[][][][][][][[I]]
Italieniſche
Forſchungen


Erſter Theil.

Berlin und Stettin,:
in der Nicolai’ſchen Buchhandlung.
1827.

[[II]]
In studiis puto, mehercule, melius esse, res ipsas intueri et harum
causa loqui.

(Seneca de tranq. c. l.)

[[III]]

Ihrer Koͤniglichen Hoheit,
der
Frau Prinzeſſin
Caroline Amalie von Daͤnemark,
gebornen
Herzogin von Holſtein-Sonderburg-Auguſtenburg
.


[[IV]][[V]]
Gnaͤdigſte Prinzeſſin!

Auf den Antheil vertrauend, welchen Ew. Koͤ-
nigliche Hoheit
, wie jedem edleren Beſtre-
ben, ſo beſonders den bildenden Kuͤnſten zuge-
wendet haben, wage ich den vorliegenden, ich
geſtehe, hoͤchſt unvollendeten Verſuch unter den
Schutz Ihres erlauchten Namens zu ſtellen.
Moͤge die Erinnerung an ſo viel Herrliches,
ſo Ew. Koͤnigliche Hoheit waͤhrend Ihres
Aufenthalts in Italien geſehen und gewuͤrdigt
haben, an ſo viel hiſtoriſch Bedeutendes, fuͤr
welches Sie mit ſeltener Sicherheit des Blik-
kes den rechten Standpunct aufzufinden wiſſen,
die Maͤngel meiner Arbeit verdecken und ihre
[[VI]] Luͤcken ergaͤnzen! Im Uebrigen vertraue ich
auf jene goͤttliche Huld und Nachſicht, welche
den Werth des Dargebrachten nach den Ge-
ſinnungen und Abſichten des Gebers ermißt.
In dieſer Zuverſicht erſterbe ich in tiefſter
Ehrfurcht
Ew. Koͤniglichen Hoheit


unterthaͤnigſter
Karl Friedrich von Rumohr.


[[VII]]

Vorwort.


Es galt, das Ergebniß mehrjaͤhriger Muße, urkund-
licher Forſchungen und oͤrtlicher Beobachtungen waͤh-
rend eines laͤngeren Aufenthaltes in Italien, nach
Moͤglichkeit zu einem Buche zu vereinigen, weil es
billig ſchien, dieſe Arbeit, da ſie einmal gemacht, de-
nen zu uͤberliefern, welche ſie fortzuſetzen und weiter
zu fuͤhren Luſt und Gelegenheit finden. In der Form
locker verbundener Reiſebemerkungen duͤrfte ich leicht
meinen Zweck, die Aufklaͤrung nemlich einzelner Dun-
kelheiten der Kunſthiſtorie, wenn nicht verfehlt, doch
minder bequem und faßlich dargelegt haben. Das
Ergebniß meiner Unterſuchungen mit anderen, theils
[VIII] ſchon bekannten, theils minder ſicheren Angaben der
Druckſchriften zu verweben, eine zur Haͤlfte begruͤn-
dete, zur anderen in der Luft ſchwebende Kunſthiſtorie
zu entwerfen, fuͤhlte ich aber weder Luſt, noch Be-
ruf, noch Kraft und Ausdauer, noch beſaß ich in den
letzten Zeiten, von groͤßeren Bibliotheken entfernt,
und durch Unfall eines nicht unwichtigen Theiles mei-
ner Vorarbeiten beraubt, dazu die noͤthigen Huͤlfsmit-
tel. Der Leſer moͤge deshalb von dieſer Arbeit nichts
literaͤriſch Vollſtaͤndiges erwarten; viel mehr mache ich
Anſpruch auf das Verdienſt, das Ausgemachte, mir
ſicher Bewußte oder anſchaulich Bekannte minder oft,
als in Mittheilungen dieſer Art zu geſchehen pflegt,
mit Unausgemachtem, auf Glauben Angenommenem
vermiſcht und aufgereiht zu haben. Uebrigens ſchien es
mir noͤthig, in der Begruͤndung einzelner Thatſachen,
wenn ſie in dunkelen Zeiten einen Stuͤtzpunct der For-
ſchung gewaͤhren, in der Darlegung umſtaͤndlich, in
den Anziehungen weitlaͤuftig zu ſeyn, da aller Vor-
theil, den ich durch dieſe Arbeit Anderen gewaͤhren
kann, eben nur auf Zuverlaͤſſigkeit im Einzelnen be-
ruht, welches, wie ich verſicheren darf, durchaus reif-
[IX] lich erwogen und auf alle Weiſe gepruͤft und geſich-
tet worden.


So viel von dem Inhalte der zweyten Abthei-
lung dieſer Schrift, welche der erſten unmittelbar
nachfolgen ſoll. Doch auch von dieſer werde ich er-
waͤhnen muͤſſen, weshalb und wie ſie entſtanden.


Urkundliche Forſchungen fuͤhren, wie es Sach-
kundigen bekannt iſt, gar ſehr ins Einzelne; und ſo
zerfiel auch das Ergebniß der meinigen in eine Reihe
abgeriſſener Abhandlungen, denen ich keine aͤußere Ver-
bindung zu geben wußte. Deſto mehr ſchien es mir
noͤthig, um Wiederholungen auszuweichen, von vorn
herein den Standpunct zu bezeichnen, aus welchem ich
das Einzelne aufgefaßt. Hiedurch ward ich uͤber mei-
nen Wunſch und erſten Zweck hinaus veranlaßt, in
das Gebiet der Theorie hinuͤber zu greifen, was der
reinſte Wille, das Gedeihen der Kunſt und den unge-
truͤbten Genuß ihrer Werke zu foͤrdern, auch bey de-
nen entſchuldigen mag, welche auf die Sache minder,
mehr auf die Form ſehen.


Allein auch in hiſtoriſcher Beziehung bedurfte das
Vereinzelte und Abgeriſſene eines gemeinſchaftlichen
**
[X] Bodens, woher die allgemeinen, mehr Ueberſicht, als
Erſchoͤpfung ihres Gegenſtandes bezweckenden Abhand-
lungen entſtanden ſind, welche, gegen die erſte Anlage,
dieſen Band vollends ausgefuͤllt haben. Hiedurch ward
nun allerdings die Mittheilung des Beſten, was ich
irgend zu geben habe, um eine kurze Friſt hinausge-
ruͤckt, doch hoffe ich auf Nachſicht, da es auch hier
nicht an Gelegenheit gefehlt, minder beachtete Thatſa-
chen zu beruͤhren und neue Geſichtspuncte aufzuſtellen.

[]

Zur
Theorie und Geſchichte

neuerer Kunſtbeſtrebungen.


[][[1]]

I.
Haushalt der Kunſt.


Auch die bildenden Kuͤnſte gehorchen, wie wir annehmen
duͤrfen, irgend einem durchwaltenden Geſetze, enthalten irgend
ein Allgemeines und Unveraͤnderliches; ihre Anwendung und
Beziehung iſt indeß ſo mannichfach, daß Jeglicher, der unter-
nimmt, den Zweck und Gebrauch der Kunſt aus deren ver-
einzelten Leiſtungen abzuleiten, gar leicht auf Anſichten ver-
faͤllt, welche anderen vorhandenen oder moͤglichen widerſpre-
chen, und oftmals ſogar viele treffliche Dinge der Kunſt
ganz unnoͤthiger Weiſe ausſchließen.


Woher wohl, wenn nicht aus einer ſolchen Einſeitigkeit
und Gebundenheit, erklaͤrte ſich der lang genaͤhrte, ſo ganz
muͤßige Streit uͤber den Werth oder Unwerth der Andeutung
von Begriffen und Gedanken des Verſtandes durch vereinbar-
lich zu Begriffes-Zeichen geſtempelte Bilder? War nicht, wer
ſolchen Bezeichnungen in der Kunſt die hoͤchſte Stelle ein-
raͤumte, eben nur der Befriedigung eingedenk, welche gluͤck-
liche Allegorieen ihm gewaͤhrt Hatten? War nicht im umge-
kehrten Falle, wer ſie durchaus verdraͤngen wollte, eben nur
uͤber ſie hingegangen, weil andere Leiſtungen der Kunſt ihm
aus irgend einem Grunde naͤher geſtanden? Wir indeß duͤr-
fen ihn ganz an die Seite ſtellen, weil er die reine Kunſtbe-
I. 1
[2] trachtung nun einmal durchaus nicht angeht. Denn ohne,
etwa mit Leſſing, die Moͤglichkeit, oder den Nutzen der bild-
lichen Andeutung edler Begriffe und ſinnreicher Gedanken durch-
aus zu laͤugnen, ſehe ich mich dennoch genoͤthigt, das Ver-
dienſt alles Guten, welches ſolche Andeutungen in ſich ein-
ſchließen, nicht dem Kuͤnſtler, als Kuͤnſtler betrachtet, nicht
den bildenden Kuͤnſten beyzumeſſen, welche dazu die ſtehenden
Ziffern nur etwa herleihen, vielmehr dem menſchlichen Geiſte
uͤberhaupt und beſonders den Kuͤnſten der Rede, in deren
Begriffen und Fuͤgungen ihr Gegenſtand, wie es einleuchten
muß, zuerſt aufgefaßt und durchgebildet worden. Naͤher jedoch
duͤrften uns ſolche Erklaͤrungen angehen, welche, wie einſeitig
ſie ſeyn moͤgen, doch immer von irgend einer Faͤhigkeit oder
Leiſtung wirklicher Kunſt ausgehen.


Dieſer Art iſt die Erklaͤrung derer, welche den Zweck der
Kunſt entweder in Deutlichkeit des Dargeſtellten — Charak-
ter *) — oder auch in bloß ſinnliche Wahrſcheinlichkeit —
Illuſion **) — ſetzen; je nachdem ſie in beſtimmten Kunſt-
werken von dem einen, oder von dem andern Vorzuge leb-
[3] haft beruͤhrt worden ſind. In unſern Tagen bedarf es kei-
ner Darlegung, daß eben dieſe Vorzuͤge nur in einzelnen Faͤl-
len, und nur bey beſtimmten Kunſtwerken ſchon an ſich ſelbſt
der Zweck ſind, in allen uͤbrigen aber bloße Bedingungen der
Darſtellung, oder untergeordnete Mittel zur Erlangung eines
viel weiter hinausliegenden Abſehns. Andere wiederum haften
mit beſonderer Anhaͤnglichkeit an jenem behaglichen Schwanken
an ſich ſelbſt gleichguͤltiger Formen, an jener Heimlichkeit und
Beſchloſſenheit des Lichtes, welche wir das Maleriſche nennen
und vornehmlich durch die Hollaͤnder empfinden lernten. Wie-
der Andere, welche in beſtimmten Kunſtwerken durch uͤberra-
ſchende Verknuͤpfungen des Entlegenen und Widerſtrebenden
ergoͤtzt worden, ſind geneigt, ſolche Spiele der Laune, des
Witzes, der Phantaſie, fuͤr den allgemeinen, durchgehenden
Zweck der Kunſt zu halten. Noch andere, welche durch dauern-
den Umgang mit den Alten feiner gewoͤhnt ſind, und daher
hoͤher hinaus wollen, moͤchten in der Kunſt uͤberall nur ſol-
ches ſehen und dulden, deſſen Vorſtellung, gleich dem Lebens-
friſchen und ſittlich Edlen, ganz unabhaͤngig von den Reizen
und Schoͤnheiten der Kunſt, alſo ſchon an ſich ſelbſt ergoͤtz-
lich iſt *).


Allerdings fehlt es auch nicht an Solchen, welche den
Zweck der Kunſt in die Vereinigung aller Leiſtungen verſetzen,
die ihnen jemals einzeln in Kunſtwerken vorgekommen **),
1 *
[4] ſo wie andererſeits jene allgemeineren Gegenſaͤtze in der Auf-
faſſung des Kunſtzweckes nothwendig in eine unbeſtimmbar
große Menge von untergeordneten zerfallen. Liegt es doch in
dem Weſen der Ableitung aus vereinzelten Wahrnehmungen,
daß jeglicher Kunſtgelehrte, ſo lang’ er von dem Eindruck,
bald der einen, bald der andern Schule und Meiſterſchaft
ausgeht, bald dieſe, bald wiederum eine andere Eigenthuͤm-
lichkeit beſtimmter Erſcheinungen mit denen Vorſtellungen ver-
knuͤpft, welche ihm fuͤr allgemeine gelten. Frey von einer
ſolchen Vermiſchung des Beſonderen und Allgemeinen erhielten
ſich nicht einmal die unvergeßlichen Stifter jener hoͤheren
Richtung des deutſchen Kunſtſinnes, aus deren Nachwirkung
ſogar das ſcheinbar Entgegengeſetzte in neueren Anſichten und
Beſtrebungen entſtanden iſt. Denn wie koͤnnten wir uns ver-
hehlen, daß Winkelmann und Leſſing keinesweges von
einem, ſey es urſpruͤnglichen, oder mit großer Verſtandes-
ſchaͤrfe abgeſonderten Begriffe der Kunſt, ſondern uͤberall nur
von dem Eindruck einzelner Kunſtgebilde des Alterthumes aus-
**)
[5] gegangen ſind. Wir wollen es dahin geſtellt ſeyn laſſen, ob
und in wie fern ihre Wahl ſolcher vereinzelten Denkmale, in
denen ſie den Begriff der Kunſt gleichſam verkoͤrpert zu er-
blicken geglaubt, auch durchhin gluͤcklich geweſen. Gewiß
erwarben unſere Zeitgenoſſen mit ſo viel neuen Gegenſtaͤnden
der Vergleichung *) auch neue Veranlaſſungen zur Unterſuchung
der altgriechiſchen Kunſt, was die Kenntniß und richtige Wuͤr-
digung dieſer letzten dem Anſehn nach gefoͤrdert haben koͤnnte.
Doch an dieſer Stelle genuͤgt es uns, daß Leſſing’s Be-
ſtreben, aus vereinzelten Bruchſtuͤcken der alten Bildnerey die
Gegenſtaͤnde zu erkennen, welche vorzeiten faͤhig geweſen, den
Sinn griechiſcher Kuͤnſtler zu feſſeln, oder Winkelmann’s,
uns ſogar die Formen vorzuzeichnen, innerhalb deren die Dar-
ſtellung der Alten ſich bewegte, doch ſelbſt im gluͤcklichſten
Falle eben nur zur Kenntniß der antiken Kunſt fuͤhren duͤrfte
und nie zu allgemeineren Kunſtanſichten. Eben ſo wenig in-
deß duͤrfen wir uns verſprechen, indem wir aus einzelnen
Schulen und Richtungen der neueren Kunſt, oder aus deren
[6] gefeyertſten Werken, Regeln und Vorſchriften abziehen *),
jemals weder zu einer ganz allgemeinen Anſchauung des We-
ſens der Kunſt, noch zu irgend einer allgemein triftigen und
durchhin anwendbaren Lehre zu gelangen. Denn nur, wer
von einer beſchraͤnkenden Vorliebe fuͤr eigenthuͤmliche Richtun-
gen, Schulen und Foͤrmlichkeiten der Kunſt unabhaͤngig iſt,
vermag das Weſen der Kunſt rein aufzufaſſen, vermag ihre
einzelnen, oft nur ſcheinbar einander widerſtrebenden Leiſtungen
aus einem gemeinſchaftlichen Standpunkte zu uͤberſchauen und
allgemeinguͤltige Grundſaͤtze aufzufaſſen und feſtzuſtellen, nach
welchen einestheils unter allen Umſtaͤnden Gutes entſtehen
muß, anderntheils uͤber den Werth jeglicher Richtung und
Leiſtung mit gleichmaͤßiger Gerechtigkeit zu entſcheiden iſt.


Nehmen wir an, daß wir darauf ausgehen wollten, die
bildenden Kuͤnſte ſo rein aufzufaſſen, daß unſerem Begriffe
auf der einen Seite nichts Ungehoͤriges, oder Ueberfluͤſſiges
anklebte; daß auf der anderen darin nichts unbedacht geblie-
ben, welches nun einmal zu ihrem Weſen gehoͤrt: ſo wuͤrden
wir damit beginnen muͤſſen, von vorkommenden, oder moͤg-
lichen Gegenſtaͤnden der Kunſt gaͤnzlich abzuſehen. Denn da
dieſe Gegenſtaͤnde vorausſetzlich viele und mannichfaltige ſind,
ſo fuͤhren ſie nothwendig ins Einzelne, und geben daher uͤber-
haupt nicht den allgemeinen Begriff, um den es uns doch zu
thun iſt. Noch mehr, da es offenbar keinen Gegenſtand der
Kunſt giebt, welcher nicht zugleich auch Gegenſtand des Be-
griffes und des Nachdenkens waͤre, oder doch ſeyn koͤnnte: ſo
iſt es klar, daß die bildenden Kuͤnſte nicht, wie Manche ge-
[7] wollt, durch den Gegenſtand von den Redekuͤnſten unterſchie-
den werden; daß demnach auf dieſem Wege eine deutliche
und richtige Vorſtellung von den Verſchiedenheiten dieſer bei-
den Beziehungen des menſchlichen Geiſtes nicht wohl zu er-
langen iſt.


Wenn aber die bildenden Kuͤnſte von den Redekuͤnſten
nicht durch den Gegenſtand unterſchieden werden, ſo muß die
Verſchiedenheit, welche doch nun einmal ſichtlich vorhanden
iſt, entweder auf einer Eigenthuͤmlichkeit der Auffaſſung, oder
auf einer beſtimmten Art der Darſtellung, oder auch auf bei-
den zugleich beruhen. Und in der That iſt es das Unterſchei-
dende der bildenden Kuͤnſte, nicht in Begriffen, ſondern in
Anſchauungen aufzufaſſen, und das anſchaulich Aufgefaßte ſo
darzuſtellen, daß ſolches ohne alle Zuziehung von Thaͤtigkeiten
des Verſtandes unmittelbar durch die Anſchauung auch von
anderen erfaßt werden koͤnne. Oder mit anderen Worten:
es iſt das Unterſcheidende der Kunſt, die Dinge nicht, wie
der Verſtand, nach ihren Theilen und einzelnen Eigenſchaften,
vielmehr ſie im Ganzen und nicht fortſchreitend, ſondern
augenblicklich ſowohl aufzufaſſen, als darzuſtellen. — Nun giebt
es freylich Individuen, welche außerhalb des Begriffes und
ſeiner folgerechten Handhabung uͤberhaupt kein Geiſtesleben
ſich denken koͤnnen; denen es nicht zum Bewußtſeyn gekom-
men, daß auch dem abſtrakten Denken, wo es nicht, was
der Himmel verhuͤte, in beziehungsloſen, inhaltsleeren For-
men ſich bewegt, gleich Schuluͤbungen im Buchſtabenrechnen;
daß auch dem abſtracten Denken, wiederhole ich, wo es im-
mer Gehalt und Tiefe beſitzt, das Anſchauliche nothwendig
zum Grunde liegt. Dieſen freylich duͤrfte es ſcheinen, als
werde die Kunſt durch obige Erklaͤrung erniedrigt, und in
[8] die Sphaͤre des Aeußerlichen und Materiellen herabgezogen;
waͤhrend wir ſelbſt die Ueberzeugung hegen, die Kunſt weit
entſchiedener, als jemals vor uns geſchehen, recht in das
innerſte Heiligthum alles geiſtigen Wirkens und Lebens zu
verſetzen.


Alſo iſt mir bildende Kunſt eine dem Begriffe, oder dem
Denken in Begriffen entgegengeſetzte, durchhin anſchauliche,
ſowohl Auffaſſung, als Darſtellung von Dingen, welche ent-
weder unter gegebenen, oder auch unter allen Umſtaͤnden die
menſchliche Seele bewegen und bis zum Beduͤrfniß der Mit-
theilung erfuͤllen. Auch ohne alle Erfahrung uͤber die Groͤße
ihrer Leiſtungen wuͤrden wir demnach ſchon aus ihrem Be-
griffe ſchließen muͤſſen, daß erſt die Kunſt das geiſtige Leben
und Wirken vollende; daß ſie das Gebiet des Geiſtes erwei-
tere und ausrunde; daß ſie Wuͤnſche und Beduͤrfniſſe der Seele
befriedige, welche der Begriff ſtets unerfuͤllt laͤßt. Indeß
duͤrfte es zur naͤheren Beſtimmung unſeres Kunſtbegriffes un-
umgaͤnglich ſeyn, das Eigenthuͤmlichkuͤnſtleriſche im menſchli-
chen Geiſte, ſo wie die wichtigſten Beziehungen eben dieſer
Geiſtesart im Allgemeinen anzudeuten.


Unter allen Umſtaͤnden liebt der Scharfſinn, die Dinge
unter ſich zu vergleichen und anzunaͤhern; beſonders aber, wo
es gilt, Entfernteres durch Naͤherliegendes zu erklaͤren. Daher
die Vergleichung der kuͤnſtleriſchen Geiſtesart mit der poeti-
ſchen, welche nicht von den Kuͤnſtlern, ſondern von den Dich-
tern und Denkern herbeygezogen worden, um die Kunſt durch
ihr Naͤchſtverwandtes [ſich zu] verdeutlichen. Allerdings iſt in den
bildenden Kuͤnſten die Geiſtesart, aus der ſie hervorgehen,
oder, um bey dem fruͤheren Ausdruck zu bleiben, die Auffaſ-
ſung, nicht weſentlich verſchieden von Solchem, was vor-
[9] nehmlich den neueren Deutſchen in einem engeren Sinne Poeſie
heißt *). Die Verſchiedenheit beider Kuͤnſte, welche vortreff-
liche Geiſter von Zeit zu Zeit geltend zu machen bemuͤht ſind,
beruht alſo nicht auf Eigenthuͤmlichkeiten der Art, oder Wen-
dung des Geiſtes, aus welchem ſie hervorgehen, ſondern ein-
zig auf Forderungen und Moͤglichkeiten des ſo ganz verſchie-
denen Stoffes der Darſtellung der einen und der andern Kunſt-
art. In den bildenden Kuͤnſten nemlich wird das anſchaulich
Erfaßte auch fuͤr die Anſchauung, in Formen, oder durch den
Schein von Formen, dargeſtellt; in der Poeſie aber beruht
die Darſtellung des anſchaulich und kuͤnſtleriſch Erfaßten auf
einer gewandten Handhabung des Begriffes, welcher an ſich
ſelbſt, wie es einleuchtet, dem poetiſchen Denken widerſtrebt
und gerade entgegenſteht. Daher denn kann die Poeſie, wie
ſie auch durch abgemeſſene Rede und maleriſche Wortklaͤnge
(der [Mimen] nicht zu gedenken) ſich zu helfen ſuche, doch in
der Darſtellung des anſchaulich Erfaßten mit den bildenden
Kuͤnſten nicht wohl gleichen Schritt halten. Dagegen vermag
ſie, vermoͤge des Begriffes, des einzigen Mittlers ihrer Dar-
ſtellung, in das Gebiet des reinen Denkens hinuͤberzuſchwei-
fen, wie denn auch der That nach, vornehmlich im Alter-
thume der Dichtkunſt, Poeſie und Philoſophie meiſtens Hand
[10] in Hand gehen *). Die bildenden Kuͤnſte aber, wie unver-
gleichlich tief und voͤllig und erſchoͤpfend alles anſchaulich Er-
faßte in ihnen dargeſtellt werden koͤnne, vermoͤgen doch ſelbſt
durch jene willkuͤhrlichen Zeichen, auf denen Bilderſchrift und
Allegorie beruht, nur mit Unbehuͤlflichkeit auszudruͤcken, was
irgend Gutes und Loͤbliches in Begriffen erdacht worden. Der
bildende Kuͤnſtler alſo iſt allerdings mehr als der Dichter auf
das Gebiet eigentlicher Poeſie eingeſchraͤnkt; doch entſchaͤdigt
ihn die Faͤhigkeit, daſſelbe tiefer zu durchdringen und bis auf
den Grund auszunutzen, welche jenem verſagt iſt. Und wenn
ich mich nicht taͤuſche, ſo entſprang aus einer dunklen, nicht
zu voller Deutlichkeit entwickelten Wahrnehmung dieſes Gegen-
ſatzes auch Leſſings Entgegenſtellung der Poeſie und Kunſt **),
auf welche wir zuruͤckkommen werden.


Unter den Dingen nun, welche nicht einzig dem abge-
ſonderten Denken, vielmehr auch und vornehmlich der anſchau-
lichen Auffaſſung unterliegen, welche mithin, da es Verwegen-
heit waͤre, gleich einigen unſerer Vorgaͤnger, dem Genius vor-
zugreifen, ohne einige Ausnahme, Gegenſtaͤnde der Kunſt ſind,
oder doch ſeyn koͤnnten, iſt die menſchliche Seele und, wie
[11] Einige wollen, auch Solches, was nach Analogieen der ſitt-
lichen Natur von uͤberſinnlichen Dingen geahnet, oder deutlich
erkannt wird, einleuchtend der edelſte und wichtigſte Gegenſtand
der kuͤnſtleriſchen Auffaſſung. Erwaͤgen wir die eigenthuͤm-
liche Faͤhigkeit der Kunſt, jegliches ſittliche Seyn und Wollen
in ſolcher Tiefe und Fuͤlle darzuſtellen, daß in Vergleich ge-
lungener Darſtellungen der Kunſt die Rede ſelbſt des groͤßten
Dichters in dieſer Beziehung, bald nur als fluͤchtige Andeu-
tung, bald als ſchleppende Umſchreibung erſcheinen muß; ſo
werden wir nicht anſtehen koͤnnen, der Kunſt einzuraͤumen:
daß ſie durchaus unentbehrlich war, die Ausbildung menſch-
licher Gemuͤths- und Geiſteskraͤfte zu vollenden. Wuͤrdigen
wir nur zu Genuͤge, was die bildenden Kuͤnſte in den Grie-
chen, und was wiederum die Griechen durch ihre Kunſt in
anderen Voͤlkern erweckt und ausgebildet haben, ſo wird uns
einleuchten muͤſſen, daß jedes Volk, dem die Kunſt, oder
doch der Sinn fuͤr die Kunſt fehlt, auch im beſten Falle nur
halb gebildet, halb noch barbariſch ſey. — Hier indeß zaͤhle
ich darauf, dem Mißverſtaͤndniß zu entgehen, als verwechſele
ich, wie es geſchehen *), die Sitte mit dem Moraliſiren.
[12] Dieſes letzte ſetzt ein Denken in Begriffen voraus, welches
ich ſchon durch obige Erklaͤrung von der Kunſt ausgeſchloſſen.
Allein die kuͤnſtleriſche Auffaſſung ſittlicher Verhaͤltniſſe iſt vor-
ausſetzlich ohne alle Pedanterey, nach den inneren Forderungen,
oder nach der aͤußeren Stellung des Talentes bald ernſt, bald
heiter, und gleich faͤhig, die Tiefen alles Daſeyns zu durch-
meſſen, als, auf der Oberflaͤche weilend, Zufaͤlliges hervorzu-
heben und menſchliche Gebrechlichkeiten zu necken.


Niedriger freylich, doch an ſich ſelbſt noch immer wichtig
genug, iſt eine zweite Richtung der Kunſtfaͤhigkeit, welche nach
den Erfahrungen der alten, wie der neuern Kunſtgeſchichte,
jederzeit die Nachbluͤthe großer Kunſtepochen zu ſeyn pflegt.
Ich bezeichne hier die Darſtellungen ſolcher Dinge, welche
ohne jederzeit an ſich ſelbſt ſittliche, oder gar uͤberſinnliche zu
ſeyn, dennoch entweder die ſinnliche Empfindung, oder auch
das Verlangen nach Erkenntniß befriedigen. Dieſe Richtung
der Kunſt ſcheint allerdings weniger, als jene hoͤhere, auf
Guͤte des Gemuͤthes und eingeborener Tiefe des Geiſtes zu
beruhen; doch ſetzt ſie unter allen Umſtaͤnden Lebendigkeit der
Empfindung und Schaͤrfe der Wahrnehmung voraus. Indeß
iſt es mißlich, ſolche Entgegenſtellungen (gleich denen, welche
die verſchiedenen Schulen der Kunſt bald von der Idee, bald
von der Natur ausgehen laſſen *), das heißt, wenn ich ſie
recht verſtehe, bald von einer angeborenen Faͤhigkeit, oder
erworbenen Spannung des Geiſtes, bald von der Gewalt des
Eindrucks aͤußerer Dinge) durch alle Faͤlle hindurch zu fuͤhren.
Denn genau genommen ſind beide Richtungen nothwendig in
[13] jedem einzelnen Kuͤnſtler gemeinſchaftlich vorhanden, und die
bemerkten Abweichungen der Schulen werden eigentlich nur
durch ein Uebergewicht der einen uͤber die andere hervorge-
bracht, welches immer voruͤbergehend und oftmals bloß ſchein-
bar vorhanden iſt.


Denn gewiß entſpringt die Kunſtfaͤhigkeit, wie hoch oder
niedrig die Richtung ſey, welche ſie nimmt, doch unter allen
Umſtaͤnden aus den verborgenſten Tiefen des menſchlichen
Daſeyns *), in welche einzugehn ich ſcheue, wie es denn ohne-
hin die Kunſtbetrachtung nicht weſentlich foͤrdern duͤrfte. Woll-
ten wir uͤberhaupt der Darſtellung jedes einzelnen Zweiges
menſchlicher Kenntniſſe jederzeit ein Syſtem der Weltweisheit
voranſtellen, ſo duͤrften viele Schriften kuͤnftig, was doch
Niemand begehrt, etwa beginnen muͤſſen, wie die Jahrbuͤcher
des Mittelalters. Solches iſt nun freylich auch in den Kunſt-
lehren kein allgemeiner Gebrauch; doch liebt man darin einige
Andeutungen einer hoͤheren Weisheit fallen zu laſſen, und ver-
huͤllt ſich mindeſtens in der Allgemeinheit des Woͤrtchens Idee,
deſſen ſchwankender, ſinnlich geiſtiger Sinn allerdings jeder
wilden Behauptung eine Ausflucht offen laͤßt, mithin aller
Unentſchiedenheit oder Undeutlichkeit willkommen iſt. Sollte
ich nun dieſen Gemeinplatz der neueren Aeſthetik mehr, als
gewoͤhnlich vermeiden, oder da, wo einzig von der aͤußeren
Entfaltung der Kunſt die Rede, ihr geiſtiges Prinzip, als
vorhanden annehmen, und als dermalen nicht zur Sache ge-
hoͤrig, uͤbergehen: ſo bitte ich, mich deßhalb noch nicht einer
[14] gewiſſen Materialitaͤt zu bezuͤchtigen. Dagegen verwahre ich
mich, weil es den Bekennern verworrener, unentſchiedener
Lehren anhaͤngt, da Irrthum zu vermuthen, wo ſie den Klang
ihrer Stichworte entweder gar nicht, oder doch nur ſelten
vernehmen.


Wir wollen alſo den Urſprung des Geiſtes, der in den
bildenden Kuͤnſten ſich ausſpricht, mit Ehrfurcht uͤbergehen
und uns darauf beſchraͤnken, dieſen Geiſt in ſeiner Thaͤtigkeit
und Anwendung zu betrachten, oder die Geſetze zu erforſchen,
nach welchen die einzelnen Thaͤtigkeiten der allgemeinen Kunſt-
faͤhigkeit ſich bewegen. Nun ſind wir oben davon ausgegan-
gen, daß jegliche, die groͤßte wie die geringſte Leiſtung der
Kunſt, zween Thaͤtigkeiten vorausſetze: die Auffaſſung und die
Darſtellung. Sollte es uns gelingen, ihren Begriff rein auf-
zufaſſen: ſo werden wir aus ſolchem gewiß jedes allgemeinere
Geſetz der Kunſt mit Sicherheit ableiten koͤnnen.


Auffaſſung nennt man bisweilen eine bloß leidende Hin-
gebung in den Eindruck aͤußerer Dinge; Auffaſſung heißt
anderen, und gerade in Bezug auf Dinge der Kunſt, eine
gewiſſe Willkuͤhrlichkeit in der Aneignung irgend eines, ſey
es nun ſinnlichen, oder geiſtigen Gegenſtandes. Dieſe Bedeu-
tungen indeß, ſowohl das beſchraͤnkte Erleiden der erſten, als
die unbegrenzte Willkuͤhr der anderen, werden wir nicht wohl
voranſtellen koͤnnen, weil wir ſie, ohne ſie auszuſchließen, doch
unterordnen muͤſſen. Denn Auffaſſung iſt uns der Inbegriff
von jeglichem Leiben und Wirken, Empfangen und Geſtalten,
ſo den Gegenſtand kuͤnſtleriſcher Darſtellungen zu jener Klar-
heit der inneren Anſchauung erhebt, welche die Moͤglichkeit
genuͤgender Darſtellung durchaus bedingt.


Darſtellung dagegen iſt uns der Inbegriff aller Thaͤtig-
[15] keiten, durch welche ein ſolches Selbſtangeſchauete auch Ande-
ren moͤglichſt klar und erfaßlich mitgetheilt wird.


Unter dieſen Thaͤtigkeiten iſt die Auffaſſung einleuchtend
die vorangehende und, wenn es noͤthig waͤre, ihren verhaͤlt-
nißmaͤßigen Werth zu beſtimmen, gewiß auch die wichtigſte,
da ihre Beſchaffenheit jedes tiefere, nachhaltende Intereſſe der
Kunſt bedingt. Denn gewiß verleihet kein Vorzug Kunſtwer-
ken einen groͤßeren Werth, als Weisheit, Richtigkeit, Kraft
oder Anmuth der Auffaſſung; was ſogar ſolche Kunſtgelehrte,
welche ſich einſeitig mit Vortheilen der Darſtellung beſchaͤf-
tigen, nicht ſo unbedingt laͤugnen, oder laͤugnen werden.
Indeß iſt die Darſtellung, wenn gleich die untergeordnete und
abhaͤngige Thaͤtigkeit, dennoch die unerlaͤßliche Bedingung einer
lichten und deutlichen Erſcheinung des Aufgefaßten, ja in ge-
wiſſer Beziehung der einzige Buͤrge fuͤr die Guͤte oder Schwaͤche
der Auffaſſung ſelbſt. Da ſie demnach ſogar aus dem Stand-
punkt einer denkbaren ganz einſeitigen Wuͤrdigung der Auf-
faſſung betrachtet, jederzeit fuͤr das Geſammtergebniß der Kunſt
von hoͤchſter Wichtigkeit iſt, ſo wird es eine bloße Fluͤchtigkeit
ſeyn, durch welche Einige, bey billiger Ehrfurcht vor den
Alterthuͤmern der neueren Kunſt, ganz nutzlos in die Para-
doxie verwickelt worden: da eine beſondere Tiefe und Erha-
benheit der inneren Anſchauung vorauszuſetzen, wo die Faͤhig-
keit der Darſtellung kaum hinreichte, eine milde und guͤtige
Gemuͤthsart, eine ſchoͤne Unbefangenheit der Sitte auszu-
druͤcken *). Ganz im Gegentheil ſcheint es, daß Kunſtwerke
[16] einer gewiſſen Uebereinſtimmung beider Thaͤtigkeiten beduͤrfen,
wenn ſie uͤberhaupt befriedigen ſollen, was doch meiſt bezweckt
wird. So erklaͤre ich mir die Beyfaͤlligkeit der Incunabeln,
ſowohl der altgriechiſchen, als der neuitalieniſchen Kunſtepoche
nicht, wie manche Andere, aus einer willkuͤhrlich angenom-
menen Ueberlegenheit ihres Geiſtes uͤber ganz ausgebildete
Kuͤnſtler derſelben Richtung, vielmehr nur daher, daß in jenen
Kunſtwerken nirgend Spuren eines Verlangens nach ſolchen
Vorſtellungen des Geiſtes ſichtbar werden, welche das be-
ſchraͤnkte Darſtellungsvermoͤgen anfaͤnglicher und kaum zur
Haͤlfte ausgebildeter Kunſtſtufen ſchon um Vieles uͤberſteigen.
Giebt es doch auch im Begriffsleben Gedanken und Vorſtel-
lungen, welche das Lallen der Kinder, die treuherzige Einfalt
ungebildeter Menſchen treffender ausdruͤckt, als die gewandteſte
oder gelehrteſte Sprache. Wer wuͤrde indeß daraus folgern
wollen, daß alle Tiefe, alle Erhebung des Geiſtes eben nur
bey den Kindern und in der roheren Menge wohne? In be-
ſtimmter Beziehung auf die neuitalieniſche Kunſt duͤrfte frey-
lich die bewundernswerthe Ausbildung des Begriffes in einem
Dante, Petrarca, Boccaz, viele unſerer Zeitgenoſſen in etwas
irre geleitet haben. Denn es lag nahe, ſich zu denken, daß
Kuͤnſtler, welche von jenen großen Meiſtern des Begriffes
geſchaͤtzt wurden, ihnen auch nicht ſogar fern geſtanden. Indeß
erhellt das Verhaͤltniß Dante’s zu den Malern des vierzehn-
ten Jahrhunderts aus ihren zahlreichen Nachbildungen ſeines
Gedichtes; dieſelben Kuͤnſtler, denen das treuherzige, innige,
zartſinnige Familienleben der Patriarchen, oder die Jugend-
geſchichte des Heilands, oder Aehnliches ganz unuͤbertrefflich
gelang, ſcheiterten ohne Ausnahme an dem ſo haͤufig wieder-
holten
[17] holten Verſuche, die kecken Meiſterzuͤge des groͤßten italieni-
ſchen Dichters in das Gebiet der Kunſt hinuͤberzuziehen.


Wollten wir indeß den Fall ſetzen, daß jene Harmonie
des Wollens und Koͤnnens einem beſtimmten Kunſtwerke fehle,
ſo wuͤrde deſſen Eindruck ſicher ſehr unbehaglich, unbefriedi-
gend und peinlich ſeyn. Denn es wuͤrde ein ſolches Kunſt-
werk, welches die Ahnung eines hoͤhern Wollens anregte, ohne
eben daſſelbe ganz deutlich und anſchaulich zu machen, den
Beſchauer nur etwa tantaliſiren, und den Kuͤnſtler in nicht
unbilligen Verdacht bringen, es habe ihm doch an dem rech-
ten Ernſt, an der Faͤhigkeit einer ſtraffen und dauernden An-
ſtrengung gefehlt, welche nun einmal zum Manne gehoͤrt und
weſentlich mitwirkt, ſein Werk zu empfehlen. Eben deßhalb
bin ich geneigt, Faͤlle obiger Art, wenn nicht fuͤr unmoͤglich,
doch wenigſtens fuͤr unwahrſcheinlich zu halten. Ich kann
mich ſchwerlich davon uͤberzeugen, daß ein edler mit der Faͤ-
higkeit der Auffaſſung hoher Dinge begabter Geiſt nicht auch
den Drang, ja ſelbſt die Kraft fuͤhlen ſollte, ſeine Darſtellung
in gleichem Maße durchzubilden, wenigſtens ſcheinen Leonardo,
Michelangelo der Maler, und ſogar Raphael nur deßhalb uͤber
die, obwohl ſchon geſteigerte, doch immer noch unbehuͤlfliche,
Darſtellung ihrer Vorgaͤnger ſo raſch und kraftvoll hinauszu-
gehen, weil ſolche ihrem maͤchtigen Geiſte nimmer genuͤgen
konnte.


Dagegen ſind Vorzuͤge der bloßen Darſtellung, entkleidet,
wenn nicht von allem, doch wenigſtens von einem gleichmaͤ-
ßigen Verdienſte der geiſtigen Auffaſſung, allerdings eine nicht
ungewoͤhnliche, ich moͤchte ſagen, ſelbſt eine willkommenere Er-
ſcheinung, als nackte Vorzuͤge der Auffaſſung ſeyn duͤrften,
I. 2
[18] wenn ſie uͤberhaupt ohne eine angemeſſene Darſtellung von
Anderen entdeckt werden koͤnnten. Denn der Eindruck eines
edlen, unter dem Drucke aͤußerer Umſtaͤnde verkommenden,
Geiſtes iſt nothwendig niederſchlagend; dem ſchoͤnen Gewande
aber, ob es wohl einen Unwuͤrdigen bekleide, goͤnnen wir gern
einen, wenn auch nur voruͤbergehenden Blick. Nicht ſelten
indeß zeigen die Vorzuͤge der reinen Darſtellung eine andere
und ernſtere Seite, da ſie auch wohl, gleich den Leiſtungen
der emſigen und in ihren Studien des Objektiven gleichſam
verlorenen deutſch-italieniſchen Vorlaͤufer Raphaels alle Vor-
theile der Kunſt weſentlich foͤrdern und alſo hoͤheren Beſtre-
bungen den Weg bahnen. Ich beziehe mich hier, wie ſich’s
verſteht, nicht etwa auf leere Fertigkeiten der Hand, oder,
wie die neueren Italiener ſagen, auf einen Fortſchritt von
ſchmaler zu breiter Manier *), vielmehr einzig auf gediegene,
ſich ihrer ſelbſt deutlich bewußte Darſtellung.


Verfolgen wir nun, nach dieſer allgemeinſten Verglei-
chung und Wuͤrdigung beide Thaͤtigkeiten mehr in das Ein-
zelne ihrer beſonderen Beziehungen und Wirkungen. Ueber die
Auffaſſung wird freylich, da ſie ganz intenſiver Beſchaffenheit
iſt, nur Weniges und Allgemeines zu ſagen ſeyn. Allein die
Darſtellung, welche ihrem Weſen nach mehr in die Breite
geht, duͤrfte eine lange Reihe vereinzelter Bemerkungen her-
beyfuͤhren, bey denen der Leſer ausharren wolle.


Da die Kunſt uͤberhaupt wohl eine eigenthuͤmliche Wen-
dung und Beziehung, doch keinesweges, wie Manche anzuneh-
men geneigt ſind, eine ganz eigene und ausgeſchiedene Gegend
[19] des Geiſtes iſt, ſo wird die Auffaſſung, an und fuͤr ſich und ohne
Ruͤckblick auf ihren Gegenſtand betrachtet, nach denſelben Ge-
ſetzen ſich bewegen, in ihrer Werthbeſtimmung demſelben Maße
unterliegen, als jede andere gleich freye Thaͤtigkeit des Geiſtes.
Alſo wird daſſelbe, ſo in vielen andern Verhaͤltniſſen unſer
Urtheil uͤber den Werth, oder Unwerth menſchlicher Leiſtungen
beſtimmt, uns auch da leiten muͤſſen, wo bey Kunſtwerken
uͤber das Verdienſt, oder Unverdienſt der Auffaſſung zu ent-
ſcheiden iſt. Kraft, Nachdruck, Schwung, oder Guͤte und
Milde, oder auch Scharfſinnigkeit und deutliches Bewußtſeyn
des eignen Wollens werden, wie uͤberhaupt im Leben, ſo auch
in der Kunſt einen begruͤndeten Anſpruch auf Billigung be-
ſitzen. Mit Ungrund daher und nach irrigen Vorausſetzungen
ward juͤngſt von der abſcheidenden Kunſtlehre der aufſtreben-
den vorgeworfen, daß ſie auf ſittlichen Ernſt und innere
Belebung des Gemuͤthes unnoͤthiger Weiſe Gewicht lege. In
einem ſolchen Streben, welches leichter auszuſprechen, als zu
bethaͤtigen iſt, ſollten wir unſere Zeitgenoſſen nur zu beſtaͤrken
ſuchen. Denn nicht hierin, ſondern, wenn uͤberhaupt, nur
in den Anſichten der Darſtellung ſcheint die neueſte Kunſt-
lehre Irrthuͤmer zu enthalten, welche, wenn man ſie nur in
der Naͤhe beſehen wollte, eine bloße Ueberſetzung derſelben
Meinungen ſind, welche ſchon einmal eine Uebertragung er-
fahren, als ſie aus der Kunſtlehre der Manieriſten in die
klaſſiſch geſtimmte der Schoͤnheitslehrer uͤberging.


So allgemeine Begriffe indeß, als oben zur Andeutung
genuͤgen mochten, werden in der Anwendung auf das man-
nichtfaltigſte bald ſich feiner ausſpalten, bald wiederum ſich
einigen und verſchmelzen wollen. Denn die kuͤnſtleriſche Auf-
faſſung iſt, eben wie das menſchliche Naturell uͤberhaupt,
2 *
[20] nothwendig eigenthuͤmlich und ſelbſt innerhalb der Grenzen des
Tuͤchtigen, Guten und Richtigen noch immer ausnehmend
mannichfaltig. Doch darf bei ſo umfaſſender und billiger
Anſicht nicht uͤberſehen werden, daß die niedrigſten Stufen
des Lobenswerthen: genuͤgſame Behaglichkeit beym Geringen
und ironiſche Auffaſſung des Gemeinen und Schlechten, das
unbedingt Verwerfliche der Laͤſſigkeit des eignen Geiſtes und der
Verkehrtheit des eignen Sinnes ſchon unmittelbar begrenzen.


Betrachten wir aber die Auffaſſung in Bezug auf ihren
Gegenſtand, ſo wird ſich ergeben, daß ſie, aus dieſem Ge-
ſichtspunkt angeſehen, einzig nach dem Maaße ihrer Treue
und Strenge zu wuͤrdigen iſt. Allerdings werde ich zugeben
muͤſſen, daß im Uebrigen achtungswerthe Kuͤnſtler doch, ver-
moͤge ihrer eigenthuͤmlichen Sinnesart, oder aͤußeren Stellung,
unfaͤhig ſeyn koͤnnen, beſtimmte Aufgaben mit Treue und
Richtigkeit aufzufaſſen. Doch ſcheint es einzuleuchten, daß die
Verdienſte eines Kuͤnſtlers, der ſeinen Gegenſtand aus Unfaͤ-
higkeit oder Laͤſſigkeit ſchief auffaßt, in allem Anderen, nur
nicht in der Auffaſſung des Gegenſtandes begruͤndet ſeyn koͤn-
nen; demnach wird durch ſolche Ausnahmefaͤlle der Grundſatz
weder aufgehoben, noch abgeaͤndert: daß der Kuͤnſtler bemuͤht
ſeyn muͤſſe, in das Weſen ſeines Gegenſtandes — oder ſagen
wir einmal ſeiner Aufgabe — jedesmal ſo tief einzudringen,
als ihm nach ſeiner eigenthuͤmlichen Sinnesart irgend moͤglich
iſt. Und wirklich zeigen haͤufige Beyſpiele, daß hierin ſchon
die bloße Redlichkeit des Strebens ſich unmittelbar belohnt.
Denn vergleichen wir etwa die kirchlichen Darſtellungen der
aͤlteren deutſchen Maler, deren Sinn und Faͤhigkeit im ganzen
beſchraͤnkt war, mit aͤhnlichen des Rubens, der in ſo vielen
Beziehungen jenen uͤberlegen iſt, ſo werden wir gewiß, wenn
[21] wir anders nur auf den Gegenſtand ſehen, uns leichter mit
der treuen und innigen Auffaſſung der erſtern ausſoͤhnen koͤn-
nen, als mit der theils phantaſtiſchen, theils froſtigen des
Anderen.


Die Verdienſte alſo, welche in der Auffaſſung ſich offen-
baren koͤnnen, fließen theils aus einer durchhin gluͤcklichen
Beſchaffenheit, oder Stimmung des Geiſtes, in dem ſie vor-
geht, theils aber auch aus der Treue und Gewiſſenhaftigkeit
des Eingehens in gegebene Gegenſtaͤnde. Aber gegebene nenne
ich nicht bloß ſolche Gegenſtaͤnde, welche durch menſchlichen
Gebrauch und geſchichtliches Herkommen irgend eine uͤberein-
koͤmmliche Geſtaltung erhalten, vielmehr auch ſolche, welche,
wie immer ihre Wahl in der Willkuͤhr des Kuͤnſtlers liege,
doch an ſich ſelbſt aus einer inneren Nothwendigkeit ſtaͤtig
und unveraͤnderlich ſind. Denn ſo wenig als ein Sophiſt
uns jemals uͤberzeugen wird, etwa daß Gutes boͤſe ſey, oder
umgekehrt; eben ſo wenig vermag der Kuͤnſtler, ohne Anſtoß
zu geben, unvereinbare Vorſtellungen zu verſchmelzen, oder
unveraͤnderliche Naturverhaͤltniſſe zu verruͤcken; wann es nicht
etwa bloßen Scherz gilt, wie in den Masken und Karikaturen
aller Art; oder wann nicht etwa der Gegenſtand untergeordnet,
der eigentliche Zweck Verzierung iſt, wie in der Arabeske und
Aehnlichem *).


[22]

Daß die kuͤnſtleriſche Auffaſſung in dieſem Sinne gebun-
den ſey, werden freylich ſolche mir nicht zugeben wollen, wel-
che — wie aus tiefen Traͤumen Erwachende eine Weile hin-
durch gegen ſie Umgebendes wie verblendet ſind — noch im-
mer den Wahn nicht abſtreifen koͤnnen, daß der Kuͤnſtler
vermoͤge, ja daß ihm obliege, ſich ſeine eigene Welt zu er-
ſchaffen, und dieſe in ſeinen eigenen ſelbſt erbildeten Formen
darzuſtellen.


Wir wollen nicht daruͤber ſtreiten, ob die Kunſt, wie
Einige behaupten, gleichſam eine Welt außer der Welt er-
ſchaffe, oder ob ſie vielmehr nur, gleich anderen Geiſtesthaͤ-
tigkeiten, ſowohl allgemeine Wahrheiten, als beſonderes Wahre
auf ihre Weiſe entdecke, erkenne und Anderen verdeutliche.
Denn es wird fuͤr die Kunſtuͤbung ohne Belang ſeyn, auf
welche Weiſe man ſich gefalle, ihren Urſprung abzuleiten, oder
die Ergebniſſe ihrer Wirkſamkeit zu erklaͤren, da ſie bekannt-
lich nicht etwa aus irgend einem Syſteme der Weltweisheit,
ſondern ganz aus ſich ſelbſt entſtanden iſt. Indeß iſt es von
groͤßerem, ja von hoͤchſtem Einfluß auf die Ausuͤbung der
Kunſt, ob die Beſchaffenheit der Formen, in denen ſie dar-
ſtellt, falſch oder richtig erklaͤrt werde; ob man dieſe Formen,
wie es geſchehen, als willkuͤhrliche und ſelbſterbildete betrachte,
oder vielmehr als gegebene, nothwendige, mithin als ſolche,
welche unter allen Umſtaͤnden muͤſſen erlernt und erworben
werden. Denn es iſt hier nicht, wie in der fruͤheren Bezie-
hung, wo der Genius, wie man auch ſeine Entſtehung und
Beſchaffenheit erklaͤre, doch immer unveraͤndert derſelbe bleibt;
vielmehr geht die Anſicht, welche man in Bezug auf die For-
men der Darſtellung gefaßt, ſchon unmittelbar in die prakti-
ſche Kunſtlehre uͤber, wirkt alſo unumgaͤnglich auf die Kunſt-
[23] uͤbung ſelbſt ein, der ſie, wie es einleuchtet, nach Maßgabe
ihrer Richtigkeit nuͤtzen, oder ſchaden muß. Es wird demnach
auch nach ſo Vielem, was uͤber die Kunſt gedacht und ge-
ſchrieben worden, noch immer erſprießlich ſeyn, die Abkunft
und Beſchaffenheit der darſtellenden Kunſtformen von Neuem
in Frage zu bringen; eine Unterſuchung, die wir ohnehin, bey
nachſtehender Betrachtung der Darſtellung, nicht wohl um-
gehen koͤnnten.


In Kunſtwerken nenne ich darſtellende Formen ſolche,
welche beſtimmte, ſey es gegebene, oder willkuͤhrlich erwaͤhlte
Kunſtaufgaben bezeichnen, ausdruͤcken, oder Anderen vor den
Sinn bringen. Von dieſen unterſcheide ich viele Foͤrmlichkei-
ten ganz anderer Art, welche die Darſtellung, ohne ihr anzu-
gehoͤren, als Außenwerke zu begleiten pflegen. Denn Vieles,
was in Kunſtwerken zur Verſinnlichung der eigentlichen Kunſt-
aufgabe auf keine Weiſe behuͤlflich iſt, wird bald durch For-
derungen des Stoffes herbeygefuͤhrt, in welchem der Bildner
ſeine Formen bildet, der Maler ſie wenigſtens erſcheinen
macht, bald auch durch ein Beduͤrfniß harmoniſcher Fuͤllung
des Raumes, deſſen naͤhere Beleuchtung wir hier jetzt noch
ausſetzen wollen, bis wir uns uͤber die Abkunft und wahre
Beſchaffenheit der eigentlich darſtellenden Formen werden ver-
ſtaͤndigt haben.


Neigte die moderne Bildung nicht durchhin zu einer ge-
wiſſen Abtoͤdtung des aͤußeren Sinnes, waͤre es den Gelehr-
ten, welche ſich mit der Kunſt beſchaͤftigen, nur halbhin auf-
gegangen, daß ſchon die Natur durch ihre Geſtalten Alles,
was die Kunſt irgend beſtrebt und leiſtet, bald entfernt an-
regt, bald unuͤbertrefflich ausdruͤckt: ſo wuͤrden wir, vornehm-
lich bey ſo ernſtlicher Beſchaͤftigung mit den Alterthuͤmern der
[24] griechiſchen Kunſt, wohl ſchon laͤngſt dahin gelangt ſeyn, die
ausdruͤckenden oder darſtellenden Formen der Kunſt ohne einige
Beſchraͤnkung fuͤr in der Natur gegebene, oder natuͤrliche zu
halten. Denn abgeſehn von einigen Verſuchen *) der juͤngſten
Zeit, den Begriff der Kunſt von neuem mit dem Begriffe der
Bilderſchrift zu vermengen, leuchtet es den Meiſten ein, daß
jede Bezeichnung von Begriffen und Gedanken des Verſtandes
durch willkuͤhrlich gewaͤhlte, nur durch Verabredung verſtaͤnd-
liche Bilder, daß die Hieroglyphe, oder wie man ſonſt die
bildneriſch-maleriſchen Verſuche der alten Voͤlker benennen will,
noch lange nicht eigentliche Kunſt ſey. Obwohl man zugeben
muß, daß die Kunſt durch die Hieroglyphe techniſch vorgebil-
det; ſogar in einzelnen Anwandlungen durch ſich ſelbſt ver-
ſtaͤndlicher Darſtellung, deren Beyſpiele bey Gau**) vor-
[25] kommen, gleichſam vorbedeutet worden, ſo wird doch von den
meiſten Gelehrten angenommen, daß die Griechen die wahre
Kunſt zuerſt aufgefunden, und mit der groͤßten Friſche des
Geiſtes die neue Erfindung ſogleich einer bis jetzt unerreichten
Vollkommenheit entgegen gefuͤhrt. Doch, wenn ich nicht irre,
fehlt es ihnen durchhin an einer deutlichen Einſicht in Sol-
ches, was dieſe von ihnen als die einzig wahre anerkannte
Kunſt der Griechen eben zur Kunſt macht und von der Bild-
ſchrift unterſcheidet *).


Offenbar liegt dieſes Unterſcheidende nicht in jenem An-
theil willkuͤhrlicher Begriffsbezeichnung, welcher, wie zart er
immer dem eigentlich Kuͤnſtleriſchen angelegt ſey **), doch in
[26] der griechiſchen Kunſt ihren Urſprung aus der Schriftbildnerey
der aͤlteſten Zeiten beurkundet; alſo liegt es nur in ſolchem,
was unmittelbar durch die Anſchauung dem Geiſte einleuchtet.
Der naͤheren Beſtimmung des Grundes dieſer von Erklaͤrungen
unabhaͤngigen Erfaßlichkeit ſetzten ſich indeß tief eingewurzelte
Vorurtheile entgegen, welche, ſo dunkel und verworren ihr
Urſprung iſt, doch, von vortrefflichen Geiſtern ſcheinbar be-
gruͤndet, waͤhrend des letzten Menſchenalters an Muth und
Hartnaͤckigkeit noch um Vieles zugenommen. Denn es iſt
eben nur die traditionelle, nirgend erwieſene Vorausſetzung
einer dem Kuͤnſtler angeborenen Kraft, ſich eigene Formen der
Darſtellung zu erſchaffen, welche uͤber die Thatſache verblendete
und noch immer verblendet: daß die Griechen (entweder weil
durch die Erfindung und Ausbildung der Buchſtabenſchrift die
Geſtalt des duͤrren Begriffsdienſtes ſchon entbunden worden,
oder auch, weil die Natur ſich gefallen, in ihnen ſelbſt, wie
noch die Truͤmmer des Volkes beweiſen, die Geſtalt in hoͤhe-
rem Maße zu beſeelen) zuerſt die innere, nothwendige, gege-
bene Bedeutſamkeit entdeckten, welche, wenn wir nur ſehen
wollten, uͤber alle Gebilde der Natur verbreitet iſt. Auf die-
ſer allgemeinſten Bedingung aller bildenden Kunſt beruhet jene
unmittelbare Verſtaͤndlichkeit griechiſcher Kunſtgebilde, welche
wir taͤglich bewundern, ohne jederzeit deren wahren Grund uns
einzuraͤumen. Denn man geht wohl, um ihn nur laͤugnen
zu duͤrfen, ſo weit, hiſtoriſche Unwahrheiten zu behaupten,
wie dieſe, daß die Aegypter, welche weltkundig nur die allge-
meinſten Zuͤge der menſchlichen Geſtalt erfaßt, und ſelbſt dieſe
meiſt hoͤchſt willkuͤhrlich verwendet haben, doch der Naturge-
ſtaltung naͤher geblieben, als die Griechen, deren Kenntniß
der Naturformen, deren Gefuͤhl fuͤr deren zarteſte Uebergaͤnge,
[27] wie ihre Bildwerke unwiderſprechlich an den Tag legen, von
keiner ſpaͤteren Leiſtung jemals uͤbertroffen worden. In aͤhn-
licher Abſicht behauptete Herder, daß die alten Griechen
keine eigentliche Bildniſſe gemacht, Leſſing wenigſtens, daß ſie
ſolche nach allgemeinen Schoͤnheitsbegriffen abgeaͤndert haben *).


Unbelohnend waͤre es freylich, den Blinden und Verblen-
deten begreiflich zn machen, daß die griechiſche Kunſt eben nur
der ſcharfſinnigſten Wahrnehmung bedeutſamer Zuͤge der Na-
turgeſtalt ihre unvergleichlich lichte, anſprechende Darſtellung
verdanke. Wer indeß die Faͤhigkeit beſitzt, ihre Kunſtwerke zu
ſehen, wer ſo viel Unbefangenheit ſich erhalten, die Aeuße-
rungen alter Schriftſteller uͤber Dinge der Kunſt nicht nach
vorgefaßter Meinung **), ſondern nach den Umſtaͤnden und
aus der Verbindung zu erklaͤren, wird leicht mir einraͤumen,
daß die einen durchaus natuͤrliche ſind, und daß die anderen
unzweydeutig darlegen, daß man im Alterthume den ſelbſt-
ſtaͤndigen Werth der darſtellenden Formen, ſo oft man ſolche
fuͤr ſich betrachtete, immer nur nach dem Maße ihrer Natuͤr-
lichkeit beſtimmte ***). Allerdings wollten die Griechen die
[28] Aufgabe, welcher Art ſie ſeyn mochte, deutlich ausgedruͤckt,
oder dargeſtellt ſehen; ihnen, wie ſelbſt den roheren Roͤmern,
kam es wirklich darauf an, die Idee der Aufgabe, mit der
ſie es meiſt ganz ernſtlich meinten, durch entſprechende For-
men dargeſtellt zu ſehen, weßhalb ſie Recht hatten, zu zuͤrnen,
wenn ſie ſtatt eines Gottes, oder Helden, das Bildniß einer
trivialen Perſon erhielten, deren Formen vielleicht, auch abge-
ſehen von den ihrer Perſoͤnlichkeit anklebenden Nebenvorſtel-
lungen, in jeder Beziehung der Aufgabe widerſprachen. Folgt
aber daraus, daß ſie ihre Goͤtter und Heroen, gegen alle
Geſchichte, in unmenſchlichen und unnatuͤrlichen Formen er-
blicken wollen? Gewiß konnte dieſes, wenn jemals, doch nur
in den aͤlteſten Zeiten und an ſolchen Orten, unter ſolchen
Verhaͤltniſſen ſtatt finden, wo — wie es nicht unerhoͤrt in
der griechiſchen Kunſtgeſchichte — nicht ſowohl Darſtellung
und eigentliche Kunſt, als vielmehr willkuͤhrliche Bezeichnung
verborgener Begriffe bezweckt wurde, deren Eroͤrterung der
hiſtoriſchen, nicht der aͤſthetiſchen Archaͤologie anheimfaͤllt.
Wenn aber der Kunſt unkundige Griechen bey Darſtellungen
in ſich abgeſchloſſener Vorſtellungen des Geiſtes noch zweifeln
***)
[29] konnten, ob der Kuͤnſtler wohl unter den ihn koͤrperlich um-
gebenden Geſtalten der Natur, fuͤr jene ein vollendetes Vor-
bild gefunden: ſo fuͤhrt eine ſolche naive Aeußerung, weit
entfernt fuͤr die Willkuͤhrlichkeit der griechiſchen Kunſtformen
zu zeugen, vielmehr auf die Vermuthung, daß dem Griechen
der ſchoͤnſten Zeit, welcher das aͤußere Treiben ſeiner Kuͤnſtler
noch vor Augen hatte, ſie unablaͤſſig umherſchauen, nachbil-
den, forſchen ſah, die ganze Kunſt wohl einmal als bloßer
Wetteifer mit der Natur, als bloße Nachahmung ihrer ein-
zelnen Gebilde erſchien. Wir indeß haben uns oben daran
erinnert, daß eben vermoͤge jener gegebenen Bedeutſamkeit der
Naturformen, deren unumgaͤngliche Erforſchung und Aneig-
nung nicht ſelten der Kunſt Unkundige weiter hinausliegende
Zwecke der Kuͤnſtler uͤberſehen macht, vieles Große, in ge-
wiſſer Beziehung ſelbſt das Hoͤchſte, was uͤberall im menſch-
lichen Geiſte gedeihet und reift, auch kuͤnſtleriſch ſowohl zu
erfaſſen, als darzuſtellen iſt *).


Allerdings ſind ſchon bey den Griechen, unmittelbar nach
[30] der ſchoͤnſten Bluͤthe ihres Geiſteslebens zween obwohl ent-
gegengeſetzte, doch gleichmaͤßig irrige Kunſtanſichten aufgekom-
men. Die eine, welche nach den Andeutungen in der Com-
pilation des aͤlteren Plinius gewiß ſehr weit verbreitet war,
verlor uͤber jene Gaukeley der ſinnlichen Wahrſcheinlichkeit,
welche allerdings ein ergoͤtzliches Spiel der Meiſterſchaft iſt,
wohl nicht ſelten hoͤhere Zwecke der Kunſt aus den Augen;
obwohl ſchwerlich in dem Maße, als einige Theorieen der
letzten Jahrhunderte. Die andere erhielt ſich ebenfalls auf
der Oberflaͤche, indem ſie der eitlen Selbſttaͤuſchung ſich hin-
gab, daß organiſche Formen, durch, wenn auch damals noch
ſehr bedingte, doch immer ſchon willkuͤhrliche Abaͤnderungen
verſchoͤnt werden koͤnnen; daß die Natur, daß die Anordnun-
gen des Schoͤpfers einer Nachbeſſerung durch menſchlichen Witz
beduͤrfen. Die erſte dieſer Anſichten, welche mit den hochge-
ſpannten Vorausſetzungen unſerer aͤſthetiſchen Archaͤologen ſo
wenig uͤbereinſtimmt, wird von dieſen meiſt uͤberſehen oder
doch zu fruͤh beſeitigt *). Aus der anderen indeß, welche
ſicher den modernen Kunſtgelehrten willkommen iſt, duͤrfen
wir auf keine Weiſe auf die Anſichten der aͤlteren und beſten
Kuͤnſtler zuruͤckſchließen. Denn ſie gehoͤrt der Zeit an, da der
[31] Sinn und die Wuͤnſche gewaltiger Herrſcher die griechiſche
Kunſt von lieblicher Unbefangenheit und ſchauerlicher Tiefe
zum aͤußeren Glanze, zur Wirkung hinuͤberlenkte. Und hierin
werden wir nicht, wie Manche, einen Fortſchritt wahrzuneh-
men glauben, vielmehr nur bewundern koͤnnen, daß unbewußte
Fortpflanzung des Alten, oder Ehrfurcht vor den Werken ihrer
naͤchſten Vorgaͤnger, die Kuͤnſtler, welche ſo verderblichen An-
ſichten ſich hingegeben, doch in der Hauptſache noch lange
beym Rechten erhalten und, bis zum gaͤnzlichen Verſiegen,
die alte Kunſt vor jener grenzenloſen Verirrung in Manieren
bewahrt hat, welche den neueſten Jahrhunderten vorbehal-
ten blieb.


Allein auch die neuere Kunſt ward keinesweges gleichſam
todt geboren, und befolgte daher von ihrem erſten Aufſtreben
bis auf ihren hoͤchſten Gipfel noch immer die Anſicht des
Alterthumes: daß alle darſtellenden Formen der Kunſt, als
in der Natur gegebene, vom Kuͤnſtler erlernt und erworben,
nicht etwa willkuͤhrlich erdacht und erbildet werden muͤſſen.
Wenn wir nur im Geſicht behalten, daß die Kunſt auf ihren
fruͤheren Stufen ſich mit den allgemeinſten Zuͤgen der Natur
begnuͤgt, theils weil es ſo zur Darſtellung ihrer Aufgaben
genuͤgt, theils weil ſie noch weit von dem Wunſche, oder
Vermoͤgen entfernt iſt, illuſoriſche Wirkungen hervorzubringen;
ſo werden wir ſchon in Cimabue’s maͤchtiger Jungfrau, vor-
nehmlich in dem Kinde und in den Engeln, oder auch in
anderen Werken dieſer Zeit wahrnehmen koͤnnen, daß man
in eben dem Maße, als man weiter gedacht und weiter hin-
ausgeſtrebt, auch der Natur ſich angenaͤhert, ihr Feinheiten
und Bezeichnungen abgewonnen hatte, welche den naͤchſt vor-
angehenden, ſtumpfſinnigeren Kuͤnſtlern noch durchaus fremd
[32] waren. Die Zeitgenoſſen Giotto’s, des beruͤhmten Florenti-
ners, der wenigſtens in der Bewegung der Figuren, und in der
Freyheit der Erfindung noch weiter vorgeſchritten war, glaubten,
da auf ſo fruͤhen Kunſtſtufen auch der Beſchauer mehr Phantaſie
und Waͤrme hinzubringt, in ſeinen Werken das Leben, oder
wenigſtens die Lebendigkeit ſelbſt zu erblicken *). Dieſe war
das Maß, nach welchem der Werth der Kunſtform ſchon da-
mals beſtimmt wurde, wie es vollends aus Ghiberti’s
Schrift hervorgeht, welcher in ſeinen Nachrichten uͤber die
Werke des Giotto und Anderer Alles, was er in Bezug auf
die Darſtellung lobt und billigt, mit der Naturgeſtalt und
mit den Werken der antiken Bildner vergleicht, welche ihm
nach einem richtigen Gefuͤhle voͤllig uͤbereinzuſtimmen ſchei-
nen **). Im funfzehnten Jahrhunderte ſtieg nun gar die
Begier, ſich bedeutende und ſchoͤne Naturformen anzueignen,
eben bey den beachtenswertheſten Malern ſo hoch, daß nicht
ſelten, wie bey Domenico Ghirlandajo die eigentlichen
Gegenſtaͤnde ihrer Darſtellung ſich ihrem Blicke entruͤckten,
was
[33] was indeß der Kunſt im Ganzen betrachtet nicht eben Nach-
theil gebracht. Wie dann Lionardo, wie Michelangelo in den
geheimſten Werkſtaͤtten der Natur umhergewuͤhlt und geforſcht,
wie liebevoll Raphael ſich der Naturfuͤlle hingegeben, lehren
ſowohl die groͤßeren Werke dieſer Meiſter, als vornehmlich
ihre Studienbuͤcher und Handzeichnungen, wie es denn auch
die Angaben ihrer Zeitgenoſſen beſtaͤtigen. Alſo werden wir
in einer viel neueren Epoche die Entſtehung des Irrthumes
aufſuchen muͤſſen: daß der Kuͤnſtler, nicht zufrieden, den eige-
nen Sinn, wie tief, oder flach, wie hoch, oder niedrig er ihm
gewaͤhrt ſey, in den Formen der Natur auszupraͤgen, viel-
mehr auch ſeine eigenen Formen ſich erbilden koͤnne und ſogar,
wie man hie und da unbedingt fordert, ſie erbilden ſolle.


Es iſt mir bisher nicht gelungen, die moderne Meinung,
daß Formen der Darſtellung denkbar, und moͤglich und wuͤn-
ſchenswerth ſeyen, welche der kuͤnſtleriſchen Erfindung durch-
aus angehoͤren, weiter zuruͤck zu verfolgen, als bis zu einem
naiven und liebenswerthen Briefe Raphaels, der ſo haͤufig
benutzt worden, daß ich ihn als bekannt vorausſetzen darf.
Kuͤnſtler ſind nun freylich nach ihren Werken zu beurtheilen,
weniger, oder auch gar nicht, nach Anſichten, Meinungen,
Grundſaͤtzen, welche ſie in Begriffen ausſprechen. Demunge-
achtet iſt ein Wort, welches aus der Feder des groͤßten Kuͤnſt-
lers gefloſſen, ſchon der Beachtung und Pruͤfung werth. Nun
zeigt ſich Raphael in ſeinen bekannteren Briefen und Gedich-
ten zwar der Geſinnung und dem Streben nach ſtets ſeiner
ſelbſt werth, doch auf der anderen Seite, was Begriff und
Sprache anbelangt, nur wenig ausgebildet; ſo daß nicht ſo
leicht zu entſcheiden iſt, wie er es ſelbſt verſtanden, wenn er
ſagte: „Er finde in der Natur keine Geſtalt, welche ſeinem
I. 3
[34] Wunſche, die ſchoͤnſte Goͤttin darzuſtellen, ganz entſpreche und
ſtrebe daher einer gewiſſen Idee nach.“


Genau betrachtet bezeugen dieſe Worte, auf der einen
Seite nur etwa eine augenblickliche Unzufriedenheit mit den
eben vorhandenen Modellen; auf der anderen Seite aber die
naive Vorausſetzung, daß fuͤr jede in ſich abgeſchloſſene Idee
unter den abgeſchloſſenen Geſtalten der Natur auch ein vollen-
detes Gegenbild muͤſſe aufzufinden ſeyn. Wollten wir indeß
annehmen, Raphael habe hier, vielleicht durch Freunde unter
den gelehrteren Hoͤflingen zu Rom veranlaßt, eben nur etwas
platoniſiren wollen, ſo war Solches fuͤr ſeinen kuͤnſtleriſchen
Zweck ſicher ohne allen Belang, da es klar iſt, daß der frag-
liche Schulbegriff, in ſo fern er Grund hat, ſchon ohne ſich
deſſen bewußt zu werden, bey Kuͤnſtlern in Wirkung treten
muß; dagegen in ſo fern er etwa falſch iſt, ihr Beſtreben
und Wirken nur durchkreuzen kann. Ueberhaupt duͤrfte der
Kuͤnſtler mit der Idee des Schulbegriffes nicht wohl auslan-
gen koͤnnen. Denn die kuͤnſtleriſche Darſtellung bedarf, wie
es ſchon einleuchten wird, ganz durchgebildeter Geſtalten, kann
mithin bey jenen dunklen Erinnerungen der platoniſchen, oder
noch aͤlteren Weisheit auf keine Weiſe ſich beruhigen. Wer
aber wuͤrde behaupten wollen, daß Raphael nach zwanzigjaͤh-
riger Hingebung in die liebevollſte und emſigſte Naturbeſchau-
ung eine ſolche Verſtandesgrille ernſtlich habe behaupten wol-
len? Wer wuͤrde nicht lieber annehmen, ſein Ueberdruß an
den Geſtalten, ſo die Natur ihm damals darbot, oder nur
darzubieten ſchien, ſey nur ein unmuthiges Wort, dem Muͤ-
den um ſo mehr nachzuſehen, als er es, wie ſeine Goͤttin
zeigt, nicht einmal in dem Augenblicke, da er es ausſprach,
damit ſo gar genau genommen.


[35]

Wie man nun immer die Worte deuten wolle, welche
Raphael einmal hingeworfen, ohne ſie jemals naͤher erklaͤrt,
noch, in ſo fern ſie eine allgemeine Ungenuͤgſamkeit mit den
Geſtalten der Natur zu bezeugen ſcheinen, in ſeiner Kunſt-
uͤbung ernſtlich befolgt zu haben; ſo wird dennoch darin kein
hinreichender Grund entdeckt werden koͤnnen, ihm das ent-
ſchiedene Eingehen in einen Irrthum beizumeſſen, welcher da-
zumal uͤberhaupt noch nicht an der Zeit war. Er konnte erſt
um Decennien ſpaͤter Beyfall und Eingang finden, als Eitel-
keit und Traͤgheit unter den Kuͤnſtlern uͤberhand genommen.
Denn in dem gedoppelten Beſtreben, durch Seltſamkeit aufzu-
fallen, und den Geiſt anſtrengenden Studien auszuweichen,
liegt der eigentliche Grund, ſowohl der Entſtehung, als wie
der ſchnellen und bereitwilligen Aufnahme der Meinung, daß
es dem Kuͤnſtler gegeben ſey, aus ſich ſelbſt Formen zu ent-
wickeln, welche die natuͤrlichen an Bedeutſamkeit und Schoͤn-
heit uͤbertreffen.


Schon in dem ſpaͤteren Malerleben des Vaſari wird
auf die Erfindung und Handhabung deſſen, was er die
ſchoͤne moderne Manier
benennt, ein Gewicht gelegt,
welches errathen laͤßt, wie ſehr man ſchon damals in der
Vorſtellung befangen war, daß eine loͤbliche Darſtellung nicht
etwa ſchon aus der Beobachtung und Erforſchung des Gege-
benen hervorgehe, vielmehr und vornehmlich aus freyer, muth-
williger Erfindung und willkuͤhrlicher Gewandtheit *). In der
3 *
[36] That lobt und billigt bieſer Schriftſteller einige Kuͤnſtler, wel-
che ſogar den modern Geſinnten unter den Richtern und Ge-
ſchichtſchreibern der Kunſt fuͤr Manieriſten gelten. Vaſari
indeß, der bekanntlich in ſeiner eignen Darſtellung die Mitte
des Rechten und Falſchen, der Geſetzmaͤßigkeit und Willkuͤhr
gehalten, bildet auch in der allgemeinen Anſicht gleichſam nur
einen Uebergang. Denn mit deutlichem Bewußtſeyn und ent-
ſchiedenem Wollen ausgeruͤſtet erblicken wir jenen, fuͤr die
moderne Kunſt grundverderblichen Irrthum nicht fruͤher, als
in der Zeit, da die vielbeſprochene Partheyung der Idealiſten
und Naturaliſten zuerſt verlautete *).


Kein Uebel kommt ſo leicht allein, und kein Extrem ent-
ſteht, dem nicht alſobald ein entgegengeſetztes gegenuͤber traͤte;
daher, denke ich, erſcheint der falſche Idealbegriff jederzeit in
Begleitung eines gleich ſchiefen Naturbegriffes, ſo daß wir
*)
[37] den einen nicht aufloͤſen und aufheben koͤnnen, ohne vorher
den Anderen berichtigt, oder vertilgt zu haben. Die Parthey-
ung aber, welche durch dieſe irrigen Begriffe hervorgebracht
worden, wird an ſich ſelbſt nur in ſo fern der Aufmerkſamkeit
werth ſeyn, als ſie durch das Beyſpiel ihrer Leiſtungen den
Nachtheil bewaͤhrt, welcher aus einer falſchen Auffaſſung der
Grundbegriffe, deren Berichtigung vielen minder weſentlich be-
duͤnken moͤchte, ſogar fuͤr die wirkliche Kunſtuͤbung entſteht.
Ueberhaupt aber moͤgen der Kunſtgeſchichte weniger Kundige
nicht etwa glauben, daß den Idealiſten die Idee, den Natu-
raliſten die Natur ſo ſehr am Herzen gelegen. Ihr Streit
drehte ſich einzig um Formen der Darſtellung, ob dieſe will-
kuͤhrlich zu erſinnen *), oder vielmehr jedem in der Wirklich-
keit ſich zufaͤllig darbietenden Gegenſtande nachzubilden ſeyn.
Waͤhrend die eine Parthey der Weisheit der Natur muth-
willig Trotz bot, ihre Fuͤlle verſchmaͤhte, wollte die andere,
die inneren Forderungen beſtimmter Kunſtaufgaben verachtend
und jeglicher Erhebung der Seele entſagend, nur ſolche For-
men nachbilden, welche der Zufall bot, auch wohl muthwil-
liger Weiſe eben die, welche der Aufgabe ſichtlich widerſpra-
chen. Wie nur die Schulbegriffe ſo platter Richtungen in
die Sprache der unlaͤugbar beſſer geſinnten Kuͤnſtler, der un-
laͤugbar tiefer denkenden Kunſtgelehrten der neueſten Zeit haben
uͤbergehen koͤnnen!


Wenden wir uns zunaͤchſt zum Grundbegriffe der Natu-
raliſten, ſo iſt es wohl klar, daß der Name der Natur, die-
ſes weiten und allgemeinen Begriffes, nicht ohne Frevel ver-
[38] wendet werden kann, um, wie noch immer in der modernen
Kunſtſprache gebraͤuchlich iſt, eben nur einen zufaͤllig vorlie-
genden Gegenſtand der ſinnlichen Anſchauung und oft genug
nur mechaniſchen Nachahmung zu bezeichnen. Doch nicht bloß
frevelnd, vielmehr auch abgeſchmackt iſt es, nur in der Kunſt-
ſprache das Einzelne durch den Namen des Allgemeinen zu
bezeichnen, dem es etwa unterzuordnen. Wuͤrden wir im
Leben, anſtatt: ich habe einen Menſchen, einen Baum, einen
Berg geſehen, einmal ſagen wollen: ich habe die Natur ge-
ſehen; ſo duͤrften wir, wenn uͤberall verſtanden, doch gewiß
wegen des Unbeſtimmten und Unſchicklichen unſeres Ausdrucks
mit allem Grunde verlacht werden. Weshalb denn ſollte es
paſſender ſeyn, wenn man im gemeinen Kunſtverkehr anſtatt:
ich habe dieſe Geſtalt nach einem beſtimmten Menſchen gebil-
det, zu ſagen pflegt: ich habe ſie nach der Natur gemacht?
Und wie haͤufig wird dieſer thoͤrichte Kunſtausdruck nicht ſelbſt
auf todte, von Menſchenhand verarbeitete Dinge ausgedehnt,
welche der gemeine, wie der wiſſenſchaftliche Sprachgebrauch
als kuͤnſtliche den natuͤrlichen entgegenſetzt. Habe ich doch oft
von Teppichen, Stuͤhlen, Baͤnken, Gebaͤuden und Anderem
der Art gehoͤrt, es ſey nach der Natur gezeichnet oder gemalt
worden.


Indeß, wird man mir einwenden, weiß der Kuͤnſtler,
wie der Kunſtfreund, daß Natur ihm eben nicht Anderes be-
deute, als Modell, Vorbild, Objekt der ſinnlichen Anſchau-
ung oder Aehnliches; und uͤberhaupt, wird man hinzuſetzen,
komme es ja weniger darauf an, daß man ein Wort ganz
ſprachgemaͤß gebrauche, als daß man uͤber den Sinn einig
ſey, den man ihm beylegen wolle. Es liegt nicht in meiner
[39] Aufgabe, hier die Frage zu erledigen, ob die Sprache an ſich
ſelbſt durch jene Willkuͤhr der Wortbedeutungen, in welcher
die Modernen ſich zu gefallen ſcheinen, irgend etwas gewinne,
oder umgekehrt von ihrer urſpruͤnglichen Klarheit einbuͤße, wie
ſie mehr und mehr von den Bildern und Anſchauungen ſich
entfernt, welche der Bezeichnung ſelbſt der abſtracteſten Be-
griffe zum Grunde liegen. Doch kann ich nicht umhin, die
Kunſtfreunde und Kuͤnſtler zu erinnern, daß auf der einen
Seite der Begriff, den ſie meiſt ziemlich ausſchließlich mit
dem Worte Natur verbinden, durch Modell und Vorbild ſchon
ſehr genuͤgend bezeichnet wird; daß auf der anderen Seite der
weitumfaſſende Begriff der zugleich erzeugenden und erzeugten
Natur nicht wohl, etwa aus Gefaͤlligkeit gegen die Grillen
einiger Kuͤnſtlerſchulen von zweifelhaftem Werth, durch ein
neues, noch unerfundenes Wort zu erſetzen iſt. Beachten wir
zudem, daß jegliches Weſen, alſo ſelbſt der Manieriſt, zur
wirklichen Natur in ſo vielfacher Beziehung ſteht, daß es den
Kunſtgelehrten und Kuͤnſtlern, wie pedantiſch aͤngſtlich ſie
immer ihren eigenthuͤmlichen Naturbegriff in ſeiner Reinheit
zu erhalten Bedacht nehmen moͤchten, doch unmoͤglich faͤllt,
nicht abwechſelnd einmal weiter hinaus zu denken, und bey dem
Worte Natur dieſe ſelbſt und nicht bloß jenen Modellbegriff
im Sinne zu haben. Eine ſolche Vermiſchung des Einzelnen
mit dem Allgemeinen fließt alſo leicht von dem Ausdruck,
in dem man ſie etwas leichtſinnig zugelaſſen, auf die innere
Vorſtellung hinuͤber, woher zu erklaͤren iſt, daß viele vor-
treffliche Denker, was etwa in Bezug auf ein beſtimmtes
Modell ganz wahr ſeyn mag, unvermerkt auf die Geſammt-
heit der Natur uͤbertragen haben, welche ſie bey ſchaͤrferer
[40] Unterſcheidung doch ſchwerlich haͤtten ſo ſchmaͤhen koͤnnen, wie
es geſchehen und noch taͤglich geſchieht *).


Ein eben ſo beſchraͤnktes, als ſtumpfſinniges und hart-
naͤckiges Feſtkleben an zufaͤllig dem Sinne vorliegendem Ein-
zelnen giebt demnach der Secte der Naturaliſten noch keinen
Anſpruch an ſo ſchoͤnen Namen; noch weniger indeß duͤrfte
die entgegengeſetzte Secte der Idealiſten berechtigt ſeyn, ſich
nach einem Worte zu nennen, welches, obwohl von einem
ſinnlichen Bilde ausgehend, doch nach unſerem Sprachge-
brauche die geheimſten Tiefen des geiſtigen Lebens, wenn auch
wohl etwas zu allgemein, bezeichnet. Freylich moͤchte es in
[41] Frage ſtehen, ob die italieniſchen Manieriſten das Wort Ideal,
vermoͤge deſſen ſie ihre willkuͤhrlich gebildeten Formen von den
natuͤrlichen zu unterſcheiden pflegten, aus jenem Schulbegriffe
der Idee abgeleitet haben, welcher nach damaligem Stande
der Wiſſenſchaft dem Raphael in obigem Briefe vielleicht noch
vorgeſchwebt. Denn es lag ihnen naͤher, ihren Idealbegriff
aus dem neuitalieniſchen, idea, Einfall, oder willkuͤhrliche
Vorſtellung, abzuleiten. Damit indeß waͤre nur die Ableitung
des Wortes gerechtfertigt, keinesweges der Begriff ſelbſt; denn
Ideale, deren Unterſcheidendes, nicht in einer beſonderen Gei-
ſtigkeit der Abkunft, oder des inneren Gehaltes, ſondern einzig
in einer gewiſſen Willkuͤhrlichkeit der Form beſteht, ſind doch,
wie es einleuchten ſollte, eben ſo zweckloſe, als unerfreuliche
Dinge.


Die leeren Zerrbilder der Manieriſten *) fuͤr gute Kunſt-
werke ausgeben, oder die Grundſaͤtze, nach denen ſie entſtan-
den, unbedingt anerkennen, ſcheint denn auf den erſten Blick
unvereinbar mit jener hingegebenen Bewunderung der Kunſt-
werke des claſſiſchen Alterthumes, welche, ſeit Winckel-
mann
,
bey unerheblichen Stoͤrungen, in immer weiteren
Kreiſen ſich ausgebreitet hat. Indeß, ſey es nun, weil man
nicht tief genug in das Weſen antiker Kunſt eingedrungen,
oder auch, weil man die Liebe zum claſſiſchen Alterthume eben
[42] nur zur Schau trug; gewiß aber ward die Verachtung der
Manieriſten und ihrer Hervorbringungen bey weitem nicht ſo
ſchnell allgemeine Geſinnung, als man nach Winckelmann’s
entſchloſſenem Durchgreifen *) erwarten konnte. Giebt es doch
noch gegenwaͤrtig hoͤchſt ehrenwerthe, in der Kunſt nicht un-
bewanderte Maͤnner, welche ſich nicht ſcheuen, die matte, leere
Manier eines Maratta und anderer als lieblich und an-
muthsvoll zu preiſen; da man doch offenbar ſogar den ſtreng-
ſten Forderungen der Billigkeit ſchon genuͤgen wuͤrde, wenn
man die großen Talente, die achtenswerthe Geſchicklichkeit und
Ruͤſtigkeit, welche ſich inmitten der modernen Verkehrtheiten
uͤberall in beklagenswerther Fuͤlle gezeigt, von dem Urtheil
[ausnehmen] wollte, welches ihre Richtung im Ganzen ver-
dammt. Wenn aber der Eindruck claſſiſcher Vorbilder nicht
vermocht, den Geſchmack durchhin vom Schlechten abzulenken,
ſo mußten viele Kuͤnſtler und Kunſtfreunde nicht minder ge-
neigt bleiben, auch eine irrige Vorſtellung feſtzuhalten, welche
die [Frechheit] der Manieren erzeugt, und ſo lange genaͤhrt und
gepflegt hatte. Gewiß verband ſich dieſe manieriſtiſche Vor-
ſtellung von einer gewiſſen Unentbehrlichkeit oder Auserleſen-
heit menſchlich willkuͤhrlicher, von der Natur abweichender,
oder wenigſtens ſie uͤbertreffender Formen nunmehr faſt un-
abloͤslich mit allem Wahren und Richtigen, welches in der
Richtung, die Winckelmann und Leſſing angegeben, uͤber
die Kunſt uͤberhaupt, oder uͤber einzelne Seiten und Verhaͤlt-
niſſe derſelben gedacht und geſchrieben worden.


Wie dieſer Vorbegriff dazu gelangt, inmitten ſo viel tie-
[43] fer Gelehrſamkeit und aͤchter Weisheit ſich ein bequemes und
ſicheres Neſt zu betten, erklaͤre ich mir auf folgende Weiſe.
Winckelmann, dem wir die meiſten unſerer gangbaren
Kunſtbegriffe, wenn nicht vielmehr unſere ganze Kunſtſprache
verdanken, brachte nach altem Schrot und Korn eine gewiſſe
Ehrfurcht fuͤr den Gegenſtand hinzu, dem er in ſchon vorge-
ruͤcktem Lebensalter ſeine Anſtrengungen widmen wollte. Da-
her nahm er die Belehrungen der ihn umgebenden Kuͤnſtler-
und Kennerwelt, deren hiſtoriſch-techniſche Kunſtkenntniſſe den
ſeinigen uͤberlegen waren, mit Dank und Achtung entgegen *).
In der Kunſtwelt, die er vorfand, war indeß, wie wir mit
Sicherheit wiſſen, jener manieriſtiſche Vorbegriff tief einge-
wurzelt **) und ſeiner ſelbſt ſo ſicher, daß die letzten Sproͤß-
linge der hollaͤndiſchen Richtung auf illuſoriſche Natuͤrlichkeit,
ein Ditricy und Aehnliche, nicht wegen ihres Schlimmen,
ſondern ihres Guten willen, welches noch immer einigen An-
theil erweckt, von Allem, was Stimme hatte und zur großen
[44] Kunſtwelt gehoͤrte, mit groͤßter Zuverſicht verlacht wurden.
Waͤre es nun ſo wunderbar, wenn der damals glaͤubig ſich
hingebende Kunſtjuͤnger von ſeinem Zeichnenlehrer Oeſer*),
dieſem grauenhafteſten, leichenaͤhnlichſten aller Manieriſten,
oder ſelbſt von dem beſſeren, aber unentſchiedenen Mengs,
Anſichten und Vorbegriffe ſich haͤtte aufdraͤngen laſſen? Ge-
wiß iſt es ungleich mehr zu bewundern, daß Winckelmann,
der ſpaͤterhin aus der Fuͤlle ſeines Geiſtes ſo manchen kuͤhnen
Wurf gewagt, doch ſelbſt auf der Hoͤhe ſeiner Entwickelung
nimmer das Joch eines Vorbegriffes abgeworfen, gegen wel-
chen ſein eigenthuͤmliches und beſſeres Gefuͤhl nicht aufhoͤrte,
ſich aufzulehnen. Denn kein Neuerer hat wohl mit ſo an-
tikem Sinn das Schoͤne und Bedeutungsvolle der Naturfor-
men empfunden **), ſo ungeduldig ihr wahres Verhaͤltniß
zur Kunſt geahnet, ohne ſich deſſen jemals ſo ganz, wie es
ſeyn ſoll, bewußt zu werden. Und es wuͤrde nicht ſo ſchwer
fallen, vornehmlich im Geleite ſeiner Kunſthiſtorie nachzuwei-
ſen, wie alle Incohaͤrenzen ſeiner philoſophiſchen Kunſtbetrach-
tung eben nur daher entſtanden, daß er unablaͤſſig von der
manieriſtiſchen Vorſtellung willkuͤhrlicher Kunſtformen zu dem
Gefuͤhle hinuͤber ſchwankte, daß die Formen der Kunſt unter
allen Umſtaͤnden in der Natur gegebene ſind ***).


[45]

Daß in der Folge dieſelbe Vorſtellung in noch neuere
Kunſtbetrachtungen uͤbergegangen, darf Niemand befremden,
da es bekannt iſt, wie viele ſich an dem Feuer Winckel-
mann’s
erwaͤrmt und aus ſeinen Fundgruben bereichert haben.
Gewiß findet ſie ſich ſelbſt in den beſten und lehrreichſten der
neueren Kunſtſchriften, wo ſie den mancherley Idealbegriffen,
welche der verſchiedene Standpunkt der Kunſtgelehrten erzeugt
hat, uͤberall gleich einer verdunkelnden Folie anklebt. So
wenig nun denen, welche ihr Buch bereits abgeſchloſſen, da-
mit gedient ſeyn mag, ſo werden wir doch nicht wohl umhin
koͤnnen, die verſchiedenen Begriffe, welche in den Kunſtſchrif-
ten, mit einem allen gemeinſamen Namen, Ideale, heißen,
jeden fuͤr ſich zu betrachten, damit ſich ergebe, ob ihr Wah-
res nicht etwa von jenem Irrthume zu ſondern iſt, welcher
eben ſo ſehr einer reinen und hinreichend ſcharfen Auffaſſung
der Kunſt im Ganzen, als jeglichem Gedeihen ihrer einzelnen
Beſtrebungen entgegenwirkt.


Ideal — obwohl dieſer Ausdruck neuerlich dem Worte,
Symbol, zu weichen ſcheint *) — heißt den Alterthumsfor-
ſchern die Darſtellung von Ideen, oder im Geiſte ausgebilde-
ten Vorſtellungen, im Gegenſatze zu Bildniſſen und anderen
Nachbildungen ſinnlich erſchaulicher Dinge **). Gewiß ent-
***)
[46] ſpricht dieſe Bedeutung der, obwohl etwas willkuͤhrlichen Bil-
dung des Wortes, und in der That, wenn ihm die vielleicht
unnoͤthige Fremdheit ſeiner Wurzel auch kuͤnftig nachgeſehen
werden ſollte, ſo wuͤßte ich kaum, wie derſelbe Sinn ohne
Umſchreibung, oder gleich kurz und buͤndig auszudruͤcken waͤre.
In der Kuͤnſtlerſprache jedoch ward daſſelbe Wort (welches
dieſe Forſcher, wie ich oben gezeigt und noch einmal in Er-
innerung bringe, weder aus dem Alterthume, noch aus latei-
niſchen Compendien, ſondern mittelbar aus dem Italieniſchen
entlehnt haben) ſchon lange, bevor Winckelmann geſtrebt,
ihm einen vernuͤnftigen und menſchlichen Sinn beyzulegen,
bloß von einer zweckloſen Willkuͤhrlichkeit der Form verſtan-
den. Es galt demnach den neuen antiquariſchen Idealbegriff
von dieſer Nebenvorſtellung abzuſondern, oder auch die Unzer-
trennlichkeit und Uebereinſtimmung beider Kunſtbegriffe nach-
zuweiſen. Die Archaͤologen haben das erſte unterlaſſen, das
zweyte verſucht; die Gruͤnde, welche ſich ihnen darzubieten
ſchienen, beruhen auf Wahrnehmung des Typus und des Sty-
les; dieſe Eigenſchaften der Kunſt des Alterthumes erheiſchen
indeß eine eigene Beleuchtung, welche wir, da ſie Raum er-
fordert, fuͤr jetzt verſchieben, und am Schluſſe dieſer Betrach-
tung von Dingen der Darſtellung wieder aufzunehmen denken.


Wie falſch, oder richtig demnach die Alterthumsforſcher
den Hergang der Darſtellung ſich erklaͤrt haben moͤgen, ſo
beruhet doch ihr Idealbegriff, noch immer auf der mehr und
minder ausgebildeten Vorſtellung von einer reinkuͤnſtleriſchen,
anſchaulichen Auffaſſung ſelbſt der geiſtigſten Aufgabe. Da-
**)
[47] gegen ſcheinen die kritiſch-philoſophiſchen Kunſtbetrachtungen,
welche wiederholt, obwohl mit ſehr ungleichen Kraͤften ange-
ſtellt worden, die kuͤnſtleriſche Geiſtesart ganz zu verkennen,
indem ſie deren Hoͤhe in eine gewiſſe Annaͤherung an das
Begriffsleben verſetzen, die wenigſtens mit jener allgemeinen
Erklaͤrung der Kunſt, welche ich oben vorangeſtellt, nicht
wohl vereinbar iſt. In den geiſtreichen und conſequenten
aͤſthetiſchen Verſuchen Wilhelms von Humboldt ſcheint
allerdings, was dieſer Denker in Kunſtwerken Totalitaͤt nennt,
auf den erſten Blick dem anſchaulichen, voͤlligen, ausgerunde-
ten Denken des Kuͤnſtlers zu entſprechen. Doch bey naͤherer
Betrachtung ergiebt es ſich als ein anderer Ausdruck fuͤr den
Gegenſtand eines allen Denkern derſelben Schule eigenthuͤm-
lichen Verlangens, auch in der Kunſt die ihnen befreundete
Abſtraktion, den Begriff, wieder aufzufinden *). In einer
anderen, doch ſchwaͤcheren Arbeit, wo daſſelbe Beſtreben ſich
naiver und eben deshalb vielleicht um ſo deutlicher zeigt, ver-
ſinnlicht der Verfaſſer ſeine Erklaͤrung des Idealen durch das
Beyſpiel der verſchiedenen Lebensſtufen **). So denkt er ſich
das Ideal des Knaben, in welchem die Merkmale der fruͤhe-
ren Jugend vereinigt ſind; ein anderes des Mannes, des
[48] Greiſes u. ſ. f. Zunaͤchſt duͤrfen wir ihm Gluͤck wuͤnſchen zu
dem Poetiſchen in der Wahl ſeines Beyſpiels, welche ſicher
bezeugt, daß ihm die Kunſt ſowohl von Haus aus, als durch
Erfahrung durchaus fremd war. Denn auch abgeſehen von
dem geringen Intereſſe dieſer Vorſtellung iſt das Lebensalter,
wie auch das buͤrgerliche Geſetz daſſelbe abtheilen mag, doch
an und fuͤr ſich ohne ſichere Grenze, alſo unfaͤhig auf ſolche
Weiſe verallgemeint zu werden. Wichtiger indeß iſt es fuͤr
uns, hervorzuheben, daß ſolche Ideale, wenn die Kunſt ſie
zuließe, von dem Begriffe: Knabe, Mann u. ſ. f. doch nicht
weſentlich verſchieden waͤren, weshalb man fragen duͤrfte: wie
denn ſollte der Kuͤnſtler ſo viel Muͤhe anwenden, einen ſo
großen Anlauf nehmen, als ſogar das mindeſte Kunſtwerk
erfordert, um am Ende nichts Anderes zu bilden, als Sol-
ches, ſo mit einem einzigen Worte gleich genuͤgend Anderen
mitzutheilen iſt? Wahrlich, wenn die Vielfaͤltigkeit, Fuͤlle
und Tiefe, welche die anſchauliche Auffaſſung in einem Mo-
mente vereinigt, jemals gegen die Duͤrre des Begriffes ver-
tauſcht werden ſollte, was denn wuͤrde durch eine ſolche Um-
ſtellung fuͤr die Kunſt, was fuͤr das Leben gewonnen werden?
Freylich wird dieſe Frage die bezeichneten Kunſtgelehrten nicht
eben in Verlegenheit bringen, da ſie, auch abgeſehen von dem
Umſtand, daß ſie nicht ſowohl die kuͤnſtleriſche Hervorbrin-
gung foͤrdern, als die Kunſt auf ihre Weiſe reconſtruiren
wollen, ihrer Sache ſchon im Voraus gewiß ſind. Denn
eben jene Idealgeſtalten, welche ſie als das endliche Ergebniß
aller kuͤnſtleriſchen Bemuͤhungen anſehen, welche ſie in einer
zu auffallenden Uebereinſtimmung mit den Manieriſten ganz
negativ als Dinge erklaͤren, welche auch in Bezug auf die
Form theils dem Wirklichen entgegengeſetzt ſind,
theils
[49]theils das Wirkliche uͤbertreffen*), ſind nicht das
Ergebniß, ſondern die Vorausſetzung ihrer Darlegung, welche
ſie als eine runde, keiner Entwickelung, keines Beweiſes be-
duͤrftige Forderung voranſtellen, und als ſolche durch ein ent-
ſcheidendes Soll oder Muß dem Leſer ankuͤndigen. Voraus-
ſetzungen ſind aber, wie es einleuchtet, das Ergebniß, nicht
deſſen, was daraus gefolgert und abgeleitet wird, ſondern vor-
ausgegangener Darlegungen, welche in dieſem Falle noch er-
ſehnt werden.


Dagegen entſteht einer anderen Philoſophie Solches, was
ſie in Kunſtwerken ideal nennt, aus jener inneren Belebung
des Geiſtes, welche auch unter uns haͤufig die Idee genannt
wird. Allerdings duͤrfte nur die traurigſte Abgeſtorbenheit alles
inneren Lebensgeiſtes verleiten koͤnnen, mit Zuverſicht, wie hie
und da geſchehen, jene Faͤhigkeit der Begeiſterung zu laͤugnen,
welche, wie uͤberall, ſo auch in der Kunſt aller froͤhlichen und
fruchtbaren Leiſtung vorangeht. Allein in dieſem Sinne bezeich-
net Idealitaͤt offenbar nicht eine beſtimmte Beſchaffenheit, we-
der der Form, noch der Aufgabe, ſondern einzig ſolches, ſo
in den verborgenſten Tiefen des Daſeyns allem Denken und
Dichten, allem Auffaſſen und Darſtellen zum Grunde liegt.
Dieſe ideellſte Idealitaͤt unterſcheidet ſich alſo nicht bloß von
jenen nuͤchternen Aggregaten, oder Abſtractionen, welche wir
ſo eben beruͤhrt haben; vielmehr unterſcheidet ſie ſich nicht
minder auch von den Idealen der Alterthumsforſcher, etwa
I. 4
[50] wie Subjectives vom Objectiven. Dem Alterthumsforſcher
nemlich heißt ideal, was Ideen darſtellt, welche meiſt, ſchon
ehe der Kuͤnſtler die Hand erhoben, eine gewiſſe geiſtige In-
dividualitaͤt, oder Abgeſchloſſenheit innerhalb ihrer ſelbſt er-
langt hatten. Die Idee iſt demnach in dieſem Falle das Ob-
ject der kuͤnſtleriſchen Auffaſſung und der gelehrte Sprachge-
brauch geſtattet, auch da von Idealen zu reden, wo die Dar-
ſtellung, oder nur die Andeutung von außerhalb des Kuͤnſt-
lers vorgebildeten Ideen durch bloß mechaniſchen Fleiß (wie
in Copien und Nachahmungen) hervorgebracht worden. Dem
conſequenten Idealiſten indeß darf in Kunſtwerken nur Sol-
ches ideal heißen, welches, was es auch darſtelle, oder von
auſſen herbeyziehe, doch immer von jener inneren Belebung
des Geiſtes ausgegangen, welche ganz der Subjectivitaͤt des
Kuͤnſtlers angehoͤrt. Oftmals daher wird er ſich bewogen fuͤh-
len Manches, was dem Alterthumsforſcher ideal heißt, als
geiſtlos zu verwerfen, und umgekehrt vieles, was jenem als
individuell oder bildnißartig den geradeſten Gegenſatz des Idea-
len zu bilden ſcheint, wenn es, gleich raphaeliſchen, oder an-
tiken Bildniſſen, von dem ganzen Lebensgeiſte der Kuͤnſtler
durchdrungen iſt, fuͤr idealer zu halten, als den groͤßten Theil
alles deſſen, was ſchon vorgebildete Ideen durch mechaniſche
Mittel auszudruͤcken, oder anzudeuten bezweckt.


Bis dahin duͤrften wir dem Idealbegriffe idealiſtiſcher
Kunſtphiloſophen unſere Zuſtimmung geben. Allein, wenn
ſolche Denker, nicht zufrieden ſich der Grundlage verſichert zu
haben, nun auch weiter bauen und die Geſetze beſtimmen wol-
len, nach welchen Kunſtwerke ſich nach außen entfalten: ſo
ergiebt es ſich nicht ſelten, daß ſie dem kuͤnſtleriſchen Aus-
druck des Geiſtigen eine ungleich freyere, entbundenere Bewe-
[51] gung beylegen *), als ſelbſt den Kuͤnſten des Begriffes, deren
luͤckenhafter, gleichſam nur uͤber die Dinge hinſchwebender Aus-
druck, verglichen mit der unendlichen Voͤlligkeit des kuͤnſtleri-
ſchen, doch offenbar minder ſtrengen Anforderungen unter-
4 *
[52] liegt. — Den Idealen unſerer Philoſophen und philoſophiren-
den Dichter raͤumt man ein, daß ſie von jener inneren Be-
lebung der Idee ausgehend, ſich allgemach mit einem gewiſ-
ſen Fleiſch und Bein bekleiden, welches bekanntlich, theils
jener geſchichtlichen Begriffs-Entwickelung angehoͤrt, welche
wir Sprache nennen, theils der Unterſcheidung und Erkennt-
niß ſowohl des Zufaͤlligen, als des Geſetzmaͤßigen in den aͤu-
ßeren Dingen. Wuͤrden aber Philoſophen und Dichter, welche
ihre Idee in einer Sprache von eigner Erfindung ausdruͤcken,
oder die Natur der Dinge umkehren wollten, unſtreitig weder
verſtanden, noch gebilligt werden; wie koͤnnte man denn eben
dem Kuͤnſtler, deſſen Darſtellung noch ungleich mehr Aus-
fuͤhrlichkeit und Rundung bedarf, auflegen wollen, daß er die
Ideen, ſo in ſeiner Seele aufſteigen, oder geweckt werden,
mit durchaus ſelbſterfundenen Formen und Beziehungen be-
kleide? Freylich pflegt man dieſe Forderung, deren Ueberein-
ſtimmung mit den Anſichten der Manieriſten zu deutlich in
den Sinn faͤllt, dadurch abzuaͤndern, daß man dem Kuͤnſtler
einraͤumt, entweder an allgemeine Naturgeſetze ſich an-
zuſchließen, oder in den letzten Augenblicken der Vol-
lendung ſeiner Idealgeſtalt etwas Modell hinzu-
zunehmen
. Dieſe Modificationen indeß gehoͤren in die Lehre
von der kuͤnſtleriſchen Aneignung der Naturformen, welche
wir beſonders abhandeln wollen.


Wieder einen aͤnderen Sinn hat Ideal in der Sprache
der Schoͤnheitslehrer und Aeſthetiker von Profeſſion. Dieſen
nemlich heißt Ideal (obwohl die Maͤnner des Gefuͤhls ſelten
vermoͤgen, einen Begriff rein aufzufaſſen und unwandelbar
feſtzuhalten) im Durchſchnitt weder, wie den Vernunftphilo-
ſophen, die Verkoͤrperung eines abſtracten Begriffes, noch,
[53] wie den Alterthumskundigen und Idealiſten, die Darſtellung
irgend einer beſtimmten, von Außen gegebenen, oder im In-
neren aufgefaßten Idee, ſondern eben nur, nach ihrer jedes-
maligen Schule, entweder die aͤußere Entfaltung einer allge-
meinen, beziehungsloſen Vorſtellung der Schoͤnheit, oder eine
mechaniſche Anreihung durch den Geſchmacksſinn herbey geta-
ſteter ſchoͤner Theile *).


Dieſe Ideale, welche, wie man ſich verſpricht, auch wohl
durch platte Nachahmung ſchon vorhandener Geſtaltungen der
Kunſt vermehrt und fortgepflanzt werden koͤnnen, ſind, weil
ſie nicht aus einer inneren Belebung des Geiſtes, oder aus
Ideen entſtehen, ſo leer, daß ſogar ihre Verehrer eingeſtehen,
[54] man muͤſſe ihnen ein gewiſſes Beygewicht von Individualitaͤt
auf den Weg geben, mit welchem Worte dieſe Kunſtlehrer
nicht etwa Untheilbarkeit, oder Abgeſchloſſenheit in ſich ſelbſt
zu bezeichnen gewohnt ſind, ſondern eben nur einige ſchroffe
Zuͤge zufaͤllig erreichbarer Vorbilder, oder Modelle, welche zu
jener duͤnnen Geſchmacksbruͤhe gleichſam als Wuͤrze hinzuge-
fuͤgt werden ſollen *).


Doch ſcheint es, daß dieſer unlaͤugbar aͤrmlichſte Ideal-
begriff einer anderen Urſache ſeine Entſtehung, einer anderen
wiederum ſeine verbreitete Aufnahme verdanke. Entſprungen
iſt er offenbar aus der Anwendung jenes eben ſo ſchiefen, als
hochmuͤthigen Vorbegriffes der Manieriſten auf die Anſichten
und Wuͤnſche der Schoͤnheitslehre. Denn ſchon Leſſing ſetzte
bey den Kuͤnſtlern die Faͤhigkeit rund voraus, die Formen
der Natur, ſogar die Formen der Darſtellung beſtimmter, ſey
es individueller, oder ideeller Kunſtaufgaben ins Schoͤnere
umzumodeln, und wenn er an einer anderen Stelle den Ge-
danken hinwirft, die Landſchaft habe kein Ideal **), ſo ſcheint
[55] er damit anzudeuten, daß man mit den landſchaftlichen For-
men nicht ſo willkuͤhrlich umgehen, ſie nicht ſo in das Schoͤ-
nere umgeſtalten koͤnne, als die menſchliche. Aber auch ſpaͤ-
tere Schoͤnheitslehrer ſetzen Solches, was ſie Idealform nen-
nen, den natuͤrlichen Geſtalten ſo ausgemacht entgegen, daß
ſie die letzten, ſelbſt wenn ſie, wie es denkbar iſt, fuͤr be-
ſtimmte Ideen den paßlichſten Ausdruck hergaͤben, doch auf
keine Weiſe in das Gebiet der idealen Formen wollen ein-
ſchleifen laſſen *). Sehen wir indeß weniger auf die Entſte-
hung, mehr auf die Hartnaͤckigkeit und Zuverſicht, mit wel-
cher dieſer Kunſtbegriff noch immer vertheidigt und feſtgehal-
ten wird, ſo ſcheint ſolche in irgend einer, wenn auch nur
undeutlichen Wahrnehmung wirklicher Verhaͤltniſſe ihren Grund
zu haben. Aus verſchiedenen Zeichen glaube ich zu erkennen,
worauf dieſe Wahrnehmung ſich [beziehe]. Da nemlich die idee-
loſe Idealitaͤt, die leere Idealform, oder wie man ſonſt die-
**)
[56] ſes Dunſtgebilde benennt, offenbar nur den aͤußerlichſten Ge-
ſchmack angeht; dieſer aber in Kunſtwerken nur durch Vor-
theile in der Behandlung des groben Stoffes, aus welchem
der Bildner ſeine darſtellenden Formen bildet, durch welchen
der Maler ihren Schein hervorbringt, befriedigt werden kann:
ſo duͤrfte eine halb deutliche Wahrnehmung der guͤnſtigen Wir-
kung von ſolchen Kunſtvortheilen der niedrigſten Art, deren
Eroͤrterung uns bald beſchaͤftigen ſoll, wenigſtens mitgewirkt
haben, auch dieſem Idealbegriffe Daſeyn und Dauer zu geben.


Nehmen wir hinzu, daß in der Sprache des gemeinen
Lebens und in der ungluͤcklichſten, jenem eng verſchwiſterten, Ro-
manliteratur ein jedes Aeußerſte *), oder, wie man vornehmer
ſagt, jedes Vollkommnere ſeiner Art Ideal genannt wird, was
wieder einen anderen Begriff giebt: ſo werden wir nicht laͤn-
ger anſtehen duͤrfen, dieſes fremdartige Wort, auch fuͤr ein
hoͤchſt verfaͤngliches zu halten. Wirklich iſt es nicht unge-
woͤhnlich, daß die Kunſtgelehrten, da ſie, ohne ſchleppend zu
werden, nicht jedesmal beſonders anzeigen koͤnnen, wie ſie
das Wort verſtehen wollen, in dem Gewirre der gangbaren
Idealbegriffe ſich verwickeln, weshalb dieſer Ausdruck in der-
[57] ſelben Kunſtſchrift oft in verſchiedenen, oder ſelbſt in allen
den Bedeutungen vorkommt, deren Pruͤfung uns ſo eben be-
ſchaͤftigt hat. Verworrene Koͤpfe werden ſich allerdings eben
in dieſer Begriffsvermiſchung einheimiſch und wie in ihrem
Elemente fuͤhlen. Wer indeß ernſtlich der Wahrheit dient,
ſollte vor einem Worte auf der Hut ſeyn, welches, ſelbſt wo
Wahres damit bezeichnet wird, ganz unvermeidlich irrige Ne-
benvorſtellungen herbeyzieht, weil es allem Anſchein nach nicht
mehr von den praktiſchen Anſichten der Manieriſten zu tren-
nen iſt, welche mit dem Worte zugleich auch deſſen fruͤheſte
Bedeutung ausgeſonnen, deren naͤhere Beleuchtung wir nach
obiger Abſchweifung nunmehr wieder aufnehmen wollen.


Allerdings duͤrfen wir vorausſetzen, daß der treue Glaube,
mit welchem neuere Kunſtgelehrte bis auf gegenwaͤrtige Zeit
dieſer Anſicht der Manieriſten angehangen, wenn er gleich
nirgendwo auf Vernunftſchluͤſſe begruͤndet worden, doch wenig-
ſtens durch ein gewiſſes Geflimmer unbeſtimmter Wahrneh-
mungen in Kraft erhalten ſey. Nun faͤllt es den reinen Be-
griffsgelehrten uͤberhaupt unſaͤglich ſchwer, der Wirkſamkeit des
Kuͤnſtlers in das Einzelne zu folgen. Daher wahrſcheinlich
entſtand der Wahn, daß eben die beſten, das iſt die nicht
kuͤnſtlich zugeſtutzten, oder, wie man ſagt, idealiſirten Bild-
niſſe aus einer ganz mechaniſchen Nachbildung der Theile *)
[58] entſtehen; obwohl der Darſtellung aller werthvollen Bildniſſe,
wie man nie verkennen ſollte, die Auffaſſung des Ganzen im
Geiſte des Kuͤnſtlers nothwendig vorangeht, ſo daß Alles,
was der Auffaſſung an ſich ſelbſt Werth und Verdienſt giebt,
eben ſowohl bey Bildniſſen und Nachbildungen aller Art in
Kraft tritt, als bey ideellen Kunſtaufgaben. Wer nun in den
Irrthum verfallen, eben die beſten Bildniſſe als bloß mecha-
niſche Nachbildungen des Einzelnen, dem Sinne eben Vor-
liegenden anzuſehen, dem wird ſchon des Gegenſatzes willen
auch der andere nahe liegen: daß Formen, in denen Ideen
ſich darſtellen, aus einer vollkommenen Abſonderung von ſinn-
lichen Anſchauungen *) entſtehen, mithin von einer ganz be-
ſonderen Art und Abkunft ſeyn muͤſſen.


*)


[59]

Einen Scheingrund wenigſtens gewann dieſe Annahme,
Meinung, oder Behauptung durch die Mehrdeutigkeit jenes
Naturbegriffes der modernen Kunſtſprache, von welcher wir
oben mit gutem Grunde uns losgeſagt haben. Wer nemlich
bey dem Worte, Natur, bald die Natur ſelbſt, bald nur
irgend ein einzelnes Object der ſinnlichen Anſchauung im
Sinne hatte; wer ſogar in ſeiner inneren Vorſtellung beide
ſo hoͤchſt entgegengeſetzte Naturbegriffe vermiſchte, dem mußte
Vieles, was ihn in Bezug auf den einen uͤberzeugte, auch
in Bezug auf den andern wahr zu ſeyn beduͤnken. Auf dieſe
Weiſe alſo beſtaͤrkte, wie es wohl, wenn es der Muͤhe lohnte,
auch umſtaͤndlicher nachzuweiſen waͤre, die an ſich ſelbſt ganz
richtige Wahrnehmung, daß nicht jede ſich darbietende An-
ſchauung des Geiſtes durch jede beliebige Naturform auszu-
druͤcken iſt, unſere Kunſtgelehrten in der vorgefaßten Mei-
nung: daß geiſtige Anſchauungen uͤberall nicht durch natuͤr-
liche, ſondern nur durch willkuͤhrliche, der menſchlichen Erfin-
dung durchaus oder doch zum Theil angehoͤrende Formen dar-
zuſtellen ſeyn.


Wir indeß, denen die Natur eben nur die Natur iſt,
und Alles, was auf einige Weiſe aus der Natur entſpringt,
natuͤrlich heißt, wird keine Form deßhalb, weil ſie dieſe und
nicht eine andere iſt, mehr und minder natuͤrlich zu ſeyn
ſcheinen. Wenn daher Kuͤnſtler, welche, nehmen wir an, die
innere Anſchauung weiblicher Anmuth erfuͤllte, nicht unter
Pflanzen und Thieren, ſondern unter Menſchen und Weibern,
nicht unter den Haͤßlichen, ſondern unter den Schoͤnen die
Formen aufſuchen, welche ihrem inneren Bilde entſprechend,
eben dieſes kuͤnſtleriſch vollenden, daß es auch Anderen in
hoͤchſter Deutlichkeit verſinnlicht werden koͤnne: ſo werden ihre
[60] Formen darum, weil ſie nicht die erſten ſich darbietenden, ſon-
dern eben nur die ſind, welche ihr beſonderer Zweck begehrt,
gewiß nicht weniger natuͤrlich ſeyn. Wenn aber Andere die-
ſelbe Aufgabe ergriffen und aus Laune, oder Einfalt, gleich
den ſogenannten Naturaliſten der Zeit des Caravagio, ſie
durch Formen haͤßlicher und abgelebter Weiber darzuſtellen
daͤchten, wuͤrden wohl dieſe Formen darum, weil ſie der Auf-
gabe widerſprechen, uns natuͤrlicher zu ſeyn duͤnken, als jene
anderen ihren Kunſtzweck durchaus erfuͤllenden? — Demnach
wird durch eine zweckgemaͤße Verwendung in der allgemein-
ſten Beſchaffenheit der Naturformen durchaus nichts abgeaͤn-
dert, vielmehr ſcheint es, daß ſie durch eine ſolche Verwen-
dung noch einen zweyten Anſpruch auf Natuͤrlichkeit gewin-
nen, da auch dieß naturgemaͤß iſt, die Typen der
Natur in ihrem urſpruͤnglichen und eigenen Sinne
in Anwendung zu bringen
. Jener Grund fuͤr die frag-
liche Unnatuͤrlichkeit, oder Uebernatuͤrlichkeit der darſtellenden
Kunſtformen beruht alſo auf einer Taͤuſchung, uͤber welche
wir nunmehr hinausſehen duͤrfen.


Demnach iſt die allerdings zulaͤßliche Eintheilung der
Kunſtaufgaben in ſinnlich und geiſtig erfaßliche auf keine
Weiſe uͤber die Formen ihrer Darſtellung auszudehnen, da
dieſe Formen, wie es einleuchtet, nicht wie die Aufgabe, bald
ſinnlich, bald geiſtig, ſondern, was ſie auch darſtellen moͤgen,
doch unveraͤnderlich ſinnliche Dinge ſind. Waͤren nun eben
dieſe durchaus ſinnliche Formen (wie man unter den Benen-
nungen Geſetzmaͤßigkeit und Naturnothwendigkeit, oder durch
ein bedingtes Einraͤumen des Modellgebrauches doch einge-
ſteht) bisweilen, oder zum Theil natuͤrliche; erlitten dieſe For-
men, wie wir ſo eben ausgemacht, in ſo fern ſie Formen
[61] ſind, durch die ſinnliche, oder geiſtige Beſchaffenheit des Ge-
genſtandes, den ſie darſtellen, durchaus keine Abaͤnderung: ſo
duͤrften ſie, allem Anſehen nach, durchhin von derſelben Art
und Beſchaffenheit, nemlich einzig natuͤrliche Formen ſeyn.
Um dieſen Zweifel zur Entſcheidung zu bringen, wenden wir
uns an unſer innerſtes Bewußtſeyn, und fragen uns einmal
auf’s Gewiſſen, ob in Kunſtwerken Formen, welche in irgend
einem Theile und Verhaͤltniß verfehlt, und nach unſerem ein-
geborenen Gefuͤhle, oder auch nach einer ſicheren Ueberzeugung
uns widernatuͤrlich erſcheinen, jemals gerade durch eine ſolche
Unrichtigkeit in unſeren Augen an Bedeutung und Schoͤnheit
gewonnen haben? Denn gewiß werden wir ſolches verneinen
und uns geſtehen muͤſſen, daß ganz im Gegentheil jegliche
uns deutliche, oder nur fuͤhlbare Abweichung von den Natur-
geſetzen (welche das Einzelne und Untergeordnete eben ſowohl
beherrſchen, als das Große und Allgemeinere) uns jederzeit
nur etwa als etwas bloß Ungethuͤmliches, Leeres, oder Schau-
derhaftes erſchienen iſt. Indeß duͤrfte es auch unter den Un-
befangenen Perſonen geben, welche dieſer Verſicherung ihre
Zuſtimmung verſagten.


Denn unſtreitig giebt es viele Menſchen, welche von
Natur, oder durch Gewoͤhnung uͤberhaupt nur das Nothduͤrf-
tigſte, und auch dieſes nur oberflaͤchlich vermoͤge des Geſich-
tes auffaſſen, welche mithin wenig geeignet ſind, in den Na-
turformen ihr Erfreuliches, Belehrendes, oder Erhebendes zu
erkennen, oder mit Lebhaftigkeit zu empfinden, oder deſſen
Eindruck, wie ſchwach er ſey, in ihrem Gedaͤchtniß aufzube-
wahren. Dann giebt es auch Individuen und ganze Voͤlker,
denen die Natur nicht eben ihre ſchoͤnſten Seiten bietet, die
mithin unter den ſie umgebenden Dingen der Natur nichts
[62] finden duͤrften, was den Lineamenten, Formen und Verhaͤlt-
niſſen griechiſcher Statuen, oder guter italieniſcher Gemaͤlde,
wenn auch nur halbhin, zu vergleichen waͤre. Jene des For-
menſinnes Entbehrenden moͤchten denn allerdings, wenn ſie
aus einer vorgefaßten guͤnſtigen Meinung, oder auch ange-
zogen von der ſchaͤrferen Charakteriſtik, in welche die kuͤnſtle-
riſche Darſtellung ſo leicht verfaͤllt, Kunſtwerken einmal ihre
Aufmerkſamkeit zuwenden, darin Schoͤnheiten der bloßen Form
wahrzunehmen glauben, welche die natuͤrlichen Formen uͤber-
traͤfen. Dieſe anderen aber, denen die Natur ihre Kehrſeite
zugewendet, koͤnnten wohl einmal auf die Meinung verfallen,
die Natur bringe uͤberall keine andere Formen hervor, als
ſolche, ſo ihnen eben bekannt geworden. Jenen waͤre nun
freylich nichts zu erwidern, als etwa der Wunſch und Rath,
ſie moͤgen verſuchen, ihren Formenſinn durch Uebung zu ſchaͤr-
fen. Dieſen dagegen, ſie moͤgen, um ihren Zweifel ganz zu
beſeitigen, ihre unwirthlichen und barbariſchen Himmelsſtriche
nur einmal verlaſſen und ſich bemuͤhen, die Natur auch von
Antlitz kennen zu lernen und ſie in ihrem vollen Tage anzu-
ſchauen. Denn es wird, wenn ſie ſolches nur ernſtlich be-
ſtreben, nicht an Gelegenheiten fehlen, wie jene, welche eine
ſinnvolle Goͤnnerin, die Freyfrau von Rheden, vor wenig
Jahren herbeygefuͤhrt, als ſie die ſchoͤne Viktoria von Albano
nach Rom brachte, um dort von den beſten Kuͤnſtlern model-
lirt, gemalt und gezeichnet zu werden. Wer damals zu Rom
verweilte, wird ſich des Aufſehens entſinnen, welches das
ſchoͤnſte Antlitz hervorgebracht, und der allgemeinen Ueberein-
kunft, daß ſolches, in Anſehung der Uebereinſtimmung ſeiner
Verhaͤltniſſe, oder der Reinheit ſeiner Formen, ſowohl alle
Kunſtwerke Roms uͤbertreffe, als auch den nachbildenden Kuͤnſt-
[63] lern durchaus unerreichbar bleibe. Doch liegt es hier nicht
in meinen Abſichten, der Natur das Wort zu reden, welche
ſelbſt in ihren unſchuldigſten Pflanzenformen, in ihren einfach-
ſten Schneekryſtallen *) die Kunſt, was die Form angeht,
weit uͤbertrifft, und uͤberhaupt unter den Lebendigen keiner
Lobrede bedarf; vielmehr wollte ich nur Meinungen erklaͤren
und entſchuldigen, welche minder frevelhaft erſcheinen muͤſſen,
ſobald man annimmt, daß ſie in einer gewiſſen Beſchraͤnkt-
heit ihren Sitz haben.


Die Anſicht alſo, welche dem Kuͤnſtler die Faͤhigkeit bey-
legt, willkuͤhrliche, aus der Luft gegriffene, der Natur im
Einzelnen, oder im Ganzen entgegengeſetzte Formen hervorzu-
bringen; welche ſich verſpricht, daß ſolche von Menſchen er-
ſonnene Formen ſchoͤner und edler und bedeutender ausfallen
werden, als die natuͤrlichen; iſt, durch welche Gruͤnde wir ſie
unterſtuͤtzen, oder beſchoͤnigen moͤgen, doch durchhin unhaltbar.
Wenn aber dieſe Anſicht in ſich ſelbſt falſch und wie die Er-
fahrung beſtaͤtigt, in der Anwendung von hoͤchſtem Nachtheil
iſt: ſo wird der Kuͤnſtler kuͤnftig wohl thun, von dem titani-
ſchen Vorhaben abzuſtehen, die Naturform zu verherr-
lichen, zu verklaͤren
, oder mit welchen anderen Namen
ſolche Ueberhebungen des menſchlichen Geiſtes in den Kunſt-
ſchriften bezeichnet werden. Muß doch der Kuͤnſtler auch bey
dem ſchoͤnſten Talente, dem treueſten Naturſinn, immer darin
ſich ergeben, daß er ſogar in ſeinen beſten Leiſtungen, was
deren Formenheit angeht, die Tiefe und Fuͤlle, die Einheit
und Weſenheit der Naturform nicht zur Haͤlfte erreicht; wie
[64] denn ſollte er daruͤber hinaus gehen koͤnnen? Gluͤcklicher Weiſe
indeß beſteht der Zweck der Kunſt in ganz anderem, als in
dieſer Altflickerey *) der Werke des groͤßten und aͤlteſten Mei-
ſters en ronde bosse und basso rilievo**); doch werden
wir dieſe Andeutung, weil ſie das dritte Element aller kuͤnſt-
leriſchen Hervorbringung, den Gegenſtand, angeht, erſt ſpaͤter-
hin begruͤnden und gegen ihr widerſtrebende Anſichten durch-
fuͤhren koͤnnen.


Denn es moͤchte uns Anderen, die wir, das unbegruͤn-
dete Vorurtheil der Manieriſten abwerfend, uns deutlich er-
innert haben, daß in den bildenden Kuͤnſten die nothwendige,
kraft umfaſſender Naturgeſetze jedem offenen Sinne urſpruͤng-
lich erfaßliche Bedeutſamkeit der Naturformen die Grundbe-
dingung aller Darſtellung niedriger, wie hoher Gegenſtaͤnde
ſey; daß mithin dieſe Kuͤnſte durchhin nur in natuͤrlichen For-
men darſtellen und darzuſtellen vermoͤgen; es moͤchte uns An-
deren, wiederhole ich, vorerſt obliegen und noͤthig ſeyn, zu
unterſuchen und zu entwickeln, auf welche Weiſe der Kuͤnſtler
der Naturform ſo ſehr Meiſter werde, daß er ſolche mit groͤß-
ter Willensfreyheit zu den mannichfaltigſten Kunſtzwecken an-
wenden koͤnne.


Durch zween, wohl in einander greifende, doch unter-
ſcheidbare, und unterſcheidenswerthe Beziehungen ſeiner Gei-
ſtesfaͤhigkeit, gelangt der Kuͤnſtler in den Beſitz einer ſo kla-
ren,
[65] ren, ſo durchgebildeten und reichhaltigen Anſchauung der Na-
turformen, als er jedesmal bedarf, um diejenigen Kunſtauf-
gaben, welche theils aus ſeiner inneren Beſtimmung, theils
aus ſeiner aͤußeren Stellung hervorgehen, deutlich und gemu-
thend darzuſtellen. Die erſte beſteht in gruͤndlicher Erfor-
ſchung der Geſetze, einestheils der Geſtaltung, anderntheils
der Erſcheinung ſolcher Formen der Natur, welche aus inne-
ren Gruͤnden und durch aͤußere Veranlaſſungen dem Kuͤnſtler
naͤher liegen, als andere. Die Forſchungen dieſer Art zerfal-
len in anatomiſche und optiſch-perſpectiviſche.


Die zweyte beſteht in Beobachtung gemuthender und be-
deutſamer Zuͤge, Lagen und Bewegungen der Geſtalt; und
dieſe erheiſcht um fruchtbar und ergiebig zu ſeyn, nicht ſo ſehr
ſonſt empfehlenswerthe Ausdauer und Gruͤndlichkeit des Flei-
ßes, als vornehmlich die leidenſchaftlichſte Hingebung in den
ſinnlich-geiſtigen Genuß des Schauens.


Wenn wir, um ihren verhaͤltnißmaͤßigen Werth zu er-
mitteln, dieſe beiden Beziehungen des kuͤnſtleriſchen Studien-
fleißes gegenſeitig vergleichen wollten: ſo wuͤrde uns die letzte
unſtreitig die wichtigere zu ſeyn ſcheinen. Denn ſetzen wir,
was auf einer gewiſſen Hoͤhe der Kunſtbildung nicht wohl
zulaͤſſig iſt, daß der Kuͤnſtler entweder der einen, oder auch
der anderen entſagte, ſo entbehrte er offenbar mit geringerem
Nachtheil allgemeiner, als ſchon irgend ein Beſtimmtes dar-
ſtellender Zuͤge der Natur; mit geringerem Nachtheil der Rich-
tigkeit, als der Fuͤlle. Verſchiedene Beyſpiele beleuchten die
Wahrheit dieſer Bemerkung. Fra Angelico da Fieſole,
Benozzo Gozzoli, Domenico Ghirlandajo
, und aͤhn-
liche Maler ihrer Zeit und Richtung entbehrten ohne Zweifel
der Kenntniß allgemeiner Bildungsgeſetze der menſchlichen Ge-
I. 5
[66] ſtalt; dagegen koͤnnen die beſten unter den Zeitgenoſſen der
Carracci im Ganzen fuͤr einſichtsvolle Zeichner gelten. Aber
die erſten ſind eben ſo reich an einzelnen Wahrnehmungen
gemuthender und bedeutender Zuͤge der Natur, als jene ande-
ren beſchraͤnkt auf wenige und gleichfoͤrmige Durchſchnittsvor-
ſtellungen. Daher hoben ſich, ſeitdem man, in Bezug auf
gewiſſe Aeußerlichkeiten der Kunſt, ſeine Anſpruͤche herabge-
ſtimmt, in Bezug auf das geiſtige Intereſſe ſie geſteigert hatte,
die einen in der Meinung und ſelbſt im Handelswerthe, waͤh-
rend die anderen eben ſo tief unter ihre fruͤhere Schaͤtzung
herabſanken. Dieſes Beyſpiel indeß duͤrfte der Anfechtung
unterliegen, da mancherley noch immer ſtreitige Kunſtanſichten
der Modernen zum Theil eben um dieſen Gegenſatz ſich her-
umdrehen. Nehmen wir deßhalb ein anderes zur Hand, wel-
ches uͤber allen Partheyzwiſt erhaben iſt, nemlich das gegen-
ſeitige Verhaͤltniß der groͤßten Kuͤnſtler neuerer Zeiten, des
Raphael und des Michelagnuolo. Der letzte vertritt
hier die Erkenntniß allgemeiner Naturgeſetze; der erſte die
Fuͤlle und Lebendigkeit der Anſchauungen des Einzelnen. Nie-
mand indeß, meine ich, wuͤrde Raphael aufgeben wollen,
koͤnnte er nur zu dieſem Preiſe den Michelangelo ſich er-
halten.


Die deutliche Erkenntniß allgemeiner Naturgeſetze hat
demnach verhaͤltnißmaͤßig nur einen untergeordneten Werth,
ich moͤchte ſagen, nur einen abhaͤngigen, da ſie fuͤr ſich ſelbſt
und entkleidet von den bezeichnenden, unterſcheidenden, alſo
nothwendig mannichfaltigen, Zuͤgen der Naturgeſtaltung in der
Anwendung eben nichts Anderes wuͤrde gewaͤhren koͤnnen, als
Darſtellung allgemeiner Geſetze der Geſtaltung und Erſchei-
nung. Auch ſolche koͤnnen nun allerdings der Kunſt, im Gan-
[67] zen betrachtet, ſehr foͤrderlich werden, indem ſie Werke hervor-
bringen, welche, gleich dem beruͤhmten Canon des Polyklet,
Kuͤnſtler belehren, oder ihnen die Auffaſſung des Allgemeinen
erleichtern. Doch, im Einzelnen genommen, duͤrfte ſie keinem
Kunſtwerke den Gehalt geben, der ihm jene allgemeinere Theil-
nahme erwirbt, auf welche doch gerechnet wird. Denn der
Werth einer ſicheren Einſicht, einer deutlichen Erkenntniß all-
gemeiner Naturgeſetze zeigt ſich nur da, wo ſie mit Fuͤlle ver-
einzelter Anſchauungen verbunden, dieſen ſelbſt, wie dem, was
ſie in der Darſtellung bezeichnen und ausdruͤcken wollen, jene
Schaͤrfe und Deutlichkeit verleiht, welche wir an durchaus
vollendeten Kunſtwerken bewundern und lieben.


Allerdings moͤgen ſolche Unterſcheidungen innerhalb ver-
wandter Beziehungen des Geiſtes auf den erſten Blick als
muͤßige Spiele des Scharfſinns erſcheinen. Erwaͤgen wir in-
deß, daß eben die Verſaͤumniß ſolcher Unterſcheidungen in die-
ſem beſonderen Falle gar Manche veranlaßt hat, das Stu-
dium der Naturformen auf eine unerſprießliche Weiſe zu be-
treiben. Denn aus dieſem Grunde allein glauben Viele, bey
dem ſogenannten Modellzeichnen nicht, was einzig dabey zu
gewinnen iſt, nemlich einige Gruͤndlichkeit der Einſicht, viel-
mehr auch Geſchmacksbildung und Bereicherung an Vorſtel-
lungen zu erlangen, welche doch auf dieſem Wege nicht zu
erwerben ſind; ſo wie Andere in entgegengeſetzter Richtung
durch ein fluͤchtiges Aufhaſchen des Mannichfaltigen, was
ihnen doch eben nur viele und verſchiedene Zuͤge der Natur
gewaͤhren kann, zugleich auch Einſichten in allgemeinere Na-
turgeſetze zu erlangen hoffen. Wir indeß werden aus der eben
ausgefuͤhrten Entgegenſtellung der beiden Hauptbeziehungen des
kuͤnſtleriſchen Studienfleißes nunmehr mit Zuverſicht folgern
5 *
[68] koͤnnen, daß ſie nur in ſeltenen Faͤllen gemeinſchaftlich in An-
wendung kommen, weil die eine Ausdauer und Verſtand, die
andere Lebendigkeit der Empfindung und Behendigkeit der
Wahrnehmung vorausſetzt; Faͤhigkeiten, welche theils nicht
jederzeit in derſelben Perſoͤnlichkeit zuſammentreffen, theils, wo
ſie gemeinſchaftlich vorkommen, doch nicht wohl in demſelben
Momente, in derſelben Handlung gemeinſchaftlich in Kraft
treten koͤnnen. Es wird daher unumgaͤnglich ſeyn, jene Be-
ziehungen der kuͤnſtleriſchen Wirkſamkeit, ſowohl im Begriffe
zu trennen, als vornehmlich ſie in der Ausuͤbung moͤglichſt
getrennt zu halten.


Benutzen wir dieſe Unterſcheidung auf der Stelle, um
jenes vornehmlich ſeit dem ſiebzehnten Jahrhunderte beliebte
Modell oder Actzeichnen in ſein wahres Licht zu ſetzen. Daß
Uebungen dieſer Art unter allen Umſtaͤnden dem Geiſte nicht
Mannichfaltiges, ſondern einzig Allgemeines zufuͤhren koͤnnen,
erhellt, wie wir bereits bemerkt haben, ſchon aus ſich ſelbſt.
Demungeachtet geſchieht es haͤufig, daß man die Aufmerkſam-
keit des Lehrlings durch allerley maleriſche Taͤndeleyen, wie
durch wunderbare Stellungen, effectvolle Beleuchtungen und
Anderes, zerſtreut und von jenem einzig erreichbaren Zwecke
ablenkt; oder daß man ihn abſichtlich auf Solches zu lenken
ſucht, was man eben fuͤr das Erforderniß einer ſchoͤnen und
geſchmackvollen Darſtellung haͤlt. Doch wenn man auch, wie
hie und da wirklich geſchieht, dieſen althergebrachten Zerſtreu-
ungen der Aufmerkſamkeit auf die Geſetze natuͤrlicher Bildung
ausweichen wollte, ſo wuͤrde doch das Modellzeichnen fuͤr ſich
allein nicht ausreichen, weil die vorausſetzlich bezweckte Ein-
ſicht in allgemeinere Geſetze der menſchlichen Bildung durch
ein bloß aͤußerliches Beſchauen des Nackten nicht wohl kann
[69] genuͤgend begruͤndet werden. Allerdings erwirbt der Lehrling,
der zum erſten und anderen Male nackte Koͤrper beſchaut und
ſich bemuͤht, ſie aufzufaſſen und nachzubilden, zu Anfang ſchon
durch aͤußerliche Beſichtigung manches Weſentliche. Doch,
nachdem die Friſche des Sinnes ſich abgeſtumpft hat, nach-
dem er erlernt, was durch bloße Beſchauung der Oberflaͤche
uͤberhaupt zu erlernen iſt, pflegt er, wie hundertfaͤltige Erfah-
rung beſtaͤtigt, das ſchon Erlernte mehr und minder mecha-
niſch zu wiederholen, jenes ihm ſinnlich Vorliegende willkuͤhr-
lich und fauſtmaͤßig nachzuahmen; das Nutzloſeſte und Nach-
theiligſte, was Kuͤnſtler uͤberhaupt beginnen koͤnnen, weil da-
bey weder etwas Gegebenes erlernt, noch der Geiſt in freyer
Thaͤtigkeit geuͤbt wird. Aus dieſem Grunde gleichen ſich die
Actzeichnungen aller europaͤiſchen Akademien; daher unterſchei-
den ſich ſogar die aͤlteren italieniſchen Acte, deren ich viele
geſammelt habe, von den neueren nur durch den Aufdruck der
Schule, durchaus nicht durch Eigenthuͤmlichkeiten der Modelle,
welche bey ſo großer Entlegenheit der einzelnen Kunſtſchulen
doch nothwendig unter ſich verſchieden waren *).


Wollte nun eine Kunſtſchule, welche aufrichtig die Bil-
dung und Foͤrderung ihrer Lehrlinge beabſichtete, dieſem Uebel
vorbeugen; wollte ſie in der Ueberzeugung, daß der gewoͤhn-
liche Modellzeichner, anſtatt Kenntniſſe zu erwerben, vielmehr
nur den ihm ſo noͤthigen Naturſinn abſtumpfe, inskuͤnftige
dem Modellzeichnen eine beſtimmtere Richtung auf den einzi-
gen Zweck geben, der uͤberhaupt dabey zu erreichen iſt: ſo
wuͤrde ſie, denke ich, daſſelbe auf das genaueſte mit anato-
miſchen Studien verbinden muͤſſen. Es muͤßte dasjenige Glied
[70] des Koͤrpers, welches in der einen Woche am Todten erklaͤrt
und in ſeine Theile zerlegt dem Kuͤnſtler bis in ſeine verbor-
genſten Fuͤgungen bekannt geworden, in der nachfolgenden
Woche allein entbloͤßt werden, um an dem lebendigen Vor-
bilde nun auch die Beſtimmung und Handlung und aͤußere
Erſcheinung des eben Erlernten aufzufaſſen. Dieſes muͤßte
vorausſetzlich nicht nach den gerade vorgefaßten Anſichten vom
Maleriſchen, ſondern einzig nach der Empfindung und Ge-
woͤhnung des Menſchen, der eben zum Vorbilde dient, in alle
erdenkliche Richtungen, Lagen und Bewegungen gebracht, und
von dem Schuͤler ſeinerſeits aus dem verſchiedenſten Geſichts-
punkte aufgefaßt und nachgezeichnet werden. Allerdings duͤrfte
Solches bey vollem Tageslichte geſchehen muͤſſen; denn der
Punkt, von welchem das ſo haͤufig angewendete kuͤnſtliche Licht
ausſtroͤmt, ſteht dem Modell unausweichlich ſo nahe, daß die
Strahlen viele vorragende Theile umfließen, und daher dem
ungeuͤbten Auge vieles als eine Flaͤche erſcheinen machen, was
wirklich ſchon Abaͤnderungen der Form enthaͤlt; unangeſehen,
daß die Nachtbeleuchtung jederzeit der deutlichen Reflexe ent-
behrt, mithin die ganze Schattenſeite der Beobachtung unzu-
gaͤnglich macht. Waͤre dann der menſchliche Koͤrper auf die
angegebene Weiſe ſeinen Theilen nach gruͤndlich durchgenom-
men worden, ſo moͤchte es endlich an der Zeit ſeyn, auch auf
das Ganze zu gehen, und abwechſelnd die Geſtalt auch in
ihrem Zuſammenhange und mehr in Hinſicht ihrer allgemeine-
ren Verhaͤltniſſe und Vergliederungen nachzuzeichnen. Wollte
man alsdann noch weiter gehen, und den Lehrling auch in
ſchneller Auffaſſung der Bewegung und Handlung uͤben, ſo
muͤßte dem Vorbilde die Wahl der Stellungen uͤberlaſſen blei-
ben, damit nichts Erzwungenes zum Vorſchein komme; damit
[71] der Lehrling nicht ſehe, was er ſobald als moͤglich zu ver-
geſſen hat. Bey letzteren Uebungen muͤßte die jedesmalige
Stellung ſo voruͤbergehend ſeyn, daß Juͤnglinge daran lernen,
ihrem Geiſte die Spannung und beſonnene Entſchloſſenheit zu
geben, welche die Auffaſſung des Mannichfaltigen und Fluͤch-
tigen erfordert.


Indeß fragt es ſich wohl, ob die Entwickelung der noͤ-
thigen Behendigkeit im Aufgreifen des Voruͤbergehenden und
Fluͤchtigen methodiſch befoͤrdert werden koͤnne; ob ſie nicht
vielmehr ganz aus dem eigenen Beſtreben des Lehrlings her-
vorgehen muͤſſe. Denn in der Beziehung des Studienfleißes
auf das ſchnell zu erfaſſende Mannichfaltige, Voͤllige, Lebens-
reiche der Naturformen verſchmilzt ſich der Zweck, Formen der
Darſtellung zu gewinnen, ſo innig mit den Anregungen des
Gemuͤthes und Geiſtes, welche die Natur dem Kuͤnſtler in
Fuͤlle gewaͤhrt, daß dieſe Uebung nicht wohl ohne Luſt und
Liebe anzuſtellen iſt, welche ſicher weder zu lehren, noch ein-
zufloͤßen ſind. Ueberhaupt ſcheint es, daß man kaum unge-
ſtraft den Schleyer luͤften koͤnne, welcher die geheimnißvollen
Beziehungen unter den geſtaltenden Kraͤften beider, der Natur
und des Kuͤnſtlers, bedeckt; gewiß glaubte ich verſchiedentlich
wahrzunehmen, daß Kuͤnſtler, welche nicht durch einen allge-
meinen Zug und Hang ihrer Seele, ſondern mit kaltem Be-
wußtſeyn des Zweckes von der Natur gleichſam nur Formen
erborgen wollten, in ihren Erwartungen gaͤnzlich getaͤuſcht
wurden und ihren Zweck verfehlten.


Wie wichtig es ſey, dieſe gegenſeitige Anziehung, dieſes
geheimnißvolle Band, was [Natur] und Kunſt umſchlingt, un-
aufgeloͤſt und ſtraff zu erhalten, ſcheint nun allerdings ſelbſt
denen nicht ſo gaͤnzlich einzuleuchten, welche ihre, nach der
[72] Anſicht der Manieriſten, willkuͤhrlichen und mehr als natuͤr-
lichen Kunſtformen durch eine gewiſſe allgemeine Naturgemaͤß-
heit, Geſetzmaͤßigkeit, oder wie einige ſagen, Naturnothwen-
digkeit bedingen *). Sowohl aus der Wortbildung dieſer Aus-
druͤcke, als aus einzelnen Anwendungen und Beyſpielen erhel-
let zu Genuͤge, daß dieſe ſchon etwas herabgeſtimmten Anfo-
derungen unſerer theoretiſchen Idealiſten nur ſolches angehe,
was ich ſo eben als gruͤndliche und wiſſenſchaftliche Natur-
ſtudien bezeichnet und ausgeſondert habe. Gewiß ſind auch
dieſe Studien auf einer gewiſſen Hoͤhe der Kunſt ganz unum-
gaͤnglich. Indeß haben wir ſchon oben geſehen, daß ſie wohl
die Darſtellung befoͤrdern, doch fuͤr ſich allein auf keine Weiſe
alle Foderungen einer guten und faßlichen Darſtellung erfuͤllen
koͤnnen; und wenn es noch anderer Beyſpiele beduͤrfte, wuͤr-
den wir unter den neueren Schulen von einiger Gruͤndlichkeit
des Wiſſens naͤchſt der bologneſiſchen auch die neueſte franzoͤ-
ſiſche aufuͤhren koͤnnen, welche bey ausgezeichneter Kenntniß
allgemeiner Bildungsgeſetze der Natur an bezeichnenden und
darſtellenden Formen ſo arm iſt, als jedem bekannt, welcher
ihre Werke ohne vorgefaßte Meinung betrachtet hat. Dem-
nach wird uns jene kalte und uͤberlegte Auseinanderſetzung,
in welcher der Natur gleichſam durch Abfindung ihr Recht
abgedungen wird, durchaus nicht genuͤgen koͤnnen; im Gegen-
theil wuͤrden wir befuͤrchten muͤſſen, daß auf dieſem Wege
[73] nicht einmal Solches zu erreichen ſteht, was den conſequente-
ren Manieriſten, oder, wie ſie ſelbſt ſich nennen, Idealiſten
nicht abzuſprechen iſt, nemlich Einheit des Guſſes. Fuͤr dieſe,
vermuthe ich, fuͤrchtete Bernini, als er die Moͤglichkeit be-
zweifelte, durch mechaniſche Zuſammenſetzung des einzelnen
Schoͤnen verſchiedener organiſcher Koͤrper uͤbereinſtimmende Ge-
ſtalten hervorzubringen. Einer kalten, zerlegenden Pruͤfung,
einem vornehmen Herabſchauen auf die Werke der Natur,
gleich dem, welches unſere gemaͤßigteren Idealiſten empfehlen,
wuͤrde nun freylich eine ſolche Verſchmelzung nimmer gelingen
koͤnnen; wohl aber gelingt es der unbedingten, leidenſchaftli-
chen Hingebung in den Eindruck des Einzelnen, in dieſem die
geheimeren Faͤden aufzufinden, welche in den einzelnen Natur-
geſtalten das Untergeordnete mit dem Herrſchenden, das Be-
ſondere mit dem Allgemeinen verknuͤpfen. Dem geheimen Zuge
alſo, welcher fuͤr beſtimmte Kunſtaufgaben Begeiſterte zu die-
ſen verwandteren Naturformen hinuͤberzieht, werden wir ruhig
uͤberlaſſen koͤnnen, das erwartete Wunder, das Kunſtwerk, zu
bewirken. Wo aber Begeiſterung und Liebe fehlt, da wird
es uͤberhaupt zwecklos ſeyn, im Einzelnen nachzubeſſern und
Maͤßigung *) zu empfehlen, moͤge dieſe nun in beſtimmten
Faͤllen wuͤnſchenswerth ſeyn, oder auch nicht.


[74]

Doch auch dem bloßen Gedanken nach, duͤrften wir Solchen,
welche in derſelben Form (von denen rede ich, welche unter
idealen Formen nicht bloß Darſtellungen eines Geiſtigen, ſon-
dern eine eigene Art reeller Formen verſtehen) *) eine gedop-
pelte Beſchaffenheit, die natuͤrliche und die kuͤnſtliche, vereini-
gen wollen, die Frage vorlegen: wo ſie denn in den Natur-
formen die Grenze der Geſetzmaͤßigkeit ziehen wollen, da es
doch am Tage liegt, daß die kleinſte Fiber, ſogar das ſchein-
bar Zufaͤllige ſelbſt, eben ſowohl allgemeinen Naturgeſetzen
unterliegt, als das Knochengebaͤude und Muskelſyſtem, welche
ſie hier vielleicht allein im Sinne haben! — Sollten dieſe
Kunſtgelehrten wirklich uͤberzeugt ſeyn, daß Darſtellungen des
uͤberſchwenglich Großen und Herrlichen, welche ſie vorausſetz-
lich im Sinne haben, durch ein ſolches Raͤthſel der Trennung
des organiſch Vereinten, der Vereinigung des Entgegengeſetzten
deutlicher erklaͤrt werde, als, indem den Naturformen in ihrer
Geſammtheit die Kraft zugeſtanden wird, mit vielem Anderen
*)
[75] auch das Schoͤne und Erhabene beſtimmter Vorſtellungen des
Geiſtes auszudruͤcken; dem Kuͤnſtler aber die Faͤhigkeit, die
urſpruͤngliche Bedeutung der Naturformen zu faſſen, ſie zu
unterſcheiden, und fuͤr jede ſich darbietende Kunſtaufgabe nach
den Umſtaͤnden die angemeſſenſte aufzufinden; ſollte er auch
eben dieſe ihm einwohnende Faͤhigkeit nicht immer in Worten
erklaͤren, nur in ſeinen Werken ſie darlegen koͤnnen.


Doch ſtellet ſich dem rechten Verſtaͤndniß der Naturbe-
ziehungen des Kuͤnſtlers noch immer jener ſchwankende Natur-
begriff entgegen, deſſen Verkehrtheit und Mißlichkeit ich bereits
erwieſen habe. Denn haͤtten die Kunſtgelehrten nur erſt ſich
dieſes widerſtrebenden Wortgebrauches entledigt, ſo wuͤrden ſie
aufhoͤren, was ihnen in Bezug auf ein beſtimmtes einzelnes
Modell ganz richtig ſcheint, auf die Geſammtheit der Natur
zu uͤbertragen, woher hoͤchſt wahrſcheinlich, und hie und da
ſelbſt erweislich, die große Sorglichkeit entſtanden, mit wel-
cher das Naturſtudium in vielen Kunſtſchriften noch immer
bedingt wird. — Hier kommt aber auch noch dieſes in Frage,
ob es uͤberhaupt moͤglich ſey, auf ſo kuͤ[hl]e und froſtige, be-
denkliche und maͤkelnde Weiſe der Naturform, wenn auch nur
das Mindeſte, geſchweige denn ihr Beſtes abzugewinnen.


Gewiß wird Niemand laͤugnen wollen, daß der Menſch
uͤberhaupt, welche Beziehung und Anwendung er den Thaͤtig-
keiten ſeines Geiſtes wohl gebe, doch, was er mit Luſt und
Liebe ergreift, oder mit Achtung und Ehrfurcht vor deſſen
Zweck und Gegenſtand, jederzeit viel leichter und beſſer zum
Ende bringen wird, als Solches, was er durchaus kalt und
nuͤchtern, oder gar mit einer vornehmen Geringſchaͤtzung be-
handelt. Weshalb denn ſollte nur eben in der Kunſt das
Gegentheil ſtatt finden? Wenn daher die Bekenner jenes
[76] Schaukelſyſtemes einmal ſich dazu verſtehen, der Kunſt Na-
turgemaͤßheit einzuraͤumen, ſo werden ſie auch davon abſtehen
muͤſſen, vom Kuͤnſtler zu fodern, daß er ſolchen, ſo ſeltſam
bedingten Antheil Natuͤrlichkeit mit einer durchaus unergiebi-
gen, ja unertraͤglichen Nuͤchternheit in ſich aufnehme und gleich-
ſam ſeinen Werken nur aͤußerlich anhefte. Moͤchten ſie doch
nur, wenn es ihre Befangenheit geſtattete, Kunſtwerke, ſo
aus der Nachfolge ihrer Lehre hervorgegangen, in ihrem
wahren Lichte ſehen, und in ihnen wahrnehmen koͤnnen, wie
ſeltſam darin widrige Modellzuͤge mit willkuͤhrlicher Ungeſtalt
gegattet ſind; wie dieſe einander widerſtrebenden Elemente,
ohne alle Einheit des Guſſes, nur ganz aͤußerlich und ohne
inneren Verband zuſammenhaften *)!


Gehen wir aber in die beſonderen Verhaͤltniſſe der Kunſt
ein, ſo wird es wohl ſogar denen, welche die Kunſtformen
in ſogenanntem Ideale vereinfachen wollen, doch klar ſeyn,
daß, wie die Zwecke der Kunſt auch bey der einſeitigſten Rich-
tung des Geiſtes doch nothwendig viele und mannichfaltige
ſind, ſo auch die Formen, welche die Darſtellung erheiſcht,
verſchiedene und mehrfache ſeyn muͤſſen. Nehmen wir nun
an, daß ein Kuͤnſtler, im Sinne des eben beruͤhrten beding-
ten Naturſtudiums, die natuͤrlichen Formen ohne alle Waͤrme,
ja ſogar mit einer gewiſſen Geringſchaͤtzung betrachtend, ſolche
nicht fruͤher in Anſpruch nehmen wollte, als nachdem ein be-
[77] ſtimmter Kunſtzweck ſich dargeboten *), den zu erreichen er
etwa jener zu beduͤrfen glaubte; ſo duͤrfte auf der einen Seite
die rechte und paßliche Form nicht immer zur Hand ſeyn;
auf der anderen der Kuͤnſtler ſelbſt ſehr ungeuͤbt, aus dieſer,
welche ſie auch ſey, doch immer ihm ungewohnten Naturform
den rechten Vortheil zu ziehen. Waͤre dem alſo, wie ich be-
ſtimmt zu wiſſen glaube, ſo wuͤrde der Kuͤnſtler gewiß genoͤ-
thigt ſeyn, ſowohl ſeine Vorſtellung bey Zeiten und vor aller
Ausſicht auf kuͤnftige Verwendung mit vielen und mannich-
faltigen Formen zu erfuͤllen, was ohne luſtiges und freudiges
Umherſchauen nicht wohl zu erreichen ſteht, als anderntheils
ſich unablaͤſſig in der Aneignung einzelner Naturformen ein-
zuuͤben, damit eine weſentliche Fertigkeit der Kunſt ihn nicht
verlaſſe, da, wo er deren am meiſten bedarf. — Doch gilt
dieſes nur techniſche Vortheile. Wie aber waͤre die Natur,
wie ich oben beruͤhrt habe, nicht bloß die einzige Quelle dar-
ſtellender Formen, vielmehr auch zugleich die ergiebigſte, un-
erſchoͤpflichſte Quelle aller kuͤnſtleriſchen Begeiſterung? wenn
Solches, was die kuͤnſtleriſche zu einer eigenthuͤmlichen Gei-
ſtesart macht, nicht anders gruͤndlich erweckt, wenn das eigen-
thuͤmliche Wollen der einzelnen Kuͤnſtler nicht anders ſeiner
ſelbſt deutlich bewußt werden koͤnnte, als durch die ruͤckhalt-
loſeſte Verſenkung in das ihm naͤchſtverwandte Naturleben?


Zwiefach iſt jegliche Leiſtung der Kunſt von außen be-
dingt; einmal durch die geſchichtliche Stellung des Kuͤnſtlers,
dann durch die oͤrtliche Geſtaltentwickelung der Natur, die ihn
umgiebt. Die geſchichtliche Stellung giebt dem Kuͤnſtler die
[78] Richtung; von dieſer Seite angeſehen, ſtehet er mit dem ge-
ſammten Geiſtesleben ſeiner Zeit, oder doch ſeines Volkes in
einem fuͤr jeden Theil erſprießlichen Wechſelverhaͤltniß. Aber
die oͤrtliche Naturentwickelung beſtimmt, in wie weit er die
Richtung, welche ſein Geiſt und ſein Gemuͤth durch den Be-
griff erhalten, mit Ausſicht auf ein froͤhliches Gelingen ver-
folgen koͤnne. Die Kunſthiſtorie zeigt kein Beyſpiel, daß
Kuͤnſtler durch den Begriff uͤber die Anregungen hinaus be-
geiſtert werden koͤnnten, welche die Natur ihnen eben gewaͤh-
ren will. Die griechiſche Kunſt veraͤnderte ſchon im alten
Rom, wenn wir froſtige Nachahmungen hintanſetzen, und uns
an die genialiſchen Darſtellungen roͤmiſch buͤrgerlicher Groͤße
halten wollen, mit ihrem Streben zugleich auch den Charak-
ter. Sogar, was man den Griechen nachahmte, erhielt den
Aufdruck italiſcher Eigenheiten *). Auf das mannichfaltigſte
[79] unterſchieden ſich aber auch die neueren Schulen, ſelbſt als
ſie noch in aͤhnlicher Richtung begriffen waren, durch den
Aufdruck der Oertlichkeit *), ſo daß, wenn wir Copien und
Nachahmungen ausnehmen, welche eben dem aͤchten Barbaren
*)
[80] am leichteſten zu gelingen pflegen, alle wirklich werthvollen
Schulen der alten, wie der neuen Welt unlaͤugbar ein eigen-
thuͤmlich-oͤrtliches Anſehen haben. Gewiß alſo koͤnnen Kuͤnſt-
ler, deren geſchichtliche Richtung falſch, oder doch niedrig iſt,
wohl, gleich vielen Hollaͤndern des ſiebzehnten Jahrhunderts,
den Anregungen, welche die Natur ihnen gewaͤhren will, min-
der entſprechen, doch nimmer durch den Begriff ſo weit uͤber
ſie hinausgehoben werden, als unſere mancherley Idealiſten
vorausſetzen.


Genau genommen geht es den Kuͤnſten des Begriffs nicht
ſo gar viel beſſer; doch haben ſie den Vortheil der unbeſtimm-
teren Darſtellung. Denn ſo ſchwer es ſeyn mag, in einer
Sprache, der von Natur etwas Plattes, Laͤcherliches oder
Kleinliches anklebt, tragiſche und heroiſche Wirkungen hervor-
zubringen, ſo gewoͤhnt man ſich doch allgemach an ihre Aeu-
ßerlichkeiten und, was im Grunde ſchwimmt, erhaͤlt am Ende
die Geſtalt, welche die Phantaſie ihm aufdruͤcken will. Der
Kuͤnſtler aber erſchoͤpft ſeinen Gegenſtand, bis auf den Grund,
und Alles, was er falſch gedacht, ſchief aufgefaßt, ungenuͤ-
gend gearbeitet, liegt nackt und bloß vor aller Augen da.
Auf einer Taͤuſchung zwar beruht es, wenn wir dem Dichter
glauben, er habe ſich weit uͤber ſeine geſchichtliche Befangen-
heit hinaus in ferne Welten verſetzt. Doch eben weil dieſe
Art der Taͤuſchung dem Kuͤnſtler nicht zu Huͤlfe kommt, muß
er, wie endlich ſelbſt die Schoͤnheitslehre zugeben wird, vieles
an ſich ſelbſt ganz Wuͤnſchenswerthe ſich verſagen.


Nicht herabſtimmen, nein ermuntern moͤge dieſe Erinne-
rung, Solches, was nach den Umſtaͤnden allein geſchehen
kann, ganz zu thun; die kurze Zeit, welche der jugendlichen
Empfaͤnglichkeit gewaͤhrt iſt, nicht in hoffnungsloſem Sehnen
hinzu-
[81] hinzubringen *), wie dem geſchieht, welcher die redneriſchen
Wendungen, durch welche die Sterblichen ſich uͤber die Be-
dingtheit ihres Daſeyns hinauszureden lieben, fuͤr baaren Ernſt
nimmt. Allerdings ſoll der Kuͤnſtler ſich ſittlich beſtimmen
laſſen zum Wahren, Rechten und Guten; doch nimmer ſich
uͤberreden, uͤber das angeborene Maß ſeines Talentes, uͤber
ſeine geſchichtliche Stellung und natuͤrliche Umgebung hinaus
zu wollen. Denn nur dieſes liegt in der Macht ſeiner Ent-
ſchließungen, ob er das verliehene Pfund inneren Lebensgeiſtes
und aͤußerer Anregungen freudig und ruͤſtig verſchmelze und
einige, was unter allen Umſtaͤnden gute und reichliche Fruͤchte
bringt. Ueberhaupt iſt in der Kunſt Raum fuͤr mancherley
Gaben und mancherley Beziehungen deſſelben Beſtrebens. Wenn
ihr ein rechtes Gedeihen beywohnt, bluͤht ſie nicht bloß in
den Treibhaͤuſern der Hauptſtaͤdte, in den Prunkſaͤlen der Rei-
chen, oder zur Befriedigung gelehrter Grillen, vielmehr ver-
breitet ſie ſich uͤber Alles, was nur den Aufdruck der Geſtalt
zulaͤßt, und beherrſcht, wie in den gluͤcklichſten Zeiten der alten
I. 6
[82] und der neueren Kunſtbildung, ſogar das Handwerk. Auch
bey minder guͤnſtigen Umſtaͤnden der Kunſt findet das unter-
geordnete Talent ſeine Stelle, indem es bald in ſinnlich vor-
liegenden Formen der Natur durch bloße Macht der Empfin-
dung auf ihr Schoͤnes und Bedeutendes trifft, bald wieder
durch techniſche Gewandtheit hoͤhere Beſtrebungen ſtuͤtzt und
traͤgt; und maͤchtige Geiſter werden Alles, was ſie mit Ernſt
und Tuͤchtigkeit ergreifen, wie gering es an ſich ſelbſt ſey,
doch unumgaͤnglich in ihr Lebensblut verwandeln und als ihr
eigenes wieder ausgebaͤren.


Moͤchte es mir in den voranſtehenden Zeilen gelungen
ſeyn, meinen Gegenſtand mit uͤberzeugender Deutlichkeit auf-
zufaſſen und darzulegen! Doch fuͤrchte ich, daß ſeine Theile
durch mancherley Abſchweifungen ſo weit auseinander geruͤckt
worden, daß es noͤthig ſeyn duͤrfte, ſie noch einmal im Gan-
zen zu uͤberſchauen.


Darlegen wollte ich, daß die Formen, vermoͤge deren
Kuͤnſtler ihre Aufgaben, die ſinnlichſten, wie die geiſtigſten,
darſtellen, ohne einige Ausnahme in der Natur gegebene ſind.
Zu dieſem Zwecke habe ich im Gefolge der Kunſtgeſchichte er-
innert, daß im Alterthume, wie ſelbſt in den beſten Zeiten
der neueren Kunſt, dieſe Wahrheit nirgendwo bezweifelt wurde;
daß man erſt ſpaͤt, in ſehr modernen Zeiten auf die Grille
verfallen iſt: daß nicht bloß der Gegenſtand, vielmehr auch
die darſtellenden Formen ſelbſt der Erfindung, oder doch der
freyen Auffaſſung des Kuͤnſtlers angehoͤren koͤnnen; noch
ſpaͤter: daß ſolche der Erfindung des Kuͤnſtlers durchaus an-
gehoͤren muͤſſen. Darauf habe ich daran erinnert, daß eben
dieſe Anſicht in den letzten Jahrhunderten eine Fuͤlle der ſchoͤn-
ſten Talente in ſich ſelbſt aufgerieben hat, indem ihre Ge-
[83] ſchicklichkeit zwecklos in ſolches ausartete, was wir im ſchlimm-
ſten Sinne Manier, oder leere Fertigkeit der Hand nennen.


Ferner habe ich gezeigt, wie dieſer verderbliche Irrthum
durch den gleichzeitig entſtandenen, beſchraͤnkteſten Naturbegriff
der Kuͤnſtlerſprache ein gewiſſes Anſehen von Richtigkeit erhal-
ten, indem man nun, was in Bezug auf beſtimmte Modelle
wahr zu ſeyn ſchien, unbewußt auf die Geſammtheit des Er-
zeugten, ja auf die zeugende Grundkraft ſelbſt uͤbertrug. End-
lich zeigte ich, wie dieſe Anſichten der verwerflichſten Kunſt-
richtung, als Vorbegriffe, in die Syſteme gelehrter Geſchicht-
ſchreiber und philoſophiſcher Theoretiker der Kunſt uͤbergegan-
gen, und dieſe verhindert, deutlich aufzufaſſen: daß die Dar-
ſtellung der Kunſt auch da, wo ihr Gegenſtand der denkbar
geiſtigſte iſt, nimmer auf willkuͤhrlich feſtgeſetzten Zeichen, ſon-
dern durchhin auf einer in der Natur gegebenen Bedeutſamkeit
der organiſchen Formen beruhe; wie ferner eben dieſelben
Kunſtgelehrten, den vollen Werth, die ganze Bedeutung na-
tuͤrlicher Formen verkennend, und dennoch aus Vernunftgruͤn-
den der Natur einige Rechte einraͤumend, auf die unentſchie-
dene Anſicht verfallen ſind: daß Kuͤnſtler nur unter gewiſſen
Einſchraͤnkungen und Bedingungen dem Eindruck natuͤrlicher
Formen ſich hingeben duͤrfen. Dagegen beſtand ich, mit Hin-
deutung auf die Erfolgloſigkeit ſo anorganiſcher Verknuͤpfung
des Natuͤrlichen und Kuͤnſtlichen der Form, auf den Grund-
ſatz: daß Kuͤnſtler ſich dem Eindruck der natuͤrlichen Formen
ganz ruͤckhaltlos hingeben muͤſſen, ſowohl weil dieſe die ein-
zigen allgemeinfaßlichen Typen aller Darſtellung durch die Form
in ſich einſchließen, als auch, weil ſie fuͤr Kuͤnſtler eine un-
verſiegbare Quelle geiſtiger Anregungen ſind, da auch die
Natur ſich gefaͤllt, was immer der kuͤnſtleriſchen Auffaſſung
6 *
[84] werth iſt, in ihren mannichfaltigſten Formen auszudruͤcken
und darzulegen.


Einiges indeß, deſſen halbdeutliche Wahrnehmung manche
Archaͤologen und Kunſtgelehrten veranlaßt hat, jene manieri-
ſtiſche Anſicht fuͤr begruͤndeter zu halten, als ſie wirklich iſt,
bleibt uns, wie wir oben verſprochen, noch zu eroͤrtern uͤbrig.


Denn ſchon bey Beleuchtung der verſchiedenen Begriffe
vom Idealen der Kunſt hatte ich angedeutet, daß die Alter-
thumsforſcher in zween die Kunſt des claſſiſchen Alterthumes
begleitenden Umſtaͤnden eine gewiſſe Beſtaͤtigung des Vorbe-
griffes zu finden geglaubt, den ſie nun einmal aus den Kunſt-
anſichten der Manieriſten ſich angeeignet. Dieſe Umſtaͤnde
nannten wir: den Typus und den Styl. Ueber den Ty-
pus, oder uͤber die Gleichfoͤrmigkeit in der Darſtellung glei-
cher, oder doch verwandter Kunſtaufgaben, werden wir leicht
hinweggehen duͤrfen. Er iſt gedoppelter Abkunft und Art.
Denn zum Theil entſpringt er aus einer Nachwirkung jener
aͤlteſten Bezeichnungsart von Begriffen und Gedanken, welche
wir von der reinen Kunſtbetrachtung ausſchließen, weil dieſe
Eigenſchaft der griechiſchen Kunſt, kuͤnſtleriſch angeſehen, nur
in ſo fern in Betrachtung kommt, als ſie uͤberall mit bewun-
dernswuͤrdiger Feinheit dem eigentlich Kuͤnſtleriſchen angelegt
iſt; im Uebrigen faͤllt ſie, wie oben gezeigt, der hiſtoriſchen
Archaͤologie anheim. An ſolchen Stellen aber, wo eben dieſe
Gleichfoͤrmigkeit ganz kunſtgemaͤß iſt, entſtehet ſie eben aus
jener in der Natur gegebenen Bedeutſamkeit der Form, ver-
moͤge welcher beſtimmte Ideen nur in beſtimmten Formen ſich
kuͤnſtleriſch ausdruͤcken koͤnnen. Demnach ehrt ſie gleich ſehr
den Naturſinn, als die religioͤſe Strenge, mit welcher alt-
griechiſche Kuͤnſtler ihre Aufgaben aufgefaßt; alſo beſtaͤtigt ſie
[85] nicht etwa die Anſicht der Manieriſten, vielmehr die Ueber-
zeugung, welche wir eben begruͤndet und erlaͤutert haben.


Der Styl aber wird eine laͤngere Abſchweifung, viel-
mehr eine eigene Betrachtung erfordern, da man bis dahin
weder uͤber die Bedeutung dieſes Wortes, noch uͤber die Wahr-
nehmung, welche ich damit zu verbinden geneigt bin, ſo gaͤnz-
lich einig und im Reinen iſt.


Schon die alten Roͤmer uͤbertrugen das Bild des stylus,
des Griffels, oder des Werkzeuges, durch welches ſie ihre
Gedanken und Entwuͤrfe auf Wachstafeln einzugraben pfleg-
ten, auf allgemeinere Vorzuͤge der Schreibart. Wir haben
bekanntlich mit dem Begriffe auch das bezeichnende Wort von
ihnen angenommen. Die neueren Italiener indeß, denen wir
einen großen Theil unſerer Kunſtworte verdanken, weil ſie
zuerſt Dinge der Kunſt mit einigem Erfolge behandelt haben,
hatten laͤngſt aufgehoͤrt mit Griffeln zu ſchreiben, als in dem
beruͤhmten Sonett des Petrarca*) daſſelbe, nur zu, stile,
erneuerte Wort in dem Sinne eines Zeichnenſtiftes wieder auf-
trat. Daher, aus dem modernen Begriffe eines Werkzeuges
der Kunſt, ſtammt die Uebertragung des Wortes auf Vor-
theile der kuͤnſtleriſchen Darſtellung, welche in der That in
Italien fruͤhe, in Deutſchland und in den uͤbrigen tramonta-
nen Laͤndern ſehr ſpaͤt vorkommt. Den Italienern aber, denen
das Grundbild gegenwaͤrtig blieb, bezeichnete stile, wie ma-
niera,
durchaus nur die aͤußerlichſten Vortheile in der Hand-
habung der Form, oder des Stoffes, wie die Beyworte, welche
ſie mit dieſem Begriffe zu verbinden gewohnt ſind, deutlich
[86] an den Tag legen *). Winckelmann indeß, der dieſen,
gleich anderen Kunſtausdruͤcken, von den Italienern annahm,
erweiterte ihn ſogleich nach ſeiner durchhin hoͤheren Anſicht,
indem er die Manier, den Styl im Sinne der Italiener, mit
gewiſſen Richtungen des Geiſtes in Verbindung dachte, aus
dieſen, jenen ableitete. Denn es iſt klar, daß ſeine verſchie-
denen Kunſtſtyle der Griechen, welche in Aller Munde ſind,
nicht bloß auf Wahrnehmungen angenommener Artungen des
Vortrages beruhen, vielmehr beſonders auf der Beobachtung
beſtimmter Richtungen des geiſtigen Sinnes auf Edles, Ge-
faͤlliges, oder Anderes. Der Ausdruck, Styl ſchoͤner For-
men
, welcher in noch neueren Kunſtſchriften vorkommt, ſcheint
eine entſchiedenere Neigung, oder Gewoͤhnung zum Schoͤnen
anzudeuten; denn es iſt undeutlich, ob er mehr von beſtimm-
ten Richtungen des Geiſtes, oder nur von Fertigkeiten der
Hand zu verſtehen ſey. — Doch unter allen Umſtaͤnden moͤchte
es gegen die Ableitung ſeyn, Solches, was bereits auf der
Wahl und Auffaſſung des Gegenſtandes beruhet, alſo auf der
allgemeinen Empfaͤnglichkeit und Richtung des Geiſtes ganzer
Schulen, oder einzelner Meiſter, mit einem Worte zu bezeich-
nen, welches urſpruͤnglich ein bloßes Werkzeug bedeutet, alſo
in der Strenge auch bildlich nur von Vorzuͤgen der Behand-
lung des aͤußeren Stoffes ſollte verſtanden werden.


Es iſt mir unbekannt, durch welchen Zufall der, obwohl
noch ſchwankende, Stylbegriff vieler Kuͤnſtler der juͤngſten Zeit
dem Grundbilde des Wortes ſich wiederum angenaͤhert hat **).
[87] In ihrem Sinne iſt Styl nicht mehr, wie bey den Italienern,
ein Beſonderes und Eigenthuͤmliches, ſondern ein allgemeiner,
durchhin begehrenswerther Vortheil in der Handhabung des
aͤußeren Kunſtſtoffes. Allerdings iſt dieſer Begriff bey Vielen
noch immer mit Vorſtellungen von beliebten Eigenthuͤmlichkei-
ten einzelner Schulen und Meiſter verbunden; doch nur, weil
ſie dieſe Eigenthuͤmlichkeiten fuͤr durchaus muſterhaft, und
gleichſam fuͤr ein Allgemeines halten. Alſo werden wir nicht
weſentlich weder vom Wortgebrauch, noch von dem eigentli-
chen Sinne der beſten Kuͤnſtler dieſer Zeit abweichen, wenn
wir den Styl als ein zur Gewohnheit gediehenes
ſich Fuͤgen in die inneren Foderungen des Stoffes
erklaͤren, in welchem der Bildner ſeine Geſtalten
wirklich bildet, der Maler ſie erſcheinen macht
.


Styl, oder ſolches, was mir Styl heißt, entſpringt alſo
auf keine Weiſe, weder, wie bey Winckelmann und in
anderen Kunſtſchriften, aus einer beſtimmten Richtung oder
Erhebung des Geiſtes, noch, wie bey den Italienern, aus den
eigenthuͤmlichen Gewoͤhnungen der einzelnen Schulen und Mei-
ſter, ſondern einzig aus einem richtigen, aber nothwendig be-
ſcheidenen und nuͤchternen Gefuͤhle einer aͤußeren Beſchraͤnkung
der Kunſt durch den derben, in ſeinem Verhaͤltniß zum Kuͤnſt-
ler geſtalt-freyen Stoff *). Daß ein ſolcher vom Dar-
**)
[88] geſtellten, wie von den darſtellenden Formen verſchiedener und
unterſcheidbarer Stoff in jedem Werke der Kunſt vorhanden
ſey, erhellt aus ſich ſelbſt. Weniger vielleicht, daß derſelbe
unter allen Umſtaͤnden ſich geltend macht, und, je nachdem
ſeine inneren Forderungen erfuͤllt, oder verletzt worden, bald
die Geſammterſcheinung der Kunſtwerke beguͤnſtigt, bald ſie,
wenn nicht vernichtet, doch ſtoͤrt. Es iſt daher von großer
Wichtigkeit, dieſe Foderungen zu erforſchen, was nur geſchehen
kann, indem wir den Stoff ganz fuͤr ſich betrachten, alſo
denſelben von anderem, ſey es, Allgemeinem, oder Beſonde-
rem der Kunſt, in unſerer Vorſtellung abſondern.


Die Foderungen des derben Kunſtſtoffes, deren Erfuͤllung
ich Styl nenne, ſind, einmal allgemeine, jegliche Kunſtart
gemeinſchaftlich umfaſſende; zweytens beſondere, nur die ein-
zelnen Kunſtarten, jegliche fuͤr ſich, betreffende.


In Bezug auf den derben und aͤußerlichſten Kunſtſtoff
treffen beide darſtellende Kuͤnſte unter ſich, wie mit der Bau-
kunſt (welche bekanntlich, nachdem ſie der Nothdurft und der
Staͤrke genuͤgt hat, auch nach Schoͤnheit ſtreben darf), nur
in einer einzigen Eigenſchaft uͤberein: der Erſcheinung im
Raume. Das allgemeinſte, umfaſſendſte Stylgeſetz iſt dem-
nach: Uebereinſtimmung der raͤumlichen Verhaͤltniſſe; eine
Schoͤnheit, deren allgemeines Geſetz allerdings noch keines-
weges feſtgeſtellt worden, noch ſo leicht feſtzuſtellen iſt; fuͤr
welche indeß uns ein Gefuͤhl verliehen worden, deſſen Schaͤr-
fung und Ausbildung dem Kuͤnſtler beſonders obliegt.


Daß Uebereinſtimmung raͤumlicher Verhaͤltniſſe ganz un-
abhaͤngig von den Foderungen ſowohl des Gegenſtandes, als
der Formen der Darſtellung, erſtrebt werden koͤnne, zeigt ſich
[89] zunaͤchſt in der Baukunſt, wo dieſe Foderungen einleuchtend
wegfallen; in den Werken aber der darſtellenden Kuͤnſte vor-
nehmlich in ſolchen Dingen, welche in Bezug auf die Dar-
ſtellung gleichguͤltig ſind und mehr durch ein allgemeines Be-
duͤrfniß der Fuͤllung des Leeren herbeygezogen werden.


Wie die Vertheilung und Anordnung ſolcher Dinge auch
in den darſtellenden Kuͤnſten an und fuͤr ſich, je nachdem ſie
wild und verworren, oder gemaͤßigt und beruhigend ausgefal-
len, einen Vorzug, oder Mangel begruͤnde, ſehen wir bald
in geiſtreichen und verdienſtlichen Kunſtwerken, denen, gleich
den meiſten ganz modernen, jene allgemeine Uebereinſtimmung
fehlt; bald wieder in minder verdienſtlichen, ja geiſtloſen,
welche, gleich geringeren Antiken, oder maͤßig wohlgedachten
Malereyen des italieniſchen Mittelalters, ihrer ſonſtigen Maͤn-
gel ungeachtet, jenen wichtigen Kunſtvortheil in uͤberraſchender
Voͤlligkeit darlegen. In groͤßter Vollkommenheit indeß werden
wir den allgemeinen Styl in den beſten Bildwerken des Alter-
thumes wahrnehmen koͤnnen, oder in den Gemaͤlden der mitt-
leren Laufbahn Raphaels und ſeiner vorzuͤglichſten Zeitgenoſſen.
Obwohl auch aus dieſen keinesweges ein allgemeines Geſetz
bildneriſcher, oder maleriſcher Anordnung abzuleiten iſt, da
mit jedem neuen Verhaͤltniß auch neue Foderungen eintreten,
ſo daß, was dort galt, hier ſchon nicht mehr anwendbar iſt.
Sind nun die Kuͤnſtler in dieſer Beziehung ganz auf Sinn
und Gefuͤhl angewieſen, ſo muͤſſen ſie auf alle Weiſe Bedacht
nehmen, dieſe Faͤhigkeiten durch Pruͤfung und Unterſcheidung
des Muſterhaften und Fehlerhaften zu ſchaͤrfen; um ſo mehr,
da die modernen Kunſtbegriffe der Compoſition und Gruppi-
rung, welche offenbar aus einer unbeſtimmten Wahrnehmung
[90] der Vortheile guter Anordnung entſtanden ſind, auch wenn
ſie weniger beſchraͤnkt aufgefaßt wuͤrden, als gemeinhin ge-
ſchieht, doch fuͤr das Beduͤrfniß nicht ausreichen duͤrften.


Dieſer allgemeine Styl, welcher Kunſtwerken wenigſtens
ſo viel Vortheil bringt, als der Tact muſicaliſchen Ausfuͤh-
rungen, ſcheint durchaus nur auf den fruͤheſten Stufen der
Kunſt ſich zu regeln und auszubilden. Dieſe Erſcheinung er-
klaͤre ich mir aus einer gedoppelten Urſache. Einmal geſtattet
auf fruͤheren Kunſtſtufen die Einfachheit des Wollens und die-
ſem entſprechender Formen der Darſtellung die Aufmerkſamkeit
ungetheilt auf die inneren Foderungen des derben Kunſtſtoffes
zu lenken, den daher die Incunabeln antiker, wie neuerer
Kunſt ohne Ausnahme und in jeder Beziehung nett und zweck-
gemaͤß zu behandeln pflegen. Zweytens aber entſteht beſon-
ders eben der allgemeinſte, raͤumliche Harmonie bezielende Styl
aus der Herrſchaft, welche die Baukunſt *) auf dieſen fruͤhe-
ren Stufen uͤber die bildenden Kuͤnſte auszuuͤben pflegt. Wie
uͤberhaupt in der Baukunſt (Zweck, Vernunft, Realitaͤt, Tuͤch-
tigkeit, vorausgeſetzt, welche ein geſunder und geſchaͤrfter Sinn
hier nie ohne Widerwillen vermißt) alle Schoͤnheit vornehm-
lich auf dem Verhaͤltniß der Groͤßen unter ſich, wie zum
Ganzen beruhet, ſo gewoͤhnt ſich auch der Bildner und Maler
[91] in ihrem Dienſte, Solches, was weder vom Gegenſtande, noch
von den Bildungsgeſetzen der Natur ſo unbedingt gefordert
wird, was demnach mehr und minder in ſeiner Willkuͤhr liegt,
dem Maße zu unterwerfen; weshalb es den Kuͤnſtlern auf
ausgebildeteren Kunſtſtufen immer nuͤtzlich ſeyn wird, in Be-
zug auf Styl die fruͤheren Bildungsſtufen ihrer eigenen Kunſt-
richtung im Auge zu behalten. Betrachten wir nun auch die
Stylgeſetze, welche theils die Bildnerkunſt, theils die Malerey
insbeſondere angehen *).


Der Stoff, in welchem der Bildner ſeine Formen wirk-
lich geſtaltet, iſt ohne Ausnahme eine dichte Maſſe, Holz,
Thon, Erz, Geſtein, oder Aehnliches; die ſichtliche Schwere
und Unbehuͤlflichkeit dieſes Stoffes wird ſelbſt von den an-
ſtelligſten Meiſtern nie ſo ganz uͤberwunden, daß ſie aufhoͤrte,
ſich dem Gefuͤhle aufzudraͤngen. Daher, und durchaus nicht,
wie Winckelmann anzunehmen ſcheint, aus einem ſittli-
chen Grunde, iſt dem Bildner das Schwebende, Fahrende,
Sauſende, Fallende darzuſtellen verſagt, welches Alles, ſobald
es der Gegenſtand begehrt, in der Malerey, die es leicht und
bequem vor den Sinn bringen kann, noch gar nicht mißfaͤl-
lig iſt, wie es doch ſeyn muͤßte, wenn es an ſich ſelbſt un-
ſittlich waͤre. Dieſelbe Beſchaffenheit des Stoffes gebietet,
daß der Bildner uͤberall, nicht bloß nach einem wirklichen
Gleichgewichte ſtrebe, welches nur etwa die Umſtehenden ſichern
duͤrfte, ſondern nach einem in die Augen fallenden, uͤberzeu-
genden, welches in Statuen, ohne daß man ſich immer des
[92] Grundes bewußt wuͤrde, das Gemuͤth beruhigt und zugaͤng-
lich macht. Anſchaulich kann man ſich von der Richtigkeit
dieſer Wahrnehmung uͤberzeugen, indem man den erſten Ein-
druck geringer und ſchon handwerksmaͤßig hervorgebrachter
Statuen des Alterthumes mit dem der gewiß ſehr geiſtreichen
Bildnereyen des Michelangelo oder des Johann von
Bologna
vergleicht. Der Eindruck, den die erſten bewirken,
wenn ſie etwa, wie in den roͤmiſchen Villen, im Voruͤber-
gehen betrachtet werden, kann nicht anders, als angenehm
und beruhigend ſeyn; bey den anderen hingegen wird man,
um in ihre Verdienſte einzugehen, vorher den erſten Eindruck
zu bekaͤmpfen haben. Auf dieſe Veranlaſſung erinnere ich viele
Zeitgenoſſen an den maͤchtigen Eindruck der erſten ſichtlich auf
ſich ſelbſt beruhenden Statue moderner Zeiten, des Jaſon
von Thorwaldſen.
Denn es iſt nicht zu berechnen, wie
viel dieſer Eindruck mitgewirkt, dem Kuͤnſtler, deſſen kuͤnftige
Groͤße noch nicht mit Zuverſicht zu ermeſſen war, den Ein-
gang in die oͤffentliche Meinung zu eroͤffnen, ihm die Befoͤr-
derung zuzuwenden, welche nun einmal die vollſtaͤndige Ent-
wickelung jeglicher Kunſtanlage bedingt.


In gleichem Maße verſagt dem Bildner die ſichtliche
Schwerfaͤlligkeit ſeines Stoffes, das Leichte und Durchſchei-
nende in ſeiner wirklichen Ausdehnung nachzubilden. Eine
Haarlocke erſcheint im Geſtein, in ihrer wirklichen, oder denk-
baren Ausdehnung dargeſtellt, nicht durchſcheinend und leicht,
wie ſie ſelbſt, ſondern als ein ſchwerfaͤlliger Klotz; und hier
machen die bekannten Lockenkoͤpfe roͤmiſcher Caͤſarn nicht etwa
eine Ausnahme; daß ihr Lockengebaͤu auch in Marmor er-
traͤglich ausſieht, beruht darauf, daß ſie friſirten, nicht zwang-
los wallenden Haaren nachgebildet ſind. Aus demſelben
[93] Grunde werden maͤchtige Falten, die in Gemaͤlden nicht ſel-
ten von großer Wirkung ſind, in ihrer ganzen Ausdehnung
gemeiſſelt, oder gegoſſen eine ungeſchlachte, ſchwerfaͤllige Maſſe
zu bilden ſcheinen, etwa wie in den ſonſt ſo lobenswerthen
Statuen des Ghiberti an der Vorſeite der Kirche Orſanmi-
chele zu Florenz*). Um ſolchem Uebelſtande auszuweichen,
muß die Bildnerey aus den zeichnenden Kuͤnſten einige, ihrer
eigenen Darſtellungsweiſe ganz fremde Huͤlfsmittel entlehnen
und durch den Schein erſetzen, was ſie in voller Form nicht
ohne mißfaͤllig zu werden nachbilden kann. Dieſe entlehnten
Kunſtvortheile beſtehen, bald, wie bey den Haaren, in ein-
gebohrten Tiefen von unbeſtimmtem Umriß; bald, wie bey
den Gewaͤndern, in laͤngs der meiſt bezeichnenden Außenlinien
hineingehenden Eintiefungen, welche, indem ſie tiefe Rand-
ſchatten bewirken, den Anſchein deſſen hervorbringen, was man
darzuſtellen bezweckt. Wer mit den Bildnereyen des Alter-
thumes bekannt iſt, dem werden hier Beyſpiele hoͤchſt gelun-
gener Kunſtgriffe der bezeichneten Art im Gedaͤchtniß gegen-
waͤrtig ſeyn. Beyſpiele des Verfehlens ſolcher Vortheile bie-
tet die moderne Bildnerey in groͤßter Fuͤlle, ſeltener ſchon die
mittelalterliche, welche in Bezug auf Styl dem Alterthume
[94] noch ungleich naͤher ſteht *), als die mit Michelangelo
beginnende moderne.


Noch vieles Andere vermieden die alten Bildner eben
nur, weil der derbe Stoff deſſen bequeme, oder annehmliche
Darſtellung verſagt. So deuteten ſie viele Beywerke mit ab-
ſichtlicher Rohheit an; denn da Baͤume und andere landſchaft-
liche Dinge nun einmal im dichten Stoffe nicht ſcheinbar zu
machen, ſo wollten ſie lieber laut verkuͤnden, daß ſie ſolches
durchaus nicht bezwecken, als ein Verlangen anregen, dem
ſie nimmer genuͤgen konnten. Oder ſie milderten haͤutige und
andere weiche Theile, welche bisweilen auf der Oberflaͤche der
Geſtalten erſcheinen, oder unterdruͤckten ſie durchaus, wenn
ſie etwa die Darſtellung vorkommender Kunſtaufgaben nicht
weſentlich foͤrderten **). Wenn nun Winckelmann in ſol-
chen Zartheiten des antiken Bildnerſtyles, welche der Wirkung
nach ſeinem Scharfblick nicht entgehen konnten, eine Beſtaͤti-
gung jenes freylich ſchon mannichfach bedingten Vorbegriffes
der Manieriſten zu entdecken glaubte; wenn er Vieles, ſo aus
richtig verſtandenen Beſchraͤnktheiten des derben Kunſtſtoffes
hervorging, aus den inneren Foderungen der dargeſtellten Ideen
erklaͤrte, ſo werden wir nunmehr daruͤber hinausſehen duͤrfen.


[95]

Schwieriger iſt es unſtreitig, die beſonderen Stylgeſetze
der Malerey anzugeben, welche an ſich ſelbſt minder deutlich
am Tage liegen, als die bildneriſchen; woher es ſich erklaͤrt,
daß man noch in den neueſten Zeiten gelehrt *), und vor-
nehmlich in den Akademien verſucht hat, den maleriſchen Styl
durch die Nachahmung von Bildwerken zu bilden, welche in
ihrer Kunſtart muſterhaft behandelt und von untadeligem Style
ſind. Nichts indeß kann im Grundſatz irriger, in der An-
wendung geſchmackloſer ſeyn, als eine ſolche Uebertragung der
Darſtellungsweiſe der einen Kunſtart auf die andere, und ge-
wiß iſt jenes ſchon an ſich ſelbſt, als mechaniſche Uebung an-
geſehen, hoͤchſt geiſttoͤdtende Zeichnen in den Antikenſaͤlen, auch
durch die Stylvermiſchung, die es verbreitet hat, von der nach-
theiligſten Wirkung. Denn nach ſo vielen Andeutungen in
den Beurtheilungen neuerer Kunſtwerke, iſt es auch dem ge-
woͤhnlichen Sinne auffallend, wie eben ſolches, was Statuen
ihr ſicheres Beruhen giebt, wenn es auf Gemaͤlde uͤbertragen
wird, einen gewiſſen Anſchein von Schwerfaͤlligkeit annimmt
und zum Umfallen geneigt ſcheint, wie die colorirten Formen
des Apoll in der bekannten Muſenverſammlung des Mengs
an einer Decke der Villa Albani. Dieſe Wirkung entſteht
daher, weil bildneriſch ſtyliſirte Formen den Anſchein des
Wirklichen und Lebendigen, vermoͤge deſſen die Malerey dar-
ſtellt, auf gewiſſe Weiſe durchkreuzen, indem ſie Solches, was
in der Bildnerey den Foderungen der Schwere genuͤgte, in
die lebendigere, bewegtere Darſtellung der Malerey hinuͤber-
bringen, wo es zwecklos und ſinnverwirrend an Schweres ge-
[96] mahnt, ohne daß dafuͤr ein Grund vorhanden, oder nur denk-
bar waͤre. — Sieht man doch gegenwaͤrtig ein, welcher Nach-
theil der modernen Bildnerey ſeit Michelagnuolo aus dem
Wetteifer mit der Malerey erwachſen, welche die andere Kunſt
in den modernen Zeiten zufaͤllig, oder nothwendig uͤberboten
und alſo vielleicht zur Nachahmung angereizt hatte. Vor-
nehmlich aber ſollten Alle, welche Leſſings mit Dank ge-
denken, weil er den Gedanken, wenn nicht ausgefuͤhrt, doch
angeregt hat: daß Poeſie und bildende Kuͤnſte nach Maßgabe
des Stoffes, in welchem ſie darſtellen, auch jede ihre eigenen
Bedingungen und Moͤglichkeiten einſchließen, um ſich ſelbſt
gleich und getreu zu bleiben, auch in Bezug auf bildneriſche
und maleriſche Darſtellung die nothwendige Begrenzung aner-
kennen und in ihren Lehren ſie hindurch fuͤhren.


Das hoͤchſte und unerlaͤßlichſte Stylgeſetz der Malerey
entſpringt aus jenem allgemeineren, welches gebietet, in der
Anordnung und Vertheilung von darſtellenden, oder nur
ſchmuͤckenden und fuͤllenden Formen und Lineamenten, Maß
und inneres Verhaͤltniß zu beobachten. Denn, eben weil die
Malerey, vermoͤge des Stoffes, in welchem ſie darſtellt, Vie-
les in einem Bilde vereinigen kann und daher zu vereinigen
beſtrebt: ſo iſt in ihr die Uebereinſtimmung in den Verhaͤlt-
niſſen der Theile in eben dem Maße, als Vielfaͤltiges ſich
leichter zur Verwirrung hinuͤber neigt, auch ſorgfaͤltiger zu
erſtreben. Aus einem richtigen Gefuͤhle dieſes Stylgeſetzes iſt
die ſymmetriſche Anordnung vieler alten Gemaͤlde entſtanden,
welche das Vorurtheil ſpaͤterer Zeiten als gezwungen verwor-
fen hat. Und obwohl dieſe Anordnung in den himmliſchen
Verſammlungen, welche viele Altargemaͤlde des funfzehnten
Jahrhundertes ausfuͤllen, hier und da aus unzureichendem
Koͤnnen
[97] Koͤnnen etwas zu ſehr ins Steife gehen mag, ſo muͤſſen wir
doch das Stylgefuͤhl, aus dem ſie hervorgegangen, um ſo
hoͤher ſtellen, als es ſchwieriger iſt, ſolche Stylgeſetze der
Malerey zu ermitteln, welche, wie die oben eroͤrterten der
Bildnerey, aus Foderungen des ihr eigenthuͤmlichen rohen
Stoffes entſtehen.


Denn in der Malerey iſt jenem groͤberen, auf einer ge-
gebenen Flaͤche faͤrbenden, erhellenden, oder auch verdunkeln-
den Stoffe nicht viel Allgemeines abzugewinnen; obwohl in
der Fuͤhrung des Stiftes, der Feder, des Pinſels, oder in
Tinten und Uebergaͤngen der Farbe, Maͤngel, oder Vorzuͤge
erſcheinen koͤnnen, ſo ſind dieſe doch, theils ziemlich unweſent-
lich, theils nicht wohl unter ein allgemeines Geſetz zu brin-
gen. Allein in Betracht, daß die Malerey unter den bilden-
den Kuͤnſten diejenige iſt, welche nicht durch die Form, ſon-
dern durch den Anſchein von Formen darſtellt, iſt es denkbar,
daß dieſer Anſchein durch gewiſſe Kunſtvortheile, durch Ver-
ſtaͤrkungen, Milderungen, Unterlaſſungen, oder Anderes be-
foͤrdert wuͤrde.


Wirklich giebt es Dinge, deren Schein durch die bekann-
teren Kunſtmittel der Malerey nur beſchwerlich hervorzubrin-
gen iſt; welche bald durch ihre Stumpfheit, bald durch ihre
Haͤrte und Abgeſchnittenheit in Gemaͤlden den Anſchein wirk-
lichen Seyns aufheben, welcher in der Malerey nun einmal
eine der aͤußeren Bedingungen gluͤcklicher Darſtellung iſt.
Hierin denn wuͤrden wir etwas zu finden glauben, was den
Maler beſtimmen koͤnnte, Einiges ſchaͤrfer herauszuheben, An-
deres abſichtlich zu mildern. In den Lichtmaſſen der Gewaͤn-
der, um ein Beyſpiel anzugeben, iſt es ſo ſchwierig die ſchar-
fen Umriſſe des kleinen Gefaͤltes ohne den Mißſtand einer
I. 7
[98] ſcheinbaren Zerſtuͤckelung der Maſſe anzugeben, daß die beſten
Maler unter den Neueren, ſogar die Wandmalereyen der Alten,
in ſolchen Lichtmaſſen ihre Umriſſe mit willkuͤhrlicher Leichtig-
keit gleichſam nur angedeutet haben. In einem der glaͤnzend-
ſten Beyſpiele des um 1530 ploͤtzlich ſinkenden Stylgefuͤhles,
in der Madonna del Sacco zu Florenz, kann der entgegen-
geſetzte Fehler in dem vielfaͤltig zerſchnittenen Gefaͤlte einge-
ſehen werden, welches das Haupt und die Schultern der
Jungfrau umgiebt. Aus gleichem Grunde vermieden die beſten
Maler ein ſchwarzes Haupthaar, wo es nicht, wie im Bild-
niß, vom Gegenſtande geboten wird; denn ſo reizend dieſe
Haarfarbe im Leben zu erſcheinen pflegt, ſo ſchwer iſt es, ſie
in Gemaͤlden mit dem daran ſtoßenden helleren Fleiſche zu
gemeinſamen Licht- und Schattenparthien zu vereinigen und zu
verhuͤten, daß der grelle Abſtich nicht etwa den Anſchein zu-
ſammenhaͤngender Form aufhebe, wo ſolcher gefodert wird.


Muͤſſen wir uns nun eingeſtehen, daß ſogar die aͤußer-
lich vollendetſten Gemaͤlde doch immer an Fuͤlle und Deut-
lichkeit ſo ſehr der Erſcheinung wirklicher Dinge nachſtehen,
daß ſie nur innerhalb ihrer eigenen Begrenzung fuͤr wahr,
oder ſcheinbar wirklich gelten koͤnnen; ſo wird aus dieſer Vor-
ausſetzung ein anderes Stylgeſetz abzuleiten ſeyn, welches nicht
mehr die Theile im Einzelnen, vielmehr das Ganze der Kunſt-
werke befaßt. Dieſes Geſetz befiehlt dem Kuͤnſtler, durch eine
gewiſſe Gleichmaͤßigkeit in der Ausfuͤhrung von Gemaͤlden die
Aufmerkſamkeit des Beſchauers ſo zu begrenzen, daß er, auch
wollend, kaum im Stande waͤre, irgend einen Theil des Kunſt-
werkes fuͤr ſich allein der Vergleichung mit anderen, außer
dem Bilde befindlichen Gegenſtaͤnden zu unterwerfen. Wir
werden ſpaͤter Gelegenheit finden, die Macht einer ſolchen in
[99] ſich abgeſchloſſenen Darſtellung an Kunſtwerken zu bewundern,
welche ganz verſchiedenen Stufen der Kunſtfertigkeit angehoͤ-
ren, da ſie eben ſowohl in den Werken des Giotto und ſei-
ner Zeitgenoſſen, als in den groͤßten Leiſtungen neuerer Kunſt-
beſtrebungen ſich geltend macht.


Endlich duͤrfte es nicht minder dem maleriſchen Style
beygezaͤhlt werden koͤnnen, wenn Kuͤnſtler ſolches, was ſie
nicht eigentlich darzuſtellen bezwecken, vielmehr nur als ein
Beywerk betrachtet ſehen moͤchten, durch etwas willkuͤhrlichere
Geſtaltungen dem geiſtigen Sinne genuͤgend anzudeuten ver-
ſtehen, ohne doch den aͤußeren Sinn zu verletzen. Wie die
unvollkommenen Ueberreſte antiker Malerey errathen laſſen,
ward im Alterthume alles landſchaftliche Beywerk auf ziem-
lich willkuͤhrliche Weiſe angedeutet; demungeachtet befriedigt
es auch ſo, weil es keine Anſpruͤche erweckt, und gluͤcklich im
Raume vertheilt iſt. Lobenswerth ſind, aus demſelben Geſichts-
punct angeſehen, die Landſchaften in den hiſtoriſchen Gemaͤlden
Raphaels und ſeiner Zeitgenoſſen, ſogar die Hintergruͤnde ſei-
ner fruͤheren und ſpaͤteren Vorgaͤnger. Obwohl nun eben dieſe
nicht ſelten von denen getadelt werden, welche alle einzeln vor-
kommende, oder denkbare Vorzuͤge in demſelben Kunſtwerke
vereinigt ſehen moͤchten; ſo duͤrfte es doch wieder Andere geben,
welche einſehen, daß jenes genaue Eingehen in die Formen-
ſpiele der Pflanzen, in die linden Wallungen, oder trotzigen
Kanten der Erdformen, oder in alle Gaukeleyen der Luft und
des Lichtes, welches Alles wir in einem Claudio, Ruis-
dael
und anderen bewundern und lieben muͤſſen, durchaus
unvereinbar iſt mit den Zwecken der ſogenannten hiſtoriſchen
Gemaͤlde. Denn dieſe wirken, indem ſie menſchliche Verhaͤlt-
niſſe darſtellen, auf die tiefſten unter den Sinnen, die uͤber-
7 *
[100] haupt durch Kunſtwerke angeregt werden koͤnnen; jene Vor-
zuͤge wieder mehr auf die Oberflaͤche des menſchlichen Daſeyns,
ſo daß ihre Verſchmelzung ſicher nur verwirren wuͤrde. Zudem
liegt etwas theils teleſcopiſches, theils auch mikroſcopiſches
in der modernen Landſchaftsmalerey, welches daher ſcheint
entſtanden zu ſeyn, daß man das ſchwaͤchere Intereſſe der
außermenſchlichen Natur durch Fuͤlle an Gegenſtaͤnden hat er-
ſetzen wollen, was genau beſehen nicht immer zum Zwecke
fuͤhrt; hieraus aber entſpringt, da der Hiſtorienmaler ſeine
Formen jederzeit dem Auge nahe ruͤckt, ein ſo ſchneidender
Gegenſatz in den Abſtufungen, daß ſchon deshalb nimmer ein-
geraͤumt werden kann, daß die moderne Behandlung der Land-
ſchaft den Hintergruͤnden hiſtoriſcher Gemaͤlde zur Zierde ge-
reichen koͤnne. Uebrigens moͤgen Manche in dieſer Beziehung
auf eigenthuͤmliche Gewoͤhnungen und Handhabungen alter
Maler ein uͤbergroßes Gewicht legen. Denn gewiß kommt es
nicht ſo genau darauf an, ob ein Baum, wenn er uͤberhaupt
mit richtigem Sinn den Forderungen des jedesmaligen Kunſt-
werkes untergeordnet worden, ſo oder anders zugeſchnitten ſey.


Ueberhaupt wird man nie ſorgfaͤltig genug von den all-
gemeinen Stylgeſetzen ſolche ganz eigenthuͤmliche Gewoͤhnungen
der einzelnen Schulen und Meiſter ausſchließen koͤnnen, welche
ſich auf minder weſentliche Beywerke, auf die Landſchaft, das
Gefaͤlte und Anderes beziehen. Und wollte man durchaus,
gleich den Italienern, jenen Antheil an Manier, der auch den
beſten Kunſtwerken als ein minderſtoͤrender, wohl auch, als
unterſcheidendes Merkmal angeſehen, nicht unwillkommener
Mangel anklebt, mit in den Stylbegriff hineinziehen; ſo wuͤrde
man ſich doch beſinnen muͤſſen, fuͤr jene allgemeineren Kunſt-
vortheile einen anderen Namen aufzufinden. Herr Dr.Schorn,
[101] deſſen Scharfblick und billigen Sinn ich hochſchaͤtze, deſſen
oͤffentlichen und freundſchaftlichen Mittheilungen ich vielfaͤltige
Belehrung verdanke, brachte mir ſchon vor Jahren das
Kunſtſchoͤne
in Vorſchlag, ein neues Wort, welches dieſer
Kunſtgelehrte ſchon fruͤher, nach dem Vorgange Hirts, in
ſeinen trefflichen Studien griechiſcher Kuͤnſtler aufgenommen
hatte. Bis dahin habe ich mich nicht einmal an den Klang
gewoͤhnen koͤnnen; doch duͤrfte dieſer, in einer rauhen Spra-
che, wie die unſrige, nicht ſo ſehr in Frage kommen, als die-
ſes: ob die Grundbegriffe, aus denen er zuſammengeſetzt wor-
den, mit Solchem, was ich Styl nenne, durchaus vereinbar
waͤren. Das Kunſtſchoͤne indeß kann nach dem Beyſpiel
verwandter Wortbildungen nichts anders heißen wollen, als
das Schoͤne der Kunſt. Der Styl aber in dem Sinne,
den ich feſthalte, iſt zwar allerdings ein Schoͤnes der Kunſt,
aber noch keinesweges der Inbegriff alles Schoͤnen der
Kunſt; das Kunſtſchoͤne ſcheint alſo fuͤr meinen Stylbegriff
zu Vieles zu bezeichnen, oder zu weit umfaſſend zu ſeyn.
Sehen wir zudem das Kunſtwort Styl, auch in den neueſten
Kunſtbetrachtungen deſſelben Gelehrten *) noch immer nach
[102] einer beſtimmteren Bedeutung ſtreben, bald an das Edle der
Richtung, oder des Gegenſtandes, bald wieder an Eigenthuͤm-
lichkeiten der Kuͤnſtler ſich anſchließen, ſo werde ich um ſo
mehr auf Nachſicht zaͤhlen duͤrfen, wenn ich daſſelbe als bie-
ſterfrey angeſehen und gewagt, ihm einen Sinn unterzulegen,
dem es auch von dem Worte abgeſehen, gewiß nicht an inne-
rer Begruͤndung fehlt.


Doch muß ich einraͤumen, daß, wie bey feyerlichen Hand-
lungen Ordnung und Anſtand, ſo auch bey kuͤnſtleriſchen Dar-
*)
[103] ſtellungen des Edlen und Wuͤrdigen Solches, was ich Styl
nenne, minder geduldig vermißt werden duͤrfte, als bey
Darſtellungen des Niedrigen, oder Ausgelaſſenen, welchen
das ſogenannte Maleriſche oder, wenn ich dieſen Ausdruck
recht verſtehe, eine gewiſſe ſanfte Undulation der Formen ge-
nuͤgen mag. Auch ſehe ich ein, daß in dem Geſammteindruck
von Kunſtwerken der Styl jedem anderen Verdienſte ſich ver-
maͤhlen wird, was allerdings die abgeſonderte Betrachtung die-
ſes Vorzuges der Kunſt erſchweren muß. Einleuchtend indeß
*)
[104] unterliegt der Kunſtgenuß ganz anderen Geſetzen, als die Lehre
der Kunſt. Waͤhrend der eine den vollen Eindruck des Gan-
zen erheiſcht, und durch Zergliederung in den meiſten Faͤllen
vernichtet wird, will die andere unterſcheiden, ausſondern und
ordnen. Wenn man nun einmal zum Werke geſchritten iſt,
und den lebendigen Leib der Kunſt in ſeine Theile zerlegt hat;
ſo wird es darauf ankommen, ſeine Fibern und Muskeln ſau-
ber abzuloͤſen, ſie nicht mitten durchzuſchneiden, zuletzt aber
jedes Stuͤck an ſeine rechte Stelle zu legen. Denn nur durch
Schaͤrfe, Deutlichkeit und Folge wird die abgeſonderte Kunſt-
betrachtung, einmal ſich ſelbſt genuͤgen, dann auch auf die
Ausuͤbung der Kunſt zuruͤckwirken koͤnnen. Freylich vermag
eine duͤrre Theorie auf keine Weiſe den Kuͤnſtler aufzuregen
und zu begeiſtern; wohl aber die Banden irriger Lehrgebaͤude
aufzuloͤſen, gegenſeitige Verklammerungen des Wahren und
Falſchen zu ſpalten, das Nuͤtzlichſte gewiß, ſo fuͤr den Augen-
blick moͤglich iſt.


Dem hiſtoriſchen Archaͤologen haben wir alſo den Typus,
dem aͤſthetiſchen den Styl eingeraͤumt und hiemit zugegeben,
daß in der Kunſt, und vornehmlich eben in der Kunſt des
Alterthumes, Bezeichnungen und Schoͤnheiten vorhanden, welche
nicht ſo geradehin weder aus der Befolgung allgemeiner Na-
turgeſetze, noch aus dem belebenden Eindruck einzelner Natur-
geſtalten zu erklaͤren ſind. Zugleich aber haben wir uns erin-
nert, daß die willkuͤhrliche Bezeichnung nur den Verſtand, der
Styl aber nur den aͤußeren Sinn in Anſpruch nimmt; daß
alſo dieſe Eigenſchaften vortrefflicher, vornehmlich antiker Kunſt-
gebilde auf keine Weiſe die Darſtellung ſelbſt angehen, oder
die Beſchaffenheit und Abkunft der darſtellenden Formen we-
ſentlich abaͤndern. Auch hatten wir den Styl nicht, wie An-
[105] dere, aus einem gewiſſen Aufſchwung des kuͤnſtleriſchen Gei-
ſtes erklaͤrt, vielmehr aus gegebenen Foderungen des derben
Stoffes, wodurch wir den Kuͤnſtler, weit entfernt ihm von
dieſer Seite einige Freyheit einzuraͤumen, vielmehr auch hier
auf aͤußere Schranken hingewieſen, welche er nie ungeſtraft
uͤberſchreiten wird. Der Kunſt Unkundigen, oder auch denen,
welche das geruͤgte Vorurtheil der Modernen noch verblendet,
duͤrfte es nun wohl ſcheinen, als werde die Kunſt durch ſo
mannichfache Beſchraͤnkungen aus dem Gebiete des Geiſtigen
und Entbundenen verwieſen und zu einer gewiſſen Befangen-
heit verurtheilt.


Waͤre es, wie die Kunſtlehre der letzten ſechzig Jahre
darzulegen und zu behaupten bemuͤht geweſen, der Zweck, oder
doch der Hauptzweck der Kunſt, die Schoͤpfung in ihren ein-
zelnen Geſtaltungen nachzubeſſern, beziehungsloſe Formen her-
vorzubringen, welche das Erſchaffene ins ſchoͤnere nachaͤffen *),
[106] und das ſterbliche Geſchlecht gleichſam dafuͤr ſchadlos hielten,
das die Natur eben nicht ſchoͤner zu geſtalten verſtanden *):
ſo wuͤrde dem Kuͤnſtler allerdings durch die Anſicht, welche
ich oben zu begruͤnden verſucht, alle Ausſicht auf freye Be-
wegung und ſelbſtſtaͤndige Leiſtung benommen. Doch duͤrfte
er innerhalb der Schranken, welche in Bezug auf Form und
Stoff der Willkuͤhr ſich entgegenſtellen, die freyeſte Bewegung
bewahren koͤnnen, wenn der Zweck der Kunſt, wie, ſowohl
aus ihren bekannteren Leiſtungen, als ſchon aus ihrem allge-
meinſten Begriffe darzulegen iſt, theils mannichfaltiger, theils
ſelbſt ungleich wichtiger waͤre, als jener, den die aͤſthetiſchen
Schwaͤrmer ihr vorzeichnen.


Worauf denn, duͤrfte man hier fragen, begruͤndet ſich
wohl die Anſicht, welche Geiſt und Gefuͤhl des Kuͤnſtlers,
Sittliches und Wahres des Gegenſtandes, Klarheit und Ver-
nehmlichkeit der Darſtellung, kurz alles, was nach dem Ge-
fuͤhl jedes ſich hingebenden, nicht bloß eigne, oder angenom-
mene Meinungen und Anſichten verfolgenden Kunſtfreundes
den Werken der Kunſt allein tieferen Gehalt und wahrhaft
anſprechende Formen verleiht, einer unbeſtimmten Vorſtellung
von beziehungsloſer Formenſchoͤnheit unterordnet? Nicht auf
eine poſitive und urſpruͤngliche Vorſtellung [von] For-
*)
[107] menſchoͤnheit, ſondern auf eine ſolche, die man auf der
einen Seite nur durch Verneinung der Natur zu bezeichnen
weiß, auf der anderen aber durch ſinnliche Anſchauung be-
ſtimmter Kunſtwerke *) erworben hat, in welche man zudem
nicht ohne Beywirkung von vorgefaßten Meinungen hoͤchſt
muͤhſam ſich hinein begeiſtern muͤſſen **). Iſt aber dieſe
Vorſtellung keine urſpruͤngliche, nur eine von außen angenom-
mene, alſo hiſtoriſche, ſo wird ſie auch als Thatſache zu be-
trachten, und als ſolche der Pruͤfung zu unterwerfen ſeyn.


Pruͤfen laͤßt ſich in dieſer Beziehung zuerſt, ob die Alten
ſelbſt, wenn wir nur ihr unvergleichlich feines, ausnahmelo-
ſes Stylgefuͤhl nach obiger Ausſonderung beyſeite ſtellen, je-
mals in der Kunſt von dem Streben nach einer ſolchen be-
ziehungsloſen Schoͤnheit ausgegangen ſind; zweytens, ob die
Kunſtwerke, in denen man die Verwirklichung einer ſolchen
[108] Vorſtellung wahrzunehmen glaubt, welche man daher fuͤr mu-
ſterhaft anſieht und der Nachahmung empfiehlt, etwa unter
den Leiſtungen der antiken Kunſt das Beſte ſind, oder was
uns gleichbedeutend ſeyn ſollte, den Alten ſelbſt fuͤr das Beſte
gegolten haben.


So weit die Anſicht, welche die Kunſt des Alterthumes
im Ganzen beherrſchte, uͤberhaupt aus den abgeriſſenen An-
deutungen der Schriftſteller zu ergaͤnzen iſt, zeigt ſich nichts,
woraus zu ſchließen waͤre, daß die Alten jemals Geiſt und
Gefuͤhl des Kuͤnſtlers, Sinn und Bedeutung der Aufgabe,
Charakter und Lebendigkeit der Darſtellung einem allgemeinen
beziehungsloſen Begriffe der Schoͤnheit untergeordnet haben *).
Freylich wohnt die Bluͤthe menſchlicher Schoͤnheit in jener
Jugendlichkeit und Lebensfuͤlle, welche in ihren Kunſtgeſtal-
tungen vorherrſcht; wo iſt aber die Aeußerung, welche uns
berechtigen duͤrfte, anzunehmen, dieſes friſche Jugendleben hel-
leniſcher Kunſt ſey aus pedantiſchen Grundſaͤtzen **), nicht
[109] vielmehr aus der herrſchenden Lebensanſicht und Sinnesrich-
tung entſtanden?


Allein auch die Ueberreſte alter Kunſt zeigen, wie jedem
Unbefangenen bey einiger Orientirung einleuchten muß: daß
in der Kunſt des Alterthumes, welche uns Entlegenen wohl
einmal als ein Ganzes, oder Gleichfoͤrmiges erſcheint, welche
wir daher wohl etwas zu allgemein und franzoͤſirt, die An-
tike
, nennen, mehr, als eine Richtung des Geiſtes ſich
ausgedruͤckt; daß ſie durchhin der Spiegel des jedesmaligen
Geiſteslebens, nirgend nackte Anwendung aͤſthetiſcher Prinzi-
pien ſey.


**)


[110]

Vorherrſchend war in der aͤlteſten und ſchoͤnſten Epoche
der ausgebildeten Kunſt des Alterthumes, wie wir nunmehr
faſt urkundlich darthun koͤnnen, jenes unbefangene ſich Hin-
geben in ein geſundes Lebensgefuͤhl, jene Anmuth, welche nur
aus der Unbefangenheit hervorgeht und der Abſicht nimmer
gelingt. Die ernſteren und tieferen Werke dieſer Zeit ſind
freylich fuͤr uns verloren; doch die eine Seite, welche wir
uns noch verſinnlichen koͤnnen, reicht hin, die Uebereinſtim-
mung des kuͤnſtleriſchen Wollens *) jener Zeiten mit dem ge-
**)
[111] ſammten Leben des Volkes an den Tag zu legen. Wie ganz
anders mußte ſich die Kunſt ſchon unter den macedoniſchen
Herrſchern geſtalten. Gewiß trug ſie den Aufdruck jener phan-
taſtiſchen Trunkenheit des Sieges und der Herrſchermacht, jenes
Schwelgens in Ruhm und Genuß, des Erbtheils, welches
Alexander ſeinen Nachfolgern zuruͤckgelaſſen. Deutet doch
Alles, was wir uͤber die Kunſt des macedoniſchen Zeitalters
wiſſen, auf Pracht und Glanz; und im Geleite der Muͤnzen
duͤrften unter den Truͤmmern Roms noch immer Beyſpiele
dieſer Kunſtrichtung (Ueberreſte der Beute des macedoniſchen
Krieges) aufzufinden ſeyn, wenn kuͤnftig einmal, wie Unbe-
fangenheit fuͤr das Kennzeichen aͤchter altgriechiſcher Kunſt, ſo
anſpruchvoll Maͤchtiges fuͤr das Merkmal griechiſch-macedo-
niſcher gelten wird. — In Rom aber, wo das Beduͤrfniß zu
herrſchen aus dem Geiſte des Ordnens und buͤrgerlichen Ge-
ſtaltens hervorging; wo von den aͤlteſten Zeiten, bis auf ſpaͤte
Caͤſarn das Gemeinweſen ſtets mit einer wunderbaren Feyer
und Ruhe aufgetreten, verherrlichte die Kunſt die Wuͤrde des
Staates, die Bedeutung des perſoͤnlichen, oder politiſchen Cha-
rakters. Obwohl hoͤchſt ungriechiſch, ſind die Bildnereyen am
Bogen des Titus, vom Forum Trajans, mit vielem Anderen
bewundernswerth, ja, weil ſie ſo ganz von dem Leben durch-
drungen ſind, aus welchem ſie hervorgegangen, auch wahr-
haft ergreifend.


*)


[112]

Welche nun unter dieſen verſchiedenen Richtungen der
alten Kunſt bezeichnet uns die Lehre, welche Verſchoͤnerung
der Naturform fuͤr den Hauptzweck der Kunſt giebt, als das
allgemeine, durchhin nachahmenswerthe Muſter? So weit meine
Kunde reicht, verweiſt ſie uͤberall, ohne Ruͤckſicht auf die Ver-
ſchiedenheit des Geiſtes der einen und der anderen Epoche,
entweder unter dem Namen, Antike, auf alle Ueberreſte der
alten Kunſt insgeſammt, oder auf einzelne Werke von hoͤchſt
verſchiedenem Geiſt und Zuſchnitt, uͤber deren hoͤheren Kunſt-
werth man uͤbereingekommen iſt.


Indeß ward in den Zwiſchenraͤumen und auf den Sei-
tenwegen jener drey von eigenthuͤmlichem Geiſte beſeelten Kunſt-
epochen des Alterthumes mit groͤßter Unverdroſſenheit fuͤr das
taͤgliche Beduͤrfniß gearbeitet, weiches im Alterthume uͤber
moderne Vorſtellungen ausgedehnt war *). Namentlich zu
Rom
[113]Rom war unter den Kaiſern die Moͤglichkeit entſtanden, die
Launen der Gewalt und des Reichthumes mit erſtaunenswer-
ther Schnelligkeit zu befriedigen. Allerdings duͤrfen wir auch
hierin die hohe, leider nicht umſtaͤndlich bekannte, Ausbildung
der bildneriſchen Technik des Alterthumes bewundern. Allein,
daß dieſe Arbeiten ſaͤmmtlich Werke des Geiſtes geweſen, koͤn-
nen wir ſchon deßhalb nicht annehmen, weil ſie unter den
Zeitgenoſſen keine Achtung erlangt haben. Und wenn es theils,
wie bey den Verzierungen der Villa Hadrians, gewiß, theils
doch wahrſcheinlich iſt, daß die große Ueberzahl zu Rom und
in deſſen Umgebungen, aufgefundener Bildwerke, aus den Werk-
ſtaͤtten roͤmiſcher marmorarii, wie Seneca*) ſie gering-
ſchaͤtzig benennt, hervorgegangen, welche zur lebendigen und
eigenthuͤmlichen Kunſt des Alterthumes etwa in dem Verhaͤlt-
niß ſtehen moͤgen, als die modernen italieniſchen Marmiſten
zu mehr eigenthuͤmlichen Bildnern ihrer Zeit: ſo wird es un-
*)
I. 8
[114] umgaͤnglich ſeyn, den Charakter dieſer untergeordneten Kunſt-
arbeiten zu ermitteln und feſtzuſtellen, damit man ſie uͤberall
mit groͤßter Schaͤrfe von allem Lebendigen und Eigenthuͤmli-
chen abſondern koͤnne.


Unter den Neueren fuͤhlte Mengs*) zuerſt das Be-
duͤrfniß, in den Bildwerken des Alterthumes Originale[s] und
Nachgeahmtes zu unterſcheiden; denn die Wahrnehmung ein-
zelner Maͤngel in den Verhaͤltniſſen, oder in dem Hauptent-
wurf der Formen veranlaßte ihn zu Zweifeln an der Aecht-
heit ſelbſt beruͤhmter Statuen. Maß und Verhaͤltniß, ſogar
die allgemeinſte Andeutung der Formen, koͤnnen indeß, wie
die neueſten Werkſtaͤtten zeigen, in der Bildnerkunſt ſchon durch
geometriſche und mechaniſche Kunſtgriffe in groͤßter Vollkom-
menheit wiederholt werden. Fehler des bloßen Maßes, welche
bisweilen aus dem Standort der Statuen zu erklaͤren ſeyn
duͤrften, werden alſo in dieſem Falle das Urtheil nicht be-
ſtimmen koͤnnen. Allein in der Vollendung der aͤußerſten
Oberflaͤche wird jener dem Copiſten unerreichbare Hauch des
Geiſtes, jener volle Aufdruck kuͤnſtleriſcher Eigenthuͤmlichkeit
ſich ankuͤndigen, an welchem wir, wenn ſolches bey ſo großer
Entlegenheit der Zeiten uͤberall noch moͤglich iſt, in den Sta-
tuen des Alterthumes, eben wie in den Malereyen der Neue-
ren, das Werk des Meiſters, das Original, erkennen ſollen.


Erſcheint nun eben dieſer Hauch des Geiſtes, weil er
nothwendig uͤberall als ein Lebendiges und Wahres ſich an-
kuͤndigt, unſeren aͤſthetiſchen Idealiſten meiſt als ein verdaͤch-
[115] tiges Anzeichen der Individualitaͤt, oder, in ihrem Sinne, des
Nichtidealen *); ſo ſteht zu befuͤrchten, daß ihr Formenideal
nicht ſelten, wenn nicht gar durchhin eben nur aus ſolchen
Uebereinkoͤmmlichkeiten und Allgemeinheiten des Zuſchnitts **)
8 *
[116] menſchlicher Formen entlehnt ſey, deren die Marmiſten vor-
nehmlich des roͤmiſchen Alterthumes zur Vereinfachung ihrer
Gewinn bezweckenden Arbeit bedurften, und welche ſie, wie
ſo unendliche Beiſpiele beweiſen, wirklich in Anwendung geſetzt.


Wenn es demnach bis dahin noch wenig ausgemacht iſt,
ob das Vorbild dieſer Kunſtgelehrten auch wirklich aus den
beſten Leiſtungen des Alterthumes entlehnt ſey; wenn es da-
gegen gewiß iſt, daß ein abſichtliches Unterordnen alles Le-
bendigen und Geiſtigen unter vorgefaßte Geſchmacksanſichten,
der Bildnerey des Alterthumes nicht ohne ſchreyenden Zwang
beygelegt wird: ſo werden wir um ſo weniger einraͤumen duͤr-
fen, daß eine ſolche, weder in ſich ſelbſt, noch hiſtoriſch be-
gruͤndete Formenwahl als Maßſtab des Werthes an neuere
Leiſtungen angelegt werde. Welcher aͤchte Kunſtfreund koͤnnte
ohne Aufwallung jener Zergliederungen Raphaels gedenken *);
welche den groͤßten und ſchoͤnſten Geiſt nach den Eintheilun-
gen eines maͤßig klugen Syſtemes zerſtuͤcken, um die Bruch-
ſtuͤcke alsdann, nach Maßgabe ihrer Annaͤherung an die Vor-
urtheile und Sinnesgewoͤhnungen einer ſelbſt unfruchtbaren
[Geſchmackspartheyung], bald vornehm und herablaſſend zu
billigen, bald abſprechend und bitter zu tadeln? Was denn
wuͤrde wohl den neueren Dichtern uͤbrig bleiben, wenn man
uͤber ihren Werth, oder Unwerth nach dem Maße der Annaͤ-
herung ihres Ausdrucks an griechiſche Anſchaulichkeit und Fuͤlle,
oder an roͤmiſche Schaͤrfe und Gedraͤngtheit, abſprechen wollte?


Als ein allgemeines Vorbild innerer Vollendung, feſten,
unwandelbar durchgefuͤhrten Wollens moͤgen die Alten nie auf-
hoͤren, juͤngere Geſchlechter zum Nacheifer anzuſpornen. Als
[117] ein ſolches haben ſie unſtreitig der glorwuͤrdigen Kunſtepoche,
aus welcher Raphael hervorgegangen, weſentlich genuͤtzt *).
Allein, daß man damals ſchon geſtrebt, in ihre Aeußerlichkei-
ten, in ihre Formen ſich hineinzugießen, iſt eine hiſtoriſche Luͤge,
welche man ſich am Ende ſelbſt geglaubt. Die Schule Ra-
phaels
hat allerdings mancherley Motive, Verzierungen, Be-
kleidungen vornehmlich aus untergeordneten Werken des Al-
terthumes frey ergriffen und in ihr eignes Gebiet uͤbertragen.
Doch von jenen Nachaͤffungen des Habituellen und Aeußerli-
chen der Antike, welche in den letzten 60 Jahren mit ſo vie-
lem Eifer, als geringem Erfolge **) betrieben worden, findet
ſich unter tauſenden von Studien und Handzeichnungen der
raphaeliſchen Zeit auch nicht die geringſte Spur. Raphael
verſchmaͤhte ſogar in der Schule von Athen die Statuen in
den Vertiefungen der Waͤnde zu antikiſiren, was hier vielleicht
aus einem maleriſchen Stylgefuͤhle geſchehn, auf deſſen Grund
ich oben hingedeutet. In der That muͤßte[] ſeine Nachahmung
[118] antiker Formen, wenn er ſie je verſucht haͤtte, ſogar nach dem
Urtheil derer, welche Raphael beſonders darauf angeſehn,
faſt gaͤnzlich mißgluͤckt ſeyn *).


Allein auch abgeſehen von jener Frage, ob die ſo ganz
verſchiedenartigen Leiſtungen des Alterthumes jemals als ein
Gemeinſchaftliches zu betrachten, und als ein Solches nachge-
ahmt werden koͤnnen, duͤrfte es an ſich ſelbſt noch keines-
weges ausgemacht ſeyn, ob es uͤberhaupt moͤglich ſey, durch
Nachahmung von Kunſtwerken Kuͤnſtler zu bilden. Nach den
Erfahrungen und Beobachtungen, welche ich anzuſtellen Gele-
genheit fand, duͤrfte jeder Kuͤnſtler ſeine darſtellenden Formen
ſtets aus der erſten Quelle, aus der Natur ſelbſt zu ſchoͤpfen
haben; duͤrfte er ſogar die mehr aͤußerlichen Fertigkeiten der
Handhabung des Stoffes und der Werkzeuge nur durch Wett-
eifer mit der Erſcheinung des Wirklichen gehoͤrig ausbilden
koͤnnen **). Schon daher wird er ſeine darſtellenden Formen
jedesmal von neuem in der Natur aufſuchen muͤſſen, weil
auch bey jener Staͤtigkeit der Richtung, welche die drey anti-
ken Kunſtepochen und einige Schulen und Abſchnitte der neue-
ren Kunſt auszeichnet, doch immer, theils durch unmerkliche,
durch die Zeit herbeygefuͤhrte Abaͤnderungen in der allgemei-
nen Richtung, theils durch die nothwendige Eigenthuͤmlichkeit
der kuͤnſtleriſchen Anlage jederzeit neue, oder doch abweichende
Beſtrebungen, Foderungen, oder Wuͤnſche herbeygefuͤhrt wer-
den, welche nur in neuen, fruͤher minder, oder gar nicht be-
nutzten Formen der Natur auszudruͤcken ſind. Techniſche Ge-
[119] wandtheit kann aber darum nur im Wetteifer mit den natuͤr-
lichen Erſcheinungen ausgebildet werden, weil die Nachbildung
des ſchon kuͤnſtleriſch Vollendeten verhaͤltnißmaͤßig leichter iſt,
daher das Urtheil unbeſchaͤftigt laͤßt und, wie die Erfahrung
taͤglich zeigt, in mechaniſche Nachbildung der einzelnen Puncte,
Linien und Formen ausſchlaͤgt, in welche das kuͤnſtlich Ge-
machte ſich jederzeit leichter zerlegen laͤßt, als der volle Guß
der Naturgebilde. Aus dieſem Grunde ſind Viele, welche
nach langer Uebung loͤbliche Copien verfertigen, doch unfaͤhig,
ſelbſt die einfachſte Form in irgend eine Kunſtart zu uͤbertra-
gen. Kunſtwerke koͤnnen alſo auf Kuͤnſtler nur in ſo fern
einwirken, als ſie ihnen zunaͤchſt als ein allgemeines Vorbild
erreichbarer Vortrefflichkeit vorſchweben; dann, indem ſie ih-
nen als Muſter der Anordnung, oder des Styles im allge-
meinſten, wie im beſonderen Sinne vorleuchten; endlich, in-
dem ſie ihnen, bey verwandter Richtung, Beyſpiele richtiger,
oder falſcher Auffaſſung wiederkehrlicher Kunſtaufgaben vor-
fuͤhren, welche nach den Umſtaͤnden hierin vor Fehlern war-
nen, oder zum Wahren anleiten.


Es iſt demnach eine unfruchtbare Unterſuchung, ob Ra-
phael
ſich den Alten in aͤußerlichen Dingen angenaͤhert habe;
genuͤgt es doch, daß er ein ganzer Menſch war, der ſein eige-
nes Wollen maͤchtig hindurchgefuͤhrt, ſeinen unendlichen Geiſt,
ſein tiefes Gemuͤth in ſo gediegenen Formen ausgedruͤckt, daß
die Alten ſelbſt, obwohl ſie ganz Anderes gewollt, ihn doch
ſicher fuͤr ihres Gleichen anerkannt haͤtten. Ueberhaupt unter-
ſcheidet ſich ein neuerer Kuͤnſtler von den guten Alten weſent-
lich nur durch Unfaͤhigkeit des Geiſtes, durch Unfruchtbarkeit,
durch Stumpfheit des Gefuͤhls, vornehmlich aber durch jenes
unanſchauliche Gruͤbeln, durch jene Furcht vor Hingebung in
[120] ſinnliche Eindruͤcke, welche das moderne ganz einſeitige Be-
griffsleben ſo leicht auch bey Kuͤnſtlern erzeugt. Unweſentlich
aber iſt die Verſchiedenheit, welche die oͤrtliche und geſchicht-
liche Stellung der Kuͤnſtler nothwendig herbeyfuͤhrt, in welche
ſie nun einmal ſich unumgaͤnglich zu ſchicken haben. Stumpf-
ſinnige Nachahmung, wenn auch des Herrlichſten, was die
Kunſt jemals hervorgebracht, wird uns demnach unter allen
Umſtaͤnden fuͤr den Auswurf und Kehricht der Kunſt gelten
muͤſſen; wie es denn unerhoͤrt iſt, daß Hervorbringungen der
nackten, eines inneren Lebensgeiſtes durchaus entbehrenden Ge-
ſchmacksrichtung, welche practiſch von Mengs ausgegangen,
in den groͤßeren Sammlungen neuerer Meiſterwerke waͤren
aufgenommen worden; daß ſie, auch wo man ihnen aus Na-
tionalſtolz eine Stelle eingeraͤumt, die unmittelbare Naͤhe ſol-
cher Malereyen haͤtten ertragen koͤnnen, welche aus eigenthuͤm-
lichen und belebteren Kunſtſchulen, wenn auch niedriger Rich-
tung, hervorgegangen. Dahingegen wird uns Alles, was in
Bezug auf die Auffaſſung, geiſtreich, belebt, gefuͤhlvoll iſt,
in Bezug auf die Darſtellung der Aufgabe, oder dem eigen-
thuͤmlichen Wollen der einzelnen Kuͤnſtler entſpricht, ſtylge-
maͤß, oder auch nur maleriſch iſt, durchhin mehr und minder
werthvoll zu ſeyn ſcheinen. Wir werden demnach, beſtaͤrkt
durch das Beyſpiel aller wirklichen, thaͤtig eingreifenden Kunſt-
freunde, nicht etwa ein roͤmiſches Originalwerk verwerfen, weil
es kein griechiſches iſt, noch ein Neueres, weil es eben mit
antiken Werken nicht die geringſte aͤußere Aehnlichkeit zeigt.
Vielmehr werden wir anzunehmen gezwungen ſeyn: daß die
ſittliche Anmuth vorraphaeliſcher Italiener, die Treue und Ge-
nuͤglichkeit gleichzeitiger Deutſchen, der umfaſſende Sinn der
Zeitgenoſſenſchaft Raphaels, ſogar die volle Empfindung,
[121] mit welcher die Hollaͤnder im ſiebzehnten Jahrhundert ſich dem
Eindruck des ihnen ſinnlich Vorliegenden hingegeben, ohne
einige Ausnahme fuͤr gute und loͤbliche Richtungen der allge-
meinen Kunſtanlage zu achten ſind. Denn eben, wie ſie nir-
gend dem Sinn und Gefuͤhl gebildeter Kunſtfreunde wider-
ſtreben, eben wie ſie ſogar von den Bekennern ſolcher Syſteme,
in denen ſich fuͤr einzelne dieſer Richtungen kein Raum vor-
gefunden, nicht ohne Inconſequenz doch in der Anwendung
immer gebilligt werden: eben ſo vereinbar ſind ſie ſaͤmmtlich
mit dem allgemeinſten Seyn und Wirken der Kunſt, wenn
wir anders bey der Erklaͤrung, die ich oben vorangeſtellt, be-
harren wollen.


Bildende Kunſt war uns dort: eine eigene und wohl die
angemeſſenſte Form der Darſtellung anſchaulich aufgefaßter
Dinge; die geiſtige Thaͤtigkeit aber, aus welcher die Kunſt
hervorgeht, hatte ich zwar dem abſtracten Denken entgegenge-
ſetzt, doch vermieden, ſie zu zergliedern. Denn auch davon
abgeſehen, daß ich einer ſolchen Unterſuchung mich keineswe-
ges gewachſen fuͤhle, duͤrfte das anſchauliche Denken, oder die
kuͤnſtleriſche Geiſtesart, dem Verſtande mit ſeinen ſcharfen Be-
griffeszangen, mit ſeinen trennenden Meſſern und Scheeren
uͤberhaupt minder zugaͤnglich ſeyn. Gewiß gewaͤhrt die Sprache
nicht einmal ein Wort, welches nur ihren allgemeinſten Be-
griff ganz deckte. Denn Imagination, Phantaſie werden meiſt
als regelloſe untergeordnete Kraͤfte und Thaͤtigkeiten betrach-
tet *); Contemplation und Beſchauung haben einen einſeitig
[122] ernſten Sinn und ſtehn uͤberall unter der Obhut und Leitung
des Begriffes. Das anſchauliche Denken aber, wenn dieſe Be-
griffsverbindung mir zugeſtanden wird, vermag eben ſowohl
ſich in Tiefen zu verſenken, als auf der Oberflaͤche zu ver-
breiten; iſt eben ſowohl der ſtrengſten Folge, als eines mun-
teren Ueberſpringens faͤhig. Dieſe Geiſtesart iſt demnach gleich-
ſam ein zweytes Bild, der Spiegel des geſammten Geiſtes-
lebens; wenn nicht gar das Urſpruͤngliche ſelbſt, wie die aͤl-
teſte Philoſophie und der Umſtand anzudeuten ſcheint, daß alle
ſehr alte, oder durch den Verbrauch nicht gaͤnzlich abgeſchliffene
Sprachen deſſen Aufdruck bewahrt haben.


Doch werde ich einraͤumen muͤſſen, daß dieſe Art, Be-
ziehung, oder Thaͤtigkeit des Geiſtes, wie hoch wir ſie ſtellen
moͤgen, doch in der beſcheidenen Mitte zweyer Extreme liegt,
welche von beiden Seiten, weit uͤber ſie hinausreichen. Denn
dem abſtracten Denken, welches durch folgerechtes Anreihen
aus weſenloſen Formeln uͤberraſchende Ergebniſſe hervorbringt,
vermag die anſchauliche Auffaſſung, wie ich ſchon angedeutet
habe, auf keine Weiſe zu folgen. Eben ſo wenig aber auch
jenem unbeſtimmten Sehnen und Ahnen des Schoͤneren und
Beſſeren *), deſſen im Gefuͤhle ſchwebende, zitternde, unge-
[123] wiſſe Schwingungen alle wirkliche, nicht bloß formelle Reli-
gion beleben und naͤhren.


Daß abſtracte Begriffe, oder Ergebniſſe abſtracten Den-
kens, durch die bekannteren Huͤlfsmittel der Allegorie und Per-
ſonification nur hoͤchſt allgemein und wenig ausfuͤllend ange-
deutet werden; daß die Verſtaͤndlichkeit ſolcher Andeutungen
unter allen Umſtaͤnden eine angemeſſene Vorbereitung des Gei-
ſtes durch den Begriff vorausſetzt, erhellt, wie mir ſcheint, aus
ſich ſelbſt. Weniger indeß duͤrfte es ſogleich dem erſten Blicke
einleuchten, daß Ahnungen eben ſowohl und vielleicht noch un-
gleich entſchiedener außerhalb des Gebietes der kuͤnſtleriſchen
Geiſtesart und außerhalb der Moͤglichkeiten kuͤnſtleriſcher Dar-
ſtellung liegen. Denn Viele nehmen an, daß eben jene un-
beſtimmten Ahnungen, welche das Verderbliche in uns ſo leicht
zum Hochmuth verkehrt, indem es uns veranlaßt, die Natur
in Vergleichung unſerer ſelbſt, der ſo ganz in ihr befangenen,
gering zu ſchaͤtzen, oder zu ſchmaͤhen, zu trefflichen Geſtalten
verkoͤrpert werden koͤnnen; was zu den vielfaͤltigen Verſuchen
gehoͤrt, den eben beleuchteten Idealbegriff der Manieriſten zu
begruͤnden. Solchem indeß muͤſſen wir aus innerer Ueberzeu-
gung entgegenſtellen, daß nur in ſo weit, als es dem allge-
meinen Naturgeiſt gelingen kann, Geiſt und Koͤrper innig zu
vermaͤhlen und durch die Geſtalt an ſich ſelbſt, oder durch
ihre Bewegung, oder auch durch gegenſeitige Beziehungen von
Geſtalten Geiſtiges auszudruͤcken, auch dem Kuͤnſtler die Faͤ-
higkeit beiwohne, Geiſtiges in ſeiner Weiſe aufzufaſſen und
auszudruͤcken.


Naͤhern wir uns den Heroen und Goͤttern der griechi-
ſchen Kunſt nur ohne religioͤſen, oder aͤſthetiſchen Aberglauben,
ſo werden wir in ihnen gewiß nichts wahrnehmen koͤnnen,
[124] was nicht auch innerhalb des allgemeinen Naturlebens ſich
entfaltet haͤtte, oder noch entfalten koͤnnte. Denn Alles, was
in dieſen Geſtaltungen der Kunſt ſelbſt angehoͤrt, iſt Darſtel-
lung menſchlich ſchoͤner Sitte in herrlichen organiſchen Bil-
dungen; was aber darin uͤber die Kunſt hinauszielt, beſteht
in willkuͤhrlicher Andeutung myſtiſcher Begriffe *). Dahin
gehoͤrt ſogar die Vergroͤßerung der natuͤrlichen Ausdehnung
der Geſtalten, das Coloſſale, welches wohl als Zeichen auf
den Verſtand, oder ſinnlich auf die Phantaſie einwirken und
durch dieſe Schauer hervorrufen mag, doch offenbar die innere
Bedeutung der Formen eben ſo wenig veraͤndert, als deren
Verkleinerung, welche ein gewiſſes Streben nach Niedlichkeit
auf ganz verſchiedenen Stufen der Kunſt herbeyzufuͤhren pflegt.


Eben ſo wenig ſollten wir verkennen, daß in Werken der
neueren Kunſt, etwa in den beſeelten Engeln und Heiligen
des Fieſole und ihm verwandter Maler, jene herrlichen Zuͤge
und Mienen eben nur die natuͤrlichen Typen ſind fuͤr Rein-
heit des Wollens, fuͤr Aufhebung des ganzen Daſeyns in
Freudigkeit und Liebe; das Paradieß, die Vorſtellung eines
uͤbernatuͤrlichen Daſeyns und Geſchehens, wird uns auch hier
durch willkuͤhrliche Begriffszeichen, Wolken, Fluͤgel, Glorien
und Aehnliches, in Erinnerung gebracht. — Schoͤn waͤre es
freylich, wenn uns der Maler den Himmel ſelbſt, der Bild-
ner den wirklichen Olymp vor Augen ſtellte, obwohl uns dann
leicht die Erde zu eng werden duͤrfte.


Daß Kuͤnſtler das Goͤttliche ſelbſt nicht darſtellen, daß
ſie ſogar im gluͤcklicheren Falle nur etwa vermoͤge willkuͤhrli-
[125] cher Zeichen daran erinnern koͤnnen, ſcheint nicht minder durch
die Andachtsbilder alter, wie neuerer Zeiten beſtaͤtigt zu wer-
den. Die aͤlteren hoͤlzernen Goͤtzen, deren Schauer Pauſa-
nias
empfand, die ſchwarzen Madonnen, in denen vornehm-
lich in barbariſchen Laͤndern der Chriſtenheit, die unmittelbare
Gegenwart des Goͤttlichen geglaubt und verehrt wird, ſind und
waren jederzeit nichts weniger, als wirkliche und ausgebildete
Kunſtwerke. Dagegen ſcheint die antike Kunſt, in eben dem
Maße, als ſie an Leben und Ausbildung gewonnen, im Menſch-
lichen und Erreichbaren ſich verbreitet, auch jene Schauer des
polytheiſtiſchen Aberglaubens verſcheucht zu haben, deren Ver-
luſt ſo viel politiſche Moraliſten des Alterthumes beklagen.
Und wenn dieſe Wahrnehmungen auf der einen Seite die Ver-
muthung anregen, daß Goͤtzenthum und Polytheismus uͤberall
aus willkuͤhrlichen Bildzeichen entſtanden ſey, deren Sinn ent-
weder im Laufe der Zeit ſich verloren, oder der Menge ſtets
unverſtaͤndlich geblieben; ſo fuͤhren ſie auf der anderen zur
Ueberzeugung: daß aͤchte, nach den Geſetzen und Verwandt-
ſchaften des allgemeinen Naturlebens Sittliches und Geiſti-
ges verſinnlichende Kunſt, weder den chriſtlichen, noch uͤberhaupt
allen rein deiſtiſchen Religionsanſichten jemals Gefahr brin-
gen koͤnne *). Im Gegentheil wird die hoͤchſte Ausbildung
der inneren Verhaͤltniſſe des ſittlichen und religioͤſen Lebens,
welche wenigſtens der naͤhere Zweck aller Religion iſt, vor-
[126] nehmlich nur das Werk der Kunſt ſeyn koͤnnen, da dieſe ein-
leuchtend reicher ausgeruͤſtet iſt, als die Sprache, wenn es
gilt, Reinheit des Willens und innere Heiligung darzuſtellen,
oder auch deſſen Gegenſatz, das entſchieden Boͤſe, oder die
Kaͤmpfe und Uebergaͤnge, durch welche Boͤſes oder Gutes im
menſchlichen Daſeyn Macht gewinnt. Und hierin eben den
hoͤchſten Zweck der Kunſt zu ſetzen, ſtreitet ſicher eben ſo we-
nig gegen die allgemeinen Anſichten der beſten Alten, als, wie
ich ſchon angedeutet habe, gegen die Erfahrungen der alten,
wie der neueren Kunſtgeſchichte. Wie Vieles indeß ſich die-
ſem hoͤchſten Kunſtzwecke an- und unterordnen laſſe, ergiebt
ſich auf den erſten Blick. Das rein ſinnliche Ergoͤtzen am
Schauen, der mittelbar ſinnliche Reiz durch Sichtbares ange-
regter Vorſtellungen, die Laune und Phantaſie, das Gefuͤhl
und der Verſtand, haben ſaͤmmtlich Anſpruͤche auf Befriedi-
gung; und wer haͤtte nicht laͤngſt empfunden, daß die Geſtalt
und das Sichtbare uͤberhaupt bald auf dieſe, bald auf jene
Seite der allgemeinen Empfaͤnglichkeit einwirkt, und waͤhrend
es die eine minder befriedigt, die andere erfreut und hinreißt.
Alſo wird es bey ſo mannichfacher Beziehung der Geſtalt un-
moͤglich ſeyn, genau im Voraus zu beſtimmen, was Alles faͤ-
hig ſey, durch ſeine Geſtalt, oder durch Umſtaͤnde ſeiner Er-
ſcheinung den Sinn befriedigend anzuregen.


Indeß pflegen moderne Kunſtgelehrte, von der Lebhaftig-
keit ihres Antheils hingeriſſen, oftmals, wie unbewußt, den
Standpunkt zu verwechſeln und, ohne ſelbſt zum Malen und
Bilden berufen und vorbereitet zu ſeyn, doch dem Genius vor-
greifen, fuͤhlen, ſehen, ihm vorzeichnen zu wollen, was ihn
durchaus begeiſtern muͤſſe, was er einzig darzuſtellen habe.
Freilich duͤrfte in dem Feuer, mit welchem ſie ihre Wuͤnſche
[127] geltend machen, hie und da ein aͤchtes, nur zufaͤllig nicht nach
Außen entwickeltes Kunſttalent ſich hervordraͤngen wollen;
wuͤrde aber das aͤchte Kunſttalent nicht irgendwo durch ein
eigenthuͤmliches Wollen ſich ankuͤndigen? Wuͤrde es, gleich
unſeren vorzeichnenden Kunſtweiſen, immer nur irgend ein
ſchon Geleiſtetes bald der antiken, bald der modernen Kunſt
vor Augen haben? Und gewiß duͤrfte es unter allen Umſtaͤn-
den den inneren Forderungen der Theorie ungleich angemeſſe-
ner ſeyn, wenn man minder zerſtreut durch das fruchtloſe Ge-
ſchaͤft der Auswahl und Werthbeſtimmung moͤglicher Gegen-
ſtaͤnde der Kunſt, den allgemeinen Begriff des Gegenſtandes,
und deſſen Verhaͤltniß zur Kunſt und zum Kuͤnſtler feſter zu
ſtellen verſuchte, als, ſo weit meine Kunde reicht, in moder-
nen Kunſtlehren geſchehen iſt.


Auffaſſung und Gegenſtand (Subjectives und Objecti-
ves) bezeichnet an ſich ſelbſt ein bloßes Verhaͤltniß von Din-
gen, welche, wie es am Tage liegt, ihre gegenſeitige Stellung
ins Unendliche veraͤndern. Demnach kann in der Kunſt auch
die darſtellende Form, voruͤbergehend ſogar der grobe Stoff,
aus welchem dieſe Form geſtaltet wird, Gegenſtand der Auf-
merkſamkeit und des Nachdenkens ſeyn, mithin, wenn wir nur
nicht verſaͤumen, das Voruͤbergehende dieſes Verhaͤltniſſes be-
merklich zu machen, auch Gegenſtand heißen. Doch, eben wie
in den Werken der Redekuͤnſte nicht die einzelnen Worte und
Perioden, nicht die einzelnen das Ganze herbeifuͤhrenden Ein-
leitungen und Ausfuͤhrungen, Beyſpiele und Einſchaltungen,
ſondern eben nur das Geſammtergebniß, der Hauptzweck jeder
Schrift, ihr Gegenſtand genannt wird; ſo werden wir auch
an Kunſtwerken, weder die einzelnen Geſtalten, noch ihre Theile
den Gegenſtand nennen duͤrfen, ohne uns ſelbſt zu verwirren,
[128] und Anderen unverſtaͤndlich zu werden. In dieſem Sinne
wuͤrde im Bildniß nur der Geſammtzweck, das eigenthuͤmliche
Seyn eines beſtimmten Menſchen zu ſchildern, in Darſtellun-
gen geiſtiger Vorſtellungen eben nur dieſe Vorſtellungen ſelbſt
der eigentliche Gegenſtand des Kunſtwerks ſeyn. Denn wer
im Bildniß ſchon die einzelnen, ihm ſinnlich vorliegenden For-
men, nicht das Ganze, ſo in jenen erſcheint, fuͤr ſeinen eigent-
lichen Gegenſtand haͤlt, wird gemeinen und fachmaͤßigen Bild-
nißmalern gleich ſtehn, welche das Einzelne bloß ſinnlich er-
faſſen und mechaniſch aufreihen; mit welchem Erfolg, erweiſt
ſich aus ihren zahlloſen Sudeleyen, welche Leſſing und an-
dere Moderne verleitet haben werden, das Bildniß an ſich
ſelbſt, theils herab zu ſetzen, theils zu ſchmaͤhen, was ihnen
die Kunſt verzeihen moͤge. Wer aber, eben wie es unſere Ge-
genſtandstheoretiker begehren, in der Darſtellung geiſtiger Vor-
ſtellungen, nicht dieſe ſelbſt, ſondern die Formen, in denen ſie
etwa darzuſtellen, fuͤr den eigentlichen Gegenſtand nimmt, der
wuͤrde, da dieſe ſich erſt aus jenen hervorbilden ſollen — uͤber
die Art und Weiſe haben wir uns ſchon verſtanden — ſogar
den bloßen Formenreiz verfehlen, wenn er jemals die fragliche
Verknuͤpfung einzelner Formen ganz neu hervorbringen ſollte.
Wo es ſchon wahre Kunſtwerke giebt, durch deren mechaniſche
Nachbildung jener leere Anſchein des Weſens hervorzubringen
iſt, welcher dem oberflaͤchlichſten Blicke zu genuͤgen pflegt *),
da
[129] da mag man allerdings uͤber die gaͤnzliche Erfolgloſigkeit einer
ſolchen Umkehrung aller Verhaͤltniſſe voruͤbergehend ſich taͤu-
ſchen koͤnnen.


In jener Kunſtlehre aber, welche, von Leſſing ausge-
hend, eben durch ihre einſeitige Richtung auf Unterſuchung
des Gegenſtandes beſonders veranlaßt waͤre, deſſen Begriff
recht ſcharf und deutlich aufzufaſſen, verſchwimmt der Gegen-
ſtand, in dem Sinne, den ich erklaͤrt, uͤberall mit ihn dar-
ſtellenden Formen, ſogar mit jenen aͤuſſerlichſten Bedingungen
der Darſtellung, welche den bildenden Kuͤnſten durch ihren
Stoff aufgelegt werden. Wir werden indeß alles Umbeſtimmte
und Irrige, ſo hieraus entſtanden, in ſeiner Wurzel abſchnei-
den, wenn es uns anders gelingt, eine Schwaͤche der Darle-
gung aufzudecken, welche die wichtigſte Kunſtſchrift Leſſings,
Laokoon
, bey hoͤchſtem Werthe ihrer abgeriſſenen Andeutun-
gen, doch in Bezug auf die Kunſtlehre eines allgemeinen Re-
ſultates entbehren laͤßt.


Gewiß konnte ein Geiſt, deſſen Verſtandesſchaͤrfe bis da-
hin kaum uͤbertroffen worden, auch uͤber die Kunſt nichts ganz
Gemeines denken, noch von ihr ein durchaus Verwerfliches
*)
I. 9
[130] begehren. Allein da die Entfaltung beſtimmter Geiſtesanlagen,
da die Wahrheit ſelbſt doch immer mehr und wichtiger iſt,
als fromme Verehrung einer großen Perſoͤnlichkeit; ſo duͤrfen
wir uns auch nicht verlaͤugnen, daß Leſſing im Kunſtfache
aller Sachkenntniß entbehrte. Wenn es daher ſchon voraus-
zuſetzen iſt, und kaum der Anmahnung bedarf, daß er, wie
Jeder, welcher einer beſtimmten Sache unkundig, doch in ihr
Einzelnes eingehen will, unumgaͤnglich in der Anwendung
zahlloſe Mißgriffe *) begangen; ſo bringe ich Solches nur
deßhalb in Erinnerung, weil eben jene Unkunde, jene Befrem-
dung des Neulings bey jeglicher, nicht immer wichtigen Er-
ſcheinung des Kunſtlebens, ihn offenbar zerſtreut und von Sol-
chem abgelenkt hat, was ihm in Bezug auf die Kunſt einzig
zu leiſten gegeben war. Auch legte er ſelbſt auf ſeine Kunſt-
ſchriften lange nicht das Gewicht **), als ſpaͤtere Bewunde-
rer; denn es war ihm wohl bewußt, daß ſie uͤberall nur aus
Aufwallungen der Mißbilligung, oder des Widerwillens gegen
beſtimmte Einſeitigkeiten, oder Verkehrtheiten ſeiner Zeitgenoſ-
ſen, durchaus nicht aus einem poſitiven Beruf zur Kunſt ent-
ſtanden waren ***).


[131]

Nach Leſſings Stellung zur Kunſt kommt es demnach
durchaus nicht in Frage, ob er ſelbſt ſeinen Sinn fuͤr Schoͤ-
nes ſehr gluͤcklich ausgebildet hatte, was nach ſeinen hiſtori-
ſchen Beziehungen und techniſchen Vorſchlaͤgen ſich allerdings
bezweifeln laͤßt. Alles, was ihm in Bezug auf die Kunſt zu
leiſten moͤglich war, mußte aus einer ſtrengen Gedankenfolge
hervorgehen. Doch eben hierin entſpricht Laokoon bei wei-
tem nicht der gewohnten Schaͤrfe des Geiſtes, der ihn her-
vorgebracht. Denn ſchon in der erſten Anlage verſchmilzt ihm
der Begriff des Gegenſtandes, welcher, wie wir geſehen, im
allgemeinſten Sinne, und haͤufig Leſſing ſelbſt, der Kunſt-
aufgabe, oder dem Hauptzwecke der einzelnen Kunſtwerke gleich
ſteht, theils mit den aͤuſſerlichſten, durch den rohen Stoff
herbeygefuͤhrten Bedingungen der Darſtellung, theils mit den
einzelnen zur Darſtellung erforderlichen, oder mitwirkenden
Formen. Mit den aͤuſſerlichſten Bedingungen der Darſtellung
vermiſcht er den Gegenſtand ſchon da, wo er den erſten An-
lauf nimmt, ſeine Anſicht etwas methodiſcher zu entwickeln *).
Dort nemlich nennt er Fortſchritt und Weilen (Koͤrper und
Handlung) [eigentliche] Gegenſtaͤnde der einen und der
anderen Kunſt; obwohl es offenbar iſt, daß Fortſchritt in den
bildenden Kuͤnſten, zwar nicht die Form, doch allerdings der
Gegenſtand ihrer Darſtellung ſeyn kann, ſo wie auf der an-
deren Seite in der Poeſie das Weilen ſehr wohl der Gegen-
ſtand, nur nicht die Form ihrer Darſtellung; ſo daß wir nicht
anſtehen koͤnnen, Bewegung und Ruhe, in der Beziehung
***)
9 *
[132] jener Stelle, nicht, wie Leſſing, fuͤr Gegenſtaͤnde zu neh-
men, ſondern einzig fuͤr gewiſſe Bedingungen und Beſchraͤnkt-
heiten der Darſtellungsweiſe, der einen und der anderen Kunſt-
art. Noch gefaͤhrlicher indeß iſt die ſchon beruͤhrte Vermi-
ſchung des Gegenſtandes mit den Formen, die ihn etwa be-
zeichnen und kuͤnſtleriſch darſtellen koͤnnen. Denn eben dieſe
Verwechſelung, welche aus dem Laokoon auf den groͤßten
Theil der aͤſthetiſchen Literatur der nachfolgenden Zeiten uͤber-
gegangen, erzeugte jenes Streben von außen nach ein-
waͤrts
*), welches, da man unvermeidlich bey der Auſſen-
ſeite ſtehen blieb, den modernen Kunſtbeſtrebungen ſo nachthei-
lig geworden. Wo Leſſing aber den Gegenſtand in einiger
Annaͤherung an denjenigen Sinn genommen, den ich oben
erklaͤrt, verſteht er ihn doch nur als eine entfernte Anregung
des Geiſtes, als Motiv, da er dem Kuͤnſtler große Frey-
heit einraͤumt, nach den Foderungen eines vermeintlichen Ge-
ſchmackes damit zu ſchalten. Hierin folgt er indeß einem ver-
breiteten Irrthum, aus welchem in der modernen Kunſtuͤbung
eine gewiſſe Untreue und Schlaffheit der Auffaſſung entſtan-
den iſt, welche dieſe nicht eben vortheilhaft von antiker
Strenge unterſcheidet.


Moͤgen wir indeß den Gegenſtand von den Formen der
Darſtellung abſondern, oder, wie die Schoͤnheitslehrer, ihn
[mit denſelben] vermengen, ſo iſt er doch, wie weit oder eng
wir ihn nehmen wollen, fuͤr Leſſings Zweck, die Hervor-
bringung des Schoͤnen, nimmer von der Bedeutung und Wich-
tigkeit, welche ihm noch immer von Vielen beygelegt wird.
Zerlegen wir nun ein beliebiges Kunſtwerk in Auffaſſung,
[133] Darſtellung und Gegenſtand, ſaͤmmtlich Begriffe, uͤber welche
wir uns bereits verſtanden haben; und vergleichen wir dieſe
drey unerlaͤßlichen Elemente jeglichen Erzeugniſſes der Kunſt
das eine mit dem andern: ſo werden wir ſehen, daß die er-
ſten, die Auffaſſung und Darſtellung, Thaͤtigkeiten ſind; das
dritte aber, der Gegenſtand, in ſeinem Verhaͤltniß zum Kuͤnſt-
ler ein durchaus Leidendes. Hieraus folgt, daß der Gegen-
ſtand unfaͤhig ſey, ſich in Kunſtwerken ohne die Huͤlfe der
Auffaſſung und Darſtellung geltend zu machen. Jede Kunſt-
lehre demnach, welche, weder von der Begeiſterung des Kuͤnſt-
lers, noch von ſeiner Faͤhigkeit darzuſtellen, vielmehr nur von
der Wahl des Gegenſtandes ausgeht, oder gar damit ſich be-
gnuͤgt, den Werth, oder Unwerth der Kunſtgegenſtaͤnde ermit-
teln zu wollen, ergreift ſichtlich die Sache bey ihrem Ende
und bleibt daher unumgaͤnglich ſeicht, unerſchoͤpfend und, in
ſo fern ſie alle Theile der Kunſt in ein falſches Verhaͤltniß
verſetzt, auch durchhin ſchief und verkehrt.


Iſt nun der Gegenſtand unter den Elementen der kuͤnſt-
leriſchen Hervorbringung des Schoͤnen bey weitem das Unwich-
tigſte, iſt es vielmehr nur die Auffaſſung und Darſtellung,
welche in der Kunſt unter allen Umſtaͤnden die Hervorbrin-
gung des Schoͤnen bedingt; ſo wird auch der Grund wegfallen,
welcher die ſogenannte Schoͤnheitstheorie beſtimmt, die Wahl
des Gegenſtandes mit ſo großer Aengſtlichkeit zu bewachen.
Verſuchen wir zu ermitteln, auf welche Weiſe jenes an ſich
ſelbſt ſo menſchliche und billige Verlangen nach Schoͤnem auch
bey weiteſter Ausdehnung des Gebietes kuͤnſtleriſcher Beziehun-
gen noch immer befriedigt werden koͤnne.


[134]

II.
Verhaͤltniß der Kunſt zur Schoͤnheit.


Die Griechen ihrer beſten und gluͤcklichſten Zeit, oder die
Italiener des ſechzehnten Jahrhunderts (alſo eben ſolche Voͤl-
ker und Zeitgenoſſen, deren Geiſteswerke bekanntlich den fein-
ſten und ſicherſten Schoͤnheitsſinn darlegen), begnuͤgten ſich
mit dem allgemeinſten Schoͤnheitsbegriffe und zeigten wenig
Verlangen, ihre Vorſtellungen vom Schoͤnen bis in das Ein-
zelne zu beſtimmen und auszubilden. In entgegengeſetztem
Verhaͤltniß ſcheint das moderne Beſtreben, bald den Begriff
der Schoͤnheit moͤglichſt ſcharf im Verſtande auszubilden, bald
wiederum die ſinnlichen Merkmale des Schoͤnen recht genau
zu beſtimmen, aus einer unbefriedigten Sehnſucht nach Schoͤ-
nem entſtanden zu ſeyn; wenigſtens zeigte es ſich zu keiner
Zeit ſo unverdroſſen, als eben waͤhrend des entſchiedenſten
Einfluſſes der europaͤiſchen Chineſen, der Pariſer, welche, wie
bekannt, den Reifrock, die Friſur und, was ſchlimmer iſt,
verzerrte und gezierte Gebaͤrden erfunden und uͤber die moderne
Welt verbreitet haben.


Allerdings duͤrfen wir befuͤrchten, daß die Vorſtellungen
vom Schoͤnen, von welchen die Schoͤnheitslehrer ſo ungluͤckli-
cher Zeiten ausgegangen, ungeachtet des Bemuͤhens, an Kunſt-
werke des ſchoͤnſten und beſten Alterthumes ſich anzulehnen,
ſich dennoch nicht ſo ganz rein erhalten konnten, weil ſie den
Einwirkungen eines falſchen Zeitgeſchmackes nun einmal bloß
geſtellt waren. Ward doch ſogar Mengs, der auf die beſten
[135] Theoretiker ſeiner Zeit ſtark eingewirkt, eben wie ſpaͤterhin
Canova, bey unlaͤugbarem Streben nach aͤchter Schoͤnheit,
doch von dem Eindruck gezierter Sitten, friſirter Haare und
anderer Wunderlichkeiten dieſer Art ganz offenbar bemeiſtert.
An dieſer Stelle jedoch fragt es ſich nicht ſowohl, ob Leſ-
ſing
, oder Winckelmann, oder noch neuere Goͤnner des
ſogenannten Schoͤnheitsprincip vom Schoͤnen richtige, oder un-
richtige Vorſtellungen erlangt, als vielmehr, ob ſie den Be-
griff der Schoͤnheit in gehoͤriger Allgemeinheit aufgefaßt und
von ſolchen Vorſtellungen frey erhalten haben, die nicht die
allgemeine Eigenſchaft, welche wir Schoͤnheit nennen, ſondern
nur irgend ein beſonderes Schoͤne betreffen. Ich glaube wahr-
zunehmen, daß die neueren Theorien, wenigſtens alle ſolche,
welche die Kunſt naͤher ins Auge faſſen, eben weil ſie ihren
Schoͤnheitsbegriff aus Merkmalen des einzelnen Schoͤnen zu-
ſammenſetzen, denſelben nothwendig nicht ſo rein und ſcharf
auffaſſen, daß man ſagen koͤnnte, jegliches Schoͤne ſey darein
begriffen und jegliches Unſchoͤne davon ausgeſchloſſen. Viel-
leicht wird das Ergebniß ein anderes ſeyn, wenn wir bey
Auffaſſung des Schoͤnheitsbegriffes nicht, wie ſo viele unſerer
Vorgaͤnger, von der Beobachtung des einzelnen Schoͤnen aus-
gehen, vielmehr von der Empfindung ſelbſt, welche uns be-
ſtimmt, ſichtbare Dinge ſchoͤn zu nennen.


Gewiß ſtritte es wider den gemeinen Gebrauch der deut-
ſchen wie jeder anderen Sprache, wollte man ſolche Dinge
ſchoͤn nennen, welche unerfreulich zu ſchauen ſind. Denn ſchoͤn
und, was in anderen Sprachen daſſelbe bedeutet, heißt, ehe
denkende Koͤpfe den Begriff feiner ausſpalten, eben nur Sol-
ches, was den Blick an ſich ſelbſt, oder durch ihn die Seele
vergnuͤgt. Allein zur Verwirrung Aller, welche jemals die
[136] Schoͤnheit zu beleuchten verſucht, iſt die Erregbarkeit und Em-
pfaͤnglichkeit der Menſchen ſo verſchieden, daß ein unbegrenz-
bares Mancherley von Dingen dem gemeinen Sprachgebrauche
ſchoͤn heißt.


Demnach duͤrfte es uns zur naͤheren Begrenzung unſeres
Schoͤnheitsbegriffes behuͤlflich ſeyn, wenn wir uns vorher uͤber
die Menſchengattung vereinbarten, deren Schoͤnheitsſinn, oder
Schoͤnheitsurtheil bey unſerer Unterſuchung einzig in Frage
kommen ſoll. Dem Griechen freylich wuͤrde es ſeltſam genug
ſcheinen, wenn Jemand uͤber Solches, was ihm ſchoͤn hieß,
das Urtheil von Barbaren haͤtte einholen wollen; in den neue-
ren, weltbuͤrgerlichen Zeiten nahm indeß ſogar ein Winckel-
mann
*) auf die Empfindungen von Menſchen Bedacht, welche
in dieſer Beziehung nicht bloß perſoͤnlich, vielmehr auch der
Gattung nach, und wahrſcheinlich unheilbar roh ſind. Um
nun nicht ſogleich und von vorn herein durch eine aͤhnliche
Betrachtung abgelenkt zu werden, wollen wir lieber den Alten
folgen und uns dahin entſcheiden, daß nur die Empfindungen
eines geſunden Geſichtes, nur die Gefuͤhle und Urtheile von
ſittlich edlen und geiſtig faͤhigen Menſchen bey Unterſuchung
der Schoͤnheit uns zur Richtſchnur dienen koͤnnen.


Doch ſelbſt innerhalb dieſer engeren Grenze wuͤrden wir
ſchwerlich der Zerſplitterung entgehen, wenn wir eben nur an
vereinzelten ſchoͤnen Dingen erproben wollten, welchen Ein-
druck ſie vorausſetzlich auf empfaͤngliche und begabte Menſchen
bewirken. Vom Eindruck des einzelnen Schoͤnen werden wir
demnach abſehen muͤſſen, um allgemeinere, durchwaltende Ur-
ſachen, Veranlaſſungen, oder Beweggruͤnde des Wohlgefallens
[137] am Schauen aufzuſuchen, welche, da dieſes Wohlgefallen of-
fenbar, theils ein rein ſinnliches, theils ein gemiſchtes und
mehrdeutiges, theils wiederum ein rein ſittlich-geiſtiges iſt,
nothwendig ſowohl verſchiedene, als auch verſchiedenartige
ſind.


Wir beduͤrfen demnach, wie es vortrefflichen Geiſtern
laͤngſt eingeleuchtet, einer Abtheilung nicht innerhalb des
Schoͤnen, dem wir nun einmal ſeine unuͤberſehliche Mannig-
faltigkeit einraͤumen muͤſſen, vielmehr innerhalb der allgemei-
nen Eigenſchaft, welche wir Schoͤnheit nennen. Dreyfach
theilte ſchon Baco*) die Schoͤnheit ein, obwohl er, da ſein
Antheil an Dingen der Kunſt zu allgemein war, uns die Be-
gruͤndung und naͤhere Entwickelung ſchuldig geblieben. Auch
[138]Schiller*), welcher den dritten, ganz ethiſchen Theil der
Schoͤnheit hoͤchſt meiſterlich durchdacht, unterſcheidet denſelben
mit großer Schaͤrfe, wenigſtens von dem zweyten, den er den
architectoniſchen nennt. Nach ſolchen Vorgaͤngern wage ich,
die Anregungen des Schoͤnheitsgefuͤhles, nach jedesmaliger
Beſchaffenheit des letzteren, in drey durchaus verſchiedene Gat-
tungen zu zerlegen und in Bezug auf deren Art, Beſchaffen-
heit und Verhaͤltniß zur Kunſt eine jede fuͤr ſich allein zu
betrachten.


Die erſte und einleuchtend die niedrigſte umfaßt die
Veranlaſſungen eines bloß ſinnlichen Wohlgefallens am
Schauen **). Dieſe Art der Schoͤnheit, welche ſowohl die
Farbe, als das Helldunkel in ſich einſchließt, koͤnnen wir nicht
bloß im Geiſte abſondern, vielmehr auch nicht ſelten an be-
ſtimmten Dingen fuͤr ſich allein wahrnehmen und beobachten,
da es ſich haͤufig ergiebt, daß Dinge, welche das ſinnliche
Auge befriedigen, doch weder den Geiſt beſchaͤftigen, noch das
Gemuͤth erfreuen; oder daß Dinge, welche letztere Faͤhigkeiten
auf das Hoͤchſte in Anſpruch nehmen, den aͤuſſeren Sinn
mehr und minder verletzen. Auch in der Kunſt erſcheint das
ſinnlich Gefaͤllige nicht ſelten fuͤr ſich allein; woher zu erklaͤ-
ren, daß Neulinge im Kunſtfache, welche meiſt das ſinnlich
Angenehme, dem Geiſtigen und Gemuthenden vorziehen, ganz
andere Kunſtwerke zu lieben und zu ſchaͤtzen pflegen, als
durchgebildete Kenner, die allenfalls uͤber den ſinnlichen Ein-
druck hinwgeſehen, und dagegen manchem ſchmucken und
[139] ſinnlich angenehmen Dinge der inneren Schaalheit wegen ab-
geneigt ſind.


Uebrigens iſt nicht mit Sicherheit anzugeben, worauf
denn eigentlich die ſinnliche Annehmlichkeit ſichtbarer Dinge
beruhe, da jegliches Auge nach Maaßgabe ſeiner Geſundheit
und Scharfſicht verſchieden empfindet, woher der richtige, ob-
wohl einzig auf dieſe niedrigſte Stufe der Schoͤnheit anwendbare
Gemeinſpruch entſtanden: daß uͤber den Geſchmack nichts ent-
ſchieden werden koͤnne. In Bezug auf dieſe rein [ſinnliche] An-
nehmlichkeit, welche wir vorausſetzlich von dem ſinnlichen
Reize anſchaulich angeregter Vorſtellungen des Geiſtes (z. B.
vom Ueppigen und Wohlluͤſtigen) zu unterſcheiden wiſſen,
muͤſſen wir uns allerdings damit begnuͤgen, daß es, wie einen
mittleren Zuſtand des Auges, ſo auch eine mittlere Beſchaf-
fenheit des Anſchaulichen geben muß, welche gleichweit von
buttriger Weiche und ſchneidender Haͤrte entfernt, wenigſtens
die Mehrzahl geſunder Geſichtsſinnen befriedigen wird. Dieſe
Art der Schoͤnheit nimmt in den anſichtlichen Dingen etwa
dieſelbe Stelle ein, als in der Muſik der einzelne Ton, deſſen
verhaͤltnißmaͤßige Reinheit, wie ſehr ſie immer den Geſammt-
eindruck befoͤrdern mag, doch an und fuͤr ſich unbezweifelt ein
rein ſinnliches Wohlgefallen hervorbringt. Auch an den Pflan-
zenformen kann ſie beobachtet werden, deren Eindruck noth-
wendig frey iſt von ſittlichen Nebenvorſtellungen, welche in
den animaliſchen Formen den reinſinnlichen Eindruck durch-
kreuzen. Der Feldkuͤmmel *) z. B., deſſen ſchoͤne Bluͤthen-
formen, deſſen zierlich ausgeſchaͤrfte Blaͤtter in der Naͤhe be-
trachtet Bewunderung erregen, iſt mir in meinen laͤndlichen
[140] Luſtwegen und Anlagen ſtets ein eben ſo unwillkommener Gaſt,
als die ungleich geſtaltloſere Neſſel. Dagegen erfreut mich
der Farren, ja ſelbſt, wenn nicht im Uebermaaß, die ſaftige
Klette. Ich erklaͤre mir dieſe Wirkung aus der groͤßeren
Deutlichkeit und Schaͤrfe der Geſammterſcheinung der letzten,
der bleichen Farbe, der duͤnnen, unweſenhaften, ſchlaffen Er-
ſcheinung der erſten. Denn es iſt mir deutlich bewußt, daß
hier keine geheime Wahlverwandtſchaft, kein Vorurtheil, ſon-
dern der bloße Sinneseindruck mich veranlaßt, die eine Pflanze
mit Luſt, die andere mit Widerwillen wahrzunehmen. Dahin
gehoͤrt nicht minder der unwiderſtehliche Reiz, den edle Ge-
ſteine auch fuͤr Solche haben, welche ſicher nicht durch den
Wunſch ſie zu beſitzen, alſo auch nicht durch den Begriff ih-
res relativen Werthes beſtimmt werden, ſie zu bewundern.
Es iſt, wie ein unvergleichlicher Beobachter andeutet *), die
Tiefe und Reinheit der Farbe, die Hoͤhe des Glanzes, welche
im Edelſteine den Geſichtsſinn erfuͤllt und durchwaͤrmt und
den rein ſinnlichen Schoͤnheitseindruck zu einer ungewoͤhnlichen
Hoͤhe ſteigert.


Die zweyte Art der Schoͤnheit beruhet auf beſtimmten
Verhaͤltniſſen und Fuͤgungen von Formen und Linien, welche
auf eine unerklaͤrte und dunkle Weiſe, doch der Wirkung nach
ganz ſicher und ausgemacht, nicht etwa bloß das Geſicht an-
genehm anregen, vielmehr die geſammte Lebensthaͤtigkeit er-
greifen und die Seele nothwendig in die gluͤcklichſte Stim-
mung verſetzen. Dieſe Art der Schoͤnheit ſcheint, gleich der
muſikaliſchen Harmonie, in der allgemeinen Weltordnung ihr
[141] Gegenbild zu haben; doch wird es unmoͤglich ſeyn, das Geſetz,
nach welchem ſie entſtehet und wirkt, jemals etwa eben ſo
deutlich zu erkennen und darzulegen, als laͤngſt ſchon das Ver-
haͤltniß und die Folge der Toͤne erkannt und beſtimmt worden
iſt. Denn Toͤne ſind bey weitem geeigneter, abgeſondert auf-
gefaßt und betrachtet zu werden, als Formen und Linien,
weßhalb wir es dahin geſtellt ſeyn laſſen, ob die grade, oder
die gebogene Linie, die gewoͤlbte, oder die kantige Form die
ſchoͤnere ſey; was Manche beſchaͤftigt hat, obwohl nach der
Analogie der Muſik anzunehmen iſt, daß keine Linie, oder
Form an ſich ſelbſt, vielmehr nur in beſtimmten Verbindun-
gen, Reihen und Verhaͤltniſſen jene gleichſam muſikaliſche *)
Schoͤnheit hervorbringt.


Da es nun vornehmlich in der Baukunſt am Tage liegt,
daß beſtimmte raͤumliche Verhaͤltniſſe ſchon an und fuͤr ſich
uͤber die Seele eine unwiderſtehliche Gewalt ausuͤben, ſo nannte
Schiller dieſe Schoͤnheit die architectoniſche; wie wir denn
auch im gemeinen Leben die Verhaͤltniſſe des menſchlichen,
oder anderer belebter Koͤrper, mit demſelben Gleichniß den
Bau zu nennen pflegen. Doch ſcheint mir dieſes Bild, weil
es von einem Kuͤnſtlichen und Abgeleiteten entlehnt iſt, nur
wenig geeignet, eine urſpruͤngliche Schoͤnheit zu bezeichnen;
und ungleich ſchoͤner gewiß erklaͤrten ſich viele Alten in um-
gekehrter Richtung die Verhaͤltniſſe der Baukunſt eben aus
den Verhaͤltniſſen natuͤrlicher und belebter Koͤrper. Denn auch
bey Menſchen, wie es dem naturſinnigen Griechen ſo deutlich
war, kann uns das bloße Ebenmaaß ihrer Zuͤge gleichſam
[142] bezaubern, ſo daß wir durch dieſes oft uͤber ihren ſittlichen
Unwerth verblendet werden, und dagegen bey auffallendem
Mißverhaͤltniß der Theile eines Geſichtes mit einiger Muͤhe uns
in ſolche Zuͤge deſſelben hineindenken, in denen eine edle Seele,
oder ein thaͤtiger Geiſt ſich ausdruͤckt. Die Benennung,
Schoͤnheit des Maßes, welche ich vorſchlage, duͤrfte daher
freyer von Nebenbeziehungen und weit umfaſſender ſeyn, als
jene andere.


Dieſe zweyte Schoͤnheit *), wie es ſcheint, die eigent-
liche Schoͤnheit der Griechen **), iſt uͤbrigens nicht mehr, wie
[143] jenes bloß ſinnlich Wohlgefaͤllige, nach Maaßgabe der Em-
pfaͤnglichkeit der Einzelnen, bald dieſe, bald jene, ſondern ſtets
und unwandelbar dieſelbe. Allerdings giebt es Menſchen,
welche dieſe Schoͤnheit nicht empfinden, entweder weil ihr
Sinn fuͤr ſolche noch ſchlummert, oder weil Vorbegriffe und
Verſtandesgrillen ihn verſchließen. Doch wird die Gleichguͤl-
tigkeit der erſten erweckt und angeregt, das Vorurtheil, oder
die falſche Gewoͤhnung der anderen beſiegt werden koͤnnen,
eben weil dieſe Schoͤnheit nach allgemeinen Naturgeſetzen wirkt,
gegen welche die Einzelnen wohl aus Laune, oder Stumpfſinn
ſich eine Weile verſchlieſſen moͤgen, deren Herrſchaft indeß ſie
auf die Laͤnge nothgedrungen werden anerkennen muͤſſen *).
Bewirkte doch die lebendige Beredſamkeit Winckelmanns
**)
[144] inmitten der Schnoͤrkel und Fratzen des achtzehnten Jahrhun-
derts eine unaufhaltſame Umwaͤlzung des Geſchmackes, welche
nur deshalb ſo ſpaͤt auf die Thaͤtigkeit der Kunſt zuruͤckgewirkt,
weil man ungleich fruͤher das Schoͤne der Kunſt als das Ge-
heimniß ſeiner Hervorbringung wieder aufgefunden hatte.


Die dritte, und fuͤr ſittliche und erkennende Weſen un-
laͤugbar die wichtigſte, Schoͤnheit beruhet aber auf jener ge-
gebenen, in der Natur, nicht in menſchlicher Willkuͤhr, ge-
gruͤndeten Symbolik der Formen, durch welche dieſe in be-
ſtimmten Verbindungen zu Merkmalen und Zeichen gedeihen,
bey deren Anblick wir uns nothwendig theils beſtimmter Vor-
ſtellungen und Begriffe erinnern, theils auch beſtimmter in
uns ſchlummernder Gefuͤhle bewußt werden. Vermoͤge dieſer
Eigenſchaft erwecken die Formen, ganz unabhaͤngig, ſowohl
vom ſinnlichen Wohlgefaͤlligen, als von der eben beruͤhrten
Schoͤnheit des Maßes, ein gewiſſes ſittlich-geiſtiges Wohlge-
fallen, welches theils aus der Erfreulichkeit der eben angereg-
ten Vorſtellungen hervorgeht, theils auch gradehin aus dem
Vergnuͤgen, welches ſchon die bloße Thaͤtigkeit eines deutlichen
Erkennens unfehlbar nach ſich zieht.


Den Grund der Erfreulichkeit von Vorſtellungen, die
Sichtbares im Geiſte anregt, werden wir vorausſetzen und
uͤbergehen duͤrfen, da dieſe Abtheilung innerhalb der Schoͤn-
heit laͤngſt ſchon mit dem beſten Erfolge unterſucht und be-
leuchtet worden; vielleicht, weil ſie den Schriftſtellern zugaͤng-
licher war, als Solches, ſo einzig der Geſtalt und ihrer Er-
ſcheinung angehoͤrt, mithin nur den kuͤnſtleriſch gebildeten See-
len genuͤgend deutlich wird. Das Erfreuliche aber, welches
ſchon in der nackten Deutlichkeit der Erſcheinung liegt, hatte
in dem Kreislauf neuerer Theorieen das Schickſal, bald viel
zu
[145] zu hoch geſtellt, bald wiederum von der Schoͤnheit ausgeſchloſ-
ſen und der Kunſt unterſagt zu werden. Leſſing*) verwarf
es aus Conſequenz oder Zufall; daher wohl ſeine, keiner Er-
wiederung beduͤrfenden, Ausfaͤlle gegen das Bildniß und die
Landſchaft **). Seine Nachfolger indeß haben, bey reiferer
Ausbildung des Kunſtſinnes, ſowohl am Bildniß, wie an der
Landſchaft Behagen gefunden, ja ſogar anatomiſchen und an-
deren etwas roh und fluͤchtig behandelten Studien großer
Meiſter ihre Bewunderung nicht verſagt, mithin factiſch ein-
geſtanden, daß ſchon die bloße Schaͤrfe und Deutlichkeit der
Charakteriſtik den Sinn vergnuͤgen koͤnne, daß ſolche mithin
fuͤr ſich ſelbſt eine Abart der dritten ſymboliſch-ethiſchen Schoͤn-
heit bilden muͤſſe. Denn eine eigene Art der Schoͤnheit iſt ſie
freilich eben ſo wenig, als ſie jemals das ausgeſonderte Ziel
irgend einer Kunſtrichtung geweſen.


Bis dahin haben wir die Schoͤnheit an ſich ſelbſt, und
ohne ausſchließliche Beziehung auf die Kunſt, unterſucht, und,
wie ich glaube, gefunden: daß Schoͤnheit im allgemeinſten,
I. 10
[146] und wenn man ſo will, im modernen Verſtande, alle Eigen-
ſchaften der Dinge in ſich begreift, welche entweder, den Ge-
ſichtsſinn befriedigend anregen, oder durch ihn die Seele
ſtimmen und den Geiſt erfreuen; daß aber eben dieſe Eigen-
ſchaften in drey durchaus verſchiedene Arten zerfallen, deren
eine nur auf das ſinnliche Auge, deren andere nur auf den
eigenen, vorausſetzlich dem Menſchen eingebornen, Sinn fuͤr
raͤumliche Verhaͤltniſſe, deren dritte zunaͤchſt auf den Verſtand
wirkt, dann erſt durch die Erkenntniß auch auf das Gefuͤhl.


Wo nun alle Arten der Schoͤnheit in einem Gegenſtande,
gleich wie in ihrem Brennpuncte, ſich vereinigen, ein Fall,
der ſchon den ſchoͤngeſinnten Alten mehr wuͤnſchenswerth, als
durchhin erreichbar zu ſeyn ſchien, da wuͤrde ohne Zweifel ein
ausnehmend Schoͤnes entſtehen. In den ſichtbaren Dingen
pflegt indeß bald die eine, bald die andere Schoͤnheit vorzu-
herrſchen, oft ſogar die uͤbrigen durchaus zu verdraͤngen; da-
her iſt es ſchon fuͤr die Auffaſſung und fuͤr den Genuß des
Schoͤnen von großem Vortheil, in jeglichem Schoͤnen die ſol-
chem eben beywohnende Art der Schoͤnheit deutlich zu erken-
nen, und dieſe von anderen genau zu unterſcheiden. Denn
wollten wir etwa, gleich den aͤſthetiſchen Neulingen, da, wo
eben nur ſinnliche Annehmlichkeiten vorhanden, zugleich auch
die Anregung edler und erhebender Vorſtellungen des Geiſtes
begehren, oder bey dieſen letzteren wiederum nach ſinnlichem
Reize geluͤſten, ſo wuͤrden wir uns durch ein fruchtloſes Seh-
nen gewiß um gegenwaͤrtige Freude bringen. Freilich wird
ein geſunder, von Vorbegriffen unbeſtochener, Sinn wohl auch
ohne jene Begriffsſpaltung das Schoͤne empfinden und genie-
ßen lernen; und es iſt daher vornehmlich nur fuͤr die Kunſt-
lehre, und in ſo fern dieſe auf die Ausuͤbung der Kunſt ein-
[147] wirkt, auch fuͤr die letztere von Wichtigkeit, die ſinnliche An-
nehmlichkeit von der Schoͤnheit des Maßes, und beide wieder-
um von der Schoͤnheit mittelbar durch die Geſtalt im Geiſte
angeregter Vorſtellungen zu unterſcheiden.


Im juͤngſt verfloſſenen Menſchenalter beherrſchten zwey
große Namen, Leſſing und Winkelmann, die Anſicht,
die Lehre, ja gewiſſermaßen ſelbſt die Ausuͤbung der Kunſt;
beide redeten auf ihre Weiſe der Schoͤnheit das Wort, gewiß
in edler Geſinnung und Abſicht. Uns ſcheint die Schoͤnheit
in der Kunſt, wie im Leben, nicht weniger wuͤnſchenswerth,
wie jenen; doch ungewiß, ob ſie die Schoͤnheit erkannt, oder
die Hervorbringung des Schoͤnen weſentlich gefoͤrdert haben.


Gewiß war Winkelmanns Auffaſſung des einzelnen
Schoͤnen hoͤchſt ſinnvoll, ſeine Darſtellung deſſelben von uner-
reichbarer Anſchaulichkeit, von hinreißendem Feuer. Doch eben
weil er, unbefriedigt von ſeinem Anfluge myſtiſcher Schoͤn-
heitsanſichten, im Durchſchnitt eben nur von der Beobachtung
des einzelnen Schoͤnen ſich zum Begriffe der Schoͤnheit ſelbſt
zu erheben ſuchte, gelangte er nie dahin, die Schoͤnheit des
Begriffes vom Schoͤnen der Anſchauung zu unterſcheiden *).
10 *
[148] Seine Arten der Schoͤnheit ſind wirklich eben nur Vorſtellun-
gen von beſtimmten Arten des Schoͤnen, wie etwa des Kraͤf-
tigen, des Zarten, des Edeln, des Anmuthigen. Er wirkte
daher zwar auf der einen Seite vortheilhaft, indem er dem
Sinne ſeiner Zeitgenoſſen die Richtung auf wahrhaft Schoͤnes
gab; auf der andern aber auch nachtheilig, indem er die Mei-
nung verbreitete, daß eben dieſes einzelne, in ſich abgeſchloſ-
ſene, Schoͤne einen Maßſtab fuͤr die Beurtheilung, eine Richt-
ſchnur fuͤr die Hervorbringung eines jeglichen Schoͤnen ent-
halte. Doch wie einestheils kein einzelnes Schoͤne jemals die
Allgemeinheit des Schoͤnheitsbegriffes ſelbſt gleichſam verkoͤr-
pern kann; wie es ſtets ſein eigenes Maaß beſitzt, und nicht
wohl nach anderen, gleich eigenthuͤmlichen, alſo verſchiedenen,
Entfaltungen der Schoͤnheit zu beurtheilen, oder gar zuſam-
menzuſetzen iſt; ſo ſollte anderntheils die Erfahrung ſelbſt
ſchwaͤchere Denker laͤngſt belehrt haben, daß in der Kunſt das
Schoͤne einzig das Werk lebhafter Begeiſterung iſt, dieſe aber
durch nichts mehr gelaͤhmt wird, als durch platte, mechani-
ſche Nachahmung, welche doch der einzige Weg iſt, auf wel-
chem ein ſchon vorhandenes Einzelne wiederholt und auf ge-
wiſſe Weiſe verdoppelt werden kann, wenn ſolches nun ein-
mal durchaus geſchehen ſollte.


Die Schoͤnheitsbeſtimmungen aber, welche Leſſing auf
Winkelmanns Bahn, doch mit unendlich geringerer Sach-
kenntniß, und beinahe ohne alles eigene Gefuͤhl des Schoͤnen,
*)
[149] verſucht hat, ſind ohne Nachwirkung verhallt. Man erinnert
ſich nur im Allgemeinen, daß er der Kunſt die Darſtellung
des Schoͤnen empfohlen, und begnuͤgt ſich, ſolches zu billigen
oder zu beſtreiten. Allein die Frage, ob die Kunſt nur das
Schoͤne darſtellen ſolle, iſt nicht ſo rund und kurz zu beant-
worten, wie ſolche Kunſtlehrer dafuͤr halten, welche durch
ſtarrſinniges Beharren auf dem bloßen Namen der Schoͤnheit
ſchon ein Großes zu leiſten glauben. Denn, wenn anders
die Eintheilung der Schoͤnheit, welche wir eben verſucht ha-
ben, in ſich richtig iſt: ſo wird eine jede der bezeichneten Ar-
ten oder Gattungen der Schoͤnheit zur Kunſt ihr eigenes Ver-
haͤltniß einnehmen, welches wir, jedes fuͤr ſich, unterſuchen
muͤſſen, ehe wir entſcheiden koͤnnen, in wie fern Schoͤnheit
des Gegenſtandes die Schoͤnheit von Kunſtwerken bedingt.


Das rein ſinnliche Wohlgefallen am Schauen, welches
wir vorausſetzlich von dem Reize, oder von der Ueppigkeit
durch ſichtbare Dinge im Geiſte angeregter Vorſtellungen, zu
unterſcheiden wiſſen, beruhet nun, wie wir uns entſinnen, auf
gewiſſen Wirkungen des Licht- und Farbenwechſels, welche
geſunde und wohlgeuͤbte Augen weniger weich und ſchmelzend
zu lieben pflegen, als krankhafte; weniger grell und abſtechend,
als rohe und ungebildete. Wollten wir nun pruͤfen, ob die
bildenden Kuͤnſte nur ſolche Gegenſtaͤnde der ſinnlichen An-
ſchauung nachahmen duͤrfen, welche im Leben, oder außerhalb
der Kunſt, ein rein ſinnliches Wohlgefallen am Schauen her-
vor bringen; ſo ſetzt ſich dieſem die Erfahrung entgegen, daß
nicht jeder Gegenſtand, der an ſich ſelbſt gefaͤllig anzuſehen, in
Kunſtwerke aufgenommen, einen gleich gefaͤlligen Eindruck be-
wirkt. Da nemlich das aͤußere, ſinnliche Anſehen von Kunſt-
werken, wie ich zum Theil beim Style gezeigt habe, und,
[150] wenn es hier nicht zu weit ablenkte, auch am ſogenannten
Maleriſchen der Niederlaͤnder nachweiſen koͤnnte, bey weitem
mehr durch den rohen Kunſtſtoff und durch deſſen Anwendung
und Behandlung bedingt wird, als durch die Beſchaffenheit
der wirklichen Formen, welche darin zu irgend einem Kunſt-
zwecke nachgebildet worden: ſo fragt es ſich in dieſer Bezie-
hung nicht ſowohl, ob Gegenſtaͤnde der ſinnlichen Anſchauung
an ſich ſelbſt gut in die Augen fallen, als vielmehr, ob ſie
innerhalb der Grenzen der jedesmal zur Hand liegenden Kunſt-
art bequem, leicht erfaßlich, mithin gefaͤllig koͤnnen ausge-
druͤckt werden. Bey der Wahl und Nachbildung von Gegen-
ſtaͤnden der ſinnlichen Anſchauung kommt es demnach nicht
ſowohl auf deren ſelbſtſtaͤndige Schoͤnheit an, als einzig auf
ihre Darſtellbarkeit; im Kunſtwerke ſelbſt wird aber das gute
oder uͤble Anſehen ſo gewaͤhlter Gegenſtaͤnde der Nachbildung
das Ergebniß der techniſchen Vortheile ſeyn, oder des Kunſt-,
nicht des Natur-Geſchmackes, den der jedesmalige Kuͤnſtler
ſich anzueignen das Gluͤck und die Faͤhigkeit beſeſſen. Aller-
dings nun wird der Kuͤnſtler bemuͤht ſeyn muͤſſen, ſolche Vor-
theile oder einen ſolchen Geſchmack ſich anzueignen, damit er
den aͤußeren Sinn nicht verletze, der unter allen Umſtaͤnden
den erſten Eindruck ſeines Werkes aufnimmt, ehe er ihn hoͤ-
heren Lebensthaͤtigkeiten uͤberliefert. Doch moͤge er ſich nicht
verſprechen, jemals in dieſer Beziehung Allen gleichmaͤßig ge-
recht zu werden, weil die Empfaͤnglichkeit des Auges auch un-
ter den geſund und ſcharf Sehenden verſchieden iſt, weshalb
er, ſchon um die erſte Bedingung aller bloß ſinnlichen Wohl-
gefaͤlligkeit, die Uebereinſtimmung der Arbeit, nicht etwa durch
Schwanken zu verfehlen, durchaus ſeinem eigenen Sinne nach-
gehen muß. Iſt nun dieſe erſte und niedrigſte Schoͤnheit in
[151] Kunſtwerken abhaͤngig von Eigenthuͤmlichkeiten des Geſichtes
der einzelnen Kuͤnſtler, ſo mag es wohl moͤglich ſeyn, eben
dieſen Sinn durch Beiſpiel und practiſche Anleitung um etwas
ſchneller zu entwickeln, doch ſchwerlich, ihn nach allgemeinen
Regeln zu leiten. Jede Schoͤnheitslehre demnach, welche, gleich der
Aeſthetik der hollaͤndiſch-franzoͤſiſchen Epoche, aus dem Sinn-
lich-Wohlgefaͤlligen einzelner Werke der Kunſt die Regel aller
Wohlgefaͤlligkeit derſelben Art zu entwickeln verſucht, oder gar
ſich vermißt, ſolche Einſeitigkeiten, gleich als ergaͤben ſie ein
allgemeines Schoͤnheitsgeſetz, der Kunſt aufzudraͤngen, treibt
doch, mit dem mildeſten Ausdruck, nur ein muͤßiges Spiel
des Witzes.


Allein ſchon ungleich umfaſſender und gleichmaͤßiger, als
dieſe, iſt jene zweite Art der Schoͤnheit, welche auf beſtimm-
ten Verhaͤltniſſen von Formen und Linien beruht. Denn,
weil dieſelbe nicht mehr, wie jene niedrigere, von der Stim-
mung und Empfaͤnglichkeit des einzelnen Daſeyns abhaͤngig
iſt, vielmehr nach allgemeineren, die geſammte Natur beherr-
ſchenden, Geſetzen entſteht und wirkt; ſo wird ſie auch gleich-
maͤßiger begehrt und empfunden; ſo kann die Empfaͤnglichkeit
fuͤr ſie ſelbſt da, wo ſie etwa durch falſche Gewoͤhnungen,
oder durch Verſtandesgrillen waͤre verbildet worden, doch im-
mer noch durch Beobachtung, Vergleichung und Nachdenken
geheilt werden. Wenn nun der Kuͤnſtler in dieſer Beziehung
einestheils eine weit verbreitete Empfaͤnglichkeit vorfindet, an-
derntheils ſeinen etwa ſchlummernden oder abgelenkten Sinn
fuͤr Harmonie raͤumlicher Verhaͤltniſſe in ſich ſelbſt gleichſam
wieder aufwecken kann; ſo folgt, daß er auf alle Weiſe, ſo-
wohl faͤhig ſey, als Bedacht nehmen muͤſſe, ſeinen Werken
dieſe Schoͤnheit beyzulegen.


[152]

Indeß, wie wir ſolche auch in der Wirklichkeit nur in-
nerhalb der Grenzen in ſich abgeſchloſſener Erſcheinungen auf-
faſſen; wie wir ſie, etwa bei einem menſchlichen Antlitz, nicht
durch Vergleichung mit einem andern, noch durch Ausſonde-
rung der einzelnen Theile, vielmehr nur in dem Verhaͤltniß
aller Theile unter ſich, wie zum Ganzen, aufſuchen werden:
ſo ergiebt ſie ſich auch in Kunſtwerken nicht aus der Wohl-
geſtalt der einzelnen Theile, ſondern einzig aus ihrem Ge-
ſammtverhaͤltniß. Wo dieſes mangelhaft iſt, da hilft die
Wohlgeſtalt der Theile nicht aus, wie ſolches unter anderen
die hiſtoriſchen Gemaͤlde der Zeiten des Mengs und David,
ſo wie nicht minder gar viele Bauwerke der Neueren ins Licht
ſetzen. Denn, obwohl in den erſten viele einzelne Theile gu-
ten Modellen und ſchoͤnen alten Statuͤen, in den anderen
Saͤulen und Gebaͤlke den alten Bauwerken mit großer Ge-
ſchicklichkeit nachgemacht ſind, ſo erſcheinen ſie doch von eben
jener raͤumlichen Harmonie, von der hier die Rede, durchaus
entbloͤßt, was uͤbrigens ihrem aͤchten Verdienſte nicht etwa
im Lichte ſtehen ſoll. Wenn nun auf dieſer Seite ſchoͤne
Theile fuͤr ſich allein nicht hinreichen, in Kunſtwerken die
Schoͤnheit des Ebenmaßes hervorzubringen, ſo wird letztere
andererſeits nicht ſelten, gleichwie in der Muſik, gerade durch
weniger ſchoͤne, und ſogar durch unſchoͤne Theile zur Vollen-
dung gebracht, wie denkenden Kuͤnſtlern gar wohl bekannt iſt.
Wird aber die Schoͤnheit der Eurythmie in Kunſtwerken nicht
ſowohl durch die ſelbſtſtaͤndige Schoͤnheit der einzelnen Geſtal-
ten und Linien, welche Kunſtwerke zur Erſcheinung bringen,
als vielmehr durch ihre Anordnung, Vertheilung und Stel-
lung bewirkt; ſo entſteht offenbar auch dieſe nicht, wie Einige
annehmen, ſchon aus der eigenen Wohlgeſtalt von Gegenſtaͤn-
[153] den der kuͤnſtleriſchen Nachbildung oder Darſtellung, ſondern
einzig aus ſolchen Griffen und Vortheilen der Darſtellung
ſelbſt, welche ich in der vorangehenden Unterſuchung dem
Stylbegriffe beygeſellt. Demnach muͤßten wir den bekannten
Ausſpruch: der Kuͤnſtler duͤrfe nur das Schoͤne darſtellen,
wenn wir ihn, in Bezug auf die erſte und zweyte Art der
Schoͤnheit, etwa zugeben wollten, doch vorher dahin uͤberſez-
zen: daß der Kuͤnſtler ſchoͤn oder mit Schoͤnheit darſtellen
ſolle, was allerdings ihm zu empfehlen iſt.


Wenn nun die Darſtellung unlaͤugbar die Gewalt beſitzt,
Schoͤnheiten der erſten und zweyten Art hervor zu bringen,
oder die entſprechenden Unſchoͤnheiten innerhalb der abgeſchloſ-
ſenen Erſcheinung von Kunſtwerken vollſtaͤndig auszugleichen;
wenn dagegen, was ſittlich und geiſtig widerwaͤrtig iſt, durch
keine menſchliche Gewalt geſchminkt und beſchoͤnigt werden
kann, ſo ſcheint es auf den erſten Blick, als haͤtten wir nun-
mehr den Punkt getroffen, wo es wirklich auf Schoͤnheit des
Gegenſtandes der Darſtellung ankommt. Indeß iſt das ſitt-
lich und geiſtig Erfreuliche auf der einen Seite nicht eben das
ausgeſonderte Augenmerk der ſogenannten Schoͤnheitstheorie;
auf der anderen aber iſt die [Kunſt] auch hier keinesweges auf
Gegenſtaͤnde zu beſchraͤnken, welche, abgeſehen von der kuͤnſt-
leriſchen Auffaſſung und Darſtellung, oder ſchon an ſich ſelbſt
erfreulich ſind.


Daß den Goͤnnern der Schoͤnheitslehre keinesweges ſchon
durch ſittlich und geiſtig Erfreuliches genuͤgt werde, zeigt, was
man in Goͤthe’s Leben in Bezug auf Leſſings Stiftung
ausgeſprochen findet; dieſes nemlich: der Dichter duͤrfe auch
das Bedeutende, der Kuͤnſtler nur das Schoͤne darſtellen.
Koͤnnte das Bedeutende, welches hier dem Schoͤnen entgegen-
[154] ſteht, ſo viel ſagen wollen, als Andeutung von Begriffen
durch willkuͤhrliche Zeichen, ſo wuͤrden wir jenem Satze, we-
nigſtens innerhalb gewiſſer Bedingungen, beyſtimmen duͤrfen.
Nach der ganzen Verbindung ſteht es indeß, wenigſtens dem
Anſchein nach, fuͤr jegliches den Geiſt Beſchaͤftigende, oder das
Gemuͤth Erfreuende, ſobald ſolches nicht zugleich ein ſinnliches
Wohlgefallen hervorbringt, oder auch jenen tiefer begruͤndeten
Sinn fuͤr raͤumliche Verhaͤltniſſe befriedigt. Nun haben wir
uns ſo eben daruͤber verſtaͤndigt, daß dieſe mehr aͤußerlichen
Arten der Schoͤnheit in Kunſtwerken nicht ſowohl aus dem
Gegenſtande, als vielmehr aus der Darſtellung hervorgehen.
Wir werden demnach, wenn dieſe einmal auf gutem Wege iſt,
nicht weiter darum zu ſorgen brauchen. Sichert uns aber
ſchon die Darſtellung, und gewiſſermaßen ſie allein, die Schoͤn-
heiten der erſten und zweyten Art; ſo wird, dieſen ganz un-
beſchadet, Jegliches, deſſen Vorſtellung edle und wohlgebildete
Seelen erfreut, oder thaͤtige, lebenvolle Geiſter in Anſpruch
nimmt, in Kunſtwerke aufzunehmen oder zum Gegenſtande
kuͤnſtleriſcher Darſtellungen zu waͤhlen ſeyn.


Wenn nun ſchon dieſer Schluß viele der beſchraͤnkenden,
den hervorbringenden Geiſt ganz nutzlos laͤhmenden, Wirkun-
gen der Schoͤnheitslehre uͤber den Haufen wirft; ſo wird es
doch noͤthig ſeyn, noch einen Schritt weiter vorzugehen, und die
Behauptung daran zu ſchließen: daß eben, wie das ſinnlich
Mißfaͤllige und raͤumlich ſich Mißverhaltende durch ſchoͤne
Darſtellung aͤußerlich ſchoͤn wird, ſo auch das geiſtig und ſitt-
lich Unerfreuliche durch treffliche Auffaſſung in Kunſtwerken zu
einem Ergoͤtzlichen und Anziehenden ſich umgeſtalte. Dieſe
Umwandlung wird indeß nicht, wie Leſſing an einigen Stel-
[155] len des Laokoon vorſchlaͤgt *), durch eine gewiſſe Halbheit des
Eingehens, oder durch ein unvermeidlich widriges Schminken
und Beſchoͤnigen des Unerfreulichen hervorgebracht; vielmehr
nur, indem der Kuͤnſtler, nach den Umſtaͤnden, durch leichten
Spott oder bitteren Ernſt den Geſichtspunct feſtſtellt, aus wel-
chem ſein Gegenſtand uͤberhaupt aufzufaſſen, und wirklich von
ihm ſelbſt erfaßt worden iſt. Erinnern wir uns hier eines
ſchlagenden Beyſpiels, der Silenen und Faunen des Alterthu-
mes, in denen Schoͤnheiten der Technik und des Styles die
(nach griechiſchem Maße) unſchoͤne Bildung des Leibes auf-
heben, ſo wie ein anmuthiges Schwanken der Auffaſſung von
tiefſinnigem Ernſt zu leichtem Scherz in dieſen Darſtellungen
die Niedrigkeit fauniſcher Neigungen nie unliebenswerth, oft
hoͤchſt bedeutend erſcheinen laͤßt. Ueberhaupt ſpiegelt ſich, nach
den Geſetzen eben jener natuͤrlichen Symbolik der Form, wel-
[156] che die dritte und hoͤchſte Art der Schoͤnheit hervorbringt, in
jedem Kunſtwerke, neben dem eigentlichen Gegenſtande der
Auffaſſung und Darſtellung, auch der Sinn und Geiſt des
Kuͤnſtlers, der ihn erfaßt und dargeſtellt *). Und es duͤrfte
ſchwer ſeyn, zu entſcheiden, was beym ethiſchen Gefallen an
Kunſtwerken den Ausſchlag giebt, ob der Eindruck des Ge-
genſtandes der Darſtellung, oder umgekehrt, der Eindruck des
Geiſtes, in dem er aufgefaßt worden. Alſo wird [] das
bekannte Schoͤnheitsprincip, auch in Bezug auf dieſe dritte
und hoͤchſte Art der Schoͤnheit, umzuſtellen ſeyn, ſo daß wir
auch hier, anſtatt: der Kuͤnſtler duͤrfe nur das geiſtig und
ſittlich Erfreuliche darſtellen, vielmehr ſagen muͤſſen: der Kuͤnſt-
ler ſolle ſelbſt ſittlich und geiſtreich ſeyn, oder mit anderen
Worten: er ſolle ſelbſt ſchoͤn denken.


Doch bin ich weit davon entfernt, gleichſam aus Para-
doxie das Schoͤne des Gegenſtandes herabzuſetzen, welches den
Kuͤnſtler in den meiſten Faͤllen unwiderſtehlich ergreifen und
wahrhaft begeiſtern wird, und, wo es gehoͤrig aufgefaßt und
dargeſtellt worden, auch den Kunſtfreund nothwendig beſonders
befriedigen muß. Nur dieſes wuͤnſchte ich darzulegen: daß
Schoͤnheit des Gegenſtandes nur unter gewiſſen, nicht durch-
hin zu bemeiſternden, Bedingungen die Schoͤnheit von Kunſt-
werken befoͤrdern; waͤhrend andererſeits Alles, was ſchoͤn ge-
macht iſt, nothwendig ſchoͤn in das ſinnliche Auge faͤllt; waͤh-
rend, was ſchoͤn im Raume vertheilt (von richtigem Style)
iſt, den Sinn fuͤr Schoͤnheit des Maßes unumgaͤnglich befrie-
digen wird; wie endlich, was auf irgend eine Weiſe, vom
[157] ſittlich Erhabenen, oder Gemuͤthlichen und Zarten, bis zum
Phantaſtiſchen und Muthwilligen, ſchoͤn im Geiſte des Kuͤnſt-
lers erfaßt iſt, nothwendig das ſittliche Gefuͤhl befriedigen,
den Geiſt erfreuen muß.


Durch dieſe Sichtung und endliche Umſtellung eines von
Vielen fuͤr unfehlbar gehaltenen Lehrſatzes, wird denn, wie
Unbefangenen einleuchten muß, die Schoͤnheit ſelbſt keineswe-
ges gefaͤhrdet, vielmehr wird ſie hierdurch gerade gegen die
hemmenden und durchkreuzenden Wirkungen einer minder er-
ſchoͤpfenden Theorie verwahrt, was allerdings wohl noͤthig iſt.
Denn, obwohl Viele noch immer durch Vorliebe fuͤr eigene
oder fuͤr die Werke befreundeter Zeitgenoſſen uͤber das eigent-
liche Ergebniß der Anwendung jener vorgeblichen Schoͤnheits-
lehre getaͤuſcht werden, ſo hat doch die Erfahrung eines gan-
zen Menſchenalters bewaͤhrt, daß ſie weder eine bemerkliche
Erhebung des Geiſtes bewirkt, noch zu ſchoͤner Darſtellung an-
leitet, alſo die allgemeinſten und unerlaͤßlichſten Bedingungen
aller Schoͤnheit von Kunſtwerken ſowohl unbeachtet, als un-
erfuͤllt laͤßt.


III.
Betrachtungen uͤber den Urſprung der
neueren Kunſt.


Unter den mancherley Entgegenſtellungen, welche der
Scharfſinn erfindet, und die Oberflaͤchlichkeit von den Verhaͤlt-
niſſen, auf welche ſie ſich allein beziehen, auf die Dinge an
[158] ſich ſelbſt uͤbertraͤgt, ward jene weitbekannte, welche antike
und moderne, helleniſche und romantiſche, oder, wie man auch
wohl ſagt, heidniſche und chriſtliche Kunſt im ſchaͤrfſten Ge-
genſatze denkt, eine laͤngere Zeit hindurch uͤberall mit beſonde-
rer Gunſt aufgenommen. Dieſer Gegenſatz betrifft indeß, in
ſo fern er begruͤndet iſt, nur etwa die Wendung und Bezie-
hung, nimmer das ganze Weſen der Kunſt, welches uͤberall
nur Eines iſt. Und, wenn es Niemand befremdet, Niemand
neu iſt, daß die geſchichtlichen Urkunden, die geheime, wie die
practiſche Weisheit der neuen Weltreligion in den Begriffen
und Redeformen der claſſiſchen Sprachen niedergelegt worden,
ſo wird es keinen Anſtoß geben koͤnnen, wenn ich behaupte,
daß nicht minder auch die fruͤheſten Verſuche einer bildneriſch-
maleriſchen Darſtellung chriſtlicher Ideen nicht in eigenen und
durchaus neuen, vielmehr eine laͤngere Zeit hindurch eben nur
in den uͤberlieferten Kunſtformen des Alterthumes ſich beweg-
ten, im Style nemlich und in der Technik des Alterthumes;
die darſtellenden Formen veraͤndern ſich vorausſetzlich nach den
Forderungen des Gegenſtandes.


Dieſe allgemeineren Kunſtformen waren allerdings den
griechiſchen, wie den roͤmiſchen Kuͤnſtlern ſchon laͤngſt minder
gelaͤufig worden, als Umſtaͤnde zuerſt geſtatteten, ſie mit ei-
nigem Aufwand an Koſten und Arbeit auf chriſtliche Gegen-
ſtaͤnde zu verwenden. Unſere aͤlteſten Denkmale chriſtlicher
Kunſt gehoͤren, wenn wir Zweifelhaftes an die Seite ſtellen,
dem vierten Jahrhundert nach Chriſtus *). Schon gegen
[159] Ende des zweyten war indeß die roͤmiſch-antike Kunſt in al-
lem, was ihre Technik angeht, ſo weit geſunken, als an
den beiden Boͤgen des Septimius Severus zu Tage liegt.
Wir werden demnach bei den altchriſtlichen Denkmalen nicht
ſowohl auf Kenntniß und Gewandtheit im Einzelnen, als viel-
mehr auf den Entwurf des Ganzen, die Abſicht, den Styl
und Aehnliches zu merken haben, und an denſelben nur etwa
die Macht einer neuen Begeiſterung bewundern koͤnnen, welche
noch ſo ſpaͤt, und bei ſo viel tieferem Verfalle der buͤrgerli-
chen Wohlfahrt, dennoch vermochte, ſowohl die letzten Anſtren-
gungen heidniſcher Kunſt zu uͤbertreffen, als auch der neuen
Wendung der Kunſt fuͤr alle Zukunft die Bahn vorzuzeichnen,
welche ſie unter guͤnſtigeren Umſtaͤnden durchmeſſen ſollte.


Die fruͤheſten Kunſtverſuche der Chriſten gewaͤhren alſo
durchaus nicht den erhebenden Anblick einer [gemaͤhlich], doch
ununterbrochen und ſicher fortſchreitenden Entwickelung, gleich
jener der altgriechiſchen Kunſt, oder auch gleich jener anderen,
vom Wiederaufleben des Geiſtes im dreyzehnten Jahrhundert
bis auf das Zeitalter Raphaels. Sie gleichen vielmehr jener
ſpaͤten Abendroͤthe, welche oftmals nach ſtuͤrmiſchen Tagen
eintritt, und, obwohl nach einer langen und dunkeln Nacht,
*)
[160] doch endlich einen heiteren Morgen verſpricht. Denn, indem
ſie dem tiefſten Verfalle der alten Bildung angehoͤren, ſchlie-
ßen ſie doch zugleich den Anbeginn, Urſprung und erſten Le-
benskeim der neueren Kunſt in ſich ein. Da wir ſie nun
eben nur aus dem letzteren Geſichtspuncte zu betrachten haben,
ſo duͤrfen wir in vorliegender Unterſuchung jenen unaufhalt-
ſamen Ruͤckſchritt im Gebrauche aller Vortheile der Darſtel-
lung als bekannt vorausſetzen, ohne den Leſer durch die An-
fuͤhrung einzelner Unvollkommenheiten zu ermuͤden.


Ueberhaupt beſteht, was den altchriſtlichen Denkmalen
fuͤr neuere Kuͤnſtler Werth und Bedeutung giebt, keinesweges
in aͤußerer Vollendung und durchgaͤngiger Vorbildlichkeit, ſon-
dern eben nur in Solchem, was jeglicher Kunſtrichtung den
Ruͤckblick auf ihre Incunabeln unumgaͤnglich macht. Schon
auf den fruͤheſten Stufen nemlich verkuͤndet ſich ſtets, als
Vorbedeutung einer lebenskraͤftigen Entwickelung, die vorwal-
tende Anſchauung, die alles beherrſchende Geſinnung beſtimm-
ter Kunſtepochen, oder, wenn wir uns eines Stichwortes der
modernen Kunſtſprache bedienen ſollen, die Idee; ich ſage,
daß ſie ſich ankuͤndigt; denn ich bin weit davon entfernt, de-
nen beyzupflichten, welche das geiſtige Leben beſtimmter Kunſt-
epochen auf deren fruͤheſten Stufen, theils beſonders rein und
gehoben, theils auch wohl uͤberall nur dort erblicken wollen.
Wie es haͤufig bey etwas paradoxen Behauptungen eintritt
(welche deshalb gewoͤhnlich von Einigen unbedingt verworfen,
von Anderen mit Jubel aufgenommen werden), ſo ſcheint auch
hier der Irrthum nicht im Grundgedanken, ſondern in deſſen
Ausbildung und Anwendung zu liegen. Denn obwohl es eine
laͤcherliche Willkuͤhrlichkeit iſt, eben da eine beſondere Klarheit
des Bewußtſeyns, eine beſondere Tiefe der Anſchauung anzu-
neh-
[161] nehmen, wo die Mittel des Ausdrucks oder der Darſtellung
ſo unzulaͤnglich ſind, daß, wenn auch Gutes; doch immer nur
Beſchraͤnktes darin zur Anſchauung zu bringen iſt; ſo enthal-
ten doch eben dieſe geſtaltloſen Anfaͤnge meiſt ſchon den ein-
fachen Grundton der Gemuͤthsſtimmung, den erſten Anſtoß
der Geiſtesrichtung, welche irgend eine Kunſtepoche beherrſcht
und zur Einheit bringt, welche der ſpaͤtere Kuͤnſiler ebendaher
feſthalten ſoll, doch in der That, unter den [zerſtreuender] An-
regungen vorgeruͤckter Kunſtſtufen, nur hoͤchſt muͤhſam feſthaͤlt.
Wo es nun dem geuͤbten und ausgebildeten Kuͤnſtler darauf
ankommt, ſeine Seele zu ſammeln, ſich, inmitten vielfaͤltiger
Eindruͤcke und verbreiteter Studien, des Allgemeinen in ſeinem
Streben wiederum deutlich bewußt zu werden, da gewaͤhren
ihm unſtreitig eben die Werke ſeiner fruͤheſten Vorgaͤnger große
Huͤlfe, weil der Grundgedanke ſeines eigenen Geiſteslebens
hier im einfachſten Zuſtande vorhanden, und um ſo bequemer
auszuſondern und fuͤr ſich ſelbſt zu erfaſſen iſt, als die Form
der Darſtellung nur nothduͤrftig dem Geforderten entſpricht,
mithin nicht etwa durch uͤberſchwellende Fuͤlle zerſtreuet und
abzieht. Dem Kuͤnſtler alſo wird das Alterthum ſeiner Rich-
tung allerdings wohl einmal als das Geiſtigſte und Reinſte
der Kunſt erſcheinen koͤnnen; was waͤre aber der kuͤnſtleriſche,
was der menſchliche Geiſt uͤberhaupt, wenn es wahr ſeyn
ſollte, daß die urſpruͤngliche Lebenskraft jeglichen Keimes in
der Entwickelung verloren gehe! Gewiß werden nur die
Traͤumer aller Art in einer grauſigen Embryonenwelt, wie
dieſe, welche ſie ſich ſelbſt erſchaffen, ihre Beruhigung und
Freude finden koͤnnen *).


I. 11
[162]

Schon die Kunſt der alten Griechen verdankte die Unbe-
ſcholtenheit ihres Styles der unausgeſetzten Beachtung und
vernuͤnftig bedingten Nachahmung ihrer eigenen Incunabeln;
ſo wie dieſe ſelbſt eben jenes Verdienſt gewiß nicht ohne die
Einwirkung fremder Schule oder fremder Vorbilder erworben
haben, da auch der vorkuͤnſtleriſchen und willkuͤhrlich ſymboli-
ſchen Bildnerey der aͤlteſten Voͤlker, wenn auch die weſentli-
cheren Eigenſchaften der Kunſt, doch gewiß der Styl nicht
wohl abzuſprechen iſt. Nach demſelben Geſetze entſtand der
Styl der neueren Bildner und Maler in den fruͤheſten Kunſt-
verſuchen der Chriſten, zunaͤchſt aus dem Style der Kuͤnſtler
des claſſiſchen Alterthumes, dann aus den altchriſtlichen, durch
mancherley Mittelglieder wiederum der Styl der Italiener des
vierzehnten Jahrhunderts; ſo daß man von Hand zu Hand
bis in Raphaels geruͤhmteſte Werke verfolgen kann, wie be-
ſtimmte Gewohnheiten der Anordnung und Zuſammenſtellung,
ſo ſchon in den herben, ſogar den mehrſeitigen Kunſtfreund
noch ſchreckenden Bildern des vierten bis ſechsten Jahrhun-
derts vorkommen, doch ſelbſt dem groͤßten Kuͤnſtler der Neue-
ren noch fuͤr belehrend und beſtimmend galten. In der That
moͤchte der Sinn, wie die Gewohnheit einer harmoniſchen
Anordnung der Theile, wie anderentheils die einfache, gerade,
und eben daher allein richtige Auffaſſung in ſich beſchloſſener
Kunſtaufgaben, auf der breiten und luftigen Hoͤhe der Kunſt
nicht wohl anders zu erlangen und feſtzuhalten ſeyn, als durch
*)
[163] jene fromme Beachtung der ungelehrteren, einfaͤltigen Vorgaͤn-
ger, welche die altgriechiſche, und ſelbſt den beſſeren Abſchnitt
der neueren Kunſt ſo lange Zeit vor den Ausweichungen und
Zerſplitterungen moderner Genieſucht bewahrt hat.


Freilich nun wird der moderne Kuͤnſtler nie darauf zaͤh-
len duͤrfen, daß die Denkmale des chriſtlichen Alterthumes ihm
in den ausgefuͤhrten Beziehungen gleichſam Alles in Allem
leiſten. Denn einmal koͤnnen ſie dem Beduͤrfniß derer, welche
in der Auffaſſung und Darſtellung chriſtlicher Kunſtaufgaben
dem Herkommen ſich anſchließen moͤchten, ſchon deshalb nicht
ſo ganz genuͤgen, weil die Denkmale bisher durch Vernachlaͤſ-
ſigung oder Neuerungsſucht unſaͤglich verringert und verduͤnnet
worden ſind, mithin uͤberall nur Bruchſtuͤcke darbieten. Dann
aber war der Geſichtskreis jener aͤlteſten Kuͤnſtler der neueren
Geſchichte, theils aus noch obwaltender religioͤſer Befangen-
heit, theils ſelbſt aus Armuth und Erſchlaffung des Geiſtes,
den nothwendigen Begleitern verſinkender Reiche, unlaͤugbar
zu beſchraͤnkt, als daß man erwarten duͤrfte, durch ihre Werke
uͤber Alles und Jegliches belehrt zu werden, was neueren
Kuͤnſtlern zur Aufgabe dient. Sie enthalten alſo nur etwa
die allgemeinſten Grundzuͤge der neueren Kunſt; in dieſe aber
mit Nachdenken einzugehen, duͤrfte bey ſo großer Verbreitung
und zerſtreuenden Mannigfaltigkeit der Beziehung, als unſeren
Zeiten nun einmal verliehen iſt, dem modernen Kuͤnſtler ge-
wiß nicht bloß erſprießlich, vielmehr auch ganz unumgaͤng-
lich ſeyn *).


11 *
[164]

Auf zweyen, zwar verſchiedenen, doch vereinbaren We-
gen kann der Kuͤnſtler darlegen, was ſeine Seele bewegt:
durch Andeutung und Darſtellung. Das Angedeutete erfordert,
um verſtaͤndlich zu ſeyn, daß die Begriffe und Gedanken,
welche es bezielt, im Geiſte des Beſchauenden ſchon ausgebil-
det vorhanden ſeyen; das Dargeſtellte aber kann auch ganz
Neues und noch Unbekanntes offenbaren, da es nicht nach
*)
[165] willkuͤhrlichen Vereinbarungen, ſondern nach allgemeinen Ge-
ſetzen und nothwendigen Analogien dem Sinne unwiderſtehlich
ſich aufdraͤngt. Es ſcheint, daß die Chriſten der fruͤheſten
Zeit die leichtere, genau genommen, ganz unkuͤnſtleriſche An-
deutung der Darſtellung vorzogen. Denn, obwohl die Denk-
male des einen, wie des anderen Kunſtweges der Zeit nach
ſich durchkreuzen, ſo tragen doch ſolche, welche bloß Allegorieen
und willkuͤhrliche Symbole enthalten, das Gepraͤge der Ab-
kunft aus einem hoͤheren Alterthume, wie ſie denn ſelbſt, was
hier entſcheidend zu ſeyn ſcheint, auch uͤberall die ſeltneren ſind.


Unter dieſen halte ich die Wandmalereyen der Gruͤfte des
heil. Calixtus, welche zur Zeit des Boſius aufgedeckt und
von ihm in Abbildungen herausgegeben worden *), fuͤr beſon-
ders bemerkenswerth. Die Abbildungen werden wenigſtens ſo
treu ſeyn, als ſolche, die wir noch mit ihren Urbildern ver-
gleichen koͤnnen. Was darin unſtreitig zuverlaͤſſig, beſteht in
der Vertheilung des Raumes auf Weiſe antiker Wandmale-
reyen, und in der Bezeichnung chriſtlicher Vorſtellungen durch
mythiſche Charactere und Handlungen, welche jenen, wenn
auch nur entfernt, verwandt ſind. An anderen Denkmalen,
deren Erfindung den Ausdruck etwas ſpaͤterer Zeiten traͤgt, an
den muſiviſchen Deckengemaͤlden der Kirche Sta. Conſtanza
bey Rom, an der großen Graburne von Porphyr, gegenwaͤr-
[166] tig im Pio-Clementino, ſind bacchiſche Symbole verwendet,
deren Beziehung nahe liegt *). Doch verloren ſich dieſe, viel-
leicht bedenklichen, gewiß etwas weit hergeholten mythiſchen
Allegorieen ſehr fruͤh, und nur in den Beywerken, uͤbrigens
rein chriſtlicher Darſtellungen, erhielten ſich bis in das ſpaͤtere
Mittelalter einige, hier ſchon nicht mehr auf Chriſtliches ge-
deutete, Symbole der alten Welt, aus welchen, bey allgemei-
nem Wiederaufleben des Geiſtes, die moderne Anwendung der
Allegorie ſich mag entwickelt haben.


So findet ſich in verſchiedenen Elfenbeinſchnitzwerken des
neunten bis eilften Jahrhunderts, welche ich ſpaͤterhin naͤher
anzeigen werde, in der Darſtellung des Gekreuzigten der auf-
gehende Mond, die untergehende Sonne durch die bekannten
Perſonificationen des Alterthums angedeutet. Auf gleiche
Weiſe erſcheinen die Staͤdte und Fluͤſſe nach altgriechiſcher Art
perſonificirt in einer anziehenden Pergamentrolle der Vaticana,
auf deren einer Seite die Hauptereigniſſe des Buches Joſua **)
ſehr leicht und mit maleriſchem Geiſte in Acquarellfarben ge-
zeichnet, und hie und da etwas aufgehoͤht ſind. Dieſe Rolle
indeß gehoͤrt, wiewohl die Schrift des Textes ſchon ziemlich
curſiv, alſo verhaͤltnißmaͤßig neu iſt, doch der Erfindung nach
ganz offenbar zu den aͤlteſten Denkmalen chriſtlicher Kunſt.
[167] Ihre Malereyen ſind unſtreitig copirt; denn in den Gelenken,
in den Haͤnden und Fuͤßen zeigt ſich derſelbe Mangel an Ein-
ſicht, der in den griechiſch-mittelalterlichen Malereyen uͤberall
vorkommt; allein in dem Geiſte der Erfindung, in den Trach-
ten und Bewaffnungen, ſteht ſie dem claſſiſchen Alterthume
ſo nahe, daß mir unter den altchriſtlichen Denkmalen durch-
aus nichts vorgekommen iſt, was, kuͤnſtleriſch betrachtet, gleich
trefflich waͤre. An einer Stelle, wo Beſiegte vor dem Seſſel
des Feldherrn um Gnade flehen, draͤngt ſich die Vermuthung
unwiderſtehlich auf, daß dem erſten Erfinder irgend ein Achill,
ein Alexander oder ein anderer Kriegesfuͤrſt des Alterthumes
vorgeſchwebt, in welchem menſchliches Mitleid und kriegeriſche
Strenge um die Oberhand kaͤmpfen.


Der groͤßte Theil indeß alles deſſen, was in den alt-
chriſtlichen Denkmalen mehr in das Gebiet der Andeutung
faͤllt, als in jenes andere der aͤcht kuͤnſtleriſchen Darſtellung,
iſt geradehin aus chriſtlichen Erinnerungen, Gebraͤuchen und
Vorſtellungen entſtanden. Unter dieſen wird uns freilich nur
Solches betreffen, was auf irgend eine Weiſe in die Kunſt
hinuͤbergreift; alle, oder doch die meiſten außerkuͤnſtleriſchen
Symbole der Chriſten, ſind ohnehin erſt vor Kurzem mit
großer Sorgfalt in einer belehrenden Monographie verei-
nigt worden *).


Unter den Allegorieen, welche auf Gleichniſſe und bedeu-
tendere Vorgaͤnge der Schrift gegruͤndet worden, iſt der gute
[168] Hirt leichtlich die aͤlteſte. Denn obwohl unter ſo vielen, wel-
che ich geſehen, nur eine Statue des guten Hirten — zur lin-
ken des Einganges in das chriſtliche Muſeum der Vaticana
— einiges techniſche Kunſtverdienſt beſitzt, ſo duͤrfen wir doch
aus dem guten Anſehen dieſes einzigen Werkes auf ein ziem-
lich hohes Alterthum der Vorſtellung ſchließen. Freilich wur-
den noch in ſehr ſpaͤter Zeit, in der Mitte des vierten Jahr-
hunderts, ſehr loͤbliche Bildnereyen verfertigt, welche der be-
merkten Statue durchaus nicht nachſtehen. Durch Boſius
iſt die Graburne des Junius Baſſus bekannt, welche ich in
den Gewoͤlben der Peterskirche zu Rom verſchiedentlich mit
Intereſſe betrachtet habe; dieſe faͤllt nach der Inſchrift, die
keine aͤußere Spur von Verfaͤlſchung zeigt *), in die Mitte
des vierten Jahrhunderts; und der Arbeit nach duͤrfte die um
etwas ſchoͤnere Graburne unter einem Altare der Franciscaner-
kirche zu Perugia, nur um Weniges aͤlter ſeyn. Vieles jedoch,
[169] was der Sinn wohl wahrnimmt, doch die Sprache nimmer
ausdruͤckt, entſcheidet mich zu glauben, daß jene Statue in
noch aͤlterer Zeit gebildet worden; denn ſicher zeigt ſie, bey
gleichem oder geringerem Kunſtgeſchicke, doch ein feineres Ge-
fuͤhl fuͤr die Bedeutung der Geſichtsformen *); ſo wie endlich
die Vorſtellung an ſich ſelbſt ſo ſehr im Geiſte der antiken
Kunſt zu ſeyn ſcheint, daß ich, auch abgeſehen von der er-
waͤhnten Figur, nicht anſtehen wuͤrde, ihre erſte Auffaſſung
ſehr fruͤhen Zeiten des Chriſtenthums beizulegen. Ueberhaupt
halte ich, unter rein chriſtlichen Allegorieen, ſolche fuͤr die aͤl-
teren, welche ſich auf bibliſche Gleichniſſe ſtuͤtzen; die bibliſch-
geſchichtlichen aber durchhin fuͤr die neueren. Unter den letz-
ten ſind bekanntlich die Anſpielungen auf die Wiedergeburt,
der Prophet Jonas, die Erweckung des Lazarus, die Ver-
wandlung des Weines und aͤhnliche bey weitem die gewoͤhn-
lichſten. Es wundert mich, daß die Denkmale, an denen ſie
vorkommen, groͤßtentheils von der roheſten Arbeit ſind. Viel-
leicht glaubte man, es genuͤge, den Gedanken nur anzudeu-
[170] ten; vielleicht auch ſank die Kunſt zu Rom, nachdem der Hof
nach Ravenna gezogen; wahrſcheinlich indeß ward die Bildne-
rey durch das neu erwachende Intereſſe an maleriſchen, vor-
nehmlich muſiviſchen Darſtellungen, fuͤr den Augenblick zu-
ruͤck gedraͤngt.


Die hohe techniſche Ausbildung, welche die Muſivmale-
rey ſchon im claſſiſchen Alterthume erlangt hatte, laͤßt vermu-
then, daß die Maler chriſtlicher Gegenſtaͤnde ſchon fruͤh ſich
dieſer Kunſtart bedient haben; und nicht minder, daß die fruͤ-
heſten Verſuche techniſch auch die beſten waren. In ſo weit,
als das beſchaͤdigte und ſtark wieder hergeſtellte Chriſtusprofil
im chriſtlichen Muſeo der Vaticana hiſtoriſchen Glauben ver-
dient, ſcheint es zu den aͤlteſten Beyſpielen ſeiner Art zu ge-
hoͤren, und mehr Geſchicklichkeit und mehr Kenntniß der na-
tuͤrlichen Typen zu verrathen, als der groͤßere Theil der zu
Rom und Ravenna erhaltenen Kirchenzierden derſelben Kunſt-
art. Indeß ward die muſiviſche Malerey erſt um das fuͤnfte
Jahrhundert durch Errichtung prachtvoller Baſiliken beguͤnſtigt,
deren viele zu Rom und Ravenna bis auf unſere Zeiten ſich
erhalten haben *). Die großen Mauerflaͤchen und weitge-
[171] ſprengten Gewoͤlbe, welche das Innere dieſer Gebaͤude darbot,
gewaͤhrten damals zuerſt Gelegenheit, die Malerey in der
Verſinnlichung ſittlicher und goͤttlicher Hoheit, durch eine
ſchreckhafte Groͤße zu unterſtuͤtzen; hierdurch wiederum wurde
die Kunſt ſowohl veranlaßt, als erfaͤhigt, mehr und mehr von
der Andeutung zur wirklichen Darſtellung, von willkuͤhrlichen
Zeichen zu ſolchen Charakteren uͤberzugehen, deren Bedeutung
nach einem allgemeinen Naturgeſetze, und ohne vorangehende
Uebertragung in Begriffe, der Anſchauung ſelbſt unmittel-
bar einleuchtet.


Freilich giebt es in den Darſtellungen der muſiviſchen
Epoche ſehr Vieles, ſo in ein weit hoͤheres Alterthum, viel-
leicht bis in die erſten Jahrhunderte des Chriſtenthumes zu-
ruͤck verweiſet. Der Heiland, die Apoſtel und die Propheten
erſcheinen darin jederzeit in ſtreng alterthuͤmlicher Bekleidung,
in langer Tunica mit uͤbergeſchlagenem Pallium, in nackten,
durch Sandalen geſchuͤtzten Fuͤßen; neuere Heilige dagegen in
reichen und barbariſchen Trachten, die Fuͤße aber durchhin be-
kleidet *). Auch ſcheint es nicht ohne aͤußere Veranlaſſung,
*)
[172] daß die Apoſtel Petrus und Paulus in allen Gemaͤlden dieſer und
ſpaͤterer Zeiten immer daſſelbe ganz bildnißartige Anſehen haben,
wovon ich durch eine genaue Nachbildung, welche aus einem der
ſchoͤnſten Denkmale des ſechsten*) Jahrhunderts entnommen iſt,
dem man ſeine grelle Darſtellungsweiſe ſchon nachſehen wird, der-
einſt ein Beiſpiel zu geben hoffe. Allein der Kunſtgriff, allen dieſen
Geſtalten ein uͤbermenſchliches Anſehen zu geben; durch ihren
Charakter, durch ihre Stellung und Gebehrde heilige Schauer zu
bewirken, konnte nicht wohl fruͤher in Anwendung kommen, als
nachdem Baſiliken und andere Tempel von großem Umfang
dem neuen Dienſte errichtet worden.


In dieſen Zeitraum verſetzen wir demnach, wenn nicht
die erſte Auffaſſung, doch die Ausbildung und Befeſtigung je-
ner Wuͤrde des Charakters, jener Feyer in Stellungen und
Gebehrden, welche zu allem Ernſten und Gediegenen der neue-
ren und chriſtlichen Kunſt den Grundton angegeben. Die
Nachwirkung der Richtung dieſer Zeit verſoͤhnt ſelbſt mit den
unfoͤrmlichſten Verſuchen der roheren Abſchnitte des Mittelal-
ters; wie ſollte es denn nicht erfreulich ſeyn, zu ſehen, wie
dieſelben Vorſtellungen, welche ſelbſt in den ſchlimmſten Zei-
ten nicht durchaus verkuͤmmern konnten, verjuͤngt und in
maͤnnlicher Schoͤnheit und Reife in Raphaels gefeyerteſten
Werken wieder aufleben. Ich bezeichne hier ſolche, in denen
der Gegenſtand, gleichwie in den Tapeten, oder auch in der
*)
[173] Disputa, die Annaͤherung an das Hochalterthuͤmliche geſtat-
tete. Denn Gegenſtaͤnde der Kunſt, welche um Vieles ſpaͤter
aufgekommen, gleich den Madonnen, gleich der Leidensge-
ſchichte, gleich den Lebensereigniſſen neuerer Heiligen, beruhen,
wie ſie denn ſchon aus einer ganz anderen Stimmung und
Anſicht hervorgegangen, ſo auch auf ihren eigenen Vorbildern,
welche ungleich ſpaͤter, im vorgeruͤckten Mittelalter, ihre Wur-
zeln verbreiten.


Waͤre es uͤberhaupt meine Abſicht, die aͤlteſten Kunſtver-
ſuche der Chriſten bis in das Einzelne zu verfolgen, ſo wuͤrde
ich doch dem Stoffe nach kaum uͤber die weitlaͤuftigen, aber
geiſtloſen Werke des Boſius und Ciampini, uͤber Fu-
rietti’s
Muſive und Gori’s Diptycha, uͤber die Compilation
des Molanus und die Topographen von Ravenna, wie end-
lich uͤber Buonaroti’s treffliche Monographien *) hinausge-
hen koͤnnen. Eine fruchtbare Bemuͤhung um dieſen Gegenſtand
erheiſcht aber einestheils eine eigene, in unſeren Tagen unter
Kunſtfreunden ſeltene Gelehrſamkeit, die Kenntniß der Vaͤter
und der Concilien, anderntheils eine genaue Durchforſchung
weit verſtreueter Alterthuͤmer, welche nicht mit Erfolg anzu-
[174] ſtellen iſt, wenn man unterlaͤßt, oder die Mittel nicht anwen-
den will, jedes Denkmal einzeln zeichnen zu laſſen, um nach
Beduͤrfniß ſeinen Stoff verſammelt vor Augen zu haben. Fuͤr
meinen beſchraͤnkten Zweck genuͤgt es indeß, das Durchwal-
tende hervorzuheben, vornehmlich, in ſo fern es die Geſchichte
der neueren Kunſt begruͤndet und aufklaͤrt. Und da ich ſolches
bereits, ſo viel als mir moͤglich war und nuͤtzlich ſchien, voll-
bracht habe, ſo will ich mich jetzt darauf einſchraͤnken, in der
Kuͤrze nachzutragen, was etwa noch unberuͤhrt geblieben.


Zunaͤchſt erinnere ich, daß, eben wie der Weltlehrer, die
Propheten, die Apoſtel, oder wie die einzelnen Geſtalten der
ſinnbildlich verwendeten bibliſchen Ereigniſſe, ſo auch die Mut-
ter des Herrn, wo ſie vorkommt, ſtets in antiker Bekleidung
erſcheint, nemlich in der Tracht roͤmiſcher Matronen; wie es
denn an ſich ſelbſt bemerkenswerth iſt, daß die feſtſtehende
Bekleidung dieſer alten Kunſtgebilde uͤberall mehr roͤmiſch als
griechiſch iſt. Gleichfalls bedarf es einiger Erwaͤhnung, daß
die ſinnbildlich-evangeliſchen Geſchichten fruͤhzeitig durch Bege-
benheiten des alten Teſtaments vermehrt worden, theils ſchon
des prophetiſchen Sinnes willen, theils auch um der noch vor-
waltenden Triebkraft antiker Kunſt die Richtung auf Dinge
zu geben, welche durch ihre entferntere Stellung zum Chriſten-
thume den Spitzfindigkeiten des Sectengeiſtes weniger ausge-
ſetzt waren.


Darſtellungen dieſer Art waren im chriſtlichen Alterthume
nach den Schriftſtellern und Concilien uͤberaus gewoͤhnlich,
wichen indeß ſpaͤterhin einigen neueren Vorſtellungen der Lei-
densgeſchichte, deren ausfuͤhrlicher Darſtellung die aͤlteren Chri-
ſten ſich lange erwehrt hatten; der Mutter mit dem Kinde;
wie endlich den Bildniſſen und Lebensereigniſſen neuerer Hei-
[175] ligen. Im Mittelalter war daher die Ueberlieferung der Dar-
ſtellungen von Geſchichten des alten Teſtaments, wenn nicht
durchaus unterbrochen, doch wenigſtens nicht ſehr lebhaft und
thaͤtig, weshalb wir uns Gluͤck wuͤnſchen duͤrfen, daß, naͤchſt
vielen in den kirchlichen Handſchriften verſtreueten Miniaturen
und Zeichnungen, deren ſchoͤnſte ich oben erwaͤhnt habe, auch
noch ein hoͤchſt bedeutendes Werk muſiviſcher Kunſt vorhanden
iſt, aus deſſen Anordnung und Behandlung wir auf Solches
ſchließen duͤrfen, ſo fuͤr uns untergegangen.


Ich bezeichne hier die muſiviſchen Deckengemaͤlde des aͤu-
ßeren Ganges der venezianiſchen Marcuskirche. Dieſer Um-
gang, welcher die weſtliche und ſuͤdliche Seite der Kirche um-
ſchließt, iſt gegenwaͤrtig der einzige Theil dieſes beruͤhmten
Gebaͤudes, der dem hoͤheren Alterthume der Chriſtenheit, und
wahrſcheinlich den Zeiten des [Exarchates] angehoͤrt *). Die
Kirche ſelbſt, wie das Aeußere der Giebelſeite, iſt in einer ge-
miſchten gothiſch-neugriechiſchen Manier erneuert, und da ein
Theil jenes Umgangs aͤußerlich von der italieniſch-gothiſchen
Vorſeite, nach innen aber von dem Koͤrper der Kirche einge-
ſchloſſen iſt, ſo erkennt man ſein hoͤheres Alter, theils ſchon
[176] aus den Proportionen und Eintheilungen, welche nicht den
erwaͤhnten Neuerungen, ſondern dem ſpaͤtroͤmiſchen Alterthume
entſprechen, theils aus den Deckenverzierungen ſelbſt, welche
denen der ravennatiſchen Kirchen im Ganzen aͤhnlich ſind,
doch, wie mir ſcheint, die gegenwaͤrtig vorhandenen durch-
hin uͤbertreffen.


Die Decke des Umganges beſteht in ſeiner ganzen Laͤnge
aus flachen, kuppelfoͤrmigen Gewoͤlben, deren Verbindungen
und Uebergaͤnge viel Eigenthuͤmliches haben. In jeder dieſer
ſanft ausgewoͤlbten Scheiben ſind Geſchichten des alten Teſta-
ments in Figuren von mittelmaͤßiger Groͤße ausgefuͤhrt; ſie
ſtehen auf weißem Grunde, wie die muſiviſchen Verzierungen
des inneren Umganges der Kirche S. Coſtanza, außerhalb
Rom; ihre Beywerke ſind untergeordnet, etwa wie in halber-
hobenen Arbeiten; innerhalb jedes Kreiſes findet keine Abſon-
derung ſtatt; ſie ſind endlich in kleineren Glasſtiften, und
nicht ohne Zierlichkeit und verhaͤltnißmaͤßiges Kunſtgefuͤhl aus-
gefuͤhrt. Nehmen wir hinzu, daß in keiner dieſer Darſtellun-
gen einige Spur mittelalterlicher Trachten und Baulichkeiten
vorkommt, daß ſie durchaus, bis in ihre aͤußerſten Beywerke
herab, mit geringen Modificationen antik ſind; daß dieſe Mo-
dificationen keine andere ſind, als ſolche, welche vom vierten
bis achten Jahrhundert uͤberall ſich geltend machen, ſo duͤrfte
es nicht zu gewagt ſcheinen, wenn ich das Werk eben dieſen
Zeiten beymeſſe, und vermuthe, daß ſolches aus der Schule
von Ravenna entſproſſen ſey, zu deſſen Behoͤrden das damals
ſchon nicht unbedeutende Venedig im naͤchſten Verbande ſtand.


Ich enthalte mich, dieſes Hauptwerk unter den altchriſt-
lichen Malereyen zu zergliedern; die Schoͤnheiten der Anord-
nung und Auffaſſung, welche daruͤber reichlich verbreitet ſind,
wer-
[177] werden hoffentlich bald einige Kuͤnſtler oder Kunſtfreunde ver-
anlaſſen, ein ſo wichtiges Werk mit Geſchmack und Genauig-
keit in den Druck zu geben, ehe es, wie ſo viele andere zu
Rom und Ravenna, durch Vernachlaͤſſigung untergeht.


Es ſcheint demnach, daß die Kuͤnſtler, denen wir die
Erfindung und erſte Geſtaltung ſo viel trefflicher Vorſtellungen
zu danken haben, im Ganzen angeſehen, zwar der Gewandt-
heit und des einſichtsvollen Gebrauches der noͤthigſten Kunſt-
mittel, doch keinesweges des Geiſtes oder des Gefuͤhles ent-
behrten. Verſetzen wir uns nur in jene Zeiten zuruͤck, wo
Tod und Verwuͤſtung und ſchlechte Staatseinrichtungen zuſam-
menwirkten *), jenen Schatz von Geiſtesbildung zu zerſtoͤren,
den vom aͤußerſten Orient bis in den Weſten hundert Voͤlker
mehr als ein Jahrtauſend lang geſammelt und gemehrt hat-
ten. Wer unter ſo grauſamen Verhaͤltniſſen nicht gaͤnzlich ver-
ſank, wer noch damals Neues zu denken, der Nachwelt neue
Bahnen vorzuzeichnen faͤhig war, in dem wohnte ſicher kein
ſchwacher, kein gemeiner Geiſt. Doch bevor wir den guͤnſtig-
ſten Zeitpunct dieſer gleichmaͤßig aufſtrebenden und verſinkenden
Kunſtepoche verlaſſen, duͤrfte es noch in Frage kommen, wel-
chem Volke, welcher Gegend des Alterthumes ſo unverzagte
Gemuͤther entſproſſen waren.


Erwaͤgen wir, daß unter den kunſtbegabten Griechen viele
ſehr fruͤh, vielleicht ſchon aus Gruͤnden ihrer eigenen Philoſo-
phie, der chriſtlichen Anſicht geneigt waren, ſo wird uns die
I. 12
[178] Vermuthung nahe liegen, daß griechiſche Kuͤnſtler die neue
Kunſt gegruͤndet, oder deren wichtigſte Vorſtellungen zuerſt
aufgefaßt und ausgeſtaltet haben. Indeß finden ſich nur we-
nig Namen *) altchriſtlicher Kuͤnſtler, und wenn auch aus
dieſen mit einiger Sicherheit auf deren Abkunft zu ſchließen
waͤre, ſo iſt es doch nichts weniger als ausgemacht, daß ge-
rade dieſe Kuͤnſtler, deren Namen wir durch Schriften kennen
lernen, die Gruͤnder eben der Kunſtideen geweſen, welche wir
in den Denkmalen wahrnehmen. Es fehlt uns alſo, ſelbſt
wenn wir jene Vermuthung dahin bedingen, daß etwa nur
ein Theil der aͤlteſten Kunſtideen der Chriſten von griechiſchen
Kuͤnſtlern erfunden und ausgebildet worden, ſo wahrſcheinlich
ſie ſeyn moͤge, doch auch dafuͤr aller hiſtoriſche Beweis. Wie
wuͤrden wir alſo erweiſen koͤnnen, daß den alten Griechen die-
ſes Verdienſt, wie Einige anzunehmen ſcheinen, ganz aus-
ſchließlich angehoͤre? Gewiß iſt es gegenwaͤrtig unmoͤglich,
nach dem bloßen Anſehen den griechiſchen oder roͤmiſchen Ur-
ſprung der einzelnen Darſtellungen zu erkennen, wie denn die
Bildung der Griechen und Roͤmer ſchon in den erſten chriſtli-
chen Zeiten ſo innig verſchmolzen war, daß auch in anderen
Beziehungen die urſpruͤngliche Verſchiedenheit ſich mehr und
mehr verwiſchte. Wir werden demnach, was irgend Griechen
oder Roͤmer, vielleicht ſelbſt Barbaren, in den erſten Jahr-
hunderten des Chriſtenthumes gemalt und gemeißelt haben, in
dem einen allumfaſſenden Begriff altchriſtlicher Kunſtbeſtrebun-
gen vereinigen muͤſſen.


[179]

Uebrigens duͤrfen wir nicht uͤberſehen, daß Rom damals
noch die Hauptſtadt der Welt war; daß, eben wie die letzten
Anſtrengungen der antiken und heidniſchen Kunſt, wie immer
die Griechen daran noch Theil nahmen, doch in Rom und
zur Verherrlichung Roms angeſtellt wurden, ſo auch die
fruͤheſten Unternehmungen der neuen und chriſtlichen eben nur
dort beſonders beguͤnſtigt werden und gedeihen konnten. Da-
her, denke ich, die roͤmiſche Bekleidung der aͤlteſten Geſtaltun-
gen der chriſtlichen Kunſt. In der Folge freilich entſtanden
im neuen Rom, der Stiftung Conſtantins, und noch ſpaͤter
in Ravenna neue Mittelpuncte; und es duͤrfte ſcheinen, als
muͤſſe mindeſtens Conſtantinopel ſchon unmittelbar nach ſeiner
Stiftung eine ganz griechiſche Stadt geweſen ſeyn. Allein
beide Gruͤndungen waren, was hier entſcheidet, bloße Nach-
ahmungen des alten Roms*), und es iſt gewiß, daß Ra-
venna
durchaus, Conſtantinopel großentheils aus roͤmiſchen
Elementen erwachſen ſind. Eigenthuͤmlich Neugriechiſches wer-
den wir demnach um Vieles ſpaͤter, und erſt nach dem ſie-
benten Jahrhundert aufſuchen koͤnnen; welches, wie ich zu be-
merken bitte, die hie und da in obigem Ueberblick erwaͤhnten
Denkmale nicht uͤberſchreiten.


12 *
[180]

IV.
Ueber den Einfluß der gothiſchen und longo-
bardiſchen Einwanderungen auf die Fort-
pflanzung roͤmiſch-altchriſtlicher Kunſtfertig-
keiten in der ganzen Ausdehnung Italiens.


Aus undeutlicher Kunde von den Verheerungen des gro-
ßen gothiſchen Krieges entſpringt, wie es ſcheint, bey den
Italienern des Mittelalters jenes unbeſiegbare Vorurtheil ge-
en die Gothen, aus welchem zu erklaͤren iſt, daß man die-
ſen, bis auf ſehr neue Zeiten hin, den Verfall des Gei-
ſtes und der Fertigkeiten der Kunſt beygemeſſen, als wenn
uͤberhaupt, in ſinnlichen und geiſtigen Dingen, die Aufloͤ-
ſung jederzeit eine aͤußere Urſache vorausſetze. Daher, be-
ſonders bey italieniſchen Schriftſtellern, der Gebrauch, jegli-
ches Mißfaͤllige in Werken und Arbeiten der Kunſt gothiſch
zu nennen; daher der Name der gothiſchen Architectur fuͤr ei-
nen, den Italienern fremdartigen, demungeachtet ſehr durch-
gebildeten Baugeſchmack, welcher bekanntlich nicht fruͤher, als
im [dreyzehnten] Jahrhunderte entſtanden iſt, alſo lange nachdem
die Volkseigenthuͤmlichkeit der Gothen aus der Gegenwart ver-
ſchwunden war. Ich uͤbergehe fuͤr jetzt den Namen und Be-
griff der gothiſchen Architectur, welche uns ſpaͤterhin beſchaͤfti-
gen ſollen, und ſetze die Unſtatthaftigkeit jenes mittelalterlichen
Vorurtheils gegen die Gothen, ihre Schuldloſigkeit an dem
[181] unaufhaltſamen Verfalle der Bildung der alten Welt als be-
kannt voraus. Denn die Unterſuchungen neuerer Forſcher ha-
ben allgemach eine verbreitete Anerkennung der Milde und
Schonung herbeygefuͤhrt, welche die Gothen, vornehmlich un-
ter Theodorich, doch auch noch unter den ſpaͤteren Regierun-
gen, den ſchwachen Ueberreſten roͤmiſcher Bildung und Sitte
bewieſen *).


Die Kunſtbeſtrebungen der aͤlteren Chriſten, die claſſiſch
alterthuͤmlichen, hatten ja ohnehin laͤngſt aufgehoͤrt, erlitten
demnach waͤhrend der gothiſchen Herrſchaft uͤber Italien durch-
aus keine Hemmungen, noch erhielten ſie, wie man vormals
gewaͤhnt, eine neue oder ganz verſchiedene Richtung. Im Ge-
gentheil ward die Muſivmalerey eben in der Richtung, welche
wir oben im Ganzen uͤberſehen haben, mit Erfolg und Eifer
fortgeuͤbt, und, wenn wir einigen Berichten ſo unbedingt
trauen koͤnnten, ſo waͤre ſogar die Bildnerey, deren gaͤnzliche
Abnahme ſeit der Mitte des vierten Jahrhunderts ſchon
in Erinnerung gekommen, in dieſer Zeit von neuem in etwas
vorgeſchritten.


Ein Vertrag des Theodahat bey Procop**) ſetzt den
Gebrauch voraus, den gothiſchen Koͤnigen und ihren Oberher-
ren, den oſtroͤmiſchen Kaiſern ***), Denkſaͤulen zu errichten;
[182] gewiß aber befand ſich vorzeiten eine Statue Theodorichs aus
Erz auf dem Giebel einer Vorhalle des koͤniglichen Palaſtes
zu Ravenna. Jener Vertrag indeß bezieht ſich auf kuͤnftige
moͤgliche Faͤlle, die nach den Umſtaͤnden nicht wohl koͤnnen
eingetreten ſeyn; und die Statue zu Ravenna galt nach einem
Geruͤchte, welches noch den Agnellus erreicht hatte, fuͤr eine
Statue des Kaiſers Zeno, welche nur durch Inſchrift oder
ſonſtige Zeichen zu einer Denkſaͤule des Koͤnigs Theodorich
umgeſtaltet worden *). Erwaͤgen wir die techniſchen Schwie-
rigkeiten der Bronzeguͤſſe; ferner, daß Karl der Große, dem
roͤmiſche Alterthuͤmer bekannt waren, ſie bewunderte, und mit
andern Zierden deſſelben Palaſtes nach Achen entfuͤhrte; ſo
duͤrfte die Vermuthung nahe liegen, ſie ſey ein antikes Werk
geweſen, was vielleicht auch von anderen Ehrenſaͤulen dieſer
Zeit vorauszuſetzen iſt.


Wie es ſich nun mit der Bildnerey der gothiſchen Zeit
verhalten moͤge, von welcher, Bauverzierungen und Muͤnzen
ausgenommen, kein Denkmal auf uns gekommen iſt, ſo
machte man doch ſicher nicht jene muſiviſch incruſtirten, oder
gar aus kleinen Stuͤcken zuſammengeſetzten Statuen, von de-
***)
[183] nen Tiraboſchi getraͤumt hat *). Gewiß verließ er ſich in
dieſer Beziehung auf irgend einen literaͤriſchen Aufſchneider.
Denn er kann die Stelle, auf welche er ſich bezieht, weder
im griechiſchen Text, noch in der lateiniſchen Verſion geleſen
haben, wo klaͤrlich ſteht, das Bild, alſo nicht nothwendig die
Bildſaͤule, ſey von der Wand herabgefallen **), was außer
Frage ſtellt, daß es ein muſiviſches Wandgemaͤlde geweſen,
wie die uͤbrigen Bildniſſe Theodorichs, welche Agnellus
noch geſehen ***).


Alſo nicht die Gothen, ſondern die blutige Ruͤckeroberung
Italiens unter Juſtinian, der bald darauf erfolgte Einbruch
der Longobarden, das neue Staatsverhaͤltniß endlich, welches
aus dieſen Ereigniſſen hervorging, verkuͤmmerte allgemach die
Fortpflanzung der kuͤnſtleriſchen Ueberlieferungen. Auch ohne
[184] genauere Kunde zu haben, duͤrfen wir vorausſetzen, daß die
Verheerungen des langwierigen Gothenkrieges, daß Hunger
und Seuchen, welche aus dieſem entſtanden, daß die Haͤrte
der Longobarden gegen die roͤmiſche Bevoͤlkerung, ſelbſt die
Lebensgewohnheiten der juͤngſten Eroberer der Kunſt vielfaͤltig
Eintrag gebracht. Entſcheidender indeß wirkte das endliche
Ergebniß dieſes Kampfes von Fremdlingen um die leidend
ihrem Schickſal hingegebene Provinz. Denn es war nicht
mehr, wie zur Gothenzeit, Vereinigung Italiens innerhalb ſei-
ner natuͤrlichen Grenzen, ſondern Theilung unter feindliche
Maͤchte, Unſicherheit auf weit ausgedehnten inneren Begren-
zungen. Den Griechen blieb Ravenna mit ſeinem Stadtge-
biet, das roͤmiſche Ducat, Sicilien, einige Staͤdte und Land-
ſchaften der Kuͤſte; das noͤrdliche Italien bis an die Suͤmpfe
Venedigs, ein großer Theil des ſuͤdlicheren Mittellandes ge-
horchte den Longobarden. So blieb es mit geringen Veraͤn-
derungen, welche die Kunſtgeſchichte nicht angehen, bis zur
fraͤnkiſchen Eroberung im achten Jahrhundert.


Beide Haͤlften Italiens erlagen demnach dem Ungluͤck
verworrener Grenzen und fremder, alſo mehr und minder
feindſeliger *) Beherrſcher. Dieſe indeß waren in Anſichten
[185] und Gewoͤhnungen des Lebens ſo hoͤchſt verſchieden, der Ein-
fluß aber von Verfaſſungen und Machthabern iſt nach allen
Erfahrungen ſo uͤberwiegend, daß wir durchaus vorausſetzen
muͤſſen, das longobardiſche Land ſey ſchon ſehr fruͤh in vielen
Stuͤcken, und namentlich in Dingen der Kunſt, von den grie-
chiſchen Provinzen abgewichen.


Dieſe erhielten, neben roͤmiſch-buͤrgerlichen Rechten und
Sitten, welche wohl beurkundet ſind *), in ummauerten, un-
zerſtoͤrten Staͤdten, vornehmlich in Ravenna ſelbſt, dem Sitze
der neuen Provinzialregierung, die Baukunſt mit ihren Beglei-
terinnen, den bildenden Kuͤnſten, bey den roͤmiſchen, oder ſa-
gen wir lieber, den altchriſtlichen Gewohnheiten. Zu Anfang
dieſer Epoche wagte man ſich noch an das Große und Glaͤn-
zende; S. Vitale, noch unter den Gothen begonnen, ward
unter Juſtinian vollendet und mit herrlichen Muſiven ge-
ziert **); andere minder ausgedehnte, doch aͤhnlich geſchmuͤckte
Bauwerke wurden unter den vorangehenden und naͤchſtfolgen-
den Fuͤrſten in Menge errichtet; Denkmale, welche Agnello
ſelbſt geſehen und, theils nach ihren Inſchriften, als Werke
verſchiedener Biſchoͤfe unterſchieden ***); deren manche bis auf
*)
[186] die juͤngſte Zeit herab ſich erhalten haben. Allein nachdem
der kurze Rauſch der Ruͤckeroberung Italiens ſich gelegt hatte,
als man, ſchon auf einzelne Provinzen und Staͤdte beſchraͤnkt,
auch dieſe nur muͤhſeelig behauptete, verminderten ſich noth-
wendig auch die Bauunternehmungen; man hatte zu Rom,
wie zu Ravenna, in den letzten Zeiten der ſchwerſten Bedraͤng-
niß durch die Longobarden wohl kaum die Mittel, das Vor-
handene nothduͤrftig zu unterhalten, wie aus den zahlreichen
Wiederherſtellungen alter Bauwerke erhellt, welche die Paͤpſte
beſchaͤftigten, unmittelbar nachdem ſie durch Karl den Großen,
zum Theil ſchon durch Pipin, Sicherheit erlangt und neue
Huͤlfsquellen erworben hatten.


Die Longobarden dagegen, welche, als Germanen, ſicher
weder eine eigene Kunſt hinzubrachten *), noch deren Werke
zu wuͤrdigen wußten, hatten, wie ihre Geſetze darlegen, ihre
nordteutſche Hofeinrichtung nach Italien verpflanzt, und hie
und da, wie Urkunden zeigen **), inmitten verwuͤſteter Staͤdte
***)
[187] ihre Hoͤfe angelegt, weshalb die Kunſt bey ihnen weder durch
Sitte, noch durch Lebenseinrichtung beguͤnſtigt wurde, ja nicht
einmal durch religioͤſe Meinungen, da ſie bekanntlich groͤßeren-
theils der Lehre des Arius anhingen, welche dem kirchlichen
Beſitz und Glanze unguͤnſtig war. Es iſt daher ſo unwahr-
ſcheinlich als unbekundet, daß ſie unmittelbar nach der Ero-
berung die Kuͤnſte bey ihren roͤmiſchen Unterthanen befoͤrdert
haben, deren Lage damals, wie man immer die bekannte
Stelle Paul Warnefrieds auslegen wolle, doch ſicher von
der Art war, daß ſie freywillig ſchwerlich mehr, als das
hoͤchſt Nothduͤrftige unternommen. Pavia indeß ward unver-
ſehrt in Beſitz genommen *), der Palaſt Theodorichs, als Re-
ſidenz der longobardiſchen Koͤnige, ſo wohl unterhalten, daß
Agnello**) noch in den Zeiten Karl des Großen das
Wandgemaͤlde Theoderichs darin beſchauen konnte; woher zu
ſchließen, daß die neuen Einwanderer, wenigſtens ihre Beherr-
ſcher, ſich fruͤh an italiſches Gemach gewoͤhnt haben. Gewiß
ward ſpaͤterhin, gegen die Mitte der longobardiſchen Herr-
ſchaft, zu Pavia manches neue Bauwerk errichtet ***), deren
**)
[188] Ueberreſte indeß, wie ich befuͤrchten muß, theils ſpaͤteren Bau-
ten Raum gegeben, theils unter den Erneuerungen nachfolgen-
der Jahrhunderte unkenntlich geworden ſind. So fuͤhrt auch
Brunetti*) aus Urkunden von den Jahren 754 und 763
an, daß der Koͤnig Aiſtolf einen zu Lucca anſaͤßigen Maler
Aripert beguͤnſtigt und beſchenkt habe.


Im Allgemeinen werden wir demnach annehmen duͤrfen,
daß waͤhrend dieſes Zeitraums die altchriſtliche Kunſtuͤbung zu
Rom und Ravenna in eben dem Verhaͤltniß zuruͤck geſchritten
ſey, als ſie im longobardiſchen Italien allmaͤhlich zugenom-
men; bis, gegen die Zeit Karls des Großen, durch den Ruͤck-
ſchritt des einen, den Vorſchritt des anderen Theiles wiederum
eine gewiſſe Gleichheit der Kunſtſtufe entſtanden. Von einer
gemeinſchaftlichen Grundlage ſpaͤtroͤmiſcher Technik und chriſt-
licher Kunſtideen, war die Kunſtuͤbung in beiden Bezirken Ita-
liens
ausgegangen; und bey vielfaͤltigen Feindſeeligkeiten wa-
ren doch friedlichere Beruͤhrungen **) bey ſo nahen Anwoh-
nern unvermeidlich, wie ſie den wirklich auch aus den ſpaͤrlich
***)
[189] fließenden Quellen der Geſchichten jener Zeit ſich genuͤgend
nachweiſen laſſen.


Allerdings nun iſt der Zuſtand der italieniſchen Kunſtuͤ-
bung dieſer Zeiten weder an ſich ſelbſt beſonders merkwuͤrdig,
noch durch Denkmale recht umſtaͤndlich bekannt. Wir werden
uns daher, die oben aufgeſtellten Vermuthungen zu bekraͤfti-
gen, mit ſpaͤrlichen Beiſpielen begnuͤgen muͤſſen, welche uns
vornehmlich die Handſchriften darbieten; obwohl ſogar dieſe
nur eine karge Ausbeute geben, da der Gebrauch, die Buͤcher
durch Bilder zu verzieren, wie es ſcheint, im Abendlande erſt
am Hofe der Carolinger Aufnahme und Beguͤnſtigung gefunden.


Die wichtigſte Urkunde der Malerey longobardiſcher Zei-
ten, welche mir zu Geſicht gekommen, befindet ſich auf eini-
gen Blaͤttern der beruͤhmten Bibeluͤberſetzung der Abtey auf
Monte Amiata, gegenwaͤrtig im Beſitze der Laurentiana zu
Florenz. Bandini*) verſetzt das Alter dieſer Handſchrift
durch uͤberzeugende Gruͤnde in das ſechste Jahrhundert; waͤren
dieſe etwa zu entkraͤften, ſo wuͤrde ſie doch immer ſchon der
Schrift und dem aͤußeren Anſehen nach nicht weit daruͤber
hinausgehen koͤnnen. In dieſem Buche nun beſitzen wir ei-
nige miniirte Blaͤtter, welche ziemlich kunſtlos ſind, doch, in
Vergleich der ſpaͤteren italieniſchen Arbeiten aus dem neunten
bis eilften Jahrhundert, noch immer Lob verdienen. Das
erſte Blatt (Seite 7. III. des Codex) enthaͤlt in der Mitte
einer ſehr einfachen Verzierung bibliſche Geraͤthe und Sinnbil-
der, welche hie und da auch in den muſiviſchen Werken der
aͤlteren Chriſten vorkommen. Das zweyte Blatt (Seite 4. V)
[190] enthaͤlt eine Figur, nach der etwas neueren Ueberſchrift, den
Esdra, der die Buͤcher des alten Teſtaments vereinigt, welche
Handlung der geoͤffnete und antiquariſch beachtenswerthe Buͤ-
cherſchrank im Grunde offenbar anzudeuten beabſichtigt. Die
Figur hat, bey ſchlechterer Ausfuͤhrung, etwas von jener Duͤr-
re, welche die neugriechiſche Bildnerey fruͤh, ihre Malerey in-
deß viel ſpaͤter angenommen, welche wahrſcheinlich auch hier
aus eben dem Gebrauche von Durchzeichnungen entſtanden iſt,
welche den Kunſtgeſtaltungen der ſpaͤteſten Neugriechen ihr mu-
mienartiges Anſehen gegeben. Denn aus der Aufſchrift, wel-
che die Ruͤckſeite des Blattes 86 zeigt, erhellt allerdings Be-
kanntſchaft mit griechiſchen Buchſtaben, welche um dieſe Zeit
noch nicht befremden darf; doch weder, daß der dortgenannte
Servandus ein Grieche geweſen, noch daß er griechiſche Vor-
bilder vor Augen gehabt, die ihn ſicher beſſer geleitet haben
wuͤrden, da in unſerem Bilde bereits die Vorzeichen der aͤu-
ßerſten Entartung italieniſcher Malerey vornehmlich darin ſich
zeigen, daß die Augaͤpfel nur als ein kleiner Punct im weit
entbloͤßten Weißen angedeutet ſind.


Techniſch merkwuͤrdig iſt unter den folgenden (auf dem
Blatte 6. VII) ein allerdings ſehr unvollkommen gezeichnetes
Koͤpfchen, welches nach Art der Bildniſſe auf Glasgefaͤßen der
Coemeterien gemacht iſt, durch Schraffirung nemlich, mit ei-
nem ſcharfen Werkzeuge, im friſch aufgelegten Golde; ferner in
Bezug auf Anordnung, die Geſtalt des Heilandes (Blatt 796,
Ruͤckſeite), den zwey Engel mit Staͤben in der Hand verehren.


Ich zweifle nicht, daß in anderen kirchlichen Handſchrif-
ten dieſer Zeit, welche allerdings zu den Seltenheiten gehoͤren,
an einigen Stellen aͤhnliche Verzierungen vorkommen; doch
wird dieſes calligraphiſche Prachtſtuͤck, welches betraͤchtlichen
[191] Aufwand vorausſetzt, da es in groͤßter Form und herrlich ge-
ſchrieben iſt, an ſich ſelbſt fuͤr ein ſehr hervorſtechendes Bey-
ſpiel gelten koͤnnen. Als Gegenſtuͤck in der Schriftart bezeich-
net Bandini*) einen Bibelcodex der Dombibliothek zu Pe-
rugia
, vielleicht denſelben, der dort mit No. 19 bezeichnet iſt
und dem ſiebenten oder achten Jahrhundert zugeſchrieben wird.
Er enthaͤlt drey colorirte Federzeichnungen von ſehr geringer
Arbeit. Die erſte zeigt den Weltlehrer, wie er vom Thron
herab durch einen Engel dem Matthaͤus ſein Evangelium rei-
chen laͤßt. Auf den Wangen rothe Flecke, weit geoͤffnete Au-
gen, keine Spur von Schatten und Licht, vielmehr ſind die
Theile nur durch harte Federumriſſe geſchieden. Uebrigens iſt
in der Bewegung etwas Gutes, und die antiken Faltenmaſſen
ſind weder unverſtaͤndig durcheinander geworfen, wie es ſpaͤ-
terhin, auch bey beſſerer Ausfuͤhrung, vorkommt, noch durch
barbariſchen Schmuck unterbrochen. Die Beyſchriften, welche
ſich zur Currentſchrift hinneigen, ſind den Diplomen der lon-
gobardiſchen Zeit nicht unaͤhnlich.


Andere und groͤßere Kunſtwerke, von denen erweislich
waͤre, daß ſie innerhalb und unter der Herrſchaft longobardi-
ſcher Koͤnige verfertigt worden, ſind mir bis dahin nicht vor-
gekommen. Die Bildnerarbeiten an der Johanniskirche zu
Monza habe ich nicht ſelbſt unterſucht, bezweifle jedoch nach den
Abbildungen **), daß ſie bis zur erſten Gruͤndung der Kirche
durch die Koͤnigin Theudelinde zuruͤckreichen. Was darin aus
altchriſtlichen Darſtellungen entnommen iſt, koͤnnte allerdings
[192] eben ſowohl aͤlter als neuer ſeyn; allein das Bild der Koͤni-
gin erinnert zu ſehr an Schmuck und Bekleidung des Mittel-
alters, und man muͤßte, um dieſe Frage zu erledigen, das
Gebaͤude ſelbſt unterſuchen, welches gar wohl im eilften oder
zwoͤlften Jahrhunderte erneuet ſeyn koͤnnte. Sehr bemerkens-
werth iſt ein anderes Denkmal, welches hier wohl von neuem
in Frage kommen duͤrfte; jenes Stuͤck nemlich im Fußboden
der Kirche S. Michael zu Pavia, wo an einer Seite David
und Goliath, an der anderen Theſeus und der Minotaurus *).
Dieſes Gleichſtellen mythiſcher und chriſtlicher Charaktere, Er-
eigniſſe und Sinnbilder entſpricht indeß, wie wir uns entſin-
nen, vorzuͤglich der aͤlteren Epoche chriſtlich kuͤnſtleriſcher Dar-
ſtellungen, und die Kirche ſelbſt, deren PaulDiac. nicht als
einer neuen Gruͤndung, ſondern als eines beſtehenden Gebaͤu-
des erwaͤhnt, ſcheint fruͤher erbaut zu ſeyn, und diente viel-
leicht ſchon dem Palaſte der Gothenkoͤnige zur Kapelle. Gegen
die Meinung indeß der Topographen und Geſchichtſchreiber der
Stadt Pavia, welche dieſe Kirche roͤmiſchen Zeiten zuſchreiben,
behauptet Muratori**), ſie ſey von longobardiſchen Koͤni-
gen erbaut worden. Allein, da er nicht angiebt, von welchem
beſonderen Koͤnige, ſo werden ſeine Gruͤnde eben nur auf dem
Titel der Kirche und auf dem Umſtande beruhen, daß der
Erzengel Michael von longobardiſchen Koͤnigen verehrt, und
auf den Ruͤckſeiten ihrer Muͤnzen angebracht worden. Doch
iſt
[193] iſt es nicht ohne Beyſpiel, daß man neubeliebte Titel auf aͤl-
tere Gebaͤude uͤbertragen *); aus dem Titel allein wird daher,
wenn beſſere Gruͤnde fehlen, das Alter des Gebaͤudes nicht
wohl zu beſtimmen ſeyn.


Nicht unwichtig ſind uns, bei ſolcher Duͤrftigkeit der
Denkmale, die Ueberreſte von Wandmalereyen in der unterir-
diſchen kleinen Baſilica, uͤber welche der gegenwaͤrtige Dom
zu Aſiſi im zwoͤlften Jahrhundert aufgerichtet worden. Dieſe
kleine Kirche wird von ſechs Saͤulen geſtuͤtzt, deren Kapitaͤle,
aus Travertin, antik zu ſeyn ſcheinen, oder doch alten Vor-
bildern mit vielem Fleiße nachgebildet ſind. Die alten Um-
fangsmauern ſind von drey Seiten vermauert; nur die Mauer
der Tribune, in welche der Saͤulengang ausgeht, beſtand noch
in ihrer erſten Geſtalt, als ich dieſes Denkmal im Jahre
1819 beſichtigte. Die verzierende Einfaſſung, ein Zickzack in
Braun und Gruͤn, iſt noch mit antiker Praxis gemalt; denn
die Lichter ſind paſtos aufgetragen, was ſpaͤterhin ſich verliert.
Die Zeichen der Evangeliſten, die Figur eines Heiligen, das
Einzige, ſo nicht abgefallen, waren den erwaͤhnten Buͤcherver-
zierungen in Wahl, Vertheilung und Zeichnung nicht unaͤhn-
lich. Erwaͤgen wir, daß dieſe Malereyen fuͤr die fruͤhere
Epoche, das fuͤnfte und ſechste Jahrhundert, zu unvollkommen,
I. 13
[194] fuͤr die nachfolgende der fraͤnkiſch-ſaͤchſiſchen Herrſchaft viel zu
alterthuͤmlich und ſelbſt zu kunſtreich; daß die Namenszuͤge
der Heiligen in eckigen, obwohl ungleichen Capitalbuchſtaben
geſchrieben ſind, welche keine neuere Schrift-Gewohnheiten
verrathen: ſo duͤrfte die Vermuthung, daß ſie vor Ankunft
Karls des Großen oder waͤhrend der longobardiſchen Herrſchaft
beſchafft worden, an Sicherheit gewinnen. Gewiß iſt das
Gemaͤuer, an welchem dieſe Malereyen haften, nach ſeiner ar-
chitectoniſchen Anlage und Ausfuͤhrung *) um Vieles aͤlter,
als der neue Bau; auch haben die roh angelegten Verſtaͤrkun-
gen der Seitenmauern der Unterkirche offenbar den Zweck, die
Pfeiler der oberen, neueren Kirche zu unterſtuͤtzen. Die An-
nahme eines oͤrtlichen Forſchers, daß jene Malereyen nicht
fruͤher, als eben damals beſchafft worden, als der Heilige
ſeine neue, glaͤnzendere Wohnung bezog, iſt nach dieſen Vor-
ausſetzungen ganz unhaltbar **).


Den eben beſchriebenen Wandmalereyen ſind die beſſer
bewahrten der kleinen, gleichfalls unterirdiſchen Kapelle S.
Nazario e Celſo zu Verona in Entwurf, Manier und Aus-
fuͤhrung nicht unaͤhnlich. Ich uͤbergehe ſie indeß, da ſie vor
kurzem beſchrieben und ſo gluͤcklich charakteriſirt worden, daß
Niemand ſo leicht ihr Zeitalter verkennen wird ***).


[195]

Beſſer beurkundet, als dieſe beiden Denkmale, und dem-
ungeachtet, als ſtark nachgebeſſert und von mannichfaltigen
Herſtellungen durchſetzt, an ſich ſelbſt minder urkundlich, ſind
die muſiviſchen Malereyen der Kirche S. Agneſe außerhalb
Rom, welche nach Anaſtaſius im ſiebenten Jahrhundert von
Papſt Honorius angeordnet worden *); ferner die bekannten
Ueberreſte der Kapelle Johannes VII. in den Gewoͤlben der
Peterskirche. In ſo weit man in dem mannichfaltigſten Flick-
werk die aͤlteſten Theile noch unterſcheiden kann, deuten auch
dieſe auf jenen raſchen Ruͤckſchritt in techniſchen Vortheilen,
den der unaufhaltſame Verfall der griechiſch-roͤmiſchen Provinz,
wie ich bereits angedeutet, nothwendig herbeyfuͤhren mußte.


Aus angefuͤhrten, allerdings nur nothduͤrftigen Beyſpie-
len, deren Zahl ich durch unerprobte Angaben neuerer Schrift-
ſteller nicht zu vermehren wage, ſchließe ich: daß alle Kunſt-
arbeiten der longobardiſchen Zeit, deren Andenken durch gleich-
zeitige, oder um wenig ſpaͤtere Schriftſteller erhalten worden,
dem Entwurf nach meiſtens ſpaͤtroͤmiſch oder altchriſtlich, allein
der Ausſuͤhrung nach ſchon ungleich roher und formloſer ge-
weſen, als aͤhnliche der naͤchſt vorangegangenen Epoche der
gothiſchen Herrſchaft.


13 *
[196]

V.
Zuſtand der bildenden Kuͤnſte von Karl des
Großen
Regierung bis auf Friedrich I. Fuͤr
Italien das Zeitalter aͤußerſter Entartung.


Gegen Ende des Zeitraumes, den wir ſo eben im Gan-
zen uͤberſehen haben, mindern ſich alſo die oͤffentlichen Kunſt-
unternehmungen in beiden Hauptſtaͤdten der griechiſch-roͤmiſchen
Provinz. Gewaltſame Verwaltung; mancherley innerer Hader;
fortgehende Abnahme der Gewerbe, des Handels, der Wohl-
farth der alten Welt; Ohnmacht des Mittelpunctes der Staats-
gewalt und ſteigender Druck der longobardiſchen Anwohner
bald auf die eine, bald auf die andere Grenze der griechiſchen
Provinz, verringerte nothwendig deren Huͤlfsquellen bis zur
gaͤnzlichen Erſchoͤpfung. Gewiß hatte das buͤrgerliche Elend
Roms zur Zeit Gregor des Großen, deſſen Klagen und Be-
fuͤrchtungen bekannt ſind, noch lange nicht ſeine hoͤchſte Stufe
erreicht. Es konnte daher Aufſehen machen, als Donus, der
im Jahre 676 zum roͤmiſchen Biſchof erwaͤhlt worden, den
Vorhof der großen, leider durch den neuen Bau verdraͤngten,
Baſilica S. Peters mit weißen Marmorquadern, wahrſchein-
lich Spolien altroͤmiſcher Gebaͤude, belegen ließ *).


[197]

Doch nachdem unertraͤglicher Druck der Longobarden auf
die ohnmaͤchtige, huͤlfloſe Provinz, oder auch Ehrgeiz und
Herrſchſucht unternehmender Paͤpſte veranlaßt hatte, ſich mit
Erfolg um fraͤnkiſchen Schutz zu bewerben; nachdem Rom zu-
naͤchſt an Sicherheit und Ruhe gewonnen, endlich ſogar uͤber
ſeine italieniſchen Feinde und Nebenbuhler, Longobarden und
Ravennaten, geſiegt, von allen Seiten Anſehen und neue
Huͤlfsquellen erworben hatte, da erwachte, im Angeſicht der
noch wohlerhaltenen Truͤmmer der herrlichen Weltſtadt, die
alte roͤmiſche Prachtliebe, und mit ihr der Trieb, ſowohl Al-
tes zu erhalten, als wie Neues zu gruͤnden. Zu Rom dem-
nach, und nicht mehr in Ravenna, welches bis dahin, wie
es buͤrgerlich der That nach die Hauptſtadt der griechiſchen
Provinz geweſen, ſo auch kirchlich, obwohl vergebens, nach
Unabhaͤngigkeit geſtrebt hatte, haben wir nunmehr fuͤr einige
Zeit den Mittelpunct italieniſcher Kunſtbeſtrebungen aufzuſu-
chen; wenn anders mechaniſche Fortpflanzung uͤberlieferter Fer-
tigkeiten, knechtiſche, und dennoch mißverſtandene Nachahmung
alter Vorbilder uͤberall noch Kunſt zu heißen verdient.


Der vorangegangene Zeitraum vereinigte gegenwaͤrtige
Bedraͤngniſſe, welche alle Kraͤfte erſchoͤpfen mußten, da die
Landſchaft wiederholt verwuͤſtet, der Friede haͤufig durch ſchwere
Opfer erkauft wurde, mit ungemeſſenen Hoffnungen auf die
Zukunft. Dieſe Hoffnungen, wenigſtens die naͤher liegenden,
*)
[198] gingen unter Hadrian I. in Erfuͤllung, welcher den roͤmiſchen
Stuhl, wie bekannt iſt, an Macht und Einfluß und weltli-
chen Mitteln auf eine fruͤher kaum geahnete Hoͤhe brachte.
Daher vervielfaͤltigen ſich unter ſeiner Regierung die Nachrich-
ten von mancherley Aufwand fuͤr den Gebrauch und zur Ver-
herrlichung der Kirche. Das naͤchſte Ziel des wieder angereg-
ten Kunſtſtrebens war die Wiederherſtellung verfallener Kirchen
und anderer Gebaͤude von allgemeiner Wichtigkeit *); denn
offenbar hatten dieſe uͤberall, und beſonders zu Rom, durch
lange Vernachlaͤſſigung gelitten. Dann ging man zu neuen
Stiftungen uͤber, deren Kunſtverdienſt und Eigenthuͤmliches
noch immer aus einigen Denkmalen der Regierung Leos III.
hervorſpricht, wenn ſie anders dieſem, und nicht dem folgen-
den Leo beyzumeſſen ſind, woruͤber wir uns vor Allem Ge-
wißheit verſchaffen muͤſſen.


Anaſtaſius, in kunſthiſtoriſcher Beziehung fuͤr dieſe
Zeiten bey weitem der wichtigſte Gewaͤhrsmann, erzaͤhlt, daß
Leo III. im lateraniſchen Palaſte einen Feſtſaal habe von
Grund auf bauen und durch muſiviſche Malereyen ausſchmuͤk-
ken laſſen **). An einer anderen Stelle aber, im Leben
Leos IV., erwaͤhnt dieſer, oder wahrſcheinlicher ein anderer der
Schriftſteller, welche unter ſeinem Namen gehen, einiger Wie-
[199] derherſtellungen, welche der letzte in demſelben Gebaͤude habe
vornehmen laſſen, auf eine ſo dunkele und mehrdeutige Weiſe,
daß Platina verleitet ward, ſie von Vollendung des Gebaͤu-
des ſelbſt zu verſtehen *). Da es nun gilt, uns irgend eines
Denkmals, aus welchem der Zuſtand der roͤmiſchen Kunſt da-
maliger Zeiten zu beurtheilen waͤre, ganz zu verſichern; ſo
werden wir jene Stelle, ſo wenig anziehend ſie ſeyn mag,
doch einer genaueren Pruͤfung unterwerfen muͤſſen **).


Betrachten wir ſie zuerſt als unverdorben durch Nachlaͤſ-
ſigkeiten der Abſchreiber, vielmehr nur als ſchlecht abgefaßt;
ſo wuͤrden wir gleich anfangs das Wort accubitum als No-
minativ anſehen, und, nebſt dem folgenden, ornamenta, mit
dem Zeitworte deleta verbinden muͤſſen. Auf dieſe Weiſe auf-
gefaßt ergaͤbe ſich der Sinn, daß der ganze Feſtſaal in der
nicht langen Zwiſchenzeit von Leo III. zum vierten dieſes Na-
mens zu Grund gegangen ſey. Da aber der Schriftſteller,
dem wir dieſes Leben verdanken, nach ſeiner ganzen Manier
und Richtung alsdann nicht wuͤrde unterlaſſen haben, uns die
Wiederaufrichtung unten zu melden; da es zudem, bey großer
[200] Dauerhaftigkeit damaliger Bauwerke, unwahrſcheinlich iſt, daß
dieſes ſo fruͤh ſchon eingegangen ſey: ſo werden wir vermuthen
duͤrfen, der Text ſey hier entſtellt. Und in der That ſcheint
gleich im erſten Satze vor accubitum, welches nach der
Schreibart und Gewohnheit dieſes elenden Scribenten noth-
wendig Accuſativ iſt *), das muͤßige et eine Praͤpoſition ver-
draͤngt, oder das folgende ac- ſie in ſich aufgenommen zu
haben, nach Analogieen ein ad; das zweyte et vor omnia
moͤchte aber, durch Nachlaͤſſigkeit des Schriftſtellers ſelbſt oder
nur ſeiner Abſchreiber, ſich bloß eingeſchlichen haben; deleta
endlich, wenn nicht ſchon hier, doch unten, ganz ſicher aus
ablata entſtanden ſeyn. Denn dieſes letzte paßt ungleich beſ-
ſer zu ornamenta, welches dem Anaſtas oder ſeinen naͤhe-
ren Vorgaͤngern uͤberall bewegliches Geraͤthe bedeutet, und
wird unten durch das voranſtehende inde durchaus gefordert;
wie endlich, bey longobardiſcher Schriftart, in welcher wenig-
ſtens der aͤlteſte Codex geſchrieben ſeyn mußte, von den Ab-
ſchreibern, vielleicht von den Editoren ſelbſt, jenes ab ſehr
leicht fuͤr de genommen werden konnte. Nach dieſen Aende-
rungen wuͤrde die ganze Stelle uns folgenden, ſowohl in ſich
ſelbſt, als mit den Umſtaͤnden uͤbereinſtimmenden Sinn geben.


„Denn beym Feſtſaale, den Herr Leo III. ſeligen An-
denkens von Grund auf erbauet hatte, waren damals (unter
Leo IV.) alle Geraͤthe, welche er daſelbſt beſchafft hatte, vor
Alter und durch Vernachlaͤſſigung der vorangehenden Paͤpſte,
verſtreuet worden. Gewiß hatten, ſowohl Herr Gregor, als
auch Herr Sergius, heil. Andenkens, daſelbſt am Weihnachts-
[201] tage keine Tafel gehalten *). Dieſer Papſt Leo IV. erſetzte
aber alles Geraͤthe, welches von da war weggenommen wor-
den, und gab es ſeiner fruͤheren Beſtimmung zuruͤck.“


Leo dem dritten, und nicht dem vierten **), wuͤrden wir
demnach das Bauwerk und Muſiv beymeſſen duͤrfen, deſſen
Ueberreſt Reiſende wohl einmal im Voruͤbergehen betrachten,
wann die herrliche Ausſicht nach Frascati hin ſie an die Stelle
fuͤhrt. Leider hat die unbegreifliche Neuerungsſucht der Paͤpſte
auch dieſes Denkmal nicht mehr verſchont, als ſo viel andere
des hohen Alters ihres kirchlichen Anſehens. Nicht einmal
dem Gemaͤuer des Bruckſtuͤckes, an welchem unſer Gemaͤlde
befeſtigt iſt, hat man ſein alterthuͤmliches Anſehen gelaſſen,
denn es iſt durchaus incruſtirt worden, um es mit den gro-
tesken Gebaͤuden umher in Uebereinſtimmung zu ſetzen; auf
welche Veranlaſſung auch die muſiviſchen Malereyen, wie wir
nicht uͤberſehen duͤrfen, allerdings bedeutende Ausbeſſerungen
erlitten haben. Demungeachtet unterſcheiden wir an ihnen,
[202] einmal die noch vorwaltende altchriſtliche Anordnung, welche
durch die eingeſchobenen Stuͤcke nicht veraͤndert worden; dann
in allen beſſer bewahrten Theilen die Nachwirkung und Fort-
pflanzung der muſiviſchen Technik des ſinkenden Reiches. Al-
lerdings ſind erhebliche Ruͤckſchritte bemerkbar; doch iſt es noch
immer weit bis zu jener aͤußerſten Verſunkenheit der naͤchſt-
folgenden Zeiten, welche wir nun bald zu betrachten haben.
Denn in dem Weltlehrer, in den Apoſteln Petrus und Pau-
lus
, zeigt ſich noch einige Spur jener herkoͤmmlichen Wuͤrde,
deren Urſprung ich oben nachgewieſen, und, wie die Beyſchrif-
ten beweiſen, verſuchte man ſogar die Bildniſſe Conſtantins
und Karls des Großen, endlich des Stifters ſelbſt darin an-
zubringen; doch wohl mehr der Allegorie, als des Charakters
willen, deſſen Bezeichnung noch uͤber die Kraͤfte damaliger
Kuͤnſtler hinausging. Von den Malereyen der naͤchſtfolgenden
und ſchlimmſten Zeit unterſcheiden ſich die unſrigen vornehm-
lich durch etwas reinere Umriſſe und durch das Beſtreben,
Schatten und Halbtoͤne anzugeben, nach Maßgabe nemlich des
Herkommens altchriſtlich-muſiviſcher Kunſt.


Ein anderes und aͤhnliches Denkmal dieſer Zeit, unter
dem Porticus der Kirche S. Suſanna, oder auch der Heiligen
Vincenz und Anaſtaſius*), iſt nicht mehr vorhanden **);
uͤberhaupt duͤrfte obiges genuͤgen, wo es nur darauf ankommt,
[203] fuͤr das Kunſtverdienſt anderer unter Leo III. entſtandener
Werke einen Maßſtab zu haben. Nach Angabe des Anaſta-
ſius
ließ dieſer Papſt viele Kirchen wieder herſtellen, und in
einigen die Tribune oder Woͤlbung hinter dem Hauptaltare neu
mit muſiviſchen Malereyen verſehen, welche der beſchriebenen
im Weſentlichen moͤgen geglichen haben. Solches geſchah in
der Kirche zum heil. Kreuz *), wo indeß ſchon im funfzehnten
Jahrhundert eine Frescomalerey an die Stelle des Muſives
getreten; ſo wie in der Kapelle des lateraniſchen Palaſtes **),
welche mit dieſem zugleich zerſtoͤrt ſeyn wird.


Alſo ward die muſiviſche Malerey, als Karl der Große
Rom beſuchte, dort noch immer, nach dem Maße der Um-
ſtaͤnde, auf hergebrachte Weiſe fortgeuͤbt. Allein, auch in der
Baukunſt waren Meiſter und Arbeiter vorhanden, welche, wie
es theils aus den Angaben der Schriftſteller, theils und ſiche-
rer aus den Denkmalen erhellt, ihre Werke, mit geringen Ab-
aͤnderungen, nach Art der fruͤheren Chriſten oder ſpaͤteren Roͤ-
mer entwarfen und ausfuͤhrten. Unter den Wiederherſtellungen
alter, den Gruͤndungen neuer Gebaͤude, welche Anaſtaſius
im Leben Leos III. meldet, nennt er, außer dem ſchon beruͤhr-
ten Saale, auch die Kapelle des lateraniſchen Palaſtes. Die
letzte iſt nicht mehr vorhanden; doch aus dem Ueberreſte des
erſten duͤrfen wir ſchließen, daß dieſes Gemach in betraͤchtli-
chen Ausdehnungen ausgefuͤhrt war, und ſchon hiedurch von
den haͤuslichen Anlagen des ſpaͤteren Mittelalters ſich weſent-
lich unterſchied. Der noch beſtehende Theil war nur die eine
[204] von vielen ſich gegenuͤberliegenden Tribunen oder uͤberwoͤlbten
Seitenvertiefungen *), welche die Luftigkeit des Anſehens er-
hoͤhen mußten, und durch ihre Vertheilung, Anlage und Aus-
dehnung deutlich darlegen, daß die Baukunſt dieſer Zeiten eben
nur als Nachwirkung jener großen, weit verbreiteten Schule
zu betrachten iſt, welche auf der Hoͤhe und gegen das Ende
der politiſchen Groͤße Roms aus alten Elementen und neuen
Beduͤrfniſſen und Forderungen entſtanden war.


Ein zweytes Beyſpiel ſo ſpaͤter Nachwirkung jener, zwar
in aͤſthetiſcher Hinſicht ſchon willkuͤhrlichen, doch in techniſcher
ſtreng roͤmiſchen Baukunſt des vierten bis ſechsten Jahrhun-
derts beſitzen wir in dem bemerkenswerthen Octogon des La-
terans, der Taufkapelle nemlich Conſtantins des Großen. Es
iſt nicht uͤberall bekannt, daß Leo III. dieſer Kapelle die Ein-
richtung geben laſſen, welche ſie noch zur Stunde bewahrt.
Anaſtaſius aber, dem wir in dieſer Beziehung trauen duͤr-
fen, erzaͤhlt: der genannte Papſt habe das Baptiſterium, weil
es den Einſturz drohte, auch weil es zu eng war, durchaus
verbeſſert, daſſelbe von Grund auf ins Runde gebaut, den
Taufbrunnen in der Mitte erweitert und ringsum mit Por-
phyrſaͤulen verziert **). Allerdings iſt dieſes Gebaͤude mit ſei-
nen ungleichen Saͤulenreihen, ſeinen gemiſchten, aus mancher-
[205] ley Fragmenten zuſammengeſetzten Gebaͤlken der Zeiten Con-
ſtantins
ganz unwerth. Doch als ein Werk des achten Jahr-
hunderts angeſehen, verdient es in mehr als einer Hinſicht
Beachtung. Einmal iſt es, nach modernem Maße, nicht ohne
Schoͤnheiten des Plans und der Ausfuͤhrung; zweytens aber
beweiſet es, daß dazumal viele Theile, welche in der Baukunſt
der Alten urſpruͤnglich nicht der Verzierung, ſondern der Con-
ſtruction angehoͤren, damals noch immer in ihrem erſten Sinn
verwendet wurden; daß keinesweges ſchon damals, ſondern
erſt im vorgeruͤckteren, Mittelalter jene gaͤnzliche Verzwergung
der Saͤulen und Gebaͤlke entſtanden, welche der gothiſchen Ar-
chitectur um einige Jahrhunderte vorangeht.


Ueberhaupt darf es uns nicht befremden, die italieniſche
Baukunſt im Zeitalter Karl des Großen, bey verhaͤltnißmaͤßig
geringem Ruͤckſchritt in techniſchen Vortheilen, noch ungefaͤhr
auf der Hoͤhe zu finden, welche ſie unter den gothiſchen Koͤ-
nigen und fruͤheren Exarchen eingenommen; vielleicht ſelbſt in
Bezug auf die Anlage dem Hochalterthuͤmlichen oder Antiken
um etwas verwandter, als beruͤhmte Denkmale jener Zeiten,
das Mauſoleum Theodorichs und S. Vitale, beide zu Ra-
venna
. Große Hoffnungen, welche gerade damals aus dem
neuen Bunde fraͤnkiſcher Macht und roͤmiſchen Anſehens ent-
ſtanden, mochten den Muth unternehmender Geiſter erhoͤhen;
auf der anderen Seite war Karl, wie Alle, ſo ihm durch
Geiſt und Verdienſt nahe ſtanden, gleich Eginhard und Alcuin,
von der Groͤße und Gediegenheit des Alterthums maͤchtig er-
griffen worden. Wie man die Alten (obwohl nur jenſeit der
Berge) mit feuriger Bewunderung las, nach gleicher Klarheit
des Gedankens (Eginhard), nach aͤhnlicher Reinheit der
Sprache ſtrebte, ſo bewunderte man auch die Herrlichkeit ihrer
[206] Baukunſt. Allem, was Karl in dieſer Kunſt unternahm, la-
gen roͤmiſche und ravennatiſche Vorbilder zum Grunde. Bloße
Nachahmung erzeugt aber keine Kuͤnſtler; die Schule muß
hinzukommen. Daher vermuthe ich, daß der maͤchtigſte Herr-
ſcher jener Zeit in eben dem Lande, welches ihm theils unbe-
dingt gehorchte, theils doch ſein hoͤchſtes Anſehen anerkannte,
ſpaͤte Sproͤßlinge der alten roͤmiſchen Bauſchule an ſich gezo-
gen, um unter ihrer Leitung und durch ihre Kunſt in ſeinen
rheiniſchen Sitzen ſich mit roͤmiſchen Erinnerungen zu umgeben.


Gewiß fehlte es auch den Franken dieſer Zeit weder an
Vorbildern und Beyſpielen roͤmiſch-chriſtlicher Kunſtart, noch
an einiger Schule und Anleitung ſie fortzuuͤben. Noch immer
beſtehen, vornehmlich in den ſuͤdlichen und weſtlichen Provin-
zen des franzoͤſiſchen Reiches, ſehr ausgezeichnete Denkmale
der roͤmiſchen Baukunſt *); im achten Jahrhundert mußten ſie
ſich in groͤßerer Menge finden, und beſſer im Stande ſeyn.
Gregor von Tours beſchreibt ein roͤmiſches Caſtrum, angeb-
lich die Stiftung Aurelians, als voͤllig erhalten; deſſen regel-
maͤßige und dauerhafte Befeſtigung ward noch zu ſeiner Zeit
genutzt **). Unter den Burgundionen und Gothen ***), ſo-
gar noch unter den fraͤnkiſchen Koͤnigen des erſten Stammes †),
wurden Kirchen nach roͤmiſcher Anlage gebaut, durch ſchoͤnes
Geſtein und Muſivmalerey gleich den italieniſchen geſchmuͤckt.
[207] Doch, nachdem die fraͤnkiſche Herrſchaft uͤber alle galliſchen
Provinzen ausgebreitet, das herrſchende Haus in ſich zerfallen,
die Sitten gaͤnzlich verwildert waren, erlitt jene Nachwirkung
roͤmiſch-chriſtlicher Kunſtbeſtrebungen eine ſichtbare Unterbre-
chung; und todte Vorbilder ſind, wie die vielfaͤltigſten Erfah-
rungen zeigen, unzureichend, einſeitig auf kriegeriſche oder po-
litiſche Groͤße, oder bloß auf Ueberfluß an Nothduͤrftigem ge-
richtete Voͤlker zur Kunſt anzuleiten. Ueberhaupt ſind die
Franken, in Bezug auf Faͤhigkeit und Sinn der Kunſt, nicht
wohl mit den Anwohnern des Rheins*) oder mit den Gothen
zu vergleichen, welche an den oͤſtlichen Grenzen des Reiches,
in fruchtbaren Wohnſitzen **), fruͤh den Werth der Geſittung
kennen gelernt. Schon wo ſie zuerſt in der Geſchichte auftreten,
erſcheinen die Franken als kriegeriſch verwilderte, rauhe Voͤl-
ker, welche vielleicht eben daher fruͤh die Sittenloſigkeit der
letzten Roͤmer in ſich aufnahmen, ſehr ſpaͤt aber jene Grund-
lagen guter Ordnung und fruchtbarer Sitte erkannten und
wuͤrdigten, welche in den Truͤmmern der roͤmiſchen, in den
Keimen der chriſtlichen Bildung verborgen lagen. Die duͤrf-
tige Geſchichte der Koͤnige des erſten Stammes zeigt keinen
Fuͤrſten auf, welcher das Andenken Roms geehrt und geſtrebt
haͤtte, ſich mit roͤmiſchem Glanze zu umgeben ***), oder aus
[208] den Ueberlieferungen des Alterthums Nutzen zu ziehen. Un-
mittelbar nach der Eroberung fuͤllen verraͤtheriſche, blutige Er-
eigniſſe *) die fraͤnkiſche Geſchichte, oder Klagen der Geiſtlich-
keit uͤber den Druck kriegeriſcher Gewalthaber **), aus welchen
wir abnehmen koͤnnen, daß auch die roͤmiſche Bevoͤlkerung die
hergebrachten Kuͤnſte nur hoͤchſt nothduͤrftig fortbetrieb; aus
Denkmalen habe ich mich bis dahin nicht uͤber das Maß der
Unvollkommenheit damaliger Kunſtuͤbung belehren koͤnnen, da
ſolche theils ganz fehlen, theils zweifelhaft oder ſicher un-
aͤcht ſind ***).


Karl Martell, den wahren Stifter der fraͤnkiſchen Groͤße,
beſchaͤftigten kriegeriſche Thaten; ſeinen Nachfolger Pipin um-
faſſende Raͤnke der Staatskunſt, Befeſtigung der neuen Ge-
walt; es mußte demnach Karl dem Großen vorbehalten ſeyn,
die
***)
[209] die roͤmiſch-chriſtliche Kunſtart in ſein Gebiet wieder einzufuͤh-
ren, oder doch den Glanz zu verjuͤngen, den ſie im fuͤnften
Jahrhundert in den roͤmiſchen, burgundiſchen und gothiſchen
Gebieten Galliens vielleicht noch bewahrt hatte. Gewiß findet
ſich nicht, daß ſeine Vorgaͤnger fuͤr den Glanz der Kirche, das
wichtigſte Ziel des damaligen, wenn nicht vielleicht jeglichen
Kunſtbeſtrebens, thaͤtig gewirkt haͤtten. Beide gedachten, wenn
wir ihrem Geſchichtſchreiber folgen, erſt in der Sterbeſtunde
der Schutzheiligen Frankreichs und ihrer Staͤtten *); dagegen
findet ſich, daß ſie Befeſtigungen angeordnet **), die Belage-
rungskunſt verſtanden ***); denn uͤberall richtet ſich der Sinn,
in Zeiten der Gruͤndung, oder unmittelbar nach gewaltigen
Zerſtoͤrungen, zunaͤchſt auf das Nothduͤrftige.


Allerdings zeigt ſich, bey ſteigender Wohlfahrt des Staa-
tes, ſchon gegen das Ende Pipins die erſte Lebensregung je-
nes Kunſtbeſtrebens, welches durch Karl gefoͤrdert und weiter
ausgebildet worden. Chrodegang, Biſchof von Metz, ein be-
guͤnſtigter und reicher Praͤlat, der als Abgeordneter Rom ge-
ſehen, bemuͤhte ſich unter dieſer Regierung, in ſeinem Spren-
gel roͤmiſchen Geſang †), roͤmiſche Zierde und Anordnung der
I. 14
[210] Kirchen einzufuͤhren. Mit Beyſtand Koͤnig Pipins errichtete er
in S. Stephans, des erſten Maͤrtyrers, Kirche deſſen Altar,
das Gelende und die Bogen umher *); und in der Peters-
kirche das Presbyterium, und einen Altar in Gold und Sil-
ber geziert, und umher eine Bogenſtellung. Ferner gruͤndete
er einige Kloͤſter, uͤber deren Bauart nichts Umſtaͤndliches ge-
meldet wird.


Eins dieſer Gebaͤude, das Kloſter zu Lorſch, ſcheint nicht
fuͤher als unter Karl dem Großen vollendet zu ſeyn, da der
genannte Fuͤrſt der Einweihung im Jahre 774 beygewohnt **);
woraus ein gewiſſer Antheil an den Stiftungen Chrodegangs
hervorzuleuchten ſcheint, welcher vielleicht meine Vermuthung,
daß die Kunſtliebe Karls, oder des fraͤnkiſchen Hofes uͤber-
haupt, durch gedachten Praͤlaten zuerſt ſey angeregt worden,
in ſo weit beſtaͤtigt, als Vermuthungen durch Vermuthungen
beſtaͤtigt werden koͤnnen. Unter allen Umſtaͤnden erhellt aus
dem Angefuͤhrten, daß Biſchof Chrodegang, eben wie ſpaͤterhin
Kaiſer Karl, von dem Eindruck roͤmiſcher Herrlichkeiten aus-
gegangen, daß mithin beide demſelben Vorbilde nachgeſtrebt.


Gleich den Paͤpſten Hadrian I. und Leo III. gebot Karl
zunaͤchſt die Wiederherſtellung von, uͤberall innerhalb des
Umfanges ſeines Reiches, verfallenen Kirchen ***). Es kann
nicht zufaͤllig ſeyn, daß dieſe Wiederherſtellungen im fraͤnki-
ſchen Reiche mit jenen, welche Anaſtaſius und Agnellus
melden, der Zeit nach zuſammenfallen.


[211]

Nach unbeſtimmten Traditionen, welche uͤberall gern an
große Namen ſich anlehnen, ſoll Karl auch in Italien verſchiedene
Gebaͤude aufgerichtet haben, unter denen manche, namentlich
die Apoſtelkirche zu Florenz*), ſchon unter den Longobarden
duͤrften entſtanden ſeyn. Denn da nichts verraͤth, daß Karl
ein Land, welches ſtets nur ein Außenwerk ſeiner Groͤße war,
jemals beſonders beguͤnſtigt haͤtte, ſo werden ſolche nirgend
wohl begruͤndete Ueberlieferungen, durchhin aus ſpaͤteren Ver-
muthungen entſtanden ſeyn. Gewiß lag es dem großen Herr-
ſcher naͤher, die Vorſtellungen von Pracht und Groͤße, welche
er zu Rom und Ravenna aufgefaßt, in einem ganz anderen
Kreiſe, den Rheingegenden, zu verwirklichen. Dieſe liebte er,
wie es hiſtoriſch gewiß, wie ſie denn wirklich, von ihrer An-
muth abgeſehen, politiſch der rechte Mittelpunct ſeines Staa-
tes, kriegeriſch die Grundlinie aller Feldzuͤge waren, welche
ſeine ſo ganz eigenthuͤmliche Lage beynahe alljaͤhrlich her-
beyfuͤhrte.


Dort erbauete er Palaͤſte, Baͤder, Tempel **), welche
14 *
[212] gleichzeitige Schriftſteller erwaͤhnen oder beſchreiben, deren An-
denken haͤufig durch die Annaliſten nachfolgender Jahrhunderte
erneuert wird *). Die Rotunde **) zu Achen iſt bis auf die
heutige Stunde erhalten; die alte Hofkapelle bildet indeß nur
einen Nebentheil der heutigen Hauptkirche der Stadt; Achen
war damals ein Hofſitz, keine Hauptſtadt. Von der neueren
Erhoͤhung unterſcheidet ſich das alte Gemaͤuer durch Groͤße
der Werkſtuͤcke; die Granitſaͤulen im Inneren, dieſelben, welche
in den letzten Kriegen nach Paris entfuͤhrt, und zum Theil
wiederum zuruͤckverſetzt worden, entſtehen hier, wie es ſchon in
dem Palaſte Diocletians zu Spalatro***), und ſpaͤter immer
haͤufiger vorkommt, nicht mehr aus einem Beduͤrfniß der
Conſtruction; doch vermehren ſie, indem ſie verzieren, wenig-
ſtens das innere Gemach, und ſind eben deshalb noch weit
entfernt von jener Verzwergung der Saͤulen, welche gewiß
vor dem zwoͤlften Jahrhundert in Italien nirgend Eingang
gefunden, und wahrſcheinlich im Norden entſtanden iſt. Die
Anlage der Gebaͤude in die Runde darf [uns] aber in dieſer
Zeit nicht befremden. Denn ſeit dem erſten Jahrhundert des
herrſchenden Chriſtenthums waren Anlagen dieſer Art, deren
Vorbilder im roͤmiſchen Alterthume aufzuſuchen ſind, vornehm-
lich fuͤr Taufkirchen ſtark im Gebrauch †).


[213]

Von einem anderen Gebaͤude dieſer Zeit, der Vorhalle
des Kloſters zu Lorſch, findet ſich die Abbildung im erſten
Hefte von Georg Mollers Denkmaͤlern der deutſchen Bau-
kunſt *); und gewiß duͤrfen wir dieſem verdienſtvollen Bau-
kuͤnſtler Dank wiſſen, unſere Kunde von der Baukunſt der ka-
rolingiſchen Zeiten durch ein Denkmal von ganz verſchiedener
Beſtimmung und Anlage erweitert zu haben. Auch hier laͤßt
das Ganze, wie das Untergeordnete, ſich uͤberall aus der roͤ-
miſchen Baukunſt ableiten. Denn, wie fremdartig dieſes Bau-
werk auf den erſten Blick erſcheinen moͤge, ſo ergeben ſich
doch, wenn wir es in ſeine Theile zerlegen, lauter roͤmiſche
Elemente, deren willkuͤhrliche Verknuͤpfung Niemand befrem-
den wird, dem aus den italieniſchen Denkmalen dieſer und
fruͤherer Zeiten deutlich geworden, wie im Verlaufe der Zeit
und durch allmaͤhliche Uebergaͤnge mancher weſentliche Theil
zur bloßen Verzierung eingeſchmolzen, manche Verzierung ihre
Stelle gewechſelt, oder benachbarte Glieder eingebuͤßt hat.


Schwerlich nun hatte die Bauart des ſpaͤten und chriſt-
lichen Roms unter den Merowingern ſich in der Reinheit und
Ausbildung erhalten, welche wir in den angefuͤhrten Bauwer-
ken Karl des Großen wahrgenommen haben. Denn es kommt,
außer dem bereits Bemerkten, hier auch noch dieſes in Be-
trachtung, daß die Franken, eben wie die Longobarden, deut-
ſche Lebensſitten in ihre Eroberungen eingefuͤhrt. Ueberall
aber, wo die germaniſchen Voͤlker den Roͤmern bekannt gewor-
†)
[214] den, baueten ſie aus leichten Stoffen *); daher beſitzen wir
auch im Suͤden kein Denkmal deutſcher Bankunſt, welches
aͤlter waͤre, als die roͤmiſchen Colonieen und Befeſtigungen am
Rhein und Mayn und an der Donau; noͤrdlicher keins, wel-
ches uͤber die Einfuͤhrung des Chriſtenthums zuruͤckreichte.
Unmittelbar nach ihrer Einwanderung verbreiteten die Franken
ihre Holzbaukunſt auch in Gallien**); obwohl ſolche in den
noͤrdlichen Provinzen ſeit den aͤlteſten Zeiten gegen roͤmiſche
Sitten ſich behauptet haben koͤnnte, da Caeſar ſie dort vorge-
funden. In einem alten Verzeichniß koͤniglicher Meyerhoͤfe erſchei-
nen die Nebengebaͤude uͤberall von Holz, nur etwa das Hauptge-
baͤude von Stein, eine Verbeſſerung, welche unter der geregelten
Verwaltung des bauluſtigen Karl duͤrfte aufgekommen ſeyn ***).
[215] In Italien hingegen wurden, mindeſtens zu Rom, wie wir
oben geſehen haben, die Kunſtvortheile der roͤmiſchen Baukunſt
ungleich reiner und ungetheilter ausgeuͤbt, als im fraͤnkiſchen
Reiche. Ließ nun Karl der Große, voll Bewunderung des
verhaͤltnißmaͤßigen Glanzes italieniſcher Staͤdte ſeiner Zeit, von
Rom und Ravenna praͤchtiges Geſtein an den Rhein bringen *);
ſo liegt die Vermuthung nicht fern, daß er gleichzeitig von
dort, oder aus anderen Mittelpuncten Italiens, Meiſter und
Arbeiter an ſich gezogen; was an ſich ſelbſt der allgemeinen
Erfahrung nicht widerſpricht, daß Kuͤnſtler ſtets dem beleben-
den Lichte der Gunſt und Befoͤrderung nachziehen.


Als Leo III. die Kirche des heiligen Apollinaris zu Ra-
venna wieder herſtellen wollte, ſandte er nicht allein den Bau-
meiſter, vielmehr auch Arbeiter aus Rom hinuͤber **). Wenn
dieſes nicht etwa aus perſoͤnlicher Beguͤnſtigung zu erklaͤren,
***)
[216] ſo duͤrfte ich daraus ſchließen, daß in Italien damals bereits
ein gewiſſer Mangel an brauchbaren Arbeitern entſtanden ſey,
deſſen Veranlaſſung in den rheiniſchen Unternehmungen des
Koͤnigs verborgen ſeyn koͤnnte. Hadrian I. begehrte von Karl
einen geſchickten Zimmermann, ihm das Bauholz zu einer
ſchwierigen Wiederherſtellung in der S. Peterskirche auszuwaͤh-
len *). War es, weil die noͤrdlichen Nationen den Holzbau
beſſer verſtanden? Oder war es vielmehr, weil der Koͤnig die
beſſeren Handwerker auch in dieſem Kunſtzweige aus Italien an
ſich gezogen, in welchem Falle der Papſt nur zuruͤck begehrt
haͤtte, was urſpruͤnglich Italien angehoͤrt? Dieſe Fragen ſind
allerdings nicht uͤbereilt zu beantworten, indeß Vermuthungen,
welche in der Folge vielleicht zu begruͤnden ſeyn werden.


Vor der Hand aber liegt es uns naͤher, auch in Bezug
auf Sculptur und Malerey, das Daſeyn und den Fortgang
einer urſpruͤnglich roͤmiſch-altchriſtlichen Schule nachzuweiſen,
welche am Hofe Karl des Großen aufgebluͤht, und, vielleicht
durch Vermittelung Arnulphs, welcher auf der einen Seite
dem fraͤnkiſchen Herrſcherſtamme, auf der anderen dem deut-
ſchen Lande verwandt war **), auch dieſſeit des Rheines
Wurzeln geſchlagen und neue Zweige getrieben hat. Kuͤnftige
Geſchichtſchreiber der deutſchen Kunſt werden auf dieſe Grund-
lagen der karolingiſchen Zeit zu achten haben. Denn eben wie
[217] jene Ausbreitung roͤmiſcher Technik und Conſtructionsart, die
wir in den Rheingegenden auch in anderen, als den erwaͤhn-
ten Gebaͤuden wiederfinden (z. B. in der runden Taufkapelle
hinter dem Dome zu Bonn, in der Marienkirche der Veſte zu
Wuͤrzburg, welche, ihres faſt antiken Anſehens willen, gewiß
faͤlſchlich, roͤmiſchen Zeiten beygemeſſen werden), vermuthen
laͤßt, daß hierin der erſte Grund der entſchiedenen Ueberlegenheit
rheiniſch-mittelalterlicher Architecten verborgen liege; ſo duͤrfte
auch in den bildenden Kuͤnſten der Vorſprung, den die Deut-
ſchen im fruͤheren Mittelalter uͤber ihre ſuͤdlichen Nachbaren
gewonnen, mittelbar aus derſelben Anregung des Kunſtfleißes
hervorgegangen ſeyn, deren Nachwirkung zu verfolgen fuͤr uns
auch in anderer Beziehung unumgaͤnglich iſt.


Wie in der Architectur, ſo werden wir auch hier das
Vorbild Karls zunaͤchſt in Italien aufſuchen muͤſſen. Koſt-
bare Weihgeſchenke waren dort ſchon im fuͤnften und ſechsten
Jahrhundert uͤblich *); gleichzeitig freilich auch am fraͤnkiſchen
Hofe, wo Chilperich, nach Gregor von Tours, ein Kir-
chengeraͤth anfertigen ließ, auf welches, wenn die Zahl nicht
verdorben iſt, funfzig Pfund Gold verwendet [wurde]**). [An]
beiden Stellen kam die erſte Anregung dieſes Geſchmacks
wahrſcheinlich aus dem oͤſtlichen Reiche. Auf der Hoͤhe und
gegen das Ende der roͤmiſchen Groͤße war der uralte Gebrauch,
[218] Goͤtterbilder, Tempelgeraͤthe und Weihgeſchenke aus koſtbaren
Stoffen anzufertigen, bereits in Abnahme gerathen, in Byzanz
aber, wohl durch Einwirkung des Orients, fruͤh von neuem
beliebt geworden *). Chilperich ward von byzantiniſchen Kai-
ſern mit ſolchen Koſtbarkeiten beſchenkt **); reiche Zeuge und
verarbeitetes Gold wurden aus Byzanz und Alexandria in
Rom eingefuͤhrt ***). Alſo fehlte es nicht an aͤußeren Ver-
anlaſſungen einer Sitte, welche der allgemeinen Verarmung
des weſtlichen Reiches weder natuͤrlich, noch angemeſſen war.


In der Folge indeß unterlag Rom dem Drucke der grie-
chiſchen Verwaltung, den Anfeindungen der Longobarden; das
[219] Frankenreich den Mißhelligkeiten und der Ohnmacht des herr-
ſchenden Hauſes; bis auf Pipin und Karl mußten demnach
an beiden Stellen die Mittel fehlen, dem ſchon erwachten
Geſchmacke an kirchlicher Pracht Genuͤge zu leiſten. Doch un-
ter Hadrian I. brach die lange Zeit zuruͤckgehaltene, halb un-
terdruͤckte Neigung zu metalliſchem Glanze nur um ſo gewal-
tiger hervor, und in dem Leben Leos III., bey Anaſtaſius,
erfuͤllt die Aufzaͤhlung von mancherley Weihgeſchenken aus
Gold und Silber und edlem Geſteine mindeſtens ein Drittheil
des ganzen Raumes. Aber auch am fraͤnkiſchen Hofe ſcheint
die Luſt an ſolchen Kunſtarbeiten ganz in demſelben Verhaͤlt-
niß zuzunehmen; die Weihgeſchenke, welche der große Koͤnig
unter Hadrian I. der roͤmiſchen Kirche darbringt, ſind ungleich
karger *), als die ſpaͤteren Austheilungen unter Leo III.**).
Nehmen wir hinzu, daß dieſe Paͤpſte dem Koͤnige theils mit
Beyſpiel vorangegangen ſind, theils ihn, wenn wir uns an
[220] die vorhandenen Nachrichten halten, in der Menge und Koſt-
barkeit ſolcher Arbeiten weit uͤberboten haben *); ſo wird es
nahe liegen, das damalige Rom im Weſten fuͤr den Mittel-
punct der Betriebſamkeit in Guͤſſen, geſchlagenen und getriebe-
nen Arbeiten zu halten, und von dort aus die Schule abzu-
leiten, welche unter Karl dem Großen am fraͤnkiſchen Hofe
entſtanden, deren Wirkſamkeit aber gewiß bis auf Heinrich II.,
vielleicht noch ungleich weiter zu verfolgen iſt. Indeß werden
wir aus der Ueberlegenheit der fraͤnkiſchen Schriftſteller dieſer
Zeit uͤber die italieniſch-lateiniſchen ſchließen duͤrfen: das herr-
ſchende Volk habe bey hoͤherem Lebensmuthe die Erfahrungen
und Vorbilder, welche Rom ihm bot, alſobald weiter gebildet
und fruͤhzeitig uͤbertroffen. Gewiß laͤßt ſich annehmen, daß
Alles, was Karl der Große angeordnet, durchhin aus einem
Guſſe geweſen, da ſeine Anlagen von Grund auf neu waren,
von einem gemeinſchaftlichen Plane [ausgingen]; die Paͤpſte
hingegen verſtreueten ihre Schaͤtze uͤber ganz Rom, ihre An-
ordnungen waren nicht ſelten bloße Aufzierungen des Alten,
und, bey zu großer Naͤhe noch unerreichbarer Vorbilder, mußte
ſogar der Sinn der Kuͤnſtler, deren ſie ſich bedient, befange-
ner [ſeyn], als im fraͤnkifchen Norden, wo empfangene Anre-
gungen im Geiſte nachwirken, und, ohne niederzubeugen, Stre-
ben und Thaͤtigkeit hervorrufen mochten.


Da es mir nie gegluͤckt iſt, bis zum Schatze der Peters-
kirche vorzudringen, ſo bin ich ungewiß, ob daſelbſt von den
vielfaͤltigen Stiftungen und Geſchenken, welche die Paͤpſte im
achten und neunten Jahrhundert uͤber die roͤmiſchen Kirchen
[221] vertheilt haben, ein und anderes Stuͤck noch vorhanden ſey.
Gewiß ſind die Kunſtarbeiten aus Gold und Silber den An-
feindungen der Habſucht und Neuerung beſonders ausgeſetzt,
weshalb ſie ſich uͤberall nur hoͤchſt zufaͤllig erhalten haben.
Ein um wenig ſpaͤteres Beyſpiel des Geſchmackes oder der
Fertigkeit damaliger Zeiten beſitzen wir noch immer in dem
Altarſchmucke der Kirche S. Ambroſius zu Mayland, einem
ausgedehnten kunſtreichen Werke, deſſen Einzelnes ich uͤbergehe,
weil es ganz neuerlich von Herrn von der Hagen beſchrie-
ben worden, auf den ich mithin verweiſen darf *). Der
Kuͤnſtler oder Goldarbeiter ſetzte ſeinen Namen, Wolfwin,
hinzu, welcher auf deutſchen Urſprung verweiſt, doch in Zwei-
fel laͤßt, ob er einer minder bekannten norditalieniſchen, oder
vielmehr der fraͤnkiſchen Hofſchule beyzuſchreiben ſey.


Die verhaͤltnißmaͤßig bedeutende Ausbildung und Thaͤtig-
keit dieſer letzten erlernen wir theils aus den Schriftſtellern,
theils aus einigen Ueberreſten, welche mir ſelbſt indeß nur durch
Berichte bekannt ſind. Eginhard erwaͤhnt im Allgemeinen,
daß Karl die Hofkirche zu Achen durch Geraͤthe und Schmuck
aus Gold und Silber, wie ſelbſt durch in Erz gegoſſene Ge-
lende und Thore verherrlicht habe **). Hermold Nigellus
erzaͤhlt, wenn ihm anders zu trauen, von aͤhnlichen Herrlich-
keiten im Reichspalaſte zu Ingelheim. Verſe von einem Al-
tare, den Hildebold, Erzbiſchof zu Coͤlln, auf Karls Geheiß
[222] in getriebener Arbeit anfertigen laſſen, finden ſich in den
Quellenſammlungen der fraͤnkiſchen Geſchichte *); ob der Altar
ſelbſt noch vorhanden ſey, iſt mir unbekannt. An einem der
Altaͤre der Hauptkirche zu Achen ſoll, nach dem Zeugniß eines
unterrichteten Kuͤnſtlers, der Ueberreſt von getriebenen Gold-
platten bewahrt werden, welche, nach Einigen **), den Seſſel
geſchmuͤckt haben, auf dem Karl der Große in ſitzender Stel-
lung beerdigt worden. Dieſe muͤſſen von einem ſpaͤteren Sarge
aus getriebenem Silber ***), welcher ebenfalls noch vorhan-
den ſeyn ſoll, unterſchieden werden. Bey kirchlichen Hand-
ſchriften, welche Karl anfertigen und ſchmuͤcken laſſen, mag
ſich hie und da einer jener in Gold getriebenen Buͤcherdeckel
erhalten haben, deren gleichzeitige Schriftſteller erwaͤhnen.
Daß dieſe Arbeiten nicht ohne Geiſt und Geſchmack geweſen,
ſchließe ich aus einigen Miniaturmalereyen, welche ich naͤher
betrachtet habe, und daher etwas umſtaͤndlicher bezeichnen will.


Waͤhrend des ſiebenten und zu Anfang des achten Jahr-
hunderts wurden die lateiniſchen Handſchriften nur ſelten durch
Malerey verziert, und ſelbſt, wo ſolches vorkommt, iſt die
Arbeit doch nur gering, mehr bunte Zeichnung, als durchhin
ausgefuͤhrte Miniatur. Erſt in der Folge, und augenſchein-
lich †) durch Beguͤnſtigung Karls des Großen, gewann dieſer
[223] Kunſtzweig an Ausbildung. Unter den miniirten Handſchrif-
ten *), deren Prolog anzeigt, daß ſie auf Befehl dieſes Fuͤr-
ſten geſchrieben worden, unterſuchte ich wiederholt die lateini-
ſche Bibel, welche zu Rom jenſeit der Tiber, im Kloſter S.
Caliſto vorhanden iſt, und vormals lange Zeit hindurch in
dem Kloſter des gleichen Ordens bey S. Paul, auf dem Wege
nach Oſtia, bewahrt worden. Alemanni**) und, nach
ihm, Montfaucon***) haben dieſe Handſchrift umſtaͤndlich
beſchrieben, und die hiſtoriſchen Merkwurdigkeiten ihrer Bilder
beleuchtet, in welcher Beziehung ich auf dieſe Forſcher verwei-
ſen darf. Doch haben beide uͤberſehen, daß der Text durchhin
von neuerer Hand geſchrieben iſt, daß mithin nichts darin
dem Zeitalter Karls angehoͤrt, als der Prolog und die Minia-
turen. Die Zuͤge der Handſchrift des Textes verweiſen in das
eilfte Jahrhundert, und ſtimmen mit dem, obwohl in anderer
Tinte geſchriebenen, Lehenseid Herzog Roberts von Sicilien
uͤberein, welcher der Bibel vorgeheftet iſt †). Dieſer Umſtand
aber entkraͤftet keinesweges die Aechtheit der eingehefteten Mi-
niaturen. Dieſe nemlich fallen nirgend mit den Quaternionen
der neueren Handſchrift zuſammen, ſind, eben wie der Prolog,
nur beygeheftet, und zudem an den Raͤndern auffallend mehr
abgegriffen. Der aͤltere Codex, zu welchem ſie gehoͤrt, mochte
[224] alſo durch den Gebrauch vernutzt oder ſonſt beſchaͤdigt ſeyn,
als man dieſe Erneuerung unternahm. Da nun ſolche Mi-
niaturen zu erſetzen oder nachzubilden, wie wir ſehen werden,
im eilften Jahrhundert wenigſtens den Italienern unmoͤglich
fiel, mag man ſie deshalb bewahrt und der neuen Handſchrift
wieder beygegeben haben. Uebrigens iſt es zweifelhaft, ob ſie
jenem Codex angehoͤrt, deſſen Anaſtaſius unter den roͤmi-
ſchen Weihgeſchenken Karls erwaͤhnt, ohne ganz deutlich zu
machen, ob er der Paulskirche oder der Kirche S. Salvator
anheimgefallen ſey.


Auf dem vorderen Blatte unſerer Handſchrift, deſſen,
kuͤnſtleriſch angeſehen, hoͤchſt unvollkommene Abbildung bey
Alemanni und Montfaucon, befindet ſich das Bildniß
Karls des Großen; es iſt nicht ohne einigen Anſtrich von
Individualitaͤt. Die nachfolgenden Darſtellungen aus dem
alten Teſtamente verrathen, bey auffallender Abweichung von
jenem antiken Kunſtcharakter, dem wir ſchon mehrmal in den
Kunſtarbeiten des hoͤheren Mittelalters begegnet ſind, bereits
einige Eigenheit des Geiſtes; im Saul iſt Großartiges; im Leben
des Moſes viel Ausdruck in den Bewegungen der Menge.
Wirklich ſcheinen ſie, da ſelbſt die Bekleidungen nicht ſelten
ganz fraͤnkiſch, die Charaktere auffallend noͤrdlich ſind, großen-
theils der freyen Erfindung, oder doch der Umgeſtaltung des
Kuͤnſtlers anzugehoͤren. Doch zeigt ſich, dieſer freyeren Dar-
ſtellung ungeachtet, in den Flußgoͤttern der Geſchichte Joſua,
auch in Anderem, Bekanntſchaft mit altchriſtlichen Vorbildern,
wenigſtens mit ihren italieniſchen Nachahmungen. Auch ver-
ſpricht ſich der Kuͤnſtler im Prolog *), mit italieniſchen Lei-
ſtun-
[225] ſtungen Schritt zu halten, ſogar ſie zu uͤbertreffen. Und da
er ſich eben dort mit einem fraͤnkiſchen Namen, Ingobertus,
nennt, ſo werden wir berechtigt ſeyn, dieſe Miniaturmalereyen
als eine Verjuͤngung italieniſcher Ueberlieferungen durch den
friſcheren Lebensmuth des herrſchenden Volkes zu betrachten.
Auch in anderen zufaͤllig erhaltenen Handſchriften der karolin-
giſchen Zeit melden ſich Kuͤnſtler mit deutſchen Namen, aus
welchen wir abnehmen koͤnnen, ſowohl daß jene fraͤnkiſche
Hofſchule zahlreich war, als daß ihre Zoͤglinge von einer foͤr-
derlichen Ruhmbegier beſeelt wurden *).


Bey Schriftſtellern uͤber fraͤnkiſche Alterthuͤmer **), in
bibliographiſchen und diplomatiſchen Werken findet ſich die
Nachweiſung anderer Handſchriften des achten und neunten
Jahrhunderts, welche mit kunſtreichen Deckeln und zierlichen
Miniaturen verſehen ſind, gleich dem Evangeliarium Karls
des Kahlen
, ehemals im Reichsſtifte S. Emmeram, gegen-
waͤrtig in der Hofbibliothek zu Muͤnchen. Das wichtigſte
Blatt dieſes Buches hat allerdings, wahrſcheinlich bey jener
Ausbeſſerung, welche auf der inneren Seite des Einbandes
*)
I. 15
[226] angegeben, hie und da einige Aufmalungen erfahren, deren
man ſich bey Denkmalen dieſer Art ſtets enthalten ſollte.
Doch unterſcheidet ſich das Erhaltene durch mehr Leimgehalt
und groͤßeren Glanz der Farbe, ſo daß ſchon aus dieſem Bei-
ſpiel mit Sicherheit abzunehmen, die Miniatur ſey am Hofe
der Karolinger mit Erfolg, und nicht ohne techniſchen Fort-
ſchritt weitergeuͤbt worden.


Sehen wir nun in der Folge, waͤhrend der inneren Zer-
ruͤttungen des weſtfraͤnkiſchen Reiches im zehnten Jahrhundert,
dort ihre Spur verſchwinden; finden wir dahingegen im eigent-
lichen Deutſchland Weihgeſchenke des Koͤnigs Arnolf, welche
in aͤhnlichem Charakter, in derſelben Kunſtart gearbeitet ſind *);
ſo ſcheint die Vermuthung ſich aufzudraͤngen, daß jene Schule
von Goldarbeitern und Juwelieren, von Kalligraphen und
Miniaturmalern, welche mehr als ein Jahrhundert lang am
Hofe der Karolinger fortgebluͤht, damals dem letzten noch le-
benskraͤftigen Zweige dieſes Stammes ſich angeſchloſſen habe.
Denn von nun an erblicken wir ſie im Gefolge der deutſchen
Koͤnige, denen ſie gewiß bis auf Heinrich II., und, bey ſtei-
gender Wohlfarth des Reiches, hoͤchſt wahrſcheinlich auch un-
ter den folgenden Regierungen mit wechſelndem Geſchicke ge-
dient hat.


Freilich entſchwindet mir der Faden unter der kurzen Re-
gierung Conrad I., aus welcher bis dahin kein Denkmal der
angedeuteten Art mir bekannt worden. Ueberhaupt duͤrfen wir
annehmen, daß zu Anfang des zehnten Jahrhunderts, waͤhrend
[227] der bedraͤngten Regierungen Conrads und Heinrichs, der erſten,
zur Befoͤrderung uͤberfluͤſſiger und freier Kuͤnſte nur wenig ge-
ſchehen konnte. Der neue deutſche Staat rang noch mit man-
chen Beſchwerden und Hinderniſſen; mit Ausnahme einiger
roͤmiſchen Colonieen, welche bei veraͤnderter Bevoͤlkerung ihre
aͤußere Einrichtung bewahrt hatten, gab es nur dem Namen
nach Staͤdte; die wiederholten Verwuͤſtungen der Ungarn muß-
ten, wie die einfache Beſtattung Heinrich I. zu bewaͤhren
ſcheint *), da, wo ſchon fruͤher kein Reichthum war, groͤßere
Armuth zuruͤcklaſſen, welche die einfachſte Lebensſitte **) min-
der fuͤhlbar machte. Indeß konnte jene Schule unter Con-
rad I.
keine gaͤnzliche Unterbrechung erfahren haben, weil ſie
ſchon unter Heinrich und Otto I. wieder hervortritt; weil die
Kunſtfertigkeiten unter allen Umſtaͤnden der Uebung und leben-
digen Fortpflanzung beduͤrfen.


Unter den Geſchenken der Koͤnige und Fuͤrſten des ſaͤchſi-
ſchen Hauſes, welche bis zur Unterdruͤckung des Reichsſtiftes
zu Quedlinburg daſelbſt aufbewahrt wurden, befand ſich ein
von außen mit getriebenem Goldblech bekleidetes Miſſale, wel-
ches fuͤr ein Geſchenk Heinrich des erſten galt, weil der Ein-
weihungstext des Muͤnſters, ſeiner Stiftung, darin eingetragen
war, und weil man wiſſen wollte, der Schoͤnſchreiber, der
ſich zu Ende des Buches Johannes Presbyter nennt, habe
unter dieſem Koͤnige gelebt ***). Obwohl dieſe Angabe an
ſich ſelbſt kein Mißtrauen erweckt, ſo will ich ſie doch nicht
15 *
[228] verbuͤrgen, da dieſes Miſſal zugleich mit den uͤbrigen Beſtand-
theilen des Kirchenſchatzes, wie ich unter der weſtphaͤliſchen
Regierung aus guter Quelle erfahren, ſchon bey Unterdruͤckung
des alten Reichsſtiftes verſchollen iſt. Moͤchte es noch irgendwo
in den wiſſenſchaftlichen Sammlungen der preußiſchen Monar-
chie ſich erhalten haben.


Daſelbſt ward ein anderes Evangeliarium mit koſtbarem
Deckel aufbewahrt, welches Einigen fuͤr ein Geſchenk Ottos
des Großen
galt *), doch von dem beruͤhmten I. G. Eccard
fuͤr eine Handſchrift der karolingiſchen Zeit gehalten wurde **).
Indeß duͤrfte das aͤußere Anſehen, welches ihn beſtimmte, hier
minder entſcheidend ſeyn, da die calligraphiſchen Denkmale der
ſaͤchſiſchen Epoche aus Gruͤnden, welche ich oben beruͤhrt und
entwickelt habe, den karolingiſchen aͤhnlich ſind, mithin den
fluͤchtigen Blick gar wohl beſtechen koͤnnen. Ebendaſelbſt be-
fand ſich ein Reliquienkaͤſtlein von Elfenbein, mit koſtbaren
Verzierungen und mancherley halberhobener Arbeit, nach allge-
meinen, doch an ſich ſelbſt unverwerflichen, Vermuthungen
[229] ebenfalls ein Geſchenk Ottos des Großen*). Nach alten
Nachrichten ward ein aͤhnliches Kaͤſtlein vor dem dreyßigjaͤhri-
gen Kriege im Domſchatze zu Magdeburg aufbewahrt **), von
welchem ein Bruchſtuͤck ſich erhalten hat, welches im Jahre
1810 zu Mayland in der beruͤhmten Sammlung des verewig-
ten Abbate Triulzi vorhanden war, und vielleicht, da die
Erben geneigt ſchienen, die Sammlung ungetrennt aufzube-
wahren, noch an derſelben Stelle zu ſuchen iſt.


Sulzer, der dieſe Sammlung von Diptychen und
Schnitzwerken nun ſchon vor laͤngerer Zeit beſehen, erzaͤhlt von
einer Tafel, welche ihm aufgefallen: „ſie ſtelle den Kaiſer
Otto I. mit ſeiner Gemahlin vor dem paͤpſtlichen Throne
vor ***).“ Ich wage nicht zu entſcheiden, ob er nur fluͤchtig
darauf hingeſehen, oder eine andere, von Muratori beleuch-
tete Elfenbeintafel im Sinne gehabt, auf welcher Otto II.
und ſeine Gemahlin Theophanu vorgeſtellt worden. Denn die
unſrige enthaͤlt, nach einer genauen Beſchreibung, welche Herr
von Ramdohr nach der Aufgabe, die ich ihm dahin mitge-
geben, auf der Stelle entworfen, und ſogar mit einigen Nach-
zeichnungen begleitet hat, in der Mitte den Weltlehrer, Ma-
ria, S. Mauritius und den Kaiſer Otto I., alſo weder deſſen
[230] Gemahlin, noch den Papſt, mithin ganz andere, als jene von
Sulzer angegebenen Gegenſtaͤnde. Meinem Berichtgeber ſchien
im Heiland der altchriſtliche Typus in großer Reinheit hervor-
zutreten; die mechaniſche oder techniſche Behandlung billigte
er, wie ſchon Sulzer, wenn dieſer anders daſſelbe Denkmal
im Sinne hatte.


In Bezug auf deſſen fruͤhere Beſtimmung ſchließt ſich
mein Berichtgeber der Meinung der maylaͤndiſchen Kenner an,
und haͤlt dieſes kleine Denkmal entweder fuͤr eine bewegliche
Altartafel, oder auch fuͤr einen ehemaligen Buͤcherdeckel. Er-
waͤgen wir aber, daß unſere Tafel nur einen ſchlichten unver-
zierten Rand hat, waͤhrend in den bekannteren Deckeln dieſer
Zeit, wie in den bambergiſchen der muͤnchener Hofbibliothek
die Randverzierung meiſt mit dem Bilde aus einem Stuͤcke,
geſchnitzt iſt; ſo wird es naͤher liegen, ſie fuͤr ein Bruchſtuͤck
zu halten. Und da ihre Gegenſtaͤnde, uͤber welche die beyge-
fuͤgten Inſchriften keinen Zweifel zulaſſen, durchhin mit der
Beſtimmung jenes Marienkaͤſtleins, dem Geſchenke Ottos des
Großen
an ſeinen Schutzheiligen, Mauritius, zuſammenfallen;
ſo ſpreche ich mit Zuverſicht noch einmal die Vermuthung aus,
daß ſie vormals dieſem Reliquiar muͤſſe angehoͤrt haben. Die
Pluͤnderung Magdeburgs im dreyßigjaͤhrigen Kriege, vornehm-
lich die fremden Voͤlker im kaiſerlichen Dienſte, duͤrften die
Verſetzung dieſes Bruchſtuͤckes in eine italieniſche Sammlung
zur Genuͤge erklaͤren.


Ein Denkmal der Calligraphie unter Otto II. beſitzen wir
in der herrlichen Bekraͤftigung des Leibgedinges der Kaiſerin
Theophanu, welche zu Gandersheim aufbewahrt wird; wenn
ſie anders von Caſſel, wohin ſie unter der weſtphaͤliſchen Re-
gierung gelangt war, den rechtmaͤßigen Eigenthuͤmern zuruͤck-
[231] geſtellt worden. Die ſchoͤnen Uncialbuchſtaben dieſer Urkunde
ſind in Gold aufgetragen und durch miniirte Leiſten erhoͤht,
denen antike Greife zum Grunde liegen *). In einem Kloſter
des Sprengels von Trier befand ſich noch zu Browers Zeit
ein koͤſtliches Evangeliarium, auf deſſen in Gold getriebenem
Deckel Otto II. unter dem Schutze des heil. Benedictus, Theo-
phanu
, ſeine Gemahlin, unter der Figur des damaligen Ab-
tes Ludger angebracht war **). Einer aͤhnlichen Darſtellung
dieſer Fuͤrſten habe ich bereits erwaͤhnt. Eins der drey Evan-
geliarien des Kirchenſchatzes zu Quedlinburg, deſſen Deckel aus
einer ſchoͤn geſchnitzten Elfenbeintafel beſtand, enthielt ein Ge-
bet, worin Papſt Silveſter II., Otto III. und die Aebtiſſin
Adelheid erwaͤhnt wurde, woraus erhellt, daß es unter Otto
III.
war beſchafft worden ***). Andere Denkmale dieſer Art
und Zeit werden hie und da theils von den Schriftſtellern
erwaͤhnt, theils noch immer in Sammlungen und Schatzkam-
mern aufbewahrt.


Dieſe faſt ununterbrochene Kette von kleineren, aus koſt-
[232] baren Stoffen angefertigten Kunſtarbeiten, welche, da ich ſie
aus den Vorbereitungen zu einer laͤngſt abgebrochenen Unter-
ſuchung hervorziehe, ſicher vielfaͤltig ergaͤnzt und vermehrt wer-
den koͤnnte *), was ich Anderen uͤberlaſſe, beweiſt unwiderleg-
[233] lich, daß dieſelbe Schule von Goldarbeitern und Kalligraphen,
welche unter Karl dem Großen, wenn nicht ihren Anfang,
doch einen gewiſſen hoͤheren Schwung erhalten, im Gefolge
der Macht und Groͤße bis auf Heinrich II. fortgedauert, unter
welcher Regierung ſie ihren hoͤchſten Glanz erreicht zu ha-
ben ſcheint.


Obwohl die Hauptſchrift uͤber Heinrich II. ſein Leben von
Adelbold, Biſchof von Utrecht, bis auf ein Fragment der
Muͤnchner Bibliothek, auch dieſes in neuerer Abſchrift, verlo-
ren iſt, ſo findet ſich doch in anderen Schriftſtellern ſeiner
Zeit mehrfaͤltige Kunde ſeiner Freygebigkeit und Kunſtbefoͤrde-
rung. Die Kirche zu Merſeburg empfing durch ſeine Freyge-
bigkeit einen Altar aus getriebenem Golde, zu welchem Biſchof
Ditmar, wie er ſelbſt gemeldet, aus dem ſchon fruͤher vor-
handenen ſechs Pfunde Gold beytrug; ein neuer Beweis fuͤr
die Verbreitung ſolcher Kirchengeraͤthe *) Nach Leo von
Oſtia
beſchenkte Heinrich ſogar daß entlegene Kloſter zu
Monte Caſſino mit aͤhnlichen Arbeiten, welche noch ſpaͤt vor-
*)
[234] handen waren *). Zu Bamberg wurden die Weihgeſchenke Hein-
richs
mit groͤßter Sorgfalt aufbewahrt **), bis ſie in neueren
Zeiten theils der koͤniglichen Bibliothek zu Muͤnchen, theils der
Schatzkammer daſelbſt einverleibt worden, wo die Freunde der
Kunſt und ihrer Alterthuͤmer ſie mit Bequemlichkeit ſehen, und
von ihrem Kunſtverdienſte ſich anſchaulich uͤberzeugen koͤnnen.
Dieſes letzte iſt ſo groß, daß Viele auf den erſten Blick be-
zweifeln, daß dieſe Denkmale ſo alten Zeiten angehoͤren, bis
ſie den Zuſammenhang eingeſehen, und aus ſo vielen Umſtaͤn-
den, welche offenbar auf gleichzeitige Dinge und Begebenheiten
ſich beziehen, aufgefaßt haben, daß nicht einmal die Deckel
der Buͤcher die Conjectur zulaſſen, daß ſie in den erſten chriſt-
lichen Zeiten gemacht, und nur zufaͤllig zu ihrer gegenwaͤrtigen
Beſtimmung verwendet worden ***).


Es galt, unumgaͤnglicher Unterſcheidung willen, das Al-
ter und die Abkunft einer gewiſſen Zahl deutſcher Denkmale
außer Zweifel zu ſtellen, welche an ſich ſelbſt nicht ohne Kunſt-
[235] verdienſt, in Vergleich aber mit gleichzeitigen Arbeiten der
Italiener wahre Meiſterſtuͤcke ſind. Ueberhaupt iſt die Unge-
ſchicklichkeit und der rohe Sinn italieniſcher Kuͤnſtler des neun-
ten bis zwoͤlften Jahrhunderts, oder des Zeitraumes, der uns
gegenwaͤrtig beſchaͤftigen ſoll, durchaus unvergleichbar mit an-
deren Erſcheinungen der Kunſthiſtorie. Sogar die roheſten
Voͤlker des Nordens zeigen in ihren Kunſtarbeiten verhaͤltniß-
maͤßig einige Nettigkeit und Sicherheit der Hand; nur die
Larven aus Baumrinde, welche von braſilianiſchen Reiſenden
in unſere Muſeen eingefuͤhrt worden, ſtimmen in der ſchwan-
kenden Angabe der Zuͤge, vornehmlich der Augen und Naſen,
mit den Ungeheuern uͤberein, deren Entſtehung wir geſchicht-
lich verfolgen, deren Charakter wir andeuten wollen, ohne uns
zu lange dabey aufzuhalten. Allein, daß unter dem italieni-
ſchen Himmel, inmitten einer ſo herrlichen Natur und zahlrei-
cher Vorbilder, bey einem Cultus, welcher den Bildern eine
ehrenvolle Stelle anwies, nicht mehr, [nicht] Beſſeres geleiſtet
wurde, als in den braſilianiſchen Suͤmpfen von einem halb-
thieriſchen Geſchlechte, erinnert uns, daß die Entwickelung
menſchlicher Faͤhigkeiten mehr, als wir wuͤnſchen und zu glau-
ben geneigt ſind, von aͤußeren Umſtaͤnden abhaͤngt, welche
wir mithin, ſo viel an uns liegt, zu bemeiſtern bemuͤht
ſeyn muͤſſen.


Die ruͤſtigen Unternehmungen Hadrians und Leos III.
verſprachen allerdings, wie wir oben geſehen, eine ganz andere
Wendung, als dieſe, deren Stufenfolge und Dauer wir nun-
mehr bis zum erſten Aufdaͤmmern eines neuen Tages verfolgen
wollen. Doch werden wir zunaͤchſt verſuchen muͤſſen, in den
allgemeineren Verhaͤltniſſen des Volkes die Urſachen einer ſo
ganz beyſpielloſen Erſcheinung aufzufinden.


[236]

Bey dieſer Unterſuchung duͤrfen wir nicht uͤberſehen, daß
die Baukunſt, welche ihrem Zwecke nach menſchlicher und buͤr-
gerlicher Beduͤrftigkeit dient, ihrem Weſen nach auf Vernunft
und Muth beruht, gleichzeitig theils beym Alten blieb, theils
ſogar an Muth und Freyheit ſichtlich zunahm. Denn eben
darin, daß man unausgeſetzt und in zunehmenden Ausdehnun-
gen Kirchen erbauete, welche in den Staͤdten, wie die Tempel
des alten Roms, bey wichtigen Angelegenheiten des Gemein-
wohls auch zur Berathung dienten *), darin, daß man ſtaͤd-
tiſche Mauern ſtaͤrkte und erweiterte, uͤberhaupt fuͤr gemeinen
Nutzen keine Bauunternehmung zu groß und koſtſpielig fand;
erkenne ich den wahren Geiſt des verworrenen, doch lebenvol-
len Treibens, in welchem zwar nun auch die letzten Nachwir-
kungen der antiken Cultur untergegangen ſind, doch zugleich
das neue Italien mit ſeinen bluͤhenden Freyſtaaten, ſeinem
ſcharfen Lebensverſtande, ſeiner munteren Kunſt, anmuthvollen
Sprache, Dichtung, Muſik, ſich entwickelt hat. Auf Gruͤn-
dung und Stiftung ging man aus, den Sinn einzig auf Be-
nutzung und Mehrung des Erworbenen gerichtet; einer ſolchen
Richtung des Geiſtes mußte die Baukunſt unentbehrlich erſchei-
nen, weil ſie dem Beduͤrfniß diente. Da ſie nun in friſcher
Thaͤtigkeit erhalten, mehr und mehr die Faͤhigkeit entwickelte,
zu leiſten; ſo ward ſie ſpaͤterhin unter allen Kuͤnſten zuerſt in
Anſpruch genommen, als die ſtaͤdtiſchen Gemeinweſen began-
nen, Kraft zu entwickeln und nach Glanz und Herrlichkeit
zu ſtreben.


[237]

Ueberhaupt koͤnnen die Zerruͤttungen, denen Italien vom
neunten bis zwoͤlften Jahrhundert unterlegen, nicht wohl mit
gewoͤhnlichen Ungluͤcksfaͤllen verglichen werden. Freilich zer-
ſtoͤrten ſie das Alte, wenigſtens in Bezug auf Kunſt und
Sprache, faſt bis auf die letzte Spur; doch waren ſie, wie
bemerkt, zugleich die Wiege des neueren Italiens, alſo mittel-
bar der ganzen modernen Bildung, welche der fruͤhen, vielſei-
tigen Entwickelung der Italiener weit mehr verdankt, als ſelbſt
in unſeren Tagen zugeſtanden wird. Die erſte Veranlaſſung
zu jener langen und ſtuͤrmiſchen Gaͤhrung aller Kraͤfte liegt
nun offenbar in der Nachwirkung der Unternehmungen Karls
des Großen
. Er hatte das herrſchende Volk, die Longobar-
den, gedemuͤthigt; der alten Bevoͤlkerung in den Paͤpſten eine
neue Schutzwehr gegeben; das Ganze durch Macht und Anſe-
hen geeinigt. Als darauf unter ſeinen immer ſchwaͤcheren
Nachfolgern der Glaube an fraͤnkiſche Uebermacht allmaͤhlich
zuruͤckgewichen, da regten ſich allenthalben die fremdartigen
Beſtandtheile des Volkes, bald zu gegenſeitigem Kampf, ſelte-
ner, bey zunehmender Vermiſchung der Staͤmme, zu gemein-
ſamen Unternehmungen. Waͤre es damals moͤglich geweſen,
die Freyen germaniſcher Abkunft, in denen ich die Ahnen des
Land und Leute beſitzenden Adels etwas ſpaͤterer Zeiten zu er-
blicken glaube, mit Allem, was noch roͤmiſche Erinnerungen
bewahrte, innig zu verſchmelzen; haͤtte nicht die Geiſtlichkeit,
deren Einfluß bey der ſo ganz eigenthuͤmlichen Stellung der
Paͤpſte unvermeidlich war, ein weiter hinausſehendes Ziel ins
Auge gefaßt; ſo duͤrfte Italien damals von neuem einen ſelbſt-
ſtaͤndigen, vielleicht einen weithin gebietenden Staat gebildet
haben. Da nun die Umſtaͤnde dieſe Wendung des politiſchen
Geiſtes der Nation verſagten, wandte ſich der buͤrgerliche, prac-
[238] tiſche Sinn und Alles, was vom alten martialiſchen Geiſte
bey roͤmiſchen oder germaniſchen Abkoͤmmlingen noch vorhan-
den war, auf Gruͤndung und Sicherung des Naͤchſten. Auf
der einen Seite vereinigten ſich die Stammgenoſſenſchaften des
Adels, welche in Italien alt ſeyn muͤſſen, weil ſie fruͤh ſich
zeigen, und ſchon im dreyzehnten Jahrhundert ſich uͤberlebt
haben und zum Untergange reif ſind. Andererſeits entwickelte
ſich in den Truͤmmern roͤmiſcher Colonieen und Municipien,
aus den Reſten roͤmiſcher Einrichtung, Verwaltungsart, Ge-
wohnheit, jener ſtaͤdtiſche Gemeingeiſt, der in einzelnen Orten,
etwa in Lucca und Piſa*), ſchon im eilften Jahrhundert ſo
ausgebildet hervortritt, daß wir anzunehmen gezwungen ſind,
er habe ſich eine laͤngere Zeit hindurch im Stillen aus fruͤhe-
rer Verſunkenheit hervorgebildet.


Vorherrſchen des practiſchen Sinnes war es demnach,
und Begeiſterung fuͤr neue politiſche Gruͤndungen, oder Hoff-
nungen auf kuͤnftige Macht und Freyheit, was den Sinn da-
maliger Italiener in Kunſt und Sprache von treuem, ſorgli-
chem Bewahren des Ueberlieferten ablenkte. So lange man
nur in der Erinnerung an roͤmiſche Groͤße Beruhigung und
Freude fand, ſo lange die Gegenwart und naͤchſte Zukunft
nichts, als Beſchaͤmendes, Entmuthigendes darbot, hatte man,
obwohl mit geringem Gluͤcke, geſtrebt, die Sprache und die
Kuͤnſte des alten Weltreiches in ihren herkoͤmmlichen Formen
zu erhalten. Nun aber, da dem Ehrgeiz, wie dem Erwerb-
[239] fleiße von allen Seiten ungemeſſene Ausſicht ſich eroͤffnete,
verloren die leeren, ausgehuͤlſeten Formen des Alterthums ih-
ren Werth. Und da man dennoch aus bloßer Gewoͤhnung,
oder aus Nachgiebigkeit gegen Geiſtliche und Rechtsgelehrte,
im Rechtsgange die lateiniſche Sprache, in den Kirchen die
darſtellenden Kuͤnſte beybehielt, ſo verfiel Kunſt und Sprache
inmitten des aufgeregteſten Lebens ſo tief, als wir nunmehr,
wenigſtens in Bezug auf die Kunſt, an beſtimmten Denkma-
len nachweiſen wollen.


Wie wir uns oben erinnert haben, erhielt ſich die Kunſt-
uͤbung zu Rom, bey geringer Abweichung, durch Abnahme
der Fertigkeiten im achten Jahrhundert, noch etwa auf der
Stufe, welche ſie im ſechsten eingenommen. Wie ſchnell ſie
indeß ſchon zu Anfang des neunten geſunken, lernen wir aus
einem Denkmal Paſchal I., den muſiviſchen Malereyen des
Gewoͤlbes und aͤußeren Bogens der Tribune in der Kirche der
heil. Praxedis zu Rom. Daß dieſe Malereyen von Paſchal I.,
alſo um das Jahr 820, angeordnet worden, berichtet ſchon
Anaſtaſius*), dann die gedoppelte, muſiviſch ausgelegte
Aufſchrift des Werkes ſelbſt **). Die Vorſtellungen, welche
[240] darin angebracht oder nach aͤlteren wiederholt worden, ſind
faſt ohne Ausnahme altchriſtliche, vielleicht Copieen von Ma-
lereyen der eben abgetragenen aͤlteren Kirche. In den Umriſ-
ſen zeigt ſich noch einige Spur der hergebrachten Voͤlligkeit
und Ruͤndung. Allein die Glasſtifte, welche an ſich ſelbſt
groͤber und minder regelmaͤßig zugeſchnitten, ſind ſchon nach-
laͤſſiger oder ungeſchickter zuſammengeſetzt, als in den alten
Theilen des Muſives Leos III.; Halbtoͤne und Schatten, deren
Spur dort noch bemerklich iſt, haben hier bereits einfachen
Localtoͤnen und Farbenflecken Raum gegeben; dicke und auf-
fallende Umriſſe begrenzen die Formen. Erwaͤgen wir, daß
dieſes Werk die Stiftung eines Papſtes iſt; daß der Name
des Stifters darauf mit einem gewiſſen Anſpruch angebracht
worden, den auch Anaſtaſius anzudeuten ſcheint: ſo werden
wir ſolches als ein hervorragendes Beiſpiel damaliger Leiſtun-
gen betrachten, alſo mit Sicherheit annehmen koͤnnen, daß die
Kunſt bereits in der ganzen Ausdehnung von Italien im Sin-
ken begriffen war, und innerhalb weniger Decennien Vortheile
eingebuͤßt hatte, welche noch unter Leo III. bekannt, oder doch
bewußtlos in Gebrauch waren. Nur ein einziger Schritt blieb
noch uͤbrig zur aͤußerſten Entartung der italieniſchen Technik:
die voͤllige Entaͤußerung aller Sicherheit, aller Fuͤlle, alles
Schwunges der Umriſſe.


Doch auch dahin gelangte man nunmehr innerhalb weni-
ger Jahrzehende, wie ein Denkmal darlegt, welches, obwohl
von
**)
[241] von geringem Umfang, doch mit einigem Anſpruch auf Aus-
zeichnung gemacht ſeyn muß, da die Namen vornehmer Stif-
ter darauf angemerkt ſind. Ich bezeichne hier die bewegliche
Altartafel von Elfenbein, welche aus der Sammlung des ge-
lehrten Florentiners, Senatore Buonarruoti*), nach deſſen
Tode in das chriſtliche Muſeum der Vaticana gelangt iſt.
Innerhalb eines engen Raumes zeigen ſich hier, naͤchſt dem
Gekreuzigten, in den oberen Winkeln die antiken, damals
nicht ungewoͤhnlichen Perſonificationen der Sonne und des
Mondes, unter dem Kreuze Maria und Johannes, und einige
Heiligen in halber Figur; Alles mit erſinnlichſter Ungeſchick-
lichkeit angedeutet, und ohne die beygefuͤgten Inſchriften in
barbariſchem Latein faſt unkenntlich. In der unteren Aufſchrift
melden ſich die Stifter, der Abt des Kloſters Rambona und
die Goͤnnerin deſſelben, Agiltrude, Herzogin von Spoleto,
Gemahlin Guido’s, des nachmaligen Kaiſers. Guido ward
im Jahre 889 von ſeiner Parthey zum Koͤnige von Italien
gewaͤhlt, und als Koͤnig und roͤmiſcher Imperator beſtaͤtigt
und gekroͤnt im Jahre 891 **). Da nun in obiger Aufſchrift
dieſe Erhoͤhung noch nicht angedeutet, ſo duͤrfen wir anneh-
men, daß unſere Tafel um etwas fruͤher entſtanden, wie ſie
denn gewiß nicht ſo gar viel neuer ſeyn ***) kann. Alſo
I. 16
[242] duͤrfen wir, mit Ruͤckblick auf die Denkmale Paſchals I.,
annehmen, daß um die Mitte des neunten Jahrhunderts die
italieniſche Kunſtuͤbung bereits ihre niedrigſte Stufe erreicht
hatte. Daß ſie im eilften Jahrhundert noch immer dieſelbe
Stufe einnahm, ſehen wir aus einem unwiderleglichen Zeug-
niß, dem vaticaniſchen Exemplare des Lobgedichtes auf die
Graͤfin Mathilde*).


Verſchiedene behaupten, ich erkenne nicht aus welchen
Gruͤnden, daß dieſe Abſchrift des bekannten Lobgedichtes des
Donizo im zwoͤlften Jahrhundert geſchrieben ſey. Gewiß
koͤnnte das erſte unter den theils miniirten, theils nur farbig
bezeichneten Blaͤttern dieſer Handſchrift eher auf die Vermu-
thung leiten, ſie ſey der Graͤfin perſoͤnlich uͤberreicht, mithin
noch vor ihrem Tode beſorgt worden. Iſt ſie vielleicht ſogar
in ihren Bildern die Copie eines anderen Exemplares, welches
ich angezeigt finde **), aber nicht ſelbſt geſehen habe?


Unter allen Umſtaͤnden iſt ſo viel gewiß, daß ſie ſchon
ihres Gegenſtandes willen nicht fruͤher, als nach der Mitte
des eilften Jahrhunderts kann geſchrieben und durch Bilder
geziert ſeyn, deren ſchwankende, oft tief in die Form einſchnei-
dende Umriſſe, deren rohe Farbenkleckſe, deren Unbekanntſchaft
ſelbſt mit den leiſeſten Andeutungen des Helldunkels und der
Modellirung bezeugen, daß um das Jahr 1100 noch keine
Beſſerung eingetreten war. Die aͤußerſte Grenze dieſer ganz
negativen Kunſtepoche faͤllt demnach mit dem Gegenſtande der
nachfolgenden Unterſuchung zuſammen.


[243]

Obiges wird genuͤgen, die tiefſte Entartung der italieni-
ſchen Kunſt der Zeit nach zu begrenzen. Fuͤr ſolche, welche
dieſe Forſchung weiter zu verfolgen veranlaßt ſind, vereinige
ich in dieſem Nachtrage alle Beiſpiele, welche ich ſelbſt zu
pruͤfen Gelegenheit gefunden. Andere, welche in Druckſchriften
angefuͤhrt werden, halten nicht immer Probe *). Ich werde
ſie daher durchhin uͤbergehen, indem ich auf Lanzi sto. pitt.
dell’ Italia
verweiſe, wo zu Anfang, origini etc., die wich-
tigſten Schriften uͤber dieſen Gegenſtand nachgewieſen ſind.


1) Unter den Denkmalen des tiefſten Verfalles italieni-
ſcher Kunſt iſt das Muſiv der Kirche S. Francesca Romana,
auf dem Forum zu Rom, in der Naͤhe des Titusbogens, das
16 *
[244] ausgedehnteſte. In der Mitte Madonna mit dem Kinde, die
untere Haͤlfte ergaͤnzt, nur die obere von alter Arbeit. Der
Schmuck der Madonna barbariſch ſeltſam; deutlich, daß der
Kuͤnſtler die neugriechiſche Geſtaltung dieſer Kunſtidee entweder
nicht kannte, oder doch unbeachtet ließ. Zu beiden Seiten des
Thrones der Madonna vier Heilige, unter runden Bogen, auf
Saͤulen mit korinthiſirenden Kapitaͤlen, welche nach den, frei-
lich erneueten, Inſchriften Johannes, Jacobus, Petrus und
Andreas vorſtellen. Die ſehr bemerklichen Umriſſe fuͤllt ein
einfacher Localton ohne Abaͤnderung durch Schatten und Lich-
ter. In den Apoſteln iſt der Hauptentwurf aus altchriſtlichen
Denkmalen entnommen; die Mutter mit dem Kinde iſt indeß
bekanntlich ſpaͤt zugelaſſen, alſo erſt in barbariſchen Zeiten er-
funden worden; ſie ſcheint ſelbſt bey den Griechen, obwohl
minder unfoͤrmlich als hier, doch ſogleich als Mumie entſtan-
den, nicht allmaͤhlich eingewelkt zu ſeyn, wie aͤltere Kunſtvor-
ſtellungen. Die Ausbildung dieſer Idee gehoͤrt den Italienern
des dreyzehnten und folgender Jahrhunderte an, wo wir ſie
naͤher betrachten werden.


2) Noch um das Jahr 1820 waren minder bedeutende,
doch unbezweifelt in dieſer traurigen Epoche entſtandene Ma-
lereyen an verſchiedenen Stellen vorhanden. So bemerkte ich
1821 im Hauptſchiff der Kirche S. Frediano zu Lucca die
Marter einer Heiligen, deren Begrenzung oben in ſtumpfem
Winkel beſchloſſen war, ein Umſtand, welcher bey Alterthuͤ-
mern dieſer Zeit und Art in Italien von der Mitte des drey-
zehnten Jahrhunderts ruͤckwaͤrts deutet, da ſpaͤter die gothiſche
Verzierung herrſchend geworden. Die Arbeit iſt aͤußerſt roh,
dicke Umriſſe trennen die unbeleuchteten Formen. Doch duͤrfte
dieſe Malerey nicht aͤlter ſeyn, als das zwoͤlfte Jahrhundert.


[245]

Derſelben Zeit ſcheint die Madonna in der Kirche S.
Maria della Valle, detta la Carbonara, de’ Cavalieri
di Malta,
zu Viterbo, anzugehoͤren, weil ſie, bey großer Ro-
higkeit der Arbeit, doch ſchon geruͤndetere Umriſſe zeigt. Sie
iſt ein uraltes Andachtsbild des Ordens. Ebendaſelbſt ein
wohl gleich alter Chriſtuskopf, den ein Maler ſieneſiſcher
Schule des funfzehnten Jahrhunderts mit einem Koͤrper verſe-
hen und durch zwey Engel gemehrt hat.


3) In der barberiniſchen Bibliothek zu Rom werden
fuͤnf loſe Pergamentſtreifen aufbewahrt, als Denkmal eines
hochmittelalterlichen Kirchengebrauches, nach welchem die Ge-
bete und Formeln dem Prieſter, die Bilder auf dem herabhan-
genden Theile des Blattes dem Volke vorlagen, wovon auch
zu Piſa, im Dome, Beyſpiele vorhanden ſind. In unſerem
Exemplare deutet die anomale, ſelten vorkommende Schriftart
auf das eilfte oder zwoͤlfte Jahrhundert; nach den Anſpielun-
gen auf die Inveſtiturſtreitigkeiten, No. 1, ſind ſie nothwendig
ſpaͤter als dieſe. Die Ausfuͤhrung der Miniaturen iſt, obwohl
beſſer, als in oben beleuchtetem Donizo, doch immer noch
aͤußerſt roh. Mit Ausnahme des Chriſtus, eines Engelheeres
und anderer altchriſtlichen Vorbildern nachgeahmter Einzelnhei-
ten, iſt das Uebrige, wie es die Beſtimmung herbeyfuͤhrte,
von mittelalterlicher Erfindung. Vgl. daſ. die lateiniſche Bi-
bel, wo auf dem vierten Blatte des neuen Teſtamentes in al-
ten Schriftzuͤgen
AN̅N̅. D̅. M. XCVII.
IN̅D̅. V. M. IV̅L̅
.


4) No. 29 der kleinen Dombibliothek zu Perugia enthaͤlt
unter ande[rn] aſcetiſchen Werken auch Schriften des Rhaba-
nus [Maurus]
und Beda; nach den Zuͤgen aber ſcheint die-
[246] ſer Codex im zehnten oder eilften Jahrhundert geſchrieben zu
ſeyn. Die Miniaturen zu Anfang ſind unglaublich unfoͤrm-
lich; die Jungfrau vornehmlich iſt auffallend ungeſtalt und
roh behandelt. Was an altchriſtlichen Gewandmotiven aufge-
nommen worden, iſt durcheinander geworfen und gaͤnzlich miß-
verſtanden. Aehnliche Miniaturen, deren Alter mehr und
minder mit Sicherheit anzugeben, finden ſich uͤberall in den
Bibliotheken Italiens, und wahrſcheinlich, wenn man ſie ſu-
chen wollte, auch in einigen der groͤßeren Sammlungen dieſ-
ſeit der Berge. Z. B. in der Bibl. der Sapienza zu Siena,
No. 1 und 2 der chronologiſchen Sammlung miniirter HSS.
Die erſte, ſ. Augustin. in Ev. fo. m., enthaͤlt acquarellirte
Anfangsbuchſtaben, unter denen in c. Serm. XIII. ein Rund
mit Koͤpfen von aͤußerſter Rohigkeit; die zweyte, Antiphona-
rium,
hat einfachere Verzierungen, darin Figuren von etwa
vier Kopflaͤngen. Dieſe Kritzeleyen ſind ſchwerlich das Beſte
ihrer Zeit, ſtimmen indeß zum Tone ihrer Zeit. Vgl. v. d.
Hagen
im a. B. Bd. III. S. 251 ff. uͤber Bibl. u. Archiv
des Kloſters la Cava.


5) In der bereits angefuͤhrten Kirche S. Praxedis, welche
Paſchal I., wie ſchon erwaͤhnt, neu gebauet hat, befinden ſich
einige Malereyen, welche offenbar juͤnger und roher ſind, als
jene Muſive deſſ. Papſtes, doch als minder barbariſch in Be-
kleidungen und Beywerken, aͤlter zu ſeyn ſcheinen, als das
angefuͤhrte Muſaik in S. Francesca Romana. Dieſe beſtehen,
zunaͤchſt in dem Muſive der kleinen Niſche der Kapelle des
heil. Paul, worin die Madonna mit dem Kinde, zu beiden
Seiten die Hll. Praxedis und Pudentiana. Das lateiniſche
Monogramm im Felde, aufgeloͤſt: Maria, Christi mater,
iſt wegen ſeiner Seltenheit bemerkenswerth; zugleich beſtaͤtigt
[247] es, was ſchon das Anſehen des Gemaͤldes zeigt: daß man
auch zu Rom, ohne genauere Bekanntſchaft mit der griechiſchen
Vorſtellung, auf ſeine Weiſe verſucht die Madonna zu malen;
obwohl ſie noch ſchlimmer ausgefallen, als die Mutter der
griechiſchen Kirche. Dieſe Jungfrau duͤrfte gegenwaͤrtig das
aͤlteſte Beiſpiel eigenthuͤmlich lateiniſcher Darſtellung dieſes
Gegenſtandes ſeyn; obwohl derſelbe unſtreitig viel fruͤher auf-
gekommen, da dieſes Gemaͤlde unter allen Umſtaͤnden etwas
neuer iſt, als die Gruͤndung der Kirche zu Anfang des neun-
ten Jahrh. Lanzi, l. c. origg., folgt den opusc. Calo-
geriani, T. 43,
wo in einer Abh. uͤber dieſen Gegenſtand
die Erfindung, oder der Gebrauch, die Mutter mit dem Kinde
zu malen, ungefaͤhr ins fuͤnfte Jahrhundert verſetzt wird.
Das iſt zu fruͤh.


Die ſehr verdorbenen Malereyen an der Wand außerhalb
dieſer Kapelle duͤrften dem Muſive der großen Tribune und
der Wiederherſtellung der Kirche durch Paſchal I. gleichzeitig
ſeyn. In der Unterkirche ebendaſ. iſt indeß derſelbe Gegen-
ſtand, die Madonna und jene zwey Heiligen, roh auf die
Mauer gemalt, und duͤrfte vielleicht das Vorbild jenes oberen
Muſives ſeyn. Die beiden Heil. ſind nicht antik, ſondern
barbariſch bekleidet, ihre Koͤpfe indeß ſehr aufgefriſcht. Die
Gewaͤnder ſind ohne Schatten und Licht, die Bezeichnungen
in Haͤnden und Koͤpfen, wo ſie alt ſind, uͤberall aus unver-
ſtandenen Traditionen entſprungen. Aus den eingedruͤckten
Umriſſen ſollte man ſchließen, das Bild ſey auf naſſen Kalk
gemalt; uͤbrigens zeigen ſich darin noch einige Handgriffe der
antiken Malerey, vornehmlich in einem gewiſſen markigen
Auftrage der Farbe, welcher zwar nahe an das Kleckſige
grenzt, doch auch in dieſer Form noch ſeine Abkunft aus den
[248] Kunſtgriffen vergangener Meiſterſchaft an den Tag legt. Wir
erinnern uns aus den Beiſpielen der vorangehenden Abhand-
lung eines aͤhnlichen Auftrages in longobardiſchen Malereyen
zu Verona und Aſiſi; dort ſteht er indeß dem Antiken um ei-
nige Stufen naͤher als hier, was denn allerdings in der Ord-
nung iſt.


6) Gleichzeitige Bildnereyen, welche vornehmlich an den
Vorſeiten der Benedictinerabteyen aufzuſuchen, deren Beguͤnſti-
gung mit dem tiefſten Verfalle der italieniſchen Kunſt zuſam-
menfaͤllt. An der Abtey von Volterra hat ein Fries mit ganz
kurzen Figuͤrchen die Erneuerung der Vorſeite uͤberdauert. Eine
Anbetung der Koͤnige, links vom großen Eingang in die
Pfarrkirche zu Arezzo, ein aͤhnliches auf dem Platze vor S.
Franz zu Bolſena, gehoͤren theils durch ihren Gegenſtand,
theils durch deſſen Behandlung zu den Ausnahmen; ſie ſchei-
nen gegen Ende unſeres Zeitraumes oder zu Anfang des naͤch-
ſten entſtanden zu ſeyn. Muſiviſch eingelegte, ſilhouettartige
Figuren an toskaniſchen Gebaͤuden des eilften Jahrhunderts,
etwa an der Vorſeite des Domes zu Piſa und ſonſt, ſind
ſtandhaft von hoͤchſter Unform. — Einige Nachtraͤge zu dem
hier Angefuͤhrten finden ſich im ſechsten Theile der Geſch. der
Hohenſtaufen von Friedrich von Raumer, S. 536 ff. Ich
habe manches dort Angemerkte nicht einzeln auffuͤhren wollen,
theils weil Vollſtaͤndigkeit im Einzelnen außer meinem Plane
liegt, theils weil jenes treffliche Buch uͤberall genutzt und ge-
leſen wird. Ueberhaupt hoffe ich mit anderen Beleuchtungen
dieſes dunkeln Zeitraumes, etwa Cicognara’sstoria della
sc. etc. T. 1.
S. 70 ff., oder Fiorillo’s Geſch. der zeich-
nenden Kuͤnſte, Bd. 1. S. 33 — 68, ſowohl in Bezug auf
Zahl, als vornehmlich auf Zuverlaͤſſigkeit der Beiſpiele, die
[249] Vergleichung auszuhalten, und fuͤrchte nicht ſowohl den Vor-
wurf der Kargheit, als vielmehr den des Ueberfluſſes an nie-
derſchlagenden Thatſachen.


Ein wichtiges Denkmal, welches Muratori (scriptt.
To. II. Part. II. ad p. 772.
) nach Dachery abgebildet und
beſchrieben, uͤbergehe ich, weil ich es weder ſelbſt geſehen, noch
in Erfahrung gebracht, ob es noch vorhanden ſey. Dieſer
Bronzeguß iſt zum Andenken der Verſetzung der Gebeine des
heil. Clemens angefertigt, alſo auf jeden Fall nicht aͤlter, als
die Regierung Ludwigs II., welcher ſie angeordnet, wahrſchein-
lich aber, ſchon nach den Zuͤgen und Abkuͤrzungen der Inſchrift,
etwas ſpaͤter; auf der anderen Seite jedoch gewiß nicht neuer,
als das eilfte Jahrhundert, gegen deſſen Ende die Abtey ſich
dem Papſte unterwarf, und den kaiſerlichen Beguͤnſtigungen,
welche jenes Bronzethor verewigt, fuͤr die Zukunft entſagte (ſ.
Luc. Dacherii praef. in Chronicon Casauriense, Spicil.
To. V.; Mur. scriptt. T. et P. c. p.
771.). Nach der
Abbildung, der es, wie allen aͤlteren, an einer richtigen Be-
zeichnung der Kunſtſtufe ihres Vorbildes fehlt, laͤßt ſich das
Alter des Werkes nur annaͤhernd beſtimmen. Wahrſcheinlich
iſt das Kunſtverdienſt ſehr gering, da der Kuͤnſtler Figuren,
Handlungen, ſogar Sachen, uͤberall durch Beyſchriften erlaͤu-
tert, ein Gebrauch, welcher, wie wir ſehen werden, im eilften
Jahrh. ſehr verbreitet geweſen.


[250]

VI.
Zwoͤlftes Jahrhundert.
Regungen des Geiſtes, techniſche Fortſchritte
bey namhaften Kuͤnſtlern.


Denen, welche die Culturgeſchichte der unfruchtbarſten
Abſchnitte des Mittelalters behandeln, ſcheint es nahe zu lie-
gen, ſich ſelbſt, oder auch nur ihre Leſer durch bedingende Re-
den, oder durch Vertroͤſtungen auf wirkliche oder nur eingebil-
dete Fortſchritte abwechſelnd ein wenig aufzurichten. In dieſer
Abſicht, denke ich, verkuͤndete Fiorillo mitten im neunten
Jahrhundert, eben da, wo, wie uns bekannt, die erſinnlich
tiefſte Entartung der italieniſchen Kunſtuͤbung eintritt, bemerk-
liche Fortſchritte und gute Hoffnungen; worin er hoͤchſt wahr-
ſcheinlich ſeinen Gewaͤhrsleuten, beſchraͤnkten Localſcribenten,
unnachdenklich gefolgt iſt *). Gewiß fehlte es ihm an Luſt und
Gelegenheit, in jener Beziehung eigene Unterſuchungen anzu-
ſtellen; mir ſelbſt aber iſt es waͤhrend vieljaͤhriger Nachfor-
ſchungen durchaus nicht gelungen, irgend ein Beiſpiel des
Wiederaufſtrebens und Fortſchreitens der italieniſchen Kunſtuͤ-
bung aufzufinden, deſſen Alter den Anbeginn des zwoͤlften
Jahrhunderts uͤberſtiege.


Die Bildnerey, welche uͤberall der Malerey voranzueilen
[251] pflegt *), vielleicht weil es, in gewiſſem Sinne, leichter iſt,
wirkliche Formen, als deren Schein hervorzubringen, ſtrebt
allerdings auch in dieſem Zeitraum, den zeichnenden Kuͤnſten
einen gewiſſen Vorſprung abzugewinnen. Denn es duͤrften ei-
nige halberhobene Arbeiten, in denen eine ſchwache Regung
eigenen Geiſtes, ein gewiſſes Beſtreben ſich zeigt, beſſeren,
vielleicht altchriſtlichen Vorbildern gleichzukommen, theils in
Anſehung des Entwurfes und der Ausfuͤhrung ihrer architek-
toniſchen Beywerke, theils weil ſie von der roheſten Arbeit
des zehnten und eilften Jahrhunderts zu den Bildwerken des
zwoͤlften einen gewiſſen Uebergang bilden, vielleicht ſchon dem
Ende des eilften beyzumeſſen ſeyn. Dahin zaͤhle ich das Re-
lief an der Bruſtwehr der Kanzel des Domes zu Volterra, deſ-
ſen architectoniſche Beywerke ins eilfte Jahrhundert verweiſen,
wenn man, wie es noͤthig iſt, die aͤlteren Stuͤcke von den
neueren unterſcheidet, welche bloße Erweiterung des inneren
Raumes zu bezwecken ſcheinen. Der Gegenſtand der Darſtel-
lung iſt die Fußwaſchung der bußfertigen Magdalena; die Fi-
guren ſind auf dieſelbe Weiſe hinter die Tafel geordnet, als
auf den aͤlteren Darſtellungen des Abendmahles; Chriſtus in-
deß hier am linken Ende der Tafel, zu ſeinen Fuͤßen Magda-
lena, von dem ſymboliſchen Drachen noch immer verfolgt,
oder eben erſt ausgeſpieen, woruͤber wir den Kuͤnſtler ſelbſt
vernehmen muͤßten. Die Charaktere der Koͤpfe ſind hier ſchon
ziemlich entſchieden, doch im Verhaͤltniß zum Koͤrper etwas
[252] groß zugemeſſen; die uͤbrigen Glieder von beſſerem Verhaͤltniß,
als in ſo fruͤhen Arbeiten gewoͤhnlich iſt. In der Anordnung
oder im Style des Reliefs gleicht das unſrige den roheren
altchriſtlichen Bildnereyen.


Im Entwurf und in der Arbeit der Roſons und Geſimſe,
in dem ſparſam angebrachten Schmuck von eingelegtem ſchwar-
zen Marmor, gleicht dieſes Werk jenen architectoniſchen Denk-
malen, welche waͤhrend des eilften Jahrhunderts im oberen
Arnothale in nicht geringer Zahl errichtet worden. Mit dieſen
ſtimmt ein anderes Werk noch genauer uͤberein, dem es, wie
jenem, an einer zeitbeſtimmenden Inſchrift fehlt, die Kanzel
nemlich der vorſtaͤdtiſchen Kirche S. Leonardo, außerhalb und
zur Linken des roͤmiſchen Thores zu Florenz.


Dieſe Arbeit ward unter dem Großherzog Peter Leopold
bey Abtragung der noch uͤbrigen Theile der uralten Baſilica
S. Piero Scheraggio an ihre gegenwaͤrtige Stelle verſetzt.
Nach einer Ueberlieferung, welche weit zuruͤckreicht, waͤre ſie
ſchon im eilften Jahrhundert aus Fieſole nach Florenz entfuͤhrt
worden, bey Zerſtoͤrung jener alten Bergſtadt durch die Flo-
rentiner, uͤber welche Begebenheit allerdings die umſtaͤndlichen
Berichte von Augenzeugen und Zeitgenoſſen noch erſehnt wer-
den *). Doch, wie es immer mit dieſer Erzaͤhlung zu neh-
men ſey, ſo iſt doch ſo viel gewiß: daß die zahlreichen Bey-
ſchriften, durch welche der Kuͤnſtler ſeine unvollkommene Dar-
ſtellung unterſtuͤtzt hat, ſowohl den Schriftzeichen, als der
Sprache, als ſelbſt dem Gebrauche nach, nicht ſehr viel neuer
ſeyn koͤnnen; daß ferner die architectoniſchen Beywerke, in ſo
weit ſie erhalten und nicht ſpaͤterhin ergaͤnzt ſind, mit einem
[253] bewaͤhrteren Bauwerke dieſer Zeit und Gegend große Aehnlich-
keit zeigen. Ich beziehe mich hier auf die Vorſeite und auf
einige innere Verzierungen der alten Abtey S. Miniato a
Monte, außerhalb Florenz, von welchen vornehmlich durch
Manni*) erwieſen worden, daß ſie durch Beguͤnſtigung
Heinrichs II. zu Anfang des eilften Jahrhunderts zu Stande
gekommen.


Wie ſchon angedeutet worden, ſind einzelne Beywerke
dieſer Kanzel eingeſchoben oder erneuet. Die vorderen Saͤul-
chen indeß ſind alt, eben wie die Kapitaͤle, welche korinthi-
ſchen mit ziemlicher Genauigkeit nachgebildet ſind. Dagegen
erſcheinen zunaͤchſt uͤber den Saͤulen, welche die Kanzel tragen,
Architrav, Friis und Kranz ungleich neuer und ganz auf
Weiſe des fuͤnfzehnten Jahrhunderts profilirt, in welchem die
Herſtellung demnach beſchafft ſeyn mag. Die ſechs halberho-
benen Darſtellungen, welche die Kanzel von drey Seiten um-
geben, ſelbſt ein Theil des oberen Karnieſes, entſprechen den
beiden vorderen Saͤulchen im Charakter der Arbeit, wie in der
Verwitterung der Politur. Die Einfaſſung der Reliefs beſteht
in Leiſten von weißem Marmor, auf denen muſiviſche Muſter
in ſchwarzem ausgelegt ſind. Beym Wiederaufſetzen der Stuͤcke
ſcheint fruͤher oder ſpaͤter die Ordnung der Darſtellungen von
der Linken zur Rechten des Beſchauers umgeſtellt zu ſeyn.


Die Vorſtellung im Tempel; in dem Hintergrunde die-
ſer Darſtellung zeigen ſich drey auf Saͤulen ruhende Bogen,
in deren Mitte ein Kreuz ſchwarz auf weißem Grunde einge-
legt iſt, zur Andeutung, denke ich der Beſtimmung des Neu-
[254] gebornen, wenn nicht eher gedankenloſe Wiederholung eines
herkoͤmmlichen Symbols. Die vier einzelnen Figuren, ſogar
der Altar, ſind nach dem Gebrauche des hoͤheren Mittelalters
mit Beyſchriften verſehen. Ehe die Kunſt das Vermoͤgen er-
langt, im eigentlichſten Sinne darzuſtellen, ſo lange ſie nur
an ſchon vorgebildete Begriffe oder an bekannte Ereigniſſe er-
innern will, unterſtuͤtzt ſie die noch unbeſeelte Geſtalt durch
Zeichen von willkuͤhrlicher Bedeutung, oder durch Schrift,
wenn ſolche, wie hier, ſchon vorhanden iſt.


Nach der Taufe des Heilands, welche ebenfalls durch
Beyſchriften erklaͤrt wird, folgt die Anbetung der Koͤnige.
Dieſe ſind ganz mittelalterlich bekleidet, in kurzer, am Saume
beſetzter Tunica, mit Maͤnteln, welche von einer Schulter her-
abhangen; der heil. Joſeph hingegen, welcher den rechten Arm
auf die Lehne des Seſſels, das Kinn auf die Hand ſtuͤtzt,
das Haupt mit vieler Wahrheit der Bewegung den Koͤnigen
zuwendet, erinnert an hochalterthuͤmliche Simplicitaͤt. Das
Vorbild dieſer Geſtalt mochte, wenn auch in anderer Bedeu-
tung, dem Kuͤnſtler auf altchriſtlichen Sarkophagen vorgekom-
men ſeyn; hingegen moͤgen die Koͤnige ſelbſt, deren bildliche
Darſtellung ſo ſpaͤt aufgekommen iſt, ſeiner eigenen oder doch
der Erfindung barbariſcher Zeiten angehoͤren. Ich uͤbergehe
die uͤbrigen Darſtellungen, weil ſie dem kuͤnſtleriſchen Her-
kommen des Mittelalters entſprechen, mithin wenig Neues
darbieten.


Im Ganzen angeſehen unterſcheidet ſich dieſes Denkmal
von anderen ungefaͤhr gleichzeitigen derſelben Gegend durch
Behandlung und Verhaͤltniſſe. In ungefaͤhr gleichzeitigen Ar-
beiten an der Vorſeite und am Chore der Kirche S. Miniato
a Monte, in den ganz aͤhnlichen Tragſteinen der Rinnen an
[255] der Johanniskirche zu Florenz findet ſich noch immer jenes
kurze, gedruͤckte, ſchwerfaͤllige Verhaͤltniß, welches im hoͤheren
Mittelalter die Kunſtarbeiten der Italiener von denen gleichzei-
tiger Griechen unterſcheidet. In Vergleich mit dieſen und
aͤhnlichen Figuren ſcheint denn obiges Denkmal allerdings ſich
dem Griechiſchen anzunaͤhern. Ich unterdruͤcke indeß die Ver-
muthungen, welche dieſer Umſtand erweckt, da es gefaͤhrlich
ſeyn duͤrfte, ſie zu verfolgen, ehe es gelungen waͤre, das Al-
ter und die Herkunft des Werkes, von welchem ſie ausgehen,
ſicherer zu beſtimmen, als mir bisher gelungen iſt.


Indeß werden wir auch fuͤr die Folge feſthalten muͤſſen,
daß die beſchriebenen Bildnereyen im Entwurf wie in der
Ausfuͤhrung ſogar von den italieniſchen Bildnereyen des naͤchſt-
folgenden Jahrhunderts ſich unterſcheiden, in welchem wir
wiederum auf Kuͤnſtlernamen treffen, was von erwachendem
Ehrgeiz zeugt und den heilſamen Trieb ankuͤndigt, ſich vor der
Menge auszuzeichnen.


Es iſt bemerkenswerth, daß wir den aͤlteſten Urkunden
der toscaniſchen Bildnerey eben in Piſtoja begegnen, einer
fruͤh beguͤterten Stadt, welche indeß ſchon ſeit dem Ende des
zwoͤlften Jahrhunderts gegen Lucca und Piſa zuruͤcktritt, im
vierzehnten ſchon zur bloßen Provinzialſtadt herabſinkt. Auch
an groͤßeren Orten, zu Piſa, Florenz, Rom, werden wir die
aͤlteſten Denkmale neuerer Kunſt vornehmlich in vernachlaͤſſig-
ten Kirchen der Vorſtaͤdte aufſuchen. Aus welchen Umſtaͤnden
abzunehmen, daß wir nur den kleinſten Theil der Kunſtarbei-
ten jener Zeit beſitzen, und dieſen ſelbſt nur der Vernachlaͤſſi-
gung, nicht der abſichtlichen Aufbewahrung verdanken. An
ſolchen Puncten, in denen die bildenden Kuͤnſte ſchon ſeit dem
dreyzehnten Jahrhunderte und bis in die neueſte Zeit hin un-
[256] ermuͤdlich befoͤrdert worden, haben die unſcheinbaren Denkmale
der aͤlteren Epoche nicht bloß der naͤchſten, vielmehr ganzen
Reihefolgen der neueren Kunſt- und Geſchmacksgenerationen
Raum geben muͤſſen. Weshalb diejenigen in einer Taͤuſchung
befangen ſind, welche aus jenen Zeiten mehr, als die bloße
Probe der jedesmaligen Kunſtfertigkeit zu beſitzen waͤhnen;
und die, in dieſem Irrthum befangen, die abgeriſſenen Thatſa-
chen, welche etwa ſich begruͤnden laſſen, uͤberall unter ſich
verbinden wollen, was ſicher nicht durchhin moͤglich iſt.


Unter den Meiſtern von unbekannter Herkunft, welche zu
Piſtoja gearbeitet haben, giebt ein gewiſſer Gruamons (die
Italiener nennen ihn Gruamonte, obwohl der Name aus an-
deren Sylben latiniſirt oder uͤberſetzt ſeyn koͤnnte) ſich ſelbſt
das Epithet: magister bonus. Dieſes hatte Vaſari*)
entweder fluͤchtig geleſen, oder mit einer anderen Inſchrift
verwechſelt, wo der Meiſter ſich wirklich Bonus nennt; wenn
ihn nicht eher ein Berichtgeber irre geleitet. Gewiß verbreitete
er, froh einen namhaften Kuͤnſtler zu haben, ſeine Thaͤtigkeit
uͤber halb Italien, was zu den vielfaͤltigen Zeichen des Leicht-
ſinns gehoͤrt, mit welchem Vaſari ſeine abgeriſſenen, oft an
ſich ſelbſt ganz unbegruͤndeten Nachrichten aus dem hoͤheren
Mittelalter genutzt und dichteriſch ausgebildet hat.


Der Meiſter Gruamons nennt ſich zunaͤchſt auf einem
Architrav der Kirche S. Andreas zu Piſtoja; derſelben, welche
Vaſari anfuͤhrt. Hier ſagt die Inſchrift: Gruamons ma̅g̅.
bon̅. et Adeodatus frater ejus.
Nach der Auslegung be-
ſon-
[257] ſonnener Forſcher *) iſt magister bonus hier ein bloßer Zu-
ſatz, und als ſolcher beſtaͤtigt er ſich in der That in einer
zweyten Inſchrift derſelben Stadt, am Architrav der Seiten-
thuͤre von S. Johannes, außerhalb des alten Ringes der
Stadt (forcivitas), wo noch einmal und voll ausgeſchrieben:
Gruamons magister bonus fec̅. hoc opus. Aehnliche Zu-
ſaͤtze finden ſich in anderen Inſchriften derſelben oder doch um
wenig ſpaͤteren Zeit **); auf der anderen Seite iſt nicht an-
zunehmen, daß Bonus hier Geſchlechtsname ſey, da dieſe un-
gleich ſpaͤter eintreten, auch weil die Conſtruction dawi-
der ſtreitet.


Indeß vermiſchte Vaſari, oder wem er ſonſt dieſe Kunde
verdankte, dieſe Inſchrift mit einer anderen derſelben Stadt,
an der Außenſeite nemlich der Tribune von S. Maria nuova,
wo in dem Geſimſe eines auf leidlich gearbeiteten Koͤpfen ru-
henden Kranzes:
A. D. MCCLXVI. T̅P̅R̅ PARISII PAGNI ET SI-
MONIS. MAGISTER BONVS FE.


Derſelbe Meiſter nennt ſich an der Kirche S. Salvatore
daſelbſt noch einmal, mit dem dort ausgeſchriebenen Jahre
1270 ***).


Hier iſt nach der Wortſtellung nicht zu bezweifeln, daß
I. 17
[258] der Meiſter Buono geheißen habe; dieſer Buono iſt indeß um
ein Jahrhundert neuer, als Vaſari’s, oder als jener Grua-
mons
der fruͤheren Inſchriften. Denn aus verſchiedenen Um-
ſtaͤnden erhellt, daß dieſer Kuͤnſtler nicht ſpaͤter als im eilften
oder zwoͤlften Jahrhundert gemeißelt haben konnte. Auf die
Jahre 1166 und 1162, welche den obigen Inſchriften beyge-
fuͤgt ſind, duͤrften wir uns allerdings nicht verlaſſen koͤnnen.
Die Charaktere, in denen ſie eingegraben, erſcheinen gleich
modernen Nachahmungen der antiken, kantigen Inſcriptional-
majuskel, waͤhrend das uͤbrige in jenen rundlich fetten Cha-
rakteren, welche im eilften bis ſpaͤt in das vierzehnte Jahr-
hundert uͤblich waren, und der Majuskel der aͤlteſten calligra-
phiſchen Denkmale nachgeahmt ſind. Die erſte:
A. D. MC. LXVI.
ſtimmt in den Einern und Zehnern zu auffallend mit
Vaſari’s Angabe uͤberein, welche wiederum offenbar aus
Verwechſelung der Inſchrift am Architrav von S. An-
dreas mit jener andern vom Jahre 1266 entſtanden iſt;
denn wer einmal die Namen ſo fluͤchtig geleſen, mochte
auch ein einzelnes Zahlzeichen uͤberſehen oder vergeſſen ha-
ben. Erwaͤgen wir nun, daß Vaſari lange Zeit hindurch
auch fuͤr die aͤltere Kunſthiſtorie als Gewaͤhrsmann betrachtet
worden; daß der Localpatriotismus der Italiener ganz unbe-
grenzt, und, in Ermangelung vieler anderen Anſpruͤche, vor-
nehmlich durch Anſpruͤche auf fruͤhe Leiſtungen in Dingen der
Kunſt erfreuet und genaͤhrt wird; ſo duͤrften wir vermuthen,
dieſe Jahreszahlen von verdaͤchtiger Schriftart ſeyen ſpaͤter,
etwa im ſechszehnten Jahrhundert nachgetragen worden; was
um ſo wahrſcheinlicher iſt, da ſie auch, ganz gegen den Ge-
brauch ſo fruͤher Zeiten, einen bloß nachhallenden, unverbun-
[259] denen Hinterſatz bilden. Dieſelbe Verfaͤlſchung verraͤth ſich am
Architrav der Hauptthuͤre von S. Bartolomeo, wo an der in-
neren Seite des Architraves, nach dem unzweydeutigen Namen
des Vorſtehers, Rodolfinus operarius, ebenfalls in neu an-
tiken Charakteren: ANNI DN̅I̅. M.C.LXII., welches Jahr
mit dem Zuſatze zur zweyten Inſchrift des Meiſter Gruamons
uͤbereinſtimmt, und eben hiedurch die Verdaͤchtigkeit dieſer letz-
ten erhoͤht *).


Wer immer dieſe Verfaͤlſchungen vorgenommen, gewiß
in der redlichen Abſicht, den verdienten und wohlbegruͤndeten
Ruhm ſeiner Vaterſtadt vor Vergeſſenheit ſicher zu ſtellen,
haͤtte doch wohl die Muͤhe erſparen koͤnnen, da Meiſter Grua-
mons
nach der zum Schlanken ſich neigenden, vorgothiſchen
Architectur der Bauwerke, in welche ſeine Bildnereyen einge-
laſſen ſind, gewiß nur im zwoͤlften Jahrhundert, nicht fruͤher
noch ſpaͤter, gemeißelt haben kann.


Das Kunſtverdienſt ſeiner Arbeiten beſteht vornehmlich
in einem loͤblichen Sinn der Anordnung nach den Forderungen
halberhobener Arbeiten. Die Gegenſtaͤnde im Architrav von
S. Andrea: links die heil. drey Koͤnige zu Pferde, rechts die-
ſelben in der Handlung der Anbetung des Kindes; in der
Mitte, beide Handlungen trennend, Chriſtus, der die Apoſtel
von den Netzen abruft. An jener Seitenthuͤre des heil. Jo-
hannes
Ev.: das Abendmahl, deſſen Anordnung zu den aͤlte-
ren Beyſpielen einer feſtſtehenden Form der Darſtellung dieſes
Gegenſtandes gehoͤrt, welche ganz neuerlich durch Ruſcheweih’s
Kupferſtich nach einem Gemaͤlde, welches Vaſari faͤlſchlich dem
Giotto beygemeſſen, in einem weiteren Kreiſe bekannt geworden.


17 *
[260]

Dieſe und andere Bildnernamen, welche wir noch aufzu-
zaͤhlen haben, benutzt Morrona, dem die Verdaͤchtigkeit obi-
ger Inſchriften durchaus entgangen, um ſeine piſaniſche Bild-
nerſchule bis in das zwoͤlfte Jahrhundert zuruͤckzufuͤhren. Wir
werden uns, bey ſo großer Entlegenheit des Ortes, von dem
Localpatriotismus dieſes und anderer Geſchichtsforſcher italie-
niſcher Staͤdte nicht anſtecken laſſen, und lieber annehmen,
daß wir den Geburtsort und die Schule jener alten Bildner,
deren Namen uns der Zufall an geſunkenen und vergeſſenen
Staͤtten bewahrt hat, durchaus nicht kennen. Gewiß meldet
ſich in der Verwaltung der italieniſchen Staͤdte erſt im drey-
zehnten Jahrhundert einiges noch unausgebildete Streben nach
geordneter, regelmaͤßiger Buchfuͤhrung; und, wenn uns eben
daher aus fruͤheren Zeiten die ſo wichtigen Zahlungspartiten
durchhin fehlen, ſo duͤrfen wir nicht etwa darauf rechnen, un-
ter den loſen Urkunden, den aͤlteſten der Archive, einigen Er-
ſatz zu finden, da es erſt ſpaͤter, bey ſteigender Achtung der
Kunſt, uͤblich geworden, mit den Kuͤnſtlern ſchriftliche Vertraͤge
abzuſchließen. Das Vaterland und die Lebensumſtaͤnde der
aͤlteſten Kuͤnſtler werden wir alſo, wo uͤberhaupt, doch nur
aus Inſchriften, oder durch zufaͤllige Erwaͤhnung ihrer Namen
in Beſitzesvertraͤgen erlernen koͤnnen.


Bey S. Salvatore, zu Lucca, einer kuͤrzlich wieder ein-
geweiheten und erneuerten Kirche, haben ſich die alten Thuͤr-
bekleidungen unverſehrt erhalten. Die Nebenthuͤre zur Rechten
der Vorſeite zeigt auf ihrem Architrave ein Relief von groͤßter
Unfoͤrmlichkeit, deren Gegenſtand mir nicht deutlich geworden.
Wahrſcheinlich iſt dieſe Arbeit ein Denkmal der ſchlimmſten
Zeit, des zehnten, ſpaͤteſtens des eilften Jahrhunderts. Um
etwas ſchlanker und beſſer gearbeitet, doch deßhalb keinesweges
[261] vorzuͤglich, ſind die Figuren des Reliefs am Architrav der
Seitenthuͤre, in welchem ein Heiliger mit Nimbus nackt, ſo-
gar die Geſchlechtstheile entbloͤßt, in einem Gefaͤße ſteht; zwey
Maͤnner halten, oder laſſen ihn an beiden aufgehobenen Ar-
men in das Gefaͤß hinab, worin er wahrſcheinlich geſotten
werden ſoll. Auf dem Gefaͤße lieſet ſich:
BIDVINO ME
FECIT HOC.


Morrona ſetzt ein opus hinzu, welches ich weder geſe-
hen, noch den Raum gefunden habe, wo es etwa haͤtte ange-
bracht ſeyn koͤnnen. Im Felde aber ſteht: S. NICH., der
Name des Heiligen; ferner: OLAVI. PSBR., offenbar der
Name des Pfarrers, welcher das Bild angeordnet. Ich wuͤrde
ſolches, nach der Beſchaffenheit der Arbeit, wie ſelbſt nach
dem beygeſchriebenen Namen des Heiligen, fuͤr eine Arbeit
des eilften Jahrhunderts halten. Morrona indeß giebt aus
der vorſtaͤdtiſchen Kirche S. Caſſiano bey Piſa eine zweyte
Inſchrift, welche ich nicht geſehen oder verglichen habe, deren
Ausdruck indeß unverdaͤchtig iſt *). Dieſer zufolge waͤre Bi-
duinus
ein klaͤglicher Meiſter des zwoͤlften Jahrhunderts, wel-
cher Morrona’s piſaniſcher Schule, wenn er ihr zuzugeben
waͤre, doch nur geringe Ehre bringen duͤrfte.


Am Taufſtein der alten Kirche S. Frediano zu Lucca be-
findet ſich eine leider beſchaͤdigte Inſchrift, welche die meiſten
Forſcher dieſer Gegend uͤberſehen haben. Die einfache Anlage
des Werkes, mancherley altchriſtliche Reminiſcenzen, die Wap-
penung und Bekleidung der Figuren — Reiter in geſtrickten
[262] Harniſchen, ein Koͤnig in ihrer Mitte, ſetzen durch einen Fluß;
— alle dieſe Umſtaͤnde wuͤrden auf ein hoͤheres Alterthum
ſchließen laſſen, wenn nicht der rundliche Charakter der In-
ſchrift, wie ſelbſt der Gebrauch, des Kuͤnſtlers Namen anzu-
merken, mich beſtimmte, das Werk den piſtojeſiſchen Denkma-
len der Zeit nach gleich zu ſtellen. Vielleicht giebt es irgendwo
in mir fuͤr jetzt unzugaͤnglichen Buͤchern eine aͤltere Abſchrift;
zu meiner Zeit indeß waren nur folgende Schriftzuͤge erhalten
und durchhin lesbar:
+ ME fec. IT ROBERTVS MAGIS̅T̅. LA ......


Vereinigen wir mit dieſen fuͤnf, nach allen begleitenden
Umſtaͤnden unzweifelhaft beynahe gleichzeitigen Kuͤnſtlern, dem
Gruamons, Deodatus, Enricus, Biduino, Robertus, auch
den beruͤhmteren Namen des Bonanno*), deſſen Bronzethore
zu Piſa untergegangen, deſſen anderes Werk zu Monreale in
Sicilien mir anſichtlich unbekannt; ſo ergiebt ſich, daß in
dem engen Kreiſe des noͤrdlichſten Toscana ſchon in jener ent-
legeneren, noch ſo dunkeln Zeit nicht weniger als ſechs Bild-
ner gearbeitet und, was mehr iſt, nach Ruhm und Auszeich-
nung geſtrebt haben. In Betrachtung ihrer Proportion, Ma-
nier und Wahl waren dieſe Kuͤnſtler, wenn wir Bonanno
ausnehmen, uͤber welchen ich nichts zu entſcheiden wage,
ſaͤmmtlich aus irgend einer italieniſchen Schule hervorgegangen,
da ſie an keiner Stelle den Eindruck griechiſcher Vorbilder an
den Tag legen. Ob nun dieſes Beſtreben ganz oͤrtlich und
durch den Flor von Piſa hervorgerufen war, an welchem Lucca
und Piſtoja mittelbar Theil nahmen; oder ob vielmehr dieſer
[263] fruͤhe Mittelpunct aus entlegeneren Gegenden Kuͤnſtler ange-
lockt? Gewiß erſcheinen um dieſe Zeit, wie wir unten ſehen
werden, uͤberall in Italien lombardiſche Bildner.


Im Mittelalter, wie uͤberall auf den fruͤheren Stufen der
Bildnerey, vereinigen ſich Baumeiſter und Steinmetz in der-
ſelben Perſoͤnlichkeit; aus dem Steinmetzen aber geht in der
Folge auch der darſtellende Bildner hervor; und es iſt ganz
in der Ordnung, daß Handgriff und Behandlung des Mate-
rials waͤhrend der allgemeinen Kindheit der Kunſt, eben wie
im Knabenalter der einzelnen Kuͤnſtler, zeitig und voran er-
worben werde; damit ſpaͤterhin der ſchon entwickelte Geiſt ſich
ungehemmt und frey nach allen Seiten bewegen koͤnne. Nun
war, worauf wir zuruͤckkommen werden, an der noͤrdlichſten
Grenze ItaliensComo ſchon ſeit Einwanderung der Longobar-
den in allen der Baukunſt dienenden Kuͤnſten wunderbar be-
vorrechtet. Schon in den longobardiſchen Geſetzen, dann in
unzaͤhligen Urkunden und Inſchriften, finden ſich die magistri
Comacini;
von daher kommen auch noch gegenwaͤrtig den
Italienern wenigſtens ihre Maurer.


Zu Piſtoja, an einer merkwuͤrdigen, doch aͤußerſt bedenk-
lichen Kanzel der Kirche S. Bartolomeo, nennt ſich ein Bild-
ner aus Como, Guido, den die Geſchichtſchreiber laͤngſt unter
die Zeitgenoſſen des großen Nicolas von Piſa aufgenommen
haben. Doch iſt es nicht ſo leicht, ja vielleicht unmoͤglich,
auszumachen, wohin die erſte der beiden Inſchriften des Wer-
kes gehoͤre; ob zu dem Saͤulengeſtelle der Kanzel, oder zu den
halberhobenen Arbeiten ihrer Bruſtwehr. Die letzten nemlich
ſtimmen in Manier, Verhaͤltniſſen, ſelbſt in der Gewohnheit
die Augen ſchwarz auszulegen, auffallend uͤberein mit jenen
oben beſchriebenen der Kanzel in S. Leonardo bey Florenz.
[264] Das Saͤulengeſtelle hingegen entſpricht dem dreyzehnten Jahr-
hundert, alſo den Jahren der zweyten Inſchrift, welche mit
der erſten auf keine Weiſe zuſammenhaͤngt. Beide Inſchriften
ſind verſchiedentlich abgedruckt worden; doch wiederhole ich ſie,
theils meine Zweifel zu unterſtuͤtzen, theils weil die ſo gewoͤhn-
liche Abkuͤrzung T9 im erſten Verſe von Einigen faͤlſchlich in
TVR aufgeloͤſt worden. Die obere lautet alſo:
SCVLPTOR LAVDATVS QVI SVMMVS IN
ARTE PROBATVS
GVIDO DE COMO QVEM CVNCTIS CARMINE
PROMO

Davon abgeſondert, und durchaus weder dem Sinn, noch der
Anordnung nach, nothwendig mit jener zu verbinden, ſagt
die zweyte:
A. D. M. CC. L. EST OPERI SANVS SVPERE-
STANS TVRRIGIANVS
NAMQVE FIDE PRONA VIGIL H̅C̅ D̅S̅ I̅N̅ CO-
RONA.

Koͤnnten wir mit Sicherheit annehmen, die erſte Inſchrift ſey
der zweyten gleichzeitig, ſo wuͤrden wir dem Guido die halb-
erhobene Arbeit der Bruſtwehr abſprechen muͤſſen; er koͤnnte
alsdann einzig die Kanzel um etwas erweitert, die beiden Loͤ-
wen und die menſchliche Figur mit den Saͤulen, welche auf
jenen ruhen, gearbeitet haben, welche ſicher dem Zeitalter des
Nicolas von Piſa, oder dem in der zweyten Inſchrift angege-
benen Jahre 1250 entſprechen. Gehoͤrte hingegen die erſte
Inſchrift zu den Reliefs, ſo wuͤrden wir den Guido nothwen-
dig fuͤr einen Meiſter des eilften oder zwoͤlften Jahrhunderts
halten muͤſſen, und annehmen koͤnnen, er ſey mit dem Bild-
[265] ner der florentiniſchen Kanzel aus derſelben Schule ent-
ſproſſen *).


Ich glaube mich zu entſinnen, daß Ciampi, deſſen ſchon
angefuͤhrtes Werk ich nicht vor Augen habe, dieſe Zweifel
nicht aufklaͤrt, im Gegentheil die beiden Inſchriften zuſammen-
lieſt. Unter allen Umſtaͤnden gewaͤhren ſie uns ein Beyſpiel
der weiten Verbreitung jener alten lombardiſchen Bildnerſchule,
deren Spur wir nunmehr, ſo viel an uns liegt, nach anderen
Gegenden hin verfolgen wollen.


Beſondere Aufmerkſamkeit hat in neueren Zeiten ein Bild-
ner erweckt, welcher zu Parma im Dome einen Altar mit
[266] Bildnerey geſchmuͤckt hat, und ſeinen Namen Benedict und
das Jahr 1178 *) hinzugeſetzt. Daſelbſt ſind auch die drey
Thuͤren der Taufkirche mit halberhobenen Arbeiten geſchmuͤckt,
an der noͤrdlichen aber lieſt man, nach Morrona**),
Bisdenis demptis annis de mille ducentis
Incepit dictus opus hoc Benedictus.

Die Vorliebe fuͤr Vaterlaͤndiſches verleitete den Morrona,
jene Arbeiten tiefer zu ſtellen, als Solches, ſo gleichzeitig in
Toscana von Meiſtern gearbeitet worden, welche er ohne ur-
kundliche Gruͤnde ſaͤmmtlich fuͤr Piſaner haͤlt. So viel ich
mich entſinne, haͤlt Meiſter Benedict, den Neuere faͤlſchlich
Antelami nennen, da doch zu jener Zeit noch keine Geſchlechts-
namen in Gebrauch geweſen, den Vergleich mit Gruamons
wohl aus, und uͤbertrifft den armſeligen Biduino um Vieles.
Andere laſſen von demſelben Benedict die piſaniſche oder tos-
caniſche Bildnerſchule ausgehen, was ebenfalls gewagt und
thoͤricht iſt, da wir, wie oben bemerkt worden, in Bezug auf
dieſe aͤltere Kunſtepoche nur unzuſammenhaͤngende, abgeriſſene
Nachrichten haben, welche wir dem Zufall, nicht dem verhaͤlt-
nißmaͤßigen Verdienſte der Kuͤnſtler verdanken.


Gleichzeitig mit dieſem Meiſter Benedict goſſen andere
Lombarden fuͤr den paͤpſtlichen Hof zu Rom zwey Bronzethore,
welche noch vorhanden ſind. Das eine, welches ganz glatt
[267] iſt, wird uns nur durch ſeine Inſchrift merkwuͤrdig; es befin-
det ſich gegenwaͤrtig im Gange zur Sacriſtey der Kirche S.
Johannes zum Lateran, war aber vordem in dem alten laͤngſt
abgetragenen Palaſte daſelbſt angebracht. Das andere, wel-
ches zu einer Seitenkapelle der Taufkirche Conſtantins fuͤhrt,
hat in der Mitte des linken Fluͤgels eine Figur in Relief,
welche an Habituelles des ungleich ſpaͤteren Andreas von
Piſa erinnert, und an den Tag legt, wie dieſe Lombarden
nicht bloß das Erz reinlich zu gießen, vielmehr auch die
menſchliche Geſtalt ganz wohl zu behandeln wußten. Die
uͤbrigen Felder dieſer zweyten Thuͤre ſind durch ſauber einge-
grabene Umriſſe verziert, welche ſaͤmmtlich vorgothiſche Gebaͤude
darſtellen, worin ſchon einige ſpitze Bogen eingemengt ſind,
von welchem Umſtande wir ſpaͤterhin Gebrauch machen wollen.


Auf dem rechten Fluͤgel dieſes Thores ließt man in un-
termiſchten rundlichen und eckigen Uncialbuchſtaben:
+ ANNO. V̂. PONTI̅F̅. DN̅I. CELESTINI III. P̅P̅.
CE̅CIO. CARDI̅N̅. S. LVCIE. EIVSDEM DN̅I
P̅P̅. CAMERARIO. IVBENTE. OPVS ISTVD.
FACTVM.

Und gegenuͤber auf dem linken Fluͤgel:
+ HVI9. OPERIS. VBERT9. ET PETR9. F̅R̅S̅.
MAGISTRI LATV̅S̅ENE̅N̅. FVERVNT.

Auf der anderen, einfachen Thuͤre der Sacriſtey:
+ VBERT9. MAGISTER. ET. PETRVS. EI9.
F̅R̅. PLACENTINI. FECERVNT HOC. OP9.

+ INCARNACI̅O̅I̅S. DN̅I̅CE AN̅O. M. C. XC. VI.°
PONTIFICAT9. V̅O̅. DN̅I̅. CELESTINI. P̅P̅. III.
[268] ANNO. VI.° CENCIO. CAMERARIO. MINI-
STRA̅TE
HOC. OP9. FACTV̅. EST.

Wir lernen aus der letzten Inſchrift, daß Hubert der Meiſter,
ſein Bruder Petrus deſſen Gehuͤlfe, beide aber aus Piacenza
waren. Was indeß das obige zuſammengezogene Latu̅s̅ene̅n̅.
bedeute, weiß ich mir nicht zu erklaͤren, noch habe ich daruͤber
weder aus den Gloſſarien oder ſonſt einige Auskunft erlan-
gen koͤnnen.


Andere Kuͤnſtlernamen, ohne Angabe des Vaterlandes,
finden ſich an roͤmiſchen Denkmalen dieſer Zeit, welche, da ſie
durchhin nur in den mehr vernachlaͤſſigten Kirchen der aͤußeren
Stadt vorkommen, auf eine große, verbreitete Wirkſamkeit
ſchließen laſſen, deren Erzeugniſſe in den Erneuerungen der
inneren Stadt bis auf die letzte Spur verſchwunden ſind.


In der alten Baſilika S. Lorenzo, auf dem Wege nach
Tivoli, findet ſich am Hauptaltare eine Verdachung, welche
[auf] vier antiken Porphyrſaͤulen ruht, deren componirte Kapi-
taͤle offenbar mittelalterliche, doch nach den Umſtaͤnden gut
ausgefuͤhrte Nachbildungen antiker Muſter. Auf dieſen Saͤu-
len ruhet zunaͤchſt ein ſehr einfaches Geſimſe, darauf ein ver-
zierender Zwergporticus; die hoͤlzerne und bemalte Bedeckung
des Gipfels iſt durchaus neu. Der Altar ſelbſt enthaͤlt, ob-
wohl er neu aufgeſchmuͤckt worden, doch immer noch einige
Eckpfeiler, welche den alten Theilen der Verdachung gleichzei-
tig zu ſeyn ſcheinen; an der inneren Seite des Architraves,
alſo an einem der alten Theile dieſer Verdachung, befindet ſich
folgende Inſchrift:
+ IO̅H̅S̅. PETRVS. ANG̅L̅S̅. ET SASSO. FILII.
PAVLI. MARMO̅R̅.

[269] + AN̅N̅. D̅. Mͦ. C.° XL. VIII.° EGO HVGO. HV-
MILIS. AB̅B̅S̅. HOC OPVS FIERI FECI.

Als techniſch gewandte Bildner zeigen ſich dieſe Bruͤder beſon-
ders an den Knaͤufen uͤber den Porphyrſaͤulen, bey denen ge-
wiſſe eigenthuͤmlich willkuͤhrliche Formen des vorgeruͤckteren
Mittelalters die Vermuthung nicht aufkommen laſſen, als
waͤren ſie etwa antike Arbeiten aus den Zeiten des ſinken-
den Reiches.


Vor dem letzten Brande befand ſich in der uralten
Paulskirche, auf dem Wege von Rom nach Oſtia, ein wohl
zwanzig Fuß hoher, aus einer beſchaͤdigten Saͤule von griechi-
ſchem Marmor gearbeiteter Kandelaber. An ſeinen Verzierun-
gen war minder gute Arbeit, als an den erwaͤhnten Kapitaͤ-
len; die kleinen Reliefs in kurzen Figuren, welche ſeine Mitte
mehrfach umguͤrteten, ſchienen auf den erſten Blick dem eilften
Jahrhundert mehr, als dem zwoͤlften zu entſprechen. Indeß
ſagte die in der Mitte verſtuͤmmelte, doch zu Anfang und
Ende ganz lesbare Inſchrift:
+ EGO NICONAVS DE ANGILO CVM PE ..
..... HOC OPVS COMPLEVIT
*).
Es liegt demnach die Vermuthung nahe, daß Nicolaus der
Sohn des oben, in S. Lorenzo, genannten Angelus, ſein Ge-
[270] huͤlfe Petrus derſelbe ſey, der oben unter den Bruͤdern des
Angelus vorkam, alſo der Oheim des Meiſters. In dem
verſtuͤmmelten Theile der Inſchrift mag auch Saſſo, der an-
dere Bruder des Nicolaus vorgekommen ſeyn, da darin we-
nigſtens die Buchſtaben AS noch deutlich zu leſen, die anſto-
ßenden nicht allein abgeſchliffen, vielmehr ſelbſt wieder aufge-
kratzt, mithin leicht entſtellt waren.


Gleichzeitig mit dieſen minder bekannten Namen zeigt ſich
zu Rom eine andere Bildnerfamilie, deren ſpaͤtere Sproͤßlinge,
Cosmas, der Sohn Jacobs, und Johannes, des Cosmas
Sohn, bereits dem dreyzehnten Jahrhundert angehoͤren; Jacob
aber, roͤmiſcher Baumeiſter, Bildner und Muſaiciſt, Vater des
beruͤhmteren Cosmas, muß ſchon im zwoͤlften Jahrhundert
gearbeitet haben, da er bereits im Jahre 1210 ſeinen Sohn
Cosmas als Gehuͤlfen brauchte *). Auf anderen, beſcheidne-
ren Werken nennt er ſich allein, z. B. an einem Bogen des
zwerghaften Saͤulengeſtelles im Kloſter S. Scholaſtica bey
Subiaco; an dem Bruchſtuͤcke eines mit Saͤulen gezierten
Chores zu Rom, in der Kirche S. Aleſſio nennt er uns aber
auch ſeinen Vater. Denn wir leſen dort an einem ausge-
ſparten Marmorſtreife des gegenwaͤrtig in Holzarbeit erneue-
ten Chores:
+ IACOBVS
LAVRENTII FECIT
HAS DECEM ET NOVEM
COLVMPNAS CVM
CAPITELLIS SVIS.


[271]

Die Erwaͤhnung ſeines Vaters Lorenz ſcheint hier deſſen
friſcheres Andenken, oder die Abſicht anzudeuten, ſeinen eige-
nen, vielleicht noch minder bekannten Namen durch vaͤterlichen
Ruhm zu unterſtuͤtzen. Denn es iſt nach damaliger Familien-
ſitte vorauszuſetzen, daß Lorenz, deſſen weitere Lebensſchickſale
und Wirkſamkeit unbekannt, daſſelbe Kunſtgewerbe betrieben,
welches ſeiner Familie in den drey folgenden Generationen
Ehre und Beguͤnſtigung erworben. In erwaͤhnten Bruchſtuͤk-
ken zeigen die noch vorhandenen Pilaſtercapitaͤle, wie ſelbſt
das in die Marmorleiſten eingelegte Glasmuſiv, loͤbliche
Schaͤrfe und Nettigkeit der Arbeit; ein Verdienſt, welches dieſe
Kuͤnſtlerfamilie nirgend verlaͤugnet. Waͤre es nun gar auszu-
machen, daß auch jene frey nach antiken Muſtern copirte Ein-
faſſung der Kirchenthuͤre ebenfalls Meiſter Jacobs Arbeit ſey,
ſo wuͤrde dem wackeren Meiſter daraus eine gedoppelte Ehre
entſtehen. Doch eben weil dieſe, theils dem Alterthume be-
fangener nachgebildet, theils aber auch ungleich magerer im
Marmor ausgemeißelt iſt, als ſonſt in Jacobs und ſeines
Sohnes Arbeiten bemerklich, bin ich geneigt, dieſe Thuͤre, zu-
gleich mit einer anderen verwandten, der Kloſterkirche zu
Grotta ferrata bey Rom, fuͤr Denkmale jener Richtung zu
halten, welche vom Hofe Heinrichs II. auch uͤber Italien
ausgegangen ſeyn moͤchte. Dieſer Herr beguͤnſtigte, wie be-
reits erinnert worden, die Benedictinerabteyen bey Florenz und
zu Montecaſſino. Es waͤre demnach nicht auffallend, wenn
er auch andere der Stadt und Gegend von Rom verherrlicht
haͤtte; wie andererſeits noch ein dritter Fall denkbar iſt, nem-
lich die Fortpflanzung ſeiner Anregungen von einem Kloſter
des Ordens zum anderen.


Noch einen anderen Kuͤnſtlernamen entdeckte ich an dem
[272] zwerghaften Saͤulengange eines Kloſterhofes hinter der Kirche
S. Johannes im Lateran. Dort ſteht an einem der Giebel:
MAG̅R̅ DEODATVS — FECIT HOC OPVS.
Dieſe Giebel indeß neigen ſich zum Gothiſchen, und das
Wappen Colonna in einem anderen ſcheint auf Erneuerungen
des dreyzehnten Jahrhunderts hinzuweiſen, denen dieſer Name
anheimfallen moͤchte. Deodatus kann demnach nicht derſelbe
ſeyn, den wir oben als den Bruder des Meiſter Gruamons
kennen gelernt.


Ich komme darauf zuruͤck, daß ein großer Theil der an-
gefuͤhrten Arbeiten, welche uns nun auch fuͤr Rom eine gute
Zahl von Kuͤnſtlernamen abgegeben haben, bloß in Bauverzie-
rungen beſteht, in deren verhaͤltnißmaͤßig guter Ausfuͤhrung
die Kuͤnſtler ihre Ehre geſetzt. Emſige Bearbeitung, gute Fuͤ-
gung der Marmorſtuͤcke zeigt ſich gleichzeitig auch in anderen
Mittelpuncten des damaligen Italiens, z. B. im Grabmal
des Biſchofs Rainer von Florenz, daſelbſt in der S. Johan-
niskirche, welcher Herr nach der Inſchrift im J. 113 geſtor-
ben. Alſo fand Nicolas von Piſa ſein Handwerk ſchon vor-
gebildet. Demungeachtet ſteht er in Anſehung ſeines Geiſtes,
Styles, Naturſinnes, in jener Zeit ganz einſam; und gewiß
blieb in der bildneriſchen Technik, da in dieſer Kunſtart die
Technik des Alterthums fruͤh vernachlaͤſſigt worden, noch bis
in die neueſten Zeiten ſo mancher Handgriff aufzufinden, daß
nur dem außerordentlichſten Geiſte gelingen konnte, unuͤber-
windliche Schwierigkeiten zu beſiegen. Ich glaube nicht, daß
die italieniſchen Vorgaͤnger des Nicolas Thonmodelle gemacht
haben, noch daß letzter ohne Thonmodelle ſo herrlich in Mar-
mor habe vollenden koͤnnen, als etwa die Figuren an der
Kanzel zu Siena. Leider fehlt es uns an umſtaͤndlichen Nach-
rich-
[273] richten, thaͤtigen Beweiſen fuͤr die Vermuthung, daß er den
Gebrauch, in naſſem Thon zu modelliren, vielleicht in der
vollen Groͤße ſeiner halberhobenen Arbeiten, wiederum in die
Bildnerey eingefuͤhrt. Den Gebrauch ſage ich, nicht die Er-
findung; denn, obwohl die Guͤſſe in Erz damals nur in klei-
neren Theilen, und im Ganzen nur ſelten beſchafft wurden,
ſo ſetzen dennoch die eben vorkommenden die Fortuͤbung des
Modellirens in Thon voraus; alſo nur von der Anwendung
dieſes Kunſtgriffes auf Vorbilder des Meißels kann hier, wenn
jene Vermuthung ſonſt zulaͤſſig, die Rede ſeyn.


Daß jene alten Kuͤnſtler des zwoͤlften Jahrhunderts bey
einiger Verbeſſerung ihrer Hand- und Kunſtgriffe ganz Ande-
res haͤtten leiſten koͤnnen, ergaͤbe ſich aus jenem, angeblich
in Weinſtock geſchnitzten Hauptthore der Kirche S. Sabina zu
Rom, wenn anders mit Sicherheit auszumachen waͤre, daß
dieſes Werk, wie Umſtaͤnde wahrſcheinlich machen, um das
Jahr 1200 entſtanden ſey.


Da man durch die Seitenthuͤre einzugehen pflegt, ſo wer-
den dieſe Thore, welche gegenwaͤrtig zum Garten gekehrt ſind,
und von innen her geoͤffnet werden muͤſſen, ſehr haͤufig von
den Reiſenden uͤberſehen, obwohl ſie der Beachtung werth ſind.
Denn in den niedrig gehaltenen Figuren der Fuͤllungen, ſelbſt
in den Gruͤnden und Beywerken, naͤhern ſie ſich dem Spaͤt-
roͤmiſchen oder Altchriſtlichen, ſo daß ich anfangs veranlaßt
wurde, in den Leben aͤlterer Paͤpſte nach ihrer Stiftung zu
ſuchen. Doch bey wiederholter Beſichtigung entdeckte ich an
der inneren Seite Verzierungen, welche bereits das Antike
verlaſſen und Verhaͤltniſſe und Formen annehmen, welche im
zwoͤlften Jahrhundert die Annaͤherung jenes Bau- und Ver-
zierungsgeſchmackes ankuͤndigen, den man den gothiſchen nennt.
I. 18
[274] Damit ſtimmt auch in den Gruͤnden der Bilder der Vorſeite
das Oblonge und Aufgerichtete in der Behandlung, dem Ent-
wurf nach, antiker Baulichkeiten, ſo daß ſchon das Aeußere
des Werkes belehrt, daß, wer es vollbracht habe, wohl antike
und altchriſtliche Vorbilder befolgt, doch bereits des Eindruckes
ſpaͤterer Sitten und Eigenheiten nicht durchaus ſich erwehren
koͤnnen. Die verhaͤltnißmaͤßig ſchoͤne Ausfuͤhrung duͤrfte aber,
wie oben bemerkt worden, aus der Schmeidigkeit des Stoffes
ſich erklaͤren, dem, bey ſchon erwachtem Streben nach loͤbli-
cher Leiſtung, der Kuͤnſtler leichter beygekommen, als ſeine
Zeitgenoſſen dem ſproͤderen Marmor.


Ueber dieſer Thuͤre befindet ſich, an der aͤußeren Wand
der Vorſeite genannter Kirche, eine muſiviſche Verzierung,
welche, da die beiden Geſtalten zu beiden Enden nur den
kleinſten Raum einnehmen, faſt ganz aus einem langen
Streife Inſchrift beſteht. Ohne Beyſpiel waͤre es wohl, wenn
die letzte, welche allerdings durch ihre großen, beſonders reinen
Schriftzuͤge eine huͤbſche Verzierung bildet, ſo ganz allein um ihrer
ſelbſt willen vorhanden ſeyn ſollte; allein auch die Wahl und
Stellung der Worte gebietet, ihr einen weiteren Sinn zu ge-
ben, ſie auf ein unbeſtimmtes Mancherley auszudehnen, was
eben unter Coeleſtin III. zur Erhaltung oder Verherrlichung
des Gebaͤudes geſchehen war; ſo daß, mit Ruͤckblick auf obige
Kennzeichen, ohne Zwang anzunehmen iſt, auch jenes ſchoͤne
und loͤbliche Schnitzwerk der Thuͤre gehoͤre zu der allgemeinen
Erneuerung, welche die muſiviſche Aufſchrift in folgenden
Worten ankuͤndigt:
CVLMEN APOSTOLICVM CVM CAELESTINVS
HABERET
[275] PRIMVS ET IN TOTO FVLGERET EPISCO-
PVS ORBE
HAEC QVAE MIRARIS FVNDAVIT PRESBY-
TER VRBIS
ILLYRICA DE GENTE PETRVS VIR NOMINE
TANTO
DIGNVS — —


Allein auch die zeichnenden Kuͤnſte der Malerey und des
Muſives muͤſſen ſchon damals einen nicht unerheblichen Vor-
ſchritt gewonnen haben, da jene weiblichen Geſtalten, Perſoni-
ficationen der Kirche (ex circumcisione und ex gentibus)*),
fleißiger gearbeitet ſind, als jene von Paſchal I. in ſ. Praxe-
dis und von den nachfolgenden Paͤpſten in anderen Kirchen
angeordneten, vornehmlich weil ſie bereits einige Spur des
wieder angeregten Verlangens zeigen, die Formen nicht mehr
bloß durch ſtark bemerkliche Umriſſe, vielmehr auch durch
Schatten hervorzuheben. Die Bekleidung dieſer Figuren iſt,
mit geringer Unterbrechung, antik, was zu verrathen ſcheint,
daß man mehr, als noch vor Kurzem, den altchriſtlichen
Denkmalen ſich angenaͤhert, welche in Italien, vornehmlich zu
Rom, haͤufig vorhanden waren.


Dieſe Fortſchritte verlaͤugnen ſich indeß in einigen Ueber-
reſten der Herſtellungen, welche Honorius III. um wenig ſpaͤ-
ter, von 1210 — 20, in der Kirche S. Lorenzo, auf dem
Wege nach Tivoli, angeordnet hat. Im Frieſe nemlich der
Vorhalle dieſer Kirche, welcher muſiviſch ausgelegt iſt, zeigen
18 *
[276] ſich einige menſchliche Geſtalten; zur Linken drey halbe Figu-
ren, in der Mitte Chriſtus, zu den Seiten die Mutter und
S. Johannes Ev.; zur Rechten S. Lorenz und der Papſt,
im Felde lieſt man nach alter Art: S. Laur. und Ho-
no̅r̅i̅ PP. III.
In dieſen unfoͤrmlichen kleinen Puppen ſon-
dern ſich die Localfarben noch immer durch dicke Umriſſe, wie
in der Zeit, welche wir oben uͤberſehen haben. Doch iſt es
moͤglich, daß dieſe unbedeutende Arbeit nicht eben den beſten
Muſivmalern uͤbergeben worden; denn wir werden nun bald,
theils etwas aͤlteren, theils auch ganz gleichzeitigen Muſiven
begegnen, deren Kunſtverdienſt ſehr weit uͤber jene kleinen
Verzierungsarbeiten hinausgeht.


Unterhalb der Saͤulenhalle, ſchon an der Wand der Kirche
ſelbſt, befinden ſich Mauergemaͤlde, welche die Lebensereigniſſe
der Heil. Stephan und Lorenz, zur anderen Haͤlfte einige Be-
gebenheiten der Regierung Honorius III. darſtellen *). Sie
ſind aber faſt durchaus uͤbermalt, ſo daß man nur an der Ein-
theilung in viele kleine [Bilder], an den Einfaſſungen, wie end-
lich an der Architectur der Gruͤnde, ihr hohes Alter noch erkennt.
Zur Rechten indeß befindet ſich ein noch ziemlich wohl erhal-
tenes Gemaͤlde. In dieſem folgen Biſchof und Prieſter einem
zweyraͤdrigen Karren, auf welchem ein heil. Leichnam mit
maͤchtigem Nimbus. Die Pferde gehen zur Linken nebenher;
eben ſo kunſtlos iſt die Anordnung der uͤbrigen Figuren; doch
ſieht man bereits einige Spuren von Modellirung, gruͤnliche
Halbtinten und ſparſame Schatten. Die aͤhnlich abgetheilten
[277] Malereyen im Innern der Kirche ſcheinen den Beywerken nach
etwas juͤnger zu ſeyn.


Die Malereyen, welche vormals in der kleinen vorſtaͤdti-
ſchen Kirche S. Urban, unweit der appiſchen Straße, zu ſehen
geweſen, ſcheinen nach alten Abbildungen der ſchon erwaͤhnten
Sammlung der barberiniſchen Bibliothek *) ebenfalls um das
Jahr 1200 entſtanden zu ſeyn. Gegenwaͤrtig ſind ſie von der
roheſten Hand uͤbermalt; ſogar die Aufſchrift iſt verſchwunden,
welche die eine der beiden Abbildungen genannter Sammlung
bewahrt hat **). Sie lautet:
BONIZZO F̅R̅T̅
AXPI MXI.

Die letzte Zeile wird von Einigen gedeutet: anno Christi
1011 ***). Gewiß eine damals ſehr ungewoͤhnliche, vielleicht
ganz beyſpielloſe Form und Verbindung †). Indeß findet ſich
dieſe Aufſchrift nur in der einen der beiden Abbildungen deſ-
ſelben Werkes, und es duͤrfte gewagt ſeyn, ſo unbedingt an-
zunehmen, daß der Copiſt ſie richtig geleſen; und in Frage
ſtehen, ob nicht ſein Vorbild andere Buchſtaben enthalten,
mithin eine andere Deutung erfordert habe.


[278]

Andere Spuren einer den Roͤmern eigenthuͤmlichen Schule
der Malerey uͤbergehe ich fuͤr jetzt, weil ſie ſchon weiter in
das dreyzehnte Jahrhundert hinuͤberreichen, dem wir eine eigene
Betrachtung widmen wollen, wo einige mir ſichere toscaniſche
Malereyen des zwoͤlften oder des Anbeginnes des dreyzehnten
Jahrhunderts ebenfalls ihre Stelle finden werden. Doch, ehe
wir uns von den minder unerfreulichen Kunſtarbeiten dieſes
Zeitraumes trennen, wird es noͤthig ſeyn, eines umbriſchen
Malers zu erwaͤhnen, deſſen Name auf einem Bilde des Ge-
kreuzigten in den Gewoͤlben der Kirche S. Giovanni e Paolo
zu Spoleto ſich erhalten hat.


Die Darſtellung dieſes Gegenſtandes war, obwohl, wie
es bekannt iſt, eben ſo wenig, als Darſtellungen aus dem
Jugendleben des Heilandes, von den fruͤheren Chriſten gebil-
ligt und geduldet, doch endlich nicht lange vor Eintritt des
Bilderſturmes uͤberall zugelaſſen worden. Wie eben dieſe Bilder
alsdann binnen Kurzem Gegenſtaͤnde der Verehrung der einen,
des Haſſes der anderen chriſtlichen Partheyung geworden, iſt
aus vortrefflichen Bearbeitungen auch in weiteren Kreiſen be-
kannt *). Allein, eben weil dieſe Vorſtellungen erſt damals,
als Italien bereits mehr und minder vom oͤſtlichen Reiche ab-
geſondert war, in den chriſtlichen Bilderkreis aufgenommen
worden, geſtalteten ſie ſich in den beiden Haͤlften der chriſtli-
chen Welt auf verſchiedene Weiſe. Hier wie dort ohne Zwei-
fel hoͤchſt unvollkommen; zierlicher indeß bey den Griechen,
wenn man gleich, ſowohl der Madonna als dem Gekreuzigten,
[279] dieſer letzten auch in den guͤnſtigſten Beyſpielen anſieht, daß
ſie ſogleich als Mumie entſtanden waren, und kuͤnftiger Aus-
bildung im voraus entſagt hatten; den italieniſchen hingegen,
daß ihre Form, bey groͤßter Rohigkeit, doch nicht, wie jene,
aͤußerlich abgeſchloſſen, mithin einer hoͤheren Entwickelung noch
faͤhig war. Streben nach einer edleren, ſchoͤneren Entwicke-
lung der italieniſchen Idee des Gekreuzigten finden wir laͤngere
Zeit, bevor ſie durch neugriechiſche Vorbilder verdraͤngt wurde,
in verſchiedenen einander aͤhnlichen Bildern der Gegend von
Aſiſi, wo ſpaͤter durch die feurige Beredſamkeit des heil. Franz
das Andenken der Leiden Chriſti, und dadurch die Verehrung
des Crucifixes neu belebt und bis zur Schwaͤrmerey erhoͤhet
wurde. Ein Beyſpiel der barbariſch-italieniſchen Vorſtellung
der Maria, im Gegenſatz zur neugriechiſchen, gewaͤhrt uns ein
Bild zu Siena in der casa di S. Ansano, in der Seitenca-
pelle rechts, welches, wie jenes der Akademie vom J. 1215,
halb Relief, halb Malerey iſt. Sie iſt, im Vollen angeſehen,
gerade aufgerichtet ſitzend. Im goldenen Felde zwey ſehr kleine
Engel; der Thron von hoͤchſter Einfachheit. Uebrigens iſt das
Antlitz der Madonna nicht ohne Schoͤnheit.


Das Eigenthuͤmliche dieſer Bilder zeigt ſich zunaͤchſt in
der Anordnung, da ſie unter den ausgebreiteten Armen des
Heilandes verlaͤngerte Fuͤllungen haben, auf denen Maria und
Johannes, nebſt den uͤbrigen Marieen der Leidensgeſchichte in
verjuͤngtem Maße vorgeſtellt ſind; an den Ausgaͤngen der
Schenkel des Kreuzes befinden ſich unter mancherley Verzie-
rungen von muſiviſchem Charakter Bruſtbilder von Engeln.
Das wichtigſte Merkmal der Unterſcheidung italieniſcher und
griechiſcher Kruzifixe beruhet indeß auf der Haltung, welche
beide Nationen dem Leibe des Gekreuzigten ſelbſt gegeben.
[280] Die Griechen nemlich, denen der Anblick grauſamer Leibesſtra-
fen Gewohnheit war, dachten ſich den Heiland am Kreuze
mit der ganzen Schwere des Leibes herabhaͤngend, den Unter-
leib geſchwellt und die erſchlafften Kniee links ausgebogen, den
geſenkten Kopf mit den Qualen eines grauſamen Todes rin-
gend. Ihr Gegenſtand war demnach das koͤrperliche Leiden
an ſich ſelbſt, ihr Zweck hoͤchſtens Erweckung des Mitleidens,
obwohl die damalige Kunſt, um dieſen untergeordneten Zweck
ganz zu erfuͤllen, an darſtellenden und wahr ſcheinenden For-
men noch viel zu arm war. Die Italiener hingegen, in de-
ren aͤlteren Denkmalen, wie nicht zu uͤberſehen iſt, die Dar-
ſtellung, ſowohl der Jungfrau mit dem Kinde, als des Ge-
kreuzigten nur hoͤchſt ſelten vorkommt, pflegten die Geſtalt des
Heilandes am Kreuze aufzurichten, verfolgten alſo, wie es
ſcheint, die Idee des Sieges des Geiſtigen, nicht, wie jene,
des Erliegens des Koͤrperlichen.


Dieſe unlaͤugbar edlere Auffaſſungsart einer wohl ſchwie-
rigen, doch, wie ſo viele Beyſpiele darlegen, unter Umſtaͤnden
hoͤchſt belohnenden, Kunſtaufgabe tritt in mehr beguͤnſtigten
Kreiſen des Abendlandes fruͤh an das Licht, wie an dem
Deckel des einen der beiden ſchon erwaͤhnten Miſſalien Hein-
richs des zweyten
, wo auch die uͤbrigen Figuren, Phoebus
und Diana, Johannes und Maria, ſogar der wohlverzierte
Rand, bemerkenswerthe Geſchicklichkeit darlegen. Hingegen
wird ſie in den italieniſchen Kunſtarbeiten der aͤlteren Zeit, z.
B. in jener Altartafel des Kloſters Rambona, allerdings durch
techniſche Ungelenkigkeit der Kuͤnſtler verhuͤllt, weshalb jene
oben erwaͤhnten Bilder des Gekreuzigten, in denen ſie fuͤr
Italien zuerſt in einiger Deutlichkeit hervortritt, fuͤr uns ein
gedoppeltes Intereſſe beſitzen. Denn einmal gewaͤhren ſie uns
[281] das aͤlteſte bekannte Beyſpiel der italieniſchen Auffaſſung und
Darſtellung einer beſtimmten Kunſtidee, deren Ueberlieferung
in der Folge, zwar durch Nachahmung der Neugriechen einige
Zeit hindurch abgeriſſen, doch bald wiederum aufgenommen
und weitergebildet wird; dann aber nicht minder einen ſonſt
unbekannten Kuͤnſtlernamen, alſo einen neuen Stuͤtzpunkt der
hiſtoriſchen Forſchung. Denn am Fuße des erwaͤhnten Kruzi-
fixes zu Spoleto befindet ſich folgende, ſo weit ich ſie gebe,
ganz erhaltene Aufſchrift, in unzweydeutigen, etwas verlaͤnger-
ten, und hie und da zuſammengezogenen Majuskeln.


A. D. M. C. L. XXX. VII. M̅S̅ ..
.. OPVS ALBER .......

An dem beſchaͤdigten Ausgange des Namens glaubte ich zu-
naͤchſt die Sylbe TO, nicht TI, zu erkennen; eine Verſchie-
denheit, auf welche es wenig ankommt; dann nach dem Na-
men Alberto die Buchſtaben: SOTA ..., welche letzteren,
als einem unbekannten Namen angehoͤrend, von mir falſch
gedeutet ſeyn koͤnnten, weshalb ich ſie nicht verbuͤrgen will.


Die beiden anderen bereits erwaͤhnten, bey durchgehender
Uebereinſtimmung mit jenem nothwendig gleichzeitige Bilder
des Gekreuzigten befinden ſich, das eine in der Kirche S.
Chiara zu Aſiſi*), das andere in dem Gewoͤlbe des Kirch-
leins zu S. Giovanni d’Aſſo, einem Orte des ſieneſiſchen Ge-
bietes, unweit Buonconvento und Monte Uliveto Maggiore.
Dieſe Bilder beſitzen, eben wie jene, den Vorzug einer nicht
unedlen Ausbildung des Chriſtuskopfes, deſſen Zuͤge indeß noch
[282] immer durch dicke rothe und ſchwarze Umriſſe geſondert ſind,
mit geringer Spur von Schattengebung in den Augenhoͤhlen
und Laͤnge des Naſenruͤckens. Die gerade Haltung des Leibes
theilen ſie mit den aͤlteren italieniſchen und abendlaͤndiſchen
Darſtellungen deſſelben Gegenſtandes.


VII.
Dreyzehntes Jahrhundert.
Aufſchwung des Geiſtes der italieniſchen Kunſt;
raſcher Fortſchritt in Vortheilen der Dar-
ſtellung. — Einfluß der Byzantiner auf
die Entwickelung der italieniſchen Malerey.


Aus einer eigenthuͤmlichen Wendung, aus einer allgemei-
nen Steigerung des Geiſteslebens entſtand, wie es unter uns
nicht mehr in Frage kommt, jene glaͤnzende Entwickelung der
Kunſtanlage, welche die neueren Italiener lange Zeit hindurch
vor anderen Nationen auszeichnete. Demungeachtet werden
auch hier, wie uͤberall, einige aͤußere Anregungen des Kunſt-
triebes, Foͤrderungen ſeiner Ausbildung eingetreten ſeyn, denen
die Italiener, zwar nicht die volle Entwickelung ihrer treffli-
chen Anlage, doch immer deren fruͤhere Zeitigung verdanken.
[283] Wirklich haben eben zu jener Zeit, als der eigenthuͤmliche Geiſt
der neueren Kunſt zuerſt in entſchiedneren Zuͤgen hervortrat,
fremde Muſter, fremde Anſichteu, vielleicht ſogar fremde Mei-
ſter von verſchiedenen Seiten foͤrdernd auf italieniſche Kuͤnſt-
ler eingewirkt.


Unter dieſen Einwirkungen ward eben die folgenreichſte
und wichtigſte, der byzantiniſchen auf die italieniſche Malerey,
ſchon ſeit laͤngerer Zeit mit einem Netze entgegengeſetzter Miß-
verſtaͤndniſſe und Uebertreibungen umzogen, was ihre Beleuch-
tung um ſo dringender, doch zugleich ſo ſchwierig macht, daß es
unumgaͤnglich iſt, um der Wahrheit Luft und Licht zu ſchaffen,
hie und da die Faͤden ganz zu durchreißen. Und, da Vaſa-
ri’s
Kuͤnſtlerleben, ein ſinn- und gemuͤthvolles, in Dingen
ſeiner Zeitgenoſſen und naͤheren Vorgaͤnger im Ganzen zuver-
laͤſſiges Buch, doch in jener Beziehung gleichſam das Mittel-
glied moderner und mittelalterlicher Irrungen und Mißver-
ſtaͤndniſſe bilden; ſo werden wir, von dieſem Schriftſteller
ausgehend, ſowohl abwaͤrts als aufwaͤrts ſteigen koͤnnen.
Dabey moͤge es dem trefflichen Stifter ſo viel genauer Kunde
von den Lebensumſtaͤnden, Anſichten, Werken ſeiner Zeitgenoſ-
ſen auf keine Weiſe zum Vorwurf gereichen, daß er ſeinen
Stoff nicht gelehrt und kritiſch, ſondern kuͤnſtleriſch und dich-
teriſch aufgefaßt. Nur den Compilatoren, welche ihn ausge-
ſchrieben, den Kritikern, die ihm widerſprochen, ohne ihn zu
berichtigen, darf man vorwerfen, den einen, daß ſie ihn je-
mals in weitentlegenen Dingen als Quelle angeſehen, den
anderen, verkannt zu haben, daß Vaſari’s Irrthuͤmer hin-
ſichtlich des Ereigniſſes, welches wir nunmehr beleuchten wol-
len, nicht abſichtliche Luͤgen und eitle Erfindungen, vielmehr
bloß mißverſtandene hiſtoriſche Wahrheiten ſind, welche, wenn
[284] der oberflaͤchliche Kritiker ſich begnuͤgt, ſie zu beſtreiten, den
aͤchten auffordern, ihnen auf den Grund zu gehen.


Vaſari nun wirft im Leben des Cimabue gleich anfangs
im Großen hin, die Bedraͤngniſſe des fruͤheren Mittelalters
haben in Italien alle Ueberlieferung der Kunſt rund abgebro-
chen, den Gebrauch, Bilder zu machen, bis auf die letzte
Spur verdraͤngt; und ſowohl in dieſem, als in dem nachfol-
genden Leben, ſcheint er die Anſicht feſtzuhalten, daß Cima-
bue
, den einige griechiſche Maler nothduͤrftig ſollen angelehrt
haben, die Malerey, nach langer Unterbrechung, in Italien
zuerſt wieder ausgeuͤbt, und durch Beyſpiel oder Lehre die
Entſtehung und Verbreitung der neueren Kunſt herbeygefuͤhrt
habe. Dieſe Anſicht, welche er nirgend hiſtoriſch begruͤndet,
verſtoͤßt indeß ſowohl gegen die Wahrſcheinlichkeit, als gegen
allgemein bekannte Thatſachen; daher haben verſchiedene, ſo-
wohl aus einem allgemeineren und hiſtoriſchen Standpuncte *),
als auch aus dem engeren der oͤrtlichen Forſchung **), dage-
gen ſich aufgelehnt; wenn auch andere, unter dieſen vornehm-
lich der bekannte Baldinucci, darauf fortgebauet, und jenes
Trug- und Luggebaͤude errichtet haben, welches Cimabue als
den gemeinſchaftlichen Vater und alleinigen Gruͤnder aller neue-
ren Kunſtbeſtrebungen vorausſetzt, und ſogar ganz entgegenge-
ſetzte Richtungen von ihm ableitet.


Ob man waͤhrend der dunkleren Jahrhunderte des Mit-
[285] telalters in Italien gemalt und gemeißelt habe, kann, wie
ich oben an ſparſam und mit Umſicht gewaͤhlten Beyſpielen
dargelegt, durchaus nicht in Frage kommen; wer mit den
Quellen der mittleren Geſchichte, vornehmlich der kirchlichen,
bekannt iſt, dem wird es unerklaͤrlich ſeyn, wie man uͤberall
jemals daruͤber habe ſtreiten koͤnnen. Ich uͤbergehe daher das
muͤßige Gezaͤnk oͤrtlicher Forſcher, welche die Ehre ihrer Va-
terſtadt durch die Entdeckung aͤlterer Kunſtwerke zu erhoͤhen
geglaubt, die nicht durchhin Probe halten; iſt es doch nicht
einmal ſo ausgemacht, ob Vaſari, den ſie mit ſo viel Hef-
tigkeit beſtreiten, in Dingen, uͤber welche ihm ohnehin keine
Stimme gebuͤhrt, ſo ganz vom Wahren abgewichen ſey. Denn
es waren ihm ſelbſt viele Thatſachen bekannt, welche die Fort-
dauer einer gewiſſen Kunſtuͤbung außer Zweifel ſetzen; ſo daß
wir die Wahl haben, ihm entweder abſichtliche Verdrehung,
oder Fluͤchtigkeit und Vergeſſenheit beyzumeſſen; oder, was
doch zugleich das billigſte und meiſt uͤberzeugende ſeyn duͤrfte:
daß ihm die rohen Arbeiten des dunkleren Mittelalters, gegen
welche er ſeinen Widerwillen deutlich ausſpricht *), der Beach-
tung unwerth geſchienen; daß er daher die Kunſtgeſchichte lie-
ber mit einem Meiſter habe beginnen wollen, deſſen Werke
Geiſt und Geſchicklichkeit darlegen. Cimabue war in der That,
wie wir in ſeiner großen, wohlerhaltenen Jungfrau, in der
[286] Kirche Sta. Maria novella zu Florenz, noch wahrnehmen
koͤnnen, ein beſeelter und maͤchtiger Meiſter, deſſen Ueberlegen-
heit von Zeitgenoſſen anerkannt worden, wie wir aus einem
Verſe des Dante ſehen, welche die rege Imagination des
Vaſari getroffen, und wahrſcheinlich mehr, als der Eindruck
jenes Gemaͤldes, ihn beſtimmt hat, dem Cimabue eine wich-
tigere Stellung einzuraͤumen, als ihm wohl zukommen duͤrfte.


Allein, wie unentſchieden es bleiben moͤge, ob Vaſari
es jemals ernſtlich gemeint, wo er eine gaͤnzliche Unterbrechung
in der Fortuͤbung gewoͤhnlicher Kunſtfertigkeiten anzunehmen
ſcheint, ſo iſt doch ſo viel gewiß, daß er den Zeitpunct, den
Gang, die Umſtaͤnde und aͤußeren Veranlaſſungen des Auf-
ſchwunges der neueren Kunſt nicht gruͤndlich genug erforſcht
hatte; daß er vielmehr in dieſer Gegend der Kunſthiſtorie blo-
ßen Wahrſcheinlichkeiten und ganz willkuͤhrlichen Verknuͤpfungen
gefolgt iſt. Unter allen Umſtaͤnden iſt nicht anzunehmen, daß
er ſeine umſtaͤndliche Jugendgeſchichte des Cimabue aus alten
Materialien geſchoͤpft habe. Der Schriftgebrauch war um die
Mitte des dreyzehnten Jahrhunderts noch nicht ſo weit ver-
breitet, daß man ſchon damals, wie ſpaͤterhin, Familienereig-
niſſe und paͤdagogiſche Beobachtungen haͤtte aufzeichnen moͤgen;
toscaniſch ſchrieb man noch nicht allgemein; wenigſtens reichen
wenige Denkmale dieſer Sprache ſo weit zuruͤck; lateiniſch zu
ſchreiben, ſetzte eine minder zugaͤngliche Bildung voraus, wel-
che, wo ſie erlangt worden, auf oͤffentliche Geſchaͤfte aller Art
verwendet wurde; obwohl auch die lateiniſche Buchfuͤhrung und
Geſchichtſchreibung der neuen Staaten von Toscana damals
durchhin erſt im Entſtehen war. Alſo wird Vaſari’s Ju-
gendgeſchichte des Cimabue, wie die meiſten ganz alten Maler,
im Durchſchnitt ſeiner eigenen, poetiſch angeſehen, hoͤchſt an-
[287] muthsvollen Erfindung angehoͤren; und ſogar die angeblich
griechiſchen Lehrmeiſter des Cimabue, denen ich bisher vergeb-
lich nachgeſpuͤrt *), duͤrften allem Anſehen nach bloß auf Ver-
muthungen beruhen. Wir wollen ſeinen Quellen nachſpuͤren,
einmal, um zu zeigen, wie fluͤchtig Vaſari ſie benutzt; dann
aber, und vornehmlich, um zu ermitteln, zu welcher Zeit,
aus welchen aͤußeren Veranlaſſungen und inneren Gruͤnden der
Einfluß der Byzantiner eingetreten; endlich, welche eigenthuͤm-
lichen Vorzuͤge oder Maͤngel die italieniſche Malerey von da-
her angenommen habe.


Jener Sage von einer gaͤnzlichen Unterbrechung der ita-
lieniſchen Kunſtuͤbung begegnen wir zuerſt im Leo von Oſtia,
einem Schriftſteller des eilften Jahrhunderts. Dieſer meldet **),
daß um das Jahr 1070 der damalige Abt des Kloſters zu
Monte Caſſino, Deſiderius, aus Conſtantinopel griechiſche
Muſaiciſten berufen habe, um die Woͤlbung uͤber dem Haupt-
altare der neuen Kirche, dem Glanze des Werkes entſprechend,
auszuzieren. Junge Moͤnche habe dieſer Abt in der Muſiv-
malerey unterweiſen laſſen, weil man waͤhrend der vorange-
henden fuͤnfhundert Jahre, d. i. ſeit Einwanderung der Lon-
gobarden, in Italien dieſe Kunſtarbeit entweder ganz ausge-
ſetzt, oder doch vernachlaͤſſigt hatte ***).


[288]

Meinte Leo etwa das erſte, was indeß nicht mit Sicher-
heit auszumachen iſt; glaubte er wirklich, daß in Italien das
Handwerk der Muſivmalerey in ſo langer Zeit nicht mehr
ausgeuͤbt worden: ſo irrte er ſich, wie ſchon aus den Thatſa-
chen erhellt, die ich angefuͤhrt habe, und mit wenig Muͤhe
vermehren koͤnnte; oder aus der Widerlegung des Murato-
ri
*), der indeß mit bey weitem zu viel Zuverſicht annimmt,
daß Leo eben nur ſo koͤnne verſtanden werden. Nun waͤre
es wohl an ſich ſelbſt bey einem Schriftſteller des eilften
Jahrhunderts ohne Belang, ob er die Kunſtgeſchichte ihm ent-
legener Zeiten falſch oder richtig aufgefaßt habe; denn hierin
wuͤrden wir ihn unter allen Umſtaͤnden nicht fuͤglich als Quelle
betrachten koͤnnen, wie Alle wiſſen, denen hiſtoriſche Forſchun-
gen nicht gaͤnzlich fremd ſind. Indeß werden wir weder durch
den Sinn, noch durch die Stellung der Worte des guten Leo,
wie Muratori ihn nennt, ſo durchaus genoͤthigt, ſie auszu-
legen, wie bisher meiſt geſchehen iſt. Auch neueren Forſchern
duͤrfte es ankommen koͤnnen, einmal, was ihnen durchaus
veraͤchtlich ſcheint, als nicht vorhanden anzuſehen, als nicht
der Rede werth unberuͤhrt zu laſſen. Und, da unſer Leo die
zierliche Kunſtarbeit der griechiſchen Colonie zu Montecaſſino
gleichſam mit Kennerblicken durchgeht **); da andererſeits,
wie wir wiſſen, die italieniſche Kunſtuͤbung ſeiner eigenen und
der vorangegangenen Zeit ſo uͤber alles Maß hinaus verwildert
war:
[289] war: ſo liegt uns die Vermuthung nahe genug, daß er nicht habe
ſagen wollen: ganz ausgeſetzt, ſondern vernachlaͤſſigt.


Allein eben darin, daß Leo die Ueberlegenheit der griechi-
ſchen Arbeit uͤber die italieniſche ſeiner Zeit nach Billigkeit an-
erkannte, zeigt ſich, daß Vaſari ſeine Anſicht vom griechiſchen
Einfluß und von einer vorangegangenen Unterbrechung der ita-
lieniſchen Kunſtuͤbung nicht aus dieſem Schriftſteller geſchoͤpft
hat, welcher zudem damals noch ungedruckt, und vorausſetzlich
nur Wenigen bekannt war. Vaſari nemlich weiß die Kunſt-
fertigkeit und den Geſchmack der Griechen des Mittelalters
nicht tief genug herabzuſetzen, und iſt ſehr weit davon entfernt,
die Bewunderung zu theilen, welche Leo fuͤr ſie gehegt zu ha-
ben ſcheint. Zu dieſer Verachtung der byzantiniſchen Maler,
welche, hiſtoriſch angeſehen, ſich nicht rechtfertigen laͤßt, ver-
leitete ihn nicht eigene genauere Vergleichung ihrer Arbeiten
mit denen ihrer italieniſchen Zeitgenoſſen, ſondern Ghiberti,
deſſen handſchriftliches Werk er, nach ſeiner eigenen Angabe,
gekannt und benutzt hat.


Lorenzo Ghiberti, der beruͤhmteſte Bildner der erſten
Haͤlfte des funfzehnten Jahrhunderts, fuͤhlte, wie ſpaͤter und
mit groͤßerem Gluͤcke Michelagnuolo, den Kuͤtzel, univerſell zu
ſeyn. Wenn er nicht ſelbſt gemalt hat, ſo machte er doch
Entwuͤrfe fuͤr Fenſtermalereyen, welche man dazumal noch
muſiviſch aus farbigem Glaſe mechaniſch zuſammenſetzte; wor-
aus Vaſari, was ſeine Fluͤchtigkeit in ein hoͤchſt unguͤnſtiges
Licht ſetzt, die Angabe hervorgedrehet, daß Ghiberti ſelbſt auf
Glas gemalt habe *). Am weiteſten jedoch entfernte ſich die-
I. 19
[290] ſer von ſeinem eigentlichen Berufe, indem er ſich daranſetzte,
eine betrachtende Kunſtgeſchichte zu ſchreiben. Wir beſitzen
noch immer dieſelbe Abſchrift, deren Vaſari ſich bedient, ge-
genwaͤrtig das Eigenthum der magliabecchiſchen Bibliothek zu
Florenz*). Leider beſteht der groͤßte Theil dieſes Werkes aus
einer ganz unbrauchbaren Zuſammenſtellung aus Ueberſetzungen
des Plinius und Vitruv; dagegen fuͤllt die neuere Kunſt-
geſchichte, uͤber welche Ghiberti uns ſo Vieles und Wichti-
ges haͤtte mittheilen koͤnnen, nur wenige Seiten, welche dem-
ungeachtet, wie uͤberhaupt, ſo beſonders bey gegenwaͤrtiger Un-
terſuchung von großem Belang ſind.


Ghiberti nemlich beginnt dieſen Abſchnitt ſeiner Arbeit
mit einer gedraͤngten Ueberſicht der Kunſthiſtorie, vom Verfalle
der antiken Kunſtbildung bis auf Cimabue, der auch ihm, wie
dem Vaſari, der aus ihm ſchoͤpfte, dazu gedient, die neuere
Kunſtgeſchichte zu eroͤffnen. Er ſagt **): „Alſo zur Zeit des
*)
[291] Kaiſers Conſtantin und des Papſtes Sylveſter uͤberwog der
chriſtliche Glaube. Die Abgoͤtterey erlitt ſo große Verfolgung,
daß alle Statuen und Malereyen zerſtoͤrt, und die Kunſt von
ihrer alten Wuͤrde und Achtbarkeit herabgewuͤrdigt ward. Und
ſo vergingen mit den Statuen, Gemaͤlden, Buͤchern, auch die
Grundzuͤge und Regeln, welche zu dieſer herrlichen und liebli-
chen Kunſt anleiten. Und um allen Anſchein des Goͤtzendien-
ſtes zu entfernen, verordneten ſie, daß alle Kirchen weiß (un-
bemalt) ſeyn ſollten. Damals ward, wer Bildſaͤulen und
Malereyen machte, mit ſchweren Strafen belegt; und ſo
ging die Bildner- und Malerkunſt verloren und jeder Be-
griff derſelben.


Nachdem es mit der Kunſt vorbey war, ſtanden die
Tempel unbemalt ſechshundert Jahre lang. Die Griechen be-
gannen, die Kunſt mit groͤßter Ungeſchicklichkeit wieder aus-
zuuͤben. In eben dem Maße, als die alten Griechen darin
geſchickt waren, zeigten ſie ſich in dieſem Zeitalter geiſtlos
und roh *).“


Durch neuere Unterſuchungen iſt es bekannt, daß bey
weitem nicht alle Kunſtwerke des Alterthums durch chriſtliche
Eiferer, wenn nicht Frevler, zerſtoͤrt worden ſind; anderntheils
haben die Verfolgungen chriſtlicher Andachtsbilder, welche
Ghiberti offenbar mit jenem fruͤheren Ereigniſſe vermiſcht
und verwechſelt, nur im oſtroͤmiſchen Reiche, und auch dort
nur voruͤbergehend, ſtatt gefunden; und aus vielen Umſtaͤnden
erhellt, daß nicht einmal waͤhrend des Bilderſturmes die
Kunſtuͤbung je ſo gaͤnzlich abgebrochen worden. Freilich wer-
19 *
[292] den wir dem trefflichen, doch ungelehrten Kuͤnſtler dieſe Taͤu-
ſchungen nachſehen duͤrfen; minder jedoch den Vaſari ent-
ſchuldigen koͤnnen, daß er bey ſo viel hoͤherem Stande der
hiſtoriſchen Forſchung und Gelehrſamkeit, bey eigener, anſchau-
licher Bekanntſchaft mit ſo mancherley Denkmalen des fruͤhe-
ren Mittelalters, dennoch jene groben Irrthuͤmer nachgeſchrie-
ben; gleichſam gegen ſein beſſeres Wiſſen, ſo daß der Argwohn
ſich aufdraͤngt, er habe entweder nur einen bequemen Eingang
geſucht, oder die eben nicht anziehende Unterſuchung und Dar-
ſtellung des dunkleren Mittelalters rund abſchneiden wollen.


Ueber dieſe Seite der oben uͤbertragenen Stelle iſt denn
nun allerdings kein Wort mehr zu verlieren, da ſie in unſeren
Tagen fuͤr Niemand verfaͤnglich ſeyn, Niemand ſo leicht noch
verleiten wird. Wichtiger indeß iſt, was Ghiberti uͤber die
Malerey der neueren oder mittelalterlichen Griechen anmerkt,
weil hierin der eigentliche Grund der Geringſchaͤtzung neugrie-
chiſcher Kunſtarbeiten verborgen liegt, welche durch das Mit-
telglied der aͤlteren Malerleben des Vaſari beſonders bey den
italieniſchen Forſchern ſich feſtgeſetzt hat. Bemerken wir auch
hier die Fluͤchtigkeit, mit welcher Vaſari die Quellen der aͤlte-
ren Kunſthiſtorie zu benutzen gewohnt war. Ghiberti nem-
lich ſetzt allerdings die Kunſtfaͤhigkeit der neueren Griechen in
Vergleich der alten ziemlich tief; und wem koͤnnte es wohl in
den Sinn kommen, die eine Kunſtepoche der anderen gleichzu-
ſtellen? Doch erhellt ſchon aus den Lobſpruͤchen, welche er
dem Duccio von Siena*) ertheilt, einem Maler, dem er,
[293] vollkommen zutreffend, neugriechiſche Manier beylegt, daß er
die letzte nur verhaͤltnißmaͤßig, und keinesweges unbedingt ge-
ring ſchaͤtzte. Vaſari aber riß Ghiberti’s Worte aus ihrer
Verbindung, und gab ihnen hiedurch einen neuen Sinn; worin
Andere ihm wiederum blindlings nachgefolgt ſind, ohne jemals
von neuem zu unterſuchen, wie ſich wohl die Kunſtfertigkeit
der mittleren Griechen zu jener der weſtlichen Europaͤer derſel-
ben Jahrhunderte verhalten moͤge.


Die gedoppelte Frage, ob die neueren Griechen jemals
auf die Kunſt der Italiener eingewirkt, worin dieſe Einwirkung
beſtanden, welche Foͤrderung, oder auch welcher Aufenthalt der
neueren Kunſtentwickelung daraus erwachſen ſey, iſt doch nicht
wohl ſo ganz zu erledigen und zur Entſcheidung zu bringen,
ehe wir die eigenthuͤmlichen Vorſtellungen, Manieren und
Handhabungen der neueren Griechen um etwas ſchaͤrfer aufge-
faßt haben, als gewoͤhnlich von denen geſchieht, welche den
Einfluß der Byzantiner annehmen oder beſtreiten. Denn die
italieniſchen Forſcher, welche Nationaleitelkeit, nicht ſelten wohl
auch die unbewußte Nachwirkung kirchlicher Gegenſaͤtze und
Feindſeligkeiten, gegen alles Griechiſche im Voraus einnimmt,
pflegen griechiſch zu nennen, was ihnen unter den Denkmalen
des hoͤheren Mittelalters uͤber alles Maß hinaus roh zu ſeyn
ſcheint, und eben daher, aus Gruͤnden, welche ich bereits
ausgefuͤhrt habe, vorausſetzlich immer italieniſch iſt. In
Deutſchland dagegen liebt man Jegliches byzantiniſch zu nen-
nen, worin die ſpaͤteren, erſt in den bildneriſchen Verzierungen
der gothiſchen Baukunſt entwickelten, Eigenthuͤmlichkeiten der
*)
[294] deutſchen Schule noch nicht hervorſprechen. Dieſer aͤltere,
ſenkrechte, ruhige Styl der deutſchen Bildnerey iſt indeß, wie
wir wiſſen, mit wenig Ausnahmen, durch andere Mittelglie-
der aus dem Style der altchriſtlichen Bildnerey entſtanden,
und, wo die eigenthuͤmlichen Merkzeichen byzantiniſchen Ge-
ſchmackes fehlen, iſt nicht wohl anzunehmen, daß Vorſtellun-
gen oder Gewoͤhnungen des chriſtlichen Alterthumes gerade auf
dem weiteren Wege in die Kunſt des weſtlichen Europa ein-
gedrungen ſeyen. Eben ſo irrig iſt es aber, die Byzantiner
des hoͤheren Mittelalters nach jenen rohen, mit geiſtloſer Fer-
tigkeit behandelten Andachtsbildern neuerer Jahrhunderte zu
beurtheilen, welche in Rußland, oder im tuͤrkiſchen Reiche,
noch taͤglich in großer Menge angefertigt werden. Allerdings
werden dieſe Bilder noch immer nach Durchzeichnungen und
Patronen gemalt, welche urſpruͤnglich aus Erfindungen des
Alterthums entnommen ſind; ihre Ausfuͤhrung indeß geſtattet
keine Vergleichung mit jener der aͤlteren Zeiten; nicht zu ge-
denken, daß man ſich im Verlaufe der Jahrhunderte immer
weiter von ſeinen Urbildern entfernt, immer mehr aller eigenen
Erfindung entſchlagen hat, welcher letzten das griechiſche Mit-
telalter noch keinesweges ſo gaͤnzlich entſagt hatte. Ueberhaupt
bewirkte die Eroberung und Schaͤdigung Conſtantinopels, im
Jahre 1204, das darauf erfolgende Zwiſchenreich fraͤnkiſcher
und griechiſcher Uſurpatoren, wenigſtens in Bezug auf die
Kunſtuͤbung, einen tiefen Einſchnitt in die fruͤhere, der chine-
ſiſchen vergleichbare, Bildung des oͤſtlichen Reiches. Und ge-
wiß gehen die wirklich werthvollen, zierlich, und nicht ohne
alles Kunſtgefuͤhl beendigten Miniaturen ſolcher Handſchriften,
welche ich geſehen und unterſucht habe, nur ſelten uͤber dieſen
Zeitpunct hinaus, wenn ſie nicht etwa durchhin in aͤlteren
[295] entſtanden ſind, was bisweilen nicht mit voller Sicherheit aus-
zumachen iſt. Doch, ſelbſt wenn es auszumachen waͤre, daß
in den griechiſchen Kunſtarbeiten bis zur tuͤrkiſchen Eroberung
einiges Gute ſich bewahrt habe, ſo wuͤrde uns an dieſer Stelle,
wie wir unten ſehen werden, doch einzig Solches angehen,
was bis zum Anbeginn des dreyzehnten Jahrhunderts gemacht,
geuͤbt oder geleiſtet worden.


Das Unterſcheidende der griechiſchen Kunſtuͤbung des
Mittelalters liegt, wie wir uns aus einer fruͤheren Entwicke-
lung entſinnen, nicht etwa in ſolchen Vorſtellungen, welche
ſchon im Alterthume des Chriſtenthums kuͤnſtleriſch aufgefaßt
worden. Allerdings wird es auch zu Anfang der neuen Kunſt-
epoche, im vierten und in den folgenden Jahrhunderten, Schu-
len gegeben haben, welche vor anderen durch Talent ſich aus-
zeichneten, und durch aͤußere Beguͤnſtigung gehoben wurden;
und beſonders von den Griechen duͤrfen wir vorausſetzen, daß
ſie ſich fruͤh auch in chriſtlichen Darſtellungen hervorgethan,
ſowohl in Anſehung der Nationalanlage fuͤr anſchauliche Auf-
faſſung ſittlicher Verhaͤltniſſe, als auch, weil, nach Einwan-
derung der Barbaren in die weſtlichen Provinzen, im oͤſtlichen
Reiche, vornehmlich unter Juſtinian I., aber auch unter den
nachfolgenden Kaiſern, die Kuͤnſte der alten Welt, ſo viel noch
an ihnen war, mit groͤßerem Nachdruck betrieben und mit
Aufwand gefoͤrdert wurden. Indeß fehlt es uns uͤber die oͤrt-
liche Entwickelung der altchriſtlichen Kunſtideen an genauer
und ausfuͤhrlicher Kunde, und es duͤrfte gewagt ſeyn, vor den
Verheerungen des gothiſchen Krieges, oder vor Einwanderung
der Longobarden in Italien, eine andere Entwickelung der
Handhabungen, des Geſchmackes, des Geiſtes altchriſtlicher
Kunſt anzunehmen, als in den oͤſtlichen Provinzen oder im
[296] neuen Mittelpuncte des roͤmiſchen Reiches. Wenn nun auch
Italien in Folge erwaͤhnter Ereigniſſe ſeit dem ſechsten Jahr-
hunderte an Bevoͤlkerung und Huͤlfsmitteln verarmte; wenn
auch von nun an die Griechen in techniſchen Vortheilen un-
wiederbringlich und fuͤr lange Zeit den Vorſprung gewannen:
ſo war doch damals die Zeit ſchon laͤngſt voruͤber, in welcher
die aͤlteſten Vorſtellungen der chriſtlichen Kunſt gleichſam in
den antiken Formen wieder ausgegoſſen, die Figuren noch an-
tik gewendet, die Stellungen und Gebehrden, wie endlich ſelbſt
der Styl der Darſtellung den Gebilden des claſſiſchen Alter-
thums nicht unaͤhnlich entworfen wurden. Dem roͤmiſchen
Weltreich gehoͤren, wiederhole ich, die aͤlteſten Kunſtgebilde der
Chriſten; und da dieſe in beiden Haͤlften der Chriſtenheit,
wenn auch mit verſchiedenem Erfolge, bis auf ſehr neue Zei-
ten unablaͤſſig nachgebildet worden; ſo wird das Vorkommen
ſolcher Vorſtellungen an und fuͤr ſich noch keinen Unterſchied
begruͤnden koͤnnen. Dieſen werden wir vielmehr theils in der
Manier aufſuchen muͤſſen, in welcher uͤberlieferte Vorſtellungen
auf der einen Seite von den Griechen, auf der andern von
den Italienern nachgeahmt oder neu aufgefaßt wurden, theils
in Solchem, ſo nicht fruͤher, als im Verlaufe des Mittelal-
ters, theils im oͤſtlichen Reiche, theils in Italien und im
Weſten uͤberhaupt, ganz von neuem ergriffen, und unter die
Gegenſtaͤnde bildlicher Darſtellungen aufgenommen worden.


Verſuchen wir zunaͤchſt auszumachen, worin die Manier
italieniſcher und griechiſcher Kuͤnſtler ſich unterſcheide. Bey
dieſer Unterſuchung iſt es uns foͤrderlich, daß wir bereits aus
einer fruͤheren Darlegung mit der Form bekannt ſind, welche
die aͤußerſte Entartung der Kunſtfertigkeiten in Italien ange-
nommen; daß wir wiſſen, wie man in dieſem Lande waͤhrend
[297] des zwoͤlften Jahrhunderts kaum begonnen, die Umriſſe wie-
derum zu fuͤllen, ſonſt des Helldunkels noch durchaus entbehrte,
dicke Umriſſe ſehen ließ, und im Allgemeinen zu einer widri-
gen Kuͤrze der Proportion hinuͤberneigte. Wir lernen aus ei-
nem Gemaͤlde der oͤffentlichen Gallerie zu Siena, daß dieſe
rohe Manier in Toscana mindeſtens bis auf das Jahr 1215
noch in Gebrauch geweſen.


Auf dieſem Gemaͤlde, welches nach dem Katalog der
Gallerie, S. 18, in der Kirche S. Salvatore della Berardenga
gefunden worden, lieſt man am Rande:
+ ANNO DNI MILLESIMO: CC. XV: MENSE
NOVEMBRI: HEC. TABVLA. FACTA. EST:

In der Mitte der Tafel, welche von maͤßiger Hoͤhe, groͤßerer
Breite, ſitzt eine flache erhobene Geſtalt, welche gleich dem uͤbri-
gen uͤbergypſt und mit Gold und Farben bemalt iſt, Chriſtus
in Glorie, an den vier Ecken die bekannten Zeichen der Evan-
geliſten; alles in der Anordnung, jenem Blatte des oben be-
zeichneten Bibelcodex von Monte Amiata nicht unaͤhnlich. Au-
ßerhalb der Glorie lieſt man: ; — das gegenuͤberſtehende
Monogramm iſt erloſchen; die griechiſche Abkuͤrzung darf uns
hier nicht befremden, da ſie ſeit den aͤlteſten Zeiten auch in
der lateiniſchen Kirche uͤblich, vielleicht durch ihre fremdartige
Erſcheinung dunkler und heiliger war *). Zu beiden Seiten
[298] dieſer, die ganze Hoͤhe der Tafel durchmeſſenden Geſtalt, iſt
der uͤbrige Raum dreyfach abgetheilt; zur Linken ſieht man
darauf drey Geſchichten, in denen Chriſtus jedesmal am
Kreuze; vielleicht ſollen dieſe Bilder verſchiedene der Handlun-
gen und Reden andeuten, welche, nach den Evangelien, waͤh-
rend der Kreuzigung ſtattgefunden. Zur Rechten blieb mir der
Gegenſtand der Darſtellungen undeutlich; die mittlere iſt viel-
leicht die Erweckung des Lazarus.


In dieſem Bilde nun ſind die Figuren kurz, die Charak-
tere deutlich, aber roh, die Kleidungen groͤßerentheils, wenn
wir die mittlere Geſtalt ausnehmen, nicht herkoͤmmlich, ſon-
dern barbariſch. Die Arbeit iſt ſehr unvollkommen, obwohl
ſchon etwas verſchmolzener, als jene der Bilder des Gekreu-
zigten von jenem umbriſchen Meiſter Alberto; die Umriſſe noch
immer dunkelfarbig, breit und ſtark in die Augen fallend; ob-
wohl ſie in der erhobenen Figur ſchon mehr untergeordnet
worden, als fruͤherhin zu geſchehen pflegte.



[299]

Die barberiniſche Bibliothek zu Rom bewahrt eine Ab-
ſchrift der Pſalmen Davids, welche nach einer Angabe im
Buche ſelbſt im Jahre 1177 geſchrieben, alſo jenem Altarge-
maͤlde beinahe gleichzeitig iſt *). Auch die Schrift, ſelbſt die
Goldgruͤnde der Miniaturen, bezeugen dieſes fuͤr neugriechiſche
Malerey bereits etwas vorgeruͤckte Alter. Unter den Miniatu-
ren ſind die beiden erſten minder bedeutend, obwohl der antike
Schnitt der Bekleidung von hochalterthuͤmlichem Urſprung zeugt.
Das dritte Bild indeß gehoͤrt zu den ausgezeichneteren Denk-
malen mittelalterlicher Kunſtfertigkeit; die Figur des David,
welche das ganze Blatt ausfuͤllt, iſt ſchon an ſich ſelbſt ſehr
lobenswerth, der Kopf aber von großer Schoͤnheit des Charak-
ters, von ungemeiner Feinheit in der Ausbildung der Zuͤge.
Das vierte Bild, die Anfangsvignette des zweyten Blattes,
gehoͤrt wiederum zu den bemerkenswertheſten Proben altchriſt-
licher Auffaſſungsart, welche in den griechiſchen Handſchriften
ſo oft in wunderbarer Reinheit hervortritt. David, der koͤnig-
liche Saͤnger, in einer aufgeſchuͤrzten Tunica mit leicht umge-
worfenem Mantel, in einem Haine, neben ihm eine weibliche
Figur, beide mit Nimbus verſehen; hinten ein Gemaͤuer, uͤber
dem eine Figur hervorſchaut, gleich als zu horchen. Unten
ein Flußgott, dem der Geſang nicht minder ſuͤß zu lauten
ſcheint. Die aͤußere Erſcheinung dieſes Bildes iſt durchaus
antik, die Ausfuͤhrung aber von ungemeiner Feinheit. Das
fuͤnfte iſt unbedeutend, das ſechste, zum Blatte 221, die Er-
ſaͤufung der Aegypter im rothen Meere, zeigt ſchoͤne Bewegun-
gen, gute Gewandmotive, feine Koͤpfe.


Doch werden wir bey Anerkennung des verhaͤltnißmaͤßi-
[300] gen Kunſtwerthes der byzantiniſchen Arbeiten die Bildnerey,
vornehmlich aber einige die Mitte haltende Metallarbeiten, das
Niello und den Schmelz, von der Malerey unterſcheiden muͤſ-
ſen, welche um dieſe Zeit ſich guͤnſtiger zeigt als jene. Aller-
dings ſcheint die Bildnerey im oͤſtlichen Reiche minder ſchnell
zum Unbedeutenden und Rohen geſunken zu ſeyn, als in Ita-
lien
, wo wir ſie bereits ſeit dem vierten Jahrhundert erloͤſchend
geſehen. In Conſtantinopel wurden bis in ſehr ſpaͤte Zeiten
herab den Herrſchern *) und anderen hervorleuchtenden Men-
ſchen **) an oͤffentlichen Plaͤtzen Statuen errichtet, uͤber deren
Werth oder Unwerth allerdings nicht mehr zu entſcheiden iſt;
doch erwecken die Muͤnzen derſelben Zeit, deren Gepraͤge be-
kanntlich hoͤchſt barbariſch iſt, keine ganz vortheilhafte Mei-
nung von ihrer Schoͤnheit und Ausbildung. Ein Vorzug indeß
blieb den Griechen hoͤchſt wahrſcheinlich auch in dieſer Kunſt-
art zu eigen; Zierlichkeit nemlich und Nettigkeit der Arbeit.
Dieſe wenigſtens fand ich bisher an allen bildneriſch gezierten
Altartafeln, Buͤcherdeckeln, Diptychen, welche aus verſchiedenen
Epochen des griechiſchen Mittelalters auf Bibliotheken und in
Sammlungen bewahrt werden. Als beſonders zierlich geſchnitzt
erſchien mir unter dieſen jenes mehr beachtete Triptychum des
chriſtlichen Muſei der Vaticana, welches in Anſehung der In-
ſchriften in reinen, unverzogenen, nicht accentuirten Buchſtaben
einem aͤlteren Abſchnitte der neugriechiſchen Kunſthiſtorie bey-
zumeſſen iſt. Im Hauptfelde dieſes kleinen Werkes, deſſen
Stoff gutes Elfenbein mit mancherley Vergoldung, ſieht man
[301] oberwaͤrts Chriſtus als Weltlehrer auf einem ſchwerfaͤlligen,
ſchon etwas fremdartigen Seſſel, deſſen reicher Blaͤtterſchmuck
indeß noch immer antike Vorbilder verraͤth. Die linke Hand
ruht auf einem großen Buche, welches bekanntlich ſchon im
Alterthume chriſtlicher Kunſt eine feſte Bedeutung erhalten; die
rechte ſegnend aus dem Pallium hervorgeſtreckt, woher jene
von Alters her beliebte gerade Falte entſteht, welche wohl aus
den Sitten claſſiſcher Zeiten ihren Urſprung genommen. In
ſo weit iſt alles hochalterthuͤmlich; dagegen haben die beiden
erwachſenen Engel hinter dem Throne, mit ihren fein ausge-
ſchnitzten Fluͤgeln, bereits ein mittelalterliches Anſehen. Zu
beiden Seiten Johannes der Evangeliſt, hier baͤrtig, und die
Jungfrau in roͤmiſcher Matronentracht, doch mit vergoldeten
Troddeln am Saume des Schleiermantels, die mir ſonſt nir-
gend aufgefallen. Beide Figuren wenden die eine Hand fle-
hend zum Heiland, und in dieſen und in anderen Extremitaͤ-
ten des Werkes zeigt ſich, ungewoͤhnlich genug, etwas mehr
Feinheit und Regel, als ſelbſt in den Koͤpfen. In die-
ſer oberen, ſich ſelbſt erklaͤrenden Abtheilung finden ſich
keine Inſchriften.


Hierauf folgt eine Queerleiſte, in welcher fuͤnf Buͤſten in
runden, vorſpringenden Einfaſſungen; die eine hat die Bey-
ſchrift: Ⓐͨ ΦΙΛΙΠΠΟϹ. Vier andere Koͤpfe in derſelben
Hoͤhe an den Seitenfluͤgeln. Darauf endlich ein groͤßeres
Feld, in welchem fuͤnf Apoſtel in typiſch-antiker Bekleidung,
unter denen der Charakter der Heil. Peter und Paul ſehr
kenntlich. Dieſe ſind an und fuͤr ſich recht ſchoͤne Figu-
ren; ihre Namen ſtehen im Felde, bey ſenkrechter Stellung
der Buchſtaben.


Ich uͤbergehe die Gegenſtaͤnde der Fluͤgel und Ruͤckſeiten
[302] dieſer kleinen Altarverzierung, weil das Angefuͤhrte hinreichen
mag, die Kunſtſtufe zu bezeichnen, welche das Ganze einnimmt,
und es wird ſchon aus dieſem Beyſpiele deutlich ſeyn, daß
die griechiſche Bildnerey des Mittelalters, wie ſie auch an ſich
ſelbſt beſchraͤnkt und bedingt ſeyn mochte, doch immer noch
ſehr weit von der Rohigkeit der italieniſchen entfernt war, auf
welche wir oben einige unwillige Blicke gerichtet haben. Min-
der vortheilhaft erſcheinen allerdings die Schmelzarbeiten der
Griechen, deren wir groͤßere und kleinere die Fuͤlle beſitzen.
Dieſe entſprechen jenem Schnitzwerke in einer einzigen Bezie-
hung, in der uͤbermaͤßigen Verlaͤngerung der Geſtalten, welche,
mit Ausnahme einiger Malereyen in Buͤchern, oder des klei-
nen Muſives im Schatze der Johanniskirche zu Florenz, auf
welches wir zuruͤckkommen werden, ein allgemeines Kennzeichen
griechiſch-mittelalterlicher Kunſt iſt, ein ſicheres Merkmal zu-
gleich der Unterſcheidung von eigenthuͤmlich Italieniſchem, wel-
ches, wie gezeigt worden, weit uͤber das Moͤgliche hinaus ſich
zum Kurzen zu neigen pflegt.


Die ehernen Thore S. Pauls vor Rom, die aͤhnlichen
der Hauptkirche zu Amalfi, welche beide gegen Ende des eilf-
ten Jahrhunderts zu Conſtantinopel angefertigt worden *),
uͤbertreffen an Ausdehnung alle andere Beyſpiele jener merk-
wuͤrdigen Verbindung der Niello und Schmelzarbeit, welche
damals in Griechenland verfertigt, und als Gegenſtand der
Pracht waarenartig in das weſtliche Europa eingefuͤhrt wurde.
Kleinere Arbeiten dieſer Art, welche uͤberall das Gepraͤge des
[303] Mittelalters tragen, finden ſich haͤufig in den groͤßeren Mu-
ſeen; verſchiedene ſchon in dem mehrgenannten der Vaticana;
das Kreuz aus dem Domſchatze zu Bamberg*) wohl zu
Muͤnchen in der Schatzkammer, welche mir niemals zugaͤnglich
geweſen; andere ſind mir an den Deckeln auch lateiniſcher
Handſchriften vorgekommen, vornehmlich, wo der Geſchmack
in den getriebenen Arbeiten, welche ſie an ſolchen Stellen zu
umſchließen pflegen, dem neugriechiſchen verwandt war, wie in
dem emmeramiſchen Evangeliario der koͤn. Bibliothek zu Muͤn-
chen
, welches Arnulph dem Stifte verehrt haben ſoll. Andere
werden ſich an anderen Stellen finden; nirgend aber, wie ich
aus den Beyſpielen ſchließe, die mir zu Geſichte gekommen,
duͤrfte ſich darin einige Spur des feinen Kunſtgefuͤhles, der
Nettigkeit und Zierlichkeit entdecken laſſen, welche die Minia-
turen, die Muſive, ſogar noch die Schnitzwerke des griechiſchen
Mittelalters auszuzeichnen pflegt. Beſonders roh iſt oder war
die Zeichnung der kleinen Figuren an den Thoren S. Pauls,
die vielleicht im letzten Brande untergegangen ſind, oder ſchon
fruͤher in der Wiederherſtellung, welche man beabſichtete, als
ich Italien verließ. Die Koͤpfe waren durch Schmelzarbeit
ausgefuͤllt, welche, wenn wir ſie nach einigen Stellen, an de-
nen ſie haͤngen geblieben, beurtheilen duͤrfen, durchhin roh
und verfloſſen geweſen, wie an den uͤbrigen mir bekannten
Kunſtarbeiten dieſer Art, Zeit und Gegend. Obwohl dieſe
Koͤpfe ſchon an ſich ſelbſt ſehr in die Laͤnge gezogen waren,
ſo mochten doch uͤberall zehn bis dreyzehn Kopflaͤngen auf die
[304] Geſtalten gehen, welche mithin ſogar unter byzantiniſchen Ar-
beiten durch Hagerkeit ſich auszeichneten.


Wenn wir nun dieſe roheren Fabrikate ausnehmen, und
zugleich von allen bildneriſchen Verſuchen der Byzantiner im
Allgemeinen vorausſetzen, daß ſie den maleriſchen durchhin um
einige Stufen nachgeſtanden; ſo werden wir uns unbedenklich
der Bewunderung ihrer aͤlteren Malereyen hingeben koͤnnen.
Groͤßere muſiviſche Werke, Wandmalereyen und Tafeln kann
ich allerdings nicht anfuͤhren, noch weniger genau bezeichnen;
kleinere indeß die Fuͤlle, deren Erhaltung wir hoͤchſt wahr-
ſcheinlich nur ihrer Tragbarkeit und Verpflanzung in geſittete
Laͤnder zu verdanken haben.


Unbedenklich gebe ich unter dieſen, da jene Rolle der
Vaticana, mit geiſtreichen Zeichnungen aus der Geſchichte des
Joſua, ſchon oben beruͤhrt worden, dem muſiviſchen Kalenda-
rio den Vorrang, welches gegen Ende des vierzehnten Jahr-
hunderts von einer venetianiſchen Dame, der Wittwe eines
byzantiniſchen Kaͤmmerlings, dem Schatze der Johanniskirche
zu Florenz gegen eine anſehnliche Leibrente uͤberlaſſen wor-
den *). Es beſteht aus zwey kleinen Tafeln von zierlichſtem
Muſiv, welches in aͤſthetiſcher, wie in kunſthiſtoriſcher Bezie-
hung fuͤr uns von hoͤchſter Wichtigkeit iſt. In aͤſthetiſcher,
weil es in ſolchen Theilen, wo hochalterthuͤmliche Vorbilder
dem Kuͤnſtler zu Huͤlfe kommen, Vortheile der Anordnung
und der Charakteriſtik zeigt, welche in der neueren Malerey
erſt
[305] erſt von Raphael wiederum genutzt, und allerdings [unendlich]
gefoͤrdert worden. Namentlich in der Wendung der Augen,
im Benutzen des weißen Localtons in den Winkeln ſeitwaͤrts
gerichteter Augenſterne, iſt es dem Kuͤnſtler gelungen, Betrof-
fenheit, Schauer und innere Bewegung des Gemuͤths bey viel
aͤußerer Ruhe auszudruͤcken. In kunſthiſtoriſcher und typolo-
giſcher Beziehung iſt es wichtig, theils weil das Kreuz und
die Geburt des Heilands, Vorſtellungen und Erfindungen bar-
bariſcher Zeiten, den Aufdruck derſelben auch hier nicht ver-
laͤugnen; theils weil in anderen hochalterthuͤmlichen Vorſtel-
lungen, etwa in der Wiederbelebung des Lazarus, der allge-
meine Charakter bey weitem claſſiſcher iſt, als irgend in ita-
lieniſchen Denkmalen des vierten und fuͤnften Jahrhunderts;
theils endlich, weil die Glorie in der Transfiguration, ich
weiß nicht durch welches Mittelglied, dieſelbe iſt, welche Ra-
phael
dem Entwurf nach in ſein beruͤhmtes Altargemaͤlde
aufgenommen.


Gori haͤlt dieſes Werk in Anſehung ſeiner freilich nicht
ſo durchgehenden Aehnlichkeit mit dem bekannten Menologio
des Baſilius Porphyrogennetos, fuͤr Arbeit des zehnten Jahr-
hunderts. Wir werden annehmen duͤrfen, es ſey unter allen
Umſtaͤnden nicht ſo gar viel juͤnger. Denn der Beſchlag von
getriebenem, vergoldetem Silber iſt in einem rohen, zum
Orientaliſchen ſich hinneigenden Geſchmacke verziert und email-
lirt; dieſer indeß hat auch im oͤſtlichen Reiche ſchwerlich den
vorgothiſchen und gothiſchen Baugeſchmack uͤberdauert, welcher
bekanntlich im dreyzehnten und folgenden Jahrhundert auch in
den Orient eingedrungen. Aus dem Alter der Einfaſſung
wuͤrden wir auf ein verhaͤltnißmaͤßiges Alter des Muſives zu-
ruͤckſchließen duͤrfen, da jenes ſicher fuͤr dieſes gemacht wor-
I. 20
[306] den, wohl unter Umſtaͤnden neuer, doch gewiß nicht aͤlter iſt,
als das Werk ſelbſt.


Der Gegenſtand der einzelnen Darſtellungen, welche auf
beſtimmte Kirchenfeſte ſich beziehen, ergiebt ſich ſchon aus den
elenden Abbildungen bey Gori, aus denen Niemand waͤhne,
den Charakter der Arbeit, das Kunſtverdienſt weder im Allge-
meinen, noch in den beſonderen Bezeichnungen und Darſtel-
lungen beurtheilen zu koͤnnen. Wie wollte man darin die
wunderbare Schoͤnheit der Geſtalt, Bewegung, Gewandung,
oder das herrliche Antlitz des Heilandes erkennen, wo er den
Lazarus erweckt; oder auch in demſelben Bilde die ſchoͤnen,
richtig verſtandenen Falten, die ausdrucksvollen Koͤpfe ſogar
in den minder gelungenen Figuren der Schweſtern, welche vor
Chriſtus zu Boden fallen? Nur im Bilde des Gekreuzigten
duͤrfte jene rohe Nachbildung genuͤgen, um hinreichend darin
wahrzunehmen, wie die Griechen dieſe Vorſtellung bey weitem
materieller aufgefaßt hatten, als die kunſtloſeren Italiener;
wie ſie, an grauſame Strafen gewoͤhnt, eben nur das koͤrper-
liche Leiden ausdruͤcken wollten durch Senkung des Hauptes,
vornehmlich durch ſeitwaͤrts ausgeſenkten, ſtarken, geſchwellten
Leib, und eben hiedurch ihrem Kruzifix ein widriges und ge-
meines Anſehen gaben, welches, wie wir ſehen werden, vor-
uͤbergehend auch in die italieniſche Malerey ſich eingedraͤngt
hat, und dort uͤberall, wo es vorkommt, noch obwaltende
Nachahmung byzantiniſcher Muſter beurkundet.


Das Menologium des zehnten Jahrhunderts, in der
Vaticana, mit welchem Gori das florentiniſche Kalendarium
verglichen, enthaͤlt eine große Zahl vortrefflicher Miniaturen,
welche indeß ſtellenweiſe, ich weiß nicht zu welcher Zeit, etwas
wieder angefriſcht worden. Der Aufgabe nach ſind dieſe klei-
[307] nen, fleißig ausgefuͤhrten Darſtellungen etwas zu gleichartig;
in der Zuſammenſtellung der Henker und Maͤrtyrer, etwa in
der Enthauptung der Heil. Eudoxius, Romulus und Anderer,
entwickeln die Kuͤnſtler indeß hoͤchſt wahrſcheinlich viel eigene,
gewiß nicht ungluͤckliche Erfindung. Die ſtehende Figur des
heil. Gregorius hat einen ſchoͤnen Kopf, die Wendung des
Hauptes in einer anderen, ruhenden Figur iſt gut verſtanden;
die Erzvaͤter Abraham, Iſaac und Jacob in antiker Gewan-
dung, wohl auch nach altchriſtlichen Muſtern, ſind ſchoͤne Fi-
guren, deren Koͤpfe indeß, bis auf den mittleren, ſtark wie-
der aufgefriſcht. Auch das architectoniſche Beywerk neigt ſich
zum Antiken, woraus indeß nicht wohl auf den Zuſtand der
Baukunſt jener Zeiten zuruͤckzuſchließen iſt.


An dieſes Werk ſchließt ſich, dem Verdienſte nach, eine
Handſchrift des eilften Jahrhunderts *), in welcher miniirte
Bilder, unter denen der Prophet Jeremias ſchon vor Jahren
einer Abhandlung beygegeben worden, welche die Grundzuͤge
der vorliegenden in ſich einſchließt **). Dieſe Figur iſt, eben
wie die ſeitwaͤrts angedeutete des Heilandes, dem Entwurf
nach altchriſtlich; doch offenbar Copie nach Copieen, da ſowohl
im Gefaͤlte, als in den Fuͤßen und Haͤnden viel urſpruͤnglich
richtige Andeutungen durch mechaniſche Umbildungen entſtellt
ſind. Bemerkenswerth iſt in dieſer Malerey der ganz gleiche,
ſtark vergoldete Grund, der Rand, deſſen Zeichnung claſſiſche
Erinnerungen, deſſen buntfarbige Ausfuͤhrung aber, mit dem
Goldgrunde zuſammengehalten, von orientaliſcher Luſt an Glanz
20 *
[308] und Buntheit zu zeugen ſcheint. In einer anderen Handſchrift
derſelben Sammlung *), welche um etwas aͤlter zu ſeyn
ſcheint, als jene, befinden ſich verſchiedene Miniaturen von
geringer Ausdehnung, unter denen ich die vordere, Gott den
Vater, der das Licht in die Finſterniß ſendet, ebenfalls in
einer ziemlich zutreffenden Abbildung bekannt gemacht **).
Auf dem vierten Blatte des Codex ſieht man ein anderes
Bild, die Erſchaffung der erſten Menſchen, in zwey uͤberein-
ander ſtehenden Abtheilungen, auf goldenem Felde. Auch dieſe
Gebilde ſcheinen in anderen und beſſeren Zeiten entworfen zu
ſeyn, da die Ausfuͤhrung der Idee nicht durchhin entſpricht.
Der Suͤndenfall, auf dem ſechsten Blatte, iſt ſo beſchaͤdigt,
daß man daran kaum mehr, als die ſymboliſchen Fluͤſſe erkennt.


In derſelben Sammlung finden ſich andere griechiſche,
wohl ausgezierte Handſchriften; unter dieſen ein Codex der
Evangelien in großen, hie und da verſchlungenen Charakteren,
den Bandini ins eilfte Jahrhundert verſetzt, Lami hingegen
fuͤr Arbeit des neunten oder zehnten haͤlt ***). Die Minia-
turen dieſer Handſchrift ſind ausgezeichnet. Auf dem erſten
Blatte ſitzt Johannes der Evangeliſt auf einem Seſſel von
uͤberladener Form; Sitz und Stellung bequem; die Gewan-
dung gut entworfen, doch mager ausgefuͤhrt. Der Charakter
des aus dem Bilde herausgewendeten Antlitzes iſt ſchoͤn, der
Blick begeiſtert, die Bezeichnung der Zuͤge wohlverſtanden.
Auf dem zweyten Blatte befindet ſich eine ſeltſam pedantiſche
Vorſtellung, deren Erfindung offenbar dem griechiſchen Mittel-
[309] alter angehoͤrt. Jeſus nemlich, der ſehr magiſtraliſch an ſei-
nem Pulte ſteht, belehret, aus einem aufgeſchlagenen Buche
die Apoſtel, an deren Spitze Petrus und Paulus. Der Ent-
wurf des Gewandes iſt in dieſem Stuͤcke durchhin gut; die
Charaktere der Apoſtel ſind ſchoͤn, ihre Geſtalten indeß ſehr
duͤrre und ſchlecht ausgefuͤhrt. Sie tragen weiße Schweißtuͤ-
cher um den Hals, was ihr gutes Anſehen nicht eben erhoͤht.
Jeſus wird uns durch den Nimbus und das gewoͤhnliche I̅C.̅
X̅C.̅ bezeichnet; die Apoſtel haben indeß weder Nimbus noch
Schrift. Das Verkuͤmmerte und Pedantiſche in der Auffaſſung
dieſes Bildes erklaͤrt ſich wohl daher, daß bey den Griechen
vornehmlich Moͤnche die kirchliche Malerey zu betreiben pfleg-
ten. Auf dem dritten Blatte iſt Matthaͤus, ein ſchoͤner, treuer
Charakter; das vierte Blatt, auf welchem der heil. Lucas, iſt
minder gerathen, die Geſtalt verbogen, die Ausfuͤhrung faſt
verkruͤppelt. Waͤre dieſes Bild etwa von anderer Hand? —
Auch in dieſen Darſtellungen giebt Buntheit und Flachheit der
Behandlung den Randverzierungen, obwohl ſie aus antiken
Zuͤgen entſtanden ſind, ein etwas morgenlaͤndiſches Anſehen *).


[310]

Ueberhaupt war, wie wir nicht uͤberſehen duͤrfen, daſſelbe
Volk, an deſſen techniſcher Ueberlegenheit die aufſtrebende
Kunſt des neueren Italiens eine ſo maͤchtige Stuͤtze gefunden,
doch in Hinſicht auf ſeine ſittlich-geiſtige Entwickelung ein
barbariſches. Seine techniſche Ueberlegenheit beruhete nicht
ſowohl auf thaͤtigem Streben nach Vollendung, als vielmehr
auf dem zufaͤlligen Umſtande, daß im oͤſtlichen Reiche das
ſtaͤdtiſche Leben ſich erhalten, und unablaͤſſig Reibungen und
Aufmunterungen des Kunſtfleißes hervorgerufen hatte, welche
im Weſten nicht ſtattfinden konnten, nachdem germaniſche Ein-
wanderer dort uͤberall laͤndliche Sitten verbreitet hatten, wo-
durch auch ſolche Staͤdte, deren Staͤtte bewohnt geblieben, all-
gemach ihre Bedeutung einbuͤßten. Zudem blieb den griechi-
ſchen Kuͤnſtlern, bey groͤßerem Reichthum an Vorbildern, oder
an Gegenſtaͤnden der aͤußerlichſten Nachahmung, mehr Wahl,
mithin, wenn auch nicht eben die Luſt und Faͤhigkeit eigener
Erfindung, doch mindeſtens die Moͤglichkeit, ſchon Vorhande-
nes umzuſtellen und Getrenntes neu zu vereinigen. Doch, wo
es galt, in der Wirklichkeit fuͤr neue Vorſtellungen neue Ty-
pen aufzufinden, oder in aͤußeren Verzierungen, Einfaſſungen
oder Gruͤnden der Bilder eigene Wahl und Erfindung zu zei-
gen, verraͤth ſich uͤberall in ihren Arbeiten die Huͤlfloſigkeit
ihres Geiſtes, die Rohigkeit ihres Geſchmackes. Die Charak-
tere mittelalterlicher Heiligen ſind in ihren Gemaͤlden durchge-
*)
[311] hend grell und leer, die Bekleidungen verunſtaltet durch Ge-
haͤnge von Schmuck und Gewand, welche ſchon ſeit dem
ſechsten Jahrhundert in die Lebensſitten der neueren Griechen,
wohl aus dem nahen Orient, ſich eingedraͤngt haben. Die
Handlungen und Zuſammenſtellungen, welche ſpaͤt, in ſchon
barbariſchen Zeiten, in den chriſtlichen Bilderkreis eingeruͤckt
worden, das Kruzifix, die Jungfrau mit dem Kinde und an-
dere, ſind durchhin von allem Geiſt und Gefuͤhl entbloͤßt, und,
aͤußerlich angeſehen, auch voͤllig geſchmacklos. — Merkwuͤr-
dig iſt es, daß unter den ſpaͤteren Erfindungen die Auffaſſung
des Anachoretenlebens naiv und geiſtreich. Die griechiſchen
Kuͤnſtler dieſer Zeit waren groͤßtentheils Moͤnche, und zwar
Moͤnche mit Leib und Seele *).


Demnach unterſcheidet ſich die Malerey des griechiſchen
Mittelalters, vornehmlich der Epoche vom neunten bis zum
Anfang des dreyzehnten Jahrhunderts, von der Malerey gleich-
zeitiger Italiener zunaͤchſt durch beſſere Ausfuͤhrung, reichhalti-
gere Vorbilder, mithin durch wirkliche Vorzuͤge des Gehaltes,
wie der Technik; ferner durch eigenthuͤmlich Barbariſches in
Verzierungen und Bekleidungen, in Sitten und Gewoͤhnungen
der Griechen des Mittelalters. Aber auch in techniſchen Vor-
theilen, durch die Stoffe, mit denen gemalt oder die Farbe
vermiſcht und gebunden ward, unterſchied ſich die griechiſche
Malerey von der italieniſchen. Bis auf Giunta und andere
Nachahmer der Griechen bedienten ſich die Italiener eines hel-
len, auf die Farbe nicht einwirkenden Bindemittels; vielleicht
[312] ſchon damals der Milch unreifer Feigen und anderer minder
oͤligen Leime. Die Tafeln, welche in griechiſcher Manier aus-
gefuͤhrt worden, ſey es von den Griechen ſelbſt, oder von ih-
ren italieniſchen Nachahmern, neigen ſich dahingegen uͤberall
zu einem dunkleren, gelblichen Hauptton, welches nicht durch-
hin aus den Wirkungen des Lampenrauches zu erklaͤren iſt.
Dieſe Wahrnehmung und die Zweifel, welche ſie hervorrief,
bewogen den Morrona, verſchiedene alte Malereyen zu be-
ſchaͤdigen, und ihre Truͤmmer, was ihm die Geſchichte ihrer
ſelbſt willen verzeihen moͤge, einer chemiſchen Analyſe zu un-
terwerfen *). Aus dieſer Scheidung, deren Genauigkeit wir
nicht verbuͤrgen koͤnnen, ging ein Stoff hervor, den Branchi,
der Scheidekuͤnſtler, fuͤr Wachs hielt; woraus zu folgen ſcheint,
daß in der Malerey der Griechen einige Kunſtvortheile und
Handgriffe des hoͤchſten Alterthums ſich erhalten haben, welche
in Italien waͤhrend des Mittelalters ſicher verloren worden.
Auf welche Weiſe indeß dieſes dichtere, doch immer noch pro-
blematiſche Bindemittel von neueren Griechen verwendet wor-
den, ob durch Miſchung mit den Farben, oder durch aͤußeren
Ueberzug, duͤrfte nicht ſo leicht zu entſcheiden ſeyn. Genug
daß ſolches in Gebrauch war, und durch den gelblich-gruͤnli-
chen, verdunkelnden Ton, den es uͤber die Tafeln verbreitete,
eines der Merkmale erzeugte, aus denen wir bey italieniſchen
Malereyen mit Sicherheit auf Schule oder Nachahmung neu-
griechiſcher Meiſter ſchließen duͤrfen.


Ein nicht minder ſicheres Kennzeichen griechiſcher Schule
oder Nachahmung gewaͤhren bey italieniſchen Denkmalen des
dreyzehnten Jahrhunderts die vergoldeten Gruͤnde der Tafeln.


[313]

Schon die Alten wuͤrdigten die ſchoͤne Wirkung, welche
aufgetragenes Gold vornehmlich bey kuͤnſtlicher Beleuchtung
hervorbringt; wer entſaͤnne ſich nicht, in einem Zimmer unter den
farneſiſchen Gaͤrten, der leichten, braͤunlich auf weißem Grunde
gemalten Verzierungen mit leicht aufgehoͤheten goldenen Lich-
tern? Goldene Flaͤchen indeß duͤrften ſie in farbigen Male-
reyen vermieden haben, weil ſie in der That geſchmacklos
ſind, durch ihren Glanz das Auge blenden, die farbigen Stel-
len verdunkeln. Sogar in den chriſtlichen Muſivmalereyen
aͤlterer Zeiten giebt es entweder ganz weiße Gruͤnde, wie in
Sta. Conſtanza bey Rom, oder in der Umhalle von S. Mar-
cus zu Venedig, oder doch nur goldene Lichter in Wolken und
Gewaͤndern, wie im mehrberuͤhrten Muſiv der Kirche S. Cos-
mas und Damianus am roͤmiſchen Forum. Noch ſpaͤter ver-
ſchwindet der Gebrauch des Goldes immer mehr aus den ita-
liſchen, beſonders aus den roͤmiſchen Muſiven; ſogar der
Nimbus der Heiligen wird, wie ich verſchiedentlich angemerkt,
durch einen farbigen Reif angedeutet, oder auch durch eine
mehrfarbige Scheibe. Gleichzeitig findet ſich auch in den Mi-
niaturen lateiniſcher, beſonders italieniſcher Handſchriften keine
Spur des Gebrauches, in Gold zu verzieren, geſchweige denn
goldene Flaͤchen anzubringen. Vielleicht fand man daran kei-
nen Geſchmack; wahrſcheinlicher indeß hatten ſich damals, bey
erdenklichſtem Ungeſchick, die Kunſtgriffe verloren, durch welche
das Gold auf Glasſtifte eingeſchmelzt, auf Pergament und
andere Gruͤnde befeſtigt wird *).


Die Byzantiner dagegen bewahrten nicht allein jenen wei-
[314] ſeren Gebrauch des Goldes, der aus einem hoͤheren, kunſt-
geuͤbteren Alterthume auf ſie uͤbergegangen; ſie vermehrten ihn
ſogar uͤber alles Maß und Ziel hinaus. Schon unter Juſti-
nian
, uͤber deſſen Bauwerke umſtaͤndliche Nachrichten ſich er-
halten haben, vergoldete man in der Muſivmalerey weite Flaͤ-
chen; aus den Beſchreibungen ſpaͤterer Bauwerke, welche frei-
lich minder ausfuͤhrlich ſind, duͤrfen wir ſchließen, daß der
Geſchmack an dem Schimmer der Vergoldungen mit den
Jahrhunderten zugenommen. Nicht minder zeigen ſich die
Goldflaͤchen ſchon fruͤh in den Miniaturmalereyen; ich habe ſie
bereits ſogar in vortrefflichen des zehnten bis zwoͤlften Jahr-
hunderts nachgewieſen. In Italien indeß zeigt er ſich zugleich
mit anderen Eigenthuͤmlichkeiten der byzantiniſchen Malerey
nicht fruͤher, als zu Anfang des dreyzehnten Jahrhunderts.


Erinnern wir uns, gelegentlich dieſer ganz techniſchen Ei-
genthuͤmlichkeiten, an die mehr angedeutete Neigung neugrie-
chiſcher Kuͤnſtler zum Verlaͤngerten und Hagern der Verhaͤlt-
niſſe, beſonders menſchlicher Geſtalten; ſo haͤtten wir nunmehr
alle Merkmale uͤberſehen und vereint, welche uns behuͤlflich
ſeyn koͤnnen, dem Einfluß der griechiſchen Malerey auf die
italieniſche nachzuſpuͤren, die Zeit, da er eingetreten, die Wir-
kung, die er hervorgebracht, aus Denkmalen zu beſtimmen.


Ueberall, wo die Weltereigniſſe der Forſchung minder
deutlich entgegentreten, bewirken ſie Befremdung; woher ſich
erklaͤrt, daß auch der byzantiniſche Einfluß Vielen, bey unge-
wiſſer Kunde, geheimnißvoll und ſeltſam erſchienen *). Indeß
iſt nicht ſowohl dieſes auffallend, daß byzantiniſche Sitten,
[315] Gewoͤhnungen und Kunſtfertigkeiten jemals in Italien einge-
drungen, als vielmehr, daß ſolches ſo ſpaͤt geſchehen, als wir
ſehen werden. Blieb doch Italien bis auf das eilfte Jahr-
hundert durch politiſche Verhaͤltniſſe, ſpaͤter durch den lebhaf-
teſten Handel mit dem oͤſtlichen Reiche eng verbunden; betrug
doch der Abſtand ſogar fuͤr damalige Schifffahrt an vielen
Puncten nur einzelne Tagereiſen. Allein in ſittlichen Dingen
beruhet jeglicher Einfluß nicht bloß auf der ausſtroͤmenden
Wirkung, welche in dem Verhaͤltniß, welches uns beſchaͤftigt,
ſicher unausgeſetzt ſtattgefunden; vielmehr beſonders auf Em-
pfaͤnglichkeit, welche den Italienern bis gegen Ende des zwoͤlf-
ten Jahrhunderts nun einmal durchaus gefehlt hat.


Zu verſchiedenen Zeiten finden ſich Spuren von Verbrei-
tung byzantiniſcher Kunſtarbeiten und Fabrikate *), von Ver-
ſetzung einzelner Kuͤnſtlercolonieen in den Weſten. Der Kunſt-
geſchenke Kaiſer Tibers an Chilperich, Koͤnig der Franken,
habe ich oben erwaͤhnt; Verwendung byzantiniſcher Goldarbei-
ten zum Schmucke roͤmiſcher Kirchen, Verpflanzung byzantini-
ſchen Kunſtfleißes nach Neapel habe ich an derſelben Stelle
aus Anaſtaſius nachgewieſen **); hier, wie in Amalfi und
[316]Gaeta, laͤßt ſich bis zum eilften Jahrhundert griechiſche Sitte
und Betriebſamkeit vorausſetzen, deren Spuren *) freilich ver-
wiſcht ſind. Auf der anderen Seite der Halbinſel, zu Vene-
dig
, deſſen Verbindung mit dem oͤſtlichen Reiche dauernder
war, deſſen aͤltere Geſchichte minder dunkel iſt, will man in
den bildenden Kuͤnſten den Einfluß griechiſcher Schule ſehr
weit ruͤckwaͤrts verfolgen; doch fehlt es uns an einer gruͤndli-
chen Beleuchtung der aͤlteren Kunſtgeſchichte Venedigs, in wel-
cher Zannetti vorſaͤtzlich oberflaͤchlich iſt **); ſo wie es an-
dererſeits den Topographen dieſer herrlichen Stadt an kritiſchem
Blick und hiſtoriſcher Kunſtkenntniß gefehlt ***). Allein auch
in Deutſchland finden ſich Spuren byzantiniſcher Einwirkung,
und zwar, nicht unter Otto II., wo man ſie zu vermuthen
geneigt iſt, weil dieſer Herr bekanntlich mit einer griechiſchen
Prinzeſſin vermaͤhlt war, ſondern unter der ſpaͤteren Regierung
**)
[317]Heinrichs II. Des emaillirten Kreuzes, welches vordem zu
Bamberg bewahrt wurde, habe ich bereits erwaͤhnt; doch als
Kunſtwerk betrachtet, iſt ein groͤßeres, in Cypreſſenholz ge-
ſchnitztes Kruzifix, uͤber dem Altare der weſtlichen Tribune,
ungleich wichtiger, als jene Handelsarbeit. Dieſes Bild, wel-
ches mir noch lebhaft vorſchwebt, hat allerdings eine gerade
Haltung, unterſcheidet ſich mithin von den gemalten Bildern
des Gekreuzigten, welche ich oben bezeichnet habe. Demun-
geachtet halte ich es, in Anſehung der edlen Ausbildung des
Kopfes, der magern Behandlung des Gefaͤltes, ebenſowohl fuͤr
griechiſche oder graͤciſirende Arbeit, als die halberhobenen Dar-
ſtellungen uͤber den beiden Seitenthoren des Domes, deren
magere Zierlichkeit, deren verlaͤngerte Proportionen in anderen
deutſchen Bildnereyen nirgend vorkommen. Auch die Minia-
turen der bambergiſchen Evangelien in der koͤn. Bibliothek zu
Muͤnchen, unter denen das Bildniß Heinrichs II., zeigen, [ge-
gen]
karolingiſche gehalten, Annaͤherung an die griechiſche
Manier und Farbenwahl *).


Dieſe gewiß ſehr beachtenswerthe Erſcheinung wird leider,
ſo viel mir bekannt iſt, durch keine Berichte von Zeitgenoſſen
naͤher beſtimmt und eroͤrtert; eben ſo wenig entdeckte ich, ob
ſie unter den deutſchen Kuͤnſtlern dieſer und folgender Zeiten
einige Wirkung hervorgebracht, einen dauernden Eindruck zu-
ruͤckgelaſſen. Wahrſcheinlich indeß verlor ſich dieſe deutſch-by-
zantiniſche Schule, eben wie jene andere zu Monte-Caſſino**),
[318] unmittelbar nach ihrer Stiftung unter den eigenthuͤmlichen
Schulen des Landes. In Bezug auf die letzte draͤngt ſich al-
lerdings die Vermuthung ein, daß Deſiderius, der Goͤnner
jener griechiſchen Muſaiciſten, nachdem er unter dem Namen
Victor III. auf den paͤpſtlichen Stuhl erhoben worden, die
Neigung zur Kunſtbefoͤrderung in ſeinen neuen Stand hinuͤber
genommen, und die Kuͤnſtler, welche er ſelbſt herbeygezogen
oder ſich herangebildet, auch zu Rom habe arbeiten laſſen, wo
**)
[319] ich bisweilen unter den Denkmalen dunkler Zeiten einige Spu-
ren griechiſcher Schule wahrzunehmen glaubte. So ſcheint
mir noch immer die eigenthuͤmliche Anordnung und Hagerkeit
der Figuren eines laͤngſt untergegangenen Muſives, auf wel-
chem Calixtus II. und Anaſtaſius IV. neben anderen Figuren,
in den Abbildungen *), welche freilich minder genau ſeyn
koͤnnten, griechiſchen Urſprung zu verrathen. Ferner moͤchte
das Muſiv uͤber dem Hauptaltare der Kirche S. Clemente zu
Rom, uͤber deſſen Stiftung ich bekenne, nicht unterrichtet zu
ſeyn, recht wohl fuͤr eine Nachahmung der Muſive zu Mon-
tecaſſino
gelten koͤnnen, ſo lange das Gegentheil nicht urkund-
lich zu erweiſen iſt. Denn, bey damaligem Vorwalten des
Architectoniſchen, duͤrfen wir ſchließen, daß die Thiere, Pflan-
zen und Blumen, von denen Leo erzaͤhlt **), gleichwie in dem
Muſiv von S. Clemente, in Geſchlinge und Verzierungen
verflochten waren. Auch eine Madonna, von zwey Engeln
umgeben, welche Kandelaber halten, uͤber einer Seitenthuͤre
der Kirche Ara Celi auf dem Kapitol zu Rom, erſcheint mir,
in Anſehung ihrer guten muſiviſchen Zuſammenſetzung, ihrer
Hinneigung zu einiger Schoͤnheit der Umriſſe, bey uͤbrigens
unausgebildeter Modellirung, als ein Werk fruͤher, durch grie-
chiſche Muſter verfeinerter Italiener. Die griechiſche Abkunft
verraͤth ſich theils in den kleineren, ſchaͤrfer ausgekanteten
Glaswuͤrfeln des Muſives, theils auch in dem Monogramme
M̅P̅. Θ̅ϒ̅. Ich habe oben aͤltere, rohere, ganz italieniſche
[320] Madonnen nachgewieſen, welche im Felde die Aufſchrift:
M̅. C̅. (Mater Christi) haben, und wiederholt erinnert,
daß jene griechiſche Beyſchrift, in italieniſchen Bildern der
Madonna, auf griechiſche Abkunft verweiſe.


Dieſe ungewiſſen Spuren der Fortpflanzung griechiſcher
Vorſtellungen und Handgriffe der Kunſt verlieren ſich indeß,
gleich den Nachwirkungen fruͤherer Ereigniſſe derſelben Art und
Abkunft, unter den ſicheren Beyſpielen eigenthuͤmlich italieni-
ſcher Barbarey, deren wir uns aus einer vorangehenden Un-
terſuchung *) entſinnen. Es fehlte den Italienern bis um das
Jahr 1200 an Empfaͤnglichkeit und Sinn, einestheils fuͤr
Gediegenheit der Arbeit, anderntheils fuͤr die innere Bedeutung
organiſcher Bildungen; ehe dieſe von neuem geweckt worden,
durch Umſtaͤnde, welche der allgemeinen Geſchichte angehoͤren,
deren Entwickelung wir mithin an dieſer Stelle uͤbergehen duͤr-
fen, vermochte das Muſterhafte und Nachahmenswerthe der
griechiſchen Kuͤnſtler in Italien keinen dauernden Eindruck
zu bewirken.


Doch, ehe wir daran gehen, die Denkmale naͤher zu be-
zeichnen, an denen wir einestheils die Beſchaffenheit und den
eigentlichen Zweck der italieniſchen Nachahmung griechiſcher
Kunſtmanieren und Vorbilder, anderntheils die Zeit nachweiſen
koͤnnen, in welcher jene eingetreten iſt, werden wir uns mit
den erheblichſten unter den mancherley oberflaͤchlichen Auffaſ-
ſungen und Deutungen ausgleichen muͤſſen, vermoͤge deren die
Kunſtgelehrten verſucht haben, die inneren Widerſpruͤche in den
oben beruͤhrten Angaben des Vaſari in Uebereinſtimmung
zu bringen.


Den
[321]

Den Gelehrten (nicht Kuͤnſtlern oder Liebhabern der Lite-
ratur), welche dieſe Ausgleichung verſucht haben, ging der be-
ruͤhmte Joh. Lami voran, in ſeiner Abhandlung *) uͤber das
Voralter neuer italieniſcher Kunſt. Dieſer treffliche und unbe-
fangene Beobachter, dem zufaͤllig die Merkmale mittelalterlich
griechiſcher Kunſtverſuche genauer bekannt waren, als die Kenn-
zeichen der gleichzeitigen italieniſchen, iſt unter den italieniſchen
Forſchern, meines Wiſſens, der einzige, dem die Vorzuͤge der er-
ſten nicht entgangen ſind. „Die griechiſchen Miniaturen des
eilften Jahrhunderts,“ ſagt er **), „in den bibliſchen Hand-
ſchriften der Laurentiana, oder unſerer (der florentiniſchen) Ab-
tey ***), uͤbertreffen vielleicht jene des Oderigi von Gubbio
und des Franco von Bologna, welche zu Anfang des vierzehn-
ten Jahrhunderts gebluͤht haben, und von unſerem Dante
geprieſen werden. Die Marcheſe Riccardi beſitzen einige grie-
chiſche Diptycha von Elfenbein, welche ſehr beachtenswerthe
Arbeit zeigen, und einen heil. Stephanus in Bronze, von grie-
chiſcher Arbeit, welcher ſehr ſchoͤn iſt; allem Anſehen nach ſind
dieſe Werke aͤlter, als das Jahr Eintauſend.“ Doch hatte
derſelbe Gelehrte eine zu guͤnſtige Meinung von den Arbeiten
der italieniſchen Maler derſelben Epoche, welche vorehmlich
darauf gegruͤndet war, daß er die Malereyen am Bigallo zu
Florenz, uͤber welche die Zahlungspartiten an Piero Chellini,
I. 21
[322] einen Maler des funfzehnten, noch immer vorhanden ſind, fuͤr
ein Werk des dreyzehnten Jahrhunderts anſah *). Daher
wahrſcheinlich erſchien es ihm ſeltſam, daß griechiſche [Vorbil-
der]
, oder gar griechiſche Manier **), je in Italien Eingang
gefunden. Die Behauptung, daß in Italien jemals die Ge-
wohnheit, Heilige zu bilden oder zu malen, unterbrochen, oder,
daß alle Bilder des hoͤheren Mittelalters, wie Baldinucci
gemeint, griechiſche Arbeit geweſen, erſchien dem hiſtoriſch ge-
lehrten Forſcher nothwendig als ein armſeliger Behelf unwiſ-
ſender Schwaͤtzer ***). Auf der anderen Seite blieb ihm der
Grund verborgen, weshalb man die Griechen innerhalb eines
beſtimmten Zeitraumes zu Vorbildern erwaͤhlt hatte. Auf dieſe
Weiſe ließ er ſich verleiten, den naiven und zutreffenden Aus-
druck des Cennino†), „daß Giotto die Malerey aus dem
[323] Griechiſchen ins Lateiniſche abgeaͤndert habe,“ eben nur, weil
er ihn aus obigen Gruͤnden mißverſtanden, auch dem Sinne
nach fuͤr ſeltſam und abgeſchmackt *) zu erklaͤren. Er haͤtte
dieſen Ausdruck verſtehen muͤſſen, da ihm gewiß bekannt war,
wie lange in den Schriften des Mittelalters lateiniſch ſo viel
ſagte, als italieniſch; wie denn der daher fließende Gegenſatz
der lateiniſchen und griechiſchen Kirche noch in unſern Tagen
in Kraft iſt. Doch war Lami in dem Irrthum befangen,
daß Cennino unter aͤlteren Schriftſtellern fuͤr den Einfluß
der Griechen der einzige Zeuge ſey **). Es war ihm unbe-
kannt, daß auch Ghiberti, deſſen Werk er nicht geleſen
hatte, von Cimabue ſagt, daß er die „griechiſche Malart aus-
uͤbte, welche dazumal in Toscana in großem Ruhme ſtand ***);
von Duccio von Siena, daß er in griechiſcher Manier gemalt
habe,“ in Worten, welche ich bereits angefuͤhrt habe. Noch
einen dritten Zeugen koͤnnte ich herbeyziehen, den Lami bey
dieſer Unterſuchung wohl uͤberſehen mußte; den Gobelinus
Perſona
, einen deutſchen Praͤlaten, welcher zu Anfang des
funfzehnten Jahrhunderts oder zu Ende des vorangehenden
Italien beſucht hatte. Dieſer mehrſeitig gebildete Mann, uͤber
deſſen Leben Maiboms Vorrede einzuſehen, erwaͤhnt von
†)
21 *
[324]Meinwerk, Biſchof von Paderborn, „er habe eine Kapelle neu
wieder aufgerichtet, welche vormals unter Karl dem Großen
von griechiſchen Arbeitern gebauet worden*).“ In
dem bekannten Leben Meinwerks, bey Leibnitz, findet ſich
keine Spur von Bekanntſchaft mit den Meiſtern des aͤlteren
Baues; auf der anderen Seite iſt nicht wohl anzunehmen,
daß Gobelin hier einer Autoritaͤt gefolgt ſey, da die Quel-
len der Geſchichte der karolingiſchen Zeit von aus der Fremde
herbeygezogenen italieniſchen, nun gar griechiſchen, Arbeitern
ſchweigen, weil dieſe, wenn es deren am Hofe des Koͤnigs
gegeben haͤtte, doch unter allen Umſtaͤnden ſchwerlich in den
noch ungeſicherten Eroberungen des Chriſtenthums, tief im
Sachſenlande, waͤren beſchaͤftigt worden. Alſo wird an dieſer
Stelle der Vermuthung nicht auszuweichen ſeyn, daß unſer
Schriftſteller auf ſeinen italieniſchen Reiſen mit jener, wie
oben angefuͤhrte Stellen zeigen, ſeinerzeit feſt angenommenen
und verbreiteten Anſicht bekannt geworden: daß die Byzanti-
ner waͤhrend der dunkleren Abſchnitte des Mittelalters in den
Kuͤnſten eine dauernde Ueberlegenheit beſeſſen, einen wichtigen
Einfluß auf den Geſchmack der weſtlichen Europaͤer aus-
geuͤbt haben.


In Lami’s Auffaſſung dieſes hiſtoriſchen Verhaͤltniſſes
war demnach wenigſtens die eine Seite, die Vorzuͤglichkeit
griechiſcher Kunſtarbeiten, im Ganzen richtig verſtanden; in
der Auffaſſung ſeiner Nachfolger findet ſich indeß, bey groͤßter
[325] Dreuſtigkeit und Zuverſichtlichkeit des ſich Gehabens, nur all-
ſeitige Unkenntniß, Verwirrung und Widerſpruch.


Laſtri, der Verfaſſer vieler unterhaltender Mittheilungen
aus den handſchriftlichen Schaͤtzen der florentiniſchen Bibliothe-
ken, hatte die Anmaßung, ſichere und minder ausgemachte
Thatſachen, welche zu ſeiner Zeit zur Sprache gekommen, ohne
alle Anſchauung ihres Gegenſtandes in eine kurze Ueberſicht
zuſammenzudraͤngen, welche lautet, wie folgt *):


„Es iſt Niemand verborgen, daß dieſe Kunſt zu keiner
Zeit in Italien erloſchen iſt; obwohl ſie viele Jahrhunderte
hindurch, in den barbariſchen Zeiten, geſiecht hat. Es waren
ſtarke Erſchuͤtterungen noͤthig, ſie wieder zu beleben; dieſe aber
ſind gerade um das eilfte Jahrhundert unſerer Zeitrechnung
eingetreten.


Die neue Verfaſſung, welche faſt alle italieniſche Staͤdte
aus ſich entwickelten oder erwarben; die Wiſſenſchaften, welche
eben zu daͤmmern begannen; die Ankunft endlich griechi-
ſcher Kuͤnſtler zu Florenz und Rom
; alle dieſe Ereig-
niſſe brachten damals Gaͤhrung in den Lebensgeiſt.“


Ehe wir Laſtri weiter reden laſſen, muß ich erinnern,
daß er den Aufſchwung der italieniſchen Kunſt, wie ich oben **)
erwieſen, hoͤchſt irrig in das eilfte Jahrhundert verlegt. In
Anſehung indeß ſeiner Annahme griechiſcher Ankoͤmmlinge wird
dieſe willkuͤhrliche, auf keine, ins Einzelne eingehende, For-
ſchung ſicher begruͤndete Annahme durch oben beleuchtete Stelle
des Leo von Oſtia herbeygefuͤhrt ſeyn, fuͤr welche wir bereits
den rechten Geſichtspunkt aufgefunden haben.


[326]

Allein auch in einer viel neueren Epoche verknuͤpfte er
mancherley halbverſtandene Angaben aͤlterer und neuerer
Schriftſteller zu einer ganz falſchen Entwickelung. Er ſagt nem-
lich: „bis auf dieſe Zeit (des Cimabue) hielt ſich die Malerey im
Geſchmack- und Einſichtsloſen; den Figuren fehlte es an guter
Stellung und an richtigem Verhaͤltniß; ſie ſtanden auf den Spiz-
zen der Fuͤße und waren durchhin hager und trocken. Zu Ende aber
des (dreyzehnten) Jahrhunderts begannen die Maler, ihnen
mehr Anſehen zu geben, und die Trockenheit der grie-
chiſchen Muſaiciſten zu verlaſſen
. — Dieſe Vorzuͤge
bewirkten, daß man den Cimabue allgemeinhin als den Wie-
derherſteller der Malerey betrachtete.“


Figuren mit heruntergebogenen, nicht wagerecht ſtehenden
Fuͤßen, welche Laſtri wahrſcheinlich aus dem Vaſari,
ſchwerlich aus eigener Wahrnehmung kannte, finden ſich, lange
nach Cimabue, noch im funfzehnten Jahrhundert. Ihre Ver-
draͤngung iſt demnach dem Cimabue eben ſo wenig beyzulegen,
als der Vorzug, ſich von der griechiſchen Manier entfernt zu
haben, da er gerade in dieſer Malart Meiſter war. Indeß
ſollte der Ruhm, den Cimabue unter ſeinen Zeitgenoſſen erlangt
hatte, auf alle Weiſe gerettet werden; als Stifter der neueren
Kunſt war er nicht laͤnger anzuſehen, nachdem unter den aͤl-
teren Kuͤnſtlern wenigſtens Guido von Siena und Giunta von
Piſa
bekannter geworden; alſo mußte er, da es bey den ma-
teriellen Kunſtanſichten neuerer Italiener entfernt lag, ſeinen
Ruhm auf eine gewiſſe Ueberlegenheit und Maͤchtigkeit des
Geiſtes zu gruͤnden, mindeſtens ein Verbeſſerer aͤußerlicher
Handhabungen der Kunſt geweſen ſeyn.


In wie weit indeß Cimabue, oder Duccio, oder andere
der ſpaͤteſten Nachahmer griechiſcher Vorbilder, dieſe in aͤuße-
[327] ren Kunſtvortheilen uͤbertroffen haben, iſt eine Frage, deren
Beantwortung wir noch ausſetzen muͤſſen, da uns vor der
Hand unter den italieniſchen Malern in griechiſcher Manier
nicht die ſpaͤteſten, ſondern eben nur die fruͤheren angehen.


In Vergleich mit dieſen werden wir die griechiſchen Ma-
ler nicht wohl, gleich obigem Schriftſteller, einer groͤßeren
Trockenheit anklagen, unter allen Umſtaͤnden aber durchaus
nicht zugeben koͤnnen, daß willkuͤhrlich und ohne alle urkund-
liche Gruͤnde auf ihre Rechnung geſchrieben werde, was irgend
Rohes, uͤber menſchliche Erwartung Baͤueriſches in italieniſchen
Alterthuͤmern aufzufinden iſt. Der Wunſch, den Griechen
nichts, oder doch ſo wenig als moͤglich zu verdanken, verlei-
tete zwey Kunſtrichter des verfloſſenen Jahrhunderts, den Va-
ter Della Valle*) und den bekannten Lanzi**), ein bey-
ſpiellos rohes Gepinſel in einer Kapelle der Gewoͤlbe, unter
der Kirche Sta. Maria Novella zu Florenz, ohne alle Gruͤnde,
ſey es der Analogie oder der Urkunde, fuͤr griechiſche Arbeit
zu erklaͤren. Den Ueberreſt dieſer Malerey, welcher vor eini-
gen Jahren viel Bereitwilligkeit zeigte, vollends von der Mauer
abzufallen, betrachtete ich verſchiedentlich mit Intereſſe und
Verwunderung. Einmal konnte ich den Gegenſtand auf keine
Weiſe errathen, wenn die uͤbrigen Koͤpfe, der eine mit einem
Stiergeweihe, nicht etwa Teufel, und das Ganze Ereigniſſe
der Unterwelt darſtellen ſollte. Die Malart, ſogar der Kalk-
bewurf, an welchem die Farbe klebte, uͤbertraf Alles, was ich
fruͤher angefuͤhrt habe, an Unſauberkeit, Unbehuͤlflichkeit, Ro-
[328] higkeit. Da nun die Spuren einer zweiten Kalklage mit Ma-
lerey des vierzehnten Jahrhunderts noch immer daran hafteten,
vonwelchen Della Valle erzaͤhlt, ſie ſey eben damals herab-
gefallen, als er eben des Beweiſes bedurft *), daß Cimabue
von ſeinen griechiſchen Meiſtern nichts Erhebliches habe erler-
nen koͤnnen: ſo iſt ſo viel gewiß, daß ſie aͤlter ſind; und da,
ſo weit ich eingedrungen, im dreyzehnten Jahrhundert die
Kunſt in Toscana auf einer ſo ungleich hoͤheren Stufe geſtan-
den, ſo laͤßt ſich annehmen, dieſes Gepinſel ſey im zwoͤlften
oder in einem der vorangehenden entſtanden. Uebrigens ge-
hoͤrten ſie wahrſcheinlich ſchon damals nicht zu den beſten Lei-
ſtungen ihrer Zeit und Gegend, da das Gemaͤuer, an dem ſie
haften, nothwendig nicht zu dem neuen, erſt im dreyzehnten
Jahrhundert begonnenen Kloſterbau, ſondern zu der kleinen
vorſtaͤdtiſchen Pfarre gehoͤrt haben muß, welche damals den
Dominicanern eingeraͤumt worden.


Nicht das Denkmal an ſich ſelbſt, deſſen wir, nach dem
bereits Gemeldeten, durchaus entbehren koͤnnen, wohl aber die
Zuverſicht, mit welcher jene Kunſtgelehrten, was ſie wuͤnſch-
ten, auch glaubten, was ſie glaubten, auch mit groͤßter Dreu-
ſtigkeit behaupteten, gehoͤrt meines Erachtens zu den Perlen
und Merkwuͤrdigkeiten der neueren Kunſtgeſchichte. Lanzi
geht davon aus, „daß Vaſari melde, die Meiſter des Cima-
bue
haben die Kapelle Gondi in Sta Maria Novella ausge-
malt; die Kapelle ſey indeß erſt im folgenden Jahrhundert
[329] erbauet worden *).“ Hieraus haͤtte er folgern koͤnnen, daß
Vaſari uͤberhaupt dieſe kleinen kunſtgeſchichtlichen Umſtaͤnde,
welche er ſo vertraulich erzaͤhlt, als waͤre er dabey geweſen,
nur aus der Luft gegriffen habe. Doch obwohl es ſchon an
ſich ſelbſt wenig wahrſcheinlich iſt, daß Vaſari in Dingen,
die ihm ſchwerlich umſtaͤndlich bekannt waren, der That nach
die Wahrheit berichte, ſo wollte doch Lanzi und ſein Ge-
faͤhrte ihm in Bezug auf die Perſon und Handlung willig
glauben; nur in Bezug auf den Ort, nahmen ſie an, habe
Vaſari ſich geirrt; ſich ſelbſt aber raͤumten ſie die Faͤhigkeit
und Befugniß ein, den Ort, den ſchon Vaſari verfehlt, nach
dem bloßen Gefuͤhle aufzufinden. Haͤtten ſie nun doch wenig-
ſtens die Eigenthuͤmlichkeiten griechiſcher Manieren und Vor-
ſtellungen der Kunſt gekannt, ſo wuͤrden ſie aus maleriſchen
Analogieen allenfalls haben entſcheiden koͤnnen, ob in irgend
einem Winkel des alten Baues griechiſche Arbeiten vorhanden
ſeyn, oder auch nicht. Ueber ſolche Vorbereitungen waren ſie
indeß weit erhaben; ſie brachten die Faͤhigkeit, oder den Wil-
len, griechiſche Arbeit zu erkennen, von Anbeginn hinzu; und
durch ſo viel Irrwege der Gedankenfolge, ſo viel Entſchieden-
heit der Abſicht, wurden ſie dahin verleitet, fuͤr griechiſche
Malerey zu erklaͤren, was nimmer auch nur die entfernteſte
Aehnlichkeit mit byzantiniſchen Kunſtarbeiten gezeigt hat.


Auf mancherley Weiſe hat man demnach ſich bemuͤht,
aus den unbeſtimmten Andeutungen des Vaſari hervorzuwin-
den, was jedesmal gefiel. Einige haben, gleich dem Baldi-
[330] nucci
, auf ihm fortgebauet, als wenn er in ſo entlegenen
Dingen als Quelle zu betrachten waͤre; andere haben ſeine
Angaben durchaus verworfen, wie Muratori; noch andere
endlich haben die Ankunft von Griechen, nicht etwa in Vene-
dig
und Piſa und anderen Seeſtaͤdten Italiens, ſondern eben
jene noch zweifelhafte *) zu Florenz ihm unbedingt einge-
raͤumt **), hingegen, einer grillenhaften Nationaleitelkeit zu
[331] genuͤgen, ſich der leeren Einbildung hingegeben, daß eben dieſe
Griechen rohe, ungeſchlachte Geſellen geweſen. Eben wie jene
Muſaiciſten des Leo von Oſtia, wie ſchon gemeldet worden,
nur Fußboͤden verfertigt haben ſollen, weil dieſe fuͤr die nie-
drigſte Verwendung der muſiviſchen Kunſt gelten; ſo ſollten
auch die Griechen des Vaſari eben nur Sudler geweſen ſeyn,
uͤber welche man in ſolchem Falle annehmen muͤßte, daß die
Florentiner ſie aus bloßem Mitleid beſchaͤftigt haͤtten. Doch
werden deutſche Leſer allen dieſen Windungen des Unverſtan-
des, der Leichtglaͤubigkeit, Willkuͤhr und Einbildung in Fio-
rillo’s
groͤßerem Werke nachfolgen koͤnnen, den ſeine italie-
niſchen Gewaͤhrsmaͤnner bey Darſtellung dieſes hiſtoriſchen
Verhaͤltniſſes bald zu dieſer, bald zu jener anderen Meinung
hinuͤberziehen *).


Wie ich mir verſpreche, ſteht es unter uns nicht laͤnger
in Frage, ob das Vorbild oder die Belehrungen byzantiniſcher
**)
[332] Kuͤnſtler jemals auf italieniſche eingewirkt; wir haͤtten demnach
nur noch jenes bereits Vorgedeutete zu eroͤrtern: wann dieſe
Einwirkung denn eingetreten ſey, und in wiefern ſie der ita-
lieniſchen Kunſtuͤbung Gedeihen und Foͤrderung gebracht habe.


Das ſpaͤteſte unter mir bekannten Denkmalen eigenthuͤm-
lich italieniſcher Barbarey, die Altartafel der Gallerie zu Siena
vom Jahre 1215, habe ich bereits beſchrieben. Der Katalog
dieſer Sammlung, welcher uͤberhaupt voll dreiſter Griffe, giebt
dieſes Bild, ohne allen Beweis und gegen alle Wahrſcheinlich-
keit, fuͤr eine Arbeit des Jacob von Turrita, eines der fruͤhe-
ren Nachahmer oder Schuͤler der Griechen, deſſen Werke wir
ſpaͤterhin aufzaͤhlen wollen. Hingegen iſt das aͤlteſte Denkmal
italieniſch-neugriechiſcher Malerey, ſo mir bekannt geworden,
jenes große Muſiv der Vorſeite am Dome zu Spoleto, deſſen
verkleinerte Abbildung einer Abhandlung im Kunſtblatte, 1821.
No. 8, beyliegt. Nemlich das aͤlteſte bezeichnete und ſichere
Denkmal; denn es iſt nicht eben unwahrſcheinlich, daß jene
Mauermalereyen in gutem neugriechiſchen Style, welche die
Seitenwaͤnde des Mittelſchiffes in der Kirche S. Pietro in
Grado, auf dem Wege von Piſa nach Livorno, verzieren, um
Decennien aͤlter ſind. Am unteren Rande des coloſſalen, ganz
wohl erhaltenen Gemaͤldes (die Erhaltung ſelbſt iſt Zeug-
niß fuͤr die Verbreitung der beſſeren Technik der Byzanti-
ner) befindet ſich eine muſiviſche Leiſte mit folgender ganz aͤch-
ten Inſchrift:
+ HEC EST PICTVRA QVAM FECIT SAT
PLACITVRA
DOCTOR SOLSERNVS HAC SVMMVS IN
ARTE MODERNVS
[333] ANNIS INVENTIS CVM SEPTEM MILLE DV-
CENTIS.
OPERARII
..............
Im Felde neben den Figuren, deren Annaͤherung an minder
gute Vorbilder griechiſcher Abkunft auffallend, deren Ausfuͤh-
rung nicht ohne alle Spur italiſcher Rohheit, lieſt man oben,
neben Chriſtus, das bekannte: I̅C̅. X̅C̅., an den Seiten:
S̅C̅A̅ MARIA. S̅C̅S̅ IOHANNES. Auch der Thron Chriſti
hat einige Ueberladenheiten der byzantiniſchen Verzierungsart,
denen wir ſchon mehrmal bey dem Throne Gott Vaters oder
des Heilands begegnet ſind.


Alſo ſchon innerhalb des erſten Jahrzehends des dreyzehn-
ten Jahrhunderts hatte, wie dieſes Denkmal unwiderſprechlich
darlegt, die Nachahmung, oder auch die Schule der neueren
Griechen in Italien tiefere Wurzeln getrieben, als jemals vor-
her bei den mannichfaltigſten, nie abgebrochenen Beruͤhrungen
beider Nationen. In der Folge aber, nach dem Jahre 1220,
begegnen wir uͤberall bey namhaften italieniſchen Meiſtern
theils der griechiſchen Behandlungsart von mancherley Stoffen
und Werkzeugen, deren die Malerey ſich bedient, theils aber
auch der Nachbildung und Nachahmung beſtimmter Gebilde
der griechiſchen Malerey, oder doch den eigenthuͤmlichen Ab-
aͤnderungen, welche die letzte, bey gemeinſchaftlichen Kunſtvor-
ſtellungen, in deren Auffaſſung und aͤußere Zurichtung aufge-
nommen hatte.


Zuerſt begegnen wir (viele halbverdorbene, gewiß dieſem
Zeitalter angehoͤrende, doch unbezeichnete Madonnen *) uͤber-
[334] gehend) der beruͤhmten coloſſalen Madonna des Guido von
Siena
, auf einem Altare der Dominicanerkirche zu Siena.
Dieſe nicht unerhebliche Arbeit, welche ſo lange Zeit unbeach-
tet vor aller Augen geſtanden, ward erſt neuerlich durch den
Localpatriotismus der Sieneſer, und, wenn ich nicht irre, be-
ſonders durch den Vater Della Valle auch in weiteren Kreiſen
bekannt. Die Arbeit darin iſt allerdings, ſo weit ſie erhalten
(denn das Bild iſt hie und da uͤbermalt), noch immer gleich
weit von der mageren Zierlichkeit der Byzantiner, als von der
*)
[335] breiteren Formenandeutung des Cimabue entfernt. Doch be-
diente ſich der Kuͤnſtler, wie ſchon der Hauptton des Bildes
lehrt, griechiſcher Bindemittel, vergoldete die Flaͤche hinter den
Figuren, und ahmte vielleicht (denn es fehlt uns dafuͤr unter
vorhandenen griechiſchen Madonnen ein Beyſpiel) irgend einer
griechiſchen Tafel nach. Der weitlaͤuftige, obwohl nicht reich
verzierte, Thronſeſſel ſcheint von daher entlehnt zu ſeyn; hin-
gegen zeugt die etwas ſchraͤge Lage und Stellung der Haupt-
figur, welche ſich bequem auf dem raͤumigen Lehnſeſſel aus-
breitet, von eigener Erfindung oder Auffaſſung aus dem Le-
ben. Die unverhaͤltnißmaͤßige Kleinheit und Magerkeit des
Kindes, die widrige Verkleinerung der Engel und Gott Va-
ters in den oben uͤber der Abtheilung des goldenen Feldes
ausgeſparten Winkeln, erinnern, das eine an byzantiniſche,
das andere an barbariſch italieniſche Gewoͤhnungen, welche in
dieſem Bilde in einander uͤberzugehen und gegenſeitig zu ver-
fließen ſcheinen.


Die Inſchrift auf der unteren Leiſte des Bildes, welche
Della Valle*) und Benvoglienti**) noch vollſtaͤndig
geleſen, war ſchon im Jahre 1818 in den Zuͤgen des Na-
mens beſchaͤdigt, alles Uebrige indeß durchaus erhalten und
lesbar, wie folgt:
+ ME GV ... DE SENIS DIEBVS DEPINXIT
AMENIS
[336] QVEM CHRISTVS LENIS NVLLIS VELIT
A̅GERE PENIS
AN̅O. D̅. M̂. C°C. XXI.


Ungleich gewandter in der Anwendung griechiſcher Kunſt-
fertigkeiten, gluͤcklicher in der Wahl und Nachahmung alt-
chriſtlicher oder mittelalterlich griechiſcher Vorbilder, war jener
Kuͤnſtler, welcher im Jahre 1225 die Altarniſche der Johan-
niskirche zu Florenz muſiviſch verziert hat. Dieſes Werk, in
ſo weit es noch beſteht, bekleidet die Flaͤchen eines Kreuzge-
woͤlbes von geringerer Tiefe, als Breite, auf welchem, nicht
ohne Erinnerung an altchriſtliche, ſpaͤtantike Eintheilungen, in
der Mitte, wo die Gewoͤlbrippen ſich am meiſten verflaͤchen,
ein Rund angebracht worden, deſſen aͤußere Einfaſſung ſchon
etwas willkuͤhrlicher verziert iſt.


Dieſer aͤußere Kreis wird mit dem inneren durch wun-
derliche Kandelaberformen verbunden, welche jedesmal in einem
Cherub endigen; im goldenen Felde, von einem Kandelaber
zum anderen, ein Prophet mit beygeſetztem Namen; die letzten
zeigen in der Geſtalt, Stellung, Gewandung, in der Behand-
lung uͤberhaupt, beſonders des Haars, recht viel Geſchmack,
und die Abſicht, Wuͤrde und Hoheit auszudruͤcken. Ich will
nicht entſcheiden, ob italieniſche oder griechiſche Nachahmungen
altchriſtlicher Vorbilder hierin dem Kuͤnſtler vorgeleuchtet ha-
ben; genug, daß ſie dem Beſten, ſo in den griechiſchen Denk-
malen des Mittelalters aus dem hoͤheren Alterthume ſich er-
halten hat, z. B. dem kleinen Muſiv des Schatzes eben dieſer
der Johanniskirche, in jeder Hinſicht nahe ſtehen.


Der innere Kreis enthaͤlt das Lamm Gottes, und, gol-
den auf rothem Grunde, die Beyſchrift:
HIC
[337]HIC DEVS EST MAGNVS MITIS QVEM DE-
NOTAT AGNVS.

In den Zwickeln des Gewoͤlbes, in vier rothen Feldern, lieſt
man in großen goldenen, dem Zeitalter, wie obiger Inſchrift
entſprechenden Zuͤgen, deren uͤberall deutliche Abkuͤrzungen ich
aufloͤſe, wie folgt:
1) ANNVS PAPA TIBI NONVS CVRREBAT
HONORI
AC FEDERICE TVO QVINTVS MONAR-
CHA DECORI.
2) VIGINTI QVINQVE X̅P̅I̅ CVM MILLE DV-
CENTIS
TEMPORA CVRREBANT PER SE GLORIA
CVNCTA MANENTIS.
3) HOC OPVS INCEPIT LVX MAI TVNC
DVODENA
QVOD D̅N̅I̅ N̅R̅I̅ CONSERVET GRATIA
PLENA.
4) SANCTI FRANCISCI FRATER FVIT HOC
OPERATVS
IACOBVS IN TALI PRE CVNCTIS ARTE
PROBATVS


Wir wiſſen, wie wenig den Angaben des Vaſari in aͤl-
teren Dingen zu trauen iſt, wie leichtſinnig er geforſcht, wie
willkuͤhrlich er Begebenheiten und Zeitbeſtimmungen durchein-
ander geworfen. Demungeachtet hat man bisher, nach ſeinem
Vorgange, angenommen, dieſer Bruder Jacob muͤſſe durchaus
derſelbe ſeyn, der in anderen und ſpaͤteren Werken ſich ſelbſt
I. 22
[338]Jacobus Torriti, den Vaſari*)Jacopo da Torrita nennt,
einem Orte des ſieneſiſchen Gebietes. Die Geſchichtſchreiber
der ſieneſiſchen Schule nehmen daher dieſes florentiniſche Werk
in Anſpruch, und Lanzi, welcher ihnen folgt, nimmt zwar
Bedenken, die Thaͤtigkeit dieſes Kuͤnſtlers bis zum Jahre 1300
auszudehnen, findet es indeß nicht befremdend, daß er noch
im Jahre 1289 **) die Tribune von S. Maria maggiore zu
Rom beendigt, und darauf die andere des Laterans begonnen,
mithin uͤber ſechszig Jahre lang gewirkt habe, ſogar, wenn
wir willkuͤhrlich annehmen wollten, das florentiniſche Werk ſey
deſſen fruͤheſte Arbeit.


Daß Jacob zu Florenz ſeinen Geburtsort ausgelaſſen,
wuͤrde ſich aus dem Verſe erklaͤren laſſen, dem dieſer Name
vielleicht nicht wohl mehr einzufuͤgen war. Doch um behaup-
ten zu koͤnnen, er ſey bloß ausgelaſſen worden, muͤßten wir
aus anderen Denkmalen beweiſen koͤnnen, daß dieſer erſte Ja-
cob
wirklich derſelbe ſey, der auf ſpaͤteren Werken ſeine Vater-
ſtadt Turrita zu ſeinem Kloſternamen Jacob hinzugeſetzt. Der
Vater Richa***) freilich giebt uns Auszuͤge von Auszuͤgen
aus dem Archive der Zunft, welcher die Verwaltung der flo-
rentiniſchen Johanniskirche obgelegen. In dieſen heißt es:
„Die Altarniſche oder Tribune ward im Jahre 1202 an dem
Orte, wo ehemals das Thor, zu bauen begonnen.“ — Schon
dieſe Notiz, welche richtig und vielleicht urkundlich ſeyn wird,
[339] vermiſcht der Senator Strozzi, Berichtgeber des Richa, mit
eigenen Bemerkungen uͤber Groͤße und Schoͤnheit und Anlage
dieſes Anbaues; weshalb ich fuͤrchte, daß auch die nachfolgen-
den Bemerkungen, welche unter allen Umſtaͤnden keine woͤrt-
liche Auszuͤge ſeyn koͤnnen, mit Zuſaͤtzen vermiſcht ſind, welche
in angenommenen Meinungen, und, mittelbar oder geradehin,
ſelbſt in der Autoritaͤt des Vaſari ihren Grund haben moͤchten.


Es heißt darin: „Das Gewoͤlbe der Tribune wird im
J. 1225 vom Bruder Jacob von Turrita, Franciscanerordens,
in Muſiv geſetzt, fuͤr welches Werk er von den Conſuln der
Zunft guten Lohn empfaͤngt.“ — Das Jahr, der Name und
Stand des Bruder Jacob wird durch obige Inſchrift hinrei-
chend beurkundet; ob aber der Zuſatz, von Turrita, vom Se-
nator Strozzi in Urkunden geleſen, oder nur aus dem Vaſari
ſupplirt ſey, deſſen „premj straordinarj“ der Typus der
„premj buoni“ des Strozzi zu ſeyn das Anſehen haben, wird
ſich erſt dann entſcheiden laſſen, wann ein fleißiger, gewiſſen-
hafter Arbeiter einmal das Archiv der arte di Callimala
durchgangen haben wird, welches zu meiner Zeit verlegt oder
verſtreut, gewiß mir unzugaͤnglich war. Indeß wage ich, von
eigner Anſchauung italieniſcher Archive ausgehend, die Vermu-
thung, daß ſchwerlich aus ſo alter Zeit ganz gleichzeitige Nach-
richten uͤber Verſtiftungen an Kuͤnſtler und aͤhnliche Specialien
vorhanden ſeyn duͤrften. Erſt um die Mitte des dreyzehnten
Jahrhunderts werden die Archive, die ich geſehen, in kleineren
Dingen- ergiebiger, und, der Erhaltung nach, mehr zu-
ſammenhaͤngend.


Gewiß war der Name Jacob in jener Zeit weder der
Kunſtgeſchichte, noch dem Franciscanerorden ſo fremd, daß er
nicht mehrmal bei nahen Zeitgenoſſen ſich wiederholte. An
22 *
[340] einem halberhobenen, von kleinen Figuren gezierten Kandelaber
derſelben Johanniskirche, an welchem Spuren des gothiſchen
Verzierungsgeſchmackes das dreizehnte Jahrhundert anzeigen,
lieſt man: IOHANNES IACOBI — DE FLORE̅
ME FE
....


Auf jenem Muſiv der Tribune des Laterans, deſſen Bil-
der zu ſehr erneuet ſind, deſſen Entſtehung verhaͤltnißmaͤßig
einer zu weit vorgeruͤckten Zeit angehoͤrt, um uns an dieſer
Stelle zu beſchaͤftigen, lieſt man unten im Felde, neben einer
kleinen Bildnißfigur:
IACOBVS TORITI
PICTO. H. OPVS FECIT

und neben einer anderen:
F̅R̅. IACOBVS DE CAMERINO SOCI9 MAGR̅I
O̅P̅I̅S RECON ... DAT SE ....... TIS
BEATI IO̅H̅I̅S.


Eben ſo wohl nun, als hier ein Gehuͤlfe jenes Meiſter
Jacob, welcher wirklich von Turrita, oder des Torrito Sohn
oder Lehrling war (denn auch daruͤber koͤnnten Zweifel erhoben
werden, wenn es von einigem Belang waͤre), konnte nicht
minder auch ein Vorgaͤnger deſſelben Jacob geheißen haben.
Daß ein florentiniſcher Kuͤnſtler jener Zeit Jacob geheißen,
wird aus obigem Johannes, Jacobs Sohn oder Schuͤler,
ziemlich wahrſcheinlich. — Auf der anderen Seite zeigen die
Inſchriften der roͤmiſchen Muſive des ſicheren Meiſter Jacob
von Turrita
, im Lateran, außer den ſchon angefuͤhrten, neben
dem Bildniſſe des Papſtes:
NICOLAVS P̅P̅ IIII. S̅C̅E̅ D̅I̅ GENIT .... SERVI.;
und in Sta. Maria maggiore, nach der Inſchrift des Kuͤnſt-
lers: IACOBVS TORRITI PICTOR H̅ OP9 MO-
[341] SIAC. FEC.,
die andere: NICOLAVS P̅P̅ IIII. und:
D̅N̅S̅ IACOBVS DE COLV̅P̅NA CARDINALIS., ſo
daß dieſe Arbeiten zwiſchen 1287 (88) und 1292, alſo bey-
nahe ſechszig Jahre nach jenem florentiniſchen Muſive beſchafft
ſeyn mußten. Da nun doch anzunehmen iſt, daß jener flo-
rentiniſche Bruder Jacob nicht mehr Juͤngling war, als er
jenes, nach den Umſtaͤnden ſo ausgezeichnete Muſiv vollbrachte;
ſo wuͤrden wir ſeine kuͤnſtleriſche Wirkſamkeit noch ungleich
weiter ausdehnen muͤſſen, wollten wir anders hindurchfuͤhren,
daß beide Werke demſelben Meiſter angehoͤren *).


Wie Andere kuͤnftig dieſe Zweifel beſeitigen moͤgen, ſo
geht doch unter allen Umſtaͤnden aus dieſen Inſchriften hervor,
daß die Stiftung des heil. Franz in jener Zeit beachtenswerthe
Kuͤnſtler in ihre Mitte aufgenommen, oder aus ſich ſelbſt her-
vorgebildet habe, was Dank und Beachtung verdient. Allein
auch ein anderer Nachahmer oder Lehrling der Griechen, Junta,
oder Giunta von Piſa, hat in letzter Stadt, und beſonders
im Mittelpuncte des Ordens, zu Aſiſi, den Schutz und die
Befoͤrderung der Bruͤder des heil. Franz genoſſen. Eben wie
die Belebung und Steigerung damals vorwaltender Gefuͤhle,
ſo ſcheint auch der Aufſchwung der neueren Malerey, welche
aus jenen ſich hervorgebildet, mit der minder ſelbſtiſchen, Liebe
und Sehnſucht athmenden, Schwaͤrmerey des heil. Franz in
enger Verbindung zu ſtehen.


Nach alten Nachrichten befand ſich vormals in der Kirche
des heil. Franz zu Aſiſi ein Kruzifix, auf welchem die Worte:
[342]F. Helias fecit fieri. Jesu Christe pie miserere precan-
tis Heliae. Juncta Pisanus me pinxit. an. d. 1236.
Indict. IX
*). Wir duͤrfen dieſem Berichte trauen, weil er
von einem Schriftſteller herruͤhrt, der in kunſtgeſchichtlichen
Dingen weder Anſichten vorgefaßt, noch Meinungen zu ver-
theidigen hatte. Andere, urſpruͤnglich urkundliche Nachrichten
ertheilt uͤber dieſen Maler Morrona, der redlichſte und um-
ſichtigſte unter denen, welche ihr Leben darangeſetzt, die Kunſt-
geſchichte einzelner italieniſcher Staͤdte zu beleuchten; Kun-
den **), welche freilich durchhin aus zweyter Hand geſchoͤpft,
und vielleicht ſchon in der erſten ohne Aufmerkſamkeit ausge-
ſchrieben worden, da es ſeinen Auszuͤgen an aller Nachweiſung
fehlt, welche bey durchaus neuen Nachrichten zur Beglaubigung
noͤthig ſind. Ich habe ſeine Angaben ſchon aus dieſem Grunde
nicht pruͤfen koͤnnen, weshalb ich dieſelben nicht verbuͤrge.
Wollten wir ihnen Glauben beymeſſen, ſo waͤre Giunta ein
Sohn des Guidotto, haͤtte er ſchon 1202 gemalt und noch
um 1255 gebluͤht. Doch fragt es ſich noch, ob der Juncta
Guidotti
, pictor,
derſelbe Junta ſey, deſſen Kunſtrichtung
noch immer aus einem ganz wohl erhaltenen Gemaͤlde zu be-
ſtimmen, dem Kruzifixe in einer Kapelle des rechten Armes
der Kirche Sta. Maria degli Angeli in der Ebene naͤchſt Aſiſi.


In dieſem Bilde iſt die Stellung und Lage der Geſtalt
des Heilands nicht mehr die aufgerichtete, italieniſche, welche
wir oben in drey gleichartigen Bildern des Gekreuzigten, den
Arbeiten eines alten umbriſchen Meiſters, oder ſeiner Zeitge-
noſſen, hatten kennen gelernt; vielmehr iſt ſie ausgebogen,
[343] mit geſenktem Haupte, gleichwie in griechiſchen Kreuzesbildern,
namentlich wie der Gekreuzigte in jenem Kalendario, welches
zu Florenz im Schatze der Johanniskirche bewahrt wird. Al-
lein auch in der Ausfuͤhrung zeigen ſich Spuren griechiſcher
Schule. Das Bindemittel iſt entſchiedener noch, als in jenem
Bilde des Guido von Siena, jenes dichtere, verdunkelnde,
glaͤnzende der Byzantiner; der Auftrag geſtrichelt, genau; ge-
gen die gaͤnzliche Abweſenheit des Helldunkels gehalten, welche
ich oben an aͤlteren Denkmalen italieniſcher Abkunft nachge-
wieſen, iſt hier ſchon Modellirung und Streben nach Halbtoͤ-
nen, welche letzte, wie bey den Griechen, ſtark in das Gruͤn-
liche fallen. Bey Morrona findet ſich eine rohe Nachbil-
dung dieſer Arbeit, welche vom Ganzen hinreichende Vorſtel-
lung giebt *).


Die Aufſchrift am Fuße des Bildes iſt leider zu Anfang
beſchaͤdigt; doch lieſt man noch:
.. NTA PISANVS
... TINI ME F
...

Lanzi**) macht es geltend, daß er in der zweyten Reihe
zuerſt richtig ... TINI geleſen habe; und in der That be-
greife ich nicht, wie Morrona das rundliche N fuͤr ein P
nehmen und im Ganzen TIPI leſen konnte, da das italieni-
ſche Diminutiv ini ſo nahe zur Hand lag. Ob aber der erſte
befugt ſey, das Fehlende zu ergaͤnzen, und daraus Juntini
zu machen, duͤrfte um ſo mehr in Frage ſtehen, da die frei-
lich lauen Forſchungen der Piſaner bisher nur einen Juncta
Guidotti
an das Licht gefoͤrdert haben.


[344]

Andere Malereyen, welche dem Anſehen nach mit den
bezeichneten zuſammenfallen, doch leider keine Aufſchriften ent-
halten, aus denen Jahr und Meiſter zu erweiſen waͤre, finden
ſich vereinzelt an den Mauern, auf den Altaͤren vernachlaͤſſig-
ter Kirchen, oder in hiſtoriſch geordneten Sammlungen, vor-
nehmlich ſolcher Staͤdte, welche eben zu Anfang des dreyzehn-
ten Jahrhunderts, gleich Piſa und Siena, den Wendepunct
ihrer Macht und Groͤße erreicht hatten. Verſchiedene Anti-
menſia, deren Hauptentwurf allerdings jenem barbariſch-ita-
lieniſchen Denkmal vom Jahre 1215 entſpricht, deren Aus-
fuͤhrung indeß, dem faͤrbenden Stoffe, dem Auftrag, der
Zeichnung nach, Bekanntſchaft mit griechiſchen Kunſtmanieren
darlegt, bewahrt die Sammlung der Akademie zu Siena.
Das eine, in der Mitte die groͤßere Figur des heil. Johannes
Bapt.
, zu den Seiten Abtheilungen mit Geſchichten aus ſeinem
Leben, iſt ſchwerlich noch aus dem zwoͤlften Jahrhundert, wie
der Verfaſſer des Katalogs nach Eingebungen einer minder
begruͤndeten Kennerſchaft behauptet hat. Das andere, aus der
Kirche S. Giovannino di Pantaneto, mit Geſchichten aus dem
Leben und Leiden des Apoſtels Petrus, iſt der Behandlung
nach ungleich italieniſcher, als jenes; doch glaube ich, daß
der Kuͤnſtler ſo viel altchriſtliche und halbantike Erinnerungen,
als vornehmlich in Gebaͤuden und Kleidungen darin vorkom-
men, leichter aus neugriechiſchen, als aus italieniſchen Denk-
malen des hoͤheren chriſtlichen Alterthums duͤrfte aufgenommen
haben. Zu Piſa, in der Kirche S. Pietro in Vinculis, fin-
det ſich eine Altarbedeckung, welche mit der vorangenannten
der Akademie zu Siena im Entwurf, wie in der Ausfuͤhrung,
viel Aehnlichkeit zeigt. Doch ſind die Vorſtellungen noch ent-
ſchiedener griechiſch; Chriſtus am Kreuze mit geſchwollenem,
[345] aushaͤngendem Leibe, geſenktem Haupte; oben eine Jungfrau
mit aufgerichteten Armen, zu beiden Seiten herabhaͤngen-
dem Mantel.


Das wichtigſte indeß unter den minder beglaubigten
Denkmalen dieſer Zeit ſcheint mir die lange Folge von Lebens-
ereigniſſen der Apoſtel Petrus und Paulus an den oberen
Seitenwaͤnden des Mittelſchiffes der Kirche S. Pietro in
Grado, auf dem Wege von Piſa nach Livorno. Dieſe nur
in der Farbe unſcheinbare (vielleicht al secco gemalte, oder
durch die Seeluft verzehrte) Malerey iſt durchhin von guter
Anordnung, vieler Lebendigkeit der Handlung, ſelbſt von eini-
ger Reinheit der Charaktere, beſonders der beiden Apoſtel.
Nach einem allgemeinen Gefuͤhle nimmt Morrona*) an,
daß ſie um das Jahr 1200 entſtanden ſeye, worin er ſicher
nicht ſo gar weit vom Wahren abweicht. Uebrigens iſt die
Vermuthung, daß ſie des Junta Arbeit, ihm hier eben ſo
wenig einzuraͤumen, als aͤhnliche an anderen Stellen. Ueber-
haupt iſt es thoͤricht, in ſo alter Zeit bey unbeglaubigten Ma-
lereyen den Meiſter aus beſtimmten Eigenthuͤmlichkeiten erken-
nen zu wollen. Denn einmal waren dieſe letzten, auf dama-
liger Kunſtſtufe, den Schulmanieren und herrſchenden Vorſtel-
lungen ganz untergeordnet; dann aber beſitzen wir, wie ich
mehrmal erinnert habe, nur von einer geringen Zahl damali-
ger Kuͤnſtler beglaubigte Werke, weshalb es uns wohl jeder-
zeit wird verborgen bleiben, worin ſie ſich von andern Malern
unterſchieden, worin wiederum ſie anderen geglichen haben,
die wir nicht kennen. In jenen Zeiten erſcheint das Eigen-
thuͤmliche uͤberall in groͤßeren Maſſen, von Volk zu Volk,
[346] von Zeitraum zu Zeitraum Gegenſaͤtze bildend. Daher werden
wir bey erwaͤhnten Wandmalereyen vielleicht uͤber die Natio-
nalſchule entſcheiden koͤnnen, aus welcher ſie entſtanden, doch
nimmer uͤber den Meiſter, der ſie vollbracht. In dieſer Be-
ziehung bin ich geneigt, ſie durchhin fuͤr griechiſche Arbeit zu
halten. Bey Junta, Guido, Solſernus, ſogar bey dem flo-
rentiniſchen Jacob, zeigt ſich neben dem Aufdruck griechiſcher
Schule oder Vorbildlichkeit, noch immer einige Spur italieni-
ſcher Gewohnheiten; die Kuͤrze und Plumpheit, in welche die
aͤlteren Italiener verfallen waren, veranlaßte ſie, denke ich,
als ſie zum entgegengeſetzten Aeußerſten der griechiſchen Hager-
keit uͤbergingen, dieſe um ein Geringes zu fuͤllen und in die
Breite zu erweitern. Allein in den Malereyen der Kirche S.
Pietro in Grado zeigt ſich eben jene zierliche Hagerkeit der
Behandlung und der Verhaͤltniſſe mehr, als irgend ſonſt in
alten toscaniſchen Arbeiten. Auch iſt es mir in ſolchen nir-
gend vorgekommen, daß ſie, in emſiger Nachahmung hochal-
terthuͤmlicher Vorbilder, deren Charakter ſo wohl getroffen, als
in jenen geſchehen iſt. — Ob die Wandmalereyen einer al-
ten Kirche zu Cremona, welche mir nur aus Millins Be-
ſchreibung bekannt ſind, in griechiſcher, oder in entgegengeſetz-
ter italieniſcher Schulart gemalt ſeyn, wage ich nicht zu ent-
ſcheiden. Doch bezweifle ich, ob dieſer Forſcher mit Sicherheit
aufgefaßt habe, wodurch im hoͤheren Mittelalter italieniſche Ar-
beiten von griechiſchen ſich unterſcheiden *). Gewiß verſaͤumte
[347] er die Angabe der Gruͤnde, welche ihn beſtimmten, jene Ar-
beiten fuͤr italieniſche zu halten. War Venedig, wie man be-
hauptet, und wie es wahrſcheinlich iſt, fuͤr die Lombardey,
was Piſa fuͤr Toscana, der Mittelpunct nemlich, von welchem
die Nachahmung der Byzantiner ausgegangen; ſo duͤrften jene
Malereyen zu Cremona, welche ſchon nach den angegebenen
Beyſchriften einer aͤlteren Epoche, vielleicht der unſrigen ange-
hoͤren, eben ſowohl griechiſche, oder doch graͤciſirende Arbeiten
ſeyn koͤnnen, als eigenthuͤmlich italieniſche; ein Wort, mit
welchem Millin vielleicht nicht einmal einen ſo ganz deutli-
chen Begriff verband.


Doch habe ich letztere Denkmale, deren Alter nur annaͤ-
herungsweiſe und aus allgemeinen Analogieen zu beſtimmen
iſt, bloß in der Abſicht herangezogen, dem Leſer die weite
Verbreitung dazumal in Italien vorwaltender Anwendung
griechiſcher Kunſtmanieren ſo viel als moͤglich anſchaulich zu
machen. Denn, um den Zeitpunct zu beſtimmen, in welchem
dieſelben zuerſt in Italien eingedrungen ſind und begonnen
haben, foͤrdernd auf die Kunſtuͤbung dieſes Landes einzuwir-
ken, duͤrften ſchon die fruͤher beleuchteten Denkmale genuͤgen,
welche ihre Beglaubigung an der Stirn tragen. Unter dieſen
war das ſpaͤteſte Beyſpiel italieniſch-barbariſcher Malart jenes
Antimenſium zu Siena, mit dem Jahre 1215; das aͤlteſte
Denkmal hingegen gelungener Nachahmung griechiſcher Manier
und Auffaſſung das coloſſale Muſiv am Dome zu Spoleto
vom Jahre 1207; alſo werden wir mit Zuverſicht annehmen
*)
[348] koͤnnen, die fragliche Umwandlung der italieniſchen, wenigſtens
der toscaniſchen Malerey ſey das Werk der fruͤheren Decen-
nien des dreyzehnten Jahrhunderts.


Die unumgaͤngliche Vorausſetzung eines gedeihlichen Wir-
kens in den Vortheilen, Handhabungen, Formen der neuen
italieniſch-griechiſchen Kunſtart war denn nun allerdings die
eben damals eingetretene, zunehmende Empfaͤnglichkeit fuͤr
techniſche Foͤrderung oder geiſtige Steigerung der bildenden
Kuͤnſte. Unter den aͤußeren Veranlaſſungen, welche hier, wie
uͤberall, hinzugewirkt haben, war indeß die Eroberung von
Conſtantinopel durch Franken und Italiener offenkundig und
einleuchtend die wichtigſte. — Die Venezianer ſcheinen auf
die Koͤſtlichkeit kirchlicher Kunſtſchaͤtze der Byzantiner ſich beſſer
verſtanden zu haben, als die kriegeriſchen Praͤlaten und muthi-
gen Ritter der Franken. Villehardouin enthaͤlt, bey viel
allgemeiner Bewunderung der Pracht byzantiniſcher Baukunſt
und Lebenseinrichtung, durchaus keine in das Einzelne gehende
Kunſtnachricht *). Dagegen haben wir lange Verzeichniſſe von
Buͤchern, Kleinoden, Geraͤthen, welche die Venezianer aus den
Kirchen der Hauptſtadt ſollen entnommen haben **). Ueber-
[349] reſte dieſer Pluͤnderung finden ſich noch immer im Schatze der
Marcuskirche zu Venedig*); aber auch die mit Bildern ge-
zierten kirchlichen Handſchriften der italieniſchen und anderer
Bibliotheken, deren viele einer gemeinſchaftlichen, dem Jahre
1200 vorangehenden Epoche angehoͤren **), duͤrften ſchon da-
mals in den Weſten gelangt ſeyn. — Gewiß kann es nicht
ſo ganz zufaͤllig ſeyn, daß jene Kunſtpluͤnderung im Jahre
1204 unſeren aͤlteſten Denkmalen italieniſch-griechiſcher Male-
rey nur um wenig Jahre vorangeht.


Daſſelbe Ereigniß moͤchte denn auch die Verpflanzungen
griechiſcher Maler in italieniſche Seeſtaͤdte vervielfaͤltigt haben,
da es nach der ſchwerſten Schaͤdigung, welche Conſtantinopel
ſeit deſſen Gruͤndung betroffen, dort ſicher nicht an Veranlaſ-
ſungen der Auswanderung, vielleicht auch von Seiten italie-
niſcher Patrioten nicht an Lockungen gefehlt hat. Leider fehlt
es mir, dieſe Thatſache zu bewaͤhren, an urkundlichen Ueber-
zeugungen, um ſie auszumalen an umſtaͤndlicher Kunde. Nicht
einmal Solches habe ich zur Hand, was in den Druckſchriften
venezianiſcher Topographen und Forſcher uͤber dieſen Gegen-
ſtand angemerkt und behauptet worden. Doch fuͤrchte ich, nach
den Auszuͤgen bey Fiorillo und von der Hagen***),
[350] daß ihre Ausbeute ſpaͤrlich, ihre Zuverlaͤſſigkeit nicht durchhin
bewaͤhrt ſey. Iſt man doch, wie es ſcheint, nicht einmal uͤber
den Namen eines Kuͤnſtlers einig, der im zwoͤlften (?) Jahr-
hundert von Conſtantinopel nach Venedig gekommen, dort eine
Schule eroͤffnet haben ſoll; Fiorillo*) nennt ihn Theophi-
lus
; Zannetti**) dagegen Theophanes.


Ueberhaupt ſteht zu befuͤrchten, daß wir uͤber die Um-
ſtaͤnde der Verpflanzung griechiſcher Kuͤnſtler nach Venedig und
Piſa, oder in andere Staͤdte Italiens, nicht ſo leicht zu eini-
ger Sicherheit der Kunde gelangen werden. Die italieniſchen
Archive ſind eben zu Anfang des dreyzehnten Jahrhunderts
meiſt ſehr unvollſtaͤndig, und ſchon in der Anlage karg an
jenen ſpeziellen Nachrichten, welche ſeit dem Ende deſſelben
Jahrhunderts ſich ins Unendliche vervielfaͤltigen; unter den
aͤlteren Chroniſten, welche hier aushelfen koͤnnten, fallen we-
nige genau mit jener Begebenheit zuſammen. Demungeachtet
iſt es klar, daß eine lebendige Schule und Mittheilung ſtatt-
gefunden hat. Die italieniſchen Malereyen des dreyzehnten
Jahrhunderts zeigen nicht bloß den Aufdruck griechiſcher Vor-
bilder, vielmehr auch, wie ſchon erwaͤhnt worden, die Anwen-
dung von Vortheilen und Handgriffen, welche fruͤherhin nur
bey den Griechen uͤblich geweſen. Bereitung aber und Hand-
habung faͤrbender Stoffe koͤnnen nimmer bereits Vollendetem
abgelauſcht werden; uͤberall geſchieht die Fortpflanzung ſolcher
Vortheile durch eine gluͤckliche Vereinigung von Beyſpiel und
[351] Anweiſung, welche nur in dem Wechſelverhaͤltniß des Schuͤlers
zum Lehrer moͤglich und denkbar iſt.


Demnach erſcheinen waͤhrend der dunkleren Jahrhunderte
des Mittelalters nur abgeriſſene Spuren eines voruͤbergehen-
den, im Ganzen angeſehen, erfolgloſen Einfluſſes der Byzan-
tiner; allgemein verbreitet und fruchtbringend zeigte ſich dieſer
Einfluß nicht fruͤher, als ſeit den erſten Decennien des drey-
zehnten bis zu den erſten Jahrzehenden des folgenden Jahr-
hunderts. Fruͤher entdeckten wir ihn bisweilen in Bildnereyen,
zu denen wir die alten Bronzethore des Domes zu Piſa zaͤh-
len duͤrfen, uͤber deren Entſtehung nichts Sicheres bekannt iſt.
In dieſem Zeitraum aber beſchraͤnkt er ſich faſt ohne Aus-
nahme auf die Malerey. Die Bildnerey befolgte heidniſch-
und chriſtlich-antike Vorbilder, ſpaͤter auch deutſche, oder, wie
man ſagt, gothiſche; in der Baukunſt aber war die roͤmiſche
Schule, wie ich in nachſtehender Abhandlung zeigen werde,
nie ſo gaͤnzlich unterbrochen worden, war das Fremde, wel-
ches in dieſer Kunſtart waͤhrend des zwoͤlften und dreyzehnten
Jahrhunderts ſich eingedraͤngt hatte, nicht etwa bloß ein by-
zantiniſches oder anderes, ſondern gar viel und mancherley.


Doch ſogar in der Malerey der Italiener des dreyzehnten
Jahrhunderts zeigen ſich Spuren einer von griechiſchem Ein-
fluß ganz unabhaͤngigen Entwickelung durch Wetteifer mit
chriſtlich-antiken Denkmalen. Dahin gehoͤren die Malereyen
einer abgeſonderten Kapelle des Kloſters SS. Quattro zu
Rom, wo die Runde mit den Buͤſten der Apoſtel altchriſtlichen
Denkmalen nicht ohne Kunſtgefuͤhl nachgeahmt ſind. Das
Gebaͤude, an deſſen Waͤnden ſie gemalt ſind, iſt ſicher um
die Mitte des dreyzehnten Jahrhunderts aufgerichtet worden;
zu Anfang des vierzehnten indeß wurden alle aͤlteren Manieren
[352] und Weiſen von der ſogenannten Giottesken verdraͤngt; jene
Arbeiten werden demnach mit dem Gebaͤude zugleich entſtan-
den ſeyn.


Auch in der Miniaturmalerey damaliger Zeiten zeigen ſich
Fortſchritte, welche nicht ſowohl aus Nachahmung der neueren
Griechen, als vielmehr aus dem Wetteifer mit italieniſchen
Denkmalen zu erklaͤren ſind. Einige lateiniſche Handſchriften,
welche insgemein aus dem Wunſche, Hochalterthuͤmliches zu
beſitzen, oder auch nach den Zuͤgen der Schrift, welche bey
calligraphiſchen Denkmalen truͤgeriſch ſind, fuͤr aͤlter gehalten
werden, duͤrften, nach ihren Miniaturen zu urtheilen, in die
Mitte des dreyzehnten Jahrhunderts fallen, vielleicht eben da-
mals zu Rom, oder wenigſtens im Bereiche dieſer Stadt ver-
fertigt ſeyn.


Eine Handſchrift der Laurentiana, welche zu Florenz nach
den Schriftzuͤgen dem eilften Jahrhundert beygemeſſen wird *),
enthaͤlt ein verziertes Kalendarium, zu Anfang eines jeden
Monats eine kleine, wohl miniirte Figur, mit Einſammlung
der wichtigſten Erzeugniſſe, oder mit deſſen Verarbeitung, oder
auch mit Abwehrung der Bedraͤngniſſe beſtimmter Jahreszeiten
beſchaͤftigt. Dieſe Figuren ſind meiſt durch eine aufgeſchuͤrzte
Tunica bekleidet, mit entbloͤßten Armen und Beinen, nicht
ſelten, wie Februar und Maͤrz, von vortrefflicher Stellung
und
[353] und beynahe ſtatuariſcher Einfachheit. In der Ausfuͤhrung
merkliches Streben nach Rundung der Theile, bey vollſtaͤndig-
ſter Entfernung von allen Eigenthuͤmlichkeiten des neugriechi-
ſchen ſowohl, als des giottesken Geſchmackes. Nirgend zeigt ſich
Gold und Schmuck; die Formen gehen ins Kurze und Breite;
das Vorbild iſt offenbar, wenn auch vielleicht durch das Mit-
telglied einer Handſchrift des fuͤnften oder ſechsten Jahrhun-
derts, roͤmiſch-antik.


Aus einem aͤhnlichen Beſtreben, wahrſcheinlich beynahe
zu gleicher Zeit, entſtanden die bekannteren Copieen von
ſpaͤt-antiken Miniaturen in der Handſchrift des Virgil in
der Vaticana.


Dieſe Bilder hat Santi Bartoli, mit unendlichen Zu-
ſaͤtzen und Abaͤnderungen von ſeiner eigenen Wahl und Erfin-
dung, bekannt gemacht; Niemand verſpreche ſich, daß ſeine
Nachbildungen hiſtoriſche Treue beſitzen. Allerdings ſind dieſe
Bilder nothwendig Copieen oder Nachahmungen aͤlterer, ſpaͤt-
antiker, wie es deutlich theils ſchon aus der Anordnung er-
hellt, theils aus vielen Bekleidungen, Beywerken und Bau-
lichkeiten, welche waͤhrend des Mittelalters zwar nachgemacht,
doch nicht wohl konnten erfunden ſeyn. Doch verraͤth ſich die
ſpaͤtere Zeit durch eingeſchobene Figuren in ſpaͤtmittelalterlicher
Tracht, z. B. in den Soldaten, Blatt LXXIII. Ruͤckſeite,
welche zu beiden Seiten der Helden ſtehen. Das Original
war vielleicht an einzelnen Stellen verletzt; oder der Nachah-
mer geſtattete ſich einige Zuſaͤtze und Vermehrungen.


Unabhaͤngig von dieſer, dem Anſehen nach auf Rom be-
ſchraͤnkten Nachahmung des Alterthuͤmlichen, entſtand auch zu
Florenz einige Hinneigung zu reinerer Formenbildung, mithin
zu reinerem Ausdruck chriſtlich-ſittlicher Ideen, wie ſolches in
I. 23
[354] dem Muſiv an der Vorſeite der Kirche S. Miniato a Monte
ſichtbar iſt, der mehrgedachten Benedictinerabtey außerhalb
der Mauern jener Stadt. Ueber das Alter dieſer Arbeit giebt
es keine ſichere Urkunde, wenn nicht etwa hinter dem vorra-
genden Geſimſe eine Inſchrift verborgen waͤre, welches, von
unten angeſehen, den Saum des Bildes etwas verdeckt. Nach
allen Analogieen kann es auf keine Weiſe der aͤußeren Beklei-
dung der Vorſeite gleichzeitig ſeyn, da dieſe im eilften Jahr-
hundert beſchafft, worden, als die italieniſche Malerey aller
Sicherheit der Umriſſe entbehrte. Auf der anderen Seite wer-
den wir nicht wohl annehmen koͤnnen, daß ſolches ſpaͤter, als
in den erſten Decennien des dreyzehnten Jahrhunderts ange-
fertigt worden. Denn anderer, ſchon beleuchteter Beyſpiele
nicht zu gedenken, enthaͤlt die Tribune derſelben Kirche ein
zweytes geraͤumiges, in griechiſchem Geſchmack und in griechi-
ſcher Technik (in kleineren, netter eingefuͤgten Glasſtiften) aus-
gefuͤhrtes Muſiv, unter welchem in theils erloſchenen Charak-
teren auf dem dunkeln Marmor des Frieſes Folgendes aufge-
zeichnet und noch zu leſen iſt:
AN̅O DNI MCCXCVII. TE̅PORE PP .......
.... EST … OPVS

Das erſte hingegen, an der Vorſeite der Kirche, in welchem
Chriſtus, auf noch einfachem, nicht byzantiniſch mit Blaͤtter-
ſchmuck und Vergliederungen uͤberladenem Throne, neben ihm,
etwas kleiner, S. Minias und die Jungfrau, iſt in dicken,
etwas rundlichen und grobgefuͤgten Glasſtuͤcken zuſammenge-
ſetzt. In der allgemeinſten Angabe der Geſichtszuͤge ſind ſie
der Vermagerung, in welche die griechiſche Bildnerey ſehr fruͤh,
die Malerey etwas ſpaͤter verfallen war, durchaus entgegenge-
ſetzt, und entſprechen bey weitem mehr der volleren Auffaſſung
[355] der Form, welche die erſten, von griechiſchen Vorbildern noch
unabhaͤngigen Fortſchritte der italieniſchen Malerey bezeichnen
und unterſcheiden. Hierin ſtimmen mit dieſem Muſaik uͤberein
einige etwas ausgebildetere Wandmalereyen im Innern der
Kirche, zur Rechten der Thuͤre, welche in die Sacriſtey fuͤhrt.
Sie ſind erſt in neueren Zeiten durch Herabfallen des Bewur-
fes wieder zum Vorſchein gekommen. Endlich befindet ſich zu
Piſa, im Capellone des Pozzo des Campo Santo, ein Kruzi-
fix, welches Piſaniſche Kenner dem Ayllonio Greco des Va-
ſari
beylegen. Ich bin nicht Kenner genug, um Meiſter
auszufinden, deren Exiſtenz ungewiß, deren Werke ganz unbe-
kannt ſind. Doch iſt es gewiß eine Nachahmung des griechi-
ſchen Typus, und ungefaͤhr aus der Zeit des Giunta von Piſa.

Appendix A

Gedruckt bey A. W. Schade, alte Gruͤnſtraße Nr. 18.


[]

Appendix B Sinnentſtellende Druckfehler.


S. 8. Z. 4 v. u. ſtatt: zu verdeutlichen, lies: ſich zu verdeutlichen.
S. 9. Z. 7 v. u. ſtatt: der Mienen, lies: der Mimen.
Daſ., Anm. Z. 4 v. o. ſtatt: (S. 3.), lies: (S. 31.)
S. 25. Anm. *) Z. 5 u. 6 v. o. ſtatt: ausſchließender, lies: Aus-
ſchließendes.
S. 36. Anm. ſtatt: fuoni, lies: fuori.
S. 42. Z. 10 v. u. ſtatt: Freyheit, lies: Frechheit.
S. 55. Z. 2 v. u. ſtatt: bezieht, lies: beziehe.
S. 106. Z. 1 v. u. ſtatt: von einer Formenſchoͤnheit, lies: von
Formenſchoͤnheit.
S. 116. Z. 9 v. u. ſtatt: Geſchmacksparthey und, lies: Geſchmacks-
partheyung.
S. 117. Z. 1 v. u. hinter: muͤßte, faͤllt das Komma weg.
S. 120. Anm. Z. 2 v. u. ſtatt: geſammten, lies: geſammte.
S. 131. Z. 7 v. u. ſtatt: eigentlich Gegenſtaͤnde, lies: eigentliche
Gegenſtaͤnde.
S. 132. Z. 5. v. u. ſtatt: mit derſelben, lies: mit denſelben.
S. 137. Anm. Z. 7 v. u. ſtatt: gleichdeutend, lies: gleichdeckend.
S. [155]. Z. 4 v. u. ſtatt: ſichtbar gemacht, lies: fuͤhlbar gemacht.
S. 155. Anm. Z. 2 v. u. ſtatt: worauf, lies: woraus.
S. 156. Z. 8. v. o. ſtatt: Alſo wird auch, lies: Alſo wird.
S. 159. Z. 7 v. u. ſtatt: gemaͤchlich, lies: gemaͤhlich.
S. 163. Z. 3 v. u. ſtatt: zerſtreuenden, lies: zerſtreuender.
S. 165. Anm. Z. 2 v. u. ſtatt: Beſſus, lies: Baſſus.
S. 168. Anm. Z. 6 v. u. ſtatt: Triubzi, lies: Triulzi.
S. 171. Anm. Z. 4 v. o. ſtatt: und der, lies: und das.
S. 175. Z. 6 v. o. ſtatt: Eparchates, lies: Exarchates.
S. 212. Anm. *) ſtatt: Pictor. scr., lies: Pistor. scr.
S. 214. Anm. ***) Z. 2 v. u. ſtatt: valam [regalem], lies: salam reg.
S. 217. Z. 4 v. u. ſtatt: worden, lies: wurde; ſtatt: In, lies: An
S. 232. Anm. Z. 5 v. o. ſtatt: Meinwerdi, ließ: Meinwerci.
S. 235. Z. 14 v. u. ſtatt: nichts Beſſeres, lies: nicht Beſſeres,
S. 239. Anm. *) Z. 4 v. o. ſtatt: oxornatam, lies: exornatam,
Daſ. Anm. **) hinter: Praxedis. faͤllt das Punctum weg.


Verſetzungen der Interpunction und einzelner Buchſtaben, Un-
gleichheiten der Orthographie und andere minder erhebliche Fehler
wolle der guͤtige Leſer ſelbſt verbeſſern, und der Entfernung des
Vfs. vom Druckorte nachſehen.

Notes
*)
S. Hirt, uͤber das Kunſtſchoͤne, Horen. 1797. St. 7. —
Herr Hofrath Hirt gehoͤrt, wie es nicht immer zur Genuͤge aner-
kannt worden, zu den wenigen Kunſtgelehrten, welche den Werken
der Kunſt mit Sinn, Gefuͤhl und Liebe ſich angenaͤhert haben.
Eben daher hat der Ausdruck Charakter in ſeinem Munde eine
vollere Bedeutung; der wirklich Kunſtverſtaͤndige wollte und konnte
durch ein Paar allgemeine aͤſthetiſche Begriffe ſich nicht befriedigen
laſſen. In wie fern er in der Behauptung einer weſentlichen Seite
der Kunſt damals zu weit gegangen, bedarf keiner Beleuchtung,
nachdem dieſer treffliche Veteran der Geſchichte der Kunſt eben
dieſe ſeither auf das vielſeitigſte beleuchtet hat.
**)
S. die franzoͤſiſchen und a. Kunſtgelehrten, welche vornehm-
lich durch den Eindruck hollaͤndiſcher Kunſtwerke beſtimmt worden.
*)
Wie die zahlreichen Beguͤnſtiger der Schoͤnheitstheorie.
**)
Dahin ſtrebte ſchon die ſog. bologneſiſche Schule, oder
die Genoſſenſchaft der Caracci; ſpaͤterhin Mengs und andere
theoretiſche, oder praktiſche Eclektiker der Kunſt. Um die Vorzuͤge
einzelner Kuͤnſtler inniger zu verknuͤpfen, und um dieſen Zweck
planmaͤßiger verfolgen zu koͤnnen, hat man bekanntlich in neueren
**)
Theorieen die Kunſt in viele einzelne ſogenannte Theile zerlegt;
in Zeichnung, Colorit, Helldunkel, Compoſition, Ausdruck, u. ſ. f.,
wie ſolches in der franz. Encyclopaͤdie, in ihrer deutſchen Bear-
beitung, bei Sulzer, und in den Schriften des Mengs aufzu-
finden, und bis auf Sandrart und weiter, ruͤckwaͤrts zu ver-
folgen iſt. Ich will nicht unterſuchen, ob man bey Auffaſſung ſol-
cher vereinzelten Evolutionen der Kunſt uͤberall mit Scharfſinn
wahrgenommen und unterſchieden habe; obwohl ich die Bemerkung
nicht unterdruͤcken kann, daß man in dieſen Begriffen das blos
Techniſche mit dem Geiſtigſten der Kunſt wild durch einander ge-
worfen. Einige dieſer Kunſtbegriffe gehoͤren in der That nur in
die Werkſtaͤtte des thaͤtigen Meiſters, und auf keine Weiſe in die
Theorie; andere ſollte man in der Kunſtlehre voranſtellen, ſtatt ſie
mit untergeordneten Fertigkeiten der Laͤnge nach aufzureihn.
*)
Lord Elgins Erwerb, jetzt im britt. Muſeum, und durch
die Freygebigkeit des Koͤnigs von Großbrit. in guten Abguͤſſen in
den meiſten europaͤiſchen Hauptſtaͤdten. Andere Bruchſtuͤcke athe-
nienſiſcher Tempelverzierungen zu Paris, Copenhagen etc. Die Aegi-
neten im Muſeo zu Muͤnchen, der Fries von Phigalia im britt.
Muſeo. Groͤßere Aufmerkſamkeit auf die griechiſchen Staͤdte-
Muͤnzen. — Solche Werke, deren Alterthum durch die Gebaͤude,
die ſie verzierten, beurkundet wird, geben uns einen Maaßſtab fuͤr
diejenige Kunſtart, welche ſelbſt den ſpaͤteren Alten noch immer
fuͤr die beſte, bisweilen fuͤr die einzig rechte galt. Zu Winkel-
mann’s
Zeit fehlte es noch an einem beurkundeten Kennzeichen
des beſten Alterthumes; er war daher beſchraͤnkt auf Vermuthungen
und Meinungen.
*)
Gleich einigen Neueren, deren geiſtreiche Anregungen all-
gemein bekannt ſind.
*)
Toelken (uͤber das verſchiedene Verhaͤltniß der antiken
und modernen Malerey zur Poeſie ꝛc. Berlin, Nicolaiſche Buch-
handlung, 1822) kommt, nachdem er in einer anderen Beziehung
die Poeſie wenigſtens der neueren Malerey entgegenſtellt (S. [31]),
ebenfalls darauf zuruͤck, daß Poeſie in dieſem Sinne allerdings auch
die Grundlage der bildenden Kuͤnſte ſey. Goͤthe, aus meinem
Leben, Bd. II. S. 348. „Die Gipfel beyder ſchienen nun getrennt,
wie nah ihre Baſen auch zuſammenſtoßen mochten.“
*)
Seneca, Ep. VIII. Quam multa poetae dicunt, quae a phi-
losophis dicta sunt, aut dicenda
.
**)
Leſſing, Laok. Anhang XXXI. „Die eigentliche Be-
ſtimmung einer ſchoͤnen Kunſt kann nur dasjenige ſeyn, was ſie
ohne Beyhuͤlfe einer anderen hervorzubringen im Stande iſt;“
und kurz darauf: „die neuen Mahler — bedenken nicht —, daß
ihre Kunſt den Werth einer primitiven Kunſt gaͤnzlich dadurch
verliert ꝛc.;“ nemlich ſolche, welche nur in die Form uͤbertragen
wollen, was in den Redekuͤnſten gereift und ausgebildet worden.
*)
Quatremère de Quincy, Essai sur la nature, le but et les
moyens, de l’imitation dans les beaux arts. Paris 1823. II. p. 157. —
„Ce furent en effet de véritables besoins pour les peuples civili-
sés, — — — que de fixer et de consacrer dans un langage sen-
sible, les opinions morales et les sentimens religieux
.” — Bei
einem ſo nuͤchternen Bewußtſeyn des nuͤtzlichen Zweckes, als der-
ſelbe gleich darauf andeutet (C’est ainsi que l’on peut donner à
l’imitation des beaux arts un but aussi utile pour eux que pour la
société)
, moͤchte ſchwerlich, wenn auch nur das maͤßigſt Erfreuliche
geleiſtet werden koͤnnen.
*)
S. Wagener und Schelling, uͤber die Aegineten. An-
dere minder bedeutende Schriftſteller.
*)
Schelling, phil. Schriften, Bd. I. S. 384. „Die Kunſt
entſteht nur aus der lebhaften Bewegung der innerſten Gemuͤths-
und Geiſteskraͤfte, welche wir Begeiſterung nennen.“
*)
An einer Stelle, wo man ſie nicht erwarten ſollte, bey
Schubert, die Urwelt S. 299. wird dieſe Meinung ſchon als
hiſtoriſcher Beweis aufgefuͤhrt.
*)
Allargare la maniera — gewoͤhnlich bey Lanzi, storia pitt.
und in a. ital. Kſchr.
*)
Ich uͤbergehe, was die Kunſt im Dienſte der Ueppigkeit
durch Verknuͤpfung des Entgegengeſetzten (durch monſtroͤs Reizen-
des) leiſten und gewaͤhren kann. Denn ich bin ungewiß, ob die
Kunſt, wo ſie vergaͤnglicher Sittenverwilderung ſchmeichelt, uͤber-
haupt noch der Betrachtung werth [iſt]; gewiß wenigſtens nahm Win-
kelmann
in ſeiner Analyſe antiker Kunſtformen eben dieſe Aus-
weichung viel zu ernſtlich.
*)
Lange hatte ich vergebens geſtrebt, mir zu verdeutlichen,
was denn eigentlich nach dem Sprachgebrauche der romantiſchen
Kunſtrichtung unter ſymboliſcher Darſtellung verſtanden werde. Im
weiteſten Sinne waͤre ja alle Darſtellung der Kunſt und nicht bloß
die Darſtellung beſtimmter Schulen ſymboliſch zu nennen, wenn
es uͤberhaupt das Verſtaͤndniß foͤrdern koͤnnte, hier ein Wort zu
gebrauchen, deſſen Grundbild den Wenigſten ſinnlich iſt. Wenn
irgend ein Puriſt verſuchen wollte, nach der Analogie fuͤr ſymbo-
liſche, kerbholzmaͤßige Darſtellung zu ſagen, ſo duͤrfte dieſe
nackte Saͤchlichkeit nicht denſelben Reiz haben, als der dunkle viel-
fach uͤbertragene Sinn des Wortes Symbol. — Wenn wir indeß
einen Aufſatz im Kunſtblatte (1821. No. 45. f.) als das Organ
der Anſichten einer Mehrheit von Kuͤnſtlern und Kunſtgelehrten
betrachten duͤrften, ſo wuͤrde aus dieſem hervorgehen, daß ſymbo-
liſche Darſtellung vielen Neueren etwa ſo viel heißt, als Andeu-
tung von Begriffen durch willkuͤhrlich gebildete, nur durch Verab-
redung verſtaͤndliche Zeichen.
**)
Denkmaͤler ꝛc. Vgl. die Unterſuchungen und Beobachtun-
gen anderer Reiſenden in Ober-Aegypten und Nubien.
*)
S. bey Herder (zerſtreute Blaͤtter, Gotha 1792. S. 240.)
die Entwickelung der Hinderniſſe einer voͤlligen Ausbildung der
indiſchen Kunſt, wo der Umſtand, daß ihre Goͤtter aus ſym-
boliſchen Begriffen entſprungen waren,
nur als ein Hin-
derniß ſchoͤner Erſcheinung, nicht als ein die Darſtellung [Ausſchlie-
ßendes]
aufgefaßt wird. Auch in Heinr. Meyers Geſch. der bild.
Kuͤnſte bey den Griechen, welche durch den gebildeten Kunſtſinn
und die Beobachtungsgabe dieſes Kunſtgelehrten ſo bemerkenswerth
iſt, wird in der Vorrede die Beſchaͤftigung mit allen vor- und
außergriechiſchen Kunſtbeſtrebungen nur darum abgelehnt, weil es
darin an Schoͤnheit, Anmuth und reinem Geſchmacke
fehle, in welcher Beziehung eben dort ſogar den Incunabeln grie-
chiſcher Kunſt vor aͤgypt. und anderen der Vorzug gegeben wird,
welches letzte partheylich iſt, oder doch mir zu ſeyn ſcheint; wenn
anders die Bemerkung: daß der hohe edle Geiſt, welcher ſelbſt aus
den uralten und rohen Arbeiten der Griechen unſer Gemuͤth an-
ſpricht und erhebt, in jenen nicht wohne, nicht etwa die minder
deutliche Wahrnehmung einer entſchiedeneren Richtung der aͤlteſten
Griechen auf eigentliche Darſtellung in ſich einſchließen ſollte.
**)
Eine beſonders lichte Darſtellung des Verhaͤltniſſes der
Allegorie zur griechiſchen Malerey findet ſich bey Toͤlken, a. a. O.
*)
Auch Winckelmann K. G. neue Ausg. Bd. IV. S. 131.
**)
So iſt es eine willkuͤhrliche Auslegung, wenn Leſſing
annimmt, daß Widerwille gegen Bildniſſe die Griechen beſtimmt
habe, nur dem dreymaligen olympiſchen Sieger ikoniſche Bildſaͤu-
len zu ſetzen. Weshalb denn waͤre eben der dreyfach Geehrte durch
eine minder erfreuliche, oder widrigere Kunſtform ausgezeichnet
worden?
***)
S. Cicero Brut. 18. — Boͤttiger, Archaͤol. der Mal.
S. 2. „Aus dem Gelungenen der Nachahmung erklaͤrten auch die
Alten jeden Kunſtgenuß ꝛc.“ Doch ſcheint dieſer Gelehrte hierin
eine Verwandtſchaft mit den Anſichten des Batteux zu vermu-
then, welche nicht unbedingt einzuraͤumen iſt. Die Wuͤnſche der
***)
hollaͤndiſch-franzoͤſiſchen Kunſtgelehrten beſchraͤnkten ſich auf die
Gaukeley des Erſcheinens an ſich ſelbſt; die Alten aber, wenig-
ſtens die beſten, betrachteten den vollen Beſitz der Naturformen
als die Bedingung genuͤgender Darſtellung. Vergl. Winckelmann
und ſein Jahrh. S. 281. — Das illuſoriſche Kunſtbeſtreben bedarf
vieler Zuͤge der Natur, vieler Umſtaͤnde der Erſcheinung, welche
in den meiſten Faͤllen zur eigentlichen Darſtellung unweſentlich
ſind; und umgekehrt wird es andere Zuͤge der Naturgeſtalt uͤber-
gehen duͤrfen, welche in beſtimmten Faͤllen die Darſtellung hoͤch-
lich unterſtuͤtzen. Alſo ſteht der darſtellende Kuͤnſtler zur Natur
nicht ganz in demſelben Verhaͤltniß, als der bloß ſinnlich illu-
dirende.
*)
Vergl. zwey engliſche Monographieen, die eine, uͤber die
Geſtalt und Lage des Iliſſus, die andere, Vergleichung des alt-
griechiſchen Pferdekopfes, im brittiſchen Muſeum, mit einem der
venezianiſchen. Titel und Verf. vermag ich nicht umſtaͤndlich an-
zugeben. Als ich ſie vor etwa vier Jahren zu Florenz auf der
Magliabecch. Bibliothek fand und las, glaubte ich, ſo ausgezeich-
nete Arbeiten wuͤrden in Deutſchland uͤberall zu finden, oder doch
aus England zu erhalten ſeyn. Beides iſt mir fehlgeſchlagen, wo-
her ich ſchließe, daß ſie nicht in den Handel gekommen, und nur
als Geſchenk vertheilt worden ſind. — Aufmerkſame Beachtung
und gruͤndliche Unterſuchung von Werken der beſten und ſchoͤnſten
Schule antiker Bildnerey leitete ihren Verf., in Bezug auf die
Art und Abkunft der darſtellenden Kunſtformen, ungefaͤhr auf die-
ſelbe Anſicht, welche ich oben zu begruͤnden verſucht.
*)
Eine umfaſſende Zuſammenſtellung dahinaus zielender Stel-
len alter Schriftſteller waͤre der Gelehrſamkeit und des Fleißes
eines Boͤttiger werth. Moͤchte dieſer treffliche Gelehrte der
Kunſt zum Frommen auch dieſe, ſo hoͤchſt verdienſtliche Arbeit auf
ſich nehmen, die Stellen, aus denen theils die philoſophiſche,
theils die populaͤre Kunſtanſicht der Alten hervorgeht, nicht, wie
gewoͤhnlich, zur Beſtaͤrkung moderner Meinungen, ſondern nur
eben der alten willen, mit Hindeutung auf den jedesmaligen
Standpunkt des Autors, oder ſeiner redend Eingefuͤhrten nach Zeit
und Gegenſtand zu ordnen und zu vereinigen.
*)
Gio. Boccaccio, Dec. gior. 6. n. 5. von Giotto: — „niuna
cosa dà la Natura madre de tutte le cose — che egli con lo stile
e con la penna, o col pennello non dipignesse sì simile a quella,
che non simile anzi déssa paresse;
u. ſ. f.” — Villani, Gio, stor.
Fior. lib. XI. (ed. Torrent.Flor. 1554. p. 30.) ad. a. 1334. —
Giotto —, il più sovrano maestro stato in dipintura, che si tro-
vasse al suo tempo, e quegli, che più trasse ogni figura ed atti
al naturale.”
**)
Lor. Ghiberti, trattato di scultura e pittura; Magliabecch.
classe XVII. palch. 1. No. 33. p. 7. a tergo — Giotto — arecò
l’arte naturale con esso non uscendo dalle misure
— und p. 9.
a tergo,
von einem deutſchen Bildner, „perfetto — al pari degli
statuarj antichi Greci.” —
*)
S. bey Georg Vaſari(vite de pittori etc. 1568. P. III.
p. 813.)
die anziehende Erzaͤhlung von einem Beſuch, den er mit
Michelangeolo bey Tizian abgelegt, und die Reflection am
Schluſſe: — chi non ha disegnato assai e studiato cose scelte an-
tiche o moderne, non può far bene di pratica da se, nè ajutare le
cose, che si ritranno dal vivo, dando loro quella grazia e perfe-
*)
S. die Quellen der modern italien. Kunſtgeſchichte, welche
bey Fiorillo. Geſch. d. z. K., ſehr vollſtaͤndig nachgewieſen ſind. —
Die Naturaliſten erhoben ſich allerdings um etwas ſpaͤter; ihre
Einſeitigkeit wurde durch Ekel an den leeren Zerrbildern der ſo-
genannten Idealiſten hervorgerufen.
*)
zione, che da l’arte [fuori] dell’ ordine della natura etc. Alſo hoff-
ten ſchon die Zeitgenoſſen des Vaſari die Natur in der Form
zu uͤberbieten; mit welchem Erfolge wiſſen die Sachkundigen. —
Auch dieſes Verhaͤltniß durchſchaute Baco(Sermones fideles etc.
XLI. de pulchritudine): — „Non quin existimem elegantiorem fa-
ciem depingi a pictore posse, quam unquam in vivis fuit; sed hoc
ei contingere oportet ex felicitate quadam et casu — non autem
ex regulis artis.”
Ein ſolches Gluͤck und Gelingen faͤllt, wenn
uͤberhaupt, doch nur denen zu, welche durch (wie Baco andeu-
tet) bedachtloſe Hingebung in die Natur mit dieſer ſo ganz
eins geworden ſind, daß ſie, auch unabhaͤngig von einzelnen Vor-
bildern, doch im Sinn und Geiſt der Natur geſtalten und bilden
koͤnnen.
*)
Etwas aus der Idea ausmachen, wie Sandrart aus der
Kunſtſprache der italieniſchen Maler ſeiner Zeit uͤberſetzt, iſt dem
oben Angefuͤhrten, far da se, des Vaſari ungefaͤhr gleichbedeutend.
*)
Ueberall in unſeren, obwohl von ſcharfſinnigen Bemerkun-
gen, geiſtvollen Zuͤgen, von großen und erhabenen Gedanken uͤber-
ſchwellenden, dennoch in vielen Kunſtbegriffen der Manieriſten noch
immer befangenen deutſchen Kunſtſchriften will man, nicht etwa
mit einem allgemeinen poetiſchen, oder religioͤſen Sehnen, nein
eben mit den ſo ganz reellen Formen der Kunſt uͤber die Schran-
ken der Natur hinaus. Sogar Winckelmann nennet da, wo
ihn ſein angeborener Naturſinn verlaͤßt, wo der Vorbegriff der
Manieriſten ihn eben uͤberwaͤltigt, die Natur wohl einmal ſchlecht-
hin die gemeine, ein Ausdruck der nicht ohne Nachfolge geblie-
ben. Es liegt hier vielleicht eine Verwechſelung des Natuͤrlichen
mit dem Geſchichtlichen zum Grunde. Denn die Natur ſelbſt,
deren Beſtimmungen und Erzeugniſſe wir mit Dank aufnehmen
ſollen, wie ſie eben ſind, kann uns nicht bald gemein, bald unge-
mein ſeyn; nur die menſchlichen Willenskraͤfte koͤnnen bald auf
Gutes, bald auf Schlechtes gelenkt werden; alſo nur in Bezug
auf ſittliche Richtungen und Zuſtaͤnde kann von Gemeinem und
Edlem der Natur die Rede ſeyn. Ein franzoͤſirter Laffe z. B.
welcher in ſeiner geſchichtlichen Entwickelung das mißlichſte Vor-
bild der Kunſt abgeben duͤrfte, wuͤrde demungeachtet unter dem
Meſſer des Anatomen ſeines Geſchichtlichen entkleidet und nur
ſein Natuͤrliches darlegend, ſogar dem groͤßten Kuͤnſtler ein edler
und wuͤrdiger Gegenſtand der Forſchung ſeyn.
*)
Auch das Kunſtwort, maniera, verdanken wir den Italie-
nern; maniera iſt buchſtaͤblich ſo viel, als Handhabung, und wird
als ſolche ſowohl in gutem als in ſchlimmem Sinne genommen.
Indeß, da jenes Uebel, welches wir Manier nennen, eben aus
einem unbedachten ſich Hingeben in erworbene, oder angeborene
Gewandtheit der Hand entſtanden, ſo hat es auch davon den Na-
men erhalten, welcher, wie ich denke, allgemein verſtaͤndlich iſt,
und keiner weiteren Rechtfertigung bedarf.
*)
Kunſtgeſchichte B. 5. S. 3. §. 27. und an anderen Stellen;
haͤtte Mengs nicht bisweilen ſein Urtheil gemaͤßigt, wie ich zu
erkennen glaube, ſo wuͤrde er vielleicht noch weiter gegangen ſeyn.
*)
Winckelmann beſchließt ſeine Gedanken uͤber die
Nachahmung
mit Anerkennung deſſen, was er darin ſeinen Un-
terredungen
mit dem Maler Friedrich Oeſer verdanke.
**)
Moͤſer, der Winckelmann’s Schriften wahrſcheinlich
nicht geleſen hatte, ſagt, patr. Phantaſ. Bd. 2. No. 2. S. 15. f.
(Ed. 776.) „An den griechiſchen Kuͤnſtlern lobt man es, daß
ſie ihre Werke nach einzelnen ſchoͤnen Gegenſtaͤnden in der Natur
ausgearbeitet und es nicht gewagt haben, eine allgemeine Regel
des Schoͤnen feſtzuſetzen. — Man ſpricht taͤglich davon — wie ſehr
die neueren durch einige wenige Ideale gehindert werden, ſich
uͤber das Mittelmaͤßige zu erheben.“ Noch ſo ſpaͤt alſo ward,
Ideal, ſelbſt von deutſch gebildeten Maͤnnern in dem niedrigen
Sinne gebraucht, den ihm die Manieriſten beygelegt hatten, daher
der Natur und den Werken der griechiſchen Bildner entgegen-
geſetzt.
*)
Außer der o. a. Stelle, ſ. Winckelmann’s Leben,
in ſ. Schriften, neue Ausg. und, Goethe, aus meinem Leben,
Bd. 2.
**)
S. Winckelmann und ſein Jahrhund. Brief 21. Seine
Schriften durchhin, vornehmlich, K. G. Buch 1. K. 3. §. 9. ff.
Ferner ſeine Nachrichten uͤber das Muſeum von Capo di Monte. —
Daher erfreute ihn unter neueren Malern vornehmlich Raphael
und Titian.
***)
Kunſtgeſch. Buch 5. K. 4. §. 2. beſchließt W. eine Reihe
*)
S. des trefflichen Creuzer’s Symbolik, zu Anfang. Vergl.
Fernow, zu Winckelmann’s Verſuch uͤber die Allegorie, und
an a. S.
**)
S. Heyne, ak. Vorleſ. uͤber die Archaͤol. der Kunſt, wo
***)
von Faͤllen, in denen die antiken Kuͤnſtler nicht etwa bloß von be-
ſtimmten Modellen, nein ſogar von allgemeineren Geſetzen der na-
tuͤrlichen Bildung ſollen abgewichen ſeyn, mit dem Satze: „ſo
wie es ſich auch in der Natur ſchoͤner, wohlgewachſener Menſchen
findet.“
**)
Ideal, unwandelbar in dieſem Sinne zu verſtehen iſt. Bey ande-
ren Alterthumskundigen ſchwankt er meiſt zu den uͤbrigen Ideal-
begriffen hinuͤber.
*)
Fernow in Briefen an den Maler Kuͤgelgen, Joh.
Schopenhauer
, Leben Fernows, S. 359.: abſtracte Ideal-
bildungen
, weiter unten: abſtracte Formen; welch’ ein in-
nerer Widerſpruch!
**)
Heydenreich, aͤſth. Woͤrterbuch uͤber die bild. K., nach
Watelet und Levesque, Leipzig 1795. s. v. Ideal. Zu dieſer
Wahl indeß hatte ihn Winckelmann veranlaßt, welcher, nach-
dem er B. IV. und V. der Kunſtgeſchichte uͤber die Schoͤnheit wie
ein Begeiſterter geredet, alſobald zu den wenig entſcheidenden Cha-
rakteren der Lebensſtufen uͤbergeht.
*)
W. v. Humboldt Verſuche etc. — Winckelmann u. ſ.
Ih. S. 208. u. f. „Die Anſpruͤche des Materiellen, welche die
Malerey befriedigen muß, hindern jene gaͤnzliche Abſtraction und
Erhebung uͤber das Wirkliche, welche von den idealiſchen Darſtel-
lungen der Plaſtik, die bloß die Formen in ihrer hoͤchſten Reinheit
und Schoͤnheit liefern ſollen, gefordert wird.“
*)
Schelling, der in ſeiner geiſtvollen Rede uͤber das Ver-
haͤltniß der bildenden Kuͤnſte zur Natur (Schriften S. 349.) in
Bezug auf uͤbliche Lehrmethoden „bloße Steigerung des Beding-
ten,“ oder „Streben von der Form zum Weſen,“ wie billig ver-
wirft, ſagt bald darauf (S. 361.): Aus den Banden der Natur
wand ſie (die helleniſche Kunſt) ſich zu goͤttlicher Freyheit empor.
Koͤnnte es irgend angenommen werden, daß Natur hier in dem
Sinne der Kuͤnſtlerſprache genommen ſey, ſo wuͤrde allerdings in
Bezug auf die aͤußere Entwickelung der Schulen, ſelbſt jedes ein-
zelnen Meiſters ein gewiſſer Uebergang der ſchuͤlerhaften Abhaͤngig-
keit von zufaͤllig dem Sinne vorliegenden zu einem allgemeineren
Beſitze der Naturform, durch dieſen zur Sicherheit, Meiſterſchaft
und relativen Freyheit einzuraͤumen ſeyn. — Indeß ſteht zu befuͤrch-
ten, daß der treffliche Denker in dieſen Zeilen einer Autoritaͤt
nachgegeben, auf welche er ſich am Rande bezieht, und daher die
Natur wenigſtens augenblicklich zur Kunſt in einem ganz anderen,
beengenderen Verhaͤltniß gedacht habe, als wirklich ſtatt findet.
Denn nicht mehr als der Fiſch in den Fluthen und jedes andere
Ding in ſeinem Elemente, wird der Kuͤnſtler ſich in der Fuͤlle der
Geſtaltungen beengt fuͤhlen koͤnnen, in denen er ſeiner ſelbſt und
ſeines eigenen Wollens in dem Maße ſich deutlicher bewußt wird,
als er ſie mehr in jeder Richtung durchdringt. — Giebt es uͤber-
haupt in der großen Verkettung, der wir angehoͤren, Anlagen und
Dinge, welche ihr eigenthuͤmliches Seyn durch Ausſonderung beſſer
und zu einem hoͤheren Ziele entwickeln, ſo wird doch die Kunſt
durch ihr naturgleiches Streben nach Geſtalt und aͤußerer Entfal-
tung durchaus davon ausgeſchloſſen. Und liegt auch, wie S. be-
geiſtert andeutet: „Das Vermoͤgen, die Seele ſammt dem Leib,
zumal und wie mit einem Hauche zu ſchaffen,“ in der Kunſt, wie
in der Natur; ſo wird dieſe Kraft doch nur in denen wirkſam,
welche ſich ſelbſt und ihr eignes Wollen im Spiegel der Natur
erkennen wollen.
*)
Zu beiden Vorſtellungsarten hatte Winck. angeleitet. Nach
ihm ſagt Stieglitz (Verſuch einer Einrichtung ant. Muͤnzſamm-
lungen. Leipz. 1809. S. 38.) von den Griechen, daß ſie auf einer
gewiſſen Hoͤhe ihrer Kunſt, „theils von mehreren Gegenſtaͤnden das
ſchoͤnſte waͤhlten, theils nach Idealen ſtrebten, um die Form
uͤber die Natur zu erheben,“ ſo wollen auch die Herausgeber
der Briefe Winckelmanns: daß Michelangelo zuerſt die
neuere Kunſt, in dem was die Form betrifft, uͤber die
Beſchraͤnktheit des Wirklichen zum Idealiſchen erho-
ben (Winckelmann
und ſ. Ih. S. 209.). Wird nun von Ken-
nern dieſer Schule dem Raphael, der dem Geiſt und der Idee
nach dem Michelangelo mindeſtens nicht nachgeſtanden, Solches,
was ſie Idealform nennen, rund abgeſprochen: ſo iſt es klar, daß
obige Worte in vollem Ernſt einzig von einem gewiſſen Zuſchnitt
der Form zu verſtehen ſind. Da zudem Michelangelo’s allge-
meinere Kunſtanſichten, da ſein Vorbild, vornehmlich in der ſpaͤ-
teren Haͤlfte ſeines Lebens, ſo ganz entſcheidend mitgewirkt, die
Verirrungen der Manier hervorzurufen; ſo wird obige Behauptung,
daß Michelangelo unter den Neueren zuerſt zum Idealiſchen
ſich aufgeſchwungen habe, uns behuͤlflich ſeyn koͤnnen, die Stamm-
verwandtſchaft der Idealbegriffe italieniſcher Manieriſten und mo-
derner Aeſthetiker zu bezeugen.
*)
Fernow (in ſeinem Leben. S. 364.) ſagt, nachdem er,
was er Idealgeſtalt nennt, dem Charakter des Gegenſtandes (dem
Idealen der Archaͤologen) entgegengeſtellt: „Leere Idealfor-
men und Bildungen
, ohne Phyſiognomie und Charakter, ſind
eben ſo wenig genuͤgend, als charakteriſtiſche Geſtalten ohne Adel
und Schoͤnheit.“
**)
Laokoon. Anh. XXXI. Dieſe Andeutung ward von denen,
welche die Schoͤnheitstheorie weiter ausgeſponnen, durchaus beſei-
tigt; ſie hatten Freunde unter den Landſchaftsmalern, oder Freude
an ihren Werken, oder ſie entdeckten, wie Fernow in Ruisdael
und Claude, auch in der Landſchaft ein Ideal. In der entgegen-
geſetzten Richtung ward ſie indeß, lange, nachdem Leſſing ſie
hingeworfen, die erſte Veranlaſſung zur Geringſchaͤtzung einer Be-
ziehung des Kunſtvermoͤgens, in welcher Anmuthsvolles und Er-
*)
S. Anmerk. 158. der neuen Ausg. Winckelmanns,
Band IV., wo allerdings Winckelmanns Sinn nicht ſeyn kann,
daß claſſiſche Bildner etwa in den Fehler des Arellius verfallen
waͤren; doch auch gewiß nicht jener, den ihm ſeine Herausgeber
unterlegen. Wenn er annahm, daß griechiſche Kuͤnſtler ſich der
Schoͤnheit irgend eines beſtimmten Vorbildes hingegeben, ſo ſetzte
er ſicher voraus, einmal, daß dieſes Vorbild der Aufgabe hoͤchſt
analog war; dann aber auch, daß der Kuͤnſtler mit Feuer und Lei-
denſchaft, nicht vornehm und nuͤchtern zum Werk geſchritten ſey. —
Darin daß die Idee der Aufgabe geloͤſt werde, ſtimme ich durch-
aus mit den Wuͤnſchen der Herausg. uͤberein; nur nicht darin, daß
ſolches nicht anders, als in minder natuͤrlichen Formen geſchehen
koͤnne.
**)
ſtaunenswerthes geleiſtet worden, welche demnach deßhalb, weil
Syſtematiker keinen Platz dafuͤr uͤbrig behielten, noch lange nicht
verdient, aus der Kunſt ausgeſtrichen zu werden.
*)
Ideal menſchlicher Haͤßlichkeit, bey Oehlenſchlaͤger,
Maͤhrchen. 1. Bd. S. 36. — Auch Winckelmann (Kunſtgeſch.
B. IV. K. 2. §. 25.) ſagt einmal: „doch mit der Erinnerung, daß
etwas idealiſch heißen kann, ohne ſchoͤn zu ſeyn.“ — In einer
trefflichen Schrift (uͤber Reinheit der Tonkunſt, Heidelberg 1825.
S. 99.) heißt ein idealiſch ſchoͤner und edler Juͤngling u. ſ. w.
ſo viel, als ein ausnehmend ſchoͤner; was ich nur als ein
Beyſpiel uͤblichen Wortgebrauches anfuͤhre, da der hohe Werth
dieſes Buches, welcher auf reiner und edler Auffaſſung ſeines
Gegenſtandes, der Muſik beruht, von dieſem gelegentlich ergriffenen
Bilde durchaus unabhaͤngig iſt.
*)
Fernow z. B. denkt eben darum die Natur und das Wirk-
liche (beides heißt ihm eben nur ſo viel, als die Formen, welche
die Natur hervorbringt, in ihrem beſonderen Verhaͤltniß zum
Kuͤnſtler, als Modelle nemlich und Gegenſtaͤnde der Nachbildung)
unwandelbar im grellſten Gegenſatze zu ſeinen Idealformen. Leben
des Maler Carſtens, S. 71. — „Da unſer Kuͤnſtler — von der
Antike, alſo vom Ideale, und nicht von der Nachahmung des
Wirklichen ausgegangen.“ — Uebrigens iſt dieſe Angabe hiſto-
*)
Wie in der angefuͤhrten Stelle, Winck. u. ſ. Ih. S. 208.
Vergl. Winckelmann (K. G.) uͤber den belvederiſchen Apoll.
*)
riſch nicht ſo ganz richtig; im Vaterlande dieſes Kuͤnſtlers giebt
es noch viele wohlgezeichnete Bildniſſe von ſeiner Hand, welche
mit ſo viel Liebe und Einſicht gemacht ſind, daß man wohl ſieht,
daß er — wie ihm auch Kleidung und Mienen widerſtreben moch-
ten — doch ſolches, was in ſeinen Vorbildern der Natur und
nicht ihrer geſchichtlichen Stellung angehoͤrte, mit Nutzen aufge-
faßt. Solche Bildniſſe waren ſeine Vorſchule; ob es ihm ſpaͤter
gelungen in der Natur auch fuͤr Allgemeineres die rechte Bezeich-
nung aufzufinden, ob er, indem er ſie in Kunſtwerken aufgeſucht,
an gediegenem Werthe gewonnen habe, iſt eine andere Frage. —
Auch in Bezug auf die Niederlaͤnder behauptet derſelbe Schrift-
ſteller hoͤchſt irrig, ſie haben die Darſtellung des Wirklichen (ver-
ſtehe ihrer von ihm angenommenen Ideeloſigkeit willen) am wei-
teſten gebracht. Was in den Hollaͤndern ſchaͤtzenswerth iſt, gehoͤrt
ebenfalls groͤßtentheils ihrem Geiſt und Gefuͤhl an. Auf der an-
dern Seite haben ſie es nirgend in der Charakteriſtik wirklicher
Dinge ſo weit gebracht, als der ſo ungleich geiſtvollere Raphael,
wo es ihm, wie im Bildniß LeosX., wirklich darum zu thun war.
*)
S. W. Scoresby, Tagebuch einer Reiſe auf den Wall-
fiſchfang etc. Hamburg 1825. Tafel 2 — 5.
*)
Boͤttiger, Ideen zur Arch. der Malerey. Dresden 1811.
S. 1. f. — „Wenn ſchon die bildende Kunſt uͤberhaupt das Werk
des Schoͤpfers gleichſam ergaͤnzt.“ —
**)
Ausdruck des Wandsb. Boten. Petrarc. ep. lib. V. ep.
XVII. — Vetus ille magister Artis ingeniique largitor
.
*)
Dieſes bemerkte ſchon Carſtens; deſſen Leben von Fer-
now
. S. 134.
*)
Unter den verſchiedenen Bezeichnungen dieſer Anſicht, welche
uͤber die neueſte Literatur der Kunſt und der Arch. verſtreut ſind,
iſt folgende beſonders merkwuͤrdig (Boͤttiger, Archaͤol. der Ma-
lerey. S. 145): „Die Nothwendigkeit des Geſetzes mit
der Liebe zum Idealen gatten
.“ — Vgl. Heinr. Meyer,
Kunſtgeſch. Abth. 1. S. 36.
*)
Winckelmann und ſ. Ih. S. 277. heißt es von den Ca-
racci
: „ſie bedienten ſich der Natur weislich um ihren Dar-
ſtellungen das Wahrſcheinliche, den Formen das Mannich-
faltige
zu geben.“ — Heinr. Meyer Kunſtgeſch. Abtheil. 1.
S. 36. zeigt dort, nach den Worten des Index, s. v. Ideal, wie
in den Werken der Zeit des Ueberganges vom hohen zum ſchoͤnen
Style, Idealbegriff und naturgemaͤße Wahrſcheinlich-
keit vereinigt worden
. Alſo nur der Wahrſcheinlichkeit und
der Abwechſelung willen (wie in den oben beruͤhrten Ausfuͤllungen
*)
Boͤttiger a. a. O. S. 353. (Von der aͤlteren griech. Ma-
lerey) — „So wurde, wo das Ideal noch nicht erreicht
werden konnte
, wenigſtens das Geiſtige und Heilige der Kunſt
ſchon gehandhabt.“ Alſo unterſcheidet dieſer Gelehrte in Bezug
auf die Kunſt Ideales und Geiſtiges.
*)
ſogenannter leerer Idealbildungen durch individuelle Zuͤge)
haͤtten ſich, nach der Anſicht der ang. Schriftſt., die Kuͤnſtler be-
ſtimmter und ausgezeichneter Schulen der Natur genaͤhert? Nicht
das Beduͤrfniß, darſtellende Formen ſich anzueignen, nicht Hin-
gebung in die begeiſternden Anregungen der Natur, nur das Be-
ſtreben etwas Sinnestaͤuſchung und unterhaltende Mannichfaltigkeit
der Erſcheinung hervorzubringen, haͤtte die griechiſchen und ſpaͤtere
Kuͤnſtler veranlaßt, ſich der Natur, umſichtig und mißtrauiſch,
anzunaͤhern? —
*)
Carſtens fand, nach Fernow in deſſen Leben S. 134.
in den Arbeiten, welche ſeiner Zeit in dieſer Richtung beſchafft
wurden: ein widriges Gemiſch von Antike, gemeiner Modellnatur etc.
Vergleiche die Zweifel uͤber das Ergebniß dieſer Richtung kuͤnſtle-
riſcher Studien Anm. 477. Band IV. der neuen Ausg. Winckel-
manns
.
*)
S. die Herausg. Winckelmanns, Kunſtg. Bd. IV. An-
merk. 158.
*)
Niemand, wie ich glaube, hat jemals bemerkt, oder doch
die Bemerkung ausgeſprochen, daß in einigen Theilen Italiens,
welche die germaniſchen Einwanderer weniger, oder gar nicht ein-
genommen und durchwohnt haben, nemlich in den Niederungen der
Etſch, und vornehmlich im Bezirke von Rom (dem Ducatus Ro-
manus
des fruͤheren Mittelalters) ein eigenthuͤmliches Verhaͤltniß
in der Haupteintheilung des Koͤrpers vorherrſcht, welches ſowohl
von dem deutſchen, als von dem altgriechiſchen durch verhaͤltniß-
maͤßige Laͤnge des Leibes, Kuͤrze des Untergeſtelles ſich unterſchei-
det. Dieſer Mangel zeigt ſich zu Rom nicht ſelten, wenn auch
minder auffallend, ſogar in ſchoͤnen Modellen, wie kuͤrzlich noch
in dem, Kuͤnſtlern bekannten, Saverio. — Da wir nun dieſelbe
Eigenthuͤmlichkeit in vielen roͤmiſchen Bildnißſtatuen wahrnehmen,
da ſie ſogar in vielen Darſtellungen von Goͤttern und Helden vor-
kommt, welche den Aufdruck bekannterer Kunſtmanieren der Kai-
ſerzeit tragen (der Standbilder auf den Ruͤckſeiten der Kaiſer-
muͤnzen nicht zu gedenken); ſo werden wir auf der einen Seite
nicht anſtehen koͤnnen, ſie in dieſen aus dem wiederholten Eindruck
*)
Goͤthe, aus meinem Leben, zweiter Abtheilung, erſter
Theil, S. 207. „Als ich bey hohem Sonnenſchein, durch die
Lagunen fuhr, und auf den Gondelraͤndern die Gondeliere leicht
ſchwebend, bunt bekleidet, rudernd betrachtete, wie ſie auf der
hellgruͤnen Flaͤche ſich in der blauen Luft zeichneten; ſo ſah ich das
beſte, friſcheſte Bild der venetianiſchen Schule. Der Sonnenſchein
hob die Localfarben blendend hervor, und die Schattenſeiten waren
ſo licht, daß ſie verhaͤltnißmaͤßig wieder zu Lichtern haͤtten dienen
koͤnnen. Ein gleiches galt von dem Wiederſcheinen des meergruͤnen
Waſſers. Alles war hell in Hell gemalt, ſo daß die ſchaͤumende
Welle und die Blitzlichter darauf noͤthig waren, um ein Tuͤpfchen
aufs i zu ſetzen.“ Dieſe meiſterlich herrliche Schilderung war,
wenn ſie einmal geraubt werden ſollte, nicht wohl zu theilen und
abzukuͤrzen. — Die auffallende Oertlichkeit der italieniſchen Staͤdte-
ſchulen (in Italien giebt es groͤßere Verſchiedenheiten der Abkunft
und der climatiſchen Einwirkung als unter uns) fiel ſogar einem
italieniſchen Maler moderner Richtung, Hrn. Camoccini, auf,
als er 1810 veranlaßt war, den Norden zu beſuchen. — Vergl. die
geiſtreichen Winke uͤber das Verhaͤltniß des Rubens zur ihn um-
gebenden Natur im Athenaͤum B. 1. Stck. 2. S. 47. — Jomard
(in Descr. des l’Egypte), sur les Momies des Hypogèes de Thèbes,
fand die Knochenbildung der Mumien in Uebereinſtimmung mit
den Geſtaltungen aͤgyptiſcher Kunſt. In wie fern er richtig geſehen,
iſt wohl bey der Entlegenheit der Denkmale hier nicht mit Sicher-
heit zu entſcheiden.
*)
aͤhnlicher Bildungen zu erklaͤren, auf der anderen aber allenthal-
ben, wo wir in Statuen den verlaͤngerten Unterleib, die verhaͤlt-
nißmaͤßig kuͤrzeren Beine erblicken, auf roͤmiſche Arbeit zu ſchlie-
ßen. — Sogar Raphael vertauſchte nach laͤngerem Aufenthalte zu
Rom die ſchlanken florentiniſchen und umbriſchen Geſtalten, welche
wir in der Grablegung und Disputa ſehen, gegen die gedrungene,
kurze Bildung der Roͤmer.
*)
Am leichteſten nehmen gerade die edelſten Gemuͤther dieſe
Stimmung an, weshalb der Verluſt, welcher daraus entſteht, nur
um ſo mehr zu beklagen iſt, und dringend auffordert, ihn auf alle
Weiſe abzuwenden. — Bis zur Abſichtlichkeit durchgebildet zeigt
ſich die Sehnſucht nach vergangener Herrlichkeit in einer Aeuße-
rung des Petrarca, welche Hr. Hofr. H. Meyer zur Andeutung
ſeines eigenen Standpunktes, als Motto, ſeiner Kunſtgeſchichte
vorangeſtellt. Waͤre es nicht gewiß, daß Petrarca an dieſer Stelle,
als warmer Patriot, den buͤrgerlichen Verfall ſeines Vaterlandes
im Sinne hatte, waͤre es, wie bey einigen Neueren, ein bloß
aͤſthetiſcher Ueberdruß an den Ecken und Schaͤrfen der Gegenwart:
ſo duͤrfte man doch bezweifeln, ob der weiche moderne Dichter,
haͤtte das Schickſal ihn ploͤtzlich in antike Lebensverhaͤltniſſe ver-
ſetzt, ſich darin ſo ganz behaglich gefuͤhlt haben koͤnne.
*)
Auf das Bild ſeiner Laura. Son. 57. Vergl. Cennino di
Drea Cennini
trattato etc. c.
8.
*)
Stile facile, robusto etc.
**)
Ich vermuthe, daß dieſes damals geſchehen, als Car-
ſtens
, Thorwaldſen
und andere Kuͤnſtler zu Rom den Grund
*)
Sandrart, teutſche Akad. Theil I. Bch. 2. Kap. 1., de-
finirt die Bildnerey als eine Kunſt, „welche durch Abnehmung
und Stuͤmmelung des uͤberfluͤſſigen Stoffes dem ungeſtalten
Holz u. ſ. f. die verlangte Form giebt.“
**)
legten zu der mehrſeitigen Regſamkeit deutſcher Kuͤnſtler, welche
noch immer dauert. S. Fernow Leben des Maler Carſtens,
S. 246. — Bey Fernow liegt dieſer Begriff allerdings noch ſehr
im Rohen.
*)
Ich weiß nicht, in welchem Sinne Winckelmann (K. G.
Bch. IV. Kap. I. §. 29.) behauptet, daß bey den Griechen Bild-
nerey und Malerey eher, als die Baukunſt, zu einer gewiſſen Voll-
kommenheit gelangt ſey. Anders und weiter gebildet hat die Bau-
kunſt ſich allerdings in den ſpaͤteren Zeiten des Alterthumes. In
wie fern ſie aber im Zeitalter des Phidias und kurz vor ihm min-
der entwickelt geweſen, als die gleichzeitige Bildnerey, nun gar
als die Malerey, daruͤber laͤßt uns ſowohl Winck., als ſeine Her-
ausgeber im Dunkeln.
*)
Fernow a. a. O., will dem Gefuͤhle ſeiner Zeitgenoſſen
nicht zugeben, daß Malerey und Bildnerey verſchiedenen Stylge-
ſetzen unterliegen. Doch verſchmolz ihm noch jenes einzig allge-
meine Stylgeſetz mit den beſonderen, deren Ausfuͤhrung folgt.
*)
Es iſt an dieſer Stelle von uͤberzeugender Beweiskraft, daß
Schnitzwerke in leichten, faſerigen Stoffen, in Holz und Aehnli-
chem, einen Grad der Ausladung und des Geſchwungenen zulaſſen,
der ſogar in Erz, wie viel mehr im Geſteine den gebildeten Sinn
ſchon verletzen wuͤrde. Wie in dem wunderbaren Altare Hanns
Bruͤgmanns
zu Schleßwig, und in einer zierlich geſchnitzten
Figur von jenem altniederlaͤndiſchen Kuͤnſtler, den Vaſari,mro.
Janni Francese
, nennt, im letzten Pfeiler zur Rechten des Schiffes
der Servitenkirche zu Florenz.
*)
Ueber dem Haupteingange der groͤßeren Kirche zu Saalfeld
am Thuͤringer Walde ſah ich vor langer Zeit ein juͤngſtes Gericht
in basso rilievo, deſſen bildneriſcher Styl vortrefflich iſt.
**)
Die Widrigkeit der Erſcheinung weicher, ſchlaffer, halb-
durchſichtiger Theile der menſchlichen Geſtalt in ihrer Uebertragung
in dichte, ſtarre, undurchſichtige Koͤrper zeigt ſich beſonders deut-
lich in, auf dem Leben abgeformten, Gypsmodellen, welche, wie
ſchoͤn auch die Geſtalt ſey, welcher ſie durch mechaniſche Mittel
abgewonnen, doch eben durch dieſen Widerſpruch von Form und
Stoff nothwendig leichenaͤhnlich und grauenhaft ausſehen.
*)
Fernow a. a. O. und andere ihm ſinnverwandte Theo-
retiker.
*)
S. Kunſtblatt 1825. Jan. und Nov. Ich raͤume meinem
Gegner, vornehmlich deſſen letzter Zuſchrift, ſeine dialectiſche
Ueberlegenheit ein. Die Sache aber, um welche es am Ende ihm
ſelbſt ebenfalls nur zu thun iſt, wird durch obige Entwickelung an
Deutlichkeit und Feſtigkeit gewonnen haben.
Gegen die Beyſpiele, welche Dr.Schorn mir entgegenſtellt,
habe ich folgendes einzuwenden. Die Aegineten ſind, ihrer erſten
Beſtimmung nach, in Bezug auf Styl, aus dem Geſichtspunct des
Hochreliefs zu beurtheilen. Niobe und ihre Kinder, nach der geiſt-
vollen Hypotheſe Cockerells nicht minder; und obwohl ich nicht
glaube, daß die medizeiſchen Exemplare Originale und ſo alt ſind,
*)
als der Gebrauch altdoriſcher Tempelbaukunſt, ſo bin ich doch, erſt
ſeitdem ich ſie zum erſten Male als eingeordnet in einen gegebenen
Raum gedacht, mit dem Zwange ihrer Stellungen verſoͤhnt wor-
den. Der herrliche Discobol des Vaticans (an ſich ſelbſt ein Aus-
nahmefall) uͤberſchreitet uͤbrigens auch in ſeiner Bewegung (ohne
welche er uͤberhaupt nicht denkbar waͤre) nirgend dasjenige Gleich-
gewicht, jene aͤußerlichſte Symmetrie, welche mir fuͤr Bedingung
wohlgefaͤlliger Erſcheinung plaſtiſcher Darſtellungen gilt. Eben an
einer ſolchen Klippe, welche die Bildnerey des Alterthumes meiſt
vermieden, zeigt ſich die Ausbildung ihres Stylſinnes in ihrem
glaͤnzendſten Lichte. — In Gruppen, wie im Toro Farneſe, iſt aber
dieſe Qualitaͤt des Styles nicht in den einzelnen Geſtalten, die
ſie enthalten, ſondern in ihrer Zuſammenordnung, in der Geſammt-
geſtalt der Gruppe aufzuſuchen. — Wenn aber mein Gegner (in
dieſem einen Wortſinn) in ſeiner letzten Erklaͤrung die Beſorgniß
aͤußert, daß der Stylbegriff, den ich oben naͤher zu entwickeln ver-
ſucht, zur Manier und zum Conventionellen fuͤhren moͤchte, ſo
entſtehet ſolche unſtreitig nur daher, daß ich mich fruͤher nur ge-
legentlich und nicht vollſtaͤndig genug ausgeſprochen. Und vielleicht
wird auch obige Entwickelung nur denen genuͤgen, welche ihre Maͤn-
gel und Auslaſſungen aus eigener Kunde ſich ergaͤnzen koͤnnen. Von
verſchiedenen Seiten, und namentlich durch Hrn. Dr.Schorn,
wird meinem kuͤnſtleriſchen Stylbegriffe der rhetoriſche entgegenge-
ſetzt. Ich habe bereits gezeigt, daß der kuͤnſtleriſche Stylbegriff
aus einem andern, obwohl verwandten Grundbilde entſtanden iſt,
als der rhetoriſche; uͤberdieß wird dieſer letzte wohl ſo leicht mit
*)
meinem Stylbegriffe auszugleichen ſeyn, als mit anderen. Denn
verſteht man in der Sprache und Schrift den Styl uͤberhaupt, wie
ich denke, als einen, wie immer durch Eigenthuͤmlichkeiten der
Perſoͤnlichkeit und aͤußeren Stellung abgeaͤnderten, doch nothwen-
dig allgemeinen Vorzug; ſo wird dieſer in nichts Anderem beſtehen
koͤnnen, als in der Gewandtheit, den Stoff der Darſtellung (hier
die Sprache) ſeiner inneren Beſtimmung gemaͤß zu behandeln, und
daher ihn ohne aͤußeren Mißſtand bequem dem jedesmaligen Zwecke
anzupaſſen. — Uebrigens ſcheint jener hoͤhere Stylbegriff, den Hr.
Dr.Schorn gegen mich zu behaupten ſtrebt, die Begriffe: Rich-
tung, Eigenthuͤmlichkeit, Handhabung (Gewoͤhnung, Manier) ge-
meinſchaftlich zu umfaſſen; und es duͤrfte in Frage ſtehen, wie ich
bereits erinnert habe, ob dieſe ſo hoͤchſt verſchiedenartigen Begriffe
mit Fug und Nutzen einander coordinirt werden koͤnnen. — Und
wenn ich einraͤumen muß, daß der Styl in Kunſtwerken immer
in Begleitung von Eigenthuͤmlichkeiten der Zeit, der Nationalitaͤt,
der Perſon, an das Licht tritt, daß man daher, bey geringerer
Schaͤrfe der Unterſcheidung, leicht darauf verfallen mußte, Styl
und Eigenthuͤmlichkeit aller Art in eins zu faſſen; ſo kommt mir
doch ſogar hierin der Umſtand zu Huͤlfe, daß kein deutſcher Kunſt-
gelehrte jemals Neigung gezeigt, die nackte, vom Styl in meinem
Sinne entbloͤßte Eigenthuͤmlichkeit (z. B. des ſo ehrenwerthen
Rembrandt) einen Styl zu nennen. Alſo liegt ſelbſt denen,
welche von eigenthuͤmlichen Stylen reden, doch immer der eine,
allgemeine Stylbegriff, obwohl minder deutlich, im Hintergrunde
des Bewußtſeyns.
*)
Wie ſogar die Titel (de l’imitation, u. a.) mancher Kunſt-
ſchriften andeuten, und wie die Entwickelungen der uͤbrigen zeigen,
laſſen auch ſolche Kunſtgelehrte, welche mit den Kunſtformen weit
uͤber die natuͤrlichen hinauswollen, den Kuͤnſtler gewoͤhnlich mit
ſtumpfſinnig („ohne Wahl“) unternommener Nachahmung des
ſinnlich Vorliegenden beginnen, und allgemach nur von dieſer Nach-
ahmung ſich zu dem erheben, was man Idealformen und Bildun-
gen nennt.
Boͤttiger, a. a. O., S. 67., behauptet: daß ohne die Sitte
der beiden claſſiſchen Voͤlker, das Haupt (meiſt?) unbedeckt zu
tragen, nie eine Idealform zum Vorſchein gekommen
waͤre.
Nicht aus der Idee, ſondern aus dem Eindruck des ſinn-
lich Vorliegenden entwickelte ſich demnach, nach den Anſichten die-
ſes Gelehrten, was ihm Idealform heißt. — Daß ein geheimer
Zug des Geiſtes, etwa was man Idee nennt, den Kuͤnſtler mit
verwandten Naturgeſtaltungen verbinde; daß er in dieſen ganz all-
*)
Die Worte: gemeine Natur, Beſchraͤnktheit der
Natur,
und aͤhnliche, ſind in der aͤſthetiſchen Literatur ſo gaͤng
und gebe, daß ich durch Anfuͤhrung des Einen, den Anderen zu
betheiligen fuͤrchte.
*)
gemach ſein eigenes Wollen immer deutlicher erkenne, durch dieſe
daſſelbe auszudruͤcken erfaͤhigt werde; ſcheint bis dahin nur Weni-
gen deutlich zu ſeyn. Ich habe bereits angemerkt, daß Fortſchritte
in der Meiſterſchaft in dieſem Verhaͤltniß nichts veraͤndere, wohl
den Meiſter aufwaͤrts ruͤcke, doch die Natur ſelbſt nicht herabſetze.
*)
Fernow, den uͤberhaupt Offenheit und naive Zuverſicht aus-
zeichnet, der uns mithin die Anſichten moderner Kunſtgelehrten
meiſt in wuͤnſchenswerther Nacktheit und Deutlichkeit ausſpricht,
ſagt (Leben des Maler Carſtens. S. 299.): „Das Ideal iſt in
beiden bildenden Kuͤnſten weſentlich daſſelbe; aber in jeder hat es
ſeinen eigenen Charakter. Der Bildner findet das ſeine in
der Antike; den Maler weiſet Raphael darauf (auf die
Antike) hin.“
**)
Nur in Beziehung auf dieſen Weg der Geſchmacksbildung
gilt (Goͤthe aus meinem Leben Bd. II. S. 248.): daß die An-
ſchauung eine verhaͤltnißmaͤßige Bildung erfordere, der Begriff
hingegen nur Empfaͤnglichkeit wolle, den Inhalt mitbringe und
ſelbſt das Werkzeug der Bildung ſey. An ſich ſelbſt iſt offenbar
die Anſchauung das Urſpruͤngliche, der Begriff das Geſchichtliche;
erfordert Anſchauung, wenn ſie auch der Uebung und Schaͤrfung
faͤhig iſt, nur offenen, unbefangenen Sinn, der Begriff aber unter
allen Umſtaͤnden den mannichfaltigſten Austauſch, die endloſeſten
Vereinbarungen der Menſchen unter ſich.
*)
Winckelmann und ſein Jahrh. S. 281. — „Weil es
ſich aber darthun laͤßt, daß die ſchoͤnen Formen nicht der Haupt-
zweck
der griechiſchen Kunſt waren, ſondern ſie ſich nur aus dem
Geiſte derſelben entwickelten, als nothwendige Mittel zum Aus-
druck ſchoͤner Gedanken.“ Weshalb ſteht dieſe der Sache nach ſo
richtige Bemerkung, ſtatt wie hier nur eingeſchaltet und gleichſam
entglitten zu ſeyn, nicht lieber an der Spitze irgend einer Kunſt-
lebre? — Wuͤrde ſie nicht mit Conſequenz angewendet, die ganze
Lehre von aͤußerlicher Aneignung antiker Kunſtformen umwerfen?
**)
Gleich jenen, welche Leſſing Laokoon, §. 2. aus einer
Stelle Aelians hervordeutet, var. hist. lib. IV. c. 4., wo es heißt:
ἀκούω κεῖσϑαι νόμον Θήβησι πϱοςτάττοντα τοῖς τεχνίταις, καὶ τοῖς
γϱαφικοῖς, καὶ τοῖς πλαστικοῖς, εἰς τὸ κϱεῖττον τὰς ἐικόνας μιμεῖς-
ϑαι· ἀπειλεῖ δε ὸ νόμος τοῖς εἰς τὸ χεῖϱον ποτὲ, ἢ πλάσασιν, ἢ
γϱάψασι, ζημίαν τὸ τίμημα δϱᾶν. — Leſſing erklaͤrt dieſe
**)
Stelle, welche, weil ſie in der That mancherley Deutungen zulaͤßt,
auch hoͤchſt verſchieden gedeutet worden, mit groͤßter Zuverſicht fuͤr
ein Geſetz gegen die Karikatur, und wir duͤrfen ihm Gluͤck wuͤn-
ſchen, daß er mit ſo wenig Beſchwerde uͤber einen ſo kitzlichen
Fall ſich hinweggeſetzt. Gewiß lag die Karikatur in der modernen
moraliſirenden, oder politiſirenden Richtung durchhin außer dem
Wege der alten Kuͤnſtler; in einem anderen Sinne kannten und
nutzten ſie die Uebertreibung als einen wichtigen Kunſtvortheil,
vorausſetzlich in den Haͤnden des Meiſters; dieſe in den gehoͤrigen
Schranken zu halten, waͤre denn, wenn anders Leſſing die Stelle
recht gedeutet haͤtte, der Zweck jenes Geſetzes. Indeß will ich An-
deren uͤberlaſſen, auszumachen, zunaͤchſt, ob das Fact. auf dieſe
Autoritaͤt ſo unbedingt anzunehmen ſey; dann: welche Worte etwa
dem Geſetze ſelbſt, welche dem Schriftſteller angehoͤren; was end-
lich das vieldeutige: εἰς τὸ κϱε̃ιττον τὰς εἰκόνας μιμεῖσϑαι, an die-
ſer Stelle ſagen wolle. Das Gebot gute Arbeit zu liefern, findet
ſich in den Statuten auch neuerer Malerzuͤnfte, woher es dem Ju-
nius nicht ſo fern lag, zu verſtehen, daß jenes Geſetz gegen die
Stuͤmper gerichtet ſey, was Leſſing rund verwirft, ohne Gruͤnde
zu geben. Da er glaubte, daß man die Hervorbringung des Schoͤ-
nen durch Gruͤnde befoͤrdern koͤnne, ſo lag es ihm nahe, auch die-
ſes anzunehmen, daß man es durch Geſetze verordnen koͤnne. —
Zwar enthaͤlt jene Stelle Aelians keine Angabe, aus welcher die
*)
Indem ich hier vorſchlage, die Kunſt des claſſiſchen Alter-
thumes auch einmal nach der jedesmal vorwaltenden Lebensanſicht,
oder allgemeinen Stimmung des Gemuͤthes abzutheilen, glaube ich
keinesweges die Unterſcheidung von verſchiedenen Stufen der Ent-
wickelung aͤußerer Kunſtfertigkeiten uͤberfluͤſſig zu machen, in wel-
cher Hr. Hofr. H. Meyer (Geſch. der bild. K. bey den Griechen
u. a. a. St.) ausgezeichneten Scharfſinn bewieſen hat; noch die
mancherley Richtungen des Sinnes auszuſchließen, welche unſere
aͤſthetiſchen Archaͤologen mit jenen gemeinſchaftlich aufzufaſſen und,
Style, zu benennen pflegen. — Doch fuͤrchte ich, daß jene nicht
ſelten ſehr feinen Unterſcheidungen der aͤußerlichen Merkmale der
verſchiedenen Zeiten und Schulen der Kunſt bisweilen irre leiten
**)
Zeit beſtimmt werden koͤnnte, da das Geſetz gegeben worden. Doch
in Erwaͤgung der mannichfaltigen und gewaltſamen Veraͤnderungen
in der Geſetzgebung griechiſcher Staaten vom Anbeginn des pelo-
ponneſiſchen Krieges, das mazedoniſche Zeitalter und die Herrſchaft
der Roͤmer hindurch bis auf das Zeitalter dieſes Schriftſtellers,
duͤrfte man ſich geneigt fuͤhlen, in dieſem Geſetze eine Verordnung
ſpaͤter (aelianiſcher) Zeit zu ſuchen, die ohnehin laͤngſt ſchon nicht
mehr productiv war. Dazu ſpricht er von Theben, welches in der
Kunſtgeſchichte nicht eben hervorleuchtet; wie endlich Leſſings
Auslegung nicht wohl mit den Anſichten auszugleichen iſt, welche
Plutarch, dem neben Aelian wohl ebenfalls eine Stimme gebuͤhrt
(de audiendis poetis; opp. ed. Reisk. Vol. VI. p. 62. sq.), auf-
geſtellt.
*)
koͤnnten, weil bekanntlich in der Bildnerey die taͤuſchendſte Nach-
ahmung, oder Nachbildung des bloß Formellen ſtatt findet. Da-
hingegen ſcheint es, daß der Aufdruck des Geiſtes einzelner Kuͤnſt-
ler und ganzer Genoſſenſchaften nimmer irre leiten koͤnne, mithin
bey hiſtoriſchen, wie bey aͤſthetiſchen Forſchungen ſtets das ſicherſte
Kennzeichen abgeben muͤſſe.
*)
S. Jacobs, uͤber den Reichthum der Griechen an plaſti-
ſchen Kunſtwerken etc., vornehmlich S. 66. f. — Ueber den phan-
taſtiſchen Glanz griechiſch-macedoniſcher Kunſt wird an dieſer
Stelle mit einſeitig republikaniſcher Strenge der Stab gebrochen;
Niemand indeß hat wohl in der Entwickelung der altgriechiſchen
Kunſt aus dem eigenthuͤmlichen Lebensgeiſte des Volkes tiefe Ge-
lehrſamkeit beſſer und gluͤcklicher mit Helligkeit der Anſchauung
verbunden, als in dieſer Schrift geſchehen, deren Darſtellung ein
vollendetes Bild iſt. — Der Werth mechaniſcher Nachbildungen,
welche Herder zu hoch geſtellt, indem er ſie eine gluͤckliche
Tradition der Kunſt
nennt, wird hier gehoͤrig bedingt. Im
Alterthume dienten ſolche Werke des mechaniſchen Geſchickes mehr
dem Beduͤrfniß, als dem Kunſtſinn; obwohl ſie fuͤr uns etwa den
Werth haben, als Ueberſetzungen und Auszuͤge verlorener Schrift-
ſteller. Gegen obige Zeile Herders iſt uͤberhaupt manches einzu-
wenden. Tradition, Ueberlieferung, verſteht ſich von lebendiger
Mittheilung, welche noͤthig ſeyn kann, um Richtungen des Geiſtes
*)
ep. 88.
*)
und techniſche Kunſtvortheile fortzupflanzen, doch eben nicht, um
zum Copiren zu veranlaſſen. Der Copiſt regnet uͤberall in die Welt,
wie ein Meteorſtein. Nur wo alle wirkliche Tradition abgeriſſen
worden, wie in den neueſten Zeiten, wie in Bezug auf eingenthuͤm-
lich Griechiſches, wahrſcheinlich auch zu Rom unter den Caͤſarn
(denen eine der Kunſt verderbliche Epoche voranging, welche bis
jetzt nicht hinreichend unterſucht worden) verfaͤllt die Geiſtesar-
muth auf ſtumpfſinniges Nachbilden vorhandener Kunſtwerke. Die
Gelehrten indeß ſehen die Kunſt im Ganzen nicht genug auf die
Kunſt an; es genuͤgt ihnen, auf Ideen zu ſtoßen, welche ihnen be-
reits durch Vermittelung des Begriffes befreundet ſind; das Leben,
welches vom Kuͤnſtler ausſtroͤmt, iſt ihnen gleichguͤltiger, daher die
Copie minder verhaßt, als dem Kunſtfreunde. Aber auch darin
ſcheint Herder fehl zu greifen, daß er das eigenthuͤmliche Leben
der macedoniſch- und roͤmiſch-griechiſchen Kunſt ganz uͤberſpringt.
*)
Vergl. Winckelmann und ſein Jahrh. S. 281., wo ein
abgeſchloſſenes Syſtem ſich inſtinctmaͤßig gegen eine Neuerung auf-
lehnt, welche ihm allerdings verderblich werden koͤnnte.
*)
So nennt Winckelmann den einzigen ſeiner Idee ganz
entſprechenden Faun, den barberiniſchen, gegenwaͤrtig zu Muͤnchen,
eine der vornehmſten Zierden der unvergleichlichen Antikenſamm-
lung S. M. des Koͤnigs Ludewig von Bayern, an mehr als ei-
ner Stelle: eine Nachbildung der gemeinen Natur. Was
konnte ihn dazu veranlaſſen, wenn nicht etwa jener Lebenshauch,
den minder befangene Formen-Idealiſten, die neueren Herausg.
Winckelmanns (Anm. 203 zum Buch V. der K. G.) eben ſo
meiſterlich, als ſinnig geſchildert haben. „Wie er ermuͤdet, ſagen
ſie, der Ruhe hingegeben daliegt, wie alle Sehnen der Glieder los-
geſtrickt ſind, iſt unverbeſſerlich, ja unnachahmlich ausgedruͤckt.
Man glaubt ihn tief athmen zu hoͤren, zu ſehen, wie ihm der
Wein die Adern ſchwellt, die erregten Pulſe ſchlagen.“ — Doch
uͤbergehen ſie weislich, was daſſelbe Kunſtwerk als Darſtellung ſei-
ner Idee leiſtet. Es iſt ein Anderes, dem lebendigen, nothwendig
richtigen Sinne nachzugeben, ein Anderes, die Dinge in einen
im Voraus eingerichteten Zuſammenhang von Begriffen und Ge-
danken einzuzwaͤngen.
**)
Was innerhalb eines gewiſſen Kreiſes fuͤr das aͤußere
Merkmal der Idealitaͤt gilt, kennen wir nunmehr aus den Bil-
dern zur neuen Ausg. der Werke Winckelmanns. Dieſelben Kf.
erklaͤrten in einem Programm der Jen. Lit. Z. von zween zuſam-
mengeordneten Figuren, die eine, welcher die ſchon beruͤhrten roͤ-
miſchen Proportionen in auffallendem Maße eigen ſind, eben wegen
jenes zwecklos allgemeinen Schnittes der Formen, den ich den
roͤmiſchen Werkſtaͤtten beizumeſſen geneigt bin, fuͤr die goͤttliche
und ideale; die ſchoͤnere hingegen, welche griechiſche Verhaͤltniſſe
und eine gefuͤhlvolle Hand zeigt, fuͤr die minder goͤttliche und menſch-
liche. Es fragt ſich, ob die Verlaͤngerung des Unterleibes, welche
Winckelmann (K. G. Bch. V. Kap. 4. §. 2.) als ein Merkmal
antiker Formenideale bezeichnet, nicht ebenfalls aus roͤmiſchen
Standbildern entnommen iſt.
*)
In Fernows Schriften, in den Propylaͤen, und a. a. St.
*)
Und ſchon ungleich fruͤher vornehmlich auf die Italiener
eingewirkt. S. Petrarcae ep. fam. Lib. II. ep. XIX. (alter Aus-
gaben) und Ghiberti a. a. O.
**)
„Aber, ſagen die Herausg. Winckelmanns (Thl. IV.
Anm. 477.), wenn einſt die in den letzten funfzig bis ſechzig Jah-
ren entſtandenen Kunſtwerke aller Art unpartheyiſch betrachtet und
mit den fruͤheren verglichen werden; wird man alsdann unſerer
Zeit gegen jene (von Maratti bis auf Winkelmann) auch
den Vorzug geiſt- und gehaltvollerer Erfindung, belebterer Darſtel-
lungen, mehrerer Eigenthuͤmlichkeit und im ganzen herrſchender
Harmonie zugeſtehn? es iſt viel zu fuͤrchten.“ — Demnach duͤrfte
nach dieſen Zweifeln eifriger Beguͤnſtiger der Nachahmung antiker
Statuen das Ergebniß dieſer Nachahmung nicht einmal den Ver-
gleich mit der verwerflichſten Epoche moderner Kunſt ertragen
koͤnnen.
*)
Propylaͤen. Fernow, Leben Carſtens etc.
**)
Vergl. die ſchoͤne Stelle bey Sandrart, Teutſche Aka-
demie, Thl. I. Buch III. Kap. VII.
*)
In einer edleren, unſerm kuͤnſtleriſchen Denken verwand-
teren Bedeutung ſteht Phantaſie in den angef. Verſuchen des Hrn.
v. Humboldt.
*)
Dieſes auszudruͤcken iſt die eigenthuͤmliche Aufgabe der hoͤ-
heren Muſik; ſ. die gehaltvolle kleine Schrift: Ueber Reinheit der
Tonkunſt, Heidelb. 1825, wo auf Kochers Arbeiten hingewieſen
wird, welche mir nur aus muͤndlichen Andeutungen des Vf. bekannt
ſind. — Die verſchiedenen Formen, in denen das allgemeine Gei-
ſtesleben ſich offenbart und ausdruͤckt, ſind nicht der bloßen Man-
nichfaltigkeit willen vorhanden; ſie ergaͤnzen einander; ſie unter-
ſtuͤtzen ſich gegenſeitig; keine iſt ſo durchhin die Wiederholung und
Abſpiegelung der anderen.
*)
Mit großem Scharfſinn entwickelt Leſſing (Laokoon
§. 12.), weßhalb es nicht wohl anders ſeyn kann.
*)
Wie ein ſtrenger Chriſt, Hr. Tholuck, in Neanders
Denkwuͤrd. aus der Geſchichte des Chriſtenthumes Bd. I. 1823.
S. 74. ff., vornehmlich S. 81. f. zu fuͤrchten ſcheint, deſſen tief-
begruͤndete Einwendungen gegen bildliche Darſtellung menſchlicher
Vorſtellungen vom Goͤttlichen mir uͤbrigens in obiger Betrachtung
vorgeleuchtet haben.
*)
Vielen Kunſtfreunden, beſonders aber den Kunſthaͤndlern,
wird es erinnerlich ſeyn, wie, waͤhrend aͤſthetiſche Gemeinplaͤtze
und pedantiſche Geſchmackslehren den wirklichen Geſchmack meiſter-
ten und unterdruͤckten, nichts beſſere Handelswaare geweſen, als
Copien beliebter Kunſtwerke. Oberflaͤchliche Anregung gefaͤlliger
*)
Vorſtellungen genuͤgte denen, welche bey Ausſpruͤchen ſich befriedig-
ten, gleich jenem (Eberhard, Handbuch der Aeſthet. etc. Halle
1803.): die ſchoͤnen Kuͤnſte vergnuͤgen; Darſtellung der Schoͤnheit
iſt ihr Geſchaͤft und ihr Intereſſe nichts, als das Vergnuͤgen ih-
res Genuſſes u. ſ. w. — Als wenn Solches allein die bildenden
Kuͤnſte ſchon hinreichend bezeichnete, ſie von anderen Beſtrebungen
genuͤgend unterſchiede; als wenn es, den Boͤſen und ſeine Helfer
ausgenommen, irgend ein menſchliches Streben gaͤbe, welches gra-
dehin verletzen und quaͤlen, nicht lieber vergnuͤgen wollte! Oder
ſoll es heiſſen, die ſchoͤnen Kuͤnſte vergnuͤgen, ohne einen dauern-
den Eindruck zu hinterlaſſen, ohne in das geſammte[n] Leben wirkſam
einzugreifen, ohne, im beſten und edelſten Sinne, auch zu nuͤtzen?
*)
Was ihm ſeinerzeit mancherley mehr und minder begruͤn-
dete Ruͤgen zugezogen; ſ. Heinze (Deutſches Muſeum 1785. Bd.
II. S. 211.) uͤber Raphaels Heliodor.
**)
S. Laokoon, Vorrede und den Anhang zu den ſpaͤte-
ren Ausg.
***)
Gegen Wink. Verſuch uͤber die Allegorie, wie wir
nunmehr wiſſen, eine bloße Habilitationsſchrift; gegen die Haͤß-
lichkeit, welche ſich im achtzehnten Jahrh. der Kunſt, wie der Le-
bensſitte, bemaͤchtigt hatte; auf der anderen Seite nicht ohne den
Vorgang der Italiener, welche auch in den ſchlimmſten Zeiten dem
Grundſatz nach auf Schoͤnheit beſtanden, und in der Conſequenz
*)
Laokoon §. XVI.
***)
der damals ſchon auf die Kunſt angewendeten Gefuͤhlslehre, ſuchte
Leſſing, wie ich hier in Erinnerung bringe, hindurchzufuͤhren:
daß die bildenden Kuͤnſte nur Schoͤnes darſtellen ſollen.
*)
Schelling a. a. O.
*)
Kunſtgeſchichte Buch IV.
*)
Francis Bacon, Works etc. Lond. 1753. fo. Vol. III. Ser-
mones findeles XLI. de Pulchritudine. „In pulchritudine praefertur
venustas colori; et decorus ac gratiosus oris et corporis motus ipsi
venustati.“
Bey dieſem, gleich anderen derſelben Aphorismen, wie
im erſten Aufſteigen hingeworfenen Gedenken laͤßt die Unbeſtimmt-
heit des Ausdrucks manchem Zweifel Raum. Der engliſche Ueber-
ſetzer uͤbertraͤgt, venustas, in favour, Reiz, und haͤlt ſich dabey
mehr an das Etymon des lateiniſchen Wortes, als an den muth-
maßlichen Sinn ſeines Originales. Denn es iſt nicht denkbar, daß
Baco hier, den Reiz, der Farbe und der Anmuth entgegengeſetzt
habe, welche mit jenem eng verſchwiſtert ſind; ich glaube daher,
daß er damit eben ſolches bezeichnen wollen, was durch formositas
unuͤbertrefflich, gewiß in keiner Sprache [gleichdeckend] ausgedruͤckt
wird. Nach ſeiner ganzen Denkart verſtand er aber Anmuth der
Bewegung ſicherlich nicht einzig vom Liebreiz, oder vom bloß ſinn-
lich Gefaͤlligen, vielmehr vom Ethiſchen uͤberhaupt. Farbe aber
duͤrfte an dieſer Stelle die Veranlaſſungen eines rein ſinnlichen
Wohlgefallens am Schauen vertreten, mithin duͤrften darin alle
Elemente der nachfolgenden Darlegung enthalten ſeyn.
*)
Fr. v. Schiller, uͤber Anmuth und Wuͤrde, Horen, 1793.
Stuͤck II. und Werke 1820. 12. Bd. XVII. S. 165.
**)
Goͤthe, uͤber Kunſt u. Alt. 5. Bdes 1. Heft. S. 121. —
„Das nothwendige Vorwalten der Sinneswerkzeuge.“ —
*)
Chaerophyllum silvestre.
*)
Goͤthe, Wahlverwandtſch. Thl. I. S. 109. (Ausg. 1809.)
— „wenn der Smaragd durch ſeine herrliche Farbe dem Geſichte
wohlthut.“ —
*)
Leibnitii ep. (ed. Kortholt. Vol. 1. p. 241.) — „Musica
est exercitium arithmeticae occultum nescientis se numerare animi.“
*)
Bey Ausbildung ihrer philoſophiſchen Begriffe fand die la-
teiniſche Sprache in dem allgemeinen Vorbilde roͤmiſcher Geſittung,
der griechiſchen Nation, die Kunſt und den Kunſtſinn ſchon voͤllig
durchgebildet vor. Daher, denke ich, die gluͤckliche Ableitung und
daraus hervorgehende Schaͤrfe der Begriffe, formosus, formositas,
welche obige Entwickelung merklich unterſtuͤtzen.
**)
Sie wuͤnſchten ſie mit ſittlichem Werthe verbunden zu
ſehen, alſo war ihnen Schoͤnheit an ſich ſelbſt etwas Anderes, als
der Ausdruck, oder als der Charakter ſittlicher Guͤte. — Auch die
Behauptung: daß dem Barbaren daſſelbe ſchoͤn ſeyn muͤſſe, was
dem Griechen ſchoͤn war (Winckelmann K. G. Bch. 4. K. 2.),
deutet auf die Schoͤnheit des Ebenmaßes hin. Denn der bloß ſinn-
liche Eindruck des Formenſpieles, der Abwechslungen des Lichtes
und Dunkels, den die Griechen ebenfalls von der eigentlichen
Schoͤnheit unterſchieden (Winckelm. daſ. §. 19.), konnte ſchon
unter den Griechen ſelbſt nicht ganz derſelbe, mußte gewiß bey den
Barbaren ein ganz verſchiedener ſeyn. Die Auffaſſung der ſittlichen
Bedeutung der Formen ſetzt aber ſittliche Bildung voraus, welche
eben ein griechiſcher Denker nicht ſo durchhin dem Barbaren duͤrfte
beygemeſſen haben. Nehmen wir aber dieſe beiden Schoͤnheiten zu-
ruͤck, ſo bleibt nur die Schoͤnheit des Maßes uͤbrig, welche, nach
neueren Beobachtungen, allerdings ſelbſt auf den roheſten Barbaren
einzuwirken ſcheint (S. v. Spix und v. Martius Reiſe in Bra-
ſilien
. 1. Thl. Muͤnchen. 1823. 4. S. 259. und C. Ritter, Erdkunde,
*)
Heydenreich (aeſth. Woͤrterbuch etc. Bd. 4. S. 74.) un-
terſcheidet ein allgemeines Ideal ſchoͤner Form, was der Menſch a
priori
beſitze, von Idealen fuͤr beſtimmte Gattungen von Gegen-
ſtaͤnden (von den, in der vorangehenden Unterſuchung, angefuͤhr-
ten Verkoͤrperungen abſtracter Begriffe.) Dieſer allgemeine Ideal-
begriff iſt in Bezug auf die beſondere Schoͤnheit des Maßes und
der Verhaͤltniſſe einzuraͤumen; inſofern nemlich Ideal an dieſer
Stelle nicht ſowohl ein vollendetes, deutliches, ausgerundetes Ur-
bild, als vielmehr eine urſpruͤngliche Empfaͤnglichkeit, einen ein-
geborenen Sinn bedeuten ſollte; was allerdings in Frage ſteht.
**)
zweite Aufl. Thl. 1. S. 267.). Dagegen fand Burckhardt (Tra-
vels in Nubia p.
264) bey einem ſchoͤn gebildeten Stamme von
zweifelhafter Abkunft Widerwillen gegen die Weiſſen; die Farbe
ſchien ihnen krankhaft; alſo entſchied in dieſem Falle hoͤchſt wahr-
ſcheinlich nur dieſe; eben wie der malayiſchen Bemannung eines
oſtindiſchen Schiffes, welches im verfloſſenen Jahre in der Elbe
vor Anker lag, die hellen Nordteutſchen nach gar nichts ausſahen.
Schelling ſcheint alſo eine mehr chriſtliche, als antike An-
ſicht auszuſprechen, wo er (a. a. O. S. 373.) ſagt: „Dieſe Schoͤn-
heit, welche aus der vollkommenen Durchdringung ſittlicher Guͤte
und ſinnlicher Anmuth hervorgeht.“
*)
Laokoon, §. II. Dritte Aufl. S. 11.
**)
Carl Ritter, die Erdkunde etc., Thl. 1, zweyte Aufl.,
S. 75. „In der auf diefe Weiſe entſpringenden, unerſchoͤpflichen
Vielartigkeit des Waſſerlaufes liegt eine der wichtigſten Bedingun-
gen zur, dem Raume nach, allgemeinen Entwickelung der unorga-
niſirten Erdoberflaͤche zu derjenigen localiſirten Vielſeitigkeit und
Einheit, welche wir, in ihrem uͤberſchaulichen Zuſammenhange,
Landſchaft nennen, die immer und uͤberall einen geheimen Zauber
uͤber den Menſchen ausuͤben wird, der in ihrem Kreiſe ſich bewegt,
und uͤberhaupt die raͤumliche Baſis alles organiſchen Lebens iſt.“
So kommt uns unerwartet zugleich die Vertheidigung und Grund-
idee der Landſchaftsmalerey, wo wir deren am meiſten bedurften,
durch den beſten und wuͤrdigſten Vertreter ihrer Anſpruͤche.
*)
Τὸ καλλός, pulchritudo, Schoͤnheit, iſt die Eigenſchaft;
von metaphoriſchen Bedeutungen abgeſehen, τὸ καλὸν, pulcrum,
daß Schoͤne, eine unbeſtimmte Mehrheit von Dingen, denen die
Eigenſchaft der Schoͤnheit beywohnt. Einige Uebertragungen indeß
im griechiſchen Wortgebrauch, vielleicht auch nur der triviale Sinn
des franzoͤſiſchen Wortes beauté, welcher die aͤſthetiſchen Schrift-
ſteller dieſer Nation haͤufig veranlaßt, ſtatt jenes, le beau zu ſez-
zen, ſcheint auch unter uns die urſpruͤngliche Grenze beider Begriffe
mehr und mehr zu verwiſchen. Nichts deſtoweniger iſt ihre Unter-
ſcheidung nothwendig; nach den Geſetzen, nach dem Gebrauch un-
ſerer Sprache, wird aber Schoͤnheit nur eine Eigenſchaft, Schoͤnes
*)
nur ein Dingliches ſeyn koͤnnen, dem jene beywohnt. So iſt es
in allen analogen Faͤllen; Gewohnheit und Gewohntes, Klarheit
und Klares u. ſ. f. werden wir uͤberall nach demſelben Geſetze ein-
ander entgegenſetzen.
*)
§. II. Plut. de audiendis poetis. — οὐ γάϱ ἐστι τοὐτὸ, τὸ
καλὸν καὶ καλῶς τι μιμ῀εισϑαι ηκαλῶς γὰϱ ἐστὶ, τὸ πϱεπόντως καὶ
οἰκείως οὶκεῖα δέ καὶ πϱεπόντα τοῖς αἰσχϱοῖς τὰ αἰσχϱὰ. Der Geiſt,
in welchem die Dinge aufgefaßt worden, kommt hier, wie uͤber-
haupt in den Kunſtbemerkungen der Alten, kaum in Betrachtung.
Nur ſelten moͤchte, wo bei den Alten von Kunſtwerken die Rede
iſt, auf die geiſtige Thaͤtigkeit, welche den Kuͤnſtler dabey geleitet,
Ruͤckſicht genommen werden, wie in folgender Stelle des Plutarch
(Athenienses bellone an pace clariores p. 346): γέγϱαφε δὲ καὶ τὴν
έν Μαντινείᾳ πϱὸς Ἐπαμινώνδαν ἱππομαχιάν οὐκ ἀνενϑουσιάςως
Εὐφϱάνωϱ. Ganz anders verhaͤlt es ſich damit in den neueſten Zei-
ten, wo der Mangel an allem, oder doch an dem rechten Geiſte,
deſſen Beduͤrfniß in der Kunſt [fuͤhlbar] gemacht, und eben daher
den Begriff ſelbſt zu einiger Deutlichkeit des Bewußtſeyns erhoben
hat, [woraus] auf der anderen Seite uͤbertriebene Forderungen ent-
ſtanden ſind.
*)
Schelling a. a. O., S. 369. — „Zunaͤchſt zeigt ſich frei-
lich in dem Kunſtwerke die Seele des Kuͤnſtlers.“
*)
Cicognara (storia x. T. 1. c. VI), welcher dieſen Gegen-
ſtand, duͤrftig genug, nach Collectaneen, ohne eigene, oder doch
ohne deutliche Anſchauung, abhandelt, nimmt etwas zu rund an,
*)
daß man vor Conſtantin durchaus keine chriſtliche Bilder gemacht
habe. Bildniſſe heiliger Perſonen wurden nach den Gruͤnden, wel-
che ich unten geltend mache, ſicher ungleich fruͤher angefertigt;
hoͤchſt wahrſcheinlich nicht minder auch verdecktere Allegorien. Daß
man die Karte nicht offen aufzulegen wagte, war nach den Umſtaͤn-
den vorauszuſehen, und bedurfte nicht aus dem Lactantius, den
Cicognara hier anfuͤhrt, bewieſen zu werden. Vergl. Molani,
de hist. SS. imagg. x. Lib. 4. Lugd.
1619. Dieſe gehaltreiche Com-
pilation iſt freylich großentheils nur als Nachweiſung, und immer
mit Umſicht zu benutzen.
*)
Winckelm. u. ſ. Ih. S. 311. — „Wer nun alle die Ero-
*)
berungen geringſchaͤtzt, welche maͤchtiger Geiſter unſaͤgliches For-
ſchen und denkender Fleiß fuͤr das Gebiet der Kunſt gemacht —
kennt ihren wahren Geiſt, ihr beſſeres, weiter geſtecktes Ziel noch
nicht.“ — Von ſeinen Beziehungen abgeſondert, und ganz allge-
mein genommen, iſt dieſer Einwurf gewiß unwiderleglich.
*)
Winckelmann und andere Gelehrte, welche nach ihm die
Kunſtgeſchichte des claſſ. Alterthumes, oder deren einzelne Seiten
beſchrieben haben, legen ein großes Gewicht auf jene Gleichfoͤrmig-
*)
keit der Behandlung verwandter Aufgaben, welche in den beſten
Abſchnitten der alten Kunſt aus religioͤſem Eingehen in vorgebildete
Ideen, in ſpaͤteren indeß wohl nur aus platter Nachahmung her-
vorging. In juͤngeren Zeiten entſtand aus der Auffaſſung dieſer
Seite antiker Kunſt (die Uebergaͤnge habe ich ſelbſt erlebt) die An-
ſicht: daß der moderne Kuͤnſtler, um dem Alten weſentlich gleich
zu ſeyn, ebenfalls den Typus zu befolgen habe, den das Alterthum
ſeiner eigenen Richtung beſtimmten, laͤngſt ſchon ausgebildeten
Kunſtideen aufgedruͤckt. Gewiß war dieſe Anwendung, gegen welche
die Nachahmer des griechiſch Alterthuͤmlichen ſich verſchiedentlich
aufgelehnet, an ſich ſelbſt ganz folgerecht. Zweyerley indeß ſcheint
mir in den bisherigen Verſuchen, das Muſter des Alterthumes auf
dieſe Weiſe zu befolgen, nicht voͤllig richtig zu ſeyn und daher den
Erfolg aufzuhalten. Gleich vielen Kennern des claſſiſchen Alter-
thumes verwechſeln, wenn ich nicht irre, auch einige neuer Ge-
ſinnte ein bloß aͤußerliches Nachahmen mit dem nur allein frucht-
baren Eingehen in den Geiſt traditioneller Aufgaben; daher haͤufig
ein zu aͤußerliches, zu mechaniſches Nachbilden, welches mehr da-
hin fuͤhrt, den Beſchauer durch ungewohnte Foͤrmlichkeiten zu uͤber-
raſchen, als die Idee der Aufgabe deutlicher hervorzuheben. Zwey-
tens geht man offenbar nicht weit genug zuruͤck, und begnuͤgt ſich
das Mittelalter zu durchforſchen, in welchem jene aͤlteſten Typen
bereits durch die Eigenthuͤmlichkeiten neuerer Nationalſchulen ab-
geaͤndert und nicht mehr ſo rein vorhanden ſind, als ein ſo conſe-
quent-chriſtlicher Typolog ſie erſehnen wird, wie der Vf. einer
Abhandlung uͤber chriſtliche Ideale, im zweyten Jahrgange des Al-
manachs aus Rom.
*)
Bosio, Ant. Ro., Roma sotterranea, Roma 1632. fol. Die
Abbildungen dieſes Werkes, welche ein geſchickter Kupferſtecher,
Cherubin Alberti, verfertigt hat, ſind etwas gleichfoͤrmig, verbeſ-
ſern viele unfoͤrmliche Denkmale, waͤhrend ſie in ſchoͤneren, wie
im Sarcophag des Jun. [Baſſus], nicht das ganze Kunſtverdienſt ih-
res Vorbildes hervorheben.
*)
Dahin gehoͤren auch die Gegenuͤberſtellungen antiker und
bibliſcher Helden, z. B. des Theſeus und David, ſ. Ciampini,
vet. mon. Romae 1699. p
. 4.
**)
Abgebildet bei D’Agincourt hist. de l’Art, T. III. Peinture
Part. II. Pl. 28. fs
. Dieſe, wie andere Nachbildungen ueugriechi-
ſcher Miniaturen ſind in dieſem Werke meiſt nach den Originalen
gemacht, und ziemlich genau. Hingegen ſind die verkleinerten Nach-
bildungen, vornehmlich ſolche, welche aus Kupferwerken entlehnt
worden, durchhin unbrauchbar.
*)
Muͤnter, Dr. Fr., Sinnbilder und Kunſtvorſtellungen der
alten Chriſten, Altona 1825. 4. zwey Hefte. In dieſem Werke des
gelehrten Biſchofs werden ſolche, welche dieſen Zweig der Kunſtge-
ſchichte weiter ausbilden wollen, als hier meine Aufgabe iſt, einen
wichtigen Theil ihrer Lit. verzeichnet finden.
*)
Ich habe fruͤher im Kunſtblatte 1821, Nr. 12, angedeutet,
daß ſie von dem Verzeichniß der Praͤfecten bey Almeloveen (Fasti
Consulares, Amstel
. 1740. 8. vergl. Jac. Gothofred.Chronol. cod.
Theodos. ad. a. Chr
. 359) um ein Geringes abweicht. — In Be-
zug auf die gute Arbeit gewaͤhren vornehmlich die Diptycha man-
ches Gegenſtuͤck, wie jenes der barberiniſchen Bibliothek, welches,
nach den Muͤnzen, Conſtantius II. beygemeſſen wird, wo das Bild-
niß zu Pferde gewiß ſehr ſchaͤtzbare Arbeit zeigt. Vergleiche Gori,
Thes. vet. Diptych
. und andere vereinzelte Abbildungen von Denk-
malen derſ. Art und Beſtimmung. Die ſchaͤtzbare Sammlung von
Denkmalen dieſ. Art, welche der Abbé[Triulzi] zu Mayland ver-
einigt hatte, werde ich ſpaͤter beruͤhren. Hier, wie in anderen
Sammlungen, und ſelbſt bey Gori, werden nur zu haͤufig die klei-
nen Altartafeln des dunkleren Mittelalters, ſogar Bruchſtuͤcke von
Reliquiarien, mit den Diptychen der letzten Jahrh. des roͤm. Rei-
ches durcheinander geworfen.
*)
Vor einigen Jahren habe ich uͤber die bildneriſche Behand-
lung dieſer Statue nachſtehende Bemerkungen aufgezeichnet:
Sie iſt vom halben Schenkel abwaͤrts reſtaurirt, eben ſo beide
Arme, mit Ausnahme der linken Hand, und am Kopfe die Kno-
chenwoͤlbung uͤber dem rechten Auge, die Naſe, ein Theil der Lip-
pen und das Kinn.
Die Augen ſtehen nicht gleich; demungeachtet iſt die Form der
antiken Theile nicht unſchoͤn, der Ausdruck liebenswerth, auch in
Hals und Bruſt einige Ausbildung der Theile.
Die Falten der Tunica haben einzelne ſehr gute Parthieen; im
Ganzen iſt ihre Behandlung antik, nur nicht alles gleich gut ent-
wickelt. Die Tunica iſt um die Huͤften aufgebunden.
Das Haar iſt durch tief eingebohrte Loͤcher ausgedruͤckt, die
Wolle am Schaafe etwas gezwungener, doch aͤhnlich behandelt.
*)
Ueber die Menge und Groͤße ſolcher Unternehmungen waͤh-
rend des fuͤnften und ſechsten Jahrhunderts ertheilen uns verſchie-
dene Schriftſteller derſelben, oder doch nur um wenig ſpaͤteren Zeit
ziemlich umſtaͤndliche Nachrichten. Procop. de aedif. Justiniani.
Venet. 1729; Agnelli, liber pontificalis (To. II scriptt. rer. Ital.).
P. 1; Anast. bibl. ib. To. III.
durchhin. — Sogar im mittleren
Frankreich ward nach Einwanderung der Weſtgothen und Burgun-
dionen noch immer manche praͤchtige Baſilika erbaut; ſ. Gregor.
Tur. hist. Franc. (To. I. scriptt. h. Franc. op. Du Chesne) lib. II.
No. XIV — XVI
. — Ueberall aber, hier wie dort, werden muſivi-
ſche Wandverzierungen angefuͤhrt, welche, wenigſtens in Italien,
*)
So in einem der beſten muſiviſchen Gemaͤlde der roͤmiſchen
*)
an vielen Stellen ſich erhalten haben. Die aͤlteſten unterſcheiden
ſich durch groͤßere Annaͤherung an Foͤrmlichkeiten der claſſiſchen
Kunſt. So zu Rom in S. Maria maggiore die freilich ſehr be-
ſchaͤdigten Muſive des Mittelſchiffes uͤber den Saͤulen; und [das]
halb verſenkte, doch wohl etwas neuere, der Tribune von S. Pu-
dentiana. Waͤren die Muſive des großen Bogens der jetzt abge-
brannten Paulskirche zu Rom nicht, wie aus Ciampini’s aͤlte-
ren Abbildungen zu erſehen, ſehr ſtark reſtaurirt, ſo wuͤrden wir
ſchließen muͤſſen, daß dieſe Kunſt, wenigſtens zu Rom, um Theo-
doſius des Großen
Zeit zuruͤck geſchritten ſey, ſpaͤter ſich wiederum
gehoben habe.
*)
Wahrſcheinlicher ward dieß Werk von FelixIII, geſt. 530,
angeordnet. S. Ciampini vet. mon. P. II. ed. Ro. 1699. p. 56.
*)
Kirchen, in der Tribune von S. Coſimo und Damiano, wo Chri-
ſtus und die Apoſtel in antiker, ein ſpaͤterer Seeliger, deſſen Na-
me im Felde angemerkt iſt, in Stiefeln und etwas neuerer Klei-
dung erſcheint.
*)
Osservazioni sopra alcuni frammenti di vasi antichi di vetro
ornati di figure, trovati né cimister di Roma. Firenze
1716. 4.
Der groͤßte Theil der oben bezeichneten Buͤcher iſt uͤberall bekannt.
Die Topographie von Ravenna, welche am Agnellus eine wich-
tige Quelle beſitzt, und nach ihm ſchon von Rubeus und Fabri
bearbeitet worden, hat noch im achtzehnten Jahrh. große Nachhuͤlfe
erhalten. — Molanus wird durch Ayala, pictor. Christ. erudi-
tus
unterſtuͤtzt, und wenn beide nur als Vorarbeit genuͤgen koͤnnen,
ſo giebt Kopp, Ulrich Friedr., Bilder und Schriften der Vorzeit,
Mannheim 1819. 8., ein Buch, welches ich leider nur aus einer
guͤnſtigen Beurtheilung kenne, wahrſcheinlich die noͤthige Aushuͤlfe.
*)
Nach den venez. Hiſtorikern und Topographen ward die
Markuskirche ziemlich ſpaͤt gegruͤndet (zur Zeit der fraͤnkiſchen
Groͤße, glaube ich zu entſinnen), und ich bezweifle nicht, daß ihre
Angabe in Bezug auf die Gruͤndung einer Markuskirche ihre
Richtigkeit hat. Venedig hatte aber ſchon ungleich fruͤher Bedeu-
tung (Daruͤ aus Caſſiodor; Muratori, Ant. It. Diss. 2.), und
die Stelle der jetzigen Markuskirche konnte, bey großer Beſchraͤnkt-
heit des Raumes, ſchon die Stelle einer aͤlteren Hauptkirche des
Rialto geweſen ſeyn. So daß jener gewiß nicht ſpeciell beurkun-
dete Fall meine auf deutlichen Zeichen begruͤndete Vermuthung ei-
nes hoͤheren Alters jenes Umgangs nicht aufhebt.
*)
S. Ammian uͤber die Verwaltung unter Valentinian und
uͤber den Einbruch der Gothen in Thracien und in die angrenzen-
den Provinzen. Dieſe Ereigniſſe waren indeß nur das Vorſpiel je-
nes allgemeinen Verderbens, welches erſt im fuͤnften und ſechsten
Jahrhundert eintrat.
*)
Milizia (stor. degli architetti) hat einige Namen geſam-
melt. Man deutet auch einige Monogramme an Gebaͤudetheilen
auf Kuͤnſtlernamen (Commentatoren des Agnellus). Wenn ich
mich recht entſinne, finden ſich bey einigen Vaͤtern Kuͤnſtlernamen.
*)
Wie wenig Conſtantinopel noch gegen Ende des vierten Jahr-
hunderts den Vergleich mit dem alten Rom aushielt, lehrt bey
Ammian, das Erſtaunen Conſtantius II. — Die lateiniſche Epi-
graphe der Muͤnzen von Conſtantinopel, der Kaiſermuͤnzen uͤber-
haupt, verliert ſich erſt im ſiebenten Jahrhundert (ſ. Eckhel
doctr. num
.). — Lateiniſche Rechtsſchriften und Geſetzbuͤcher unter
Theodoſ. u. Juſtinian, welche bekanntlich nicht fuͤr Italien, ſon-
dern fuͤr das geſammte Reich angeordnet worden.
*)
S. Muratori, autt. Ital. Diss. I.; Tiraboschi, sto. della
lett. It. To. V
. — Gibbon jedoch, dem die griechiſchen Quellen
zugaͤnglicher waren, der uͤber Geſchmack und Sitte nicht, wie jene,
durch den hoͤfiſchen Caſſiodor geblendet wurde, faßte anderer-
ſeits, als Britte, den militaͤriſch-politiſchen Geiſt der Verwaltung
Theodorichs ungleich ſchaͤrfer ins Auge. Vgl. unſeres Sarto-
rius
Preisſchrift.
**)
De bello Goth. lib. V. cap. VII.
***)
Dieſen wurde, obwohl ſparſam, doch immer auch noch
*)
Agnell. lib. pont. vita Petri sen. cap. 2. (ap. Murat, scriptt.
To. II. p
. 123). In der Beſchreibung der Statue folgte Agnel-
lus
ſchon entlegenen Erinnerungen, und giebt vielleicht eben daher
manche Beywerke an, die in Statuen nicht wohl ſtatt finden koͤn-
nen. — Bacchini, not. adAgn. macht aus der einen Statue ver-
ſchiedene. Zirardini, degli Edifizi profani di Ravenna, Faenza
1762. 8. p
. 109. hat aufmerkſamer geleſen.
***)
ſpaͤterhin manches Ehrenbild in Marmor oder Metall errichtet.
S. die Auszuͤge aus den Quellen bey Banduri, in Heyne, se-
rioris artis opp. sub Impp. Byz. sect. I. (comm. soc, reg. scient.
Goetting. vol. XI
.)
*)
Tirab. sto. della lett. It. To. c. lib. I. c. VII. §. 8. — tutta
composta di sassolini minuti ed a varj colori, intrecciati ed uniti
insieme
. — Verſchiedene haben dieſe Albernheit dem Tiraboſchi
ungepruͤft nachgeſchrieben.
**)
Procop. de bello Goth. lib. I. c. 24, wo der griechiſche
Text der venez. Ausg.: Ταύτῃ τε ἅπασα ἐκ τοῦ τοίχου ἐξίτηλος ἡ
ἐικὼν γέγονεν; die lateiniſche, dort und auch bey Muratori, scriptt.
To. I. P. 1
, abgedruckte Verſion: „itaque de pariete effigies pror-
sus abolevit
.“
***)
Agnell. l. c. „Ticinum, quae civitas Papia dicitur, ubi
Theodoricus palatium struxit, et eius imaginem sedentem super
equum in Tribunalis cameris Tessellis ornatis bene conspexi
. —
Bacchini macht eben dieſes offenbar muſiv. Bild zu einer zweyten
Statue. — Daſ. geht Agnellus unmittelbar nachher auf Ra-
venna
uͤber, und beſchreibt ein zweytes muſiviſches Bild Theodo-
richs
auf der Flaͤche des Giebelfeldes, deſſen Gipfel jene Ritter-
ſtatue zierte, welche wir nicht mit dem allegoriſchen Gemaͤlde des
Feldes verwechſeln werden.
*)
S. Agn., l. c. vita S. Felicis; obwohl die damaligen Leiden
der Revennaten dem ganzen Reiche gemein waren (vergl. die ent-
ſprechenden byzant. Geſchichtſchreiber, oder Gibbon, Kap. XLVIII,
und Schloſſer, bilderſtuͤrm. Kaiſer etc. S. 115 f.), ſo waren doch
die Abgeordneten Juſtinians II. genoͤthigt, in Ravenna ſich der Liſt
zu bedienen, weil Gegenwehr denkbar und moͤglich war. Vergleiche
denſ. vita Johannis, cap. 2, wo die Feindſeligkeit gegen griechiſche
Abgeordnete thaͤtlich wird; doch liegt hier (ſ. Bacchini observ.
V
.) die Vermuthung nahe, daß die Ravennaten einen Ueberfall der
Bilderſtuͤrmer abgewieſen. Vgl. die endloſen Beſchwerden der Roͤ-
*)
S. Savigny, Geſchichte des roͤmiſchen Rechts, a. ſ. St.
**)
S. Agnell. l. c. vita S. Ecclesii, I. und den Commentar des
Bacchini, obs. I et II. — Abbildungen der Muſive an mehr als
einer Stelle, doch durchhin ungenau.
***)
S. Agnell. l. c. vom Leben des heil. Urſus bis gegen
Ende des ſechsten Jahrhunderts, wo im Leben des heil. Marinia-
nus
, und in den nachfolgenden, die fruͤher faſt ununterbrochene
Reihe kunſthiſt. Notizen in ſeltene und wenig bedeutende Nachrich-
ten auslaͤuft. Auch bey Anaſtaſius mindern ſich gleichzeitig die
*)
mer in dem Leben der Paͤpſte, in deren Briefen; oder Gibbon
durchhin; beſſer: Schloſſer, a. a. O.
*)
Leges Rotharis (LL. Long.) 288. Si quis de lignamine adu-
nato in curte aut in platea ad casam faciendam lignum furatus fue-
rit, componat sol. VI. cf. c
. 287. 290. 308. — Vergl. K. G. An-
ton
, Geſchichte der teutſchen Landwirthſch. Th. 1. Goͤrlitz 1799.
S. 86 ff. (Gebaͤude) S. 95. (Ackerbau).
**)
Zu Verona, ſ. Maffei Ver. ill.; auch zu Chiuſi, welches,
wie Siena, im fruͤheren MA. ein offener Flecken war, mit einigen
Burgen zur Schutzwehr und Zuflucht. — Tiraboschi, stor. lett.
To. V. lib. II. c. 1. §. V. ff
., ſucht gegen Muratori darzulegen,
daß die Longobarden Italien nicht eben begluͤckt haben; zu dieſem
Zwecke vereinigt er bis §. X. eine Menge Beweisſtellen, welche al-
lerdings von großem Ungluͤck zeugen, doch nicht eigentlich widerle-
***)
Nachrichten von Stiftungen der Paͤpſte. Die Bedraͤngniſſe beider
Hauptſtaͤdte des weſtlichen Reiches begannen eben damals zur Zeit
Gregor des Großen (ep. Gr. M. lib. 2. ep. 32.).
*)
Paul. Diac. de gestis Long. lib. 11. c. 27.
**)
Agnell. l. c. vita Petri Sen. c. 2.
***)
S. Paul. Diac. lib. IV. cap. 22. 23; lib. V. c. 33. 34.
36, 50; lib. VI. c
. 1. 17. 35. 58. Dieſe Angaben betreffen einzig die
koͤnigl. Reſidenzſtaͤtten, ſind nur gelegentliche Erwaͤhnungen, laſſen
mithin Raum fuͤr die Vermuthung, daß uͤberall ein Gleiches ſtatt
gefunden, was hie und da aus Urkunden und Inſchriften erweislich
iſt. Die Inſchrift zu Citta nuova bey Muratori (antt. It. Diss.
21); ein Bruchſtuͤck aus Koͤnig Cuniperts Zeit bey Bava (Diss.
istoriche, ragion
. 2) und die wichtigere bey Pizzetti (antt. Tos-
**)
gen, was Muratori aus ſeinem hiſtor. Standpunkt, der jenem
fehlte, behauptet hatte.
*)
Cod. dipl. Toscano. P. 1. Ser. c. cap. III. §. 7.
**)
S. Epp. Greg. M., deren viele an longob. Machthaber ge-
richtet ſind.
***)
cane T. 1. lib. 1. c. 13. p. 268), welche ein, unter Luitprand, zu
Chiuſi angefertigtes Ciborium beurkundet. Indeß enthaͤlt eine
zweyte, dem Anſehen nach ſpaͤtere, Inſchrift die Worte: cedat no-
vitati diruti antiquitas ligni
, welche Zweifel hervorrufen, ob nicht
die Altarverzierung der longob. Zeit in ſpaͤteren erneuert worden;
obwohl die aͤltere Inſchrift durch die Worte: pulcrius ecce micat
nitenti marmoris decus
, dieſen Zweifel wiederum aufzuheben ſcheint.
Unter allen Umſtaͤnden gehoͤrt dieſe Arbeit der Bauverzierung einer
Provinzialſtadt an; zu den uͤbrigen Inſchriften fehlen uns aber die
Werke, deren Zeitalter ſie bezeugten. — Auf einige die Baukunſt
betreffende Umſtaͤnde werde ich in der achten Abhandlung zuruͤckkommen.
*)
Bandini cat. bibl. Leop. Laur. T. 1. p. 701. cap. 1. Diss.
de insigni cod. Bibl. Amiatino
.
*)
A. a. O.
**)
S. die Abbildung bey Muratori (scriptt. T. I. P. I. ad
p. 460.
*)
Ciampini, vet. mon. Romae 1699. p. 4 sq. Er erwaͤhnt
eines aͤhnlichen Denkmals im Fußboden von S. Maria tras Te-
vere, prope sacrarii januam
, welches ich uͤberſehen, wenn es noch
vorhanden iſt.
**)
Annali d’Italia, ad a. 650, denen Tiraboſchi (sto. c. T.
V.
) gar unbedingt nachfolgt.
*)
Anast. l. c. vita Sergii II. (ap. Mur. scriptt. T. c. p. 229.
col. 2). — Nam et basilicam Beati Romani martyris, quae non
longe ab urbe foris porta salaria sita est, a fundamentis perfecit.
Quam etiam titulo SS. Silvestri et Martini Parrochiam esse decre-
vit
. — Hierauf gruͤndete ich oben die Vermuthung: daß zu Vene-
dig
ſchon vor der Ueberkunft der Reliquien des heil. Marcus an
der Stelle der gegenwaͤrtigen Kirche dieſes Heil. eine andere vor-
handen war.
*)
S. Disamina degli scritt. e Doc. risguardauti S. Rufino vesc.
e martire di Asisi. ib. 1797. 4. p. 171. s
.
**)
Ebendaſ. Die Vermuthung dieſes Localſcribenten iſt durchaus
unbegruͤndet, nur einer jener willkuͤhrlichen Griffe, in welche die
Geſchichtſchreiber leicht verfallen, wenn es Dinge angeht, die ihnen
minder wichtig ſcheinen.
***)
S. Fr. H. von der Hagen, Briefe in die Heimat,
Bd. II. S. 62.
*)
Ueber dieſe Arbeit bemerkte ich Folgendes an der Stelle:
„Sehr beſchaͤdigt; vieles ſogar nur durch Malerey wieder hergeſtellt
In der Mitte eine weibliche Figur in fremdartiger, faſt byzantini-
ſcher Bekleidung, welche im Ganzen minder gelitten hat. Ihr Ant-
litz iſt ſehr einfach behandelt; die Grundfarbe hell; einige Linien
darin, die Zuͤge zu bezeichnen, zwey braune Flecken auf der Wange.
Dieſer rohen Behandlung ungeachtet ein gewiſſer Ausdruck von
Gutmuͤthigkeit und Annaͤherung an Schoͤnheit der Bildung.“
*)
S. Paul. Diac. de gestis Long. lib. V. c. 31. und Ana-
stas
. bibl. de vitis pont. v. Doni.
Beide erwaͤhnen dieſer nuͤtzli-
chen Vorrichtung mit einem Pomp, der vermuthlich aus dem Aus-
*)
druck ihrer Quellen in den ihrigen hinuͤbergefloſſen. — Ich fuͤhre
hier und in der Folge das ſogen. liber pontificalis ſtets unter dem
Namen des Anaſtaſius auf, weil es uͤberall unter demſelben ab-
gedruckt worden. S. uͤber die verſchiedenen Verfaſſer dieſes Wer-
kes, Blanchini, Diss. etc. c. VIII. bey Muratori, scriptt. T.
III. p. 24. sq.
*)
S. Anast. bibl. de vitis pontif. cura C. A. Fabroti, Ven.
1729. fo. p
. 59 — 63, wo von unzaͤhligen Kirchen gemeldet wird,
daß trabes (tecti) confractae, oder tectum, vicinum ruinae, oder ba-
silica, quae in ruina erat
, wieder hergeſtellt worden; daſſelbe p. 60.
col. 2. p. 61. col
. 1, von antiken Waſſerleitungen.
**)
Anast. l. et ed. c. p. 76. col. 1. — „cameram ipsius ma-
cronae noviter fecit et diversis historiis pictura mirifice decoravit.“
cf. p. 66. col. 1. p. 69. col
. 1.
*)
Platina, de vit. pont. Leone IV. — „Solarium a Leone III.
inchoatum perfecit.“
**)
Anast. l. et ed. c. p. 94. col. 2. (ap. Murat. scriptt. To.
III. p. 232. col. 2). — „Nam et (ad) accubitum, quod Dn. Leo
b. m III. papa a fundamentis construxerat, et (del.) omnia orna-
menta, quae ibi paraverat, tunc
(ſo einige HSS.) prae nimia ve-
tustate et oblivione antecessorum pontificum deleta (ablata?) sunt.
Et in die natalis D. N. I. Chr. secundum carnem tam Dn. Grego-
rius
, quam et Dn. Sergius s. rec. ibi minime epulabantur. Idem
vero beat. et summus praesul Leo IV. cum gaudio et nimia delecta-
tione omnia ornamenta, quae inde deleta (ablata) fuerant, noviter
reparavit et ad usum pristinum magnifice revocavit.“
— Vgl. Nic.
Alemanni
, de Lateran. parictinis. Rom 1756. 4.
*)
Id. (Ed. Murat. p. 209. col. 1), — et accubitos.
*)
Ueber das Etikette dieſer Mahlzeiten findet ſich bey Ale-
manni
a. a. O. und bey anderen roͤmiſch-kirchlichen Schriftſtellern
die noͤthige Auskunft.
**)
Was Leo IV. fuͤr das Gebaͤude ſelbſt gethan, findet ſich
Anast. l. et ed. col. 1. und (ed. Mur. T. et p. cc. col. 1.) genauer
angegeben. „Solarium, quod b. m. Leo III. Papa construxerat, cum
prae nimia vetustate fractis trabibus in ruinis cerneretur, eversum
(al. emersum) (al. emersit noviter etc.) noviter pulcrius in meliorem
speciem restauravit.“
Doch iſt dieſe Stelle von modernen Kritikern
zugerichtet, die Lesarten der Handſchriften werden hier ſehr man-
nichfaltig, ſo daß ich fuͤrchte, daß Alles, was daraus abzunehmen,
auf Nachbeſſerung des Daches ausgeht, welches allein, und keines-
weges die Mauern und Woͤlbungen an den Seiten, in ſo kurzer
Zeit konnte eingegangen ſeyn.
*)
Barberina, No. 1050, copie dell’ antiche pitture, che
Sono al portico di S. Vinc. e Anastasio all’ acque Salvie
. Dieſel-
ben werden an anderen Stellen als in der Kirche S. Suſanna be-
findlich abgebildet und angefuͤhrt. Nach Anaſtaſ. hatte Leo III.
die letzte verzieren laſſen.
**)
S. Ciampini, vet. mon.
*)
Anast. l. et ed. c. p. 72. col. 1.
**)
ib. p. 76. col. 1.
*)
id. (ed. Mur. scr. T. III. p. 201. col. 2.) — cum absida de
musivo, sed et alias absidas decem, dextra laevaque diversis histo-
riis depictas, habentes Apostolos gentibus praedicantes etc.
**)
Anast, l. et ed. c. p. 71. sq. (ed. Murat. scr. T. III. p.
204. col. 2.) — „in circuitu columnis porphyreticis decoravit.“ —

Aehnliche Pracht meldet derſ. (ed. Mur. p. 201. col. 2.) — collo-
cavit, et in medio
(des Feſtſaals im Lateran) concham porphyreti-
cam aquam fundentem.“
*)
S. Clérisseau, antt. de la France, Paris 1778. fo.
**)
Gregor. Tur. lib. III. c. 19. (ap. Du Chesne scriptt. T. 1.)
***)
Dſ. ſ. Abh. VIII.
†)
Dſ. lib. V. c. 46. Vom Agroecula, Biſchof zu Chalons:
„Multa in civitate illa aedificia fecit, domos composuit, Ecclesiam
fabricavit, quam columnis fulcivit, variavit marmore, musivo de-
pinxit.“
*)
Von den Anwohnern des Mittelrheins erwaͤhnt Ammian
(lib. XVII.) „domicilia — curatius ritu Romano constructa.“
**)
Dſ. (lib. XXXI.). — „Ermenrichi late patentes e uberes
pagos.“
***)
Verſchiedentlich wird aus Gregor von Tours(lib. V.
c.
18.) angefuͤhrt, Chilperich habe einen Circus auf antike Weiſe
erbauen laſſen. Sehen wir indeß die Quelle ſelbſt: Chilperich
wird durch Geſandte drohend angemahnt, herauszugeben, was er
*)
S. Gregor. Tur. ed. c., etwa zu Ende des vierten Buches,
oder lib. VI. c. 35. und a. a. St.
**)
Greg. Tur. lib. IV. c. 42. — Fuitque illo in tempore
pejor in Ecclesiis gemitus, quam tempore persecutionis Diocletiani.

— Vergl. den Stoßſeufzer im folgenden Kapitel.
***)
Wie die meiſten bey Montfaucon antt. de la mon.
françoise T. 1. p. 158. pl. XI.
und andere daſ., etwa mit Ausnahme
des halb zerſtoͤrten muſiviſchen Denkmals der Koͤnigin Fredegunde,
welches indeß ebenfalls zweifelhaft, woruͤber Lenoir, musée des
monum. français,
einzuſehen.
***)
von ſeines Neffen Childebert Erbtheil an ſich geriſſen. Quos ille
(erzaͤhlt Gregor) despiciens, apud Suessicnas atque Parisios circos
aedificare praecepit, eos populis spectaculum praebens.
Nach der
Sitte der Zeit duͤrfte es wohl in Frage kommen, ob er nicht etwa
die Geſandten ſelbſt darin dem Spotte Preis gegeben. Unter allen
Umſtaͤnden aber konnten dieſe Circus nur hoͤlzerne Einfaͤnge ſeyn,
da ſogar die Roͤmer ſolche Gebaͤude nicht bloß des Schimpfes wil-
len, vielmehr mit einem Aufwand an Zeit und Koſten, den hier
die Umſtaͤnde ausſchließen, erbauten.
*)
Fredegar. (ap. Du Chesne To. I.) ad a. 768, und fruͤ-
her beym Tode Karl Martells.
**)
Fred. chron. contin. (ib.) ad a. 762 — 66. (bey Bou-
quet
, recueil, T. V.) „Rex Pipin. castrum, cui nomen est Argento-
nus — a fundamento miro opere in pristinum statum reparari iussit.“
***)
Id. ib. „Cum machinis et omni genere armorum circum-
dedit eam vallo; — fractisque muris cepit urbem etc.“
†)
Paul Diac. de episc. Mettens. (ap. Bouquet T. c.) —
„Clerum abundanter — Romana imbutum cantilena, morem atque
ordinem Romanae ecclesiae servare praecepit, quod usque ad id
tempus in Metensi ecclesia factum minime fuit.
*)
Dſ. ebendaſ. S. 193. (bey Du Chesne scr. To. 2.)
**)
Eginhard ann. ad a. 774.
***)
Eginh. vita Caroli M. (ap. Bouquet rec. T. V. p. 96)
— „Praecipue tamen aedes sacras, ubicunque in toto regno suo ce-
tustate collapsas
comperit, — ut restaurarentur, imperavit.“
*)
S. Vasari vite etc. ed. San. T. 1. p. 224. Er ſtuͤtzt ſich auf
eine Inſchrift von groͤbſter Erdichtung, welche daſ. S. 227 abgedruckt.
**)
Eginh. vita Car. M. c. XVII und c. XXVI. Leider iſt
dieſer treffliche Schriftſteller in ſolchen Dingen nicht umſtaͤndlich
genug; daß ein Porticus vom Palaſte zur Kirche fuͤhrte, ſehen wir
erſt c. XXXII., wo deſſen Einſturz gemeldet wird. — Ermoldi Ni-
gelli
carmen el. de gestis Ludovici pii lib. IV. (ap. Murat. scriptt.
Vol. Il. P. II. p. 65. col.
1.) — von Ingelheim. — Quo domus
alma patet centum perfixa (?) columnis. — Mille aditus, reditus,
millenaque claustra domorum Acta magistrorum artificumque manu.
— — Templa operata metallo, Aerati postes, aurea ostiola x.
Gro-
ßentheils offenbar poetiſche Hyperbeln. Das Verzeichniß der im
Palaſte gemalten Gegenſtaͤnde iſt indeß ſehr wichtig; es umfaßt
den ganzen Bilderkreis des Mittelalters.
*)
S. Wippo, vita Conr. Sal. (ap. [Pistor.] scr. p. 429.) und
Andere.
**)
basilica rotunda Caroli Magni, in den Nachrichten von
Kroͤnungen nachfolgender Kaiſer.
***)
S. Cassas, voy. pittoresque et hist. d’Istrie et de Dal-
matie
, Paris, an X. (1802.) Pl.
42. 43. Verkleinerte Nachbildungen
bey Durand.
†)
S. Maffei, Verona illustrata, T. III. (S. 116 f. der ach-
*)
Darmſtadt. 1815.
†)
ten Aufl.). Dort werden viele, obwohl nicht alle, Baptiſterien
von acht- und ſechseckigem Grundriß, ſo wie einige ganz runde
aufgezaͤhlt.
*)
Ammian. lib. XVIII. — sepimenta fragilium penatium in-
flammata.
Wir verdanken, wie ich an andern Stellen nachgewieſen,
ſogar unſere Kunſtausdruͤcke in der Steinbaukunſt den Roͤmern; z.
B. Pforte, Mauer, Fenſter etc.
**)
S. Gregor. Tur. Lib. V. cap. II. ad basilicam S. Martini,
quae super muros civitatis (Rothomagi) ligneis tabulis fabricata est

— und lib. IV. c. 20. — „Basilica (sanc. Martini) — succensa. —
Sed et civitas Turonica ante annum jam igni consumpta fuerat et
totae (toutes, tutte) Ecclesiae in eadem destructae, desertae relictae
sunt.
An einer anderen Stelle ewaͤhnt dſ. Schriftſteller ſogar einer
hoͤlzernen Kapelle. Wo endlich von der Villa eines Reichen die
Rede iſt (derſelb. lib. IV. c. XLI.), heißt es — ostia domus ex
ligneis fabrieata tabulis.
Die Erwaͤhnung dieſes Umſtandes zeigt
auf vermiſchten Gebrauch roͤmiſcher und teutſcher Bauart. Siehe
auch uͤber den Brand des koͤn. Hofes zu Worms, bey Eginhard
ad a. 790.
***)
Car. M. Breviarium rer. fisc. (ap. Leibnitz. in collectan.
etym. P. II. p. 325. 28. 31.). — Juvenimus in Anaspio, fisco do-
minico, [salam] regalem ex lapide factam optime, cameras tres, sola-
riis totam casam eircumdatam, — alias casas infra curtem ex ligno
*)
Eginh. vita Car. M. c. 26. „basilicam Aquisgrani exstruxit.
— Ad cuius structuram, cum columnas et marmora aliunde habere
non posset, Roma et Ravenna devehenda curavit.
— Die Verguͤn-
ſtigung, den koͤn. Palaſt zu Ravenna[ſeines] Schmuckes zu berauben,
bey Bouquet. T. c. Epist. Hadriani I. ep. 36. — „tam marmora,
quamque, mosivum, caeteraque exempla de eodem palatio vobis
concedimus auferenda.“
Die naͤheren Umſtaͤnde wuͤrde Agnellus ha-
ben, wenn nicht eben hier einige Lebensbeſchreibungen fehlten.
Doch erwaͤhnt er (ſ. oben) der Entfuͤhrung der Statue des Gipfels.
Andere ſchreiben den Eginhard nur aus.
**)
Agnell. l. c. vita Martini, cap. 2. — Leo (III) Ro. Ec-
clesiae et Urbis Artistes misit cubicularium suum nomine Chrysa-
phum et reliquos caementarios, restauravit tecta S. Apollenaris etc.

— Vgl. Anast. l. c. vita Leonis III. (ed. Murat. p. 211. col. 2),
wo: misit illue etc. ohne Bezeichnung der Perſon.
***)
factas XVII. cum totidem cameris et caeteris appendiciis compositis.
— Curtem strenue tunimo
(Zaun) munitam cum porta lapidea etc.
*)
Epist. Hadriani I. (ap. Bouquet. T. c. p. 559. — „prius
nobis unum dirigite magistrum, qui considerare debeat ipsum
lignamen, quod ibidem necesse fuerit, ut sicut antiquitus fuit, ita
valeat renovari.“
**)
S. Zirngibl, P. Rom., von der Geburt und Wahl des
Koͤnigs Arnolf, im Bd. III. der neuen hiſt. Abh. der baieriſchen
Akad. der Wiſſ.
*)
S. Agnellus und Anaſtaſ. in den Lebensbeſchreibungen
damaliger Biſchoͤfe von Rom und Ravenna.
**)
Gregor. Tur. lib. VI. c. 2. — „ibique nobis rex misso-
rium magnum, quod ex auro gemmisque fabricaverat in quinquaginta
librarum pondere, ostendit, dicens: Ego haec ad exornandam et
nobilitandam Francorum gentem feci. Sed et plura adhuc, si vita
comes fuerit, faciam.“
Vergl. dſ. lib. VII. c. 4.
*)
S. Heyne, serioris artis opera sub Impp. Byz. sect. 1. (in
Comm. soc. reg. Scientiar. Goett. Vol. XI. p. 41.) — ingenia; —
mox
(nach Conſtantin dem Gr.) multo magis fuere corrupta adscito
luxu et fastu Asiatico; quo non artem, sed materiam, non manum,
sed pretium in honore haberent.
Gut durchgefuͤhrt und belegt auf
dieſer und den folgenden Seiten; doch ohne Beruͤckſichtigung, ja
ohne Kenntniß des Schoͤnen und Guten, welches demungeachtet bis
auf die fraͤnkiſche Eroberung in byzantiniſchen Malereyen ſich er-
halten hat.
**)
Gregor. Tur. l. s. l.
***)
Anast. bibl. vita Leonis III. (ed. Murat. p. 210. col. 2.)
— vela Alexandrina. — Ib. — vela de fundato, — ornata in cir-
cuitu de blatthin Byzanteo et investita de blatthin Neapolitano.

Alſo ward dieſer Handelsgegenſtand auch in Italien verfertigt, der
byzantiniſche aber, da man ihn ſparſamer verwendete, hoͤher ge-
ſchaͤtzt. — Ib. — cortinam maiorem Alexandrinam mirae magnitu-
dinis etc.
Merkwuͤrdig ſind die Teppichgehaͤnge von Saͤule zu
Saͤule, deren Anaſtaſius ſo haͤufig erwaͤhnt. Es waren dazumal
antike Sitten und Gewohnheiten noch immer ſtark in Gebrauch.
Wie dieſe Gehaͤnge angebracht wurden, ſieht man in jenem Muſiv
zu Ravenna, welches fuͤr eine Darſtellung des koͤniglichen Palaſtes
gilt; abgebildet in den Buͤchern uͤber Ravenna, uͤber Muſive,
uͤber Coſtuͤme.
*)
Anaſtaſ.(vita Hadr. I.) erwaͤhnt nur eines einzigen Ge-
ſchenkes von Bedeutung, eines ſchon zu ſeiner Zeit beraubten
Kreuzes; wahrſcheinlich daſſelbe, fuͤr deſſen Ueberſendung Hadrian
(ep. 22. ap. Bouquet, recueil, T. c. p. 565.) dem Koͤnige Dank
abſtattet.
**)
Anast. vit. Leo III. ed. c. p. 67. col. 2. 68. col. 1. —
„obtulit mensam argenteam
(vgl. Eginhard, vit. Car. M. c. 33.)
— diversa vasa ex auro purissimo — patenam auream cum gemmis
— calicem majorem cúm gemmis etc. etc. — Verum etiam et Evan-
gelium ex auro mundissimo cum gemmis ornatum.
— Des Tiſches,
den, nach Eginhard, die Kirche zu Ravenna durch Vermaͤchtniß
Karls des Großen erhalten, erwaͤhnt Agnellus im Leben des
gleichzeitigen Erzbiſchofs. Dieſe ſilbernen Tafeln, zwey mit den
Grundriſſen von Rom und Conſtantinopel, die eine mit dem Welt-
kreiſe, waren hoͤchſt wahrſcheinlich niellirt, vielleicht byzantiniſche
Arbeit, wenigſtens der Plan von Conſtantinopel.
*)
Anast. vit. Leo III.
*)
S. Briefe in die Heimat etc., Bd. 1. S. 287 f., wo auch
das Literaͤriſche nachgewieſen iſt.
**)
Eginh. vita Car. M. c. 26. — Basilicam Aquisgrani ex-
struxit, auroque et argento et luminaribus atque ex aere solido can-
cellis et januis adornavit
.
*)
Bey Du Chesne, T. 11. rer. Franc. ed. 1636. p. 691. und
Bouquet T. c.
**)
Mon. Egolism. Excerpta, bey Bouquet, T. c. — corpus
eius in sede aurea sedens positum est
— verſtehe, auf einem mit
Goldplatten belegten Seſſel.
***)
S. Gottfried Colon., aus zweyter Hand benutzt von
Walch. hist. canonis. Caroli M.Jenae 1750. 8. p. 25 sq.
†)
S. die Vorreden der karolingiſchen Codd. Ms.
*)
S. die ziemlich genauen Nachbildungen bey D’Agincourt,
h. de l’art, T. III. Peinture Part. II. Pl. 40 ß.
**)
De Later. pariet. ed. c. p. 80. ad tab. IX.
***)
Antt. de la monarchie Franc. T. 1. p. 175 s.
†)
Ich unterſuchte dieſe HS. im I. 1819 in Geſellſchaft des
Herrn Geh. Staatsraths Niebuhr, auf deſſen Zeugniß ich mich
um ſo mehr berufen darf, da alle kritiſche Merkmale, welche
ich angegeben, dem geuͤbten Blicke dieſes Meiſters der Forſchung
ſich alſobald dargeboten.
*)
MS. Cod. c. fo. 2. — praesenti — libro,
*)
Im Codex von Toulouſe (Bouquet T. c. p. 401.), wel-
cher bey der Taufe des ehem. Koͤnigs von Rom dem dam. Herrſcher
dargebracht worden (ſ. Jen. Lit. Zeitung 1811. col. 508.), nennt
ſich der Calligraph und Maler Godescalcus; im Pſalter der Kk.
Hofbibl. zu Wien ein anderer: Dagulf. Vgl. den Prolog anderer
HSS. d. Z. bey Bouquet, T. c. p. 404 und 410.
**)
z. B. bey Montfaucon, l. et T. c. p. 301 s.
*)
Quem tibi, quemque tuis rex Carolus ore serenus
Offert, XPE, —
Ejus ad imperium devoti pectoris artus
Ingobertus eram referens et scriba fidelis
Graphidas Ausonios aequans superansve tenore
.
*)
S. Zirngibl, neue hiſt. Abhh. der baieriſchen Ak. Bd. III.
S. 374. Das Evangeliarium wird in der k. Hofbibl. zu Muͤnchen,
das goldene Feldaltaͤrchen vielleicht im Schatze ebendaſ. aufbewahrt.
*)
Wallmann, I. Andr., Abh. von den ſchaͤtzbaren Alter-
thuͤmern zu Quedlinburg. Daſ. 1776. 8.
**)
S. die Biographen der Koͤniginnen Mathilde und Adel-
heid
, bey Leibnitz, scr. rer. Brunsv.
***)
Wallmann, a. a. O. S. 95. Vgl. S. 93.
*)
Eckard, Mr. Tob., MSS. Quedlinb. 1723. 4. p. 4.
**)
Praef. ad Lgg. Franc. Sal. et Rip. Im Chron. Gottwic.
T. 1. p. 48
. wird eine HS. der Capitularien angefuͤhrt, in der
Herzogl. Bibl. zu Gotha, deren Miniaturen die Bildniſſe Ottos I.
und II. enthalten ſollen. Ich habe ſie nicht ſelbſt unterſucht. Odilo
(Henr. Canis. lectt. ant. To. V.) von der Kaiſerin Adelheid: —
dominicae crucis vexilla et Christi Evangelia exinde (aus ihrem
Schmuck) adornari praeparabat.“ Da dieſe Sitte beſtand, die Fer-
tigkeit vorhanden war, da das ſaͤchſiſche Haus Quedlinburg beguͤn-
ſtigte, ſo liegt es naͤher, jenen Codex dem Zeitalter der Ottonen
beyzumeſſen, wenn nicht entſcheidendere Gruͤnde fuͤr das Gegentheil
vorhanden ſind.
*)
Wallmann, a. a. O. S. 90.
**)
S. Dreſſer, Matth., Saͤchſiſch Chronikon etc. 1596. fo.
S. 270 f. in dem Verzeichniß der damals reichhaltigen Koſtbarkei-
ten des magdeburg. Domſchatzes: „Ein Schrein oder Keſtlin von
weiſſen Helfenbein und mehrentheils mit Gold und Silber beſchla-
gen. ſ. Marien oder U. L. F. Keſtlin geheiſſen.“
***)
Sulzer, Tagebuch auf einer Reiſe durch Italien etc.
S. 327.
*)
Bey Huch, S. A., Verſuch einer Lit. der Diplom. ſoll
S. 37 ein Verzeichniß vieler Urkunden in Gold- und Silberſchrift
vorkommen, deſſen Werth zu pruͤfen mir bis jetzt die Gelegenheit ge-
fehlt. Muratori(antt. It. Diss. 34.) bezweifelt die Aechtheit, ja
das Vorhandenſeyn von Urkunden in Goldſchrift; obwohl ſolche
gelegentlich ſogar von den aͤlteren Annaliſten erwaͤhnt werden.
**)
Brower, ann. Trevir. ad a. 975. — „monast. Epernac.
— Egregia visitur ibi caelatura et bracteis aureis obductus Evang.
codex — in quo sub S. Bened. quidem imagine ipsius effigies scul-
pta Ottonis, sub beati Ludgeri Abb. icone, regali ornatu habituque
Theophania.“
***)
Eckard MSS. Quedlinb. p. 4. Vgl. Wallm. a. a. O.
S. 98.
*)
S. Testamentum Brunonis fratris Ottonis M. (ap. Leib-
nitz
scriptt. T. 1. p. 289),
wo eine lange Reihe koſtbarer und
kunſtreicher Haus- und Kirchengeraͤthe. In derſ. Sammlung, vita
Bernwardi c. 7. fecit Evangelia auro et gemmis clarissima;
ſiehe fer-
ner daſ. p. 525, vita [Meinwerei], §. 18. Dort laͤßt dieſer heitere
und bizarre Charakter, den Heeren in ſ. Geſch. der claſſiſchen
Lit. aus Verſehen gelehrt nennt, da er doch nach ſeinem Biogra-
phen auch fuͤr jene Zeit unwiſſend war, die Buͤcher, aus denen
ſein Gaſt, der heil. Heimerad, die Meſſe geleſen, ins Feuer wer-
fen, weil er ſie, incomptos et neglectos et nullius ponderis aut
pretii,
fand. Dieſe Handlung — eines Thoren allerdings — wirft
einiges Licht auf die Verbreitung der Sitte, die kirchlichen HSS.
durch Kunſt und Glanz zu verherrlichen. Gerbert (Silveſter II.Ep.
106. ap. Du Chesne scriptt.
) begehrt von Ecbert, Erzbiſchof von
Trier
: crucem vestra scientia elaboratam, und daſ. ep. 104 und 124,
erſcheint derſelbe Praͤlat auch als Baumeiſter. S. ferner Ditmar,
uͤber die Geſchenke, welche Otto dem Dome zu Magdeburg, in —
libris caeteroque regio apparatu,
dargebracht; denſ. (ap. Leibnitz.
scriptt. T. 1. p. 394.)
wo er von Walterd, Erzbiſchof von Magde-
burg
, erzaͤhlt: „sarcophagum ingentem ad includendas sanctorum
reliquias de argento fecit.“
Auch in der Bibliothek des Domes zu
Modena befindet ſich ein Evangel. mit geſchnitztem Einbande, den
Millin(voy. dans le Mil. T. II. p. 205), wohl nach Tiraboſchi,
in das eilfte Jahrhundert verſetzt. Ueber die betraͤchtliche Folge
von Elfenbeinſchnitzwerken dieſer und fruͤherer Zeit in der oͤffentli-
chen Bibliothek zu S. Gallen giebt v. d. Hagen, Briefe etc. Thl.
1. S. 165, gute Auskunft, wo auch auf den vorangehenden Seiten
einiges Hiſtoriſche. Dieſe Gegenſtaͤnde beruͤhrt auch Joh. v. Muͤl-
ler
, Schweizergeſch. der alten Ausg. Thl. 1. S. 233 f. und S. 271.
— Daß dieſe Kunſtrichtung ſich tief in den chriſtlichen Norden ver-
breitet, ſehen wir, theils ſchon aus Snorro Sturleſ.(Ed. Schö-
ning
T. III. p. 14.)
theils aus dem großen, aus Gold getriebenen
*)
Ditm.Mers. lib. VII. ap. Leibn. scriptt. T. 1. p. 416. —
In hoc vernali tempore — aureum altare ad decus ecclesiae fabricari
jusserat nostrae, ad quod ego ex antiqui altaris nostri sumptu auri
VI. libras dedi
. Dieſer Altar ward im Kriege gegen Herzog Mo-
ritz
auf Befehl des Kurfuͤrſten Joh. Friedrich der Domkirche zu
Merſeburg entriſſen. Ob er eingeſchmolzen, ob im ſaͤchſiſchen
Schatze aufbehalten worden? — Von den uͤbrigen Geſchenken, de-
ren Ditmar an a. St. erwaͤhnt, befindet ſich nur noch ein Miſſal
beym Dome zu Merſeburg, welches nach dem Kalender wenigſtens
aus Ditmars Zeit iſt.
*)
Altare des nordiſchen Muſei zu Kopenhagen, wo unten die Felder
von aͤlterem, vielleicht karolingiſchem Style, die Erneuerungen
oben am Bogen und darunter gewiß nicht neuer, als das zwoͤlfte
Jahrhundert ſind.
*)
S. Gattula (nicht Grattula) hist. Abbat. Cassinensis. T. 1.
p. 161. sq
.
**)
S. von Murr, Merkwuͤrdigk. von Bamberg. 1799. 8.
S. 92 f. und a. a. St. Einiges zum Domſchatze gehoͤrende ſcheint
man bey Aufhebung des Stiftes veraͤußert zu haben. Im I. 1811
ſah ich beym Domherrn, Grafen von Wallerndorf, ein Altaͤr-
chen, nicht in Elfenbein, ſondern in Muſchelſchaalen geſchnitzt,
welches in den actis ss. der Bollandiſten, vita S. Henrici, beſchrie-
ben, und fuͤr ein Denkmal dieſes Kaiſers ausgegeben wird. Indeß
gehoͤrt es der deutſchen Schule des ſechszehnten [Jahrhunderts] an;
es finden ſich darin ſogar aus Schongauers Kupferſtichen Remi-
niscenzen.
***)
Wie H. v. Ramdohr, bis er ſich ſpaͤter, vornehmlich
in der Sammlung des Abbate Triulzi, vom Gegentheil uͤberzeugte.
*)
Z. B. ſ. Piero Scheraggio, eine der aͤlteſten Baſiliken
zu Florenz, deren letzter Ueberreſt unter Peter Leopold abgetragen
worden. S. Malaſpina, Villani und andere florentiniſche
Annaliſten, oder neuere Topographen dieſer Stadt.
*)
Ueber die fruͤhere Bluͤthe von Neapel, Gaeta, Amalphi,
wiſſen wir wenig Umſtaͤndliches. S. Brincman. Diss. de rep.
Amalphit. ad calcem hist. Pandect. Flo.
— Einzelnes, wohl rheto-
riſch Uebertriebene, bey Gull. Apul.
*)
Anast. de vitis pont. ed. c. p. 80. col. 1. — Ecclesiam —
Praxedis — in alium non longe demutans locum, in meliorem eam,
quam dudum fuerat, erexit statum. Absidam vero ejusd. Eccl. mu-
sivo opere [exornatam] variis decenter coloribus decoravit. Simili
modo et arcum triumphalem eisdem metallis mirum in modum per-
ficiens componit.
Triumphbogen nennt er hier die Wand uͤber und
neben dem Bogen der Tribune, auf welchem oben Engel, unten
Heilige, welche dem Heiland ihre Siegeskronen reichen.
**)
Im Fries unter der Woͤlbung der Tribune: Emicat aula
piae variis decorata metallis Praxedis[]
Pontificis summi studio Paschalis.
— Und uͤber dem Chriſtus
**)
im Bogen das Monogramm deſſelben Papſt [...]. Auch an einer aus
antiken Fragmenten zuſammengeflickten Thuͤre der Kapelle der heil.
Saͤule ſieht man in Stein gegraben: Paschalis praesulis opus etc.
Ein anderes Werk deſſ. Papſtes, die Tribune der Kirche S. Caͤci-
lia, duͤrfte mittelalterliche Wiederherſtellungen erfahren haben.
*)
Er hat derſelben eine eigene Monographie gewidmet: Buo-
narruoti
, osservaz. sopra alcuni framenti di vasi antichi di vetro
etc. Fir. 1716. Appendice,
wo Tab. 3 eine ziemlich genaue Ab-
bildung dieſes Denkmals.
**)
S. Muratori, antt. It. diss. 3. und Annali, ad a.
***)
Vgl. Buonarr. am a. O., wo er aus einer Urkunde
des J. 898 im Domarchiv zu Parma das Verhaͤltniß der Kaiſerin
zum Kloſter Rambona, dort Arabona, aufzuklaͤren ſucht.
*)
Bibl. Vaticana, No. 4922.
**)
Millin, voy. c. T. II. p. 176.
*)
Vita etc. di Pietro Perugino etc. Perugia 1804. In einer
Randbemerkung der Vorrede wird einer alten Tafel mit aufgekleb-
ter Leinwand erwaͤhnt, „nella chiesa parrochiale del ponte Felcino
(bey Perugia) ove si legge in ben formati ma consunti caratteri
romani l’anno in cui fu dipinta: AD MXII.
“ Dieſe Angabe des
Topographen von Perugia iſt, wenn ich mich recht entſinne, an irgend
einer Stelle auch von Lanzi aufgenommen worden; doch finde ich
ſie nicht wieder auf, oder verwechſele ſie mit einer anderen und
aͤhnlichen Jahresangabe, welche ich unten beruͤhren werde.
Im Auguſt 1819 fand ich Gelegenheit, die genannte Tafel im
Pfarrhauſe zu Ponte Felcino zu pruͤfen; dieſelbe, welche, nach
Ausſage des ſchon bejahrten Pfarrherrn, der Vf. obiger Bemerkung
(der bekannte Orſini), einen Tag lang bey ihm betrachtet hatte.
Sie iſt von maͤßiger Hand im Geſchmacke des vierzehnten Jahr-
hunderts gemalt. Allerdings finden ſich noch einige Reſte von In-
ſchriften, z. B. unter dem Heiligen der Pfarre: FELICISSIMO
V M P. (Vescovo Martire Perugino?),
welche Abkuͤrzungen vielleicht
dem Orſini die Zahl MXII. auszudruͤcken ſchienen, welche, nach
dem Charakter des Bildes (worin Madonna ſitzend, zwey Engel,
S. Felice in biſchoͤflichem Ornat), auf keine Weiſe jemals kann
darauf geſtanden ſeyn.
*)
Fior. Geſch. der zeichnenden Kuͤnſte, Thl. II. S. 379.
*)
Boͤttiger, Arch. der Mal. S. 3, bemerkt ſehr richtig:
„Die roheſten Verſuche der Plaſtik ſind uͤberall den roheſten Ver-
ſuchen der Malerey vorangegangen. Runde Geſtalten nach ih-
rer Apparenz auf einer Flaͤche darzuſtellen, ſetzt ſchon
Reflexion voraus
.“
*)
S. Osservatore Fio. Vol. V. p. 223 s.
*)
Manni, Dom., Sigilli, To. 9. p. 107. Descrizione della
chiesa etc. di S. Miniato.
*)
Vita d’Arnolfo di Lapo, T. 1. delle vite de’ pitt. etc. Hier,
wie uͤberall, wo nichts damit gewonnen wuͤrde, erſpare ich dem
Leſer die Namen derer, welche den Vaſari bloß ausgeſchrieben.
*)
Ciampi, notizie inedite della sagrestia Pistojese, Fir. Mo-
lini
, 1810. 4. p.
24. Vgl. Morrona, Pisa illustr. T. II. P. 1. cap.
2, wo an einem Kapitaͤle unter jenem erſten Architrav eine zweyte
Inſchrift nachgewieſen iſt: magist. Euricus fecit.
**)
Z. B.: probatus, laudatus, hac summus in arte etc. So
fand ich auch: maestri buoni, taugliche Meiſter, in urkundlichen
Berathungen und Verſtiftungen oͤffentlicher Arbeiten.
***)
S. Morrona l. c. §. 2.
*)
Pisa ill. l. s. c.
*)
Daſ. Hoc opus, quod cernis, Biduinus docte peregit Un-
decies Centum et octoginta post anni etc. etc.
*)
Er war ſchon dem Vaſari bekannt. Vergl. Morronal I.
et T. c.
und andere.
*)
Vasari, vite etc. vita d’Andrea Tafi. — I maestri di quell’
età, come s’é detto nel proemio delle vite, furono molto goffi,
come si può vedere in molti luoghi, e particolarmente in Pistoja in
S. Bartolomeo de’ Canonici règolari, dove in un Pergamo fatto gof-
fissimamente da Guido da Como, e’ il principio della vita di
Gésu Christo, con queste parole fattevi dall’ artefice medesimo
l’anno 1199.“

Darauf eine verrenkte Abſchrift obiger Inſchrift, aus welcher
abzunehmen, daß Vaſari, oder wer ihm die Nachricht mitgetheilt,
nur fluͤchtig geleſen hatte. Gewiß konnte ich von dem angegebenen
Jahre 1199 an Ort und Stelle keine Spur entdecken, obwohl mir
darum zu thun war.
Sollte dieſe Angabe Vaſari’s, fluͤchtig verbunden mit einer
um wenig Zeilen vorangehenden Erwaͤhnung der florentiniſchen
Kirche S. Miniato a Monte, einen neueren Schriftſteller (Anſich-
ten uͤber die Kunſt, 1820. 8.) veranlaßt haben, die Kanzel in S.
Miniato (er ſagt nicht, ob in S. Miniato a Monte, oder im Dome
von S. Miniato de’ Tedeſchi, noch, wenn im erſten, ob er die
wirklich alterthuͤmliche Evangelienkanzel meine) im Jahre 1199
von Guido von Como anfertigen zu laſſen? Nirgend wird in die-
ſer dreuſten Compilation eine Quelle nachgewieſen, weshalb ſie
nicht ſelten nutzlos beunruhigt.
*)
S. Millin, voy. dans le Milanais. T. II. p. 116 und p.
119; Cicognara a. ſ. St.; denen ich, was Namen und Jahr an-
geht, folgen muß, da ich meine eigene Abſchrift eingebuͤßt habe.
— Ob Benedict ſich hier: Antelami oder de Antelamo nennt,
welches letzten ich mich zu entſinnen glaube, wuͤrde entſcheiden, ob
dieſer Zuſatz den Namen des Vaters oder des Geburtsortes andeute.
**)
l. c. §. 1.
*)
Monſignor Nic. Nicolai, della basilica di S. Paolo, Ro.
1815. fo. p.
297, lieſt oder uͤberſetzt die verſtuͤmmelten Buchſtaben
Pietro Fassa di Tito. Ich habe dieſe Inſchrift wiederholt darauf
angeſehen; doch fand ich zwar die deutliche Spur von Petro; die
darauf folgenden erhaltenen Buchſtaben ſtehen aber mit ihren Lagu-
nen in dieſer Ordnung: ·I·AS . AMIE .. O, darauf HOC OPVS
etc.;
ſo daß die Lesart des Monſ. Nicolai ſicher unbegruͤndet,
die Lagune ſelbſt, an welcher offenbar von Wißbegierigen geſchabt
worden war, gegenwaͤrtig nicht mehr zu ergaͤnzen iſt.
*)
S. die Inſchrift der Hauptkirche zu Civita Caſtellana,
welche ich nachtragen werde.
*)
S. die Abbildung bey Ciampini, vet. mon. P. 1. ed. 1690.
ad p.
191.
*)
Vgl. Nibby, viaggio antiq. ne’ contorni di Roma. T. 1.
Ro. 1819. p. 97 ss.
*)
Barber. No. 1047. pitture di S. Urbano alla Caffarella.
**)
No. 1047. In No. 1050 fehlt ſie.
***)
Lanzi, stor. pitt. dell’ It. T. I. Origini etc. Er folgt
dem Herrn von Agineourt, welcher, da ſeiner Zeit die Originale
laͤngſt uͤbermalt waren, nur jene alten Copieen vor Augen hatte.
†)
Anno Domini waͤre mehr in der Ordnung; doch pflegte man
ſogar dieſes nicht, wie hier, nach, ſondern voran zu ſetzen. So in
einer der kuͤrzeſten Aufſchriften, die mir je vorgekommen, an einem
Kapitaͤle, rechts der Tribune des Domes zu Fieſole:
A. D. M. CC. I. an einem anderen: M. P. (magister Petrus?)
*)
Ergaͤnze Gibbons unlaͤugbar geiſtreiche Auffaſſung (hist.
of the Decline etc. Chapt. XLIX.
) durch: Schloſſer, Friedr.
Chriſt.
, Geſch. der bilderſtuͤrmenden Kaiſer des oſtroͤmiſchen Rei-
ches
. Frankf. 1812. 8.
*)
Lanzi kannte unter dieſen drey gleichartigen Bildern nur
jenes in S. Chiara zu Aſiſi; es ſey, ſagt er (scuola Romana, epoca
prima),
nach der Tradition aͤlter, als Giunta. Und hierin ward
er nicht irregeleitet.
*)
Schon Maffei, Verona ill.; dann Muratori, antt. Ital.
Diss. XXIV.
und Tiraboschi, sto. della lett. It. To. V. VI. etc.
**)
Schon Malvasia, Felsina pittrice. In den letzten De-
cennien des verfloſſenen Jahrh. eine große Zahl Topographen und
Localſcribenten, deren Titel bey Fiorillo, Geſchichte der zeichn.
Kſte., nachgewieſen.
*)
Vasari, Giorg. vite de pittori etc. Ed. Giunt. Fir 1568.
4.; vita d’Andrea Tafi. „— — perché tutte quelle (sculture) che
fecero in Italia i maestri di quell’ età, come s’é detto nel proemio
delle vite, furono molto goffe.“
— Er geht von S. Miniato a
Monte aus, welches Gebaͤude er in das J. 1013 verſetzt, und fuͤhrt
als Beyſpiel die Kanzel von Guido von Como an, die er im J.
1199 entſtehen laͤßt. — Fruͤher im proemio, p. 78. — la pittura
poco meno, che spenta affatto
— nemlich im eilften Jahrh.
*)
Die Angaben, osservatore Fio. T. V. p. 61 s., und Richa,
delle chiese di Firenze,
werde ich unten zu pruͤfen Gelegenheit finden.
**)
S. Leo Ost. lib. III. cap. 29. Die ganze Stelle ausge-
hoben bey Muratori, antt. It. Diss. 24.
***)
Leo l. c. — „Artium istarum ingenium a Quingentis et
ultra jam annis magistra Latinitas intermiserat.“
— Der Abt habe
die Novizen darin unterrichten laſſen: ne sane id ultraItaliae
deperiret.
*)
Antt. It. Diss. 24. — S. 359 f. der italieniſchen Verſion
des Vfs.
**)
Leo l. c. — Quarum artium tunc ei destinati Magistri
cujus perfectionis fuerint, in eorum est operibus existimari etc.
*)
Ghiberti ſagt, p. 11 a tergo des Codex der Magliaber-
*)
Daſ. Classe XVII. palchetto 1. No. 33.
**)
Cod. cit. fo. 7. a tergo. In dem einzigen vorhandenen
Abdruck dieſer Abtheilung des bezeichneten Werks, bey Cicog-
nara
, sto. Vol. II. p. 108, iſt obige Stelle, welche ich im Kunſt-
blatte 1821, No. 8, S. 30, nachgeliefert habe, ich weiß nicht aus
welchem Grunde, ausgelaſſen worden.
*)
chiana, von ſich ſelbſt — e a’ pittori (ho) disegnato moltissime
cose; — Disegnai nella faccia di Sta maria del fiore nell’ occhio
di mezo l’assunzione di nostra Donna e disegnai gli altri, che sono
dallato etc. etc.
— Hieraus macht Vaſari, der dieſe Quelle
kannte, im Leben des Lor. Ghiberti (Ed. c. P. II. p. 285.): — egli
attese, meutre visse, a più cose (Ghib.: poche cose si sono fatte
d’importanza nella nostra terra non sieno disegnate ed ordinate da
me) e dilettòssi della pittura e di lavorare di vetro; ed in Sta Ma-
ria del Fiore fece quegli occhj, che sono intorno alla cupola etc.
— e cosi l’occhio della facciata etc. etc.
— Zeichnungen und Ideen
angeben iſt noch nicht malen, und gar in Glas malen. —
*)
Vergl. Vasari, proemio delle vite, p. 80, wo der Stoff
der Darſtellung offenbar aus obiger Stelle entlehnt iſt.
*)
Ghiberti, cod. c. fo. 9. a tergo. — „Fu in Siena ancora
Duccio, el quale fu nobilissimo. Tenne la maniera Greca. E di
sua mano la tovola maggiore del Duomo di Siena. — Questa ta-
*)
vola fu fatta molto eccellentemente, e doctamente; é magnifiea cosa
e (egli) fu nobilissimo pittore.“
*)
Nach den bekannten Monogrammen: A. ☧. Ω. oder .
̄,
haben Verſchiedene geglaubt, bey italieniſchen Malereyen ih-
ren griechiſchen Urſprung beſtimmen zu koͤnnen. Dieſe Monogramme
und Zeichen waren indeß ſeit den aͤlteſten Zeiten bey lateiniſchen
Inſchriften und in anderen Denkmalen des Weſtens in Gebrauch
geblieben, wie man in Ermangelung eigner Anſchauung aus Boſio,
Boldetti, Ciampini
und anderen erlernen kann. — Aus nach-
*)
ſtehendem Beyſpiel erhellt, daß ſolche Abkuͤrzungen haͤufig aus blo-
ßer Ehrfurcht vor dem Herkoͤmmlichen, ohne eigentliches Verſtaͤnd-
niß nachgebildet wurden.
In S. Bartolommeo, auf der Tiberinſel zu Rom, befindet ſich
an der Einfaſſung des heil. Bruͤnnleins vor dem Hauptaltare ein
Chriſtus, als Weltlehrer, von hochmittelalterlichem Anſehen. Im
Felde zu beiden Seiten dieſer Figur:
+ OC IPVS
was offenbar durch Verſetzung der Buchſtaben aus XPOC IVS. ent-
ſtanden iſt, in welcher letzteren Abkuͤrzung die lateiniſche Endung
wiederum aus Mißverſtaͤndniß und willkuͤhrlicher Deutung das ge-
woͤhnliche ̄. ſcheint verdraͤngt zu haben.
Ein anderes iſt es mit dem: , welches meiſt auf grie-
chiſchen Urſprung hindeutet, weil die Darſtellung ſelbſt neuer iſt.
Siehe oben.
*)
Barberina codd. gracci. No. 202.
*)
Heyne, serioris ant. opp. sub Imp. Byz. (Comm. Goett.
Vol. XI.) Sect. l. p. 44 ss.
**)
Ib. Sect. II.
*)
Nach den Inſchriften, welche in verſchiedenen gelehrten
Werken abgedruckt und erlaͤutert worden ſind, warden wenigſtens
jene der Paulskirche im Jahre 1070 angefertigt.
*)
S. v. Murr, Beſchreibung von Bamberg; oder die Bol-
landiſten, vita S. Henrici, wo ſogar eine Abbildung, ſo gut ſie
ausgefallen.
*)
S. Gori, mon. Basil. Bapt. Flor. p. 23. IV. 4. Die Dame
hieß Nicoletta de Grionibus. Ihr Gemahl war fruͤher des Joh.
Kantacuzenus
Kaͤmmerling geweſen. Das Kunſtwerk ſoll er aus
der kaiſ. Kapelle empfangen haben, wie man vielleicht nur ins
Blaue hinein behauptet.
*)
Bibl. Medic. Laurentiana. Plut. V. Cod. IX. catena in IV.
Prophetas majores.
**)
Kunſtblatt, 1821, No. 7.
*)
Laurent. Plut. V. No. 38. biblia, graece.
**)
Kunſtblatt, 1821.
***)
Lami, de erud. Apostolor. ed. vet. Flor. 1766. 4. p. 793.
*)
Meine Aufgabe iſt die Beleuchtung der italieniſchen Kunſt-
hiſtorie; wer die griechiſche des hoͤheren Mittelalters ausfuͤhren
wollte, wuͤrde ſeine Forſchungen weiter ausdehnen muͤſſen, als ich
ſelbſt bezweckt und erreicht habe. Doch zeigt es ſich ſchon in den
Zuſammenſtellungen von Quellen und Auszuͤgen bey Banduri, im-
perium orient. sive antt. Constantin. etc. Venet. 1729. T. II.
und
bey Du Cange, hist. Byzant. II.; oder bey Heyne (comm. Goett.
Vol. XI.
), der jene in Bezug auf bildende Kuͤnſte ausgezogen, und
bey Gibbon und Schloſſer, a. a. O., welche letzte vornehmlich
die Architectur und ſtaͤdtiſche Anlagen beruͤckſichtigt haben; daß,
techniſch angeſehen, die Kunſtuͤbung bey den Griechen ungleich
mehr befoͤrdert wurde, als, bis zum Jahre 1200, irgendwo in der
ganzen Ausdehnung des Abendlandes. Daher die Bewunderung,
*)
mit welcher die weſtlichen Europaͤer, im fruͤheren Mittelalter, den
Glanz und die Kunſtgeſchicklichkeit der Byzantiner zu betrachten
pflegten; z. B. Luitprand bey Muratori an bekannten, oft an-
gezogenen Stellen ſeines Geſandtſchaftsberichtes; ſpaͤter wieder,
unter den Zeugen der Eroberung von Conſtantinopel, Villehar-
douin
, den ich in der nachfolgenden Unterſuchung benutzen werde.
*)
S. im vaticaniſchen Muſeo die Tafel, mit Ueberſchrift:
Deposizione di S. Efrem Siro. — Das Vorbild Lorenzetti’s. Es
wird noch immer mit großer Treue wiederholt — Durchzeichnungen
des Barons Stackelberg.
*)
Morrona, Pisa illustrata, To. II. Ed. sec. Capit. IV. §. 3.
*)
S. die griechiſchen Kunſtworte: Chrysocollon, Chrysogra-
phia,
in jenem alten Buche zu Lucca (bey Murat. antt. It. Diss. 24.).
*)
S. Notizen der goͤthiſchen Schreibtafel, uͤber Kunſt und
Alterthum, Bd. V. Hft. 1. Hiſtoriſch ſind ſie werthlos.
*)
Vielleicht dient es, hier an eine etwas neuere Begebenheit
zu erinnern, Witechind. ann. lib. III. (ed. Meibom. p. 659.). —
Otto (I.) legatos suscipit Romanor. Graecor. Saracenorumque, per
cosque dies diversi generis munera, vasa aurea et argentea, ae-
rea quoque et mira varietate operis distincta vitrea, vasa eburnea
etiam etc.“
**)
Griechiſche Kunſtworte, bey Muratori (antt. It. Diss.
24.), in jenem Codex des Domes zu Lucca, wo die Bezeichnungen:
Chrysocollon, Chrysographia. — Obwohl ſolche Worte nicht eben
nothwendig in einer beſtimmten Epoche des Mittelalters in das
Latein damaliger Zeiten ſich eingedraͤngt haben muͤſſen, da ſie ſehr
*)
Siehe die vorhandenen Notizen bey Lanzi, stor. pitt. T.
1. p.
579. der aͤlteren Ausgabe, und bey Fiorillo, Geſch. d. z.
K. Th. I. S. 75. und II. S. 739. 40. — Es hat mir ſelbſt an
Gelegenheit gefehlt, dieſe rohen Andeutungen zu pruͤfen oder mehr
ins Einzelne auszubilden.
**)
Zannetti, della pittura Veneziana etc. libri V. Venez.
1771. 8. p. 2.
***)
Sie wurden benutzt von Fiorillo, Geſch. d. z. K. II.
S. 5 ff. und von Hrn. v. d. Hagen a. a. O. Bd. II. S. 116 ff.
— Die Berichte des letzten ſind ungemein belehrend; der Gegen-
ſtand indeß nicht ſo leicht zu erſchoͤpfen.
**)
wohl ſchon in aͤlteren Zeiten koͤnnten aufgenommen ſeyn. So fin-
det ſich das Wort icon ſchon bey Anaſtaſius, woher das venezia-
niſche anchona, welches aus dem aͤlteſten Sprachgebrauche italieni-
ſcher Kuͤſtenbewohner moͤchte entſprungen ſeyn, und nicht eben
nothwendig, wie Neuere angenommen haben, aus den ſpaͤteren Be-
ruͤhrungen der Venezianer und Griechen.
*)
Crammer, vita S. Henrici, lib. II. cap. V. §. VI. glaubt
auch in den Siegeln Heinrichs II. byzantiniſche Hoheitsſymbole
wahrzunehmen.
**)
S. oben, zu Anfang dieſer Unterſuchung. Fiorillo frei-
lich, Geſch. d. z. K. Thl. II. S. 745 f., ſtempelt die Muſaiciſten
**)
des Leo zu bloßen Fußbodenarbeitern, worin er indeß italieniſchen
Forſchern, welche in dieſer Unterſuchung zwecklos partheylich, und
daher nicht durchhin glaubwuͤrdig ſind, ganz blindlings nachfolgt.
Der Gang ihrer Folgerung iſt dieſer: „Die Berufung der griechi-
ſchen Muſaiciſten werde in der Chronik von Montecaſſino (?) nur
gelegentlich des Vorhofes der Kirche erwaͤhnt (den ſie auch nach
Leo von Oſtia verziert haben); in der alten Beſchreibung des Klo-
ſters la Cava ſey nur gelegentlich eines Fußbodens von griechiſchen
Arbeitern die Rede: folglich haben die Griechen des Leo keine an-
dere Arbeit verſtanden, als Fußboͤden auszulegen.“ — War aber,
angenommen, daß jene Angaben richtig waͤren, im Vorhofe zu
Monte-Caſſino kein anderer Raum fuͤr muſiviſche Malerey em-
pfaͤnglich, als der Fußboden? War es nicht allgemeiner Gebrauch,
die Außenſeiten der Kirchen muſiviſch zu verzieren? Und, wenn
wirklich in la Cava eben nur ein Fußboden griechiſche Arbeit war,
folgt daraus ſo nothwendig, daß auch im Vorhofe von Montecaſ-
ſino
nur der Boden von griechiſcher Hand geweſen? — Doch wird
man entweder zu erweiſen haben, daß Leo, deſſen Angaben ſo um-
ſtaͤndlich ſind, ein Luͤgner und Aufſchneider geweſen, oder ihm
glauben, wo er meldet, daß ſeine Griechen in der Kirche zu Mon-
tecaſſino
die Tribune und den Bogen daruͤber (apsidam et arcum)
muſiviſch ausgemalt haben. So unglaubwuͤrdig wuͤrde den Ge-
waͤhrsleuten des Fiorillo dieſe Angabe nicht erſchienen ſeyn, waͤre
ihnen die mittlere Kunſtgeſchichte etwas umſtaͤndlicher bekannt ge-
weſen; haͤtten ſie gewußt, wie niedrig die Kunſtſtufe damaliger
Italiener, wie hoch verhaͤltnißmaͤßig die Geſchicklichkeit gleichzeiti-
ger Griechen ſtand.
*)
S. Muratori, scriptt. T. III. ad pag. 417.
**)
Leo Ostiensis, l. c. — „quum et in Musivo animatas fe-
ras autumet quisque figuratas, et quaeque virentia cernere, et in
marmoribus omnigenum colorum flores pulcra putet diversitate
vernare.“
*)
Abh. No. V.
*)
Lami, Dr. Gio, Diss. relativa ai pittori e scultori Italiani,
che fiorirono dal 1000 al 1300.
Wieder abgedruckt mit Bemerkun-
gen des AbbéFontana im Anhang zu: Trattato di Lionardo da
Vinci
, Firenze 1792. in 4.
**)
Id. Ib. p. LXII s.
***)
Dieſe ſind in den neueren Zeiten der Laurentiana groͤße-
rentheils einverleibt worden.
*)
Lami, l. c. p. LXX.
**)
Derſ. daſ. p. LXII. vergleicht den Ausdruck: griechiſche
Manier
, den er ſehr unpaſſend findet, mit dem wirklich nicht
zutreffenden: gothiſche Architectur. Gewiß hat man jenen
Ausdruck, wenigſtens in Italien, ſehr mißbraucht, weil man uͤber-
haupt nicht wußte, was denn das Unterſcheidende der griechiſchen
Kunſtuͤbung geweſen. Die aͤlteren Schriftſteller wiſſen indeß recht
wohl, was griechiſche Manier ſey; und jener Vergleich iſt ſchon
deshalb nicht zulaͤſſig, weil die Griechen des Mittelalters wirklich
eine eigenthuͤmliche Kunſtmanier beſeſſen, die Gothen aber, wie
neuere [Unterſuchungen] außer Zweifel ſetzen, nur etwa der roͤmiſch-
italieniſchen des vierten und fuͤnften Jahrhunderts ſich angeſchloſ-
ſen haben.
***)
Er hatte ſchon in den novelle letterarie, 1767. in ver-
ſchiedenen Stuͤcken gezeigt, daß man in Italien jederzeit ſeine Hei-
ligen gemalt habe.
†)
Bibl. Mediceo-Laur. Plut. 78. cod. 23. No. 2. p. 2. S.
meine Nachrichten uͤber dieſes Werk, den Abdruck der angef. Stelle,
*)
Lami, l. c. p. LVII. — „come se ne avesse fatta una tal
qual traduzione.“
Cennino ſagt: rimutò l’arte di Greco in
Latino.
Der Ausdruck iſt allerdings ungewoͤhnlich, doch verſtaͤndlich
und paſſend.
**)
l. c. p. c.
***)
Ghiberti, cod. cit. p. 7 a tergo — Giotto — fu disce-
polo di Cimabue, (che) tenea la maniera Graeca, in quella ma-
niera, (che) ebbe in Etruria grandissima fama
.
†)
die Anzeige der mittelmaͤßigen Ausgabe des Tambroni, im Kunſt-
blatt 1821 und f. Jahre.
*)
Gobelin. Personae Cosmodr. aet. VI. ap. Meibom. scriptt.
rer. Germ. Vol. I. p. 257. — Meinwercus quandam cappellam
prope majorem ecclesiam Paderbornensem, quondam per Geroldum
consanguineum et signiferum Caroli M.per Graecos operarios con-
structam
etc. etc.
*)
Osservatore Fiorentino, To. II. p. 136. sq.
**)
S. Abh. No. V.
*)
Della Valle, P. Guglielmo, Lettere Senesi, T. II. p. 9.
**)
Lanzi, stor. pitt. dell’ Italia, T. 1. Origini e primi me-
todi della pittura risorta. (Ed. Pisan. 1815. 12 p. 16.)
*)
Della Valle, l. c. — „Un accidente, di quelli che talora
scuoprono in un momento agli uomini ciò, che essi in vano ricer-
cato avrebbono lungo tempo, per lo scrostarsi dell’ intonacod’un
muro, che é sotto la sagrestia di S. Maria di Firenze, e che pro-
babilmente
é uno di quelli dipinti dai Greci, maestri di Cimabue etc.
*)
Lanzi l. c.; Erra però (il Vasari) facendogli operare (i
Greci) nella cappella de’ Gondi fabbricata insieme con la chiesa
tutta un secolo appresso; e dovea dire in altra cappella sotta la
chiesa etc.
*)
Ein einziger Schriftſteller, Richa, delle chiese di Firenze,
T. VI. Introduc. p. XLI.
behauptet, den griechiſch lautenden Namen
Apollonius unter den Muſivarbeitern aufgefunden zu haben, welche
in der Johanniskirche zu Florenz arbeiteten. Doch begleitet er ſeine
Angabe weder mit einer umſtaͤndlichen Citation des ohnehin verleg-
ten Archives, noch mit dem Jahre, in dem er angeſtellt und be-
zahlt worden. Und da er auch ſonſt, wie ich an anderen Stellen
zeigen werde, Archive citirt, die er nicht ſelbſt durchgeſehen; ſo
werden wir ihm auch nicht ſo uͤbereilt einen vollen Glauben ein-
raͤumen duͤrfen.
**)
Laſtri giebt, osservatore Fior. T. V. p. 61 sq., eine
zweyte Ueberſicht der mittleren Kunſtgeſchichte, welche beſchließt:
„Comunque siasi di tal questione, egli é però certo, che la repu-
blica (Fiorentina) pensò a chiamar de’ Maestri di quest arte dalla
Grecia o piuttosto da quei luoghi d’Italia, dove già essi l’esercita-
vano, affine di rimetterla in grido. Scolare di questi fu Cimabue,
e la sua maniera alquanto secca la dimostra abbastanza.“

Das Archiv, delle riformagioni; zu Florenz blieb mir jederzeit
unzugaͤnglich; der Archivar, Brunetti, iſt ſelbſt Schriftſteller. Alſo
haͤtte ich auf keine Weiſe auf das Berufungsdecret jener Griechen
ſtoßen koͤnnen, wenn ſolches etwa vorhanden waͤre. Uebrigens be-
zweifle ich, daß Laſtri ein ſolches geſehen habe, einmal, weil er
es nicht naͤher nachweiſt, da es doch, wenn beurkundet, in der
Frage, welche er unterſucht, den Ausſchlag gegeben haͤtte; dann,
weil er nicht wußte, ob dieſe Griechen aus Griechenland, oder aus
irgend einer italieniſchen Stadt berufen worden. Wenn je ein ſol-
ches Berufungsdecret vorhanden war, ſo mußte der Ort genannt
ſeyn, von woher man die fremden Arbeiter berief; Namen der
*)
S. Fiorillo, Geſch. der zeichn. Kſte., Bd. 1. S. 38. 42.
54. 68. 75. Bd. II. S. 5. 8. 739 f. Bd. IV. Einleitung. S. 33.
**)
Kuͤnſtler, naͤhere Beſtimmung der Arbeit, die man ihnen aufgege-
ben, auch andere Umſtaͤnde wuͤrden daraus bekannt worden ſeyn. —
Wir muͤſſen uns indeß mit dem Meiſter Appollonio des Vaſari und
Richa begnuͤgen, deſſen Namen kein zuverlaͤſſiger Berichtgeber je-
mals in Urkunden geſeheu, deſſen Zeitalter, wenn wir [auch] anneh-
men, daß der Name irgendwo genannt werde, doch ganz unbekannt
iſt; welcher demnach lange vor Cimabue, ſchon zu Anfang des drey-
zehnten Jahrhunderts, von Piſa nach Florenz gekommen ſeyn koͤnnte,
oder wenn ſpaͤter, nachdem die griechiſche Manier laͤngſt in Ge-
brauch war, nicht mehr als Lehrer, ſondern als Gehuͤlfe und Ar-
beiter mußte angeſtellt ſeyn. — Daß Cimabue Schuͤler dieſer un-
beurkundeten, zeitloſen Griechen geweſen ſey, wird auch hier nur
aus Wahrſcheinlichkeitsgruͤnden angenommen. Seine griechiſche
Malart konnte er indeß, wie wir ſehen werden, auch von ſeinen
italieniſchen Vorgaͤngern erlernt haben.
*)
Solcher alten Madonnenbilder ohne Jahr und Namen zaͤhlt
*)
Lanzi (sto. pitt. allgemeiner, und beſondere Eingaͤnge) gar viele
auf, worin er den oͤrtlichen Forſchern der italieniſchen Staͤdte
folgt, ohne ihre Angaben, welche doch nicht ſo gleichmaͤßig wohl
begruͤndet ſind, einer naͤheren Pruͤfung zu unterwerfen. Unter den
ſieneſiſchen, welche dem Lanzi aus den Lettere Senesi bekannt waren,
unterſuchte ich verſchiedene an der Stelle. Die Madonna auf dem
einzigen Altare der alten Kirche di Betlem, neben der Pfarre S.
Mammiliano, vor dem roͤmiſchen Thore der Stadt Siena, iſt auf
Holz gemalt, das ſich geworfen hat. Sie iſt daher bis auf die
Koͤpfe mit dicker Farbe durchaus uͤberſchmiert, die Koͤpfe ſelbſt
ſtellenweiſe aufgefriſcht, doch die Augen der Madonna noch ziemlich
rein. Gerade dieſe zeigen indeß ſchon Hinneigung zu jenem ver-
laͤngerten Schnitt, welcher nach meinen Erfahrungen erſt gegen das
vierzehnte Jahrhundert uͤblich geworden; weshalb dieſes Bild wohl
nicht ſo gar viel aͤlter ſeyn kann. — Die Jungfrau in der Kirche
S. Maria di Treſſa, fuor di porta S. Marco, die beſſer bewahrt
iſt, koͤnnte indeß dem Anſehen nach wohl etwas aͤlter ſeyn, ſogar
als oben beſchriebene von Guido von Siena. Mutter und Kind
blicken gerade aus dem Bilde hervor; ihre Stellung hat eine ge-
wiſſe bildneriſche Einfoͤrmigkeit. Die Augen der Madonna ſind
noch weit geoͤffnet, zwar ungleich ſtehend, doch nicht ohne Verſtand
umriſſen. In ihrem Munde iſt gleichfalls einige Feinheit, dagegen
in den Backen ein heller Zug, der nur durch entſchiedenſtes Miß-
verſtaͤndniß uͤberlieferter Andeutungen zu erklaͤren. — Das Kind
ein kleines Maͤnnchen. Die Engel am Nimbus der Madonna Li-
bellen, die ſie umſchweben.
*)
S. Lettere Senesi; Vasari, ed. San., in den Anm., und
Lanzi, T. 1. zu Anfang der Sieneſer Schule, will wahrnehmen,
daß Guido, der ſich eben zuerſt den Griechen angenaͤhert: se n’era
allontanato non poco in quella nostra Signora etc.
**)
In ſeinen handſchriftlichen ſieneſiſchen Nachrichten, welche
viele Baͤnde der Bibliothek der Sapienza zu Siena einnehmen.
*)
Vasari, vita d’Andrea Tafi.
**)
Lanzi, l. c. T. 1., zu Anfang ſeiner Scuola senese. In
den mehrmal wiederholten Jahreszahlen hat der Druckfehler 1389.
1390. 1392. fuͤr 1289 etc. ſich eingeſchlichen, den auch die Nach-
druͤcke wiederholen.
***)
Delle chiese di Firenze, T. VI. Introduz. p. 33 s.
*)
Della Valle vermuthet, es ſey dieſer Urheber der roͤmi-
ſchen Muſive ein Fra Giacomo da Turriechio bey Camerino, der
um 1270 gebluͤht habe.
*)
Wading, ann. ord. S. Franc.;Angeli, uͤber Aſiſi.
**)
Pisa illustr. To. II. P. 1. cap. IV. §. 1. (Ed. sec. p. 127.)
*)
l. et To. etc.
**)
l. c. origini etc.
*)
Pisa illustr. T. III. ed. 1793. p. 405 s.
*)
Millin, voy. dans le Mil. T. II. p. 317. — Vom Dome
zu Cremona: „Ce qui reste sur la voûte des deux nefs latérales
est véritablement unique. Les sujets sont tirés de l’histoire sainte.
Les figures sont malheureusement petites et la lumière est très rare.
Le dessin est sec; mais le coloris est très vif et les costumes sont
*)
très singuliers. Des légendes apprennent les noms des figures et
font connaître les sujets. Il est cependant évident (?), que les figu-
res n’ont pas été faites par des Grecs; tout y est italien.“
*)
Villehardouin, Geoffroy de, hist. de la conquête de
Constantinople. Paris 1657. fo. p. 81.
— Vom Brande, welcher
der Eroberung voranging. — „Les barons de l’armée eûrent grande
compassion, de voir ces hautes Eglises et ces riches palais „fondre
et abaissier.“ — Et les grandes ruës marchandes avec des riches-
ses inestimables toutes au feu.“
**)
S. Alter, Fr. C., philologiſch-krit. Miscellaneen. Wien
1799. XVII. (S. 234). Wo „uͤber eine lit. artiſtiſche Pluͤnderung
zu Anfang des dreyzehnten Jahrhunderts“ die wichtige Stelle der
Chronik des Dorotheus (Venet. 1778. 4. p. 397 f.) durch Ver-
gleichungen und ſchaͤtzbare Bemerkungen erlaͤutert wird.
*)
Nur einen fluͤchtigen Blick wirft v. d. Hagen, Briefe etc.
Bd. II. S. 116, auf dieſe Alterthuͤmer, denen ich zufaͤllig ebenfalls
keine laͤngere Zeit zu widmen im Stande war.
**)
Außer den ſchon angegebenen fand ich auch zu Siena,
Bibl. der Sapienza, eine beachtenswerthe miniirte HS. mit getrie-
benem, maltirtem, griechiſchem Deckel, welcher ungefaͤhr in die
angegebene Zeit faͤllt.
***)
Fior. Geſch. d. z. K. Thl. II. S. 8 und 214. Von der
Hagen
,
Briefe etc. Bd.
*)
Daſ.
**)
Delle pitture di Venez. 1771. 8. p. 2. — Beide ſtuͤtzen
ſich auf: hist. almi Ferrariensis gymn. Ferrara 1735. Auch dieſes
habe ich nicht zur Hand, uͤberlaſſe daher anderen, dieſe Frage zu
erledigen.
*)
Dieſe HS. war vor einigen Jahren noch nicht numerirt
und im Verzeichniſſe aufgenommen. Sie enthielt die Aufſchrift:
Nec cultu nitidum, nec auro renidentem, sed vetustate ceteris
longe clariorem codicem hunc, saec. circiter XI. exaratum, Maria
Aloysia — biblioth. Mediceae donavit XVII. Cal. Oct. an. 1806.

Das Kalendar reicht weiter vorwaͤrts. Die unbeſtimmte Zeitangabe
iſt nach den Schriftzuͤgen angenommen.

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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2025). Rumohr, Carl Friedrich von. Italienische Forschungen. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bp9r.0