanzenden Arten stets mehrere,
wahrscheinlich sogar viele Keimplasma-Einheiten oder Ide ent-
[234] halten sein müssen. Wenn nun in der Sommergeneration von
Leptodora eine Reduction der Nauplius-Determinanten nützlich
war, so wird sie im Laufe der Generationen durch Selection
derart eingetreten, gesteigert und fixirt worden sein, dass die
abgekürzte Embryogenese dabei herauskommen musste. Sie
wird aber nur allmälig sich gesteigert haben, und zwar derart,
dass zuerst nur bei einigen Individuen die Sommereier zahl-
reichere reducirte, als nicht reducirte Ide enthielten, und wenn
nun die alte, nicht abgekürzte Embryogenese für die Winter-
generation vortheilhafter war, werden niemals sämmtliche Ide
die Nauplius-Determinanten verloren oder abgeändert haben,
sondern immer nur ein Theil von ihnen, und es muss aus dem
Kampf der abgeänderten Ide, welche im Sommer vortheilhafter
waren und der unveränderten, welche im Winter vortheilhafter
waren, schliesslich ein Gleichgewicht der beiden Id-Arten her-
vorgegangen sein, darin bestehend, dass ebensoviel abgeänderte
als nicht abgeänderte Ide das Keimplasma der Art zusammen-
setzten, und dass dieselben in ihrer Herrschaft über das Ei mit-
einander abwechselten, so zwar, dass jede von ihnen eine
bestimmte Generationszahl hindurch inaktiv und gebunden bleibt,
eine andere Generationszahl hindurch aber aktiv wird. Diese
Normirung der beiden Keimplasma-Arten auf bestimmte Aktivi-
täts- und Inaktivitätsperioden lässt sich direkt beobachten, inso-
fern man feststellen kann, wie viele Generationen mit Sommer-
eier-Production sich folgen, ehe wieder eine mit Wintereier-
Production auftritt, und ich habe vor geraumer Zeit schon
nachgewiesen1), dass diese Normirung bei verschiedenen Daph-
niden-Arten eine sehr verschiedene ist, und dass sie in genauer
Beziehung zur Lebensweise der Art steht. Bei solchen Arten,
die in ganz kleinen und rasch austrocknenden Wasser-Ansamm-
[235] lungen (Pfützen) leben, wechseln die beiden Arten der Eibildung
sehr rasch miteinander ab, weil nur die Wintereier mit ihren
dicken Schalen das Aussterben der Kolonie verhindern, falls
die Pfütze plötzlich austrocknet, während alle Arten, welche in
grossen Wasseransammlungen leben, in Teichen und Seen, die
niemals austrocknen, eine grosse Zahl von Generationen hindurch
nur Sommereier hervorbringen und erst bei Herannahen des
Winters zur Erzeugung der anderen Eiart übergehen, welche
auch nach dem Absterben der Kolonie den Bestand derselben
durch Überwintern sicher stellen.
In ähnlicher Weise wird man es sich vorzustellen haben,
wenn die Endstadien der Ontogenese sich verändern.
Bei den Blattläusen der Gattung Aphis kommen aus
dem befruchteten Ei weibliche, aber zur Begattung unfähige
Thiere, da ihnen das zur Befruchtung der Eier unentbehrliche
Receptaculum seminis fehlt. Dafür besitzen sie die Fähigkeit,
ihre Eier schon im Ovarium auf parthenogenetischem Wege
zur Entwickelung zu bringen. Aus ihren Jungen gehen ähn-
liche Weibchen ohne Begattungs-Vorrichtung hervor, die wieder
ihres Gleichen hervorbringen, zuletzt aber bringt eines dieser
durch Parthenogenese entstandenen Weibchen auch wieder durch
Parthenogenese zugleich begattungsfähige Weibchen hervor und
Männchen, die sich beide meist schon durch Körperform und
Farbe, immer aber durch den Bau der Fortpflanzungsorgane
und Geschlechtsprodukte von den vorhergehenden Generationen
unterscheiden. Die Embryogenese aber dieser Geschlechtsthiere
ist dieselbe, wie bei jenen.
Hier sind die Determinanten des reifen Thieres in den
parthenogenetischen Generationen verändert worden, denn die
geschlechtliche Fortpflanzung ist die ursprünglichere. Nehmen
wir also einmal an, die Geschlechtsgeneration sei sich ganz
gleich geblieben seit der Einführung des Generationswechsels
[236] bei den Blattläusen — was wohl nicht genau zutrifft —, so
hätte man sich die phyletische Veränderung des Keimplasma’s
so vorzustellen, dass in der einen Hälfte der Ide die Determi-
nanten der Samentasche sich rückgebildet hätten, während andere
Determinanten, z. B. diejenigen der Hautfärbung u. s. w. ab-
geändert hätten. Beide Id-Arten, die abgeänderten und die
nicht abgeänderten müssen in demselben Keimplasma bei einander
liegen, aber alternirend das Ei beherrschen, also niemals gleich-
zeitig aktiv werden.
In diesem Falle der Blattläuse ist die Abänderung des ge-
sammten Körperbaues, den die eingeschobenen Generationen
erlitten haben, nur gering. Es giebt aber zahlreiche Fälle von
Generationswechsel, bei welchen die Abweichungen des Baues
der beiden Generationen sehr bedeutende sind, nicht selten so
bedeutend, dass man eine gänzlich verschiedene Thiergruppe vor
sich zu haben glaubt, je nachdem man die eine oder die andere
ins Auge fasst.
So verhält es sich beim Generationswechsel der Me-
dusen. Hier war der Polyp die ursprüngliche Form, und bei
den meisten Medusen-Arten entwickelt sich auch heute noch
aus dem befruchteten Ei der Meduse ein Polyp. Von diesem
aber, oder doch von seinen durch Knospung erzeugten gleich-
artigen Nachkommen entstehen dann ebenfalls durch Knospung
wieder Medusen (Fig. 10). Wenn wir von den geringen Unter-
schieden des Ei-Keimplasma’s und des Knospen-Keimplasma’s
der Einfachheit halber absehen, so spielen hier im Entwickelungs-
cyklus der Art zwei Keimplasmen mit, die in sehr vielen, ja
fast allen ihren Determinanten verschieden sein müssen, ja auch
in der Zahl der Determinanten, denn die Meduse ist mit einer
Menge von Theilen und Organen ausgerüstet, die der einfachere
Polyp nicht besitzt. Wir werden also hier zweierlei ganz ver-
schiedene Ide anzunehmen haben, welche in gleicher Anzahl
[237] das Keimplasma zusammensetzen, und deren Aktivitäts-Perioden
miteinander abwechseln. Die Ide des später entstandenen Neben-
Keimplasma’s müssen grösser sein, weil sie zahlreichere Determi-
nanten enthalten, als die Ide des Stamm-Keimplasma’s. Es
scheint nicht unmöglich, dass wir dereinst im Stande sein werden,
Bougainvillea ramosa nach Allman; Polypenstöckchen mit h Nähr-
polypen und mk Medusenknospen; m losgelöste junge Meduse (Margelis
ramosa) aus A. Lang’s Lehrbuch der vergleich. Anatomie.
diese Grössenunterschiede direkt mit dem Mikroskop nachzu-
weisen, wenn wir erst Sicherheit darüber haben werden, ob in
der That jene als Mikrosomen bezeichneten Körner der rosen-
kranzartig zusammengesetzten Kernstäbchen die Ide sind. Auch
die Gesammtzahl der Kernstäbchen oder Idanten wird möglicher-
weise eine Bestätigung der Theorie bringen können, insofern es
[238] wahrscheinlich ist, dass bei Arten mit Generationswechsel die
Ide, und also wohl auch die Idanten sich während der Ent-
stehung desselben verdoppelt haben. Denn wenn meine Ansicht
richtig ist, nach welcher eine bestimmte Masse von Keimplasma
erforderlich ist, um die normale Entwickelung einer bestimmten
Eiart hervorzurufen, so wird eine Verdoppelung Hand in Hand
gegangen sein müssen mit dem periodischen Inaktivwerden der
Hälfte der Ide.
Etwas anders, und zwar verwickelter, gestaltet sich die
Idioplasma-Mechanik des Generationswechsels, sobald die zweite
Generation nicht von einer einzigen Zelle aus entsteht, sondern
von mehreren zugleich aus, die verschiedenen Schichten des
Körpers entstammen. Dahin gehört die Strobilation der
höheren Medusen und die der Bandwürmer; die Knospung
der Salpen bildet dazu den Übergang.
Bei diesen Letzteren folgen sich zwei nach Körperform
und Vermehrungsweise verschiedene Generationen; die erste der-
selben, die sog. Kettenform, pflanzt sich auf geschlechtlichem
Wege fort, die zweite, die der Einzel-Salpen, durch Knospung.
Bei Besprechung der Knospung wurde schon darauf hingewiesen,
dass diese Knospung durch ein Zusammenwirken von Ektoderm-
und Mesodermzellen zu Stande kommt. Wir werden uns also
vorzustellen haben, dass das Keimplasma der Ei- und Samen-
zellen auch hier aus zweierlei Iden zusammengesetzt ist, welche
alternirend aktiv werden, und von welchen die einen die De-
terminanten für die Knospung, die andern diejenigen für die
Embryogenese enthalten. Während aber bei den Hydroid-
Polypen und -Medusen die Determinanten der Knospungs-Ide
in einer Zelle beisammen bleiben, müssen sie sich hier schon
während der Embryogenese der Einzel-Salpe in Gruppen zer-
legen, welche theils Ektoderm-, theils Mesoderm- und Entoderm-
zellen als inaktives und gebundenes Neben-Idioplasma beigegeben
[239] werden. Sie werden erst aktiv und veranlassen Knospung, wenn
sie an einem bestimmten Ort, nämlich im Keimstock, dem Stolo
prolifer, angelangt sind.
Von hier aus zur Entstehung der höheren Medusen oder
Acalephen durch sog. Strobilation ist nicht mehr weit. Auch
bei dieser (Fig. 11) entstehen die Geschlechtsthiere des Gene-
rationswechsels durch ungeschlechtliche Vermehrung, und zwar
durch Theilung eines Polypen in scheibenförmige, wie ein Satz
Teller aufeinander liegende Stücke, von denen jedes sich in eine
Meduse verwandelt. Wäre es eine Meduse, die sich in die Stücke
zertheilte, so hätten wir einfache Regeneration; der Vorgang
der Differenzirung einer solchen Strobila-Scheibe zur Meduse
beruht auf genau derselben Idioplasma-Mechanik, die der Re-
Entwickelung von Medusen durch Strobilation.
1 die aus dem Ei entstandene Larve; 2—5 ihre Ausbildung zum Polypen;
7 ein solcher Polyp vom Mundpol gesehen; 6, 8 und 9 Quertheilung des
Polypen in scheibenförmige Stücke; 10 Loslösung dieser Stücke als junge
Medusen; 11 und 12 eine junge Meduse. (Aus Hatschek’s Lehrbuch
der Zoologie.)
[240] generation eines Wurmes zu Grunde liegt, dem man den Kopf
abgeschnitten hat, oder der sich spontan theilt. Auch hier
müssen den verschiedenen Zellen des Polypenleibes verschiedene
Determinantengruppen der Meduse als inaktives Neben-Idioplasma
beigegeben sein, welche bei der Strobilation aktiv werden und
die höchst complicirte, acht- oder mehrstrahlig gebaute, mit
Augen, Gehörorganen und Riechgrübchen ausgerüstete Meduse
hervorrufen. Der Unterschied von der einfachen Theilung mit
Regeneration liegt nur darin, dass bei ihr die Ersatz-Determi-
nanten der Körperzellen dieselben sind, wie diejenigen waren,
welche diesen Körper aufbauten. Bei der Strobilation muss
das Keimplasma der Ei- und Samenzellen, welche die Geschlechts-
generation, die Meduse, hervorbringt, zweierlei, nicht blos einerlei
Ide enthalten, Polypen- und Medusen-Ide; die Letzteren bleiben
bei der Ontogenese des Polypen zwar inaktiv und nehmen keinen
Theil an der Beherrschung der Zellen, aber sie sind nicht ab-
solut gebunden, sondern zerlegen sich während der Ontogenese
in viele verschiedene Determinantengruppen und vertheilen sich
zugleich auf verschiedene Zellen in regelmässiger und völlig
gesetzmässiger Weise. Es ist sehr wahrscheinlich, dass alle
Zellen des Polypen, sowohl die des Entoderms, als des Ektoderms
mit Neben-Determinanten ausgerüstet sind, so dass jede Polypen-
zelle zugleich die Anlage für irgend einen Theil der Meduse
enthält; doch haben wir darüber keine Gewissheit, da noch
keine Untersuchungen über die Zellfolgen, welche vom Polypen
zur Meduse führen, angestellt worden sind.
Die idioplasmatische Grundlage des Generations-
wechsels muss also in allen Fällen ein Keimplasma mit
mindestens zweierlei verschieden gebauten Iden sein,
von denen abwechselnd die eine und die andere Art
die Beherrschung des sich entwickelnden Wesens über-
nimmt.
[241]
Capitel VI.
Die Bildung von Keimzellen.
1. Die Continuität des Keimplasma’s.
Wenn die Vererbung auf der Anwesenheit einer Substanz
beruht, dem Keimplasma, und wenn dieses das neue Individuum
dadurch ins Leben ruft, dass es den Theilungsprocess der Onto-
genese leitet, indem es sich in gesetzmässiger Weise verändert,
so fragt es sich, wieso es sich dann doch wieder in den
Keimzellen des neuen Individuums einstellen kann. Die Ver-
erbung der Eigenschaften des Elters auf das Kind kann nur
darauf beruhen, dass die Keimzelle, aus welcher das Kind ent-
steht, genau die gleichen Ide von Keimplasma enthalten kann,
welche in der Keimzelle enthalten waren, aus welcher der Elter
sich entwickelte; nun erleidet aber das Keimplasma zahllose
Veränderungen während der Entwickelung des Eies zum Elter,
wie ist es also möglich, dass dennoch dieselbe Substanz wieder
in den Keimzellen des Elters enthalten sein kann?
Es liegen offenbar nur zwei Möglichkeiten vor, entweder
sind die Veränderungen, welche das Keimplasma während des
Aufbaues des Körpers erleidet, von solcher Art, dass sie wieder
rückgängig gemacht werden können, entweder kann also das
Idioplasma aller oder wenigstens eines Theiles der Körperzellen
wieder in Keimplasma zurückverwandelt werden, von dem es ja
indirekt herstammt, oder, falls dies nicht möglich ist, das
Keimplasma der Keimzellen des Kindes muss sich direkt von
demjenigen der elterlichen Keimzelle herleiten. Die letztere An-
sicht ist diejenige, welche ich schon vor mehreren Jahren auf-
gestellt und als die Hypothese von der Continuität des
Keimplasma’s bezeichnet habe.1) Eine dritte Möglichkeit
Weismann, Das Keimplasma. 16
[242] giebt es nicht, da eine völlige Neubildung des Keimplasma’s
ausgeschlossen ist.
Die Hypothese beruht auf der Anschauung eines Gegen-
satzes von Körperzellen und Fortpflanzungszellen, wie wir
ihn thatsächlich bei allen Thier- und Pflanzenarten beobachten,
von den höchst differenzirten bis herab zu den niedersten Heter-
plastiden unter den koloniebildenden Algen.
Ich nehme an, dass Keimzellen sich nur da im Körper
bilden können, wo Keimplasma vorhanden ist, und dass dieses
Keimplasma unverändert und direkt von jenem abstammt, wel-
ches in der elterlichen Keimzelle enthalten war. Es muss also,
nach meiner Auffassung, bei jeder Ontogenese ein Theil des
im Eikern enthaltenen Keimplasma’s unverändert bleiben, und
als solcher bestimmten Zellfolgen des sich entwickelnden Körpers
beigegeben werden. Das beigegebene Keimplasma befindet sich
im inaktiven Zustand, so dass es das aktive Idioplasma der
Zelle nicht hindert, ihr einen mehr oder minder specifischen
Charakter aufzudrücken. Dasselbe muss sich aber auch ferner
noch dadurch von dem gewöhnlichen Zustand des Idioplasma’s
unterscheiden, dass es seine Determinanten fest zusammenhält
und sie bei den Zelltheilungen nicht in Gruppen in die Tochter-
zellen vertheilt. Dieses Neben-Keimplasma wird also in ge-
bundenem Zustande durch mehr oder minder lange Zellfolgen
hindurch weitergegeben, bis es schliesslich zuerst seine Inakti-
vität in irgend einer von der Eizelle mehr oder weniger weit
entfernten Zellengruppe aufgiebt und nun der betreffenden Zelle
den Stempel der Keimzelle aufdrückt. Diese Versendung des
Keimplasma’s von der Eizelle bis zu der Keimstätte der Fort-
pflanzungszellen hin geschieht in gesetzmässiger Weise und
durch ganz bestimmte Zellfolgen hindurch, welche von mir als
Keimbahnen bezeichnet wurden. Sie sind nicht äusserlich
kenntlich, lassen sich aber von ihren Endpunkten, den Keim-
[243] zellen aus rückwärts bis zur Eizelle zurück erschliessen, voraus-
gesetzt, dass der Zellen-Stammbaum der Embryogenese be-
kannt ist.
Gestützt wurde diese Annahme zunächst auf die Thatsache,
dass zuweilen, wenn freilich auch nur in seltenen Fällen ein
direkter oder doch sehr naher Zusammenhang der Keimzellen
zweier aufeinander folgender Generationen nachweisbar ist. Bei
den Zweiflüglern unter den Insekten trennt die erste Theilung
der in Embryogenese eintretenden Eizelle das Kernmaterial
der späteren Keimzellen des Embryo von dem Kernmaterial
der somatischen Zellen, hier also stammt wirklich das Keim-
plasma der kindlichen Keimzellen direkt von dem der elterlichen
Keimzelle.
Wenn man nun auch diesen Fall gewiss nicht als einen
primären, aus uralter Zeit unverändert auf uns gekommenen
betrachten darf, vielmehr als eine erst mit dieser Insekten-
ordnung getroffene Einrichtung, so beweist er doch, dass eine
solche direkte Abstammung jeder Keimzell-Generationen von
der vorhergehenden möglich ist, und dass das Keimplasma,
welches dadurch dem Aufbau des somatischen Theils des Em-
bryo’s entzogen wird, von diesem nicht benöthigt wird.
An diesen Fall schliesst sich dann die Embryogenese der
Daphniden, bei welchen die Ur-Keimzellen schon während der
ersten Furchungsstadien des Eies sich sondern (Fig. 14), ferner
die Embryogenese von Sagitta, bei welcher dies erst im
Stadium der Gastrula vor sich geht (Fig. 13). Viel später
geschieht es bei den Wirbelthieren, aber doch auch noch
innerhalb der ersten Hälfte der Embryogenese, während bei
den Hydroiden, und zwar sowohl den stockbildenden als den
solitären die Keimzellen am spätesten auftreten, nämlich noch
gar nicht in der aus dem Ei kommenden Person, sondern erst
in den Personen einer viel späteren, durch fortgesetzte Knospung
16*
[244] aus jener ersten hervorgegangenen Generation. Ebenso verhält
es sich bei den höheren Pflanzen, insofern auch bei ihnen der
erste aus dem Samen kommende Spross niemals schon Keim-
zellen enthält oder solche Zellen, die später sich zu solchen
differenziren. In allen diesen zuletzt genannten Fällen sind die
späteren Keimzellen in der durch Embryogene entstandenen
ersten Person noch nicht als besondere Zellen vorhanden, sie
bilden sich vielmehr erst aus den entfernten Nachkommen be-
stimmter, diese erste Person zusammensetzender Zellen. Diese
Vorfahren der Keimzellen lassen sich aber als solche nicht er-
kennen, sondern sind somatische Zellen, d. h. betheiligen sich
am Aufbau des Körpers in derselben Weise, wie zahlreiche
andere somatische Zellen und können in verschiedenem Grade
histologisch differenzirt sein.
Somit lässt sich also eine Reihe von Organismen-Arten
herstellen, deren Keimzellenbildung in sehr verschiedener Ent-
fernung von der Eizelle beginnt und welche die Deutung ge-
stattet, dass sich die befruchtete Eizelle der ersten Metazoen
zunächst in zwei Zellen getheilt habe, in die Zelle für den
Aufbau des Körpers (Soma) und in die für die Herstellung der
Keimzellen, dass aber später eine Verschiebung in der Trennung
des idioplasmatischen Materials für beide Theile eingetreten sei,
derart, dass die unverändert bleibende Portion des Keimplasma’s
in inaktivem Zustande einer der somatischen Theilhälften der
Eizelle als Neben-Idioplasma beigegeben, und von dieser wieder
einer der Somazellen zweiter, dritter, vierter Generation über-
liefert worden sei, bis schliesslich z. B. bei den Hydroiden die
Verschiebung der Keimzellen-Sonderung den höchsten Grad er-
reichte und das unveränderte Keimplasma der befruchteten Ei-
zelle erst nach Durchlaufung einer langen Reihe von somatischen
Zellen zur Bildung von Keimzellen führte.
Ein wirklicher Beweis für die Richtigkeit dieser Deutung
[245] liegt zunächst in diesen Thatsachen noch nicht; es könnte ja
auch die Reihe in umgekehrter Richtung sich entwickelt haben,
der primäre Zustand könnte der der späten Differenzirung der
Keimzellen gewesen sein, und aus diesem erst in einzelnen Fällen
sich eine frühere bis ganz frühe Differenzirung derselben heraus-
gebildet haben. Man kann sogar kaum daran zweifeln, dass
die frühe Differenzirung bei den Dipteren und Daphniden
sekundärer Natur ist; auch wird sogleich zu zeigen sein, dass
bei den Hydroiden Verschiebungen der Bildungsstätte der Keim-
zellen im Sinne ihrer früheren Differenzirung geradezu nach-
weisbar sind. Aber die angeführten Thatsachen befürworten
doch insofern die ihnen gegebene Deutung, als sie zeigen, dass die
Keimzellen sich keineswegs stets erst zu der Zeit und an der
Stelle bilden, an und zu welcher sie verwendet werden sollen;
dass ihre Bildungszeit thatsächlich eine sehr verschiedene ist,
und dass somit eine Verschiebung derselben im Laufe der
Phylogenese stattgefunden haben muss. In welcher Richtung
dieselbe ursprünglich stattgefunden hat, ob vom Ei aus gegen
das Ende der Ontogenese hin, oder umgekehrt, darüber müssen
weitere Thatsachen die Entscheidung geben.
Hier liesse sich zunächst die Thatsache geltend machen,
dass bei keinem noch so niederen Thier die Zerstörung der
Geschlechtsdrüsen die Bildung von Geschlechtszellen an
irgend einer andern Stelle des Körpers zur Folge hat. Wenn
sich Keimzellen aus beliebigen jungen Zellen bilden könnten,
so sollte man erwarten, dass Castration diese Folge hätte.
Nichts von dem geschieht, vielmehr verhält es sich ganz so
wie mit irgend einem jener hoch specialisirten Organe, wie die
Leber, die Nieren, die Centraltheile des Nervensystems bei den
Wirbelthieren, die einmal entfernt sich nie wieder ersetzen.
Wir werden dies nach unserer heutigen Auffassung so erklären,
dass ihre Wiederbildung unmöglich ist, weil die für ihre Ent-
[246] stehung erforderlichen Determinanten in keinen andern Zellen
des Körpers vorhanden sind. Derselbe Schluss wird — so scheint
mir — auch für den Fall der Keimzellen unvermeidlich sein;
es muss an dem für die Bildung von Keimzellen nöthigen
Idioplasma, dem Keimplasma fehlen, und dasselbe muss
mindestens in diesen Fällen sich aus somatischem Idio-
plasma nicht herstellen lassen.
Vielleicht noch zwingender sprechen die Thatsachen bei
den Hydroiden1), weil es sich hier nicht um den Ver-
such einer künstlichen, sondern um eine thatsächlich statt-
findende natürliche Verlegung der Keimstätte handelt.
Wie schon gesagt, entstehen die Keimzellen der Hydroiden
erst sehr spät, erst in einer Entfernung von Hunderten, ja von
Tausenden von Zellgenerationen von der befruchteten Eizelle
ab gerechnet. Bei den Arten mit ausgebildetem Generations-
wechsel bilden sie sich erst in den von einem Polypenstöckchen
hervorknospenden Medusen und zwar an einer ganz bestimmten
Stelle, bei den meisten im Ektoderm des von der Glocke
herabhängenden „Magenstiels“ (vergl. Fig. 10). Bei der jungen
Medusenknospe ist noch keine Spur von ihnen zu sehen, ja oft
differenziren sie sich von den übrigen Zellen des Ektoderm’s
überhaupt erst, nachdem die Meduse sich schon vom Polypen-
stock losgelöst und zum selbstständigen, freischwimmenden Thier
entwickelt hat. Alsdann wandelt sich ein Theil der Ektoderm-
zellen der bezeichneten Stelle in Eizellen oder Spermazellen um.
Es giebt nun Polypen-Arten, welche zwar in früheren
Zeiten der Art-Entwickelung Medusen als Geschlechtsthiere her-
vorbrachten, bei welchen aber heute diese Medusen sich nicht
mehr loslösen, sondern am Stock sitzen bleiben und somit nicht
mehr der Verbreitung der Geschlechtsprodukte, sondern nur
[247] deren Erzeugung und Reifung vorstehen. Diese Arten zeigen
uns eine Reihe verschiedener Stadien eines Rückbildungsprocesses
der Medusen zu blossen sogenannten Gonophoren oder Ge-
schlechtssäcken. Bei gewissen Arten haben die Geschlechts-
Schema zur Rückbildung der Meduse zum blossen
Geschlechtssack.
A. Medusenknospe. B. Meduse kurz vor ihrer Ablösung. C. Rück-
gebildete Meduse, an welcher Glocke und Magenstiel noch vorhanden
sind, dagegen Mund und Tentakel fehlen. D. und E. Noch weiter fort-
geschrittene Rückbildung. (Aus Hatschek’s Lehrbuch der Zoologie).
personen des Stockes noch ganz die Gestalt von Medusen und
entbehren nur der Augen und Randfühlfäden, bei andern ist
die Glocke zu einem geschlossenen Sack rückgebildet, dessen
[248] Wand aber noch immer die Radiärkanäle und den Ringkanal
der Medusenglocke enthalten, bei noch andern sind auch diese
Kanäle geschwunden und nur die drei charakteristischen Schichten
der Medusenglocke sind geblieben, wenn auch so dünn geworden,
dass sie nur noch auf mikroskopischen Schnitten nachweisbar
sind. Zum Schluss des ganzen Processes bildet sich auch diese
dreifache Wandung des Sackes zurück, wird einfach und ge-
stattet dann nur noch auf Umwegen ihre Herleitung von einer
Medusenglocke. In allen diesen Stadien des Rückbildungs-
processes aber dienen diese Gonophoren stets zur Reifung der
Eier oder des Samens.
Was uns nun hier interessirt, ist das Verhalten der Keim-
zellen im Verlauf dieser Rückbildungsprocesse. Die ganze Rück-
bildung der Medusen geht nämlich von den Keimzellen aus und
zwar dadurch, dass dieselben immer früher gebildet und
immer rascher zur Reife gebracht werden sollten.
Es ist nicht nöthig, auf die Motive zu dieser Beschleuni-
gung der Geschlechtsreife einzutreten; es genügt zu wissen, dass
schon bei einigen Arten mit sich loslösenden Medusen, wie bei
Podocoryne carnea, die Eizellen früher entstehen, als die Me-
dusenknospe, in welcher sie später zur Reife gelangen, und dass
in dem Maasse, als die Rückbildung der Medusen zu blossen
Keimsäcken vorschreitet, die Ursprungsstätte der Keimzellen (die
„Keimstätte“) weiter und weiter zurückrückt in immer ältere,
d. h. früher gebildete Theile des Stockes hinein. Der Vortheil
liegt darin, dass die Keimzellen früher heranwachsen und in
reiferem Zustand später, wenn die Keimsäcke hervorknospen, in
diese einrücken und um so rascher zur vollen Reife gelangen.
Das Bemerkenswerthe dabei ist nun dieses, dass hier aktive
Wanderungen der Keimzellen eine Rolle spielen, dass dieselben
in der äusseren der beiden Körperschichten, dem Ektoderm, ent-
stehen, dann ins Entoderm wandern, um später wieder zurück
[249] ins Ektoderm überzutreten, und dass diese merkwürdigen Wan-
derungen in bestimmt vorgeschriebener, gesetzmässiger Weise
geschehen. Die Keimzellen bilden sich nach wie vor, trotz des
Zurückrückens ihrer Keimstätte in früher auftretende Personen des
Stockes dennoch stets aus derselben Zellenlage, aus welcher
sie bei den phyletischen Vorfahren entstanden sind. Man könnte
sagen: sie entstehen jetzt aus den ontogenetischen Vorfahren
der Zellen, aus welchen sie entstanden sein würden, brächte der
Polypenstock noch immer freie Medusen hervor, oder auch:
sie entstehen heute weiter unten auf der Keimbahn, als
früher. So werden z. B. bei Hydractinia echinata die jüngsten
Eizellen zuerst im Entoderm gewisser Polypen sichtbar, von
welchen später in derselben Region Gonophoren (rückgebildete
Medusen) hervorknospen. In diese wandern dann die Eizellen
ein, um nun, sobald die Knospe ein Manubrium gebildet hat,
in das Ektoderm desselben einzurücken, also zurückzukehren
an die alte Reifungsstätte, welche in früheren Zeiten
auch ihre Keimstätte war. Nun entstehen aber jetzt die
Eizellen nur scheinbar in einer andern Körperschicht des Po-
lypen, im Entoderm; es lässt sich vielmehr nachweisen, dass sie
aus dem Ektoderm stammen, aber in sehr jugendlichem Zustande,
ehe sie noch den ausgeprägten Charakter der Eizelle erkennen
lassen, ins Entoderm einwandern. Sie stammen also von der-
selben Stelle, von welcher aus die Ektodermschicht des Manu-
briums der Meduse in früherer phyletischer Periode sich ent-
wickelte, oder mit andern Worten: es ist dieselbe onto-
genetische Zellenfolge, welche heute und welche früher
die Eizellen lieferte. Diese Thatsache lässt nun wohl kaum
eine andere Deutung zu, als die, dass es eben nur bestimmte
Zellenfolgen sind, welche die Anlage zu Keimzellen
in sich tragen, und dass da, wo es im Laufe der Phylogenese
nützlich wurde, die Keimzellen an eine andere Stelle und in
[250] eine andere Schicht der Körperwand zu lagern, dies nur da-
durch geschehen konnte, dass die Zellen der Keimbahn früher
schon die Umwandlung zu Keimzellen eingingen und zugleich
sich durch Wanderung in die andere Schicht der Körperwand
begaben. Könnten auch andere, ich will nicht einmal sagen
„beliebige“ Zellen zu Keimzellen werden, so wäre dieser um-
ständliche Modus procedendi in keiner Weise zu verstehen, da
die Natur immer den kürzesten Weg einschlägt, der mög-
lich ist.
Wenn dieser Gedankengang richtig ist, so lässt sich die
Annahme von Keimbahnen — wie ich sie früher schon ge-
macht habe — nicht vermeiden, und der Umstand, dass nur
in diesen Bahnen liegende Zellen die Fähigkeit besitzen können,
Keimzellen zu werden, wird sich kaum anders auslegen lassen,
als durch die Annahme, dass nur diese Zellen Keimplasma bei-
gemischt enthalten. Könnte Keimplasma aus dem Idioplasma
gewöhnlicher somatischer Zellen entstehen, so liesse sich nicht
absehen, warum bei den Hydroiden nicht im Nothfall Keim-
zellen auch durch Umwandlung junger Entodermzellen entstehen
könnten. Dies geschieht jedoch niemals. Wollte man aber
annehmen, die Entodermzellen besässen als solche ein Idioplasma,
welches die Umwandlung zu Keimplasma nicht erlaubte, während
die Natur der Ektodermzellen dies erlaubte, so käme man in
Widerspruch mit anderen Thatsachen, denn bei den höheren
Medusen und den ihnen nahestehenden höheren Polypen ent-
stehen die Keimzellen, soviel wir wissen, ausschliesslich aus
Entodermzellen. Hier liegen also die Keimbahnen im Entoderm,
d. h. Keimplasma wird hier nur in gewissen Zellfolgen des
Entoderm’s versandt, und das vom Ei her für die Keimzellen-
bildung reservirte Material gebundenen Keimplasma’s wird bei
dem Furchungsprocess des Eies allein von der Ur-Entodermzelle
übernommen und von da weitergegeben. Bei den Wirbelthieren
[251] differenziren sich die Keimzellen aus gewissen Zellgruppen des
Mesoderms, und nirgends anders im Körper kommt jemals die
Bildung von Keimzellen vor. Hier geht also die Keimbahn
von der befruchteten Eizelle in jene Furchungszellen, aus welchen
die Stammzellen der mesodermatischen Zellenmasse sich bildet,
und verfolgt darin einen eng begrenzten Weg.
Sprechen alle diese Thatsachen dafür, dass somatisches
Idioplasma niemals in Keimplasma umgewandelt wird, so bildet
dieses Ergebniss zugleich die Grundlage der hier vorgetragenen
Theorie von der Zusammensetzung des Keimplasma’s. Es liegt
auf der Hand, dass die Zusammensetzung desselben aus Determi-
nanten, die sich im Laufe der Ontogenese in immer kleinere
Gruppen zerspalten, unvereinbar ist mit der Vorstellung einer
Rückverwandlung somatischen Idioplasma’s in Keimplasma. Wenn
jede Zelle des Körpers nur eine Determinante enthält, wie wir
angenommen haben, so könnte das aus Hunderttausenden solcher
Determinanten aufgebaute Keimplasma nur auf dem Wege aus
somatischem Idioplasma hergestellt werden, wenn Zellen sämmt-
licher Arten von Determinanten, welche im Körper vorkommen,
zu einer Zelle verschmölzen und ihr Idioplasma zu einem
Kern vereinigten. Auch das würde, genau genommen, noch
lange nicht genügen, weil damit die Architektur des Keimplasma’s
noch lange nicht hergestellt wäre; blos das Material dazu wäre
gegeben, aber offenbar kann ein so complicirtes Gebäude nur
auf dem historischen Wege errichtet werden.
Es ist also eine Forderung der hier entwickelten Theorie
des Keimplasma’s, dass sich dasselbe nicht wieder aus somatischem
Idioplasma hervorbilden kann. Uberall, wo dies zu geschehen
scheint, muss es darauf beruhen, dass unsichtbare oder doch
unerkennbare Mengen gebundenen Keimplasma’s in den be-
treffenden Körperzellen enthalten waren.
Unsichtbar brauchen diese Mengen nicht zu sein, da sie
[252] nicht kleiner sein können, als ein Id, und sobald einmal darüber
Sicherheit gewonnen sein wird, ob meine Annahme richtig ist,
dass die Mikrosomen der Kernstäbchen den Iden entsprechen,
wird man hoffen dürfen, auch ihre Zahl bei einzelnen Arten
festzustellen. Sobald aber diese erst bekannt ist, eröffnet sich
ein weites Feld für neue Untersuchungen, denn nun bietet sich
die Möglichkeit, durch direkte Beobachtung darüber zu ent-
scheiden, ob die Zellfolgen der Keimbahn etwa eine geringere
oder grössere Zahl von Iden mit sich führen, als die befruchtete
Eizelle enthielt, wie sich die Id-Ziffer der somatischen zu der
der Keimzellen und der der Keimbahn verhält, und man darf
hoffen, dass hier Thatsachen zu Tage kommen werden, die der
theoretischen Verwerthung fähig sind.
Schon jetzt liegen derartige Beobachtungen vor, welche
sich im Sinne einer Continuität des Keimplasma’s deuten lassen.
Boveri1) beobachtete, dass bei dem sich furchenden Ei des
Pferdespulwurmes, Ascaris megalocephala, die Differenzirung der
somatischen Zellen von der Urgeschlechtszelle mit einer eigen-
thümlichen Verschiedenheit in der Kernstructur einhergeht; die
somatischen Zellen stossen einen grossen Theil ihres Chromatin’s
aus dem Kern aus, und zwar derart, dass jeder Idant gleich-
mässig einen Theil seiner Substanz verliert. Nähere Angaben
und Abbildungen des Vorgangs fehlen noch, doch wird man,
auch wenn diese vorliegen werden, zunächst mit einer ins
Einzelne gehenden theoretischen Deutung der Beobachtungen
noch zuwarten müssen, bis man über die Allgemeinheit des
Vorgangs ein Urtheil haben kann. Beobachtungen an den in
Furchung begriffenen Eiern eines Krusters, Cyclops, welche
mein Assistent, Herr Dr. V. Häcker2), anstellte, haben zwar
[253] auch ein verschiedenes Verhalten der somatischen Furchungs-
zellen von demjenigen der Urgeschlechtszelle ergeben, aber doch
in wesentlich anderer Weise, als bei Ascaris. Wenn erst der-
artige Beobachtungen von mehreren verschiedenen Thiertypen
vorliegen, wird man das Wesentliche des Vorgangs erkennen
und eine Deutung wagen können.
Vom theoretischen Standpunkt aus wird man erwarten
müssen, dass die Ide des Keimplasma’s im Kern der befruchteten
Keimzelle oder auch schon vorher doppelt vorhanden seien,
einmal in aktivem und zerlegbarem, und einmal in inaktivem
und gebundenem Zustand. Die Ersteren haben die Ontogenese
zu leiten, die Zweiten sollen passiv den Urgeschlechtszellen zu-
geführt werden. Da indessen diese Letzteren sich zunächst wie
somatische Zellen verhalten, d. h. sich gesetzmässig vermehren
und in bestimmten Zellfolgen auf bestimmte Stellen des Körpers
vertheilen, so werden sie nicht blos gebundenes Keimplasma
enthalten können, sondern sie müssen ausserdem noch aktives
Idioplasma besitzen. Sie werden also mehr Ide in ihrer Kern-
substanz aufweisen, als die Somazellen. Soweit lassen sich die
angeführten Beobachtungen an Ascaris in Einklang setzen mit
der Theorie, weiter aber möchte heute noch nicht zu gehen sein.
2. Die Keimbahnen.
Überblicken wir den Verlauf der Keimbahnen, wie er sich
uns heute bei den Metazoen darstellt, und fassen wir dabei vor-
läufig nur die geschlechtliche Fortpflanzung ins Auge, so er-
scheint derselbe nicht nur verschieden lang, sondern auch ver-
schieden gestaltet. Am kürzesten ist die Keimbahn bei den
Dipteren, da hier bereits die erste Theilung der Eizelle die Ur-
keimzelle abspaltet, so dass man hier von einer Theilung der
Eizelle in eine Urkeimzelle und eine Urkörperzelle reden könnte.
Länger schon wird sie bei den Daphniden, denn hier braucht
[254] es fünf successive Theilungen von der Eizelle ab gerechnet, ehe
es zur Bildung der Urkeimzellen kommt (Fig. 14), noch länger
ist sie bei den im Meer frei lebenden Würmern, den Sagitten
(Fig. 13). Hier treten Urkeimzellen erst dann auf, wenn
schon zehn oder mehr Theilungen abgelaufen sind, und sich der
embryonale Zellenhaufen bereits zu einer Gastrula-Larve gestaltet
hat. Bei anderen Würmern, z. B. Nematoden, sondern sich die
Urkeimzellen von den somatischen Zellen in einer noch späteren
bis jetzt noch nicht genau bestimmten Zellgeneration und bei
den meisten oder allen höheren Metazoen geschieht dies erst
nach Hunderten oder Tausenden von Zellgenerationen.
Drei frühe Entwickelungsstadien von Sagitta (nach O. Hertwig).
A zeigt die Differenzirung zweier Zellen des inneren Keimblattes zu den
Urkeimzelleng; B und C zeigt die Vermehrung und Verschiebung
derselben. (Aus Lang’s Lehrbuch der vergleichenden Anatomie.)
Aber auch die Lage der Keimbahn ist verschieden. Bei
den Dipteren liegt sie ganz ausserhalb der somatischen Zell-
bahnen, die beiden Zellstammbäume spalten sich schon an der
Wurzel, bei den Daphniden zieht sich die Keimbahn durch je
eine Furchungszelle der vier ersten Zellgenerationen und spaltet
sich dann von den somatischen Bahnen ab. Bei Sagitta geht
die Keimbahn durch die Ur-Entodermzelle, und die Urkeim-
zellen spalten sich vom Ur-Entoderm ab, ehe noch das defini-
tive Entoderm (der Darm) sich daraus gebildet hat. Auch bei
[255] Rhabditis nigrovenosa läuft die Keimbahn durch drei Genera-
tionen von Entodermzellen, um dann in die Ur-Mesodermzellen
überzugehen und erst nach mehreren Generationen sich von
zweien derselben abzuspalten. Bei den meisten Metazoen aber
rückt die Bildung der Urkeimzellen in eine noch spätere Zeit,
so dass also die Abspaltung des Keimzellen-Astes von den soma-
tischen Ästen viel höher oben im Zellen-Stammbaum, oft erst
von einem der jüngeren und dünneren Aussenzweige desselben
erfolgt. Es ist auch nicht immer die Bahn des Entoderm’s
von welcher die Urkeimzellen sich abspalten, sondern es kann
Drei Entwickelungsstadien des Sommereies von Moina (nach Grobben).
A Ei im 32 zelligen Stadium vom vegetativen Pole aus gesehen, B Blastula-
stadium in derselben Ansicht, C Gastrulastadium im Medianschnitt; g die
Urkeimzellen. (Aus Korschelt und von Heider’s Lehrbuch der ver-
gleichenden Entwickelungsgeschichte.)
ebensowohl die des Ektoderm’s sein. So differenziren sich bei
den niederen Medusen mit direkter Entwickelung die Keimzellen
in sehr später Zeit erst von Ektodermzellen ihres bereits
völlig ausgebildeten, ja oft schon selbstständig sich ernährenden
Körpers, während bei den höheren Medusen und den Rippen-
quallen die Urkeimzellen sich vom Entoderm abspalten. Wir
sehen also, dass die Keimbahnen, d. h. die Zellfolgen, welche
von der Eizelle zu den Urkeimzellen hinführen, sehr verschieden
verlaufen, bald sehr kurz, bald länger, bald sehr lang sind, dass
[256] sie durch sehr verschiedene Embryonalzellen hindurchlaufen,
bald sich von den Ur-Entodermzellen abspalten, bald von den
Ur-Mesodermzellen, bald aber auch von späteren Generationen
der Mesoderm-, Entoderm- oder Ektodermzellen.
Wenn wir nun dabei im Sinne behalten, dass in jedem
dieser Fälle stets genau dieselbe Keimbahn eingehalten wird,
dass keine Abweichung vorkommt, dass niemals Urkeimzellen
sich von Entodermzellen abspalten bei einer Thiergruppe, deren
normale Keimbahn im Ektoderm liegt oder umgekehrt, so
werden wir nicht umhin können, folgenden Schluss zu ziehen:
die Zellen der Keimbahnen müssen Etwas voraus haben
vor den übrigen Zellenbahnen der Ontogenese, denn
sie allein sind befähigt, die Urkeimzellen zu bilden,
keine andern.
Wenn wir ferner erwägen, dass bei den Hydroidpolypen
— wie wir gesehen haben — der Zeitpunkt der Urkeimzellen-
Abspaltung auf- und abwärts verschoben werden kann an dieser
Keimbahn, so wird es klar, dass nicht nur die Endpunkte der-
selben, in welchen diese Abspaltung im einzelnen Falle that-
sächlich erfolgt, sondern auch die ganze vorhergehende Reihe
der Keimbahnzellen Eigenschaften besitzt, welche die übrigen
Zellen des Bion nicht besitzen, und welche sie eben befähigen,
früher oder später Urkeimzellen zu bilden.
Nun sind aber nicht etwa die Zellen der Keimbahn schon
selbst Urkeimzellen, deren Charakter nur noch nicht hervor-
tritt, sondern sie sind Zellen von gemischtem Charakter, d. h. sie
enthalten verschiedene Anlagen in sich, die nach und nach sich
abspalten, bis zuletzt nur noch zwei Anlagen übrig bleiben, die
dann durch eine letzte Zelltheilung auch noch von einander ge-
trennt werden.
Als Beispiel mag die Embryogenese eines parasitischen
Wurmes aus der Lunge des Frosches dienen. Die Figur 15
[257] giebt vier der ersten Furchungsstadien
dieser Rhabditis nigrovenosa bis zur
Differenzirung der Ur-Mesodermzelle
(mes). Diese und die folgenden Stadien
gestatteten, den in Figur 16 dargestellten
Stammbaum der Keimbahn zu entwerfen.
Bei der ersten Theilung des Eies in
die Ur-Ektoderm- und Ur-Entodermzelle
enthält diese letztere (ur Ent) nicht nur
die sämmtlichen Anlagen des Entoderm’s,
sondern auch die des Mesoderm’s und der
Urkeimzellen, sie ist also keine reine
Ur-Entodermzelle. Sie theilt sich dann
wiederum und liefert zwei Zellen, von
denen die links auf dem Stammbaum ver-
zeichnete (3) nur noch Entoderm-Anlagen
enthält, die rechts verzeichnete (3′) da-
gegen ausser gewissen Theilen des Ento-
derms auch noch die erste Anlage der
Mesodermschicht darstellt, dabei aber
auch noch die Anlage zu den Ur-
keimzellen enthält. Diese Zelle (3′)
Furchungsstadien und Keim-
blätterbildung von Rhabditis
nigrovenosa (nach Götte).
ect Ectoderm, ent Entoderm,
mcs Mesoderm.
theilt sich dann in zwei (4′ und 4″), welche die eben ge-
nannten Anlagen für die rechte und linke Körperhälfte scheiden,
und nun erst erfolgt die völlige Spaltung der Mesoderm-
und Entoderm-Anlagen, und zwar so, dass die eine Tochter-
zelle (5″) die Mesoderm- und Urkeimzellen-Anlage enthält, die
andere (5′) aber zur reinen Entodermzelle wird. Die Anlage
der Urkeimzellen bleibt nun durch mehrere Zellgenerationen
hindurch mit der gewisser mesodermaler Anlagen verbunden,
indem bei jeder folgenden Theilung immer gewisse Mesoderm-
Anlagen allein in die eine Tochterzelle übergehen und nur
Weismann, Das Keimplasma. 17
[258] die andere neben Mesoderm-Anlagen auch noch die der Ur-
keimzellen enthält. Endlich — in unserem abgekürzten Schema
in der neunten Zellfolge — geschieht die Trennung auch
Schematische Darstellung der Keimbahn eines Wurmes, Ascaris nigrovenosa.
Die Zellgenerationen sind mit arabischen Ziffern bezeichnet, alle Zellen
der Keimbahn durch dicke Striche verbunden und die verschiedenen
Hauptarten der Zellen verschieden gekennzeichnet, die Zellen der Keim-
bahn durch schwarzen Kern, die des Mesoblast’s Mes durch einen Punkt
im Innern, die des Ektoblast’s Ekt sind ganz weiss, die des Entoblast’s
Ent ganz schwarz, die Urkeimzellen, ur Kz, mit weissem Kern. Die Zell-
folgen sind höchstens bis zur zwölften Generation eingezeichnet.
dieser beiden Anlagen und die erste Urkeimzelle (uKz) ist ge-
bildet.
Soviel ist sicher und hängt von keiner Hypothese ab.
Man kann darüber streiten, ob man die in den Keimbahnen
liegenden Zellen als echte somatische Zellen bezeichnen will.
Ich habe sie so genannt, und zwar aus dem Grund, weil in
vielen Fällen die Keimbahnen weit über die Embryogenese
[259] hinausreichen bis in die fertigen und funktionirenden Gewebe
hinein, und weil sich nachweisen lässt, dass auch histologisch
differenzirte Zellen unter Umständen Keimzellen her-
vorbringen können, wie dies für manche Pflanzen, z. B. die
Prothallien der Farne gilt und auch für die Zellen gewisser
Bryopoen, von welchen Knospung ausgehen kann, die also
inaktives Keimplasma enthalten müssen. Für diese Fälle also
ist es sicher, dass echte somatische Zellen in der Keimbahn
liegen; für alle Fälle aber gilt, dass die Zellen der Keimbahn
noch keine Keimzellen sind, und dass sie einen Antheil an
dem Aufbau des Soma haben. Wenn wir nun weiter bedenken,
dass sehr zahlreiche somatische Zellen irgend eine Art von
Neben-Idioplasma enthalten, sei es für Regeneration oder für
Knospung, so kann wohl nicht angenommen werden, dass durch
eine solche Beigabe der Charakter der somatischen Zelle auf-
gehoben werde; oder besser: ich sehe keinen Vortheil darin,
die Bezeichnung der somatischen Zelle einer Zelle der
Keimbahn zu verweigern.
Die Veränderungen, welche an dem Idioplasma der Zellen
vor sich gehen, die die Keimbahn bilden, können offenbar nur darin
bestehen, dass der aktive Theil desselben sich nach und nach
im Laufe der ontogenetischen Zelltheilungen abspaltet, so dass
zuletzt nur noch Keimplasma übrig bleibt, welches nun die
betreffende Zelle zur Keimzelle stempelt. Gebunden bleibt
das Keimplasma auch jetzt noch so lange, als diese erste oder
„Urkeimzelle“ sich noch zu ihres Gleichen vermehrt. Erst
wenn diese Vermehrung aufhört, differenziren sich die Keim-
zellen zu Samen- oder Eizellen, was die Abspaltung einer be-
sonderen ovogenen oder spermatogenen Determinanten voraus-
setzt, und erst dann kann die Zerlegung des Keimplasma’s,
d. h. eine neue Embryogenese beginnen, falls die dazu erforder-
lichen Bedingungen erfüllt sind.
17*
[260]
3. Historisches zur Continuität des Keimplasma’s.
Als ich vor sieben Jahren1) den Gedanken der „Continuität
des Keimplasma’s“ in die Wissenschaft einführte, that ich
dies in dem Glauben, diese Vorstellung zum ersten Mal aus-
gesprochen zu haben. Es hat sich aber im Laufe der folgenden
Jahre herausgestellt, dass ähnliche Gedanken in mehr oder
weniger klarer Form schon vorher in verschiedenen Köpfen
aufgetaucht waren. Eine ganze Reihe von Schriftstellern wurde
so nach und nach entdeckt, von welchen Jeder ohne vom Andern
zu wissen den Gegensatz von Körper- und Keimzellen und den
direkten Zusammenhang der Keimzellen der Generationen mehr
oder weniger klar ausgesprochen hatte, theils blos behauptet,
theils auch durch Thatsachen zu stützen versucht hatte. Ich
lasse diese Vorläufer hier in chronologischer Ordnung folgen.
Schon 1849 wies Richard Owen darauf hin, dass in dem
in Entwickelung begriffenen Keim unterschieden werden könne
zwischen solchen Zellen, welche stark verändert werden, um den
Körper zu bilden, und solchen, welche nur wenig verändert
werden und welche die Reproductionsorgane bilden.2)
In England war es Francis Galton, welcher Gedanken
äusserte, die sich der Continuität des Keimplasma’s einiger-
massen nähern. Schon 1872 erschienen einige Aufsätze, in
welchen das Individuum aufgefasst wird, als bestehend „aus zwei
Theilen, von denen der eine ‚latent‘, der andere ‚patent‘ ist.
„Den ersten kennen wir nur durch seine Wirkungen auf die
Nachkommenschaft, während der andere die Person ausmacht,
die wir vor uns sehen. Die zwar benachbarten, aber doch auch
getrennten Wachsthumslinien der patenten und latenten Elemente
[261] divergiren von einer gemeinsamen Gruppe und convergiren nach
einem gemeinsamen Ziel, insofern sie beide aus Elementen des
structurlosen Eies entwickelt wurden und beide zu den Ele-
menten beitragen, welche die structurlosen Eier ihrer Nach-
kommenschaft bilden“.
Einige Jahre später änderte Galton seine Ansicht dahin,
dass er Darwin’s Pangenesis annahm, wenn auch mit erheb-
lichen Veränderungen, und nur „as a supplementary and sub-
ordinate part of a complete theory of heredity“. In der histo-
rischen Einleitung dieses Buches war davon bereits die Rede.
Die „Keimchen“ die im befruchteten Ei enthalten sind, bilden
zusammen den „stirp“ oder Stamm, der also sich durch die Ei-
zelle zum neuen Individuum ausbildet. Nun ist jede „Keimchen-
Art“ durch zahlreiche, etwas verschiedene und untereinander
concurrirende Keimchen vertreten, und da die Sieger in der
Wettbewerbung um den Aufbau des Körpers eben die Körper-
theile bilden, also auch in diesen enthalten sind, so bleiben die
übrigen gewissermassen unverbraucht zurück und bilden „the
residual germs“. Diese sind sodann „die Eltern der Sexual-
Elemente und Knospen“. Zwar können auch die siegreichen
(„dominant“) Keimchen zu den Keimzellen beitragen, aber nur
Wenig, „da sie am wenigsten fruchtbar in der Hervorbringung
von Keimchen sind“. Die Keimzellen werden also zumeist aus
den latent gebliebenen Keimchen gebildet, und daher kommt es,
dass die Nachkommenschaft häufig gerade die bemerkens-
werthesten Eigenthümlichkeiten des Elters nicht aufweist. Da
nun auf diese Weise sich wohl die Unähnlichkeit von Elter
und Kind, soweit solche vorkommt, nicht aber ihre so viel
häufigere Ähnlichkeit erklärt, so nimmt Galton an, dass auch
die Körpertheile gemmules abgeben können, ja dass dieselben
sich ausbreiten und die Grenzen der Zellen, in denen sie ent-
standen, überschreiten, also wohl auch in die Sexual-Elemente
[262] eindringen können. Er setzt also an die Stelle der „freien Cir-
culation der Keimchen“, wie sie Darwin lehrte, eine lokal be-
schränkte Ausbreitung derselben.
Wenn man diese noch etwas unbestimmten und schwer in
die Realität zu übersetzenden Vorstellungen etwas realistischer
fasst und den „stirp“ dem Keimplasma, das „residuum of the
stirp“ dem gebundenen Reserve-Keimplasma gleichstellt, so
leuchtet eine gewisse Ähnlichkeit mit der Continuitäts-Theorie
hervor. Es bleibt aber ein fundamentaler Unterschied, insofern
Galton’s Vorstellung nur unter Voraussetzung sexueller Fort-
pflanzung denkbar ist, die Continuität des Keimplasma’s aber
ganz unabhängig davon ist, ob jede Anlage nur ein Mal, oder
ob sie viele Male im Keim enthalten ist. Nach meiner Idee sind
im aktiven Keimplasma genau dieselben Anlagen, Keimchen oder
Determinanten enthalten, wie im Reserve-Keimplasma und gerade
darauf beruht die Ähnlichkeit zwischen Elter und Kind. Die
Continuität des Keimplasma’s, wie ich sie mir vorstelle, hat
ihre Wurzel nicht darin, dass jedes zum Aufbau des Soma
nöthige „Keimchen“ vielfach vorhanden ist, und dass deshalb
ein Rest bleibt, aus dem die Keimzellen der nächsten Generation
hergestellt werden können, sondern auf einer besonderen und
für die vielzelligen Organismen unvermeidlichen Anpassung,
darin bestehend, dass das Keimplasma der befruchteten Eizelle
von vornherein sich verdoppelt und die eine Portion für die
Keimzellenbildung reservirt.
G. Jäger1) hat zuerst den Gedanken ausgesprochen, dass
der Körper der höheren Organismen aus zweierlei Zellen be-
stehe, aus „ontogenetischen“ und „phylogenetischen“, und dass
die Letzteren, die Fortpflanzungszellen, nicht ein Produkt der
Ersteren, der Körperzellen sind, sondern dass sie direkt von der
[263] elterlichen Keimzelle abstammen.1) Er nahm als erwiesen an,
dass die „Bildung der Zeugungsstoffe bei einem Thiere schon
in die ersten Stadien seines Embryonallebens fällt“, und glaubte
damit den Zusammenhang der elterlichen und kindlichen Keim-
zellen erwiesen.
Obgleich diese Äusserungen weder begründet wurden, noch
durchgeführt, so hätten sie doch zu weiteren Gedanken anregen
müssen. Sie blieben aber, wie das ganze Buch, in dem sie ent-
halten sind, unbeachtet.
Ebenso erging es einer kurzen Bemerkung von Rauber2),
welche derselbe im Verlauf einer Abhandlung über „Formbildung
und Formstörung in der Entwickelung von Wirbelthieren“ ein-
fliessen liess. Es heisst dort: „Was nun die Wirkung der Be-
fruchtung betrifft, so vermag eine solche immer nur einen Theil
des Eies, den Personaltheil, zur Form einer Person überzuführen;
der andere Theil erfährt diese Wirkung nicht, er hat stärkere
beharrende Kraft“ u. s. w.
Zuletzt kam M. Nussbaum3) auf den Gedanken einer Con-
tinuität der Keimzellen. Auch er nahm an, es theile sich
[264] „das gefurchte Ei in das Zellenmaterial des Individuums und
in die Zellen für die Erhaltung der Art“ und stützte diese An-
sicht auf jene oben schon erwähnten Fälle frühester Differen-
zirung der Geschlechtszellen.
Ich schliesse diesen Abschnitt mit den Worten, welche ich
einst einem kleinen Aufsatz vorausschickte, der zur Abwehr
gegen den mir gemachten Vorwurf des Plagiats in dieser Frage
bestimmt war: „Selten nur ist ein fruchtbarer Gedanke in der
Wissenschaft aufgetaucht, ohne dass er nicht von einer Seite
bekämpft, von anderer aber als bereits bekannt hingestellt worden
wäre. Das Erstere ist gewiss vollkommen in der Ordnung, ja
sogar nothwendig, denn erst aus dem Kampf der Meinungen
kann die Wahrheit klar und bestimmt hervorgehen, aber auch
dem Zweiten ist nicht alle Berechtigung abzusprechen, denn es
geschieht wohl in der That nur selten, dass ein derartiger Ge-
danke ohne irgend welche vorherlaufende ähnliche oder gleich-
gerichtete Bestrebungen zu Tage tritt, und es ist nur natürlich,
dass die Urheber solcher Bestrebungen den Unterschied zwischen
dem Streben nach dem Ziel und der Erreichung desselben
übersehen.“
Worin es lag, dass keine der angeführten Vorläufer der Con-
tinuität des Keimplasma’s zur Geltung gelangte und einen Ein-
fluss auf die Wissenschaft gewann, mögen Andere entscheiden.
Dass es so war, wird nicht in Zweifel gezogen werden können,
und geht wohl schon daraus hervor, dass alle Gegner dieser
Anschauung ihre Angriffe gegen mich gerichtet haben. Der
folgende Abschnitt wird Einiges davon zur Sprache bringen.
Dass ich weit entfernt bin, das Verdienst Anderer in den
Schatten zu stellen, habe ich wohl dadurch bewiesen, dass ich
selbst — sobald ich nur Kenntniss davon hatte — meine
Vorläufer in dieser Frage ans Licht gezogen habe. So würden
Jäger’s Gedanken ohne ihre Entdeckung durch mich wohl auf
[265] lange noch in Dunkelheit geblieben sein. Ich kann es aber
nicht für eine unpartheiische Geschichtsschreibung halten1), wenn
die Meinungen meiner Vorläufer chronologisch geordnet dar-
gelegt werden, ohne dass zugleich gesagt wird, dass sie
alle unbeachtet und ohne Einfluss auf den Gang der
Wissenschaft geblieben sind. Jedermann weiss, dass es so
ist. Wenn es aber auch dem Einzelnen eine Genugthuung sein
kann, einen richtigen Gedanken gehabt zu haben, so kann doch
die Wissenschaft nur dann ihn als fruchtbar und als eine neue
Errungenschaft anerkennen, wenn er so ausgesprochen wird,
dass er in seiner Bedeutung erfasst werden, wirken und weiteren
Fortschritt anbahnen muss. Diese Wirkung ist aber erst nach
dem Erscheinen meiner Schriften eingetreten.
4. Einwürfe gegen die Keimplasma-Theorie.
Bemerkenswerthe Einwürfe sind von Seiten mehrerer Bota-
niker erhoben worden, und die Thatsachen, auf welche sie sich
dabei stützten, können auf den ersten Blick sehr wohl den Ein-
druck erwecken, als sei diese Theorie bei den Pflanzen nicht
durchführbar. Wäre sie das aber nicht, so würde ihre Richtig-
keit überhaupt zweifelhaft erscheinen, denn der Vererbungs-
Mechanismus kann bei Pflanzen und bei Thieren wohl nicht
ein gänzlich verschiedener sein. Es wird deshalb nöthig, die
Verhältnisse bei den Pflanzen einer näheren Betrachtung zu
unterziehen. Ich hoffe zeigen zu können, dass die von mir
angenommenen Grund-Vorstellungen sehr wohl geeignet sind,
auch auf die Verhältnisse bei den Pflanzen übertragen zu werden,
wenn sie auch ursprünglich nicht auf botanischem Boden ge-
wachsen sind.
Zunächst handelt es sich um Beseitigung einiger Miss-
[266] verständnisse und Unklarheiten. Manche Botaniker bestreiten
die Existenz des Keimplasma’s überhaupt.
Der englische Pflanzen-Physiologe Vines findet die An-
nahme einer besondern „reproductive substance“ unnöthig, da
die Fähigkeit der Reproduction eine fundamentale Eigenschaft
des Protoplasma’s sei. Wie ein zerbrochner Krystall sich ver-
vollständigt, wenn er in Mutterlauge gelegt wird, ebenso ver-
vollständige sich der Steckling einer Pflanze — er treibt das,
was ihm fehlt, nämlich Wurzeln. Wie es beim Krystall keiner
besondern „reproductive substance“ bedürfe, so auch bei der
Pflanze.
Ich will nicht besonders betonen, dass dieser Vervoll-
ständigungstrieb gar keine allgemeine Erscheinung ist, dass es
Pflanzentheile giebt, die sich nicht als Stecklinge fortpflanzen
lassen u. s. w., ich beschränke mich einfach darauf, daran zu
erinnern, dass die Annahme einer allgemeinen Reproductions-
kraft des Protoplasma’s, selbst wenn sie eine Thatsache wäre,
doch sicherlich keine Erklärung ist. Sie wäre eben das,
was erklärt werden soll!
Wenn wir z. B. wissen, dass Infusorien grosse Substanz-
verluste wieder ersetzen, dass ihr abgeschnittenes Mundfeld mit
sämmtlichen Wimpern und sonstigen feinsten Structuren sich
neu bildet, so beweist uns dies, dass diese Zellen-Organismen
wirklich die allgemeine Reproductionskraft besitzen, welche Vines
dem Pflanzen-Protoplasma zuschreiben möchte. Aber ist damit
auch nur die Spur eines Verständnisses dieser Thatsache gegeben?
Sehen wir nun ein, wie es kommt, dass die kleinsten Theilchen
des Zellkörpers nach dem Substanzverlust sich neu ordnen und
umgestalten, und zwar genau so, wie es nöthig ist, damit wieder
ein typisches Bild der Art zu Stande kommt? Haben wir im
Geringsten eine Ahnung davon, wie und wodurch die übrig-
bleibenden Theilchen des Zellkörpers dazu genöthigt werden,
[267] ihre bisherige Form und Zusammenhang aufzugeben und gerade
das neu zu bilden, was am Ganzen fehlt? Können wir auch
nur vermuthen, welcher Art das geheimnissvolle Band ist, das
die am Hinterende gelegenen Theilchen empfinden lässt, dass
vorn am Thier Etwas fehlt, und was sie thun müssen, damit
dies ergänzt werde? Mit der Annahme einer „Reproductions-
kraft“ ist einfach nur die Thatsache der Regeneration constatirt,
und gerade so viel — so scheint mir — ist es werth, wenn
wir sagen, die Reproductionskraft sei eine fundamentale Eigen-
schaft des Pflanzen-Protoplasma.
Während wir aber bei dem Infusorium, dem einzelligen
Wesen, zur Stunde noch kaum wagen können, einen Erklärungs-
Versuch zu unternehmen, weil wir die Lebens-Einheiten, aus
denen sich der Körper der Zelle zusammensetzt, und ihre Kräfte
sehr wenig noch kennen, so verhält sich dies bei den aus vielen,
physiologisch differenzirten Zellen gebildeten Organismen anders;
hier kennen wir wenigstens die eine Ordnung der das Ganze
zusammensetzenden Lebens-Einheiten nach Gestalt und Funktion,
hier können wir deshalb den Versuch wagen, aus den Funktionen
dieser Einheiten die Leistungen des Ganzen abzuleiten, und
umgekehrt diese Letzteren auf eine Vertheilung der Kräfte an
die das Ganze zusammensetzenden Einheiten zu beziehen. Hier
brauchen wir uns nicht mehr auf die einfache Constatirung der
Thatsache zu beschränken, dass eine Vervollständigung zum
Ganzen eintritt, sondern mir können weiter fragen, wann tritt
sie ein und von welchen Elementen geht sie aus, wie entsteht
überhaupt das Ganze, und wie kann aus der scheinbar einfachen
Masse des Keims ein so Mannigfaltiges hervorgehen?
Diese Fragen einer befriedigenden Antwort entgegenzuführen,
habe ich die Annahme eines Keimplasma’s gemacht, und zwar
habe ich dasselbe von vornherein nicht als eine „besondere Re-
productionssubstanz“ angesehen, die allen andern Substanzen
[268] des Körpers fremd gegenüber stehe, sondern vielmehr als die-
jenige Substanz, welche alle anderen formativen Sub-
stanzen des Ganzen aus sich hervorgehen lasse. In
jedem Stück des Körpers steckt ein Theil dieser Substanz, aber
eben nur ein Theil, und nur, wenn alle diese Theile der
leitenden Substanz (des Idioplasma’s) beisammen sind, d. h. wenn
Keimplasma vorhanden ist, kann auch der ganze Organismus
wieder von Neuem entstehen. Die Annahme eines Keim-Idio-
plasma’s oder Keimplasma’s halte ich für ganz unvermeidlich,
denn dass die Vererbungstendenzen an eine Substanz gebunden
sind, ist heute als erwiesen anzusehen. Aber auch, dass dieses
Keimplasma sich vom Ei an gesetzmässig verändert, scheint
mir unabweisbar, und zwar muss es sich von Zelle zu Zelle
verändern, denn eben die Einheit der Zelle kennen wir als den
Sitz der Kräfte, aus welchen sich die Leistungen des Ganzen
aufbauen.
Die Kräfte also, welche virtuell im Keimplasma enthalten
sind, kommen erst zur Geltung, wenn die Substanz des Keim-
plasma’s zerlegt und ihre Bestandtheile, die Determinanten, neu
gruppirt werden. Die Verschiedenheit der Leistungen, welche
die verschiedenen Zellgruppen des Körpers zeigen, zwingt uns,
in ihnen auch eine verschiedene wirksame Substanz voraus-
zusetzen, die Zellen sind also verschiedenwerthige Kraft-
centren, deren bestimmende Substanz (das Idioplasma)
ebenso verschieden sein muss, als die von ihnen ent-
wickelten Kräfte.
Es erscheint mir als eine Unklarheit, welche nur durch
die anscheinende Gleichheit vieler junger Pflanzenzellen begreif-
lich wird, wenn Vines nach dem Vorgang von Sachs von
einer „embryonalen Substanz“ spricht, von welcher alle
Reproduction ausgehen soll, und welche als vorhanden an-
genommen wird in allen „jungen“ Zellen. Meines Erachtens
[269] kann man den Vererbungswerth einer Zelle so wenig nach
ihrem Alter beurtheilen, als nach ihrem Aussehen. Der Haufen
Zellen, der aus der sog. „Furchung“ eines thierischen Eies her-
vorgeht, besitzt sicherlich den Charakter der Jugend und zwar
sind in einem gewissen Entwickelungsstadium alle diese Zellen
gleich alt und sehen gleich aus. Sie haben aber ganz ver-
schiedenen Vererbungswerth, und wenn wir die Ontogenese des
betreffenden Thieres genau kennen, vermögen wir anzugeben,
welcherlei Vererbungstendenzen in jeder dieser Zellen verborgen
liegen; in der einen steckt z. B. die Anlage zum gesammten
Entoderm des Thieres, in der anderen die zum Ektoderm, oder
die zum Mesoderm, oder — falls das Stadium ein späteres ist
— in jeder Zelle steckt nur die Anlage zu einem bestimmten
Theil, einem Organ oder Organtheil der betreffenden Keim-
blätter. Fragen wir aber, ob aus jeder dieser Zellen etwa auch
wieder das Ganze hervorgehen könne, so erhalten wir von der
Erfahrung eine ganz bestimmte negative Antwort; nur eine
oder einige wenige, und zwar ganz bestimmte unter diesen
Zellen können unter günstigen Umständen das Ganze wieder
hervorbringen, und diese nennen wir die Keimzellen. So ver-
hält es sich bei allen höheren Metazoen: die Zellen des sich
furchenden Eies sind durchaus ungleich in ihrem Ver-
erbungswerth, obgleich sie alle jugendlich „embryo-
nal“ und nicht selten von gleichem Aussehen sind.
Daraus folgt, wie mir scheint, mit logischer Nothwendigkeit,
dass die Vererbungssubstanz der Eizelle, welche sämmtliche
Vererbungstendenzen der Art enthielt, dieselben nicht in toto
auf die Furchungszellen überträgt, sondern sie in verschiedener
Combination zertheilt und parthienweise den Zellen überträgt.
Diesen Thatsachen habe ich mit der gesetzmässigen Vertheilung
der Determinanten des Keimplasma’s und des Aufgehens des-
selben in die Idioplasma-Stufen der ontogenetischen Zellen
[270] Rechnung getragen. Alle diese Zellen enthalten „embryonale
Substanz“, aber in der einen hat dieselbe eine andere Zusammen-
setzung, sie besteht aus anderen Determinanten als in der an-
deren und daher enthält sie auch andere Vererbungs-Anlagen.
Es hat deshalb wenig Bedeutung, von „embryonaler Substanz“
schlechthin zu reden.
In ganz anderer Weise und von anderer Seite tritt De
Vries einem Theil meiner Ansichten entgegen. Mit grossem
Scharfsinn hält er die bei Pflanzen beobachteten Vererbungs-
Thatsachen mit meinen Ansichten zusammen und findet häufig,
dass sie sich diesen Letzteren nicht fügen wollen. Ich bin mit
dem grössten Interesse seinen Ausführungen gefolgt und habe
mir dankbar die Thatsachen angeeignet, welche er ins Feld
führt, aber ich glaube nicht, dass der Zwischenraum, der uns
trennt, unüberbrückbar ist.
De Vries wirft mir zunächst vor, dass ich zu einseitig
nur die thierischen Organismen ins Auge gefasst hätte; bei
diesen sei wohl eine so scharfe Trennung von Körper und
Keimzellen durchführbar, wie ich sie annehme, nicht aber bei
den Pflanzen. Bei diesen könnten nicht nur die von mir als
Keimbahnen bezeichneten Zellfolgen zu Keimzellen hinführen,
sondern noch viele andere, wenn auch nicht regelmässig, son-
dern nur gewissermassen ausnahmsweise, d. h. unter bestimmten
äusseren Einwirkungen. Auch ereignete sich dies nicht nur an
solchen Stellen der Pflanze, von welchen sich eine specielle An-
passung für diese Fähigkeit annehmen liesse, sondern auch an
solchen, bei welchen davon nicht die Rede sein könne. Man
sei also zu der Annahme gezwungen, dass, wenn nicht alle, so
doch die meisten Zellen sämmtliche Anlagen der Art in
latentem Zustande enthielten.
Ich will zunächst auf die Art und Weise eingehen, wie
de Vries meine Keimbahnen auf die Pflanzen überträgt, und
[271] welche Schlüsse er aus den von ihm für Pflanzen entworfenen
Zellen-Stammbäumen zieht.
De Vries unterscheidet „Haupt“- und Neben-Keim-
bahnen. Unter ersteren versteht er das, was ich schlechthin
als Keimbahnen bezeichnet habe, d. h. die Zellenfolgen, welche
normalerweise von der befruchteten Eizelle zu den neuen Keim-
zellen (Eizellen, Spermatozoen, Pollenkörnern) hinführen. Als
„Neben-Keimbahnen“ aber bezeichnet er solche Zellfolgen,
welche „durch adventive Knospen“ zu Keimzellen hinleiten“.
Diese Neben-Keimbahnen fehlen nach de Vries den „höheren
Thieren“, sind im Pflanzenreich aber weit verbreitet, und es
wird mir zum Vorwurf gemacht, dass ich denselben nicht ge-
bührend Rechnung getragen habe. Der Begriff der „Neben-
Keimbahn“ beruht, soweit ich sehe, darauf, dass es sich zwar
hier auch um regelmässige Keimbahnen handelt, aber um solche,
die nicht immer zur Anwendung kommen. Bei vielen niederen
Pflanzen, Moosen, Pilzen „können sich nahezu sämmtliche Zellen
des Körpers zu neuen Individuen entwickeln“, und bei höheren
Pflanzen können wenigstens aus gewissen Gewebeformen, seien
es jugendliche (meristematische) Zellen oder wohl auch er-
wachsene, unter Umständen Knospen bilden, die zur ganzen
Pflanze sammt Keimzellen heranwachsen können.
Betrachten wir zuerst die „Haupt-Keimbahnen“, so
findet de Vries einen durchgreifenden Unterschied in dem Ver-
halten dieser Keimbahnen bei den höheren Thieren und den
Pflanzen, indem bei ersteren der Zellenstammbaum der Keim-
bahn einen „geraden“, nur an seinem Gipfel ein wenig verästelten
„Baum“ darstellt, während er bei den höheren Pflanzen „von
seinem Ursprung ab so reich und wiederholt verzweigt ist, dass
der Hauptstamm von seinen Ästen oft weit überragt wird, oder
richtiger, dass ein eigentlicher Hauptstamm nicht, oder kaum
vorhanden ist“. Dagegen lässt sich gewiss Nichts einwenden.
[272] Ein blühender Apfelbaum giebt ein annäherndes Bild davon,
wenn man die Blüthen für die die Spitze der Endzweige
krönenden Keimzellen nimmt. Aber was beweist und worauf
beruht dieser Unterschied? ist er etwa in der Thier- oder
Pflanzennatur der Organismen begründet? Keineswegs, denn
wir begegnen, wie auch de Vries beiläufig anerkennt, genau
derselben Art der Verzweigung bei den Haupt-Keimbahnen der
Hydroid-Polypen. Sie beruht einfach darauf, dass bei Hydroid-
Polypen die höhere Individualität des Stockes gebildet
wird, gerade wie bei höheren Pflanzen; wir haben es in beiden
Fällen nicht mit einer einzigen Person und ihrer Keimzellen-
bildung zu thun, sondern mit einer Vielzahl von Personen, die
von einer ersten durch Knospung entstanden, und von denen
jede ihr eigenes Soma und ihre eigene Keimzellenbildung hat.
Die aus dem Ei sich entwickelnde erste Person des Stockes
birgt in sich die Keimbahn, von deren Zellen irgendwo eine
Seiten-Keimbahn abgeht, sobald dieser erste Polyp eine Knospe
treibt. Bald treibt er eine zweite, in die dann ebenfalls eine
Seiten-Keimbahn abgeht, und nun treiben die beiden Knospen,
nachdem sie sich in fertige Polypen umgebildet haben, selbst
wieder Knospen, in die Keimbahnen abgehen, u. s. w. Daher
rührt die vielfache Verästelung der Keimbahn, und es ist dabei
ganz gleichgültig, ob der einzelnen Person des Stockes grössere
oder geringere Selbstständigkeit und Vollständigkeit zu Theil
wird, ob man es mit grösserem oder geringerem Recht als
„Individuum“ ansieht. Sobald gleichwerthige Abschnitte peri-
odisch sich wiederholen und als Theilstücke oder Metameren
sich aneinanderreihen, jede von einem nahezu gleichen Ausgangs-
punkt hervorwachsend, und soweit jedes dieser Theilstücke Keim-
zellen produciren kann, so haben wir das oben besprochene
Bild des Keimzellen-Stammbaumes.
Wenn aber nun gefragt wird, was uns dieser Verlauf der
[273] Keimbahnen bei Pflanzen und Polypen lehrt, so erhalten wir
darauf eine für die bisherige Anschauungsweise vieler Botaniker
sehr bezeichnende Antwort von de Vries, nämlich die, dass
die ganze von mir aufgeworfene Frage von der Con-
tinuität des Keimplasma’s eine müssige sei. „Die ganze
Frage, ob somatisches Plasma sich in Keimplasma verwandeln
kann, entbehrt“ für ihn „der thatsächlichen Grundlage“. „Nie
entsteht,“ sagt de Vries, „eine Keimbahn aus einer somatischen
Bahn“ und „eine Continuität der Keimzellen findet nicht etwa
in den allerseltensten Fällen statt, sondern ist überall und aus-
nahmslos, wenn auch oft auf langem Wege, durch die Keim-
bahnen gegeben.“
Diese Sätze nun sagen mit Ausnahme des letzten derselben
nichts Anderes aus, als was auch ich behauptet habe, und der
scheinbare Widerspruch beruht einfach darauf, dass de Vries
die von mir gebrauchten Worte in einem andern Sinn nimmt.
Wenn ich sagte, dass somatische Zellen in zahllosen Fällen
Keimzellen hervorbringen, so meinte ich damit diejenigen soma-
tischen Zellen, die in der ja gerade dafür von mir aufgestellten
Keimbahn liegen. De Vries aber bestreitet diesen Zellen den
somatischen Charakter, weil sie auch nach seiner Ansicht „Keim-
substanz“ enthalten. Ich würde nun an und für sich wenig
Gewicht auf den blossen Namen legen, wenn nicht an dem
Namen hier auch ein sehr bestimmter Begriff hinge, dessen
Aufgeben zur Verwirrung führt. Ich muss es für gefährlich
halten, eine dritte Kategorie von Zellen zwischen Somazellen
und Keimzellen einzuschieben, die „Keimbahnzellen“. Erstens
ist es unpraktisch, weil man einer Zelle nicht ansehen kann,
ob sie in der Keimbahn liegt, und dann führt es zu einer
völligen Verwischung der Begriffe des Soma und der Keimzelle,
weil, wie in den vorhergehenden Capiteln gezeigt wurde, eine
Menge unbestreitbarer Körperzellen bei Pflanzen- und Thier-
Weismann, Das Keimplasma. 18
[274] stöcken Keimplasma enthalten müssen. Da wir das Knospen-
Idioplasma bei Pflanzen und Hydroiden auch als modificirtes
Keimplasma betrachten, so müssten wir einen sehr bedeutenden
Bruchtheil der Zellenmasse dieser Organismen als Keimbahn-
zellen betrachten, und würden so nahe an die absurde Behauptung
geführt, dass ein Soma, ein Körper überhaupt nicht da sei.
Und doch ist das Soma vorhanden, und der Gegensatz zwischen
ihm und den Keimzellen besteht bei Pflanzen so gut wie bei
Thieren.
Wenn aber de Vries den Satz aufstellt, dass durch die
Keimbahnen stets eine „Continuität der Keimzellen“ hergestellt
werde, so steht er dadurch mit sich selbst in Widerspruch,
denn er betont an andern Stellen, dass die Keimzellen in
der Regel nicht direkt aus einander hervorgingen, und dass
zwischen Keimzellen und Keimbahnzellen wohl zu unterscheiden
sei. Wie könnte man denn auch z. B. den Zellen eines Farn-
Prothallium’s den Charakter somatischer Zellen absprechen, da
sie doch als solche funktioniren und untereinander nach Aus-
sehen, d. h. nach ihrer sichtbaren Beschaffenheit gleich sind.
Und dennoch sind einige von ihnen Keimbahnzellen und bringen
männliche oder weibliche Keimzellen hervor.
Wenn de Vries meint, die ganze Frage nach der Continuität
des Keimplasma’s existire für ihn nicht, weil er nachweisen
könne, dass Keimzellen immer aus Keimbahnzellen hervorgehen,
so beruht dies auf derselben Begriffsverwechselung, auf welche
Sachs vor einer Reihe von Jahren den Anspruch mir gegen-
über gründete, die Lehre von der Continuität der Keimsubstanz
schon vor mir aufgestellt zu haben. Weil bei den höheren
Pflanzen alles Wachsthum von den Vegetationspunkten, und
zwar von der den Gipfel des Vegetationspunktes bildenden
Scheitelzelle ausgeht, und weil diese Scheitelzelle sich in direkter
Linie von der Eizelle herleitet, halten diese Forscher es für
[275] selbstverständlich, dass in jeder Scheitelzelle die Keimsubstanz
der Eizelle enthalten sei. Das ist aber höchstens für die erste
Scheitelzelle, nämlich für die des Hauptsprosses selbstverständlich,
gewiss aber nicht für die Scheitelzellen der Seitensprossen,
welche doch nur indirekt von dieser sich herleiten. Dass
sämmtliche Zellen der Pflanzen in direkten Bahnen von der
Eizelle abstammen, unterliegt keinem Zweifel, ist denn aber damit
schon gesagt, dass sie alle Scheitelzellen werden müssen, oder
Keimsubstanz enthalten, oder ist damit irgendwie gezeigt, warum
nur aus relativ wenigen derselben wieder Keimzellen werden
können, und warum die andern nicht im Stande sind, Keimzellen
hervorzubringen? Und das ist es doch gerade, was durch die
Continuitäts-Hypothese in irgend einem, wenn auch nur
schwachem Grade, verständlich gemacht werden sollte. Die Ab-
stammung von der Eizelle sagt zunächst noch gar nichts aus
über die Beschaffenheit einer Zelle, und mit der ganzen, aus-
führlichen, und an und für sich gewiss interessanten Darlegung
der Zellfolgen, welche von der Eizelle zur ersten Scheitelzelle,
von dieser zur zweiten u. s. w. führen, ist zunächst — wie
übrigens de Vries selbst sagt — noch gar Nichts ausgesagt
über die Herkunft von Keimsubstanz an bestimmten Stellen
des Pflanzenkörpers. Ich verstehe deshalb nicht, wie dann
später, ohne jeglichen Versuch einer erklärenden Theorie, die
Existenz dieser Zellfolgen an und für sich schon als eine Er-
klärung genommen und ihr das grösste Gewicht beigelegt werden
kann. Mir scheint, die Zellfolgen bekommen erst dann einen
Erklärungswerth, wenn man sie als Keimbahnen in meinem
Sinne ansieht, d. h. als diejenigen Zellfolgen, auf welchen die
Keimsubstanz von der Eizelle aus nach den entferntesten Punkten
des Pflanzenkörpers hingesandt wird.
Ich kann nicht verhehlen, dass es mir als eine etwas rohe
Vorstellung erscheint, wenn man das Idioplasma sämmtlicher
18*
[276] Zellen der Keimbahn inclusive der Scheitelzellen als gleich
annimmt und der „Keimsubstanz“ gleichstellt. Warum führen
denn die Scheitelzellen der sterilen Schachtelhalmsprosse keine
Keimzellen-Bildung herbei, während diejenigen der fertilen es
thun? Da muss doch ein Unterschied im Idioplasma der beiderlei
Scheitelzellen zu Grunde liegen. Und wenn aus der Scheitel-
zelle eines fertilen Stammes der Pflanze ein Spross sich bildet
mit Keimzellen, so sind es doch auch nicht sämmtliche Zellen
dieses Sprosses, die die Keimzellen hervorbringen, sondern es
führen wiederum nur bestimmte Zellenfolgen von der Scheitel-
zelle zu den neuen Keimzellen, nämlich die Keimplasma führenden
Keimbahnzellen! Bei der Bildung eines Sprosses aus einer
Scheitelzelle liegt ein analoger Vorgang vor, wie bei der Bildung
eines Einzel-Polypen durch Knospung an einem Polypenstock.
Beide Vorgänge aber sind im Wesentlichen wieder nichts Anderes,
als die Ontogenese eines höheren Thieres aus der Eizelle. In
allen drei Fällen geht die Bildung des neuen Bion von einer
Zelle aus. Diese also muss ein Idioplasma besitzen, welches
alle Anlagen dieses Bion in sich enthält, und falls dasselbe „fertil“
sein soll, wie die Botaniker sagen, so muss diese Ursprungszelle
überhaupt alle Anlagen der Art in ihrem Idioplasma enthalten,
d. h. Keimplasma. Verfolgen wir nun die Ontogenese dieses
Sprosses oder Bion, so verhält es sich damit genau so, wie oben
schon für die Embryogenese dargelegt wurde, d. h. die Anlagen
spalten sich mit jeder Zelltheilung in immer kleinere Gruppen,
bis schliesslich nur noch eine Anlage in je einer Zelle ent-
halten ist. Dabei stammen aber alle diese höchst verschieden-
artigen Zellen von der Ursprungszelle in direkter Linie ab.
Wie ist es nun zu erklären, dass eine oder einige von ihnen
nicht blos die eine specifische Anlage einer einzelnen somatischen
Zellenart in sich enthält, sondern daneben noch sämmtliche
Anlagen der Art in latentem Zustande, wie es doch in den-
[277] jenigen Zellen enthalten sein muss, welche Keimzellen den Ur-
sprung geben? Ja, wenn eine continuirliche Reihe von Zellen,
welche blos „Keimsubstanz“ enthalten, von der Ursprungszelle
bis zu den neuen Keimzellen hinführte, dann wäre die Sache
ja sehr einfach. Aber so einfach ist sie nur im Falle der
Dipteren, in allen übrigen Fällen sind die dazwischen liegenden
Zellen, d. h. diejenigen der Keimbahn, nachweislich keine
Zellen, die blos Keimplasma enthalten, sondern solche
mit ganz bestimmten somatischen Anlagen, und zwar
bei Pflanzen ganz ebensowohl als bei Thieren. Man
sehe nur den oben abgebildeten Zellenstammbaum für die Onto-
genese von Ascaris nigrovenosa (Fig. 16) nach. Wie kommt es
denn, dass z. B. bei der Theilung der Ur-Entodermzelle in die
erste Entoderm- und erste Mesodermzelle die letztere dennoch
im Stande ist, später Nachkommen hervorzubringen, welche
„Keimsubstanz“ enthalten, Keimzellen? Sie hat doch bei ihrer
Entstehung die Entoderm-Anlagen an ihre Schwesterzelle ab-
getreten, wie kommen diese Entoderm-Anlagen und gar die
schon früher abgegebenen Ektoderm-Anlagen, in ihre Nach-
kommen, die Keimzellen? Meine Antwort habe ich gegeben,
sie lautet: sie führen von der Eizelle her eine gewisse Menge
von Keimplasma in gebundenem Zustand neben ihrem aktiven
Mesoderm-Idioplasma mit sich. De Vries und die Botaniker,
welche mit ihm übereinstimmen, halten eine Antwort für über-
flüssig. Es steht offenbar Jedem frei, auf die Lösung eines
Problems zu verzichten, allein dann kann er nicht den Anspruch
erheben, es gelöst zu haben.
Ich komme zu den „Neben-Keimbahnen“ von de Vries.
Wie oben bereits erwähnt wurde, versteht er darunter solche
Zellfolgen, welche durch „adventive Knospen“ zu Keimzellen
hinleiten. Unter adventiven Knospen versteht man nach Sachs
(Vorlesungen p. 579) solche Vegetationspunkte, welche nicht
[278] aus schon vorhandenen sich ableiten, oder aus „schon vor-
handenem embryonalen Gewebe“, sondern „an Orten, deren Ge-
webe bereits in Dauerzustand übergegangen ist: in ausgewachsenen
Wurzeln, an Interfoliartheilen von Sprossachsen, ganz besonders
aber an Laubblättern, deren Gewebe bereits völlig differenzirt
und ausgebildet ist“.
Ich habe diese „adventiven“ Knospen, wie sie z. B. von
dem auf feuchte Erde gelegten Begonia-Blatte entspringen,
schon in früheren Schriften als Anpassungen bestimmter Pflanzen-
arten an diese eigenthümliche Art der Fortpflanzung zu erklären
gesucht, indem ich annahm, dass bei solchen Arten gewisse zu
den Blättern führende Zellfolgen neben ihrem aktiven Eigen-
Idioplasma noch gebundenes und inaktives Keimplasma führen.
Man kann nun dieser Erklärung Mancherlei entgegenhalten
und hat es bereits gethan und es ist hier der Ort, auf die
wesentlichsten Einwände einzugehen.
Vor Allem hat man mir eingeworfen, dass diese Fähigkeit
der Blätter, Wurzeln u. s. w., Adventivknospen zu treiben, nicht
als eine Anpassung angesehen werden könne, weil zu viele Fälle
vorkommen, in denen es nur ganz ausnahmsweise geschähe und
der Pflanze keinen Nutzen brächte. Es kann aber keinem
Zweifel unterliegen, dass das Vermögen der Begonien, des Bryo-
phyllum, Cardamine pratensis und Nasturtium officinale Knospen
an solchen Orten zu treiben, wo bei den meisten Pflanzen keine
sich bilden, eine besondere Einrichtung dieser Pflanzen ist.
Weder bei Bryophyllum, noch bei Begonia sind es auch be-
liebige Stellen des Blattes, an welchen die Knospen und jungen
Pflänzchen entstehen, sondern ganz bestimmte Stellen, bei
Bryophyllum die Blattränder, bei Begonia die Winkel zwischen
den Ursprungsstellen der grossen Blattrippen. Es sind also
doch wohl nicht beliebige Zellen des Blattes, wie de Vries
meint, die mit dieser Fähigkeit ausgestattet sind, sondern be-
[279] stimmte, wenn auch zahlreiche. Sie sind deshalb doch soma-
tische Zellen, so gut wie die Zellen des Farn-Prothallium’s,
welche die Sexualzellen hervorbringen, aber diese Epidermis-
Zellen enthalten neben ihrem aktiven somatischen Idioplasma
noch gebundenes Keimplasma als passive Beigabe, und dieses
wird nur unter bestimmten äusseren Einwirkungen aktiv.
Bei tausend andern Blättern kann man diese Bedingungen
einwirken lassen, ohne dass jemals junge Pflänzchen aus ihnen
sich erheben.
Nun giebt es freilich eine ganze Reihe von Erfahrungen,
welche scheinbar beweisen, dass „in jedem auch nur kleinen
Bruchstück der Glieder eines Pflanzenkörpers die Elemente
ruhen, aus denen sich bei Isolirung der ersteren unter geeig-
neten äusseren Bedingungen der ganze complexe Körper auf-
bauen kann“. Die Ableger, die Adventivknospen, welche
sich an einem Zweig bilden, der oben abgeschnitten wurde, sind
solche Erscheinungen. Allein nicht aus beliebigen Stücken des
Körpers der höheren Pflanzen, sondern nur aus solchen, die
„eine Anzahl von Cambialzellen“ enthalten, findet die Bewurze-
lung des Ablegers oder die Bildung von Adventivknospen statt.
Nur diese Zellen also enthalten ein Neben-Idioplasma, welches
sie befähigt, je nach der Natur der Reize, die auf sie einwirken,
in ganz anderer Weise zu wachsen, als sie es unter normalen
Verhältnissen gethan haben würden. Die ganze Cambialschicht
dieser Pflanzen ist somit ausgerüstet mit der Fähigkeit der
Reproduction, darüber kann ein Zweifel nicht bestehen. Nur
darüber kann gestritten werden, ob dies eine besondere An-
passung, oder nur der Ausfluss der normalen Beschaffenheit
jeder Pflanzenzelle ist.
Ich möchte es auch heute noch als besondere Anpassung
auffassen, und will versuchen, meine Gründe dafür zu entwickeln,
wobei ich freilich als Nicht-Botaniker darauf verzichten muss,
[280] so tief in die verschiedenen Gruppen des Pflanzenreiches ein-
zudringen, als ich es thun zu können wünschen möchte.
Die Frage, welche zu entscheiden wäre, ist also die, ob von
jeher jede Pflanzenzelle mit allen Anlagen der Art, wenn auch
in latentem Zustande ausgerüstet war, als sich die vielzellige
Pflanze aus der einzelligen entwickelte, oder ob zuerst eine
scharfe Trennung zwischen Somazellen und Keimzellen eintrat,
beruhend auf verschiedener Differenzirung des Idioplasma’s, und
ob erst nachträglich und nur dort, wo es von Nutzen war, dem
Idioplasma der Somazellen Keimplasma in latentem Zustande
beigegeben wurde. Ich bin dieser letzteren Meinung, de Vries
vertritt die erstere. Für die Theorie vom Keimplasma ist die
Entscheidung wichtig, weil es unvereinbar mit ihr wäre, wenn
schon bei der phyletischen Entstehung des Soma die Soma-
zellen Keimsubstanz als Idioplasma enthalten hätten. Nach
meiner Vorstellung vom Keimplasma beruht ja die phyletische
Entstehung der Somazellen gerade auf einer gruppenweisen
Scheidung der im Keimplasma enthaltenen Determinanten. Es
würde ihr durchaus widersprechen, wenn schon die ersten phy-
letisch entstandenen Somazellen ausser ihren manifesten speci-
fischen Eigenschaften auch noch die übrigen der Art zukommen-
den Eigenschaften in latentem Zustande enthalten hätten. De
Vries meint, der scharfe Unterschied, welcher bei den höheren
Thieren wirklich besteht zwischen Körper- und Keimzellen, habe
mich verleitet, einen solchen Gegensatz überall anzunehmen,
während doch bei den Pflanzen derselbe lange nicht so aus-
gebildet sei, und sich graduelle Übergänge von Körper- zu
Keimzellen nachweisen liessen.
Ich glaube, dass dies ein Irrthum ist; Ubergänge zwischen
Soma- und Keimzellen giebt es nirgends, und die Ansicht von
de Vries beruht einfach darauf, dass er Keimzellen mit Keim-
bahnzellen verwechselt. Dass letztere aber als somatische Zellen
zu betrachten sind, ist oben nachgewiesen worden.
[281]
I. Pandorina morum nach Pringsheim, eine schwärmende Zellen-
kolonie. II. Eine solche, deren Zellen sich zu Tochterkolonien vermehrt
haben; alle Zellen untereinander gleich. III. Ein junges Individuum von
Volvox minor nach Stein, noch umschlossen von der Hülle. Die Zellen
in somatische sz und kz gesondert.
[282]
Meines Erachtens sind Keimzellen und Somazellen von
ihrem ersten Auftreten in der Phylogenese an scharf verschieden
gewesen und sind es seitdem auch geblieben. Was als Keim-
zelle anzusprechen sei, kann bei keiner Pflanzen- oder Thierart
zweifelhaft sein, was als Somazelle auch nur dann, wenn man
die Keimbahnzellen als Keimzellen ansieht.
Ich wüsste keinen schlagenderen Beweis für meine Auf-
fassung zu geben, als ihn die Volvocineen an die Hand geben.
Hier haben wir dicht neben einander eine Zellgemeinschaft
ohne und mit Arbeitstheilung, ohne und mit dem Gegensatz
von Soma- und Keimzellen. Bei Pandorina sind noch alle Zellen
der Kolonie gleich, jede lässt sämmtliche Funktionen des Lebens
an sich ablaufen, bei Volvox sind sie differenzirt; die einen
haben die Funktionen, die das Individuum erhalten, übernommen,
die andern die, welche die Art erhalten: Somazellen und Keim-
zellen. Die heteroplastide Gattung Volvox muss aus einer
homoplastiden Form phyletisch entstanden sein; viele Zwischen-
stufen kann man sich zwischen beiden Formen kaum denken,
die beiden Zellenarten von Volvox sind heute noch nicht so
stark verschieden, wie Soma- und Keimzellen bei höheren Orga-
nismen. Dennoch haben die Somazellen gänzlich die Fähig-
keit verloren, den ganzen Organismus aus sich wieder hervor-
zubringen (vergl. Fig. 17).
Übergänge zwischen beiderlei Zellarten bestehen natürlich in
dem Sinne, dass sich die Keimzellen zuerst noch wenig von den
Somazellen unterscheiden, nicht aber in dem Sinne, dass, wie de
Vries will, alle Zellen von vornherein Keimsubstanz enthalten,
aber in einem mehr oder minder latenten Zustand. Die Somazellen
von Volvox, die sich, bildlich gesprochen, doch gerade eben
erst von den Keimzellen differenzirt haben, enthalten keine Keim-
substanz; wenn man die Keimzellen künstlich aus einer Volvox-
kugel herausnimmt, leben die Somazellen zwar noch lange
[283] weiter, produciren aber weder neue Keimzellen, noch eine neue
Kolonie.
Weshalb sollten sie es auch? Welchen Vortheil hätte die
Art davon, die ohnehin in Milliarden von Individuen in dem-
selben Sumpf das Wasser erfüllt und von denen jedes wieder
Tochter-Individuen hervorbringt? Die Fortpflanzung ist ohnehin
eine so starke, dass neue Mittel, die Existenz der Art zu sichern,
nicht ergriffen zu werden brauchten.
Diese Mittel aber sind ergriffen worden bei zahl-
reichen, ja vielleicht bei weitaus den meisten höher
organisirten Pflanzen.
Man hat meiner Ansicht die Fähigkeit der Pilze und
Moose entgegengehalten, aus jedem Stückchen der Pflanze unter
günstigen Bedingungen eine neue Pflanze hervorgehen zu lassen.
Ich sehe aber nicht, was uns hindert, diese Fähigkeit als eine
Anpassung aufzufassen, entstanden, um die durch tausendfache
Gefahren bedrohte Existenz der Art zu sichern. Wenn einem
Hutpilz der Hut abgeschlagen wird, so bildet sich ein neuer
(Brefeld); offenbar eine für die Erhaltung der Art sehr nütz-
liche Einrichtung. Ein Lebermoos producirt aus den kleinsten
Fetzen, in die es zerstückelt wird, die ganze Pflanze (Vöchting).
Was macht die Annahme unwahrscheinlich, dass diese Fähigkeit
erworben sei, um den Bestand der durch jede plötzliche Trockniss
bedrohten Art vollends zu sichern. Ich besitze nicht aus-
reichende Kenntniss vom Pflanzenleben, um diesen Gedanken
im Einzelnen zu begründen, allein ich glaube noch andere
Thatsachen zu kennen, die meine Auffassung gewissermassen
von der entgegengesetzten Seite her bestätigen.
Warum besitzen Farne und Schachtelhalme in ihrer
ausgebildeten Form diese Fähigkeit der Regeneration nicht?
Ein abgeschnittener Farnwedel treibt aus seinem Stengel keinen
neuen Wedel, ja er ergänzt nicht einmal einzelne Fiederblättchen,
[284] die abgeschnitten wurden. Man könnte hierauf etwa erwidern,
dass die Farne schon zu hoch differenzirte Somazellen besässen,
allein dem widerspricht die Erfahrung, welche lehrt, dass viele,
aber keineswegs alle Farn Brutknospen auf den Wedeln hervor-
bringen können. Warum bei diesen diese Einrichtung getroffen
wurde, darf ich wohl den Botanikern zu erklären überlassen,
wenn man mir aber entgegenhalten wollte, ob denn die Fähig-
keit, aus Somazellen ganze Pflanzen hervorgehen zu lassen, den
übrigen Farnen nicht auch nützlich gewesen, also auch bei ihnen
zu erwarten wäre, so möchte ich darauf antworten, dass alle
das Vermögen haben, abgeschnittene Wedel durch neue zu er-
setzen, aber nicht durch Regeneration des abgeschnittenen Blattes,
sondern durch Knospung aus dem Stamm. Das genügt, um die
Pflanze zu ergänzen, wenn sie verletzt wurde.
Und damit komme ich zu den Verhältnissen bei den
Phanerogamen. Auch hier entbehren die Blätter in der
Regel die „Nebenkeimbahnen“, d. h. ihre Zellen haben nicht
die Fähigkeit, Knospen zu produciren, ja nicht einmal die Fähig-
keit, sich selbst wieder zu ergänzen, wenn ihnen ein Stück ab-
geschnitten wurde. Dagegen aber haben die Sprossachsen diese
Fähigkeit meist oder immer in hohem Maasse, und sie beruht auf
der Anwesenheit der Cambialzellen, welche, wie es scheint, alle die
Fähigkeit besitzen, neue Vegetationspunkte und damit den Aus-
gangspunkt für einen neuen Spross sammt Blättern und Blüthen,
also Keimzellen zu bilden. Die Regenerationskraft der
Blätter ist in der Regel überflüssig, weil der Pflanzen-
stock in seiner Cambialschicht eine unerschöpfliche
Quelle für die Entstehung neuer Personen in sich
trägt; dies ist ein wirksameres Mittel des Wiederersatzes, als
es die Ergänzung von Defecten an den Blättern sein würde.
Die Fähigkeit der Blätter aber, Adventivknospen zu treiben,
wird wohl in den meisten Fällen durch die Massenhaftigkeit
und sichere Verbreitung der Samen unnöthig.
[285]
Im Thierreich verhält sich die Gruppe der Polypenstöcke
ähnlich. Auch bei ihnen sind überall im Stock Zellen ver-
breitet, die zwar wie gewöhnliche somatische Zellen aussehen
und funktioniren, die aber unter gewissen Umständen, nach Ver-
letzungen des Stockes u. s. w., zur Bildung neuer Personen
schreiten können. Als ich einst einen Stock von Tubularia
mesembryanthemum aus Marseille lebend mit nach Freiburg
gebracht hatte, starben die Polypenköpfchen schon nach einer
Woche etwa einer nach dem andern ab, wohl aus Nahrungs-
mangel, allein wenige Tage später hatten sich an allen Stielen
neue, freilich sehr kleine Köpfchen gebildet, die ohne Zweifel
herangewachsen wären, wenn ich sie hätte ernähren können.
Diese Regenerationsfähigkeit ist vorgesehen, wenigstens finde
ich in einer vor Kurzem erschienenen Schrift von Loeb1) an-
gegeben, dass ein solches Abfallen der Köpfchen und Neubildung
derselben von Zeit zu Zeit regelmässig stattfinde. Derselbe
Autor zeigte auch durch den Versuch, dass an beliebigen Stellen
des Stammes, sowohl am Kopf- als am Wurzelende desselben,
Köpfchen hervorsprossen können unter günstigen Bedingungen.
Dagegen gelang es nie, das apicale Ende des Stämmches zur
Wurzelbildung zu bringen.
Dass Letzteres nicht gelingt, wird Niemand in Erstaunen
setzen, der mit mir alle diese Knospungs- und Regenerations-
Vorgänge als Anpassungen auffasst. Das apicale Ende eines
Stammes wird in natürlichen Verhältnissen kaum je in die
Lage kommen, Wurzel treiben zu müssen, da es nicht ver-
kehrt herum in den Sand zu liegen kommt, es liegen deshalb
dort keine Zellen mit „Wurzel-Idioplasma“. Umgekehrt aber
begreift man leicht, weshalb diese Polypen mit einem so hohen
Knospungsvermögen ausgestattet sind, wenn man einmal gesehen
[286] hat, welche Zerstörungen verschiedene niedere Krebse, Würmer,
Arachniden, Schnecken und andere Feinde an den Weichtheilen
der Polypenstöckchen anrichten. Besässen diese Polypen nicht
die Fähigkeit, immer wieder neue Köpfchen, d. h. Einzelthiere
hervorsprossen zu lassen, wenn die alten abgefressen sind, so
würde ihre ganze Kolonie bald absterben müssen aus Mangel
an ernährenden Personen. Dass dies in so ausgiebigem Maasse
möglich ist, ist theilweise wenigstens eine Folge der Aggre-
gation von Personen zu der höheren Individualitätsstufe des
Stockes. Denn diese gewährt den Vortheil fortdauernder Er-
nährung, solange nicht geradezu alle Einzelthiere des Stockes
den Feinden zum Opfer gefallen sind, und begünstigt so das
Hervorwachsen neuer Knospen.
Ähnlich verhält es sich bei manchen Bryozoen oder
Mooskorallen. Bei vielen von ihnen ist die normale Knospung
eine ganz gesetzmässige; die Stelle, an welcher sich die nächste
Knospe bilden wird, ist im Voraus anzugeben, und darauf beruht
hier wie bei den Hydroidpolypen die charakteristische Gestalt der
Stöckchen bei den verschiedenen Arten, die bald wie ein Laubbaum,
bald wie eine Tanne, oder eine Feder u. s. w. verzweigt sind. Hier
also müssen bestimmte Zellen im Voraus mit Knospungs-Keim-
plasma ausgerüstet sein, und es muss keines andern Anstosses
als der gewöhnlichen Ernährung bedürfen, um sie zur Knospen-
bildung zu veranlassen. Die Zellfolgen, welche zu diesen
Knospungszellen hinführen, würden als Haupt-Keimbahnen im
Sinne von de Vries zu bezeichnen sein. Nun giebt es aber
bei manchen Bryozoen, z. B. bei Pedicellina, nach den Unter-
suchungen von Seeliger auch andere Knospungsstellen, als die
gewöhnlichen. Wenn eine Pedicellina ihr Köpfchen verliert, so
dass nur ein Stumpf des Stieles übrig bleibt, so wachsen am
Stielende neue Köpfchen hervor, und die Knospung geht
hier von den platten specifischen Epithelzellen des
[287] Ektoderms aus, die vorher durchaus nicht danach aussahen,
noch in Vermehrung eintreten zu können. Hier haben wir
also auch Neben-Keimbahnen. Epidermiszellen sind mit Knospen-
Keimplasma ausgerüstet, veranlassen aber trotzdem für gewöhn-
lich keine Knospung, vielmehr nur auf ungewöhnliche Reize
hin. Dieselben sind der Zerstörung ebenso ausgesetzt, wie die
der Hydroidpolypen; es kann also nicht überraschen, dass die
Einrichtung der Knospung vom Stiel aus getroffen worden ist,
auch wenn wir nicht wüssten, dass die Köpfchen eines Stieles
bei Pedicellina normaler Weise von Zeit zu Zeit hinfällig
werden und durch neu hervorknospende ersetzt werden. Dies
findet allerdings am obern Ende des Stieles statt, aber es be-
greift sich, dass die Ausrüstung auch der untern Parthien
der Stiel-Epidermis mit Knospen-Idioplasma vortheilhaft sein
musste.
In ähnlicher Weise erkläre ich mir die bei den höheren
Pflanzen ganz allgemein getroffene Einrichtung der Hervor-
bringung von Adventivknospen. Auch dieser Organismengruppe
ist, vor Allem in ihrer Cambialschicht das Mittel gegeben, Ver-
luste an Blättern oder ganzen Sprossen wieder zu ersetzen, und
es liegt auf der Hand, dass dies gegenüber dem zahlreichen,
oft geradezu massenhaften Auftreten besonders der kleinen
Feinde aus der Insektengruppe ein wichtiger Schutz ist. Dass
also diese Einrichtung, ich meine die Beigabe von gebundener
Keimsubstanz an die Cambialzellen, getroffen wurde, kann nicht
in Verwunderung setzen.
Die Gallen.
De Vries hat auch die Gallen gegen meine Ansichten
ins Feld geführt. Sie beweisen ihm, dass in einer Pflanzen-
zelle, auch wenn sie specifisch histologisch differenzirt ist, immer
noch die Anlagen zu allen andern Zellenarten schlummern,
[288] bereit, aktiv zu werden, sobald der geeignete Reiz auf sie ein-
wirkt. Diesen Nachweis hält er dann weiter für unvereinbar
mit der Annahme eines Keimplasma’s und einer Continuität
desselben.
Gewiss unterliegt es keinem Zweifel, dass die Gallen ein
höchst interessantes Problem sind, aber eben so gewiss scheint
es wenigstens mir, dass dieses Problem noch nicht völlig gelöst
ist, trotz der mehrfachen und ganz vortrefflichen Untersuchungen,
welche die letzten Decennien gebracht haben und unter welchen
diejenigen von Adler1) und von Beyerinck2) unsere Einsicht
ganz besonders gefördert haben.
Der Punkt, der hier im Vordergrund steht, ist die That-
sache, dass die Gallen keineswegs immer nur aus denjenigen
Zellenarten bestehen, welche in den Organen der Pflanze vor-
kommen, auf welchen sie wachsen, sondern dass sie häufig auch
andere Zellenarten enthalten. „Zellen, welche die Pflanze sonst
nur in der Rinde ihres Stammes bildet, kann man häufig in
den Gallen blattbewohnender Cynipiden und Dipteren finden.“
Es ist also gewiss, dass das Vermögen, diese z. B. dem Blatte
sonst fremden Zellenarten hervorzubringen, „nicht nur jenen
Organen eigen ist, welche sie im normalen Laufe entwickeln,
sondern“ auch gewissen Zellen des Blattes, de Vries meint
sogar, „wohl allen übrigen Theilen der Pflanze“.
Dies könnte uns nicht besonders überraschen, wenn wir
[289] die Gallen als Anpassungen der Pflanze an ihre Parasiten be-
trachten dürften, wie dies z. B. bei den merkwürdigen Ein-
richtungen gewisser tropischer Pflanzen zum Schutze der die
Pflanze selbst wieder beschützenden Ameisen angenommen werden
darf. Hier hat gegenseitige Anpassung stattgefunden, das
Thier hat sich der Pflanze, die Pflanze aber auch dem Thier
angepasst, weil für Beide das Zusammenleben förderlich ist.
Bei den Gallen der Cynipiden und Blattwespen ist ein Nutzen,
der der Pflanze durch den Parasiten erwachsen könnte, nicht
erfindlich, und wir sind also darauf angewiesen, dieselbe als
Reaction der Pflanze auf den vom Thier ausgeübten Reiz zu
erklären. Entstünde die Galle, wie man früher annahm, durch
ein Gift, welches von dem eierlegenden Weibchen in das Pflanzen-
gewebe gebracht würde, so wäre diese Erklärung durchaus un-
genügend, da es nicht denkbar ist, dass die einmalige Ein-
flössung eines Giftes die langsam wachsende und erst allmälig
ihre definitive, oft recht complicirte Structur annehmende Galle
in solcher Regelmässigkeit hervorrufen sollte. Sie wäre dies
um so mehr, als auf derselben Unterlage, z. B. dem Eichen-
blatt, vielerlei Gallen wachsen können, die sehr verschieden von
einander sind. Durch Adler und Beyerinck wissen wir aber,
dass nicht der Stich des Mutterthieres, sondern die Thätigkeit
der aus dem Ei geschlüpften Larve es ist, welche die Gallen-
bildung hervorruft. So wird man sich denn vorstellen müssen,
dass diese Larven durch den Reiz, den einmal ihr sich be-
wegender Körper setzt, dann aber ihr Fressen und schliesslich
die specifischen Secrete ihrer Speicheldrüsen die eigenthümliche
und specifische Wucherung des Pflanzengewebes bedingen. Die
Verschiedenartigkeit der Gallen auf gleicher Unterlage aber
wird man aus Verschiedenheiten dieser Momente herleiten müssen,
und die augenfälligen, dem Parasiten zum Schutz und zur Er-
haltung und Ernährung dienenden Anpassungen der Galle müssen
Weismann, Das Keimplasma. 19
[290] auf Anpassungen des Parasiten beruhen, auf der Art und Weise
seines Fressens, seiner Bewegungen, auf der chemischen Zu-
sammensetzung seines Speichelsecrets. Wir sind gezwungen zu
dieser Erklärung, da keine andere sich auffinden lässt, und
müssen also uns vorstellen, dass Naturzüchtung hier auf diese
Momente so lange eingewirkt hat, stets sie verbessernd, bis die
für die betreffende Art bestschützende und nährende Galle durch
die Larve zu Stande kam.
Beyerinck hat nun in der That erwiesen, dass in den
Gallen häufig Zellen- und Gewebsformen vorkommen, welche
solchen in anderen Theilen der Pflanze vorkommenden sehr
ähnlich sind, sich aber in der Unterlage der Galle, z. B. im
Blatt nicht vorfinden, und de Vries zieht daraus den Schluss,
dass die Anlagen zu diesen fremden Geweben, ohne dass man
es vorher erkennen konnte, in den Zellen des Blattes enthalten
gewesen seien. Ich gestehe, dass ich diesen Schluss nicht für
zwingend halte, da es ja auch denkbar wäre, dass der vom
Parasiten ausgehende Reiz das Idioplasma der Blattzellen in
einer Weise verändert hätte, dass daraus andere als die sonst
im Blatte gewöhnlichen Zellenformen entstehen müssten. Bei
Besprechung der Variation werden wir sehen, dass Derartiges
vorkommt; das somatische Idioplasma kann sich zuweilen aus
bekannten oder unbekannten Ursachen derart verändern, dass
von der ererbten Zellenform-Folge abgewichen wird. Die plötz-
liche Entstehung der Moosrose ist ein solches Beispiel. Man
könnte sich also wohl denken, dass durch den specifischen Reiz
der Larve, vor Allem wohl ihres Secretes, das Idioplasma ge-
wisser Zellenlagen der Galle sich so veränderte, dass die Zellen
einen andern Charakter annehmen, z. B. den von Holzfasern.
Was entschieden für diese Auffassung spricht, ist der Um-
stand, dass keineswegs nur solche Zellenarten in der
Galle vorkommen, welche sich auch anderswo in der
[291] betreffenden Pflanze vorfinden. De Vries stellt zwar
diesen Satz auf, bemerkt aber dazu eine Ausnahme, nämlich
„die eigenthümliche, sich später in ein dünnwandiges Nahrungs-
gewebe verändernde Steinzellenschicht mancher Cynipidengallen“.
Ich kann dies nicht für „eine wohl nur scheinbare Ausnahme“
von der Regel halten, sondern für einen sehr werthvollen Hin-
weis darauf, dass diese Regel nicht besteht, dass es nur ein
scheinbares Zurückgreifen auf ererbte Zellenformen, d. h. auf
solche ist, die schon in latentem Zustande in den Zellen des
Blattes enthalten waren. Ich möchte vielmehr gerade in diesen
„Ausnahmen“ den Beweis sehen, dass wir es in den Gallen
mit wirklichen Neubildungen zu thun haben, mit Ab-
änderungen der betreffenden Zellenformen, die durch
den Larvenreiz entstehen. Wenn sie häufig Zellformen aus
andern Theilen der Pflanze sehr ähnlich sind, so kann das kaum
in Erstaunen setzen, da die Veränderungen, die die Larve hervor-
bringt, sich an einem Idioplasma abspielen, welches aus den
Determinanten der betreffenden Art zusammengesetzt ist; da
also diese Veränderungen sich zunächst nicht weit von solchen
Biophoren-Combinationen (Determinanten) entfernen werden,
welche auch sonst in der Pflanze vorkommen. Neu-Com-
binirung der Biophoren in verschiedenem Grade scheint
mir die Folge der Larven-Einwirkung zu sein und da-
durch Abänderung der Determinanten.
In ähnlicher Weise möchte ich die von de Vries gegen
mich angeführten Gallen von Cecidomyia Poae auffassen. Diese
Stengelgallen bedecken sich auf den Reiz der Larve hin mit
einem dichten, wohl als Schutz dienenden Filz von wurzel-
artigen Auswüchsen, die in Erde gebracht sich wie normale
Wurzeln verzweigen. Dass durch den Reiz des Parasiten unter
Umständen das Idioplasma gewisser somatischer Zellen so um-
geordnet wird, dass es einem anderen Gewebe, ja Organ der-
19*
[292] selben Pflanze ähnlich oder gleich wird, beweist, wie mir scheint,
durchaus nicht, dass die betreffende Anlage vorher schon in
jenen Zellen enthalten gewesen sein müsse. Bei thierischen
Geweben sind zwar ähnliche Umwandlungen nicht bekannt; in
krankhaften Geschwülsten kommen nach der Ansicht der heutigen
pathologischen Anatomen immer nur solche Zellenarten vor,
welche überhaupt in den Bereich der Gewebeart gehören, aus
welcher der Tumor entspringt. Das kann nicht überraschen,
da die thierischen Gewebe weit höher differenzirt sind, als die
pflanzlichen, die idioplasmatischen Elemente derselben also auch
stärker verschieden sein werden, folglich sich durch Reize, die
sie verschieben und umordnen können, doch niemals zu ähn-
lichen oder gleichen Combinationen verbinden werden, wie sie
in ganz anderen Gewebearten des Körpers vorkommen.
Auf den Fall der Nematus-Galle gehe ich nicht ein, weil
die betreffenden Versuche Beyerinck’s noch nicht abgeschlossen
sind. Gelänge es, wie de Vries es für wahrscheinlich hält, aus
der Blattgalle einer Weide die ganze Weidenpflanze zu erziehen
dann würde freilich der Beweis geliefert sein, dass in den Zellen
des Blattes ebenso gut Keimplasma enthalten war, als im Be-
gonienblatt; allein bis jetzt hat die Galle nur Wurzeln gebildet,
und wenn normale Wurzeln auch stets das Vermögen besitzen,
Adventivknospen zu bilden, so ist dies bei diesen abnormalen
nicht im Voraus zu sagen. Gerade bei der Weide ist übrigens
die Anlage zu Wurzeln nicht nur in Gestalt unsichtbarer Deter-
minanten, sondern in Gestalt sichtbarer Zellen im ganzen Stamm
verbreitet, weshalb denn auch keine Stecklinge leichter an-
wachsen, als solche der Weiden. Vielleicht ist es denkbar, dass
in Zusammenhang mit dieser weiten Verbreitung von Wurzel-
anlagen auch die blosse gebundene Gruppe der Wurzel-Deter-
minanten weiter als sonst in der Pflanze verbreitet ist.
Ich will überhaupt durchaus nicht behaupten, dass überall,
[293] wo heute Pflanzenzellen inaktives Keimplasma führen, diese
Beimengung auf einer heute noch geltenden Nützlichkeit
beruhen müsse. Sobald einmal die Verbreitung gebundenen
Keimplasma’s in einem Organismus eine so reichliche ist, wie
bei den meisten Pflanzen, so wird wenig in der Okonomie der
Pflanze darauf ankommen, ob etwa auch noch Zellen solcher
Organe, welche heute nicht mehr in der Lage sind, Gebrauch
von dieser Ausrüstung zu machen, ebenfalls Minima von Keim-
plasma führen. Bei den Vorfahren der Art war es vielleicht
von Vortheil, und wenn nicht, so kennen wir so wenig davon,
wie die verschiedenen Qualitäten des Idioplasma’s bei der Kern-
theilung mechanisch gesondert werden, dass auch eine zufällige
gelegentliche Beimischung von Keimplasma zu somatischem
Idioplasma besonders bei Cormen, wie es die höheren Pflanzen
sind, die ohnehin eine Masse von keimplasma-führenden Zellen
überall im ganzen Körper besitzen müssen, keine völlig ab-
zuweisende Annahme wäre. Ob wir derselben bedürfen, wird
die Zukunft lehren.
Der Gegensatz zwischen mir und de Vries liegt nicht
darin, dass ich principiell genöthigt wäre, die Beimischung von
Keimplasma zu zahlreichen Zellen des Körpers in Abrede zu
stellen, sondern darin, dass ich ein bestimmtes somatisches
Idioplasma, bestehend aus einer begrenzten Zahl bestimmter
Determinanten jeder somatischen Zelle beigebe, zu welcher
je nach Bedürfniss noch irgend ein gebundenes Neben-Idio-
plasma hinzukommen kann, während de Vries in jeder Zelle
oder doch nahezu jeder Zelle des ganzen Organismus sämmt-
liche Anlagen der Art idioplasmatisch enthalten sein lässt.
Wieso dann trotzdem diese eine Zelle einen specifischen histo-
logischen Charakter besitzen muss, bleibt bei de Vries un-
erklärt. Warum in ihr nur ein bestimmter, und zwar ein sehr
kleiner Theil des überall gleichen Gesammt-Idioplasma’s aktiv
[294] wird, erfordert irgend eine neue Annahme, die noch dazu nicht
leicht zu formuliren sein würde. Meine Theorie erklärt die
Differenzirung des Körpers durch die Auseinanderlegung der im
Keimplasma gesammelt enthaltenen Determinanten und bedarf
einer besonderen Annahme, nämlich der nach Bedürfniss er-
folgenden Zuertheilung von Neben-Idioplasma zur Erklärung
der Keimzellen-Bildung, Knospung und Regeneration. De Vries
kann, gerade wie Darwin in seiner Pangenesis, die Neubildung
ganzer Pflanzen oder Theile derselben an jedem Punkt der
Pflanze mit Leichtigkeit erklären, da seine Keimchen oder Pan-
gene überall zur Verfügung bereit liegen. Eine Erklärung oder
auch nur den Anfang einer Erklärung, worauf nun aber die
Verschiedenheit der Zellenarten, die Differenzirung des
Körpers beruht, vermag er auf Grund seiner Hypothese nicht
zu geben.
Bei vielen niederen Pflanzen, bei denen jede Zelle — so
scheint es — unter Umständen wieder die ganze Pflanze er-
zeugen kann, sieht es nun so aus, als hielten sich die beiden
Annahmen die Wage in Bezug auf ihre Erklärungskraft; die
Verschiedenheiten der somatischen Zellen untereinander sind nur
gering und so wenig zahlreich, dass man sie vielleicht nur als
Reactionen des gleichen Idioplasma’s auf verschiedenartige Me-
diums-Einflüsse zu betrachten geneigt sein könnte. So etwa
bei den Lebermoosen. Sobald aber die Differenzirung des Soma
eine vielfache wird, lässt sich eine solche Annahme nicht mehr
halten, und das Erste, was eine Erklärung zu leisten hat, ist
eben diese Differenzirung, d. h. die gesetzmässige Verschieden-
heit der aus der Eizelle hervorgehenden Zellen und Zellen-
gruppen auf ein Princip zurückzuführen. Dabei lässt das de
Vries’sche Princip völlig im Stich, dasselbe erklärt nur, dass
unter Umständen auch wieder die ganze Pflanze aus einzelnen
Zellen entstehen kann, und versagt der Hauptsache gegenüber
[295] vollständig. Denn Niemand wird es auch nur für den Anfang
einer Erklärung halten, wenn die Differenzirung darauf zurück-
geführt wird, dass immer nur derjenige Theil der Keimsubstanz
aktiv wird, den man gerade zur Herstellung der betreffenden
Zelle oder des betreffenden Organes braucht. Je höher wir
aber in der Organismenwelt empor steigen, um so mehr wird
die Erzeugung des Ganzen aus einzelnen Zellen beschränkt, und
um so schärfer tritt uns die vielseitige Differenzirung des Soma
als erstes Object unseres Erklärungsbestrebens entgegen. Ihm
gegenüber ist mit dem alle Anlagen umfassenden, überall vor-
handenen Idioplasma Nichts anzufangen und selbst für die Keim-
zellen-Bildung nützt es uns Wenig, anzunehmen, dass sie aus
Zellen entstehen, welche gerade so wie alle anderen sämmtliche
Anlagen der Art enthalten. Weshalb nun werden doch nur ge-
rade diese zu Keimzellen und keine anderen im ganzen Soma
des Thieres? Bei niedern Pflanzen mag man die Thatsache der
Differenzirung des Soma übersehen oder unterschätzen können,
bei den höheren Thieren ist das unmöglich.
Zusammenfassung des zweiten Buches.
Nach dem bisher Gesagten muss das Idioplasma der
einzelnen, Zelle in einem fertigen thierischen oder pflanzlichen
Organismus einen ziemlich verschiedenen Grad vom Complication
besitzen, und es ist vielleicht nicht überflüssig, sich darüber
noch klare Rechenschaft zu geben, ehe wir in der Untersuchung
weiter gehen.
Der idioplasmatische Vorgang, der die Ontogenese eines
vielzelligen Wesens bedingt, besteht nach unserer Vorstellung
darin, dass die Tausende von Determinanten, welche das Keim-
plasma der befruchteten Eizelle zusammensetzen, sich gesetz-
mässig in Gruppen spalten und sich auf die Abkömmlinge der
Eizelle vertheilen. Diese Spaltungen in immer kleinere Determi-
[296] nantengruppen gehen so lange fort, bis nur noch eine De-
terminantenart in der betreffenden Zelle vorhanden ist, die
nun entweder blos eine einzige Zelle beherrscht, oder — falls
der betreffende erbliche Charakter (die „Determinate“) aus einer
Gruppe von Zellen gemeinsamer Abstammung besteht — diese
ganze Gruppe.
Die Determinanten sind nicht alle zugleich aktiv, vielmehr
wird jede Zelle, die in dem ganzen Verlauf der Ontogenese
auftritt, immer nur von je einer Determinante beherrscht, und
zwar geschieht dies in der Weise, dass dieselbe sich in ihre
Biophoren auflöst, und dass diese Letzteren in den Körper der
Zelle einwandern. Auch auf den früheren Stufen der Ontogenese,
auf welchen noch zahlreiche Determinantenarten das Idioplasma
der Zellen zusammensetzen, beherrscht nur eine von ihnen in
dieser Weise die Zelle. Die übrigen haben aber ebenfalls ihren
bedeutungsvollen Antheil an dem Verlauf der Ontogenese, indem
sie sich, jede nach ihrem eignen Rhythmus, vermehren und
dadurch das ursprüngliche Verhältniss der verschiedenen De-
terminanten, wie es im Keimplasma gegeben war, verändern
und in Folge dessen auch die Architektonik des Id’s verschieben
und die fernere Zerlegung desselben bestimmen. Sie sind also
inaktiv nur in Bezug auf die Zelle, in der sie augenblicklich
liegen, nicht aber in Bezug auf die Entwicklung im Ganzen.
Es giebt aber verschiedene Umstände, welche diesen ein-
fachen Gang der idioplasmatischen Entwickelung compliciren
können.
Zuerst das Bedürfniss, Substanzverluste ersetzen zu können.
Um dies zu ermöglichen, war es nothwendig, mindestens den
Endzellen der Ontogenese, also den Zellen der verschiedenen
Gewebe, die Möglichkeit zu gewähren, ihres Gleichen wieder
hervorzubringen. Dieses Vermögen wurde dadurch hergestellt,
dass diesen Zellen die Fähigkeit der Vermehrung auch fernerhin
[297] belassen wurde, so dass also die eine sie bestimmende Determi-
nante durch Wachsthum vervielfacht werden kann, und dadurch
die Möglichkeit gegeben wurde, durch Zelltheilung Zellen von
dem gleichen Charakter hervorzubringen.
Wir finden aber die Regeneration nicht auf diese einfachste
Form des Ersatzes beschränkt, sondern beobachten, dass auch
complicirter zusammengesetzte Gewebe sich selbst wieder hervor-
bringen können, ja dass ganze Organstücke, ganze Organe, ganze
Gliedmaassen und grössere Körpertheile, wie Kopf und Schwanz,
bei gewissen Thiergruppen neu erzeugt werden können, wenn
sie verloren gegangen sind. Die idioplasmatische Erklärung
dieser Thatsachen fanden wir darin, dass auch hier die Determi-
nanten der Zellgruppen, welche regenerirbar sein sollten, ver-
vielfacht und im Laufe der Ontogenese gewissen Zellen als
inaktives Neben-Idioplasma beigegeben wurden. Die Aus-
rüstung solcher Zellen mit Regenerations-Determinanten beruht
auf Anpassung und hängt nur insoweit mit der Organisationshöhe
des Thieres zusammen, als die Schwierigkeit, eine grosse Menge
von Zellen mit genau abgestuften Regenerations-Determinanten
auszurüsten, um so grösser werden musste, je grösser die Zellen-
zahl wurde, von welcher die Regeneration auszugehen hatte,
und je zahlreicher und vielfacher differenzirt die Organe, welche
wieder herzustellen waren. Beides steigt mit der Complication
des Baues und deshalb nimmt im Allgemeinen die sogenannte
„Regenerationskraft“ mit der Complication des Baues ab.
Zellen, welche Regenerationskraft besitzen, sind also solche,
welche ausser ihrer eigenen aktiven Determinante noch eine
grössere oder kleinere Gruppe von inaktiven Determinanten
solcher Zellen und Zellenfolgen enthalten, welche, wenn sie
aktiv werden, das Stück des Körpers ersetzen zu helfen fähig
sind, welches distalwärts von ihnen verloren gegangen ist. Nur
die harmonische Ausrüstung der Zellen eines bestimmten Quer-
[298] schnitts mit verschiedenen, aber zusammenpassenden und sich
ergänzenden Determinantengruppen ermöglicht die höheren Grade
der Regeneration.
Diese Art der Regeneration führt direkt zu der Fort-
pflanzung durch Theilung, welche nichts Anderes ist, als
die Ausnutzung eines hohen Regenerationsvermögens zur Ver-
mehrung der Individuenzahl.
Während nun die Regeneration in ihren niederen Graden
sowohl, als in ihren höchsten darauf beruht, dass Zellen mit
gewissen kleineren oder grösseren Gruppen von Determinanten
als gebundenem Neben-Idioplasma ausgerüstet sind, beruht die
Entstehung neuer Personen durch Knospung darauf,
dass entweder eine einzige Zelle sämmtliche Determinanten
der Art als Neben-Keimplasma in inaktivem und gebundenem
Zustande enthält, oder dass zwei oder drei Zellen verschiedener
Leibesschichten grosse Determinantengruppen als Neben-Idio-
plasma enthalten, welche zusammen den gesammten Determi-
nantenbesitz der Art (das Keimplasma) ausmachen.
Ist es nur eine einzige Zelle, von welcher die Knospung
ausgeht, wie bei Hydroidpolypen und Pflanzen, so wird das be-
treffende Knospen-Idioplasma als eine Modification des Keim-
plasma’s anzusehen sein, welche zwar sämmtliche Determinanten
der Art enthält, aber nicht genau in derselben Anordnung, wie
im eigentlichen Keimplasma, d. h. dem der befruchteten Eizelle.
Geht die Knospung von zwei oder drei Zellen aus, so ist damit
nicht gesagt, dass diese zwei oder drei Zellen genau diejenigen
Determinantengruppen enthalten müssen, welche den zwei oder
drei Keimschichten der betreffenden Metazoen entsprechen würden.
Die Combination der Determinanten ist vielmehr in allen be-
kannten Fällen eine mehr oder minder verschiedene, den Knos-
pungsverhältnissen angepasste. Sie beweist, dass in der Embryo-
genese der Art, ganz unabhängig von den für diese selbst mass-
[299] gebenden Spaltungen der Determinanten-Complexe noch Spal-
tungen der Neben-Determinantengruppe stattfindet, welche eben
die Ausrüstung gewisser Zellen mit einem bestimmt zusammen-
gesetzten Neben-Idioplasma bewirkt.
Das Knospungs-Keimplasma muss in Gestalt besonderer
Ide in dem Keimplasma der Geschlechtszellen enthalten sein,
da Knospen unabhängig von den sie hervorbringenden Personen
variiren können, umgekehrt muss aber auch der Knospe bei
ihrer Entwickelung Haupt-Keimplasma beigegeben werden, sei
es, dass dies durch besondere Zellen geschieht, welche das-
selbe in gebundenem Zustande enthalten, sei es, dass bei der
Trennung des Knospungs-Keimplasma’s vom Haupt-Keimplasma
demselben einige Ide des Letzteren in gebundenem Zustande
sich beigesellen.
Da Knospung ausser bei den Pflanzen nur bei verhältniss-
mässig niedern Thierformen vorkommt, den Coelenteraten, Bryo-
zoen und Tunicaten, so darf wohl geschlossen werden, dass die
Beigabe eines solchen aus genau abgestuften Determinanten-
gruppen gebildeten Knospungs-Idioplasma in der zunehmenden
Complication des thierischen Baues und der damit bis zu er-
staunlicher Höhe anwachsenden Determinantenzahl ihre Grenze
der Ausführbarkeit findet.
Die Zellen von Metazoen und Metaphyten können aber
unserer Vorstellung nach nicht nur mit den erwähnten Neben-
Idioplasmen ausgerüstet sein, sondern auch mit Haupt-Keim-
plasma, und zwar sind dies alle solche Zellen der Ontogenese,
welche auf dem Wege zu Keimzellen liegen, auf den „Keim-
bahnen“. Da somatische Zellen nur von einer der vielen
zum Keimplasma gehörenden Determinanten beherrscht werden,
und da Determinanten nicht unvermittelt neu entstehen können,
so muss in solchen Zellen, welche Keimzellen hervorbringen
sollen, neben der aktiven, sie beherrschenden Determinante noch
[300] gebundenes Keimplasma enthalten sein, welches nur aus der
Ursprungszelle des ganzen Organismus herstammen kann, da
nur in ihr sämmtliche Determinanten zu Keimplasma organisch
verbunden enthalten sind. Von der Eizelle an muss es daher
eine Reihe von Zellen geben, welche Keimplasma als gebundenes
Neben-Idioplasma enthalten und welche zu der Stelle im Körper
hinführen, an welcher früher oder später die Bildung der Keim-
zellen vor sich geht (Continuität des Keimplasma’s).
Bei niederen Pflanzen und Thieren ist die Zahl der Keim-
bahnen eine sehr grosse; nicht nur werden normaler Weise,
besonders bei Thier- und Pflanzen stöcken, an sehr vielen
Stellen Keimzellen gebildet, sondern es kann auch ausnahms-
weise, besonders nach Verstümmelungen des Stockes, an vielen
Stellen zur Bildung neuer Personen durch Knospung kommen,
welche ihrerseits dann wieder Keimzellen hervorbringen können.
So müssen bei Hydroidpolypen und Bryozoen sehr zahlreiche
Zellen des Stockes mit Keimplasma ausgerüstet sein, und es
muss dahingestellt bleiben, ob dies dieselben Zellen sind, welche
das Knospungs-Idioplasma enthalten, oder ob es andere, ihnen
benachbarte Zellen sind, die mit in die Knospenbildung ein-
treten. Jedenfalls ist Knospungs-Idioplasma, auch dann, wenn
es wie bei Pflanzen und Hydroidpolypen sämmtliche Determi-
nanten der Art enthält, doch nicht identisch mit dem Keim-
plasma der Eizelle, sondern muss mindestens die Determinanten
in anderer Ordnung enthalten, besteht aber nicht selten aus
ganz anderen, und beim Generationswechsel der Medusen auch
aus viel zahlreicheren Determinantenarten.
Die Zellen der Keimbahnen sind somatische Zellen, d. h.
werden von einer besondern Determinante bestimmt, und ent-
halten das Keimplasma nicht nur in inaktivem, sondern auch
in unzerlegbarem oder gebundenem Zustand. Dasselbe wird
erst wieder zerlegbar, wenn seine Träger zu Keimzellen werden
[301] und in Embryognese eintreten. Solches Keimplasma kann,
gerade wie auch gebundenes Knospen-Idioplasma, sowohl von
jungen Zellen mit niederer histologischer Differenzirung, als
von solchen mit scharf ausgeprägtem histologischen Charakter
enthalten sein.
Wir sehen also, dass die Zellen des fertigen Organismus
in vielen Fällen nicht blos die Determinante enthalten, welche
ihren speciellen Charakter, ihren Bau und ihre physiologische
Thätigkeit für den Augenblick bestimmt, sondern meistens noch
ein Neben-Idioplasma, welches entweder schon im normalen
Verlauf der Entwickelung aktiv wird, wie bei der normalen
Keimzellenbildung und der Vermehrung durch Theilung und
Knospung, oder nur bei aussernormalen Anlässen, wie bei Ver-
letzungen, Verstümmelungen, durch welche die Vorgänge der
Regeneration oder Knospung hervorgerufen werden.
[[302]]
Drittes Buch.
Die Vererbungserscheinungen bei
geschlechtlicher Fortpflanzung.
Einleitung.
Die Vererbungserscheinungen wurden bisher unter der
Voraussetzung einer rein ungeschlechtlichen Fortpflanzung be-
trachtet, d. h. diejenigen Complicationen des Keimplasma’s,
welche aus der Vermischung der Vererbungsstücke zweier
Eltern entstehen, wurden noch bei Seite gelassen, und die Zu-
sammensetzung des Keimplasma’s so angenommen, wie sie sein
müsste, wenn nur einelterliche Fortpflanzung bestünde. Es ge-
währte dies den grossen Vortheil, bei der Analyse gerade der
fundamentalen Vererbungserscheinungen den Blick auf das
Wesentliche allein richten zu können und ihn nicht zu ver-
wirren durch das glitzernde und stets wechselnde Gemisch indi-
vidueller Unterschiede, wie solches durch die zweielterliche
Fortpflanzung hervorgerufen wird. Die Berechtigung dieses
Verfahrens liegt einfach darin, dass gerade die fundamentalen
Vorgänge, wie die Ontogenese, die Regeneration, die Ver-
mehrung durch Theilung und Knospung ihren Grund nicht in
der zweielterlichen Fortpflanzung haben können, dass sie vor sich
gehen würden, auch wenn diese gar nicht existirte.
Nachdem nun aber der Grund gelegt ist, von welchem
aus auch die Complicationen der Analyse unterworfen werden
können, welche durch geschlechtliche Fortpflanzung in den Ver-
[303] erbungserscheinungen sowohl, wie in dem ihnen zu Grunde
liegenden materiellen Substrat gesetzt werden müssen, wird es
zunächst vortheilhaft sein, sich zu erinnern, was wir heute über
diese Form der Fortpflanzung wissen und wie wir sie aufzu-
fassen haben. Ich beginne also mit einer kurzen Übersicht
über diese Vorgänge, soweit sie zum Verständniss der dadurch
bedingten Complication der Vererbungserscheinungen noth-
wendig ist.
Wesen der geschlechtlichen Fortpflanzung.
Bis weit in dieses Jahrhundert hinein betrachtete man die
sogen. „geschlechtliche Fortpflanzung“ gewissermassen als die
eigentliche Fortpflanzung, als die Fortpflanzung katexochen,
neben welcher, wie man wusste und allmälig immer mehr ein-
sah, allerdings mehrfache Arten von „ungeschlechtlicher Fort-
pflanzung“ einherliefen, aber doch nur bei niederen Thierformen
und den Pflanzen. Da sie bei den höheren Thieren die aus-
schliessliche Fortpflanzungsart ist, und da man lange Zeit hin-
durch fast nur an diesen Thieren die Erscheinungen der Fort-
pflanzung genauer kannte, so war es natürlich, dass man das
Eigenthümliche derselben als einen nothwendigen und unent-
behrlichen Bestandtheil der Fortpflanzung selbst ansah; man
glaubte, der Vorgang der Befruchtung sei ein essentieller
Bestandtheil der Fortpflanzung, er sei es, der die Fortdauer des
Lebens, die Übertragung desselben von einem Bion auf das
folgende überhaupt erst möglich mache, — kurz, man be-
trachtete die Befruchtung als einen „Verjüngungsprocess des
Lebens“ und die geschlechtliche Fortpflanzung als die noth-
wendige Grundlage aller Fortpflanzung überhaupt. Dass auch
ungeschlechtliche Formen der Fortpflanzung vorkommen, er-
klärte man sich aus einer „Nachwirkung“ der bei der ge-
schlechtlichen stattfindenden Befruchtung oder Lebensverjüngung.
[304]
Diese Auffassung schien dadurch bestätigt zu werden, dass
die geschlechtliche Fortpflanzung eine ganz allgemeine Ver-
breitung hat, von den niedersten Thier- und Pflanzenformen
bis hinauf zu den höchsten, und dass ungeschlechtliche Fort-
pflanzung bei höheren Lebensformen ganz fehlt, und auch bei
niederen nur abwechslungsweise mit geschlechtlicher vorkommt.
Was wir aber heute über den Vorgang der Befruchtung
wissen, berechtigt uns, diese bisherigen Anschauungen für völlig
irrthümlich zu halten. Die Befruchtung bedeutet keinesfalls
eine Verjüngung oder Erneuerung des Lebens, sie wäre durch-
aus nicht nothwendig zur Fortdauer des Lebens; sie ist Nichts
als eine Einrichtung, um die Vermischung zweier ver-
schiedener Vererbungstendenzen möglich zu machen.
Warum eine solche Vermischung von der Natur herbeigeführt
und in solcher Ausdehnung angewandt wurde, soll später unter-
sucht werden, hier handelt es sich nur darum, festzustellen,
dass dem so ist. Die Befruchtung besteht in der Vereinigung
der Vererbungssubstanz, also des Keimplasma’s zweier Indi-
viduen, und alle die verwickelten und mannigfaltigen Erschei-
nungen der Differenzirung von zweierlei Arten von Fort-
pflanzungszellen, die man als weibliche und männliche zu be-
zeichnen gewohnt ist, bis hinauf zur Differenzirung der Indi-
viduen selbst zu zweierlei Arten: männlichen und weiblichen,
nebst den tausenderlei weiteren Anpassungen und Folgeerschei-
nungen dieser Einrichtung haben keinen anderen Grund, als den,
die Vereinigung der Vererbungsanlagen zweier Individuen mög-
lich zu machen.
Ich habe den Vorgang dieser Keimplasma-Verschmelzung,
welcher das Wesen der Befruchtung ausmacht und der in der
Regel mit der Verschmelzung zweier Zellkörper verbunden ist,
als Amphimixis bezeichnet. Nicht jede Amphimixis ist mit
Fortpflanzung verbunden, vielmehr kommt Amphimixis bei allen
[305] Einzelligen allein für sich vor. Zwei Infusorien z. B. legen
sich aneinander und verschmelzen entweder völlig miteinander
zu einem Thier, oder sie verschmelzen nur theilweise und nur
für kurze Zeit, senden aber die Hälfte ihrer Vererbungssubstanz
sich gegenseitig zu und bewerkstelligen so die Amphimixis.
Nur bei den Vielzelligen ist Amphimixis immer mit Fortpflanzung
verbunden und muss es sein, da die Vereinigung zweier ver-
schiedener Keimplasmen hier nicht durch Verschmelzung der
ganzen Individuen erreicht werden kann, sondern nur dadurch,
dass diese Keimplasmen in einzelne Zellen eingeschlossen wurden,
einer männlichen und einer weiblichen, und dass diese die Ver-
schmelzung nach Art der Conjugation einzelliger Wesen voll-
zogen. Diesem Akt der Amphimixis musste aber dann eine
Vervielfältigung der „befruchteten Eizelle“ mit Differenzirung
der Zellen-Nachkommen folgen, d. h. die Ontogenese eines
neuen Individuums, ohne welche die Amphimixis nutzlos
gewesen wäre. So ist also bei allen Vielzelligen Amphi-
mixis stets mit Fortpflanzung verbunden, sie tritt uns
hier als „Amphigonie“ (Häckel) oder „geschlechtliche
Fortpflanzung“ entgegen.
Der Vorgang der Amphimixis, wie er bei der Amphigonie
verläuft, ist nun in Kürze der folgende. Die beiderlei Keim-
zellen ziehen sich gegenseitig an und verschmelzen miteinander
wohl immer so, dass die männliche, kleinere in die weibliche,
grössere eindringt. Die Kerne beider wandern dann aufeinander
zu und legen sich dicht aneinander, jeder begleitet von seinem
„Centrosoma“, d. h. von jenem merkwürdigen, von einer hellen
Sphäre umgebenen Körperchen, welches, wie oben schon erwähnt
wurde, den Theilungsapparat des Kernes ausmacht. Während
anfänglich das Keimplasma noch in feiner Vertheilung in beiden
Kernen enthalten ist, wie dies vom weiblichen Kern auf Fig. 18, I
dargestellt ist, zieht es sich etwas später meist zu Kernstäb-
Weismann, Das Keimplasma. 20
[306]
Schema der Befruchtung des Eies von Ascaris megalocephala, frei nach
den Abbildungen und Angaben verschiedener Forscher.
I. Die Samenzelle s p ist im Begriff, in das Ei einzudringen, in
dessen Innern der Eikern (n o v) mit seinem Centrosoma (c s) liegt. R k I
und R k II die beiden primären Richtungskörper, das erste in zwei
sekundäre getheilt, jedes mit zwei Idanten im Innern.
II. Der Spermakern (n s p) liegt im Innern des Eies; ihm gegenüber
der Eikern (n o v). Jeder von beiden enthält zwei Idanten und ist von
einem durch Theilung verdoppelten Centrosoma (c s) begleitet.
III. Die beiden Kerne haben sich aneinander gelegt, die paarweise
gekoppelten Centrosomen mit ihren Attractionssphären liegen an den
Polen der bereits sichtbaren Spindelfigur.
IV. Die Membran der Kerne ist verschwunden und die erste embryo-
nale Kerntheilung im Gang.
[307]chen oder Idanten zusammen (Fig. 18, II). Durch Edouard
van Beneden haben wir zuerst erfahren, dass die Zahl dieser
Idanten auf beiden Seiten die gleiche ist, eine Entdeckung, die
seitdem für zahlreiche Thierarten, und neuerdings auch von
Guignard für die Pflanzen bestätigt wurde, und die für die
Auffassung der Idanten als der Vererbungssubstanz von ent-
scheidender Bedeutung ist. Schon während die beiden Kerne sich
einander nähern, verdoppeln sich ihre Centrosomen und ver-
binden sich dann paarweise miteinander, um die beiden Pole
einer Kerntheilungsspindel zu bilden (Fig. 18, III), welche meist
erst nach völliger Auflösung der Kernmembranen die erste, zur
Bildung des Embryo führende Zelltheilung (Fig. 18, IV) einleiten.
Der Vorgang der Befruchtung besteht also in der Ver-
einigung der beiden Kerne der Geschlechtszellen innerhalb
der mütterlichen Keimzelle und der beiderseitigen Zellkörper
sammt ihren Theilungsapparaten. Das Keimplasma des durch
Vereinigung der Geschlechtskerne gebildeten „Copulationskerns“
besteht zur Hälfte aus Idanten der Mutter, zur Hälfte aus
solchen des Vaters, und diese Combination zweier Vererbungs-
substanzen leitet nun die Ontogenese und bestimmt den Aufbau
des neuen Individuums. Dabei bleibt sich die Gesammtzahl
der Idanten in allen Zellen des Körpers stets gleich, wenn z. B.
acht väterliche und acht mütterliche Idanten bei der Amphi-
mixis zusammentreten, so beträgt die Zahl der Idanten in allen1)
Zellen des Körpers bei dem aus dem befruchteten Ei hervor-
gehenden Individuum sechszehn, wenn — wie in der bei-
stehenden Figur — deren nur zwei in jeder Keimzelle enthalten
sind, so enthalten die somatischen Zellen deren vier.
20*
[308]
Das Wesen der geschlechtlichen Fortpflanzung beruht also
auf der Vermischung je zweier individuell verschiedener Ver-
erbungstendenzen, oder materiell gesprochen, auf der Vereini-
gung zweier Vererbungssubstanzen in der Anlage zu
einem Individuum. Es wird sich nun zunächst darum handeln,
zu untersuchen, in welcher Art und Weise diese Combinirung
der Vererbungssubstanzen die Zusammensetzung des Keimplasma’s
beeinflussen muss.
Capitel VIII.
Veränderung des Keimplasma’s durch
Amphimixis.
1. Die Nothwendigkeit einer Halbirung des Keimplasma’s.
Durch einmalige Amphimixis werden die Vererbungssub-
stanzen zweier verschiedener Individuen, der Eltern, zu einer,
der des Kindes vereinigt. Wiederholt sich die Amphimixis in
jeder Generation, so müsste jedesmal eine Verdoppelung solcher,
individuell verschiedener Vererbungssubstanzen stattfinden, ja
auch die Masse des Keimplasma’s und die Zahl der Idanten
müsste jedesmal aufs Doppelte anwachsen. Dies kann nicht
stattfinden und findet thatsächlich nicht statt, indem die Idanten-
zahl bei jeder Art durch alle Generationen hindurch dieselbe
bleibt. Es muss also der unbegrenzten Vermehrung des Keim-
plasma’s in irgend einer Weise vorgebeugt sein.
Möglicherweise könnte die Masse des Keimplasma’s dadurch
auf immer gleicher Höhe erhalten werden, dass dieselbe in den
jungen Keimzellen nur bis zur halben Normalmenge heran-
wüchse. Wenn man — entgegen der hier vertretenen Keim-
plasma-Theorie — das Idioplasma sich nur aus kleinsten Lebens-
theilchen zusammengesetzt denkt, aus „Pangenen“, „Anlagen“
[309] oder wie man sie sonst nennen will, die nicht zu Einheiten
höherer Ordnung verbunden sind, so würde die Verhinderung
eines steten Anwachsens der Keimplasma-Masse ganz wohl auf
diese Weise erfolgen können.
Sobald aber ein Keimplasma in meinem Sinn angenommen
wird, d. h. ein Idioplasma, in dem sich die kleinsten Lebens-
träger (Biophoren) zu Einheiten höherer Ordnung von be-
stimmtem Bau und bestimmter Begrenzung, zu Determinanten
und Iden verbunden haben, dann würde sich ein Gleichbleiben
der Masse des Keimplasma’s auf diesem Wege nicht, oder doch
nur für wenige Generationen erreichen lassen, so lange nämlich,
als noch jede Keimplasma-Art durch mehrere Ide vertreten ist.
Sobald aber dieser Punkt erreicht wäre, könnte Verminderung
des Wachsthums eine Verdoppelung der Masse nicht mehr ver-
hindern, und nur eine Beseitigung der Hälfte aller vor-
handenen Ide vermöchte dies zu bewirken.
Eine solche tritt nun wirklich ein in der „Reduc-
tionstheilung“ des Kernmaterials der Keimzellen vor ihrer
Vereinigung. Man darf darin wohl einen Hinweis sehen, dass
wenigstens der Grundgedanke der Keimplasma-Theorie, die Zu-
sammensetzung der Vererbungssubstanz aus Iden, ein richtiger
ist. Das, was ich früher schon aus rein theoretischen Er-
wägungen erschlossen und „Ahnenplasmen“ genannt habe, muss
wirklich existiren. Ich darf dies um so sicherer behaupten, als
ich lediglich auf Grund der Theorie die „Reductionstheilung“
zu einer Zeit postulirt habe, als sich eine solche nicht einmal für
die leichter zu studirenden weiblichen Keimzellen der Thiere
aus dem vorliegenden Beobachtungsmaterial herauslesen liess,
geschweige denn für die männlichen, oder für die Pflanzen.
Wir wissen heute, dass diese Reduction der Id-Ziffer auf
die Hälfte allgemein vorkommt und durch Kerntheilungen ge-
schieht, die mit Zelltheilung einhergehen. Für das Ei sind es
[310] die sogenannten „Richtungskörper-Theilungen“, welche
als „Reductionstheilungen“ funktioniren, bei den Samen-
zellen die letzten Theilungen der Samenmutterzellen. In beiden
Fällen erfolgt die Reduction dadurch, dass die Idanten sich nicht
wie bei gewöhnlichen Kerntheilungen der Länge nach spalten
und dann ihre Spalthälften auf die Tochterkerne vertheilen,
sondern so, dass die Hälfte der Gesammtzahl der Stäbchen in
den einen, die andere Hälfte in den andern Tochterkern wandert.
Der Vorgang ist noch etwas verwickelter, worauf später zurück-
zukommen ist, das Endresultat aber ist das bezeichnete.
Warum nur auf diese Weise der Entfernung ganzer Kern-
stäbchen die stete Verdoppelung des Keimplasma’s verhindert
werden konnte, lässt sich vielleicht noch besser durch folgende
Erwägung klar legen. Dieselbe führt uns zugleich auf die
Wurzel der Veränderungen, welche durch Amphimixis im Bau
des Keimplasma’s verursacht werden.
Vor Einführung der Amphimixis in die Lebewelt müssen
die Kernstäbchen, wie früher schon gesagt wurde, aus lauter
identischen Iden bestanden haben, ein jedes Id entsprach
genau der Individualität des betreffenden Bion. Diese Ide
werden zu Idanten verbunden gewesen sein, welche unter ein-
ander völlig gleichwerthig waren, und deren Zahl sich im Laufe
der Generationen gleich blieb, und damit zugleich auch die
Anzahl der Ide. Wenn nun zum ersten Male geschlechtliche
Fortpflanzung eintrat, so wurde die gleiche Zahl Idanten von
den beiden Eltern in einem Kern vereinigt, somit die Idanten-
zahl verdoppelt und damit zugleich die Gesammtmasse des Keim-
plasma’s. Dies mag für ein Mal kein Nachtheil gewesen sein,
da es sich aber bei jeder folgenden Amphimixis wiederholte,
so musste gleichzeitig mit Amphimixis eine Einrichtung ge-
troffen werden, welche das Anwachsen des Keimplasma’s ins
Ungeheure verhinderte.
[311]
Wäre nun das Keimplasma eine unorganisirte, oder auch nur
eine ganz gleichmässige Masse gewesen ohne innere Gliederung,
d. h. ohne Zusammenordnung von Einheiten verschiedener Ord-
nung, so hätte sich ihre stete Verdoppelung durch jede neue
Amphimixis einfach dadurch verhindern lassen, dass sie in jeder
Keimzelle nur auf die Hälfte der bisherigen Masse angewachsen
wäre. Sobald aber das Keimplasma aus einer bestimmten Zahl
von Einheiten bestand, so war eine Verminderung derselben
durch blosse Herabsetzung ihres Wachsthums nicht erreichbar,
ihre Anzahl wäre dabei dieselbe geblieben. Hier konnte also
nur die Einführung einer Reduction dieser Einheiten
auf die Hälfte zum Ziel führen, und eine solche sehen wir
denn auch thatsächlich eintreten in Gestalt jener schon erwähnten
„Reductionstheilungen“.
Man kann sich unschwer klar machen, welche Verände-
rungen dieselben in Verbindung mit fortgesetzter Amphimixis
in der Zusammensetzung des Keimplasma’s hervorbringen mussten.
Gesetzt, das Keimplasma einer Art habe vor Einführung
der Amphimixis aus 16 Idanten bestanden, so würden bei der
ersten Amphimixis, die mit Reductionstheilung verbunden war,
8 väterliche Idanten A sich mit 8 mütterlichen Idanten B in
der befruchteten Eizelle zu dem Furchungskern verbunden haben.
In den Keimzellen der folgenden Generation wurde dann durch
die Reductionstheilung eine Combination von Idanten A und B
in jeder Keimzelle belassen, z. B. 4 A + 4 B. Diese vereinigten
sich durch Amphimixis mit 8 Idanten der Keimzelle eines andern
Individuums andrer Abstammung, z. B. mit den Idanten 4 C + 4 D,
und die Ontogenese der dritten geschlechtlich erzeugten Gene-
ration wurde daher von einem Keimplasma geleitet, welches
aus den 16 Idanten 4 A + 4 B + 4 C + 4 D zusammengesetzt
war. Nehmen wir der Einfachheit wegen einmal an, dass die
Reduction stets ganz gleichmässig in Bezug auf jede Idantenart
[312] erfolgt sei, so würde das Keimplasma der vierten Generation
sich aus 2 A + 2 B + 2 C + 2 D + 2 E + 2 F + 2 G + 2 H zu-
sammengesetzt haben, das der fünften aber würde aus lauter
individuell verschiedenen Idanten bestanden haben, vorausgesetzt,
dass keinerlei Inzucht dabei mit untergelaufen wäre. Dasselbe
würde dann aus den Idanten A, B, C, D, E bis Q bestanden haben.
Natürlich soll damit nicht im entferntesten gesagt sein,
dass der Vorgang in Wirklichkeit so glatt und regelmässig
verlaufen sei, er wird im Gegentheil sehr unregelmässig vor
sich gegangen sein; aber wenn er auch nicht schon in fünf
Generationen zu der Zusammensetzung des Keimplasma’s aus
lauter differenten Idanten führte, so muss eine längere Generations-
folge doch sicher zu diesem Ergebniss geführt haben.
Die Veränderung des Keimplasma’s wird aber damit ihr
Ende noch nicht erreicht haben. Wenn wenigstens meine An-
sicht von der Zusammensetzung der Idanten aus Iden richtig
ist, wenn wirklich die Ide die Einheiten sind, von denen ein
jedes die sämmtlichen Anlagen der Art, also sämmtliche, zum
Aufbau eines Individuums erforderliche Determinanten enthält,
dann muss allmälig auch die Zusammensetzung des
einzelnen Idanten aus gleichartigen Iden in eine solche
aus ungleichartigen, individuell verschiedenen Iden
verwandelt worden sein.
Die Idanten sind für mich keine durchaus unveränderlichen
Grössen; aus gewissen Vererbungserscheinungen schliesse ich,
dass sie jedenfalls nur eine relative Constanz besitzen, dass
sie von Zeit zu Zeit sich in ihrer Zusammensetzung verändern,
so zwar, dass Ide, die früher zu dem Idanten A gehörten, später
einmal in die Zusammensetzung des Idanten B oder C eintreten.
Wie oft und wie regelmässig dies geschieht, lässt sich bei
unsrer heutigen Kenntniss von den Theilungsvorgängen der
Kernsubstanz noch nicht sagen; mag es aber auch nur in
[313] längeren Perioden und unregelmässig eintreten, so muss es doch
bei den ungeheuer langen Generationsfolgen, welche seit Ein-
führung der Amphimixis in die Lebewelt abgelaufen sind, zu
einer ganz bunten Zusammensetzung der Idanten geführt haben.
Schema zur Veranschaulichung der Zusammensetzung der
Idanten aus individuell verschiedenen Iden.
Da bei jeder Amphimixis immer wieder neue Idanten zu den
alten des einen Elters hinzutreten, so ist damit Gelegenheit zu
einer Einordnung immer neuer Ide in die Idanten gegeben und
da sich dies ins Unendliche wiederholt, so muss schliesslich der
[314] einzelne Idant aus lauter individuell verschiedenen Iden
zusammengesetzt sein — abgesehen von Wiederholung der
gleichen Ide durch Inzucht.
Am raschesten würde der Process der Mischung der Ide
vor sich gehen, wenn regelmässig bei jeder Amphimixis väter-
liche und mütterliche Idanten sich so combinirten, dass immer
die Hälfte der verschiedenen Idarten beider Idanten zusammen-
träten. Es bestünde z. B. jeder Idant aus 16 Iden, die bei
Einführung der geschlechtlichen Fortpflanzung alle gleich waren
bei einem Individuum, so würde die erste Amphimixis Idanten
hervorbringen, welche zur Hälfte aus 8 väterlichen, in bei-
stehender Figur schwarzen Iden bestünde, zur andern Hälfte
aus 8 mütterlichen, weissen Iden. Die Idgrenzen sind in der
Figur nicht angegeben. In der zweiten Generation vereinigten
sich dann vier Mal vier verschiedenartige Ide, in der dritten
acht Mal zwei und in der vierten Generation sechszehn Mal ein
verschiedenartiges Id. Die beistehende Figur 19 mag dies ver-
anschaulichen; sie zeigt links die beiden elterlichen Idanten,
rechts ihre Verschmelzung zu einem Idanten des Kindes. Die
verschiedene Schraffirung und Punktirung bedeutet die individuelle
Verschiedenheit der Ide.
Wie bei der Mischung der Idanten selbst, so wird auch
diese Mischung der Ide innerhalb des einzelnen Idanten nicht
so schnell und so regelmässig vor sich gegangen sein, als in
dem Schema angenommen wurde, aber das Endresultat des
Vorgangs wird dadurch nicht geändert, ob der Vorgang rascher
oder langsamer erfolgt.
So wird also das Keimplasma durch Einführung der
geschlechtlichen Fortpflanzung allmälig eine Complication seiner
Zusammensetzung in dem Sinn erfahren haben, dass es nicht
mehr aus gleichartigen Iden bestand, sondern zum grössten
Theil aus ungleichartigen, individuell verschiedenen Iden.
[315]Auf dieser Zusammensetzung beruhen, wie ich glaube,
alle diejenigen Vererbungserscheinungen, welche man
als Vermischung der Eigenschaften der Vorfahren
bezeichnet, alle Grade und Formen des Rückschlags
oder Atavismus. Es wird die Aufgabe der folgenden Ab-
schnitte sein, zu zeigen, in welcher Weise sich diese Erscheinungen
aus der Theorie ableiten lassen. Vorher aber wird es nöthig
sein, noch einen Blick auf den Vorgang der Reduction der
Ide zu werfen, wie ihn die Beobachtung kennen gelehrt hat.
2. Die Reductionstheilung als Ausschaltung von Iden.
In dem Capitel über die Architektur des Keimplasma’s
wurden schon die sog. „Mikrosomen“, die in vielen Fälle in den
Kernstäbchen nachgewiesen sind, als die vermuthlichen Ide be-
zeichnet, nicht die ganzen Kernstäbchen, denen eben deshalb
die besondere Bezeichnung der Idanten gegeben wurde. Be-
gründet wurde diese Vermuthung dadurch, dass die bestgekannten,
nämlich die stäbchenförmigen Chromosomen aus einer Reihe
von Kügelchen bestehen, eben jenen „Mikrosomen“, und dass
diese von einander getrennte, selbstständige Gebilde sind. Eine
solche Zusammensetzung des Stäbchens schliesst seine Deutung
als ein einziges Id offenbar aus. Denn das Id ist eine Lebens-
einheit von ganz bestimmter Structur und kann nicht aus einer
Reihe locker verbundener kugeliger Körper bestehen, von welchen
jeder etwa nur einen Theil seiner Determinanten enthalten
würde. Dazu kommt noch, dass auch die im Ganzen doch
geringe Zahl der Idanten gegen ihre Auffassung als Ide spricht;
die Rückschlag-Erscheinungen bedingen die Annahme einer
grösseren Zahl von Iden, soweit ich sehe.
Nun sind freilich die Chromosomen nicht überall stäbchen-
förmig, sondern es kommen auch mehr sphäroide Formen vor;
auch liessen sich nicht überall bisher Mikrosomen mit Sicher-
[316] heit nachweisen, und man könnte deshalb geneigt sein, in den
Chromosomen überhaupt keine durchweg gleichwerthigen Ge-
bilde zu sehen, und sie theils für Einzel-Ide, theils für Reihen
von Iden zu halten. Stützen liesse sich diese Vermuthung da-
durch, dass eine ziemlich verschiedene Zahl von Chromosomen
bei nahe verwandten Arten vorkommt, bei welchen doch zu
erwarten wäre, dass die Vererbungsvorgänge in nahezu der-
selben Weise verlaufen. So sind für Ascaris lumbricoides 12
Kernstäbchen die Norm, für Ascaris megalocephala aber 2 oder 4;
bei anderen Würmern aus derselben Ordnung finden sich 8, 12
und 16 Stäbchen als Normalzahl. Ich möchte indessen diese
Differenzen für nicht gross genug halten, um daraus auf eine
verschiedene Werthigkeit der Stäbchen zu schliessen und werde
in dieser Ansicht befestigt durch die von Boveri und O. Hert-
wig gemachte Beobachtung, dass selbst bei ein und derselben
Art (Ascaris megalocephala) zwei Varietäten vorkommen, von
denen die eine nur zwei Kernstäbchen besitzt, die andere da-
gegen deren vier. In diesem Falle ist die Zahl der Mikrosomen
bei der einen Varietät ebenfalls die doppelte von der der anderen,
und bei den übrigen Nematoden treten zwar die Mikrosomen
nicht immer mit völliger Klarheit uns entgegen, aber die Gestalt
der Stäbchen lässt auf ihr Vorhandensein schliessen. Aus diesen
Gründen möchte ich in dem einzelnen Mikrosom das Id
sehen, in den Kernstäbchen aber Id-Gruppen, die ich
als solche mit dem Namen der Idanten bezeichne.
Die Zahl der Ide des einzelnen Idanten und die Zahl der
Idanten selbst ist eine für jede Art fest normirte, schwankt
aber bei verschiedenen Arten zwischen ziemlich weiten Grenzen.
Jedes Id eines bestimmten Keimplasma’s könnte, wenn es allein
in genügender Zahl vorhanden wäre, die gesammte Ontogenese
leiten, d. h. jedes Id enthält die sämmtlichen Determinanten zu
einem Individuum, aber die Ide, welche die Idanten einer ge-
[317] schlechtlich sich fortpflanzenden Art zusammensetzen, enthalten,
wie schon gesagt wurde, nicht genau identische Determinanten,
sondern solche, welche mehr oder weniger von einander ab-
weichen, so zwar, dass ihre Determinanten mindestens den
individuellen Unterschieden der heutigen Art entsprechen. Da
nun sämmtliche Idarten — wie aus der Mechanik der Kern-
theilung hervorgeht — in alle Zellen der gesammten Onto-
genese übergehen, so muss der Charakter jeder ein-
zelnen in der Ontogenese auftretenden Zelle immer
durch einen Complex von Iden bestimmt werden, so
zwar, dass entweder alle oder doch ein grösserer Theil
der die Idanten bildenden Ide die Constitution der
betreffenden Zelle, als ihrer Kräfte-Resultante be-
stimmen. Das sind die allgemeinen Grundlagen, auf welchen
die nachfolgenden Betrachtungen über die Wirkungen der ge-
schlechtlichen Fortpflanzung fussen.
Nachdem ich dieses vorausgeschickt, wende ich mich zur
genaueren Betrachtung der Reductionstheilungen. Es handelt
sich dabei darum, zu erfahren, welchen Einfluss die Re-
ductionstheilung auf die Zusammensetzung des Keim-
plasma’s ausübt, welcherlei Ide dabei aus der Keim-
zelle entfernt werden und welche zurückbleiben.
Die direkte Beobachtung der Reductionstheilung allein
giebt allerdings darüber keinen genügenden Aufschluss, und
zwar nicht blos deshalb, weil sowohl Ide als Idanten für unser
Auge untereinander gleich aussehen, sondern auch deshalb, weil
wir nicht einmal feststellen können, ob die Idanten der jungen
Keimzellen eines neuen Individuums noch dieselben sind, wie die
der befruchteten Eizelle, welche diesem Organismus den Ursprung
gab, ob also ein Idant ein bleibendes Gebilde ist, ob ein be-
stimmter Idant derselbe bleibt von einer Generation zur andern.
Wir wissen, dass bei der Amphimixis sich die väterlichen
[318] und mütterlichen Idanten nebeneinander lagern und von einer
gemeinsamen Kernmembran umgeben werden. Oft bleibt ein
kleiner, aber deutlicher Zwischenraum zwischen beiden Stäbchen-
gruppen, und wenn dies ununterbrochen während der ganzen
Ontogenese so bliebe bis zur Bildung neuer Keimzellen und
bis zur Reductionstheilung derselben, so könnten wir vielleicht
direkt feststellen, ob etwa die väterliche Gruppe von der mütter-
lichen dabei getrennt wird, oder ob die Hälfte der väterlichen
mit der Hälfte der mütterlichen Stäbchen vereinigt bleibt, oder
schliesslich, ob verschiedene Combinationen von Stäbchen bei
der Reduction entfernt werden.
Allein so leicht ist es uns nicht gemacht; die Idanten des
befruchteten Eies bleiben als solche nur während der ersten
Theilung der Eizelle bestehen, dann aber lösen sie sich in zahl-
reiche feine Körnchen auf, die sich im Innenraum des Kernes
vertheilen und die erst dann wieder zu Kernstäbchen zusammen-
treten, wenn die zweite Theilung beginnt. Dieser Process der
Auflösung und später wieder erfolgenden Sammlung der Idanten
wiederholt sich während der ganzen Ontogenese bei jeder neuen
Zellbildung und Zelltheilung, und er ist es, der ein Urtheil
darüber, ob wir in einem bestimmten Idanten irgend einer Zelle
einen Abkömmling der Mutter oder des Vaters zu sehen haben,
unmöglich macht. Ja noch mehr; wir können auch aus der
Beobachtung allein keine Sicherheit darüber gewinnen, ob die
Idanten späterer Zellen dieselben sind, wie die der befruchteten
Eizelle, d. h. ob sie dieselben Id-Arten in derselben Reihenfolge
enthalten. Es könnte ja sehr wohl sein, dass die Ide sich bei
jeder Auflösung der Idanten ganz von einander loslösen, um
sich später wieder in beliebiger anderer Ordnung aneinander
zu reihen. Die Zahl und Art der Ide des ganzen Idioplasma’s
bliebe dann zwar dieselbe wie vorher, aber die einzelnen Idanten
wären andere, weil ihre Id-Combination eine andere geworden
[319] wäre. Es wäre dann ganz gleichgültig, ob bei der Reductions-
theilung etwa die rechtsliegenden Idanten sich von den links-
liegenden trennen oder wie immer die Halbirung der Idanten-
zahl erfolgte; alle Idanten beständen aus neuen Combinationen
der vorhandenen Ide, und zwar müsste die Zusammensetzung
derselben eine völlig verschiedene sein von derjenigen der
Idanten in der befruchteten Eizelle, weil fast immer zahlreiche
Zellgenerationen zwischen dieser und den neuen Keimzellen
liegen, bei deren jeder eine neue Umordnung der Ide statt-
gefunden haben müsste. Es käme dann offenbar Nichts mehr
darauf an, dass gerade ganze Idanten bei der Reductionstheilung
entfernt würden, eine blosse Massen-Halbirung des gesammten
Idioplasma würde genügt haben.
Daraus nun, dass aber thatsächlich die Reductionstheilung
in einer Beseitigung der Hälfte der Idanten besteht, und noch
mehr daraus, dass diese Reductionstheilung eine doppelte ist,
wie wir sehen werden, schliesse ich, dass die Auflösung der
Idanten nach jeder Kerntheilung nur eine scheinbare ist,
dass vielmehr die einzelnen Ide des Idanten auch dann noch
durch die zu feinsten Fäden ausgezogene Kittmasse das „Linin“
verbunden bleiben und dass sie sich bei herannahender Kern-
theilung wieder von Neuem in derselben Reihenfolge aneinander
legen, die sie vorher innegehalten hatten.
Dass es sich so verhält, lässt sich auch aus gewissen Ver-
erbungserscheinungen abnehmen, aus der Beobachtung, dass
nicht selten das Kind nur dem einen Elter, z. B. dem Vater
nachschlägt, oder doch so vorwiegend diesem einen gleicht,
dass die Ähnlichkeit mit der Mutter unmerklich wird. Dies
setzt voraus, dass in der befruchteten Eizelle, aus welcher das
Kind hervorging, eine Combination von Iden und Idanten ent-
halten war, welche derjenigen sehr nahe kam, welche die Onto-
genese des Vaters bestimmt hatte. Es muss also möglich sein
[320] und muss von nicht allzu grossen Zufälligkeiten abhängen, dass
die väterliche Keimzelle diese väterlichen oder mütterlichen
Idanten enthält, d. h. nahezu dieselben Ide in nahezu derselben
Reihenfolge, wie sie die Entstehung des Vaters oder der Mutter
geleitet hatten. Dies ist aber nur denkbar — so scheint mir —
wenn mindestens für gewöhnlich der Verband der Ide zum
Idanten auch während der Auflösung derselben im Kern fort-
besteht.
Manche neueste Beobachtungen stützen diesen Schluss in-
sofern sie zeigen, dass feine Lininfäden die einzelnen Mikrosomen
(Ide) auch dann noch verbinden, wenn sich der Idant scheinbar
aufgelöst hat, ja Herr Dr. Otto vom Rath wird in einer dem-
nächst erscheinenden Arbeit1) zeigen, dass solche verbindende
Fäden sogar zwischen den Idanten hinlaufen. Es scheint also
keine allzu gewagte Hypothese, einen solchen Verbindungs-
apparat der Ide anzunehmen.
Ich möchte also glauben, dass die Auflösung der Idanten
in Körnchen während der sog. Kernruhe nur eine scheinbare
ist und bin mit van Beneden und Boveri der Ansicht, dass
die Idanten bleibende Gebilde sind. Allerdings aber möchte
ich dies, wie oben schon gesagt wurde, nicht in ganz strengem
Sinne genommen wissen, also nicht so, als ob der Bau eines
Idanten für alle Zeiten und durch alle Generationen derselbe
bleiben müsse, oder dass der Wiederaufbau des Idanten nach
seiner Auflösung immer und in allen Fällen zu genau
derselben Reihenfolge der Ide führen müsse u. s. w. Ich
stelle mir vielmehr vor, dass öfters Abweichungen von der ur-
sprünglichen Aufreihung der Ide vorkommen. Der thatsächlich
beobachtete, stete Wechsel der Individualität beim Menschen
im Laufe der Generationen, die Nimmerwiederkehr ein und des-
[321] selben Individuums erfordern, so scheint mir, dass auch die
Anordnung der Ide innerhalb der Idanten gelegentlich ver-
ändert werden kann, wenn auch nicht bei jeder Reconstruction
desselben, sondern nur dann und wann im Laufe der Genera-
tionen.
Wenn sich dies nun so verhält, wenn die Idanten während
der Ontogenese, also von der befruchteten Eizelle bis zu den
Keimzellen des neuen Bion im Wesentlichen dieselben bleiben1),
dann können wir aus gewissen Vererbungserscheinungen schliessen,
dass die Reduction der Ide auf die Hälfte nicht im Voraus
bestimmte und immer die gleichen Idgruppen von ein-
ander trennt, sondern wechselnde, bald diese, bald jene.
Die Folge davon muss sein, dass die Keimzellen ein
und desselben Bion ganz verschiedene Combinationen
von Iden enthalten, also auch eine ganz verschiedene
Mischung der im Keimplasma der Eltern dieses Bion
enthaltenen Anlagen. Die Reduction macht keinen Unter-
schied zwischen mütterlichen und väterlichen Idanten, sondern
führt die Halbirung der Idantenzahl so aus, dass beliebige
Weismann, Das Keimplasma. 21
[322] Combinationen derselben gebildet werden können, dass also von
vier Idanten a + b und c + d sowohl die Gruppe a + b, d. h.
die väterlichen, und c + d, d. h. die mütterlichen Idanten in
je eine fertige Keimzelle zu liegen kommen, als auch Com-
binationen a + c und b + d oder a + d und b + c, d. h. also
Combinationen von je einem väterlichen und je einem mütter-
lichen Element.
Der Erfolg wird eine mässige Verschiedenheit der Keim-
zellen eines Bion in Bezug auf ihren Gehalt an Vererbungs-
anlagen sein. In dem angenommenen Falle von nur vier Kern-
stäbchen würden nur sechs Combinationen von Idanten möglich
sein, also auch nur sechs in Bezug auf Anlagen verschiedener
Keimzellen-Arten. Die Zahl der möglichen Combinationen wächst
nun aber sehr bedeutend, so dass schon bei acht Idanten siebzig
Combinationen, bei sechszehn 12,870 möglich werden.
Nun beträgt die Zahl der Idanten nur bei dem Spulwurm
zwei oder vier, bei allen anderen Thieren und auch bei den
Pflanzen mehr: acht, sechszehn, zweiunddreissig, ja bis über
hundert.1) Die Mannigfaltigkeit der Anlagenmischungen, wie
sie durch die Reductionstheilung hervorgerufen wird, ist also
im Allgemeinen schon durch die bisher angenommene einfache
und einmalige Reduction in hohem Grade gesichert. Dennoch
scheint die Natur wenigstens bei Thieren einen noch höheren
Grad der Mannigfaltigkeit angestrebt zu haben, denn wir finden
bei ihnen ganz allgemein nicht nur eine einmalige, son-
dern eine zweimalige Reduction der Idantenzahl auf
die Hälfte, und dies muss wohl, wie ich kürzlich zu zeigen
versuchte2), die Wirkung haben, die Zahl der möglichen Idanten-
Combinationen noch sehr bedeutend zu erhöhen.
[323]
Kurz zusammengefasst verhält sich die Sache bei den
Metazoen folgendermassen.
Bei allen daraufhin untersuchten Arten entstehen die Keim-
zellen dadurch, dass ihre Mutterzelle sich zweimal hintereinander
in einer solchen Weise theilt, dass dabei jedesmal die Zahl der
Idanten halbirt wird, dass also die eine Hälfte in die eine, die
Samenbildung von Ascaris megalocephala var bivalens, frei
nach O. Hertwig.
A Ursamenzelle, B Muttersamenzelle, C erste Reductionstheilung, D die
beiden Tochterzellen, E die zweite Reductionstheilung, F die vier Enkel-
Samenzellen.
andere in die andere Tochterzelle übertritt. Dies würde zu
einer Viertelung der Normalzahl der Idanten führen, wenn nicht
die Zahl der Idanten in der Mutterzelle vor ihrer ersten
Theilung sich durch Spaltung derselben verdoppelte.
Also zuerst Verdoppelung, dann zweimalige Halbirung der
Idantenzahl. Es ist ein Punkt von nebensächlicher Bedeutung
21*
[324] für die Vererbungsfragen, dass bei der Bildung der weiblichen
Keimzelle, des Eies, drei der aus der Mutterzelle hervorgehenden
Keimzellen als sog. „Richtungskörper“ zu Grunde gehen und
Eibildung von Ascaris megalocephala var. bivalens.
A Urkeimzelle, B herangereifte Eizelle, deren Idantenzahl sich von vier
auf acht verdoppelt hat, C erste Reductionstheilung, D das Ei mit dem
ersten Richtungskörper unmittelbar nachher, E der erste Richtungskörper
hat sich in zwei Tochterzellen getheilt (2 und 3), die vier im Ei zurück-
gebliebenen Idanten bilden die zweite Reductionsspindel, F unmittelbar
nach der zweiten Reductionstheilung, 1 die fertige Eizelle, 2, 3 und 4 die
drei Richtungszellen, jede der vier Zellen nur zwei Idanten enthaltend.
nur einer zur entwickelungsfähigen Eizelle wird, während bei
den männlichen Keimzellen alle vier funktionsfähige Keimzellen
bleiben. Die Hauptsache für die hier zu behandelnden Fragen
[325] ist die Verdoppelung und nachherige zweimalige Halbirung der
Idantenzahl, wie sie in allen Thierklassen, von den untersten
Metazoen an zu den höchsten hinauf, nachgewiesen ist, und
soviel wir wissen, nur bei denjenigen Eiern fehlt, welche auf
Parthenogenese eingerichtet sind. Bei diesen findet zwar die
Verdoppelung statt, aber es folgt ihr nur eine einmalige
Halbirung der Idantenzahl nach, entsprechend dem Ausbleiben
der Amphimixis. Denn erst durch die Vereinigung des Sperma-
mit dem Eikern kommt bei dem auf Befruchtung eingerichteten
Ei wieder die volle Zahl der Idanten zu Stande.
Ich fasse nun diese merkwürdige, scheinbar ganz nutzlose1)
Verdoppelung der Idanten mit nachfolgender zweimaliger Hal-
birung als ein Mittel auf, die Zahl der möglichen Com-
binationen der Idanten in den Keimzellen ein und des-
selben Individuums noch weiter zu steigern, und habe
dies in der angeführten Schrift zu begründen versucht. Bei
vier Idanten sind — wie schon erwähnt wurde — nur sechs
Combinationen möglich bei einmaliger Halbirung. Wenn aber
vor der Halbirung jeder Idant verdoppelt wird — wie es that-
sächlich geschieht —, so werden zehn Combinationen möglich.
[326] Das heisst also, ein Individuum einer solchen Art kann zehn
in Bezug auf die individuellen Vererbungstendenzen verschiedene
Arten von Eiern oder Samenzellen hervorbringen. Bei der Be-
fruchtung eines solchen Eies durch die Samenzelle eines andern
Individuums treten dann zwei fremde Idanten hinzu; da nun
jeder Elter zehn verschiedene Arten von Keimzellen producirt,
so können also so viele verschiedene Kinder aus der Verbin-
dung eines Elternpaares hervorgehen, als Combinationen mög-
lich sind zwischen den zehn Spermazellenarten des Vaters und
den zehn Eizellenarten der Mutter, d. h. 10 × 10 = 100.
Bei acht Idanten erhält man ohne Verdoppelung siebzig
Combinationen, mit Verdoppelung deren 266; bei zwölf Idanten
ohne Verdoppelung 924, mit solcher 8074 Combinationen; bei
sechszehn Idanten ohne 12,870, mit Verdoppelung 258,570; bei
zwanzig Idanten ohne Verdoppelung 184,756 Combinationen,
mit Verdoppelung 8,533,660; bei zweiunddreissig Idanten würde
man mit Verdoppelung etwa das 500fache an Combinationen
erhalten wie ohne Verdoppelung.
Da nun bei der Befruchtung stets von beiden Seiten her
die gleiche Zahl von Idanten zusammentrifft, und da jede der
elterlichen Keimzellen nur eine der vielen möglichen Idanten-
Combinationen enthält, so ergiebt sich, dass die Zahl der Keim-
plasma-Variationen, welche ein Elternpaar möglicherweise zu
liefern im Stande ist, eine ganz ungeheure sein muss, denn sie
wird durch Multiplication der mütterlichen mit der väterlichen
Combinationszahl erhalten. Für zwölf Idanten beträgt sie schon
8074 × 8074. Leider kennen wir die Ideantenzahl gerade bei
derjenigen Art nicht, deren individuellen Unterschiede wir allein
bis in die feinsten Einzelheiten zu erkennen im Stande sind,
beim Menschen nämlich. Aber wir dürfen vermuten, dass sie
grösser als vier sein wird. Betrüge sie z. B. zwölf, so brauchten
wir uns nicht zu wundern, dass noch niemals zwei nach ein-
[327] einander erzeugte Kinder identisch gefunden wurden, wie sie es
sein müssten, wenn sie aus der gleichen Combination von Iden
des Keimplasma’s aus entstanden wären. Nahezu identische
Kinder kommen nur als Zwillinge vor, und wir haben allen
Grund zu der Annahme, dass solche aus einer Samenzelle und
einem Ei herstammen.
Wir können heute noch nicht mit Sicherheit darüber ur-
theilen, in wie weit die ganzen Idanten unverändert in ihrer
Id-Zusammensetzung von den Keimzellen der einen in die Keim-
zellen der andern Generation übergehen. Die Reductionserschei-
nungen der Keimzellen, wie wir sie in jüngster Zeit durch
Henking, vom Rath und Häcker bei verschiedenen Glieder-
thieren kennen gelernt haben, deuten darauf hin, dass auch die
Idanten dabei verändert werden können. Wenn man sich vor-
stellt, dass in der Mutterzelle der Keimzellen, wenn sie sich
zur ersten Reductionstheilung anschickt, die Ide sich in ihrer
ursprünglichen Reihenfolge zu einem langen Faden aufreihten,
der in sich selbst zurückläuft, also einen Ring bildet, so würde
dieser dann durch Quertheilung an bestimmten Stellen in Idanten
zerschnitten werden. Sobald nun die Stellen, an welchen die
Quertheilung einträte, wechseln könnte, wäre damit die Mög-
lichkeit gegeben, sowohl genau die alten Idanten wieder herzu-
stellen, als auch mehr oder weniger von ihnen abzuweichen.
Es ist aber für eine Theorie der amphigonen Vererbung
nicht unerlässlich, diese Annahme zu machen, und wir können
hier davon absehen, mit ihr zu rechnen, obwohl sie in irgend
welchem Betrage richtig sein wird, wie denn oben schon auf
eine solche langsame und schwache Veränderung der Idanten
durch Verschiebung der Id-Combination in ihnen hingewiesen
wurde. Erst die Untersuchungen der Zukunft werden die volle
Sicherheit dafür bringen, wie sich dies im Einzelnen verhält,
ob es blos die Halbirung und neue Zusammenstellung der
[328] Idanten ist, welche die Verschiedenheit der Id-Combinationen her-
vorruft, oder ob auch regelmässig oder doch häufig Änderungen
in der Zusammensetzung der Idanten aus Iden eintritt. Für
jetzt muss es genügen, zu wissen, dass die Keimzellen eines
Individuums sehr viele verschiedene Combinationen
von Iden enthalten, und dass bei mehrmaliger Amphi-
mixis der Keimzellen derselben Eltern wohl niemals
ganz die gleichen Combinationen zusammentreffen.
Daraus ergiebt sich die stets wechselnde Combination elterlicher
und vorelterlicher Eigenschaften, wie sie das Charakteristische
der amphigonen Vererbung ist.
Dieser Satz wird auch für die Pflanzen allgemeine Gültig-
keit besitzen. So viel wenigstens ist bis heute festgestellt, dass
auch in ihren Keimzellen eine Reduction der Idanten auf die
Hälfte stattfindet. Bei Lilium Martagon enthalten nach den
Untersuchungen von Guignard1) die somatischen Zellen wie
[329] auch die Mutterzellen von beiderlei Keimzellen 24 Idanten,
während die fertigen Keimzellen selbst deren nur 12 enthalten.
Wie diese Reduction erfolgt, ob durch einmalige Reductions-
theilung, oder wie bei den Thieren durch zweimalige mit vor-
gängiger Verdoppelung, ist bis jetzt nicht bekannt. Dass die
Reduction in der Mutterzelle selbst während ihrer Vorbereitung
zur Theilung erfolge, wie Guignard meint, halte ich aus
naheliegenden theoretischen Gründen für äusserst unwahrschein-
lich. Es ist aber sehr möglich, dass hier nur eine Reductions-
theilung vorkommt.
Für niedere Pflanzen liegen noch keine Angaben über diese
Verhältnisse vor, wahrscheinlich weil die Schwierigkeiten der
Untersuchung bei der Kleinheit der Idanten bisher unüberwind-
lich waren. Soviel konnte aber wenigstens festgestellt werden,
dass bei vielen Meeresalgen (Fucoideen) die Bildung der Eizellen
von der Bildung von „Richtungskörpern“ begleitet ist, die sich
hier mit aller Sicherheit als das nachweisen liessen, wofür sie
auch von mir und anderen Zoologen nach dem Vorgang von
Bütschli und Giard schon lange genommen worden sind: für
verkümmerte, phyletisch rückgebildete Eizellen. Bei der Gattung
Fucus fehlen sie, und dort bilden sich aus dem Ur-Ei — wenn
ich die Stammzelle des sog. Oogonium’s oder Eierstockes so
nennen darf — 8 Eier; bei der verwandten Tang-Art Asco-
phyllum nodosum entstehen aus dem Ur-Ei nur 4 Eier, aber
1)
[330] noch 4 „Richtungskörper“, bei Pelvetia canaliculata bilden sich
nur 2 Eier aus dem Ur-Ei und 6 Richtungskörper, bei Himan-
thalia lorea sogar nur ein einziges Ei und 7 Richtungs-
körper.1)
Damit wissen wir aber noch Nichts über die Reductions-
theilungen, die — wie ich schon vor langer Zeit hervorhob —
durchaus nicht an die Rückbildung mehrerer Keimzellen ge-
bunden zu sein braucht. Wir können nur sagen, dass die in
allen den angeführten Fällen eintretende dreimalige Theilung
der Ur-Eizelle mehr als genügende Gelegenheit zu einer oder
auch zu zwei Reductionstheilungen darbietet, und dass es höchst
wahrscheinlich ist, dass wenigstens eine wirklich stattfindet.
Es wird deshalb angenommen werden dürfen, dass auch
bei den Pflanzen allgemein eine sehr mannigfaltige Mischung
des von den Eltern stammenden Keimplasma’s in den Keim-
zellen des Kindes sich herstellt, dass völlig „identische“
Keimzellen hier, wie bei Thieren nur selten vorkommen werden.
Capitel IX.
Die Ontogenese unter Leitung des amphi-
mixotischen Keimplasma’s.
1. Die Bestimmung des Kindes mit der Befruchtung
gegeben.
Die erste Frage, welche in Bezug auf „amphigone Ver-
erbung“ sich darbietet, ist die, in welcher Weise die beiden von
den Eltern herstammenden Keimplasmen sich in die Leitung
[331] der Ontogenese theilen, ob mütterliche und väterliche Ide stets
gleichzeitig zusammenwirken und zu einer Kraft-Resultante sich
verbinden, oder ob etwa stets nur die eine Gruppe aktiv ist
und die andere passiv sich verhält. Durch Beobachtung der
Kernsubstanzen selbst lässt sich eine Antwort darauf für jetzt
wenigstens nicht gewinnen, es sind einzig und allein die Ver-
erbungserscheinungen, welche zusammengehalten mit dem, was
wir über die Zusammensetzung des amphimixotischen Idio-
plasma’s wissen, zu einer Antwort führen können. Es gilt also
eine möglichst genaue und tief reichende Analyse derselben
auszuführen.
Wir gehen dabei von der bisher gewonnenen Grundlage
aus, von dem Satz, dass die Keimzellen eines Individuums ihrem
Vererbungsgehalt nach unter sich nicht gleich, sondern ungleich
sind, dass die Mischung väterlicher und mütterlicher Ide in den-
selben eine äusserst mannigfaltige ist, und dass durch die Ver-
bindung der Keimzellen zweier Individuen in der Amphimixis
diese Mannigfaltigkeit noch um das Vielfache erhöht wird. Die
erfahrungsgemäss bestehende Verschiedenheit der Kinder eines
Elternpaares beim Menschen erklärt sich daraus ohne Weiteres.
Sie führt zugleich zu dem schon von Victor Hensen aus-
gesprochenen Fundamentalsatz der amphigonen Vererbung:
„mit der Befruchtung ist das Individuum bestimmt“,
oder wie man auch sagen kann: mit der Zusammensetzung
des Keimplasma’s durch die in der Eizelle zusammen-
treffenden väterlichen und mütterlichen Ide ist die
Individualität des Bion gegeben.
Der Satz ist nicht selbstverständlich, denn a priori hätte
man glauben können, die Entfaltung und Mischung der elter-
lichen Charaktere im Kind hänge ganz oder doch grossentheils
von den äusseren Einflüssen der Ernährung u. s. w. ab, welche
den Keim von seiner Befruchtung an treffen. Die „identischen“
[332] Zwillinge des Menschen beweisen aber das Gegentheil. Bekannt-
lich giebt es Zwillinge, und diese scheinen die häufigeren zu
sein, welche sich nicht stärker ähnlich sind, als successive
Kinder desselben Elternpaares; die Unähnlichkeit kann hier so-
gar einen ziemlich hohen Grad erreichen. Man hat allen Grund
zu der Annahme, dass solche „unähnlichen“ Zwillinge meist aus
zwei Eiern herrühren, welche natürlich auch von zwei ver-
schiedenen Samenzellen befruchtet worden sein müssen. Ihnen
gegenüber stehen die Zwillinge, welche ich als „identische“
bezeichne, wenn auch ihre Identität keine vollkommene ist,
sondern nur in einer sehr hochgradigen Ähnlichkeit besteht, wie
solche noch niemals bei nacheinander geborenen Kin-
dern beobachtet wurde. Man hat allen Grund zu der An-
nahme, dass solche identische Zwillinge aus einem und dem-
selben Ei und einer Samenzelle entstanden sind. Wenn dem
so ist, so liegt darin der Beweis für den obigen Satz, dass mit
der Befruchtung die Vererbung potentia vollendet ist, oder
idioplasmatisch ausgedrückt, dass die Qualität der Mischung
der Eltern-Ide, wie sie durch die Befruchtung gesetzt
wird, die gesammte Ontogenese im Voraus bestimmt.
Die kleinen Unterschiede, welche sich auch zwischen identischen
Zwillingen finden, wären also wohl ein Maass dafür, wieviel
durch äussere Einflüsse an diesem Entwickelungsgang geändert
werden kann. Dieselben sind meist so gering, dass es schwer
hält, sie überhaupt zu bemerken, wenn man nicht besonders
darauf ausgeht; gewöhnlich kann einer der beiden Zwillinge
allein nur von den eignen Eltern oder Geschwistern richtig er-
kannt werden, nicht von Fremden.
Diese kleinen Verschiedenheiten könnten aber auch auf
einer Unvollkommenheit in der festen Vorausbestimmung des
Einflusses beruhen, den auf jedem Stadium der Ontogenese das
eine und das andere elterliche Idioplasma ausübt. Aus den
[333] identischen Zwillingen allein lässt sich kaum ableiten, welche
Auffassung die richtige ist. Durch die Güte des Herrn Otto
Ammon in Karlsruhe besitze ich die Photographien identischer
Zwillinge im Alter von 17 und 18 Jahren, sowie die genauen
Maasse aller Körperverhältnisse derselben. Trotz auffallendster
Ähnlichkeit nicht nur im Gesicht, sondern in allen Theilen des
Körpers finden sich doch auch Unterschiede. So beträgt die
ganze Grösse bei dem Einen der in Herrn Ammon’s Listen
als No. 507 bezeichnet steht, in liegender Stellung 172 Cent.,
bei No. 508 aber nur 170 Cent.; ferner ist zwar die Handlänge
bei Beiden gleich, aber die Armlänge stimmt nur auf der linken
Seite, wo sie bei Beiden 74 Cent. beträgt, während der rechte
Arm bei No. 507 nur 71 Cent. lang ist gegen den 74 Cent.
langen rechten Arm von No. 508. Auch ist die Länge des
Armes bei Beiden in einer etwas ungleichen Weise auf Ober-
arm und Vorderarm vertheilt, indem die Länge des linken Ober-
armes bei No. 507 27 Cent. beträgt, bei No. 508 aber 27,5 Cent.
und dementsprechend die Länge des Vorderarmes bei No. 507
ebenfalls 27 Cent., bei No. 508 aber nur 26 Cent. Wenn man
nun auch die Maasse der Eltern aus dem gleichen Lebensalter
besässe, was nicht der Fall ist, so würde man doch vermuthlich
auch daraus nichts Entscheidendes darüber entnehmen können,
ob diese geringen Grössen-Unterschiede auf einer nicht ganz
vollkommenen Gleichheit der Keimplasma-Mischung beruhen, wie
sie durch eine nicht völlig exakte Kerntheilung bei der Ver-
doppelung des befruchteten Eies, oder eines späteren Stadiums
gesetzt werden könnte, — oder ob sie nicht einfach in kleinen
allgemeinen oder lokalen Ernährungs-Ungleichheiten ihren Grund
haben, welche während der Ontogenese einwirken.
Es giebt aber andere Thatsachen, welche beweisen, dass
in der That die Mischung der elterlichen Idioplasmen während
der Ontogenese, obgleich im Allgemeinen von der Befruchtung
[334] an fest bestimmt, dennoch im Einzelnen kleinen Schwankungen
unterliegt. Diese liefern uns die Bastarde zwischen ge-
wissen Pflanzenarten, indem sie an manchen Theilen einen
ziemlichen Grad von Variabilität, von Schwanken zwischen den
Art-Charakteren der beiden Eltern zeigen. So sind die Blüthen
der Mischlinge von Digitalis lutea und purpurea „in der Färbung
ungleich, bald blass mit leichtem (zuweilen ganz ohne) röth-
lichen Anflug, bald mit mehr oder minder lebhafter Purpur-
färbung“.1) Diese Beobachtungen scheinen mir besonders des-
halb von Wichtigkeit, weil wir in diesem Falle der Kreuzung
zweier sehr verschiedener und scharf begrenzter Arten mit
Sicherheit annehmen dürfen, dass in beiden Eltern die Art-
Charaktere in gleicher Reinheit und Stärke enthalten waren,
dass also das gegenseitige Verhältniss der elterlichen Idioplasmen
während der Ontogenese nicht immer ganz genau dasselbe bleibt,
mag dies nun auf kleinen Unregelmässigkeiten in der Kern-
theilung, oder — was wohl weniger wahrscheinlich — auf
Ungleichheiten in der Ernährung und dem Wachsthum der
beiderseitigen elterlichen Idanten beruhen.
Bis in wie kleinste Einzelheiten hinein aber die Voraus-
bestimmung reicht, hatte ich Gelegenheit, an Bastarden zwischen
zwei Arten von Oxalis zu beobachten, welche von Professor
Hildebrandt in Freiburg i. Br. erzogen worden waren, und
deren Betrachtung mir gütigst gestattet wurde. Die eine Stamm-
art hatte grössere helllila Blumen, die andere kleinere rothe
mit dunkelkarminrothem Grund. Die Blumen der verschiedenen
Bastardpflanzen waren nichts weniger, als völlig gleich, vielmehr
liessen sich drei Hauptformen nach der Mischung der Blumen-
farben unterscheiden, die ich nicht im Einzelnen beschreiben
will, allein die Blumen ein und desselben Bastard-
[335] Individuums waren bis in die kleinsten Einzelheiten
hinein gleich. So hatte eine Pflanze lila Blumenblätter mit
etwas röthlicherem Ton als die eine Stammart, und jedes
Blumenblatt war an seinem einen Seitenrand stark roth an-
geflogen und zwar immer an demselben Rand. Ich konnte keine
Blume an dem betreffenden Stock finden, die anders gefärbt
gewesen wäre. Bei einem andern Stock hatten alle Kelchblätter
einen braunen Saum, bei einem dritten zeigte sich bei allen
Blumen in der Tiefe der Blume ein schmaler, orangerother
Ring. Hier war also die Mischung der elterlichen
Farben auf dem Blumenblatt schon mit der Befruchtung
gegeben. Wieso nun diese Mischung bei den verschiedenen
Pflanzen eine etwas verschiedene sein konnte, wird später klar
werden.
Wenn aber bei den identischen Zwillingen des Menschen
auch sicherlich ein Theil der kleinen Unterschiede, die die Beob-
achtung aufweits, auf minutiösen Unterschieden des Idioplasma’s
selbst beruht, so muss doch eben so sicher ein andrer Theil
auf den Einfluss verschiedener äusserer Einwirkungen bezogen
werden. Auf meinen Photographien zeigt der Zwilling No. 507
eine auffallend weisse Hand, der No. 508 aber eine gebräunte.
Niemand wird dies auf eine Ungleichheit der beiderseitigen
Keimplasmen, oder auf eine ontogenetische Verschiebung des
Verhältnisses zwischen mütterlichem und väterlichem Idioplasma
beziehen, sondern darauf, dass No. 508 seine Hände mehr der
Sonnenstrahlung ausgesetzt hat, als No. 507. In der That war
derselbe auch unmittelbar vor seiner Aufnahme mehr im Freien
beschäftigt gewesen, als No. 507. In ähnlicher Weise kann
man sich auch manche der Grössen-Unterschiede entstanden
denken.
[336]
2. Quantitativer Antheil der Vorfahren am Keimplasma.
Wenn es nun feststeht, dass mit der Mischung der elterlichen
Idioplasmen, wie sie bei der Befruchtung zu Stande kommt, die
Charaktere des sich entwickelnden Kindes in allen wesentlichen
Punkten bestimmt sind, so fragt es sich zunächst, was eigentlich
vom Idioplasma der Eltern in der Keimzelle dem Kind über-
liefert wird, das ganze elterliche Idioplasma mit allen
darin enthaltenen Determinanten, oder blos ein Theil
davon, wieviel vom Keimplasma der Grosseltern, Ur-
grosseltern und ferneren Vorfahren.
Wenn man bedenkt, dass die Reductionstheilung, welche
bei männlichen und weiblichen Keimzellen der Befruchtung
vorausgeht, die Hälfte der Idanten aus der einzelnen Keimzelle
entführt, so kommt man zu dem Schluss, dass in jeder Keim-
zelle immer nur die Hälfte der Ide enthalten sein könne,
und dies würde nur dann nicht zutreffen, wenn jeder Idant des
Elters doppelt vorhanden wäre, und die Reduction derart erfolgte,
dass in jeder Keimzelle die gleiche Gruppe von Idanten ent-
halten wäre. Dies kann aber nicht sein, da das Keimplasma
aus lauter verschiedenen Idanten bestehen muss, falls nicht
durch Inzucht einzelne derselben doppelt vorhanden sind. Es
ist offenbar unmöglich, dass in irgend einer Keim-
zelle sämmtliche Idanten beider Eltern enthalten seien,
weil die Zahl derselben zusammen doppelt so gross sein würde,
wie die der Idanten einer fertigen Keimzelle. Betrüge z. B.
beim Menschen die Zahl der Idanten in dem befruchteten Ei
32, so würden von Seiten jeden Elters 16 Idanten bei der Be-
fruchtung zusammentreten. In diesen 16 könnten höchstens
16 von einem Grosselter herstammen, nämlich nur dann, wenn
von dem andern Grosselter gar keine Idanten in die betreffende
Keimzelle gelangt wären. Es ist offenbar mehr wie ungenau, wenn
die praktischen Züchter bisher die Vererbungskraft eines Elters
[337] einfach = ½, die eines Grosselters auf ¼, die des Urgrosselters
= ⅛ u. s. w. gesetzt haben.1) Diese Zahlen können nicht ein-
mal das Minimum oder Maximum angeben, in welchem der be-
treffende Vorfahr mit seinen Vererbungsanlagen im befruchteten
Ei vertreten sein kann. Der Elter ist allerdings immer mit
½ vertreten, allein schon beim Grosselter schwankt die Ver-
tretung, und zwar in dem oben angenommenen Fall zwischen
0 und 16 Idanten. Denn die Reductionstheilung kann so er-
folgen, dass z. B. die 16 väterlichen Idanten, auf welche die 32
ursprünglich vorhandenen in der Samenzelle reducirt werden,
nur Idanten des Grossvaters und keine der Grossmutter, oder
aber 15 des Grossvaters und 1 der Grossmutter, oder 14 pp
gegen 2 mm, oder 13 pp gegen 3 mm u. s. w. enthalten.2) So
müsste es wenigstens sein, wenn die Combinirung der Idanten
bei der Reductionstheilung eine ganz freie wäre. Vielleicht ist
dies nicht vollständig so der Fall, jedenfalls aber weist die
Weismann, Das Keimplasma. 22
[338] Launenhaftigkeit des Rückschlags auf einen der Grosseltern auf
eine immerhin grosse Freiheit dieser Combinationsbildung hin.
Geht man auf die dritte, vierte, fünfte Generation zurück,
so ist a priori nicht im Entferntesten zu bestimmen, wie stark
der einzelne Vorfahr dieser Generationen noch im Keimplasma
einer Keimzelle vertreten ist, man kann nur sagen, wie stark
er im günstigsten Fall vertreten sein kann. Ein Vorfahr der
dritten Generation kann in obigem Fall noch immer mit
16 Idanten vertreten sein, da ja die 16 Idanten, welche von
ihm zur Amphimixis der zweiten Generation geliefert wurden,
möglicherweise bei der Reductionstheilung der Keimzellen
dieser zweiten Generation einmal zusammen in eine Keimzelle
gelangen konnten, und ebenso wieder in der ersten, der Eltern-
Generation. Das wird selten vorkommen, erklärt aber die, wie
es scheint, zwar seltenen, aber doch gut begründeten Rück-
schläge auf entferntere Vorfahren als Grosseltern beim Menschen.
Je weiter zurück die Generation liegt, um so grössere Zufällig-
keiten gehören dazu, damit die volle halbe Idantenzahl durch
mehrere Generationen hindurch in einzelnen Keimzellen bei-
sammen bleibe, und sehr bald wird die Wahrscheinlichkeit, dass
solches geschähe, gleich Null werden.
Im Allgemeinen wird man immerhin zugeben dürfen, dass
die Idanten eines Vorfahren in um so geringerer Zahl im Keim-
plasma eines befruchteten Eies enthalten sind, je weiter der-
selbe in der Ascendenz zurückliegt. Irrig aber wäre jede genauere
Berechnung des Antheils, den ein bestimmt entfernter Vorfahr
an der Zusammensetzung des Keimplasma’s seines Nachkommen
hat. Die bisher übliche Rechnung nahm im befruchteten Ei
2 × ½ elterliches, 4 × ¼ grosselterliches . . . . . . 32 × 1/32 Blut
der sechsten Vorfahren-Generation an. Dies Letztere würde in
der Keimplasma-Theorie einen von den oben für den Menschen
angenommenen 32 Idanten bedeuten. Es ist aber durchaus nicht
[339] gesagt, dass jeder der 32 Vorfahren sechster Generation noch
mit einem Idanten im Keimplasma des Nachkommen vertreten
ist, es können wohl ebenso gut nur 30 oder nur 20 dieser
Vorfahren daran betheiligt sein, möglicher- wenn auch unwahr-
scheinlicherweise sogar noch weniger.
Ich komme bei den Rückschlagserscheinungen auf diese
Verhältnisse wieder zurück.
So viel ist sicher, dass in dem Keimplasma des be-
fruchteten Eies niemals sämmtliche Idanten eines der
Eltern enthalten sein können, sondern nur die Hälfte
derselben.
Dieser Satz scheint in Widerspruch zu stehen mit gewissen
Thatsachen.
Die Pflanzenbastarde halten häufig das Mittel zwischen
den beiden Stammarten, d. h. sie enthalten sämmtliche
Charaktere der beiden Stammarten in gegenseitiger Compen-
sirung. So wären also hier sämmtliche Anlagen jedes Elters in
der befruchteten Eizelle enthalten gewesen, obwohl doch nach
unserer Theorie nur die Hälfte der elterlichen Idanten daran
Theil haben. Der Widerspruch löst sich einfach, wenn man
bedenkt, dass es sich hier um die Mischung der Charaktere
zweier Arten handelt, nicht um die zweier Individuen der
gleichen Art. Die Artcharaktere müssen, wenn nicht in
jedem Id, so doch in der Mehrzahl der Ide jedes Idanten
enthalten sein, und die Hälfte der Idanten wirkt des-
halb hier gerade so, als ob alle Idanten vorhanden
gewesen wären, d. h. jeder Charakter der Art ist in ihnen
enthalten. Es stehen bei der Kreuzung hier nur Artcharaktere
gegen Artcharaktere, deren grösseren Unterschieden gegenüber
die kleinen individuellen Unterschiede verschwinden.
Bei der Fortpflanzung des Menschen, besonders inner-
halb ein und derselben Rasse, ist es umgekehrt: die Art-
22*
[340] charaktere sind vermuthlich in allen Iden sowohl des Vaters
als der Mutter enthalten, und die Unterschiede zwischen den
Eltern beziehen sich lediglich auf die individuellen Charaktere.
Unsere theoretische Auffassung der Idanten als einer Zusammen-
stellung von Iden scheint unvereinbar mit der schon erwähnten
Thatsache, dass das Kind vorwiegend dem einen Elter nur
gleichen kann, da von diesem doch nur die Hälfte seiner Idanten
am Aufbau des Kindes betheiligt ist. Wir werden aber später
die Erklärung für diesen scheinbaren Widerspruch finden.
Man kann im Allgemeinen die Sache dahin ausdrücken,
dass zwar immer die halbe Zahl der Idanten des Elters in die
Keimzelle des Kindes gelangt, dass diese Hälfte aber aus allen
möglichen Combinationen der Idanten des Elters bestehen kann,
also entweder blos aus grossväterlichen oder blos aus gross-
mütterlichen Idanten, oder aber aus einer Combination gross-
mütterlicher und grossväterlicher Idanten, in welchen bald die
einen, bald die andern überwiegen. Weiter zurückzugehen auf die
dritte und vierte Generation der Vorfahren wird erst an der Hand
der Rückschlagserscheinungen möglich und erspriesslich sein.
3. Kampf der Ide bei Leitung der Ontogenese.
a. Die Pflanzen-Bastarde.
Der Bau des Kindes ist das Resultat des Kampfes
sämmtlicher im Keimplasma enthaltener Ide.
Dass dieser Satz im Allgemeinen richtig sein muss, geht
theilweise schon aus der Beobachtung hervor, dass bei Pflanzen-
Mischlingen, d. h. bei den Kreuzungsprodukten zweier Arten
oder Varietäten häufig beide Eltern sich in jedem Theil der
Pflanze geltend machen. Bastarde sind in theoretischer Be-
ziehung hier sehr viel werthvoller, als normale Nachkommen
derselben Art, weil wir bei ihnen mit Sicherheit wissen, dass
die Charaktere, welche sich hierbei bekämpfen oder vereinigen,
[341]in nahezu jedem Idanten des einen oder des andern Elters
enthalten sein müssen; denn sie sind Artcharaktere.
Der idioplasmatische Unterschied zwischen individuellen
und Artcharakteren kann — wie mir scheint — nur darin
gesucht werden, dass die Determinanten der Letzteren in der
überwiegenden Majorität aller Ide jedes Idanten eines Keim-
plasma’s vorkommen müssen, während die Determinanten, welche
der Bildung individueller Merkmale vorstehen, nur in einem
Theil der das Keimplasma zusammensetzenden Idanten enthalten
sein werden — nämlich höchstens in sämmtlichen Idanten
des einen Elters, d. h. also in der Hälfte sämmtlicher Idanten.
Wie stark die Determinanten irgend eines individuellen Charakters
hier vertreten sind, ob sie in vielen Iden enthalten sind, oder
nur in einem kleinen Bruchtheil derselben, würde sich erst
dann aus den Vererbungserscheinungen ablesen lassen, wenn
wir wüssten, wovon das Hervortreten, gewissermassen der Sieg
eines Charakters abhängt. Dies aber lässt sich nur aus Kreu-
zungen zwischen Arten erschliessen, bei denen wir aus der hohen
Constanz der Artcharaktere von vornherein annehmen dürfen,
dass ihre Determinanten in allen Idanten der elterlichen Keim-
zelle dominiren.
Es treten also bei der Amphimixis der Pflanzen-Bastarde
väterliche und mütterliche Idanten zusammen, die wir, jede
Gruppe unter sich, für gleich annehmen dürfen, und es fragt
sich, wie nun die Vererbungserscheinungen ausfallen, und welche
Rückschlüsse aus ihnen gezogen werden können.
Aus den ungemein zahlreichen Beobachtungen über Pflanzen-
Mischlinge geht zunächst hervor, dass die Charaktere der Eltern
in verschiedener Weise sich mischen können. Focke, der alle
bis 1881 bekannten Fälle in seinem Buche1) zusammengestellt
hat, kommt zu dem Ergebniss dreier Hauptrichtungen in der
[342] Mischung der Charaktere: 1. Die elterlichen Charaktere
bilden in allen Theilen der Pflanze ein Mittel, 2. die
Merkmale des Vaters überwiegen, oder diejenigen der
Mutter, und 3. gewisse Theile der Mischpflanze zeigen
den mütterlichen, andere den väterlichen Charakter.
Der erste Fall ist der weitaus häufigste; ein Beispiel
für ihn bildet der schon von Koellreutter erzeugte Mischling
zweier Tabakarten, der Nicotiana rustica ♀ × N. paniculata ♂
Koellreutter1) selbst erklärt ihn für das genaue Mittel der
Eltern, während Gärtner ihn der N. paniculata, Focke der
N. rustica etwas ähnlicher hielt. Koellreutter wird also
wohl ziemlich richtig geschätzt haben und nur von einer
Schätzung, nicht von mathematischer Genauigkeit kann hier
die Rede sein. Nach Focke beträgt die Länge der Kronen-
röhre bei N. rustica 14 Mm., bei N. paniculata 26 Mm., beim
Bastard 19 Mm. Das genaue mathematische Mittel würde
20 sein, in diesem Charakter nähert sich der Bastard etwas
mehr der N. paniculata. In der Weite der Kronenröhre da-
gegen neigt sich der Bastard in Bezug auf die weiteste Stelle
mehr der N. rustica zu, in Bezug auf die engste Stelle hält
er genau das mathematische Mittel. Der Fall ist belehrend da-
für, dass wir das eigentliche, physiologische Mittel nicht er-
kennen können, denn die Länge der Krone setzt sich aus den-
selben Zellen zusammen, die auch ihre Weite bestimmen. Noch
ungenauer wird unsere Taxirung, wenn es sich um Farben-
mittel handelt, weil die verschiedenen Farben der Pflanzen auf
ganz verschiedenen morphologischen Bestandtheilen beruhen.
Wenn Gelb und Roth zweier Arten sich in der Bastardblume
mischten, so wäre es denkbar, dass beide Farben in derselben
[343] Stärke wie in den Stammarten aufträten, dass aber dennoch
die eine von ihnen dominirte, weil sie die andere zudeckt; denn
Gelb hängt an besonderen Pigmentkörnern, Roth aber ist nur
als Zellsaft vorhanden, der durch oberflächliche Lagerung der
Chromatophoren möglicherweise fast ganz verdeckt werden könnte.
Wenn nun untersucht werden soll, von welchen Momenten
der Kampf der elterlichen Merkmale bestimmt wird, so ist vor
Allem im Auge zu behalten, dass alle und jede Entscheidung
in den Zellen liegt. Nur in einer Zelle treffen sich die
Determinanten des Vaters und der Mutter, und alle „Eigen-
schaften“, mögen sie einen grossen Theil des Organismus oder
blos eine einzelne Zelle betreffen, können nur durch Vorgänge
im Innern einer oder vieler Zellen bestimmt werden.
Dies ist aber nicht gleichbedeutend damit, dass es immer
die sichtbare Differenzirung jeder einzelnen Zelle sein müsse,
welche eine „Eigenschaft“ des Organismus ausmache. Nur in den
definitiven Zellcomplexen des Bion kommt neben der Zahl
der Zellen auch die Art und Weise ihrer histologischen Differen-
zirung in Betracht — ob also Muskel- oder Nervensubstanz,
ob Chlorophyllkörper sich in dem Zellkörper ausbilden oder
nicht. Sehr viele und charakteristische „Eigenschaften“ aber
werden nicht darauf beruhen können, sondern wesentlich auf der
Zahl und Anordnung der in ein Organ eingehenden Zellen, und
diese wiederum werden ihren Grund in für uns unsichtbaren
Eigenschaften der embryonalen Zelle haben, hauptsächlich in
ihrem Theilungsmodus und in ihrer Vermehrungsstärke
und -Schnelligkeit.
Wir werden uns vorstellen müssen, dass diese Momente
ganz ebenso vollständig vom Idioplasma der Zelle bestimmt
werden, als die sichtbare Differenzirung derselben. Wohl geht
die Theilung einer Zelle von ihrem Theilungs-Apparat, vor
Allem von dem centralen Theil desselben, der „Attractions-
[344] sphäre“ und dem in ihr gelegenen Körperchen, dem Centrosoma
aus, allein, wir müssten die ganze Vorstellung vom bestimmen-
den Einfluss der Kernsubstanz aufgeben, wollten wir den Thei-
lungs-Apparat zugleich auch als den Theilungs-Leiter an-
sehen. Der ganze Aufbau eines Thieres aus der Eizelle hängt
so wesentlich gerade vom Theilungs-Rhythmus der Zellen ab,
dass die Kernsubstanz den Namen der Vererbungssubstanz nicht
mehr beanspruchen dürfte, leistete sie Nichts weiter, als die
sichtbare Differenzirung der Zelle. Ich habe aber in einem
früheren Abschnitt (p. 33 u. f.) die Gründe aufgeführt, welche
uns keinen Zweifel darüber lassen, dass die Kernsubstanz in der
That es ist, welche die Vererbungs-Anlagen enthält, und sobald
dies feststeht, kann von einer Selbstbestimmung des Theilungs-
Apparates keine Rede mehr sein. Wir müssen uns vielmehr
vorstellen, dass die für uns unsichtbare feinste Structur des
Zellkörpers das ganze Wachsthum desselben, die Art und Weise
seiner Theilung und den Theilungsrhythmus bestimme, während
diese Structur selbst von der Kernsubstanz, dem Idioplasma,
bestimmt wird. In letzter Instanz hängt also Alles von der
Determinante einer Zelle ab, und das Zusammenwirken der
väterlichen und mütterlichen Determinante ist es, was bei ge-
schlechtlicher Fortpflanzung den Charakter der Zelle, sei er
sichtbar oder unsichtbar, bestimmt. Da nach unserer Ansicht
jede Zelle der gesammten Ontogenese nur von einer Deter-
minanten-Art beherrscht wird, mag die Zelle nun noch andere
Determinanten in latentem Zustand enthalten oder nicht, so ist
es also immer das Zusammenwirken homologer väterlicher und
mütterlicher Determinanten, welches der Zelle ihren Stempel
aufdrückt und den Aufbau des Individuums soweit bestimmt,
als der Einfluss dieser Zelle reicht. Es leuchtet ein, dass dabei
eine der Endzellen der Ontogenese, d. h. der Gewebezellen trotz
ihrer höheren histologischen Differenzirung doch einen ge-
[345] ringeren Einfluss hat, als eine der vier ersten Furchungszellen,
oder als die Stammzelle des gesammten inneren Keimblattes,
oder als irgend eine Zelle, aus der noch viele und verschieden-
artige Zellen hervorgehen. Auf der andern Seite darf man aber
auch nicht vergessen, dass jede der embryonalen Zellen auch
nur ihre eigene Theilungsweise bestimmt, nicht ohne Weiteres
auch die ihrer Töchter, dass somit in diesen von Neuem ein
Abwägen oder Zusammenwirken der väterlichen und mütter-
lichen Determinanten stattfindet u. s. w.
Die Determinanten, welche die Tochterzellen beherrschen,
stammen aber von dem latenten Theil der Ide der Mutterzelle,
und es hängt deshalb wesentlich von dem Theilungsmodus und
der Architektur dieser Ide ab, welche Determinanten die Tochter-
zellen beherrschen werden. Insofern also nimmt der augen-
blicklich latente Theil der Ide der Mutterzelle einen
entscheidenden Einfluss an der Bestimmung der weiteren
Entwickelung, ja von ihm allein hängt die Zahl und Reihen-
folge der in Zukunft noch aktiv werdenden Determinanten ab
und durch ihn werden also in erster Linie alle jene „Eigen-
schaften“ bestimmt, welche nicht blos in der histologischen
Natur der einzelnen Zelle, sondern in der Zahl und Gruppirung
der Zellen ihren Grund haben.
Aus diesen Verhältnissen erklärt es sich, warum nur
Kreuzungen zwischen nahe verwandten Arten, nicht aber solche
zwischen Angehörigen ganz verschiedener Familien erfolgreich
sind. Könnte man z. B. das Ei eines Seeigels mit der Samen-
zelle eines Wurms, etwa Rhabditis nigrovenosa befruchten, so
würde schon bei der ersten Furchung die Zerlegung der Keim-
plasma-Ide bei den mütterlichen Iden in ganz anderer Weise
erfolgen, als bei den väterlichen; die mütterlichen würden sich
in die Determinantengruppe der linken und in die der rechten
Körperhälfte zerlegen, während die väterlichen Ide in die Gruppe
[346] der Determinanten für das äussere und in die für das innere
Keimblatt zerfielen. So ungleichartige Determinantengruppen
werden aber nicht zusammenwirken und mittlere Bildungen
hervorrufen können, und selbst wenn die Ontogenese noch
einige Stadien weiter sich fortsetzte, so würden daraus doch
niemals harmonische Embryonalbildungen hervorgehen können.
Wenn wir solche Determinanten und Ide, welche homologe
Zellen und Zellengruppen bestimmen, als homologe Determi-
nanten und Ide bezeichnen, so werden überall da Mittel-
bildungen zwischen den zwei Eltern entstehen können,
wo homologe Determinanten und Ide zusammentreffen.
Wenn z. B. zwei nahe verwandte Schmetterlings-Arten auf
einer bestimmten Stelle des Flügels einen kleinen Fleck besitzen,
der durch eine Determinante im Keimplasma vertreten ist, so
werden bei der Kreuzung der beiden Arten ihre homologen
Determinanten in der Stammzelle dieses Flecks zusammentreffen
und eventuell dieselbe gemeinsam bestimmen können. Sie brauchen
aber nicht ganz gleich zu sein, die Art A kann den Fleck in
Braun, die Art B ihn in Roth haben; ihre Determinanten
würden dann zwar homolog, nicht aber homodynam sein und
könnten möglicherweise zur Bildung eines braunrothen Fleckes
sich vereinigen. Dieses ist der springende Punkt in der
amphigonen Vererbung, dass im Idioplasma jeder Zelle
der ganzen Ontogenese nicht lauter identische Ide
enthalten sind, sondern individuell verschiedene, und
dass aus dem Zusammenwirken derselben der Zelle ein
mittlerer Charakter aufgeprägt werden kann. Bei der
normalen Fortpflanzung sind die aktiven Ide im Idioplasma einer
Zelle alle homologe, d. h. sie zielen auf die Bestimmung der-
selben Körperstelle hin, sie sind aber untereinander verschieden
oder, wie ich sagen möchte, heterodynam, d. h. sie streben
dieser selben Körperstelle einen etwas andern Charakter auf-
[347] zuprägen. Bei Kreuzung verschiedener Arten wird das Idio-
plasma einer Zelle auf vielen Stadien sich nicht blos aus
homologen, sondern zum Theil aus heterologen Iden zusammen-
setzen, und dann wird es sich — wie eben gezeigt wurde —
fragen, ob überhaupt noch, und auf wie viele Zellgenerationen
hinaus eine gemeinsame Bestimmung der Zellen stattfinden kann.
Die Schmetterlingsschuppen sind Endzellen der Ontogenese,
und ihre Ide sind nur noch aus einer Art von Determinanten
gebildet. Je weiter wir gegen den Anfang der Ontogenese
zurückgehen, um so zahlreichere Determinanten setzen die Ide
zusammen, während immer nur eine derselben sich in ihre
Biophoren auflöst und die Zelle bestimmt. So lange nun diese
die aktuelle Zelle bestimmende Determinante bei beiden Eltern
einander homolog ist, wird eine Mittelbildung der Zelle statt-
finden können, sobald aber die übrigen Determinanten der Ide
nicht mehr einander entsprechen, wird die weitere Entwickelung
von Schritt zu Schritt mehr gehemmt und endlich zum Still-
stand gebracht werden. Was bei der fictiven Kreuzung eines
Seeigels und eines Wurmes von Beginn der Ontogenese an ein-
treten müsste, das kann also ebensowohl partiell, d. h. in
Bezug auf bestimmte Theile, eintreten. Gesetzt, es
gäbe ein Insekt, welches an Stelle der Flügel Rücken-Beine be-
sässe bei sonstiger Übereinstimmung des Körpers, und man
könnte diese Art mit einem normalen geflügelten Insekt kreuzen
und Entwickelung des befruchteten Eies eintreten lassen bis
zum Punkt der Flügelentwickelung, so stünden sich dann im
Idioplasma der Stammzelle der Flügel, respective der „Rücken-
Beine“ zwei gänzlich heterologe Ide von Seiten des Vaters
und der Mutter gegenüber, Ide, von deren Determinanten keine
der andern homolog sein könnte. Bei der nun beginnenden
Entwickelung des Flügels, respective Rücken-Beines würden sich
also in jeder Zellgeneration gewissermassen feindliche Determi-
[348] nanten gegenüberstehen, die eine gemeinsame Bestimmung der
Zelle ausschlössen.
Solche extreme Fälle kommen in Wirklichkeit nicht vor,
da dafür gesorgt ist, dass stark verschiedene Arten sich nicht
kreuzen, aber bei der Bastardbildung werden die Principien
Anwendung finden, die man aus diesen erdachten Fällen ab-
leiten kann: homologe Determinanten und Ide wirken zu-
sammen, heterologe nicht, und je grösser die Zahl hetero-
loger Determinanten in den homologen Iden der Eltern ist,
um so mehr schliessen die Vererbungstendenzen der Eltern
sich aus.
Ich wende mich nun zur theoretischen Erklärung des
ersten der drei beobachteten Fälle von Mischung der
elterlichen Charaktere im Kinde, zu dem Falle, dass „die
elterlichen Charaktere in allen Theilen der Pflanze
ein Mittel bilden“.
Nehmen wir an, die beiden elterlichen Arten stünden sich
so nahe, dass jeder Determinante der einen Art eine homologe
Determinante der andern Art entspräche, so müsste eine genaue
Mittelbildung zwischen beiden Arten zu Stande kommen unter
der Voraussetzung, dass die Zahl der Ide beiderseits gleich
und dass die bestimmende Kraft der homologen Determi-
nanten die gleiche wäre.
Dass das Idioplasma eines Elters, welches durch eine
grössere Zahl von Iden vertreten ist, auch an bestimmender
Kraft überlegen sein muss, liegt auf der Hand, was aber die
bestimmende Kraft der einzelnen Determinanten betrifft, so lässt
sich darüber etwa Folgendes sagen. Die Bestimmung der Zelle
geschieht nach unserer Ansicht dadurch, dass die Determinante
sich in ihre Biophoren auflöst, und dass diese Letzteren nach
dem Vorbilde der Pangene von de Vries in den Zellkörper
einwandern und dort sich auf Kosten des Zellkörpers vermehren
[349] und zu bestimmten Zellstructuren gestalten. Diese Vermehrung
wird mit einer gewissen Energie vor sich gehen, die für ver-
schiedene Biophorenarten verschieden gross sein wird. Sobald
also in demselben Zellkörper solche bestimmende Biophoren
einwandern, welche in ihrer Wachsthumsenergie nicht ganz
gleich sind, wird ein Kampf der Theile (Roux) entstehen
müssen, in welchem der Stärkere siegt und der Schwächere
mehr oder weniger unterdrückt, ja völlig beseitigt wird.
Wenn also reine Mittelbildungen vorkommen, so setzt dies
voraus, dass die bestimmende Kraft der homologen Determi-
nanten die gleiche war. In Wirklichkeit wird es indessen nie-
mals zutreffen, dass bei zwei verschiedenen Arten lauter homo-
loge Determinanten vorkommen, was schon daraus hervorgeht,
dass die Zellenzahl homologer Theile oft sehr verschieden ist.
Die Art-Charaktere hängen ja keineswegs blos von der histo-
logischen Beschaffenheit der einzelnen Zellen ab, sondern —
wie schon gesagt wurde — fast noch mehr von der Zahl und
Anordnung der Zellen, von der Wiederholung und Stellung
gewisser Organe u. s. w. So ist die Blüthe von Nicotiana pani-
culata erheblich länger, als die von rustica, auch ist die erstere
Art reicher verästelt und besitzt zahlreichere Drüsen, als die
letztere. Die obige Annahme, dass jeder Determinante von
paniculata eine solche von rustica entspreche, kann also nicht
genau sein, vielmehr muss die erstere Art zahlreichere Determi-
nanten im Keimplasma enthalten, und der Zerlegungsprocess
des Idioplasma’s muss vielfach von dem bei rustica abweichen.
Wenn nun im Bastard gleich viel Ide von paniculata und
von rustica enthalten sind, so werden beiderlei Ide nur so lange
in der Ontogenese zusammenwirken können, als ihre Determi-
nanten sich noch entsprechen. Sobald ein Punkt erreicht ist,
an dem die Ide von rustica zur Neige gehen und ihre letzten
Determinanten aufgelöst haben, werden fortan nur noch die Ide
[350] der paniculata weitere Zellfolgen ins Leben rufen können. Da
diese aber nur in der halben Normalzahl vorhanden sind, mögen
auch die von ihnen noch ausgehenden Bildungen nicht so voll-
ständig werden, wie in der reinen Stammform, ganz abgesehen
davon, dass möglicherweise die Ide der rustica doch nicht ganz
verschwinden, sondern mit den Nachkommen ihrer letzten De-
terminante sich über ihre eigentliche Dauer hinaus erhalten
und so ein Hinderniss für die Entwickelung der reinen pani-
culata-Charaktere werden mögen. So wird es wenigstens im
Princip vorstellbar, wie Mittelformen auch da entstehen können,
wo der Kampf der Eltern-Ide nicht bis in die letzten Zellen
der Ontogenese hineinreicht, wo vielmehr die Species-Charaktere
schon früher aufeinander treffen, wie eben bei der schwachen
oder reichen Verästelung der Pflanze. Aus dem Folgenden wird
dies noch besser klar werden.
Der zweite Fall ist der, dass in allen Theilen der Misch-
pflanze entweder die väterlichen oder die mütterlichen Charaktere
vorherrschen, dass also die Mischpflanze mehr dem einen
Elter nachschlägt: scheinbar einelterliche Vererbung.
Beobachtungen dieser Art liegen mehrfach vor, und zwar
sowohl Fälle von Vorherrschen der väterlichen, als der mütter-
lichen Charaktere. Beispiele für Beides finden sich schon in
derselben Gattung Nicotiana. „Der Bastard Nicotiana pani-
culata ♀ × vincaeflora ♂ ist der N. vincaeflora so ähnlich, dass
die N. paniculata kaum noch darin zu erkennen ist“ (Focke
p. 289). Hier überwiegt also der Vater, während bei der Kreuzung
von Nicotiana suaveolens ♀ × N. Langsdorffii ♂ „wenig Ähn-
lichkeit mit N. Langsdorffii zeigt“; hier überwiegt also die
Mutter, die Bastardpflanzen sind der suaveolens „ungemein ähn-
lich“ und unterscheiden sich von ihr nur „durch eine theil-
weise Lösung der Staubfäden von der Kronenröhre, durch eine
leichte Abänderung in Farbe und Grösse der Blüthen, durch
[351] violette oder bläuliche Färbung der Staubbeutel und durch
vollständige Unfruchtbarkeit“ (Focke, p. 289).
Weitere Beispiele finden sich bei Focke, p. 474, angeführt,
wo es heisst: „In manchen Fällen ist der Mischling einer der
Stammformen so ähnlich, dass er für eine leichte Abänderung
derselben gehalten werden könnte.“ „So ist Dianthus armeria ×
deltoides dem Dianthus deltoides, Dianthus caryophyllus × chi-
nensis dem D. caryophyllus, Melandryum rubrum × noctiflorum
dem M. rubrum, Verbascum blattaria × nigrum dem V. nigrum,
Digitalis purpurea × lutea der D. lutea viel ähnlicher als der
zweiten Stammart.“
Diese Fälle scheinen mir besonders wichtig wegen der
Rückschlüsse, die sie auf die ganz ähnlichen Vorkommnisse bei
der individuellen Vererbung des Menschen erlauben. Die
idioplasmatische Erklärung dieser „scheinbar einelterlichen“
(pseudo-monogonen) Vererbung, wie ich sie nennen will, würde
bei den Pflanzenmischlingen etwa folgendermassen zu geben sein.
Das Vorwiegen des einen Elters, z. B. der Mutter, würde
auf einer grösseren Zahl der Idanten und Ide der be-
treffenden Art beruhen können. Besässe z. B. Digitalis lutea
32 Idanten, D. purpurea nur 16 bei gleicher Idziffer des ein-
zelnen Idanten, so würden, auch bei gleicher bestimmender
Kraft der Ide, doch die Ide der D. lutea in jeder Zelle der
ganzen Ontogenese den Sieg davon tragen, d. h. den betreffenden
Zellen den Lutea-Stempel stärker aufdrücken, als die Purpurea-
Ide ihnen den ihrigen aufprägen könnten. Man wird einwerfen,
dass die Zelle deshalb doch nicht reine Lutea-Zelle werden
könne, dass eine Mittelform entstehen müsse, wenn auch eine
solche, die stärker der Lutea-Zelle gliche. Darüber aber, in
wie weit „Mittelformen“ einzelner Zellen im einzelnen Falle
möglich sind, können wir nicht urtheilen, und der Ausdruck
der „Resultante“ ist den unbekannten Kräften der Biophoren
[352] gegenüber höchstens ein Bild, jedenfalls aber ein völlig un-
genügendes. Wir müssen uns begnügen zu sagen, dass bei
sehr ungleicher bestimmender Kraft der beiden in
der Zelle zusammenwirkenden Determinanten die Wirkung
der schwächeren von beiden unter Umständen verschwindend
klein werden kann. Es findet ein „Kampf der Biophoren“
statt, den man sich einstweilen so vorstellen mag, dass der
Stärkere rascher assimilirt, wächst und sich vermehrt und
dadurch dem Schwächeren Nahrung und Platz wegnimmt,
seine Vermehrung hindert, ja wohl ihn ganz vernichtet und
selbst als Nahrung verwerthet. Ohne eine sehr bedeutende
Vermehrung aber kann die Schaar der aus dem Kern in den
Zellkörper auswandernden Biophoren wohl keine bestimmende
Wirkung auf den Zellkörper ausüben. Es scheint mir deshalb
ganz wohl denkbar, dass auch bei völliger Gleichheit der Id-
Ziffer auf mütterlicher und väterlicher Seite doch der Schein
einelterlicher Vererbung, d. h. eine gänzliche Unterdrückung der
Elemente des einen Elters eintreten kann.
Um so viel mehr wird dies eintreten können, wenn die
Zahl der Ide auf der einen Seite grösser ist, als auf der andern,
und da wir wissen, dass selbst bei nahe verwandten Arten die
Zahl der Idanten erheblich verschieden sein kann, so ist es
nicht unwahrscheinlich, dass der „scheinbar einelterlichen“ Ver-
erbung diese Ursache zuweilen zu Grunde liegt. Bei manchen
Pflanzenbastarden wird eine direkte Prüfung dieser Annahme
durch Feststellung der Idantenzahl möglich sein.
Der dritte der oben angeführten Fälle von Vermischung
der elterlichen Charaktere scheint mir in theoretischer Beziehung
fast als der wichtigste, weil er am tiefsten in die intimen Vor-
gänge im Idioplasma hineinführt. Dies ist der Fall, in welchem
die Theile der Mischpflanze abwechselnd bald mehr
dem Vater, bald mehr der Mutter nachschlagen. In
[353] scharf ausgesprochener Form scheinen solche Fälle zwar nicht
sehr häufig zu sein, in geringeren Graden aber findet ein
Schwanken von der väterlichen nach der mütterlichen Seite
hin fast bei allen solchen Bastarden statt, welche man gewöhn-
lich als Mittelformen bezeichnet. Es wurde oben schon er-
wähnt, dass die von Koelreutter für eine reine Mittelform ge-
haltene Bastardpflanze von Nicotiana rustica ♀ × paniculata ♂
in der Länge der Kronenröhre ein Wenig näher der paniculata,
in der Weite derselben dagegen ein Wenig näher der rustica
steht. Solche kleine Schwankungen von dem reinen Mittel
nach der einen und der andern Seite hin scheinen sehr häufig
zu sein. Es giebt aber auch Fälle, in denen sie eine be-
deutendere Grösse erlangen und auffällig werden. Manchmal
erinnert z. B. der Mischling in den Blättern mehr an die eine,
in den Blüthen mehr an die andere Stammform. Brandza1)
hat neuerdings einige Bastarde auch mit dem Mikroskop auf
ihre Zusammensetzung aus elterlichen Merkmalen geprüft und
hat bei manchen von ihnen einen solchen Wechsel nachweisen
können. So zeigte Marrubium Vaillantii, ein Bastard von Leo-
nurus Cardiaca und Marrubium vulgare die zwei Flügelkanten
des Blattstieles von Marrubium vulgare, aber im Innern des
Blattstieles die Anordnung der Gefässbündel von Leonurus. Die
Oberseite des Blattstieles zeigte die verzweigten Haare von
Leonurus, während auf der Unterseite Haare wie bei Marrubium
vulgare standen.
Ich will diesen Wechsel in der Ähnlichkeit mit den Eltern
nach Organen als „Verschiebung der Vererbungs-
Resultante in der Ontogenese“ bezeichnen.
A priori hätte man denken können, dass eine solche über-
haupt nicht möglich sei. Wenn, wie es doch feststeht, die
Weismann, Das Keimplasma. 23
[354] Vererbung mit der Befruchtung virtuell vollendet ist, wenn
also mit der einmal gegebenen Mischung der elterlichen Keim-
plasmen auch das Verhältniss der elterlichen Idioplasmen für
alle folgenden Stadien der Ontogenese gegeben ist, so
könnte man erwarten, dass an allen Theilen der kindlichen
Pflanze die Charaktere der Eltern in gleicher Mischung
auftreten müssten, dass also entweder das Mittel zwischen ihnen,
oder ein Uberwiegen des Vaters oder der Mutter überall in
gleicher Weise sichtbar werde. Wenn dies nun dennoch auch
anders sein kann, ja sogar häufig anders ist, so sind dafür
mehrere Ursachen denkbar.
Zunächst ist an das oben schon Gesagte zu erinnern, daran,
dass eine gleichmässige Mischung zweier Charaktere nicht immer
den Eindruck eines mittleren Charakters zu machen braucht,
dass überhaupt eine genaue Bestimmung des Begriffes eines
mittleren Charakters für uns nicht möglich ist, weil wir nur
den letzten Effekt der in der Zelle wirkenden Kräfte sehen,
nicht aber die Vorgänge selbst, durch welche derselbe bewirkt
wird. Dies würde indessen nur erklären, wie der Schein einer
Verschiebung der Vererbungs-Resultante entstehen kann. Es
giebt aber ohne Zweifel auch wirklich eine solche Verschiebung.
Ich glaube, dass dieselbe hauptsächlich darauf beruht, dass
die Zahl der homodynamen Determinanten innerhalb
des Idioplasma’s der Zelle im Laufe der Ontogenese
wechseln kann, ja immer wechseln muss. Bei dem einen
Stadium oder Organ werden die väterlichen, bei dem andern die
mütterlichen Ide eine grössere Zahl homodynamer Determinanten
enthalten, und darauf muss das im Voraus fest bestimmte
Schwanken im Vorwiegen väterlicher oder mütterlicher Charak-
tere beruhen.
Um dies klar zu legen, muss ich aber etwas auf das Capitel
von der Variation übergreifen.
[355]
b. Intermezzo über Variation.
Es wurde bisher angenommen, dass das Keimplasma einer
Art aus Iden zusammengesetzt sei, von denen jedes sämmt-
liche Artcharaktere enthalte. Eine kurze Überlegung ergiebt
aber, dass dies nicht völlig genau sein kann. Es ist nicht nur
denkbar, sondern es muss sogar angenommen werden, dass die
Entfaltung der Artcharaktere, geradeso wie die des Individuums
nur der Ausdruck einer Kräfte-Resultante ist, deren Compo-
nenten, die Ide, keineswegs völlig gleich sind. Die grössere
Mehrzahl dieser Ide wird allerdings sämmtliche Art-Determi-
nanten enthalten, d. h. die sämmtlichen Charaktere der Art aus
sich allein schon hervorzubringen im Stande sein, aber eine
Minderzahl wird die phyletische Umwandlung ihrer Determi-
nanten, welche eben die Entstehung und Herausbildung dieser
Art ausmachten, noch nicht eingegangen sein. Diese Minder-
zahl wird auch unter sich nicht in allen ihren Determinanten
gleich sein müssen, sondern das eine Id wird etwa nur unver-
änderte Determinanten der Stammart enthalten, während ein
anderes schon eine grössere Übereinstimmung mit den reinen
Iden der heutigen Art zeigen mag, aber doch noch einige alte
Determinanten beibehalten hat und so fort. Eine derartige
allmälige Umwandlung der Ide in Bezug auf eine grössere
Anzahl von Determinanten muss wohl den Process der Art-
bildung ausmachen, und es entspricht durchaus dem Princip der
Variation, wenn wir annehmen, dass gerade wie bei den für
uns sichtbaren Lebenseinheiten, den Einzelligen, den Personen
und Stöcken die Abänderung bei einzelnen Individuen in ver-
schiedenem Grade und verschiedener Richtung auftritt, dies
auch bei den unsichtbaren niederen Lebenseinheiten, dem Id
und dem Biophor der Fall sei. So wird also die oben vor-
läufig gemachte Annahme, dass das Keimplasma einer
Art in Bezug auf die Artcharaktere aus lauter iden-
23*
[356]tischen Iden bestünde genau genommen nicht richtig
sein können; dasselbe muss sich vielmehr zusammen-
setzen aus einer Mehrzahl von vollständig abgeän-
derten und mit den neuen Art-Determinanten ver-
sehenen Iden, und einer Minderzahl nur unvollkommen
oder wohl auch gar nicht abgeänderter Ide der Stamm-
art. Die Zahl der Letzteren wird durch Selection der Indi-
viduen im Laufe der Zeiten allmälig abnehmen, und damit
werden die neuen Artcharaktere mehr und mehr ihre ursprüng-
liche Veränderlichkeit verlieren. Durch Naturzüchtung wird
das Keimplasma mehr und mehr von seinen nur wenig oder
noch gar nicht in der neuen Richtung abgeänderten Iden be-
freit, indem die minder gut angepassten Individuen eben die
sind, in deren Keimplasma noch eine grössere Zahl nicht um-
gewandelter Ide enthalten ist. Da nun diese, die Individuen,
nach und nach im Kampf ums Dasein ausgemerzt werden, so
wird sich die Zahl der nichtabgeänderten Ide in den folgenden
Generationen immer mehr verringern müssen, und dieser Züch-
tungsprocess des Keimplasma’s wird erst zum Still-
stand kommen, wenn die Zahl der nicht oder unvoll-
kommen abgeänderten Ide so klein geworden ist,
dass ihr Einfluss in Bezug auf die Ausbildung der
für die Art wesentlichen Charaktere verschwindend
klein geworden ist.
Dieser Process der Umzüchtung der Keimplasma-Ide wird
aber einmal sein Ende erreichen, und zwar, wie jeder Züchtungs-
process dann, wenn eine Fortsetzung desselben keinen weiteren
Vortheil mehr mit sich führen würde. Wie irgend eine An-
passung einer Thierart sofort stehen bleibt und sich nicht mehr
weiter vervollkommnet, sobald eine weitere Steigerung nutzlos
wäre, so wird auch der ihr zu Grunde liegende Umwandlungs-
und Ausmerzungsprocess der Ide aufhören, sobald die voll-
[357] kommen umgewandelten so stark in der Majorität sind, dass die
andern nur noch einen verschwindend kleinen Einfluss auf die
Beschaffenheit der Nachkommen ausüben können. Die nütz-
lichen, auf neue Anpassungen abzielenden Charaktere werden
dann bei der normalen Fortpflanzung, d. h. bei der Vermischung
von Individuen der Art untereinander, stets zur vollen Aus-
bildung gelangen, trotzdem im Keimplasma einige nicht ab-
geänderte Ide enthalten sind. Es ist ganz so wie z. B. bei der
Blattähnlichkeit eines oft genannten Schmetterlings, der Kallima
parallecta. Diese Ähnlichkeit ist eine sehr weitgehende, aber
dennoch keine vollkommne; auf die zusammengeklappten Flügel
ist das Bild des Blattes mit Mittel- und Seitenrippe, mit stärker
und schwächer angefaulten, mit trockeneren und feuchteren
Stellen, ja selbst mit einem Thautropfen darauf gemalt, aber
nicht sämmtliche Seitenrippen sind eingezeichnet,
sondern nur einige nach rechts und einige nach links
abgehende. Dies genügt vollkommen, um verfolgende Vögel zu
täuschen, eine noch genauere Copie der Blattzeichnung würde
die Täuschung nicht mehr erhöhen, die ja nur für eine gewisse
Entfernung wirksam zu sein braucht, deshalb hat sie sich nicht
gesteigert, sondern ist auf diesem Stadium der Ähnlichkeit
zum Stillstand gekommen. Ganz ebenso muss es sich mit der
Umwandlung der Ide des Keimplasma’s verhalten, wenn es sich
um eine neue Anpassung der Art handelt; es wird auch hier
nicht der Zustand absoluter, sondern nur der einer relativen
Vollkommenheit erreicht werden, nicht alle, sondern nur der
grössere Theil der Ide kann durch Selection zur Umwandlung
gebracht werden, ein kleinerer Theil muss lange Zeiten und
Generationen hindurch in unverändertem oder wenig veränderten
Zustand mitgeführt werden.
[358]
Ich habe diese Episode über die Art-Umwandlung des
Keimplasma’s hier einschalten müssen, um meine Erklärung für
die Thatsache der „ontogenetischen Verschiebung der
Vererbungs-Resultante“ verständlich erscheinen zu lassen.
Es ergiebt sich aus dem oben entwickelten Vorgang der all-
mäligen Umprägung der Keimplasma-Ide und dem Mitführen
nicht umgewandelter Ide, dass jedes Art-Keimplasma ein
Gemisch aus Iden von etwas verschiedenem Gepräge
sein muss. Denn es werden zwar viele Charaktere einer Art
gleichzeitig, viele andere aber auch successiv im Laufe langer
Generationsfolgen aufgetreten sein, und nicht alle Charaktere
der Art werden in der gleichen Zahl von Iden als Determinanten
enthalten sein. Vielmehr müssen die ältesten Charaktere in
nahezu allen, etwas jüngere in einer überwiegenden Mehrzahl,
noch jüngere vielleicht immer noch in der Mehrzahl der Ide
enthalten sein, während solche Charaktere, die eben erst an-
gefangen haben, nützlich zu sein, noch lange nicht in der
Majorität der Ide jeden Individuums enthalten sein werden.
Dies fällt offenbar zusammen mit dem Grade von Variabilität
der Charaktere, der ja bekanntermassen bei verschiedenen Cha-
rakteren einer Art ein sehr verschiedener sein kann. Charaktere,
die eben erst anfangen gezüchtet zu werden, können nur in
einer Minderheit von Individuen durch eine Majorität von Iden
vertreten sein, Charaktere von geringerer Variabilität sind solche,
die schon seit längerer Generationsreihe gezüchtet und deshalb
schon in zahlreichen Iden zahlreicher Individuen vorhanden sind,
solche Charaktere endlich, die bereits längst ein fester Besitz
sämmtlicher oder nahezu sämmtlicher Individuen der Art ge-
worden sind, müssen auch in nahezu allen Individuen in der
Majorität der Ide vertreten sein. Umgekehrt müssen solche
Eigenschaften, welche anfangen für die Art werthlos
zu werden, nur in einer immer grösseren Minderheit
[359] von Iden enthalten sein, sie müssen allmälig abnehmen bis
zu dem Punkt, wo ihre Zahl so gering ist, dass sie den be-
treffenden Charakter nicht mehr hervorbringen können der
erdrückenden Majorität der übrigen Ide gegenüber.
Fassen wir das Keimplasma in dieser Art auf, so lässt sich
verstehen, dass die Vererbungsstärke bei Kreuzung zweier Arten
im Laufe der Ontogenese wechseln kann, dass in einem
Charakter die väterliche Tendenz dominirt, im andern die
mütterliche. Denn sehen wir auch ganz ab von der möglicher-
weise ja auch verschiedenen Vererbungsstärke der einzelnen De-
terminanten, und nehmen diese bei den gekreuzten Arten als
gleich an, so wird doch die Zahl der Ide, welche homodyname
Determinanten enthalten, je nach dem Alter des betreffen-
den Charakters verschieden sein müssen. Die grössere Zahl
von Iden mit homodynamen Determinanten wird aber eine grössere
Vererbungsstärke bedeuten. Wenn die Blüthenform der Art A
ein sehr alter Erwerb, die Blattform aber ein sehr junger Er-
werb ist, und wenn es sich bei der mit A gekreuzten Art B
umgekehrt verhält, so wird der Mischling in der Blüthenform
mehr der Art A, in der Blattform mehr der Art B nach.
schlagen müssen. Bei der Art A werden mehr homodyname
Determinanten für die Blüthenanlage einer geringeren Zahl
homodynamer Determinanten der Art B gegenüber stehen; bei
Letzterer aber wird die Zahl homodynamer Determinanten der
Blattanlage die grössere sein. Die Bedeutung des ganzen
Princips wird in dem folgenden Abschnitt noch klarer her-
vortreten.
Kampf der individuellen Merkmale.
Bei der bisherigen Untersuchung wurde von dem Verhalten
der individuellen Merkmale der beiden Eltern abgesehen; sie
durften bei der Kreuzung von Arten den Art-Unterschieden
[360] gegenüber als verschwindend klein betrachtet werden. Wir
wenden uns jetzt zu solchen Fällen, in welchen die beiden Eltern
sich nur durch die kleinen individuellen Charaktere unterscheiden,
und müssen uns hier an den Menschen halten, da wir bei diesem
das Individuelle am schärfsten zu erkennen vermögen.
Bei der Fortpflanzung und Vererbung des Menschen tritt
vor Allem ein Unterschied gegenüber der Bastardbildung im
Pflanzenreich hervor und dies ist: die Ungleichheit der von
einem Elternpaar abstammenden Kinder. Bei den Pflanzen-
mischlingen sind die Nachkommen einer Kreuzung auffallend
constant, und nicht einmal blos die Kinder eines Elternpaares,
sondern alle Kinder, die durch Kreuzung beliebiger Pflanzen
der beiden Arten erhalten werden, wenn diese selbst constant sind.
Die Ungleichheit der Kinder eines menschlichen Eltern-
paares wurde oben schon berührt und auf die stets wieder in
anderer Weise halbirende Reductionstheilung des Keimplasma’s
zurückgeführt, durch welche bei grösserer Idantenzahl eine er-
staunliche Menge verschiedener Mischungen desselben bewirkt
wird. Da diese Idanten in Bezug auf die individuellen An-
lagen sehr verschieden sind, so kommen also dabei stets wieder
neue Mischungen individueller Anlagen zu Stande, während die
Art-Merkmale davon nicht berührt werden.
Wenn wir es versuchen wollen, die Art und Weise, wie
die Charaktere der Eltern sich im Kinde mischen, zu erklären,
d. h. auf idioplasmatische Vorgänge zurückzuführen, so stehen
wir auch hier drei Hauptfällen gegenüber: 1. Das Kind hält
die Mitte zwischen den Charakteren der Eltern, 2. das
Kind folgt dem einen Elter allein ganz oder vor-
wiegend nach, und 3. die Charaktere des Kindes folgen
abwechselnd bald dem Vater, bald der Mutter nach.
Der erste Fall wäre, falls er überhaupt rein vorkommt,
auf genau die gleiche bestimmende Kraft sämmtlicher Determi-
[361] nanten zu beziehen. Die Zahl der Idanten ist hier als gleich
zu nehmen, da es sich um dieselbe Art handelt, diejenige der
Ide wird wohl auch nur geringe Unterschiede aufweisen können;
weiter wird auch die Zahl der Determinanten des Keimplasma’s
ganz oder doch nahezu bei beiden elterlichen Keimzellen die-
selbe sein können. Theoretisch würde auf dieser Grundlage
eine reine Mittelform dann entstehen, wenn jeder Determinante
des Vaters eine homologe Determinante der Mutter entgegen-
stünde und wenn diese homologen Determinanten genau von
der gleichen bestimmenden Kraft wären, d. h. wenn sie gleich-
viel Biophoren enthielten, und wenn die homologen Biophoren
beider Seiten gleich starke Assimilations- und Vermehrungskraft
besässen. Das sind Voraussetzungen, welche schwerlich jemals
alle zusammen eintreffen werden, aber annähernd und für eine
gewisse Anzahl von Charakteren werden sie zutreffen können.
Es kann wohl nicht bezweifelt werden, dass auch der
zweite Fall vorkommt, dass es Fälle giebt, in welchen das
Kind nur dem einen Elter nachfolgt, sei es dem Vater
oder der Mutter, und zwar nicht nur in dem, was wir gewöhn-
lich „Ähnlichkeit“ nennen, in Gesichtsbildung und Ausdruck,
sondern ebenso sehr in Statur, Wuchs, Verhältniss der Glied-
maassen, Haut- und Haarbeschaffenheit, Charakter und Tem-
perament.
Die Schwierigkeit der Erklärung ist hier eine doppelte:
erstens fragt es sich, wie es möglich sein soll, dass alle An-
lagen des einen Elters, z. B. des Vaters, in einer seiner Keim-
zellen enthalten sein können, da sein Keimplasma doch vor der
Fertigstellung dieser Keimzellen durch die Reductionstheilung
halbirt wurde, und zweitens, wie es kommt, dass das Keim-
plasma der Mutter ganz ohne Einfluss auf die Bildung des
Kindes bleibt?
Fassen wir zunächst die erste Frage ins Auge, wie es
[362] möglich sei, dass trotz der Reductionstheilung des Keimplasma’s
dennoch alle Charaktere des Vaters in einer seiner Keimzellen
enthalten sein können? Wäre die Halbirung durch die Re-
ductionstheilung nur eine Massentheilung, so bedürfte es keiner
weiteren Erklärung, denn die Qualität der Massenhälfte könnte
genau dieselbe bleiben, die sie vorher im Ganzen war, allein es
handelt sich dabei um eine Reduction der Einheiten des Keim-
plasma’s auf die halbe Zahl, die Id-Ziffer wird auf die Hälfte
herabgesetzt, und da — wie die Pflanzen-Bastarde zeigten —
der Bau des Kindes die Resultante der im Keimplasma sich
vereinigenden Ide beider Eltern ist, so versteht man nicht, wieso
die halbe Zahl dieser Ide dennoch die vollen Charaktere des
Elters hervorbringen kann. Es ist dabei, genau genommen,
einerlei, ob es sich um alle oder nur um einen Charakter
handelt, denn jeder einzelne Charakter beruht ja auf dem Zu-
sammenwirken sämmtlicher Ide der betreffenden Onto-Stufe.
Es giebt hier nur einen Ausweg, dieser aber beruht auf
der durch Thatsachen erhärteten Annahme, dass auf jeder
Onto-Stufe1)die Ide des einen Elters in ihrer be-
stimmenden Kraft gleich Null werden können.
In dieser Hinsicht sind die Beobachtungen an Pflanzen-Bastarden
unschätzbar, weil wir bei diesen sicher wissen, dass die Ide
der andern Art vorhanden sind, wenn sie auch in ihren Wir-
kungen nicht sichtbar werden. Die scheinbar „einelter-
liche“ Vererbung bei ihnen gestattet uns den Schluss, dass
die Ide des einen Elters durch die des andern von
der Bestimmung der Zelle, Zellengruppe oder
des ganzen Theiles ausgeschlossen werden können,
wie das oben ausgeführt wurde.
Wir werden also annehmen dürfen, dass, wenn bei der
[363] Reductionstheilung alle diejenigen Idanten in eine Keimzelle,
z. B. in eine der Mutter, gelangen, welche bei der Onto-
genese dieser Mutter die bestimmenden (domi-
nirenden) gewesen waren, diese Keimzelle unter Um-
ständen im Stande sein wird, das mütterliche „Bild“1) im Kinde
wieder hervortreten zu lassen. Damit dies aber geschehen könne,
wird es nöthig sein, dass sie sich mit einer Samenzelle verbindet,
deren Keimplasma im Allgemeinen von schwächerer bestimmen-
der Kraft ist, als ihr eigenes, über welches sie also selbst
wieder „dominirt“.
Die bestimmende Kraft des Idioplasma’s wird hier, wie
bei der Kreuzung von Arten nicht immer von derselben Ur-
sache abhängig sein.
Gewisse Fälle stärkerer Vererbungskraft einzelner Charak-
tere lassen ein tieferes Eindringen nicht zu. So hebt schon
Darwin die weisse Farbe bei Blumen, aber auch bei Thieren
als eine Eigenschaft hervor, die sich sehr leicht auf die Nach-
kommen überträgt, wenn weisse Individuen mit dunkel ge-
färbten gekreuzt werden; die Mehrzahl der Nachkommen erbt
die weisse Farbe. Man kann hier nur annehmen, dass die Bio-
phoren, deren Herrschaft in der Zelle das Weiss hervorruft,
„stärker“ sein müssen, als andere, die Bildung von Pigment
veranlassende Determinanten, und zwar wird man diese „Stärke“
in einer grösseren Assimilationskraft suchen müssen.
Anders steht es in vielen andern Fällen, in denen sich die
grössere Vererbungskraft auf quantitative Unterschiede in
der Zusammensetzung der väterlichen und der mütterlichen
Idanten-Gruppe beziehen lässt.
Allerdings wird die Zahl der Ide bei allen Individuen der
[364] Species Mensch ganz oder doch nahezu die gleiche sein 1), aber
ein Übergewicht der Ide des Vaters oder der Mutter kann
dennoch dadurch eintreten, dass, wie schon bei den Bastarden
gezeigt wurde, auf der Seite des einen Elters eine grössere
Zahl homodynamer Determinanten steht.
Wir verstanden unter homologen Determinanten die-
jenigen Elemente des Idioplasma’s, welche die homologe Körper-
stelle oder Determinate zu bestimmen im Stande sind, unter
homodynamen Determinanten aber diejenigen unter homo-
logen Determinanten, welche derselben Körperstelle den gleichen
Charakter aufzuprägen geeignet sind, welche also in dem oben
gebrauchten Beispiel den Fleck auf dem Flügel eines Schmetter-
linges in derselben Farbe und Form hervorzurufen streben.
Es unterliegt nun keinem Zweifel, dass die bestimmende Kraft
desjenigen Elters die grössere sein muss, dessen Ide viele homo-
dyname Determinanten enthalten, oder doch eine grössere An-
zahl von solchen, als sie in den Iden des andern Elters ent-
halten sind. Homodyname Determinanten werden ihre be-
stimmende Kraft einfach summiren, während ungleiche oder
heterodyname Determinanten im besten Falle zu einer Resul-
tante zusammenwirken können, unter Umständen aber auch sich
in ihrer Wirkung gegenseitig hemmen, ja vielleicht aufheben
werden. Je mehr homodyname Determinanten auf irgend einer
Onto-Stufe in der Gesammtheit der Ide eines Elters enthalten
sind, um so grösser also ist die Aussicht für diesen, im
Kampf der Theile, welcher sich in der Zelle abspielt, Sieger zu
bleiben und derselben seinen Stempel mehr oder weniger rein
aufzudrücken.
[365]
Gesetzt, es handele sich um die Farbe der Augen; die
Mutter habe blaue, der Vater braune Augen. Die Zahl der
väterlichen und der mütterlichen Ide im Idioplasma der Pig-
mentzellen der Regenbogenhaut sei zwar die gleiche, aber beim
Vater seien neun Zehntel der Ide aus „braunen“1) Determinanten
zusammengesetzt und nur ein Zehntel aus andersfarbigen, wäh-
rend die Ide der Mutter zwei Drittel blaue und ein Drittel
braune Determinanten enthielten. Im Kind wird dann höchst
wahrscheinlich die Iris braun werden, da die neun Zehntel
braune Determinanten des Vaters sich mit dem einen Drittel
homodynamer Determinanten der Mutter zu einer Gesammt-
wirkung verbinden werden. Der Sieg der braunen Determi-
nanten würde aber auch dann noch sicher sein, wenn in den
Iden der Mutter gar keine braunen Determinanten enthalten
wären, sondern statt deren etwa grüne oder rothe — an-
genommen, es gäbe grüne oder rothe Pigmentzellen in der Iris
des Menschen. Denn in diesem Falle würden neun Zehntel der
väterlichen Determinanten verschiedenen kleinen Gruppen hetero-
dynamer Determinanten der Mutter gegenüber stehen. Mög-
licherweise könnten diese Letzteren das Braun, welches die
väterliche Determinantengruppe allein hervorrufen würde, modi-
ficiren, indem auch sie einen Theil des Zellkörpers bestimmten,
aber es ist ebensowohl denkbar, dass sie gänzlich durch die
väterlichen Determinanten überwunden und von der Bestimmung
der Zelle ausgeschlossen würden. Wie sich da im einzelnen
Falle der Kampf der Theile gestaltet, entzieht sich, wie gesagt,
[366] für jetzt noch gänzlich unserer Schätzung, dass aber unter
Voraussetzung gleicher bestimmender Kraft der Determinanten
ihre Zahl von entscheidender Bedeutung sein muss, unterliegt
keinem Zweifel.
Da nun durch die geschlechtliche Fortpflanzung die Mischungs-
verhältnisse des Keimplasma’s in jedem neuen Idividuum wieder
anders sich gestalten, so wird auch die Zahl homodynamer De-
terminanten irgend eines Merkmals sich immer wieder ändern
müssen. Im Capitel über Variation wird sich zeigen, dass sogar
Selectionsprocesse eine Steigerung oder Abnahme der Zahl homo-
dynamer Ide einzelner Charaktere bewirken können, auch wenn
dieselben biologisch nicht wichtig genug sind, um jemals zu
Art-Charakteren werden zu können.
Dasselbe Spiel der Kräfte muss sich also in Bezug auf in-
dividuelle Charaktere geltend machen, wie bei den Art-Charak-
teren. So gut bei den Pflanzenbastarden der Vater die Blatt-
form, die Mutter die Blüthenform oder umgekehrt bestimmen
können, so gut kann beim menschlichen Kind die Augenfarbe
vom Vater, die Mundform von der Mutter geerbt werden. Ob
ein Charakter dem einen oder dem andern Elter folgt, hängt
in beiden Fällen davon ab, ob die Idantengruppe eines Elter
eine überwiegende Majorität homodynamer Determi-
nanten dieses Charakters enthält. Ist dies der Fall, so unter-
drückt diese Majorität die zersplitterte Minorität des andern
Elters.
Weder hier noch dort ist es nothwendig, dass das Über-
wiegen des Vaters in einem Charakter dessen Herrschaft in
allen übrigen Merkmalen bedingt. Das Keimplasma besteht
aus der gleichen Zahl väterlicher und mütterlicher Idanten und
Ide, welche sich während der ganzen Ontogenese gleich bleibt.
Nach unserer Voraussetzung enthält jedes Id des Keimplasma’s
sämmtliche Determinanten der Art, z. B. die Determinante a für
[367] den Charakter A, die Determinante b für den Charakter B. Nun
brauchen aber nicht alle Keimplasma-Ide lauter homodyname
Determinanten zu enthalten; wenn Id I die Determinante a1 ent-
hält, so enthält Id II vielleicht für den homologen Charakter
die Determinante a2, Id III die Determinante a3, Id IV die De-
terminante a4 u. s. w. Nichts hindert, dass dasselbe Id I, welches
die Determinante a1 für den Charakter A enthält, für den dem
Charakter B homologen Charakter nicht die Determinante b,
sondern b2 enthält. Bezeichnen wir die Determinanten der ent-
sprechenden Charaktere, also derjenigen, die für einander vica-
riiren können, mit denselben Buchstaben, so kann ein bestimmtes
Id, z. B. Id I des Keimplasma’s die Determinanten a1, b2, c4, d3,
e1, f5, g6, h8, i5 u. s. w. enthalten. Wenn nun im Keimplasma
des Vaters Id I, Id II, Id III, Id IV u. s. w. bis zum letzten Id,
welches ich einmal als Id XX bezeichnen will, alle für den
Charakter A die Determinante a1 enthalten, und keines derselben
eine der Variationen a2, a3 u. s. w., so wird diese Determinante
a1 stärker sein, als jede andere von der Mutter her im
Idioplasma der betreffenden Zelle etwa vorkommende Variante
von a, falls keine dieser Varianten die Ziffer 20 erreicht. Es
wird also der Charakter A1 der betreffenden Zelle oder Zellen-
gruppe aufgeprägt werden, nicht der von A2 oder A3. In Bezug
auf den Charakter B kann sich dies ganz anders verhalten, in-
dem hier die Determinante b3 oder b4 u. s. w. in den meisten
Iden und Idanten die dominirende sein kann; dann wird also
B3 oder B4, kurz eine der anderen Varianten von B hervor-
gerufen werden.
Wenn nun die Gruppe der väterlichen Idanten der der
mütterlichen zweien Kraftcentren verglichen werden kann, von
welchen jedes die Herrschaft über die Zelle zu erlangen be-
strebt ist — wenn man dieses Bild gestattet —, so wird jede
dieser beiden Kräfte bestimmt werden durch die Einzelkräfte
[368] der sie zusammensetzenden Idanten, die Kraft jedes Idanten
aber durch die Einzelkraft jedes den Idanten zusammensetzenden
Id’s. Es seien z. B. auf jeder Seite zwei Idanten, und von
diesen bestünde jeder aus zehn Iden, und es handele sich um
die Entscheidung, welche Variante des Charakters A factisch
gebildet werden solle, so könnte z. B. folgende Sachlage die
Entscheidung geben. Die väterlichen Idanten P1 und P2 könnten
sich aus je 10 Iden zusammensetzen, von denen je 6 und 8 die-
selbe Determinante a5 enthielten. Dann würden die beiden
Idanten übereinstimmend den Charakter A5 herbeizuführen streben,
und zwar mit einer bestimmenden Kraft von 6 + 8 = 14 Iden.
Die mütterlichen Idanten M1 und M2 sollen ebenfalls je 10 Ide
enthalten; M1 setzt sich aus 2 Determinanten a, 4 Determi-
nanten a3, 3 Determinanten a7 und 1 Determinante a10 zusammen;
dieser Idant M1 wird demnach den Charakter A3 mit einer Kraft
von nur 4 Iden zu bilden bestrebt sein. Wenn nun der andere
mütterliche Idant M2 etwa auch den Charakter A6 mit allen
seinen Iden, also mit einer Kraft von 10 Iden herbeizuführen
bestrebt wäre, so würde doch die väterliche über die mütter-
liche Idantengruppe den Sieg davontragen, weil 14 väterliche
homodyname Ide gegen 10 mütterliche stehen. Möglicherweise
würden in diesem Falle beide Elterngruppen den Charakter ge-
meinsam bestimmen, die väterliche aber stärker, als die mütter-
liche. Würden aber z. B. 18 homodyname Ide des Vaters gegen
nur 4 homodyname Ide der Mutter stehen, so würde der Ein-
fluss der Letzteren in Bezug auf den Charakter A ganz unter-
drückt werden. So müssen wir wenigstens aus der Thatsache
schliessen, dass die Charaktere des einen Elters rein vererbt
werden können, ohne sichtbare Beimischung der entsprechenden
Charaktere des andern Elters. Gerade dieser Punkt der Theorie
scheint mir — wie oben schon gesagt wurde — der sicherste
zu sein, zu dessen Annahme die Thatsachen geradezu zwingen,
[369] sobald man die Erfahrungen an den Pflanzenbastarden mit ver-
werthet. Die bestimmende Kraft der väterlichen oder mütter-
lichen Idantengruppe kann in Bezug auf die einzelnen Merk-
male und Merkmalsgruppen eine ganz verschiedene sein, je
nach der Zahl homodynamer Determinanten der betreffenden
Merkmale. Ferner aber hängt es nicht nur davon ab, ob das
einzelne Merkmal väterlich oder mütterlich, oder gemischt aus-
fällt, sondern von der Gesammt-Zahl der homodynamen Deter-
minanten diesseits und jenseits.
Wenn ich hier immer von Idanten gesprochen habe, so
wollte ich damit nicht sagen, dass jeder Idant für sich als ein
Ganzes wirke. Ebensowenig stelle ich mir vor, dass die
Gesammtheit der väterlichen Ide als eine Kraft-Resultante der
Gesammtheit der mütterlichen Ide gegenüber stehe. Es ist
sehr wohl denkbar, dass dieselben homodynamen Ide auf beiden
elterlichen Seiten vorkommen, und diese werden ebenso gut ihre
Wirkung summiren, als wenn sie alle auf einer Seite lägen; bei
naher Inzucht müssen sogar homodyname Ide häufig bei beiden
Eltern vorkommen, und ebenso bei Arten, welche in relativ ge-
ringer Individuenzahl auf kleinen isolirten Wohngebieten wohnen.
Es ist klar, dass dieser Kampf der Eltern-Ide auf jedem
Punkte der Ontogenese stattfindet, und dass die Entscheidung
anders ausfallen muss, je nach dem Stande der Kräfte auf
diesem Punkte. So erklärt sich der so häufige Wechsel in der
Eltern-Nachfolge oder der Mischung der Eltern-Charaktere in
den verschiedenen Theilen des Körpers.
Mir scheint, dass die Thatsachen, so viele deren mir bekannt
sind, mit dieser Erklärungsweise in befriedigender Weise stimmen.
Ich habe mich bemüht, im Hinblick auf diese bisher noch nicht
scharf ins Auge gefasste Frage neue Thatsachen zu sammeln.
Es ist leider schwerer, als man glauben sollte, aber ich will
Einiges davon anführen.
Weismann, Das Keimplasma. 24
[370]
Es giebt Fälle, in welchen ein grösserer Theil dem Vater,
einzelne Untertheilstücke desselben aber der Mutter nachfolgen.
Dies würde unerklärbar sein, wenn nicht das Ganze von der
Resultante einer andern Determinante bestimmt würde, als das
Einzelne. Die eine, die Urzelle des ganzen Theils bestimmende
Determinante und ihre unmittelbaren Nachfolger entscheiden
dann zunächst über den Rhythmus der Zelltheilung und die
erste Gestaltung des ganzen Organs, aber auf jedem folgenden
Stadium tritt je eine der folgenden Determinanten bestimmend
auf, und da deren Einfluss immer die Resultante aus den
homologen Determinanten sämmtlicher Ide der Zelle ist, so kann
zu jeder Zeit ein Wechsel zwischen väterlicher und mütterlicher
Nachfolge eintreten.
Ich kenne eine Persönlichkeit, bei welcher die ganze Haut,
soweit sie vom äussern Keimblatt herrührt, dem Vater nach-
gebildet ist. Bei Vater und Kind ist die Epidermis dick, leicht
verhornend, kielige Nägel an der Hand, dicke Schwielenbildung
an der Fusssohle. Hier muss also die Kraftresultante der väter-
lichen Determinanten von der Ur-Ektodermzelle ab durch lange
Zellfolgen hindurch immer stärker gewesen sein, als die mütter-
liche. Bei der, ebenfalls vom äussern Keimblatt ausgehenden
Bildung des Gehirns scheint aber umgekehrt die Resultante der
mütterlichen Determinanten die stärkere gewesen zu sein, denn
in den meisten geistigen Anlagen gleicht die betreffende
Persönlichkeit der Mutter, in Verstand, Talenten und Willens-
energie. Das ist einfach dadurch möglich, dass die Determi-
nanten der späteren Nachkommen der Ur-Ektodermzelle auf
sie selbst noch keinerlei Einfluss ausüben konnten; sie waren
noch latent und wurden nur von ihr an ihre Nachkommen
weiter gegeben. Wenn nun spätere Nachkommen dieser Ur-
Ektodermzellen die Anlage des Gehirns bilden, und in ihren
Iden sind mehr homodyname Determinanten der Mutter, als
[371] des Vaters vorhanden, so wechselt hier die Eltern-Nach-
folge.
In meinem Fall scheint nicht das ganze Gehirn der Mutter
gefolgt zu sein, denn in dem betreffenden Charakter kommen
auch sehr prägnante väterliche Züge vor. Nach unserer Theorie
ist auch ein solcher mehrfacher Wechsel der Vererbungstendenzen
ganz wohl als vom Keim her vorausbestimmt dadurch zu be-
greifen, dass die Kraft der väterlichen und natürlich ebenso die
der mütterlichen Ide durch jeden weiteren Theilungsschritt der
Ide in der Ontogenese verändert, und das Verhältniss zwischen
mütterlicher und väterlicher bestimmender Kraft verschoben
werden kann. Man wird im Allgemeinen sogar erwarten dürfen,
dass in den meisten Fällen bald die eine, bald die andere Gruppe
überwiege, und dass somit das Kind immer aus einem örtlich
wechselnden Gemenge ererbter Charaktere zusammengesetzt sei.
Die Theile oder Organe, welche demselben Elter folgen, werden
dabei sehr verschieden gross sein können, denkbarerweise von
einer Zelle bis zu einem ganzen Organ, oder Keimblatt, oder
sogar dem gesammten Organismus hin.
Im Allgemeinen entsprechen die Thatsachen diesem Schluss
aus der Theorie, denn selten oder wohl nie ist ein Kind die
genaue Wiederholung des Vaters oder der Mutter. Es ist zwar
sehr schwer, darüber ein sicheres Urtheil zu gewinnen, da dazu
eine genaue Kenntniss von Elter und Kind aus entsprechenden
Lebensaltern gehörte, und da eine genaue Vergleichung über-
haupt nur bei Vater und Sohn, Mutter und Tochter möglich
ist. Man müsste also Photographien von Vater und Sohn aus
denselben Lebensaltern vergleichen können, was meines
Wissens bisher zum Behuf von Vererbungsstudien noch nie ge-
schehen ist. Auch müsste der ganze Körper aufgenommen
werden, nicht blos das Gesicht.
Soweit die heute übersehbaren Thatsachen reichen, weicht
24*
[372] das Kind auch in Fällen grosser Ähnlichkeit doch immer vom
Elter ab, oft in einzelnen Charakteren, noch öfter wohl in un-
bestimmbaren, wenig charakteristischen Dingen, wie z. B. in der
Länge der Gliedmaassen, Farbe der Haare oder der Augen, Dichte
der Behaarung u. s. w. Man kann dann nicht sagen, diese
Theile folgten dem andern Elter nach, aber man hat den Ein-
druck, als sei hier die Haupt-Vererbungsrichtung ein wenig in
unbestimmbarer Weise abgelenkt. Es überwiegt also hier beim
Kind so sehr die Ähnlichkeit mit z. B. der Mutter, dass Jeder-
mann sagt, diese Tochter sei ein reines Abbild der Mutter,
allein genaue Vergleichung ergiebt, dass von einer wirklichen
Übereinstimmung nicht die Rede sein kann, und dass zwar kein
einziger väterlicher Charakter vorhanden ist, dennoch aber eine
Menge Verschiedenheiten von den entsprechenden Theilen der
Mutter. Wenn man sich der identischen Zwillinge erinnert,
wird man nicht zweifeln, dass manche der kleinen Verschieden-
heiten zwischen ihnen auf Verschiedenheiten des Keimplasma’s
beruhen müssen und nicht auf verschiedenen äusseren Einflüssen.
Dies heisst aber nichts Anderes, als dass das Keimplasma beider
Eltern einen Antheil an der Bestimmung der kindlichen Theile
genommen hat, wenn auch vielleicht das des einen nur einen
geringen und wenig markirten, d. h. einen solchen, der mehr in
einer geringen Ablenkung z. B. der mütterlichen Charaktere,
als in der Ausbildung specifisch väterlicher besteht.
Wenn diese Ansicht richtig ist, wenn niemals blos das
Keimplasma des einen Elters allein den Aufbau des Kindes
bestimmt, dann leuchtet um so mehr ein, dass auch bei dem
grössten Übergewicht der Vererbungsrichtung des einen Elters
dennoch Mutter und Tochter niemals die Ähnlichkeit identischer
Zwillinge erreichen können. Denn wie das Bild der Tochter
durch den schwachen Einfluss des väterlichen Keimplasma’s
etwas von dem Bild abgelenkt wird, welches aus dem mütter-
[373] lichen Keimplasma allein entstanden sein würde, so muss auch
bei der Mutter selbst, falls auch sie ihr Wesen dem Vorwiegen
des einen elterlichen Keimplasma’s verdankt durch den schwä-
cheren Einfluss des andern Elters ein Wenig abgelenkt worden
sein. Es ist aber nicht möglich, dass die vollständigen Keim-
plasmen beider Grosseltern in der Keimzelle der Mutter ent-
halten waren, aus welcher die Tochter hervorging, da ja die
Reductionstheilung die Hälfte des Keimplasma’s aus der Eizelle
entfernt, bevor Befruchtung eintritt. Wenn also auch die das
Bild der Mutter wesentlich bestimmende Idantengruppe in der
Eizelle zurückblieb, aus welcher sich die Tochter entwickelte,
so muss nothwendig die dieses Bild etwas modificirende Idanten-
gruppe des andern Grosselters fehlen; folglich kann das Bild
von Mutter und Tochter aus dem doppelten Grund nicht voll-
ständig stimmen, weil bei der Entstehung der Tochter der Ein-
fluss des einen Grosselters fehlt und weil der des Vaters hinzu-
kommt.
Die folgenden Beispiele mögen zeigen, in wie verschieden-
artiger Weise, der Theorie entsprechend, die elterlichen
Vererbungstendenzen im Laufe der Ontogenese wechseln
können. Beim Menschen, als einem bilateral gebauten Wesen,
sind alle Theile doppelt vorhanden, die nicht in der Median-
ebene liegen, und diese sich entsprechenden Organe fallen ge-
wöhnlich ganz oder nahezu gleich aus in Bezug auf Vererbung.
Wenn die eine Hand entschieden mütterlich ist, so ist es in
der Regel auch die andere, und wenn das linke Bein ein Mittel
aus den Charakteren beider Eltern ist, so ist es das andere
genau in demselben Grade. Selbst ein so feines Merkmal, wie
die Farbe der Augen, stimmt in der Regel in beiden Augen;
selbst dann, wenn sie das Mittel aus der Farbe der Eltern ist,
schwankt sie doch nur um eine leichte Schattirung. Man möchte
geneigt sein, daraus auf eine einheitliche Anlage doppelter Or-
[374] gane im Keimplasma zu schliessen; dies wäre aber ein Trug-
schluss, denn abgesehen von andern, früher schon erwähnten
Thatsachen, die einer solchen Ansicht entgegenstehen, giebt es
auch Ausnahmen von der Gleichheit doppelt vorhan-
dener Organe. Bei Hunden, besonders Dogen, kommt manch-
mal ein braunes und ein blaues Auge vor, und auch beim
Menschen habe ich einen solchen Fall in Erfahrung bringen
können. Er betrifft eine Familie in einem schwäbischen Städt-
chen, bei welcher der Vater, ein Bierbrauer, blaue Augen hat,
die Mutter braune, und ein Töchterchen von zwölf Jahren ein
blaues und ein braunes Auge.
Abgesehen von diesen Fällen verlangt aber auch die häufig
zu beobachtende einseitige Vererbung von Muttermälern
und andern kleinen Merkmalen die Annahme doppelter De-
terminanten für die sich entsprechenden Theile beider
Körperhälften. Man wird sich also jedes Id des Keim-
plasma’s der Bilaterien von vornherein bilateral gebaut zu denken
haben, und zwar so, dass sämmtliche Determinanten des ganzen
Körpers doppelt vorhanden sind, natürlich auch diejenigen der
in der Medianebene scheinbar gelegenen Organe, da sie ja in
Wahrheit auch aus zwei einander entsprechenden Hälften be-
stehen. Bei zahlreichen thierischen Eiern entsprechen die beiden
ersten „Furchungszellen“ oder Blastomeren des Eies der rechten
und der linken Körperhälfte des später daraus sich entwickeln-
den Thieres. Hier wird also die erste Theilung des befruchteten
Eikernes die Determinanten der rechten und linken Körperhälfte
von einander trennen, ein Vorgang, der sich recht gut mit der
thatsächlich eintretenden Längsspaltung der Idanten verträgt,
da durch dieselbe jedes der sphärischen Ide halbirt wird.
Wie die Entstehung einer so auffallenden Übereinstimmung
in den homologen Theilen der Antimeren oder Gegenstücke
des Körpers zu erklären ist, gehört in die Umwandlungsge-
[375] schichte der Arten. Die Festhaltung dieser Ubereinstimmung
bei der fortwährenden Kreuzung der Individuen beruht natür-
lich eben auf dieser annähernden Gleichheit der entsprechenden
linken und rechten Determinanten bei beiden Eltern. Es ist
klar, dass nach unserer Vorstellung von dem Bau des Idio-
plasma’s mit der Gleichheit der antimeralen Determinanten beider
Eltern auch die Gleichheit der betreffenden Theile des Kindes
gegeben ist, denn mit diesen Determinanten ist auch die Ver-
hältnisszahl der auf mütterlicher und väterlicher Seite vor-
handenen homodynamen Ide, und damit das Verhältniss zwischen
der „bestimmenden Kraft“ des väterlichen und mütterlichen Idio-
plasma’s für das betreffende Organ gegeben. Da dies nun rechts
und links gleich sein muss, so muss auch das Organ selbst auf
beiden Seiten dieselbe Mischung väterlicher und mütterlicher
Charaktere aufweisen, d. h. es muss rechts und links gleich sein.
Ich glaube nicht, dass diese Thatsachen sich durch irgend
eine der andern theoretischen Annahmen vom Bau der Vererbungs-
substanz verstehen lassen. Die Annahme von Pangenen z. B.
könnte wohl erklären, dass eine Mischung väterlicher und mütter-
licher Merkmale für das betreffende Organ, z. B. das äussere
Ohr, überhaupt zu Stande käme, nicht aber, wieso dieselbe für
das rechte und linke Ohr die gleiche sein müsste.
Für die Richtigkeit des auf anderem Wege gefundenen
Satzes von der Vorausbestimmung der Vererbungsmischung eines
jeden Theiles vom Keim aus scheinen mir gerade diese That-
sachen ein weiterer und willkommener Beweis zu sein. Un-
möglich könnte das rechte und linke Ohr gleich ausfallen, wenn
nicht schon in der Beschaffenheit der mütterlichen und väter-
lichen Idanten das Kraftverhältniss der beiderseitigen Ver-
erbungstendenzen für sämmtliche Theile des Kindes im Voraus
gegeben wäre.
Nun giebt es aber Ausnahmen von der Regel. Eine Ver-
[376] schiedenheit homologer Theile der beiden Antimeren kommt
vor, wie erwähnt wurde; sie findet sich sogar bei gewissen
Thieren häufig, wenn auch nur in Bezug auf Merkmale von
untergeordneter biologischer Bedeutung. Es ist bisher der That-
sache wenig Aufmerksamkeit geschenkt worden, dass viele unserer
Hausthiere in der Zeichnung ihrer Haut die ursprüng-
liche Symmetrie verloren haben. Gescheckte Katzen, Hunde,
Pferde, Kühe, Meerschweinchen sind keine Seltenheit und
bilden den Beweis, dass die Symmetrie der Zeichnung durch
Domestication vollständig verloren gehen kann. Die Erklärung
wird davon ausgehen müssen, dass diese ursprünglich symme-
trischen Färbungen durch die Domestication ihren biologischen
Werth einbüssten. Wenn die Determinanten dieser Charaktere
auf der rechten Seite anders variirten, als auf der linken, und
wenn in Folge dessen das betreffende Thier gescheckt wurde,
so brachte ihm dies keinen Nachtheil, es konnte trotzdem leben
und Nachkommen hervorbringen. Paarten sich dann zwei ver-
schiedentlich gescheckte Thiere mit einander, so entstand noch
grössere Asymmetrie der Färbung und Zeichnung, wie denn
thatsächlich bei manchen unserer Rinderrassen kein Stück mehr
dem andern gleich ist in Bezug auf Zeichnung und ebenso bei
vielen Hunden und bei den Meerschweinchen der gewöhnlichen
Art. Wir wissen ja, von wie bedeutendem Werth für die Er-
haltung des Individuums und der Art diese Zeichnungen und
Färbungen im Naturzustand sein können; es wird deshalb
gerechtfertigt sein, die Erhaltung ihrer Symmetrie von Natur-
züchtung abhängig zu denken und den Verlust derselben auf
Panmixie zu beziehen.
In Bezug auf die den Körper der gegliederten Thiere zu-
sammensetzenden, hintereinander gelegenen Theilstücke, die
Metameren, besitzen wir einige Thatsachen, welche beweisen,
dass abwechselnd die mütterlichen und die väterlichen Charaktere
[377] herrschen können. Beim Menschen lässt sich dies begreiflicher-
weise nicht nachweisen, da die metamerale Gliederung sich auf
Knochen, Muskeln und Nerven beziehen, die äusserlich nicht
sichtbar sind. Dass aber hintereinander folgende Theile, selbst
wenn sie homolog sind, gelegentlich ein anderes Vererbungs-
bild liefern können, glaube ich beobachtet zu haben. Die Arme
eines Kindes nebst den Händen können rein mütterlich, und
dennoch die Beine und Füsse rein väterlich sein. Ich habe mich
bemüht, irgend welche Regeln aufzufinden, nach welchen gewisse
der Ontogenese nach zusammenhängende Organe auch gleiche
elterliche Mischung zeigen möchten, allein ich habe, ausge-
nommen die Symmetrie der Körperhälften, nichts Sicheres finden
können. Es scheint, dass hier alle Möglichkeiten auch Wirk-
lichkeit werden können. Die Schädelform kann väterlich, das
Gesicht mütterlich sein; die ganze Kopf- und Gesichtsform kann
mütterlich und dennoch die Augen in ihrer ganzen Bildung
väterlich sein. Das Grübchen im Kinn, welches der Vater be-
sitzt, kann sich im Sohn wiederfinden, obwohl derselbe in Ge-
sichtsform und Nase der Mutter viel ähnlicher ist, als dem Vater.
Die Mischung der Eltern-Merkmale kann aber noch weit mehr
ins Einzelne gehen, wie besonders die merkwürdige Verquickung
elterlicher Geistesgaben andeutet. Es kann der Intellekt von
der Mutter, das Wollen vom Vater stammen, die dichterische
Begabung von der Mutter, Selbstlosigkeit vom Vater sich mit-
einander verbinden, und Alles dies in einem Schädel enthalten
sein, dessen Form wesentlich nur dem einen der Eltern gleicht.
Gewiss aber sind diese Mischungen elterlicher Geistesmerkmale
nicht immer leicht und nicht immer ganz sicher festzustellen,
besonders auch weil diese geistigen Charaktere nicht immer
in entgegengesetztem Sinne bei den Eltern entwickelt sind,
sondern oft nur in Abstufungen. Aber so viel dürfte doch als
sicher betrachtet werden, dass das Gehirn selten blos dem
[378] einen Elter in allen seinen Theilen und feinsten Struc-
turverhältnissen nachfolgt, dass vielmehr meistens eine
Mischung oder ein Wechsel elterlicher Verhältnisse eintritt, der
von der allermannigfaltigsten Art ist.
Diese Thatsache möchte ich damit in Zusammenhang bringen,
dass kein Körpertheil des Menschen so stark und so ins Ein-
zelne hinein von Wichtigkeit für den Lebenserfolg, für den
„Kampf ums Dasein“ ist, als das Gehirn, dass deshalb seine
Theile nie aussetzenden Selectionsvorgängen unterworfen sein
müssen. Dieses aber ist gleichbedeutend damit, dass die Zahl
homodynamer Determinanten in seinen einzelnen Theilen ausser-
ordentlich verschieden beim Einzelnen, und ausserordentlich
wechselnd bei verschiedenen Individuen ist.
Man wird vielleicht diesen Darlegungen über den Kampf
der individuellen Merkmale einwerfen, dass sie zu Widersprüchen
mit den Voraussetzungen führen. Man wird vielleicht bestreiten,
dass ein Wechsel väterlicher und mütterlicher Erbstücke auf
Grund meiner Theorie möglich sei, da die Vererbung eines
väterlichen Charakters voraussetze, dass die gesammte domi-
nirende Idantengruppe des Vaters in das Keimplasma des Kindes
bei der Reductionstheilung übergegangen sei, während die Ver-
erbung eines mütterlichen Charakters die Anwesenheit der ge-
sammten dominirenden Idantengruppe der Mutter beanspruche,
man wird es für unwahrscheinlich halten, dass beide zugleich
in einer Keimzelle zusammentreffen, oder doch dass dies Zu-
sammentreffen so häufig vorkommt, als es der Fall sein müsste
bei der Häufigkeit der Mischung von beiderlei elterlichen
Charakteren.
Dem ist aber zu erwidern, dass ein solches Zusammen-
treffen zweier Keimzellen bei der Befruchtung, von denen die
eine die dominirende Idantengruppe der Mutter, die andere die
des Vaters enthält, nothwendig von Zeit zu Zeit vorkommen
[379] muss, da jede mögliche Combination irgendwann einmal vor-
kommen wird. Weiter aber ist nicht zu vergessen, dass es
unendlich schwer, ja meist ganz unmöglich ist, zwischen reinen
individuellen Charakteren eines Elters und denen seiner nächsten
Vorfahren zu unterscheiden, dass aber zu dem Hervortreten
eines der Letzteren nicht nothwendig die gesammte dominirende
Idantengruppe des betreffenden Elters gehört, sondern sehr wohl
auch schon ein Theil dieser Idanten genügen kann, falls die-
selben den betreffenden Charakter durch eine grössere Zahl
homodynamer Determinanten vertreten enthalten. Sehr häufig
ist es nicht ein specifisch mütterlicher Charakter, der mit einem
specifisch väterlichen abwechselt, sondern ein allgemeiner Cha-
rakter der mütterlichen oder der väterlichen Familie; solche Cha-
raktere aber müssen in den meisten Iden der dominirenden
Idantengruppe enthalten sein; sie werden also zum Vorschein
kommen können, auch wenn die Reductionstheilung nicht genau
die ganze dominirende Gruppe des Elters in die kindliche Keim-
zelle führte, sondern nur eine gewisse Anzahl der Idanten der-
selben.
Auf der andern Seite aber stimmt es sehr wohl mit der
Theorie, wenn wir sehen, wie häufig das Kind vorwiegend dem
Vater oder der Mutter gleicht; in vielen Familien ist dies
geradezu die Regel. Es erklärt sich daraus, dass nicht nur die
volle Zahl der dominirenden Idanten das Bild des betreffenden
Elters mit annähernder Genauigkeit hervorbringen kann, sondern
auch schon eine Majorität derselben, vorausgesetzt, dass in ihnen
zahlreiche Ide mit homodynamen Determinanten enthalten sind.
So werden also viele Keimzellen eine genügende Anzahl der
dominirenden Idanten des Elters enthalten, eine andere, vielleicht
ebenso grosse Zahl derselben aber wird eine bunte Mischung
von Idanten enthalten, d. h. Ide, welche nur verhältnissmässig
wenig homodyname Determinanten einschliessen. Wenn nun
[380] eine der ersteren vom Vater mit einer der letzteren von der
Mutter in Amphimixis sich verbinden, so wird das Bild des
Vaters im Kind vorherrschen, im umgekehrten Falle aber das
der Mutter. Treffen zwei Keimzellen der ersten Art von Vater
und Mutter zusammen, so wird ein Gemenge von Charakteren
beider Eltern entstehen, und verbinden sich zwei Keimzellen der
zweiten Art, so werden im Kind weder prägnante Züge des
Vaters, noch solche der Mutter zu erkennen sein, wohl aber
solche allgemeiner Familieneigenschaften Beider.
4. Die Vererbungskraft.
Wir fanden die idioplasmatische Erklärung der „scheinbar
einelterlichen“ oder pseudo-monogonen Vererbung darin, dass
hier die dominirende Idantengruppe des Elters, z. B. der Mutter,
vollständig in die kindliche Keimzelle übergeht und dann bei
der Amphimixis mit einer schwächeren väterlichen Idantengruppe
zusammentrifft. Wenn die Überlegenheit der mütterlichen Idanten-
gruppe sich auch nicht auf alle, sondern nur auf eine grosse
Zahl der Determinanten bezieht, so wird doch schon der Ein-
druck einer grossen Ähnlichkeit des Kindes mit der Mutter
hervorgerufen werden.
Dass nun dieser Fall überhaupt vorkommt, wurde oben
schon als ein Beweis dafür betrachtet, dass die Idanten während
der Ontogenese, d. h. also von Keimzelle zu Keimzelle, in ihrer
Zusammensetzung aus Iden erhalten, ja dass sie auch bei der
Reductionstheilung oft oder meistens unverändert bleiben. Dar-
aus folgt natürlich nicht, dass gerade die Idanten-Combination,
welche in der Ontogenese des Elters dominirte, auch in den
Keimzellen des Kindes beisammen bleiben muss, sie kann es
aber, und unter den Tausenden von Ei- und den Hunderttausenden
von Samenzellen, welche von einem Individuum im Laufe seines
Lebens hervorgebracht werden, wird dieser Fall öfters eintreten.
[381]
Nun scheint es allerdings so, als ob es Individuen und
Familien gäbe, bei welchen der ganze Habitus eines Stamm-
elters sich mit grosser Zähigkeit durch eine ganze Reihe von
Generationen hindurch stets auf die Kinder übertragen habe,
bei welchen man also annehmen müsste, dass die dominirende
Idantengruppe des Stammvaters sehr häufig in den Keimzellen
der Nachkommen wieder auftrete. So ist die grosse Stirn, die
weit auseinander stehenden Augen, der kleine Mund des Kaiser-
geschlechtes der Julier durch mehrere Generationen hindurch
zu verfolgen, und ebenso die grosse und eigenthümlich gebogene
Nase der Bourbonen und die vorstehende Unterlippe der Habs-
burger. In wie weit hier der Zufall oder Täuschung mitspielt,
indem nur solche Nachkommen zur Beobachtung gelangten, bei
welchen diese Familien-Charaktere hervortraten, lässt sich schwer
entscheiden; dass aber nicht Alles dabei auf Täuschung beruht,
darf vielleicht aus ähnlichen Beobachtungen an Thieren ab-
genommen werden.
Die sog. „Individual-Potenz“ der Züchter gehört hier-
her. Es scheint vorzukommen, dass bestimmte Individuen eine
starke Neigung haben, ihre eigenen individuellen Charaktere
auf eine Mehrzahl von Nachkommen zu übertragen. Bei Pferden,
Rindern, Schafen und anderen Hausthieren sind öfters einzelne
Thiere beobachtet worden, die dieses Vermögen in hohem Grade
besassen, und die Züchter bezahlen enorme Preise für solche In-
dividuen, die freilich sich nicht blos durch die vermeintliche
Vererbungsstärke, sondern zugleich auch durch irgend welche
besonderen und wünschenswerthen Eigenschaften auszeichnen
müssen. Aber auch bei Pflanzen glaubt man ähnliche Be-
obachtungen gemacht zu haben; Vilmorin1) wenigstens, einer
[382] der berühmtesten Pflanzenzüchter, unterschied bei seinen Züch-
tungsversuchen die Individuen, welche in höherem, von den-
jenigen, welche in geringerem Maasse die Fähigkeit hatten, ihre
eigenen Eigenschaften auf ihre Nachkommen zu übertragen.
Die ersteren nannte er bons étalons und nur sie benutzte er
zur Zucht. Aber ob eine Pflanze zu dieser bevorzugten Gruppe
gehörte, konnte an ihr selbst nicht gesehen werden; darüber
entschied erst ihre Nachkommenschaft, und nach dieser richtete
denn auch der Züchter die Wahl seiner Stammpflanzen.
Darwin1), Prosper Lucas2) und Settegast3) führen
viele derartige Fälle an, unter welchen einer der bekanntesten
der des „Otternschafs“ ist, welche Rasse von einem Widder
stammt, der sich durch kurze und krumme Beine verbunden mit
langem Körper auszeichnete. Er übertrug diese Eigenschaften
auf viele seiner Nachkommen, und gewährte so seinem Besitzer
die Möglichkeit, eine besondere krummbeinige Rasse von Schafen
zu züchten, die den Vortheil bot, nicht über die Zäune springen
zu können. So verdanken die englischen Vollblutpferde ihre
Vorzüge drei Individuen: „dem Türken Byerley, den Arabern
Darley und Gadolphin“, „und die berühmte Orlow’sche Traberrasse
kann auf das Erscheinen des Hengstes Bars des Ersten zurück-
geführt werden“.
Falls wirklich diese Thiere eine stärkere „Vererbungskraft“
in dem angegebenen Sinne besassen, so wird man diese „Ver-
erbungsstärke“ nicht mit der Vererbungstreue einer Rasse
zusammenwerfen dürfen. Die Letztere, d. h. die Eigenthümlich-
keit, rein zu züchten, muss darauf beruhen, dass eine grosse
[383] Mehrzahl von homodynamen Determinanten im Keimplasma
vorhanden sind, oder — was dasselbe sagt —, dass die meisten
Ide für jeden Charakter die gleichen, d. h. die Rassen-Determi-
nanten enthalten. Je länger eine Rasse schon rein gezüchtet
worden ist mit sorgfältiger Ausmerzung aller abweichenden
Individuen, um so zahlreichere Ide werden die Rasse-Determi-
nanten enthalten und um so seltener werden noch abweichende
Individuen auftreten.
Hier handelt es sich aber zunächst nicht um Rassen-
Charaktere, sondern um Individual-Charaktere. Bei diesen
ist es unmöglich, dass sie in einer überwiegenden Majorität
von Iden des Keimplasma’s enthalten waren, aus dem das
Individuum hervorging, weil dasselbe sich aus väterlichen und
mütterlichen Iden zusammensetzt. Hier kann also eine Vererbung
des eignen „Bildes“ nur darauf beruhen, dass die bei der Ent-
wickelung des Elters dominirende Idantengruppe wieder in die
Keimzelle kommt. Ich möchte daher die sog. „Individual-
potenz“ durch die Annahme erklären, dass bei manchen Indi-
viduen die Reductionstheilung leicht derart vor sich geht, dass
sie zwischen mütterlicher und väterlicher Idantengruppe durch-
schneidet, während sie für gewöhnlich beliebige Idanten-Combi-
nationen bildet. Auf welcher Eigenthümlichkeit der Idanten
selbst oder des Kerntheilungs-Apparates dies beruhen müsste,
lässt sich für jetzt nicht sagen, so viel aber kann man sagen,
dass unmöglich jede Keimzelle eines solchen Individuums die
dominirende Idantengruppe enthalten kann, vielmehr im besten
Falle nur die Hälfte der Keimzellen. Denn die Reductions-
theilung führt unter der gemachten Annahme immer nur in
eine von je zwei Keimzellen die dominirende Idantengruppe,
in die andere aber die unterlegene. Damit stimmen die That-
sachen, insofern nie beobachtet wurde — so viel mir bekannt
ist —, dass alle Nachkommen dem mit der „Individualpotenz“
[384] begabten Elter nachgefolgt wären, vielmehr nur ein Theil der-
selben. Bei dem Otternschaf wird sogar ausdrücklich gemeldet,
dass „die Nachkommen“ jenes ersten Bockes „entweder genau
so ausfielen wie die Mutterschafe der bisherigen Zucht, oder
wie der Bock“, ein Verhalten, welches genau mit der Theorie
stimmen würde. Die Spermatozoen des Bockes, welche die
dominirende Idantengruppe enthielten, waren der Idantengruppe
der Eizelle überlegen und gaben ein „Otternschaf“, diejenigen
aber, welche die unterlegene Idantengruppe enthielten, konnten
unmöglich etwas Anderes geben, als ein gewöhnliches Schaf
der Stammrasse.
Man spricht aber noch in einem andern Sinne von grosser
„Vererbungsstärke“, nämlich im Sinne einer Überlegenheit
einer Rasse über eine andere. Nach Darwin scheint die
Shorthorn-Rasse des Rindviehes ein besonders starkes Vererbungs-
vermögen andern Rassen gegenüber zu besitzen, die Kropftaube
scheint stärkere Vererbungskraft zu besitzen, als die Pfauen-
taube, d. h. wenn die beiden Rassen miteinander gekreuzt
werden, so überwiegen die Charaktere der Kropftaube in den
Nachkommen. Dieses Überwiegen der einen Rasse wird auf den-
selben Ursachen beruhen, welche auch manche Pflanzen-Bastarde
der einen Stammart weit ähnlicher ausfallen lassen, als der
andern, wie im Anfang dieses Abschnittes besprochen wurde.
Die Überlegenheit wird hier wie dort auf einer grösseren Zahl
von Idanten, oder von Iden, möglicherweise auch blos auf einer
grösseren Zahl von Biophoren in den einzelnen Determinanten
beruhen können.
5. Zusammenfassung des Capitels IX.
Ehe wir weitergehen, ist es vielleicht nicht unerwünscht,
die Resultate der vorstehenden Untersuchung noch kurz zu-
sammenzufassen und die Solidität der Annahme, auf welcher sie
sich aufbauten, zu prüfen.
[385]
Nach meiner Ansicht beruht das Zusammenwirken der zwei
elterlichen Vererbungssubstanzen des befruchteten Eies darauf,
dass auf jeder Seite nicht blos eine einzige Einheit derselben
sich befindet, sondern deren viele. Diese, die Ide, sind auch
auf der Seite eines Elters nicht völlig gleich, obwohl sie alle
bei der normalen geschlechtlichen Fortpflanzung homologe
Determinanten enthalten, sondern sie unterscheiden sich in Be-
zug auf die geringen Unterschiede, welche wir die indivi-
duellen nennen. Die Unterschiede der Ide zwischen mütter-
licher und väterlicher Seite brauchen durchaus nicht grösser zu
sein, als die zwischen den Iden der Mutter oder des Vaters
allein; ja es kann sehr wohl vorkommen, dass einzelne gleiche
Ide auf beiden Seiten liegen, und zwar muss dies um so leichter
sich ereignen, je mehr Inzucht in den früheren Generationen
stattgefunden hat.
Jedes Id des Keimplasma’s durchläuft alle ontogenetischen
Stadien, d. h. die Zahl der mütterlichen und der väterlichen
Ide bleibt während der ganzen Ontogenese dieselbe, und jede
Zelle wird also durch die gleiche Zahl von Iden beider Eltern
bestimmt, gleich auch in dem Sinn, dass bei der Fortpflanzung
zwischen Individuen derselben Art die Zahl der väterlichen und
der mütterlichen Ide dieselbe ist.
Wenn nun trotzdem nicht eine jede Zelle des Kindes, nicht
jedes Organ und jeder Körpertheil eine genaue Mittelbildung
zwischen den entsprechenden Theilen der Eltern ist, so liegt
dies an folgenden Ursachen.
Erstens würde eine reine Mittelbildung selbst dann nicht
nothwendig zu Stande kommen müssen, wenn jederseits alle
die aktiven Determinanten einer Zelle unter sich genau gleich
oder homodynam wären. Selbst dann könnte die „bestimmende
Kraft“ der mütterlichen Determinanten derjenigen der väter-
lichen überlegen sein, indem erstere in irgend einer Weise,
Weismann, Das Keimplasma. 25
[386] vielleicht in Schnelligkeit der Assimilation und Vermehrung
den andern überlegen sind. Der Zellkörper würde dann von
den aus dem Kern einwandernden Biophoren der mütterlichen
Determinanten rascher erfüllt und dadurch die Vermehrung und
Ausbreitung der väterlichen gehindert werden. Es kann also
die bestimmende Kraft der homologen väterlichen und
mütterlichen Determinanten an und für sich schon eine
verschiedene sein.
Diese Unterschiede werden aber dadurch noch besonders
verstärkt, dass die Ide, und besonders auch die homologen Deter-
minanten jederseits nicht alle homodynam, sondern fast immer
zum Theil wenigstens heterodynam sind. Homodyname Deter-
minanten aber müssen nothwendig ihre bestimmende Kraft
summiren und die Ungleichheit in der Vererbungskraft des
Vaters und der Mutter auf irgend einem Stadium der Onto-
genese wird wesentlich darauf beruhen, dass trotz gleicher Zahl
der Ide die Zahl homodynamer, d. h. ihre Wirkung summiren-
der Determinanten verschieden ist.
Aus der Phylogenese der Variation wurde abgeleitet, dass
die Determinanten unabhängig von einander in den verschiedenen
Iden eines Keimplasma’s abgeändert haben müssen, so dass die
homologen Determinanten in ganz verschiedenen Varianten in
den Iden eines Keimplasma’s enthalten sein können, und dass
besonders die Combination dieser Varianten der Determinanten
der verschiedenen Onto-Stufen in jedem Id wieder eine besondere
sein kann. Dadurch wird bewirkt, dass die Zahl homodynamer
Determinanten auf verschiedenen Stadien der Ontogenese eine
andere sein kann, und dass in Folge dessen je nach Stadien und
Organen väterliche oder mütterliche Vererbungstendenzen vor-
herrschen können.
Die Thatsache, dass das Kind vorwiegend dem einen Elter
ähnlich werden kann, steht deshalb nicht in Widerspruch mit
[387] der andern Thatsache, dass die Ide des Elters nur in ihrer
halben Zahl in jeder seiner Keimzellen enthalten sind. Denn
nur bei reiner Mittelbildung wirken alle Ide zusammen, in
jenen Fällen aber, wo die Ide des einen Elters durch eine
überwiegende Majorität homodynamer Ide des andern Elters
besiegt und lahm gelegt wurde, erfolgt die Bestimmung
der Zelle eben nur durch die siegreichen, die „domi-
nirenden“ Ide und die andern bleiben einflusslos. Wenn nun
die Determinanten sehr zahlreicher Entwickelungsstufen in dieser
Weise denen des andern Elters überlegen sind, so wird der Schein
einelterlicher Vererbung entstehen, d. h. das Kind wird
vorwiegend diesem Elter gleichen, und wenn in irgend einer der
Keimzellen dieses Kindes die Reductionstheilung zufällig gerade
in der Weise erfolgt, dass diejenigen Ide, welche die Bildung
des Kindes beherrscht haben — die „dominirenden Ide“ —
zusammen in der Keimzelle bleiben, so wird die Möglichkeit
gegeben sein, dass dieselben auch in der folgenden Generation
wieder über die in der Amphimixis hinzutretenden Ide eines
zweiten Elters den Sieg davon tragen.
Das schon in meiner Schrift „über Amphimixis“ bezeichnete
Problem, wieso es möglich sei, dass zwar die Vererbungs-
substanz beider Eltern im befruchteten Ei enthalten sein, dennoch
aber das Kind vorwiegend dem einen Elter allein nachfolgen
könne, findet in dem Kampf der Ide in jeder Zelle der ganzen
Ontogenese seine Lösung. Dieser Kampf findet aber nur beim
Aktivwerden der Determinanten, vermuthlich also zwischen den
in den Zellkörper eindringenden Biophoren statt, von denen die
Stärkeren die an Assimilations-Energie Schwächeren vernichten,
nicht aber zwischen den noch gebundenen und also in Bezug
auf die Beherrschung der Zelle inaktiven Determinanten. Vor
Allem also findet er nicht statt zwischen den Elementen des
„Reserve-Keimplasma’s“, welches die Bildung der Keim-
25*
[388] zellen des Kindes bedingt, und dadurch wird es verständlich,
dass das Kind durchaus nicht blos Keimzellen producirt, welche
die seine eigene Ontogenese leitende Idgruppe enthalten (die
„dominirende“), sondern dass auch viele andere Id-Combinationen
in ihnen enthalten sein können.
An dieser Stelle möchte ich einer interessanten Schrift ge-
denken, welche erschien, als ich mit der letzten Ausfeilung
meines Manuskriptes schon nahezu fertig war. Sie trägt das
Pseudonym „Josef Müller“ auf ihrem Titel1) und hat speciell
das eben besprochene Problem zu lösen versucht. Der scharf-
sinnige und vortrefflich unterrichtete Verfasser nimmt meine
Ide nicht an, sondern sucht eine Erklärung für das so auf-
fallende Verschwinden der Vererbungstendenzen des einen Elters
bei der pseudo-monogonen Vererbung dadurch zu finden, dass
er die beiden homologen Anlagen von Vater und Mutter in
einen Kampf (Gamomachie) eintreten lässt, der mit dem Unter-
gang, dem völligen Aufgezehrtwerden (Gamophagie) des einen
endet. Das kommt der hier versuchten Erklärung dem Princip
nach äusserst nah, und ich muss die Grundidee für eine durch-
aus richtige halten, nur glaube ich nicht, dass man diesen Kampf
an den Beginn der Ontogenese setzen darf, wie es der
Verfasser thut. Derselbe fusst auf einer Äusserung von
O. Hertwig, nach welchem es denkbar wäre, dass bei der Be-
fruchtung die homologen „Anlagen“ des Vaters und der Mutter
sich vereinigten, und folgert dann weiter, dass bei dieser Ver-
einigung der Kampf stattfinde, der zur Vernichtung der einen
führe. Abgesehen von dem Getrenntbleiben der Idanten des
Vaters und der Mutter bei der Befruchtung, scheinen mir zahl-
reiche Vererbungserscheinungen einer solchen Vereinigung mit
nachfolgendem Kampf zu widerstreiten: das Wiederauftauchen
[389] der „vernichteten“ Anlagen in den Keimzellen und also in der
folgenden Generation, die Erscheinungen des Rückschlages,
welche zeigen, dass jede Anlage in mehr als zwei Varianten
im Keimplasma vorhanden sein muss, endlich der sexuelle Di-
morphismus, die Fälle von vielfacher Zwittermischung eines
Thieres und der sexuelle Rückschlag. Ich glaube, dass auch,
abgesehen von meiner Id-Theorie, dieser Kampf homologer An-
lagen in die einzelnen Zellen zu verlegen ist, dass dort die
Entscheidung erfolgt, wer siegt und wer unterliegt, oder auch,
wieviel von den Anlagen des einen, und wieviel von denen
des andern Elters zur Wirksamkeit gelangt. Denn es scheint
mir nicht nothwendig der eine vollständig unterliegen zu müssen,
wenn dies auch meist wohl der Fall sein wird.
Dass in einer Zelle Anlagen beider Eltern zugleich sich
entfalten können, unterliegt keinem Zweifel, wenn ich eine An-
gabe von de Vries richtig verstehe. Dieser Forscher erhielt
durch Kreuzung einer rothblüthigen mit einer weissblüthigen
Bohnenart einen Bastard mit blassrothen Blumen, und bei
diesen konnte der rothe Farbstoff gelöst in den Vacuolen der
Zellen nachgewiesen werden.1) Wenn nicht etwa blos ein Theil
der Zellen gefärbt war, ein andrer aber ungefärbt, so liegt darin
der Beweis, dass mindestens doch zwei verschiedene (hetero-
dyname) Biophoren-Arten von beiden Eltern her in derselben
Zelle zur Herrschaft gelangen können. Hier steht aber weiterer
Forschung noch ein weites Feld offen.
Die Grundlage meiner Erklärung der Mischung der elter-
lichen Charaktere ist die Annahme von Vererbungseinheiten,
den Iden, von welchen jede sämmtliche „Anlagen“ der Art,
aber in individueller Färbung enthält. Es mag deshalb am
[390] Platze sein, hier die Gründe nochmals zusammenzustellen, welche
zur Annahme solcher Ide zwingen.
Einmal führt die Zusammensetzung des Keimplasma’s aus
„Bestimmungsstücken“ oder Determinanten nothwendig dazu, in-
sofern sie eine feste Architektur des Keimplasma’s verlangen.
Es muss also mindestens eine in sich geschlossene Einheit
geben, welche das Keimplasma ausmacht und an welcher Nichts
zugesetzt und Nichts weggenommen werden kann, ohne dass
die Fähigkeit derselben, die ganze Ontogenese zu leiten, alterirt
wird. Da nun aber bei der Amphimixis mütterliches und
väterliches Keimplasma sich vereinigt, von welchen jedes
sämmtliche Anlagen der Art in sich einschliesst, so
müssen in jedem geschlechtlich erzeugten Wesen mindestens
zwei Ide im Keimplasma enthalten gewesen sein.
Dass deren mehrere, ja viele enthalten sein müssen, geht
aus den Erscheinungen hervor, welche im folgenden Abschnitt
genauer betrachtet werden sollen, aus den Rückschlagserschei-
nungen. Wir wissen, dass nicht nur die persönlichen Eigen-
schaften der Eltern, sondern auch die der Grosseltern an dem
Kind auftreten können, und dies führt zu dem Schluss, dass
Vererbungseinheiten oder Ide, die von diesen herstammen, im
Keimplasma des Kindes enthalten waren, dass folglich mehr
als zwei Ide dasselbe zusammensetzen.
Aber noch ein andrer Weg führt zu demselben Resultat.
Sobald man überhaupt einmal zu der Annahme von Vererbungs-
einheiten in dem Sinn des Id’s gekommen ist, folgt die Ver-
doppelung der Zahl derselben durch jede Amphimixis von selbst,
und es leuchtet ein, dass die Zahl der Ide sich in arithmetischer
Progression längst ins Ungeheure gesteigert haben müsste, träte
nicht die Reductionstheilung dazwischen, welche heute vor jeder
Amphimixis die Zahl der Ide auf die Hälfte herabsetzt. Diese
Reductionstheilung muss irgendwann einmal in der Phylogenese
[391] der Amphimixis zuerst aufgetreten sein. Wäre sie schon in
den Keimzellen des ersten geschlechtlich erzeugten Wesens auf-
getreten, so würde sie — vorausgesetzt, jedes der elterlichen
Keimplasmen habe vorher nur aus einem Id bestanden — immer
das Id des einen Elters aus jeder Keimzelle des Kindes wieder
entfernt haben, d. h. es würde ein Enkel niemals etwas von
seinen beiden Grosseltern zugleich erben können. Dies wird
nun auch nach unserer Theorie der zahlreichen Ide selten zu-
treffen, wenn es auch nicht als unmöglich erscheint. Aber eine
weitere Consequenz würde die einer überaus grossen Einförmig-
keit in der Bildung der aufeinander folgenden Generationen
sein, weil bei nur zwei Iden, von denen in der folgenden Gene-
ration immer eines wieder entfernt wird, dieselben einzelnen
Ide durch lange Generationsfolgen durchlaufen würden, und die
ganze Mannigfaltigkeit der Individuen, die wir beim Menschen
beobachten, auf ein sehr geringes Maass herabgedrückt würde.
Gerade die erstaunliche individuelle Mannigfaltigkeit beruht
meines Erachtens auf der Vielheit der Ide und könnte durch
Amphimixis mit nur zwei Iden nicht hervorgebracht worden sein.
Schliesslich spricht für die Existenz vieler Ide die direkte
Beobachtung, sobald man einmal überhaupt zu der theoretischen
Erkenntniss ihrer Existenz gelangt ist. Denn mögen die Ide
nun die „Chromosomen“ der Autoren (meine Idanten) sein, oder
mögen sie, wie ich annehme, in den „Mikrosomen“ gesehen
werden müssen, welche jene Chromosomen zusammensetzen,
immer ist es eine Vielheit von Iden, die wir direkt be-
obachten können.
[392]
Capitel X.
Die Erscheinungen des Rückschlags,
abgeleitet aus dem amphimixotischen Keimplasma.
1. Rückschlag auf Rassencharaktere bei Pflanzenmisch-
lingen.
Unter Rückschlag versteht man bekanntlich das Auftreten
von Merkmalen, welche bei entfernteren Vorfahren vorhanden
waren, den unmittelbaren Vorfahren (Eltern) aber fehlten. Die
Thatsachen sind ja bekannt genug, und ich will hier nur so
viel von ihnen aufführen, als zum weiteren Ausbau der Theorie
nothwendig ist.
Der einfachste Fall von Rückschlag ist bei den Bastar-
den zu finden. Es kommt vor, dass Pflanzen-Bastarde, die mit
eignem Pollen bestäubt wurden, Nachkommen hervorbringen,
von denen einige mehr oder weniger blos der einen der beiden
grosselterlichen Arten gleichen. Dies wäre also ein einfacher
Rückschlag auf den einen Grosselter. Solche Fälle kommen
zwar sicher vor, aber nicht bei allen Pflanzen-Mischlingen, und
auch da, wo sie vorkommen, nicht häufig. Darwin führt
schon zwei einander entgegengesetzte Angaben in Bezug darauf
an, nämlich Wichura, der bei seinen Weiden-Bastarden niemals
einen solchen Rückschlag beobachtete, und Naudin, welcher
ihn bei Cucurbitaceen häufig eintreten sah. Er glaubt diesen
Widerspruch durch die Angabe Gärtner’s gelöst, welcher Fälle
von Rückschlag selten bei Bastarden eintreten sah, die von wild-
wachsenden Arten gebildet worden waren, häufig aber bei
Bastarden aus cultivirten Arten. Seitdem haben sich die An-
sichten darüber noch etwas geändert, denn Focke giebt an,
dass „vollständige Rückschläge zu den Stammformen ohne Ein-
wirkung stammelterlichen Pollens fast nur bei Mischlingen aus
[393] nahe verwandten Rassen entstehen“. Jedenfalls also kommen
solche Rückschläge vor.
Ihre Erklärung ist nach unserer Theorie sehr einfach. Der
Bastard enthält in seinen Keim-Mutterzellen je eine Idanten-
gruppe der väterlichen und der mütterlichen Stammart. Wenn
nun die Reductionstheilung des Keimplasma’s dieser Mutterzellen
so halbirt, dass in eine fertige Keimzelle nur Idanten der Mutter,
in eine andre nur solche des Vaters gelangen, so ist die Mög-
lichkeit gegeben, dass bei gegenseitiger Befruchtung dieser
Bastarde zwei derartige Keimzellen sich vereinigen. Daraus
muss dann eine Pflanze hervorgehen, die der einen grosselter-
lichen Art vollkommen gleicht, da sie durch ein Keimplasma
hervorgerufen wird, welches nur aus Idanten dieser Art besteht.
Da der Fall nicht häufig eintritt, so dürfen wir schliessen, dass
die Reductionstheilung nur selten eine so reine Trennung der
väterlichen und mütterlichen Idantengruppe herbeiführt, dass
vielmehr gewöhnlich jeder der vier Keimzellen, welche aus einer
Mutter-Keimzelle hervorgehen, neben mütterlichen auch väter-
liche Idanten zugetheilt werden.
Man wird im Voraus vermuthen dürfen, dass diese Hal-
birung des Keimplasma’s, da sie einmal, wie wir gesehen haben,
Schwankungen ausgesetzt ist, auch in dem Verhältniss mütter-
licher und väterlicher Idanten schwanken wird, welche sich in
Folge der Reductionstheilung in je einer Keimzelle zusammen-
finden, und damit stimmen die Thatsachen in schönster Weise,
denn es ist eine alte Erfahrung, dass die durch eignen Pollen
fortgepflanzten Pflanzen-Mischlinge in der folgenden
Generation sehr variabel werden. Sie müssen offenbar
recht verschieden ausfallen, je nachdem eines dieser Pflänzchen
mehr mütterliche oder mehr väterliche, oder gleich viel Idanten
von Beiden durch die beiden Keimzellen zugeführt erhielt, welche
bei seiner Constituirung durch die Befruchtung zusammentraten.
[394] So bezeichnet Focke die Nachkommenschaft einjähriger oder
zweijähriger hybrider Pflanzen als „in der Regel ungemein un-
gleichartig und formenreich“ und führt als Beispiele die Gattungen
Pisum, Phaseolus, Lactuca, Tragopogon, Datura, und speciell den
Bastard von Nicotiana alata und N. Langsdorffii an. Auch
de Vries1) erwähnt diese Thatsachen und schildert sie in sehr
hübscher Weise mit folgenden Worten: „Die Bastarde der ersten
Generation haben für jedes Paar von Arten ganz bestimmte
Merkmale. Erzeugt man einen Bastard von zwei Arten, deren
Kreuzung bereits früheren Forschern gelungen ist, so kann
man sich darauf verlassen, dass die von ihnen gegebene Be-
schreibung in der Regel genau auf die neu erworbene Mittel-
form passen wird. Ist der Bastard ohne Mithülfe seiner Eltern
fruchtbar, und zieht man seine Nachkommenschaft in einigen
Generationen in Tausenden von Exemplaren, so beobachtet man
stets, dass kaum zwei einander gleich sind. Einige kehren zu
der Form des Vaters, andere zu jener der Mutter zurück; eine
dritte Gruppe steht in der Mitte. Zwischen diesen stellen sich
die übrigen in buntester Abwechselung väterlicher und mütter-
licher Merkmale, und fast in jedem Grade gegenseitiger Mischung.“
De Vries führt dies nur an als einen Beweis für das, was
er die „freie Mischbarkeit der Eigenschaften“ nennt, ohne Ge-
wicht darauf zu legen, dass die erste Bastard-Generation sich
so ganz anders verhält als die zweite, oder eine theoretische
Erklärung dieses Verhaltens zu versuchen.
In neuester Zeit ist ein sehr schöner und genau unter-
suchter Fall durch Professor Liebscher2) bekannt geworden.
Derselbe kreuzte zwei Arten von Gerste, Hordeum Steudelii ♀
mit Hordeum trifurcatum ♂. Die erste Art ist zweizeilig, die
andere vierzeilig, die erste schwarz, die andere weiss u. s. w.
[395] Der Bastard hält so genau, als man nur erwarten kann, die
Mitte zwischen den Stammarten und zeigt zugleich „eine auf-
fallende Gleichartigkeit aller Ähren“ in voller Überin-
stimmung mit der Theorie. Der Bastard ist in allen Exem-
plaren zweizeilig, die Spelzen der Hauptährchen sind schwarz,
die der Seitenährchen weiss, die „Löffel“, eine Eigenthümlichkeit
von Hordeum trifurcatum, sind schwarz und weiss. Diese
Bastarde lieferten nun unter sich eine Nachkommenschaft, welche
sowohl in erster, als zweiter Generation äusserst
variabel war.
Liebscher suchte diese Variabilität dadurch zu erklären,
dass er annahm, es werde durch die Fortpflanzung ausser einer
„neuen Combination individueller Eigenschaften“ auch noch
eine „Lockerung der Structur des Keimplasma’s“ bewirkt. Diese
Letztere verursache eine „Abschwächung der Vererbungstreue
des Zeugungsproduktes“, d. h. eine „Neigung zur individuellen
Variation in dessen Nachkommenschaft“. Dies war gewiss schon
eine Ahnung des wirklichen, idioplasmatischen Vorganges, aber
man sieht doch nicht ein, worin diese „Lockerung“ eigentlich
bestehen könnte.
Sobald aber das Keimplasma aus einer grösseren Zahl von
Iden zusammengesetzt ist, kann man dieser „Lockerung“ einen
bestimmten Sinn unterlegen. Sie beruht auf der bei jeder Keim-
zellen-Bildung sich wiederholenden Entfernung der Hälfte der
Ide. Das Keimplasma des Bastards besteht zur Hälfte aus
mütterlichen Iden der Art A, zur Hälfte aus väterlichen Iden
der Art B; bei der Keimzellenbildung wird diese vollkommen
gleichmässige Zusammensetzung eine ganz ungleichartige da-
durch, dass die Reductionstheilung in verschiedener Weise das
Keimplasma halbirt. Denkt man sich die Ide oder auch die
Idanten in einem Kreis angeordnet, so schneidet die halbirende
Theilungsebene bald hier, bald dort durch, und die Combination
[396] des Keimplasma’s in den Keimzellen aus A- und B-Iden wird
eine sehr mannigfaltige sein. Tritt nun auch noch Befruchtung
des Bastards mit eigenem Pollen ein, d. h. Amphimixis zwischen
je zweien dieser verschiedenartig gemischten Keimzellen, so muss
eine noch weit grössere Mannigfaltigkeit der Id-Combinationen
entstehen. Eine hohe Variabilität der Nachkommen wird die
unvermeidliche Folge sein.
Die Nachkommenschaft von Bastarden ist aber auch in
dem Fall sehr variabel, dass sie auf Rückkreuzung mit einer
der Stammarten beruht. „Durch Befruchtung eines Bastards
mit stammelterlichem Pollen erhält man in der Regel eine ziem-
lich ungleichartige Nachkommenschaft; am zahlreichsten pflegen
Mittelformen zwischen dem Bastard und der betreffenden Stamm-
art zu sein; daneben finden sich in geringerer Zahl Exemplare,
die dem ursprünglichen Bastard ähnlich sind, und solche, die
der Stammart nahe stehen“ (Focke, p. 485). Dies stimmt voll-
kommen mit der Theorie, denn sobald wir die Reductions-
theilung in Betracht ziehen, ist es klar, dass auch bei Rück-
kreuzung mit einer der Stammarten ein sehr ungleiches Zahlen-
verhältniss von Idanten der beiden Stammarten in den befruchteten
Eizellen der folgenden Generation obwalten muss. Man nennt
solche Bastarde gewöhnlich: ¾-Bastarde, weil man annimmt,
dass sie nur ¼ Vererbungskraft der einen, ¾ der andern Stamm-
art enthielten. Die Benennung ist praktisch auch wohl nicht
zu entbehren, aber sie ist offenbar vollkommen ungenau. Diese
¾-Bastarde enthalten keineswegs die Vererbungssubstanz der
beiden Stammarten alle im Verhältniss von 3:1, sondern in sehr
verschiedenen Verhältnissen. Ein solcher ¾-Bastard ist z. B.
der von den beiden Nelken-Arten Dianthus chinensis und bar-
batus dadurch erzeugte, dass zuerst der Bastard D. chinensis ♀
× barbatus ♂ gebildet und dieser dann als ♀ wieder mit barbatus-
Pollen bestäubt wurde. Die Formel für diesen ¾-Bastard ist:
[397] Dianthus (chinensis × barbatus) ♀ × barbatus ♂, oder allgemeiner:
(A × B) ♀ × A ♂. Wir nehmen der Einfachheit halber an,
dass die Zahl sowohl, als die Vererbungskraft der Idanten bei
beiden Stammarten gleich sei. Es seien sechszehn Idanten
Schematische Darstellung der Combinationen des Keim-
plasma’s bei Bastardbildung.
I. Das aus je 16 Idanten zusammengesetzte Keimplasma der beiden
Stammarten, A Dianthus chinensis und B Dianthus barbatus.
II. Keimplasma des Bastards aus 8 Idanten von A und 8 von B
zusammengesetzt; Z die drehbare Theilungsebene.
III, IV, V. Drei der möglichen Combinationen des Keimplasma’s,
welche durch Kreuzung des Bastards II mit der Stammart B entstehen
können. III ist ein echter ¾-Bastard, IV enthält lauter Idanten der
Stammart B und V hat 9 Idanten von B und 7 von A.
die man sich, wie in Fig. 22, I dargestellt, zu einem Kreise
geordnet denken kann. Bei der Erzeugung des ½-Bastards
vereinigen sich je 8 Idanten von A mit je 8 Idanten von B,
1)
[398] und die Mutter-Keimzellen dieses Bastards enthalten also stets
8 A- + 8 B-Idanten (Fig. II). Nun erfolgt die Reductions-
theilung, indem der Kreis irgendwo halbirt wird. Fig. II soll
dies veranschaulichen, indem sie zeigt, wie der Kreis durch Ver-
stellung der drehbaren Theilungsebene Z in neun verschiedene
Combinationen der schwarzen Idanten A von D. chinensis und
der weissen B von D. barbatus zerlegt werden kann, nämlich
in die Combination 8 A; 7 A + 1 B; 6 A + 2 B; 5 A + 3 B;
4 A + 4 B; 3 A + 5 B; 2 A + 6 B; A + 7 B und schliesslich
8 B. Es giebt also der Qualität des Keimplasma’s nach neunerlei
Keimzellen, welche hier nur als Eizellen in Betracht kommen.
Nun vereinigt sich zur Bildung der sog. ¾-Bastarde je
eine dieser Eizellen mit je einer reinen Keimzelle der Stamm-
art B. Daraus können nun folgende Idanten-Combinationen
entstehen: 8 A + 8 A, woraus die reine Stammart A hervor-
gehen müsste; (7 A + 1 B) ♀ × 8 A; (6 A + 2 B) ♀ × 8 A;
(5 A + 3 B) ♀ × 8 A ♂; (4 A + 4 B) ♀ × 8 A ♂; (3 A + 5 B) ♀
× 8 A ♂; (2 A + 6 B) ♀ × 8 A ♂; (A + 7 B) ♀ × 8 A ♂
und 8 B ♀ × 8 A ♂. Es müssen also der Theorie nach alle
Stufen von der reinen Stammform B (Fig. III) bis zu der Mittel-
form zwischen den Stammarten vorkommen, keine Form aber,
welche über die reine Mittelform hinaus stärker nach A neigte.
Ob nun diese alle thatsächlich gebildet werden, und in welchem
Häufigkeitsverhältniss, könnte erst durch neue, von diesen Ge-
sichtspunkten ausgehende Versuche festgestellt werden. Die
bisherigen Versuche sind dafür schon deshalb ungenügend, weil
die Zahl der aufgezogenen Sämlinge immer eine zu geringe
war. So viel aber kann doch schon aus dem bis jetzt vorliegen-
den Thatsachen-Material geschlossen werden, dass die verschie-
denen Combinationen der beiderlei Idanten nicht in gleicher
Häufigkeit vorkommen, dass die mittleren Mischungen die
häufigeren sind. Andernfalls könnten nicht „die Mittelformen
[399] zwischen ½-Bastard und der Stammart am zahlreichsten“ vor-
kommen. Dies ist auch theoretisch das Wahrscheinlichste und
wird um so wahrscheinlicher, je grösser die Gesammtzahl der
Idanten ist. Viele Phanerogamen besitzen viel mehr als 16
Idanten, und wenn wir auch annehmen wollen, es sei rein Zu-
falls-Sache, wie die Halbirungsebene fällt, so wird doch der
seltenste Fall immer der sein, dass dieselbe gerade zwischen den
Idanten von A und denen von B durchschneidet, und der Fall,
dass sie anderswo durchschneidet, muss sehr viel häufiger vor-
kommen. Dies heisst aber nichts Anderes, als dass die Keim-
zellen des ½-Bastards selten nur Idanten von A oder nur
solche von B enthalten, meistens aber eine Mischung von
Beiden.
Werden die sog. ¾-Bastarde wieder mit der Stammart A
gekreuzt, so erhält man sog. 7/8-Bastarde oder die dritte hybridi-
sirte Generation, und diese „pflegt in der Regel der zu 7/8 ver-
tretenen Stammart sehr ähnlich zu sein, aber noch erhebliche
Ungleichheiten der einzelnen Exemplare in Gestalt“ zu zeigen
(Focke, p. 485). Auch dieses Ergebniss der Beobachtung
stimmt mit der Theorie, denn da schon in der zweiten Hybriden-
Generation die höchste mögliche Idantenzahl der Stammart A
in den fertigen Bastard-Keimzellen die Zahl 8 war, die nun
bei der Befruchtung mit der gleichen Anzahl Idanten der zur
Rückkreuzung benutzten Stammart B zusammentraf, so ent-
halten also die Keim-Mutterzellen der ¾-Bastarde höchstens
noch 8 A + 8 B, meistens aber eine geringere Zahl von A-Idanten.
Die Reductionstheilung halbirt nun wieder diese 16 Idanten in
verschiedener Weise, und in dem für die Erhaltung der Ver-
erbungs-Substanz von A günstigsten Falle würde die Halbirung
einer solchen für A günstigsten Keim-Mutterzelle wieder zur
Bildung von Keimzellen mit 8 A- und andere mit 8 B-Idanten
führen können. Bei allen anderen ¾-Bastarden aber enthalten
[400] die Keim-Mutterzellen schon zahlreichere Idanten von B, als
von A, wie die Figg. III zeigen, und die Reduction schafft also
Keimzellen, welche entweder blos B-Idanten enthalten oder doch
neben A-Idanten immer auch solche von B. Wenn nun diese
weiblichen Keimzellen von den Keimzellen der reinen Stammart
B befruchtet werden, so wird die denkbar höchste Zahl von
A-Idanten, die in der befruchteten Eizelle enthalten sein kann,
wieder die Zahl 8 sein. Es ist also auch in dieser dritten
Generation noch möglich, dass die reine Mittelform zwischen
den Stammformen auftritt, allein sie wird sehr viel seltener
vorkommen, als in der zweiten Generation. Dagegen werden
die Individuen überwiegen, deren Idioplasma nur noch wenige
A-Idanten enthält, und es können hier schon solche vorkommen,
bei welchen nur noch B-Idanten vorhanden sind. Denn schon
in den meisten Mutter-Keimzellen der zweiten Generation war
eine Überzahl von B-Idanten enthalten; die Halbirung der Re-
duction muss also häufig der einen Keimzelle nur B-Idanten
zugetheilt haben, die nun in der dritten Generation abermals
mit reinen B-Idanten sich verbanden. Die 7/8-Bastarde müssen
also theilweise schon zur Stammform B zurückkehren — der
Theorie nach. Damit stimmt die Erfahrung insoweit, als Koel-
reutter und Gärtner, welche diese Rückkreuzung-Versuche
in zahlreichen Fällen ausführten, fanden, „dass zur vollständigen
Umwandlung des Bastards in die eine Stammform 3—6 Gene-
rationen erforderlich waren, in der Regel 4—5“. Da es diesen
Forschern nur darauf ankam, die vollständige Rückkehr zur
Stammform zu erzielen, wählten sie immer solche Pflanzen zur
Nachzucht, die sich dem angestrebten Elterntypus möglichst
näherten. Trotzdem erhielten sie bis auf 5 Generationen hinaus
immer noch einzelne Pflanzen, die auch von der andern Stamm-
art Spuren an sich trugen. Ganz wie es die Theorie verlangt.
Die Übereinstimmung mit der Theorie geht aber noch
[401] weiter, denn diese verlangt, dass einzelne Fälle völliger
Rückkehr zur Stammform schon in der zweiten Gene-
ration aufgefunden werden können, und solche sind
in der That beobachtet worden. Ja Godron fand, dass
„Melandryum album × rubrum schon mit eigenem Pollen in
zweiter Generation zu den Stammarten zurückschlug“ (Focke,
p. 485). Dies erklärt sich aus der Theorie ganz wohl. Wenn
einzelne der Mutter-Keimzellen vom Bastard ihre Reductions-
theilung so ausführen, dass in jede der beiden fertigen Keim-
zellen Idanten1)nur von album oder nur von rubrum ge-
langen, so werden bei der Befruchtung dieser Keimzellen zwei
Möglichkeiten eintreten können; entweder nämlich trifft eine
Keimzelle mit rothen Idanten mit einer solchen zusammen, die
weisse enthält, oder beide bei der Befruchtung sich vereinigende
Keimzellen enthalten gleichelterliche Idanten. In ersterem Falle
entsteht von Neuem die Bastardform, im letzteren aber eine
reine Stammart. Solche Rückschläge scheinen selten vor-
zukommen und dies möchte darauf hinweisen, dass da, wo sie
vorkommen, irgend welche uns noch unbekannte Umstände die
Halbirung des Keimplasma’s der Mutter-Keimzellen in einer
bestimmten Theilungsebne bevorzugen, nämlich in derjenigen,
welche zwischen den Gruppen der väterlichen und mütterlichen
Idanten hindurchgeht.
Aus der Theorie erhellt auch, was aus der Beobachtung
nicht mit Sicherheit ersehen werden könnte, dass der Rück-
schlag des Bastards auf die Stammform ein vollstän-
diger sein kann. Gäbe es keine Reductionstheilung, so wäre
dies nicht möglich, oder wäre das Keimplasma eine homogene
Masse, die sich bei der Bastardirung mit dem Keimplasma der
Weismann, Das Keimplasma. 26
[402] andern Art völlig vermischte, so würde auch mit der Reductions-
theilung niemals das Keimplasma der einen Art entfernt werden
können, es würde diese Reduction nur eine Massen-, aber keine
Qualitätsreduction sein. Durch Befruchtung mit dem eigenen
Bastard-Pollen würde dann in keinem Falle Rückschlag auf
eine Stammform eintreten können, aber auch bei fortgesetzter
Rückkreuzung mit der einen Stammart würde dann die Keim-
plasma-Mischung der ersten Bastardgeneration nur mehr und
mehr verdünnt werden, völlig reines Keimplasma der einen Stamm-
art könnte nie entstehen. Sobald wir aber Einheiten im Keim-
plasma annehmen, die wie Idanten und Ide getrennt bleiben,
so ist eine Entfernung sämmtlicher Einheiten der einen Art aus
dem Keimplasma der Bastard-Sprösslinge sowohl mit als ohne
Rückkreuzung durchaus möglich, ja selbst in letzterem Falle
muss sie früher oder später bei einzelnen Nachkommen ein-
treten.
Man kann aber auch von der Theorie aus Vorhersagungen
ableiten, die für jetzt noch keine Bestätigung durch die That-
sachen vorfinden, wenigstens kenne ich solche nicht. Wenn
die Halbirung des Keimplasma’s des primären Bastards A × B
zuweilen, wenn auch selten derart erfolgt, dass sämmtliche
A-Idanten in die eine, sämmtliche B-Idanten in die andere Keim-
zelle gelangen, dann kann bei Befruchtung mit Bastard-Pollen
in der zweiten Generation Rückschlag auf beide Stammformen
eintreten, wie eben gezeigt wurde, dann nämlich, wenn ein
Pollenkorn mit lauter A-Idanten mit einer Eizelle zusammen-
trifft, die ebenfalls nur A-Idanten enthält; oder wenn B mit
B-Idanten zusammentreffen. Dasselbe muss aber auch in der
dritten Bastard-Generation vorkommen können, auch dann noch,
wenn die vollen Rückschläge der zweiten Generation alle be-
seitigt werden, und zwar einfach dadurch, dass einzelne Indivi-
duen der zweiten Generation auf der Vereinigung von n A- mit
[403] n B-Idanten beruhen, d. h. wieder genaue Mittelformen sind, wie
die sämmtlichen Bastarde erster Generation. Mit dem wenn
auch vereinzelten Vorkommen solcher reiner Mittelformen ist
die Möglichkeit gegeben, dass wieder Keimzellen entstehen, die
nur A-Idanten oder nur B-Idanten enthalten, und damit endlich
die Möglichkeit eines Rückschlags auf die eine oder die andere
der beiden Stammformen. Freilich werden solche Rückschläge
nur sehr selten eintreten, weil sie ganz auf dem Zufall beruhen,
ob nun gerade die in Bezug auf ihren Idioplasma-Gehalt sel-
tenste Art der Keimzellen bei der Befruchtung wirklich auch
zusammentrifft; es wird eine sehr grosse Zahl von Sämlingen
nöthig sein, um solche Fälle zu finden.
Ehe ich zur Besprechung des Rückschlags auf individuelle
Merkmale übergehe, möchte ich noch anführen, dass wir bei
der Rassenkreuzung des Menschen dasselbe Gesetz des
Rückschlags hervortreten sehen, welches durch die Pflanzen-
bastarde erkannt werden konnte: dass nämlich die Mischung
eines Rassencharakters in der ersten Generation eine gleich-
mässige ist, später aber bei Rückkreuzung mit einer der Stamm-
rassen eine ganz unregelmässige wird. Bei der Kreuzung von
Weissen und Negern entsteht ein Mulatte, dessen Hautfarbe
niemals rein weiss ist und meistens ungefähr die Mitte zwischen
den Eltern hält. Bei Rückkreuzung des Mulatten mit Weissen
nimmt die Hautfarbe nicht gleichmässig an Schwärze ab, sondern
die Nachkommen dritter, vierter Generation sind bald ganz
weiss, bald erheblich dunkel, ein Hinweis auf die Ungleichheiten
der Reductionstheilung.
2. Rückschlag auf individuelle Charaktere beim Menschen.
Der wesentliche Unterschied vom Rückschlag bei Pflanzen-
Bastarden und beim Menschen liegt darin, dass es sich bei
diesen um die Vermischung und Wiederscheidung von Art- oder
26*
[404] Rasse-Charakteren handelt, während bei der Fortpflanzung des
Menschen innerhalb einer seiner Rassen nur individuelle
Unterschiede miteinander gemischt werden. In Bezug auf die
ersteren konnten die Idanten je des einen Elters bei der
Bastardzeugung als gleich angenommen werden, wenn dies auch
möglicherweise nicht immer ganz genau ist, wie sich später
zeigen wird; in Bezug auf die individuellen Unterschiede aber
können die Idanten je einen Elters beim Menschen durchaus
nicht als gleich angesehen werden. Jeder dieser Idanten setzt
sich aus einer Anzahl einzelner Ide zusammen, die vielfach
verschieden sein können. In allen sind die Determinanten so
ähnlich, als es die Festhaltung des Artcharakters erfordert, also
sämmtliche Determinanten der gleichen ontogenetischen Stufe
sind einander homolog, aber sie sind niemals alle auch zugleich
untereinander homodynam, sondern sie unterscheiden sich viel-
fach durch kleine, individuelle Abweichungen. Es kann also
das eine Id diese, das andere jene Variation irgend einer
homologen Determinante enthalten. Bezeichnen wir die homo-
logen Determinanten mit dem gleichen Buchstaben und drücken
die Varianten einer Determinante durch beigesetzte Striche aus,
so könnte z. B. Id I irgend eines Keimplasma’s die Determinanten
a, b, c, d, e ..... n enthalten, Id II die Determinanten a, b',
c, d', e .... n', Id III die Determinanten a', b'', c', d''', e'
.... n u. s. w. Die Gesammtwirkung des Idanten wird nun
bestimmt durch den Kampf der Ide, dessen Gesetze wir nicht
näher ergründen konnten, den wir uns aber bis auf bessere
Einsicht so vorstellten, dass immer diejenigen Varianten die
meiste Aussicht haben, die Zelle ganz oder doch vorwiegend
zu bestimmen, welche in der grössten Anzahl vorhanden sind; ihre
Wirkung muss sich summiren, und eine kleine Minorität homo-
dynamer Determinanten wird gegen eine grosse Majorität einer
andern Variante nicht aufkommen können. Die Bestimmung
[405] der Zelle erfolgt also durch diesen Kampf der Determinanten,
den man sich natürlich nicht so zu denken hat, als ob dabei
die Gruppe der väterlichen Ide mit der der mütterlichen kämpfte,
sondern so, dass alle aktiven Determinanten, die im Idioplasma
enthalten sind, in den Zellkörper auswandern und sich dort
bestimmend geltend zu machen suchen. Sind die Eltern des
betreffenden Organismus in näherem Grade verwandt gewesen,
so können sehr wohl dieselben homodynamen Determinanten in
den Idanten beider Eltern enthalten sein, und dann werden
diese so gut ihre Kraft vereinigen, als wenn sie alle in einem
mütterlichen oder einem väterlichen Idanten enthalten gewesen
wären. Häufiger aber wird es vorkommen, dass die homo-
dynamen Determinanten alle auf einer Elternseite liegen, und
dann wird eine Majorität homodynamer mütterlicher Determi-
nanten einer solchen väterlicher gegenüber stehen, und die Be-
stimmung der Zelle wird entweder gemeinsam erfolgen, oder
die Übermacht des einen Elters ist so gross, dass sie den Ein-
fluss des andern ganz unterdrückt.
Wollen wir nun erproben, wie sich diese Vorstellungen
von dem Zusammenwirken der elterlichen Idioplasmen auf die
Rückschlagserscheinungen beim Menschen anwenden lassen, so
wird zunächst wieder die einfachste Erscheinung ins Auge zu
fassen sein: der Rückschlag auf einen Grosselter.
Dass nicht selten eine sehr hohe Ähnlichkeit des Kindes
mit dem Vater oder der Mutter vorkommt, ist bekannt, es wird
aber auch angenommen, dass ein Vater ein Kind erzeugen könne,
welches nicht ihm, wohl aber seiner Mutter „aus den Augen
geschnitten sei“. Der Fall setzt voraus, dass der Vater selbst
keine Ähnlichkeit mit seiner Mutter gehabt habe, andernfalls
könnte es sich nicht um Rückschlag des Kindes auf die Gross-
mutter handeln.
Theoretisch lässt sich der Fall erklären unter der Voraus-
[406] setzung, dass die Reductionshalbirung in der betreffenden
Keimzelle der zwei Generationen gerade die väterlichen und
mütterlichen Idanten von einander getrennt hat, und dass es
möglich ist, wie oben schon dargelegt wurde, dass die Idanten-
gruppe des einen Elters keinen Einfluss auf die Gestaltung des
Kindes nimmt und nur die andere dominirt. Die befruchtete
Eizelle, aus welcher sich der Vater entwickelte, wird dann aus
den beiden Idantengruppen A und C bestanden haben, von
welchen A von der Grossmutter herrührt und bei deren Ent-
wickelung dominirte. C stammt vom Grossvater und war der
Idantengruppe A so überlegen, dass C allein das Bild des Sohnes
bestimmte. A blieb also latent im Idioplasma des Vaters, d. h.
der Vater glich dem Grossvater, nicht der Grossmutter. Wenn
nun diejenige Keimzelle des Vaters, aus welcher sich das Kind
dritter Generation entwickelt, zufällig bei der Reductionstheilung
gerade nur die Idantengruppe A zugetheilt erhielt, welche bei
der Entwickelung des Vaters einflusslos geblieben, bei der Gross-
mutter aber dominirend gewesen war, so ist die Möglichkeit
eines Rückschlags auf die Grossmutter gegeben. Er wird dann
eintreten, wenn diese Samenzelle sich mit einer Eizelle verbindet,
deren Idantengruppe D sehr viel geringere bestimmende Kraft
besitzt, als A. Das Kind wird dann weder das Bild seines
Vaters noch seiner Mutter, sondern das seiner Grossmutter
werden, denn die Idantengruppe A ist eben diejenige, welche
das Bild der Grossmutter bestimmt hat.
Ich halte es indessen für fraglich, ob ein derartiger Rück-
schlag jemals so rein und so vollständig erfolgt, als es theore-
tisch hiernach denkbar wäre. Leider sprechen die Thatsachen
lange nicht so bestimmt, als man wünschen möchte. Niemand,
soweit ich es kenne, hat bisher untersucht, ob jemals ein voll-
ständiger Rückschlag auf den Grosselter vorkomme, und von
der Theorie ausgehend, möchte ich es für unwahrscheinlich
[407] halten. Ähnlichkeit mit dem Grosselter, auch starke Ähnlich-
keit kommt sicherlich häufig vor, allein diese ist doch noch
weit von einer Übereinstimmung sämmtlicher oder doch der
weitaus meisten individuellen Charaktere entfernt, etwa in dem
Grade, wie wir sie bei „identischen“ Zwillingen beobachten.
Niemand hat noch Kind und Grosselter auch nur einmal in
allen ihren Körpertheilen genau mit einander verglichen, ge-
schweige denn in demselben Lebensalter. Auch wären für
Rückschlag-Untersuchungen nur solche Fälle zu brauchen, in
welchen der Vater Nichts von dem Bild der Grossmutter an
sich hat — um bei diesem Beispiel zu bleiben. Solche Fälle
sind aber wohl selbst nicht ganz sicher, jedenfalls nicht häufig.
Ich neige daher der Ansicht zu, dass es sich in allen diesen
Fällen nicht um vollständigen, sondern nur um theilweisen
Rückschlag auf den Grosselter handelt, um das Wiederauftauchen
eines kleineren oder grösseren Complexes von Grosselter-Charak-
teren, und dies genügt sicherlich in vielen Fällen, um das Bild
des Grosselters vorzutäuschen. Dass aber grössere oder kleinere
Complexe von grosselterlichen Charakteren im Kind wieder-
erscheinen können, das unterliegt keinem Zweifel, und erklärt
sich theoretisch einfacher und ohne dass man dem Zufall eine
so grosse Rolle zuertheilen muss. Denn bei vollständigem
Rückschlag müssten vielerlei seltenere Vorkommnisse zusammen-
treffen, um ihn zu ermöglichen. In unserem Beispiel müsste
in je einem Individuum von drei aufeinander folgenden Genera-
tionen jedesmal nur die eine der beiden Idantengruppen der
Eltern das Bild des Kindes bestimmen, und zugleich müsste in
je einer Mutter-Keimzelle von vier verschiedenen Individuen
den beiden Grosseltern und Eltern, die Reductionshalbirung ge-
rade so durchgeschnitten haben, dass die Idantengruppen der
Eltern dadurch getrennt wurden. Möglich, dass Alles dies ein-
mal zusammentreffen kann, allein man wird es erst dann be-
[408] haupten dürfen, wenn die genaue Übereinstimmung von Kind
und Grosselter nachgewiesen ist.
Die theilweise Übereinstimmung wird schon der Theorie
nach weit häufiger eintreten können. Das Keimplasma bestehe
z. B. aus 16 Idanten, 8 mütterlichen und 8 väterlichen. Wenn
nun die Reductionstheilung derart erfolgt, dass je 6 Idanten
des einen Elters mit je zwei des andern zusammen in eine
Keimzelle gelangen, so wird es möglich sein, dass diese 6 Idanten
viele derjenigen Determinanten enthalten können, welche das
Bild des betreffenden Elters bestimmten. Es muss nicht so
sein, denn es könnten ja auch alle 16 Idanten ziemlich gleich-
mässig an diesem Bild Antheil genommen haben, und in diesem
Falle würden 6 von den 16 Idanten unmöglich dasselbe Bild
auch nur annähernd wieder entstehen lassen können.
Andererseits könnte auch der Fall eintreten, dass das Bild
des Elters wesentlich nur von der Idantengruppe seiner Mutter
oder seines Vaters allein bestimmt wurde, und dann wird eine
Ähnlichkeit des Kindes mit dem Vater überhaupt nur dann
eintreten können, wenn die bei ihm selbst bestimmend gewesene
Idantengruppe ganz oder doch grossentheils in der Keimzelle
enthalten war, aus welcher das Kind sich entwickelte. Sicher
ist dies freilich auch dann nicht, denn es hängt davon ab, ob
nicht bei der Befruchtung von Seiten des andern Elters eine
Idantengruppe hinzutritt, die an bestimmender Kraft der bereits
vorhandenen überlegen ist, sei es total oder doch in vielen oder
den meisten Determinanten.
Soviel aber lässt sich aus allen diesen, leider noch recht
unbestimmten Erwägungen ableiten, dass eine grössere Zahl von
Idanten, z. B. des Grossvaters, in die Keimzelle für den Vater
gelangen kann, ohne in dessen Bild sich geltend zu machen,
und dass sie dann in der Keimzelle des Sohnes zu theilweiser
Bestimmung des Bildes gelangen kann, falls sie einer an be-
[409] stimmender Kraft schwächeren Idantengruppe gegenübersteht.
Der Kampf der Idanten und Ide entscheidet dann auf jeder
Stufe der Ontogenese darüber, welcher Idantengruppe die Herr-
schaft über die Zelle zufällt. Nach den für diesen Kampf einst-
weilen hypothetisch aufgestellten Principien würde jedesmal die
Majorität homodynamer Determinanten die grösste bestimmende
Kraft darstellen, und so könnten also sehr wohl gewisse um-
fassendere oder speciellere Charaktere des Grossvaters im Enkel
wieder zum Vorschein kommen, auch wenn nur 6 oder 8 der
bestimmenden Idanten des Grossvaters im Keimplasma für den
Enkel enthalten sind.
Wir werden sogar vermuthen dürfen, dass kaum irgend
eine menschliche Ontogenese ohne Rückschläge auf
einen oder den andern der Grosseltern abläuft, indem
es beinahe immer vorkommen wird, dass Determinanten des
Grosselters beim Aufbau des Elters stärkeren Determinanten
der andern grosselterlichen Keimzelle gegenüber unterdrückt
wurden, welche im Enkel zur Herrschaft gelangen, weil sie hier
eben wieder einer andern Idanten-Combination gegenüberstehen,
der sie unter Umständen überlegen sind. So kann es ge-
schehen, dass vereinzelte Charaktere des Grosselters beim Enkel
wieder auftreten, ohne dass eine allgemeine Ähnlichkeit vor-
handen ist.
Die Antwort auf die oben gestellte Frage: worauf beruht
der Rückschlag auf den Grosselter, wird somit kurz dahin be-
antwortet werden können: er beruht darauf, dass die für
das Bild des Grosselters bestimmend gewesene Idanten-
gruppe ganz oder theilweise in der Keimzelle des
Elters enthalten war, aus welcher sich der Enkel ent-
wickelte, und dass ihr vom andern Elter her eine min-
der starke Idantengruppe gegenübertrat.
Wir wissen nicht, wie zahlreich die bestimmenden Idanten
[410] des Grosselters im Keimplasma für den Enkel enthalten sein
müssen, damit Rückschlag auf den Grosselter eintritt. Voller
Rückschlag könnte nur eintreten, wenn keiner der bestimmen-
den Idanten fehlte, wir sahen aber, dass vollständiger Rück-
schlag beim Menschen durchaus nicht erwiesen ist. Noch viel
weniger ist er es auf eine Generation weiter rückwärts,
auf den Urgrosselter. Es wird wohl in Romanen zuweilen
von Fällen erzählt, wo ein Sprössling eines altadeligen Hauses
auf einen Urgrossvater zurückschlägt, dessen Charaktere in den
dazwischen liegenden Generationen verschwunden waren, allein
man darf wohl mit Recht an der Genauigkeit solcher Fälle
zweifeln, auch da, wo sie den Anspruch auf Wahrheit erheben.
Wohl ist der Urenkel gar manches Mal dem Urelter ähnlich,
allein dann war diese Ähnlichkeit auch in den da-
zwischen liegenden Generationen nicht völlig ver-
schwunden. Theoretisch wäre es allerdings nicht undenkbar,
wie oben schon gezeigt wurde, dass die bestimmende Idanten-
gruppe des Urelters zwar zwei Generationen hindurch sich in
einzelnen Keimzellen ungetheilt erhalten hätte, aber mächtigeren
Gruppen der jedesmaligen andern elterlichen Keimzelle unter-
legen wäre, um dann in der dritten Generation wieder zur
Herrschaft zu gelangen. Wenn ein solcher Rückschlag als
vorkommend erwiesen würde, so dürften wir ihn in dieser Weise
erklären, und es würde uns dies zu der Annahme berechtigen,
dass in manchen Fällen die Idanten der beiden Eltern sich bei
der Reductionstheilung wieder in ihre ursprünglichen Gruppen
sondern können. Dass dies nur selten, in den meisten Fällen
aber nicht so vor sich geht, beweist die hohe Variabilität der
zweiten Bastard-Generationen.
Den Unterschied zwischen Rückschlägen bei Bastarden und
solchen beim Menschen innerhalb derselben Rasse fanden wir
einfach darin, dass bei Bastarden jeder der Idanten eines Elters
[411] die Artcharaktere in sich enthält, dass also die sämmtlichen
Idanten des einen Elters unter sich gleich, sind und alle homo-
logen Determinanten auch als homodyname betrachtet werden
dürfen. Sobald also eine Ontogenese nur von Iden der einen
Stammart beherrscht wird, entsteht das Bild dieser Art. Das
Bild eines bestimmten Menschen aber setzt sich aus sehr ver-
schiedenartigen Iden zusammen, von welchen keines dem andern
völlig gleich ist, weil jedes wieder aus etwas andersartigen
Determinanten besteht, und weil das Bild in einem gewissen
allgemeinen Sinn immer nur die Resultante aus allen diesen
verschiedenen Componenten ist. Dasselbe Bild, d. h. dieselbe
Combination von Charakteren könnte nur dann zum zweiten Mal
auftreten, wenn dieselben Componenten sich genau wieder zu-
sammenfänden. Dies wird aber — ausser bei Verdoppelung
des schon befruchteten Eies, d. h. bei „identischen“ Zwillingen —
nie vorkommen können, weil bei jeder Befruchtung wieder eine
neue, vorher noch nie dagewesene Combination von Iden und
Idanten entsteht. Deshalb kann hier auf dem Gebiete der
Individual-Charaktere nie von vollständigem Rückschlag auf ein
früheres, schon einmal dagewesenes Individuum die Rede sein,
sondern nur vom Rückschlag auf mehr oder weniger umfassende
Gruppen von Charakteren, welche schon bei einem Individuum
einer früheren Generation dagewesen waren.
3. Zusammenfassung der individuellen Vererbung beim
Menschen.
Nachdem nun die Vererbung von Eltern auf Kind, sowie
die der Grosseltern und Urgrosseltern besprochen worden ist,
wird es nützlich sein, die verschiedenen möglichen Fälle hier
zusammenzufassen, und zu prüfen, ob nicht irgendwo ein Wider-
spruch zwischen Beobachtung und Theorie sich auffinden lässt.
Der häufigste Fall scheint wohl der zu sein, in welchem
[412] das Kind eine Mischung aus den Bildern beider Eltern ist, sei
es, dass die beiderseitigen Charaktere völlig verschmolzen sind,
oder dass sie miteinander nach Zellen, Theilen oder Organen,
ja selbst nach Organsystemen abwechseln. In allen diesen Fällen
muss die bei der Ontogenese des Elters dominirende Idanten-
gruppe auch in der Keimzelle des Kindes enthalten gewesen
sein, und zwar die dominirende Gruppe von beiden Eltern.
Man könnte hier einwerfen, wie es denn so häufig vor-
kommen könne, dass gerade nur die dominirende Idantengruppe
in die zur Amphimixis gelangenden Keimzellen gerathe. Allein
es ist zu bedenken, dass die völlig gleichmässige Mischung der
beiden Elternbilder im Kind viel seltener ist, als man gewöhn-
lich glaubt, und dass es schwer, ja häufig unmöglich ist, zu
sagen, ob der mütterliche Antheil an einem Charakter wirklich
dem Bilde der Mutter und nicht dem des Mutter-Vaters oder
der Mutter-Mutter entnommen ist. Meist sind es nur allgemeine
Charaktere der mütterlichen Familie, die sich mit allgemeinen
Charakteren der väterlichen Familie gemischt haben. Charaktere
aber, die schon durch Generationen hindurch vielen Gliedern
einer Familie eigen waren, sind eben solche, die in zahlreichen
Iden und Idanten vorkommen, und die deshalb bei vielen Modali-
täten der Reductionstheilung in grösserer Anzahl in die Keim-
zellen gelangen. Für diese Übertragung allgemeiner Familien-
ähnlichkeit würde theoretisch nicht die dominirende Idantengruppe
des Elters, sondern nur überhaupt eine Mehrzahl der Idanten
dieser Gruppe erforderlich sein.
Anders bei dem zweiten Fall, der vorwiegenden Ähnlich-
keit mit dem Bilde des einen Elters. Diese setzt die Anwesen-
heit der dominirenden Idantengruppe des betreffenden Elters
voraus und ferner das Gegenübertreten einer weniger starken,
d. h. mit geringer Zahl homodynamer Determinanten ausge-
rüsteten Idantengruppe des andern Elters.
[413]
Es giebt nun drittens Fälle, in welchen das Kind mehr
oder weniger rein das Bild des Onkels oder der Tante
wiederholt, oder bei welchen dieses Bild gemischt auftritt mit
den Charakteren des andern Elters. Ich kenne einen Mann,
der vorwiegend einer Tante mütterlicherseits ähnlich sieht, der
aber daneben noch viele allgemeine Charaktere der Familie
seines Vaters aufweist.
Die idioplasmatische Erklärung dafür darf wohl darin ge-
funden werden, dass die Eizelle, aus welcher der Betreffende
sich entwickelte, nicht die dominirende Idantengruppe der Mutter,
sondern diejenige enthielt, welche in der Ontogenese der Schwester
der Mutter dominirt hatte. Das ist theoretisch sehr wohl mög-
lich. Gesetzt, die Ur-Keimzellen vom Grossvater mütterlicher-
seits (mp) hätten die Idanten enthalten: a b c d e f g h; die
Grossmutter dagegen die Idanten i k l m n o p q, ferner: die be-
fruchtete Eizelle, aus welcher die Mutter hervorging, hätte ent-
halten die Idanten a b c d × i k l m, diejenige, aus welcher die
Tante hervorging, dagegen die Idanten a b c f × l n o p. Gesetzt
ferner, die dominirende Idantengruppe in der Ontogenese der
Tante seien die fettgedruckten Idanten a b c und l gewesen, so
leuchtet ein, dass dieselbe Combination a b c l auch aus dem
Keimplasma der Mutter mittelst Reductionstheilung hervorgehen
kann, da sie alle vier im Keimplasma der Mutter a b c d × i k l m
enthalten sind. Ob nun dieser Fall in solcher Reinheit vor-
komme, kann wohl bezweifelt werden; ich kenne keinen der-
artigen Vererbungsfall, der die Annahme verlangte; die Ähn-
lichkeit ist immer nur eine unvollständige.
Ein vierter Fall ist der, in welchem das Kind weder Vater
oder Mutter entschieden gleicht, noch ein erkennbares Gemisch
beider ist, in welchem es auch nicht einem der vier Grosseltern
entschieden gleicht, sondern eine ganz neue Combination von
Eigenschaften darstellt. Niemals wohl verleugnet ein solches
[414] Kind die Familien-Ähnlichkeit mit beiden oder doch der einen
der elterlichen Familien, aber es fehlen irgend ausgeprägte
Charaktere der betreffenden Vorfahren.
Die Theorie kommt durch diese Fälle nicht in Verlegen-
heit, da durch die Reductionstheilung die Möglichkeit geboten
ist, dass in die Keimzellen der Eltern, welche zur Amphimixis
gelangen, gerade die bei beiden Eltern dominirenden Idanten
nicht, oder doch nur theilweise gelangen.
Es habe z. B. bei der Ontogenese des Vaters das Keim-
plasma die Zusammensetzung a b c d e f g h gehabt mit den
dominirenden Idanten a b d f; bei der Ontogenese der Mutter
sei es aus den Idanten i k l m n o p q zusammengesetzt gewesen
und i l n o hätten wesentlich ihr Bild bestimmt. Wenn nun
die Reductionstheilung so erfolgt, dass eine Eizelle mit den
Idanten k m p q und eine Samenzelle mit den Idanten c e g h
entsteht, und wenn diese sich in Amphimixis vereinigen, so
entsteht ein Keimplasma, welches zwar wohl Familiencharaktere
von beiden Seiten enthalten wird, unmöglich aber das Bild des
Vaters oder der Mutter, oder ein Gemisch aus ihnen liefern
kann.
Über den Rückschlag des Kindes auf einen der vier Gross-
eltern war schon ausführlich die Rede, und ich komme darauf
nicht zurück. Aber Eines möchte ich hervorheben, dass nämlich
nach der Theorie niemals ein Kind eine Mischung aus
dem Bilde zweier Grosseltern sein kann. Einfach des-
halb, weil mindestens die Hälfte der Idanten eines Keimplasma’s
das Bild des Kindes bestimmen, weil aber immer nur ein Viertel
der Idanten zweier Grosseltern zugleich im Keimplasma des
Kindes enthalten sein können. Eine Ausnahme davon würde
nur bei Inzucht stattfinden können, d. h. also wenn beide Gross-
eltern theilweise dieselben Idanten enthielten.
Es ist mir auch niemals ein Fall vorgekommen, in dem
[415] die Ähnlichkeit mit den Eltern gefehlt hätte, dagegen das Bild
des Kindes aus dem zweier Grosseltern gemischt gewesen wäre.
4. Rückschlag auf Charaktere weit entfernter Vorfahren.
Ich wende mich zur Betrachtung des Rückschlags auf
entfernte Vorfahren. Die Fälle sind durch Darwin so
bekannt geworden, dass man fast glauben sollte, eine genauere
Darlegung der blossen Thatsachen sei überflüssig. Dennoch ist
dies nicht der Fall, ja ich muss sogar sagen, dass die Thatsachen
nicht nach allen Richtungen hin so genau beschrieben worden
sind, als es für ihre theoretische Erklärung wünschenswerth wäre.
Darwin hat zuerst darauf aufmerksam gemacht, dass bei Kreu-
zungen, sei es von Arten oder von blossen Varietäten, nicht
selten Charaktere bei den Nachkommen auftreten, welche bei den
Eltern nicht vorhanden waren, von denen wir aber theils geradezu
nachweisen, theils sehr wahrscheinlich machen können, dass
sie weit zurückliegenden Vorfahren zukamen. So erscheint bei
Maulthieren zuweilen eine entschiedene Zebrastreifung auf
den Vorderbeinen und der Schulter, die sowohl beim Pferd,
als beim Esel nur sehr selten und überhaupt nur sehr schwach
vorkommt, die aber der Stammform beider Arten zugeschrieben
werden darf. So entstehen bei der Kreuzung gewisser Tauben-
Rassen Nachkommen mit dem schieferblauen Gefieder der
wilden Felsentaube, obwohl die zur Kreuzung benutzten Rassen
ganz andere Färbungen besassen, und in diesem Falle ist die
Abstammung von der wilden Felsentaube sicher. Auch bei
Pflanzen giebt es solche Fälle. Die Bastarde der weiss
blühenden Datura ferox und Datura laevis besitzen regelmässig
blaue (purpurne?) Blumen, und Darwin1) zeigt, dass man dies
als Rückschlag auf blau blühende Vorfahren anzusehen habe,
[416] wie es denn heute noch eine ganze Section von Datura-Arten
giebt, welche blaue Blumen hervorbringen.
Ich will nun diese drei Fälle nach meiner Theorie zu er-
klären versuchen. Rückschlag wird hier, wie überall, im All-
gemeinen dadurch zu erklären sein, dass alte, unveränderte
Determinanten im Keimplasma enthalten sind, die nun unter
gewissen Verhältnissen an Stelle der jüngeren homologen Deter-
minanten zur Herrschaft über die betreffende Zelle oder die
Zellenbezirke gelangen. Ähnliche Annahmen muss jede Ver-
erbungstheorie machen, die Darwin’sche Pangenesis hält dafür
alte Keimchen in Bereitschaft, de Vries alte Pangene, irgend
welche unveränderte Theile der Vererbungssubstanz der Vor-
fahren müssen immer den Ausgangspunkt der Erklärung bilden;
es fragt sich nur, ob man dabei stehen bleiben und alles Übrige
im Dunkel lassen muss, oder ob man vielleicht doch im Princip
wenigstens sich eine gewisse Einsicht auch dafür verschaffen
kann, weshalb diese Theilchen unverändert bleiben konnten,
weshalb sie, und unter welchen Umständen plötzlich wieder zur
Herrschaft gelangen können, und weshalb gerade an Stelle der
ihnen homologen umgewandelten Theile.
Auf die erste Frage ist oben schon eine Antwort gegeben
worden. Es wurde gezeigt, dass gerade nach dem Alles be-
herrschenden Princip der Selection eine von den Lebensumständen
einer Art geforderte Umwandlung des Körpers niemals auch
eine Umwandlung aller der für die umzuwandelnden Theile
betreffenden Determinanten verlangt, sondern immer nur einer
Majorität derselben, die so gross ist, dass sie das Zustande-
kommen der betreffenden Abänderung in jeder Ontogenese,
d. h. also bei jedem Individuum der Art sicher stellt. Mehr
ist nicht nöthig, mehr kann also auch durch Selections-
vorgänge nicht geleistet werden. Es müssen somit nach
jeder Umwandlung des Körpers in der Entwickelungsgeschichte
[417] der Arten neben den umgewandelten Determinanten eines Theiles
immer auch noch unveränderte im Keimplasma enthalten sein,
und sie werden sich nur sehr langsam im Laufe der weiteren
Artgeschichte verlieren können.
Das Material, mit welchem Rückschlag auf alle Art-
[Charaktere] zu operiren hat, kann also als vorhanden nach-
gewiesen werden vom Boden der Selectionstheorie aus, es
müssen in jedem Keimplasma alte Determinanten,
welche Charakteren der Vorfahren-Arten entsprechen,
in grösserer oder geringerer Zahl enthalten sein.
Die zweite Frage, weshalb solche „Vorfahren-Determi-
nanten“ immer an der richtigen Stelle im Körper zur Geltung
kommen, erledigt sich nach unserer Theorie von selbst, welche
ja die Mechanik der Ontogenese auf die allmälige Auseinander-
legung der Determinanten des Keimplasma’s bezieht.
Es bleibt also nur die dritte Frage noch zu beantworten,
welche lautet: wie können die alten, in der Minderheit
befindlichen Vorfahren-Determinanten zur Herrschaft
über die Majorität der jüngeren gelangen?
Bei den Nachkommen von Pflanzen-Mischlingen sahen wir
auch bei Befruchtung mit eigenem Pollen Rückschlag zu der
einen Stammform dann eintreten, wenn zufällig solche Keim-
zellen bei der Befruchtung zusammentreffen, welchen bei der
Reductionstheilung die vollständige Idantengruppe derselben
elterlichen Stammart zugetheilt worden war. Sobald das Keim-
plasma der befruchteten Eizelle nur Idanten der Art A enthält,
kann auch nur ein Bion der Art A entstehen. Davon kann
nun bei dem Rückschlag auf entfernte Vorfahren-Merkmale
nicht die Rede sein; es kann hier niemals vorkommen, dass das
Keimplasma nur aus Idanten der Vorfahren-Arten bestünde, ja,
es wird bezweifelt werden dürfen, dass überhaupt noch ganze
Vorfahren-Idanten im Keimplasma irgend eines Individuums
Weismann, Das Keimplasma. 27
[418] einer längst befestigten Art enthalten sind. Denn die Zahl
der Idanten (Kernstäbchen) ist bei keiner Art eine überaus
grosse und wenn wir, wie in dem oben gewählten Beispiel, eine
mittlere Zahl, z. B. 16 annehmen, so würde ein unveränderter
Idant auf 15 abgeänderte schon ein ziemlich starkes Verhält-
niss sein und die Möglichkeit eröffnen, dass bei der gewöhn-
lichen Fortpflanzung der Art unter sich gelegentlich ein Rück-
schlag auf die Stammform vorkäme. Es brauchte die Befruchtung
nur 8 Mal hintereinander derart zu erfolgen, dass jedesmal zwei
der unveränderten Vorfahren-Idanten zu den schon vorhandenen
hinzugeführt würden, so entstünde ein nur aus reinen Vor-
fahren-Idanten gebildetes Keimplasma, und das daraus sich ent-
wickelnde Bion müsste in allen Charakteren dem betreffenden
Vorfahren entsprechen. Der Vorgang könnte unter besonders
günstigen Verhältnissen sogar schon in vier Generationen sich
abspielen, nämlich so:
Dabei bedeuten die Buchstaben die Idanten, die unter sich nur
individuell verschieden sind mit Ausnahme von a', welches den
in der ersten Generation nur einmal vorhandenen unveränderten
Vorfahren-Idanten bedeutet. Der senkrechte Strich deutet die
Reductionstheilung der Mutterkeimzellen an, welche in dem hier
angenommenen günstigsten Falle immer gerade die Vorfahren-
Idanten a' in die zur Amphimixis gelangende Keimzelle der
folgenden Generation zusammenführt. Der Einfachheit halber
ist angenommen, dass die copulirenden Keimzellen in Bezug
auf ihren Gehalt an Vorfahren-Idanten gleich seien. Auf diese
[419] Weise muss schon in der vierten Generation ein lediglich aus
Vorfahren-Idanten zusammengesetztes Keimplasma entstehen.
Wenn man nun auch gewiss zugeben muss, dass ein so
günstiges Zusammentreffen aller Umstände kaum je vorkommen
wird, so lässt sich doch nicht bestreiten, dass in längeren Ge-
nerationsfolgen sehr wohl eine Anhäufung von Vorfahren-
Idanten in einer Keimzelle eintreten kann, und dass somit auch
eine Überzahl von solchen Idanten bei der Befruchtung zu-
sammentreffen kann. In diesem Falle würde also ein mehr oder
weniger vollständiger Rückschlag auf die Stammart eintreten
müssen. Da wir nun bei reinen, längst fixirten Arten bei ihrer
normalen Fortpflanzung solche Rückschläge auf das volle Bild
der Vorfahren-Art nicht beobachten, so wird daraus geschlossen
werden dürfen, dass bei solchen reinen, alten Arten sämmt-
liche Idanten umgewandelte sind, d. h. solche, von wel-
chen jeder das Bild der Art liefert, nicht das eines Vorfahren,
falls er allein die Ontogenese bestimmen würde.
Die angestellten Erwägungen bieten aber, wie mir scheint,
eine gute Erklärung für den häufigen Rückschlag junger,
noch nicht völlig fixirter Arten. Garten-Varietäten von
Blumen, z. B. vom Stiefmütterchen (Viola tricolor) geben unter
einer grossen Anzahl von Sämlingen immer auch solche Pflanzen,
deren Blumen der wilden Art mehr oder weniger vollständig
gleichen. Bei dieser ganz modernen Lebensform ist offenbar
nur ein Theil der Idanten von der Umwandlung betroffen worden,
ein anderer kleinerer Theil ist unverändert geblieben. Da nun
die Reductionstheilung die Idanten in allen möglichen Combi-
nationen in zwei Gruppen bringt, so werden auch solche Keim-
zellen, männliche wie weibliche vorkommen, welche vorwiegend
unabgeänderte Idanten enthalten, und wenn dann bei der Be-
fruchtung zwei solche Keimzellen zusammentreffen, so muss
Rückschlag eintreten.
27*
[420]
Gesetzt, es wären von 16 Idanten des Keimplasma’s 10 ab-
geändert, 6 unabgeändert, so könnte unter günstigen Umständen
schon ohne weitere Anhäufung im Laufe der Generationen, d. h.
also direkt bei jeder Befruchtung, der Fall eintreten, dass die
Majorität der Idanten unabgeändert wäre nach folgendem Schema,
bei welchem die Buchstaben mit Strich die unabgeänderten, die
ohne Strich die abgeänderten Idanten bedeuten, die Trennungs-
linie zwischen den Buchstaben die Reductionstheilung:
Durch die Art der Reductionstheilung kommen in die mütter-
liche Keimzelle 5 unabgeänderte Idanten, in die väterliche eben-
falls 5, so dass in dem Keimplasma des Kindes 10 unabgeänderte
Idanten nur 6 abgeänderten gegenüberstehen. Lassen wir da-
gegen die beiden andern aus denselben Mutter-Keimzellen durch
die Reductionstheilung hervorgehenden Keimzellen in der Be-
fruchtung zusammentreten, so erhalten wir ein Keimplasma des
Kindes II von folgender Zusammensetzung:
i k l' m n o p q y z a b' c d e g
d. h. ein Keimplasma, in dem nur zwei unabgeänderte Idanten
enthalten sind, aus dem also die abgeänderte Form der Pflanze
hervorgehen muss.
Eine grosse Anzahl von bisher unverstandenen Vererbungs-
fällen erklärt sich so auf sehr einfache Weise, z. B. die Be-
obachtung, dass Spielarten cultivirter Pflanzen in so un-
gemein verschiedenem Betrage von Sicherheit ihre
Eigenthümlichkeiten vererben. Dies wird davon abhängen,
wie viele der Idanten ihres Keimplasma’s unverändert geblieben
sind; je grösser die Anzahl derselben ist, um so leichter wird
Rückschlag eintreten.
Der erste der drei oben als Typen für den Rückschlag
[421] auf entferntere Vorfahren aufgeführten Fälle, der von Datura
ferox × laevis, scheint sich wohl nach den oben angestellten
theoretischen Betrachtungen verstehen zu lassen. Die beiden
weiss blühenden Datura-Arten geben blau blühende Bastarde,
und zwar nicht blos dann und wann, sondern in allen 205 Pflanzen,
welche Naudin aus dieser Kreuzung erzog 1), sowie in den
sämmtlichen Fällen, welche früher schon von Koelreutter und
Gärtner2) beobachtet worden waren. Wenn wir annehmen,
beide Datura-Arten enthielten neben ihren eigentlichen Art-
Idanten noch eine gewisse Zahl von Vorfahren-Idanten, so könnten
diese durch die Reductionstheilung in einzelnen Keimzellen relativ
vermehrt werden und würden dann bei dem Zusammentreffen
mit einer ähnlichen, an Vorfahren-Idanten reichen Keimzelle der
andern Art ein Keimplasma darstellen, in welchem die Vorfahren-
Idanten in grösserer Anzahl enthalten wären, vielleicht sogar
die Majorität besässen. Es könnten also einzelne Rückschläge
auf die beiden gemeinsame Stammart eintreten. Offenbar werden
aber durch diese Annahme die Thatsachen noch nicht hinreichend
erklärt, da ja die blaue Farbe der Blumen bei allen Bastarden
sich zeigte. Es muss also der Rückschlag hier unabhängig
sein von der durch die Reductionstheilung möglicherweise in
einzelnen Keimzellen eintretenden stärkeren Ansammlung von
Vorfahren-Idanten. Diese Idanten müssen vielmehr in jeder
befruchteten Keimzelle in einer genügenden Anzahl
zusammentreffen, um den abgeänderten Idanten über-
legen zu sein und die Ontogenese zu beherrschen. Numerisch
können sie aber unmöglich in jedem Falle stärker sein, es muss
also hier noch etwas Anderes mitspielen, was den Vorfahren-
Anlagen in jedem Falle das Übergewicht verleiht, und dies
dürfte wohl die specifische Verschiedenheit der abge-
[422] änderten Idanten sein. Wir nahmen von vornherein an, dass
homodyname Determinanten sich in ihrer Wirkung summiren,
heterodyname aber sich gegenseitig hemmen. Ähnlich wird es
sich auch mit den Determinanten-Gruppen, den Iden und
Idanten verhalten müssen; gleichartige Idanten werden sich in
ihrer Wirkung verstärken, ungleichartige aber um so entschie-
dener hemmen, je verschiedenartiger ihre Zusammensetzung aus
Iden und Determinanten ist. Fassen wir einmal nur die De-
terminantengruppe der Blumen ins Auge, so enthalten aller-
dings die beiden Datura-Arten Determinanten, welche auf eine
weisse Blume abzielen, und man könnte daraus schliessen
wollen, dass sie homodynam sein und ihre Wirkungen summiren
müssten. Das wäre aber ein Fehlschluss, denn es kann sehr
wohl sein, dass diese Determinanten nur gerade in der Erzielung
der Farbe „Weiss“ übereinstimmen, in vielen anderen Eigen-
schaften der Zellen, in Grösse, feinerem Bau u. s. w. stark von
einander abweichen. Die „blauen“ Determinanten aber sind
wirklich homodynam, d. h. sie stimmen nicht nur in Bezug
auf die Farbe überein, die sie hervorrufen, sondern auch in
allen anderen Eigenschaften der Blumenzellen, denn sie rühren
von der gemeinsamen Stammart her. Wenn also der Bastard
zur Blumenbildung schreitet, so wird die Bildung der Blumen-
zellen von den Determinanten der beiden weissen Arten und
von denjenigen der blauen Stammart abhängen. Obgleich nun
die blauen in jedem elterlichen Idioplasma in der Minderheit
sind, so können sie doch, wenn sich alle vereinigen, den weissen
an Vererbungsstärke überlegen sein, wenn die weissen nicht
homodynam sind, d. h. nicht genau dieselbe Vererbungskraft
enthalten und deshalb eine mittlere Wirkung nicht hervorbringen
können. Sie hemmen sich gegenseitig in ihrer Wirkung, weil
sie in mehr oder weniger verschiedener Richtung wirken. Nach
diesem Princip lassen sich viele Fälle von Rückschlag verstehen,
[423] wenn eben auch nur im Princip. Doch kann man sich leicht
einen solchen Fall auch durch Zahlen im Einzelnen anschaulich
machen.
Gesetzt, es seien nicht blos einzelne Ide, welche die „blauen“
Stammes-Determinanten enthalten, sondern ganze Idanten mit
allen ihren Iden, so würde sich also im Keimplasma der Datura-
Bastarde gegenüberstehen: eine Minorität alter Vorfahren-Idanten
und eine Majorität moderner Idanten, welche aber zur Hälfte
dem Bilde der Datura laevis, zur Hälfte dem Bilde der Datura
ferox entsprächen. Es seien im Ganzen 16 Idanten, davon
6 blaue Ahnen-Idanten und 10 weisse Idanten. Da nun die
Letzteren sich aus 5 Laevis- und 5 Ferox-Idanten zusammen-
setzen, also aus ungleichartigen, so überwiegen die 6 gleichen
Ahnen-Idanten, die sich gegenseitig verstärken, während die
2 × 5 differenten Laevis- und Ferox-Idanten sich nicht zur
Kraftsumme von 10 summiren.
Ich habe bisher vorausgesetzt, dass es sich in diesem Falle
um einen vollständigen Rückschlag auf die Stammform handle
und nicht blos um Rückschlag auf einzelne Vorfahren-
Charaktere. Ich kann indessen aus den mir zugänglichen
Angaben über diese Bastarde nicht mit Sicherheit darüber
urtheilen, und da der Fall hier nicht seiner selbst willen, sondern
nur als Beispiel gewählt wurde, um daran zu zeigen, wie etwa
ein Fall völligen Rückschlags auf entferntere Vorfahren erklärt
werden könne, so kann die Frage, ob dieser Fall wirklich dahin
gehöre, und ob solche Fälle vollkommnen Rückschlags wirklich
vorkommen, unentschieden bleiben. Jedenfalls ist das Blau der
Blumen nicht der einzige scheinbar neue Charakter dieser
Bastarde, sondern auch die braune Farbe der Stengel, welche
bei beiden reinen Arten grün sind. Nur die eine der beiden
Arten, Datura ferox, zeigt in frühester Jugend diese braune
Farbe des Stengels, die sich später nur noch als ein Ring um
[424] die Basis des Stengels erhält. Ob die Gestalt der Blätter, der
Bau des Stengels oder der Früchte einen Anhalt dafür giebt,
diese Theile als Mittel aus den beiden Eltern-Arten, oder aber
als Abweichungen von beiden, dann also vermuthlich als Rück-
schlag auf die Verfahren-Art zu betrachten, dies zu entscheiden
muss ich den Botanikern überlassen.
Bei dem oben schon erwähnten Rückschlag der Tauben-
Rassen auf die wilde Stammform, der häufig nach Kreuzung
verschiedenartiger Rassen eintritt, darf wohl behauptet werden,
dass er kein vollständiger ist. Allerdings hat Darwin einmal
eine Taube erhalten, die „kaum von der wilden Shetland-Art
zu unterscheiden war“ und die doch der Enkel von vier Gross-
eltern waren, die alle von der wilden Art der Columba livia
sehr bedeutend abwichen. Dieser blaue mit den typischen
schwarzen Binden auf Flügeln und Schwanz versehene Enkel
stammte von einer rothen Blässtaube, einer weissen Pfauentaube
und zwei schwarzen Barbtauben. Diese Rassen unterscheiden
sich bekanntlich nicht nur durch die Färbung von der wilden
Taube, sondern noch durch viele andere Abweichungen, als
Schnabellänge, Zahl der Schwanzfedern u. s. w., und es wäre des-
halb interessant zu wissen, ob diese Rassen-Charaktere sämmtlich
verloren gegangen waren in dem Enkel, und sich in die ent-
sprechenden Merkmale der wilden Art zurückverwandelt hatten.
Man würde dann den Rückschlag als vollständig betrachten
dürfen und ihn theoretisch in ähnlicher Weise erklären, wie es
oben beim Datura-Bastard geschah. Leider giebt Darwin
darüber keinen Aufschluss, da er seine Aufmerksamkeit wesent-
lich auf die für die Art so charakteristische Färbung concentrirte.
Es ist mir indessen aus verschiedenen seiner Angaben sehr wahr-
scheinlich, dass es sich hier wesentlich auch nur um Rückschlag
in der Färbung des Gefieders handelt. Ich schliesse dies vor
Allem daraus, dass alle Hauptrassen der Tauben auch in der
[425] blauen, d. h. der ursprünglichen Färbung der Columba livia
vorkommen, wenn auch solche blaue Unter-Rassen bei einigen
der Hauptrassen selten sind. Die übrigen Rassen-Merkmale
schliessen also jedenfalls die blaue Färbung nicht aus, und so
wird auch umgekehrt, die Rückkehr zur blauen Färbung nicht
nothwendig eine Rückkehr zu allen übrigen Charakteren der
Stammart nothwendig machen.
Vollkommen sicher ist, dass in den meisten durch Kreuzung
hervorgerufenen Fällen von Rückschlag dieser selbst in der
Färbung kein vollständiger ist, sondern von den schwächsten,
kaum erkennbaren Andeutungen der Flügel- und Schwanzbinden
durch theilweise Blaufärbung mit vollkommenen Binden bis
zur vollständigen Schieferfarbe und der ausgebildeten Zeichnung
der Stammform emporsteigt. Die grösste Zahl der Tauben-
Rückschläge sind also sicher unvollkommene Rückschläge,
d. h. Rückschläge auf einzelne oder auf Gruppen von
Charakteren, und mit der theoretischen Erklärung dieser Fälle
haben wir es hier zu thun.
Ich stelle die beiden Thatsachen voran, dass alle werth-
vollen Taubenrassen unter sich rein züchten, dass alle Haupt-
rassen durch Form unterschiede charakterisirt sind, und dass
erst die Unterrassen auf Farben-Unterschieden beruhen. Dies
heisst, wie mir scheint, erstens, dass das Keimplasma dieser
Hauptrassen in der Hauptsache abgeändert ist dem der Felsen-
taube gegenüber, und dass nur kleinere Theile desselben der
Stammform entsprechen; weiter aber, dass nicht alle Deter-
minanten gleich stark abgeändert sind; die der Färbung
am wenigsten, die des gesammten Körperbaues am meisten. Ich
denke mir deshalb das Keimplasma einer Hauptrasse aus lauter
abgeänderten Idanten zusammengesetzt; keiner derselben ent-
spricht mehr vollkommen der Stammform, d. h. keiner derselben,
wenn er für sich allein die Ontogenese leitete, würde zur Bil-
[426] dung einer Felsentaube führen. Dieser Schluss ruht wesentlich auf
dem Reinzüchten, insofern ein Keimplasma, welches noch ein-
zelne unveränderte Idanten der Stammart enthielte, nothwendig
oder doch wahrscheinlich in Folge der stets neuen Combinirung
der Idanten bei der Reductionstheilung und bei der Befruchtung
auch einmal eine Majorität von Stamm-Idanten zu gleicher Zeit
erhalten könnte, woraus dann Rückschlag auf die Stammart
resultiren müsste. Dies kommt aber bei Reinzucht nicht vor,
vielmehr nur bei Kreuzung.
Ich denke mir deshalb das Keimplasma der Taubenrassen
aus einer bestimmten Anzahl von Idanten zusammengesetzt, von
denen jeder das Bild der Rasse repräsentirt. In jedem dieser
Idanten muss also die Mehrzahl der denselben zusammensetzen-
den Ide ebenfalls dieses Bild virtuell enthalten, oder genauer:
sämmtliche Determinanten der Rasse sind in der Ge-
sammtheit der Ide jedes Idanten in der Majorität
gegenüber den etwa noch vorhandenen nicht abgeänder-
ten Determinanten.
Die Reinzüchtung der Rasse erklärt sich daraus voll-
ständig.
Was nun den Rückschlag auf Färbung und Zeichnung der
wilden Taube betrifft, so werden bei dem künstlichen Züchtungs-
process, dem diese Taubenrassen ihren Ursprung verdanken, nur
eben so viel Ide völlig zu Rassen-Iden umgewandelt worden
sein, als nöthig war, um eben das angestrebte Ziel: Rein-
züchtung der Rassen-Charaktere zu sichern; eine grössere oder
geringere Anzahl von Iden vieler oder vielleicht auch aller
Idanten wird aber in allen, oder doch in manchen Determi-
nanten unabgeändert geblieben sein. Offenbar müssen die
Determinanten, welche die Färbung bedingen, in grösserer An-
zahl unverändert geblieben sein, als die von andern Charakteren,
da die Färbung am leichtesten zurückschlägt.
[427]
Rückschlag in der Färbung wird dann eintreten, wenn
irgendwo am Gefieder des sich entwickelnden Vogels die Stamm-
Determinanten über die Rassen-Determinanten das Übergewicht
erlangen, und dies wird bei der Kreuzung dann eintreten,
wenn die Rassen-Determinanten so verschieden sind,
dass sie ihre Kräfte nicht summiren, sondern sich
gegenseitig hemmen. Die Stamm-Determinanten werden
dann — obwohl in den Idanten der beiden Keimzellen, die bei
der Kreuzung sich vereinigen, in der Minorität — sich in ihrer
bestimmenden Kraft summiren, und wenn sie zahlreich genug
sind, die betreffenden Färbungen bestimmen, d. h. Rückschlag
veranlassen.
Ich glaube, dass sich so nicht nur die Erscheinung des
Rückschlages im Allgemeinen, sondern auch Vieles von den
Einzelbeobachtungen erklärt, zunächst die verschiedene Stärke
des Rückschlages bei verschiedenen Taubenrassen.
Ausreichende Versuche liegen zwar darüber nicht vor, aber
man erkennt doch, dass bei manchen Rassen der Rückschlag
leichter und stärker eintritt, als bei andern. So erhielt Darwin
durch Kreuzung von zwei schwarzen Barb-Taubern mit zwei
rothen Bläss-Tauben dunkel gefärbte Bastarde, von denen „nicht
weniger als sechs doppelte Flügelbinden“ besassen. Hingegen
ergab die Kreuzung schwarzer Barben mit schneeweissen Pfauen-
tauben keine Spur eines Rückschlages. Dies findet seine Er-
klärung schon in der verschiedenen Zahl von unveränderten
Art-Determinanten, welche bei verschiedenen Rassen in dem
Keimplasma zurückgeblieben sein müssen, wird aber auch von
der verschiedenen Differenz der abgeänderten Rassen-Determi-
nanten abhängen, denn um so stärker die beiden Rassen, welche
gekreuzt werden, differiren, um so leichter werden die Vor-
fahren-Determinanten über sie siegen.
Der zuletzt erwähnte Versuch Darwin’s wurde noch fort-
[428] gesetzt, indem ein Paar der Bastarde, ein schwarzer und ein
brauner Vogel, miteinander gepaart wurde. Die ersten Nach-
kommen (wie viele ist nicht gesagt) zeigten nun auf braunem
Grund dunkelbraune Flügelbinden. Dies erklärt sich durch
Anhäufung einer grösseren Zahl nicht abgeänderter Determi-
nanten in einzelnen Keimzellen durch die Reductionstheilung
mit nachfolgendem Zusammentreffen zweier solcher Zellen bei
der Befruchtung. Man wird aber erwarten dürfen, dass der
Rückschlag nicht bei allen Nachkommen dieses Paares eintreten
würde, denn die Reductionstheilung muss andererseits auch
solche Keimzellen hervorrufen, in welchen die abgeänderten
Determinanten in der Mehrzahl sind. In der That ging aus
einer zweiten Brut derselben Eltern ein brauner Vogel hervor,
der keine Andeutung von Flügelbinden besass.
Sehr leicht lässt sich vom Boden der Theorie aus die That-
sache verstehen, dass die einfache Kreuzung zweier Rassen
mehrmals keine Spur von Rückschlag ergab, wohl aber die
darauf folgende Doppelkreuzung. Der stärkste Rück-
schlag, den Darwin erhielt, entstand auf diese Weise. Ein
weiblicher Barb-Pfauentauben-Bastard wurde mit einem männ-
lichen Barben-Blässtauben-Bastard gepaart. Keiner von beiden
Vögeln „hatte auch nur das geringste Blau an sich“, dennoch
waren die Nachkommen (wie viele ist nicht gesagt) dieser Bastarde
„blau über den ganzen Rücken und die Flügel, und besassen die
doppelte schwarze Flügelbinde und die Schwanzbinde, genau
wie die wilde Felsentaube“. Hier kamen die Stamm-Determi-
nanten offenbar dadurch stärker zur Geltung, weil ihnen drei-
oder viererlei verschiedenartige Rassen-Determinanten gegen-
überstanden, deren bestimmende Kraft sich nicht einfach summiren
konnte, wie die der Stammes-Determinanten, sondern sich theil-
weise schwächte und aufhob.
Auch die aus den Darwin’schen Beobachtungen heraus-
[429] zulesende Thatsache, dass bei einfacher Kreuzung die Jungen
sich ungefähr gleich verhalten in Bezug auf Rückschlag, lässt
sich theoretisch leicht verstehen. Denn im Keimplasma einer
gut fixirten Rasse wird ein bestimmter Procentsatz von Stammes-
Determinanten enthalten sein, und die verschiedenen Keimzellen
eines Individuums werden nur geringen Schwankungen nach
dieser Richtung hin unterliegen. Es müssen also bei der ein-
fachen Kreuzung bei jeder Befruchtung nahezu gleichviel
Stammes-Determinanten zusammentreffen, andererseits auch nahezu
gleichviel Rassen-Determinanten, und aus dem Kampf dieser ver-
schiedenen Determinanten-Arten muss auch stets annähernd das
gleiche Resultat hervorgehen. Dass die Übereinstimmung der
Jungen derselben Kreuzung eine vollkommene sei, ist nicht zu
erwarten, aber wenn kein Rückschlag bei dem einen eintritt,
so fehlt er auch bei den andern, und wenn er halb eintritt, so
findet sich irgend welcher Theil auch bei den andern zurück-
geschlagen. Ein Beispiel des ersten Falles ist in der oben an-
geführten Kreuzung von schwarzen Barb- mit weissen Pfauen-
tauben enthalten. Ein Beispiel der zweiten Art beschreibt
Darwin auf p. 220 des Band I der „Domestication“. Er
kreuzte eine weisse Nonne mit einem rothen Purzler und er-
hielt fünf Junge, die alle irgend welche Andeutung von Rück-
schlag zeigten: No. I hatte einen blauen Schwanz, No. II und
No. III besassen auf einem blauen Schwanz sogar noch eine
Spur der schwarzen Binde, No. IV war bräunlich, hatte aber
eine Spur der Flügelbinde, No. V. war blassblau an Brust,
Rücken und Schwanz, aber am Hals und auf den Flügeln war
sie roth und die Flügelbinden waren ebenfalls roth angelegt.
Also bei allen fünf Jungen Rückschlag, bald stärker, bald
schwächer, bald an diesem, bald an jenem Theil. Die Ver-
schiedenheit der Jungen deutet darauf hin, was die Theorie
auch voraussetzen muss, dass die Zahl der Stammes-Determi-
[430] nanten in den beiderseitigen Keimzellen, welche das Bild der
fünf Jungen bestimmten, nicht durchaus die gleiche war. Aber
sie lässt noch einen weiteren Schluss zu, der auch theoretisch
vorherzusehen war, dass nämlich die Farben-Determinanten
der verschiedenen Körpergegenden in schwankenden
Ziffern in den verschiedenen Keimzellen vertreten
sind. Das lässt sich in den Bau des Keimplasma’s, wie er
hier angenommen wurde, nicht nur leicht hineindenken, sondern
es kann überhaupt kaum anders vorgestellt werden. Wenn in
den verschiedenen Idanten des Bastard-Keimplasma’s zusammen-
genommen zwanzig Ide enthalten sind mit Stammes-Determi-
nanten, so ist damit nicht gesagt, dass in jedem solchen Id
nur Stammes-Determinanten vorkommen. Nichts spricht da-
gegen, dass in demselben Id z. B. die Determinanten der Flügel-
farben Stammes-Determinanten sind, während die der Schwanz-
farben Rassen-Determinanten sind, oder umgekehrt. Indem nun
in der einen Keimzelle die ersteren, in der zweiten die anderen
an Zahl überwiegen, wird der Vogel den Rückschlag am Schwanz
oder an den Flügeln zeigen, denn der Kampf der Determinanten
vollzieht sich nach unserer Theorie in jeder Zelle und folglich
auch an jeder Stelle des Bion für sich; die Entscheidung wird
also an jeder Stelle unabhängig von den übrigen gegeben und
hängt lediglich von der Combination homologer Determinanten
ab, welche in der betreffenden Zelle, oder auf dem betreffenden
Zellgebiet miteinander kämpfen. So erklärt es sich sehr gut,
dass zwar alle Jungen einer gewissen Kreuzung Rückschlag
zeigen, aber in sehr verschiedenartigen Mischungen mit den
Rassen-Charakteren der Eltern.
Ich komme jetzt zu dem dritten im Anfang dieses Ab-
schnittes aufgestellten Typus des Rückschlages, zu dem Rück-
schlag auf vereinzelte Charaktere weit zurück ge-
legener Stammarten. Die Zebra-Streifung an den
[431] Beinen der Esel und Pferde, besonders aber der Maul-
thiere gehört hierher.
Es ist wohl nicht nöthig, die Argumente zu wiederholen,
mit welchen Darwin wahrscheinlich zu machen suchte, dass
die nächste Stammform des Pferdes graubraun von Farbe und
gestreift war. Anklänge daran kommen heute noch bei Pferden
verschiedener Farbe in allen Theilen der Erde vor, nämlich ein
dunkler Rückenstreif, und Querstreifen an den Beinen und den
Schultern; sie kommen indessen selten genug vor, am häufigsten
bei graubraunen Pferden. Beim Esel ist der Beweis geliefert,
dass er von einer Art abstammt, die an den Beinen gestreift
ist, denn diese Stammart ist der heute noch in Abyssinien wild
lebende Asinus taeniopus. Beim zahmen Esel kommt regel-
mässig nur das Rückenkreuz von der ursprünglichen Zeichnung
noch vor, aber hie und da findet sich auch die Streifung der
Beine, und zwar besonders bei rein grauer Grundfärbung. Bei
Pferden wie Eseln ist die Streifung der Beine recht selten, wie
ich nach eigner Beobachtung bestätigen kann, und wenn sie
vorhanden ist, so ist sie doch nur schwach ausgebildet.
Sehr viel häufiger und stärker ausgebildet kommt sie beim
Maulthier vor, und zwar besonders bei hellgrauen Thieren.
Man kann dann zuweilen nicht nur die Vorderbeine und die
Schulter gestreift sehen, sondern auch die Hinterbeine. Es
entsteht also ein Rückschlag auf die Streifung der beiderseitigen
Stammformen.
Die theoretische Erklärung wird darauf fussen müssen,
dass bei beiden Arten eine gewisse Anzahl von unabgeänderten
Stamm-Determinanten des Haarkleides im Keimplasma erhalten
geblieben ist, die nun, wenn sie von beiden Eltern her zusammen-
treffen, das Übergewicht über die differenten Determinanten der
beiden Eltern erlangen können. Wenn dieser Rückschlag keines-
wegs bei jeder Kreuzung von Pferd und Esel eintritt, so deutet
[432] dies darauf hin, dass der Gehalt an Stamm-Determinanten im
Keimplasma der Individuen ein sehr verschiedener ist, dass die-
selben im Keimplasma vielleicht auch ganz fehlen oder nur sehr
spärlich vertreten sein, aber auch in grösserer Anzahl vorhanden
sein können. Ist nun Letzteres der Fall, und treffen zwei
solcher Keimzellen bei der Befruchtung zusammen, so erfolgt
dieser partielle Rückschlag, und zwar um so stärker und aus-
gedehnter, je zahlreichere Ahnen-Determinanten überhaupt zu-
sammentreffen, und je zahlreicheren Körperstellen sie angehören.
Offenbar sind die Streifungs-Determinanten der Hinterbeine viel
weniger zahlreich im Gesammt-Keimplasma der heutigen beiden
Species enthalten, als die der Vorderbeine, wie denn ja auch
mehrere der heutigen wilden Pferde-Arten die Streifung vorn
beibehalten, hinten aber verloren haben. Alle Streifungs-De-
terminanten aber müssen in recht verschiedener Häufigkeit im
Keimplasma der verschiedenen Individuen von Pferd und Esel
vorhanden sein, denn — wie schon gesagt wurde — der Rück-
schlag erfolgt durchaus nicht immer, vielmehr in Italien, wo
eine sehr grosse Zahl von Maulthieren existirt, nach meinen
Erfahrungen doch immerhin selten, vielleicht ein oder zwei
Mal unter hundert Thieren. In den Vereinigten Staaten von
Nordamerika dagegen sollen nach Gosse unter zehn Maulthieren
neun die Streifung aufweisen.
Wenn ich zum Schluss auch einen Fall des Rückschlags
auf weit entfernte Vorfahren bei Pflanzen genauer analysire,
so geschieht es nicht, weil hier andere Erklärungs-Principien
in Frage kämen, sondern weil hier Versuche vorliegen, die
eine genauere Prüfung der Theorie möglich machen.
Ich wähle als Beispiel den Rückschlag unregelmässig,
d. h. unsymmetrisch gebauter Blumen auf regelmässig
[433] gebaute oder pelorische. Es sind viele Fälle solchen Rück-
schlags beschrieben worden, aber sie sind überall, wo sie vor-
kommen, recht selten, und man kann ihre Entstehung nicht
auf irgend welche äussere Ursachen beziehen, sie entstehen offen-
bar aus rein inneren Ursachen, nämlich aus der Zusammen-
setzung des Keimplasma’s heraus.
Wenn meine Ansicht über die Umwandlung des Keim-
plasma’s im Laufe der Phylogenese richtig ist, so müssen —
wie gezeigt wurde — auf ungeheure Generationsfolgen hinaus
immer noch einzelne nicht abgeänderte Determinanten eines
alten Charakters hier und da im Keimplasma der modernen
Art vorkommen. Solche Stammes-Determinanten z. B. der ur-
sprünglichen, regelmässigen Blume brauchen aber keineswegs
in dem Keimplasma jeder einzelnen Pflanze enthalten zu sein,
und je älter die moderne Art ist, um so seltener werden diese —
wir wollen sagen — „pelorische“ Determinanten werden. Sie
müssen mehr und mehr durch die „asymmetrischen“ verdrängt
werden, weil diese als die besser angepassten auch die bessere
Chance im Kampf ums Dasein haben. Es werden also zahl-
reiche Pflanzen z. B., von Corydalis tuberosa, gar keine „pelo-
rische“ Determinanten mehr enthalten, und dadurch erklärt es
sich, dass der Rückschlag so selten eintritt. Dass er aber über-
haupt eintreten kann, lässt sich aus der Reductionstheilung in
Verbindung mit der stets darauf folgenden Amphimixis zweier
Keimzellen verstehen. Denn wenn in einzelnen Pflanzen der
Art noch eine kleine Zahl „pelorischer“ Determinanten in ver-
schiedenen Idanten steckt, so werden diese doch gelegentlich
bei der Reductionstheilung einmal alle zusammen in eine Keim-
zelle gelangen können. Treffen dann bei der Befruchtung zwei
solche Keimzellen zusammen, so kann — falls die Gesammt-
stärke dieser „pelorischen“ Determinanten den „asymmetrischen“
Weismann, Das Keimplasma. 28
[434] Determinanten gegenüber hinreicht, diese Determinantengruppe
zur Herrschaft gelangen, und der Rückschlag eintreten.
Dass diese Erklärung im Princip richtig sein muss, geht
aus Versuchen hervor, welche mit solchen abnormerweise pelo-
rischen Blumen in Bezug auf die Vererbung des Charakters an-
gestellt worden sind. Darwin befruchtete die pelorische Form
des Löwenmauls (Antirhinum majus) mit seinem eigenen Pollen
und erhielt aus dem Samen sechszehn Pflanzen, die alle „ebenso
vollkommen pelorisch waren, wie die Elternpflanze“. Dass sich
der Pelorismus vererbte, kann nicht Wunder nehmen, denn im
Keimplasma der Eltern waren ja beiderseits die „pelorischen“
Determinanten in der Mehrheit, dass aber gerade die sechszehn
aufgezogenen Pflanzen sämmtlich sich pelorisch erwiesen, möchte
wohl ein Zufall sein. Wäre eine grössere Zahl von Nachkommen
aufgezogen worden, so wären sicherlich auch solche darunter
gewesen mit asymmetrischen Blumen, denn die Reductionstheilung
wird die „pelorischen“ Determinanten meist ungleich auf die
beiden aus der Halbirung hervorgehenden Keimzellen vertheilen,
und es werden also bei der Befruchtung auch zwei Keimzellen
zusammentreffen können mit keinen oder nur einer Minorität
von „pelorischen“ Determinanten. Dann aber muss Rückschlag
auf die gewöhnliche Blumenform die Folge sein.
Besonders interessant aber ist das Resultat des Darwin-
schen Gegenversuchs. Die „pelorische“ Form wurde mit der
gewöhnlichen Form gekreuzt, und „zwei grosse Beete von Säm-
lingen“ aus dieser Verbindung erzogen. „Nicht einer derselben
war pelorisch, und bei neunzig genau untersuchten Pflanzen
war Nichts von Pelorie zu finden, als dass in einigen wenigen
Fällen das kleine Rudiment des fünften Staubfadens, welches
stets vorhanden ist, etwas mehr oder selbst vollständig ent-
wickelt“ war. Darwin sucht dies durch die Annahme zu er-
[435] klären, dass die gewöhnliche Form der Blume hier eine „grössere
Kraft der Überlieferung“ besässe, aber abgesehen davon, dass
dies wohl kaum eine wirkliche Erklärung genannt werden kann,
sondern eine andere Formulirung der beobachteten Thatsache,
so hält auch die Erklärung für den weiteren Verlauf des Ver-
suchs nicht Stand. Darwin liess nämlich die durch Kreuzung
der pelorischen mit der gewöhnlichen Form des Löwenmauls
erhaltenen Pflanzen, welche alle „dem gemeinen Löwenmaul
vollständig glichen, sich selbst aussäen, und unter hundertund-
siebenundzwanzig Sämlingen erwiesen sich achtundachtzig als
gemeines Löwenmaul, zwei waren in einem mittleren Zustand
zwischen dem pelorischen und normalen, und siebenunddreissig
waren unvollkommen pelorisch“. Wenn nun der Charakter der
Asymmetrie eine „grössere Kraft der Überlieferung“ besässe, so
sollte man erwarten, dass er dieselbe um so mehr geltend machen
werde, wenn beide Eltern asymmetrische Blumen hatten, als
wenn nur die eine. Darwin versucht denn auch, noch eine
besondere Erklärung für die Thatsache zu geben, „dass ein
Charakter durch das Dazwischentreten einer Generation“, die
ihn nicht besitzt, „an Stärke gewinnt“, nämlich in dem Capitel
über Pangenesis.
Meine eigene Erklärung der erwähnten Thatsachen ergiebt
sich aus dem Vorhergehenden fast von selbst. Dass die Kreuzung
des gewöhnlichen Löwenmauls mit dem pelorischen so viele ge-
wöhnliche Pflanzen lieferte, und dass diese dann untereinander
fortgepflanzt neben der gewöhnlichen Form eine grosse Zahl
„unvollkommen pelorischer“ als Nachkommen hervorbrachten,
liegt wieder einfach an der in verschiedener Weise erfolgenden
Reductionstheilung der Keim-Mutterzellen, durch welche bald
nur „gewöhnliche“ Determinanten in eine Keimzelle gelangen,
bald nur „pelorische“, bald eine Mischung beider, die vorwiegend
pelorisch oder vorwiegend gewöhnlich ist. Je nachdem nun bei
28*
[436] der Befruchtung von beiden Keimzellen her mehr pelorische
oder mehr „gewöhnliche“ Determinanten zusammengeführt werden,
wird die Tochterpflanze rein „gewöhnliche“, oder mehr oder minder
pelorische Blumen hervorbringen. Dass aber die „gewöhnlich“
blühenden Eltern dieser Generation meist neben „gewöhnlichen“
Determinanten auch „pelorische“ in ihrem Keimplasma (vor der
Reductionstheilung) enthalten mussten, liegt auf der Hand, da
sie alle von einem pelorischen Vater oder einer pelorischen
Mutter abstammten. Dass aber in den Enkeln die „gewöhn-
liche“ Form überwog, erklärt sich daraus, dass die „pelorischen“
Grosseltern in ihrem Keimplasma nur eine geringe Majorität
„pelorischer“ Determinanten, daneben aber noch eine bedeutende
Minorität „gewöhnlicher“ Determinanten besassen. Die die Eltern-
Generation begründenden Keimzellen müssen also in der Ge-
sammtsumme ihres Keimplasma’s sehr viel mehr „gewöhnliche“
als „pelorische“ Determinanten enthalten haben.
5. Rückschlag auf rudimentäre Charaktere.
Organe, die ihren Werth für die Erhaltung der Art ver-
loren haben, werden bekanntlich im Laufe der Generationen
rudimentär, sie werden kleiner, verkümmern und schwinden zu-
letzt vollständig.
Idioplasmatisch wird dies heissen, dass die Determinanten-
gruppe, welche das betreffende Organ im Keimplasma vertritt,
erst in dem einen, dann in dem andern Id, zuerst in einzelnen
Determinanten verkümmert, dann in vielen, bis sie endlich völlig
schwindet, und dass sich dieser Process in immer zahlreicheren
Iden wiederholt, bis schliesslich in allen diese Determinanten-
gruppe nicht mehr enthalten ist. Wie lange Zeiträume und
Generationsfolgen dieser Process in Anspruch nimmt, können
wir nicht sagen; soviel aber darf behauptet und kann bewiesen
werden, dass lange nach dem Verschwinden des Organes aus
[437] dem Bau der fertigen Individuen immer noch einzelne Ide die
Determinanten desselben enthalten. Der Beweis liegt darin,
dass das Organ gelegentlich wieder zum Vorschein kommt, dass
ein Rückschlag auf dasselbe eintreten kann.
Ein interessanter derartiger Fall liegt in den überzähligen
Brustwarzen des Menschen vor. Die beiden normalen
Brustwarzen kommen beim Mann gewöhnlich in rudimentärer
Form vor; ausser ihnen aber werden zuweilen winzige solche
Warzen an Stellen gefunden, an welchen sie normalerweise nur
bei niederen Ordnungen der Säugethiere, bei Raubthieren, Nagern
und Halbaffen liegen, nämlich ein Paar oberhalb der normalen
Warzen, nicht fern von der Achselgegend, und zwei oder gar
drei Paare unterhalb der normalen Organe am Bauch. Nie-
mals wohl kommen sie alle zusammen vor, sondern meist nur
eine oder ein Paar, aber sowohl beim Mann als beim Weib.
Es kann kein Zweifel sein, dass sie als Rückschlag auf un-
geheuer weit zurückliegende Charaktere unserer niederen Säuge-
thier-Vorfahren aufzufassen sind. O. Ammon’s zahlreiche und
genaue Untersuchungen geben über ihr Auftreten im männlichen
Geschlecht und in unserem Volke Auskunft; Ammon fand sie
bei 3 von 100 Rekruten.1)
Da seine Untersuchungen sich nur auf zwei, höchstens drei
Generationen erstrecken, und auch dies nur in einzelnen Fällen,
so lässt sich noch nicht mit Sicherheit urtheilen, wie stark und
in welcher Vertheilung auf die Kinder sie sich vererben. Doch
wird man den Anlass zum Rückschlag auch hier in der Kreuzung
sehen dürfen, d. h. in der Amphimixis solcher Keimzellen, welche
beiderseits eine gewisse Anzahl von Ahnen-Determinanten für
jene Hautstellen in ihrem Keimplasma enthalten, an welchen
bei jenen weit entfernten Vorfahren Milchwarzen lagen. Mög-
lich, dass dieselben auch schon allein durch die Reductions-
[438] theilung in einer Keimzelle sich in hinreichender Menge an-
häufen können, um den Charakter hervorzurufen; darüber könnte
nur die Erfahrung entscheiden. Bei vielen individuellen kleinen
Abzeichen verhält es sich so, und derartige uralte Erbstücke,
wie die überzähligen Brustwarzen, verhalten sich im Allgemeinen
ganz so, wie individuelle Merkmale; sie sind gewissermassen zu
solchen herabgesunken, sind längst nicht mehr im Keimplasma
jeden Individuums enthalten, sondern ihre Determinanten fehlen
vielmehr bei den meisten vollständig, und finden sich nur bei
einzelnen noch in einer gewissen Anzahl von Iden. Gerade
wie individuelle Charaktere können ihre Determinanten durch
mehrere Generationen hindurch vererbt werden, ohne zur Ent-
faltung zu gelangen, um dann plötzlich bei günstiger Combi-
nation zweier sich befruchtender Keimzellen manifest zu werden.
Der Unterschied zwischen diesen Urahnen-Charakteren und den
gewöhnlichen individuellen Merkmalen ist nur der, dass die
letzteren in zahlreicheren Iden als Determinanten enthalten sind,
wie wir daraus schliessen müssen, dass sie weit häufiger und
regelmässiger zur Entfaltung gelangen.
Während sich bei den überzähligen Brustwarzen des Men-
schen der Vorfahr nicht genau bezeichnen lässt, von welchem
sie abzuleiten sind, also auch nicht die zeitliche Entfernung,
von welcher her sie vererbt wurden, ist dies in dem Falle der
überzähligen Zehen des Pferdes wenigstens ungefähr ganz
wohl möglich. Denn wir kennen die phyletische Entwickelungs-
geschichte des Pferdes, dank den schönen Untersuchungen von
A. Kowalewsky und später von Marsh recht genau und
wissen, dass zur mittleren Tertiärzeit Pferde der Gattungen
Mesohippus, Miohippus und Protohippus oder Hipparion lebten,
welche neben der starken mittleren Zehe noch zwei schwächere
und kürzere Seitenzehen besassen, und wenn heute zuweilen
Pferde geboren werden, welche an zwei oder auch an allen vier
Füssen eine oder zwei solcher kürzerer Nebenzehen besitzen, so
[439] kann dies mit vollem Recht als Rückschlag auf einen Ahn der
Miocēnzeit betrachtet werden. Wir werden also annehmen
müssen, dass bei einigen Generationsfolgen des heutigen Pferdes
noch einige Ide mit unveränderten Vorfahren-Determinanten
der Vorder- oder Hinterfüsse sich erhalten haben, dass diese
aber in der Minorität sind und nur durch eine besonders gün-
stige Reductionstheilung in grösserer Zahl in eine Keimzelle
gesammelt werden können. Aber dies allein wird auch noch
nicht genügen, um den Charakter zum Vorschein zu bringen,
es wird vielmehr der Zufall noch hinzukommen müssen, dass
eine an solchen Ahnen-Determinanten reiche Eizelle gerade von
einer Samenzelle befruchtet wird, welche ebenfalls eine gewisse
Zahl derselben enthält. Erst dann ist Aussicht vorhanden, dass
die Summe dieser Ahnen-Determinanten gross genug sei, um
die modernen Determinanten des Fusses bei der Ontogenese zu
überwinden.
Der Rückschlag kommt denn auch selten genug vor, wenn
auch Marsh im Stande war, eine kleine Reihe von solchen
Fällen aufzuführen, deren ältester sich auf ein Pferd Julius
Cäsar’s bezieht, deren jüngster aber lebend von ihm selbst be-
obachtet wurde.1)
6. Vorläufige Zusammenfassung des bisher über Rück-
schlag Vorgebrachten.
Alle bisher betrachteten Rückschlags-Erscheinungen erklären
sich daraus, dass jedes Keimplasma aus vielen gleichwerthigen
Einheiten zusammengesetzt ist, den Iden, von denen jedes alle
zur Entwickelung eines Bion erforderlichen Determinanten be-
sitzt, so dass jeder Charakter durch das Zusammenwirken vieler
Determinanten des gleichen Ortes (homologe Determinanten) zu
[440] Stande kommt. Ferner daraus, dass die Umwandlung einer
Art oder Rasse in eine neue niemals von vornherein auf einer
gleichzeitigen Abänderung sämmtlicher Ide und sämmtlicher
Determinanten beruht, sondern dass im Beginn der Umprägung
sogar ganze Idgruppen (Idanten) unabgeändert bleiben können,
später aber immer noch eine Minderzahl von Iden, und noch
später wenigstens doch gewisse Determinanten einzelner Ide.
Aus dem Kampf der Ide, der in jeder einzelnen Zelle der ge-
sammten Ontogenese sich abspielt, geht die Physiognomie dieser
Zelle hervor, und da aus der Masse von Determinanten, welche
jedes Id des Keimplasma’s ausmacht, die einen abgeändert sein
können, die andern nicht, und dies Verhältniss von abgeänderten
zu nicht abgeänderten Determinanten von Id zu Id wechseln
kann, so begreift man, dass bei Kreuzungen zweier Arten oder
Rassen der Rückschlag bald stärker, bald schwächer, bald enger
begrenzt, bald weiter ausgebreitet auftritt — kurz, dass in
solchen Fällen, in denen es sich überhaupt nur noch
um vereinzelte und unbedeutende Charaktere handelt,
wie bei der Streifung der Maulthiere, der Pelorie
von Blumen oder den rudimentären Brustwarzen des
Menschen individuelle Variationen in Menge vor-
kommen müssen, vom völligen Ausbleiben des Rück-
schlags bis zu seiner ausgeprägtesten Form.
Umgekehrt erklärt es sich ebenso ungezwungen, dass in
andern Fällen der Rückschlag ausnahmslos eintritt, wie dies
bei den Datura-Bastarden geschieht, sobald wir annehmen, dass
hier nicht nur einzelne Determinanten in einzelnen Iden un-
abgeändert geblieben sind, sondern ganze Id-Gruppen oder
Idanten. Denn wenn diese noch in solcher Zahl vorhanden
sind, dass sie bei jeder Kreuzung das Übergewicht erlangen
über die zwei sich entgegenwirkenden abgeänderten Id-Arten,
so müssen sie im Keimplasma jeden Individuums in nahezu
gleicher Zahl enthalten sein.
[441]
Wenn man sich die Umwandlung des Keimplasma’s so
vorstellt, dass zuerst eine Mehrzahl von Idanten abändert in
der Mehrzahl ihrer Ide, während eine Minderzahl unabgeändert
bleibt, dass dann im Laufe der Generationen durch natürliche
Zuchtwahl diese unabgeänderten Idanten nach und nach an Zahl
sich mindern, bis blos noch eine Anzahl zerstreuter Ide der
Stammart entspricht, dass schliesslich durch fortgesetzte Zucht-
wahl auch diese Ide sich soweit in derselben Richtung ver-
ändern, dass zuletzt nur noch die Determinanten einzelner, für
das Leben minder bedeutender, oder ganz bedeutungsloser
Charaktere in ihnen der Abänderung entgehen, so verstehen wir
die ganze Stufenleiter der Rückschlags-Erscheinungen im Princip.
Wir sehen ein, dass bei jungen Arten ein völliger Rückschlag
auf die Stammart bei günstiger Kreuzung mit verwandten Arten
(Datura) möglich ist, dass im weiteren Verlauf der Phylogenese,
also bei älteren Arten totale Rückschläge nicht mehr vorkommen
können, wohl aber solche auf einzelne Charaktere oder auch
ganze Gruppen von Charakteren, und dass diese Rückschläge
unter bestimmten Kreuzungsbedingungen mit Sicherheit ein-
treten — Rückschlag gewisser Taubenrassen-Mischlinge. Das
letzte Stadium des Rückschlags ist dann das gänzlich unsichere
und scheinbar launenhafte Hervortreten eines einzelnen Vor-
fahren-Charakters, wie er in der gelegentlichen Streifung des
Maulthieres sich darstellt.
Auch in Bezug auf die äussern Anlässe zum Rückschlag
lässt sich Vieles aus der Theorie ableiten und im Princip
verstehen. Dass Kreuzung verschiedener Arten und Rassen
leicht zum Übergewicht der beiden Eltern gemeinsamen Vor-
fahren-Idanten, -Ide oder -Determinanten führt, lässt sich leicht
verstehen. Aber auch die Thatsache, dass Bastarde in der
folgenden Generation leicht in einigen Nachkommen auf eine
der Stammarten zurückschlagen, konnte aus der Theorie ab-
[442] geleitet werden; denn durch die Reductionstheilung, welcher
jede Keimzelle bei ihrer Entstehung unterworfen ist, müssen die
Keimzellen der Bastarde sehr ungleich in Bezug auf ihr Keim-
plasma ausfallen, die meisten werden Idanten von beiden Eltern
enthalten, und zwar in jedem möglichen Verhältniss, manche
werden nur Idanten von dem einen oder dem andern Elter
enthalten. Die Reductionstheilung ist also eine der
wirksamsten Vor-Ursachen des Rückschlags, indem sie
die Möglichkeit bietet, die verschiedenen Qualitäten von Idanten,
welche im Keimplasma des Elters enthalten waren, ungleich
auf die Keimzellen desselben zu vertheilen, und dieses Princip
findet auch da noch Anwendung, wo kein ganzer Idant mehr
unabgeändert im Keimplasma enthalten ist, sondern nur eine
durch mehrere Idanten zerstreute Minorität von Iden, oder gar
nur von Determinanten.
Amphimixis ist daher die Vorbedingung jeden
Grades von Rückschlag, ohne diese, also ohne geschlecht-
liche Fortpflanzung, würde die Reductionstheilung nicht ein-
geführt sein in die Lebewelt, und auch das zweite für den
Rückschlag höchst wichtige Moment, die Kreuzung differenter
Keimzellen, käme in Wegfall. Dennoch ist Rückschlag nicht
unbedingt an aktuelle Amphimixis gebunden, sondern kann
auch bei Parthenogenese eintreten und bei Knospung, wie später
zu zeigen sein wird, allein nur bei solchen Organismen, welche
vorher sich mittelst Amphimixis fortpflanzten, deren Keimplasma
also Vorfahren-Ide oder -Determinanten enthalten kann. Es
leuchtet aber ein, dass die Aussicht auf den Eintritt eines Rück-
schlags viel grösser sein muss, sobald Amphimixis direkt mit-
spielt, denn durch sie kann das Verhältniss abgeänderter und
nichtabgeänderter Idioplasma-Einheiten jeden Grades rasch, ja
plötzlich zu Gunsten der nichtabgeänderten verschoben werden;
durch sie können die ursprünglich vorhandenen Stamm-Einheiten
[443] summirt werden und dadurch über die nicht völlig gleichartigen
homologen Einheiten abgeänderter Art den Sieg erringen.
Darin liegt wohl immerhin ein Fortschritt in der Er-
kenntniss. Wie fern wir wenigstens noch vor Kurzem von
dem jetzt erreichten Grade von Einsicht waren, erhellt am besten
aus dem Ausspruch Darwin’s, welcher meinte, dass wir „völlig
ausser Stande wären, irgend eine nächste Ursache anzugeben,
warum bei rein gezüchteten Thieren und Pflanzen“ gelegentlich
ein Rückschlag auf längst verlorene Charaktere der Vorfahren
eintritt (Dom. II, p. 54).
7. Rückschlag bei ungeschlechtlicher Fortpflanzung.
a. Rückschlag bei Knospung.
Es wurde schon gesagt, dass Amphimixis keine unerläss-
liche Vorbedingung des Rückschlags ist; in der That
kann derselbe auch ohne Kreuzung vorkommen. So ist ein
solcher seit lange bei den Knospen-Variationen der Pflanzen
bekannt.
In meinem Garten hatte ich lange Jahre hindurch einen
Ahorn (Acer negundo) mit panaschirten, fast weissen Blättern,
und an diesem wuchs ein Zweig hervor, der die gewöhnlichen
grünen Blätter, Blüthen und Früchte trug und in Folge des
reichlicheren Chlorophyllgehaltes auch weit üppiger wuchs, reich-
licher blühte und Samen trug als der Stamm, von welchem er
hervorgewachsen war. Wenn man die Sprosse des Baumes
als Personen betrachtet, so ist hier also eine Person des Pflanzen-
stocks, die auf ungeschlechtlichem Wege entstanden, auf die
Stammform zurückgeschlagen.
Die theoretische Erklärung wird auf die Entstehung der
panaschirten Abart zurückgehen müssen. Dieselbe ist, wie
wohl die meisten derartigen Varietäten unserer Bäume und
Sträucher, durch „Knospen-Variation“ entstanden, d. h. an
[444] einem normalen Ahornbaum entstand aus uns unbekannter Ur-
sache ein Zweig, der panaschirte Blätter trug. Der idioplas-
matische Grund dieser Abänderung muss der gewesen sein, dass
die Determinanten der Blätter und sonstigen grünen Spross-
theile so abänderten, dass sie chlorophyllarme Organe hervor-
bringen mussten. Wenn nun nicht alle Ide in der Scheitel-
zelle jenes ersten panaschirten Sprosses derart abänderten, sondern
nur eine Mehrzahl von ihnen, so ist die Möglichkeit zum Rück-
schlag der panaschirten Abart auf die grüne Stammart gegeben.
Allerdings aber erfordert hier das Auftreten eines grünen
Astes am panaschirten Baum noch eine andere Annahme, die
wir für den Augenblick noch nicht als richtig erweisen können,
die Annahme nämlich, dass auch bei gewöhnlichen Zell- und
Kerntheilungen Ungleichheiten der Theilung des Idioplasma’s
vorkommen können, in dem Sinne, dass nicht alle Ide in beide
Tochterkerne gelangen, sondern dass einige Ide in ihren beiden
durch Theilung entstehenden Hälften in denselben Tochter-
kern gelangen. Oder sollte selbst ein ganzer Idant blos dem
einen Tochterkern zugeführt werden können? Irgend eine
derartige Unregelmässigkeit in der Vertheilung der Ide muss
bei den Kerntheilungen vorkommen können, andernfalls würde es
unerklärlich bleiben, wieso eine andere Mischung der Anlagen
im Laufe des Wachsthums eintreten kann, wie wir sie doch
thatsächlich beim Knospen-Rückschlag eintreten sehen.
Wenn man diejenigen Ide, welche der Stammform ent-
sprechen, als „grüne“ bezeichnet, die abgeänderten aber als
„panaschirte“, so muss der Rückschlag eines Sprosses darauf
beruhen, dass bei den Theilungen der Scheitelzelle eines Sprosses
ungleiche Vertheilung der Ide auf die Tochterkerne vorkam,
und zwar derart, dass eine Cambiumzelle die „Knospen-Keim-
plasma“ enthält, oder auch die Scheitelzelle einer jungen Seiten-
knospe selbst „grüne“ Ide in Mehrzahl zugetheilt erhielt. In
[445] ähnlicher Weise könnte dann später von dem grünen Spross
wieder ein panaschirter seinen Ursprung nehmen, was auch
thatsächlich vorkommt.
In derselben Weise würde ich versuchen, die Rückschläge
auf die Stammform zu erklären, welche so häufig bei all den
vielen Abarten unserer Bäume und Sträucher, bei der eichen-
blättrigen Hainbuche, der farnkrautblättrigen Eiche, dem Ahorn
und der Birke mit zerschlissenen Blättern, den Blutbuchen,
Blut-Haselsträuchern u. s. w. vorkommen. Die Neigung zum
Rückschlag ist selbst bei den verschiedenen Abarten derselben
Art sehr verschieden stark. So ist z. B. die goldgestreifte
Varietät von Evonymus japonicus sehr geneigt dazu, die silber-
gestreifte beinahe gar nicht. Dies wird einfach davon ab-
hängen, wie zahlreich die Minorität der Stamm-Ide bei einer
Abart noch ist. Sind nur wenige Stamm-Ide noch im Idio-
plasma enthalten, so wird der Rückschlag schwer oder gar nicht
eintreten, sind ihrer so viele, dass die abgeänderten Ide nur
eine kleine Majorität bilden, so wird er leicht eintreten.
Es ist aber hier auch der Platz, über den Cytisus Adami
zu sprechen, jenen seit Darwin viel erörterten merkwürdigen
„Pfropf“-Bastard. Bei ihm wechselt die Mischung zwischen den
Charakteren der beiden Stammarten fortwährend, bald hat er
die gelben Blüthentrauben des gewöhnlichen Goldregens (Cytisus
Laburnum), bald die purpurnen von Cytisus purpurea, bald auch
aus beiden Farben gemischte Blüthen. Darwin sagt darüber1):
„Es ist ein überraschender Anblick, auf demselben Baume
schmutzig-rothe, hellgelbe und purpurne Blüthen untereinander
gemischt zu sehen.“ … „Dieselbe Blüthenähre trägt zuweilen
zwei Sorten von Blüthen, und ich habe eine Blüthe gesehen,
die genau in zwei Hälften getheilt war; eine Hälfte war hell-
[446] gelb, die andere purpurn, so dass die eine Hälfte des Haupt-
kronenblattes gelb und von bedeutender Grösse, die andere
Hälfte purpurn und kleiner war. Bei einer andern Blüthe war
die ganze Corolle hellgelb, aber genau die Hälfte des Kelches
war purpurn. Bei einer andern hatte eines der schmutzig-
rothen (also gemischten) Flügelkronenblätter einen schmalen
hellgelben Streif und endlich war in einer andern Blüthe einer
der Staubfäden halb gelb und halb purpurn.“
Offenbar kann bei Cytisus Adami der Ausschlag beim
Kampf der elterlichen Idanten nicht wie bei den individuellen
Merkmalen des Menschen darauf beruhen, dass je nach dem
Theil, um welchen es sich handelt, die Zahl der homodynamen
Determinanten im elterlichen Idioplasma wechselt, denn wäre
dies so, so könnten nicht dieselben Blüthentheile bald gelb, bald
roth sein, es müsste vielmehr bei allen Blüthen dieselbe Zu-
sammensetzung aus elterlichen Erbstücken zu Tage treten, wenn
auch mit schwachen Schwankungen, wie sie die Ungleichheit
der Ernährungsbedingungen hervorruft. Es müssten die Blüthen
mindestens wie bei den oben erwähnten Oxalis-Bastarden eine
bestimmte, bei ein und derselben Pflanze übereinstimmende
Mischung der Eltern-Merkmale aufweisen. Dass dem nicht so
ist, spricht mir mit Bestimmtheit dafür, dass Cytisus Adami
wirklich, wie sein Schöpfer, der Handelsgärtner Adam es an-
giebt, ein echter Pfropfbastard und kein gewöhnlicher
Samenbastard ist. Ich halte die Streitfrage, ob es solche
Pfropfbastarde überhaupt gebe, dadurch für entschieden und er-
kläre mir die Vererbungserscheinungen in folgender Weise.
Cytisus Adami ist dadurch entstanden, dass eine neue Knospe
sich auf einem Stück Rinde von Cytisus purpureus bildete, welches
auf den Stamm von C. Laburnum einokulirt worden war. Diese
Knospe wuchs zu einem Trieb aus, der die Charaktere der Eltern in
inniger Mischung enthielt. Erst später, als der betreffende Trieb
[447] vervielfältigt wurde, zeigten sich in den daraus gezogenen Pflanzen
nicht blos schmutzig-rothe, d. h. gemischte Blüthen, sondern auch
„Rückschläge auf die eine und andere Elternform“, d. h. die
reinen Charaktere der Eltern traten in kleineren und grösseren
Bezirken der Mischpflanze einzeln hervor.
Offenbar kann man die Entstehung einer Mischpflanze durch
Berührung der lebenden Gewebe der Elternpflanzen nur dann
theoretisch als möglich zugeben, wenn es sich nicht um die
Umgestaltung eines der Anlage nach schon vorhandenen Sprosses
handelt, sondern wenn diese Anlage erst gebildet wird. Eine
bereits vorhandene schlafende Knospe, in der ja bereits alle
Theile des Sprosses enthalten sind, kann nicht in ihrem idio-
plasmatischen Gehalt von der ernährenden Unterlage einer andern
Art aus verändert werden, ihre Scheitelzelle, von der das weitere
Wachsthum ausgeht, kann nicht von der Basis der Knospe her
eine Zufuhr fremden Idioplasma’s erhalten, da Idioplasma in den
Kernstäbchen allein seinen Sitz hat, eine feste Substanz ist und
nur durch Zell- und Kern-Verschmelzung gemischt werden kann.
Es ist deshalb auch zu beachten, dass Adam nicht die eine
schlafende Knospe, welche von Anfang an auf dem Pfropfstück
vorhanden war, sich zum Mischling entwickeln sah, sondern
eine der späteren, im zweiten Jahre neu gebildeten
Knospen, ferner, dass nicht alle neuen Knospen Mischlinge
gaben, sondern nur eine von ihnen. Es muss also schon ein
ungewöhnlicher Zufall bei der Bildung dieser einen Misch-
lingsknospe gewaltet haben, wie denn ja auch alle Versuche,
den Mischling zum zweiten Male hervorzubringen, bisher vergeb-
lich geblieben sind. Der Zufall muss darin bestanden haben,
dass Cambiumzellen beider Arten dicht nebeneinander zu liegen
kamen, so dass sie beide in dieselbe vom Cambium aus sich
bildende Knospe eintreten konnten. Ob es nun denkbar ist,
dass zwei Cambiumzellen differenter Arten zu einer ver-
[448] schmelzen durch einen Akt der Conjugation, also in ähnlicher
Weise, wie die weibliche und männliche Zelle bei der Befruch-
tung, und ob so die Grundlage eines neuen Vegetationspunktes
gelegt werden kann, müssen die Botaniker entscheiden.1) Läge
ein solcher Vorgang hier zu Grunde, so müsste die Zahl
der Idanten bei Cytisus Adami so gross sein, als die
der beiden Stammarten zusammengenommen, denn eine
Reductionstheilung kommt, soviel wir wissen, nur bei der Ge-
schlechtszellen-Bildung vor. Die Richtigkeit meiner Annahme
ist also durch Beobachtung controlirbar.
Dass zwei jugendliche Pflanzenzellen, ohne zu ver-
schmelzen, den Vegetationspunkt des Mischling-Sprosses ge-
bildet haben sollten, ist schwer denkbar, weil dann doch wohl
nur eine dieser Zellen als Scheitelzelle functionirt haben könnte,
mithin der Vererbungs-Einfluss der andern nicht auf ungezählte
Tochtersprossen sich erstrecken könnte, wie dies doch thatsäch-
lich der Fall ist. Jede akrofugal von der Scheitellzelle liegende
Zelle der andern Art müsste nothwendig immer weiter von
dem Vegetationspunkt abgedrängt worden sein im Laufe des
Wachsthums. Eine so innige Mischung der Charaktere, wie
sie thatsächlich eintrat, könnte auf diesem Wege nicht zu Stande
gekommen sein.
Ich möchte deshalb eine abnormale Amphimixis als Grund-
lage der seltsamen Erscheinungen bei Cytisus Adami vermuthen,
[449] derart, dass hier in der Scheitelzelle des ersten Sprosses die
Idanten beider Arten sich vereinigten, dass aber später bei den
Theilungen der Zellen häufig ungleiche Vertheilung der beiderlei
Eltern-Idanten auf die Tochterkerne eintrat, und dadurch die
Schwankungen in der Mischung der Charaktere hervorgerufen
wurden.
Solche ungleiche Vertheilung der ohnehin zu zahlreichen
Idanten wird auch in den Scheitelzellen selbst zeitweise statt-
finden können, und damit mag es zusammenhängen, dass oft
vollständiger Rückschlag eines ganzen Astes auf die eine Stamm-
art eintritt, damit auch, dass im Laufe der Zeit eine Veränderung
in vielen Exemplaren des Bastards eingetreten ist, dahin zielend,
die elterlichen Charaktere mehr und mehr getrennt hervor-
treten zu lassen. Kurz nach der Entstehung des Bastards waren
alle Blüthen schmutzigroth, d. h. eng gemischt aus den beiden
Stammfarben Gelb und Purpur, nach und nach sind aber immer
häufiger gröbere Mischungen der beiderlei Merkmale eingetreten
bis zur Ausbildung rein gelber und rein purpurner Blüthen, ja
sogar ganzer Blüthentrauben und ganzer Zweige von nahezu
reinem Charakter der einen Elternart. Dies wird kaum anders
zu verstehen sein, als dass hier die Verbindung der beiderlei
Idioplasmen sich leicht wieder löst, dass ungleiche Kerntheilungen
in dem Sinne eintreten, dass zahlreichere Purpureus-Idanten in
den einen Tochterkern übergehen, zahlreichere Labürnum-Idanten
in den andern, oder dass wenigstens der eine oder andere Idant
ganz in den einen Tochterkern übergeht, anstatt sich längs
zu spalten und mit je einer Spalthälfte zu je einem Tochter-
kern zu stossen. Das ist freilich zunächst nur Vermuthung,
aber wohl keine ganz ungerechtfertigte, da der Theilungsapparat
jeder der beiden Arten doch auf eine geringere Anzahl von
Idanten berechnet ist, als nach der Fusion zweier Kerne vor-
handen sein müssen; Unordnung bei der Theilung dürfte daher
Weismann, Das Keimplasma. 29
[450] leicht entstehen. Möglich, dass hier auch unbekannte An-
ziehungskräfte mit im Spiele sind; jedenfalls besitzen die Idio-
plasmen beider Arten keine grosse Anziehung zu einander,
dies darf vielleicht auch aus dem durchaus negativen Erfolg
gewöhnlicher Kreuzungsversuche vermuthet werden, welche
Darwin, Reisseck und Caspary anstellten; sie erhielten bei
Befruchtung von C. Laburnum mit Pollen von C. purpureus
zwar Schooten, doch fielen dieselben schon nach 16 Tagen
wieder ab, und die umgekehrte Kreuzung führte nicht einmal
so weit.
Mag sich dies nun verhalten wie es will — Untersuchungen
der Idantenzahl können darüber Sicherheit geben —, jedenfalls
deuten die Erscheinungen der Vererbung darauf hin, dass die
Idioplasmen der beiden Eltern sich im Laufe der Zelltheilungen
leicht wieder trennen. Diese Trennung mag etwa mit der ein-
seitigen Überwanderung nur eines Idanten beginnen, worauf
das Vorwiegen des einen Elters in manchen Blüthen u. s. w.
folgen muss, hat sich aber im Laufe des Wachsthums mehr ge-
steigert, so dass jetzt häufig grössere Zellengruppen reines Idio-
plasma von Laburnum oder purpureus enthalten und neue Sprosse
sich bilden, die scheinbar nur noch Idioplasma der einen Art
enthalten. Dass aber auch solchen Sprossen noch einzelne
Idanten der andern Stammart beigemengt sein können, beweisen
die Pflanzen, welche Herbert aus den Samen rein gelber
Blüthen von Cytisus Adami erzog, die zwar auch gelb blühten,
aber einen „Anflug von Purpur“ an ihren Blüthenstempeln
zeigten. Die Idanten von purpureus scheinen aber auch gänz-
lich aus einzelnen Sprossen entfernt worden zu sein, da Darwin
aus den Samen gelber Blüthen Bäume erzog, die in allen Cha-
rakteren dem C. Laburnum glichen, mit der Ausnahme, dass
„einige von ihnen merkwürdig lange Blüthentrauben hatten“.
Meine Erklärung der schwankenden Mischung der elter-
[451] lichen Charaktere bei Cytisus Adami besteht also darin, dass
es sich hier nicht um die feinen Kraftunterschiede handelt,
welche bei der Fortpflanzung des Menschen bald die mütter-
lichen, bald die väterlichen Idanten dominiren lässt, und die
wir auf die für die verschiedenen Charaktere verschiedene Zahl
der homodynamen Determinanten bezogen haben, sondern um
gröbere Unterschiede, um die Zahl der beiderseitigen Idanten;
bald überwiegen die Idanten von purpureus, bald die von La-
burnum in dem Idioplasma einer Zelle, unter Umständen kann
sogar nur die eine Idanten-Art in einer Zelle vertreten sein,
und dann ist sie es auch in allen ihren Nachkommen.
Der Fall von Cytisus Adami bildet also keine Schwierig-
keit für die Theorie, sondern zeigt im Gegentheil, dass sie im
Stande ist, auch solche Erscheinungen bis in kleine Einzelheiten
hinein zu erklären, für welche sie nicht erdacht worden war.
b. Rückschlag bei Parthenogenese.
Regelmässige Fortpflanzung durch unbefruchtete Eier kommt
bei einzelnen Pflanzen und bei vielen Thieren vor, besonders
bei Krustern und Insekten. A priori könnte man zu erwarten
geneigt sein, dass bei dieser einelterlichen Fortpflanzung ein
starker Betrag von Abweichung zwischen Mutter und Tochter
überhaupt nicht vorkommen könnte, am wenigsten aber ein
Rückschlag auf weiter zurückliegende Vorfahren.
Dennoch entspricht die Erfahrung dieser Voraussetzung
nicht; Versuche mit parthenogenetischen Arten, die ich während
der acht letzten Jahre angestellt habe, zeigten, dass zwar aller-
dings die erwartete Gleichförmigkeit zwischen Mutter und Tochter
für gewöhnlich in sehr hohem Grade vorhanden ist, dass aber
zuweilen Ausnahmen davon vorkommen, und zwar solche, die
als Rückschlag auf eine viele Generationen zurückliegende Vor-
fahrenform anzusehen ist.
29*
[452]
Zuerst mögen die Thatsachen kurz mitgetheilt werden. In
der Gegend von Freiburg kommen in gewissen Sümpfen zwei
Varietäten eines kleinen Muschelkrebses vor, der eine sehr auf-
fällige Zeichnung der Schale hat. Die eine Abart, A, erscheint
hell ockergelb mit fünf grünen Flecken auf jeder Schale, die
andere, B, sieht dunkelgrün aus, weil bei ihr der ockergelbe
Grund von sechs grossen Flecken stark eingeengt wird. Die
Die beiden Varietäten von Cypris reptans.
1—6 bezeichnen die sechs Hauptflecken der Schale des Thieres.
Flecken der beiden Abarten entsprechen einander der Lage nach
genau und sind nur bei A viel kleiner, als bei B, Fleck 6 fehlt
sogar bei A ganz. Beide Abarten pflanzen sich bei Freiburg
nur durch Parthenogenese fort; Männchen kommen niemals vor.
Ich stellte nun die Versuche so an, dass ich je ein Weib-
chen beider Abarten in einem kleinen Aquarium isolirte, gut
fütterte und sie sich so lange vermehren liess, bis das ganze
[453] Gefäss voll von erwachsenen und selbst wieder eierlegenden
Nachkommen war. Dann wurde die Colonie gemustert, der
grösste Theil derselben getötet und aufbewahrt, ein oder mehrere
Thiere aber zur Nachzucht ausgewählt, und jedes für sich in
einem Aquarium angesiedelt. Auf diese Weise sind mir im
Laufe dieser acht Jahre viele Tausende von Individuen durch
die Hände gegangen, denn die Thiere vermehren sich sehr rasch
und zwar während des ganzen Jahres.
Das erste Resultat, welches bei diesen Züchtungen hervor-
trat, bestätigte meine Erwartung: die Nachkommen einer
Mutter stimmten in der Zeichnung bis in kleine Einzel-
heiten sowohl unter sich, als mit der Stammmutter.
Die Unterschiede waren meist so gering, wie man sie etwa bei
identischen Zwillingen des Menschen kennt; es liess sich nicht
bestimmt sagen, ob sie auf Verschiedenheiten im Keimplasma,
oder nicht am Ende blos auf zufällige Ernährungsdifferenzen
bezogen werden müssten.
Auch im Laufe zahlreicher Generationen trat keine Ver-
änderung ein, wenn ich von den gleich zu erwähnenden Aus-
nahmen absehe. Ich besitze heute noch Colonien von A und
von B, welche von ihren beiden Stammmüttern aus dem Jahr
1884 nicht zu unterscheiden sind. Wenn man fünf bis sechs
Generationen für das Jahr rechnet, so würden sich seither etwa
vierzig Generationen gefolgt sein.
Im Jahre 1887 fand ich zum ersten Male in einem
Aquarium der hellen Abart A neben typischen Thieren dieser
lehmgelben Form auch einige der dunkelgrünen Abart B, und
dieser Fall hat sich später noch zwei Mal in andern Zuchten
von A wiederholt. In dem letztbeobachteten vom Mai 1891
konnte festgestellt werden, dass nur ein einziges Thier unter
540 erwachsenen Cypris des betreffenden Aquariums ganz un-
vermittelt und plötzlich in die dunkle Abart übergesprungen
[454] war; in einem andern Fall fanden sich nicht nur volle Individuen
der Abart B, sondern auch Zwischenformen zwischen beiden
Abarten, was einerseits in theoretischer Beziehung interessant
ist, anderseits jeden Zweifel an der Reinheit der Versuche aus-
schliesst.
Lange Zeit harrte ich vergebens darauf, dass die umgekehrte
Umwandlung, die der dunkeln in die helle Abart vorkommen
möchte, und ich neigte schon zu der Ansicht hin, dass die
dunkle Abart die Stammform beider sei, als mir im Winter
1890 auf 1891 eine Colonie von B vorkam, in welcher neben
typischen Individuen der Abart B, die seit mehreren Jahren darin
gezüchtet worden war, auch eine geringe Zahl typischer Individuen
der Abart A sich vorfand.
Äussere Einwirkungen für diese plötzlichen Umwandlungen
verantwortlich zu machen, geht deshalb nicht an, weil stets
beide Formen nebeneinander in demselben kleinen Aquarium,
also genau unter denselben Bedingungen auftraten. Nur Ver-
änderungen des Keimplasma’s können zur Erklärung heran-
gezogen werden, und ich glaube, dass diese auch aufgewiesen
werden können.
Parthenogenese im strengen Sinne des Wortes ist immer
aus geschlechtlicher Fortpflanzung hervorgegangen, so auch
nachweislich in diesem Falle, in welchem diese männerlosen
Weibchen immer noch das Receptaculum seminis besitzen, welches
nur unbenutzt und stets leer bleibt.
Die beiden Abarten nun müssen zu einer Zeit entstanden
sein, zu welcher die Thiere sich wenigstens periodisch noch
geschlechtlich fortpflanzten; andernfalls könnten nicht An-
lagen von A im Keimplasma von B und umgekehrt enthalten
sein. Nur durch die in einer wohl nicht weit zurückgelegenen
Zeit noch stattfindende geschlechtliche Fortpflanzung wird das
Nebeneinander beider Anlagen in demselben Thiere begreiflich.
[455]
Die Erklärung des Rückschlags giebt sich dadurch, dass
bei Arten mit regelmässiger Parthenogenese trotzdem
eine Reductionstheilung stattfindet, aber eben nur eine;
es wird eine Richtungszelle vom Ei abgelöst, nicht deren zwei,
wie bei geschlechtlicher Fortpflanzung: Ohne Zweifel muss dieser
einen Halbirung der Idantenzahl des Eies eine Verdoppelung
derselben vorausgehen, ganz wie bei der geschlechtlichen Fort-
pflanzung, weil andernfall die Idanten von Generation zu Gene-
ration um die Hälfte vermindert und schliesslich auf einen ge-
bracht werden müssten. Sobald nun aber eine Reductionstheilung
mit vorgängiger Verdoppelung der Idantenzahl stattfindet, ist
damit auch die Möglichkeit des Rückschlags gegeben.
Nehmen wir die Verhältnisse möglichst einfach an. Es
seien nur vier Idanten im Keimplasma; davon seien drei gänz-
lich aus Iden des Typus A, eines ganz aus Iden des Typus B
zusammengesetzt. Die vier Idanten a a a b verdoppeln sich zu-
erst und ergeben also die acht Stäbchen a a a a a a b b. Setzen
wir nun den für den Rückschlag in die Abart B günstigsten
Fall, dass diese Idanten sich bei der Reductionstheilung in die
Gruppen a a a a und a a b b spalten, und dass die letztere Gruppe
den Kern der Eizelle bildet, so würde die Tochter, welche aus
diesem Ei hervorgeht, Ureier hervorbringen mit der Idanten-
gruppe a a b b. Diese würde sich bei der Verdoppelung im
reifen Ei zu a a a a b b b b verändern, und wenn nun die Re-
ductionstheilung so erfolgte, dass die Gruppe a a a a in den
Richtungskörper, die Gruppe b b b b aber in den Eikern zu
liegen käme, so müsste aus einem solchen Ei unzweifelhaft ein
Individuum der Abart B hervorgehen; der Rückschlag würde
erfolgen.
In Wirklichkeit wird die Sache viel weniger einfach und
viel langsamer vor sich gehen. Einmal ist die Zahl der Idanten
meist wohl eine grössere, und die Beimischung eines Idanten
[456] der andern Form würde einen weit kleineren Procentsatz geben.
Bei einem parthenogenetisch sich fortpflanzendem Krebs, der
Artemia salina, konnte ich 24—26 Idanten nachweisen. Wenn
unter diesen sich auch mehrere einer der beiden Vorfahren-
Abart als Minorität befänden, so würde es doch fraglich sein,
ob sie jemals im Laufe der Generationen und Reductions-
theilungen derart sich in ein und demselben Keimplasma an-
häufen würden, dass sie die überwiegende Mehrzahl bildeten;
denkbar aber ist es. Der Zufall spielt dabei auch mit, insofern
immer die Mehrzahl der Eier eines Thieres zu Grunde geht,
und die seltenen Rückschlags-Combinationen daher häufig auch
diesem Schicksal verfallen werden.
Es erklärt sich so, warum in meinen Versuchen der Rück-
schlag nur sehr selten eintrat, warum er niemals zugleich bei
allen Individuen einer Colonie, sondern nur bei einzelnen ein-
trat, und warum er sowohl ganz plötzlich, als auch mit vor-
bereitenden Zwischenformen sich einstellen konnte. Letzteres
wird theoretisch so zu deuten sein, dass hier zuerst ein Gleich-
gewicht der beiderlei Idanten zu Stande kam, was dann aber
in den Nachkommen theilweise zum Übergewicht der Rückschlags-
Idanten hinleitete.
Die Möglichkeit eines Rückschlages bei Parthenogenese
beruht also auf zwei Momenten, einmal auf der Zusammen-
setzung des Keimplasma’s aus verschiedenartigen Iden und Idanten,
d. h. auf vorangegangener geschlechtlicher Fortpflanzung, und
dann auf der bei jeder Keimzellbildung einsetzenden Reductions-
theilung.
8. Ein Beweis für die Auflösung der Determinanten in
Biophoren.
Am Schlusse dieses Capitels möchte ich auf ein Verhältniss
hinweisen, welches zwar am besten in das Capitel über die
[457] Bestimmung der Zelle durch das Idioplasma gepasst
hätte, welches aber an jener Stelle unverständlich geblieben
wäre, weil die Reifungserscheinungen von Ei und Samenzelle
dabei als bekannt vorausgesetzt werden müssen.
Die Erkenntniss, dass die der Reifung der thierischen Ei-
zelle vorhergehenden Zelltheilungen, die sog. „Abschnürung
der beiden Richtungskörper“, echtes Keimplasma aus dem
Ei entfernen, ist keineswegs leicht, sondern erst durch lange
und mühevolle Beobachtungs- und Gedankenarbeit im Laufe
eines vollen Jahrzehntes errungen worden. Ich habe es nicht
für zweckmässig gehalten, diese ganze Entwickelungsgeschichte
unserer Erkenntniss1) hier vorzuführen, da es zum Verständniss
der Vererbungserscheinungen nicht nothwendig ist, sie zu kennen.
Aber ich möchte hier nachträglich noch eine Periode aus dieser
Geschichte kurz berühren, da sie für die von de Vries erdachte
und von mir angenommene Art und Weise der Beherrschung
der Zelle durch Auswanderung von Kernmaterial in den Zell-
körper lehrreich ist.
Nachdem man erkannt hatte, dass der sog. „Austritt“ der
Richtungskörperchen aus dem Ei nichts Anderes sei, als eine
sehr ungleiche Zelltheilung, und nachdem man die Überzeugung
gewonnen hatte, dass die bestimmende Substanz in dem Chro-
matin des Kernes zu sehen sei, musste es ein logisches Postulat
erscheinen, wie für jede Zelle, so auch für die Eizelle eine be-
sondere bestimmende Substanz, ein specifisches Idioplasma
anzunehmen, dessen Aufgabe es sein musste, eben die besondere
histologische Beschaffenheit des betreffenden Eies hervorzurufen.
Ich zog damals diesen Schluss und nahm an, die Eizelle würde
von ihrer ersten Jugend an bis zu der Erreichung ihrer vollen
[458] Grösse und specifischen Beschaffenheit von einem besonderen
Idioplasma beherrscht, welches durchaus verschieden sei von
demjenigen Idioplasma, welches nach Vollendung der Eireife in
Thätigkeit tritt, indem es die Ontogenese leitet: dem Keim-
plasma. Wenn überhaupt die Natur der Zelle von ihrem
Idioplasma bestimmt wird, so konnte unmöglich das Idioplasma
der noch im Wachsen und in histologischer Differenzirung be-
griffene Ei von demselben Idioplasma bestimmt werden, wie das
in Embryonalentwickelung eintretende. Ich nahm also ein „ovo-
genes“ Idioplasma für die Zeit der histologischen Differenzirung
des Eies an, welches später nach erlangter Eireife seine Herr-
schaft über die Zelle an das Keimplasma abtrete.
Was aber wird bei diesem Herrschaftswechsel aus dem
„ovogenen“ Idioplasma?
Meine Antwort darauf war die, es werde durch die Richtungs-
theilungen aus dem Ei entfernt, und gerade dadurch erlange
nun das vorher schon im Eikern anwesend gewesene und in-
zwischen bedeutend herangewachsene Keimplasma die Herrschaft
über die Eizelle.
Diese Vermuthung hat sich inzwischen als ein Irrthum
herausgestellt. Eigene weitere Untersuchungen führten mich
bald zu der Erkenntniss, dass mindestens die eine der beiden
Richtungstheilungen des Eies eine ganz andere Bedeutung
habe, nämlich die einer Halbirung des Keimplasma’s selbst.
Später zeigte es sich dann, dass beide Theilungen diesem Zweck
dienen, und dass durch jede derselben Keimplasma, nicht aber
„ovogenes“ Idioplasma aus dem Ei entfernt werde.
Meine Hypothese musste also fallen, ich glaube aber trotz-
dem, dass die ihr zu Grunde liegende Schlussfolgerung richtig
war, und im Licht der hier entwickelten Vererbungstheorie ge-
stattet sie noch eine nicht werthlose Weiterführung. Das „ovo-
gene“ Idioplasma muss existiren und, in meine heutige Sprache
[459] übersetzt, wird es als ovogene „Determinante“ bezeichnet werden
können. Diese Determinante wird somit die erste sein, welche
sich aus dem Gebäude des Keimplasma’s der jungen Eizelle frei
macht, sich in ihre Biophoren auflöst und durch die Kern-
membran hindurch in den Zellkörper auswandert. So allein
lässt es sich begreifen, dass Nichts von ihr übrig bleibt im
Kern, und dass sie später, wenn die Embryonalentwickelung
beginnt, nicht dieser durch ihre Anwesenheit im Kern Hinder-
nisse bereitet. Diese Determinante wird verbraucht und
verschwindet als solche, und darin, dass thatsächlich keine
Ausstossung derselben aus dem Ei erfolgt, liegt, wenn nicht
ein Beweis, so doch ein starker Hinweis darauf, dass die Be-
herrschung der Zelle durch eine Determinante mit ihrer Ver-
nichtung einhergeht, woraus dann weiter eine Stütze für die
Auswanderungs-Hypothese entnommen werden darf.
Ganz der entsprechende Vorgang wird bei der Bildung der
Samenzellen anzunehmen sein. Auch hier ist die Thätigkeit
des Idioplasma’s während der histologischen Differenzirung der
Zelle eine weit verschiedene von derjenigen, welche das Keim-
plasma der fertigen Samenzelle auszuüben hat. Bei der Eizelle
wird uns die Nothwendigkeit einer Annahme „histogener“ De-
terminanten deshalb vielleicht noch anschaulicher gemacht, weil
hier bei manchen Thieren sogar zweierlei Eier vorkommen,
die in Grösse, Dotterreichthum, Farbe und Schale ganz ver-
schieden sind. Man kann hier nicht umhin, zweierlei ovo-
gene Determinanten anzunehmen, da man demselben Keim-
plasma eine so verschiedenartige Wirkung auf die Zelle nicht
zuschreiben kann. In dem Abschnitt über Generationswechsel
ist schon die Nothwendigkeit gezeigt worden, für solche Arten
zweierlei Keimplasmen anzunehmen, die zum Theil die gleichen
Determinanten, zum Theil aber auch verschiedene enthalten
So wird das Keimplasma, aus welchem sich die Wintereier der
[460] Daphniden entwickeln, vor Allem eine andere ovogene Determi-
nante enthalten müssen, als das Sommereier-Keimplasma, da
Winter- und Sommereier ganz verschieden sind.
Ich kenne keine Fälle, in denen aufeinander folgende Zell-
generationen so verschieden wären, als es zwischen den Keim-
Mutterzellen und den aus ihnen hervorgehenden fertigen Keim-
zellen in Bezug auf die Thätigkeit ihres Idioplasma’s der Fall
ist. Wenn aber selbst in diesem auffallendsten Beispiel von
plötzlichem Funktionswechsel des Idioplasma’s eine Entfernung
des zuerst thätigen Idioplasma’s aus der Zelle nicht erfolgt, so
wird sie auch in allen andern Fällen nicht stattfinden und wir
werden somit berechtigt sein, den von dem Verhalten der Keim-
zellen abgeleiteten Schluss auf alle Zellen zu übertragen und es
für bewiesen zu nehmen, dass das in einer Zelle aktive
Idioplasma sich durch seine Thätigkeit aufbraucht.
Capitel XI.
Dimorphismus und Polymorphismus.
1. Normaler Dimorphismus.
Der im vorigen Abschnitt behandelte „Rückschlag“ beruht
auf der Fähigkeit der Organismen, Charaktere, die an ihnen
selbst nicht vorhanden sind, als „latente“ Anlagen in ihrem
Idioplasma mitzuführen und derart auf die Nachkommen zu
übertragen, so dass sie unter günstigen Umständen dort zur
Ausbildung gelangen können.
Man hat sich diese latenten Anlagen bisher als einen allen
Individuen einer Art in gleichem Maasse zukommenden Besitz
[461] vorgestellt, so nämlich, dass Charaktere, die überhaupt bei einer
Lebensform gelegentlich manifest werden können, in sämmtlichen
Individuen derselben latent enthalten seien, so dass es also nur
von gewissen Entwickelungs-Bedingungen abhinge, ob sie zur
Entfaltung kommen oder nicht. Auch Darwin war dieser
Meinung, wie aus vielen Stellen seiner Werke zu ersehen ist, und
stellte sich z. B. vor, dass in jedem Pferde latente „Keimchen“
der Zebrastreifung schlummerten, in jeder Haustaube latente
„Keimchen“ der schieferblauen Färbung der Felsentaube, in
jedem Abkömmling eines Bastards die „Keimchen“ der beiden
Eltern-Arten. Im vorigen Abschnitt versuchte ich zu zeigen,
dass dies zwar für viele Fälle richtig sein kann, z. B. für die
Taubenrassen, dass es aber durchaus nicht in allen Fällen so
zu sein braucht, sondern dass in zahlreichen Fällen latente Vor-
fahren-Charaktere nicht in allen, sondern nur in einer grösseren
oder geringeren Individuenzahl der betreffenden Lebensform ent-
halten sind. Wir sahen, dass die Reductionstheilung im Stande
ist, von einer Generation zur andern schon das Keimplasma des
Elters so zu theilen, dass das Keimplasma einiger der Kinder
gar keine Idioplasma-Theile des einen Grosselters erhält. Am
schärfsten trat dies bei den Pflanzen-Mischlingen hervor, wo
Rückschlag auf die eine Elternform schon unter den Kindern
des Bastards eintreten kann. In solchen Abkömmlingen sind
dann trotz der nahen Abstammung keine Charaktere des be-
treffenden Elters latent vorhanden.
Eine so rasche Beseitigung von Charakteren aus dem Keim
einzelner Nachkommen ist aber nur dann möglich, wenn die-
selben — wie in diesem Falle des Bastards — nur dem einen
Elter angehörten. So werden auch beim Menschen irgend
welche individuelle Züge der Mutter oder des Vaters in ein-
zelnen Kindern nicht nur fehlen können, sondern auch die ihnen
entsprechenden Determinanten können in ihrem Keimplasma
[462] fehlen, so dass diese Züge auch in den Enkeln und Urenkeln
dieser Generationsfolge nicht wieder erscheinen können. Ganz
anders aber verhält es sich mit solchen Charakteren, welche
beiden Eltern zukommen. Diese werden nicht von einer Gene-
ration auf die andere aus dem Keimplasma einzelner Nach-
kommen verschwinden können, da ihre Determinanten sowohl
in der väterlichen, als der mütterlichen Hälfte des Keimplasma’s
in Majorität enthalten sind. Solange diese Charaktere allen
Individuen des betreffenden Formenkreises, z. B. der Art, zu-
kommen, werden ihre Determinanten in den meisten Idanten
vorherrschen, und dann werden dieselben durch die jedesmalige
Reductionstheilung kaum je in die Minorität gerathen können.
Handelt es sich aber um einen im Verschwinden begriffenen
Charakter, wie z. B. um die Flügelbinde der Felsentaube bei do-
mesticirten Rassen, so wird die absolute Zahl der „Flügelbinden“-
Determinanten im Keimplasma im Laufe des Züchtungsprocesses,
der zur Bildung der Rasse führte, allmälig abgenommen haben,
indem viele dieser Determinanten in anders geartete, sagen wir
„moderne“ Determinanten umgewandelt wurden. Je geringer
an Zahl nun die „Stamm“-Determinanten werden, um so leichter
können sie bei der Reductionstheilung aus der einen Hälfte
des Keimplasma’s gänzlich eliminirt werden. Sobald sie aber
in einzelnen Keimzellen gänzlich fehlen, so ist damit die Mög-
lichkeit gegeben, dass bei der Copulation zwei solche Keim-
zellen zusammenträfen, und nun würde daraus ein Thier her-
vorgehen, welches keine solche „Flügelbinden“-Determinanten
enthielte, oder mit andern Worten, welches den Charakter
der Flügelbinde auch im latenten Zustand nicht
mehr in sich enthielte. In dem Maasse nun, als solche
Individuen häufiger würden, müsste durch die stete Vermischung
derselben mit den andern Individuen die Durchschnittsziffer
der „Binden“-Determinanten im Keimplasma der Rasse noch
[463] mehr sinken, bis schliesslich nur in einem kleinen Procentsatz
der Individuen überhaupt noch solche enthalten wären. Ich
glaube nicht, dass es sich gerade bei diesem Charakter der
Tauben so verhält; das häufige Auftreten der Binde bei der
Kreuzung von Taubenrassen verschiedner Art deutet im Gegen-
theil darauf hin, dass in den meisten Individuen noch eine An-
zahl solcher „Binden“-Determinanten vorhanden sein werde, allein
bei der Zebrastreifung von Pferd und Esel darf man
wohl mit Sicherheit schliessen, dass die Seltenheit des Rück-
schlags selbst bei Kreuzungen davon herrühre, dass der Charakter
lange nicht mehr bei allen Individuen der beiden Arten in
„latentem“ Zustand vorhanden sei, dass ihr Keimplasma häufig
die „Zebra“-Determinanten nicht mehr enthalte.
Freilich können wir nicht wissen, ob nicht doch noch ganz
vereinzelte solche Stamm-Determinanten vorhanden sind, weil
dieselben sich auch bei Summirung durch Kreuzung nicht mehr
geltend machen könnten, aber allgemeine Gründe zwingen zu
der Annahme, dass auch solche vereinzelte alte Determinanten
sich schliesslich verlieren müssen. Immer weniger Individuen
werden sie in ihrem Keimplasma noch enthalten, und da sie
keinerlei Vortheil aus diesem Besitz ziehen, so werden dieselben
vermuthlich mehr und mehr selten werden.
Es sind also einerseits die schwindenden Art- oder Rassen-
Charaktere, welche in latentem Zustande vorhanden sein können,
aber durchaus nicht nothwendig alle in allen Individuen, und
andererseits die individuellen Charaktere, welche in einer
wechselnden Individuenzahl der Descendenz latent enthalten sein
können.
Die aktuellen Art-Charaktere dagegen kommen
jedem Individuum zu, aber auch sie werden nicht immer
manifest, sondern es giebt solche, welche regelmässig latent
bleiben, wenn eine andere, ihnen entgegengesetzte Gruppe von
[464] Charakteren manifest wird. Ich meine hier zunächst die Ge-
schlechtscharaktere, primäre und sekundäre, es gehört
aber jeder, auch der nicht sexuelle Di- und Polymorphismus
einer Art hierher. Es muss versucht werden, diese Erscheinungen
der Theorie einzufügen.
Naturgemäss wird die Reflexion mit dem einfachsten Stadium
sexueller Differenzirung beginnen, mit der Scheidung der ur-
sprünglich monomorphen Keimzellen in männliche und weib-
liche. Hier tritt die Frage uns entgegen: Welches ist die
idioplasmatische Grundlage dieser zweifachen Diffe-
renzirung, und wie ist sie phyletisch entstanden?
Ich möchte an ein bestimmtes Beispiel anknüpfen. Unter
den Volvocineen, jenen nieder organisirten mehrzelligen Algen,
welche als lebende Kugeln durch Wimperthätigkeit im Wasser
rotirend umherschwimmen, finden sich mehrere Gattungen, welche
neben einer Vermehrung durch ungeschlechtliche Keimzellen eine
geschlechtliche Fortpflanzung besitzen, die in der Copulation,
d. h. völligen Verschmelzung zweier gänzlich gleich erscheinenden
Keimzellen besteht. Dahin gehört Eudorina und Pandorina.
Solange die Fortpflanzungszelle, wie es bei diesen Arten
der Fall ist, in allen Individuen dieselbe ist, wird man sie von
demjenigen Idioplasma bestimmt denken können, welches die
Entwickelung der Art überhaupt leitet, dem Keimplasma, welches
sich aus einer verschiedenen Zahl unter sich gleicher Determi-
nanten zusammensetzt. Dies wird aber sofort anders, sobald
die copulirenden Keimzellen zu weiblichen und männlichen Zellen
differenzirt sind, wie es bei der nahe verwandten Gattung Volvox
der Fall ist. Das Nützlichkeitsmotiv zu dieser Differenzirung
liegt nahe, denn eine möglichst grosse Ansammlung von Nähr-
stoffen in den Keimzellen, wie sie von Vortheil sein musste,
konnte nur in sehr geringem Grade erreicht werden, solange
die beiden zur Amphimixis bestimmten Keimzellen stark be-
[465] weglich blieben, wie bei Pandorina. Sie differenzirten sich also
in die nahrungsreiche, aber ruhende Eizelle und die kleine,
nahrungsarme, aber bewegliche Samenzelle. Es fragt sich nun,
auf welchem idioplasmatischen Vorgang diese Differenzirung
beruht?
Offenbar können die Idioplasmen von Samenzelle und Ei-
zelle nicht ganz gleich, sie können nicht einfach nur Keim-
plasma sein, sondern die Eizelle muss eine Determinante ent-
halten, welche ihr eben den histologischen Charakter verleiht,
der sie von der Samenzelle unterscheidet, und diese ihrerseits
muss ebenfalls eine solche ihre histologische Ausbildung be-
herrschende Determinante enthalten. Es müssen also im Keim-
plasma von Volvox ausser den Determinanten für die geissel-
tragenden somatischen Zellen noch spermogene und ovogene
Determinanten enthalten sein, von welchen aber immer nur die
eine aktiv wird und der Keimzelle den männlichen oder den
weiblichen Charakter aufprägt. Ich stelle mir diese sexuellen
Determinanten als Doppeldeterminanten vor, welche überall
zusammen und in enger Verbindung miteinander vorkommen,
aber so eingerichtet, dass immer nur die eine von ihnen aktiv
werden kann. Bildlich könnte man das etwa so ausdrücken,
dass die Ide der Keimzellen aus einer centralen kugeligen Masse
von Keimplasma bestünden, welche von einer Schicht dieser
sexuellen Doppeldeterminante eingehüllt wäre, welche ihrerseits
entweder die männliche oder die weibliche Schicht nach aussen
kehrt; die nach aussen gekehrte wäre die herrschende.
Dies ist nur ein Bild und beansprucht in keiner Weise
die wirklichen Verhältnisse zu errathen. Welche Kräfte und
welche Massen hier thätig sind, wissen wir nicht, aber so viel
wissen wir, dass in dem Idioplasma der Ur-Keimzellen bei
höheren Thieren in den bei weitem häufigsten Fällen noch
die Möglichkeit zur Ausbildung von beiderlei Geschlechtszellen
Weismann, Das Keimplasma. 30
[466] liegt, und dass die Entscheidung darüber, ob die Keimzellen
sich zu männlichen oder weiblichen entwickeln werden, zu irgend
einer frühen Zeit der Embryogenese gegeben wird, bei dem
Bienenei zu Beginn derselben, also lange Zeit vor der Differenzirung
der ersten Ur-Keimzelle, bei anderen Thieren vielleicht erst
später. Es scheint mir von grossem Werth, dass wir durch die
berühmten Untersuchungen Siebold’s und Leuckart’s sicher
wissen, dass mindestens in dem einen Fall der Biene diese Ent-
scheidung durch den Eintritt oder das Ausbleiben der Be-
fruchtung gegeben wird, d. h. also im Moment der Constituirung
des das neue Bion bestimmenden Keimplasma’s. Tritt Befruch-
tung ein, so wird dieses Bion ein weibliches, bleibt sie aus,
so wird es ein männliches. Dies beweist zum Mindesten, dass
diese Entscheidung so frühe schon fallen kann; ich halte es
aber für zweifelhaft, ob sie überhaupt später fallen kann; jeden-
falls kennen wir Thiere, bei welchen sie noch früher fällt,
nämlich in die Reifungszeit der Eier. Die Phylloxera legt
grosse Eier, aus welchen Weibchen, und kleine, aus welchen
Männchen kommen. Beide werden befruchtet, die Befruchtung
hat also hier keinen Antheil an der Geschlechtsbestimmung.
Doch ist hier nicht der Ort, auf diese Fragen näher ein-
zutreten; es handelte sich nur darum, klar zu machen, dass
Sexual-Determinanten in dem angegebenen Sinn angenommen
werden müssen, und dass beide Arten derselben zusammen in
den Ur-Keimzellen enthalten sind. Warum sie als Doppel-
Determinanten, d. h. als zwei nebeneinander liegende Biophoren-
Gruppen gemeinsamen Ursprungs angenommen wurden, kann
erst aus dem Folgenden klar werden.
Bekanntlich giebt es nicht nur niedere Organismen, wie
Volvox, bei welchen männliche und weibliche Individuen ledig-
lich durch die Art der Geschlechtszellen sich unterscheiden,
sondern auch unter den niederen Metazoen, Schwämmen, Me-
[467] dusenpolypen finden sich solche. Bei diesen werden nur die
Sexualdeterminanten doppelten Charakter besitzen. Bei den
meisten Thieren aber beschränkt sich der Geschlechtsunterschied
nicht blos auf die Keimzellen, sondern auf mehr oder minder
ausgedehnte Theile des Soma selbst. Bei allen sexuell di-
morphen Wesen müssen deshalb im Keimplasma noch eine
verschiedene Anzahl von somatischen Charakteren der Anlage
nach doppelt vorhanden sein, alle diejenigen nämlich, welche
bei weiblichen und männlichen Individuen verschieden sind.
Dies sind zunächst die Organe, in welchen die Geschlechtszellen
sich entwickeln, in welchen sie ernährt, aufgespeichert und aus-
geleitet werden, also die sog. Geschlechtsdrüsen und ihre Leitungs-
wege, dann die Begattungsorgane, aktive und passive, und die
Organe zur Eiablage; schliesslich die Organe zur Brutpflege,
mögen dieselben in Milchdrüsen, Zitzen und einem Fruchthälter,
oder in dem Instinkt bestehen, die Eier im Mund aufzubewahren,
wie dies bei einem männlichen Frosch der Tropen vorkommt,
oder in dem Instinkt der Schmetterlingsweibchen, ihre Eier in
bestimmter Weise an eine bestimmte Pflanze zu legen. Auch
in den letzten beiden Fällen muss ein Unterschied im Bau des
Körpers, hier in dem der Nervencentren nach dem Geschlecht
vorhanden sein, und sowohl der männliche als der weibliche
Modus dieser Theile muss latent in jedem Keimplasma ent-
halten sein. Ferner aber gehören alle „sekundären“ Ge-
schlechtscharaktere hierher, die verschiedenen Spürorgane
der Männchen, ihre Anlockungsorgane, die prächtigen Farben
männlicher Vögel und Schmetterlinge, die Duftorgane der Letz-
teren, der Gesang männlicher Vögel und Insekten u. s. w.
Vom Menschen her wissen wir, dass sämmtliche sekundäre
Geschlechtscharaktere nicht nur von den Individuen des ent-
sprechenden Geschlechtes vererbt werden, sondern auch von
denen des andern. Die schöne Sopranstimme der Mutter kann
30*
[468] sich durch den Sohn hindurch auf die Enkelin vererben, ebenso
der schwarze Bart des Vaters durch die Tochter auf den Enkel.
Auch bei Thieren müssen in jedem geschlechtlich differenzirten
Bion beiderlei Geschlechtscharaktere vorhanden sein, die einen
manifest, die andern latent. Der Nachweis ist hier nur in
gewissen Fällen zu führen, weil wir die individuellen Unterschiede
dieser Charaktere nur selten so genau bemerken, allein er ist
selbst für ziemlich einfach organisirte Arten zu führen, und die
latente Anwesenheit der entgegengesetzten Geschlechts-
charaktere in jedem geschlechtlich differenzirten Bion
muss deshalb als allgemeine Einrichtung aufgefasst werden.
Bei der Biene besitzen die aus unbefruchteten Eiern sich ent-
wickelnden Männchen die sekundären Geschlechtscharaktere des
Grossvaters, und bei den Wasserflöhen, bei welchen mehrere
rein weibliche Generationen auseinander hervorgehen, bringt die
letzte derselben Männchen hervor mit den sekundären Geschlechts-
charakteren der Art, welche somit in latentem Zustand in einer
ganzen Reihe von weiblichen Generationen vorhanden sein
mussten.
Es wird also in dem Keimplasma der befruchteten Eizelle
nicht nur die Anlage zu männlichen und weiblichen Keimzellen,
sondern auch die zu sämmtlichen sekundären Sexualcharakteren,
weiblichen und männlichen enthalten sein müssen. Man könnte
nun glauben, mit der Annahme auszureichen, dass die Determi-
nanten von beiderlei Charakteren im Keimplasma vorhanden
seien, und dass bei der Entscheidung über das Geschlecht nicht
nur über die Sexual-Determinanten bestimmt würde, also ob die
Keimzellen männlich oder weiblich werden sollen, sondern auch
über die somatischen Determinanten, ob die der männlichen
oder der weiblichen sekundären Geschlechtscharaktere die Führung
im Aufbau des Soma übernehmen sollen.
Diese Annahme ist zwar unerlässlich und genügt auch,
[469] soweit es sich nur einfach um die latente Übertragung der beiderlei
sekundären Charaktere vom Keimplasma der einen auf das der
andern Generation handelt, sie bedarf aber noch eines wesent-
lichen Zusatzes. Wir kennen ein Reihe von Thatsachen, welche
darauf hindeuten, dass nicht nur das Keimplasma, aus welchem
das Bion hervorgeht, die latente Anlage von beiderlei Sexual-
charakteren enthält, sondern auch der fertige Körper des
Bion selbst. Dass das Keimplasma beide enthalten muss, geht
schon daraus hervor, dass sie beide auf die Nachkommen über-
tragen werden können, und es ist im sechsten Capitel gezeigt
worden, wie man sich diese Vererbung durch eine Continuität
der Keimplasma-Materie von einer Generation von Keimzellen
auf die andere erklären kann. Hier aber handelt es sich darum,
dass auch im fertigen Individuum die beiderlei Sexualcharaktere
der Anlage nach enthalten sein können: dass ein männliches
Bion die weiblichen Sexualcharaktere nicht nur in seinen Keim-
zellen, sondern auch in seinem Körper enthalten kann, und um-
gekehrt ein weibliches Bion die männlichen Sexualcharaktere.
Die Thatsachen, welche ich meine, sind bekannt, und von
Darwin sorgfältig gesammelt und ausführlich besprochen worden.
Sie bestehen kurz gesagt darin, dass bei ausgebildeten Individuen
des einen Geschlechts unter besondern Umständen die sekundären
Sexualcharaktere des andern Geschlechtes zur nachträglichen
Ausbildung gelangen können. Dahin gehören vor Allem die
Folgen der Castration bei beiden Geschlechtern. Die Ent-
fernung der Geschlechtsdrüsen bei jungen Säugethieren und
Vögeln verhindert die Entfaltung der sekundären männlichen
Geschlechtscharaktere; castrirte Hähne z. B. behalten das Aus-
sehen von Hühnern, sie bekommen weder den schönen Schwanz,
noch den grossen Kamm und Sporn des Hahnes, noch krähen
sie. Umgekehrt nehmen weibliche Hühner, wenn sie steril werden
im Alter, oder wenn ihre Ovarien degeneriren, die äusseren
[470] Sexualcharaktere des Hahnes an. Ich besitze eine weibliche
Ente, welche nicht mehr legt und welche die Färbung des
Enterichs angenommen hat. Beim männlichen Menschen bleibt
die Stimme hoch, weiblich, der Bart entwickelt sich nicht, wenn
in der Jugend Castration vorgenommen wurde.
Offenbar zwingen diese Thatsachen zu der Annahme, dass
die Fähigkeit zur Entwickelung der weiblichen sekundären
Charaktere im Körper des Männchens, die zur Entwickelung der
männlichen Charaktere im Soma des Weibchens latent ent-
halten ist, bereit unter gewissen Bedingungen hervor zu treten.
Dieser Schluss ist denn auch von Darwin bereits gezogen
worden. Man könnte an seiner Berechtigung nur insofern
zweifeln, als ein Wechsel der sekundären Geschlechtscharaktere
bei ein und demselben Individuum nur in sehr wenigen Fällen
und bei sehr wenigen Arten höherer Thiere beobachtet wurde:
bei Vögeln und Säugethieren; man könnte also Bedenken tragen,
die Schlüsse aus diesen Beobachtungen zu verallgemeinern.
Immerhin bleiben die beobachteten Fälle zu erklären, und es
muss versucht werden, sie der Theorie einzuordnen.
Ich knüpfe an ein möglichst einfaches Beispiel an. Bei
manchen Schmetterlingen aus der Familie der Lycaeniden sind
die Weibchen braun gefärbt auf der Oberseite ihrer Flügel, die
Männchen aber blau, und es lässt sich sehr wahrscheinlich
machen, dass die braune Farbe das Ursprüngliche war, wie es
ja heute noch Lycaena-Arten giebt, die in beiden Geschlechtern
braun sind. Der idioplasmatische Vorgang muss hier der ge-
wesen sein, dass die primären Determinanten jener Zellen, welche
die Flügelfarbe bedingen, sagen wir die „braunen“ Determi-
nanten, sich im Keimplasma in „blaue“ umwandelten, aber erst
nach vorgängiger Verdopplung derselben, und so, dass
immer die eine der Zwillings-Determinanten braun blieb, und dass
eine Einrichtung getroffen wurde, welche ihnen nur alternirend
[471] aktiv zu werden gestattete. Wir kommen also zur Annahme von
Doppeldeterminanten, wie bei der Geschlechtsbestimmung
der Keimzellen. Ich glaubte zuerst, die Annahme von Deter-
minanten mit verschiedenen Hälften sei schon deshalb unerläss-
lich, weil man sonst ausser Stand sei, die Anwesenheit der in-
aktiven Determinante an der betreffenden Stelle des Körpers
zu erklären. Da Umschläge der Sexualcharaktere auf das andere
Geschlecht unmöglich für die Art von irgend welchem Nutzen
sein können, so vermochte also Naturzüchtung nichts in Bezug
auf die Beigabe männlicher Determinanten an die somatischen
Zellen eines weiblichen Körpers oder umgekehrt; diese Um-
schläge müssen somit auf einer unbeabsichtigten Nebenwirkung
bestehender Einrichtungen und Kräfte beruhen. Ich sah aber
bald ein, dass solche Einrichtungen ohnehin schon da sind, und
dass wir zur Erklärung der Anwesenheit von beiden Sexual-
Determinanten am Orte der Entfaltung der einen von ihnen
der Annahme von mechanisch untrennbaren Doppel-Determi-
nanten nicht bedürfen. Ich lege deshalb keinen Werth auf die
Vorstellung des materiellen Zusammenhanges der beiden di-
morphen Hälften der betreffenden Ur-Determinanten, ja ich werde
gleich zu zeigen haben, dass sich diese Hälften jedenfalls früher
oder später im phyletischen Entwickelungsgang als selbstständige
Determinanten trennen müssen.
Die Ursache aber, weshalb solche Doppel-Determinanten
auch nach ihrer Trennung stets beisammen bleiben müssen,
liegt einfach in der Mechanik der Ontogenese des Idioplasma’s,
welche nach unserer Voraussetzung in einer Zerlegung der
Determinantenmasse des Keimplasma’s in immer kleinere Gruppen
besteht. In gesetzmässiger Weise scheiden sie sich im Laufe
der embryonalen Zelltheilungen in immer kleinere Gruppen;
keine Determinante bleibt etwa unbenützt übrig oder geht gar
zu Grunde, jede durchläuft eine fest vorgezeichnete Bahn, und
[472] Determinanten für ein und denselben Theil, ein und dieselbe
Stelle des Körpers müssen nothwendigerweise beisammen bleiben,
auch wenn sie nicht mechanisch unzertrennlich verbunden sind.
Sie bleiben deshalb doch im physiologischen Sinne Doppel-
determinanten, d. h. sie bestimmen beide dieselbe Stelle, und in
diesem Sinne werde ich auch im Weiteren noch von Doppel-
determinanten reden.
In dem Falle der Lycaeniden kann ein Umschlag der sekun-
dären Sexualcharaktere, wie er bei Vögeln vorkommt, schon
deshalb nicht eintreten, weil die Flügelschuppen nur einmal
im Leben gebildet werden; wir haben also kein Mittel, hier durch
die Erfahrung das Vorhandensein von Doppeldeterminanten in
den Zellen des Flügels nachzuweisen. Es giebt aber andere
Erfahrungen an Insekten, welche darauf hinweisen, dass die idio-
plasmatische Grundlage zu solchen sexuellen Umschlägen auch
bei ihnen nicht fehlt.
Ich denke hierbei besonders an die gelegentlich vorkommen-
den Zwitterbildungen der Insekten, deren lehrreichster Fall
wohl durch jene Zwitter-Bienen gebildet wird, welche zuerst
von Leuckart1) und von Siebold2), später von Kraepelin
in sehr eingehender Weise untersucht worden sind. Männliche
und weibliche sekundäre Sexualcharaktere zeigten sich bei
diesen in der wunderbarsten Weise durcheinander gemischt; bei
einigen Bienen war die rechte Hälfte weiblich, die linke männ-
lich, bei andern die Vorderhälfte des Körpers männlich, die
Hinterhälfte weiblich, oder der ganze Rumpf männlich, der
Kopf aber halbseitig weiblich. Wie Leuckart sich ausdrückte,
sind bei diesen Bienenzwittern die „männlichen und weiblichen
[473] Charaktere auf das Verschiedenste und Regelloseste zusammen-
gewürfelt, so dass es schwer hält, zwei Individuen mit voll-
ständig gleichen Merkmalen aufzutreiben.
Wir verdanken Kraepelin eine vortreffliche Untersuchung
solcher Bienenzwitter in Bezug auf die äusseren Geschlechts-
theile, den Begattungsapparat der Männchen und Weibchen
und den Wehrstachel der Letzteren.1) Dabei erkennt man, bis
in wie kleine Theile die Mischung männlicher und weiblicher
Charaktere geht. Nicht nur findet es sich häufig, dass z. B. links
ein halber weiblicher Stachel-Apparat mit allen seinen Theilen
vorhanden ist, während rechts ein Penis sich entwickelt hat,
sondern gewisse Chitinplatten der Bauchseite des letzten fast
ganz männlich entwickelten Abdominal-Segmentes können eine
deutliche Hinneigung zu den ihnen entsprechenden Chitinplatten
des weiblichen Stachel-Apparates aufweisen, oder mit andern
Worten: diese Chitinplatten erweisen sich als eine
Mittelbildung zwischen weiblichem und männlichem
Typus. Die Bildung dieser Platte muss also von einem Ge-
misch männlicher und weiblicher Determinanten geleitet worden
sein. Es wäre undenkbar, wie diese zusammenstimmenden Deter-
minanten sich an der richtigen Stelle des ungeheuren und so
verwickelten Determinanten-Baues des Keimplasma’s zusammen-
gefunden haben sollten, wenn sie nicht von vornherein schon
zusammen geordnet gewesen wären, wenn also nicht an jeder
solchen Stelle des Keimplasma’s männlich-weibliche Doppel-
determinanten schon eingeordnet vorhanden wären, die im Laufe
der Ontogenese zusammen an die betreffenden Körperstellen
hingelangen, und von denen dann die weibliche oder die männ-
liche Hälfte aktiv wird.
Bei normaler Entwickelung der Biene werden mit der Be-
[474] stimmung des Geschlechts auch alle diese somatischen Doppel-
determinanten gleichsinnig bestimmt. Es bleibt dunkel, welches
Moment bei der Zwitterbildung die Gleichsinnigkeit der sexuellen
Bestimmung verhindert. Siebold glaubte den Fall dadurch
dem Verständniss näher zu bringen, dass er diese Eier für „un-
vollkommen befruchtet“ erklärte. Er hatte das Receptaculum
der betreffenden Königin fast leer gefunden, und da nun die
Drohnen aus unbefruchteten Eiern hervorgehen, die Weibchen
aber aus befruchteten, so schien es plausibel, dass unvollkommene
Befruchtung Zwitter hervorbringen müsse. Man wusste damals
noch nicht, dass ein einziger Samenfaden zur Befruchtung aus-
reicht. Heute können wir uns unter unvollkommener Befruch-
tung nichts Rechtes vorstellen. Solange noch ein lebender
Samenfaden in das Ei gelangen kann, solange wird auch dies
Ei befruchtet, und eine unvollkommene Befruchtung könnte
etwa nur so gedacht werden, dass der befruchtende Samenfaden
abnorm gebaut wäre, zu wenig Idanten enthielte u. s. w. Aber
auch damit wäre theoretisch nicht viel anzufangen. Nur soviel
können wir sagen, dass hier die Bestimmung des Geschlechts
nicht im Ganzen, mit allen Doppeldeterminanten auf einmal,
sondern einzeln, in grösseren oder kleineren Determinanten-
gruppen erfolgte, und zwar sowohl in Bezug auf die Keimzellen
als auf die dimorphen Körpertheile. Es kam nicht nur der
gewöhnliche Fall vor, dass die Geschlechtsdrüse des betreffenden
Individuums rechts weiblich, links männlich sich ausbildete,
sondern auch, dass auf ein und derselben Seite weibliche und
männliche Keim-Follikel zur Entwickelung gelangen, mehrere
Hodenschläuche und Eierstocksröhren nebeneinander. v. Siebold
bemerkt dazu, dass aber „die Zwitterbildung der Geschlechts-
werkzeuge fast nie im Einklang stand mit der Zwitterbildung
der äussern Form“, und dies scheint mir in theoretischer Be-
ziehung besonders interessant, weil es den sichern Schluss ge-
[475] stattet, dass die Harmonie des normalen Zustandes auf
einer gleichzeitigen Entscheidung über die Doppel-
determinanten der Keimzellen und des Körpers beruht,
nicht auf einer primären Geschlechtsbestimmung der Geschlechts-
drüsen, von welchen dann sekundär erst die somatischen Ge-
schlechtscharaktere als weiblich oder männlich bestimmt würden.
Bei den Bienen lässt sich die Existenz von Doppeldetermi-
nanten des Keimplasma’s geradezu erweisen. Wenn ein und
dasselbe Ei, je nachdem es befruchtet wird oder nicht, sich
zum männlichen oder weiblichen Bion entwickeln kann, so
müssen in ihm beiderlei Determinanten enthalten sein.
So richtig aber gewiss auch diese Annahme ist, so wenig
reichen wir mit ihr allein aus, und zwar deshalb nicht, weil
die sekundären Geschlechtsunterschiede nicht immer sich blos
auf einzelne Zellen oder Zellengruppen beziehen, welche sich
in beiden Geschlechtern genau entsprechen, wie z. B. die braunen
und die blauen Schuppen der Lycaeniden, sondern weil in
vielen, ja vielleicht den meisten Fällen die dimorphen
Theile sich nur theilweise oder auch gar nicht ent-
sprechen.
Die Geschlechtsunterschiede sind in sehr verschiedenem
Grade in den verschiedenen Gruppen des Thierreiches ausgebildet.
Bei niederen und höheren Crustaceen besitzen die Männchen
häufig mehr „Riechfäden“ an ihren Fühlern als die Weibchen.
So stellen bei dem grössten Wasserfloh, der Leptodora hyalina,
die vorderen Fühler beim Weibchen kurze Stummeln dar, auf
welchen fünf Riechfäden sitzen, beim Männchen aber sind diese
Fühler lange, ruthenförmige Organe, an denen etwa achtzig
Riechfäden stehen. Es ist klar, dass hier die Verschiedenheit
nicht auf eine einzige Doppeldeterminante zurückgeführt werden
kann. Jeder Riechfaden muss auf eine besondere Determinante
des Keimplasma’s bezogen werden, wenn nun auch die fünf
[476] ersten sich entsprechen und ihre geringen Unterschiede auf
Doppeldeterminanten bezogen werden könnten, so bleiben doch
noch über siebenzig Determinanten von Riechfäden übrig, die
nur beim männlichen Geschlecht zur Entfaltung gelangen, ganz
abgesehen von den Determinanten des Fühlers selbst. Diese
siebenzig Determinanten sind nur einfach vorhanden, da beim
Weibchen die entsprechenden Theile fehlen, und es stehen sich
also hier im Keimplasma zwei Gruppen von Determinanten
gegenüber, die der weiblichen und die der männlichen Antenne,
von denen immer nur die eine zur Aktivität gelangt. Man
wird sich vorstellen dürfen, dass beide Gruppen, dicht beisammen
liegend, die Zellenfolgen der Embryogenese durchlaufen bis zur
Anlage der Antenne, dass aber dann eine Scheidung eintritt
und die inaktiv bleibende Gruppe in einer „indifferenten“ Zelle
an der Basis des Fühlers liegen bleibt, während die andere durch
fortgesetzte Zelltheilungen den Fühler des betreffenden Ge-
schlechtes zur Ausführung bringt.
Ganz ähnlich wird es in tausend andern, aber noch weit
verwickelteren Fällen sich verhalten. Wenn z. B. ein männ-
liches Kolibri eine sechs Mal so lange Feder im Schwanz trägt
als das Weibchen, die zugleich durch prachtvolles Ultramarin-
blau von der graumelirten entsprechenden Feder des Weibchens
absticht, so setzt dies zweierlei Gruppen von Determinanten
voraus, die nach Zahl und Art verschieden sind. Beide Gruppen
liegen beisammen im Keimplasma, durchlaufen dieselbe Zellen-
folge in der Ontogenese und gelangen schliesslich an dieselbe
Stelle der Haut über dem letzten Schwanzwirbel. Hier aber
bleibt die eine inaktiv, und nur die andere giebt zu weiteren
Zelltheilungen und zur Entstehung einer Feder Anlass.
Je tiefer greifend der sexuelle Dimorphismus ist, je grössere
Theile er umfasst, um so grösser müssen auch die beiderlei
Determinantengruppen sein, und je früher in der Ontogenese
[477] wird die eine von ihnen inaktiv in einer Zelle liegen bleiben,
die sich nicht weitertheilt, während die andere weitere Zell-
theilungen hervorruft.
Vielfach besteht der sexuelle Dimorphismus in der Ver-
kümmerung eines Organs in dem einen Geschlecht. So
fehlen manchen Schmetterlingsweibchen die Flügel. Idioplas-
matisch wird dies darauf beruhen, dass die Determinantengruppe
des Flügels, die in früheren phyletischen Stadien schon doppelt,
d. h. männlich und weiblich vorhanden war, nun einseitig ver-
kümmert. Häufig besitzen solche Weibchen noch Rudimente
der Flügel, und dann werden beide Flügel-Determinantengruppen
in der Ontogenese zusammengehen bis zu jenem Stadium der
Raupe, in welchem von einer Zelle der Hypodermis die Bildung
der Imaginalscheibe des Flügels ausgeht. Ist das Thier weib-
lich, so wird jetzt die verkümmerte Flügel-Determinantengruppe
aktiv, ist es männlich die vollkommne. Es ist aber auch denk-
bar, dass die Verkümmerung der weiblichen Determinanten-
gruppe bis zu ihrem völligen Verschwinden geht, wie denn bei
den weiblichen Psychiden die Flügel ganz fehlen.
Aber auch mit dem völligen Schwund einzelner Theile ist
der höchste Grad des sexuellen Dimorphismus noch nicht er-
reicht. Es giebt in verschiedenen Gruppen des Thierreichs
Arten, deren Männchen sich beinahe in allen Charak-
teren von den Weibchen unterscheiden. Schon bei vielen
Räderthieren sind die Männchen winzig klein gegenüber den
Weibchen, haben eine in allen Theilen verschiedene Körper-
gestalt und entbehren des gesammten Nahrungskanals, und bei
Bonellia viridis, einem Meereswurm aus der Gruppe der Gephy-
reen, weicht das Männchen so sehr vom Weibchen ab, dass
man versucht sein könnte, es einer ganz andern Klasse von
Würmern, den Strudelwürmern, zuzutheilen. Zugleich ist hier
der Unterschied der Körpergrösse zwischen beiden Geschlechtern
[478] noch weit bedeutender; das Männchen hat eine Länge von
1—2 Millimeter, das Weibchen von 150 Millimeter, und das
Erstere schmarotzt im Innern des Letzteren. Im Falle der
Bonellia sind die Eier, aus welchen die Männchen kommen,
nicht zu unterscheiden von den weiblichen Eiern, auch nicht
in der Grösse, und die hundertfach bedeutendere Körpermasse
des Weibchens beruht nur auf später eintretendem Wachsthum.
Auch die jungen Larven der Weibchen sind von denen der
Männchen nicht zu unterscheiden, und erst bei der Metamor-
phose der Larve in das geschlechtsreife Thier wird die Ent-
wickelung eine verschiedene. Die Larve ist drehrund, walzig,
länglich eiförmig und mit zwei Wimperkränzen ausgerüstet,
mittelst deren sie umherschwimmt, sie besitzt einen Darm mit
Mund und After. Die Umwandlung zur definitiven Form der
Art kündigt sich zuerst durch den Verlust des hintern Wimper-
kranzes an, und von diesem Moment an scheiden sich die Wege
der beiden Geschlechter. Die Weibchen wachsen stark, bilden
den Rüsselfortsatz am Vorderende, während der Darm sich in
die Länge streckt, die Männchen aber bleiben klein, bekommen
einen allgemeinen Wimperbesatz, Mund und After verlieren sie,
ebenso den Vorder- und Hinterdarm, und behalten blos den
mit Dotterelementen gefüllten Mitteldarm. Trotz der grossen
Verschiedenheit der Geschlechter beruht ihre Organisation doch
auf derselben Grundlage, und man kann im Allgemeinen sagen,
dass das Männchen auf einer frühen Organisationsstufe stehen
bleibe, während das Weibchen sich weiter entwickele und
wenigstens in vielen Organen, z. B. dem Nervensystem, dem
Gefässsystem, welches dem Männchen ganz fehlt, eine viel höhere
Organisationsstufe erreicht. Aber erschöpfend ist diese Aus-
drucksweise auch nicht, denn nicht nur die Hoden, sondern auch
die Haut und gewisse Klammerorgane entwickeln sich auch beim
Männchen erst später und in eigenthümlicher Weise weiter.
[479] Eine gewisse Übereinstimmung in den wesentlichsten Punkten
des Körperbaues bleibt trotz der grossen Verschiedenheit der
fertigen Geschlechtsthiere immer noch bestehen, so nämlich,
dass man mit Spengel sagen darf, auch das Männchen sei
„eine Gephyree mit allen bekannten Organisationsverhältnissen
derselben“.
Bonellia viridis, links das Weibchen etwa in Lebensgrösse, rechts
das Männchen in starker Vergrösseruug; d rudimentärer Darm desselben,
vd Samenleiter (aus R. Hertwig’s „Zoologie“).
Idioplasmatisch nun wäre dieser Entwickelungsgang etwa
so zu verstehen. Die Determinanten, welche den Aufbau der
Larve leiten, sind einfach, es entstehen also monomorphe
Larven. Das Idioplasma der Zellen aber, welche die Organe
dieser Larven zusammensetzen, enthalten alle oder doch meistens
Doppeldeterminanten oder doppelte Determinantengruppen, und
von diesen werden die weiblichen meist die bei weitem grösseren
[480] sein, ja häufig wird der weiblichen Determinantengruppe eine
männliche überhaupt nicht gegenüberstehen, bei allen den
Organen nämlich, welche, wie der lange Rüssel des Weibchens
ein Homologon beim Männchen nicht hat. Es ist gewiss sehr
merkwürdig, dass solche Determinantengruppen beim Männchen
nicht zur Aktivität gelangen, obgleich sie vorhanden sind, und
ihnen keine andern gegenüberstehen, aber wenn wir auch nicht
im Geringsten einsehen, wie diese Inaktivität erzwungen wird,
so ist doch der Fall nicht überraschender, als die Geschlechts-
bestimmung überhaupt und als jede Inaktivität vorhandener
Anlagen. Warum wachsen der Raupe die Flügel erst zur Ver-
puppungszeit und nicht schon lange vorher, da doch die An-
lagen dazu, die Determinantengruppe, von Anfang an in ge-
wissen Hypodermiszellen enthalten sein muss? Oder warum
wächst nicht schon dem Knaben ein Bart, dessen Determinanten
in gewissen Hautzellen vorhanden sein müssen? Für alle diese
Fälle können wir ebensowenig eine Erklärung geben, als für
die Inaktivität sexuell differenzirter Determinanten. Wir können
höchstens sagen, es sei die Eigenthümlichkeit jener Determi-
nanten, erst auf einem bestimmten Stadium der Ontogenese aktiv
zu werden; dies gewährt aber kaum eine tiefere Einsicht, als
wenn wir bei sexuell differenzirten Determinanten sagen, sie
würden je nach dem Geschlecht des Bion aktiv oder inaktiv.
Bei allen solchen Arten, welche sexuell dimorph sind,
müssen die Ide des Keimplasma’s mehr Determinanten enthalten,
als bei monomorphen Arten, und zwar deren um so mehr, je
grösser der Unterschied der Geschlechter ist; sie werden also
auch grösser sein, und es fragt sich nun, ob der Dimorphismus
sich nicht vielleicht so sehr steigern und schliesslich auf alle
Theile des Körpers beziehen kann, dass Doppel-Ide entstehen,
d. h. dass jedes Id des Keimplasma’s aus einer männlichen und
einer weiblichen Hälfte besteht, in welchen alle Determinanten
[481] verschieden wären. Nahezu scheint dies bei manchen Thieren
wirklich der Fall zu sein, denn bei den Räderthieren z. B. sind
die Männchen häufig so sehr verschieden von den Weibchen, dass
sie sogar, wie die Geschlechtsthiere der Reblaus, aus besonderen
kleineren Eiern ihren Ursprung nehmen. Man würde aber doch
fehlgehen, wollte man glauben, dass hier männliche und weib-
liche Ide auf die beiden Eierarten vertheilt wären. Wohl werden
nur eine geringe Zahl von gemeinsamen Determinanten vor-
handen sein, aber dennoch muss das Keimplasma jeden Eies
auch hier sämmtliche weibliche und männliche Determinanten
enthalten. Das beweist die Einschaltung rein weiblicher Gene-
rationen in den Generations-Cyklus jeden Jahres; die partheno-
genetischen Weibchen bringen schliesslich Männchen hervor.
Ich muss hier noch einmal auf den sexuellen Rück-
schlag — wenn man so sagen darf — zurückkommen, von
dem oben die Rede war, ich meine das Hervortreten entgegen-
gesetzter Geschlechtscharaktere nach Castration, oder Entartung
der Geschlechtsdrüsen. Man hat dies bisher immer als eine all-
gemeine Erscheinung aufgefasst, ich glaube aber nicht, dass wir
zu einer solchen Ansicht berechtigt sind. Beobachtungen solchen
„sexuellen Rückschlags“ beziehen sich, wie oben gezeigt
wurde, wohl nur auf Säugethiere und Vögel, und auch bei
diesen nicht immer auf alle Theile, welche bei den betreffenden
Arten sexuell dimorph sind. Man hat allerdings Fälle beobachtet,
in welchen z. B. eine „alte Henne, welche aufgehört hatte zu
legen, nicht nur das Gefieder, sondern auch die Stimme, die
Sporne und das kriegerische Temperament des Hahnes“ an-
nahm (Darwin, Domestication II, p. 58). Dies beweist, dass bei
diesen Vögeln alle sekundären Sexualcharaktere des Männchens
im Soma des Weibchens in latentem Zustande vorhanden sind,
wir werden aber vermuthen dürfen, dass dies nur dann der Fall
Weismann, Das Keimplasma. 31
[482] ist, wenn diese Charaktere in beiden Geschlechtern völlig homolog
sind, d. h. wenn sie sich genau nach Zeit und Ort ihrer onto-
genetischen Entstehung und der Zahl ihrer Determinanten ent-
sprechen; ist dies aber nicht der Fall, dann wird ein solcher
„Rückschlag“ auf die Sexualcharaktere des andern Geschlechtes
kaum möglich sein, weil der Boden fehlt, von dem aus das
Rückschlags-Organ hervorwachsen könnte. Gesetzt, es verhielte
sich bei den Schmetterlingen ähnlich wie bei den Hühnern,
d. h. die sekundären Sexualcharaktere seien latent im Soma des
andern Geschlechts vorhanden und würden durch Entfernung
der Geschlechtsdrüsen zur Entwickelung gebracht, so würde
z. B. ein Männchen von Lycaena Alexis, welches blaue Flügel
hat, nach Castration braune erhalten. Dies müsste durch
Ausfallen der bisherigen und Hervorwachsen neuer Schuppen
geschehen, oder wenn die Castration schon im Raupenzustand
vorgenommen worden wäre, würden von vornherein in dem
hervorwachsenden Flügel die Schuppen braun ausfallen. Männ-
liche und weibliche Schuppen sind homologe Bildungen, von
denen jede nur durch eine Determinante bestimmt wird. Wenn
also überhaupt an der Wurzel der schon ausgebildeten männ-
lichen Schuppe eine Zelle liegt, die die Determinante einer weib-
lichen braunen Schuppe enthält, so würde unter solchen —
natürlich rein erdachten — Verhältnissen ein Rückschlag auf
die weibliche Schuppenfarbe eintreten können.
Ganz anders, wenn die Weibchen der Lycaena überhaupt
keine Flügel besässen, wie dies bei den Weibchen einiger Spinner
vorkommt. Der männliche Charakter der blauen Schuppen hätte
dann beim Weibchen kein Homologon, und an der Basis der
blauen Männchen-Schuppen könnte unmöglich eine inaktive Zelle
mit der Determinante einer braunen Schuppe liegen. Allgemein
ausgedrückt heisst dies: Doppeldeterminanten weiblicher
und männlicher Prägung können nur bis zu der Phase
[483] und Stelle der Ontogenese vorhanden sein, bis zu
welcher die Entwickelung der beiden Geschlechter
genau homolog ist. Wir werden deshalb einen Rückschlag
auf die sekundären Charaktere des andern Geschlechtes nur da
erwarten können, wo diese Stelle dauernd erhalten bleibt. Für
die Lycaena wäre diese Trennungsstelle die Matrix der Flügel-
schuppen, für eine im weiblichen Geschlecht flügellose Psyche
eine gewisse Zellengruppe der Thorax-Hypodermis, bei Bonellia
würden es die sämmtlichen Zellen der Larve sein, bei den Räder-
thieren schon das Ei selbst. Eine weibliche Bonellia würde
deshalb — wenn unsere Anschauung die richtige ist — durch
Castration keine männlichen Charaktere entwickeln können, weil
sie den Punkt der Ontogenese längst überschritten hat, von
dem aus die Gabelung in einen männlichen oder weiblichen
Körper beginnt, und bei den Räderthieren kann nicht erwartet
werden, dass durch irgend einen Einfluss jemals ein Thier vom
Habitus des Weibchens aus einem männlichen Ei kommen sollte.
In dem Capitel über die geschlechtliche Fortpflanzung,
speciell in dem Abschnitt über den Kampf der väterlichen und
mütterlichen Vererbungstendenzen beim Aufbau des Kindes, ist
stillschweigend von einer weit verbreiteten, wie ich glaube,
irrigen Auffassung des Geschlechtes abgewichen worden, wofür
ich an dieser Stelle am besten die Rechtfertigung geben kann.
Es ist nämlich bisher meistens die Übertragung des Ge-
schlechtes als ein Akt der Vererbung aufgefasst worden. Dies
ist insofern irrig, als in jedem Keimplasma die Anlagen zu
beiden Geschlechtern enthalten sind, und der Vererbungsvorgang
selbst offenbar nichts mit der Bestimmung des Geschlechtes
zu thun hat. Wenn das Kind einer Mutter weiblichen Ge-
schlechtes ist, so folgt daraus noch keineswegs, dass das Gepräge
der sekundären oder primären Sexualcharaktere dieser Tochter
31*
[484] dasjenige der Mutter ist, wie oben schon erwähnt wurde. Dies
ist ja auch längst bekannt, hat aber doch noch nicht allgemein
zu der Erkenntniss geführt, dass das Geschlecht überhaupt nicht
vererbt wird, dass vielmehr stets von jeder elterlichen Seite
beide Geschlechtsanlagen übertragen werden, und dass die Ent-
scheidung darüber, welche Anlagen zur Ausführung gelangen
sollen, von sekundären Momenten abhängen, die wir noch in
keinem Fall mit Klarheit erkannt haben. Es können ebenso
gut die männlichen als die weiblichen Hälften der sexuellen
Doppeldeterminanten der Mutter zur Entwickelung gelangen,
ebenso gut die weiblichen als die männlichen Hälften der sexuellen
Doppeldeterminanten des Vaters, und das von Häckel seiner
Zeit aufgestellte „Gesetz der geschlechtlichen Vererbung“1) ist
nicht haltbar. Rein empirisch ausgedrückt verhält sich viel-
mehr die Sache so, wie sie Déjerine2) in seinem werthvollen
Buche über die Erblichkeit der Nervenkrankheiten nach Darwin (?)
formulirt hat: „Das Überwiegen des einen Elters bei der Ver-
erbung kann direkt oder gekreuzt sein, d. h. es kann dem Geschlecht
folgen oder an dem entgegengesetzten Geschlecht sich äussern.“
Aus diesem Grunde durfte ich in dem Abschnitt über den
Kampf der elterlichen Merkmale beim Aufbau des Kindes von
der sogenannten „Vererbung des Geschlechtes“ ganz absehen;
das Geschlecht wird nicht vererbt, vielmehr nur die Geschlechts-
Charaktere, primäre und sekundäre.
2. Pathologischer Dimorphismus.
Die Bluterkrankheit.
Im Anschluss an die idioplasmatische Begründung des
sexuellen Dimorphismus möchte ich die Vererbung einer ge-
[485] wissen Krankheit oder besser Bildungs-Anomalie des
Menschen besprechen, einmal weil sie, wie ich glaube, von dem
bis jetzt gewonnenen Standpunkt aus verständlicher erscheint,
als bisher, und dann auch, weil ihre Analyse vielleicht wieder
neues Licht auf die Ursachen des sexuellen Dimorphismus zu-
rückwirft.
Die Erscheinung, um welche es sich handelt, ist die so-
genannte Bluter-Krankheit, eine seltene Anomalie, welche
aber in einer Reihe von Fällen sehr genau beobachtet, und von
welcher festgestellt ist, dass sie sich in hohem Grade auf die
Nachkommen überträgt, aber in sehr eigenthümlicher Weise.
Sie tritt nämlich nur bei den Männern einer Familie auf,
wird aber durch die Weiber übertragen, verhält sich also
in Bezug auf Vererbung wie ein sekundärer Sexual-
charakter.
Dennoch hängt die Krankheit in keiner erkennbaren Weise
mit den Geschlechtsorganen oder mit solchen Theilen zusammen,
die dem Geschlecht nach anders ausgeprägt wären. Sie besteht
in einer abnormen Schlaffheit der Gefässwandungen, welche zur
Folge hat, dass geringe Verletzungen zu starken, schwer still-
baren Blutungen führen. Da die Blutgefässe beim Aufbau des
Körpers aus gewissen Zellen des sogenannten Mesoblast’s oder
„Parablast’s“ hervorgehen, so wird in manchen Handbüchern
der pathologischen Anatomie die Bluterkrankheit als eine an-
geborene Anomalie des „Bindegewebekeim’s“ oder des „Para-
blast’s“ bezeichnet. Gewiss muss angenommen werden, dass irgend
eine, zunächst noch nicht näher bestimmbare Variation gewisser
Mesoblast-Zellen die Ursache jener verhängnissvollen Gefäss-
Variation ist, nämlich der Zellen, aus welchen die Blutgefässe
sich bilden. Die Determinanten der Blutgefässzellen müssen
hier in irgend einer Weise variirt haben im Keimplasma der
betreffenden Individuen, und der Beginn der Anomalie muss
[486] bei einem männlichen Individuum stattgefunden haben.
Wir sehen keinen Grund, warum dieselbe Variation der be-
treffenden Determinanten nicht auch einmal bei einem weiblichen
Individuum sollte entstehen können, und vielleicht werden noch
einmal Fälle von weiblichen Blutern gefunden werden. Die
strenge Vererbung aber im männlichen Geschlecht scheint mir
darauf hinzudeuten, dass diese Gefäss-Determinanten bei Mann
und Weib trotz der scheinbaren Gleichheit der Gefässe ver-
schieden sind. Sie müssen Doppeldeterminanten sein.
Nehmen wir dies an, so lassen sich die sonst sehr räthsel-
haften Vererbungserscheinungen, wie sie bei der Bluterkrankheit
beobachtet sind, in einfacher Weise aufklären. Da diese Krank-
heit nur bei Männern auftritt, so müsste also bei einem solchen
männlichen Bluter die männliche Hälfte seiner Gefässzellen-
Determinanten die krankhafte Variation eingegangen sein, un-
gefähr ebenso, wie die Determinanten der Zellen, die den Kehl-
kopf bilden und die jedenfalls als Doppeldeterminanten zu denken
sind, in ihrer männlichen Hälfte variirt haben. Da nun —
wie die Bienenzwitter lehren — bei der Entscheidung über das
Geschlecht eines Embryo zugleich auch entschieden wird, welche
Hälften der Doppeldeterminanten des Idioplasma’s aktiv, welche
passiv bleiben während der Embryogenese, so folgt von selbst,
dass bei jedem weiblichen Nachkommen eines Bluters die Krank-
heit latent bleiben muss, d. h. überhaupt keine krankhafte
Bildung der Gewebe entstehen kann, denn hier tritt die weib-
liche, nicht veränderte Hälfte der Gefässzellen-Determinanten in
Thätigkeit. Bildet sich aber das Kind eines Bluters zum männ-
lichen Individuum aus, so tritt die krankhaft veränderte männ-
liche Hälfte der Gefässzellen-Determinanten in Kraft, und nun
kann die Krankheit sich ausbilden, vorausgesetzt, dass nicht
von Seite der gesunden Mutter her ein stärkerer Vererbungseinfluss
in Betreff der Gefässbildung einwirkt, so dass die Krankheits-
[487] anlage des Vaters durch die Gesundheitsanlage der Mutter über-
wunden wird. In dem einen, von Chelius, Mutzenbecher
und Lossen1) durch vier Generationen verfolgten Stammbaum
einer Bluterfamilie ist dies der Fall; hier sind die Söhne der
Bluter nie wieder Bluter; in dem von Thulesius-Grandidier
beschriebenen Fall dagegen vererbte sich die Krankheit vom
Vater aus auf die männlichen Glieder durch drei Generationen.
Beides lässt sich von unserem Standpunkt aus verstehen, da
keine individuelle Variation auf einer Variation der betreffenden
Determinanten sämmtlicher Ide des Keimplasma’s beruht,
sondern immer nur auf einer Majorität der Ide mit ab-
geänderten Determinanten. Diese aber kann durch jede Re-
ductionstheilung und durch jede neue Amphimixis in eine
Minorität verwandelt werden, womit dann die Variation auf-
hört, manifest zu werden. Sobald also nur eine schwache
Majorität der Ide Bluter-Determinanten enthält, würde schon
eine mässige Zahl und Vererbungsstärke der gesunden mütter-
lichen Gefäss-Determinanten den Sieg über die kranken väter-
lichen davontragen, und folglich die männlichen Nachkommen
frei von der Krankheit bleiben. Wenn aber die Bluter-Determi-
nanten in bedeutender Majorität vorhanden waren im Keim-
plasma des Vaters, so würde eine günstige Reductionstheilung
zu Hülfe kommen müssen, damit ein Sohn von der Krankheit
verschont bliebe. Aber auch solche Fälle erklären sich, in
welchen die weiblichen Glieder einer Bluterfamilie mit ver-
schiedenen gesunden Vätern lauter bluterkranke Söhne hervor-
brachten. Denn die männliche Hälfte der Doppeldeterminanten
beinahe sämmtlicher Ide könnte im Keimplasma dieser Mütter
krankhaft abgeändert sein, ohne dass dies am Körper der Mutter
zur Erscheinung käme; bei den Söhnen aber muss es zur Aus-
[488] bildung der Krankheit führen, falls nicht eine ungewöhnlich
günstige Reductionstheilung das starke Übergewicht der krank-
haften Determinanten beseitigt. Die Bluterkrankheit, die in der
Mutter latent bleibt, kann sich von ihr ebenso leicht auf die
männlichen Nachkommen vererben, als irgend eine andere männ-
liche Eigenschaft des Grossvaters, seine Bartfarbe, seine Tenor-
stimme u. s. w.
In dieser Übereinstimmung der Vererbungsweise der ge-
wöhnlichen sekundären Geschlechtscharaktere und der Bluter-
krankheit liegt, wie mir scheint, ein nicht zu übersehender Hin-
weis darauf, dass beim Menschen eine grosse Zahl von
Determinanten als Doppeldeterminanten anzunehmen
sind. Die Zahl der sekundären Geschlechtscharaktere ist hier
weit grösser, als man für gewöhnlich sich bewusst wird. Es
ist ja bekannt genug, dass keineswegs nur Bart und Stimme,
Haar und Haut beim Manne anders als beim Weib sind, son-
dern auch der Knochenbau und die Muskulatur, ja die ge-
sammte Körpergrösse. Gäbe es identische Zwillinge verschiedenen
Geschlechtes, d. h. einen Mann und ein Weib, welche aus genau
demselben Keimplasma durch Zweitheilung des befruchteten
Eies hervorgegangen wären, so würde doch das Weib kleiner
als der Mann sein, die Knochen dünner, das Becken weiter, die
Muskeln schwächer u. s. w. Ganz gleich würde bei Beiden
vielleicht kein einziger Theil sein; wenigstens wird ja all-
gemein angenommen, dass auch das weibliche Gehirn sich in
Etwas vom männlichen unterscheidet, und auch die Sinnesorgane
sollen beim Weibe reizbarer und leichter erregbar sein. Wenn
das Alles überhaupt Etwas heissen soll, so kann es nur heissen,
dass die weibliche Ausbildung desselben Keimes eine andere
ist, als die männliche; dies aber wiederum kann in unserer
theoretischen Sprache nur so ausgedrückt werden, dass beim
Menschen alle, oder doch nahezu alle Determinanten
[489] des Keimes Doppeldeterminanten sind, halb männlich,
halb weiblich, so dass eine Determinante derselben Provenienz
sich zum männlichen oder zum weiblichen Typus des betreffen-
den Charakters entwickeln kann.
Durch diese Annahme einer weiten Verbreitung von Doppel-
determinanten im Keim lässt sich die schon von Prosper
Lucas1) hervorgehobene und durch viele Beispiele belegte That-
sache verstehen, dass neu auftretende Charaktere zuweilen nur
auf das eine Geschlecht weiter vererbt werden, auch wenn sie
mit sekundären Sexualcharakteren im eigentlichen Sinn nichts
zu thun haben. Es sind dann eben nur die männlichen oder
nur die weiblichen Hälften solcher Doppeldeterminanten des
Keimplasma’s verändert worden. So verhält es sich bei der
eben betrachteten Bluterkrankheit, insofern dieselbe doch einmal
zuerst aufgetreten sein muss, und ähnlich in vielen Fällen von
Farbenblindheit, von überzähligen Fingern, fehlenden Fingern oder
Fingergliedern u. s. w. Auch der berühmte Stachelmensch Lambert
vererbte die sonderbare Beschaffenheit seiner Epidermis nur auf
seine männlichen Nachkommen. Bei der Polydaktylie kennt man
Fälle, in welchen sie sich nur auf die männlichen Familien-
mitglieder vererbte, aber auch solche, wo sie von der Mutter
ausschliesslich auf die Töchter überging.
Es scheint aber, dass solche Abänderungen einer Hälfte
von Doppeldeterminanten sich im Laufe der Zeit auf die an-
dere, wenn auch zunächst noch in geringerem Grade über-
tragen kann, denn es sind Fälle bekannt, in welchen eine
Abnormität zuerst nur im männlichen Geschlecht entstand (?)
und vererbt wurde, nachher aber auch auf einzelne weibliche
Nachkommen überging. Allerdings aber sind diese Fälle nicht
weit genug verfolgt, um die Deutung ganz auszuschliessen, es
[490] sei hier von vornherein eine Abänderung beider Hälften der
betreffenden Doppeldeterminanten eingetreten, nur die der einen
Hälfte in einer geringeren Zahl der Ide (der homologen Deter-
minanten).
Dass beide Hälften gleichzeitig verändert sein können, be-
weisen zahlreiche Fälle, in welchen irgend eine Abnormität bald
in männlichen, bald in weiblichen Mitgliedern einer Familie
auftreten. Prosper Lucas theilt mehrere solche Fälle mit,
z. B. den der Familie Ruhe, in welcher in der ersten Generation
die Mutter ihre Polydaktylie auf die Tochter übertrug, in der
zweiten die Mutter sie auf den Sohn vererbte und in der dritten
der Vater sie dem Sohn überlieferte.
Ich will nur andeuten, dass zahlreiche zoologische That-
sachen die Annahme nahe legen, dass Veränderungen einer
Hälfte einer Doppeldeterminante einen Einfluss auf die andere
Hälfte ausüben und zwar in dem Sinne gleichartiger Abänderung.
Es ist bekannt, wie vielfach sekundäre Geschlechtscharaktere
der Männchen von Vögeln und Insekten bei den Weibchen in
schwächerem Grade auftreten. Bei den Lycaeniden, jenen Tag-
faltern, welche im Deutschen wegen ihrer vorwiegend blauen
Farbe „Bläulinge“ genannt werden, giebt es einige Arten, welche
in beiden Geschlechtern braun gefärbt sind; bei Weitem die
meisten Arten sind blau im männlichen, braun im weiblichen
Geschlecht, und eine kleine Zahl südlicher Arten zeigt beide
Geschlechter blau. Es ist nun nicht zweifelhaft, dass Braun
die ursprüngliche Farbe dieser Arten war, dass dann zuerst die
Männchen blau wurden, während die Weibchen braun blieben,
und dass zuletzt erst auch die Weibchen sich bei einigen Arten
blau färbten, wenn auch nur selten so stark wie ihre Männ-
chen. Die Männchen sind also in der Umfärbung vorangegangen,
die Weibchen nachgefolgt, und wenn man mit Darwin den
Anstoss zum Blauwerden in sexueller Züchtung sieht, so ist
[491] die Blaufärbung der Weibchen mechanisch durch die Blau-
färbung der Männchen herbeigeführt worden, indem der sekun-
däre Sexualcharakter sich im Laufe sehr langer Generations-
folgen auf das weibliche Geschlecht mit übertrug. Dies aber
kann nach unserer Theorie nur darauf beruhen, dass die Ver-
änderung der männlichen Determinantenhälften eine ähnliche,
wenn auch schwächere Veränderung der weiblichen Hälfte nach
und nach herbeiführte. Auf diese Weise verstehen wir es auch
bis zu gewissem Grade, dass einzelne Weibchen den übrigen
vorauseilen können, denn dieser umändernde Einfluss wird sich
nicht in allen Individuen gleich stark und gleich rasch geltend
machen. Bei vielen Lycaena-Arten mit braunen Weibchen
kommen aber seltener oder häufiger einzelne blau angeflogene
oder selbst stark blaue Weibchen vor.
3. Polymorphismus.
Sexuelle Dreigestaltigkeit findet sich bekanntlich
mehrfach im Thierreich. Einige Fälle sind zuerst von Alfred
Wallace bei Schmetterlingen entdeckt worden, und an diese
möchte ich hier anknüpfen. Zuerst einen Fall, der mir den
ersten Schritt zum Polymorphismus zu enthalten scheint.
In Nordamerika ist ein unserm Schwalbenschwanz ähnlicher
Tagfalter Papilis Turnus häufig, dessen Männchen gelbe mit
schwarzen Querstreifen gezierte Flügel besitzen, die Weibchen
aber sind theils den Männchen gleich gefärbt, theils ganz
schwarz, also stark abweichend. Da die gelben Weibchen lokal
von den schwarzen getrennt sind, indem die Ersteren den
Osten und Norden der Vereinigten Staaten, die Letzteren den
Westen und Süden derselben bewohnen, so werden wir uns
vorstellen müssen, dass zwei Lokalrassen dieses Schmetterlings
existiren, von welchen die nördliche in beiden Geschlechtern
dieselbe Flügelfärbung besitzt, die südliche dagegen dimorph ist.
[492] Idioplasmatisch wird dies heissen, dass die nördliche Rasse
einfache Determinanten der Flügelschuppen besitzt, die süd-
liche Doppeldeterminanten; wenn wir dieselben nach der Farbe,
die sie hervorrufen, bezeichnen, so hätte also die letztere Rasse
Doppeldeterminanten, deren männliche Hälfte gelb, deren weib-
liche schwarz ist, während die einfachen Determinanten der
nördlichen Rasse gelb wären. Wir hätten also eigentlich keine
dreigestaltige Art, sondern zwei Lokal-Varietäten einer Art, von
denen die eine zweigestaltig ist. Wenn nun Kreuzung zwischen
diesen beiden Varietäten eintritt, wie solche thatsächlich da
vorkommt, wo die Verbreitungsgebiete der beiden Formen an-
einander stossen, so werden die Doppeldeterminanten der süd-
lichen mit den einfachen Determinanten der nördlichen Form
im Keimplasma der Brut zusammentreffen. Die männlichen
Nachkommen solcher Kreuzung werden unverändert bleiben,
die weiblichen aber werden je nach der Vererbungsstärke der
weiblichen Determinanten-Hälften entweder schwarz oder gelb,
oder — wie dies von Edwards beobachtet wurde1) — gelb und
schwarz gemischt ausfallen. Solche Mischungen können sowohl
durch Kreuzung eines gelben Weibchens mit einem gelben
Männchen der dimorphen Varietät, als durch Kreuzung eines
schwarzen Weibchens mit einem gelben Männchen der mono-
morphen Form entstehen, da in den Männchen der dimorphen
Form das Keimplasma ebenso gut Doppeldeterminanten enthält,
als in den Weibchen. Denken wir uns diese Kreuzungen häufig
fortgesetzt, so werden auf dem Grenzgebiet der beiden Varietäten
nach und nach immer mehr Zwischenformen von Weibchen
auftreten müssen, und schliesslich könnte eine constante Mittel-
form der Weibchen die Folge sein. Sollte aber irgend eine
Vorliebe der Männchen für die ihnen adäquaten Weibchen
[493] stattfinden, dann werden die Weibchen-Rassen sich im Wesent-
lichen getrennt erhalten. Dies scheint bei Papilio Turnus der
Fall zu sein, wenigstens giebt Edwards die Zwischenformen
als selten an.
Auf diese Weise wird man vielleicht die doppelten und
mehrfachen Weibchen mancher Schmetterlinge in ihrer idio-
plasmatischen Begründung aufzufassen haben: es sind sexuell
dimorphe Lokalrassen, die sich später ausgebreitet
und theilweise gekreuzt haben. Wo die Rassen, ohne
sich zu kreuzen, nur lokal übereinander greifen, enthält jede
Rasse auch nur einfache oder Doppeldeterminanten, je nachdem
sie sexuell monomorph oder dimorph ist, da aber wo Kreuzungen
eintraten, verbinden sich die Determinanten der Rassen, und
es können dann selbst mehrere homologe Doppeldeterminanten
in ein und demselben Keimplasma zusammentreffen, die einen
in diesen, die andern in jenen Iden enthalten.
Ich habe den Fall von Papilio Turnus etwas einfacher
dargestellt, als er ist; in Wahrheit haben wir es hier schon
mit einem doppelten Dimorphismus zu thun, denn die
gelben Weibchen sind ihren Männchen nicht völlig gleich,
sondern in Zeichnung und auch im Ton des Gelb mannigfach
verschieden; sie besitzen einen orangefarbigen Augenfleck auf
den Hinterflügeln, der dem Männchen fehlt u. s. w. Wir müssen
also auch für die gelbe Rasse Doppeldeterminanten annehmen.
Stellen wir uns nun vor, bei den unmittelbaren Vorfahren des
heutigen Papilio Turnus seien beide Geschlechter noch ebenso
gleich gewesen in der Flügelzeichnung, wie dies bei dem ver-
wandten Papilio Machaon Europa’s der Fall ist, und diese
monomorphe Stammform habe sich — sagen wir in Californien
— erhalten, so hätten wir einen Polymorphismus der Art, wie
er z. B. von Papilio Memnon durch Alfred Wallace bekannt
geworden ist, d. h. eine Männchenform und drei Weibchen-
[494] formen. Idioplasmatisch beruhte dies darauf, dass die erste und
älteste Form einfache Flügel-Determinanten besässe, während
die zweite und dritte Form Doppeldeterminanten hätte, deren
männliche Hälfte die ursprüngliche Beschaffenheit beibehielt,
während die weibliche Hälfte nach zwei verschiedenen Richtungen
abänderte.
Dreigestaltigkeit einer Art zwingt also nicht ohne Weiteres,
wie man hätte denken können, zur Annahme von dreifachen
Determinanten, und Polymorphismus nicht zur Annahme vier-
und fünffacher Determinanten.
Der Polymorphismus der Thier- und Pflanzen-
stöcke beruht auf anderer Grundlage, indem er sich auf die
physiologisch ungleichwerthigen Glieder einer höheren Indivi-
dualitätsstufe, des Stockes, bezieht. Er wurde bereits als Ent-
wickelungserscheinung im Zusammenhang mit dem Generations-
wechsel betrachtet. Dagegen würde hier noch der ihm nahe
verwandte Polymorphismus zu betrachten sein, den wir bei
Thierstaaten beobachten.
Bei der Biene wurden bereits die Unterschiede zwischen
weiblichen und männlichen Individuen auf die Anwesenheit von
Doppeldeterminanten bezogen. Bekanntlich kommt aber bei
der Honigbiene noch eine dritte Form von Individuen vor: die
Arbeiterinnen. Diese unterscheiden sich von den Weibchen
durch die geringe Entwickelung der Ovarien, deren Eiröhren
nicht nur an Zahl weit hinter denjenigen der „Königin“ zurück-
bleiben, sondern auch häufig gar keine Eier entfalten, oder doch
nur ganz wenige. Auch das Receptaculum seminis ist mehr
oder weniger verkümmert, und der Hinterleib viel kürzer und
dünner als bei der Königin. Wäre dies Alles, was beide
Weibchenformen unterscheidet, so würde man kaum genöthigt
sein, besondere Determinanten jener Theile für die Arbeiterinnen
im Keimplasma anzunehmen; man würde sich vorstellen können,
[495] dass ein und dieselben Determinanten, z. B. der Ovarialröhren,
so eingerichtet wären, dass bei reichlicher Ernährung alle in
Thätigkeit geriethen und die Bildung der Eiröhren veranlassten,
dass bei schwächerer Ernährung aber ein Theil derselben nicht
zur Entwickelung gelangte und so die volle Ausbildung der
Geschlechtsorgane verhinderte. Wir wissen ja, dass ein und
dasselbe befruchtete Ei zur Königin oder zur Arbeiterin sich
entwickelt, je nachdem die daraus ausschlüpfende Larve mit
Königinfutter oder mit dem weniger nahrhaften Arbeiterinnen-
futter genährt wird.
Aber wenn auch diese Erklärung für die rückgebildeten
Theile der Arbeiterinnen richtig sein mag, so reicht sie doch
zur Erklärung der anderen Verschiedenheiten zwischen den beiden
Weibchenformen nicht aus. Denn die Arbeiterinnen haben nicht
überall ein Minus, sondern mehrfach auch ein Plus gegenüber
der Königin. So ist schon der Stachel der Arbeiterinnen gerader,
länger und stärker und mit mehr Zähnen versehen, als bei der
Königin; ferner sind die Flügel länger, und vor Allem das erste
Tarsalglied der Hinterbeine mit der bekannten Haarbürste aus-
gerüstet, die Schiene aber mit jener Dolle, dem sog. Körbchen
zum Transport der gesammelten Pollenmassen. Diese beiden
charakteristischen Theile fehlen der Königin. Abgesehen davon
müssen auch noch intime Verschiedenheiten im feinsten Bau
des Gehirns vorhanden sein, da die Instinkte der Königin und
die der Arbeiterinnen recht verschieden sind. Die Königin voll-
zieht die Begattung und legt Eier, aber sie sammelt weder
Honig aus den Blumen, noch scheidet sie Wachs aus, noch
macht sie Wachszellen u. s. w. Es ist deshalb nicht denkbar,
dass Königin und Arbeiterin durchweg von den gleichen De-
terminanten aufgebaut werden; es müssen für gewisse Körper-
regionen Doppeldeterminanten im Keimplasma vorhanden sein,
königliche und arbeiterliche. Da aber schon zur Bildung von
[496] Männchen und Weibchen Doppeldeterminanten angenommen
werden mussten, wenigstens für alle bei den beiden Geschlechtern
verschiedenen Theile, so bleibt Nichts übrig, als die Annahme,
dass die weibliche Hälfte der Doppeldeterminanten
selbst wieder doppelt sein kann, indem sie sich aus einer
königlichen und einer arbeiterlichen Hälfte zusammensetzt, von
denen natürlich jede als volle Determinante zu denken ist, der
Masse und dem Bau nach. Es kommt Nichts darauf an, ob man sie
als fest verbundene oder als selbständige, dicht aneinander
liegende Körper denken will, in jedem Falle sind sie phyletisch
aus der Verdoppelung und Verdreifachung einer einzigen Stamm-
determinante hervorgegangen. Des leichteren Ausdrucks halber
spreche ich von „Doppeldeterminanten“ und „Determi-
nantenhälften“. Physiologisch verhalten sie sich zu ein-
ander wie homologe, aber heterodyname Determinanten ver-
schiedener Ide.
Das entscheidende Moment dafür, welche der beiden Hälften
der weiblichen Determinante aktiv werden soll, scheint bei den
Bienen die Intensität der larvalen Ernährung zu sein, so dass
also diese Entscheidung jedenfalls erst lange nach Ablauf der
Embryogenese, auf dem Wege zur Verpuppung gegeben wird.
Bekanntlich erziehen sich die Bienen, wenn ihnen ihre Königin
verloren gegangen ist, eine neue Königin, indem sie einem der
vorhandenen Arbeiter-Eier königliche Nahrung zukommen lassen.
Durch die Befruchtung, je nachdem sie eintritt oder ausbleibt,
wird also über das Geschlecht entschieden, über die Modification
des weiblichen Thieres, ob Königin oder Arbeiterin aber erst
viel später im Laufe des Larvenlebens. Dadurch erscheint es
auch weniger schwierig, sich ein schematisches Bild von der
dreifachen Gestalt gewisser Determinanten des Keimplasma’s zu
machen. In den Iden des Keimplasma’s wird man sich dieselben
als Doppeldeterminanten vorstellen dürfen, deren weibliche
[497] Kugelhälfte aber selbst wieder aus zwei differenten Vierteln
zusammengesetzt ist. Wird nun das Ei befruchtet, so wird die
männliche Hälfte inaktiv, was wir uns oben bildlich so vor-
gestellt haben, dass die weibliche Halbkugel sich über die männ-
liche als Kugelmantel ausbreitet und sie deckt. Nun besteht
dieser weibliche Determinanten-Mantel aus der königlichen und
der arbeiterlichen Hälfte, und man kann sich vorstellen, dass die
später, während des Larvenlebens fallende Entscheidung darüber,
welche dieser Hälften die betreffende Zelle beherrschen soll, so
gegeben wird, dass bei schwacher Ernährung die Arbeiterin-
Hälfte die andere überwächst, während bei starker Ernährung
die Königin-Hälfte stärker wächst und die Arbeiterin-Hälfte
von einer Einwirkung auf die Zelle ausschliesst. — Ich bin
natürlich weit entfernt, diese schematische Zurechtlegung für
eine Darstellung des wirklichen Vorganges auszugeben, aber sie
veranschaulicht uns wenigstens doch die Denkbarkeit solcher
dreifacher Determinanten, oder genauer gesprochen: solcher
Doppeldeterminanten mit Zweigestalt der einen Hälfte.
Man könnte aber auch drei selbstständige nebeneinander-
liegende Determinanten annehmen, welche so eingerichtet wären,
dass sie auf bestimmte, aber andere Einflüsse aktiv würden,
und diese Vorstellung würde besser mit der doch wohl unver-
meidlichen Annahme gleicher Grösse der drei für einander
vicariirenden Determinanten stimmen.
Die Differenzirung der Determinanten in mehrere gleich-
werthige und in ihrer Thätigkeit einander ausschliessende Theile
kann aber noch weiter gehen, indem auch die männliche
Hälfte der Doppeldeterminante sich in zwei verschie-
dene Hälften zerlegt. Bei den Termiten kommen nicht
nur Arbeiterinnen, d. h. verkümmerte Weibchen, sondern auch
„Soldaten“, d. h. in ihren Geschlechtsorganen verkümmerte
Männchen mit sehr starkem Gebiss und anderweitigen be-
Weismann, Das Keimplasma. 32
[498] deutenden Abweichungen vom Bau der gewöhnlichen Männchen
vor. Hier würden wir also vier für einander vicariirende Deter-
minanten haben, von denen immer nur eine aktiv ist.
Wir kennen aber nicht nur einen örtlichen, sondern auch
einen zeitlichen Dimorphismus. Beim Saison-Dimorphismus,
der besonders von Schmetterlingen bekannt geworden ist, sind
die Individuen ein und derselben, auch zur selben Zeit aus-
schlüpfenden Generation gleich, aber die Sommergeneration ist
verschieden von der Frühjahrsgeneration.
Bei unserer europäischen Vanessa Levana-Prorsa ist die
Frühjahrsgeneration gelb und schwarz gezeichnet auf der Ober-
seite der Flügel, die Sommerform (Prorsa) dagegen hat schwarze
Flügel, über die eine breite weisse Binde quer hinzieht; feine
gelbe Linien laufen parallell dem Flügelrand. Die Zeichnung
der beiden Formen lässt sich nicht aufeinander in der Weise
zurückführen, dass die Stellen, welche bei Prorsa schwarz sind,
bei Levana gelb wären, oder dass die weisse Binde von Prorsa
bei Levana gelb oder schwarz wäre. Diese Binde ist vielmehr
bei Levana gar nicht vorhanden, ein Theil derselben ist durch
Gelb, ein anderer durch Schwarz vertreten.
Idioplasmatisch werden diese Fälle von Dimorphismus —
soweit ich sehe — auch nur durch die Annahme von Doppel-
determinanten erklärt werden können, welche sich aber hier
nur auf die Flügelschuppen, und auch wesentlich nur auf die
der Oberseite der Flügel beziehen, denn die Unterseite derselben
ist zwar nicht ganz gleich, aber doch viel weniger verschieden.
Wenn wir die Hälften der Doppeldeterminanten als „Winter“-
und „Sommer“-Determinanten bezeichnen, so werden wir uns
vorstellen können, dass durch Temperatur-Einflüsse, welche im
Beginn der Puppenperiode auf sie einwirken, die Entscheidung
darüber gegeben wird, welche der beiden Hälften den Sieg über
die andere davontragen wird. Vor beinahe zwei Decennien
[499] habe ich gezeigt, dass man durch Kälte die Puppen der Sommer-
generation zwingen kann, die Winterform des Schmetterlinges
anzunehmen und als Levana, anstatt als Prorsa auszuschlüpfen.
Auch das umgekehrte Experiment gelang bisweilen, die Puppen
der Wintergeneration durch Einwirkung höherer Temperatur
während und kurz nach der Verpuppung zur Annahme der
Sommerform zu bestimmen. Man darf sich also vielleicht vor-
stellen, dass die Winterhälfte der betreffenden Doppeldetermi-
nanten durch höhere Temperatur im Wachsthum zurückgehalten,
die Sommerhälfte aber dadurch begünstigt werde, und dass um-
gekehrt die Sommerhälfte bei einer niederen Temperatur im
Wachsthum stehen bleibe, bei welcher die Winterhälfte noch
wächst. Man würde dann dasselbe Schema erhalten, wie beim
gewöhnlichen sexuellen Dimorphismus, nämlich eine kugelige
Determinante des Keimplasma’s, welche sich aus einer Winter-
und einer Sommerhälfte zusammensetzt. Diese würde während
der ganzen Embryogenese unverändert bleiben, ja sogar während
des ganzen Raupenlebens, und erst im Beginn des Puppen-
schlafes, wenn die Flügel schon vorhanden sind, würde die höhere
oder niedere Temperatur darüber entscheiden, welche Hälfte die
andere überwuchern, und sie vom Einfluss auf die Zelle aus-
schliessen solle.
Bei Vanessa Levana sind Männchen und Weibchen in der
Flügelzeichnung wirklich nahezu gleich, so dass man sie nicht
mit völliger Sicherheit unterscheiden kann, bei vielen andern
saison-dimorphen Schmetterlingen aber besteht sexueller Dimor-
phismus in Betreff der Flügelzeichnung und Färbung, und hier
werden wir somit Doppeldeterminanten mit weiblicher und
männlicher Hälfte anzunehmen haben, von welchen jede wieder
in eine Sommer- und Winterhälfte unterabgetheilt ist. Durch
welche Momente bei den Schmetterlingen das Geschlecht be-
stimmt wird, wissen wir nicht, jedenfalls aber wird es schon
32*
[500] früh bestimmt, denn in der erwachsenen Raupe lassen sich
Ovarien und Spermarien bereits von einander unterscheiden.
So folgt also auch hier, wie bei den Termiten, der Zeit nach
die Entscheidung über die Unterabtheilungen der Doppel-
determinante der über die zwei Haupthälften nach.
4. Dichogenie bei Pflanzen.
Dichogenie hat de Vries jene Art des Dimorphismus
genannt, welche sich darin äussert, dass normaler Weise ein
und dasselbe jugendliche Pflanzengewebe sich in dieser oder
in einer andern Weise weiterbilden kann, je nachdem diese oder
andere äussere Einflüsse es treffen. Epheuranken treiben Blätter
nach der Lichtseite, Wurzeln nach der Schattenseite, dreht man
die Pflanze um, so treibt dieselbe Ranke Blätter an der Seite,
an welcher sie vorher Wurzeln trieb, und umgekehrt. Der Licht-
reiz bestimmt also scheinbar dieselben Zellengruppen zur Bildung
von Blättern, welche im Schatten Wurzeln gebildet hätten.
Wollte man nun hier entsprechend den Ansichten von de
Vries die Annahme machen, es seien in jeder Zelle des Epheu-
sprosses alle Vererbungstendenzen der Art enthalten, aber auf
den Lichtreiz kämen nur die blattbildenden, auf den Schatten-
reiz nur die wurzelbildenden Tendenzen zur Entfaltung, so würde
man damit nicht weit reichen. Es sind nämlich in Wahrheit
gar nicht dieselben Zellen, welche sowohl Wurzeln, als Blätter
bilden können, sondern die Blätter stehen viel spärlicher an
der Epheuranke, als die dichten kurzen Wurzeln, eine Menge
von Zellen oder Zellengruppen also, welche bei Beschattung
Wurzeln treiben, entwickeln bei Belichtung keine Blätter, ent-
halten also keine „Blatt-Determinanten“. Es kann somit wohl
nicht dasselbe Idioplasma sein, welches bei Beschattung Wurzeln,
bei Belichtung Blätter bildet, sondern Wurzel-Determinanten
müssen in ganz anderer Vertheilung in den Zellen vorhanden
sein, als Blatt-Determinanten.
[501]
Offenbar wird die Anlage zu beiderlei Bildungen schon
vom Vegetationspunkte, d. h. von der Spitze des Sprosses aus,
bestimmt. Die Zellen, welche sich hier fortwährend von der
Scheitelzelle aus bilden, werden schon sehr bald determinirt, sei es
zu Blatt- oder zu Wurzelanlagen; immer nur die so und so vielste
Zelle der Lichtseite wird mit Blatt-Determinanten ausgerüstet,
die Zellen der Schattenseite aber werden mit Wurzel-Determi-
nanten in viel dichterer Aufeinanderfolge versehen. Die Ent-
scheidung erfolgt also schon früh, schon im eigentlichen embryo-
nalen Zustand des Sprosses, und welche Seite mit Wurzel-,
welche mit Blatt-Determinanten, jede nach ihren eigenen Ge-
setzen der Vertheilung, versehen wird, das hängt von der Be-
lichtung ab. Sie entscheidet darüber, nach welcher Seite hin
bei der Kerntheilung der Scheitelzellen-Sprösslinge die Wurzel-,
nach welcher die Blatt-Determinantengruppe treten soll. Es
ist etwa wie beim menschlichen Situs inversus viscerum, nur
dass wir da die Ursache der Lage-Umkehrung nicht kennen.
Aber auch hier wirkt im frühen embryonalen Leben eine Ur-
sache ein, welche es bewirkt, dass die Leber links, die Milz und
das Herz rechts zu liegen kommen, lange bevor diese Theile
wirklich schon vorhanden sind. Später giebt es keine Ein-
flüsse mehr, welche die Leber von rechts nach links versetzen,
oder gar die Leber in die Milz umwandeln könnten, gerade
wie beim Epheuspross, wenn seine Schattenseite einmal mit
Wurzeln besetzt ist, keine Einflüsse mehr im Stande sind, dort
Blätter zu erzeugen.
Ich glaube deshalb, dass hier nicht dieselben Zellen zu
zweierlei Bildungen auszuwachsen vermögen, sondern dass es
wurzelbildende und blattbildende Zellgruppen giebt, deren Idio-
plasma verschieden ist und nicht ineinander übergeht, dass aber
die wurzelbildende und die blattbildende Seite des Sprosses
schon in der ersten Embryonalanlage durch den Einfluss des
Lichtes bestimmt wird.
[502]
Eine wesentliche Stütze für diese Auffassung finde ich
darin, dass es Pflanzen giebt, bei welchen Wurzelanlagen im
Gewebe der oberirdischen Sprosse mikroskopisch nachweisbar
vertheilt sind. Bei der Weide verhält es sich so, und diese
Pflanze besitzt bekanntlich in hohem Grade das Vermögen
anzuwurzeln, wenn man einen abgeschnittenen Zweig in die
Erde steckt. Aber unzählige andere Pflanzen besitzen dies
Vermögen auch, sich durch „Ableger“ vermehren zu lassen, und
bei diesen wird man vermuthen dürfen, dass trotz dem Fehlen
eines sichtbaren Wurzelkeimes im Gewebe doch die Determi-
nanten von Wurzelgewebe enthalten sind, bereit, sich zu Keimen
zu entwickeln, sobald die äusseren Einflüsse eintreten, die Wurzel-
bildung veranlassen.
Nicht alle Fälle von Dichogenie aber lassen sich in dieser
Weise auflösen. Es giebt Fälle, in denen wirklich dieselben
Zellen sich in dieser oder jener Weise entwickeln können, in
denen also ihr Idioplasma umgewandelt werden kann durch
äussere Einflüsse. Der dorsoventrale Bau eines jungen Sprosses
von Thuja wird umgewandelt, wenn er umgedreht, d. h. seine
Oberseite zur Unterseite gemacht wird. 1) Dieselben Zellen,
welche unter gewöhnlichen Verhältnissen Pallisadenzellen ge-
worden wären, nehmen jetzt den Bau der Zellen der Unterseite
an und umgekehrt.
Die Erklärung dafür scheint mir darin gesucht werden zu
müssen, dass hier die Determinanten beider Zellenarten in jeder
der Zellen zusammen vorkommen, dass aber immer nur eine
davon aktiv wird, je nach der stärkeren oder schwächeren Be-
lichtung. Weshalb freilich diese Einrichtung hier getroffen
wurde, weiss ich nicht zu sagen.
[503]
Capitel XII.
Zweifelhafte Vererbungs-Erscheinungen.
1. Xenien und Telegonie.
Wenn es auch gewiss nicht die Aufgabe einer Theorie der
Vererbung ist, auf alle möglichen Erscheinungen einzugehen,
die mit zweifelhaftem Recht als Vererbung gedeutet worden
sind, so möchte ich doch einige vermeintliche Beobachtungen
nicht ganz mit Stillschweigen übergehen, weil sie schon öfters
besprochen worden und von einer so bedeutenden Autorität
wie Darwin der Beachtung werth gehalten worden sind. Es
sind dies zunächst die sog. „Xenien“ und das, was ich für den
Fall, dass es thatsächlich existirt, als Telegonie oder Fern-
zeugung bezeichnen möchte, und was gewöhnlich als „Infection
des Keimes“ aufgeführt wird.
Unter „Xenien“ verstehen die Botaniker seit Focke
jene Fälle, wo „der Blüthenstaub ausserhalb der befruchteten
Eizelle und des aus ihr hervorgehenden Embryo’s auf die Ge-
webe der mütterlichen Frucht erbliche Eigenschaften übertragen
haben soll“. Darwin hat viele Fälle davon mitgetheilt und
durch Auswanderung von „Keimchen“ aus den Samenzellen
(Pollenschläuchen) in das umgebende Gewebe des Fruchtknotens
zu erklären gesucht. Focke hat dann die bekannten Fälle alle
zusammengestellt, und wenn man diese durchliest, erhält man
den Eindruck, dass hier Täuschungen sehr leicht mit unter-
laufen können. In Kolben von gelbkörnigem Mais (Zea) ent-
stehen zuweilen nach Bestäubung der Blüthe mit dem Pollen
einer blausamigen Maissorte blaue Körner. Ob aber hier nicht
frühere Kreuzungen der beiden Arten einen sofortigen Einfluss
des fremden Pollens auf die Frucht vorgetäuscht haben? Hat
doch J. Anderson Henry zu beobachten geglaubt, dass sämmt-
liche Blüthen einer Inflorescenz einer weissblühenden Calceolaria
[504] geröthet wurden durch Einwirkung des Pollens einer roth-
blühenden Sorte auf eine einzige Blüthe dieser Inflorescenz!
Da hervorragende Botaniker, wie Focke1) und neuerdings
wieder de Vries2), sich sehr zweifelnd solchen Beobachtungen
oder vielmehr Deutungen gegenüber ausgesprochen haben, so
muss wohl erst eine kritische Nachprüfung dieser Versuche ab-
gewartet werden, ehe man eine theoretische Erklärung versucht.
Eine solche würde mit der Hauptschwierigkeit zu kämpfen
haben, dass es sich hier um die Einwirkung von Keimplasma
der Samenzelle auf ein Gewebe der fremden Art handelt, welches
nur einen einzelnen Theil der Pflanze ausmacht. Man müsste
annehmen, dass nicht sämmtliche Determinanten des Keim-
plasma’s, sondern blos diejenigen hier wirksam seien, welche
die Frucht bestimmen.
Noch grösser ist die Unsicherheit bei den Fällen von sog.
„Infection des Keimes“. Wenn freilich der von Darwin3)
angeführte — aber nicht auch von ihm selbst beobachtete —
Fall sicher und richtig beobachtet ist, dann könnte man kaum
noch einen Zweifel mehr hegen. Eine Pferdestute des Lord
Morton erzeugte mit einem Quaggahengst einen Bastard; später
warf sie zwei Füllen von einem arabischen Rapphengst, und
diese waren zum Theil graubraun („dun“) und an den Beinen
quaggaartig gestreift, und zwar deutlicher, als der wirkliche
Bastard. Auch der Hals der Thiere und mehrere andere Theile
des Körpers waren deutlich gestreift, und die Mähne soll nicht
[505] die eines Pferdes, sondern die kurze, steif aufrecht stehende des
Quagga gewesen sein. Ähnliche Fälle von Beeinflussung des
Baues eines später erzeugten Nachkommen durch eine frühere
Begattung werden von mehreren Hausthieren, vom Rind, Schaf,
Schwein, dem Hund und von Tauben erzählt, auch vom Menschen
in Bezug auf Kreuzung der Weissen mit Negern.
Besonders angestellte Versuche liegen bis jetzt nicht vor;
ohne alle erdenkliche Controle wären sie auch werthlos und
würden deshalb am besten in zoologischen Gärten angestellt,
wo nicht nur vielfaches unzweifelhaft reines Material dafür
sich darbietet, sondern auch Isolirung der Thiere und genaue
Controle durch besondere Wärter auf längere Zeiträume hinaus
möglich ist.
Der Philosoph Carneri theilt einen von ihm selbst be-
obachteten Fall mit, den ich noch hier anführen will. Er hielt
eine Rinderheerde der reinen, grauen Mürzthaler Rasse. Ein-
mal liess er aus besonderen Gründen ausnahmsweise eine Kuh
nicht vom eigenen Stier, sondern von einem „leichten Pinz-
gauer“ Stier belegen. Die Kuh warf ein Kalb, welches vor-
herrschend die Merkmale der Pinzgauer Rasse — braune und
weisse Scheckung — an sich trug, aber auch deutliche Spuren
des „schwarzgrauen Mürzthaler Kreuzes“. Das zweite Mal wurde
diese Kuh von einem Mürzthaler Stier belegt, und das zweite
Kalb war unerwarteterweise wieder ein „Bastard“, vorherrschend
grau, aber „mit grossen braunen Pinzgauer Flecken“.
Beide hier angeführte Fälle sind nicht so beweisend, als
es auf den ersten Blick erscheint. Das Füllen mit Quagga-
Charakteren ist in Surgeon’s College in London abgebildet zu
sehen und zeigt auf den von Agasse entworfenen Bildern un-
deutliche dunkle Streifen am Halse, Widerriss und Beinen. Nun
kommen aber solche Streifen bei reinen Pferdefüllen nicht so
gar selten vor, verschwinden aber regelmässig mit zunehmendem
[506] Alter wieder. Die Bilder lassen zudem keine weitere Ähnlich-
keit mit einem Quagga erkennen. 1)
In dem Falle von Carneri darf nicht verschwiegen werden,
dass er selbst, bevor er Etwas von der Annahme einer sog.
„Infection“ wusste, sich den Fall dadurch erklärt hatte, es müsse
ohne sein Wissen doch schon von früher her „ein Tropfen Pinz-
gauer Blut“ in seiner Mürzthaler Heerde enthalten gewesen sein.
So sind denn selbst die besten der „Fälle“ keine sicheren
und wirklich beweisenden. Soviel darf jedenfalls behauptet
werden, dass diese sog. „Infection“, wenn sie überhaupt nicht
gänzlich auf Täuschungen beruht, nur in sehr seltenen Fällen
und keineswegs regelmässig, oder auch nur oft eintritt. Er-
fahrene Thierzüchter, wie Settegast und Kühn in Halle,
glauben nicht daran, weil sie es nie beobachtet haben, trotzdem
sie so viele Kreuzungen von Hausthieren gemacht haben. Die
theoretische Erklärung dafür könnte von unserm Standpunkte
aus nur die sein, dass Samenzellen nach der ersten Begattung
bis ins Ovarium gelangt und dort in einzelne, noch unreife
Eier eingedrungen wären. Augenblickliche Befruchtung derselben
wäre durch die Unreife der Eizellen ausgeschlossen, das Keim-
plasma der Samenzelle aber müsste im Eikörper verharren,
bis zu dessen Reife, um sich dann in Amphimixis mit dem
gereiften Eikern zu verbinden. Erfolgte dies einige Zeit nach
Ablauf der ersten Geburt, so würde es leicht ungefähr mit der
zweiten Begattung zusammentreffen, und so den Schein er-
wecken, als ob die Befruchtung von dieser herrührte. — Ge-
setzt, die „Infection“ würde unzweifelhaft erwiesen, so müsste
man eine solche nachträgliche Befruchtung einer Eizelle für
möglich halten; freilich dürfte man sich dann billig wundern,
warum nicht gelegentlich Stuten, Kühe oder Schafe trächtig
[507] werden, ohne zum zweiten Male belegt worden zu sein. Bis
jetzt ist dies noch niemals beobachtet worden, und so
möchte ich glauben, dass die Ansicht von Settegast1) die
richtige ist, nach welcher es eine „Infection“ überhaupt nicht
giebt, und alle dafür angeführten, und von ihm kritisch er-
örterten Fälle auf Täuschung beruhen.
2. Einfluss vorübergehender Zustände des Zeugenden auf
das Kind.
Obgleich ich nicht der Ansicht bin, dass es sich in den in
der Überschrift bezeichneten Fällen um wirkliche Vererbung
handelt, möchte ich die betreffende Frage doch nicht ganz un-
besprochen lassen.
Es ist oft behauptet worden, dass Trunkenheit der Eltern
während der Zeugung einen nachtheiligen Einfluss auf die
Beschaffenheit des Kindes ausüben könne. Dasselbe soll körper-
lich und geistig von schwacher Constitution werden, zu Schwach-
sinn, ja zu Irrsinn neigen u. s. w., und dies auch dann, wenn
die Eltern körperlich und geistig normal waren.
Dem stehen nun allerdings Fälle entgegen, in welchen
trunkene Eltern ein völlig normales Kind erzeugten, allein darin
liegt kein vollkommner Gegenbeweis, und obgleich jene Angaben
von nachtheiligen Wirkungen meist oder vielleicht alle einer
scharfen Kritik nicht Stand halten, so möchte ich doch die
Möglichkeit eines schlechten Einflusses nicht ganz in Abrede
stellen; nur handelt es sich dabei nicht um Vererbung, sondern
um Affection des Keimes durch einen von aussen kom-
menden Einfluss.
Wir wissen durch die Versuche von O. und R. Hertwig,
dass die Entwickelung des befruchteten Eies niederer Thiere
[508] bedeutend zurückgehalten werden kann durch Einwirkung ver-
schiedener chemischer Substanzen, wie Chloral, Chinin, Mor-
phium u. s. w., wir wissen auch, dass Eier von Seeigeln, wenn
sie zu lange im Seewasser auf die Befruchtung warten müssen,
eine Minderung ihrer Lebensenergie erfahren und in Folge dessen
dem Eindringen vieler, statt nur eines einzigen Spermatozoon’s
ausgesetzt sind. Dasselbe kann auch durch die genannten
chemischen Agentien geschehen, und in beiden Fällen ist abnorme
Entwickelung des Eies, vielleicht Doppelbildungen u. s. w. die
Folge davon.
Es scheint mir nicht unmöglich, dass eine Beimischung
von Alkohol zum Blute der Zeugenden ähnliche Wirkungen
auf die Eizelle und Samenzelle ausüben könnte. Je nach dem
Grade der Alkoholbeimischung könnte eine excitirende oder
lähmende Wirkung eintreten, und Beides würde zu abnormer
Entwickelung führen können. Lähmung beider Keimzellen würde
allerdings wohl den Befruchtungsvorgang nur verlangsamen
oder ganz verhindern, aber Lähmung der Eizelle allein müsste
Überfruchtung (Polyspermie) herbeiführen, und dasselbe möchte
bei einseitiger Erregung der Samenzellen eintreten können.
Das Eindringen mehrerer Spermatozoen würde aber in dem
dotterarmen und kleinen Ei des Menschen ebenso zu abnormer
Entwicklung Veranlassung geben, wie in dem Ei des Seesterns
oder Seeigels. Auf der andern Seite könnte hohe Erregbarkeit
beider Keimzellen etwa durch allzu raschen Ablauf der ver-
wickelten Vorgänge der Reduction des Keimplasma’s im Ei und
der nachfolgenden Copulation von Ei- und Samen-Keimplasma
zu Ungenauigkeiten und dadurch zu unregelmässiger Ent-
wickelung führen.
Neue Anlagen können freilich durch solche Abweichungen
vom normalen Entwickelungsgang niemals entstehen, und von
einer Änderung der Vererbung kann deshalb nicht die Rede
[509] sein; wohl aber ist es denkbar, dass grössere oder kleinere
Abnormitäten im Gange der Entwickelung eintreten, die ent-
weder zum Absterben des Embryo oder zu grösseren oder
kleineren Missbildungen Veranlassung geben. Ob solche aber
wirklich vorkommen als Folge des trunkenen Zustandes der
Eltern, darüber kann nur die Erfahrung entscheiden.
3. Scheinbare Vererbung von Krankheiten.
Dass es viele Krankheiten giebt, die sich von einer Gene-
ration auf die andere übertragen, unterliegt keinem Zweifel.
Nicht alle solche Übertragungen aber beruhen auf Vererbung,
viele vielmehr aller Wahrscheinlichkeit nach auf Ansteckung
der elterlichen Keimzelle mit mikroskopischen Parasiten. Eine
solche müsste demnach als Infection des Keimes bezeichnet
werden.
Vom Menschen ist es nur die Syphilis, für welche diese
Form der Übertragung unzweifelhaft nachgewiesen ist. 1) Nicht
nur die Mutter kann diese Krankheit auf das sich entwickelnde
Kind übertragen, sondern auch der Vater, und in dem letzteren
Falle ist also jede andere Erklärung ausgeschlossen, als die einer
Übertragung der specifischen Syphilis-Bacterien durch das Sperma-
tozoon. Bei Thieren liegt in der „Pebrine“ der Seidenraupe
ein schon seit Jahrzehnten wohl bekanntes Beispiel vor, dass
eine Krankheit tödlicher Art durch das Ei von einer Generation
auf die andere übertragen werden kann mittelst der in den
Dotter des Eies eingedrungenen Keime des Krankheit erzeugenden
Pilzes. Warum diese Spaltpilze sich nicht schon im Ei derart
entwickeln und vermehren, dass dasselbe getödtet wird, ist nicht
bekannt, aber es ist so. Erst in der jungen Raupe beginnt die
[510] Vermehrung der Pilze 1), und erst die halb oder ganz erwachsene
Raupe, oder auch erst der Schmetterling erliegt der Krankheit.
Da wir heute wissen, dass viele Krankheiten des Menschen
und der Säugethiere durch solche Schmarotzer niederster Art
erzeugt werden, so liegt die Vermuthung nahe, es möchten
manche Krankheiten, die erblich auftreten, auf Infection der
Keimzellen mit Mikroben beruhen, nicht auf wirklicher Ver-
erbung, d. h. auf Übertragung einer anomalen Beschaffenheit
des Keimplasma’s selbst.
So habe ich schon früher die „Vererbung“ der bei Meer-
schweinchen künstlich erzeugten „Epilepsie“ vermuthungsweise
auf einen solchen Vorgang zurückzuführen gesucht, und in der
That spricht die langsame Ausbildung dieser „Epilepsie“ nach
Verletzung des Rückenmarkes oder eines der grossen Nerven-
stämme, wie mir scheint, sehr für die Auffassung, dass diese,
dem Bilde der „Epilepsie“ ähnlichen Krankheitszustände auf dem
Einwandern von Mikroben beruhen, welche von der verletzten
Stelle aus in centripetaler Richtung auf den Nervenbahnen vor-
rücken, bis sie das Gehirn erreichen und dort den Reizzustand
setzen, der dem Krankheitsbilde zu Grunde liegt. Auch die
grosse Unbeständigkeit dieses Bildes und die Mannigfaltigkeit
verschiedenster nervöser Leiden bei den Nachkommen deuten
darauf hin, dass hier nicht wahre Vererbung im Spiel ist, son-
dern Infection des Keimes mit den krankheitserregenden Mi-
kroben. 2)
Ähnlich würde es sich mit der „Erblichkeit“ des Car-
[511] cinom’s verhalten, falls dessen Ursache, wie in neuester Zeit
behauptet wurde, wirklich in Mikroben zu sehen wäre.
Aber es ist auch denkbar, dass bei der Überlieferung einer
Krankheit von einer auf die andere Generation beide Ursachen
zusammenwirken, Vererbung abnormaler Anlagen und Infection
des Keimes. Ohne den Untersuchungen der Pathologen vor-
greifen zu wollen, möchte ich dies für die „erbliche“ Tuber-
kulose vermuthen. Offenbar giebt es einen „tuberkulösen
Habitus“, d. h. einen gewissen Complex von Eigenheiten des
Baues, welche häufig mit der Krankheit verbunden sind, so
z. B. Engbrüstigkeit u. s. w. Diese müssen auf dem Bau des
Keimplasma’s beruhen, also auf einer bestimmten Variation ge-
wisser Determinanten und Gruppen von Determinanten; sie sind
also wirklich vererbbar. Nun beruht aber die Krankheit selbst
nicht auf diesem Habitus, sondern auf der Anwesenheit speci-
fischer Schmarotzer, der Tuberkel-Bacillen, welche zerstörend in
die lebenden Gewebe verschiedener Art eingreifen. Sie können
künstlich ins Blut gebracht werden und erzeugen dann die
Krankheit auch bei solchen Individuen, welche völlig normal
gebaut sind. Sie können auch „von selbst“, d. h. auf irgend
einem natürlichen Wege in den Körper eindringen und auch
dann die Krankheit erzeugen. Aber es scheint, dass das Letz-
tere in hohem Grade von der Empfänglichkeit oder der Wider-
standskraft des Körpers abhängt, in den sie eingedrungen sind,
und die Meinung der Pathologen geht heute dahin, dass jener
vorhin erwähnte „tuberkulöse Habitus“ den eingedrungenen
Schmarotzern einen weit geringern Widerstand entgegenzustellen
habe, als der Körper kräftig gebauter Menschen. Die Erblichkeit
der Krankheit hinge danach also von der Vererbung einer leicht
inficirbaren Constitution ab.
Ohne diese leichtere Afficirbarkeit leugnen zu wollen, glaube
ich doch nicht, dass die Übertragung der Tuberkulose lediglich
[512] auf der Vererbung eines Körpers von höherer Vulnerabilität
beruht. Zahlreiche Thatsachen scheinen mir vielmehr dafür zu
sprechen, dass dabei in erster Linie Infection des Keimes
im Spiel ist. Es ist hier nicht der Ort, darauf im Näheren
einzutreten und einen Beweis zu versuchen — dies wäre über-
dies mehr Sache der Pathologen —; ich habe hier nur darauf
hinweisen wollen, dass eine Combination von Vererbung und
Infection des Keimes sehr wohl denkbar ist. Die phyletische
Entstehung solcher sog. „constitutioneller“ Krankheiten wird
vermuthlich darauf beruhen, dass gewisse Constitutionen vor-
kamen, welche für eine bestimmte Mikroben-Art leichter affi-
cirbar waren, als die normale. Solche Menschen wurden also
leichter von aussen her von der betreffenden Krankheit befallen.
Hatte diese sich aber einmal in ihnen festgesetzt, und war sie
eine derartige, welche nur langsam zum Tod führt, so bot sich
den Mikroben eine neue und weit sicherere Gelegenheit, sich auf
andere Wirthe zu übertragen, als sie ihnen das Eindringen in
den Körper von aussen her bisher dargeboten hatte: sie setzten
sich in den Keimzellen des befallenen Individuums fest und
übertrugen sich so auf die Nachkommen. Wenn auch der
Nachweis solcher Schmarotzer in den Keimzellen gerade bei
der Tuberkulose noch nicht geführt ist, so liegt doch darin
meines Erachtens nicht im Geringsten ein Beweis, dass diese
Infection nicht dennoch stattfindet. Es ist nicht einmal gesagt,
dass die Mikroben innerhalb der Keimzellen die ihnen sonst
zukommende Grösse und Gestalt haben müssen. Ihre Lebens-
eigenschaften sind jedenfalls dort andere; denn vermehrten sie
sich in der Ei- oder Samenzelle derart, wie sie dies in den
ihnen zusagenden Geweben thun, so würden sie die Keimzellen
rasch zerstören. Wie bei andern Schmarotzern zahllose An-
passungen an den Wirth eingetreten sind, so werden solche
auch hier nicht fehlen; vor Allem dürften sich Latenzperioden
[513] der Entwickelung gebildet haben, in denen der Schmarotzer
mit seiner Vermehrung innehält. Es wäre schwer begreiflich,
wenn solche Einrichtungen nicht getroffen worden wären, und
wenn die günstige Gelegenheit, sich auf die sicherste Weise
weiter zu verbreiten, von dem Schmarotzer nicht benutzt worden
sein sollte. Latenzperioden der Keime sind bei Thieren und
Pflanzen weit verbreitet, sie finden sich überall vor, wo sie von
Nutzen sein müssen, ihre Einrichtung muss also nicht allzu-
schwer erreichbar sein.
Wenn deshalb die besten unserer Pathologen, wie z. B. Ernst
Ziegler, heute der Ansicht sind, dass Tuberkulose nicht durch
Keimesinfection sich übertrage, weil man eine solche nicht direkt
nachgewiesen hat, und weil auf der andern Seite eine Infection
von aussen in keinem einzelnen Falle mit Sicherheit ausgeschlossen
werden kann, so möchte ich glauben, dass die Vorsicht im
Schliessen hier doch etwas zu weit geht, denn beide Momente
sind nur negative Instanzen. Durch beide wird nicht entfernt
bewiesen, dass Infection des Keimes nicht stattfindet; von
einem allgemeineren biologischen Standpunkt aus muss man
sie aber als das bei Weitem Wahrscheinlichere bezeichnen.
Soviel, denke ich, wird zugegeben werden, dass eine „con-
stitutionelle“ Krankheit nicht eher als Beweismittel für die
Vorgänge der Vererbung benutzt werden darf, als bis entschieden
ist, ob man es bei ihr wirklich mit Vererbung, d. h. mit der
Übertragung einer Constitution, und nicht etwa blos mit der
von Mikroben zu thun hat, und dies zu zeigen, war der Haupt-
zweck dieses Abschnittes. Er enthält zugleich den Grund,
warum ich meine Theorie nur wenig auf Thatsachen gestützt
habe, die dem Gebiete der Pathologie entnommen sind.
Weismann
[[514]]
Viertes Buch.
Die Abänderung der Arten in ihrer
idioplasmatischen Wurzel.
Capitel XIII.
Die vermeintliche Vererbung erworbener
Eigenschaften.
Unter erworbenen Eigenschaften verstehe ich solche,
welche nicht als Anlagen schon im Keim vorhanden sind, son-
dern erst durch besondere Einwirkungen, die den Körper oder
einzelne Theile desselben treffen, entstehen. Sie sind die Re-
action dieser Theile auf irgend welche, ausserhalb der noth-
wendigen Entwickelungsbedingungen liegenden äusseren Ein-
wirkungen. Ich habe sie „somatogene“ Eigenschaften ge-
nannt, weil sie eben auf einer Reaction des Körpers oder Soma
beruhen, und bringe sie in Gegensatz zu den „blastogenen“
Eigenschaften des Individuums, d. h. denjenigen, welche ihre
alleinige Wurzel in den Keimesanlagen haben. Es ist eine un-
vermeidliche Consequenz sowohl der Keimplasma-Theorie, als
ihrer jetzigen Weiterführung und Ausarbeitung zur Determi-
nantenlehre, dass somatogene Abänderungen nicht vererbt werden
können, dass also alle dauernde Abänderung vom Keim aus-
geht, auf einer Veränderung der Keimesanlagen beruhen muss.
Ich will dies zuerst theoretisch zu entwickeln suchen und
dann prüfen, in wie weit die Beobachtung damit stimmt, und
ob die Theorie den Thatsachen gerecht zu werden vermag.
[515]
Man kann die somatogenen Abänderungen ihrem Ursprung
nach in drei Kategorien bringen, in die der Verletzungen,
der funktionellen Abänderungen und in die auf sogenannten
„Mediums“-Einflüssen beruhenden Abänderungen, wohin
hauptsächlich klimatische Variationen gehören.
1. Schwierigkeiten einer theoretischen Begründung dieser
Hypothese.
Die erbliche Übertragung einer somatogenen Abänderung
irgend einer dieser drei Kategorien würde theoretisch nur da-
durch zu erklären sein, dass die durch äussere Einflüsse ab-
geänderten Theile des Soma das in den Keimzellen des betreffenden
Individuums enthaltene Keimplasma derart veränderten, dass der
aus einer derselben später sich entwickelnde Nachkomme schon
vom Keim aus die Abänderungen bekäme, die der Elter durch
äussere Einwirkung auf den betreffenden Theil selbst erlangt hat.
Soviel ich sehe, giebt es nur zwei Wege, auf welchen eine
solche „adäquate“ Abänderung des Keimplasma’s durch die so-
matogene Abänderung überhaupt denkbar wäre. Es müssten
entweder Leitungsbahnen aus allen Theilen des Körpers nach
den Keimzellen hin existiren, auf welchen jede somatogene
Abänderung auf die Keimzellen übertragen, d. h. in die derselben
adäquate Abänderung des Keimplasma’s umgesetzt würde, oder
aber es müssten Darwin’sche Keimchen von jeder Zelle des Soma
abgegeben werden, die auf dem Wege der Blutcirkulation, wo
eine solche besteht, oder sonst wie den Keimzellen zugeführt
würden, in sie eindrängen und dort dem Keimplasma sich bei-
ordneten. Entweder vorgebildete Leitungswege, auf welchen ein
freilich ganz unfassbarer umstimmender Einfluss den Keimzellen
zugeführt wird, oder Abgabe materieller Theilchen von Seiten
des abgeänderten Organs, die Antheil am Aufbau des Keim-
plasma’s nähmen; ein Drittes giebt es nicht.
33*
[516]
Beide Wege zur Erklärung der behaupteten Vererbung
somatogener Abänderungen sind betreten worden, der erste
freilich nur in unbestimmten Andeutungen, indem auf „Nerven-
Einflüsse“ hingewiesen wurde, welche von dem abgeänderten
Theile ausgehen und die Vererbungssubstanz der Keimzellen
„umstimmen“ soll. Wie freilich Nerven-Erregung im Stande
sein soll, das Keimplasma materiell zu verändern und zwar
adäquat der somatogenen Veränderung, das hat noch Niemand
genauer anzudeuten gewagt. Aber auch die Frage, wieso denn
ein Theil, z. B. ein durch funktionelle Hypertrophie vergrösserter
Muskel, eine specifische, auf „Vergrösserung“ signirte Nerven-
strömung zu veranlassen im Stande sei, dürfte wohl vergeblich
einer Antwort harren. Man müsste sich geradezu vorstellen, dass
jede Zelle des ganzen Körpers durch ungezählte Nervenbahnen
mit jeder Keimzelle des Ovarium’s oder des Spermarium’s in
Verbindung stünde und unausgesetzt diesen Zellen Nachricht
zukommen liesse darüber, was in ihnen vorgeht, ob sie so oder
anders beeinflusst werden, und zugleich Befehl gäben, das Keim-
plasma habe sich in diesem oder jenem seiner Millionen von
Einheiten so oder anders zu verhalten. Ich glaube nicht, dass
man im Stande wäre, solchen Abenteuerlichkeiten auszuweichen,
und halte den ganzen Gedanken für durchaus unannehmbar.
Aber auch der zweite mögliche Erklärungsversuch scheint
heute noch weit weniger zulässig, als zur Zeit, da ihn Darwin
in Form seiner Pangenesis-Hypothese aufstellte. Ich glaube
auch nicht — wie ich schon in früheren Schriften aussprach
— dass der geniale Urheber dieser Vererbungs-Hypothese die-
selbe als eine der Wirklichkeit entsprechende Annahme be-
trachtete, vielmehr nur als ein provisorisches Auskunfsmittel,
welches zu besserer Einsicht hinleiten sollte. Seither hat sich
Manches geändert, wir haben Thatsachen erfahren, die den Ge-
danken einer „Keimchen-Cirkulation“ geradezu abzuweisen ge-
[517] bieten, und es wundert mich, dass dies bisher nirgends geltend
gemacht wurde. Nicht die Abgabe allein solcher Keimchen,
auch nicht blos ihr Cirkuliren im ganzen Körper ist es,
was diese Hypothese unannehmbar macht, sondern vor Allem
die von ihr angenommene Zufuhr von Keimchen, d. h. von
Keimesanlagen zu dem Keimplasma der Keimzellen!
Nach der Darwin’schen Vorstellung muss eine fortwährende
Zufuhr von „Anlagen“ d. h. Keimchen zu dem bereits vorhandenen
Keimplasma der Keimzellen stattfinden, wenn man nicht viel-
leicht gar annehmen will, dass die gesammte Kernsubstanz der
Keimzellen durch Eindringen von Keimchen in dieselben zu
Stande komme. Eine jede solche Annahme widerspricht aber
der Erfahrung, welche uns lehrt, dass die Vererbungssubstanz
der Keimzellen, welche uns in Gestalt von Kernstäb-
chen oder Idanten entgegentritt, durchaus keine Zufuhr
von bereits organisirter Materie, also von „Anlagen“
erhält. Ich schliesse dies nicht etwa daraus, dass man von
einer solchen Zufuhr nichts beobachtet, sondern aus dem Ver-
halten der für uns jetzt nachweisbaren „Vererbungssubstanz“
bei ihrer Vermehrung. Wir wissen, dass ein höchst wunder-
barer Mechanismus in der Zelle enthalten ist, der lediglich dazu
bestimmt scheint, die Idanten nach Masse und nach den in
ihnen enthaltenen Qualitäten, d. h. Anlagen möglichst gleich-
mässig, oder doch wenigstens in ganz bestimmt vorgeschriebener
Weise zu vertheilen. Was hätten die Centrosomen, die Spindel-
fäden, die Längsspaltung der Idanten für einen Sinn, wenn die
Anlagen des Keimplasma’s zu Myriaden einzeln im ganzen
Körper cirkulirten und die Fähigkeit besässen, von aussen in
die Keimzellen u. s. w. einzudringen und sich dort gesetzmässig,
in der Ordnung, wie sie später einmal zur Entfaltung kommen
sollen, zusammen zu lagern? Weshalb sollte die Natur eine
so scrupulöse Sorge für die möglichst genaue Theilung der
[518] Idanten tragen, wenn die Zusammensetzung derselben doch jeden
Augenblick durch Eindringen neuer Anlagen der „Keimchen“
verändert werden könnte. Der Vorgang der Idioplasma-
Spaltung bei der Kern- und Zelltheilung scheint mir
eine direkte und endgültige Widerlegung der ganzen
Vorstellung von der Cirkulation von Keimchen zu sein.
Gerade eben, weil diese Kernstäbchen oder Idanten niemals
Zufuhr neuer „Anlagen“ von aussen her erhalten können, be-
durfte es der äussersten Sorgfalt bei ihrer Vermehrung durch
Theilung, damit nicht die verschiedenen Qualitäten der Mutter-
zelle sich in unrichtiger Weise auf die Tochterzellen ver-
theilten und dadurch gewisse Anlagen unwiederbringlich für die
eine von ihnen und ihre späteren Abkömmlinge verloren gingen.
Vom Boden einer jeden Theorie, die die Kernsubstanz der
Keimzellen als Keimplasma, d. h. als Vererbungssubstanz ansieht,
ist es deshalb unmöglich, eine Vererbung somatogener Ab-
änderungen anzunehmen; es ist theoretisch unmöglich, eine Er-
klärung derselben, sei sie auch noch so frei erfunden, zu geben.
Ich muss also heute noch bestimmter, als früher den Satz
aussprechen, dass alle dauernden, d. h. vererbbaren Ab-
änderungen des Körpers von primären Veränderungen
der Keimesanlagen ausgehen, und dass weder Verstümme-
lungen, noch funktionelle Hypertrophie und Atrophie, noch
endlich auch Abänderungen, welche durch Temperatur- oder
Ernährungs- oder irgend andere Mediums-Einflüsse am Körper
hervorgerufen sind, sich den Keimzellen mittheilen und dadurch
vererbbar machen können.
Damit wäre denn in der That das Lamarck’sche Ab-
änderungs-Princip verworfen; die Einflüsse wenigstens, auf welche
vor allen andern dieser geniale Denker und Forscher die Um-
wandlung der Arten bezog, Gebrauch und Nichtgebrauch der
Theile, kann keinen direkten Antheil daran gehabt haben. Mit
[519] dieser Ansicht stehe ich heute keineswegs allein, und wenn
gewiss auch Wahrheit nicht durch Abstimmung gefunden werden
kann, so wird es doch niemals ohne Bedeutung gehalten werden,
wenn Forscher, wie Ray Lankester1), Thiselton Dyer,
Brooks, Meynert2), van Bemmelen3) u. A. meine Meinung
theilen.
Damit aber, dass wir eine Vererbung der Wirkungen von
Gebrauch und Nichtgebrauch leugnen, wird nicht eine jegliche
Wirkung derselben in Abrede gestellt, und ich habe in früheren
Schriften 4) schon zu zeigen versucht, dass Beides, Gebrauch
sowohl als Nichtgebrauch auf indirektem Wege zu Abänderung
führen kann, Ersteres überall da, wo die Steigerung nützlich
ist, Letzteres in allen Fällen, in denen umgekehrt das Organ
für die Erhaltung der Art keine Bedeutung mehr hat, und in
denen in Bezug auf das nicht mehr gebrauchte Organ das ein-
tritt, was ich als Panmixie bezeichnet habe.
Der Platz fehlt mir, um im Einzelnen auf diese Fragen
hier einzugehen; ihre Erörterung gehört auch mehr in ein Buch
über Descendenztheorie, als in eine Vererbungstheorie, und ich
darf mich wohl auf meine Darlegungen in den angeführten
früheren Schriften beziehen, die, wie ich glaube, hinlänglich
zeigen, dass die allmälige Verkümmerung nicht mehr gebrauchter
Organe der Annahme einer Vererbung somatogener Abänderungen
nicht bedarf, dass wir also auch von Seiten der Thatsachen
[520] insoweit nicht zu einer Annahme gezwungen werden, welche
theoretisch unannehmbar erscheint.
Es fragt sich aber, ob nicht anderweitige Thatsachen vor-
liegen, die nur in dieser Annahme ihre Erklärung finden können,
und dies soll besonders noch nach einer Seite hin beleuchtet
werden.
2. Prüfung der Hypothese an den Thatsachen.
Was zuerst die so lange Zeit geglaubte und auch heute
noch immer hartnäckig vertheidigte Vererbung von Ver-
letzungen und Verstümmelungen betrifft, so kann ich mich
kurz fassen, denn es ist seit meiner Schrift „Über die Hypothese
einer Vererbung von Verletzungen“ 1) nichts Neues an Be-
obachtungen dem bisherigen Thatbestand hinzugefügt worden. 2)
Es sind immer wieder die alten Geschichtchen, welche theils
unverändert, theils in neuer Fassung vorgetragen werden, und
über deren wissenschaftlichen Unwerth ich mich damals bereits
ausgesprochen habe. Ich glaube darauf um so weniger zurück-
kommen zu müssen, als selbst unter den Forschern, welche
einer Vererbung funktioneller Abänderungen das Wort redeten,
Einzelne in Bezug auf Verstümmelungen auf meiner Seite stehen
und ihre Vererbung entschieden in Abrede stellen. So z. B.
Osborn, der aber wohl etwas zu weit geht, wenn er meint,
die Bekämpfung der alten Ansicht von der Vererbung von Ver-
[521] letzungen komme ihm vor, wie Don Quixote’s berühmter
Kampf mit den Windmühlen. 1) Es sind nur wenige Jahre her,
seit auf einer deutschen Naturforscherversammlung zwei „schwanz-
lose“ Kätzchen vorgezeigt wurden 2), die ihren Mangel dem ge-
waltsamen Verlust des Schwanzes bei der Mutter verdanken
sollten, und grosse Naturforscher von dem Namen Ernst
Häckel’s3) fassen heute noch ähnliche Fälle in derselben Weise
auf. Solange solche Stimmen eine Vererbung von Verstümme-
lungen noch für möglich halten, ist eine Klarlegung des Sach-
verhaltes wohl keine überflüssige Bemühung gewesen. 4)
Über die zweite Art somatogener Abänderungen,
die funktionellen, wurde bereits gesprochen, es giebt aber
noch eine dritte Klasse somatogener Variationen, die-
jenigen nämlich, welche durch Mediumeinflüsse, Ernährungs-
weise, Klima u. s. w. entstehen, und bei diesen hat es nicht
selten den Anschein, als ob sie vererbt und dadurch im Laufe
der Generationen gesteigert werden könnten. Ich habe selbst
darauf schon vor einer Reihe von Jahren mit folgenden Worten
hingewiesen: „Ich wüsste überhaupt nur einen Kreis von Ver-
änderungen der Organismen, bei welchem die Erklärung durch
blosse Keimesänderung auf ernstliche Schwierigkeiten stösst,
und dies sind die Abänderungen, welche als direkte Folge
von veränderten äusseren Bedingungen auftreten. Allein
gerade über sie ist auch das letzte Wort noch nicht gesprochen,
wir kennen den Thatbestand noch lange nicht genau genug, um
[522] über die Ursachen derartiger Abänderungen ein sicheres Urtheil
zu haben“...... Ich führte dann einige der vielen in der
Literatur sich seit lange fortschleppenden Fälle an und suchte
zu zeigen, dass keiner derselben der Kritik Stand hält, dass sie
alle der Auslegung Platz lassen, dass nur scheinbar die soma-
togene Abänderung vererbt wird, in Wirklichkeit aber zuerst
eine Abänderung des Keimplasma’s durch die Mediumeinflüsse
bewirkt wird, der dann die somatische Abänderung erst nach-
folgt. Dann heisst es weiter: „Immerhin“ aber „wird man
zugeben müssen, dass es Fälle giebt, so die klimatischen
Varietäten der Schmetterlinge, die sich für jetzt nur
gewaltsam einer derartigen Erklärung fügen, und ich selbst
habe vor Jahren einen solchen Fall experimentell näher geprüft,
den ich auch heute nach den bis jetzt vorliegenden Thatsachen
noch nicht anders zu erklären wüsste, als ich es damals gethan
habe, nämlich durch Vererbung somatogener Abänderungen.
„Allein es ist dabei zu bedenken, dass meine Versuche“ und auch
ihre spätere Wiederholung an amerikanischen Arten durch
H. W. Edwards „durchaus nicht im Hinblick auf die hier
betonten Gesichtspunkte angestellt waren. Neue und in anderer
Weise variirte Versuche werden nöthig sein“.... 1)
Ich habe vergeblich seit dem Jahre 1883 darauf gewartet,
dass etwa die geschickteren Hände eines Entomologen oder auch
einer der zahlreichen Vertheidiger der Vererbung erworbener
Eigenschaften die bezeichneten Versuche ausführen würde. In-
zwischen habe ich sie selbst, soweit Zeit und Material mir zu
Gebote standen, in Angriff genommen, und es liegt mir jetzt
eine Reihe neuer Versuche vor, nicht so viele und nicht so
vollständig und vielseitig durchgeführte, als ich es gewünscht
hätte, aber doch ausreichend zu sicherer Begründung der Theorie
[523] dieser Art von Abänderungen. Ich will im Folgenden kurz
über einige derselben berichten, ihre ausführliche Darlegung
einer späteren Gelegenheit vorbehaltend.
3. Die klimatischen Varietäten der Schmetterlinge in
ihrer idioplasmatischen Wurzel.
Ein über den ganzen gemässigten und kalten Theil des
asiatisch-europäischen Continents verbreiteter Schmetterling ist
der der Familie der Bläulinge (Lycaeniden) angehörige Polyom-
matus Phlaeas. Die Art kommt auch im Mittelmeergebiet,
auf Madeira und den kanarischen Inseln, und in einem Theil
von Nordamerika vor. Sie muss vor Beginn der Eiszeit den
hohen Norden circumpolar bewohnt haben, dann während der-
selben südwärts gedrängt worden sein, und später wieder von
Neuem sich nordwärts ausgebreitet haben. In unsern Breiten
ist sie auf der Oberseite der Flügel schön rothgoldig glänzend,
woher ihr Volksname: Feuerfalter. Im Süden nun ist dieses
Rothgelb mehr oder weniger stark mit Schwarz überflogen
(„schwarz überstäubt“), und Exemplare aus Sicilien, Griechenland
oder Japan zeigen oft nur ganz wenig rothgoldne Schuppen
und machen fast den Totaleindruck von Schwarz. Der Schmetter-
ling fliegt bei uns in zwei Generationen, die sich ganz gleich
sind, in Südeuropa aber giebt es Landstriche, z. B. die Riviera
di levante, wo die erste Generation rothgolden, die zweite, im
Hochsommer fliegende schwarz bestäubt (var. Elēus) ist. Da
nun auch bei uns in besonders heissen Sommern wiederholt
schwärzlich angeflogene Exemplare gefangen worden sind, neben
gewöhnlichen, und da ferner im äussersten Süden des Ver-
breitungsgebietes — soviel ich in Erfahrung bringen konnte
— beide Generationen schwärzlich gefärbt sind, so scheint auf
den ersten Blick die Sache so aufzufassen zu sein, als ob es
sich hier um eine einfache und einmalige Wärmewirkung handle,
[524] als ob der Schmetterling bei mittlerer Wärme rein roth, bei
starker schwarz bestäubt ausfiele.
Allein dieser Schluss kann nicht richtig sein, wie die fol-
genden Versuche beweisen.
Ich züchtete aus den Eiern deutscher Phlaeas-Weibchen
Raupen, die ich während ihrer Verpuppung und bis zum Aus-
schlüpfen des Schmetterlings einer stark erhöhten Temperatur
unterwarf. Das Resultat waren viele Schmetterlinge mit schwacher
schwärzlicher Bestäubung, aber keinen, der den dunkelsten
Elēus-Formen südlicher Gegenden gleich gekommen
wäre. Ich machte dann den Gegenversuch und unterwarf eben
verpuppte Raupen, die aus Eiern der neapolitanischen Früh-
jahrs-Generationen 1) gezüchtet waren, einer sehr niederen Tempe-
ratur. Ich erhielt viele Schmetterlinge mit weniger Schwarz,
als die in der Wärme gehaltenen Puppen sie lieferten, aber
keinen, der so hell gewesen wäre, als es die deutschen
Schmetterlinge gewöhnlich sind. Der Unterschied
zwischen den durch Kälte aufgehellten Neapler Stücken
und den normalen deutschen, und andererseits der
zwischen den künstlich durch Wärme geschwärzten
deutschen Stücken und normalen Neapler Stücken ist
zu gross, als dass er in Unvollkommenheiten des Ex-
perimentes seinen Grund haben könnte. Die deutsche
und die Neapler Colonie der Art ist also constitutionell
verschieden, die eine neigt viel stärker zum reinen Rothgold
als die andere, und diese zweite weit stärker zur Schwärzung
als die erste.
[525]
Da nun andrerseits durch beide Versuche bewiesen ist, dass
die alte Annahme der Lepidopterologen richtig ist, wonach
auch die einmalige Einwirkung von Wärme einen deutschen
Schmetterling schwärzlich machen kann, und ferner feststeht,
dass die einmalige Anwendung der Kälte einen neapolitanischen
Schmetterling weniger schwarz machen kann, so liegt die An-
nahme nahe, dass die beiden Varietäten auf einer langsamen
und cumulativen Einwirkung des Klima’s beruhen möchten, in
der Weise, dass die schwache Wirkung eines Sommers oder
eines Winters sich auf die folgende Generation vererbt, und
nun von Generation zu Generation gesteigert habe. Wir hätten
also dann eine Vererbung erworbener Eigenschaften.
Ich glaube aber durchaus nicht, dass dies die richtige Deutung
der Thatsachen ist. Wäre es so, so könnte keine Verbreitungs-
zone vorkommen, wo die Art saisondimorph ist, wie ich dies
für die ligurische Küste selbst festgestellt habe. Es müsste
dann das Keimplasma entweder die Anlage der rothen oder der
schwarzen Varietät enthalten; die erstere, wenn lange Gene-
rationen hindurch niedere Wärme auf die betreffende Colonie
eingewirkt hätte, die zweite, wenn ebenso lang hohe Wärme ein-
gewirkt hätte. Es könnte dann keinen Unterschied machen,
welcher Temperatur eine einzelne Generation heute künstlich
ausgesetzt wird, denn das Keimplasma enthielte schon in sich
die Bestimmung der Farbe es enthielte, in meine Ausdrucks-
weise übersetzt, entweder „rothgoldene“ oder „schwarze“ De-
terminanten für die betreffenden Flügelschuppen. Dann wäre
es ganz unmöglich, dass bei der Frühjahrsgeneration rothgoldene,
bei der Sommergeneration schwarze Schuppen sich bildeten,
denn es wären eben für eine bestimmte Flügelstelle nur ent-
weder rothe oder schwarze Determinanten im Keimplasma ent-
halten.
Ich glaube, dass gerade die Determinantenlehre eine sehr
[526] einfache Erklärung dieses scheinbar so verwickelten Falles an
die Hand giebt, und lege, eben weil er damit eine Bestätigung
dieser Lehre enthält, grossen Werth auf ihn. Weit entfernt
davon, der Lehre von der Vererbung somatogener Eigenschaften
eine Stütze zu sein, zeigt dieser Fall vielmehr, wie der Schein
eines solchen Vorganges zu Stande kommen kann, und
worauf er beruht. Nicht eine somatogene Eigenschaft wird
vererbt, sondern der abändernde Einfluss, hier die Temperatur,
trifft in jedem Individuum zugleich die Flügelanlage,
also einen Theil des Soma’s, und das Keimplasma der in
dem Thier enthaltenen Keimzellen. In der Flügelanlage
der jungen Puppe verändert er dieselben Determinanten, wie
in den Keimzellen, nämlich diejenigen der betreffenden Flügel-
schuppen. Die erstere Abänderung kann sich nicht auf die
Keimzellen übertragen, sondern sie bezieht sich nur auf die
Flügelfärbung dieses einen Individuums, die andere aber über-
trägt sich auf die folgende Generation und bestimmt somit die
Flügelfärbung derselben, soweit diese nicht wieder durch spä-
tere Temperatureinflüsse modificirt wird. Denn dieselben De-
terminanten, welche heute im Keimplasma der Keimzellen von
Generation I liegen, rücken später in die Flügelanlage der Raupe
und Puppe von Generation II, und die Abänderung, welche sie
erlitten, solange sie in Generation I lagen, kann verstärkt oder
auch abgeschwächt werden durch Temperatureinflüsse, welche
sie treffen, wenn sie in Generation II eingetreten sind.
Da die Wärme den ganzen Körper trifft, so kann es nicht
befremden, dass Determinanten, welche überhaupt durch sie
verändert werden, diese Veränderungen erleiden, mögen sie liegen,
wo sie wollen, im Keimplasma der jungen Ei- oder Samenzellen
der Raupe, Puppe und des Schmetterlings, oder in gewissen Zellen
der Flügelanlage der Raupe und Puppe. Es folgt aber daraus
noch nicht, dass sie an beiden Orten gleich stark verändert
[527] werden müssen, denn sie befinden sich an beiden Orten durch-
aus nicht genau in derselben Umgebung. Im Keimplasma sind
sie eingeordnet in die Tausende und aber Tausende von Determi-
nanten der Art, welche alle zusammen erst das Keimplasma
ausmachen; in der jungen Flügelanlage der Raupe aber sind
sie nur noch mit wenigen andersartigen Determinanten ver-
bunden, und es muss ein Moment eintreten, in welchem sie —
jede für sich allein — eine Zelle beherrschen, nämlich
diejenige, die sich zur rothen oder schwarzen Flügelschuppe
umbildet.
Es giebt nun eine Thatsache, welche bestimmt darauf hin-
deutet, dass die Empfänglichkeit dieser Schuppen-Determinanten
für den Einfluss der Wärme in einem gewissen Zeitpunkt der
Schmetterlings-Entwickelung am stärksten ist — weit stärker,
als vorher und nachher. Es ist dies die vielmals von mir
wiederholte Beobachtung, dass bei saisondimorphen Arten, z. B.
bei Vanessa Prorsa-Levana, der umstimmende Einfluss der Wärme
oder Kälte nur dann eintritt, wenn er im Beginn der Puppen-
periode einwirkt. Ich vermag den Zeitpunkt noch nicht genauer
zu präcisiren, aber ich kann bestimmt angeben, dass z. B. bei
Vanessa Levana Winterpuppen, welche man erst einen Monat
nach der Verpuppung hoher Temperatur aussetzt, niemals mehr
sich in die Prorsaform umwandeln lassen; sie schlüpfen sämmt-
lich als Levana aus.
Dies beruht nicht etwa darauf, dass einen Monat nach
der Verpuppung die Farben des Flügels schon angelegt wären —
keine Spur davon ist vorhanden. Es giebt also einen Mo-
ment der Auseinanderlegung der Determinanten, in
welchen dieselben am empfänglichsten für Temperatur-
einflüsse sind; später sind sie es nicht mehr, und vorher
sind sie es zwar, aber — wie ich vermuthen möchte — nur
in einem weit geringeren Grade. Dies mag auf ihrer Ver-
[528] bindung mit anderen Determinanten beruhen oder auf anderen
Ursachen, die wir zur Stunde aufzufinden nicht im Stande sind.
Ist dem so, dass die betreffenden Schüppchen-Determinanten,
solange sie im Keimplasma liegen, nur sehr schwach, später aber
zu einer bestimmten Periode der Flügelentwickelung stark durch
Wärme beeinflusst werden, so erklären sich die Erscheinungen
einfach. Die südliche Colonie von Phlaeas muss dann in den
Flügel-Determinanten ihres Keimplasma’s viele enthalten, welche
durch die seit Tausenden von Generationen anhaltende Wärme-
einwirkung zur Hervorrufung schwarzer Schuppen abgestimmt
sind, zahlreiche andere, bei welchen es nur noch einer geringen
weiteren Wärmewirkung bedarf, damit sie ebenfalls Schwarz
hervorbringen. Diese Letzteren sind es, welche die durch das
Experiment erzeugbaren Schwankungen der Färbung verursachen,
die Ersteren aber bedingen diejenige Schwarzfärbung der Flügel,
welche der Constitution dieser Süd-Colonie bereits eingeprägt
ist, und welche sich durch Kälteeinwirkung auf die junge Puppe
nicht mehr beseitigen lässt.
Ich setze hierbei voraus, dass die Stammform rein roth-
goldene Flügel besass und den hohen Norden bewohnte, wie
denn diese Annahme wohl allein die heutige Verbreitung der
Art verstehen lässt, und wie es auch von Hofmann1) in seinen
schönen Untersuchungen über die Herkunft unserer Falter an-
genommen wird. Für die hier zu untersuchenden Fragen ist
das übrigens von geringer Wichtigkeit, doch muss die eine oder
die andere Annahme gemacht werden, also entweder, dass Roth-
gold, oder dass tiefschwarze Bestäubung das Primäre war. Nehmen
wir das Erstere an, so erklärt sich auch der lokale Saison-
Dimorphismus und die in heissen Sommern in Deutschland vor-
kommenden schwärzlichen Stücke in einfacher Weise.
[529]
Bei Zunahme der Wärme eines Wohnortes der Art wurden
viele der Determinanten der betreffenden Flügelschuppen im
Keimplasma nach und nach so verändert, dass es nur noch
wenig weiterer Wärmewirkung auf die Flügelanlage der einzelnen
Puppe bedurfte, damit schwarze Schuppen durch sie erzeugt
wurden. Auf diesem Punkte der phyletischen Umwandlung
steht die Art z. B. in Deutschland, und wenn nun hier heisse
Tage gerade auf die Verpuppungszeit der zweiten Jahresbrut
fallen, so entstehen einzelne schwärzlich angeflogene Schmetter-
linge. Dies wird um so leichter eintreten, je weiter die innere
Umstimmung der betreffenden Determinanten vorgeschritten ist,
und die schwarze Bestäubung wird um so stärker ausfallen, je
zahlreichere Schuppen-Determinanten des Keimplasma’s auf
diesem Stadium der Umstimmung angelangt sind. Beides wird
dort am meisten eintreffen, wo auch die gewöhnlichen Sommer
schon ziemlich warm sind, und so erklärt es sich, dass schwärz-
liche Stücke von Phlaeas sehr selten im Norden Deutschlands,
im hohen Norden gar nicht, in den heissen Thälern des Wallis
aber verhältnissmässig oft und mit starker Bestäubung gefangen
werden.
In noch wärmeren Landstrichen, z. B. an der Riviera ist
so ziemlich jede Sommerbrut von Phlaeas hohen Wärmegraden
ausgesetzt; die Umstimmung der Schuppen-Determinanten wird
somit eine so bedeutende werden, dass mit Hülfe der auch zur
Verpuppungszeit kaum je fehlenden Sommerhitze die Variation
Elēus entsteht. In der Frühjahrsbrut entsteht sie nicht, weil
hier jene letzte, zu vollständiger Umwandlung der Schuppen-
Determinanten noch fehlende Wärme während der Verpuppung
nicht eintritt.
Stellt man sich ein von den Polarländern bis Süditalien
oder Nordafrika reichendes ununterbrochenes Verbreitungsgebiet
der Art vor, so würden auf demselben alle Zwischenstufen vom
Weismann, Das Keimplasma. 34
[530] reinen rothgoldenen und einbrütigen Phlaeas Lapplands bis zu
einer in zwei Jahresbruten schwarzen Elēus-Form vorkommen
müssen, also zuerst zwei gleiche rothgoldene Bruten, dann eben-
solche mit Neigung der Schmetterlinge bei einem Plus der auf
die Puppe wirkenden Wärme schwarzbestäubt zu werden, dann
Saison-Dimorphismus mit schwarzen Faltern im Sommer, roth-
goldenen im Frühling, so wie es sich bei Genua wirklich vor-
findet. Bei noch längerer Einwirkung stärkerer Wärme aber
wird eine zuerst kleine, dann immer grössere Zahl von Schuppen-
Determinanten des Keimplasma’s völlig zum Schwarz hin ver-
ändert, und nun haben wir zwei Bruten, die beide die Form
Elēus annehmen. Ungefähr so, aber noch nicht ganz so ver-
hält es sich mit der neapolitanischen Colonie der Art, indem
dort in der Frühjahrsbrut zwar viele sehr schwarze Stücke
vorkommen, aber auch noch viele hellere, wenn auch keine, die
dem Rothgold des nordischen Phlaeas gleichkommen. Ob irgend-
wo die völlige Umfärbung der Art in beiden Jahresbruten
eingetreten ist, weiss ich nicht, möchte es aber am ersten vom
südlichen Japan erwarten, da schon die Schmetterlinge, welche
mir aus der Gegend von Tokio vorliegen, eine ungewöhnlich
schwarze Färbung besitzen.
Ich habe diesem Falle eine ausführliche Besprechung ge-
widmet, weil er mir eine principielle Bedeutung zu besitzen
scheint, nicht blos für die Erklärung der Klima-Varietäten der
Schmetterlinge, sondern für die Theorie der Vererbung,
für die Annahme materieller, schon im Keimplasma
vorhandener und von Generation zu Generation weiter-
gegebener Determinanten in dem oben definirten Sinne.
Die Thatsachen sprechen hier so bestimmt für diese Annahme,
dass gar kein anderer Ausweg mehr möglich scheint. Man
braucht sich nur zu erinnern, dass die künstliche Umstimmung
der Flügelfarbe nicht gelingt, wenn man die verändernde Tempe-
[531] ratur erst in dem Zeitpunkt einwirken lässt, in welchem die
Flügelschuppen sich färben. Es ist also nicht eine direkte
Beeinflussung der chemischen Umwandlungen, welche die Farb-
stoffe erzeugen, sondern eine ganz indirekte Beeinflussung, die
man sich etwa als gegenseitige Verschiebung und Umordnung
des Biophorenmaterials denken kann, welches die Determinante
zusammensetzt, und aus dessen Zusammenwirken der farben-
bildende chemische Vorgang sich ableitet.
Dass die Schuppen-Determinanten des Keimplasma’s weit
schwächer von der Temperatur beeinflusst werden, als die der
Flügelanlage, ergiebt sich mit Sicherheit allein schon aus der
Existenz des Saison-Dimorphismus. Wäre die umwandelnde
Wirkung auf beide gleich stark, dann müsste das Keimplasma
in den Keimzellen eines Schmetterlings der Sommergeneration
ebenso stark verändert werden, als die Flügel des betreffenden
Individuums selbst; dann würde also in den Nachkommen, auch
wenn sie von der Kälte getroffen würden, eine stärkere Hin-
neigung zur Sommerfärbung eintreten müssen, weil sie eben
schon im Keim vorbereitet wäre. Es sei denn, dass der Ein-
fluss der Kälte ein stärkerer wäre, als der der Wärme. In jedem
Falle aber würde eine Mittelform zwischen der durch Wärme und
der durch Kälte hervorgerufenen Färbung sich festsetzen und
auf beide Generationen übertragen müssen, auch dann, wenn die
beiderlei Einflüsse gleich stark wären. In diesem Falle würde
1 A + 1 B die Färbung jeder Generation sein müssen, wenn
wir Winter- und Sommerfärbung als A und B bezeichnen.
Nur dann, wenn das Keimplasma weit schwächer verändert
wird, als die bereits in der Flügelanlage angekommenen Deter-
minanten, kann ein Wechsel der Färbung andauern.
Wahrscheinlich rufen auch bei vielen andern Thieren und
Pflanzen Temperatur- oder andere Medium-Einflüsse in ähnlicher
Weise dauernde, erbliche Abänderungen hervor, aber es ist
34*
[532] schwer, ja wohl unmöglich, aus den bisher bekannt gewordenen
Beobachtungen diese Fälle mit Sicherheit herauszufinden. „Hunde
bedecken sich in Kaschmir bald mit Wolle“1), so heisst es, aber
Wer hat es beobachtet und Wer hat festgestellt, dass diese
Veränderung — falls sie wirklich eintritt — sich vererbt.
„Merinoschafe verlieren die feine Wolle, wenn sie in tropisches
Klima gebracht werden“, aber ich habe keine Angabe finden
können, ob dieser Verlust nicht etwa schon in der ersten Gene-
ration eintritt, anstatt erst im Laufe mehrerer. Wir bleiben
somit im Unklaren, ob hier nicht vielleicht blos eine direkte
Veränderung eines somatischen Theiles des Haares durch das
Klima bewirkt wird, welche in der folgenden Generation wieder
verschwindet, falls die Nachkommen in das ursprüngliche Klima
zurückversetzt würden. Die nackten tropischen Hunderassen,
z. B. der Guinea-Hund, gehören vielleicht hierher, denn „sie
bekommen das verlorene Haar nicht wieder, wenn sie in ge-
mässigtes Klima gebracht werden“.2)
Auch bei Pflanzen mögen manche der klimatischen Ab-
arten ganz oder theilweise auf gleichzeitiger Veränderung ent-
sprechender Determinanten in irgend einem Theile des Soma
und im Keimplasma der Fortpflanzungszellen beruhen, und
solche Abänderungen sind nothwendigerweise erblich. Tempe-
ratur, Ernährung im weitesten Sinne treffen den ganzen Pflanzen-
körper, somatische und Keimzellen. Ob aber auch hier Deter-
minanten, welche schon im Soma liegen, stärker beeinflusst
werden, als wenn sie noch im Keimplasma enthalten sind, wird
[533] wohl erst in Zukunft festgestellt werden können. Denkbar,
und ich möchte sogar glauben, häufiger dürfte der Fall sein,
in welchem bestimmte Determinanten gleich stark oder schwach
getroffen werden, mag der Medium-Einfluss sie im Keimplasma
oder auf irgend einer Stufe der somatischen Anwandlungen an-
treffen. Dann wird die Veränderung in der ersten Generation
vielleicht gar nicht oder kaum bemerkbar sein, aber nach und
nach im Laufe der Generationen wird sie wahrnehmbar und
dann natürlich auch erblich sein. Umgekehrt aber giebt es
wohl viele Medium-Einflüsse, welche die Pflanze zwar stark in
ihrem Körper verändern, ohne aber die entsprechenden Deter-
minanten im Keimplasma zu verändern; die Versuche Nägeli’s
mit Hieracien und manches Andere sprechen wenigstens dafür,
wenn sie freilich auch kaum lange genug fortgeführt sind, um
eine jede auch noch so schwache und allmälige Änderung des
Keimplasma’s auszuschliessen.
Welches nun die Einflüsse sind, die zugleich das sich ent-
wickelnde und wachsende Soma und die entsprechenden De-
terminanten im Keimplasma verändern können, sei es auch in
sehr verschiedenem Grade, das kann nur durch das Experiment
entschieden werden, und ist eine Aufgabe der Zukunft. Dieses
Zusammentreffen ruft die Fälle einer scheinbaren Vererbung
somatogener Veränderungen hervor; andere sind — wir mir
wenigstens scheint — nicht denkbar. Alle solche Einflüsse aber,
welche — wie Übung oder Nichtgebrauch eines Theils — über-
haupt nur auf diesen selbst in einer specifischen Weise wirken
können, sind ausser Stande, entsprechende Veränderung der
betreffenden Determinanten der Keimzellen zu bewirken und
also zu erblichen Abänderungen zu führen. Hier trifft der
äussere Einfluss allein das fertige Organ selbst, z. B. den durch
Übung vergrösserten Muskel, denn der Einfluss besteht eben in
der verstärkten Funktionirung des Muskels, und diese findet
[534] schon dem Begriffe nach nur in ihm selbst statt; das Keimplasma
der Keimzellen, oder gar die Determinante des betreffenden
Muskels im Keimplasma bleibt davon unberührt. In allen Fällen
von funktioneller Hypertrophie oder Atrophie werden überhaupt
keine Determinanten durch den äusseren Einfluss verändert,
sondern die fertigen Organe, d. h. die aus den Determinanten
hervorgegangenen specifischen Zellengruppen. Es ist mir sehr
wahrscheinlich, dass solche doppelte abändernde Einwirkungen
der Medien, wie wir sie bei Phlaeas kennen gelernt haben, nur
da möglich sind, wo neben den Keimzellen zugleich die noch
nicht zum Organ umgewandelten Determinanten vom abändernden
Einfluss getroffen werden, und dies wird am leichtesten bei
solchen Organen vorkommen, welche, wie die Flügelschuppen
der Schmetterlinge, in späterer Zeit des Lebens sich anlegen,
deren Determinanten also lange Zeit der Ontogenese
hindurch unentwickelt den Idanten bestimmter soma-
tischer Zellen beigeordnet sind. Die Flügel des Schmetter-
lings entstehen bekanntlich als Ausstülpungen der Hypodermis
schon in der Raupe. Ehe diese Ausstülpungen sich bilden,
müssen also die Determinanten der Flügelschuppen noch in dem
Idioplasma einiger Hypodermiszellen enthalten sein, nach der
Ausstülpung aber sind sie in einem Theil der Zellen der Flügel-
Anlage enthalten. Zuerst sind diese Flügel noch klein und
enthalten noch lange nicht die grosse Zahl von Zellen, welche
den fertigen Flügel zusammensetzen. Auch dann also müssen
noch mehrere inaktive Determinanten der Flügelschuppen in
den Idanten eines Zellkerns vereinigt sein. Dann aber kommt
im Laufe des weiteren Wachsthums ein Moment, in welchem
die Zellenzahl sich so vermehrt, dass jede Determinante das
Idioplasma einer besondern Zelle ausmacht, und dieses dürfte
der Moment sein, in welchem verändernde äussere Einflüsse am
stärksten auf diese Determinanten einwirken. Es wird wohl
[535] möglich sein, durch Versuche diesen Moment genauer fest-
zustellen.
Man hat vielleicht erwartet, ich würde in diesem Abschnitt
auf die ganze, in den letzten Jahren so vielfach umstrittene
Frage von der Möglichkeit einer Vererbung erworbener Ab-
änderungen in der Weise eingehen, dass ich alle die Thatsachen
und Argumente, die zu Gunsten einer solchen vorgebracht
worden sind, einer Besprechung unterzöge. Allein — wie oben
schon gesagt wurde — eine Theorie der Vererbung scheint mir
dazu nicht der geeignete Platz zu sein. Eine solche hat nur
zu zeigen, ob eine derartige Form der Vererbung vom theore-
tischen Standpunkt aus möglich ist oder nicht, und weiter etwa
noch zu untersuchen, ob in lezterem Falle vielleicht doch der
Schein einer solchen Vererbung unter Umständen hervorgerufen
werden kann, und dafür die theoretische Erklärung zu geben.
Dass es bequemer ist, die Umwandlung der Arten mit Zuziehung
des Lamarck’schen Princips zu erklären, habe ich von jeher
hervorgehoben, glaube aber, dass dies kein Grund ist, eine
theoretisch unannehmbare Hypothese beizubehalten, solange
nicht bewiesen wird, dass es keinen andern Weg giebt, die
Thatsachen zu erklären. Bis jetzt aber sind die Gegner noch
weit davon entfernt, diesen Beweis geliefert zu haben.
Vielleicht wird die hier beigebrachte Aufklärung über die
Ursachen der klimatischen Varietäten der Schmetterlinge im
Stande sein, manche meiner bisherigen Gegner zu überzeugen,
dass es sich hier nicht um blinde Principien-Reiterei, sondern
um inductive Forschung handelt. Besonders in Amerika hat
der Satz von der Nichtvererbung erworbener Abänderungen
starken Widerspruch hervorgerufen und zwar hauptsächlich bei
den Paläontologen. Es ist auch nicht zu verkennen, dass gewisse
Thatsachen der Paläontologie, wie die Entwickelung der Huf-
thiere in Bezug auf Füsse und Zähne, sehr schöne und ununter-
[536] brochene Formenreihen uns vorführen, welche durch die An-
nahme der Vererbung funktioneller Abänderungen scheinbar sehr
leicht und einfach zu erklären wären. Aber müssten wir nicht
ganz ebenso schöne und lückenlose Übergangsreihen erhalten,
falls die Phylogenese wesentlich auf Selection beruhte, d. h.
auf der immer vollkommeneren Anpassung an gewisse äussere
Bedingungen des Lebens von ganz allgemeiner Natur? Mir
scheint, dass weder die Vollständigkeit der Entwickelungsreihen,
noch die genaue Beziehung der Natur der Abänderungen zur
Funktion irgend Etwas über die Ursachen aussagen, welche
diese Entwickelungsreihen hervorgerufen haben. An und für
sich könnte ebenso gut fortgesetzte Selection, als fortgesetzte
Vererbung funktioneller Abänderungen solchen Reihen zu Grunde
liegen.
Wenn aber ein hervorragender Forscher Amerika’s, Lester
Ward1), meint, dass der Beweis, dass klimatische Einflüsse das
Keimplasma verändern können, Alles enthielte, was die Neu-
Lamarckische Schule verlange, so irrt er sich. In dem Ab-
schnitt über Variation wird noch genauer dargelegt werden,
wie ich mir die Entstehung der Variation heute vorstelle; aber
ganz abgesehen davon, ist es sicherlich etwas ganz Anderes,
wenn behauptet wird, dass klimatische Einflüsse das Keimplasma
verändern können, als dass funktionelle Abänderungen irgend
eines Organes das Keimplasma verändern könnten, und gar in
korrespondirender Weise. Für die erstere Behauptung glaube
ich hier den Beweis erbracht zu haben, für die zweite aber
würden ihn die Neu-Lamarckianer erst beizubringen haben.
[537]
Capitel XIV.
Variation.
Vererbung ist die Übertragung der physischen Natur des
Elters auf das Kind. Wir sehen, dass diese Übertragung sich
auf den ganzen Organismus bezieht und bis in die kleinsten
Einzelheiten hineinreicht, wir wissen aber auch, dass dieselbe
niemals eine vollständige ist, dass das Kind nie identisch ist
mit dem Elter, sondern sich immer von demselben mehr oder
weniger stark unterscheidet. Diese Abweichungen bilden die
Erscheinung der Variation, welche somit ein integriren-
der Theil der Vererbung ist, denn jede Vererbung
schliesst Variation in sich ein.
Es gehört somit in eine Theorie der Vererbung auch eine
theoretische Begründung der Variation, wie sie jetzt versucht
werden soll. Woher kommt es, dass das Kind niemals eine
genaue Copie des Elters ist, auch dann nicht, wenn nur ein
Elter vorhanden ist, also bei parthenogenetischer und Knospen-
Fortpflanzung? und welches ist die Wurzel jener nie fehlenden
„individuellen Variationen“, welche wir nach dem Vorgang
von Darwin und Wallace als die Grundlage aller Züchtungs-
processe der Natur, und als das Material betrachten, durch dessen
Hülfe die ganze reiche Entfaltung organischer Lebensformen ver-
schiedenster Art auf der Erde möglich war?
Darwin selbst machte die Verschiedenheit äusserer Ein-
wirkungen für die Abweichung des Kindes vom Elter verant-
wortlich, und ich war im Wesentlichen derselben Meinung, wenn
ich seiner Zeit1) „alle Ungleichheit der Organismen“ darauf
zurückführte, „dass im Laufe der Entwickelung der organischen
Natur ungleiche äussere Einflüsse die einzelnen Individuen ge-
[538] troffen haben“. Ich sprach damals dem Organismus die virtuelle
Fähigkeit zu, durch Vermehrung „genaue Copien seiner selbst
zu liefern“, eine Fähigkeit, die aber deshalb nicht zu genauer
Ausführung gelangt, weil der Organismus zugleich die Fähigkeit
besitzt, auf äussere Einflüsse zu reagiren“, d. h. je nach der Be-
schaffenheit derselben nach dieser oder jener Richtung hin von
der ererbten Richtung abzuweichen.
Danach würde also das Variiren nicht auf einer besonderen,
in den Organismen gelegenen Kraft beruhen, sondern wäre nur
die Wirkung der äusseren Einflüsse, welche theils direkt, theils
indirekt den Organismus von der strengen Einhaltung seiner
ererbten Entwickelungsbahn abzulenken im Stande wären.
So richtig ich im Allgemeinen diese Ansicht auch heute
noch halte, so ist doch die Entstehung der individuellen Varia-
tion, dieser Wurzel der Artumwandlung, nicht so einfach aus
der Einwirkung ungleicher äusserer Einflüsse abzuleiten, als es
zu jener Zeit, als der obige Satz geschrieben wurde, möglich
schien.
Ich habe dies schon an andern Orten entwickelt und will
hier nur kurz daran erinnern.1)
Zu jener Zeit machten wir Alle noch keinen Unterschied
zwischen den Veränderungen, welche am Soma durch äussere
Einflüsse entstehen können, und jenen Variationen, welche vom
Keimplasma ausgehen. Seitdem wir — wie ich wenigstens
glaube — nur die letzteren, die „blastogenen“ Abänderungen
für erblich halten dürfen, die „somatogenen“ aber nicht,
können wir die direkte Einwirkung äusserer Einwirkungen auf
das fertige Soma für die Entstehung erblicher individueller Ab-
änderungen nicht mehr heranziehen. Es fragt sich also, wo
die Quelle dieser Variationen liegt, auf deren Vorhandensein
[539] unserer Ansicht nach die gesammte Entwickelung der organi-
schen Welt beruht?
1. Normale individuelle Variation.
Das Einfachste zur Erklärung dieser Entwickelung wäre
die Annahme Nägeli’s, nach welcher das Idioplasma so be-
schaffen wäre, dass es im Laufe der Zeiten und Generationen
sich von innen heraus gesetzmässig und nach bestimmter Rich-
tung veränderte, und so die Umwandlung einer Art in eine
andere hervorriefe. Viele Gründe aber verbieten eine solche
Annahme. Einmal steht eine Entwickelung durch rein innere
Kräfte in Widerspruch mit der innigen Anpassung der Orga-
nismen an ihre Lebensbedingungen, und dann sollten wir über-
haupt nicht eher eine unbekannte Kraft in die Erklärung von
Naturerscheinungen einführen, ehe nicht bewiesen ist, dass
man mit den bekannten Kräften zu ihrer Erklärung nicht aus-
reicht.
Natürlich wären die Variationen, welche durch ein solches
phyletisches Entwickelungsprincip entstehen müssten, nicht die
gewöhnlichen individuellen Variationen, sondern eben gerade
solche Abweichungen, welche alle Individuen einer Art
in gleicher Weise beträfen. Die thatsächlich vorhandenen
individuellen Abweichungen müssten dann alle als bedeutungslos
für die phyletische Entwickelung gelten, wie sie denn wirklich
von Nägeli bei Pflanzen so betrachtet wurden, als vergängliche,
nicht vererbbare „Standorts-Modificationen“. Dem widerspricht
aber die beobachtbare Erblichkeit zahlloser individueller Unter-
schiede beim Menschen und bei Thieren.
Sobald wir Selectionsprocesse als Hauptfaktor der organi-
schen Entwickelung anerkennen, müssen wir den höchsten Werth
auf diese erblichen Unterschiede der Individuen legen und ihre
Quelle zu entdecken suchen.
[540]
Brooks steht auf diesem Standpunkt und hat im An-
schluss an Darwin’s Pangenesis eine Vererbungstheorie aus-
gedacht, bei welcher die Variation wesentlich auf der geschlecht-
lichen Fortpflanzung beruht.1) Variabilität entsteht nach seiner
Ansicht dadurch, dass bei der Befruchtung sich jedes „Keim-
chen“ der Samenzelle mit demjenigen Theil des Eies vereinigt,
„der bestimmt ist, im Laufe der Entwickelung zu derjenigen
Zelle zu werden, welche der entspricht, von welcher der Keim
herstammt“. Wenn nun diese Zelle im Nachkommen sich ent-
wickelt, so muss sie „als Bastard“ Neigung haben zu
variiren. Dazu kommt noch, dass Brooks den beiderlei
Keimzellen eine verschiedene Rolle zuweist, indem er sie in
verschiedenem Grade mit „Keimchen“ beladen oder gefüllt sein
lässt, die Eizelle mit viel weniger, als die Samenzelle. Ihm ist
die Eizelle das conservative Princip, welches der Vererbung
der echten Rasse- oder Art-Charaktere vorsteht, während er die
Samenzelle für das „fortschrittliche Element“ hält, welches die
Variationen vermittelt.
Brooks hat für seine Ansicht in scharfsinniger Weise
Alles ins Feld geführt, was sich dafür geltend machen liess,
aber ich bezweifle, ob er selbst heute noch daran festhält, nach-
dem inzwischen so manche neue Erkenntniss gewonnen wurde,
die in Widerspruch mit ihr steht. Eine dieser Erkenntnisse,
die Ansicht, dass „erworbene“ Eigenschaften nicht vererbbar sind,
ist zwar nicht allgemein angenommen, aber Brooks selbst hat
ihr zugestimmt, und die Grundlage seiner Theorie, die Ver-
schiedenartigkeit der männlichen und weiblichen Keimzellen in
Bezug auf ihren Gehalt an Vererbungssubstanz ist durch die
Erkenntniss, dass die Idanten der beiderlei Zellen bei der Am-
phimixis sich nach Zahl und Qualität völlig gleich verhalten,
[541] unhaltbar geworden. So wird es nicht vorschnell sein, wenn
man auch die wenigen Beobachtungen, welche für ungleiche
Wirkung der männlichen und der weiblichen Keimzellen zu
sprechen scheinen, als nicht beweisend betrachtet, auch wenn
sie zur Stunde sich noch nicht völlig erklären lassen. Dahin
gehören jene seltenen und vielleicht nicht einmal ganz sicher
beobachteten Ausnahmsfälle von der Regel, dass Bastarde zwischen
zwei Arten gleich ausfallen, mag nun die Art A oder die
Art B als Vater oder als Mutter mitgewirkt haben.
Wenn wir nun sowohl die Annahme einer ungleichen
Wirkung der Keimzellen, als die einer inneren Umwandlungs-
kraft verwerfen müssen, so bleibt nichts übrig, als die erbliche
individuelle Variabilität auf ungleiche äussere Einflüsse zu be-
ziehen, und es fragt sich nur, wieso derartige Einflüsse erb-
liche Verschiedenheiten hervorbringen können, wenn soma-
togene Abänderungen nicht vererbbar sind, denn äussere Ein-
flüsse wirken zunächst, und viele von ihnen sogar ausschliess-
lich auf den Körper und nicht auf die Keimzellen.
Ich habe nun schon in einer früheren Schrift zu zeigen
versucht, dass zwar nicht die letzte Wurzel der individuellen
Variabilität, wohl aber ihre Erhaltung und stete Umgestaltung zu
den für Selection erforderlichen Mischungen durch Amphi-
mixis geschehe, ja dass die Durchführung der geschlechtlichen
Fortpflanzung in beinahe der gesammten bekannten Organismen-
welt eben auf der Nothwendigkeit der Erhaltung und steten
Neugestaltung der erblichen individuellen Variabilität beruhe.
Meiner Überzeugung nach hat Amphimixis in ihren beiden
Formen der Conjugation der Einzelligen und der ge-
schlechtlichen Fortpflanzung der Vielzelligen die Be-
deutung einer Variationsquelle; sie liefert eine unerschöpf-
liche Fülle immer neuer Combinationen individueller Va-
riationen, wie sie für die Selectionsprocesse unerlässlich ist.
[542]
Dieser Ansicht von der Bedeutung der sexuellen Fort-
pflanzung ist von Hatschek1) entgegengehalten worden, „die
Veränderungen der Arten passirten viel zu selten, als dass man
eine ununterbrochen wirksame Einrichtung, wie sexuelle Fort-
pflanzung daraus erklären könne“. Dabei ist aber übersehen,
dass — nach meiner Ansicht wenigstens — nicht nur die Um-
wandlung, sondern auch die Erhaltung der Constanz der
Arten auf Naturzüchtung beruht, dass diese somit keinen Augen-
blick ruht, vielmehr unausgesetzt thätig ist.
Nach dem, was oben in dem Capitel über den Kampf der
Determinanten der beiden Eltern in der Ontogenese, was ferner
über die bei Amphimixis unerlässliche Reductionstheilung des
Keimplasma’s gesagt wurde, geht hinreichend hervor, dass in
der That durch Amphimixis immer neue Combinationen der
bei einer Art möglichen Variationen entstehen müssen. Einer-
seits erhält das Keimplasma eines durch Amphimixis begründeten
neuen Individuums immer nur die Hälfte der Ide jeden Elters,
und zwar in immer wechselnder Auswahl und Zusammenstellung,
und dann giebt das Zusammenwirken der von beiden Seiten
zusammenkommenden Ide nicht in allen Theilen des neuen Bion
überall dieselbe Mittlere, sondern je nach der Anzahl und der
bestimmenden Kraft der einzelnen homologen Determinanten
bildet sich jeder Theil bald mehr nach väterlichen, oder mehr
nach mütterlichen Anlagen aus; die Resultante aus den zusammen-
wirkenden Kräften kann in jedem Theil eine verschiedene sein.
Wenn aber auch Amphimixis für höhere, d. h. compli-
cirtere Organismen eine unerlässliche Bedingung für die Fort-
entwickelung der Art, für ihre Anpassung an neue Existenz-
bedingungen ist, so kann sie dennoch nicht die letzte Wurzel
der erblichen Variation sein. Durch sie können nur
[543] die einmal in einer Art vorhandenen Variationen in immer
neuer Weise mit einander gemischt werden, nicht aber kann
sie selbst neue Variationen schaffen, wenn es auch oft so
erscheint.
Als ich zuerst die sexuelle Fortpflanzung auf die Noth-
wendigkeit bezog, das für die Selection nöthige Material an
Variationen zu liefern, dachte ich mir ihren Einfluss auf das
Keimplasma noch mächtiger. Da alle Unterschiede, auch die
qualitativen, in letzter Instanz quantitativer Natur sind, und
da durch das Zusammentreffen der elterlichen Anlagen sowohl eine
Steigerung, als eine Schwächung eines „Charakters“ erfahrungs-
gemäss stattfinden kann, so dachte ich mir, dass das Zusammen-
treffen z. B. einer sehr starken Anlage desselben Theils von
beiden Eltern her nicht blos diesen Theil im Kinde besonders
kräftig gestalten müsse, sondern dass auch in den Keimzellen
des Kindes die starke Anlage nun doppelt stark enthalten sei,
und dass durch fortgesetzte Kreuzung von Nachkommen, die
den Theil stark entwickelt besitzen, derselbe immer weiter ge-
steigert werden könnte, schliesslich auch bis zu einem Grade,
der weit über die gewöhnlichen individuellen Unterschiede
hinausreicht. Denkt man sich diesen Process in verschiedenen
Theilen des Körpers vor sich gehend, so gelangt man zur Art-
umwandlung.1)
Die Entstehung von Rassen durch künstliche Züchtung
scheint ja in der That auf einer solchen Summirung der „Eigen-
schaften“ der Eltern theilweise zu beruhen, ich werde aber
weiter unten zu zeigen haben, dass dieselbe nicht mit einer
wirklichen Veränderung der Determinanten einhergeht. Nur
eine solche aber würde allmälig zur Umwandlung der Art führen
können. Wir wissen, dass die Idanten des Vaters bei der Am-
[544] phimixis nicht mit denjenigen der Mutter verschmelzen, und
die Reinheit der Vererbung in so zahlreichen Fällen beweist
uns, dass die Determinanten Beider nicht durch dieses Zu-
sammentreffen irgendwie verändert werden. Die Abänderung
der Determinanten ist ein Vorgang, der nichts mit der sexuellen
Vermischung direkt zu thun hat, der seine eigenen Wege geht
und seine eigenen Ursachen haben muss.
Noch klarer vielleicht tritt dies hervor, wenn man sich
bewusst wird, dass niedere Lebensformen, wie etwa ein Schwamm
oder ein Polyp, eine nur sehr geringe Zahl von Determinanten
besitzen muss im Vergleich zu hochorganisirten Arten, wie
Vögel und Säugethiere es sind. Die Zahl der zu einem Id
des Keimplasma’s gehörigen Determinanten hat somit
im Laufe der phyletischen Entwickelung erheblich, ja
überaus stark zugenommen. Eine einzige Pfauenfeder wird
vielleicht durch nicht weniger Determinanten bestimmt, als ein
ganzer Polyp. Eine Vermehrung der Determinanten könnte
aber nie durch Amphimixis allein zu Stande kommen.
Die Wurzel der erblichen Variation muss also
tiefer liegen, sie muss in einer direkten Einwirkung
der äussern Einflüsse auf die Biophoren und Determi-
nanten liegen, und ich denke mir sie in folgender Weise.
Bei den ersten Organismen wird die gesammte Leibessubstanz
noch aus gleichwerthigen Biophoren zusammengesetzt gewesen
sein, ohne Unterschied von Kern- und Zellkörpersubstanz. Bei
diesen niedersten Lebewesen — mögen sie nun noch heute
existiren oder nicht — wird das völlige Gleichbleiben der
Körperzusammensetzung durch verschiedenartige äussere Ein-
flüsse zuweilen abgelenkt worden sein, und solche Abänderungen
müssen sich dann erhalten haben, indem sie durch die Fort-
pflanzung mittelst Theilung direkt in den Theilungshälften fort-
bestanden.
[545]
Später, als Morphoplasma und Idioplasma sich schieden
und das Letztere als die Vererbungs-Substanz in einen Kern
eingeschlossen wurde, um von da aus den Körper der Zelle zu
beherrschen, konnten Abänderungen, die durch direkte Ein-
wirkung äusserer Einflüsse lediglich am Körper der Zelle
entstanden waren, sich nicht mehr als ein Besitz der Art auf
die Nachkommen vererben, da sie nur am Morphoplasma hingen,
an der Stelle, an welcher sie entstanden waren, nicht ins Idio-
plasma übergegangen waren, welches den Anlagen-Bestand der
Art ausmacht. So wird also schon bei Einzelligen jede erbliche
Variation vom Idioplasma ausgegangen sein müssen, und wir
haben also hier schon ähnliche Verhältnisse, wie bei den Metazoen
und Metaphyten, nur dass es sich hier nur um die Eigenschaften
einer Zelle handelt, nicht um die von vielen. Wenn wir aber
sehen, wie ungemein hoch differenzirt der Zellkörper mancher
Einzelligen, z. B. der von höheren Infusorien ist, wie complicirt
angeordnete Wimpern, schwingende Membranen, Stacheln und
Geisseln ihren festen Platz an ihrem Körper haben, wie Gehäuse
bestimmter Form, Verschlussdeckel dieser Gehäuse mit Verschluss-
band desselben von dem Zellkörper hervorgebracht werden, und
nun erwägen, dass das Thier im Stande ist, alle diese Theile
neu zu bilden, wenn sie gewaltsam abgerissen werden, so müssen
wir wohl zugestehen, dass ein Centrum in diesem kleinen
Organismus enthalten sein muss, in welchem die Anlagen aller
dieser Theile schlummern, und von welchem aus sie wieder neu
hervorgerufen werden können. Dieses Centrum ist der Kern,
und Veränderungen der Kernsubstanz allein können Veränderungen
des Zellkörpers erblicher Natur hervorrufen.
Dass aber diese Veränderungen nicht leicht und rasch ent-
stehen, das beweist uns die scharfbegrenzte Structur der Arten,
die — solange wir sie kennen, — sich nicht verändert haben.
Aber auch bei den Vielzelligen besitzt das Keimplasma
Weismann, Das Keimplasma. 35
[546] offenbar eine grosse Constanz, d. h. die Biophoren, welche es
zusammensetzen, vermögen sich dergestalt zu ernähren und zu
wachsen, dass sie sehr genaue Copien ihrer selbst in ihren
Theilungshälften liefern. Anders wäre es nicht zu verstehen,
dass trotz eines so ungeheuren Wachsthums, wie ihn das Keim-
plasma von einer Generation zur andern durchmacht, dennoch
die Artcharaktere und selbst kleinste Merkmale individueller
Art sich durch so lange Generationsfolgen erhalten können.
Nicht so beweisend für die Schwerveränderlichkeit des Keim-
plasma’s sind jene früher von Nägeli und mir dafür geltend
gemachten Fälle jahrtausendelanger Constanz einer Art, wie solche
z. B. in den altägyptischen Thieren (Ibis, Krokodil) nachgewiesen
sind. Diesen Fällen kann entgegengehalten werden, dass diese
Arten ja fortwährend der Controle der Naturzüchtung unter-
worfen waren, welche jede Abweichung von der vollkommenen
Anpassung ausmerzte. Wenn aber unbedeutende individuelle
Merkmale ohne jeden Nutzen für die Art sich durch mehrere
Generationen hin beim Menschen erhalten können, so muss dies
darauf beruhen, dass die betreffenden Determinanten bei Wachs-
thum und Vermehrung sehr wenig geneigt sind, stärkere Ver-
änderungen einzugehen, vielmehr höchst getreue Copien ihrer
selbst zu liefern. Ich hatte also wohl Recht, dem Keimplasma
ein sehr grosses Beharrungsvermögen zuzuschreiben.1)
Nichtsdestoweniger ist die Annahme unvermeidlich, dass
auch die Elemente des Keimplasma’s, die Biophoren und
Determinanten während ihres beinahe unausgesetzten Wachs-
thums steten Schwankungen in ihrer Zusammensetzung
unterworfen sind, und dass diese zunächst sehr kleinen
und uns unsichtbaren Schwankungen die letzte Wurzel
jener grösseren Abweichungen der Determinanten dar-
[547] stellen, welche sich uns als sichtbare individuelle Varia-
tionen darstellen.
Die Annahme solcher kleinsten Schwankungen folgt eigent-
lich von selbst aus der Unmöglichkeit völlig gleicher Ernährung
während des Wachsthums, und ich habe sie in der That auch
früher schon gemacht, wenn ich auch ihre Bedeutung unter-
schätzte 1), weil ich ganz richtig annahm, „dass die sie hervor-
rufenden Einflüsse meist wechselnder Natur sein“ müssten und
„bald in dieser, bald in einer andern Richtung erfolgten“. Ihre
Summirung durch Amphimixis hatte ich nicht in Betracht ge-
zogen. Wenn irgend eine Determinante während der Vermehrung
der Keimzellen eines Individuums von 1 auf 100,000 sich ver-
mehren muss, so ist es nicht denkbar, dass während dieses Vor-
ganges die Ernährungs-Intensität und -Qualität bei allen Determi-
nanten-Nachkommen absolut die gleiche sein werde. Ist sie
das aber nicht, so können minutiöse Unterschiede der Determi-
nanten-Nachkommen nicht ausbleiben. Solche kleinste Schwan-
kungen können gewiss, wie ich damals annahm, wieder zurück-
gehen, wenn entgegengesetzte Einflüsse die veränderte Determi-
nante treffen, und sie genügen auch durchaus noch nicht, um
einzeln und für sich allein schon die individuelle Abänderung
irgend eines für uns erkennbaren Charakters hervorzurufen, aber
sie können sich summiren. Denn jedes Keimplasma besteht aus
vielen Iden, deren jedes eine der betreffenden homologen De-
terminanten enthält, und erst das Zusammenwirken aller dieser
bestimmt den Charakter. Wenn also viele der homologen
Determinanten in gleicher Weise abändern, so entsteht
eine erbliche individuelle Variation.
Von dieser Basis aus wird sich auch die Verdoppelung
einer Determinante verstehen lassen, wie solche im Laufe der
35*
[548] Phylogenese immer wieder eingetreten sein muss, wenn der Bau
complicirter wurde. Stärkere Ernährung wird eine Determi-
nante rascher wachsen und sich vermehren lassen, und wenn
die erste Vermehrung derselben erfolgt, ehe noch die Abspaltung
des „Reserve-Keimplasma’s“ für die folgende Generation stattge-
funden hat, so ist diese Doppeldeterminante ein bleibender Besitz
der Art geworden. Aber erst wenn eine Mehrzahl der homologen
Determinanten diese Verdoppelung eingegangen ist, wird eine
sichtbare Veränderung des betreffenden Körpertheiles eintreten.
So müssen also kleine Schwankungen in der Beschaffenheit
der Biophoren und Determinanten unausgesetzt vorkommen.
Ihre Veränderlichkeit beruht auf demselben Princip, auf welches
auch die gesetzmässige Zerlegung der Determinanten des Keim-
plasma’s bezogen wurde: auf der ungleichen Zusammen-
setzung der Elemente der wachsenden Substanz. Be-
stünden die Determinanten aus einer völlig gleichartigen Masse,
dann könnte ungleiche Ernährung die Determinante A niemals
in eine Determinante A1 verwandeln, sie könnte sie nur schneller
oder langsamer wachsen machen. Sie sind aber aus verschieden-
artigen Biophoren zusammengesetzt, welche auf verschiedene
Wachsthumseinflüsse ungleich reagiren. Damit ist die Möglich-
keit einer Verschiebung der Verhältnisszahlen der verschiedenen
Biophoren innerhalb einer Determinante gegeben, und damit die
Abänderung dieser Letzteren. Es ist deshalb sehr wohl denkbar,
dass nicht alle, sondern nur einzelne Eigenschaften einer Zelle
durch solche Einflüsse abändern, sowie nur einzelne Determi-
nanten unter vielen ähnlichen abzuändern brauchen.
Der Beweis dafür, dass dies wirklich geschehen kann, liegt
in den oben mitgetheilten Thatsachen der klimatischen
Variationen der Schmetterlinge. Hier werden die De-
terminanten gewisser farbiger Schuppen des Flügels langsam
im Laufe der Generationen durch Wärmesteigerung des Klima’s
[549] derart verändert, dass die Farbe der Schuppen sich erheblich
verändert. Diese Fälle auffallender Umwandlung sind nicht so
häufig, jedenfalls werden nicht alle Schmetterlingsarten durch
Wärmeunterschiede derart beeinflusst, und auch diejenigen, welche
es werden, zeigen die Veränderung nicht an allen Schuppenarten.
Dies zeigt, dass das Beharrungsvermögen der Determinanten in
der That ein sehr grosses ist, und dass in der Regel die Ab-
weichungen, welche die Determinanten durch ungleiche Er-
nährungseinflüsse erleiden, so minimaler Natur sind, dass wir
ihre Wirkung nicht bemerken.
Sie sind aber nichtsdestoweniger von der grössten Bedeutung,
denn sie bilden das Material, aus welchem durch Amphi-
mixis in Verbindung mit Selection die sichtbaren in-
dividuellen Variationen hervorgehen, durch deren Stei-
gerung und Combinirung dann die neuen Arten entstehen.
Die Zusammensetzung des Keimplasma’s aus Iden ist dabei
eine ganz unerlässliche Voraussetzung. Jede Determinante ist
so viel Mal im Keimplasma enthalten, als Ide darin sind, denn
jedes Id enthält sämmtliche Determinanten. So ist z. B. die
Determinante N 100 Mal vorhanden, falls das Keimplasma aus
100 Iden besteht. Da diese Ide im Laufe der Generationen
durch die stets wieder neu sie durcheinander mischende Amphi-
mixis zusammengekommen sind, so müssen die meisten ein wenig
von einander verschieden sein. Selbst wenn man bis auf den
Ursprung der Vielzelligen, oder selbst den der Einzelligen aus
den Urwesen zurückgeht — die Ungleichheit der Ide bleibt
doch, sobald Amphimixis eingreift. Wir finden nirgends einen
Zustand, in welchem noch sämmtliche Ide gleich angenommen
werden könnten, es verhält sich vielmehr so, wie ich schon
früher einmal darlegte, die Ungleichheit der Individuen
datirt von den Urwesen her, von der Zeit, in welcher noch
keine Amphimixis und noch kein Idioplasma bestand, in welcher
[550] aber der individuelle Stempel jedem Einzel-Bion direkt durch
die ungleichen äusseren Einflüsse aufgeprägt werden musste.
Von diesen übertrug er sich auf die Einzelligen, da diese doch
nicht aus einem einzigen Einzel-Bion von Urwesen entstanden
sein können, sondern polyphyletisch, jede Art aus einer grossen
Menge gleichsinnig abändernder Bionten. Man hat dies oft
falsch verstanden und unter Anderem gefragt, wie ich denn
Anpassungen von Blumen, Früchten oder Samen, wie sie bei
Phanerogamen vorkommen, von der Combination von Charak-
teren ableiten wolle, die bei ihren formlosen Ur-Vorfahren er-
worben wurden. Aber nicht die Charaktere erbten sich
von den Urwesen her fort, sondern die Variabilität,
die Ungleichheit der Individuen!
Man könnte aber zu glauben geneigt sein, dass äussere
Einflüsse alle homologen Determinanten eines Keimplasma’s in
gleicher Weise treffen und zur Abänderung veranlassen müss-
ten; dies würde aber ein Irrthum sein.
Vermöge der mit Amphimixis verbundenen Vermehrung
der Vielzelligen, die ja bei keiner Art völlig fehlt, setzt sich
das Keimplasma eines Bion aus vielen Iden verschiedener Her-
kunft zusammen, die eine Hälfte der Ide stammt vom Vater,
die andere von der Mutter, und jede dieser Hälften besteht
wiederum aus Iden der Grosseltern in verschiedenem Verhält-
niss; die grosselterlichen Ide aber stammen von einem oder
auch von zweien oder drei Urgrosseltern her u. s. w. Das Ver-
hältniss, in welchem die einzelnen Ahnen durch Ide vertreten
sind, kann sehr verschieden sein, wie oben dargelegt wurde,
und so muss auch das Keimplasma bei verschiedenen Individuen
selbst naher Verwandtschaft stets verschieden sein.
Nun enthält jedes Id sämmtliche Bestimmungsstücke der
Art, aber in individueller Färbung. Wenn nun dieselbe Deter-
minante N in jedem Id um ein Weniges verschieden sein kann,
[551] so wird sie auch ein wenig anders variiren beim Wachsthum,
falls sie von abändernden Einflüssen getroffen wird. Es kann
also z. B. die Determinante N im Id A unverändert bleiben, wenn
die Determinante N1 im Id B abändert. Umgekehrt könnte
aber sehr wohl auch der abändernde Einfluss, die Ernährung,
im Id A ein wenig verschieden sein von der im Id B, und könnte
die Determinante N zur Abänderung bringen, während die
Determinante N1 im Id B unverändert bliebe. So werden also
Momente genug vorliegen, welche ein Abändern einzelner oder
mehrerer homologer Determinanten nur in bestimmten, aber
nicht in allen Iden veranlassen können. In den einzigen sicher
beobachteten Fällen von blastogenen Variationen durch direkten
Einfluss äusserer Bedingungen, nämlich bei den Klima-Varia-
tionen jenes Schmetterlinges Polyommatus Phlaeas lässt sich
auch deutlich erkennen, dass die Wirkung der Wärme keine
ganz gleichmässige gewesen ist. Von den neapolitanischen
Phlaeas-Stücken sind manche dunkler, andere heller, obgleich
sie unter möglichst gleichen Bedingungen im Zimmer erzogen
wurden, und auch die im Freien in Neapel gefangenen Stücke
schwanken gerade in diesem durch das Klima veränderten Cha-
rakter der schwarzen Bestäubung recht erheblich. Gleiche Ein-
flüsse, auch wenn sie lange Generationsfolgen hindurch ein-
wirken, verändern also die Individuen einer Art nicht nothwendig
gleich stark, und ich erkläre mir diese Thatsache dadurch, dass
jedes Thier in seinen Iden verschiedene Varianten der betreffenden
durch die Wärme veränderbaren Determinanten N enthält, von
denen die eine dem Wärmeeinfluss zugänglicher ist, als die
andere. Je nachdem viele leichter oder schwerer veränderbare
vorhanden sind, wird das Keimplasma im Ganzen vollständiger
oder weniger vollständig verändert werden.
Es bleibt allerdings noch manches Räthselhafte dabei. So
erfolgt die durch Wärme entstandene Umwandlung vieler der
[552] ursprünglichen rothgoldenen Flügelschuppen von Phlaeas in
schwarze nicht gleichmässig, also so, dass die ganze rothgoldene
Fläche der Oberseite der Flügel sich gleichmässig in Schwarz
umfärbte, sondern vielmehr so, dass gewisse Stellen zuerst sich
schwärzen, dann erst andere, benachbarte, und ganz zuletzt und
nur bei den allerschwärzesten Thieren die ganze Flügelfläche.
Die Schwärzung beginnt von den Rändern und der Wurzel des
Flügels, schreitet langsam gegen die Mitte vor, die sie bei den
meisten Thieren noch frei lässt. Nun müssen wir doch an-
nehmen, dass gleichgefärbte Schuppen auch gleichgebaute
Determinanten haben. Warum werden diese nun so ungleich
stark vom verändernden Einfluss der Wärme getroffen?
Aber auch hierbei lässt das bisher angewandte Erklärungs-
princip nicht ganz im Stich.
In dem Capitel über den Rückschlag wurde gezeigt, dass
neue Artcharaktere zwar durch Umänderung bestimmter Deter-
minanten oder Determinantengruppen entstehen, dass aber diese
Abänderung niemals die homologen Determinanten sämmt-
licher Ide des Keimplasma’s zugleich betrifft, dass vielmehr
angenommen werden muss, eine Abänderung beginne stets nur
mit einer kleinen Majorität abgeänderter Determinanten, nehme
dann aber durch Selection und Bevorzugung der am stärksten
abgeänderten Individuen so lange zu, bis schliesslich eine ganz
überwiegende Majorität sämmtlicher Ide die abgeänderte Deter-
minante enthält.
Dies heisst nun offenbar zugleich, dass junge Artcharak-
tere durch eine nur geringe Majorität abgeänderter
Determinanten vertreten sind, alte Artcharaktere aber
durch eine grosse. Wenden wir dies auf den Fall Phlaeas
an, so haben wir ein Princip gewonnen, mittelst dessen wir
ein ungleiches Einwirken der Wärme auf die Determinanten
der Mitte und der Randflächen des Flügels verstehen können.
[553] Denn es ist sehr unwahrscheinlich, dass die Oberfläche des
Flügels sich bei der braunen Stammform von Phlaeas ganz
gleichmässig in Rothgold umgefärbt hat; es ist viel wahrschein-
licher, dass zuerst ein verwaschener Fleck der Mitte durch
sexuelle Züchtung rothgolden wurde und sich dann gegen die
Ränder hin allmälig ausbreitete. Ist dies so gewesen, dann
müssen die rothgoldenen Schuppen der Mitte durch eine grössere
Majorität homodynamer Determinanten im Keimplasma ver-
treten sein, als die der Randflächen, und dann können wir ein-
sehen, warum die Schwärzung des Flügels zuerst die Seiten-
theile desselben ergreift und zuletzt erst die Mitte. Sobald die
alten „braunen“ Determinanten durch Wärme leichter in schwarze
umgewandelt werden, als die „rothgoldenen“, wird es so kommen
müssen. Mag aber diese Erklärung in diesem speciellen Falle
richtig sein, oder nicht, jedenfalls haben wir in der ver-
schieden starken Determinantenvertretung des glei-
chen Charakters an verschiedenen Körperstellen ein
Erklärungsprincip, welches uns die ungleiche Wirkung
gleicher Abänderungseinflüsse auf verschiedene Stellen
des Körpers verstehen lässt.
Wenn es nun auch keinem Zweifel mehr unterliegen kann,
dass klimatische und andere äussere Einflüsse dauernde Abände-
rungen an einer Art hervorzurufen vermögen, indem die lange
Zeit hindurch gleichsinnig einwirkende Ursache die erste leichte
Abänderung gewisser Determinanten verstärkt, und nach und
nach auch die schwerer veränderlichen Varianten der Determi-
nanten beeinflusst, so beruht doch die unendliche Mehrheit der
Abänderungen nicht darauf, sondern auf Selectionsprocessen. Es
fragt sich nun, in welcher Weise hier Variationen von solchem
Betrage entstehen, dass Naturzüchtung mit ihnen operiren
kann. Zunächst schaffen die äusseren Einflüsse nur kleinste
Schwankungen der Determinanten, und man wird annehmen
[554] dürfen, nicht nur einzelner, sondern aller Determinanten;
also ein Material kleinster Variationen der ver-
schiedensten Determinanten wird ununterbrochen vor-
handen sein.
Ich glaube nicht, dass das, was wir an Variationen sehen
können, schon das direkte Resultat jener kleinsten Schwankungen
der einzelnen Determinanten ist; sie können wohl erst das
Summationsprodukt vieler solcher Schwankungen sein.
Das geht unmittelbar aus der Theorie hervor. Da das Keim-
plasma aus vielen Iden besteht, deren jedes dieselbe Zahl homo-
loger Determinanten enthält, und da erst das Zusammenwirken
sämmtlicher homologer Determinanten den betreffenden Charakter
bestimmt, so könnte die Abänderung einer einzelnen Determi-
nante noch nicht sichtbar werden; erst eine grössere Zahl gleich-
sinnig oder doch ähnlich abgeänderter Determinanten wird den
betreffenden Charakter sichtbar verändern können.
Eine solche kommt nun, wie mir scheint, dadurch zu
Stande, dass vereinzelte homodyname Determinanten verschiedner
Ide und Individuen durch Reductionstheilung und Amphimixis
in einem Keimplasma vereinigt und zu einer Majorität ver-
bunden werden können.
Ich wähle ein einfaches Beispiel. Auf dem Festlande von
Europa fliegt Lycaena Agestis Hb., ein kleiner brauner Schmetter-
ling, der auf der Mitte der Flügel einen aus wenigen Schuppen
zusammengesetzten schwarzen Fleck besitzt. Nehmen wir an,
dieser Fleck werde nur von einer Determinante F bestimmt, und
das Keimplasma der Art enthalte 100 Ide, also auch 100 De-
terminanten F. Wenn nun durch Abweichungen der Ernährung
immerfort bald in diesem, bald in jenem Individuum einzelne
dieser Determinanten F derart abändern, dass sie einen weissen,
statt eines schwarzen Fleckes hervorbringen würden, falls sie in
der Majorität im Keimplasma wären, so kann dieser Fall, dass
[555] sie die Majorität bekommen, gelegentlich eintreten. Es können
durch Amphimixis die abgeänderten Determinanten F summirt
und im Laufe der Generationen in einem oder einigen Indivi-
duen bis über 50 gebracht werden. Dann wird der schwarze
Fleck weiss werden, und wir werden unter den Tausenden von
Individuen der Art einzelne finden mit dieser Abweichung.
Der weitere Verlauf der phyletischen Entwickelung hängt
dann von dem biologischen Werth des weissen Fleckes
für die Art ab. Hat er einen solchen, wenn auch nur in einem
sehr geringen Grade, so wird er sich langsam über eine grössere
Zahl von Individuen ausbreiten, und wird bei hinreichender
Zeit zuletzt auf alle Individuen sich übertragen müssen, d. h.
Artcharakter werden. Diese Ausbreitung würde ohne Amphi-
mixis kaum geschehen können, weil durch sie jede Minorität
von Determinanten F1, die sich irgendwo gebildet hat, zu einer
Majorität summirt werden kann, während sie sonst verloren
gehen müsste, da sie als Minorität nie zur Hervorbringung des
weissen Fleckes genügen würde.
Ich habe dieses Beispiel gewählt, weil es sich an That-
sachen anschliesst. Es giebt wirklich eine Abänderung von
Lycaena Agestis, welche an Stelle des schwarzen Fleckes in der
Mitte aller vier Flügel einen milchweissen besitzt; es ist die
Varietät Artaxerxes von Nord-England. Was dort dieser Ab-
änderung den Sieg verschafft hat, ob sexuelle Auswahl oder
irgend eine schützende Ähnlichkeit, kann unentschieden bleiben.
Eine Menge von Abänderungen von Art zu Art werden
lediglich auf der Abänderung einzelner oder vieler Determi-
nanten beruhen, Umfärbungen einzelner Theile oder des ganzen
Körpers können erfolgen, ohne dass die Gesammtzahl der De-
terminanten des Keimplasma’s zunimmt, aber — wie oben schon
gezeigt wurde — beruhen viele Abänderungen zugleich auf
einer Zunahme der Gesammtzahl derselben. Es wurde
[556] oben schon gezeigt, dass auch die Verdoppelung einer Determi-
nante des Keimplasma’s auf Ernährungseinflüsse bezogen werden
kann, und es wird somit die Anwendung der oben entwickelten
Principien auf die Vermehrung der Determinanten keiner
Schwierigkeit begegnen. Die bedeutenderen Abänderungen der
Arten, alle Vergrösserung von Theilen, alle Höher-Differen-
zirung von Organen muss damit verbunden sein, und die Sum-
mirung verdoppelter Determinanten einzelner Ide wird ebenso
wie die blos qualitative Abänderung derselben durch Reductions-
theilung und Amphimixis so lange summirt werden können,
bis die Abänderung sichtbar wird, und Naturzüchtung ein-
greifen kann.
Ganz etwas Anderes dagegen ist es mit der „Steigerung“
einer Eigenschaft, welche blos durch Verbindung zweier Eltern
entsteht, die sie in „geringerem“ Grade besassen. Eine Ver-
schmelzung der Anlagen einer „Eigenschaft“ beider Eltern, und
dadurch eine Steigerung der Anlage dieser Eigenschaft, wie man
sich dies bisher vorgestellt hat, giebt es offenbar nicht, sie wider-
spricht der einfachsten Erfahrung; denn könnten sich die Anlagen
der Eltern in diesem Sinne summiren, so müssten ja alle Theile
des Kindes doppelt so gross, oder doch grösser ausfallen, als
die der Eltern, was doch nicht der Fall ist. Wenn man aber
etwa antworten wollte, es sei nur die Differenz der Anlagen,
welche in Betracht käme, und das Kind erhielte die Summe
des Charakters der beiden Eltern durch zwei dividirt, so möchte
dies zwar der Wahrheit in manchen Fällen nahe kommen, aber
es bliebe dann wieder unerklärt, wieso eine Steigerung eines
Merkmals eintreten kann, und diese kann doch eintreten und
wird von den Züchtern künstlich herbeigeführt, indem sie Thiere
miteinander paaren, die beide schon einen gewissen Anfangs-
betrag der gewünschten Steigerung besitzen. Wenn aber zwei
Thiere, welche den Charakter a in der Steigerung 2 a besitzen,
[557] sich paaren, so würde nach obiger Formel das Kind
erhalten, d. h. wieder 2 a, also keine Steigerung. Dazu kommt
noch, dass der reale Sinn des Wortes „Halbirung“ dabei völlig
unklar bliebe. V. Hensen1) meinte, „die Eltern vererbten ihre
Eigenschaften halbirt“, da „nur so aus den beiden gleichen
halben Vererbungen das Gleiche entstehen könne“. In gewissem
Sinne ist er dabei auf der richtigen Spur, wie ich glaube, nur
nicht in dem Sinne, dass es sich dabei um die Halbirung einer
einheitlichen Anlage handelt.
Die Lösung des Räthsels liegt in der Vielheit der Ide
und Determinanten, und dem Auseinanderhalten des unbe-
stimmten Begriffes der „Eigenschaft“ und des bestimmten
der Determinate oder des Vererbungsstückes. Jede Determi-
nate wird durch so viele Determinanten bestimmt, als Ide im
Keimplasma vorhanden sind. Nun wird aber die Hälfte der
Ide jedes Elters durch die Reductionstheilung aus dem Keim-
plasma seiner Keimzelle entfernt, und damit auch die Hälfte
der homologen Determinanten jeder Art. Nicht etwa die
Hälfte der Anlagen wird dadurch beseitigt; im Gegentheil sehen
wir ja durch die „scheinbar einelterliche“ Vererbung, dass jeder
Elter die sämmtlichen Anlagen seines Organismus auf den Nach-
kommen überträgt; aber jede Anlage ist nur durch die
halbe Zahl von Determinanten vertreten.
Von dieser theoretischen Basis aus lassen sich die Er-
fahrungen der Züchter ganz wohl verstehen. „Gleiches mit
Gleichem verbunden giebt Gleiches“, so lautet ihr vor-
nehmlichster Erfahrungssatz, der überall da richtig sein wird,
wo zwei Individuen sich verbinden, die die betreffenden Cha-
raktere als von langeher überkommenes Erbstück besitzen. Denn
ein solches muss im Keimplasma in einer grossen Majorität
[558] von Iden durch homodyname Determinanten vertreten sein, wird
deshalb auch durch die Reductionstheilung aus keiner Hälfte
völlig entfernt werden, und wird somit in den meisten Fällen
auch im Kind wieder eine Majorität besitzen.
Die „Steigerung“ einer „Eigenschaft“ lediglich durch
Kreuzung beruht auf einer Ungenauigkeit des Ausdrucks. „Glei-
ches mit Gleichem giebt Gleiches“, nicht aber etwas Anderes;
darin stimmt die Theorie mit der Erfahrung überein. Steigerung
genau desselben Theiles, d. h. einer Determinate, oder ein und
derselben Gruppe von Determinaten lediglich durch Paarung
zweier Eltern, die denselben besitzen, ist theoretisch nicht wohl
denkbar. Wenn z. B. zwei Lycaena Agestis sich paarten, von
denen jedes einen weissen statt eines schwarzen Fleckes auf der
Mitte der Flügel hätte, so würde keiner der Nachkommen einen
doppelt so grossen, oder überhaupt nur grösseren Fleck besitzen
können, denn der Fleck wird durch eine oder mehrere homo-
loge Determinanten bestimmt, und wenn diese in der weissen
Abart in der Majorität sind, so kommt der Fleck weiss; die
benachbarten Determinanten können aber dadurch nicht ver-
ändert werden. Höchstens könnte der Fleck, falls er vorher
nur grau war, jetzt rein weiss werden, indem in den Eltern
noch eine relativ grössere Zahl „schwarzer“ Determinanten an
der Bestimmung des Fleckes Antheil nahm, welche jetzt durch
eine überwiegende Majorität „weisser“ Determinanten ganz von
der Bestimmung der Zellen ausgeschlossen werden.
Der Begriff der „Eigenschaft“ ist es, der hier den wirk-
lichen Sachverhalt verdunkelt. Schon in der Einleitung zu
diesem Buche wurde darauf hingewiesen, dass das Wort „Eigen-
schaft“ in Bezug auf Vererbung etwas sehr Verschiedenes meint.
Weissheit des Gefieders ist eine „Eigenschaft“, die ein Züchter
z. B. für eine zu bildende Rasse dadurch zu erzielen hofft, dass
er immer die möglichst weissen Vögel zur Nachzucht auswählt.
So paart er z. B. aus seiner bisherigen blauen Taubenrasse
[559] einen Vogel mit weissem Kopf mit einem, der einen weissen
Schwanz besitzt und erzielt dadurch vielleicht einzelne Junge,
die zugleich weissen Kopf und Schwanz besitzen. Hier findet
also eine Summirung der „Eigenschaften“ weisser Kopf und
weisser Schwanz statt. Die Federn beider Körperstellen haben aber
ihre eigenen Determinanten, und der idioplasmatische Vorgang
bei dieser Kreuzung ist nicht der, dass homologe Determinanten
sich summirt hätten, sondern dass die weisse Abart der De-
terminanten der Federn sowohl in Bezug auf den Kopf, als
auf den Schwanz die Majorität über die blaue Abart derselben
erhalten haben. Es ist keine Summirung von Gleich und Gleich,
sondern nur ein Sieg ähnlicher Determinanten an verschiedenen
Körperstellen.
Wie oft hat man sich nicht über den von Darwin mit-
getheilten Fall gewundert, dass zwei behaubte Kanarienvögel
nicht Junge gaben mit stärkerer Haube, sondern — öfters
wenigstens — mit Kahlköpfigkeit. Die „Haube“ der Vögel
beruht eben, wie Darwin selbst schon andeutete, auf schwächerer
Befiederung des Kopfes, die sich nun bei den Nachkommen zur
Kahlheit steigern kann. Hier steigert sich also thatsächlich
eine „Eigenschaft“, aber nicht die für den Züchter werthvolle
der „Haube“, sondern die „Kahlheit“. Idioplasmatisch wird
diese Steigerung ganz analog zu erklären sein, wie die Steigerung
des Charakters „Weiss“ bei dem Beispiel der Tauben; d. h. sie
beruht auf der Zusammenstellung von „Kahlkopfs-Determinanten“,
wenn ich mich so ausdrücken darf, von denen die einen vom
Vater herrühren und sich auf die Stelle a beziehen, die andern
von der Mutter auf die Stelle b. Beim Vater hatte die Stelle b
noch eine „Feder-Determinante“, bei der Mutter die Stelle a;
beim Kind sind zufällig durch die Reductionstheilung und nach-
folgende Amphimixis gerade für beide Stellen „Kahlkopfs-Deter-
minanten“ zusammengekommen.
[560]
Dass dem nicht immer so sein muss, erhellt aus der Theorie
und geht auch aus der Beobachtung hervor, nach welcher nicht
alle Jungen kahlköpfig werden.
Ganz ähnlich wird es sich verhalten, wenn es sich um
Vermehrung der Federn einer bestimmten Stelle handelt, wie
z. B. bei der Bildung der Rasse der Pfauentaube. Bekannt-
lich besitzt die heutige Pfauentaube bis zu 40 Steuerfedern im
Schwanz an Stelle der 12, welche die Stammform aufweist, und
die Rasse ist ohne Zweifel durch künstliche Züchtung entstanden,
und zwar dadurch, dass man immer die Tauben zur Nachzucht
auswählte, die eine Feder mehr besassen, als die übrigen. Die
Jungen werden dann häufig oder doch zuweilen noch mehr
Schwanzfedern besessen haben, als jeder der beiden Eltern. Aber
auch dies war dann nicht etwa eine „Kraftverstärkung“ einer
„Eigenschaft“, sondern es war Nichts als eine Zusammen-
tragung verschiedener neuer Federn auf ein Indivi-
duum. Gesetzt, der Tauber hätte zwei überzählige Federn ge-
habt, die an der Stelle a' und d' standen, zwischen den nor-
malen Federn a und b, und c und d; die Mutter hätte ebenfalls
zwei überzählige Federn gehabt, und zwar an der Stelle f' und h',
so könnte eines der Kinder eine Majorität der Determinanten
der überzähligen Federn sowohl des Vaters, als der Mutter in
seinem Keimplasma vereinigen und somit alle vier neuen Federn
aufweisen, und diese „Steigerung des Charakters“ der Vielfedrig-
keit des Schwanzes hat seinen Grund in der Constitution des
Keimplasma’s, kann also auf die folgende Generation vererbt
werden.
Gerade an diesem Beispiel aber tritt es klar hervor, dass
alles wirklich Neue nicht auf blosser Vererbung be-
ruhen kann, sondern auf Veränderung und häufig Ver-
mehrung der Determinanten. Solange es sich nur um die
blosse Ausbreitung einer „Eigenschaft“ über grössere Körper-
[561] stellen oder den ganzen Körper handelt, und sobald man dies
„Steigerung einer Eigenschaft“ nennen will, kann dieselbe in
der That durch Paarung solcher Individuen erzielt werden, die
die gewünschte „Eigenschaft“ an verschiedenen Stellen besitzen,
niemals aber kann auf diesem Wege allein eine Steigerung er-
zielt werden, die mit Neubildung von Theilen, also mit Ver-
mehrung der Determinanten im Keimplasma verbunden
ist. Sobald dies erfolgen soll, muss die Variation der Deter-
minanten selbst Grundlage der Abänderungen sein.
So kann im Beispiel der Pfauentaube nie eine neue Feder
durch blosse Vererbung entstehen, es können nur die bei den
Eltern schon vorhandenen neuen Federn sich im Kind combiniren.
Alles wirklich Neue kann nur auf vorausgehender Abänderung
im Keimplasma beruhen.
Ich wähle ein Beispiel aus dem Gebiet des sexuellen
Dimorphismus, weil wir da der phyletischen Veränderung
ganz sicher sind, lasse aber die Complication der sexuellen
Doppeldeterminanten bei Seite.
Die langen Schwanzfedern männlicher Kolibri-Arten
sind durch allmälige Verlängerung gewöhnlicher Schwanzfedern
entstanden, wie sie die Weibchen heute noch besitzen. Wie
oben schon erwähnt, beruht diese Verlängerung auf einer be-
deutenden Vermehrung der diese Feder ins Leben rufenden
Determinanten; der Process der Verlängerung setzt also voraus,
dass Id-Variationen sich der Selection darboten, welche statt
der bei der ursprünglichen Feder vorhandenen Zahl der Determi-
nanten deren mehr enthielten. Nun wurde oben bereits be-
sprochen, dass die durch ungleiche Ernährung hervorgerufenen
Schwankungen im Bau der Determinanten auch in einem
rascheren Wachsthum und einer früheren Theilung derselben sich
äussern können. Wenn also eine gewisse Zahl der Determinanten
der Feder, wie sie ursprünglich war, bei einzelnen Männchen
Weismann, Das Keimplasma. 36
[562] sich früh theilte und dadurch an Zahl verdoppelte, so wird dies
allsobald zu einer Verlängerung der Feder haben führen müssen,
sobald diese Verdoppelung nicht blos in einem oder wenigen
Iden, sondern in einer Majorität der Ide eintrat. Die Majorität
braucht aber nicht von vornherein in einem Individuum aufge-
treten zu sein, sondern sie kann, wie jede einfachere Variation
einer Determinante, sporadisch in einzelnen Iden verschiedener
Thiere entstanden, und dann durch die in jeder Generation sich
wiederholende Amphimixis summirt worden sein. Sobald dann
die Majorität der Ide in irgend einem Individuum erreicht war,
begann die Sichtbarkeit der Abänderung und damit die
Möglichkeit von Selectionsprocessen.
2. Pathologische Variation.
Einen wesentlichen Vortheil nach anderer Richtung bietet
diese theoretische Herleitung der „Steigerung“ eines Charakters,
den ich kurz hervorheben möchte. Sie lässt nämlich plötz-
liche Variationen grösseren Betrages zu. Wenn durch
stärkere Ernährung eine Determinante zur Verdoppelung im
Keimplasma gebracht werden kann, dann ist es nicht nur möglich,
sondern wahrscheinlich, dass viele oder alle dicht beisammen
liegenden Determinanten ein und derselben Feder verdoppelt
werden. Dadurch muss aber die Feder mit einem Male aufs
Doppelte wachsen. Mit Recht hat man oft gerade bei sexueller
Selection Bedenken getragen, den Züchtungsprocess mit ganz
kleinen Abweichungen beginnen zu lassen, die doch kaum vom
wählenden Geschlecht beachtet und bevorzugt werden könnten.
Die Determinantenlehre zeigt uns, dass wir auf solche kleinste
Variationen nicht zurückzugehen brauchen, dass grössere direkt
vom Keimplasma aus sehr wohl plötzlich entstehen können.
Es steht auch theoretisch der Annahme Nichts entgegen,
dass nicht blos Biophoren und Determinanten, Ide und Idanten
[563] sich durch Theilung verdoppeln können, sondern auch einzelne
zusammengehörige Gruppen von Determinanten, wie
sie als Anlage irgend eines Organs, z. B. einer Feder im
Keimplasma enthalten sein müssen. Doch ist dies eine jener
specielleren Fragen, auf die näher einzutreten späteren Unter-
suchungen vorbehalten bleiben kann. Ich halte es für sehr
möglich, dass manche angeborne Missbildungen auf einer
solchen Verdoppelung einer Determinantengruppe beruhen; so
z. B. die zuweilen vorkommende Verdopplung des Tarsus-
abschnittes bei Käfern und andern Insekten, vielleicht auch
die so viel besprochenen und umstrittenen überzähligen Finger
und Zehen beim Menschen. An und für sich wäre zwar
in der Auffassung dieser letzteren Erscheinung als Rückschlag
„auf einen enorm entfernten, niedrig organisirten und viel-
fingrigen Urahn“ nichts Unmögliches enthalten, da wir andere
Rückschläge auf weit zurückliegende Ahnenformen kennen.
Allein keiner der sicheren Fälle von Rückschlag auf Ahnen-
charaktere geht über so ungeheure Zeiten und Generationsfolgen
hinweg, wie sie in diesem Falle angenommen werden müssten.
Die Zebrastreifung der Maulthiere deutet auf einen Urahn der
Ordnung der Pferde zurück, und wir müssen daraus schliessen,
dass in einigen der heutigen Pferde und Esel immer noch
einzelne „Zebra-Determinanten“ im Keimplasma enthalten sind.
Noch weiter zurück reicht der oben besprochene Rückschlag
auf die dreizehigen Stammeltern der heutigen Pferde, aber noch
entferntere Rückschläge lassen sich wohl nicht mit irgend welcher
Sicherheit nachweisen, und es ist auch vom theoretischen Stand-
punkte aus nicht wahrscheinlich, dass sich von den so ungeheuer
weit zurückliegenden „Ursäugethieren“ noch irgend welche De-
terminantengruppen im Keimplasma des Menschen erhalten haben
sollten. Nun ist es aber nicht einmal gewiss, ob die Ursäuge-
thiere mehr Finger und Zehen gehabt haben, als fünf, und wir
36*
[564] wären gezwungen auf noch viel weiter zurückliegende Vorfahren
zurückzugehen, um die von Darwin gemachte und von Barde-
leben, Wiedersheim und Andern früher angenommene Deutung
der Polydactylie des Menschen zu stützen.
Dafür aber fehlt nicht nur jeder sichere Anhalt, sondern
es scheinen mir gewichtige Gründe dagegen zu sprechen. Ein-
mal ist doch nicht zu vergessen, dass jene Urahnen des Menschen
noch keine menschlichen Finger besessen haben; die überzähligen
Finger sind aber wirkliche Finger, nicht immer vollständig aus-
gebildet, aber doch mit dem typischen Nagel des Menschen,
nicht etwa mit einer Kralle versehen. Es scheint mir nicht
statthaft, anzunehmen, dass dieser überzählige Finger zwar durch
eine Determinantengruppe des Keimplasma’s vertreten sei, die
von einem Urahn herstammt, die dabei aber die Umwandlung
in den Typus des menschlichen Fingers durchgemacht habe.
Dazu kommt dann noch der Umstand, dass es Fälle von
Verdoppelung an Gliedmaassen giebt, die ihrer Natur nach nicht
atavistisch gedeutet werden können, denn Insekten z. B. haben
niemals doppelte Tarsen gehabt. Es muss also eine solche
Verdoppelung auch auf andere Weise entstehen können.
Ausserdem lässt sich die Plötzlichkeit des Auftretens der
Polydaktylie und ihre starke Neigung zu erblicher Übertragung
sehr wohl durch die Annahme verstehen, dass eine Verdoppe-
lung der betreffenden Determinantengruppe durch lokale excessive
Ernährungsverhältnisse hervorgerufen worden sei.1) Denn wenn
einmal eine solche Verdoppelung in vielen Iden des Keim-
[565] plasma’s eingetreten ist, so muss sie sich durch die Continuität
des Keimplasma’s auf die folgende Generation übertragen können,
und zwar um so sicherer, in je zahlreicheren Iden sie einge-
treten ist. Ich bin also ganz mit Ernst Ziegler einverstanden,
der die Polydaktylie auf eine Keimes-Variation bezieht; sie
muss darauf beruhen, überall wo sie vererbbar ist, sonst wäre
sie eben nicht vererbbar.
So versteht man auch, wieso die einmal entstandene und
durch einige Generationen hindurch weiter vererbte Polydaktylie
doch auch wieder verschwinden kann, denn da bei jeder neuen
Reductionstheilung die Zahl der abnormen Ide steigt oder sinkt,
so kann in letzterem Falle ihre Wirkung durch das Zusammen-
treffen mit lauter normalen Iden bei der Amphimixis völlig
herabgedrückt, und in der folgenden Generation auf immer elimi-
nirt werden. Wie jede individuelle Variation können sie in
einer Generation fehlen, in der folgenden wieder hervortreten,
aber bei fortwährender Kreuzung mit normalen Menschen ist
theoretisch zu erwarten, dass sie sich bald wieder vollständig
verlieren. Damit stimmt denn auch die Erfahrung, welche
überzählige Finger nie über fünf successive Generationen hinaus
auftreten sah.
Bekanntlich kann Variation nicht nur in einer Hinzufügung
von Theilen, sondern auch in einem Wegfallen von solchen
bestehen. Das Verkümmern von Theilen muss auf dem
Schwund der betreffenden Determinanten im Keimplasma be-
ruhen. In dem Capitel vom Rückschlag wurde schon zu zeigen
versucht, dass auch regressive Umwandlungen nicht in allen
Iden eines Keimplasma’s zugleich zu erfolgen brauchten, und
dass sich aus dem Übrigbleiben einer im Laufe der Zeit immer
kleineren Minorität solcher Determinanten der Rückschlag auf
längst geschwundene Charaktere der Vorfahren verstehen lässt.
Der Anlass zum Rückgang einer Determinante wird in schwächerer
[566] Ernährung gesucht werden müssen, welche für jede Determi-
nante genau eben so gut eintreten kann, wie stärkere. Findet
sie in einer Majorität von Iden direkt oder durch Summation
mittelst Amphimixis statt, so geht der durch diese Determi-
nanten bestimmte Charakter zurück, zunächst nur in dem be-
treffenden Individuum. Hat er aber keinen biologischen Werth
mehr, so wird er durch Panmixie sehr langsam zwar, aber doch
sicher in immer zahlreicheren Individuen herabgedrückt, bis er
verschwindet. Aber auch ein längst von der Oberfläche der
Art verschwundener Charakter kann in der Tiefe derselben, d. h.
in einzelnen Iden noch enthalten sein als noch nicht gänzlich
rückgebildete Determinante und kann, wie oben gezeigt wurde,
unter besonders günstigen Umständen das Wiederauftreten des
Charakters veranlassen.
3. Zusammenfassung und Folgerungen.
Fassen wir das bisher Gesagte kurz zusammen, so ist der
Beginn einer Variation unabhängig von Selection wie von
Amphimixis; er beruht auf den unaufhörlich wiederkehrenden
kleinen Unregelmässigkeiten der Ernährung des Keimplasma’s,
von welchen jede Determinante getroffen wird, bald in dieser,
bald in jener Weise, verschieden nicht nur bei verschiedenen
Individuen, sondern auch in den verschiedenen Regionen des
einzelnen Keimplasma-Baues. Diese Abweichungen sind zuerst
minimal, können sich aber summiren und müssen dies thun,
sobald die Ernährungs-Modificationen, welche sie hervorriefen,
durch mehrere Generationen hindurch fortdauern. Auf diese
Weise können Abweichungen im Bau einzelner Determinanten
und Determinantengruppen entstehen, vielleicht zwar nie in
allen Iden, aber doch in mehreren oder vielen zugleich. Auf
dieselbe Weise kann Verdoppelung gewisser Determinanten des
Keimplasma’s entstehen. Amphimixis wird bei der Summirung
[567] solcher abgeänderter Determinanten eine bedeutsame Rolle spielen,
indem sie die bisherige Minorität derselben in den beiden Eltern
durch Combination ihrer Keimplasma-Hälften zur Majorität er-
heben kann. Dann erst beginnt Selection einzugreifen.
Die ausserordentliche Bedeutung der geschlechtlichen Fort-
pflanzung für die Umwandlungsprocesse wird aber erst in ihrem
vollen Umfange ersichtlich, wenn man sich klar macht, dass es
sich in der Natur selten oder nie nur um eine einzelne Ab-
änderung handelt, vielmehr meist um viele zugleich. Nur
durch Amphimixis war es möglich, den Selections-
processen stets so mannigfaltige Combinationen aller
Charaktere darzubieten, dass die richtige Auswahl
getroffen werden konnte. Wenn meine seit lange schon
festgehaltene Ansicht richtig ist, so kommt es überhaupt nie
vor, dass nur ein Charakter gezüchtet wird, sondern der ge-
sammte Complex sämmtlicher Charaktere einer Art unterliegt
unausgesetzt der Controle der Naturzüchtung, und sowohl die
Constanz der augenblicklichen Artcharaktere, als die Beseitigung
überflüssig gewordener, als schliesslich die Umwandlung vor-
handener und Hervorrufung neuer Charaktere beruht auf der
nie rastenden oder aussetzenden Controle der Auslese. Dies
ist nur denkbar bei fortwährender Vermischung aller vorkom-
menden Modalitäten dieser Charaktere und diese kann nur durch
Amphimixis bewirkt werden. Wenn deshalb Amphimixis auch
nicht die tiefste Wurzel der individuellen Variation sein kann,
so ist sie doch für die Selection eine unerlässliche Voraussetzung,
denn sie allein combinirt erst das Material an Variationen der-
art, dass Selection damit operiren kann.
Die hier vorgetragene Theorie der Variation giebt noch
nach einer andern Seite hin befriedigendere Auskunft, als sie
von anderer Basis aus möglich ist. Wer die unbegrenzte Menge
der Anpassungen der Organismen an ihre Lebensbedingungen
[568] überblickt, der ist immer wieder von Neuem überrascht von
der wunderbaren Plasticität der Arten. Man hat den Eindruck,
als könne jede, auch noch so unerwartete Abänderung von einer
Art hervorgebracht werden, sobald sie nur der Art von Nutzen
sein kann. Denkt man allein an die Nachahmungen von Pflanzen
und Pflanzentheilen durch Thiere in Farbe, Gestalt und Zeichnung,
oder an die andrer Thiere, so möchte man glauben, dass jeder
Theil eines Thieres je nach Bedürfniss in diese oder jene Form ge-
bracht, in beliebiger Weise gefärbt und gezeichnet werden könnte.
Gewiss ist dies nicht wörtlich zu nehmen; nicht Alles ist
möglich, aber doch so Vieles, dass man diese unzähligen An-
passungen unmöglich auf seltene, zufällig einmal vor-
kommende Variationen beziehen kann. Die nöthigen Varia-
tionen, aus denen Selection ihre Umwandlungen zusammen-
setzt, müssen immer, und an vielen Individuen wieder
und wieder sich darbieten.
Ein solches immer fluctuirendes Material primärer Varia-
tionen geht aber aus der hier vorgetragenen Theorie von selbst
hervor. Es muss darnach ein jeder Theil einer Art, jede
„Determinate“, im Laufe der Generationen jede überhaupt
mögliche Variante darbieten, immer wieder in andern Individuen,
und bald durch eine grössere, bald durch eine kleinere Majo-
rität von abgeänderten Iden gestützt. Da absolut gleiche Er-
nährung der homologen Determinanten weder in den verschie-
denen Individuen, noch in den verschiedenen Iden desselben
Keimplasma’s überhaupt denkbar ist, und da jede noch so kleine
Variation einer Determinante nicht von selbst, und auch nicht
mit ihrem Träger, dem Individuum wieder verschwindet, sondern
direkt in das Keimplasma der nächsten Generation übergeht,
so kann es nie an Variationen jeder Determinante fehlen, und
das geforderte Material an allen möglichen Variationen aller
Theile erscheint theoretisch begründet.
[569]
Ehe ich auf die Veränderungen eingehe, welche das Keim-
plasma als Ganzes bei der Artumwandlung erleiden muss,
möchte ich einem Einwurf begegnen, der gemacht werden könnte.
Wenn alle Determinanten unausgesetzt kleinen Ernährungs-
differenzen und damit kleinen Variationen unterworfen sind,
woher kommt dann die so überaus grosse Hartnäckigkeit, mit
welcher die Species sich erhält, ohne ihren Typus zu verändern?
woher die Constanz der Species? man sollte denken, dass
dann alle organischen Formen sich in einem fortwährenden
Fluss befinden müssten, dass keine Form und kein Organ lange
Bestand haben könnte.
Ich glaube, man vergisst dabei Mehrerlei. Einmal steht
jede Art unter unausgesetzter Controle der Naturzüchtung, wie
man am besten aus dem Verkümmern bedeutungslos gewordener
Theile sieht. Nachdem, wie mir scheint, die alte Annahme
von der Vererbung somatogener Abänderungen endgültig auf-
gegeben werden muss, bleibt zur Erklärung dieser Rückbildung
Nichts übrig, als Panmixie, d. h. Aufhören der Controle der
Naturzüchtung bei dem nicht mehr nützlichen Theil. Daraus
aber, dass diese Rückbildung immer eintritt, dürfen wir schliessen,
dass Schwankungen in den Determinanten immer und überall
vorkommen, daraus aber, dass die Rückbildung immer sehr lang-
sam vor sich geht, schliesse ich weiter, dass trotz ihrer Häufig-
keit diese Schwankungen nur sehr allmälig zu sichtbaren
Variationen sich häufen.
Wie gleich Anfangs gesagt wurde, müssen wir uns die
einzelnen Schwankungen der Determinanten ungemein klein vor-
stellen. Direkt könnte Naturzüchtung Nichts mit der einzelnen
Variation anfangen; sie könnte sie nicht summiren; die Summi-
rung kann lediglich durch Amphimixis bewirkt werden, und ich
möchte annehmen, dass darin die eine Hälfte ihrer Bedeutung
liegt. Sie kann Minoritäten abgeänderter Determinanten zu
[570] Majoritäten summiren, indem sie die Keimplasma-Hälften zweier
Individuen mischt. Sie kann aber auch nivelliren und aus-
gleichen, indem sie je nach Zufall die gleichsinnig abgeänderten
Determinanten eines Individuums wieder zerstreut mittelst der
Reductionstheilung.
Man darf auch nicht vergessen, dass die kleinen primären
Abänderungen einer Determinante durchaus nicht immer in der-
selben Richtung weiter gehen müssen; entgegengesetzte Er-
nährungseinflüsse werden sie häufig wieder zurückbilden. Erst
wenn sie durch längere Zeit anhaltende gleiche Einflüsse einen
stärkeren Betrag von Abänderung erreicht, und wenn zugleich
die homologen Determinanten mehrerer Ide gleichsinnig ab-
geändert haben, wird die Variation durch Amphimixis summirt
sichtbar werden können. Und auch dann bildet sie noch keines-
wegs einen dauernden Besitz der Art, sondern darüber, ob sie
dies werden soll, entscheidet nun Naturzüchtung.
So sind also einer steten Veränderung der Arttypen mehrere
Reihen starker Riegel vorgeschoben.
Wenn nun gefragt wird, welche Veränderungen das
Idioplasma erleidet bei der Umwandlung der Arten,
so ist darüber Einiges schon im Capitel über den Rückschlag
gesagt, und ich will es hier nur nochmals zusammenfassen.
Die Artumwandlung beruht auf Änderung einzelner, vieler,
häufig wohl auch der meisten Determinanten. Es giebt viele
Arten, bei denen kein Charakter genau dem einer verwandten
Art gleicht, und dann würden also alle Determinanten ver-
schieden sein. Dies besagt aber nur, dass die sämmtlichen
Determinanten a—x in der Majorität der Ide abgeänderte
sind; in einer Minorität aber werden sie die unveränderten
Stamm-Determinanten sein. Je mehr die Umwandlung einer Art
vorschreitet, um so zahlreichere Determinanten werden umgewan-
delt, und in um so zahlreicheren Iden. Dennoch liegt es gerade in
[571] dem alles beherrschenden Selectionsprincip selbst, dass die Um-
wandlung aller Ide nur äusserst langsam erfolgt, dass also das
Keimplasma einer jungen Art oft noch ganze unabgeänderte Ide
der Stammart enthalten kann, ältere Arten aber wenigstens doch
noch einzelne unabgeänderte Determinantengruppen in manchen
Iden. Darauf allein beruht die Möglichkeit des Rückschlages.
Wenn mir also vor Kurzem die Alternative gestellt worden
ist, ich müsste vom Boden meiner Theorie aus entweder an-
nehmen, dass das Keimplasma eines höheren Thieres aus Iden
der primitiven Protozoen-Vorfahren bestehe1), oder aber dass
jedes Id dem jetzigen Charakter der Species entsprechend ge-
baut sei, so steht meine wirkliche Ansicht in der Mitte: das
Keimplasma einer Art besteht immer zum grösseren Theil aus
den Art-Iden, zwischen welchen aber einige mehr oder weniger
intakte Vorfahren-Ide enthalten sind, und zwar um so zahl-
reichere, je jünger die Art ist. Das Keimplasma verändert sich
von Art zu Art, und muss bei höheren Arten ein ganz anderes
sein, als bei niederen, aber seine Umwandlung geht nicht in
allen seinen Iden gleich rasch vor sich, einige hinken nach,
wandeln sich erst allmälig um, oder werden unverändert durch
Äonen mitgeschleppt, bis sie schliesslich durch den Zufall der
Reductionstheilungen ganz beseitigt werden.
Man darf wohl sagen, dass dies eine Unvollkommenheit
des Umwandlungsprocesses der Arten bedeute, denn die Mög-
lichkeit des Rückschlages kann kaum als eine für die Art nütz-
liche Einrichtung betrachtet werden, und ebensowenig das Mit-
schleppen unwirksamer Vorfahren-Ide im Keimplasma. Aber
keine Einrichtung in der Natur ist absolut vollkommen, nicht
[572] einmal das wunderbar hoch entwickelte Auge des Menschen;
Alles ist nur möglichst vollkommen, so vollkommen, als es
mindestens sein musste, um zu leisten, was es leisten sollte.
So wird es auch mit dem Umwandlungs-Mechanismus der Arten,
sich verhalten, er ist gerade so vollkommen, als er sein muss,
um diese Umwandlung zu Stande zu bringen.
4. Variationen grösseren Betrags.
a. Ihre Entstehung.
Wir haben bisher vorwiegend die individuelle Variation,
wie sie sich überall darbietet, ins Auge gefasst, jene kleinen
erblichen Abweichungen, welche ein Individuum vom andern
trennen. Es ist aber nicht zu bezweifeln, dass gelegentlich und
meist ganz plötzlich Variationen grösseren Betrages auftreten,
auch nur an einzelnen Individuen und meist vererbbar. Zahlreiche
Beispiele dieser Art sind von Darwin gegeben worden. Wenn
auch der „schwarzschultrige“ Pfau auf Rückschlag auf eine un-
bekannte Stammform beruhen sollte, so bleiben doch noch viele
wohlbezeugte Fälle übrig, in denen irgend ein Theil einer Art
sich plötzlich in beträchtlichem Maasse veränderte. Wie weit
solche Veränderungen bei der Entstehung neuer Arten mitspielen,
kommt hier nicht in Betracht, vielmehr nur die Ursachen und
der Modus ihrer Entstehung.
Besonders bei Pflanzen sind zahlreiche solche Fälle bekannt
geworden; sowohl Früchte, als Blätter, Blüthen und ganze
Sprossen haben gelegentlich plötzlich in stärkerem Betrage
variirt. Dahin gehören manche Abarten von Früchten, wie
z. B. die als Nektarinen bezeichneten Pfirsiche, dahin die Moos-
rosen, die Blutbuchen, Bluthasel u. s. w., ferner die Abarten
der Buche, Hainbuche, Eiche, des Ahorns mit farnkrautartig
zerschlissenen Blättern und zahlreiche andere Abarten der in
unsern Gärten angepflanzten Gewächse.
[573]
Theilweise sind diese Abarten zuerst an Sämlingen, also
an ganzen Pflanzen aufgetreten, theilweise aber auch an einzelnen
Zweigen oder Sprossen, und die Letzteren bezeichnet man als
Knospen-Variationen.
Ich beginne mit den aus Samen entstandenen Abarten.
Die häufigsten solcher Abarten bilden sich an Kulturpflanzen,
d. h. Arten, welche lange Zeit unter Bedingungen gestanden
haben, die mehr oder weniger von ihren natürlichen Lebens-
bedingungen abweichen. Man hat deshalb gewiss mit Recht
den Einfluss abweichender äusserer Einflüsse als die Ursache
der Abänderung angesehen. Aber eine wilde Pflanze, welche in
Gartenland verpflanzt wird, variirt keineswegs immer sofort,
sondern, wie die mitgetheilten Versuche Hoffmann’s gezeigt
haben, es dauert oft viele Generationen lang, ehe sich stärkere
Variationen zeigen, und auch dann keineswegs an allen Säm-
lingen, sondern vielleicht nur an einem unter Hunderten oder
Tausenden.
Hier, wie bei der gewöhnlichen individuellen Variation
geringen Betrages bereitet sich die Abänderung langer Hand
vor, ehe sie sichtbar wird. Zuerst ändern wenige, dann zahl-
reichere Determinanten ab, um schliesslich einmal in irgend
welchen Keimzellen durch den Zufall der Reductionstheilung
so gehäuft zu werden, dass sie mit Hülfe von Amphimixis die
Majorität erlangen. Dass solche Variationen, stärkeren Betrages
sind, als die gewöhnlichen Variationen wird auf der dauernden
Einwirkung der gleichen Ernährungs-Modification beruhen,
die die dafür empfänglichen Determinanten in derselben
Richtung der Abänderung festhalten und so eine Steigerung zu
Stande bringen, welche bei den gewöhnlichen, stets wechselnden
Ernährungs-Ungleichheiten fehlt. Die von Darwin1) hervor-
[574] gehobene „accumulative Wirkung veränderter Lebens-
bedingungen“ findet so ihre theoretische Begründung in der
Continuität des Keimplasma’s; dieselben Determinanten, welche
in der ersten Generation abänderten, fahren fort in derselben
Richtung weiter abzuändern, in der zweiten und dritten Gene-
ration.
Recht interessant sind in dieser Beziehung Versuchsreihen,
die Professor Hoffmann seit vielen Jahren im Botanischen
Garten zu Giessen angestellt hat, und von welchen ich hier
einige anführen möchte.
Verschiedene Pflanzen von normalem Blüthenbau wurden
eine Reihe von Generationen hindurch stark veränderten Lebens-
bedingungen ausgesetzt, sie wurden z. B. als sog. „Dichtsaat“
in kleinen Töpfen aufgezogen, wobei die Pflanzen sich gegen-
seitig in der Nahrung beschränken, also dürftig ernährt werden.
Bei dieser Behandlung zeigte sich nun bei einigen Arten, so
bei Nigella damascena, Papaver alpinum, Tagetes patula, mehr
oder weniger häufig eine Anzahl von atypischen, d. h. in diesem
Falle von gefüllten Blüthen. Dass nun diese Abweichungen
vom Typus nicht auf direkter Wirkung der abnormen Er-
nährungsbedingungen auf das Soma der Pflanzen beruht, sondern
auf einer Einwirkung auf das Keimplasma, geht daraus hervor,
dass sie niemals schon in der ersten Generation auftraten.
Samen von normal blühenden, wilden Pflanzen verschiedener
Arten wurde in Gartenland, oder gar in Töpfen unter Dichtsaat
zur Entwicklung gebracht, aber keine von allen aus diesen
wilden Samen erzielten Pflanzen trug eine einzige ge-
füllte Blume. Erst im Laufe mehrerer, oft zahlreicher Gene-
rationen traten einzelne oder zahlreichere gefüllte Blüthen, zuweilen
auch Abänderungen der Blätter oder der Blüthenfarbe auf. Diese
Thatsache lässt, wie mir scheint, nur die eine Erklärung zu,
dass die veränderten Bedingungen zunächst nur unsichtbare
[575] Veränderungen im Keimplasma der einzelnen Pflanze hervor-
riefen, Abänderungen z. B. der Determinanten der Blüthen oder
Blätter, aber nicht gleich in allen, sondern zunächst nur in
einzelnen Iden. Diese abgeänderten Determinanten wurden
durch die Continuität des Keimplasma’s auf die folgende Gene-
ration übertragen, da aber in dieser die Abänderungsursachen
noch fortwirkten, so veränderten sich die homologen Determi-
nanten noch einiger anderer Ide, und so nahm die Zahl der
abgeänderten Determinanten der Blüthe oder der Blätter langsam
zu, so lange, bis schliesslich einmal ihre Zahl die der normalen
Determinanten übertraf, und so die Abnormität sichtbar wurde
als Variation der Blüthe oder des Blattes.
Ich hebe diese Fälle besonders auch deshalb hervor, weil
hier sicherlich Naturzüchtung nicht mit hereinspielt, denn
wir haben es ja mit Versuchen zu thun, nicht mit den natür-
lichen Lebensbedingungen. Die Steigerung der unsichtbaren
Abänderung des Keimplasma’s war natürlich keine stetige, in-
sofern Reductionstheilung und Amphimixis in jeder Generation
von Neuem mit hineinspielten und einerseits starke Herab-
setzung der abgeänderten Determinanten, andererseits plötzliche
Vermehrung, Verdoppelung oder noch stärkeres Anwachsen der-
selben hervorbringen konnte. Gerade daraus sind die Einzel-
heiten in dem Auftreten der abnormen Blüthen und Blätter
sehr schön zu verstehen. Im Allgemeinen nahm nämlich die
Zahl derselben im Laufe der Generationen zu, aber nichts we-
niger als constant. So ergab z. B. Dichtsaat bei einer Reihe
von vier Generationen bei Nigella damascena:
- 1883: keine gefüllten Blüthen,
- 1884: „ „ „
- 1885: 23 typische und 6 gefüllte Blüthen, also das Verhält-
niss von 100 : 26, - 1886: 10 typische und 1 gefüllte Blüthe, also wie 100 : 10.
[576]
Nicht immer blieb eine gewisse Zahl der gefüllten Blüthen
dauernd erhalten, in manchen Fällen verschwanden sie voll-
ständig wieder. So bei Papaver alpinum, welches Hoffmann
schon seit 1862 in ununterbrochener Generationsfolge cultivirt
und bei welchem sich schon 1882 „eine geringe Variabilität
der Blattform, eine grössere der Blüthenfarbe“ eingestellt hatte.
Von 1882—1886 wurden diese Versuche fortgesetzt und ergaben
folgendes Verhältniss der normalen zu den gefüllten Blüthen:
- 1881 wie 100 : 40,0,
- 1882 „ 100 : 4,0,
- 1883 „ 100 : 5,3,
- 1884 „ 100 : 13,0,
- 1885 „ 100 : 0,0,
- 1886 „ 100 : 0,0.
Das gänzliche Verschwinden abnormer Blüthen in den beiden
letzten Jahren scheint zuerst räthselhaft, erklärt sich aber sehr
einfach, wenn man bedenkt, dass keine künstliche Befruchtung
stattfand, sondern natürliche, dass also beliebige Pflanzen mit-
einander sich mischten, und wenn man ferner erwägt, dass jede
Reductionstheilung und nachfolgende Amphimixis das Resultat
haben konnte, die abgeänderten Determinanten in die Minorität
zu setzen, ja gänzlich aus dem Keimplasma zu entfernen. Nun
erfolgte die Veränderung der Determinanten offenbar sehr lang-
sam, wie die geringe Zahl abgeänderter Blüthen in den meisten
Jahren zeigt, die Aussicht, dass Keimzellen bei der Amphi-
mixis sich vereinigten, in welchen wenige oder keine abgeänder-
ten Determinanten enthalten waren, muss also stets sehr gross
gewesen sein.
Hätte man künstliche Befruchtung vorgenommen und dazu
immer abnorme Blüthen gewählt, so würde es leicht gewesen
sein, die Art im Laufe einer nicht allzu langen Generations-
reihe vollständig in die Abänderung überzuführen und dies
[577] würde dann eine Illustration zum Verfahren der Naturzüchtung
gewesen sein. Noch leichter würde eine Züchtung in um-
gekehrtem Sinne gelungen sein, so nämlich, dass die Art con-
stant geblieben, und alle fernere Variation nach dieser Richtung
unterdrückt worden wäre. Denn offenbar erfolgte hier die Ver-
änderung schwer und langsam, und die meisten Determinanten
waren wenig disponirt zu ihr, wie denn gerade diese Versuche
aufs Neue den oben aufgestellten Satz erhärten, dass die Ele-
mente des Keimplasma’s sich nur schwer und langsam ver-
ändern; sie schwanken nur in winzigen Oscillationen hin und
her, aber es bedarf langer Einwirkung immer wieder in gleicher
Richtung wirkender Abänderungs-Einflüsse, ehe sie dauernd
eine grössere Veränderung annehmen.
Gewiss ist damit nicht gesagt, dass es nicht auch Ein-
flüsse des Mediums und der Ernährung giebt, welche bei langer
Einwirkung im Stande sind, die Determinanten gewisser Körper-
theile in ihrer grossen Mehrzahl zu verändern und so rein
klimatische Variationen hervorzurufen, an deren Entstehung
Naturzüchtung keinen Antheil hat. Viele, vielleicht die meisten
„klimatischen“ Abarten werden deshalb mit Recht ihren Namen
tragen.
Aber nicht nur bei geschlechtlich erzeugten ganzen
Pflanzen treten solche sprungweise Varianten auf, sondern auch
bei einzelnen Sprossen einer Pflanze. Diese Knospen-Varia-
tionen kommen selten vor, wo sie aber vorkommen, lassen sie
sich durch Stecklinge oder Pfropfreiser vervielfältigen, manch-
mal auch durch Samen.
Als ich vor einer Reihe von Jahren die Ansicht geäussert
hatte, dass die geschlechtliche Fortpflanzung in die lebende
Natur eingeführt sei, um die Variabilität zu erhalten, welche
von den Urwesen her vorhanden sei, da hielt man mir von
mehreren Seiten her die Thatsachen der Knospen-Variation ent-
Weismann, Das Keimplasma. 37
[578] gegen, als eines Beweises, dass Variabilität entstehen könne
auch ohne geschlechtliche Fortpflanzung. Ich habe damals das
Variiren des Keimplasma’s selbst durch direkt wirkende Ein-
flüsse gewiss noch nicht hoch genug angeschlagen, wie ich
oben schon bekannt habe, aber ein Beweis, dass Variation ohne
Amphimixis vorkommt, liegt in den Knospen-Variationen den-
noch nicht; denn alle die Pflanzen, an welchen Knospen-Varia-
tion beobachtet wurde, pflanzen sich geschlechtlich fort, und
enthalten somit in ihrem Idioplasma individuell verschiedene
Ide und Determinanten, deren verschiedene Mischung und ver-
schiedenes Verhalten beim Wachsthum allein schon eine Grund-
lage für Variationen abgeben würde.
Ich glaube auch in der That, dass diese ungleiche Zu-
sammensetzung des Keimplasma’s, wie sie durch Amphimixis
bedingt wird, bei der Knospen-Variation wesentlich mitspielt,
wenn sie auch hier so wenig, als bei der gewöhnlichen indi-
viduellen Variation den ersten Anstoss zur Variation giebt.
Aber selbst Pflanzen, welche lange Zeit hindurch nur durch
Knospen und Sprosse fortgepflanzt wurden, wie die Kartoffel
und das Zuckerrohr, müssen deshalb doch ein aus verschieden-
artigen Iden zusammengesetztes Keimplasma besitzen; denn sie
pflanzten sich vorher auf geschlechtlichem Wege fort, und die
dadurch entstandene mannigfaltige Mischung ihres Determi-
nanten-Materials kann sich während der Zeit ihrer ungeschlecht-
lichen Vermehrung nicht wesentlich verändert haben. Ihr Keim-
plasma muss also der Variation weit günstigere Aussichten
bieten, als es ein aus identischen Iden, oder nur aus einer
Id-Art zusammengesetztes Keimplasma thun würde, falls ein
solches existirte.
Die letzte Ursache der Knospen-Variation muss dieselbe
sein, wie bei der Variation aus Samen, d. h. Ungleichheit
der Ernährung des Keimplasma’s, das Wort „Ernährung“
[579] in seiner weitesten Bedeutung genommen, also inclusive Tem-
peratur-Verschiedenheiten u. s. w. Für diese Auffassung spricht
nicht nur theoretische Überlegung, welche dieser Annahme nur
die einer innern phyletischen Entwickelungskraft gegenüber zu
stellen hätte, sondern auch die Erfahrung. Denn alle Be-
obachtungen stimmen darin überein, dass Knospen-Variationen
am leichtesten vorkommen, wenn eine Pflanze in abnormale
Lebensbedingungen versetzt, vor Allem, wenn sie cultivirt wird.
Da die direkte Veränderung des Soma’s, wie solche Bedingungen
sie hervorrufen, nicht erblich sind (Nägeli) und es nicht sein
können, da somatische Abänderungen nur dann vererbt werden,
wenn sie vom Keim ausgehen, so bleibt nur die Annahme einer
Abänderung einiger oder vieler Determinanten des Keimplasma’s
durch Ungleichheiten der Ernährung übrig.
Dafür, dass Knospen-Variationen aus derselben Wurzel
hervorgehen, wie Samen-Variationen, spricht auch die Beobach-
tung, dass stets solche Arten am häufigsten Knospen-Varia-
tionen hervorbringen, welche auch durch Samen schon vielfach
variirt haben (Darwin a. a. O.), das heisst also, idioplasmatisch
ausgedrückt: solche Arten, deren homologe Determi-
nanten schon recht verschiedenartig sind.
Damit indessen, dass wir diese Variationen auf Ernährungs-
Einflüsse beziehen, welche irgend welche Determinanten des
Keimplasma’s im Laufe ihres Wachsthums und ihrer Vermehrung
zu zuerst leichten, dann bei Andauern desselben Einflusses
stärkeren Abweichungen veranlassen, ist der Vorgang noch
nicht völlig aufgeklärt. Vielmehr tritt zunächst die Frage uns
entgegen, wieso denn durch die Abänderungs-Einflüsse nur eine
bestimmte Knospe verändert werden kann, während alle andern
unverändert bleiben, die doch von demselben Einfluss getroffen
werden. Es muss also zu dem abändernden Einfluss noch Etwas
hinzukommen, damit Abänderung wirklich eintrete.
37*
[580]
Wenn man erwägt, dass Knospen-Variation gelegentlich
auch an Pflanzen vorkommt, die wild wachsen, oder die sich
doch, wie die Waldbäume unserer Parks, in nahezu denselben
Bedingungen befinden, wie viele wildwachsende, so wird man
noch mehr bestärkt darin, dass die Ernährungsdifferenzen zwar
wohl die letzte Ursache der Knospen-Variation sind, dass aber
sie allein solches Variiren noch nicht zu Stande bringen.
Ich denke mir den Vorgang in folgender Weise. Ganz wie bei
der gewöhnlichen individuellen Variation bildet sich auch die
Grundlage der Knospen-Variation aus jenen kleinen Schwan-
kungen des Baues, welchen alle Determinanten durch die minu-
tiösen und unvermeidlichen Schwankungen jeder Ernährung aus
gesetzt sind. Ganz wie bei jenen werden die homologen Determi-
nanten der verschiedenen Ide ungleich davon betroffen, die einen
stärker, die andern schwächer oder gar nicht. Ein Unterschied
liegt aber darin, dass hier der gleiche Abänderungseinfluss,
z. B. allgemeine bessere Ernährung lange Zeit andauert, durch
mehrere Generationen. Dadurch kann, wie bei der Samen-
Variation ein grösserer Betrag der Abänderung bei denselben
Determinantenarten erzielt werden.
Soweit fällt der Vorgang mit der sprungweisen Abänderung
bei Sämlingen zusammen. Der Unterschied von dieser aber
liegt darin, dass hier keine Amphimixis stattfindet, denn die
variirende Knospe entsteht eben nicht aus dem Keimplasma
eines Samens, sondern aus Knospen-Keimplasma. Dieses
leitet sich direkt aus einem Samen-Keimplasma ab, nämlich aus
dem Samen, aus welchem die betreffende Pflanze selbst hervor-
wuchs, oder doch eine ihrer Vorfahren, falls sie selbst aus
Stecklingen erzogen wurde. Wenn nun auch irgend eine De-
terminante N in einigen Iden während des Wachsthums des
Baumes in derselben Richtung variirt hat, so z. B., dass sie
statt zu grünen, zu rothen Blättern hinführen würde, so
[581] könnten doch keine rothen Blätter entstehen, wenn nicht
alle oder doch eine Majorität dieser Determinanten N nach
der Variation „Roth“ abgeändert hätten. Läge zwischen dem
Keimplasma der Knospe und ihrem Auswachsen zum Spross
eine Reductionstheilung, dann könnte auch eine Minorität von
„rothen“ Determinanten zur Majorität in einer der beiden
Tochterzellen werden, aber gerade diese fehlt bei der gewöhn-
lichen Vermehrung der Zellen.
Daraus nun, dass Knospen-Variationen überhaupt selten
sind und noch mehr daraus, dass es meist nur eine Knospe
unter vielen Tausenden derselben Pflanze, z. B. eines Baumes
ist, welche in dieser oder jener Weise variirt, z. B. rothe Blätter
hervorbringt, während doch die veränderten Bedingungen alle
Knospen zugleich treffen, schliesse ich, dass die überall im
Baume enthaltenen abgeänderten Determinanten gelegentlich
durch eine abnormale, ungleiche Kerntheilung zur
Majorität gelangen können. Geschieht dies in der Scheitel-
zelle1) einer Knospe, so wird der daraus hervorwachsende Spross
theils grüne, theils rothe Blätter haben müssen, weil sich dann
der Voraussetzung gemäss „grüne“ und „rothe“ Determinanten
der Scheitelzelle bei der Zelltheilung trennen, wenigstens nach
Majoritäten, weil aber jede Gruppe in verschiedenen Blättern
zur Geltung kommen muss. Geschieht die Trennung schon
früher, vor Bildung der Scheitelzelle, also noch im Cambium,
so kann aus der Zelle, welche bei der ungleichen Kerntheilung
die „rothe“ Hälfte erhält, ein Spross hervorgehen, der nur rothe
Blätter enthält.
Die Annahme enthält nichts Unmögliches; bei dem com-
[582] plicirten Apparat, der die mitotische Kerntheilung ausführt, sind
Unregelmässigkeiten in der Ausführung möglich, in einzelnen
Fällen sogar beobachtet, und selbst die Möglichkeit einer
direkten Kerntheilung wäre nicht ganz in Abrede zu stellen.
Doch bin ich weit entfernt, diese Hypothese für eine gesicherte
zu halten und gebe sie nur als einen Versuch.
Nägeli war schon der Meinung, dass alle Abänderungen
langsam und im Laufe der Generationen sich im Idioplasma
vorbereiteten ehe sie zu Tage träten, und bezog sich dabei auch
gerade auf die Knospen-Variationen. Ich stimme dem voll-
kommen bei, und habe oben schon mehrfach gezeigt, wie solche
allmälige „Umstimmungen“ des Keimplasma’s oder einzelner
Theile desselben sich gewissermassen von selbst aus dem von
mir angenommenen Bau des Keimplasma’s ergeben. Bei Knospen-
Variationen können diese unsichtbaren Vorbereitungen viele
Generationen weit hinter der Pflanze und Knospe zurückliegen,
an welcher die Variation zu Tage tritt, und dadurch wird es
verständlich, dass Knospen-Variation meist bei solchen Pflanzen
auftritt, die wie die Rose und Azalea auch sonst, d. h. durch
Samen, bereits variirt haben. Denn durch Amphimixis werden
abgeänderte Determinanten leichter gehäuft, und ein Keimplasma,
welches schon von den Vorfahren her abgeänderte Determi-
nanten besitzt, kann sie dann nach dem Eintritt weiterer Ab-
änderung durch den Zufall einer ungleichen Kerntheilung auch
einmal in einer Knospe zur Majorität gruppiren und dadurch
zur Geltung bringen.
Leider ist es nicht beobachtet, ob complicirte Abänderungen,
wie z. B. die Moosrose, einer Knospen-Variation ihren Ursprung
verdankt. Theoretisch wäre es durchaus denkbar, denn das
unsichtbare Vorspiel der Variation, die Abänderung gewisser
Determinanten, kann so gut nur eine einzelne Determinante,
als eine ganze Gruppe von solchen betreffen, ja selbst die Ver-
[583] mehrung einer primären Determinante in zwei oder mehrere
neue, ist so gut möglich, als bei der gewöhnlichen Art-Um-
wandlung. Das plötzliche Hervortreten solcher abgeänderter
Determinantengruppen beruht dann auf dem Zufall ungleicher
Kerntheilung. Solche Fälle beweisen die langsame Vorbereitung
der Abänderung, da eine plötzliche Abänderung einer ganzen
Determinantengruppe sowohl der Ursache, als dem Vorgange
selbst nach undenkbar scheint.
Die Grösse der sprungweisen Abänderung wird von dem
Umfang der von abnormaler Ernährung dauernd betroffenen
Determinantengruppen abhängen, ihre Qualität in irgend eine
causale Beziehung zu bestimmten Abänderungs-Einflüssen bringen
zu wollen, wäre heute wohl um Vieles verfrüht. Man wird nur
sagen können, dass in dem so ungemein complicirten Bau des
Keimplasma’s auch bestimmte Wege für die Zufuhr der er-
nährenden Flüssigkeit vorgesehen sein werden, durch deren Er-
weiterung oder Verengerung ganz lokale Ernährungsdifferenzen
entstehen müssen, und dass andererseits die Lebens-Einheiten
des Keimplasna’s durch geringe Änderungen ihres Baues die
Eigenschaften der Körperstelle, der sie entsprechen, in irgend
einer, für jetzt freilich noch ganz unberechenbaren Weise ver-
ändern müssen. Im Genaueren Rechenschaft darüber zu geben,
durch welche Änderungen der Determinantengruppe der Beine
es möglich war, dass seiner Zeit plötzlich ein krummbeiniges
„Otternschaf“ geboren wurde, oder durch welche Abänderung
gewisser Determinanten der Blattanlage die geschlitzten Blätter
der schlitzblättrigen Birke auftraten, ist für jetzt nicht möglich.
b. Ihre Vererbung.
Die Erblichkeit der Spiel-Abänderungen der Pflanzen
war bisher ein recht dunkler Punkt. Samen-Variationen lassen
sich oft durch Samen fortpflanzen, manchmal aber auch nicht,
[584] oder nur in einzelnen Fällen; Knospen-Variationen konnten
meist nur durch Stecklinge oder Pfropfreiser vervielfältigt
werden, wir kennen aber jetzt einzelne Fälle, in welchen auch
sie durch Samen sich fortpflanzen liessen, wenn auch nur in
einem gewissen Procentsatz. Woher diese Unregelmässigkeit
kommt, war unbekannt, und keine der Vererbungstheorien ver-
mochte dafür einen Anhalt zu geben, man konnte nur sagen,
die Vererbung sei hier ungemein launenhaft. Die Keimplasma-
Theorie vermag sie im Princip sehr einfach zu erklären.
Ich erinnere zuerst an die Thatsachen, wie sie uns Darwin
in höchst werthvoller und dankenswerther Weise als ein für
jede Theorie kostbares Material überliefert hat.1)
Darwin sagt darüber: „Wenn eine neue Eigenthümlichkeit
zuerst erscheint, so können wir niemals voraussagen, ob sie
vererbt werden wird.“ Wenn beide Eltern die Abänderung
besitzen, „so ist die Wahrscheinlichkeit sehr gross, dass sie
wenigstens auf einige der Nachkommen überliefert werden
wird“. Knospen-Variationen pflanzen sich viel schwächer fort,
als Samen-Variationen, oft aber erscheint die Vererbungskraft
ganz launenhaft, indem ein und dieselbe Abänderung von dem
einen Pflanzen-Individuum durch Samen vererbt wird, vom
andern nicht. So versuchte man lange Zeit vergeblich, die
Trauer-Esche durch Samen fortzupflanzen. Über 20,000
Samen gaben nur die gewöhnliche Esche, später aber erhielt
man aus den Samen eines andern Exemplars der Trauer-Esche
Nachkommen mit hängenden Zweigen. Ein und dieselbe Trauer-
Esche überlieferte aber nicht durch alle ihre Samen den Trauer-
charakter, sondern nur in einem bestimmten Procentsatz, und
von einer berühmten Hänge-Eiche in Moccas Court erzählt
[585]Darwin, dass sie zwar allen ihren Sämlingen den Trauer-
charakter mittheilte, aber in verschiedenem Grade.
Nach unserer Theorie hängt die Vererbung einer Abänderung
durch Samen davon ab, ob das Keimplasma des betreffenden
Samens die Abänderung in einer Majorität der Determinanten
enthält, oder blos in einer Minorität. Wenn das Keimplasma
hundert Ide enthält, so müssten — gleiche bestimmende Kraft
vorausgesetzt — mehr als fünfzig Determinanten N abgeändert
sein in N1, damit die Abänderung im Sämling manifest werde.
Da nun, wie oben gezeigt wurde, wohl niemals neue Variationen
gleich in allen Determinanten auftreten, sondern immer nur
in einem bald höheren, bald niederen Procentsatz der Ide, so
ist die Möglichkeit, dass alle von der abgeänderten Pflanze
hervorgebrachten Sämlinge die Abänderung zeigen werden, sehr
gering. Denn da jede Keimzelle aus einer Reductionstheilung
hervorgegangen ist, so werden immer viele von ihnen die ab-
geänderten Determinanten N1 nur in einer Minorität besitzen,
die sogar sehr klein sein kann, falls ihre Majorität im Keim-
plasma der Mutterpflanze eine kleine war. Verbinden sich dann
zwei solcher Keimzellen in Amphimixis, so enthält das daraus
hervorgehende Keimplasma nur eine kleine Minorität der ab-
geänderten Determinanten N1, und die Abänderung wird nicht
manifest. So erklärt es sich, warum fast niemals alle Sämlinge
einer Abart wieder die Abart ergeben, und weiter, weshalb in
den seltneren Fällen, in welchen wie bei jener Trauer-Eiche
jeder Sämling der Abart angehört, doch der Charakter der-
selben in verschiedener Stärke zum Vorschein kommt. Denn
die Mischungen des Keimplama’s müssen durch Reductions-
theilung und Amphimixis auch dann noch verschiedene werden,
wenn in dem Keimplasma der Mutterpflanze nur eine kleine,
aber doch immer verschieden grosse Minorität von Stamm-
Determinanten N enthalten war.
[586]
Sehr einfach erklärt sich ferner die Beobachtung, dass die
Sämlinge einer Variation, z. B. der Balsamine, zwar alle den
Eltern glichen, selbst aber nicht alle den Charakter der Abart
ihren Nachkommen überlieferten. Hier war in den Tochter-
pflanzen der Abart überall noch eine Majorität abgeänderter
Determinanten vorhanden gewesen, aber in sehr verschiedener
Stärke. Solche Töchter, welche eine sehr starke Majorität in
ihrem Keimplasma enthielten, mussten nothwendig auch eine
Überzahl von Keimzellen liefern, in welchen eine Majorität
abgeänderter Determinanten enthalten war, bei denen aber mit
schwacher Majorität wird die Wahrscheinlichkeit überwogen
haben, dass die Sämlinge nur Minoritäten enthielten.
Darwin berichtet, dass von der wild gefundenen gefleckten
Abart der Ballota nigra Sämlinge erhalten wurden, von welchen
nur 30 Procent die gefleckten Blätter der Mutterpflanze besassen;
der Samen aber dieser gefleckten Pflanzen zweiter Generation
ergab 60 Procent der Abart. Auch dies stimmt völlig mit der
Theorie, denn in der Mutterpflanze können nicht lauter ab-
geänderte Determinanten der Blätter enthalten gewesen sein,
sondern nur eine Majorität derselben; diese nun wird bei den
Reductionstheilungen der Keimzellen in verschiedener Weise
gruppirt worden sein. Ob ein Samen die Abart oder die Stamm-
form hervorbrachte, hing davon ab, ob bei der Befruchtung
eine Majorität, oder eine Minorität abgeänderter Determinanten
zusammengeführt wurde. Da nun von den Pflanzen zweiter
Generation nur diejenigen zur Nachzucht benutzt wurden, die
abgeändert waren, so trafen jetzt zahlreichere Abart-Determinanten
bei der Befruchtung zusammen, und der Procentsatz der
Abart musste in der dritten Generation steigen. Er
würde noch mehr gestiegen sein, wenn man auf dieselbe Weise
noch eine vierte und fünfte Generation gezüchtet hätte, denn
in Samen, die die Abart geben, muss das Keimplasma jedenfalls
[587] mehr abgeänderte Determinanten enthalten, als in Samen, die
die Stammform geben; die Wahrscheinlichkeit, dass der Samen
der folgenden Generation eine noch grössere Majorität von ab-
geänderten Determinanten enthält, nimmt also von Generation
zu Generation nothwendig zu, und ich zweifle nicht, dass man
in diesem Falle durch fortgesetzte Auswahl der bestgefleckten
Pflanzen für die Nachzucht allmälig eine „reine“ gefleckte Rasse
hätte erzeugen können, die ihren Charakter auf die grosse
Mehrzahl aller ihrer Nachkommen — oder wie man gewöhnlich
sagt, „auf alle Nachkommen“ — übertragen hätte.
Dass manche Trauer-Eschen ihren Charakter auf viele
Sämlinge vererben, andere nicht, muss ebenfalls auf der viel-
gestaltigen Wirkung der Reductionstheilung und Amphimixis
beruhen, welche bei ersteren eine starke Majorität abgeänderter
Determinanten in das Keimplasma geführt hat, bei letzteren
nur eine schwache. Doch kommt dabei noch Etwas in Be-
tracht, nämlich die Ursprungsweise der Abart. Knospen-
Variationen pflanzen sich viel seltener durch Samen
fort, als Variationen, die aus Samen entstanden sind;
dagegen lassen sie sich fast immer durch Pfropfreiser, Steck-
linge und Oculiren fortpflanzen. Es kann also die Fähigkeit,
die Veränderung durch Samen fortzupflanzen, bei einem be-
stimmten Individuum darauf beruhen, dass dasselbe aus einem
Sämling entstanden ist, während dieselbe Variation in einem
andern Falle als Knospen-Variation entstand und deshalb sich
nicht, oder nur selten durch Samen fortpflanzt.
Die theoretisch schwierigste Frage ist hierbei die, warum
Knospen-Variationen sich meist nicht, und dann gelegentlich
doch einmal durch Samen vererben. Aber auch hier vermag
die Theorie bis zu einem gewissen Punkt wenigstens Einsicht
zu gewähren.
Eine Knospe ist ein von ihren Hüllblättern eingeschlossener
[588] Vegetationspunkt. Bei der Entstehung derselben ist es eine
Zelle, die Scheitelzelle, welche durch fortgesetzte Theilung die
übrigen Zellen des Sprosses hervorbringt, die Interfoliartheile,
die Blätter, die Blüthenstände. Nach dem Princip der Conti-
nuität des Keimplasma’s muss ein Theil des in der Scheitelzelle
enthaltenen Knospen-Keimplasma’s als „Reserve-Keimplasma“
in „gebundenem“ Zustand gewissen Zellen des Sprosses als
Neben-Idioplasma beigegeben werden. Diese geben es weiter
bis zu den Geschlechtsorganen hin, wo es zur Bildung der
Keimzellen verwandt wird. Es bleibt also dieses Reserve-Keim-
plasma unzerlegt, völlig getrennt und selbstständig neben dem
sich bei der Ontogenese des Sprosses in seine Determinanten-
gruppen mehr und mehr auseinanderlegenden Knospen-Keim-
plasma.
Darin scheint mir die Erklärung zu liegen, dass so häufig
Knospen-Variationen nicht durch Samen fortgepflanzt werden
können, denn offenbar kann die zum Manifestwerden einer Ab-
änderung nöthige Majorität abgeänderter Determinanten ganz
wohl im Knospen-Keimplasma da sein, während sie im Reserve-
Keimplasma noch nicht vorhanden ist. Wenn man bedenkt,
dass solche Variationen im Keimplasma von langer Hand vor-
bereitet sind, dass zuerst wenige, und erst allmälig zahlreichere
Determinanten in gleicher Weise abändern, dass schliesslich
der Zufall einer ungleichen Kerntheilung — wie wir angenommen
haben — dazu kommen muss, damit das Knospen-Keimplasma
einer bestimmten Scheitelzelle eine Majorität abgeänderter Deter-
minanten enthalten könne, so begreift es sich, dass das in der-
selben Zelle liegende Reserve-Keimplasma sich anders verhalten
kann, und entweder gar keine, oder doch nur wenige der be-
treffenden Determinanten in abgeändertem Zustand enthält. Man
darf nicht vergessen, dass es nicht die Ernährungs-Einflüsse in
der variirenden Knospe sind, welche das Variiren veranlassen,
[589] sondern diejenigen, welche die in der Knospe enthaltenen Deter-
minanten auf dem langen Wege von einer um Generationen
zurückliegenden Stammpflanze bis zu dieser Knospe hin getroffen
haben.
Dies erklärt, wie mir scheint, hinlänglich, warum der Samen,
welcher indirekt einen Spielspross hervorbringt, die Abänderung
nicht zu vererben braucht.
Warum eine solche Vererbung aber so selten eintritt,
bedarf einer weiteren Erwägung. Ich möchte den Grund davon
in der Reductionstheilung und der Amphimixis suchen, welcher
das Reserve-Keimplasma, nicht aber das Knospen-Keimplasma
ausgesetzt ist. Gesetzt, es verhielten sich beide zuerst ganz
gleich in Bezug auf ihren Gehalt an abgeänderten Determi-
nanten N1, jedes enthielte eine kleine Majorität derselben, so
würde der Spross nothwendig die Variation aufweisen müssen,
die Keimzellen aber würden nur zum Theil eine Majorität, zum
andern eine Minorität von N1 enthalten in Folge der bald so,
bald so gruppirenden Reductionstheilung. Allerdings könnten
dann bei der Befruchtung zwei Keimzellen mit Majoritäten von
N1 zusammentreffen, aber bei der angenommenen nur schwachen
Majorität derselben im Reserve-Keimplasma würde dieser gün-
stigste Fall nur sehr selten eintreten, viel häufiger der andere,
in welchem Amphimixis nur zu einer Minorität von N1 führt.
Nun ist es aber durchaus nicht gesagt, dass Reserve-
Keimplasma und Knospen-Keimplasma den gleichen Procentsatz
von N1 enthalten müssen. Beide können sehr wohl verschieden
darin sein, und es ist sehr wahrscheinlich, dass ein stärkerer
Procentsatz von N1 im Reserve-Keimplasma zur Bildung von
Samen führt, welche Sämlings-Abarten hervorbringen. Es
wird daher zu vermuthen sein, dass in dem Falle, dass das
Knospen-Keimplasma eine, wenn auch ganz schwache Majorität
von N1 führt, wirklich die Abänderung des Sprosses eintritt,
[590] während in dem andern möglichen Fall, dass allein das Reserve-
Keimplasma eine Majorität von N1 enthält, in der folgenden
Generation Abart-Sämlinge in grösserer oder geringerer Zahl
auftreten. Nur wenn Beide eine Majorität von N1 enthalten,
muss sowohl der Spross abändern, als auch die von ihm hervor-
gebrachten Samen die Abart theilweise fortpflanzen.
Nicht so viel, als man vielleicht glauben könnte, ist hypo-
thetisch an dieser Erklärung. Es giebt Thatsachen, aus wel-
chen mit Sicherheit der Schluss gezogen werden kann, dass
Spielknospen wirklich in vielen Fällen nur eine sehr geringe
Majorität abgeänderter Determinanten enthalten. Ich meine die
Thatsache, dass bei den meisten Knospen-Variationen Rück-
schläge auf die Stammform nicht blos bei der Fortpflan-
zung durch Samen, sondern auch durch Knospen und an Knospen
häufig vorkommen. Es war davon oben bei Gelegenheit des
Rückschlags schon die Rede, die Thatsache ist auch so bekannt,
dass ich mich damit begnügen kann, ein paar Fälle anzuführen.
Im Botanischen Garten zu Bonn zeigte mir Professor Stras-
burger eine mächtige Hainbuche mit tief eingeschnittenen
Eichenblättern, an welcher ein grosser Ast vollkommen zurück-
geschlagen war und gewöhnliche Blätter trug. In meinem
Garten steht eine „farnblättrige“ Buche, an deren Ästen ein-
zelne Blätter die normale Gestalt des Buchenblattes besitzen,
und Darwin führt an, dass gerade bei dieser Spielart Sprosse
vorkommen, welche nebeneinander gewöhnliche Blätter, Farn-
blätter und verschiedene Zwischenformen von Blättern aufweisen.
Kleine Ungleichheiten in der Kerntheilung mögen hier die be-
stimmende Resultante der Determinanten N und N1 verschieben,
was eine nur schwache Majorität von N1 voraussetzt.
[[591]]
Zusammenfassung der vier Bücher und
Abschluss.
Die Grundlage einer jeden Vererbung ist die Zusammen-
setzung der lebenden Substanz aus kleinsten lebenden Einheiten,
die wir Biophoren nannten, welche die Fähigkeit der Assimi-
lation, des Wachsthums und der Vermehrung durch Theilung
besitzen. Die denkbar niedersten Organismen kennen wir nicht
und wissen nicht, ob sie noch existiren. Jedenfalls haben sie
einmal existirt und zwar als einzelne Biophoren, deren Ver-
erbung ohne besonderen weiteren Mechanismus mit der Ver-
mehrung zusammenfiel.
Höhere Wesen wären schon solche gewesen, die sich aus
vielen Biophoren derselben Art zusammensetzten. Auch von
ihnen besitzen wir keine auf Beobachtung sicher zu gründende
Kunde, aber wir müssen schliessen, dass auch bei ihnen Ver-
erbung keinen besonderen Apparat erfordert, indem Vermehrung
durch Zweitheilung zwei völlig congruente Hälften hervor-
bringen muss, von denen jede die gleichen Biophoren besitzt,
und welche sich einfach durch Vermehrung dieser Letzteren
wieder zu einem dem Mutterthier völlig ähnlichen Bion er-
gänzt.
Diese einfache Art der Vererbung muss sich geändert
haben, sobald die Biophoren durch Arbeitstheilung verschieden-
artig wurden und in verschiedenen Zusammenstellungen den
Körper des Bion zusammensetzten. Man könnte diese Art
hypothetischer Wesen als Hetero-Biophoriden den vorigen Homo-
Biophoriden gegenüberstellen. Bei ihnen kann nicht nur eine
[592] festere Rinde und weichere Innensubstanz ausgebildet sein, son-
dern auch ein Unterschied zwischen Vorn und Hinten, Oben
und Unten; mehrfache differente und funktionell ungleichwerthige
Schichten der Leibessubstanz können sich ausbilden, bewegliche
und unbewegliche Fortsätze, wie Geisseln, Cilien, Borsten und
Griffel, wie wir sie von den Infusorien kennen, eine constante
Öffnung in der festeren Aussenschicht zur Aufnahme fester
Nahrung ins Innere, u. s. w.
Sobald eine derartige mehr oder minder complicirte Zu-
sammensetzung des Körpers aus bestimmt angeordneten, ver-
schiedenartigen Biophoren besteht, genügt die einfache Zwei-
theilung des Bion nicht mehr, um die Eigenschaften des Mutter-
thieres auf die Nachkommen zu übertragen. Wenn Vorn und
Hinten, Rechts und Links, Oben und Unten an dem Thiere
verschieden ist, so ist keine Art von Halbirung mehr im Stande,
den beiden Theilsprösslingen alle Elemente, d. h. alle Biophoren-
Arten und Biophoren-Gruppirungen derart zu übermitteln,
dass sie durch blosses Wachsthum sich wieder zu einem dem
Mutter-Bion ähnlichen Wesen ergänzen müssten. Hier werden
also besondere Mittel angewandt sein, um diese Ergänzung und
damit die volle Vererbung zu ermöglichen, und diese Mittel
haben wir in der Schaffung eines Zellkernes zu
sehen.
Mit de Vries sehen wir im Zellkern ursprünglich nichts
Anderes, als ein Magazin von Reserve-Biophoren, bestimmt, bei
der Theilung des Bion sich zu verdoppeln, ebenfalls zu theilen,
und jeder Hälfte durch Zuführung der ihr fehlenden Biophoren-
Arten die Ergänzung zum ganzen Bion möglich zu machen.
Später, d. h. in den vielzelligen Wesen mit hoch entwickelter
Zell-Differenzirung, hat der Kern dann noch andere Funktionen
übernommen, die für dies pecifische Thätigkeit der Zelle maass-
gebend sind, aber auch dort führt er immer noch die Biophoren
[593] mit sich, welche der Zelle die ihr noch fehlenden Eigenschaften
zu geben im Stande sind, er ist auch dort Träger der den
Charakter der Zelle bestimmenden Biophoren.
Ist also so schon bei den Hetero-Biophoriden, oder Ein-
zelligen ein besonderer Vererbungs-Apparat nothwendig ge-
worden, der uns als „Kern“ der „Zelle“ entgegentritt, so wird
dieser Apparat dadurch noch complicirter, dass bei ihnen
Amphimixis eingeführt ist, jener merkwürdige Vorgang, der in
seiner einfachsten und ursprünglichsten Form in der völligen
Verschmelzung zweier Bionten besteht, so zwar, dass Kern mit
Kern, Zellkörper mit Zellkörper sich verbindet. Bei den höheren
Einzelligen beschränkt sich der Vorgang meist auf eine Ver-
schmelzung der Kerne, die in der Weise erfolgt, dass der halbe
Kern des einen Thieres mit dem halben Kern des andern Thieres
sich vereinigt. Aus dem ganz analogen Bau des Kernes, wie
er sich uns bei der Theilung enthüllt, mit dem Bau des Zell-
kernes der Vielzelligen darf geschlossen werden, dass auch hier
schon die Vererbungssubstanz des Kernes sich aus mehreren
gleichwerthigen Gruppen von Biophoren zusammensetzt, den
„Kernstäbchen“ oder Idanten, von denen jedes sämmtliche Bio-
phoren des Bion enthält, aber in individueller Färbung, d. h.
also mit geringen Abweichungen der Zusammensetzung, wie sie
den individuellen Variationen entsprechen. Amphimixis vereinigt
die Hälfte der Idanten zweier Individuen in einem und setzt so
eine neue Mischung der individuellen Eigenschaften.
Bei den Vielzelligen mit Differenzirung der Zellen nach
dem Princip der Arbeitstheilung finden wir im Wesentlichen
denselben Vererbungs-Apparat, wie bei den Einzelligen, nur
entsprechend dem ungleich verwickelteren Bau derselben eben-
falls complicirter. Da auch bei ihnen Amphimixis eingeführt
ist, eine Verschmelzung vielzelliger hochdifferenzirter Individuen
aber nur dann möglich scheint, wenn dieselben zeitweise auf
Weismann, Das Keimplasma. 38
[594] den einzelligen Zustand zurückgeführt werden, so finden wir bei
ihnen ganz allgemein die sogenannte „geschlechtliche Fort-
pflanzung“, welche darin besteht, dass die Anlagen für den
ganzen Organismus in die Kernsubstanz einer einzigen Zelle,
der Fortpflanzungszelle, vereinigt werden, dass zweierlei solcher
Zellen, verschieden ausgerüstet und sich gegenseitig anziehend,
sich dann in Amphimixis vereinigen und das herstellen, was
wir die „befruchtete Eizelle“ zu nennen gewohnt sind, welche
nun die aus zwei Individuen zusammengesetzte Vererbungs-
substanz enthält.
Diese Vererbungssubstanz der Vielzelligen be-
steht nach unserer Annahme aus drei Stufen von Lebens-
Einheiten, deren niederste die der Biophoren ist. Wie bei den
Einzelligen eine mehr oder minder vielgestaltige Schaar von
Biophoren in bestimmter Anordnung gruppirt das einzelne
Kernstäbchen oder den Idanten zusammensetzen, welcher in
mehrfacher Wiederholung die Vererbungssubstanz des die Zelle
beherrschenden Kernes ausmacht, so bilden auch hier Biophoren-
gruppen bestimmter Anordnung die Anlagen der einzelnen Zellen
des Körpers und bilden zusammen die zweite Stufe der Lebens-
Einheiten: die Zellen-Determinante, oder schlechthin „Determi-
nante“.
Jede Zelle des vielzelligen Organismus wird von einer
solchen Determinante in ihrem histologischen Charakter, in-
clusive ihrem Theilungsrhythmus und ihrer Theilungsart be-
stimmt. Aber nicht jede Zelle hat seine besondere Determi-
nante im Keimplasma, sondern Zellen gleicher Art, wenn sie
wie die Blutzellen nicht lokalisirt sind, können durch ein und
dieselbe Determinante im Keimplasma vertreten sein. Umge-
kehrt aber muss jede Zelle oder Zellengruppe, welche selbst-
ständig variabel sein soll, durch eine besondere De-
terminante im Keimplasma vertreten sein. Wäre sie es nicht,
[595] so könnte sie nur in Gemeinschaft mit andern Zellen, die durch
die gleiche Determinante bestimmt werden, abändern.
So viele selbstständig vom Keime aus variable
Zellen und Zellgruppen im Organismus auftreten, so
viele Determinanten muss das Keimplasma einer Art
enthalten, und diese müssen in bestimmter gegenseitiger
Lagerung im Keimplasma enthalten sein, folglich auch ein be-
stimmt begrenztes Ganze darstellen, eine höhere Lebens-Einheit:
das Id.
Das Id ist nicht blos ein Mal im Keimplasma enthalten,
sondern viele Male, wie aus den Thatsachen der geschlecht-
lichen Fortpflanzung und Vererbung geschlossen werden muss.
Die Bastarde lehren, dass beide Eltern gleichzeitig ihre sämmt-
lichen Art-Charaktere vererben, d. h., dass jeder Elter eine Ver-
erbungssubstanz bei der Befruchtung zubringt, welche die An-
lage sämmtlicher Theile des Organismus, also alle zum Aufbau
eines Individuums der Art nöthigen Determinanten enthält. Da
wir nun aber wissen, dass die Vererbungssubstanz bei der
definitiven Ausbildung der Keimzellen halbirt wird, so müssen
also vorher sämmtliche Determinanten mindestens zwei Mal zu
einem Id gruppirt vorhanden gewesen sein. Es ist aber sehr
wahrscheinlich, dass meist viel mehr Ide vorhanden sind, in
vielen Fällen wohl weit über hundert.
Welche Theile der sichtbaren Theile des Keimplasma’s im
Kern des Eies den Iden entsprechen, konnte nicht mit Sicher-
heit entschieden werden, obwohl wahrscheinlich gemacht wurde,
dass nicht die ganzen „Chromosomen“, sondern nur Theile von
diesen als solche aufzufassen sind. Bis auf weitere Unter-
suchungen wurde das Letztere den genaueren Ausführungen zu
Grunde gelegt, und die Kernstäbchen (Chromosomen) also als
Aggregate von Iden betrachtet und als Idanten bezeichnet.
Auch sie sind in gewissem Sinn Lebens-Einheiten, sie wachsen
38*
[596] und vermehren sich durch Theilung; auch hat die Id-Combination,
aus welcher sie bestehen, wohl längeren Bestand, wenn auch
keine bleibende Dauer.
Das „Keimplasma“ oder die Vererbungssubstanz der
Metazoen und Metaphyten setzt sich also aus einer geringen
oder grösseren Anzahl von Idanten zusammen, die ihrerseits
wieder aus Iden bestehen; jedes Id hat eine feste und bestimmte
Architektur, indem es aus Determinanten aufgebaut ist, von
welchen jede ihren ganz bestimmten Platz im Bau einnimmt.
Die Entfaltung nun der im Keimplasma der Fortpflan-
zungszelle enthaltenen Anlagen geschieht im Laufe der Zell-
theilungen, welche die Ontogenese der Vielzelligen ausmachen,
und zwar derart, dass sämmtliche Ide sich dabei ganz gleich
verhalten. Jedes Id spaltet sich schon bei der ersten Zell-
theilung in zwei Hälften, von denen jede nur noch die Hälfte
der Gesammtzahl der Determinanten enthält, und bei jeder
folgenden Zelltheilung wiederholt sich dieser Zerlegungsprocess
der Ide, so dass die Ide der ontogenetischen Stadien von Stufe
zu Stufe ärmer an Verschiedenartigkeit ihrer Determinanten
werden, bis sie zuletzt nur noch eine einzige Art derselben
enthalten.
Jede Zelle jeglicher Stufe wird stets nur durch eine
Determinantenart bestimmt, die aber in vielen Exemplaren im
Id enthalten sein kann, und diese „Bestimmung“ erfolgt dadurch,
dass sich die Determinante in ihre Biophoren auflöst, welche
nun die Kernmembran durchsetzen, in den Zellkörper eindringen
und dort unter starker Vermehrung auf Kosten der den Zell-
körper schon bildenden Biophoren und unter Anordnung nach
bestimmten, uns unbekannten Kräften und Gesetzen die histo-
logische Differenzirung der Zelle begründen. Jede Determi-
nantenart muss zu einem bestimmten Zeitpunkt oder auf einer
bestimmten Stufe der Gesammtentwickelung die „Reife“ zu ihrer
[597] Auflösung in ihre Biophoren erreichen. Die übrigen, für spätere
Stufen bestimmten Determinanten des Id’s einer Zelle ver-
harren unaufgelöst und also ohne eine bestimmende Wirkung
auf die Zelle auszuüben; durch die Art und Weise ihrer Zu-
sammenordnung im Id aber und durch den einer jeden Determi-
nantenart eigenen Rhythmus ihrer Vermehrung bestimmen sie
den nächsten Modus der Kerntheilung, d. h. sie entscheiden
dadurch, welche Determinanten dem einen, welche dem andern
Tochterkern zugetheilt werden. Damit wird nicht nur über die
histologische Natur dieser Tochterzellen, sondern auch über die
Bestimmung ihrer Nachkommen entschieden, so dass also die
Vertheilung der im Keimplasma vorhandenen Anlagen durch die
anfänglich schon gegebene, dann aber durch ungleiche Ver-
mehrung und durch stufenweise Zerlegung der Ide sich stetig
und gesetzmässig ändernde Architektur des Id’s bewirkt wird.
Lediglich sekundär wirkt dabei der Theilungsapparat der
Zelle mit, dessen Hauptorgan, das Centrosoma, zwar auch, wie
die Vererbungssubstanz von der oder den elterlichen Keim-
zellen her übernommen wird, welches aber eben nur den Mecha-
nismus zur Theilung des Kernes und der Zelle darstellt, nicht
aber irgend welche „Anlagen“ in sich einschliesst. Auch der
Rhythmus der Zelltheilungen kann nicht vom Centrosoma be-
stimmt werden, obwohl dieses den Anstoss dazu giebt, sondern
die durch das Idioplasma bestimmte Zelle ist es, welche den
Theilungsapparat in Bewegung setzt. Wäre dies nicht so, so
könnte die Kernsubstanz nicht die Vererbungssubstanz sein,
denn die meisten vererbbaren Eigenschaften der Arten beruhen
weniger auf der Differenzirung der einzelnen Zellen, als viel-
mehr auf der Anzahl und Gruppirung der Zellen, welche ein
bestimmtes Organ oder einen ganzen Körpertheil zusammen-
setzen; diese aber wiederum beruhen auf dem Modus und Rhyth-
mus der Zelltheilungen.
[598]
Diese idioplasmatischen Vorgänge, welche die Entwickelung
des Organismus aus dem Ei, oder allgemeiner aus einer Zelle,
einer Keimzelle leiten, sind allein für sich noch nicht im Stande,
eine Reihe von Erscheinungen zu erklären, welche theils mit
dieser Ontogenese direkt verknüpft sind, oder doch aus ihr
früher oder später hervorgehen, nämlich die Regeneration,
die Knospung und Theilung, und die Hervorbringung
neuer Keimzellen. Für alle diese Erscheinungen bedarf es
besonderer Zusätze.
Was zuerst die Regeneration anlangt, so beruhen die
einfachsten Fälle derselben darauf, dass in dem fertigen, aus
gleichartigen Zellen gebildeten Gewebe stets eine Reserve jugend-
licher Zellen enthalten ist, welche den normalerweise oder auch
abnormerweise eintretenden Verlust zu ersetzen vermögen. Dies
genügt aber nicht in den complicirteren Fällen, in welchen
ganze Körpertheile, der Schwanz, die Beine wieder neu gebildet
werden, wenn sie gewaltsam entfernt wurden. Hier muss an-
genommen werden, dass die Zellen der regenerationsfähigen
Theile ausser den sie selbst bestimmenden Determinanten noch
„Ersatz-Determinanten“ enthalten, welche die Anlagen der bei
der Regeneration neu zu bildenden Theile sind. Sie werden
auf frühen Stufen der Ontogenese als „inaktives Neben-Idio-
plasma“ gewissen Zellfolgen beigegeben und treten nur dann
in Thätigkeit, wenn durch Verlust des betreffenden Theiles
die Wachsthumswiderstände gehoben werden. Die Ausrüstung
der Zellen eines Theils mit solchen „Ersatz-Determinanten“
setzt eine um so verwickeltere Vertheilung derselben voraus,
je complicirter der Theil gebaut ist, und darin liegt die Grenze
der Regenerationsfähigkeit, indem allzu verwickelt gebaute Theile
mit einem Regenerationsapparat nicht mehr ausgerüstet werden
konnten. Die gewöhnliche Annahme, dass die Regenerations-
„Kraft“ mit der Complication des Baues abnehme, ist deshalb
[599] bis zu einem gewissen Grad richtig, sie ist es aber nicht, wenn
damit gemeint ist, es existire eine besondere Kraft, welche die
Regeneration besorge und welche allgemein mit der Höhe der
Organisation abnehme. Möchte man sich auch diese „Kraft“ als
eine mechanisch-physiologische vorstellen, sie könnte doch nicht
als eine primäre Eigenschaft des lebenden Organismus gelten,
gewissermassen als ein unvermeidlicher Ausfluss des Lebens selbst,
sondern müsste als eine besondere Anpassung aufgefasst werden.
An die Regeneration schliesst sich eng an die Fortpflan-
zung durch Theilung; sie setzt denselben idioplasmatischen
Apparat voraus, nur meist auf einer noch höheren Stufe der
Ausbildung; Theilung wird phylogenetisch aus der Regeneration
entstanden sein.
Verschieden von der Vermehrung durch Theilung nach
Ursprung und Erscheinung ist die durch Knospung. Bei
Pflanzen und Cölenteraten geht dieselbe von einer Zelle
aus, welche somit sämmtliche Determinanten der Art in einer
Zusammenstellung enthalten muss, welche der des Keimplasma’s
im befruchteten Ei sehr nahe kommt. Schon bei den Bryo-
zoen aber nimmt die Knospung nicht von einer Zelle ihren
Ausgang, sondern mindestens von zweien, wahrscheinlich von
mehreren, welche zwei verschiedenen Zelllagen (Keimblättern)
des Körpers angehören, und bei den Mantelthieren bezieht die
Knospe ihr Material sogar aus allen drei Keimblättern.
Bei der ersten Art der Knospung muss die idioplasmatische
Wurzel derselben in einer Beimischung gebundenen Keim-
plasma’s beruhen, welche von der befruchteten Eizelle aus ge-
wissen Zellfolgen der Ontogenese beigegeben wird als in-
aktives „Neben- oder Knospungs-Idioplasma“. Bei
den Pflanzen ist es die Scheitelzelle des Sprosses, welche dieses
Knospungs-Keimplasma enthält, bei den Hydroidpolypen sind
es Zellen des Ektoderms.
[600]
Bei der zweiten Gruppe von Thieren muss angenommen
werden, dass schon früh in der Ontogenese das Knospungs-
Keimplasma sich in zwei Determinantengruppen zerlegt, von
denen jede dann in gebundenem Zustand durch verschiedene
Zellfolgen hindurch weitergegeben wird, bis der Ort und Zeit-
punkt erreicht ist, in welchem ihr Aktivwerden beginnen kann.
Bei der dritten Gruppe zerlegt sich das inaktive Knos-
pungs-Idioplasma in drei Determinantengruppen, von welchen
die eine im Ektoderm, die andere in gewissen Zellfolgen des
Mesoderm, die dritte in solchen des Entoderm weiterrückt, bis
sie den Ort, an welchem sie aktiv zu werden haben, erreichen.
Knospung wird phyletisch auf dem Wege entstanden sein,
dass eine Verdoppelung des Keimplasma’s im befruchteten Ei
in der Weise eintrat, dass die eine Hälfte desselben inaktiv
blieb und nun entweder als inaktives Knospen-Keimplasma
weitergegeben wurde, oder sich im Laufe der Ontogenese in
Gruppen spaltete, welche getrennt nach demselben Ziel, der
Knospungsstelle hinbefördert wurden.
Überall aber, wo Knospung ein dauernder Besitz der Art
wurde, scheint sich früh schon diese Verdoppelung des Keim-
plasma’s dauernd durch alle Stadien der Ontogenese hindurch
erhalten zu haben, denn wir sehen, dass die durch Knospung
entstandenen Individuen sehr häufig selbstständig abändern und
oft sogar in bedeutendem Betrag. Selbstständiges Variiren vom
Keim aus setzt aber besondere Determinanten des Knospungs-
Keimplasma’s voraus. Niemals hätten Medusen aus Polypen
hervorknospen können, wenn nicht selbstständig variable Deter-
minanten der Knospe im Keim des befruchteten Eies vorhanden
gewesen wären. Wir nehmen deshalb an, dass bei Arten mit
Generationswechsel zweierlei Keimplasma existirt,
welches immer mit einander vorkommt, im Ei sowohl, als in
der Knospe, von welchem aber immer nur eines gleichzeitig
[601] aktiv ist und die Ontogenese beherrscht, während das andere
inaktiv bleibt. Das Alterniren dieser beiden Keimplasmen be-
dingt den Wechsel der Generationen.
In ganz ähnlicher Weise, wie die Knospung, so wird auch
die Bildung von Keimzellen idioplasmatisch dadurch be-
wirkt, dass ein Theil des in der befruchteten Eizelle enthaltenen
Keimplasma’s inaktiv und gebunden bleibt, sich nicht sofort in
Gruppen zerlegt, sondern als Neben-Idioplasma gewissen Zell-
folgen der Ontogenese beigegeben wird und so mit diesen an
diejenigen Orte gelangt, an welchen Keimzellen gebildet werden
sollen. Das gesammte Keimplasma des Elters mit allen seinen
Determinanten bildet so die Grundlage für die Keimzellen, aus
welchen die folgende Generation hervorgehen wird, und die
überaus genaue und bis ins Einzelste gehende Übertragung
der Eigenschaften des Elters auf das Kind wird daraus ver-
ständlich.
Die „geschlechtliche Fortpflanzung“ der vielzelligen
Thiere und Pflanzen gestaltet das Keimplasma dadurch compli-
cirter, dass bei jeder Amphimixis die Ide zweier verschiedener
Individuen, der beiden Eltern in der befruchteten Eizelle sich
summiren. Dies hat die Reductionstheilung hervorgerufen, welche
die Bildung der männlichen wie der weiblichen Keimzellen be-
gleitet und eine Herabsetzung der Idanten und Ide auf die
Hälfte bewirkt. Diese Reduction ist für das Verständniss der
Vererbungserscheinungen bei geschlechtlicher Fortpflanzung
wichtig, da die Ide eines Keimplasma’s unter sich nicht durch-
aus gleich sind, sondern sich durch Unterschiede vom Werthe
der Verschiedenheiten zwischen den Individuen selbst unter-
scheiden. Da nun die Reduction nicht immer in derselben
Weise erfolgt, vielmehr bald diese, bald jene Idanten die Hälf-
ten bilden, welche den einzelnen Keimzellen zufallen, so bietet
sich dadurch die Möglichkeit, dass die Keimzellen ein und des-
[602] selben Individuums doch ganz verschiedene Combinationen von
Idanten enthalten. Die Folge davon ist die Ungleichheit der
Kinder eines Elternpaares, oder allgemeiner: die ungeheure
Mannigfaltigkeit der Mischung individueller Unterschiede.
Bei dem Aufbau des neuen Individuums aus der befruchteten
Eizelle wird die Ontogenese von den Iden der beiden Eltern
geleitet, welche das Keimplasma zusammensetzen. Sehr häufig
kommen dabei Mittelbildungen zu Stande, aber doch nur dann,
wenn sich völlig homologe Ide gegenüberstehen, und wenn die-
selben die gleiche „bestimmende Kraft“ besitzen. Die Letztere
hängt nicht nur davon ab, ob die von den bestimmenden De-
terminanten in den Zellkörper ausgesendeten Biophoren mit
gleicher Stärke sich vermehren und die schon vorhandenen
Biophoren unterdrücken, sondern auch davon, wie zahlreich auf
jeder Elternseite völlig gleiche Determinanten vorhanden sind.
Je zahlreicher die „homodynamen“ Determinanten sind, eine
um so grössere bestimmende Wirkung können sie auf die Zelle
ausüben, und wenn von Seiten des einen Elters eine grössere
Zahl homodynamer Determinanten vielen heterodynamen des
andern Elters gegenübersteht, so siegt die Erstere. Auf diese
Weise wird das Überwiegen des einen Elters in der Vererbung
verständlich, sei es, dass solches sich nur auf einzelne Theile,
oder auf den ganzen Organismus beziehe.
Mit der Befruchtung, d. h. mit dem Zusammentreten der
vom Vater und von der Mutter in den betreffenden Keimzellen
enthaltenen Iden ist die Bestimmung des Kindes gegeben; die
Mischung der elterlichen und Ahnen-Charaktere ist damit im
Voraus bestimmt, und spätere Einflüsse können daran Nichts
mehr ändern. Das beweisen die identischen Zwillinge und die
Pflanzenbastarde, bei welch Letzteren die Individuen, welche
durch Kreuzung zweier konstanter Arten erzeugt wurden, so
constant dieselbe Mischung der Merkmale zeigen, als ob sie
[603] eine natürliche Art wären. Hier sind die Ide jeder Art als
völlig homodynam in Bezug auf die Artcharaktere anzusehen,
es stehen sich also zwei geschlossene Gruppen homodynamer
Ide gegenüber, und das Überwiegen der einen oder der andern
Eltern-Gruppe in diesem oder jenem Theil der Pflanze hängt
davon ab, welche der beiden Gruppen durch zahlreichere
homodyname Determinanten des betreffenden Theiles vertreten
ist, und welche dieser Determinanten die grössere bestimmende
Kraft besitzen.
Der Rückschlag auf die Grosseltern und Urgrosseltern,
oder auf Tanten und Onkel erklärt sich zunächst dadurch, dass
die Idanten und Ide nicht im Eltern-Keimplasma neugebildet
sind, sondern von den Grosseltern bezogen, und dann dadurch,
dass die Combination der Ide, welche in der einzelnen Keimzelle
des Elters enthalten ist, durch die Reductionstheilung eine
äusserst mannigfaltige wird. Die bisherige Annahme der Züchter,
dass im Enkel je ¼ „Blut“ der vier Grosseltern, je ⅛ „Blut“
der acht Urgrosseltern enthalten sei, ist deshalb ungenau. Es
hängt ganz vom Zufall der Reductionstheilung ab, wieviel Ide
des einen oder des andern Vorfahren in dem Keimplasma einer
fertigen Keimzelle enthalten sind, und es könnte unter Um-
ständen vermuthlich eine Keimzelle sogar die Hälfte aller Ide
eines Grosselters enthalten mit Ausschluss sämmtlicher Ide der
drei andern Grosseltern. Je grösser die Anzahl der Ide ist,
welche von einem Vorfahren herrühen, um so grösser ist die
Aussicht, dass Charaktere desselben im Nachkommen auftreten
werden, doch hängt dies noch von zwei Umständen ab, einmal
von der Kraft der Ide des andern Elters, welche bei der
Amphimixis hinzutreten, und zweitens davon, ob diejenigen Ide,
welche vom Vorfahren herrühren, auch die sein „Bild“ be-
stimmenden (die dominirenden) gewesen sind.
So wird Rückschlag auf einen Vorfahren immer dann
[604] eintreten, wenn die sein Bild bestimmenden Ide in die be-
treffende Keimzelle durch die Reductionstheilung gelangt sind,
und wenn ihnen keine stärkere Idgruppe des andern Elters bei
der Amphimixis gegenübertrat. Dies gilt nicht nur für den
ganzen kindlichen Organismus, sondern auch für jeden einzelnen
Theil desselben, da ja von Theil zu Theil die Zahl der
homodynamen Determinanten eine andere sein kann und meist
auch sein wird — wenigstens in Bezug auf die individuellen
Unterschiede des Menschen.
Auf Grund dieser Theorie liess sich die Thatsache voraus-
sagen, dass Bastarde, wenn sie mit eignem Pollen befruchtet
würden, sehr variabele Nachkommenschaft liefern müssten, und
weiter, dass darunter einzelne Pflanzen sich befinden würden,
welche auf die eine oder die andere Stammart zurückschlagen,
welches Beides zutrifft.
Der Rückschlag auf weiter entfernte Vor-
fahren beruht zwar auf denselben Faktoren der Reductions-
theilung und der Amphimixis, aber er verlangt doch noch eine
weitere Begründung. Es liegt im Princip der Selectionslehre,
dass nie alle Determinanten eines zu verändernden Theiles ab-
geändert werden, sondern immer nur eine Majorität derselben;
es bleiben also stets alte, unveränderte Determinanten dieser
oder jener Theile im Keimplasma einer Art zurück und können
nur ausserordentlich langsam durch den Zufall der Reductions-
theilung daraus entfernt werden. Darauf beruht die Möglich-
keit des Rückschlags auf Charaktere weit zurückgelegener Vor-
fahren; das Zustandekommen desselben aber hängt von
günstigen Reductionstheilungen und von günstiger Amphimixis
ab. Wenn die Reduction derart erfolgt, dass die gleichen Vor-
fahren-Determinantengruppen in mehreren Iden zusammen-
geführt werden, und wenn dann dieses Keimplasma durch Am-
phimixis mit dem einer andern Keimzelle verbunden wird,
[605] welches ebenfalls in mehreren Iden die gleichen alten Vor-
fahren-Determinanten enthält, so kann es kommen, dass diese
im Kampf der Ide in der Ontogenese den Sieg über die modernen
Determinanten erringen. Ob dies erfolgt, wird hauptsächlich
davon abhängen, welche und wie starke moderne Determinanten
ihnen gegenüberstehen, und aus diesem Grunde tritt Rückschlag
auf Ahnencharaktere so leicht bei Kreuzung von Rassen (Tauben)
und Arten (Maulthier) ein, denn hier wirken die modernen De-
terminanten nicht gemeinsam, sie sind heterodynam, und ihre
Kraft hemmt sich gegenseitig, während die Ahnen-Determinanten
gleich sind und ihre Kraft summiren.
Eine Menge von Rückschlags-Erscheinungen bei Pflanzen
und Thieren erklärt sich aus diesen Principien in sehr einfacher
Weise. Auch der bei Knospen und bei parthenogenetischer
Fortpflanzung vorkommende Rückschlag lässt sich von diesem
Standpunkte aus verstehen. Je weiter entfernt die Vorfahren
sind, auf deren Charaktere der Rückschlag erfolgt, um so seltener
wird derselbe eintreten, und bei so enorm weit zurückliegenden
Vorfahren, wie es z. B. die dreizehigen Vorfahren des Pferdes
sind, gehört ein Rückschlag zu den grössten Seltenheiten, da
er darauf beruht, dass diese Ahnen-Determinanten, welche gewiss
bei den meisten heutigen Pferden vollständig aus allen Iden des
Keimplasma’s verschwunden sind, sich dennoch in einzelnen
Individuen einiger Generationsfolgen erhalten haben, und dass
zwei Keimzellen mit solchen Ahnen-Determinanten zufällig bei
der Befruchtung zusammentreffen.
Die merkwürdige Erscheinung des Dimorphismus, welche
schon allein durch die geschlechtliche Fortpflanzung in so weiter
Verbreitung besonders im Thierreich eingeführt ist, muss ihren
idioplasmatischen Grund in Doppeldeterminanten haben,
welche für alle solche Zellen, Zellengruppen und ganze Orga-
nismen im Keimplasma enthalten sind, welche in zweierlei
[606] Gestalt auftreten können, männlich oder weiblich. Die eine der
beiden Doppeldeterminanten bleibt inaktiv, wenn die andere in
Thätigkeit tritt. So muss schon die geschlechtliche Differen-
zirung der Keimzellen auf solchen Doppeldeterminanten, spermo-
genen und ovogenen beruhen, aber auch sämmtliche sekundäre
Geschlechtscharaktere werden auf ähnliche idioplasmatische Grund-
lage zu beziehen sein, und die Doppeldeterminanten derselben
sind nicht nur im Keimplasma enthalten, sondern sie rücken
durch die Zellenstufen der Ontogenese bis an die Körperstelle,
an welcher die beiderlei Charaktere sich scheiden. Dann wird
die eine Determinante aktiv, während ihre Zwillingsschwester
inaktiv im Kern einer somatischen Zelle enthalten bleibt, um
unter Umständen im späteren Leben noch aktiv zu werden.
Das Letztere tritt freilich nur ausnahmsweise ein, in den Fällen
nämlich, in welchen z. B. durch Castration ein weibliches Thier
(Ente, Huhn) männliche Charaktere entwickelt. Ein lehrreicher
Beleg für die Anwesenheit von beiderlei Charakteren im ganzen
Körper, also auch für die Annahme von Doppeldeterminanten,
liegt in den Zwitter-Bienen, bei welchen männlich und weib-
lich ausgebildete Theile in buntester Mischung den Körper
zusammensetzen.
Nicht immer aber bleibt es bei der einfachen Doppel-
determinante, sondern es stehen sich ganze weibliche und männ-
liche Determinanten gruppen gegenüber, welche in demselben
Abhängigkeitsverhältniss von einander stehen, wie die Hälften
der einzelnen Doppeldeterminante, d. h. von welchen immer
die eine inaktiv bleibt, wenn die andere aktiv wird. Diese
Gruppen können sehr ungleich sein, die männliche ist in vielen
Fällen (Riechorgane männlicher Cruster, männliche Schmuck-
federn der Vögel) weit reicher an Einzeldeterminanten, als die
weibliche. Die eine Hälfte der Doppelgruppe kann auch ver-
kümmern, so dass das betreffende Organ in dem einen Ge-
[607] schlecht ausfällt, wie z. B. die Flügel bei vielen weiblichen
Schmetterlingen.
Die Zahl der Doppeldeterminanten steigert sich aufs Höchste,
wenn die beiden Geschlechter vollständig verschieden sind in
allen Theilen, wie z. B. bei Bonellia viridis; aber auch hier
kann noch eine Anzahl einfacher Determinanten vorhanden
sein, falls, wie dies in diesem Falle zutrifft, das Larvenstadium
für beide Geschlechter gleich ist.
Die Annahme von Doppeldeterminanten ist im Stande, auch
gewisse räthselvolle Vererbungserscheinungen beim Menschen
einigermassen verständlich zu machen. Die Bluterkrankheit
tritt, wie lange bekannt, nur beim Manne auf, wird aber durch
das Weib vererbt. Nimmt man an, dass nicht nur die sicht-
baren sexuellen Unterschiede auf Doppeldeterminanten beruhen,
sondern dass sexuelle Unterschiede auch in Organsystemen ent-
halten sind, wo wir sie nicht unmittelbar erkennen können, so
erklärt sich diese sonderbare Beschränkung der seltnen Krank-
heit auf nur ein Geschlecht; die Krankheit vererbt sich dann,
wie ein sekundärer Sexualcharakter nur auf das Geschlecht, in
dem sie zuerst entstanden ist, denn nur diese Hälfte der
Doppeldeterminante des „Mesoblast-Keimes“ hat sich
krankhaft verändert.
Auch der sexuelle Polymorphismus mancher Schmetter-
linge lässt sich durch Doppeldeterminanten mehrerer Lokalrassen
derselben Art verstehen, welche sich miteinander in verschiedner
Weise kreuzen, dagegen verlangt der Polymorphismus der Biene
und anderer staatenbildenden Thiere die Annahme drei- und vier-
fach gespaltener Determinanten. Hier wird die weibliche Hälfte
der Doppeldeterminante selbst wieder doppelt und auch die
männliche kann es werden (Termiten).
Schliesslich findet auch der zeitliche Dimorphismus, wie
der Saison-Dimorphismus seine idioplasmatische Erklärung in
Doppeldeterminanten.
[608]
Die Fähigkeit zur Doppelgestaltung liegt in allen Fällen
in der Anwesenheit von zweierlei Determinanten, aber die Ur-
sachen, welche entscheiden, welche der beiden aktiv werden
sollen, sind äusserst verschieden, und in vielen Fällen können
wir sie nicht genau angeben. Doch sind es immer äussere Ein-
flüsse, die hier bestimmend einwirken, die Befruchtung, Er-
nährung, bei der Dichogenie der Pflanzen die Belichtung u. s. w.
Nach der hier vorgetragenen Theorie der Vererbung ver-
steht es sich von selbst, dass nur solche Eigenschaften vererbt
werden können, welche durch Determinanten des Keimplasma’s
bestimmt, d. h. hervorgerufen worden sind, dass also auch nur
solche Veränderungen vererbbar sind, welche auf Veränderungen
einzelner oder vieler Determinanten des Keimplasma’s beruhen,
nicht aber solche, welche erst nachträglich durch irgend welche
Einflüsse auf die Zellen des Körpers entstanden sind. Mit andern
Worten: es folgt schon aus der Theorie, dass somatogene
oder erworbene Eigenschaften nicht vererbt werden
können.
Dieser Satz ist indessen nicht gleichbedeutend damit, dass
äussere Einflüsse keine vererbbaren Abänderungen hervorzu-
bringen vermöchten, vielmehr bringen sie solche immer dann
hervor, wenn sie im Stande sind, Determinanten des Keim-
plasma’s zu verändern. So können klimatische Einflüsse sehr
wohl dauernde Abänderungen hervorrufen, indem sie langsam
im Laufe der Generationen gewisse Determinanten zu immer
stärkerer Abänderung veranlassen. Es kann sogar unter Um-
ständen der Schein einer Vererbung somatogener Abänderungen
dadurch zu Stande kommen, dass der klimatische Einfluss gleich-
zeitig gewisse Determinanten des Keimplasma’s trifft und die-
selben Determinanten, wenn sie im Begriff sind nach der Körper-
stelle hinzuwandern, welche sie zu bestimmen haben. Die klima-
tischen Variationen eines Schmetterlings Polyommatus Phlaeas
lieferten hierzu einen Beleg.
[609]
Die Variation in ihrer letzten Wurzel beruht immer
auf der Einwirkung äusserer Einflüsse. Wäre es möglich, dass
Wachsthum stattfände unter absolut gleichbleibenden äusseren
Einflüssen, so würde Variation nicht vorkommen; da dies aber
nicht möglich ist, so ist jedes Wachsthum mit kleinen oder
grösseren Abweichungen von der ererbten Entwickelungsrichtung
verbunden.
Diese Abweichungen stellen, wenn sie nur das Soma treffen,
passante, nicht vererbbare Variationen dar, wenn sie aber am
Keimplasma eintreten, übertragen sie sich auf die folgende
Generation und verursachen also ihnen entsprechende vererb-
bare Variationen des Körpers.
Da das Keimplasma einem sehr starken Wachsthum unter-
worfen ist von der befruchteten Eizelle bis zu den Keimzellen
des Nachkommen, so werden seine Lebenseinheiten, die Bio-
phoren und Determinanten fortwährenden kleinsten Schwankungen
in ihrer Zusammensetzung unterworfen sein. Wirken dauernde,
sich gleichbleibende Einflüsse, z. B. klimatische, auf sie ein, so
werden sich diese kleinsten Schwankungen im Laufe der Zeit
und der Generationen summiren, und so zu individuellen sicht-
baren Variationen, allmälig auch zu Rassen-, und vielleicht so-
gar zu Artmerkmalen werden können. Dauert ein gleichsinnig
gerichteter Einfluss nur kürzere Zeit, so wird es davon ab-
hängen, auf wie zahlreiche Ide des Keimplasma’s er einwirkt,
ob dadurch allein schon eine individuelle Variation des Soma
hervorgerufen wird. Sobald eine Majorität von Iden abgeändert
ist, muss auch die entsprechende somatische Variation eintreten.
Da nun aber durch Amphimixis und die mit ihr verknüpfte
Reductionstheilung eine doppelte Neumischung der Ide statt-
findet, so können Minoritäten abgeänderter Ide zu Majoritäten
werden, und die geschlechtliche Fortpflanzung kann somit aus
dem fluctuirenden Material unsichtbarer Determinanten-Varia-
Weismann, Das Keimplasma. 39
[610] tionen sichtbare Soma-Variationen werden lassen. Mit diesen
operirt dann Naturzüchtung unter unausgesetzter Beihülfe von
Amphimixis. Die Letztere ist es, welche auf Grund der stets
vorhandenen kleinsten Schwankungen sämmtlicher Keimplasma-
Einheiten der Naturzüchtung unzählige Combinationen verschie-
denster Variationen zur Auswahl anbietet.
Streng genommen kann eine Steigerung oder Abmin-
derung eines Charakters allein durch Amphimixis
nicht erfolgen, wohl aber kann ein Charakter fester durch sie
im Keimplasma begründet werden, indem sie die Zahl der Ide
vermehrt, deren Determinanten diesen Charakter hervorrufen.
Eine Steigerung im populären Sinne kann allerdings eintreten,
indem eine Abänderung auf grössere Körperflächen aus-
gebreitet wird; durch die Vielheit der Ide und die Möglich-
keit ihrer steten Neucombinirung bei Amphimixis erklären sich
die Erfahrungen der Züchter, nach welchen sowohl Gleichbleiben
einer Eigenschaft, als Steigerung derselben durch Auswahl zur
Nachzucht möglich ist. Auch die sog. „Individualpotenz“ lässt
sich verstehen; sie muss wohl auf einer sehr grossen Zahl von
homodynamen Determinanten sämmtlicher Haupteigenschaften
beruhen, und wird nicht allein schon durch lange anhaltende
Reinzucht einer Rasse erzielt werden, obwohl dies ihre Voraus-
setzung ist, sondern zu ihr müssen noch glückliche Id-Combi-
nationen bei Reductionstheilung und Amphimixis hinzukommen.
Die Variationen beruhen aber nicht blos auf Abänderungen
in der Zusammensetzung einer Determinante oder Determinanten-
gruppe, sondern häufig zugleich auch auf ihrer Verdoppelung
oder Vervielfachung, und auch diese wird ihre Wurzel in ver-
änderten äusseren Einflüssen, z. B. in lokal veränderter Er-
nährung einer Keimplasmaparthie haben. Auf diese Weise er-
klärt sich die scheinbar plötzlich auftretende Verdoppelung von
[611] Theilen, z. B. von Federn oder sonstigen Hautgebilden, aber
auch manche pathologische Bildung, wie z. B. die überzähligen
Finger und Zehen beim Menschen. Wirklich plötzlich ent-
stehen aber wohl alle solche Veränderungen nicht, sondern sie
bereiten sich zuerst in einigen Iden vor und treten erst dann
plötzlich zu Tage, wenn sie zu einer Majorität summirt wor-
den sind.
Plötzlichkeit der sichtbaren Variation ist wohl meist
nur ein Schein, wie besonders durch die Versuche von Hoff-
mann mit wilden Pflanzen, die durch abnorme Lebens-
bedingungen zum Variiren gebracht wurden, belegt wird. Das
Rudimentärwerden nicht mehr gebrauchter oder auch ein-
fach blos nutzlos gewordener Theile beruht idioplasmatisch auf
dem Verkümmern und schliesslichen Verschwinden der betreffen-
den Determinanten aus dem Keimplasma. Da dieses aber seiner-
seits von den fluctuirenden Variationen dieser Determinanten
in den verschiedenen Iden abhängt, so wird es nicht gleich-
mässig und gleichzeitig in allen Iden vor sich gehen, und es
bleiben so häufig noch Reste der verkümmerten Determinanten
in einzelnen Iden auf ungezählte Generationen hinaus erhalten,
die dann, gelegentlich durch Reductionstheilung und Amphimixis
gehäuft, zum Rückschlag führen können.
Sprungweise Abänderungen an Knospen sind nur
an Pflanzen beobachtet, welche sich daneben auch geschlecht-
lich fortpflanzen oder fortgepflanzt haben, bei welchen also das
Keimplasma dieselbe complicirte Zusammensetzung hat, wie bei
Arten, die sich nur geschlechtlich fortpflanzen. Die Wurzel
der Abänderung ist auch hier in ungleichen und abändernden
äusseren Einwirkungen auf die Determinanten zu suchen, welche
in dem während des Wachsthums von Zelle zu Zelle weiter
transportirten Knospen-Keimplasma enthalten sind. Doch liesse
sich nicht verstehen, wieso nur eine einzelne unter Millionen
39*
[612] von Knospen zur Abänderung gelangte, wenn dabei nicht noch
etwas Besonderes mitspielte. Wie es bei Samen-Fortpflanzung
die Amphimixis ist, welche abgeänderte Determinanten einzelner
Ide gelegentlich häuft und sie dadurch zur Geltung bringt, so
mag hier eine gelegentlich eintretende ungleiche Kerntheilung
dasselbe bewirken.
Auch die scheinbar so ungemein launenhafte Vererbungs-
kraft „plötzlicher“ Variationen bei Pflanzen lässt sich
im Princip sehr wohl verstehen. Da niemals die Abänderung
in allen Iden des Keimplasma’s ihren Sitz hat, sondern immer
nur in vielen, da aber diese Majorität eine starke oder schwache
sein kann, so wird es eben davon abhängen, ob bei Fortpflan-
zung durch Samen durch Reductionstheilung und Amphimixis
diese Majorität häufig erhalten und sogar gesteigert, oder aber
herabgemindert oder ganz zerstört wird. Im ersteren Fall ver-
erbt sich die Spiel-Variation, im zweiten vererbt sie sich gar
nicht oder selten. Auch Einzelheiten in den anscheinend räthsel-
haften Vererbungserscheinungen beobachteter Spiel-Varietäten
erklären sich so ganz einfach, so die Erscheinungen bei den
Balsaminen, den Trauer-Eschen, der gefleckten Abart der Ballota
nigra u. s. w.
Nicht so einfach ist die Erklärung der capriciösen Ver-
erbung von Knospen-Variationen durch Samen, welche manch-
mal vorkommt, in den meisten Fällen aber ausbleibt. Die Ur-
sache liegt darin, dass das Knospen-Keimplasma und das für
die Bildung von Keimzellen bestimmte „Reserve-Keimplasma“
ihre eignen Wege gehen, folglich auch nicht immer dieselbe
Zahl abgeänderter Ide enthalten werden. Die Seltenheit der
Vererbung von Knospen-Variationen durch Samen aber möchte
darin ihren Grund haben, dass das für die Keimzellen bestimmte
Reserve-Keimplasma bei jeder Keimzellenbildung durch Reduc-
tionstheilung und Amphimixis eine Neucombination der Ide er-
[613] leidet, der das Knospen-Keimplasma, solange rein ungeschlecht-
liche Fortpflanzung andauert, nicht unterworfen ist.
Die Fähigkeit der Vererbung, welche allen Organismen
eigen ist und welche die Grundlage der Bildung höherer Lebens-
formen ist, beruht somit nach unserer Ansicht nur bei den
allerniedersten, uns nicht bekannten Organismen auf einfachem
Wachsthum, bei allen bereits differenzirten Organismen aber
auf einem besonderen Vererbungsapparat.
Dieser beginnt bei den Einzelligen und besteht dort in
einer Substanz, welche aus den verschiedenen Arten von Lebens-
theilchen oder Biophoren zusammengesetzt ist, die in der Sub-
stanz des Organismus vorkommen, und zwar vermuthlich in
demselben Verhältniss, wie sie den Körper zusammensetzen,
jedenfalls jede Art von Biophoren in einem Vielfachen, und alle
zusammen in einer bestimmten Architektur geordnet. Diese
Substanz wird durch eine Membran umschlossen, die Kern-
membran, welche Poren besitzt, durch welche die Biophoren
des Kernes in den Zellkörper austreten können, um sich dort
auf Kosten der Nährstoffe, zu welchen unter Umständen auch
die Lebenstheilchen des Zellkörpers selbst herabsinken können,
zu vermehren und sich vermöge der in ihnen liegenden Kräfte
zu ordnen.
Darauf beruht die Fähigkeit, durch Theilung des Organis-
mus aus einem Bion zwei vollständige Individuen der gleichen
Beschaffenheit hervorzubringen.
Schon auf dieser Stufe der Differenzirung complicirt der
Process der Amphimixis oder der Vermischung der Individual-
differenzen die Vererbungssubstanz, indem er von Zeit zu Zeit
dieselbe halbirt und durch die Vererbungssubstanz eines andern
Individuums wieder ergänzt. Die Folge davon ist die, dass jeder
Theil des Organismus in der Vererbungssubstanz durch ver-
[614] schiedene Variationen der gleichen Biophoren-Art vertreten ist,
und dass in Folge dessen die folgenden durch Theilung ent-
stehenden Individuen ungefähr Mittelformen zweier Eltern sein
werden.
Bei den Vielzelligen mit intercellulärer Differenzirung
wird der Vererbungs-Apparat um so complicirter, je zahlreichere
und je verschiedenartiger zusammengestellte Zellenarten der
Organismus enthält. Denn hier kann die Vermehrung zunächst
nur dadurch erreicht werden, dass jedes Individuum von der
Stufe der Einzelligkeit ausgeht und auf dieselbe wieder zurück-
kehrt. Durch Theilung des ganzen Organismus würden nur zwei
ungleiche Hälften hervorgebracht werden, deren Ergänzung nicht
so ohne Weiteres möglich wäre, die vielmehr einen ganz be-
sondern Ergänzungs-Apparat voraussetzt. Für die Herstellung
eines solchen ist aber die Schaffung eines Vererbungs-
Apparates für die Fortpflanzung aus einzelligen Keimen die
unerlässliche Vorbedingung.
Dieser letztere Apparat besteht nun darin, dass ein Keim-
plasma gebildet wird, d. h. eine Kernsubstanz, welche nicht
nur Reserve-Biophoren zum Aufbau des eigenen Zellkörpers,
sondern auch solche für den Aufbau aller übrigen Zellkörper
des ganzen Organismus in sich vereinigt, und zwar zu einem
festen architektonisch geordneten Bau verbunden, der so ein-
gerichtet ist, dass seine Theile nicht gleichzeitig an der Be-
stimmung des Zellkörpers Theil nehmen, sondern successive,
und zwar in einer fest geregelten Aufeinanderfolge. Zu diesem
Behufe sind die kleinsten Lebens-Einheiten, die Biophoren, zu
nächst höheren, den Determinanten vereinigt, von denen jede
eine Zellenart bestimmt, mithin also alle diejenigen Biophoren
in sich bindet, welche zur Bestimmung dieser einen Zellenart
gehören. In der Keimzelle sind mindestens so viele
Determinanten enthalten, als verschiedene, vom Keim
[615] aus einzeln bestimmbare Zellen oder Zellengruppen
am fertigen Organismus vorhanden sind.
Da aber auch bei den Vielzelligen der Vorgang der „Ver-
mischung der Individual-Differenzen“, die Amphimixis,
beibehalten ist, so musste schon aus diesem Grund eine Viel-
heit von Keimplasma in der einzelnen Keimzelle enthalten sein,
von denen jede Einheit sämmtliche Determinanten der Art in
fester Bindung enthält. So entstand die Zusammensetzung der
Vererbungssubstanz der Keimzelle aus Iden und Idanten.
Die Vermehrung der Vielzelligen durch Theilung
und Knospung beruht auf einer bedeutenden Steigerung der
Complicirtheit des Vererbungs-Apparates, nämlich darauf, dass
bestimmten Zellen des Körpers nicht blos die zu ihrer eigenen
Wesensbestimmung nöthigen Determinanten zugetheilt wurden,
sondern zugleich noch Keimplasma-Ide in gebundenem, d. h.
zunächst noch nicht zerlegbarem Zustand. Auf derselben Zu-
theilung latenten Keimplasma’s an gewisse somatische Zellfolgen
beruht auch die Keimzellen-Bildung bei den meisten Vielzelligen,
die Fähigkeit der Regeneration aber auf einer gesetzmässig
geordneten Beigabe gewisser inaktiver Determinanten und De-
terminantengruppen an bestimmte Zellen des Körpers.
Weitere Complicationen des Keimplasma’s bringt der Ge-
nerationswechsel und der oft mit ihm verbundene Polymor-
phismus, nicht minder der mit der „geschlechtlichen Fortpflan-
zung“ stets in irgend einem, oft aber in sehr hohem Grade
verbundene sexuelle Dimorphismus. Alle Determinanten und
Determinantengruppen, welche zwei- oder mehrgestaltig auf-
treten, müssen auch im Keimplasma zwei- oder mehrfach ent-
halten und so eingerichtet sein, dass sie nur alternirend in
Thätigkeit treten. Beim Generationswechsel genügt dies aber
nicht, sondern hier müssen mehrere Arten von Keimplasma
vorhanden sein und miteinander in ihrer Aktivität abwechseln.
[616]
So entsteht allmälig in der Phylogenese der Lebensformen
eine immer mehr sich steigernde Complication derjenigen Sub-
stanz, welche die Wiederholung derselben Lebensform bedingt,
und erreicht schliesslich einen so hohen Grad, dass man sich
schwer entschliesst, an die Wirklichkeit einer so unendlichen
Verwickelung im Bau des Kleinsten zu glauben. Je tiefer man
aber in die Vererbungserscheinungen eindringt, um so mehr be-
festigt sich die Überzeugung, dass irgend etwas Derartiges wirklich
existirt, denn es ist unmöglich, die beobachteten Erscheinungen
auf ganz anderem Wege, d. h. durch viel einfachere Annahmen
zu erklären. Wir werden so von Neuem daran erinnert, dass
die Unendlichkeit nicht nur nach der Richtung des Grossen,
sondern eben so sehr nach der des Kleinen liegt, dass Grösse
nur ein relativer Begiff ist, und dass wir selbst mitten in der
nach beiden Seiten sich ausdehnenden Unendlichkeit stehen.
Appendix A
Druck von Th. Hofmann in Gera.
[[617]]
Appendix B Index.
A.
- Ableger, Bewurzelung, idioplasmatischer Ursprung derselben 279.
- Acer negundo, Rückschlag bei, 443.
- Actinien, Regeneration derselben 169.
- Adler, über die Gallen 288.
- Adventivknospen, nach Sachs277; Bildung durch das Neben-ldio-
plasma 279, 287. - Ahnenplasmen, sind nicht Analoga der physiologischen Einheiten
Spencer’s 16. - Amphimixis, oder die Vermischung der Individuen 28, 33; A. und
Fortpflanzung 304; complicirt die Zusammensetzung des Keimplasma’s
308; Vorbedingung jeden Grades von Rückschlag 442; als Variations-
quelle 542; A. und Knospen-Variation 577; Steigerung eines Charakters
durch A. 609. - Antirhinum, majus, Versuche Darwin’s mit der pelorischen Form
von, 434, 435. - Aphis, Generationswechsel 235.
- Ascaris megalocephala, seine Chromosomen 116; Schema Fig. 18.
- Ascaris nigrovenosa, schematische Darstellung der Keimbahn 258.
- Ascidien, Regeneration 186; die Eier im Gegensatz zum Froschei 189;
Knospung 213; Vergleich ihrer Knospung mit ihrer Embryogenese 215. - Auerbach, mitotische Kerntheilung 32.
B.
- Balfour, über Phylogenese der Knospung 223.
- Balsamine Vererbung von Variationen der, 586.
- Bastarde, zwischen Pflanzen-Arten 334; B. und Idantenlehre 339; bei
Pflanzen 340; scheinbar einelterliche Vererbung der, 396. - Baumann, Chemischer Bau des Eiweiss 53.
- Befruchtung, Wesen des Vorgangs 304.
- Begonia, adventive Knospen 278.
- Beherrschung der Zelle durch das Idioplasma 61.
- Beneden, Ed. van, Beobachtung über die Befruchtung des Ascariden-
Eies 32; Bedeutung der Centrosomen 34; über Idanten 320. - Beyerinck, über die Gallen 288; Nematusgalle 292.
- Biene, Polymorphismus 495.
- Bild, als terminus technicus 411.
- Biophoren oder Lebensträger, die kleinsten Lebenseinheiten 54; eine
die Lebenserscheinungen bedingende Gruppe von Molekülen 54;
ähnlich den physiologischen Einheiten Spencers 54; Unterschied
zwischen ihnen und Nägeli’s Micellen 56, De Vries „Pangenen‟
und Wiesner’s Plasomen 57; Träger der Zelleneigenschaften 57; die
Zahl ihrer Arten eine unbegrenzte 59; setzen alles Protoplasma zu-
sammen 60; ihre Grösse und Zahl 115; Neucombinirung bei Gallen-
bildung 291; 590. - Blumenbach137; Nisus formativus 140.
- Bluterkrankheit484.
- Blutzellen, Bestimmung durch Determinanten 77.
- Bonellia viridis, ihr Dimorphismus 478.
- Bonnet, Regeneration des Auges eines Triton 167; über Würmer 175.
- Born, Entwicklung des Eies in Zwangslage 181.
- Boveri, Beobachtung über die Befruchtung des Ascarideneies 32; Be-
deutung der Centrosomen 34; Beobachtung an künstlich kernlos ge-
machten Eiern einer Seeigelart 39; Chromosomen von Asc. meg. 116;
die Differenzirung der somatischen Zellen von Asc. meg. 252; Zahl
der Kernstäbchen in zwei Arten 316; über Idanten 320. - Brandza, Prüfung von Bastarden auf die elterlichen Merkmale 353.
- Brooks, W. K., The law of Heredity 13; über Variation 541; über Nicht-
vererbung erworbener Eigenschaften 520. - Brücke, Ernst, Elementarorganismen 3; kleinste Lebenstheilchen 27;
über das Eiweiss 51; Organisation des Eiweiss 51. - Brustwarzen, überzählige beim Menschen als Rückschlag 437.
- Bryophyllum, Knospung 278.
- Bryozoen, Knospung 209; Knospenbildung aus mehreren Zellen 220;
Knospungs-Keimplasma 286. - Bütschli, Untersuchungen über die Vorgänge der Kerntheilung 32;
Deutung der Richtungskörper als verkümmerte Eizellen 329.
C.
- Cardamine pratensis, Knospung 278.
- Carneri, Beobachtung über Telegonie 506.
- Caspary, Kreuzungsversuche von Cytisus Laburnum und purpureus 450.
- Castration als Ursache sexuellen Rückschlags 469.
- Cecidomyia Poae, Gallenbildung 291.
- Centrosoma mit seiner Attractionssphäre ist der Theilungsapparat der
Zelle und des Kerns 32; Continuität des Centrosoma’s 65. - Chabry, Versuche an Eiern von Ascidien 182.
- Chromatin, die Vererbungssubstanz 33, 38; muss in jeder Art von
Zellen verschieden sein 43. - Chromosome sind das Idioplasma 15; ihre Gestalt 34; als Idanten 90.
- Continuität des Keimplasma’s; Historisches darüber 260.
- Cyclops, Beobachtung an den in Furchung begriffenen Eiern 252.
- Cymothoiden, zeitlicher sexueller Dimorphismus 148.
- Cyprisreptans, die Zeichnung der Schale im Lichte der Determinanten-
lehre 118; Rückschlag 452; theoretische Erklärung 455. - Cytisus Adami445; theoretische Erklärung 450.
D.
- Daphnia pulex, ihr Generationswechsel 231.
- Daphniden, Embryogenese 243; sekundäre Natur der Differenzirung
ihrer Keimzellen 245; Keimbahn 253. - Darwin, Charles, Pangenesis 3; seine „gemmules‟ 4; ihr Verhältniss
zu den physiologischen Einheiten Spencers 8; über die correlativen
Abänderungen 113; über die weisse Farbe bei Pflanzen und Thieren
363; Züchtung 382; Vererbungsvermögen beim Rindvieh 384; über
Rückschlag bei Pflanzen-Bastarden 392; Rückschlag auf entfernte
Vorfahren 415; Rückschlag bei Tauben 424; bei Maulthieren 431;
Rückschlag bei Antirhinum majus 434; Kreuzungsversuche mit Cytisus
Laburnum und purpureus 450; über latente Anlagen 461; Vererbung
erworbener Eigenschaften 505, 517; über Variation 533, 538; über
Kahlköpfigkeit bei Vögeln 559; Vererbung von Knospen-Variationen
579; Vererbung einer Variation von Ballota nigra 586. - Datura ferox × laevis, Rückschlag des Bastards auf eine unbekannte
Stammform 415. - Davenport, über Knospung bei Bryozoen 211.
- Déjerine, Erblichkeit der Nervenkrankheiten 484.
- Determinantenlehre71; Zusammenfassung 295; erklärt den Rück-
schlag 439; in Bezug auf sexuellen Dimorphismus 479. - Determinaten oder Vererbungsstücke 76.
- Determinanten oder Bestimmungsstücke 76; bestimmen zum Theil
Gruppen von Zellen 77; sind eine Gruppe von Biophoren 80; mit
besondern Eigenschaften ausgerüstet 80; sind im Idioplasma fest
40*
[620] localisirt 83; setzen die Ide zusammen 84; ihre Anziehungskräfte 90;
ihr Verhalten im Verlauf der Ontogenese 94; ihre Auflösung in
Biophoren 94; ihr Wachsthum und ihre Vermehrung 96; ihre Zahl
120; Ersatz-D. 138, 149, 170, 175, 198; Zerlegung einer Gruppe bei
Theilung 203; Auseinanderlegung bei Knospung 212; gruppenweise
Scheidung derselben bei Entstehung der Somazellen 276; Abänderung
bei Gallenbildung 292; Bestimmung der Zelle durch Zusammenwirken
von väterlichen und mütterlichen D. 342; homologe und heterologe
346; ihre bestimmende Kraft 352; Zahl der homodynamen wechselnd
in der Ontogenese 354; homodyname und heterodyname 346, 364;
Beweis für ihre Auflösung in Biophoren 456; bei Dimorphismus 465;
Schwankungen ihrer Zusammensetzung als Ursache der Variation
533, 548, 590. - Dianthus chinensis und barbatus; Kreuzung 396.
- Dichogonie bei Pflanzen 151, 501, 607.
- Dycyemiden Umfang der Vererbungsstücke 79.
- Digitalis, lutea × purpurea Kreuzung 334.
- Dimorphismus normaler 460; idioplasmatische Grundlage 464; patho-
logischer 484; doppelter in Papilio Turnus 491; Saison-D. 498, 605. - Dipteren, Verlauf der Keimbahn 253.
- Driesch, Versuche mit Seeigeleiern 183; mit den Blastomeren des Frosches
189.
E.
- Elsberg, Louis, 54.
- Embryonalzellen45.
- Epheu148; Dichogonie 501.
- Ersatz-Determinanten138; Veränderung im Laufe der Phylogenese
149; bei den Regenerationsvorgängen von Hydra 170; die anti-
meralen 175; über ihre Herkunft 198. - Eudendrium, Knospung 206 und 207. Fig. 6.
- Exarticulation des Beines von Triton und die Ersatz-Determinanten 159.
F.
- Farn, Regeneration und Knospung 283.
- Flemming, Verlauf der Kerntheilung 32; Spaltung der Chromosomen
bei der Kerntheilung 36, 92. - Focke, über Pflanzen-Bastarde 341; Kreuzung von Nicotiana 350; über
Rückschlag bei Bastarden 392; Rückkreuzung 396; „Xenien‟ 504. - Fol, die Übertragung des Centrosoma bei der Befruchtung 40.
- Fortpflanzung, Wesen der geschlechtlichen F. 303; ihre Wirkung 314;
des Menschen und Vererbung der elterlichen Charaktere 336; durch
Theilung 598; geschlechtliche 600. - Fraisse, Regeneration bei Amphibien 129; bei Salamandra 132; bei
Eidechsen 147, 154. - Fucoideen, Richtungskörper 329.
G.
- Gallen, die, 287; wirkliche Neubildungen mit abgeänderten Zellen-
formen 291. - Galton, Francis, nimmt „Keimchen‟ an, verwirft die freie Circulation
derselben 9; Gesetz über die Mischung elterlicher Eigenschaften in
den Kindern 10, 337; über die Zusammensetzung der Keimsubstanz
aus homologen Keimchen 98; G. als Vorläufer der Annahme einer
Continuität des Keimplasma’s 260. - Gärtner, über Pflanzenbastarde 392; Rückkreuzung von Bastarden 400.
- Generationswechsel, idioplasmatische Grundlage 228; einzelne Gene-
rationen desselben erblich veränderlich 230; bei den Daphniden 232;
bei Aphis 235; bei Medusen 236; bedingt durch zwei Arten von
Keimplasma 240, 600. - Giard, Deutung der Richtungskörper als verkümmerte Eizellen 328.
- Godron, Melandryum album × rubrum, Rückschlag 401.
- Götte, Regeneration bei Salamandra 132.
- Gruber, Aug., künstliche Theilung von Infusorien 70.
- Guignard, über die Reduction der Idanten in den Keimzellen der
Pflanzen 328; über Kernverschmelzung 41, Note.
H.
- Haberlandt, Über die Beziehungen zwischen Functionen und Lage des
Zellkerns 62. - Häckel, Ernst, die Perigenesis der Plastidule 54; Gesetz der geschlecht-
lichen Vererbung 484; - Häcker, Valentin, Reductionserscheinungen der Keimzellen bei Glieder-
thieren 327. - Hallez, „Recherches sur l’embryologie des Nématodes‟ 183.
- Hatschek72; Variation und sexuelle Fortpflanzung 543.
- Henking, Reductionserscheinungen der Keimzellen bei Gliederthieren 327.
- Hensen, Victor, über amphigone Vererbung 331; Steigerung einer
Eigenschaft 557. - Herbert, Versuche mit Cytisus Adami 450.
- Hertwig, Oscar, Auffassung der Befruchtung als Kerncopulation 31;
die Keimblätter der Metazoen 150; die Kernstäbchen bei zwei Arten
von Ascaris meg. 316. - Hetero-Biophoriden, hypothetische Urwesen 591.
- Heterokinesis, erbungleiche Theilung des Kerns 46.
- Hildebrandt, Bastard zwischen Oxalis-Arten 334.
- His, Lehre von den organbildenden Keimbezirken 180.
- Hoffmann, Versuch mit Papaver alpinum 573.
- Homo-Biophoriden, hypothetische Urwesen 591.
- Homokinesis, erbgleiche Theilung des Kerns 46.
- Hoppe-Seyler, Chemische Zusammensetzung des Eiweiss 53.
- Hydra, Regeneration 169; Knospung 206.
- Hydractinia echinata, Bildung der Geschlechtszellen 249.
- Hydroiden, Knospenbildung geht von einer Zelle aus 220; Embryo-
genese 241; Verlegung der Keimstätte 246; ihre Keimbahnen 272.
I.
- Id, das, und die Ontogenese 81; ihre Zahl im einzelnen Idanten 316.
- Ide oder Ahnenplasmen sind aus Determinanten zusammengesetzt 84;
über ihre individuelle Verschiedenheit 310; homologe und heterologe
im Idioplasma 346; allmähliche Umwandlung 355; Zahl veränderlich
nach dem Alter des betreffenden Charakters 358; Kampf der
Eltern-Ide 373. - Idanten als Vererbungssubstanz bei geschlechtlicher Fortpflanzung 307;
Zusammensetzung aus ungleichartigen Iden 312; als Idgruppen 316;
ihre Zahl 322; Verdopplung durch Spaltung 323; Combinationen 325;
der Vorfahren im Keimplasma 336; ihre Combination in Pflanzen-
Bastarden 390, 595; Mischung bei Vererbung 409. - Idioplasma nach Nägeli’s Auffassung 14; heutige Auffassung 44;
Gegensatz zu Morphoplasma 50; aus Iden zusammengesetzt 85;
phyletische Veränderung bei Umwandlung der Arten 104, 570. - Individual-Potenz der Züchter 381.
- Jäger, Gustav, als Vorläufer der Annahme einer Continuität des Keim-
plasma’s 262.
K.
- Kampf der individuellen Merkmale 359; der Ide bei der Leitung der
Ontogenese 340. - Keimbahnen, Weg des Keimplasma’s von der Eizelle zur Fortpflanzungs-
zelle 242; ihr Verlauf bei Metazoen 253; ihre Zellen, befähigt Ur-
keimzellen zu bilden 256; jede Zelle derselben enthält ganz bestimmte
Anlagen 277; kurze Zusammenfassung 299. - Keimplasma als unsterbliche Vererbungssubstanz 12; ist die erste onto-
genetische Stufe des Idioplasma’s 48; die Grundeinheiten des K. 49;
seine Zusammensetzung aus Biophoren 54, 65; feste Architektur 82;
[623] eine in sich abgeschlossene Einheit 84; Zusammenfassung seines
Baues 101; seine Grössenverhältnisse 115; als Knospen-Idioplasma 220;
gesetzmässige Spaltung desselben 226; Neben - Keimplasma 230;
Continuität desselben 241; seine Zusammensetzung 49—104, 246;
seine Veränderung durch Amphimixis 307; sein Gehalt an Idanten
der Eltern 333; partielles Variiren desselben 326, 356; Vorfahren-
Determinanten desselben als Ursache des Rückschlags 440; Um-
wandlung und Stufenleiter des Rückschlags 441; Knospen-K. 580;
Reserve-K. 587, 595. - Keimzellen, Bildung derselben 241; Verschiebung der Keimstätte im
Laufe der Phylogenese 246; die Anlage nur bestimmten Zellenfolgen
zugehörig 249; Unterschied von Somazellen 276; und die Combi-
nation von Iden 321, 325; enthaltend nur die Hälfte der elterlichen
Ide 336; 600. - Kennel, Regeneration eines Storchschnabels 167; Teilung 200.
- Kiwi-Kiwi (Apteryx), Schwund seiner Flügel 111.
- Kleinenberg, Entwicklung von Lumbricus trapezoides 224.
- Knospung der Coelenteraten 204; Knospungs-Idioplasma 208; der
Bryozoen 209; der Tunicaten 212; bei Pflanzen 216; Vergleich der-
selben bei Pflanzen und Thieren 219; ihre Phylogenese 222; als An-
passung bei Polypen 285; kurze Zusammenfassung 295, 599. - Knospen-Variation573; theoretische Erklärung 580.
- Kolibri als Beispiel sexuellen Dimorphismus 561.
- Kölreutter, Kreuzung von Nicotiana rustica ♀ × N. paniculata ♂ 342,
353; Rückkreuzung 400. - Kowalewsky, überzählige Zehen des Pferdes 438.
- Kraepelin, Untersuchungen von Zwitterbienen 473.
- Krankheiten, Vererbung von, 509; Bluterkrankheit 484.
L.
- Lamarck, Vererbung erworbener Eigenschaften 519.
- Lang, A., Regenerationsvermögen als Schutzeinrichtung 124; Theilung
201; Knospung von Hydroiden 206. - Leptodora hyalina, Entwickelung 233; Sexualcharaktere und Deter-
minantenlehre 475. - Lester Ward, Neo-Darwinism and Neo-Lamarckism 537.
- Leuckart, Rudolph, Entdeckung der Parthenogenese der Bienen 466;
Mischung der sekundären Geschlechtscharaktere bei Zwitterbienen 472. - Leydig, Regeneration bei Eidechsen 147, 155.
- Liebscher, Kreuzung von Hordeum Steudelii ♀ × H. trifurcatum ♂ 394.
- Löb, Knospung bei Tubularia mesembryanthemum 285.
- Lycaena als Illustration der Determinantenlehre 78, 83; L. Adonis und
Agestis 117; Färbung und Dimorphismus 470, 490; Variation 554. - Lumbriculus, Regeneration 168, 201.
M.
- Marsh, überzählige Zehen des Pferdes 438.
- Marrubium, Vaillanti 353.
- Maulthiere, Querstreifung als Rückschlag 415; theoretische Erklärung
der Querstreifung 431; pathologische Variation 563. - Medusen, Bildung der Keimzellen 246; Rückbildung zum blossen Ge-
schlechtssack 247. - Mesohippus438.
- Meyer, O. E., über Moleküle 115.
- Micellartheorie55.
- Miescher-Rüsch über Nuclein 67.
- Mischung der elterlichen Eigenschaften 11; keine Fundamentalerschei-
nung der Vererbung 11; der elterlichen Idioplasmen während der
Ontogenese 331; der elterlichen Charaktere im Kinde 342, 348, 389. - Morphoplasma50.
- Müller, Josef, Gamomachie und Gamophagie 388.
- Musciden, Erneuerung des Epithels des Darms 77.
N.
- Nägeli, Carl von, physiologische Theorie der Abstammungslehre 13;
die Vererbungssubstanz nur ein minimaler Theil der Eizelle 31;
seine Micelle 55; Variation 540; Ibis und Krokodil und Variation 547;
Knospen-Variation 582. - Nais, Regeneration 168.
- Naudin, Versuche mit Datura 421.
- Nicotiana rustica ♀ und N. paniculata, Kreuzung 342; Unterschied in
der Blüthe 350; N. alata × N. Langdorffii 394. - Nitsche, O., Knospung der Bryozoen 210.
- Nussbaum, künstliche Theilung der Infusorien 70; Gedanken über
Continuität der Keimzellen 263.
O.
- Oka, Knospung der Bryozoen 211.
- Ontogenese oder Entwickelung des Individuums 44; beruht auf gesetz-
mässiger Veränderung des Keimplasma 44; Rolle der Determinanten
bei ihrem Ablauf 108; Erklärung nur möglich durch Evolution nicht
durch Epigenese 184; unter der Leitung des amphimixotischen Keim-
plasma 330. - Otternschaf382.
- Owen, Richard, über Zellen 260.
- Oxalis, Kreuzung verschiedener Arten von 334.
P.
- Pangene von De Vries als Eigenschaftsträger 21; frei mischbar 21;
im Vergleich mit den Biophoren 56. - Papilio Turnus491.
- Pflüger, Vererbungssubstanz nur ein minimaler Theil der Eizelle 31;
Einfluss der Schwere auf die Entwicklung des Froscheies 181. - Phanerogamen, Knospung 284.
- Philippeaux, Regeneration bei Triton 158.
- Phylogenese104; Parallelismus zwischen ihr und der Ontogenese 107;
der Theilung der Metazoen 200; der Regeneration 152; der Knospung
222; des Vererbungsapparates 591 u. f. - Plasome von Wiesner27.
- Plastidul, Hackel’s54.
- Plumularia, Knospung derselben 206.
- Podocoryne carnea248.
- Polyommatus Phlaeas524, 551.
- Polydaktylie, Vererbung derselben 489, 563 u. f.
- Polymorphismus491; der Thier- und Pflanzenstöcke 494, 607.
- Primula acaulis, Rückschlag auf die langstengelige Form 23.
- Prosper Lucas, über Vererbung der Polydaktylie 489.
- Protohippus438.
R.
- Ray Lankester, über Nichtvererbung erworbener Eigenschaften 520.
- Rath, Dr. O. vom, über Lininfäden zwischen den Idanten 320; Re-
ductionserscheinungen der Keimzellen in Gliederthieren 327. - Rauber, als Vorläufer der Annahme einer Continuität des Keimplasma 263.
- Reductionstheilung des Keimplasma 15, 31, 309; als Ausschaltung
von Iden 315; Einfluss auf die Zusammensetzung des Keimplasma
317; als Grund der Ungleichheit der Kinder eines menschlichen
Elternpaares 336; in Bezug auf Rückschlag 401. - Regeneration, die idioplasmatische Grundlage derselben 124; als Schutz-
einrichtung 124; physiologische 125; der Epidermis 126; palin-
genetische 140; coenogenetische 144; der Schwanzwirbelsäule 146,
147; ihre Phylogenese 152; physiologische und pathologische 159;
beruht auf Anpassung 159; bei Fischen, Vögeln und Sängern 160;
Unterschied ihrer Kraft bei nieder- und höher - organisirten Thieren
[626]166; durch Selection herbeigeführt 168; facultative oder polygene
168; bei Pflanzen 177; Callusbildung 179; an thierischen Embryonen
179; der Furchungszellen 186; Zusammenfassung 296, 597. - Reisseck, über Kreuzung von Cytisus laburnum ♀ × C. purpureus 450.
- Reiz, als Veranlassung aufgefasst 172.
- Rhabditis nigrovenosa, Keimbahn 257.
- Roux, Wilhelm, über den Zweck des Theilungsapparates des Kerns 37;
Kampf der Theile 143; Differenzirung des Eies zum Embryo mit Aus-
schluss der Schwerkraft 181; Versuche an Froscheiern 182; Post-
generation 189. - Rückbildung, zusammengehalten mit der Determinantenlehre 112.
- Rückert, J., Verhalten der Chromosomen im reifenden Haifischei 68,
96, 325. - Rückschlag bei Pflanzenmischlingen 392; zur reinen Stammform 401;
R. und Rassenkreuzung beim Menschen 403; auf den Grosselter 405;
auf Charaktere weit entfernter Vorfahren 415; bei Datura 32, 421;
auf alte Blüthenformen bei Pflanzen 4; auf rudimentäre Charaktere
436; bei Knospung 443; bei Parthenogenese 451; sexueller R. 481;
bei Knospenvariationen 590, 602.
S.
- Sachs, J., über Callusbildung 179; Wachsthum von Chara 217; „ad-
ventive‟ Knospen 277. - Sagitta, Embryogenese 243. Verlauf der Keimbahn 254.
- Salamandra, Regeneration der Beine 132.
- Salpen, Knospung 215; Generationswechsel 238.
- Schmetterlinge, ihre Flügelzeichnung verwerthet zur Begründung der
Determinantenlehre73, 230, 346, 347; Kallima paralecta als
Beispiel relativer Vollkommenheit 357; die klimatischen Varietäten
in ihrer idioplasmatischen Wurzel 499, 523, 531, 548. - Schreiber, über Regenerationsvermögen bei Triton marmoratus 154.
- Seeliger, O., über Knospung bei Bryozoen 210; Knospung von Clavel-
lina 213; der Salpen 215; Knospung bei Pedicellina 286. - Semper, Carl, Theilungsvorgang bei Nais 195.
- Settegast, über Infection des Keims 507.
- Selbstdifferenzirung der Zellen 181.
- Siebold, v., Bestimmung des Geschlechts bei der Biene 466; Zwitter-
bienen 472. - Siren lacertina Regenerationsvermögen des 153.
- Spallanzani, über die Regenerationskraft der verschiedenen Organe 156;
bei Triton 160; Regeneration der Kiefer bei Triton 167. - Spencer, Herbert, Physiologische Einheiten 151; ihr Verhältniss zu
den Keimchen Darwin’s 8; über Vererbung 10; über Regeneration 139;
Regeneration verglichen mit Krystallisation 171. - Steigerung einer Eigenschaft durch Kreuzung 558.
- Strasburger, über Befruchtung bei Phanerogamen 31; Gleichwerthig-
keit des männlichen und weiblichen Kerns 32; Begründung der
dynamischen Wirkung der Kernsubstanz 61. - Syphilis, Vererbung der, 510.
T.
- Tardigraden Umfang der Vererbungsstücke 79.
- Tauben, Rückschlag auf die Felsentaube 424, 462; Steigerung einer
Eigenschaft durch Züchtung 558, 560. - Telegonie oder Infection des Keims 504.
- Termiten, ihr Polymorphismus 498.
- Theilung, bei den Naiden 195; bei Mistocromeen 199, 599.
- Thuja, Dichegonie 503.
- Traueresche584, 587.
- Triton133; Schema der Regeneration eines Armes 136, 154; Versuche
über Regeneration der Lunge 157. - Tubularia mesembryanthemum, Knospung derselben 285.
- Tunicaten, Knospung derselben 212.
- Tuberkulose und Infection des Keimes 512.
V.
- Vanessa, Levana und Prorsa 499.
- Variation, Intermezzo über V. 355; theoretische Begründung derselben
538; normale individuelle V. 540; Wurzel oder erbliche V. 544; patho-
logische V. 562 u. f.; Zusammenfassung der Ansicht über V. 566;
grössere Beträge von V. bei Pflanzen 572—608. - Verdoppelung von Gliedmaassen bei Käfern 564; von ganzen Deter-
minanten-Gruppen 563. - Vererbung, ihre Grunderscheinungen 27; bei den Einzelligen 69; im
Anschluss an die Architektur des Keimplasma 93; homologe und
homochrone 101; bei einelterlicher Fortpflanzung 123; bei geschlecht-
licher Fortpflanzung 302, 330; Erklärung der scheinbar einelterlichen
V. bei Pflanzen-Mischlingen 339; beim Menschen 339; der Augen-
farbe 365; Beispiel der scheinbar einelterlichen V. 350, 367; Kraft
der V. 380; V. erworbener Eigenschaften 515; V. von Verletzungen
521; V. von Spiel-Abänderungen 583; der Vererbungsapparat 612. - Vererbungssubstanz ist nicht im Zellkörper, sondern im Zellkern
enthalten 15; aus „Anlagen‟ zusammengesetzt 21; nur ein kleiner
[628] Theil der Substanz des Eies 31; aus verschiedenen Qualitäten zu-
sammengesetzt 37; ihr Bau ein sehr verwickelter 40; Wachsthum-
process derselben 42; bei Einzelligen 592; bei Vielzelligen 593. - Verworn, M., die Vererbungssubstanz auch im Zellkörper enthalten 39.
- Vilmorin, Individualpotenz bei Pflanzen 381, 382.
- Vines, gegen die Annahme einer besondern „reproductive substance‟ 266;
die „embryonale Substanz‟ 268. - Volvox, Beweis für den Gegensatz von Soma- und Keimzellen 282;
Beispiel für sexuellen Dimorphismus 464. - Viola tricolor, Rückschlag auf die Stammform 419.
- Vöchting, H., Über Transplantation am Pflanzenkörper 173.
- De Vries, Hugo, Gegner der Ahnenplasmen-Theorie 17; seine „intra-
cellulare Pangenesis‟ gegenüber der Darwin’schen Pangenesis 18;
Widerspruch gegen die Ansicht, dass die Vererbungssubstanz nur im
Kern enthalten sei 38; feinste Protoplasmastructur 51; über Häckel’s
Plastidule 54; gegen Strasburger und Haberlandt’s Ansichten
62; seine Pangene als Träger von Zelleigenschaften 57; Continuität der
Zellorgane 75; seine Haupt- und Nebenkeimbahnen 271, 277; über die
Continuität des Keimplasma 273; die Gallen als Beweis gegen die-
selbe 287; Gallen von Cecidomyia Poae 291; Kreuzung zweier Bohnen-
arten 389; über Pflanzenbastarde 394; über Dichegonie 501, 592.
W.
- Wagner, F. von, über Knospung und Theilung 193; Theilung des
Microstoma lineare 199; Knospung 204. - Wallace, Alfred, Papilio Memnon 493; Variation 538.
- Weide, die, Wurzelanlagen in den Sprossen 503.
- Wiesner, Julius, über die Elementarstructur und das Wachsthum der
lebenden Substanz 26; über feinste Protoplasmastructur 51; Conti-
nuität der Zellorgane 64.
Z.
- Zander R., über Polydaktylie 564.
- Ziegler, Ernst, über das Gesetz der Specifität der Gewebe 150; über
Tuberkulose 514; Polydaktylie als Keimes-Variation 565. - Zwillinge187; identische und unähnliche 332.
[[629]]
Appendix C Errata.
- Auf p. 398, Absatz II, von Zeile 4 an muss es folgender-
massen heissen:
„8 A ♀ × 8 B ♂; (7 A + 1 B) ♀ × 8 B ♂; (6 A + 2 B) ♀
× 8 B ♂; (5 A + 3 B) ♀ × 8 B ♂; (4 A + 4 B) ♀ × 8 B ♂;
(3 A + 5 B) ♀ × 8 B ♂; (2 A + 6 B) ♀ × 8 B ♂; (A × 7 B) ♀
× 8 B ♂; 8 B ♀ × 8 B ♂, aus welch’ letzterer Combination die
reine Stammart B hervorgehen müsste.‟ - Ferner muss es auf p. 399, Absatz II, Zeile 1 heissen:
„Stammart B‟.
[][][][]
von Vetter. Stuttgart 1876.
nuität des Keimplasmas“, Jena 1885, p. 38 und folgenden enthalten.
gart 1873, 2. deutsche Auflage, p. 425, Anm.
Institute, 1875.
1881—1891; in vollständiger gesammelter Ausgabe bisher nur in eng-
lischer Übersetzung als „Essays upon Heredity and kindred biological
Problems“ edited by Poulton, Schönland and Shipley, Oxford 1889,
Bd. I, enthaltend Aufsatz I—VIII, in zweiter Auflage 1891 erschienen.
Die Aufsätze IX—XII werden in diesem Jahre als Bd. II nachfolgen. —
In französischer Übersetzung sind die Aufsätze mit Ausnahme des
letzten von ihnen („über Amphimixis“) unter dem Titel: „Essais sur
l’Hérédité et la sélection naturelle“ traduit par Henry de Varigny,
Paris 1892, veröffentlicht worden. Eine deutsche Gesammtausgabe ist
im Erscheinen begriffen.
variation and the origin of living organisms“. Baltimore 1883.
die Selectionstheorie“. Jena 1886. p. 119.
stammungslehre“. München-Leipzig 1884.
und folgende, p. 52 u. s. w.
der lebenden Substanz“. Wien 1892.
Jena 1887.
gebe für jedes Individuum nur eine Vererbungssubstanz, nur einen
materiellen Träger der Vererbungstendenzen“. Die von ihm citirte
Stelle („Über die Zahl der Richtungskörper“, p. 29) handelt nicht davon,
sondern sie heisst: aus verschiednen, vorher angeführten Gründen „geht
jedenfalls das Eine mit Sicherheit hervor, dass es eine Vererbungs-
substanz giebt, d. h. einen materiellen Träger der Vererbungstendenzen,
und dass dieser in der Kernsubstanz der Keimzellen enthalten ist“ u. s. w.
der lebenden Substanz“. Wien 1892.
Individuen“. Jena 1891.
barkeit mit allen möglichen Farbstoffen; wir wissen aber durchaus nicht,
ob diese Färbbarkeit an der chemischen Zusammensetzung dieses Stoffes
hängt, oder etwa blos an seiner gewöhnlichen mikroskopischen Structur.
Manches spricht für die letztere Ansicht; überhaupt soll mit „Chromatin“
nicht eine einheitliche chemische Verbindung gemeint sein, sondern ein
Gemenge chemisch unbekannter Substanzen, von deren Gesammtheit wir
nur soviel sicher wissen, dass sie die Vererbungssubstanz ausmachen.
liche Eigenschaften“. Gesellsch. f. Morph. u. Physiol. München, 16. Juli
1883.
Bonn 1891. (Arch. f. ges. Phys. Bd. 51.)
Genève, 15 Avril 1891.
cellules végétales“. Compt. rend. Acad. sc. 9 Mars 1891.
Vorgang, den er als „le quadrille des centres“ bezeichnete, einen Hin-
weis darauf zu sehen, dass die Centrosomen doch auch eine Art Ver-
erbungssubstanz sein müssten oder könnten. Ich glaube aber, was hier
vorgeht, ist nichts Anderes, als was bei jeder Kerntheilung geschieht,
nur dass es bei der Befruchtung doppelt geschehen muss, weil eben von
beiden Seiten je ein Centrosoma dem sich bildenden ersten Furchungs-
kern zugeführt wird. Jedes dieser Centrosomen theilt sich und begiebt
sich an die beiden Pole der zu bildenden Theilungsspindel, ganz so, wie
es thun würde, wenn es allein in der Zelle wäre. Ich würde mich
wundern, wenn es nicht so wäre und wenn das Centrosoma der Eizelle
an den einen, das der Spermazelle an den andern Pol wanderte.
Guignard meint, dass wenn auch der Kern in Bezug auf die Über-
tragung der erblichen Eigenschaften eine grosse Bedeutung hätte, man
doch „le rôle primordial dans l’accomplissement de la fécondation“ den
„sphères directrices“ zugestehen müsse. Insofern damit gemeint ist, dass
der Beginn der Embryonalentwickelung, wie jeder Kerntheilung von der
dass aber das Wesen des Befruchtungsvorgangs in der Vereinigung
zweier Kernsubstanzen liegt, wird dadurch nicht widerlegt oder geändert.
Wiesner.
p. 75 (Theil I des Lehrbuchs der „Physiologischen Chemie“)
Stuttgart 1876. Bd. I, p. 198.
molecules; a contribution to the doctrine of evolution. Proceed. Assoc.
for the Advancement of Science, Hartford Meeting, August 1874.
stammungslehre“, München und Leipzig 1884, p. 35.
der lebenden Substanz“. Wien 1892.
vorgang bei den Phanerogamen“, 1884, p. 112.
Lage des Zellkerns“, 1887.
der Chromosomen im Keimbläschen eines Haies während der Reifung des
Eies. „Anat. Anzeiger“ vom 10. März 1892.
vom Leben des Rheinsalms“ 1880; Schweiz. Literatursamml. z. internat.
Fischereiausstellung in Berlin.
Archiv f. mikr. Anat. 1886.
blatt“, Bd. IV u. Ber. d. naturf. Ges. zu Freiburg i. Br. 1886.
1889, p. 232.
die Vermischung der Individuen“, Jena 1891, p. 39, gebraucht worden;
in meinen früheren Schriften hatte ich für sie den Ausdruck „Ahnen-
plasmen“ angewandt, dessen Bedeutung und Herleitung in dem Abschnitt
über amphigone Vererbung erörtert werden wird.
meiner älteren Schriften, die bestimmende Kernsubstanz für Wachsthum
und histologische Differenzirung des Eies, von der ich lange Zeit glaubte,
dass sie durch die Richtungskörper später aus dem Ei, wenn dasselbe
seine Reife erlangt hat, entfernt würden. Sie bedarf, wie wir jetzt
sehen, einer solchen Entfernung nicht, da sie bei der Ei-Differenzirung
aufgebraucht wird.
vorste ledematen en de tongspieren bij Reptilen“. Kon. Akademie d.
Wetenschappen te Amsterdam, 30. Juni 1888.
1889, p. 148.
für mich auszuführen die Güte hatte.
auf die Thiere u. s. w.“, Jena 1888, p. 108.
Jena 1890.
ganen bei den Wirbelthieren, besonders bei Amphibien und Reptilien“.
Cassel und Berlin 1885.
Skeletts der Molche“. Leipzig 1879.
den Wirbelthieren, besonders bei Amphibien und Reptilien“. Cassel und
Berlin 1885.
von Vetter. Stuttgart 1876. I, p. 194 und 196.
übrigens sehr vorsichtig ausdrückt, wie es der Sachlage entspricht. Es
heisst dort: „Somit ist also das Wiederherstellungsvermögen verlorener
Theile am grössten, wo die Organisation am niedrigsten steht, und es
verschwindet beinahe vollständig, wo die Organisation am höchsten ist.
Und obgleich wir nicht behaupten können, dass innerhalb dieser Extreme
ein constantes umgekehrtes Verhältniss zwischen dem Wiederherstellungs-
vermögen und dem Organisationsgrad besteht, so kann man doch sagen,
dass wenigstens eine gewisse Annäherung an eine solche Relation vor-
handen sei.“
ich nicht ein, weil mir die Thatsachen hier noch allzu unsicher und
lückenhaft zu sein scheinen.
Tübingen 1889, p. 400.
1882, p. 709.
Problem ihrer Entstehung“, Leipzig 1874.
Embryo“, München 1885.
der Zellen und auf die Entwickelung des Embryo“. Arch. f. Physiol.,
Bd. XXXII, p. 68, 1883.
Bd. 24.
V, Virch. Arch. Bd. 114. Berlin 1888.
Paris 1877.
Zeitschr. f. wiss. Zoologie Bd. 53.
Fortpflanzung von Mikrostoma nebst allgemeinen Bemerkungen über
Theilung und Knospung im Thierreich“. Zool. Jahrbücher, Abth. für
Anat. u. Ontogenie, Bd. IV. Jena 1890.
Jahrbüch. Bd. 3, Abth. f. Anat. u. Ontog. d. Thiere, p. 447.
Dorpat 1888.
die Thiere“, Jena 1888.
medusen“, 40 mit Atlas von 25 Tafeln, Jena 1883.
Hydropolypen“. Zeitschrift f. wiss. Zool. Bd. 54. p. 365; 1892.
Bryozoen“ und „Bemerkungen zur Knospenentwickelung der Bryozoen“,
in Zeitschr. f. wiss. Zool., Bd. 49 u. 50 (1889 u. 1890).
lege of Science, Imperial University, Japan. Vol. IV, Pt. I. 1890.
some other Bryozoa“, Bull. of the Museum of Comp. Zool. at Harvard
College. Vol. XXII, No. 1. 1891.
Cassel 1890.
bildung und Knospung von Clavellina lepadiformis“. Sitzungsber. der
Wiener Akademie, Bd. 85. 1882.
logie“, übersetzt von Vetter, Jena 1880, Bd. I, p. 12.
der Zeitschrift für wiss. Zool., u. separat Leipzig 1876—1879.
einer Theorie der Vererbung“. Jena 1885.
medusen“. 40 mit Atlas von 25 Tafeln. Jena 1883.
1887, und in „Zellen-Studien“, Heft 3, p. 79. Jena 1890.
der Vererbung“. Jena 1885.
Thomson an: „Evolution of Sex“, London 1889, p. 93; wo dieselbe zu
finden sei, wird dort nicht gesagt.
1878, II. Abtheilung.
werden, wird mitunter etwas weit gegangen. So findet sich bei Geddes
und Thomson „Evolution of Sex“, Edinburgh 1890, p. 93, ein Citat von
G. Jäger, durch welches dessen Vorläuferschaft ins Licht gestellt werden
soll. Dieses Citat ist aber gar nicht seinem Buche vom Jahre 1878 ent-
nommen, in welchem jene Gedanken enthalten sind, sondern einem zehn
Jahre später geschriebenen Aufsatz, und schliesst mit den Worten:
„diese Reservirung des phylogenetischen Materials beschrieb ich als
Continuität des Keimplasma’s“. Jäger hat aber in seinem Buche
von 1878 nirgends von einer Continuität des Keimplasma’s gesprochen,
sondern nur einen Zusammenhang der Keim zellen behauptet, der nicht
existirt. Die ganze neue Darstellung seiner Gedanken steht unter dem
Einfluss meiner inzwischen erschieneneu Schriften.
reich“, Archiv f. mikr. Anatomie, Bd. XVIII, 1880.
und Thomson’s „Evolution of Sex“, p. 93 u. 94.
logie der Thiere“. I. „Über Heteromorphose.“ Würzburg 1891.
entomolog. Zeitschr. XXI, 1877, p. 209, u. „Über den Generationswechsel
der Eichengallwespen“ in der Zeitschr. für wiss. Zool. Bd. XXXV, 1888,
p. 151.
lungsphasen einiger Cynipidengallen“. Veröffentlicht durch die k. Aka-
demie d. Wiss. zu Amsterdam, 1882.
Derselbe, „Die Galle von Cecidomyia Poae“, in Bot. Zeit. 1885.
Derselbe, „Über des Cecidium von Nematus Capreae“, Bot. Zeit.
1888, No. 1.
durch eine neueste Beobachtung zweifelhaft; doch kann hier davon ab-
gesehen werden, da sich die Bedeutung derselben noch nicht über-
sehen lässt.
talpa vulgaris“. Arch. mikr. Anatomie, Bd. 40 p. 120.
weiss wohl, dass O. Hertwig und neuerdings wieder Guignard dies
zu Gunsten der entgegengesetzten Ansicht verwerthet haben. In der
That gelingt es in vielen Zuständen des Kernes nicht, die Idanten zu
erkennen und als solche, d. h. als compactes Stäbchen existiren sie
dann auch sicherlich nicht. Allein es wäre doch sehr denkbar, dass
trotzdem der Zusammenhang der Ide eines Idanten fortbestünde und
die einzelnen Ide durch feine, für uns unsichtbare Lininfäden unter-
einander verknüpft wären. Dafür spricht auch eine Beobachtung, indem
mein Assistent, Herr Dr. Häcker, bei Copepoden direkt gesehen hat,
dass die Mikrosomen der stäbchenförmigen Idanten des wachsenden Eies
sich von einander entfernen, stets aber durch einen, in diesem Falle färb-
baren blassen Lininfaden zusammengehalten wurden; allerdings aber
bleibt hier die lineare Anordnung der Mikrosomen erhalten. Vgl. Häcker
„Die Eibildung bei Cyclops und Canthocamptus“ in den Zoolog. Jahr-
büchern, Abth. f. Anat. und Ontog., Bd. V, 237.
sie bei Astacus fluviatilis, dem Flusskrebs, 108—125.
Rückert am Haifischei könnte man auf die Vermuthung kommen, die
Verdoppelung bedeute einfach eine Verdoppelung der Masse und damit
der Thätigkeit der Idanten, welche hier eine sehr beträchtliche sein
muss, da das Haifischei sehr gross ist und eine starke Vervielfachung
der „ovogenen“ Determinanten verlangt. Allein die Verdoppelung der
Idanten erfolgt auch in allen übrigen thierischen Eiern, auch in den
kleinsten, dotterärmsten, und nicht nur hier, sondern auch in den Samen-
Mutterzellen, welche ja niemals eine einem Ei zu vergleichende Grösse
oder Structur-Differenzirung besitzen. Um eine Vermehrung des in den
Idanten enthaltenen Keimplasma’s kann es sich auch nicht handeln, da
bei der Eibildung drei Viertel der Keimplasma-Masse in den Richtungs-
körpern wieder verloren gehen. So scheint nichts übrig zu bleiben, als
die hier gegebene Auffassung.
selben, „Nouv. études sur la fécondation“. Ann. scienc. nat. Bot. Vol.
XIV, 1891, p. 163.
Es ist hier nicht der Ort, im Einzelnen auf die höchst werthvollen
Untersuchungen Guignard’s einzugehen. Sie haben nicht nur den Nach-
weis gebracht, dass auch bei den Pflanzen die fertigen Keimzellen nur halb
so viel Idanten enthalten, als die somatischen Zellen, und dass erst durch
die Vereinigung des männlichen und weiblichen Kernes die Normalziffer
der Idanten wieder zu Stande kommt, sondern sie haben auch die Con-
tinuität der Centrosomen von einer Generation auf die andere nach-
gewiesen. Wenn ich aber trotz der offenbar vollkommenen Genauigkeit
der Beobachtungen daran zweifle, dass die Reduction der Idantenziffer
ohne Kerntheilung erfolge, wie Guignard angiebt, so bestimmt
mich dazu nicht nur die Analogie mit den Thieren, sondern ich möchte
auch glauben, dass eine Lücke in den sonst ausgezeichneten Beobach-
tungen gerade an dieser Stelle möglich, ja wahrscheinlich ist. Bei der
Bildung der männlichen Keimzellen dürfte eine Reductionstheilung
zwischen den „cellules mères primordiales“ und den „cellules mères dé-
finitives“ liegen, bei der Bildung der weiblichen Keimzelle aber wird sie
in der Theilung liegen, welche die „cellule mère du sac embryonnaire“
theilung auch dem besten Beobachter passiren können, wenn seine Auf-
merksamkeit nicht speciell auf diesen Punkt gerichtet ist. Wozu wäre
denn die Reductionstheilung bei den Thieren eingerichtet, wenn die
Reduction auch ohne Kerntheilung erfolgen und denselben Erfolg erzielen
könnte? Unter all den zahlreichen Beobachtungen über Karyokinese ist
sonst keine, welche die Ansicht stützte, dass das einheitliche (?) Chromatin-
band des Knäuelstadiums sich auch in blos halb so viel Idanten zerlegen
könne, als in dem Kern vorher anwesend waren.
Cassel 1889.
„Natural Inheritance“ hervorgehoben, p. 187 und folgende. Seiner An-
sicht nach ist die „personal heritage“ von jedem Elter = ¼, und die
Erbschaft von „latent Elements“ des Elters auch ¼, zusammen also ½.
Ich kann natürlich dieser Rechnung nicht beistimmen, da nach meiner
Ansicht das Latentbleiben von Eigenschaften eines Elters seinen Grund
nicht in den „Anlagen“ dieser Eigenschaften selbst, sondern in dem
Kampf mit den „Anlagen“ des andern Elters hat, und als ich überhaupt
eine Trennung von solchen „Anlagen“, welche das actuelle Individuum
bilden, und solchen, die den latenten Keim für die Keimzellen der fol-
genden Generation bilden, nicht annehme. Ich stimme aber mit Galton
vollständig darin überein, dass niemals alle „Eigenschaften“ der Vor-
fahren, z. B. eines Grosselters, in jeder Keimzelle, aus der ein Enkel
werden kann, enthalten sind.
p, die mütterlichen mit m, die grossväterlichen mit pp oder pm, die
grossmütterlichen mit mm oder mp u. s. w. Der letzte Buchstabe be-
deutet immer die elterliche Abstammung, der zweitletzte die grosselter-
liche, der drittletzte die urgrosselterliche und so fort.
einigen das Geschlecht der Pflanzen betreffenden Versuchen und Beobach-
tungen“. 1761.
oder Entwickelungsstufe“.
wesentlicher Merkmale, welche zusammen das Individuelle des einzelnen
Menschen ausmachen.
gegen wird die Zahl der Idanten wohl immer dieselbe sein, wenn man
nach der Constanz der Idantenzahl bei vielen Thieren und Pflanzen
schliessen darf. Leider kennen wir die Idantenzahl des Menschen noch
nicht, wenigstens habe ich keine Angabe darüber finden können.
so geschieht dies nur der Kürze halber. Es ist mir nicht unbekannt, dass
das Blau der Iris nicht auf blauem Pigment beruht. Der Ausdruck bedeutet,
dass die Determinante der Iris eine Structur ertheilt, welche sie blau
oder braun erscheinen lässt, einerlei, durch welche histologische Mittel
dies geschieht. So auch bei allen späteren Anwendungen dieser
Redeform.
Vilmorin, Notices sur l’amélioration des plantes par le semis. Nou-
velle Edition 1886, p. 44.
l’Hérédité naturelle dans les états de santé et de maladie du système
nerveux“. Paris 1850.
Ausbau der Theorie der Befruchtung und Vererbung“, Stuttgart 1892.
arten sind Phaseolus multiflorus und Phaseolus vulgaris nana.
habe Idanten vorgezogen, einmal weil diese keine blos hypothetischen
Gebilde, sondern sichtbare Einheiten sind, und dann, weil man eine
niedrigere und deshalb leichter übersehbare Zahl für sie annehmen darf.
Arten Norm ist.
Beobachtungen der Güte des Herrn Ammon.
Science“, Vol. XI, III, April 1892.
von dem Befruchtungsvorgang, bei Pflanzen vor, nämlich im Embryo-
sack der Phanerogamen. Guignard beschreibt (a. a. O.) ausführlich,
wie der „obere und untere Polkern“ des Embryosackes sich einander
nähern, ein jeder begleitet von seinem, bereits durch Theilung ver-
doppelten Centrosoma, wie die Kerne sich aneinanderlegen, die Centro-
somen sich paarweise koppeln, ganz wie bei echter Amphimixis, und wie
dann völlige Verschmelzung der beiden Kerne eintritt. Dann erst bildet
sich eine Theilungsspindel und mehrere Theilungen folgen unmittelbar
aufeinander.
ausführlicher noch in den verschiedenen Abhandlungen meiner „Auf-
sätze über Vererbung“ u. s. w., Jena 1892, enthalten.
Versammlung“ vom Jahre 1864.
Bd. XIV, p. 73. 1864.
1873.
p. 183, Berlin 1866.
Paris 1886, p. 17.
l’hérédité naturelle“, Tom. II, p. 137. Paris 1850.
Centralblatt“, Bd. VII, No. 23.
Pflanzen im Zustand der Domestication“ Bd. I, p. 453 d. deutsch. 2. Auf-
lage. Darwin scheinen die weiterhin noch zu erwähnenden Bilder des
betreffenden Füllens nicht bekannt gewesen zu sein. Auch ich habe sie
nicht gesehen, sondern habe ihre Existenz erst aus dem Buche von
Settegast erfahren.
Deutsch. med. Wochenschr. v. 15. Sept. 1892.
und seine Krankheiten“. Wien 1871.
die infectiöse Natur der traumatischen Epilepsie der Meerschweinchen
ist in meiner Schrift „Die Bedeutung der geschlechtlichen Fortpflanzung“,
Zusatz IV, Jena 1886, enthalten.
Brit. Vol. XXIV.
d. Deutsch. Naturforscherversammlung zu Wiesbaden 1887.
schappen“, s’Gravenhage 1890.
des Keimplasma’s als Grundlage einer Theorie der Vererbung“, Jena 1885.
gungen meiner Versuche an Mäusen sind von Ritzema Bos und von
Rosenthal gegeben worden, auch habe ich meine eignen Versuche jetzt
bis in die neunzehnte Generation fortgeführt — stets mit demselben
negativen Resultat: das Abschneiden der Schwänze blieb ohne jeden Ein-
fluss auf die Schwänze der Nachkommen. Ebenso die entsprechenden
Versuchsreihen an Ratten, welche die beiden genannten Forscher an-
gestellt haben (vergl. „Biolog. Centralblatt“ Bd. XI, p. 734 u. f. 1891.)
p. 194.
stümmelungen in dem Buche von Eimer: „Die Entstehung der Arten u. s w.“
Jena 1888. Es werden dort eine ganze Reihe sogen. „Beweise“ dafür
aufgezählt.
auch in: „Aufsätze über Vererbung und verwandte biologische Fragen“,
Jena 1892. II.
über meine Versuche, Herrn Dr. Schiemenz von der Zoologischen
Station in Neapel meinen wärmsten Dank zu sagen für seine liebens-
würdige und aufopfernde Unterstützung meiner Bestrebungen. Ohne die-
selbe würde ich ausser Stande gewesen sein, das schwer zu gewinnende
lebende Material zu erhalten.
gart 1873.
Daten für Beweise einer Vererbung somatogener Vererbung nimmt.
Vergl. „L’hérédité des modifications somatiques“ in der „Revue scienti-
fique“ vom 6. December 1890.
Entartung der Nachkommen europäischer Hunde in Indien. „Var. der
Thiere und Pflanzen im Zustand der Domestication“ I, p. 45.
aus objectiv und echt wissenschaftlich gehaltene Schrift: „Neo-Darwi-
nism and Neo-Lamarckism“, Washington 1891.
lectionstheorie“. Jena 1886.
of Variation and the Orgin of living Organisms.“ Baltimore 1883.
zung“, Jena 1886, p. 40.
Jena 1886, p. 38.
überzähligen Finger u. s. w. durch mechanische Einschnürung der
embryonalen Fingeranlagen von Seiten ammiotischer Fäden erklärt. Sie
würden dann aber nicht erblich sein können, und die Verdoppelung des
Tarsus von Käfern würde doch eine andere Erklärung verlangen. Vgl.:
„Ist die Polydaktylie als theromorphe Varietät oder als Missbildung an-
zusehen?“ in Virch. Arch., Bd. 125, p. 453. 1891.
fasser hat dabei auf meinen früheren Ansichten seine logisch consequenten
Deductionen aufg ebaut, die nur dadurch hinfällig werden, dass ich selbst
inzwischen zu besserer Einsicht gelangt bin.
heit halber von einer Scheitelzelle auch bei Phanerogamen, bei welchen
eine bestimmte Scheitelzelle des Vegetationspunktes nicht zu unter-
scheiden ist.
Domestication“.
- Rechtsinhaber*in
- Kolimo+
- Zitationsvorschlag für dieses Objekt
- TextGrid Repository (2025). Collection 3. Das Keimplasma. Das Keimplasma. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bpbh.0