[[I]]

Leben und Schickſale,
von ihm ſelbſt beſchrieben.


Fuͤnfter Theil,
welcher
deſſen Begebenheiten und Erfahrungen bis gegen
das Ende des Jahres 1802 enthaͤlt.



Leipzig: ,
in Commiſſion bey Gerhard Fleiſcher dem Juͤngern.
1802.

[[II]][[III]]

Seinen
wuͤrdigen und biedern Freunden
zu Nordhauſen,
dem Herrn
Commercienrath Neunhahn,
dem Herrn
Juſtitzcommiſſar Lange,
und
dem Herrn
Candidat Ramsdahl,
widmet
dieſen Band ſeiner Lebensgeſchichte
als ein Zeichen ſeiner Hochachtung
der Verfaſſer.


[[IV]][[V]]

Vorbericht.


Hier iſt nun der fuͤnfte Band meiner Biogra-
phie, welcher aber eigentlich der ſechſte ſeyn
ſollte: denn durch einen ſeltſamen Irrthum iſt
[VI] der fuͤnfte Band zur zweyten Abtheilung des
vierten gemacht worden.


Dieſer Band erzaͤhlt meine Geſchichte vom
Jahr 1797 bis 1802, ſoll aber, wenn ich leben
bleibe, das ganze Werk noch nicht ſchließen. Ich
werde bald eine Reiſe nach jenen Provinzen ma-
chen, welche durch den lezten fuͤr unſer Deutſch-
land ſo aͤußerſt nachtheiligen Frieden an Frank-
reich gekommen ſind, von da aus werde ich den
Elſaß, die Franche Comte und Bourgogne —
ich bediene mich noch immer der alten Namen
[VII] dieſer Laͤnder — mit aufmerkſamen Auge zu
Fuße durchwandern, und meinen Ruͤckweg durch
einen Theil der Schweitz, durch Schwaben und
Franken nehmen: alles was mir notabel ſcheinen
wird, werde ich fleißig notiren, und es unter
dem Titel: Laukhards Reiſen durch ei-
nen Theil von Deutſchland und Frank-
reich: aber auch als den ſechsten Band
meiner Biographie
herausgeben.


Dieß iſt alles, was ich fuͤr jetzt meinen Le-
ſern, welchen ich beßere Tage, als die meinigen
[VIII] ſind, von ganzem Herzen anwuͤnſche. Geſchrie-
ben zu Halle, den 26ten Auguſt 1802.


Fr. C. Laukhard.

[[1]]

Erſtes Kapitel.


Iſt ſtatt einer Vorrede.


Als ich einigen meiner Freunde die Eroͤffnung
machte, daß ich zur Oſtermeſſe des Jahres 1802
den fuͤnften Theil meiner Biographie ans Ta-
geslicht foͤrdern wuͤrde, ſchuͤttelten ſie mit den
Koͤpfen und meynten, ich haͤtte dem Publicum
in vier ziemlich dicken Baͤnden genug von mir
geſagt, und koͤnnte nun endlich wohl ſchweigen,
zumal da meine Ichheit und meine Verhaͤltniſſe
von ſolcher Wichtigkeit nicht waͤren, daß die Quaſi-
Leſewelt dabey intereſſirt ſcheinen duͤrfte.


Laukh. Leben 5ter Theil. A
[2]

Die Freunde, welche ſo dachten und ſagten,
hatten allerdings Recht: aber ihre Gruͤnde ſind
nicht vermoͤgend mich zu beſtimmen, meinen Vor-
ſatz aufzugeben. Ich will mich erklaͤren: nicht um
der Recenſenten willen: denn dieſe moͤgen meine
Arbeit aufnehmen wie ſie wollen, daran liegt
mir und meinem Publikum gar nichts, und
ich wuͤrde mich auch vergebens bemuͤhen, vor
den Augen der Recenſirmaͤnner, beſonders derer
zu Jena, Erlangen und Berlin Gnade zu finden,
da ich ſelbſt ſchon mehrmals mein Glaubensbe-
kenntniß von Recenſiſten und Recenſiſterey oͤffent-
lich abgelegt, und dadurch mich den Herren
ſchlecht genug empfohlen habe. — Alſo nicht we-
gen der Recenſenten, ſondern um meine Leſer
von dem zu unterrichten, was ſie in dieſem Ban-
de zu erwarten haben, ſoll hier meine Erklaͤrung
uͤber die Herausgabe deſſelben das erſte Kapitel
ausfuͤllen.


Ich weiß ſelbſt, ſo gut und beſſer als ſonſt
einer auf der ganzen Erde, wie wenig ich bedeu-
te, und zu allen Zeiten meines Lebens bedeutet
habe. Dieſes Nichtvielbedeuten meiner Perſon
haͤngt theils vom Schickſal, theils von meinem eig-
nen Betragen ab: denn haͤtte jenes wollen Etwas
aus mir machen, ſo haͤtte ich eben ſo gut Aſſeſſor
eines Conſiſtoriums, Hofrath, Regierungsrath,
[3] Paſtor-Primarius in einer Reichsſtadt, Leibarzt,
oder wohl gar General und Miniſter werden
koͤnnen, als andre es konnten: denn meine we-
nigen Kenntniſſe ſollten mir bey der allmaͤchti-
gen Leitung des Schickſals, welches die Griechen
Ειμαϱμενη *) nennen, eben ſo wenig im Wege
geweſen ſeyn, als ſie es andern waren und noch
ſind. Aber auch vom leidigen Schickſal abge-
ſehen, haͤtte ich mir vielleicht durch Schmiegen
und Biegen eine Bedeutung verſchaffen koͤnnen,
die ſo manche auf dieſen Wegen erlangt haben.
Doch es ſollte einmal nicht ſeyn, und jetzt, da
ich dieſes ſchreibe, iſts zu ſpaͤt, mir eine Lage zu
ſuchen, in welcher mich die Leute von unten auf
anſchauen und ſagen duͤrften: hic eſt,**) das
heißt: ſeht einmal an, aus dem Laukhard iſt
doch auch noch ein Mann geworden.


Ob ich nun gleich als ein unbedeutender
Menſch, das iſt, ohne Amt, ohne Reichthum,
A2
[4] ohne Glanz in der Welt lebe, ſo lebe ich doch
nicht in obſcuro, wie man ſagt, das iſt, als
ein ſolcher, der kaum bis an die dritte Thuͤre von
ſeiner Wohnung bekannt iſt. Ich habe viele,
recht ſehr viele Bekannte, worunter auch große
angeſehene Maͤnner ſind, und worunter ich einige
meine Freunde, wenigſtens ſo von Haus aus,
nennen kann. Dieſe haben ſtets einigen Antheil
an meiner Lage und an meinem Schickſal genom-
men, und gerne geleſen, was ich von mir ge-
ſchrieben, und gedruckt in die Welt geſchickt ha-
be. Dieſen meinen Bekannten wird es denn auch
nicht unangenehm ſeyn, wenn ich ſie von
dem unterrichte, was mir ſeit fuͤnf Jahren be-
gegnet iſt. Ueberdieß hat auch mancher, der
mich nicht kennt, von Perſon naͤmlich, meine
bisherige Geſchichten geleſen, und wenn dieſe kei-
ne lange Weile gemacht haben, ſo wird die
Fortſetzung derſelben gewiß auch keine machen.


Ich erzaͤhle alſo meinen lieben Leſern was
mir ſeitdem ich von ihnen im Jahr 1797 Abſchied
nahm, begegnet iſt: ſie finden zwar keine Groß-
thaten, und keine Merkwuͤrdigkeiten, welche
man den Annalen einverleiben muͤßte, um ſie fuͤr
die Nachwelt aufzubewahren, aber doch leſen ſie
hier manchen Vorfall, wobey ſie theils lachen,
[5] theils den Kopf ſchuͤtteln werden, und mitunter
auch ſolche, wobey ſie nachdenken und nicht ſel-
ten in ihren eignen Buſen greifen koͤnnen. Jede
Lebensgeſchichte iſt ein Gewebe von Begebenhei-
ten, wovon immer eine Urſache und Folge mit der
andern verbunden iſt, und wie die Anlage war, ſo iſt
jedesmal das Reſultat: wenn dieß in manchen
Selbſt-Biographien nicht ſichtbar iſt, ſo kommt
das bloß daher, weil der Herr Biograph entwe-
der ſich durch Verdrehung und Verſtellung der
Begebenheiten vor dem Publikum weißbrennen,
oder Dinge ganz uͤbergehen wollte, deren Publi-
citaͤt ihm unangenehm war. Dieß aber iſt mein
Fall nicht: denn ich ſuche keines Menſchen Gunſt
und fuͤrchte keines Menſchen Abneigung. Wer
nichts mit mir zu thun haben will, mag mich
immerhin gehen laſſen, und ich kann mit voller
Ueberzeugung ſagen, daß mir nie jemand auf der
Welt wirklich und in der Realitaͤt eben viel ge-
nuͤtzt habe, ſo gut und brav es auch meine Freun-
de mit ihrer Freundſchaft moͤgen gemeynt haben.
Daher habe ich auch nicht Urſache, mich irgend
jemanden durch Ausſtaffirung meines mir eignen
Charakters zu recommandiren, ſondern werde in
Ruͤckſicht meiner ſelbſt in dieſem Theile meiner
Hiſtorie noch aufrichtiger zu Werke gehen, als
in den vorigen, wo ich zwar nichts verdrehte,
[6] aber doch Einiges verſchwiegen habe, das ich
vielleicht haͤtte erzaͤhlen ſollen.


Da ich aber auch gezwungen bin von mei-
nem lieben Hannchen, welche ſeit beynahe fuͤnf
Jahren meine Frau iſt, mehr als einmal zu ſpre-
chen, ſo wird vielleicht mancher die Naſe ruͤm-
pfen, und urtheilen, daß ſo ein Verfahren aͤußerſt
anſtoͤßig und unwuͤrdig ſey, und daß ein Mann
die Fehler und Schnitzer ſeiner Frau fein huͤbſch
mit dem Mantel der Liebe zudecken, wenigſtens
nicht der ganzen Welt aufdecken muͤſſe.


Wenn es mir drum zu thun waͤre, mich mit
Exempeln zu vertheidigen, ſo koͤnnte ich die Le-
bensbeſchreibung des beruͤhmten und beruͤchtigten
Doctor Bahrdts anfuͤhren, welcher ſeiner theuren
Ehehaͤlfte nicht ſchlecht und viel aͤrger mitgeſpielt
hat, als ich es je oͤffentlich in Schriften thun
werde, geſetzt auch ich wuͤrde nichts wider die Wahr-
heit ſagen. Aber ich mag mich weder mit dem
Beyſpiel des Doctor Bahrdts, des großen Mil-
tons, welcher das verlohrne Paradies ſchrieb,
nachdem er ſein eignes Paradies, naͤmlich das
Gluͤck der Ehe, verlohren hatte, oder anderer Maͤn-
ner rechtfertigen, wenn ich nicht auf die vor-
theilhafteſte Weiſe von meinem Hannchen ſpreche,
ſondern ſage nur, daß ich ſo von ihr ſprechen —
[7] mußte, wenn ich meiner Geſchichte die noͤthige
Vollſtaͤndigkeit geben wollte.


Außer meinen eignen Hiſtorien werden meine
lieben Leſer eine Menge fremde Perſonen be-
treffende Anekdoten antreffen, welche ihnen, wie
man ſagt, nicht wenig Spaß machen ſollen. Ich
will zwar niemanden beleidigen, und mein Buch
nicht zum Repertorium der ſkandaloͤſen Chronik ma-
chen, wie einige Recenſenten faͤlſchlich von den erſten
Theilen geurtheilt haben: aber ich bin auf alles
aufmerkſam was in meiner Nachbarſchaft vorgeht,
und da kann es mir niemand verdenken, wenn
ich auch von andern das erzaͤhle, war mir Auffallen-
des und Intereſſantes von ihnen in bonam et ma-
lam partem
will ſagen zu ihrem Vortheil und Nach-
theil, bekannt geworden iſt. Daß ich meiſtens ſelbſt
die Perſonen nenne, geſchieht deßwegen, daß
mich niemand fuͤr einen kriechenden Panegyriſten
oder gar fuͤr einen furchtſamen Verlaͤumder halte.


Dann ſollen hier und da auch einige Retrac-
tionen vorkommen. Ich muß bekennen, daß in
den vorigen Theilen einige, obgleich nur wenige
Unrichtigkeiten untergelaufen ſind, woran ſich
bald dieſer bald jener geſtoßen hat. Dieſe Unrichtig-
keiten werde ich bey Gelegenheit zu verbeſſern und zu
berichtigen ſuchen, und um gleich eine Probe zu
geben, ſo geſtehe ich, daß die Th. 3. S. 126
[8] von dem verſtorbenen Kurfuͤrſten Maximilian von
Coͤlln aufgetiſchte Anekdote, welche ein Geſpraͤch
dieſes Fuͤrſten mit einer Schildwache zu Leipzig
betrifft, voͤllig falſch iſt. Man hatte dieſe Sage
nach Halle gebracht, und ſie da fuͤr gegruͤndet
ausgegeben; ſelbſt Leute von Anſehen, welche in
guten, das iſt ſolchen Cirkeln Zutritt haben, wo
es vornehm nach kleinſtaͤdtiſcher Mode hergeht,
erzaͤhlten ſich dieſelbe: ich ließ mich durch das
putative Anſehen der Erzaͤhler blenden, und war
ſchwach genug nachzuplaudern, was mir vor-
geplaudert worden war.


So wie ich aber alles zuruͤcknehmen werde, was
ich nun, als unrichtig habe kennen lernen, ſo
ſoll auch alles, was mich betrifft, und noch nicht
erzaͤhlt iſt, aber doch den Leſer intereſſiren koͤnn-
te, nachgeholt werden, wohin unter andern eine
gewiſſe Intrigue mit einem Goͤttingiſchen Frauen-
zimmer gehoͤrt, welche ein gewiſſer Freund, der
mich in Goͤttingen genau kannte, im erſten Theile
vermißt hat. Sogar aus meinen fruͤhern Jahren
werde ich einiges nachholen.


Ich bin mehrmals oͤffentlich in allerhand
Zeitungen, vorzuͤglich in dem Intelligenzblatt
der Jenaiſchen faͤlſchlich ſogenannten allgemeinen
Literaturzeitung — eine allgemeine Literaturzei-
tung muͤßte doch wohl ein anderes Ding ſeyn, als
[9] das Recenſirding von Jena — derb angegriffen
worden von gewiſſen Herren, welchen meine Nach-
richten aufgefallen waren. Auf dieſe theils grobe
und impertinente, theils feinere und hoͤflichere
Angriffe werde ich antworten, und zwar gebuͤh-
rend, aber nur bey Gelegenheit: dem Herrn
Hofrath Meyer zu Kuͤnzelsau im Hohenlohiſchen
aber werde ich auch nicht einmal bey Gelegenheit
Rede ſtehen. Dieſer Mann fuhr im Jahr 1796
uͤber eine ihn bereffende Stelle aus dem erſten
Theil dieſer Biographie recht bitter her, und
ſtellte mich als einen argen Laͤſterer an den Pran-
ger. Ich ſchwieg, und behielt mir die Ant-
wort auf eine andre Zeit vor: denn ich glaubte, da
Herr Meyer fuͤnf Jahre lang geſchwiegen hatte,
meine Antwort preſſire auch nicht. Zwey Jahre
hernach ſchrieb er einen Privatbrief an mich,
da er mich doch durch ein Publiclibell herunter
gemacht hatte, und bat mich, das im Jahr
1781 zu Darmſtadt vorgefallne Scandal zu un-
terſuchen: da kam es mir denn vor, als maͤße
man in Franken meinen Ausſagen mehr Glau-
ben bey, als dem Herren Hofrath Meyer, und
ich haͤtte im Kopf vernagelt ſeyn muͤſſen, wenn
ich, wie Herr Meyer forderte, das Zeugniß des
Traubenwirths zu Darmſtadt haͤtte einholen und
bekannt machen wollen. Will es aber Herr Hof-
[10] rath Meyer noch ſelbſt thun, à la bonne heu-
re; nihil impedio.


Meine Schreibart mag ich nicht entſchuldigen,
ſie iſt etwas derb, und die Feinheiten des deut-
ſchen Stils kenne ich ſo wenig, als die Moden
und die Lavendelflaſchen. Calamistris apud
nos non est locus,
ſagte einſt Merula in einem
Brief an den Politianus, und ſo ſage auch ich.
Doch verſichre ich, daß keine grobe, unanſtaͤn-
dige und noch weniger zotologiſche Ausdruͤcke vor-
kommen ſollen, wenn mir ſchon der Recenſent in
der auch faͤlſchlich ſo benahmten allgemeinen deut-
ſchen Bibliothek zur Ungebuͤhr vorgeſchmiſſen
hat, daß ich die Zotologie liebte.


Zweytes Kapitel.


Der Himmel haͤngt nicht lange voll Geigen.


Ein Griechiſcher Weltweiſer — ich weiß nicht
mehr welcher, und habe die Apophthegmata
des Erasmus nicht bey der Hand, um nachzuſchla-
gen, wem die ſchoͤne Antwort eigentlich zugehoͤ-
re, aber das thut auch nichts zur Sache — alſo
ein alter Philoſoph antwortete einem Freunde,
der ihn gefragt hatte, ob er heirathen ſollte
[11] oder nicht: nimm, Freund, nimm eine Frau,
oder nimm keine, es wird dich gereuen auf je-
den Fall.


Der Mann hatte Recht, aber Unrecht war
es doch von ihm, daß er als ein großer Kenner
die Folgen des Heirathens und der Hageſtolzerey
nicht genauer beſtimmte, in welchem Falle die
Reue am ſtaͤrkſten ſey, im erſten oder im andern
naͤmlich ſo im Allgemeinen: denn gleich wie es keine
durchaus anwendbare Regeln fuͤr das menſchliche
Betragen giebt, ſo giebt es auch keine fuͤr die
Heirathen, doch daͤchte ich, daß das Coͤlibat
lange nicht ſo viel verdrußvolle Stunden nach
ſich zoͤge, als der heilige Eheſtand. Meine Leſer
ſehen ohne mein Erinnern, daß dieſe Aeußerung
bloß meine Privatgedanken ausdruͤckt, die ich
durchaus nicht als richtig verkaufen mag, vorzuͤg-
lich denen nicht, welche ſich in ihrem lieben Binde-
ſtande wohl befinden; von dieſen uͤbergluͤcklichen
Menſchen gilt der Spruch des Dichters:


Si quis amat, quod amare juvat, feliciter
ardet,
Gaudeat et vento naviget usque ſuo.
*)

Und ledigen Perſonen uͤber dieſen Punkt
predigen, heißt tauben Ohren predigen: ich hatte
ja auch die ſechste Satire des Juvenalis geleſen,
[12] wußte alles, was der Graf Paſſerani gegen den
Eheſtand gewitzelt, und der Graf von Rocheſter
dawider raͤſonnirt hatte, die Meynungen des
Tertullianus, Macarius, Hieronymus, Mar-
tinus und vieler andrer Kirchenvaͤter, ſo wie die
Moͤnchsgrillen von der Ehe, und von dem hohen
Werth der Keuſchheit, das iſt, des Nichtheirathens
waren mir recht gut bekannt — und doch nahm
ich eine Frau.


Am Ende des vorigen Theils verſicherte ich
meinen Leſern, daß ich in dem Beſitz meines Hann-
chens mein ganzes Gluͤck zu finden hoffte; aber
wen hat die Hoffnung nicht ſchon oft haͤßlich be-
trogen? „Ueber Jahr und Tag, ſagt Herr Wums-
haͤter in Leſſings Miſogyn, zu einem Paar Braut-
leuten, werdet Ihr ſchon anders exclamiren.“
Das traf bey mir buchſtaͤblich ein, nur daß nicht
Jahr und Tag vergingen, bis ich anders excla-
mirte. Doch naͤher zur Sache.


Ich gelangte im September 1797 zum Beſitz
meines Hannchens, und nun hing mir der Him-
mel voll Geigen, wie man zu ſagen pflegt, wenn
jemand am Ziel ſeiner Wuͤnſche, naͤmlich ſo
nach ſeiner Meynung: denn andre Leute ſehen
meiſtens beſſer ein, wo uns der Schuh druͤckt, als wir
ſelbſt. Die erſten Tage gingen mir hin, wie ſie
einſt den Auferſtandenen im Himmel hingehen
[13] werden, nur daß mir in der Hochzeitnacht ein
komiſcher Streich begegnete, den ich hier erzaͤh-
len wuͤrde, wenn ich mich nicht vor den ſchiefen
Urtheilen gewiſſer Leute fuͤrchtete, welche noch
an Hexen und Bezauberungen glauben.


Einige Tage nach der Hochzeit fand ich ſchon,
daß ich die Rechnung ohne den Wirth gemacht
hatte,


Und daß man immer moͤge ſagen,

Wer liebt, ſey lauter Herz; man hab' auch

einen Magen.

Meine Leſer verſtehn mich: der Mangel ſtell-
te ſich bald in meiner Wirthſchaft ein, und mein
Hannchen forderte einmal acht Groſchen von mir,
als ich gerade noch zwey Groſchen vier Pfennige
im Vermoͤgen hatte. Ich gab dieß wenige Geld
hin; Hannchen lachte;


„Schaͤcker,“ ſagte ſie, „ruͤcke doch heraus!“
„Ich hab nicht mehr, liebes Kind.“
„Ach, gackele nicht; gieb her, immer her!“


Große Noth hatte ich, das gute Kind zu
uͤberzeugen, daß ich nichts mehr hatte, und zu
dieſer Ueberzeugung war eine Ocularinſpection
noͤthig. Hannchen wurde uͤberfuͤhrt, und weg
war mit dieſer traurigen Ueberzeugung ihre
freundliche Miene. Ich fuͤhlte dieſen Uebel-
ſtand gleich, und fing an, Bemerkungen deßwe-
[14] gen zu machen. Ein mir durch die Seele gehendes
Ach! war die ganze vielbedeutende Beantwor-
tung meiner ganzen philoſophiſchen Diſſertation
uͤber die Genuͤgſamkeit.


Verdrießlich und ohne zu wiſſen, wohin ich ge-
hen ſollte, verließ ich meine Wohnung und ging auf
die Mail. An dieſem Orte, einer Schenke einen
Buͤchſenſchuß vor der Stadt, findet man beynahe
immer muntere Geſellſchaft, aber keine aus-
ſchweifende und renommiſtiſche, daher ſchaͤmen
ſich auch angeſehene Maͤnner und Frauenzimmer
nicht, die Mail zu beſuchen. Hier traf ich ein
juriſtiſches Animal diſputax an, das heißt, ein
Menſchenkind, welches von nichts redet, als von
Pandekten, Codex, Novellen und Feudalbuͤchern.
Dieſer Hochgelehrte Herr nahm mich aufs Korn,
und kaum hatte ich eine Kanone vor mir, die ich
von Jungfer Dorchen auf Credit nahm, ſo packte
er mich feſt, und raͤſonnirte mir da ein Langes
und ein Breites uͤber die beruͤhmte Conſtitution
Omnem des Kaiſers Juſtinianus vor: beſonders
beſchaͤftigte ihn die wichtige Frage, warum in
der Ueberſchrift der Conſtitution der Anteceſſor
Salaminius nicht vir illustris wie die uͤbrigen
ſieben, ſondern bloß vir diſertiſſimus genannt
werde. Zum guten Gluͤck hatte ich einſt die
Conſtitutio Omnem auch geleſen und zwar mit
[15] Wielings gelehrten Anmerkungen, und war daher
im Stande dem Großſprecher zu antworten. Der
Menſch aͤrgerte ſich, und gerieth vollends in den
Harniſch, als der Schumachermeiſter Rehnius ihm
gerade heraus ſagte, Laukhard verſtaͤnde vielleicht
mehr von der Juriſterey, als er. „Hole mich
der Teufel, ſagte er nun, ich verwette einen
Tha [...]er, Hr. Laukhard weiß nicht, was ein ſuus
haeres
iſt.“


Rehnius. Nun, Magiſter, laſſen Sie
das auf ſich ſitzen?


Ich. Der Herr B... ſpaßet nur.


Hr. B. Nein, bey meiner Seele, es iſt mein
Ernſt: ich ſetze einen Thaler, Sie wiſſen nicht
was ein ſuus haeres iſt.


Ich. Eh bien, es bleibt dabey.


Hr. B. (legt einen Thaler auf den Tiſch).
Hier: jetzt ſetzen Sie einen dagegen.


Ich. Gleich: will erſt wechſeln.


Es waͤre mir unmoͤglich geweſen, einen Gro-
ſchen zu ſetzen, geſchweige denn einen Thaler; allein
ein guter Freund, der Hallor Eckhard, ſonſt Bauer
genannt, riß mich aus der Verlegenheit, und ſtreckte
mir einen harten Thaler vor; ich ſetzte ihn, betete
die Definition von ſuus haeres her, *) und ge-
[16] wann meinen Thaler. Der gelehrte Herr aͤrgerte
ſich gar maͤchtig, wurde derb ausgelacht, und
zog nach einigen Fluͤchen, und Tiraden uͤber
halbgelehrte Juriſten, zu welchen er aber ſelbſt
gehoͤrte, zum Tempel hinaus.


Kaum war er fort, ſo erſchien ein andrer wel-
cher der Geſellſchaft viel Spaß machte. Er hatte
einſt in Jena ſtudiert, und ſein Geſpraͤch betraf bloß
die Univerſitaͤt zu Jena und die Freyheiten der daſi-
gen Studenten, welche er den auf der Mail verſam-
melten Buͤrgern vordemonſtrirte. „Straf mich
Gott, meine Herren, ſchrie er unter andern,
Sie koͤnnen mirs glauben, und ich will ein in-
famer Eſel ſeyn, wenns nicht wahr iſt, in Jena kann
ich einen durchhauen fuͤr einen Laubthaler. Wenn
ich mit einem Haͤndel habe, und will ihn hauen,
ſo greife ich ihn auf der Straße oder ſonſt wo
an, mir nichts, dir nichts, haue ihm das Fell
durch, daß er den Prieſter begehren moͤgte, dann
gehe ich hin zum Prorektor: „Diener, Ihr Magni-
ficenz, hier iſt ein Laubthaler, hab den Lumpen-
kerl, wie nun der Kerl heißt, ausgegerbt, und
das honorig.“ „Gut, gut, ſagt dann der Pro-
rektor, kommen Sie bald wieder, wir wollen
auch
*)
[17] auch leben.“ Blox iſt die ganze Sache rein abge-
than. Ich hab einen gekannt, der ſchickte alle
Monate, allemal auf den erſten, zwoͤlf Laubtha-
ler an den Prorektor praenumerando: denn jeden
Sonntag, Mittwoch und Freytag mußte er ei-
nen durchhauen, das war ſo ſein Geſetz.


Der Menſch brachte ſeine Abgeſchmaktheiten
mit einer ſo zuverſichtlichen Miene vor, daß die
ganze Geſellſchaft herzlich uͤber den Gecken lachen
mußte, aber niemand glaubte dem Gewaͤſche: denn
unſre Hallenſer laſſen ſich nicht gerne etwas aufluͤ-
gen.


Gegen Abend kam mein Hannchen, ſahe daß
ich bezahlte, was ich geben ließ, viſitirte mir alſo
die Taſchen, und da ſie fand, daß ich Geld hatte,
fing ſie ordentlich an, mit mir zu expoſtuliren,
daß ich ihr daſſelbe verhehlt haͤtte. Ich erklaͤrte ihr
die Art, wie ich zu einem Thaler gekommen war,
aber ich hatte große Muͤhe, ſie voͤllig zu uͤberzeu-
gen.


Ich wohnte in der Maͤrkerſtraße bey dem Schnei-
der Baum, welcher mir fuͤr zwanzig Thaler alte
zerbrechliche Moͤbel uͤberlaſſen hatte. Ich haͤtte
freylich weit beſſere fuͤr ſo viel Geld haben koͤnnen,
wenn ich im Stande geweſen waͤre, baar zu bezah-
len: aber da ich auf Credit nehmen mußte, und
Herr Baum mir verſprach, vor Oſtern kein Geld
Laukh. Leben 5ter Theil. B
[18] zu fordern, ſo ließ ich alles gut ſeyn, und nahm
das alte Geruͤmpel, als waͤre es taugbar und neu
geweſen, gerne an. Ich dachte in dieſem Stuͤck
noch immer ſtudentiſch: wenn naͤmlich die Herren
Academiker etwas auf Credit, oder nach ihrem
Ausdruck, auf Pump haben koͤnnen, ſo iſts ſchon
gut, und ſie ſehen die gepumpte Sache als geſchenkt
an. Indeſſen ſchien es nicht, als wenn Meiſter
Baum der Schneider lang borgen wollte. Schon
am ſechsten Tage nach meiner Hochzeit forderte er
drey Thaler von mir. Ich wunderte mich uͤber
den Menſchen, da ich ihm doch ſeine Miethe auf ein
halbes Jahr vorausbezahlt hatte, und ſagte ihm,
daß ich jezt kein Geld haͤtte. Baum, welcher ſei-
nen Kopf bey Hr. Adolph auf dem Steinweg he-
roiſch getrunken hatte, ſchwur bey allen himm-
liſchen und allen hoͤlliſchen Geiſtern, daß er voͤllig
auf dem Hund ſey und auf jeden Fall ausgepluͤn-
dert werden wuͤrde, wenn ich ihm nicht aushuͤlfe.
Er wolle aber in einigen Tagen alles zuruͤckgeben.
Ich hatte Mitleiden mit dem fluchenden und ſchwoͤ-
renden Schneidermeiſter, wendete mich an einen
Freund, und dieſer ſchickte mir zwey Thaler, die
ich ſofort dem Herrn Baum einhaͤndigte.


Es vergiengen acht Tage, auch vierzehn Tage,
und Baum redete gar nichts mehr von den zwey
Thalern. Die Noth druͤckte mich, und ich erinner-
[19] te meinen Herrn Wirth ſo von weitem: aber Herr
Baum ſtellte ſich, wie die Hallenſer ſagen, eine halbe
Stunde dumm, und that, als verſtuͤnde er mich
nicht. Ich mußte mich alſo naͤher und deutlicher
erklaͤren.


„Lieber Baum, ſagte ich zu ihm, Sie ver-
ſprachen mir doch die zwey Thaler —


Baum. Ich weiß alles, kuͤmmern Sie ſich
um nichts.


Ich. Jetzt bin ich ſehr gedraͤngt: wenn Sie doch
Ihr Verſprechen erfuͤllen koͤnnten —


Baum. Alles will ich thun, lieber Magiſter:
Hole mich der Teufel, wenn ich nicht mit dem an-
dern warten will, bis zu Michaelis.


Nun wußte ich, woran ich war: ich ließ den
Baum ſtehen, und ſuchte einiges Geld aufzutrei-
ben, welches mir damals auch nicht ſchwer fiel,
da meine Scholaren faſt alle ihre Wechſel bekamen.


Das Jahr vorher hatte Baum die unterſten
Stuben nach der Gaße an einen gewiſſen Gebhard
vermiethet, und dieſer legte ſich einen Bier- und
Schnappshandel an. Er wuͤrde wenig Zulauf ge-
habt haben, weil er nur halliſches Stadtbier und
Stadtbreyhan ſchenken durfte, indeß die großen
Keller allerley auswaͤrtige Getraͤnke verkaufen,
wenn er es nicht fuͤr gut gefunden haͤtte, ſeine
Schenke in ein Spielhaus zu verwandeln, und
B2
[20] alle Haſardſpiele zu erlauben. Nun liefen alle
ſpielſuͤchtigen Leute, deren Zahl in Halle Legion
heißt, in Gebhards Schenke, und die Karten und
die Wuͤrfel regierten Tag und Nacht, vor fruͤh vier
oder fuͤnf Uhr ward es da nie Feyerabend, auch
fielen mehrere grobe Exzeße in dieſem Spielhauſe
vor, und der Jaͤger des Generals Salomon wur-
de einſt dermaßen ausgepluͤndert, oder nach Spie-
lerdialekt, ausgemiſtet, daß er im Hemde und
ohne Hut in alten Schuhen, die ihm Gebhard noch
aus Mitleid gab, abziehen mußte.


Alle luſtigen Bruͤder der Stadt beſuchten dieſe
Kneipe fleißig, und da es in Halle Mode iſt, ſol-
chen Oertern Beynamen zu geben, ſo bekam auch
Gebhards Niederlage einen dergleichen, naͤmlich
den Zunamen Geige, deſſen wahrer Urſprung
mir aber unbekannt iſt. Der Schneider Baum,
welcher es ſehr ungerne ſah, daß ſeine Reſidenz einen
Beynamen erhielt, und mit Recht ſchließen konnte,
dieſer Beyname wuͤrde bis auf ſpaͤte Zeiten hin fort-
waͤhren, zankte ſich deßwegen mit dem Schenkwirth
Gebhard, und bot ihm in der Hitze aus. Geb-
hard ſetzte an einem andern Orte ſeine patriotiſche
Anſtalt fort.


Baum, der ſchon ſeit langer Zeit die Schere,
Elle und Nadel fuͤr gar muͤhſelige Inſtrumente an-
ſah, gab nun auf einmal die ganze Schneiderey
[21] auf, und fing an Kneipenwirthſchaft zu treiben.
Anfangs ging alles vortreflich; denn auch er er-
laubte die Haſardſpiele, und wer dieſe beguͤnſtigt
in ſeinem Hauſe, darf wegen Kundſchaft nicht in
Sorgen ſtehen. Da aber ſeine Kneipe den Namen
Geige fortbehielt, und er oft damit geneckt wur-
de, ſo gerieth er, beſonders wenn ihm der Spiri-
tus in die Krone geſtiegen war, gar ſehr in den
Harniſch, und behandelte ſeine Gaͤſte ſelbſt mit der
aͤrgſten Impertinenz. Daruͤber wurden dann die
Gaͤſte auch verdrießlich, und verlegten ihre Spiel-
baͤnke ſonſt wohin. Meiſter Baum haͤtte leicht den
Namen Geige dulten koͤnnen, da gewißen Haͤuſern
in Halle ganz andre Beynamen gegeben ſind, z. B.
Diebshoͤhle, blinde Herberge, Scheppenſtaͤtt, Spa-
dille-Manille, Rußloch, Studentenherberge, u.
ſ. w. Die Beſitzer dieſer Haͤuſer wiſſen dieſe Zu-
namen, formaliſiren ſich aber nicht daruͤber, und
thun wohl daran: denn kaͤme es unter die Leute,
daß ſie ſich formaliſirten, ſo waͤre des Spektakelns
kein Ende, und der Schaden bliebe auf jeden Fall
auf Seiten des Formaliſanten, wie es ſich mit dem
Herrn Schneider Baum zutrug, welcher durch ſeine
Grobheit alle Gaͤſte verlohr.


[22]

Drittes Kapitel.


Ein Sprichwort iſt nicht immer ein wahres Wort.


Das Gegentheil von dem in der Ueberſchrift die-
ſes Kapitels angegebnen Grundſatz iſt ſelbſt ein
Sprichwort: aber ſo ſehr ich auch ſelbſt hin und
wieder in meinen Buͤchern den Gebrauch der Sprich-
woͤrter empfohlen habe, und noch empfehle, ſo
muß ich doch bemerken, daß ſie durch die Erfah-
rung oft widerlegt werden, und daß ſie folglich
nicht immer wahr ſind. Das bekannte Weid-
ſpruͤchlein „wie man's treibt, ſo gehts
hab' ich zwar hundertmal durch meine eigne Erfah-
rung beſtaͤtigt gefunden, allein im Winter 1797 —
98 wollte das gute Spruͤchlein nicht bey mir ein-
treffen. Ich hatte mir vorgenommen, ſo zu hauſen,
daß ich ruhig und ohne weitere Sorgen leben koͤnn-
te; allein ich hatte die Rechnung ohne den Wirth
gemacht, und ſo ſehr ich auch alles aufbot, und
alle meine Kraͤfte anſtrengte, um ſoviel zu erwer-
ben, als noͤthig war, meine kleine Wirthſchaft
zu fuͤhren, ſo war ich doch keinen Tag ohne Kum-
mer, und wenn auch alles noch ſo gut ging, ſo
fing mein Hannchen an, uͤber ihre Lage zu noͤrgeln,
[23] und dieſe Noͤrgeleien verurſachten dann natuͤrlicher
Weiſe, daß ich nirgends in einer penibelern Lage
war, als wenn ich mich zu Haus aufhalten mußte.


Ich gab mehrere [Stunden] und repetirte dieſen
Winter uͤber die chriſt-lutheriſche Dogmatik und
die Kirchengeſchichte. Beyde [Diſciplinen] haben
mir ſtets viel Vergnuͤgen gemacht; nicht als wenn
es an und fuͤr ſich [angenehm] waͤre, eine Menge
unbeweisbarer hyperphyſiſcher Lehrſaͤtze zu lernen,
oder ſich mit dem Gang des kirchlichen Despotis-
mus aus der Geſchichte der Kirche bekannt zu ma-
chen, ſondern weil beyde jeden denkenden Kopf ſo
ſehr beruhigen uͤber alles, was man ihm als offen-
bart aufdringen will: denn die Dogmatik und die
Kirchenhiſtorie ſind die beſte Widerlegung aller moͤg-
lichen Offenbarung, man muͤßte dann annehmen,
daß das ganze Menſchengeſchlecht etwan achtzehn-
hundert Jahre lang im Kopf verruͤckt geweſen ſey.
Doch das gehoͤrt hier nicht her. Außer dieſen theolo-
giſch-hiſtoriſchen Stunden unterrichtete ich auch noch
im Lateiniſchen, Franzoͤſiſchen und Italieniſchen.


So lang ich außer meiner Wohnung war, hatte
ich heitere Sinnen, kam ich aber dahin zuruͤck, ſo
machte mein ſanftes Hannchen eine dermaßen
finſtere Stirne, daß ich mich in dem Augenblick
weit weg wuͤnſchte. Daß es gleich von Anfang
unſres Ehejochs oftmals zum Wortwechſel kam,
[24] verſteht ſich von ſelbſt. Ich bin zwar von Natur nicht
finſter und rauh, noch weniger iſt Grobheit [und] Im-
pertinenz mein Laſter; allein der Teufel bleibe gleich-
guͤltig, wenn einem unverdiente Vorwuͤrfe gemacht
werden, oder wenn man Dinge von uns, und
zwar mit Poltern fordert, welche wir unmoͤglich
leiſten koͤnnen.


So ging mirs: meine Frau fand alles nicht
recht, was in unſrer Wirthſchaft war, und ich fand
ganz natuͤrlich auch vieles von dem nicht recht,
was ſie vornahm, beſonders gefiel mir ihr Umgang
mit einer gewiſſen Madam Unruhe nicht, welche
auch in unſerm Hauſe wohnte, und deren Mann
mit einem andern halliſchen Frauenzimmer in Leip-
zig wirthſchaftete. Ein Ehemann hat meiſtens Un-
recht, wenn er ſein Weib ſitzen laͤßt, aber wer ſo
ein Fegefeuer am Halſe hat, wie die gedachte Ma-
dam Unruhe war, dem verdenke ichs warlich nicht,
wenn er das Freye zu gewinnen ſucht: denn Si-
rach ſagt mit Recht, er wolle lieber bey Loͤwen und
Drachen wohuen, als bey einem boͤſen Weibe.


Meine Vorſtellungen, mein Zanken und mein
Poltern half alle nichts: meine Frau verſtand es
aus dem Fundament, auf Vorſtellungen zu repliciren,
und iſt eine Meiſterin im Zanken und im Poltern.
Meine Lage war gewiß nichts weniger, als benei-
denswerth.


[25]

Im Herbſt 1797 war der Koͤnig Friedrich Wil-
helm von Preußen geſtorben, und das Verhaͤltniß,
worin ich ehedem mit ſeinem Nachfolger geſtanden
hatte, ließ mich eine ſchwache Hoffnung ſchoͤpfen,
daß durch ihn meine Umſtaͤnde koͤnnten verbeßert
werden. Ich nenne die Hoffnung, die ich damals
hatte, eine ſchwache Hoffnung: denn ich dachte
nicht, wie die meiſten Preußiſchen Unterthanen,
daß nun es wahr wuͤrde, was Virgilius ſagt:
ſam redit et virgo, redeunt Saturnia regna
queis ferrea primum
Deſinet et toto ſurget gens aurea mundo.
*)


Ich hoͤrte die Nachricht von dem Tode des vo-
rigen Koͤniges auf der Breyhanſchenke, eine Stun-
de von Halle, wohin ich gegangen war. Das gan-
ze Zimmer war voll Bauern, Jaͤgern und politi-
ſchen Kanngießern: alles jubelte, und freute ſich
der im vollen Galopp herbeyziehenden beſſern Zei-
ten: nun wuͤrde alles, meynten die Politiker, ſo
hergehen, wie es ein jeder wuͤnſchte, und in dieſen
ſuͤßen Erwartungen uͤberließen ſie ſich ganz dem
freudigſten Herumtrinken, und wurden nun noch
lauter. Ein aͤltlicher Mann von Teutſchenthal ſaß
neben mir, und ſprach zu allen Kanngießereyen
auch nicht eine Sylbe. Ich wunderte mich uͤber
ſein Stillſchweigen, und fragte ihn, was er von
[26] den neuen Vorfaͤllen daͤchte? „Mer muß halig
wahrten, wies noch kuͤmmt: mer waͤß wuhl, wie
mer ausfaͤhrt, aber wie mer hame kuͤmmt, das
waͤß mer niche.“ Der Bauer raͤſonnirte nicht un-
recht, nicht als ob der Ausgang ſeine Spruͤchwoͤr-
ter beſtaͤtiget haͤtte, ſoudern deswegen, weil es
unklug iſt, zu fruͤhe ins Horn zu blaſen.


Der jetzige Koͤnig von Preußen hat die Hoff-
nungen und Erwartungen aller derer erfuͤllt, wel-
che im Stande ſind, zu uͤberlegen, und die große
Wahrheit einſehen, daß ein Monarch, waͤre er
auch der maͤchtigſte und einſichtsvollſte aller Men-
ſchen, und gutgeſinnt, wie ein heiliger Engel, es
doch nicht allen Menſchen recht machen koͤnne.
Neque Jupiter omnibus placet, ſive pluat, ſive ſit
ſerenus
iſt ſchon vor Alters geſagt worden, ich weiß
aber nicht von wem, und ſo lange noch ſo viel Koͤ-
pfe ſeyn werden, als Sinne ſind, ſo waͤre es eine
wahre Tollheit, zn fordern, ein Regent ſolle ſo re-
gieren, wie es jeder Kopf fuͤr gut und wohlge-
macht haͤlt. Dieß ſieht nun wohl jeder ein, aber
da jeder glaubt, ſeine Vernunft koͤnne der Ver-
nunft aller Menſchen zum Richtmaaß dienen, ſo
raͤſonnirt auch jeder uͤber die Regierung, wenn dieſe
es anders macht, als er glaubt, daß ſie es ma-
chen muͤſſe.


Bey jedem Regentenwechſel findet noch ein
[27] Grund uͤberſpannter Erwartungen bey den Unter-
thanen ſtatt, welcher meiſtens hoͤchſt falſch iſt. Die
vorige Regierung wird durchaus als fehlerhaft be-
trachtet, und alle unter derſelben getroffnen An-
ſtalten fuͤrchterlich heruntergemacht. Als Friedrich
der zweyte von Preußen ſtarb, mußte ſeine lange
gluͤckliche, mit ſo vieler Weisheit gefuͤhrte Staats-
adminiſtration die ſchrofſte aber auch zugleich die
unbilligſte Critik paßiren: man tadelte ſogar die
Einrichtungen ſeines Militairs, Einrichtungen,
die noch kein Monarch vor ihm getroffen hatte,
und worin ihm nur ſeine Nachfolger nachahmen
koͤnnen. Aber bald kamen die guten Preußen von
ihrem Irrthum zuruͤck.


Friedrich Wilhelm II. ein Fuͤrſt, deſſen Feh-
ler bekannt ſind, deſſen vortrefliche Eigenſchaften
aber alle ſeine Flecken bey weitem uͤberwogen. Dieß
bedachte aber der große Haufe nicht, und ſahe bloß
die Fehler ſeines guten Koͤniges, und die Schrift-
ſteller haben nie ihre Federn mehr entwuͤrdiget, und
ſich aͤrger unter den Troß der Laͤſterer und Calum-
nianten gemiſcht, als in Ruͤckſicht auf dieſen Fuͤr-
ſten — hat man doch ſogar einen Saul den
dicken
, Koͤnig im Kanonenlande, erſchei-
nen ſehen!! Aber Friedrich Wilhelms II. Anſtal-
ten waren faſt alle meiſterhaft, und ſein Nachfol-
ger der jetzige Koͤnig, haͤtte die Kunſt zu regieren
[28] gar nicht verſtehen muͤſſen, wenn er eine allgemei-
ne Reform haͤt[t]e anfangen wollen, wie man doch
damals erwartete und wuͤnſchte. Dieſe allgemei-
ne Reform wuͤrde eine allgemeine Verwirrung nach
ſich gezogen haben: es blieb daher auch in Preu-
ßen nach dem Tod des Koͤnigs Friedrich Wilhelm
ſo ziemlich beym Alten, obgleich manche heilſame
Veraͤnderungen vorgenommen wurden, wohin die
Abſtellung der Tabaksfe[r]me vorzuͤglich gehoͤrt.


Ich hatte, w [...]e geſagt, einige Hoffnung, daß
der neue Koͤnig ſich meiner erinnern, und fuͤr mich
ſorgen wuͤrde. Meine Freunde zu Halle riethen
mir, ſelbſt nach Berlin zu reiſen, und mich dem
Monarchen vorzuſtellen: ich fand dieſen Rath ver-
nuͤnftig, und begab mich im Februar 1798 nach
Berlin. Meine Kaſſe war ſchwach, wie ſie zu
allen Zeiten zu ſeyn pflegt. Ich war alſo gezwun-
gen, mich entweder um Freypoſt zu bemuͤhen, oder
gar zu Fuſſe zu gehen. Unſer Poſtmeiſter Hr. Kriegs-
rath von Madeweis geſtattete mir freye Poſt bis
nach Deſſau, und von da kam ich durch bis nach
Briezen. Ich hatte eine ſehr ſchnurrig componir-
te Reiſegeſellſchaft: zwey Preußiſche Offiziere, ei-
nen Juden, und ein halliſches Freudenmaͤdchen.
Die Offiziere waren von der Cavallerie, und ka-
men von einer Reiſe ins R[e]ich zuruͤck, wo ſie zu
Hauſe waren; es waren ſehr ſolide brave Maͤnner
[29] von geſundem Urtheil und feinem Geſchmack, mit
welchen ich mich vortreflich unterhalten konnte.
Der Jude war ein Schacherer, der ſich aber neben
ſeinem Schacherhandel auch aufs Spielen legte,
und in dieſer Kunſt nicht geringe Fertigkeit ſchien
erlangt zu haben. Die Offiziere machten ſich viel
mit ihm zu thun, als ich ihm aber beweiſen wollte,
daß die Juden zu allen Zeiten veraͤchtliche und
hoͤchſt ſchaͤdliche Creaturen geweſen waͤren, ward
der Iſraelit boͤſe, und gab uns ferner keine Antwort
mehr. Der Kerl hatte Recht, ich aber hoͤchſt Unrecht,
einen ganz unnuͤtzen Beweis zu fuͤhren: denn die
Offiziere kuͤmmerten ſich um die ganze Judenſchaft
nicht, und der Jude ließ ſich doch nicht bekehren.


Das Freudennymphchen von Halle war die be-
ruͤchtigte Manſcheſterchriſtel, eines ehedem der
huͤbſchſten Maͤdchen unſrer Stadt; nachdem ſie aber
ſich auf die liederliche Seite gelegt hatte, und generis
omnis
geworden war, fand ſich in ganz Halle keine
ſchaamloſere Hure, als eben Manſcheſterchriſtel.
Der gar zu haͤufige Genuß der Wolluſt ſchwaͤchte
ihren Koͤrper dergeſtalt, daß hernach, als die lei-
dige Luftſeuche ſie befiel, keine Arzney mehr anſchla-
gen wollte. Damals als ſie nach Berlin reiſte, war
die aͤſthetiſche Krankheit ſchon ſehr ſichtbar an ihr,
und doch ließ ſie ſich einfallen, einen jungen Me-
diciner da zu beſuchen, welcher ehedem in Halle
[30] mit ihr geliebelt, und ihr im Taumel der Leiden-
ſchaft die Ehe verſprochen hatte. Der Menſch haͤtte
alles Gefuͤhl muͤſſen verlohren haben, wenn er nun
noch den Liebhaber eines Frauenzimmers haͤtte ma-
chen wollen, das ſo zu ihm kam: doch unterſtuͤtzte
er die Unverſchaͤmte mit Geld und ließ ſie wieder
nach Halle reiſen. In Halle fiel ſie taͤglich mehr
ins Elend, und krepirte endlich in den abſcheulich-
ſten Umſtaͤnden. Ihr Andenken hat ſich indeſſen
noch in einem famoͤſen Knittelliedchen erhalten,
welches unſre Straßenjungen noch ſingen, und wel-
ches ein luſtiger Bruder einem gewiſſen Schwarz-
rock zu Ehren ſcheint gemacht zu haben.


Von Briezen bis nach Berlin ging ich zu Fuß:
es war ſehr ſchoͤnes Wetter, und die Geſellſchaft eines
Schulmeiſters aus der Altmark, der auch dahin
ging, aber von Wittenberg kam, machte mir die
Fußreiſe ſehr angenehm. Der Schulmeiſter war
ſehr redſelig, und wenn alles wahr iſt, was er mir
von ſeinem Paſtor erzaͤhlte, ſo muß die geiſtliche
Einrichtung in dem altmarkſchen Dorfe, wo der
Cantor her war, beſſer ſeyn, als in mancher Stadt,
ſogar in mancher Univerſitaͤtsſtadt. „Unſer Paſtor,
ſagte der Schulmeiſter, kann es nicht leiden, daß
aller Schulunterricht ſich bloß aufs geiſtliche We-
ſen, und auf ein bißchen Rechnen und Schreiben
einſchraͤnke. Er hat daher auch oͤkonomiſchen Un-
[31] terricht eingefuͤhrt, und ertheilt dieſen ſelbſt; er
lehrte ſogar die Jungens Baͤume pfropfen und oku-
liren. Das Preußiſche Landrecht traͤgt er in der
Schule und in der Kirche vor, naͤmlich des Nach-
mittags, weil er noch nicht das Herz hat, die Pre-
digten uͤber die Evangelien einzuſchraͤnken, und
erzaͤhlt unſrer Jugend eine Menge huͤbſcher Hiſto-
rien. Die Landkarten muͤſſen ſie auch treiben, und
Raffs Naturgeſchichte, ſo wie Eberts Naturlehre
koͤnnen die jungen Leute auswendig: eine ganze
Hetze huͤbſcher Lieder und Spruͤche wiſſen ſie auch,
und doch verſtehen ſie ihren Catechismus ſo gut,
als wenn ſie ſonſt gar nichts trieben als den.“


Ich konnte wohl merken, daß der Herr Cantor
etwas uͤber die Schnur hieb, und zu viel von den
Vorzuͤgen ſeines Schulweſens, und den Verdien-
ſten des Paſtors um daſſelbe ſchwadronnirte, aber
wenn ich dann auch nicht die Haͤlfte glauben konnte,
ſo mußte ich mir doch einen ſehr vortheilhaften Be-
griff von jener Schule in der Altmark machen.
Ich habe den Namen des Dorfes vergeſſen, aber
dieß thut nichts zur Sache, da es jedem, welchem
daran gelegen iſt, leicht ſeyn muß, eine ſo trefliche
Schulanſtalt in einem kleinen Lande zu entdecken,
wo, wie der Herr Cantor bemerkte, dergleichen
eben nicht haͤufig ſeyn ſollen.


In Berlin, wo ich gegen Abend ankam, lo-
[32] girte ich in einem mir ſchon bekannten Gaſthofe,
und beſuchte den folgenden Tag einige alte Freunde.
Da meine Abſicht war, den Koͤnig zu ſprechen,
begab ich mich zu den Major Hn. von Kaͤbriz, und
erhielt von dieſem Anweiſung, wie ich es anzu-
fangen hatte, um zum Koͤnige zu gelangen, doch
rieth er mir, eine Bittſchrift aufzuſetzen, und die-
ſelbe dem Monarchen zu uͤberreichen; der Herr ha-
be viel zu thun, und ſo was moͤgte vergeſſen
werden.


Ich folgte dem Rath des Hn. Majors, und
kam am folgenden Tag wirklich ins koͤnigliche Ka-
binet. Der Koͤnig, welcher mich noch kannte, war
aͤußerſt herablaſſend und gnaͤdig; er fragte mich
nach meiner Lage, und da ich ihm ſagte, daß dieſe
eben nicht die beſte ſey, und einer ſtarken Emenda-
tion beduͤrfe, wenn ich zufrieden leben wollte, ver-
ſprach er mir, fuͤr mich und fuͤr die Emendation
meiner Lage zu ſorgen, las meinen Aufſatz fluͤchtig
durch, und befahl in meiner Gegenwart einem
Sekretair, denſelben ans Oberſchulcollegium zu ſchi-
cken mit der Weiſung, dahin zu ſorgen, daß dem
guten Laukhard
ein Plaͤtzchen geſchafft wuͤrde,
wobey er ohne Sorgen leben koͤnnte; dieß waren
die eignen Worte des guͤtigen Monarchen, und
dann erfolgte eine Anweiſung an einen Herrn, wel-
cher
[33] cher mir die Reiſekoſten erſezte. Ich verließ den
Koͤnig mit dem tiefſten Dankgefuͤhl, als ich aber
ins Vorzimmer kam, trat mich ein wohlgekleideter
Mann ſehr aͤngſtlich an.


Aber, mein Gott, ſagte dieſer, was machen
Sie?


Ich. Ich komme vom Koͤnige, und glaube
nichts Boͤſes gethan zu haben.


Er. Nichts? Bedenken Sie doch ſelbſt!


Ich. Was ſoll ich dann bedenken? Ich weiß
vom hellen Tage nichts: erklaͤren Sie ſich naͤher.


Er. Mein Himmel, Sie ſind mit einem Stock
im Kabinet geweſen.


Ich. So iſt es: aber iſts dann verboten, mit
dem Stock ins Kabinet zu gehn?


Er. Mein Gott, freylich! Das iſt gegen alle
Etikette.


Ich. Der Koͤnig hat mir nichts daruͤber geſagt,
und niemand wird ſich einbilden, daß ich ins koͤnig-
liche Kabinet mit dem Stock gehe, um mich da herum
zu pruͤgeln.


Ich gieng weiter, ehe ich aber das Palais ver-
ließ — der Koͤnig wohnte damals noch in dem
Palais des Kronprinzen — ging ich nach der Kuͤ-
che, und fand da weniger Apparat, als in man-
cher adelichen Kuͤche, ſelbſt in Berlin gefunden
wird. Nun hatte ich weiter in Berlin keine Ge-
Laukh. Leben 5ter Theil. C
[34] ſchaͤfte mehr, und ſchickte mich an, den folgenden
Tag zuruͤck zu reiſen. Ich ſuchte deshalben noch
die Herren Ideler und Rambach auf, fand aber kei-
nen von beyden zu Hauſe, auch den Herrn Predi-
ger Stahn fand ich nicht, aber den wuͤrdigen
Herrn Major von La Roche traf ich an, und traf
ihn unveraͤndert in ſeinen Geſinnungen gegen mich.
Wir ſtimmten zuſammen Klagelieder an uͤber das
Ungluͤck, welches unſer gemeinſchaftliches Vater-
land jenſeits des Rheins betroffen hatte. Der Herr
Major unterhielt ſtarken Briefwechſel nach den
Rheingegenden, und konnte mir von gar manchen
Dingen Nachricht geben, welche ich noch nicht wuß-
te. Den Herrn Kammerherrn von Wuͤlcknitz habe
ich auch geſprochen, und von ihm ungeheuchelte
Verſicherungen ſeiner Freundſchaft gegen mich er-
halten.


Als ich mich eben anſchickte, Berlin zu verlaſ-
ſen, fand ich von ohngefaͤhr den Commiſſar Hrn.
Jungken und deſſen Bruder, welche noch einige Ta-
ge in Berlin bleiben, und dann nach Halle zuruͤck-
kehren wollten. Sie baten mich, auf ſie zu war-
ten, und mit ihnen zu reiſen. Ich laſſe mich uͤber-
haupt leicht zu etwas beſtimmen, und that herzlich
gerne, was beyde Herren haben wollten, welche
in Halle meine Freunde geweſen ſind, und wovon
der Juͤngere meinen Unterricht noch immer genoß.
[35] Um aber doch indeßen im Gaſthofe etwas zu thun
zu haben, holte ich mir ein Buch in einer Leſebi-
bliothek, und fand auch da meine Schriften. Der
Bibliothekar kannte mich nicht, daher fragte ich
ihn, ob dann das Zeug da auch geleſen wuͤrde?


„Was Zeug, erwiederte er! die Laukhardſchen
Produkte ſind ganz vorzuͤglich gut, und werden
mehr geſucht, als ſelbſt die Werke unſrer beſten
Schriftſteller.“


Ich. Das Publikum muß alſo einen ſchlechten
Geſchmack haben.


Leſebibliothekar. Daran liegt mir nichts,
und keinem meines Gleichen liegt was daran. Ge-
nug wenn die Sachen geleſen werden. Aber wo-
her ſchließen Sie dann, das Publikum muͤße ei-
nen ſchlechten Geſchmack haben?


Ich. Das ſchließe ich daher, weil die Laukhard-
ſchen Dinger nicht viel beſonders ſind.


Leſebib. (lacht) Gewiß hat Laukhard Ihnen
ſelbſt die gute Wahrheit geſagt: ich habe gefunden,
daß mancher auf dieſen Mann geſcholten hat: aber
wenn mans recht beym Licht unterſuchte, ſo kam
das Schelten daher, weil Laukhard etwas unſanft
mit dem Knaben Abſalom umgefahren war — Aber
ſehe ich recht, ſo ſind Sie ſelbſt Laukhard, ich ken-
ne Sie aus Ihrem Bildniß.


Ich konnte und mogte nicht leugnen, und der
C2
[36] Herr Leſebibliothekar war ſo artig, daß er mir den
Gebrauch ſeiner Bibliothek unentgeldlich anbot, ſo
lange ich in Berlin bleiben wuͤrde. Ich konnte von
ſeiner Guͤte nur fuͤr einen Groſchen Gebrauch ma-
chen.


Auf der Ruͤckreiſe begegnete mir nichts merk-
wuͤrdiges: ich kam wieder nach Halle, und fand
alles, wie ich es verlaſſen hatte. Meine Frau hatte
in meiner Abweſenheit mit dem Schneider Baum,
unſerm Wirth, einigen Zank gehabt: er hatte nicht
leiden wollen, daß ſie Waſſer in den Hof goß, und
deßwegen abſcheulich ſpektakelt. Sie wollte nun
haben, daß ich den Meiſter Baum deßwegen kora-
miren ſollte, aber ich fand nicht fuͤr gut, den
Mann zur Rede zu ſtellen, mit dem uͤberhaupt
nichts auszurichten war: denn wer laͤßt ſich uͤber-
haupt gern mit einem Menſchen ein, der keiner
vernuͤnftigen Vorſtellung Gehoͤr giebt, und nur
allemal Recht behalten will?


Viertes Kapitel.


Erfolg meiner Berliner Reiſe. Erſcheinung
eines neuen Weltbuͤrgers
.


Ohngefaͤhr vierzehn Tage nach meiner Ruͤckkehr
von Berlin erhielt ich ein Schreiben vom Oberſchul-
[37] collegium, worin mir gemeldet wurde, daß wegen
meiner Verſorgung an die halliſche Univerſitaͤt ſey
geſchrieben worden. Auf den Bericht der Univerſitaͤt
wuͤrde es nun ankommen, was mit mir zu machen
ſey.


„Oh weh geſchrien!“ dachte ich, und verlohr
auf einmal alle Hoffnung einer Verſorgung.


Der Profeſſor Kluͤgel, welcher damals gerade
Prorektor der Univerſitaͤt war, ließ mich rufen,
und trug mir auf, einen ſchriftlichen Aufſatz einzu-
chen, und anzugeben, wie ich etwan in Zukunft zu
exiſtiren gedaͤchte, um mich einer Unterſtuͤtzung
von Seiten der Regierung erfreuen zu koͤnnen.
Ich hielt zwar die Zeit, welche ich auf einen Auf-
ſatz dieſer Art verwenden wuͤrde, fuͤr voͤllig verloh-
ren, doch aber reichte ich einen beym Prorektor ein,
und Herr Kluͤgel verſprach mir, die Sache aufs vor-
theilhafteſte vorzutragen.


Ich ging zu Herrn Wolf, und dieſer aufrichti-
ge Mann ließ mich merken, daß ich durch die Uni-
verſitaͤt nichts zu hoffen haͤtte: ich ſey, ſagte er,
einigen, vorzuͤglich Theologen und Philoſophen,
unvortheilhaft beſchrieben, und daher zweifle er gar
ſehr, daß ich reuſſiren wuͤrde.


Im Grunde konnte ich auch weiter nichts erwar-
ten, als einen uͤbeln Bericht nach Berlin. Ich
hatte bisher nicht eines einzigen Profeſſors Freund-
[38] ſchaft vorzuͤglich geſucht, und war nur dann und
wann zu einigen gekommen, die mich ihres Umgangs
nicht unwuͤrdig fanden. So ging ich oft zum Hrn.
Profeſſor Koͤnig: ſo oft naͤmlich ich etwas zu fra-
gen hatte, woruͤber dieſer aͤußerſt humane Mann
mir Auskunft geben konnte. Er that es auch jeder-
zeit mit der groͤßeſten und unverſtellteſten Bereit-
willigkeit, und ich kann wohl verſichern, daß ich
meine Kenntniſſe durch den Rath dieſes Gelehrten
nicht wenig vermehrt habe. Herr Koͤnig iſt der
Mann nicht, welcher einen gewißen abſchreckenden
Nimbus um ſich her verbreitet, und durch ein zu-
ruͤckſtoßendes Betragen ſich den Ruhm eines tiefge-
lehrten Helden erwerben will. Wer ihn kennt,
weiß doch, daß er nicht nur in ſeinem Fache der
Rechtskunde trefflich erfahren iſt, und ſich in den
uͤbrigen Wiſſenſchaften, auch in ſolchen, welche
mit der Juriſterey in weiter keinem naͤhern Zuſam-
menhang ſtehen, ruͤhmlichſt umgeſehen hat. Daß er,
wie jeder Gelehrte, von unachtſamen jungen Leuten
nicht ſelten mißverſtanden werde, iſt ſehr begreiflich:
aber der muß die Studenten ſchlecht kennen, wel-
cher nach ihrem Urtheil den Werth eines gelehrten
Mannes beſtimmen wollte. So wollte mir vor ei-
niger Zeit ein juriſtiſcher Student aufbinden, Herr
Koͤnig habe im Collegium behauptet, ein Juriſt
habe gar nicht noͤthig die Inſtitutionen, die Pan-
[39] dekten und den Coder zu leſen, und doch hatte Koͤ-
nig nichts weiter geſagt, als das Studium der
Rechte nach jenen Compendien, welche nach der
Ordnung der Pandekten u. ſ. w. eingerichtet ſind,
ſey unbequem und luͤckenvoll, man muͤſſe die Wiſ-
ſenſchaft nach einem beßer eingerichteten Syſtem
lernen, dabey hatte er aber das Leſen der Pandek-
ten u. ſ. w. ganz und gar nicht widerrathen, ſon-
dern es vielmehr als hoͤchſt noͤthig dem kuͤnftigen
Juriſten anempfohlen.


Ein gewißer Herr, welcher die Lage der Uni-
verſitaͤt, und die Geſinnungen der Profeſſoren naͤ-
her als ich kannte, verſicherte mich, daß der Direk-
tor Klein mein Goͤnner nicht ſey, und daß dieſer
vielgeltende Mann alles aufbieten werde, um mein
Fortkommen in jeder Hinſicht zu hintertreiben. Ich
erſtaunte: denn ich war mir bewußt, Herrn Ge-
heimderath Klein in keinem Stuͤck jemals beleidigt
zu haben, und begrif daher nicht, wie ein Mann,
der ſelbſt zu lehren vorgab, was Recht und was
Unrecht iſt, doch einem Menſchen ſchaden wollte,
der ſich nicht gegen ihn vergangen hatte: ich hatte
zwar ſchon manche Beyſpiele dieſer Art geſehen und
erlebt, aber daß grade Hr. Klein ſo anomaliſch
handeln koͤnnte, wollte mir nicht ſo recht in den
Kopf: denn ich halte ſehr viel auf die rechtlichen
Geſinnungen eines gelehrten Juriſten, und erwarte
[40] von einem ſolchen weit mehr, als von einem gelehr-
ten Theologen und Philoſophen.


Daß unſre Theologen nichts auf mich halten konn-
ten, beſchied ich mich ſehr leicht. Ich hatte in mei-
ner Biographie ſolche Grundſaͤtze aufgeſtellt, welche
mit jedem theologiſchen Syſtem, alſo auch mit
dem Halliſch-Theologiſchen, incompatibel ſind.
Da nun jeder Theologe, qua talis, wie man in den
Schulen findet, alles als ketzeriſch und dem Heil
der Seelen ſchaͤdlich anſehen und verwerfen muß,
was ſeinem Syſtem entgegen iſt, ſo mußten unſre
Herren nicht nur mich, als einen Ketzer verdam-
men, ſondern mich auch von aller Activitaͤt zu ent-
fernen ſuchen, damit ich nicht andere verfuͤhren
moͤgte. So iſt es immer in der heiligen chriſtli-
chen Kirche geweſen, vom erſten Jahrhunderte an
bis aufs neunzehnte hat der Geiſt der Intoleranz
und der Verfolgung geherrſchet, und wenn ich ſa-
gen ſoll, was ich denke, ſo muß ich bekennen, daß
dieſe Intoleranz in dem Weſen der Religion, das iſt,
in ihren Grundſaͤtzen und den Lehren ihrer erſten Ver-
breiter ſelbſt gegruͤndet iſt. Peter Bayle und Voltaire,
und Teller, und viel andre brave Maͤnner haben
ganz vortreflich uͤber Religionsduldung geſchrieben,
aber keiner von dieſen wackern Maͤnnern ſcheint mir
den Satz bewieſen zu haben, daß der Chriſt jeden
Menſchen wie ſeinen Bruder behandeln muͤße, und
[41] zwar nach den Grundlehren des Evangeliums, ohne
alle Ruͤckſicht auf das, was er glaubt. — Alſo iſt
es ausgemacht, daß ich unſern Theologen nicht ge-
fallen konnte, und daß ſie mich ihrer Empfehlung
unwuͤrdig fanden.


Einige unſrer Philoſophen konnten gleichfalls
nicht fuͤr meinen Nutzen ſtimmen. Herr Eberhard
hatte ſchon 1795 ſich nicht allzufreundſchaftlich
gegen mich benommen, wie ich am Ende des vori-
gen Theils dieſes Werkes hinlaͤnglich gezeigt und
bewieſen habe. Sollte er jetzt freundlichere Geſin-
nungen annehmen, ſo muͤßte er inconſequent han-
deln, und niemand haßet die Inconſequenzen mehr,
als Eberhard, wie man aus ſeinen Briefen ſehen
kann, welche er gegen das Syſtem des Prof. Fichte
herausgegeben, und wahrſcheinlich ſelbſt geſchrie-
ben hat. Des verſtorbenen Prof. Forſters Urtheil
uͤber mich habe ich auch ſchon an gedachtem Orte
angefuͤhrt. Es iſt uͤberhaupt eine ganz eigne Sa-
che um die liebe Philoſophie, und Claudius hat
Unrecht, wenn er ſie beſchreibt, ſie ſey die Wiſſen-
ſchaft,
Daß Hinz nicht Kunz, und Kunz nicht
Hinze ſey

denn ſie geht gewoͤhnlich weiter, obgeich etwas
unphiloſophiſch. Doch das geht mich hier weiter
nichts an: vielleicht erklaͤre ich mich anderswo naͤher.


[42]

Unter den Medicinern hatte ich keinen Feind,
aber unſre Mediciner bekuͤmmern ſich auch um die
Angelegenheiten der Univerſitaͤt unter den Profeſ-
ſoren am wenigſten. Herr Gren, der verdienſtvol-
le, mir ewig unvergeßliche Gren, deßen rechtſchaff-
ner Charakter mit ſeiner tiefen Wiſſenſchaft pari
paſſu
ambulirte, war mein Freund, aber ſeine ſchon
laͤngſt erſchoͤpfte Geſundheit und andre Umſtaͤnde
machten es ihm unmoͤglich, ſich meiner thaͤtig an-
zunehmen. Die Herren Mekel und Reil kannten
mich nur wenig, und ſchienen uͤberhaupt in dieſer
Hinſicht ſehr gleichguͤltig zu ſeyn.


Auf dieſe Art wurde nun der Bericht nach Ber-
lin in Abſicht meiner, bloß von ſolchen concipirt,
welche mir abhold waren, und ſiehe da, er that die
Wirkung, welche ſie davon erwarteten, und wie
ich ſelbſt nicht anders vermuthete. Das Oberſchul-
collegium ſchrieb mir, daß jezt fuͤr mich nichts
zu machen ſey, und daß ich mich gedulten muͤße,
bis ſich ſonſt was fuͤr mich faͤnde.


Im Jahr 1795 hatte mich ein ſolches Reſcript
voͤllig niedergeſchlagen, aber im Jahr 1798 war die
Wirkung davon verſchieden. Ich war ganz gleich-
guͤltig dabey, und legte mein Papier hin, ohne
mich zu kraͤnken oder zu aͤrgern. Ich hatte gelernt,
uͤber die Umſtaͤnde beßer und richtiger zu urtheilen.


Meine Frau gebahr mir um Johannis dieſes
[43] Jahres einen Jungen, welcher noch lebt, und mir
durch ſein munteres Weſen manche vergnuͤgte Stun-
de macht. Bey der Geburt, welche etwas ſchwer
hergieng, rief die Kindermutter den Herrn Geheim-
derath Mekel: der wuͤrdige Mann ließ nicht lange
auf ſich warten, und machte ſolche Anſtalten, daß
meine Frau gar bald ihrer Buͤrde entlaſtet wurde.


Unter den Gevattern oder Pathen, welche ich
fuͤr meinen Jungen gebeten hatte, war auch der
nunmehr verſtorbene Obriſt Schmid von Wegewitz,
ein Mann von etwas ſeltſamen Charakter. Ich
war dieſem Mann durch meine Lebensbeſchreibung
bekannt geworden, und im Fruͤhling 1798 ließ er
mich durch ſeinen damaligen Sekretaͤr oder Schrei-
ber Hoͤpfner zu ſich bitten. Ich beſuchte ihn, und
fand einen durchaus originellen Mann. Herr
Schmid bildete ſich naͤmlich ein, daß er nie Un-
recht haben koͤnnte, und dieſer Opinion zufolge han-
delte er auch in allen Stuͤcken. Damals, als ich
ihn kennen lernte, hatte er nicht weniger, als 27
Prozeße, welche er alle mit der groͤßten Heftigkeit
betrieb, und die meiſten ſelbſt betrieb, ob er gleich
nicht die geringſte Kenntniß von poſitivem Recht be-
faß. Er las mir eine Menge Acten vor, und klag-
te unaufhoͤrlich uͤber die Chicanen der Advokaten,
und uͤber die Langſamkeit und Partheylichkeit ſeiner
Richter. Ich ſuchte ihm begreiflich zu machen,
[44] daß er Unrecht habe, grade das nur fuͤr Recht zu
halten, was ihm ſo vorkomme, aber nun ſpruͤhte er
Feuer und Flammen, und ſchimpfte ſogar auf die
Geſetze ſelbſt, welche nach ſeiner Meynung aͤußerſt
ſchief und unvollkommen abgefaßet waͤren. „Gebt
uns nur richtige Geſetze, fuhr er fort, und die Ad-
vokaten werden bald mit ihrem Links- und Rechts-
machen auf dem Miſt ſeyn: aber bey ſolchen Ge-
ſetzen, wie wir haben, finden die Kerle vollkom-
menen Spielraum fuͤr alle ihre Streiche.


Den Geſetzgebern mußte es darum zu thun
ſeyn, den Gerichtshoͤfen etwas zu verdienen zu ge-
ben; daher haben ſie auch alles ſo auf Schrauben
geſtellt, daß jeder Advokat und jeder Richter leicht
ein X fuͤr ein U machen kann.“


Ich mogte dem raͤſonnirenden Obriſt nicht in
allen Stuͤcken Recht geben, aber durchaus mogte
ich ihm auch nicht widerſprechen, und legte mich
daher aufs Diſtinguiren; aber Herr von Schmid
war kein Freund vom Diſtinguiren, und daher ge-
riethen wir nicht ſelten heftig an einander.


Auf die Franzoſen war er vollends nicht gut zu
ſprechen, und ſchimpfte bey jeder Gelegenheit auf
ſie: wenn er ein Commando im Kriege wider dieſe
Freyheitsracker gehabt haͤtte, ſo wuͤrde er, wie er
bey allen Teufeln oft genug verſicherte, die Burſche
ſchon kurranzt haben, weder Bonaparte noch Piche-
[45] gruͤ, noch Moreau, noch Maſſena ſollten etwas
ausgerichtet haben. Ich mußte bey dieſen Bra-
marbaſereyen des fuͤr ſich und ſeinen Heldenmuth
ſo ſehr eingenommenen Mannes nur laͤcheln.


Einſt kam ich zu ihm, und da ließ er ſeine
ganze Galle gegen den damaligen Feldprediger
beym Halliſchen Regimente, Herrn Lafontaͤne,
fuͤrchterlich aus. Er hatte einige Tage vorher in
Halle bey einem Offizier Gevatter geſtanden, und
bey dem Kindtaufsſchmaus, wozu auch Hr. Lafon-
taͤne gebeten wurde, war das Geſpraͤch auf die
Franzoſen gefallen. Der Obriſt Schmid ſchimpfte
nach ſeiner Art, der Feldprediger nahm ſich aber
derſelben an, und ſo kams dann von Seiten des
Obriſten zu groben nichtsbedeutenden Machtſpruͤ-
chen, auf welche Lafontaͤne nach ſeiner Art witzig
und bitter antwortete, bis endlich Schmid gar in
Invektiven ausbrach, und dadurch ſeinen Gegner
zum Stillſchweigen brachte.


Mit einem ſolchen Charakter konnte nun Herr
von Schmid ſich nur Feinde machen: die Regie-
rung zu Dresden, und beſonders die Stiftsregie-
rung zu Merſeburg, unter welcher er zunaͤchſt
ſtand, waren ihm aufſetzig, und mit dem Land-
jaͤgermeiſter von Noſtitz zu Merſeburg fuͤhrte er
unaufhoͤrliche Fehden. Ich habe eine in Halle ge-
druckte Schrift geleſen, welche den Obriſt Schmid
[46] zum Verfaſſer haben ſoll, wenigſtens ſeinen Namen
fuͤhrt, und von ihm dem Landtag zu Merſeburg
vorgelegt worden iſt; in dieſer Schrift kommen
Ausfaͤlle vor, welche man gar leicht fuͤr ſehr derbe
Injurien erklaͤren koͤnnte.


Sonſt machte der Obriſt gerne den Maͤcen der
Gelehrten und den Unterſtuͤtzer der Unterdruͤckten:
beydes waͤre ſehr loͤblich, wenn es nicht bey Herrn
von Schmid eine Wirkung der augenblicklichen
Laune geweſen waͤre. Der von Leipzig, ich weiß
nicht weßwegen, fluͤchtig gewordene Aventurier
Hilſcher fand Zuflucht in Wegewitz, mußte aber
endlich fort, weil ihm der Obriſt gedrohet hatte,
ihn durch ſeine Hunde forthetzen zu laſſen. Hilſcher
zog ab, und ſchrieb von Naumburg aus einen im-
pertinenten Brief an den Obriſt, und ſo bewies er
dann, daß er eben ſo unwuͤrdig war, Wohlthaten
zu empfangen, als der Obriſt es war, einem duͤrf-
tigen Gelehrten dergleichen zu erweiſen.


Einen gewiſſen Leutnant von Scheidt hatte
Schmid auch damals in ſein Haus aufgenommen,
dieſer Scheidt hatte ehedem unter einem Preußiſchen
Garniſonsregimente gedient, hernach aber ſeinen
Abſchied genommen, um einen bodenloſen Prozeß
wider den Stadtrath zu Erfurt zu betreiben. Da
alle ſeine Gruͤnde, wodurch er eine uͤber drey Mil-
lionen betreffende Erbſchaft erobern wollte, nicht
[47] Stich hielten, und er ſelbſt kein Geld hatte, eine
ſo koſtſpielige Rechtsſache fortzuſetzen, ſo ſuchte er
Leute, welche Geld hergeben konnten, und ver-
ſprach dieſen, wer weiß wie viel Antheil an der
Erbſchaft aus dem Monde. Auf dieſe Art hatte
er ſchon mehrere dran gekriegt, bis er endlich auch
an den Obriſt Schmid gerieth, welcher anfaͤnglich
auch Geld genug dran wendete, und ſogar die
Sache in Wetzlar anhaͤngig machte. Aber bald
ſahe doch der Obriſt die Bodenloſigkeit des Pro-
zeſſes und die Schwindeleyen mit der vorgeſpiegel-
ten Erbſchaft ein; er ſagte daher dem Leutnant den
gemachten Contrakt auf, dieſer aber verklagte den
Obriſt, und lezterer mußte viel Unkoſten tragen.


Ich koͤnnte noch viele Blaͤtter mit Hiſtoͤrchen
anfuͤllen, welche den Obriſt Schmid von Wegewitz
angehen; aber ich mag keine Beytraͤge zur ſkanda-
loͤſen Geſchichte des Saͤchſiſchen Adels liefern.


Fuͤnftes Kapitel.


Studentenkriege im Jahr 1797 und 98.


Meine Lebensgeſchichte hat von ihrem Anfange
an manche Nachrichten geliefert, welche allerdings
zur Chronik der deutſchen Univerſitaͤten gehoͤren, ob
[48] ſie gleich nicht oͤffentlich pflegen bekannt gemacht
zu werden: daher halte ich es auch noch immer fuͤr
meine Schuldigkeit, meine Leſer mit Nachrichten
zu unterhalten, welche die Univerſitaͤten angehen,
und mir ſpeziell bekannt geworden ſind.


Ich weiß zwar recht gut, daß die Herren auf
den Univerſitaͤten es gar nicht gerne ſehen, wenn
Hiſtorien oͤffentlich bekannt werden, welche ihren
gelehrten Innungen eben nicht zum Ruhme gerei-
chen; indeſſen mag dieß immer ſeyn, was kuͤm-
mern mich die Herren, genug wenn ich nur keine
Unwahrheiten ſchreibe, und meinen Leſern keine
lange Weile mache.


Auf der Mail, jener Bierſchenke, welche ſchon
mehrmals in dieſem Werke vorgekommen iſt, fan-
den ſich von Zeit zu Zeit Studenten ein, welche
gerne Breyhan tranken, und mit den Buͤrgern, die
ſich daſelbſt verſammelten, freundſchaftlich umgin-
gen. Nicht ſelten geſchah es, daß die Studenten
uͤber die Maaßen luſtig wurden, aber man vergab
ihnen das gerne, und ließ ſie machen. Dem Wirth
Brand waren Studentengeſellſchaften immer will-
kommen, theils weil ſie brav verzehrten, theils
aber auch, weil er ehedem ſelbſt Student geweſen
war, obgleich ſeine Studien ſelbſt, wie er ſich
ſelbſt ausdruͤckte, nicht weiter gingen, als bis an
den Hoſenknopf.


Ohn-
[49]

Ohngefaͤhr um Martini 1797 kam ein Haufe
Studenten von Reideburg, einem ſaͤchſiſchen Dor-
fe, wo ſie kommerſchirt hatten, auf die Mail, gra-
de an einem Tage, als da getanzt wurde; ſie wa-
ren alle etwas betrunken, oder nach ſtudentiſchem
Ausdruck, beſpitzt, und betrugen ſich ſo, daß meh-
rere Buͤrger ſich deßwegen ſtark formaliſirten. Es
wuͤrde gewiß zum Handgemenge gekommen ſeyn,
wenn nicht einige, die ſowohl der Studenten als
deren Antagoniſten Freunde waren, den Frieden
wieder hergeſtellt haͤtten. Fuͤr dieſen Tag war al-
ſo alles wieder ruhig, aber ſchon am folgenden Mor-
gen, als ich zu meinen Scholaren kam, hoͤrte ich,
daß ſich manche fuͤr beleidigt hielten, und daß die
Philiſter deßhalben ſollten ceram genommen wer-
den.


Ich ging damals faſt taͤglich Abends auf die
Mail, alſo traf es ſich auch, daß ich zugegen war,
als abermals ein Haufen Studenten ſehr beſpitzt
von Reideburg dahin kam. Dieſe Herren hatten
ſich vorgenommen, den ihnen von den Philiſtern und
Gnoten, ihrer Meynung nach, angethanen Schimpf
zu raͤchen, und Satisfaction an ihren Beleidigern
zu nehmen, aber zum Gluͤcke oder zum Ungluͤcke
war auch nicht einer von denen da, welche einige
Tage vorher mit den Studenten Haͤndel gehabt
hatten.


Laukh. Leben 5ter Theil. D
[50]

Die Studenten haͤtten nun, ſelbſt nach ſtudenti-
ſchen Begriffen, ruhig ſeyn ſollen, aber der Brey-
han wirkte in ihren Koͤpfen, und beleidigende Re-
den von Philiſtergrob, Philiſtermenſchern, Gno-
tenzeug u. ſ. w. wurden von ihnen ausgeſtoßen.
Endlich beleidigten ſie die Frau eines Branntewein-
brenners thaͤtlich, und nun gings an ein Katzbal-
gen, wobey aber die Muſenſoͤhne den Kuͤrzern zo-
gen, und zum Tanzſaal hinausgedraͤngt wurden.


Alles war nun wieder ruhig, und ich ſezte mich
in eine aparte Stube, um da mit einigen mir be-
kannten Buͤrgern eine Butelle Breyhan auszuſpie-
len: niemand dachte daran, daß die Studenten
wieder kommen wuͤrden, und ſchon waren viele
Gaͤſte nach der Stadt zuruͤckgegangen, als auf
einmal eine ganze Caravane Studenten auf der
Mail erſchien. Die beleidigten Herren waren nach
Halle zuruͤckgegangen, und hatten da den angetha-
nen Schimpf ihren Bekannten mitgetheilt, worauf
einige luſtigen Bruͤder durch alle Straßen liefen, und
durch das fuͤrchterliche Geſchrey: Burſch raus,
Burſch raus! alles alarmirten. Die Meiſten
liefen mit, ohne zu wiſſen, wohin, und ohne die
Urſache einzuſehen, warum ſie zu einem Burſchen-
kriege aufgefordert wurden. So pflegt es aber
uͤberhaupt bey Studentenkriegen zu gehen: ſie han-
deln ohne zu wiſſen warum?


[51]

Genug die Caravane kam auf die Mail, verſe-
hen mit derben Ziegenhaynern und großen Knuͤtteln,
auch ſchienen ſie Steine mitgebracht zu haben, we-
nigſtens wurde mit Steinen in die Fenſter canonnirt.
Der Tanzſaal wurde zuerſt uͤberfallen, und nun
entſtand eine derbe Pruͤgeley, wobey einige Buͤr-
ger uͤbel zugerichtet wurden, und zwar lauter ſol-
che, welche vorher die Studenten gar nicht beleidi-
get hatten: denn die Beleidiger hatten ſich, aus
Furcht, die Studenten moͤgten ihnen unterwegs auf-
paßen, ganz kluͤglich abgezogen. Einige Frauen-
zimmer wurden gleichfalls mißhandelt. Nachdem
die Studenten ſich nach ihrer Art Genugthuung
verſchafft, und alles, was ihnen vorkam, rein zer-
ſchmiſſen hatten, ſo zogen ſie ab, zwar nicht ganz
ohne Kopfnuͤſſe: denn die Buͤrger hatten ſich gleich-
falls ritterlich gehalten, und ſich mit Stecken, Bier-
butellen und Glaͤſern, mit Stuhlbeinen und Baͤn-
ken, ſogar mit Ofenkacheln gegen den uͤberfallenden
Feind gewehrt.


Der Ruͤckzug der Studenten nach der Stadt ge-
ſchah in aller Stille; ſie gingen durch entfernte
Thore nach ihren Wohnungen, und mogten wohl
glauben, daß nun alles geendiget ſey. Aber ſchon
denſelben Abend wurde das abſcheuliche Scandal
dem Prorektor der Univerſitaͤt angezeigt: dieſer
ſchickte ſofort den Pedell nach der Mail, und fruͤh
D2
[52] erſchien eine Unterſuchungscommiſſion daſelbſt, wel-
che allen verurſachten Schaden genau aufzeichnete.


Nun war die Frage, wer das Scandal verur-
ſacht, und wer Theil daran genommen habe? Auf
die Ausſage einiger Aufwaͤrterinnen, und andrer
Leute, welche einige von den Studenten gekannt
haben wollten, wurde eine ganze Menge geſchleppt,
und aufs Carcer geſezt. Einige von dieſen mog-
ten wohl ſchuldig geweſen ſeyn, aber einige hat-
ten ganz und gar keinen Antheil an dem ganzen
Handel, und dennoch hielt man ſie auf dem Carcer.
Einer davon namens A....d aus Pommern be-
wies ſeine Unſchuld aufs deutlichſte, er kam zwar
los, mußte aber doch obendrein — die Unkoſten
bezahlen
. Er war ein Menſch von ganz unbeſchol-
tenen Sitten, und von allgemein anerkanntem Flei-
ße. Wenn der Student ſich ein Verfahren dieſer
Art muß gefallen laßen, ſo ſehe ich gar nicht ein,
was der Ausdruck: akademiſche Privilegien,
noch bedeuten ſoll; und wenn die Gerichten ſolche
Proceduren einſchlagen koͤnnen, ſo muͤſſen ſie wahr-
lich ihre Gerichtsordnung aus dem Codex der ſpa-
niſchen Inquiſition hergenommen haben. Ein voͤl-
lig Unſchuldiger, den ein lichtſcheuer Bube ange-
klagt hat, erlangt auch da weiter nichts, als ſeine
Freyheit: an Schadenerſatz iſt gar nicht zu denken.
[53] Doch genug hievon: ich uͤberlaſſe das Urtheil dar-
uͤber meinen Leſern.


Die Unterſuchung waͤhrte ſehr lange, ſo nach
Art akademiſcher Unterſuchungen: endlich erſchien
das Urtheil, welches freylich von Berlin kam, aber
natuͤrlich nach den Berichten der Univerſitaͤt ver-
faßt war. Nach dieſem Urtheil wurden ohngefaͤhr
ſieben Studenten als Stoͤhrer der oͤffentlichen Ruhe
relegirt! Unter dieſen Studenten befand ſich ein
gewißer Z....n, welcher zwar aus andern Gruͤnden
von der Univerſitaͤt haͤtte entfernt werden ſollen, der
aber an dem Spektakel auf der Mail nicht den aller-
geringſten Antheil genommen hatte. Es warfen ſich
einige auf, welche tuͤchtige und unverdaͤchtige Zeugen
fuͤr Z....n's Unſchuld aufſtellen, und dadurch allen
Verdacht einer Theilnahme an dem Mailkrieg von
ihm entfernen wollten, aber die wurden nicht an-
gehoͤrt, ſo wenig, als die, welche zur Zeit des Ter-
rorismus in Frankreich die Unſchuld vertheidigen,
und Zeugniße dafuͤr aufſtellen wollten!!


Ich weiß, daß ich hier manches hinſchreibe, wor-
uͤber dieſer oder jener ein boͤſes Geſicht machen
wird, aber das boͤſe Geſicht dieſes oder jenes Herrn
ſoll mich gar nicht hindern, die Wahrheit laut und nach
meiner ganzen Ueberzeugung zu ſagen. Anomalien
taugen uͤberhaupt nicht viel, man hat ſie nicht ein-
mal gerne in der Grammatik; aber gerichtliche Ano-
[54] malien ſind unter allen nur denkbaren Anomalien die
boͤsartigſten: denn ſie beleidigen nicht nur am tief-
ſten, ſondern geben auch das ſchaͤdlichſte Beyſpiel.


Der Ueberfall auf der Mail war uͤbrigens eine
hoͤchſt aͤrgerliche Sache geweſen, eine grobe Stoͤh-
rung der oͤffentlichen Ruhe und Sicherheit, und
eben daher fand der Koͤnig fuͤr nothwendig, ein
Edict zu geben, wie es in Zukunft bey Auftritten
dieſer Art gehalten werden ſollte.


Die Subſtanz des Edicts lief dahin aus, daß
bey groben Exceſſen, wohin natuͤrlicher Weiſe der
oͤffentliche Tumult auch gehoͤrt, auch derbere Stra-
fen, als bisher gebraͤuchlich waren, eingefuͤhrt wer-
den ſollten. Der hoͤchſte Grad dieſer derbern Stra-
fen ſollte in einem, freylich im Edict nicht genau ge-
nug beſchriebenen Durchpruͤgeln des ſchuldigen Stu-
denten beſtehen u. ſ. w.


Ich kann wirklich nicht ſagen, ob der Koͤnig
ſelbſt die Idee zu dieſem Edict gegeben habe: ſollte
es aber ja ſeyn, ſo iſt es geſchehen, weil man ihm
das Leben der Studenten und ihr Betragen mit gar
zu graſſen Farben geſchildert hat, und da konnte
er dann beſchloſſen haben, militaͤriſche Strafen auf
ſeinen Univerſitaͤten einzufuͤhren. Meine Sache
iſts uͤberhaupt nicht, uͤber Landesherrliche Verord-
nungen zu kritiſiren, und Bemerkungen zu machen,
aber das kann ich doch hiſtoriſch ſagen, daß eine
[55] Verordnung dieſer Art alle Privilegien aufhebt,
welche ehemals den Univerſitaͤten von den Paͤbſten,
Kaiſern und andern Fuͤrſten verliehen worden ſind,
und daß eben eine ſolche Verordnung mit dem Be-
griff eines freyen deutſchen Mannes — wie doch
jeder Student iſt — nicht beſtehen kann. Ein
hieſiger junger Gelehrter ſchrieb damals eine kleine
Schrift „akademiſche Nuditaͤten“ welche ich
im Manuſcript geleſen habe. Ich bedaure, daß ſie
nicht iſt gedruckt worden, ſie wuͤrde bey manchem
Naſenruͤmpfen, bey manchem recht Gallvollen Aer-
ger, aber bey den Meiſten ein gefaͤlliges Achſelzu-
cken und Laͤcheln rege gemacht haben.


Man kann ſich leicht vorſtellen, daß die Be-
kanntmachung eines Edicts von ſolchem Inhalt bey
den Studenten gewaltige Senſation erregte: ſie
dachten ſchon auf einem Strohboſen zu liegen, und
einige zwanzig Hiebe vom akademiſchen Profos auf
den Hintern zu erhalten. Es wurden Fragen bey
den Zuſammenkuͤnften der Studenten aufgeworfen,
und ſo nach ſtudentiſcher Art aufgeloͤßt, z. B. wer
dann eigentlich die Hiebe austheilen, und den Pro-
fos oder den Steckenknecht machen ſollte? Wo man
dieſe Knuterey vornehmen wuͤrde? u. ſ. w. Es war
leicht zu entſcheiden, daß weder der Prorektor noch
ſonſt ein Profeſſor ſich zu einer ſolchen Execution
verſtehen wuͤrde: aber jemand mußte es doch ſeyn,
[56] und wer war dieſer Jemand? Sollte es ein Pe-
dell verrichten, oder — das waren Fragen, die
niemand zu loͤſen vermogte.


In allen Geſellſchaften, wohin ich kam, ſuchte
ich den Studenten begreiflich zu machen, daß eine
Strafe dieſer Art nie Statt haben koͤnnte, geſetzt
auch ſie ſey durch ein Koͤnigliches Edict feſtgeſetzt:
Friedrich Wilhelm der Dritte pflege ſich nicht an ſei-
ne Worte ſo genau zu halten und zu binden, ſon-
dern aͤndere ſeine Reſolution, ſobald er einſaͤhe,
daß er etwas unthuliches oder ſchaͤdliches beſchloſ-
ſen habe. Es war mir gar nicht ſchwer, dieſe Be-
hauptung recht anſchaulich zu beweiſen. Gegen
den Winter 1797 hatte der Schauſpieldirektor Doͤ-
blin die ſpecielle Erlaubniß vom Koͤnige erhalten,
in Halle den Winter uͤber zu ſpielen: er miethete
daher hier ein altes Brauhaus, und ließ durch den
Zimmermeiſter Haak ein Theater erbauen. Anfaͤng-
lich blieb alles ruhig, das Theater ward fertig,
und unſre Hallenſer, beſonders die Studenten, ſahen
dem lieblichen Winterzeitvertreib mit heiſſer Sehn-
ſucht entgegen: aber die Univerſitaͤt machte einen
Bericht an den Koͤnig, ſtellte dem Monarchen die
Gefahr vor, welche der ſo gut geſitteten Uni-
verſitaͤt aus einem Schauſpiel entſpringen koͤnnte,
und der Monarch verbot dem Doͤblin, Komoͤdien
in Halle zu ſpielen; weil aber doch dieſer ohnehin
[57] nicht reiche Mann viel Unkoſten mit ſeinen Anſtal-
ten, und mit dem Transport ſeiner Bande, oder
wies die Herren lieber hoͤren, ſeiner Truppe gehabt
hatte, ſo reichte ihm der Koͤnig tauſend Thaler zur
Entſchaͤdigung. Niemand kam bey dieſer Gelegen-
heit ſchlimmer weg, als der Zimmermeiſter Haak:
denn dieſer iſt bis jezt noch nicht bezahlt, ob er
gleich den Doͤblin aller Orten gerichtlich verfolgt,
und ſtets ſeinen Prozeß gewonnen hat.


Manche Leute fanden es nicht nach ihrem Schna-
bel, daß der Koͤnig eine einmal gegebne Erlaubniß
zuruͤck nahm; ein Fuͤrſt muͤſſe, meynten ſie, ſein
Wort in allen Stuͤcken halten. Andre Leute, die
kluͤger waren, raͤumten zwar ſehr gerne ein, daß
ein Fuͤrſt ſein Wort halten muͤſſe, aber nur in ſo-
ferne es niemand anders ſchaͤdlich werden koͤnne:
denn in dieſem Fall muͤſſe auch der Fuͤrſt ſein Ver-
ſprechen kaſſiren; der Fuͤrſt, auch der allerweiſeſte,
ſey und bleibe immer ein Menſch, und koͤnne als
ſolcher, Dinge zuſagen, die dem Wohl des Staa-
tes, und folglich der Pflicht des Fuͤrſten ſelbſt
zuwider waͤren, und Zuſagen dieſer Art koͤnne der
Fuͤrſt zuruͤcknehmen, und muͤſſe es thun, ſobald
er eines Beſſern belehrt wuͤrde. So waren die Ur-
theile beſchaffen, welche man uͤber dieſen Vorfall
faͤllte, zu welchen ich nichts von meinen eignen
Gedanken ſetzen mag.


[58]

In wiefern aber die Halliſchen Profeſſoren ein
Recht hatten, gegen ein Theater in Halle ſelbſt zu
remonſtriren und daſſelbe, als der Akademie hoͤchſt
nachtheilig zu verſchreien, iſt eine andre Frage? In
Halle muß es nicht wenig auffallen, daß Profeſſoren
ſich uͤber ein Theater formaliſiren, das in der Stadt
errichtet werden ſoll, und das immer unter der
Halliſchen Polizey ſtehen wuͤrde, da doch eben die-
ſe Profeſſoren noch nicht das Geringſte gethan ha-
ben, um dem Unweſen und dem Schaden zu ſteu-
ren, welchen die Akademie jaͤhrlich in der ſoge-
nannten Badezeit durch die Lauchſtaͤdter Komoͤdie
leidet. Sobald das Lauchſtaͤdter Theater eroͤffnet
wird, ſcheint die ganze Halliſche Studenten- und
Buͤrgerſchaft wie von einem elektriſchen Schlag
getroffen zu ſeyn; alles ſtrampelt und jubelt, und
aus den Fenſtern ruft man ſich einander zu: Wiſ-
ſen Sie nicht, was heute gegeben wird? Koͤnnen
Sie mir nicht ſagen, wenn Maria Stuart, wenn
Abaͤllino, wenn Don Juan u. ſ. w. gegeben wird?
Ja, ruft der Student, Gott ſtrafe mich, heute
muß ich nach Lauchſtaͤdt: Die Raͤuber werden ge-
geben, und das iſt kein Hund. Ich muß hinuͤber,
und ſollt es Karbatſchenſtiele regnen. — Der Vor-
ſatz des Buͤrgers, und des Studenten wird auch
auf alle Faͤlle ausgefuͤhrt, Lauchſtaͤdt wird beſucht,
[59] und ſollten die Stiefel verſetzt, oder verkauft werden,
um Geld zu dieſer Expedition zu bekommen.


Das Rennen nach Lauchſtaͤdt iſt nun mit einem
zwiefachen unerſetzlichen Schaden fuͤr unſre Stu-
denten — denn die Buͤrger gehn mich hier nichts
an, — allemal verbunden.


Einmal faͤllt die Bade- oder vielmehr die Komoͤ-
dienzeit zu Lauchſtaͤdt mitten im Sommer, alſo grade
dann, wenn die Collegien laͤngſt angefangen, aber
noch lange nicht beendiget ſind. Fuͤr diejenigen Stu-
denten, welche Lauchſtaͤdt frequentiren, geht alſo
der ganze Sommer fuͤr das Studieren verlohren.
Mir haben nicht zehen, ſondern hundert Studen-
ten ſelbſt aufrichtig geſtanden, daß ihnen die Lauch-
ſtaͤdter Komoͤdie alle ihre Sommerhalbejahre ver-
dorben habe. Wenn nun ein junger Menſch in der
ohnehin ſo kurzen Zeit von zwey Jahren ſeinen gan-
zen akademiſchen Curſus endigen ſoll, und doch noch
zwey Sommer durch die Lauchſtaͤdter Komoͤdie ver-
liert, wie viel Zeit bleibt ihm noch uͤbrig? Es
iſt wahr, daß ſich es manche mit ihrem Studieren
ſehr kommod machen, und hoͤchſtens noch dasjeni-
ge lernen, was zu ihren Brodſtudien gehoͤrt, aber
auch dies wenige kann nur von vorzuͤglichen Koͤpfen
in ſo kurzer Zeit gelernt werden, und ſind wohl
alle Studenten vorzuͤgliche Koͤpfe?


Fuͤrs zweyte iſt dem Burſchenbeutel nichts ſchaͤd-
[60] licher in Halle, als die Lauchſtaͤdter Badezeit. Ich
kenne Studenten, welche hoͤchſtens 250 Thaler
Wechſel haben koͤnnen, und doch in einem Som-
mer 80 Thaler in Lauchſtaͤdt verbringen: ſonach
bleibt alſo dem Herrn noch ein Suͤmmchen von 170
Thalern uͤbrig, womit er alle ſeine andern Beduͤrf-
niſſe beſtreiten ſoll. Das kann er nun nicht, er
muß alſo borgen, und am Ende ſeine Glaͤubiger
prellen. Noch heute, da ich dieſes niederſchreibe,
fand ich einen mir bekannten Studenten hinter dem
Rathhaus auf der Straße „Lieber Laukhard, ſagte
er, beſuchen Sie mich noch dieſe Woche; naͤchſten
Sonntag gehe ich ab.“


Ich. Das thut mir leid; ich glaubte, Sie wuͤr-
den noch bis auf Michaelis hier bleiben.


Er. Der Alte will nicht mehr ſpucken (Geld
ſchicken) Mein S...ß (Schulden) ſind ſo groß,
daß ich die Manichaͤer nicht bezahlen kann. Ich
muß mich druͤcken mit der Malice (heimlich fortma-
chen.)


Ich. Sie haben doch einen ſchoͤnen Wechſel ge-
habt.


Er. O ja, dreyhundert Thaler; aber man hat
auch Ausgaben; das verfluchte Lauchſtaͤdt allein
koſtet mich uͤber vierhundert Thaler, ſeitdem ich
hier bin.


Waͤhrend der Badezeit zu Lauchſtaͤdt wird der
[61] Halliſche Student auf alle Weiſe geprellt: die Pfer-
dephiliſter, eine wahre Peſtilenz der Akademien,
ſchlagen mit ihren Roßen ſo ſehr auf, daß ihnen
manche Maͤhre in vierzehn Tagen ſo viel eintraͤgt,
als das elende Thier ſelbſt werth iſt; und in Lauch-
ſtaͤdt ſelbſt iſt alles ſo abſcheulich theuer, und da-
bey noch ſo ſchlecht, daß es wirklich Suͤnde iſt,
auch dem Allerreichſten, das geforderte Geld dafuͤr
zu geben. Man bedenke nur, daß ein Platz auf
dem Parterre in dem uͤber allen Glauben traurigen
ſchlechten Komoͤdienhauſe, wo man eher ein von
Joſeph Wieland *) dirigirtes Marionettenſpiel,
als eine Fuͤrſtliche Truppe Schauſpieler erwarten
ſollte, doch zwoͤlf Groſchen bezahlen muß.


Dieß ſind ſo die Hauptſchaͤden, welche unſre
Univerſitaͤt durch die Komoͤdie zu Lauchſtaͤdt leidet,
und doch hat bisher, ſo viel ich weiß, noch kein
Prorektor in Halle dran gedacht, dieſem Unweſen
auf irgend eine Art zu ſteuern, und man giebt
recht gerne zu, daß unſre Studenten drey, vier,
fuͤnf Wochen hinter einander in Lauchſtaͤdt bleiben,
und da ihre Reſidenz aufſchlagen.


[62]

Auſſer dem Zeit- und Geldverluſt aber leiden
die Studenten noch andern Schaden, der zwar we-
niger ſichtbar, aber nicht minder betraͤchtlich iſt.
Die verderblichen Hazardſpiele ſind von Lauchſtaͤdt
nach Halle gekommen, und manches obſcure Bre-
lau wuͤrde nicht ſo haͤufig beſucht worden ſeyn,
wenn die Herren nicht zu Lauchſtaͤdt das edle Pha-
rao und das noch edelere Knoͤcheln gelernt haͤtten.
Ich habe Studenten gekannt, welche ſich in der
Spielkunſt ſo ſehr vervollkommnet haben, daß ſie
die Studien an den Nagel henkten, und nun als
Spieler in der Welt herumziehen. Doch genug
von Lauchſtaͤdt: es wird, troz meines Predigens,
doch bleiben wie es iſt, und vielleicht nur noch
ſchlimmer werden.


Wenn man aber ſo alles zuſammen nimmt, ſollte
man denken, es ſey mehr Eigenſinn von Seiten
derer geweſen, welche im Jahr 1797 wider die Er-
richtung eines Theaters in Halle proteſtirt haben,
als wirklicher Patriotismus und Sorgſamkeit fuͤr
die Univerſitaͤt. Ein Theater haͤtte hier wenig, oder
gar nichts geſchadet, und wenn auch zwanzig Mal
waͤre geſpielt worden, und ein Student haͤtte allen
zwanzig Vorſtellungen beygewohnt, ſo haͤtte er doch
nicht mehr, als 6 thlr. 8 gl. hingegeben, da ihn
jezt eine einzige Lauchſtaͤdter Geniereiſe ſo viel
koſtet.


[63]

Sechſtes Kapitel.


Kriegsgeſchichten im Jahr 1798.


Nachdem der bisherige Haͤſcherhauptmann Baͤr,
der Erzantagoniſt aller Studenten, das Zeitliche
geſegnet hatte, ſuccedirte ihm Mosjeh Muͤller,
und erſezte ihn in allen Stuͤcken. Baͤr war, wie
jeder weiß, der ihn kannte, ein grober impertinen-
ter Kerl, Muͤller war um kein Haar artiger: Baͤr
prellte, wo er konnte, und Muͤller verſaͤumte keine
Gelegenheit, etwas zu acquiriren, ohne ſich grade
zu bekuͤmmern, ob der modus acquirendi ein
legitimer oder illegitimer war. Endlich hatten
beyde, Baͤr und Muͤller eine hohe Idee von ihrem
Amt, und beſonders Letzterer bildete ſich auf ſeine
erhabene Haͤſcherdignitaͤt mehr ein, als der Stadt-
gerichtspraͤſident auf die Seinige.


Unſre Hallenſer lieben uͤberhaupt die Haͤſcher
nicht, und wo Buͤrger hinkommen, da darf ſich
keiner von der nobeln Haͤſchergeſellſchaft blicken laſ-
ſen; daher haben auch dieſe Mosjehs ihre eignen
Kneipen, ja ſogar ihre eignen Bordelle, wo ſie
hingehen, und ſich luſtig machen: denn auch ſie
haben Kehlen, und Fleiſch und Blut. Muͤller aber,
[64] der da glaubte, er koͤnne auch in honettere Geſellſchaf-
ten gehen, wagte es einige Mal, an Oerter zu kom-
men, wo Branntwein geſchenkt wurde, und wo Sol-
daten ſich aufhielten; dieſen ließ er tapfer einſchen-
ken, und erhielt ſoviel, daß die Soͤhne des Mars ihn
ihrer Bruͤderſchaft wuͤrdigten, und ihm ihren Schutz
wider jeden verſprachen, der ihn angreifen wuͤrde.
Muͤller ward nun dreiſter, und erſchien im Keller-
ſtuͤbchen, welches ich im vorigen Bande beſchrieben
habe. Hier waren lauter geſezte Maͤnner, welche
zwar den Haͤſcher nicht gern in ihrer Mitte ſahen,
jedoch keinen Spektakel machten, und ihn ſein Glas
Breyhan in Ruhe austrinken ließen. Als er aber
doch ſahe, daß niemand mit ihm ſprach, und kei-
ner von den Anweſenden auf ſein Schwadronniren
zu merken ſchien, ſtand er auf und ging weg, aber
noch an ſelbigem Abend kam er an einen Ort, wo
man nicht ſo tolerant war, als im Kellerſtuͤbchen.
Dieß war in einer Branntweinſchenke in der Maͤrker-
ſtraße, wo er einen ruͤſtigen Muͤhlknappen antraf,
der den Herrn Oberhaͤſcher Muͤller, mir nichts dir
nichts, zur Thuͤre hinausſchmiß. Der Haͤſcher ſchwur
den Philiſtern den Tod, und ſuchte ſich Freunde unter
den Studenten. Zu dieſem Ende fand er ſich auf
der Egge ein, wo Studenten ſich oft verſammelten,
plauderte dieſen ein Langes und ein Breites von
den vertrakten groben Philiſtern vor, und ſchwadron-
nirte
[65] nirte ſo trefflich, daß die Muſenſoͤhne uͤberlaut lach-
ten, und den Oberhaͤſcher ſitzen ließen. Jezt dach-
te Mosjeh Muͤller ſchon der Freund der Studenten
zu ſeyn, frequentirte noch einige andere Oerter,
wo Studenten hingehen, und hatte endlich gar die
Freyheit, einem Studenten Schmollis anzubieten.
„Was, ſagte der Student, Er will Schmollis mit
mir machen? Er verfluchter Haͤſcherbuͤttel, Ihn
ſoll ja das heilige Kreuz erwuͤrgen.“ Mit dieſen
Worten warf der Student den luͤmmlichen Haͤſcher-
kapitaͤn zu Boden, und triſchakte ihn dermaßen
durch, daß ihm das Blut zu Maul und Naſe her-
aus lief. Die andern Studenten erfuhren die Ur-
ſache des Skandals, und transportirten den unver-
ſchaͤmten Bengel zur Thuͤre hinaus, die Treppe
hinunter, und warfen ihn dann in eine Miſtpfuͤtze.


Nun war Muͤller auch der Feind und zwar der
aͤrgſte ſchlimmſte Feind der Studenten, und ſchwur
auch ihnen den Tod.


Nicht lange nach dieſer Begebenheit trug es ſich
zu, daß ein Student mit einer brennenden, oder
auch nicht brennenden Tabakspfeiffe auf der Stra-
ße von einem Haͤſcher angetroffen wurde. Der
Haͤſcher confiscirte ihm die Pfeiffe, aber der Stu-
dent widerſezte ſich, und nachdem mehrere Haͤſcher
dazu kamen — die Sache ging grade vor der Haͤ-
ſcherhauptwache vor — ſo wurde der Student arre-
Laukh. Leben 5ter Theil. E
[66] tirt. Seine Landsleute gingen hin zum Prorektor,
und behaupteten, er ſey zur Ungebuͤhr eingezogen
worden, indem ſeine Pfeiffe nicht gebrannt habe.
Indeßen ſollte das Zeugniß der Haͤſcher doch mehr
gelten, als das der Studenten, und daruͤber kams
dann zum foͤrmlichen Krieg.


Die Studenten zogen naͤmlich vor die Haupt-
wache der Haͤſcher, ſchrieen ihnen ein pereat! und
provocirten ſie foͤrmlich: dieſe Herren, welche ſich
zu Kriegszeiten, und uͤberhaupt, wenn ſie auf ernſt-
hafte Ebentheuer ausziehen, auf die laͤcherlichſte
und abgeſchmackteſte Weiſe beharniſchen, daß man
glauben ſollte, es waͤren Sancho Panſas Unter-
ſchildknappen, fuhren wie die Furien aus ihrem
Wachthauſe, aber die Studenten zerſchlugen ihnen
ihre Bleyſtifte — ſo nennt man in Halle die lan-
gen Haͤſcherſtangen — trieben die Stangenritter zu-
ruͤck in ihr Caſtell, und provocirten ſie von neuem.
Die Haͤſcher ermangelten nicht, abermals ſich ins
Feld zu wagen, nachdem ſie aber nochmals zuruͤck-
geſchlagen worden waren, blieben ſie ruhig, verram-
melten ſich in ihrer Feſtung, und antworteten auf
das unaufhoͤrliche Bruͤllen und Pereiren der Stu-
denten nicht weiter mehr. Den folgenden Tag
wurde der Krieg fortgeſezt, und als die Haͤſcher
wieder einen Ausfall wagten, wurde ein Student
mit einem Bleyſtift uͤbel zugerichtet. Die Stu-
[67] denten wuͤrden den Krieg noch lange fortgeſezt ha-
ben, wenn man ihnen nicht, ich weiß nicht recht,
durch welchen Canal, zu verſtehen gegeben haͤtte,
daß ſie Satisfaction haben ſollten.


Muͤller der Haͤſcher wurde wirklich entfernt,
weil ihm wenigſtens von den Studenten die Haupt-
ſchuld am ganzen Skandal zugeſchrieben wurde.
Muͤller vermuthete nichts weniger, als dieß: denn er
glaubte, man duͤrfe ihm nicht allein nichts zu Leide
thun, ſondern muͤße ihn noch dazu belohnen, weil
er ſo ritterlich wider Studenten, Philiſter und
Gnoten geſtritten hatte. „Ja, ſagte er in der Knei-
pe, wo ſonſt die Antiquariusbutike des ſeligen
Spechts war, ich muͤßte den Geheimenrath Klein
nicht zum Freunde haben, wenn ich mich fuͤrchten
wollte. Ja Ihr koͤnnt mir glauben, Leute, ich
und Klein verlaſſen einander nicht; er hat mirs in
die Hand zugeſagt, daß ich nichts zu fuͤrchten
haben ſollte, und wenn ſich die halbe Stadt auf den
Kopf ſtellt, und Klein iſt ein Mann von Wort,
vorzuͤglich gegen mich. Je nun, eine Hand waͤſcht
die andre.“


Ich kann nicht ſagen, wie weit die Freundſchaft
des Herrn Klein gegen den Oberhaͤſcher ſich erſtreckt
hat; vielleicht war die ganze hochgeruͤhmte Gunſt
eine leere Erdichtung, wie viele Rodomontaden des
eiteln Menſchenkindes: aber das weiß ich, daß
E 2
[68] Muͤller fortmußte, und daß ſich ganz Halle freute,
als dieſer geſtrenge Haͤſcherkapitaͤn ſeinen Abſchied
nahm.


Einige Zeit uͤber war es ruhig in Halle, und
ſchon glaubten die Studenten, es ſey alles vergeſ-
ſen. Ich demonſtrirte meinen Freunden, daß die-
ſer Ruhe nicht zu trauen ſey, anguem latere in her-
ba,
ſtille Waͤſſer gruͤndeten tief, und den Herren
von der Univerſitaͤt ſey vollends nicht zu trauen,
wenn ſie ſtille ſchwiegen, und freundlich laͤchelten;
das Hauptſtudium der Gelehrten ſey Klugheit, und
Klugheit erfordere, daß man ſeinen Feind, ehe er
ſichs verſieht, uͤberfalle, und ihm die Kehle zu-
ſchnuͤre, ehe er um Succurs rufen kann. Meine
Freunde hielten mich fuͤr einen falſchen Propheten,
aber ich hatte doch wahr prophezeyhet.


Ich blieb eine Nacht uͤber bey meinem Freund
und Gevatter Leffler, welcher Hofmeiſter bey ei-
nem gewiſſen ſtudierenden Adelichen von Spiegel
war: Hr. Leffler war krank, und ich wachte bey
ihm. Ich ſaß am Tiſch, und las in Mosheims
Servetus, als auf einmal — es mogte etwan
zwey Uhr nach Mitternacht ſeyn — das ganze
Haus in Alarm gerieth. Die Haͤſcher waren naͤm-
lich unter dem Commando des Univerſitaͤtspedel-
len eingedrungen, und holten einige Studenten aus
den Betten aufs Carcer, unter welchen auch Hr.
[69] von Spiegel war. Kaum erlaubten die geſtrengen
Herren, daß die Leute ſich anziehen durften, und
ſchrieen unaufhoͤrlich: „machen Sie, machen Sie,
wir muͤſſen fort!“ gleich als wenn ſie ſich gefuͤrch-
tet haͤtten, der Feind moͤgte ihnen auf den Hals
ruͤcken, und ihnen die gemachte Beute entreiſſen.


Ehe ich weiter erzaͤhle, muß ich eine Bemer-
kung anbringen, die ſich zwar jedem Nachdenken-
den von ſelbſt aufdringt, und dies iſt, daß nichts
die Schwaͤche der akademiſchen Regierung mehr be-
weiſt, als die Proceduren, welche eben dieſe Re-
gierung unternimmt, um ſich derer zu verſichern,
welche ſie ſtrafen will. Warum wurden die jungen
Leute aus ihren Betten geholt? Sie wuͤrden ſich
entfernt haben, wird man antworten, wenn ſie or-
dentlich waͤren gefordert worden. Gut; geſetzt ſie
haͤtten ſich entfernt: ſo konnte man gegen ſie doch
verfahren, wie andre Gerichte auch in ſolchen Faͤl-
len thun. Die Leutchen hatten ja doch keine Capi-
talverbrechen begangen. Aber die Herren fuͤrchte-
ten nicht ſowohl die Entfernung der Angeklagten,
als vielmehr die Nothwendigkeit, die angeſchuldig-
ten Verbrechen zu beweiſen: und bey einer akade-
miſchen Inquiſition kann ſo ein Beweis ſehr leicht
ausgefuͤhrt werden, der oft ganz unmoͤglich waͤre,
wenn man mit ſeinen Proben oͤffentlich herausruͤ-
cken muͤßte. Der Student wird aufs Carcer geſetzt,
[70] und nun iſt nichts leichter, als ihn ſchuldig zu fin-
den, wenn man ſonſt will: man kann ja inſtruiren
und das Urtheil nach Wohlgefallen faͤllen. Aber
wenn die Klagepunkte bey unbefangnen ſollten un-
terſucht und gewuͤrdiget werden, moͤgte wohl man-
ches in Senatu academica gefaͤllte Urtheil gar gewal-
tig reformirt werden muͤſſen. Die Urſache alles
Unheils auf Univerſitaͤten iſt ein radikal Unheil,
naͤmlich die Geringſchaͤtzung der Geſetze. Und wo-
her kommt dieſe ſchaͤdliche Verachtung? Antwort,
aus dem Weſen der Geſetzgebung ſelbſt. Alle Au-
genblick werden Geſetze und Verordnungen gedruckt
und angeſchlagen, aber dabey bleibt es dann mei-
ſtens auch, und fuͤr die Ausfuͤhrung des Gebote-
nen, oder die Verhinderung des Verbotenen ſorgt
weiter kein Menſch mehr. Es iſt mir wahrlich
leid, daß ich es ſagen muß, aber es iſt Wahrheit,
und die muß heraus, ſollten auch noch ſo viele Her-
ren ihre Naſen daruͤber ruͤmpfen. Dadurch, daß
die Herren auf der Univerſitaͤt — ich rede nicht von
Halle allein, ſondern von allen deutſchen Univerſi-
taͤten, in ſoferne dieſe mir ſind bekannt geworden —
nicht auf die Erfuͤllung aller ihrer Verordnungen
halten, machen ſie ſelbſt, daß niemand viel dar-
nach fragt, und ſo bleibt es immer beym Alten.
Ein ganz neues Beyſpiel mag hier zur Erlaͤuterung
dienen. Vor etwan 8 Wochen wurde am ſchwar-
[71] zen Bret zu Halle angeſchlagen, daß kein Student
mehr auf den Doͤrfern kommerſchiren ſollte, und na-
mentlich wurden die Gelage in Reideburg verboten,
und in dem Anſchlag hieß es, die Saͤchſiſchen Ge-
richte ſeyen deßhalben requirirt, und wuͤrden ge-
wiß recht ernſthafte Maaßregeln ergreifen, wenn je
jemand eine Laͤrmſauferey veranſtalten wollte.
Was geſchah? Den folgenden Tag, nachdem das
Quaſigeſetz angeſchlagen worden war, zogen viele
Studenten nach Reideburg, und erkundigten ſich
bey Zacharias Schmid, dem Schenkwirth, ob er
wohl einen honetten Kommerſch verſtatten wollte?
„Warum dann nicht, antwortete Schmid? Wer
will mir das verbieten? Kommerſchirt Ihr nur
derb, macht einen Pabſt, und thut was Ihr wollt:
ich will den ſehen, der Euch etwas in den Weg legen
ſoll.“ So Herr Zacharias Schmid. Die Stu-
denten, neugierig zu erfahren, welche Wirkung
die Requiſition des Prorektors durch die Saͤchſiſchen
Gerichten thun wuͤrde, fingen ihren Landesva-
ter an und ſangen munter herum. Indem ſie ſo
laͤrmten, kam endlich der Richter, und gebot Ruhe,
ließ ſich aber bald beſaͤnftigen, da ihm vorgeſtellt
wurde, daß man bloß da ſey, um ein Liedchen zu
ſingen, und dabey zu trinken, keinesweges aber,
um ſich zu ſchlagen oder ſonſt Unordnungen anzu-
fangen. In Halle ward es gleichſam wie durch
[72] ein Lauffeuer bekannt, daß in Reideburg war kom-
merſchirt worden, aber davon wurde weiter keine
Notiz genommen. Ich will hier gar nicht unter-
ſuchen, ob ein Vergnuͤgen, wie Kommerſche zu
unſrer Zeit
ſind, tolerirt werden koͤnnen oder
nicht, aber wenn man ſie toleriren will, oder gar
toleriren muß, ſo ſollte man ſie auch nicht verbie-
ten. Ich werde weiterhin Gelegenheit haben,
uͤber dieſen Gegenſtand noch mehr zu ſagen, uͤbri-
gens bekenne ich, daß mir, ſo oft ich von einem
akademiſchen Geſetz hoͤrte, allemal der ſo ſehr wah-
re Ausſpruch des Dichters beygefallen iſt:


Quid leges ſine moribus
Vanae proficiunt?
*)


Doch ich will nur weiter erzaͤhlen. Die Unter-
ſuchung ging, wie die meiſten Unterſuchungen auf
Akademieen, ſehr langſam vor ſich, und da eben
der nun verſtorbene Profeſſor Krauſe Prorektor wer-
den ſollte, ſo ließ dieſer ſich ſchon vorher, ehe er,
wie man ſagt, die Faſces academicos capeſſirte, in
dieſer Sache initiiren, und war dabey ſo emſig,
daß er den ganzen Tag auf der Wage **) blieb,
[73] und ſich ſogar Eſſen und Coffee dahin bringen ließ,
gleichſam als waͤre ein ſolcher Prozeß mit der
Wohlfahrt des heiligen Roͤmiſchen Reichs deutſcher
Nation aufs innigſte verbunden. Das Ende vom
Liede war, daß mehrere fortgeſchickt wurden, und
daß die Aeltern der Inculpaten nach laͤngſt herge-
brachter Sitte, große Summen Unkoſten und Straf-
gelder bezahlen mußten. Die Studenten kamen
dießmal, wie allemal, am ſchlimmſten weg,
und Herr Klappenbach, der Stockmeiſter, wuͤnſcht
ſich alle Jahre einen Studentenkrieg, weil er davon
nicht geringen Nutzen hat.


Siebentes Kapitel.


Literariſche Arbeiten.


Im Winter 1797 ſchrieb ich meinen Carl Mag-
nus, eine Lebensgeſchichte eines winzigen Despo-
ten in den Rheingegenden, deſſen Begebenheiten
mir laͤngſt genau bekannt waren. Ich habe von
dieſem Carl Magnus, Rheingrafen zu Grehweiler,
ſchon einiges in meiner Lebensbeſchreibung *) ange-
fuͤhrt, aber das Buch, welches ich nun herausgab,
war eine vollſtaͤndige Biographie dieſes unwuͤrdi-
gen Reichsſtandes. Mein Zweck war nicht ſowohl
[74] das Andenken eines Grafen an den Pranger zu
ſtellen, welcher noch ſehr vornehme Verwandte in-
nerhalb und außerhalb Deutſchlands hat, als viel-
mehr einen Zuchtſpiegel fuͤr diejenigen zu ſtellen,
welche gern mit aller Ehrbarkeit als Regenten durch
die Welt kommen wollen. Daß ich meinen Zweck
nicht ganz verfehlt habe, beweiſt folgender Vor-
fall: Im Fruͤhling 1798 ließ mich der Fuͤrſt von
Neuß zu ſich auf den Loͤwen kommen, war ſehr
artig gegen mich, und geſtand mir, daß er gerne
den Verfaſſer des Carl Magnus habe wollen ken-
nen lernen; Carl Magnus ſey zwar ſein Vetter ge-
weſen, aber darauf nehme er gar keine Ruͤckſicht,
und billige mein Unternehmen, einen winzigen Ty-
rannen zum abſchreckenden Beyſpiel aufzuſtellen.
„Ich wuͤnſchte, fuhr er fort, daß manche Herren —
hier nannte er verſchiedene — Ihren Carl Magnus
leſen moͤgten. Denn viele ſtehn ſchon auf der
Schaukel, und werden bald umkippen, andre ei-
len ihrem Verderben ſchnurſtraks entgegen. Ihr
Buch koͤnnte ſie belehren, was aus Donkiſchotspoſ-
ſen herauskommt.“ So urtheilte ein helldenkender,
aufgeklaͤrter Fuͤrſt; ganz anders aber ſprach der
Goͤttinger Recenſent, welcher, wie man verſichert
hat, Hr. von Berg ſeyn ſoll. Dieſer Recenſent
fiel beſonders uͤber das Urtheil her, welches ich
uͤber das Reichskammergericht zu Wetzlar gefaͤllt
[75] hatte; ohne das Urtheil ſelbſt zu widerlegen, be-
ſchuldigt er mich geradezu der Partheylichkeit und
der Verdrehung des Gegenſtandes, und verſichert,
daß es bey keinem Gericht in ganz Europa ordent-
licher und redlicher zugehe, oder auch nur zugehen
koͤnne, als bey dem Reichsgericht zu Wetzlar!!
Credat ludaeus Apella, wird hier mancher ſagen,
der die Lage der Dinge beſſer kennt, und wenn es
wahr iſt, daß Herr von Berg jene Recenſion ge-
macht hat, ſo bin ich vollkommen uͤberzeugt, daß
er anders dachte, als ſeine Feder ſchrieb.


Indeſſen machte doch meine Schrift auch in
Wetzlar ſelbſt Aufſehen: der Prorektor Krauſe ſagte
zu einem ſeiner Hausſtudenten, den ich noch, im
Fall es verlangt werden ſollte, namhaft machen
kann, ich ſey verklagt worden von der Kammer zu
Wetzlar, und nach ſeiner Meynung muͤßte es mir
hart an den Kragen gehen; es ſey aber auch ſchon
recht: denn einem Menſchen, der ſich nicht ſcheute,
das hohe Reichsgericht ſelbſt anzugreifen, muͤſte
man das Maul ſtopfen, und zwar derb. Ich will
hier gar nicht fragen, in wie weit es ſich ſchickt,
daß ein Prorektor mit einem Studenten uͤber ſolche
Sachen ſpreche, ſondern nur anmerken, daß ich
das Reichskammergericht ganz und gar nicht ange-
griffen habe, wenigſtens das nicht, welches im
Jahr 1797 zu Wetzlar war: denn ſollte ja etwas
[76] Nachtheiliges fuͤr das Kammergericht aus meinem
Buche zu ziehen ſeyn, ſo betraͤfe es doch bloß die
Herren, welche ohngefaͤhr 1766 oder 1768 das
Perſonale der Kammer ausmachten, und es wird
doch wohl niemand behaupten wollen, daß es zu
keiner Zeit Anomalien in Wetzlar geſetzt habe. Haec
in parentheſi.


Der Student, mit welchem der Prorektor Krauſe
uͤber mein Verbrechen gegen das hohe Reichsgericht
geſprochen hatte, kam zu mir, und erzaͤhlte mir
alles, in der Abſicht, mich zu warnen, und etwa
mich durch die Flucht zu retten. Hr. Krauſe muß
demnach meine Sache, als ſehr gefaͤhrlich vorge-
ſtellt haben. Ich ging nun ſelbſt hin zum Prorek-
tor, und erkundigte mich, allein dieſer gab mir zur
Antwort, es waͤre zwar an dem, daß ich verklagt
ſey, allein noch ſey Er nicht befugt worden, eine
Unterſuchung uͤber die von mir gegen ein hoͤchſtes
Reichsgericht — er ſprach dieſe Worte mit einer
ihm ganz allein eignen Emphaſe aus — hingeworfe-
ne Calumnien zu inquiriren, ſollte aber dieſer Fall
eintreten, ſo wuͤrde er thun, was ſeine Pflicht for-
derte. Ich merkte, daß Hr. Krauſe in dieſem Stuͤck
ſeiner Pflicht nur gar zu gerne ein Genuͤge geleiſtet
haͤtte, allein dieſe Freude ward ihm nicht: denn da die
Klage uͤberhaupt ſo eingerichtet war, wie mir ſich-
re Leute erzaͤhlt haben, daß ſie nicht konnte von
[77] Preußiſchen Obergerichten angenommen werden, ſo
wurde ſie uͤberhaupt bey Seite gelegt, und kam
nicht zur Unterſuchung. Da uͤbrigens meinem
Carl Magnus von niemand oͤffentlich widerſprochen
wird, welches doch ſehr leicht geſchehen koͤnn-
te, wenn er Luͤgen enthielte, indem noch viele hohe
und niedere Augenzeugen aller in dem Werkchen
erzaͤhlten Begebenheiten noch jezt am Leben ſind,
ſo verdient er allerdings hiſtoriſchen Glauben, und
kann dem kuͤnftigen Hiſtorienſchreiber dienen, den
Geiſt der Duodezmonarchien in Deutſchland mehr
kennen zu lernen.


Den Sommer 1798 uͤber ſchrieb ich den erſten
Theil meiner Annalen der Univerſitaͤt zu Schilda,
auf welchen zu Oſtern 1799 der zweyte und dritte
Band folgte. Ich hatte ſeit dem Jahr 1775 das
Univerſitaͤtsweſen angeſehen *) und war daher ſehr
wohl im Stande, das Karrikaturmaͤßige der ge-
lehrten Innungen in Deutſchland darzuſtellen. Ich
wagte es, und ſo entſtanden die Annalen von Schil-
da. Ich habe aber dabey keine Univerſitaͤt insbe-
ſondere, keinen individuellen Profeſſor u. ſ. w. vor
Augen gehabt, ſondern unter erdichteten Namen
diejenigen Boksſpruͤnge beſchrieben, welche ich
[78] kennen gelernt, und zum Theil — warum ſollte
ichs nicht geſtehen? — ſelbſt mitgemacht hatte.
Dieß moͤgen diejenigen ſich merken, die ſo unge-
buͤhrliche und abgeſchmackte Auslegungen uͤber mein
im Grunde ganz unſchuldiges Werk gemacht haben.
Mein Freund, Herr Leffler, ſchrieb mir aus Fran-
ken, daß man in Jena, Erlangen und Altorf mein
Schilda und die von mir vorgeſtellte Perſonen alle
gefunden, und mit Fingern auf ſie gewieſen habe.
Der Profeſſor Fuͤnfkaͤs ſey in Jena Herr X, in Er-
langen Herr Y und in Altorf Herr Z. Das Ding
kam mir wunderlich vor, da Fuͤnfkaͤs auch in Halle
geſucht und gefunden wurde. Ich erſchrack uͤber
dieſe Auslegungen, welche meinen Worten einen
Sinn gaben, den ich weder gedacht hatte noch den-
ken konnte, da ich wirklich die Maͤnner verehre,
welche ich in den Annalen an den Pranger geſtellt
haben ſoll.


Ich hatte gewiß bey der Verfaſſung der Schil-
daiſchen Annalen eine ganz andre Abſicht, als mei-
ne meiſten Leſer vermutheten: ich wollte die Radi-
calfehler aller deutſchen Univerſitaͤten ſchildern,
und einige Mittel angeben, wie denſelben abzuhel-
fen ſey. Ich dachte, vielleicht lieſt jemand dein
Buch, dem es dran liegt, daß dieſe Fehler gebeſ-
ſert werden, und der auch Kraft genug hat, ſo ein
Werk ganz oder zum Theil auszufuͤhren, da kann
[79] das Buch nuͤtzlich werden. Damit es aber auch
nicht ſollte liegen bleiben, und ſich auch von ſol-
chen leſen laſſen, welche ſich um die Verbeſſerung
des Univerſitaͤtsweſen nicht bekuͤmmern, kleidete
ich das ganze Ding in Schnurren ein, welche um
ſo verzeihlicher ſind, da es auf allen deutſchen Uni-
verſitaͤten ſo ſehr ſchnurrig zugeht, wie die taͤg-
liche leidige Erfahrung hinlaͤnglich beweiſt.


Eines Tages kam ich zu Herrn Bispink.
„Wiſſen, Sie daß ein hieſiger Student gegen Sie
ein Buch ſchreiben wird, welches Laukhard der
Obermeiſter der gelehrten Innung zu
Schilda
heißen ſoll?“ Ich betheuerte Hn. Bis-
pink, daß ich nichts von ſo einer Schrift wiſſe.
„Ja, ja, fuhr er fort, es iſt ganz gewiß; der jun-
ge Mann hat ſich nach allen Ihren Hiſtoͤrchen er-
kundigt, und wird ein nettes Bild von einem Schil-
daiſchen Obermeiſter darſtellen.“ Ich erkundigte
mich unter den Studenten — denn Herr Bispink
wollte mir den Verfaſſer der imaginairen Broſchuͤre
nicht ſagen — wer doch ſo etwas zu ſchreiben im
Sinn haͤtte; aber keiner wußte mir daruͤber Aus-
kunft zu geben. Indeſſen ſuchte ich im Epilog zum
dritten Band der Annalen mich gegen die etwai-
gen Vorwuͤrfe meines Antagoniſten zu verwahren,
allein das war ſehr uͤberfluͤßig: denn es erſchien
auch kein Buchſtabe weder gegen meine Annalen,
[80] noch gegen meine Perſon. Die ganze Hiſtorie
war eine Erfindung eines leeren muͤßigen Kopfes,
oder einer Fraubaſe; vielleicht waren die guten
Leutchen ſcharfſinnig genug, ſich in Schilda anzu-
treffen, und da wollten ſie mir wenigſtens Angſt ma-
chen, da ſie mir weiter nicht ſchaden konnten. Es geht
ſo in der Welt, und man wuͤrde ſehr uͤbel thun;
wollte man den Leuten den Spaß verſalzen, wie
ich leicht koͤnnte, wenn es mir jezt einfiele, Skan-
dale zu erzaͤhlen; aber das will ich nicht, obgleich
damals die Herren ſich bemuͤhet haben, meine
Suiten, ſogar meinen Zank mit einem Schacher-
juden auf dem Rathskeller zu erforſchen, und zu
verbreiten. Unter den Recenſenten der Annalen,
hat Herr Borhoͤk meinen Sinn am beſten getroffen:
wie aber die Annalen von Schilda in den theolo-
giſchen Annalen konnten recenſirt werden, iſt nicht
leicht zu begreifen, es muͤßte dann ſeyn, daß das
Schildaiſche Weſen mit dem Theologiſchen einige
Aehnlichkeit haͤtte. Daß aber ein ſo orthodox luthe-
riſcher Mann, wie Herr Scheibel zu Breslau iſt,
meine Annalen nicht billigte, iſt gar kein Wunder:
aber Herr Scheibel hatte doch gar nicht Urſache,
in ſeinen Gloſſen, wo er immer etwas Kluͤgeres
haͤtte vorbringen koͤnnen, auf die armen Produkte
und ihren Verfaſſer ſo fuͤrchterlich loszuziehen,
und mich, wie mir ſelbſt einige von ſeinen Schuͤ-
lern
[81] lern geſagt haben, einen Kerl, einen Scribax, ei-
nen Blasphemanten und Profananten uͤber den an-
dern zu heißen. Es thut mir leid, daß ich dieß
von einem Manne ſagen muß, deſſen Verdienſte
ich hochſchaͤtze, und von dem ich ſelbſt manches
Gute gelernt habe. Doch es mag ſeyn; vielleicht
thut es Herr Scheibel in Zukunft nicht mehr, und
ſieht vielleicht ein, daß Schulſaͤle keine Klatſchbu-
den ſind, wo man andre Leute herumholt, und ih-
nen das bischen Ehre abſchneidet, das ſie vielleicht
noch haben moͤgen.


Achtes Kapitel.


Magiſter Dornenſteeg. Stemmert. Schulz.


Im Fruͤhling 1798 beſuchte mich ein Fremder,
welcher ſich Dornenſteeg nannte. Dieſer Mann
fiel mir auf, es war mir, als haͤtte ich ihn ſchon
einmal irgendwo geſehen, aber da er ſich Dornen-
ſteeg nannte, ich mich aber nicht beſinnen konnte,
dieſen Namen irgendwo gehoͤrt zu haben, ſo ſtellte
ich auch weiter keine Unterſuchungen an, zumal da
Herr Dornenſteeg nicht im Geringſten that, als
habe er mich ſchon ehemals gekannt. Einige Tage
hernach beſuchte er mich wieder, und entdeckte ſich,
Laukh. Leben 5ter Theil. F
[82] und ſiehe da, es war Herr Eichhorn von Pyrmont,
mit welchem ich ehedem in Gießen und in Goͤttin-
gen ſtudiert, und an dieſen Orten manches Eben-
theuer beſtanden hatte. Eine groͤßere Freude haͤtte
ich damals nicht haben koͤnnen: denn es iſt ſo ſehr
angenehm, alte Bekannte wieder zu treffen, und
dieſe Bekannte ſind uns um ſo theurer und angeneh-
mer, wenn wir mit ihnen an Oertern waren, die uns
unvergeßlich ſind, wie mir Gießen und Goͤttingen
ewig bleiben werden. In der erſten Stadt hatte
ich den Anfang meines akademiſchen Lebens ge-
macht, und hatte mich gleich ſo in den damaligen
Burſchenton eingeſchuſtert, daß man noch in Gießen
meiner gedenkt, und wohl noch lange gedenken
wird. Nun hatte ich wieder einen Mann, mit dem
ich mich uͤber die alten Geſchichten unterhalten
konnte, und ſo oft wir zuſammen kamen — wir
kamen aber, da Hr. Dornenſteeg auch beym Schnei-
der Baum wohnte, taͤglich zuſammen — ließen
wir die Gießer und Goͤttinger die Revuͤe paſſiren,
und erzaͤhlten uns die alten Stuͤckchen, welche wir
erlebt hatten. Die Eulerkappereyen, die Wami-
chiaden, die Auftritte mit dem groben Muͤller im
Einhorn, die Kreuzzuͤge und die uͤbrigen Gießer
Poſſen: dann kamen wir auf Goͤttingen, muſter-
ten die Kellermenſcher und den Schnappskonradi
u. ſ. w. Dieß thun wir noch bis auf den heutigen
[83] Tag; wir treffen uns noch ſehr oft im Hirſch bey
Hn. Kypke, auf dem Univerſitaͤtskeller, in Karls
Garten und auf der Mail, wo unſer Geſpraͤch
meiſtens alte Suiten beruͤhrt. Unſer gemeinſchaft-
licher Freund, Herr Buͤchling, nimmt gerne Theil
an unſern muntern Unterhaltungen, und da giebts
immer was zu lachen, beſonders wenn wir uns mit
der Mamſell Eulerkapper und mit dem Gießer Ober-
haͤſcher Neeb aufziehen.


Herr Dornenſteeg heißt Eichhorn, hat aber ſei-
nen Namen wegen gewiſſen Urſachen umgeſchaffen;
dieſe Urſachen hat er mir nie entdeckt, weil ich ihn
nie drum fragte: aber wichtig genug muͤſſen ſie ge-
weſen ſeyn, weil man doch nicht ohne Noth ſeinen
Namen veraͤndert. In Frankreich fand ich auch
einmal fuͤr gut, mein Laukhard in Lamarets umzu-
ſetzen, und fuhr ſehr wohl dabey, ich zweifle aber
doch, daß Herr Dornenſteeg ſo trifftige Gruͤnde zur
Veraͤnderung ſeines Namens ſollte gehabt haben,
als ich.


Alle Hallenſer, welche mit dem braven Magi-
ſter — denn unter dieſem Namen iſt er hier bekannt
— Umgang haben, bedauern nur, daß er ſchwer
hoͤrt, und daß dadurch ſeine Geſellſchaft etwas laͤ-
ſtig wird; doch vergißt man auch bald dieſen Miß-
ſtand bey der ihm ganz eignen und unveraͤnderlichen
jovialiſchen Laune.


F2
[84]

Unter diejenigen, mit welchen ich genauer umging,
ſeitdem ich verheyrathet war, gehoͤrt vorzuͤglich
Herr Stemmert. Dieſer Mann war ehedem Fran-
ziskanermoͤnch geweſen, hatte aber, theils aus beſ-
ſerer Ueberzeugung, theils aber auch deswegen,
weil ihm ſein eignes Fleiſch und Blut ſagte, es ſey
beſſer, ein Hemd zu tragen, als einen wollenen Lap-
pen auf dem Leibe, beſſer im Bette zu ſchlafen, als
auf dem Strohſak zu lunzen, und des Nachts, wenn
andre ruhen, im Chor zu plaͤrren, beſſer endlich,
mit einem huͤbſchen Maͤdchen ſpazieren zu gehen,
als auf dem Termin herumzulatſchen, und Butter,
Kaͤſe, Eier u. d. gl. zu betteln. Das alles uͤber-
legte Herr Stemmert und verließ ſein Kloſter, und
that, me quidem judice, ganz recht daran, obgleich
ihn alle gute katholiſche Chriſten deßhalb tadeln
muͤſſen. Mit ſeiner Apoſtaſie vom Franziskaner-
orden verband er auch die Apoſtaſie vom Roͤmiſchen
Glauben, und handelte hierin wahrlich conſequen-
ter, als jene Exmoͤnche, welche zwar das Kloſter
verlaſſen, und doch aͤchte katholiſche Chriſten blei-
ben wollen. In der roͤmiſchen Religion iſt alles
Syſtem, und alles haͤngt da, wie in einer Kette
zuſammen, wer ein Gelenk dieſer Kette aufloͤſet,
trennt alles, und das ganze Gebaͤude faͤllt uͤbern
Haufen. Die Kirche aber belegt den, der ſeinen
Orden verlaͤßt, mit dem Anathema; wie kann abe
[85] ein ſolcher von der Kirche, alſo auch von Gott Ver-
fluchter, noch ein guter katholiſcher Chriſt ſeyn?
Und doch bilden ſich manche Exmoͤnche, ſogar ſolche,
die doch nicht ſcheinen vernagelt zu ſeyn, in ihrem
Gehirne ein, ſie koͤnnten den guten Catholiken und
den anathematiſirten Kuttendeſerteur in einer Per-
ſon vereinigen. Aber die Herren, welche ſo den-
ken, ſcheinen ſich mit der Zeit wieder bekehren zu
wollen: ſie wollen nur eine Zeitlang das Vergnuͤ-
gen der Freyheit und des luſtigen Lebens genießen,
alsdann beichten, Buße thun, und im Schoos der
alleinſeligmachenden Kirche, in der gnadeertheilen-
den Kutte des heiligen Franz, oder des heiligen
Dominicus ſterben. So war zum Beyſpiel ſeit
1792 ein gewiſſer Exmoͤnch Succard hier in Halle,
welcher im Lateiniſchen Stunden gab, ohne das
Latein zu verſtehen: denn Succard war nicht im
Stande, eine Zeile in einem Schriftſteller zu er-
klaͤren. Das Dutzen im Lateiniſchen, meynte er,
ſey Grobheit, ehedem in den groben Zeiten eines
Cicero und Virgilius moͤgte das ſo hingegangen
ſeyn; aber wir muͤßten die Sache beſſer verſtehn',
und ſtatt des ungeſchliffenen Ciceronianiſchen: ſi
vales, bene eſt,
ſagen: ſi veſtra dominatio ſe bene
portat;
waͤre es ein Geiſtlicher, muͤſſe man veſtra
Reverentia
ſagen, zu einem Fuͤrſten ſpraͤche der je-
tzige Lateiner veſtra Serenitas, und zu einem Koͤni-
[86] ge veſtra Majeſtas u. ſ. w. Dieſer Menſch lebte
zwar gar nicht monachaliſch, er ſoff, hielt ſich
ein Maͤdchen von der verworfenſten Claſſe, fluchte
und riß Zoten, wie ein Oberhaͤſcher; aber Fleiſch
haͤtte er um alles in der Welt am Faſttage nicht ge-
geſſen, und in ſeiner Stube ſahe es aus, wie in
einer Kapelle; alle Waͤnde waren mit Heiligenbil-
dern tapiſſirt, und das Weyhkeſſelchen hing neben
der Stubenthuͤr. Endlich druͤckte den guten Suc-
card das ſchwere Gewiſſen; er ſchrieb an ſein Klo-
ſter, bekannte ſeine Suͤnden, erhielt natuͤrlicher
Weiſe einen Gnadenruf von der heiligen Klike, und
kehrte zuruͤck. Ohne allen Zweifel paradirt Mei-
ſter Succard dereinſt im Himmel wie ein glaͤnzen-
der Stern.


So wie aber Succard dachte und handelte, ſo
handeln mehrere, welche das Kloſter verlaſſen.
Im Sommer 1798 kam ein Weſtphaͤliſcher Moͤnch
nach Halle, und ſuchte Beyſtand bey Hn. Bispink.
Dieſer Mann, welcher niemand ſeine Huͤlfe ver-
ſagt, wenn er helfen kann, nahm ſich des Men-
ſchen nach allen Kraͤften an, kleidete ihn, und
ſchaffte ihm eine Wohnung; aber der Ehrenmann,
er hieß Schulz *), fuͤhrte ſich auf, wie ein pecus
campi,
beſoff ſich alle Tage in Schnapps, — der
[87] Kerl konnte fuͤr ſechs Groſchen Fuſel ausziehen,
ohne trunken zu werden, und nun denke man, wie
viel er ſaufen mußte, bis er hinſtuͤrzte! — und
machte außerdem noch allerley Exceſſe, daß ſeine
Hausleute, aus Furcht, er moͤgte ihnen das Haus
anſtecken, ihn nicht mehr leiden wollten. Er muß-
te deßhalb, ſelbſt auf Hrn. Bispinks Betrieb, von
Halle weg, und das Sonderbare bey der Sache
war, daß ihm der damalige Prorektor die ihm ge-
gebne Matrikel wieder abnahm. Der Prorektor war
aber kein Juriſt, ſonſt haͤtte ers ſchwerlich gethan. *)
Dieſer Schulz bey alle ſeinem Luderleben, war
doch ein guter Katholik, betete taͤglich ſeinen Ro-
ſenkranz, und lief in alle Meſſen. Von Halle aus
ging er nach Weſtphalen zuruͤck, wurde aufgefiſcht,
und in ein Kloſter geſteckt; er wird aber jezt wie-
der los ſeyn, und gewiß auch noch ein Heiliger
werden, wie Maria Magdalena eine Heilige iſt.


Nun wieder zu Herrn Stemmert. Er verließ
alſo ſein Kloſter, ging nach Jena, und fing an,
die lutheriſche Theologie zu ſtudieren. Das theo-
[88] logiſche Studium ſezte er auch in Halle fort: al-
lein aus guten Gruͤnden verließ er es, und dieſe wa-
ren, wie er mir ſelbſt geſtand, folgende. Er hatte bey
dem ſehr bornirten Unterricht auf der Schule zu
Fulda keine Gelegenheit gehabt, die morgenlaͤndi-
ſchen Sprachen zu lernen, und war ſelbſt im Grie-
chiſchen eben kein Hexenmeiſter geworden. Nun
haͤtte ihn zwar der Mangel an dieſen Kenntniſſen
nicht hindern koͤnnen, Theologie zu ſtudieren, wenn
er den gewoͤhnlichen Gang haͤtte mitmachen wollen:
denn viele unſrer Herren werden ja auch Theolo-
gen, ohne Hebraͤiſch leſen oder Time dekliniren zu
koͤnnen. Aber Herr Stemmert dachte anders, und
war uͤberzeugt, daß ohne eine gruͤndliche Kennt-
niß der Bibelſprachen das ganze theologiſche Stu-
dium ein bodenloſes Ding ſey: er hatte nicht Luſt,
ſich mit dem Kametz Chatubh abzugeben, und ließ
daher auch die Theologie. Dann bewog ihn hier-
zu auch noch die eigentliche Beſchaffenheit die-
ſes Studiums. Er meynte, die ganze Theologie
ſey eine bloß menſchliche Erfindung, welche bloß
ihres erdichteten hoͤhern Urſprungs wegen ehrwuͤr-
dig ausſaͤhe, aber bey jeder naͤhern Unterſuchung
und Beleuchtung dahin ſtuͤrzte. Dieß ſey die Na-
tur jeder Theologie, der heidniſchen, juͤdiſchen und
chriſtlichen, und in der chriſtlichen ſey die prote-
ſtantiſche der katholiſchen ſo aͤhnlich wie ein Ey dem
[89] andern, naͤmlich in Ruͤckſicht auf Urſprung und
Wuͤrde: der Katholik baue das Anſehen ſeiner
Theologie auf das Anſehen ſeiner Kirche, die er
faͤlſchlich fuͤr die allgemeine Kirche ausgaͤbe, und
der Proteſtant gruͤnde ſein Syſtem auf die ſehr zwey-
deutige Autoritaͤt einiger Juden, welche den Stif-
ter der Religion theils ſelbſt gehoͤrt, theils von an-
dern deſſen Lehre erfahren hatten. Eine goͤttliche
Inſpiration oder unmittelbare goͤttliche Direction
kaͤme hier allerdings ins Spiel: denn die Verthei-
diger der Religionen haͤtten wohl eingeſehen,
daß ſie ihren Beweis, ohne den naͤhern Beyſtand
Gottes zu Huͤlfe zu nehmen, nicht ſuchen koͤnnten;
im Grunde aber ſey ſo eine Inſpiration oder Dire-
ction entweder bey einzelnen Menſchen, bey Apo-
ſteln, oder bey kirchlichen Verſammlungen, bey
ſogenannten allgemeinen Concilien unerweislich,
und eben daher ſey das Fundament der ganzen The-
ologie gleichfalls unhaltbar, und ſchwankend. Die-
jenigen Theologen, welche das Kirchenſyſtem mo-
derniſiren wollten, und es, ſo gut es ſich thun lie-
ße, mit dem jedesmaligen philoſophiſchen Syſtem
harmoniſch zu machen ſich bemuͤheten, ſeyen in
dieſem Fall nicht Theologen, und zerſtoͤrten dadurch,
daß ſie die Lehren des Glaubens der Vernunft, oder
genauer zu reden, dem herrſchenden philoſophiſchen
[90] Syſtem unterwuͤrfen, die ganze Theologie. Aus
allen dieſen Urſachen ſey das Studium der Kirchen-
lehre die Sache eines denkenden Kopfes nicht: denn
dieſer faͤnde nie Nahrung fuͤr ſeinen Geiſt, und nie
Gewißheit in derſelben.


Gern haͤtte Stemmert Medecin ſtudiert, aber
die res anguſta domi verbot ihm, das koſtbare
mediciniſche Studium zu verfolgen, und daher
legte er ſich auf die Juriſterey, worin er ſich auch
treffliche Kenntniſſe geſammelt hat, ſo daß er bald
im Stande war, die verſchiedenen Theile dieſer
Wiſſenſchaft mit Studenten zu wiederholen, ohne
ihnen ſolche Juriſtiſche Fratzen aufzuheften, wie
weiland Meiſter Stantke, ſeliges Andenkens, und
ein gewiſſer Mosjeh — welcher jus Auſtraegarum
Oeſterreichiſches Landrecht uͤberſezt, und doch ſich
kluͤger zu ſeyn einbildet, als Cujacius und Vitri-
arius.


Da Stemmert ſehr jovialiſch iſt, ſo war er bald
mein Mann und ich der Seinige: wir haben manche
vergnuͤgte Stunden mit einander an oͤffentlichen Oer-
tern, beſonders auf der Mail und auf unſern Kellern
und in den an der Stadt gelegenen Gaͤrten hinge-
bracht, und da wir ſtets das utile duci miſcirten, oder
deutlicher, da wir immer uͤber Gegenſtaͤnde aus dem
Fache der Gelehrſamkeit raiſonnirten, ſo war un-
ſer Umgang fuͤr uns nie ohne Nutzen.


[91]

Mein laͤngſt erprobter Freund, der gelehrte und
rechtſchaffene Herr Buͤchling, fuhr fort gegen mich
ſo zu ſeyn, wie er immer war, und noch jetzo fin-
de ich ſo wenig, als vor achtzehn Jahren unter
denen, die ich kenne, keinen, den ich dieſem Edlen
vorziehen moͤgte. Oft, wenn ich das gluͤckliche
und ruhige Leben, welches Hr. Buͤchling fuͤhrt,
uͤberdachte, fielen mir die Verſe des Horatius an
den Dichter Albius Tibullus ein: *)


Nor tu corpus eras ſine pectore
Di tibi divitias dederant, artemque fruendi.
Quid foveat dulci nutricula majus alumna
Quam ſapere et fari poſſit quae ſentiat, et ari
Gratia, fama, valetudo contingat abunde,
Et mundus victus non deficiente crumena.

Es wird unter den, wer weiß wie vielen deut-
ſchen Gelehrten ſehr wenige geben, welche ſo, wie
Herr Buͤchling, in Ruhe und von allen Sorgen
weit entfernt leben, und den Wiſſenſchaften obliegen
koͤnnen. Er arbeitet viel, aber bloß, weil er die
Arbeit liebt, und die Wiſſenſchaften um ihrer ſelbſt
willen ſchaͤtzt, worauf er ſie verwendet, da hinge-
gen andre Gelehrte Felder bearbeiten muͤſſen, de-
ren Unfruchtbarkeit ſie hinlaͤnglich einſehen: aber
[92] ſie muͤſſen ſchon in einen ſauren Apfel beißen, um
nur das liebe Brodt zu erwerben.


Magiſter artis ingeniique turgitor
Venter, negatas artifex ſequi voces.
*)


Von meinen alten Bekannten kam im J. 1797
auch ein gewiſſer Herr von Brieſen. Dieſen Men-
ſchen hatte ich in Goͤttingen gekannt, und ſchon
damals hielt man ihn fuͤr ſchwach im Hirne. Er
legte ſich unter Michaelis ſehr ſtark auf die Orien-
taliſche Literatur, und lernte das alte hebraͤiſche Te-
ſtament faſt auswendig, dann fiel er uͤber die rab-
biniſchen Commentare der heiligen Schrift her,
ſtudierte ſie fleißig, las das herrliche Buch, den
Talmud, und wurde vor lauter juͤdiſcher Gelehr-
ſamkeit faſt ganz verruͤckt. Ohne alles Geld kam er
nach Halle und wendete ſich an den Direktor des
Waiſenhauſes, erhielt auch daſelbſt die gewoͤhnli-
chen Beneficien. Nun wollte er auch ſeine hebraͤi-
ſchen Kenntniſſe den Studenten nuͤtzlich machen,
und fing daher an von Stube zu Stube zu laufen,
jedesmal eine Lobrede auf den Hebraismus zu hal-
ten, und ſich dann als Praͤceptor dieſer Sprache
ergebenſt-gehorſamſt zu empfehlen. Der Mann
hatte auch eigne Entdeckungen in der Erklaͤrung des
alten Teſtaments gemacht, von welchen ich doch
[93] eine pour la rareté du fait meinen gelehrten Leſern
mittheilen will. Die Aufſchrift des hohen Lieds
heißt: Schir haſchſchirim aſcher liſchlomo. Dieß uͤber-
ſezt man faͤlſchlich: Lied der Lieder Salomos. Das
Buch iſt eine Sammlung von Liedern, das erſte Wort
Schir heißt nicht Lied; es iſt das praeteritum Hiphil
ריש ſtatt רישח, vid. Danz. Gram. de Aphaer: es
heißt alſo: er hat geſungen d. h. eingegeben: denn
dieſe Bedeutung hat das Heb. ריש das griechiſche
ἀδειν und das lateiniſche canere. Aber wer hat
eingegeben? wer ſonſt, als der Adonai? — Das
Wort Jehovah ſprach Herr von Brieſen, ſo wie die
aͤchten Juden, um alles in der Welt nicht aus —
Wem hat er eingegeben? Lischlomo dem Salo-
mon. Was hat er ihm eingegeben? Haſchſchirim,
dieſe Lieder, dieſe Liederſammlung: alſo heißt es
nun: Adonai hat dem Salomon dieſe folgende Lie-
derſammlung vorgeſungen, das iſt: eingegeben,
und nun folgt eine weilaͤufige Diſſertation uͤber
das Eingeben durch Vorſingen. Man kann ſich
nach dieſer Probe ſchon vorſtellen, wie ſeine uͤbri-
gen Exegeſen beſchaffen waren. Die Studenten
hatten immer ihren Spaß mit dem guten Brieſen
und er verdiente auch ſo viel, daß er wuͤrde haben
auskommen koͤnnen; aber oft hinderten ihn ſeine
Grillen monatlang Stunden zu geben, und ſo
mußte er nicht ſelten darben, zumal da er endlich
[94] auch vom Waiſenhauſe geſchaßt wurde: denn
vom Waiſenhaus ſchaßt man, wahrſcheinlich
wegen der großen Schnelligkeit, womit der Ver-
wieſene ſich entfernen muß. Nun gings ihm truͤb-
ſelig in ſeiner Oekonomie, und er war oft gezwun-
gen, Geſellſchaften zu ſuchen, welche ihn frey hiel-
ten. Die Studenten hatten endlich ihren vollkom-
menen Spott mit ihm, und wo er ſich blicken ließ,
ſchallte es aus allen Fenſtern und das in den laͤ-
cherlichſten Tonarten: Herr von Brieſen, Herr
von Brieſen! Kam er mit Studenten zuſammen,
ſo wurde er unbarmherzig geneckt, allerley Ver-
brechen beſchuldigt und nach einer komiſchen Un-
terſuchung zu den laͤcherlichſten Strafen verdammt,
die dann auch oftmals exequirt worden. *) Nach-
dem er ſich nicht mehr fortzubringen wußte, ver-
ließ er Halle, und bald hernach kam das Geruͤcht,
Brieſen ſey, ich weiß nicht, wo, ins Waſſer ge-
[95] ſprungen und habe ſich erſaͤuft. Doch haben an-
dre dieſer an ſich gar nicht unglaublichen Sage
widerſprochen.


Neuntes Kapitel.


Alte Geſchichten von Gießen und Goͤttingen.


Du haſt deine Lebensgeſchichte nicht ſo er-
zaͤhlt, wie ſie deine Freunde eigentlich erwartet
haben, und wie ſie dieſelbe zu erwarten das Recht
hatten, ſagte einſt der Magiſter Dornenſteeg auf
einem Spaziergange nach der Mail zu mir.


Ich. Wie dann ſo? Finden ſich etwa Luͤgen
oder verdrehte Nachrichten in meinem Werke?


Dornenſteeg. Das eben nicht: wenigſtens
habe ich nicht gefunden, daß du vom Eulerkapper
oder vom Schnappsconradi zu Goͤttingen gelogen
haͤtteſt. Aber es fehlt ſo viel in dem Buche, das
man gern wuͤrde geleſen haben, wenn du es erzaͤhlt
haͤtteſt.


Nun begann Herr Dornenſteeg eine ganze
Menge alter Geſchichten zu gedenken, welche da-
mals ſich zutrugen, als wir beyſammen waren,
[96] und woran ich mit unter beſondern Antheil gehabt
hatte. Dornenſteeg und mehrere, die es hoͤrten,
daß noch hiſtoriſche Reliquien da waren, erſuchten
mich, dieſelben bey Gelegenheit nach zu holen,
und ich trage kein Bedenken, es zu thun, da ich
gewiß weiß, dieſe Schnurren werden den meiſten
meiner Leſer nicht unwillkommen ſeyn.


Der Anfang des neuen Jahres wurde in Gieſ-
ſen auf eine hoͤchſt ſeltſame Art gefeiert. Abends
ging jeder Student, wie gewoͤhnlich, in eine Knei-
pe zum Eberhard Buſch, in die Kraußkopferey,
Reiberey oder wo ſonſt hin: Schnapps und Bier
wurde getrunken, und das luſtige Leben waͤhrte bis
um halb Zwoͤlf. Wenns ſo hoch an der Zeit war,
lief jeder Student nach Hauſe: ſchon vorher war
der Nachttopf ins Fenſter geſezt worden, nachdem
man ihn mit Unflath aller Art angefuͤllt hatte:
manche patriotiſche Studenten verſahen ſich mit
mehrern Nachttoͤpfen zu dieſem nobeln Geſchaͤfte.
Auf den Glockenſchlag zwoͤlf ertoͤnte ein helles: „pe-
reat
das alte Jahr!“ aus allen Fenſtern, wo Studen-
ten wohnten, und die Nachttoͤpfe, Brunzkacheln
zu Gießen genannt, flogen mit ihrem garſtigen
Inhalt auf die Straße. Dann ertoͤnte ein munte-
res: „vivat das neue Jahr!“ worauf die meiſten
ihren Weg wieder nach den Kneipen nahmen und
da bis an den hellen Tag zechten. Die Straßen zu
Gießen
[97] Gießen ſahen alſo fruͤh am Neujahrstag gar haͤß-
lich aus, und allerwegen hoͤrte man Verwuͤnſchun-
gen uͤber die Garſtigmacher. Dieſer loͤblichen Ge-
wohnheit wegen waren zu Gießen nur irdene Nacht-
geſchirre: denn zinnerne zum pereat des alten Jah-
res auf die Straße zu werfen, waͤre doch zu koſt-
bar geweſen.


Zwiſchen dem Gießer Militaͤr und den Stu-
denten herrſchte die innigſte Einigkeit, und die mei-
ſten oder vielmehr alle Subaltern-Offiziere waren
Duzbruͤder der Burſche, und kommerſchirten ſo-
gar mit denſelben. Ich erinnere mich, einſt einem
ſolchen Hoſpiz unter dem Praͤſidium des Hn. Leut-
nants, jezt laͤngſt Hauptmanns P... im Hirſch
bey Magnus beygewohnt zu haben. In Halle
wuͤrde ſo etwas gewaltig auffallen, und wohl gar
auf Seiten der Offiziere Verdruß und Strafen
nach ſich ziehen, aber in Gießen war das eine
Kleinigkeit, worauf niemand Ruͤckſicht nahm. Ich
weiß aber auch nicht, welches beſſer iſt, oder wel-
ches weniger ſchadet, mit den Studenten kommer-
ſchiren, oder mit ihnen die Bordelle oder Buff-
keller beſuchen. Bey der innigen Einigkeit der
Studenten und der Offiziere entſtanden keine Haͤn-
del und Schlaͤgereyen unter ihnen; ich erinnere
mich nur eines einzigen Duells, welches zwiſchen
einem Leutnant und einem Studenten wegen Jung-
Laukh. Leben 5ter Theil. G
[98] fer Gretchen Kraußkopf vorgefallen iſt. Der Stu-
dent machte dieſem Maͤdchen aus einer Schnapps-
kneipe den Hof, und der Offizier, welchen dieſes
aͤrgern mogte, raͤſonnirte auf das Maͤdchen, und
[beſ] [...]rieb es, als gar nicht ſproͤde und unbarmher-
zig im Gießer Offizierton, der grade ſo gebildet
war, wie der Burſchenton. Den Studenten ver-
droß dieſes, und als er einſt den Leutnant auf dem
Schießhaus antraf, conſtituirte er ihn, und die
Folge war eine Schlaͤgerey, wobey der Leutnant
einen Hieb uͤber die Naſe bekam, und waͤhrend
drey Wochen nicht ausgehen konnte. Die Herren
hatten ſich gegen die gewoͤhnliche Methode zu
Gießen auf den Hieb geſchlagen. Die Urſache,
warum die Gießer Studenten, welche doch auf ihre
ſtudentiſchen Rechte eben ſo ſehr und wohl noch aͤr-
ger verſeſſen waren, als die Hallenſer, Frankfur-
ter und Goͤttinger, mit dem Militaͤr im beßten
Vernehmen ſtanden, lag vorzuͤglich darin, daß
die meiſten Offiziere nicht von Adel waren, und
ehedem ſelbſt ſtudiert hatten. Ueberdieß gab es
auch keine ganz junge Offiziere bey dem Gießer
Regiment, eben ſo wenig, als es Bomsdorffe da-
ſelbſt gab, oder — —, welche durch ihr grobes,
impertinentes Weſen jederman empoͤren, und ins-
beſondere den brauſenden Studenten zur Rache rei-
zen. Ich werde an einem andern Orte, und viel-
[99] leicht noch in dieſer Schrift einige Stuͤckchen er-
zaͤhlen, welche gar erbaulich zu leſen ſeyn werden.


Im Jahr 1777 hatte ich eine komiſche Lieb-
ſchaft zu Frankfurt am Mayn, welche ſchon im
erſten Bande meiner Biographie haͤtte erzaͤhlt
werden ſollen, aber an jenem Orte aus guten
Gruͤnden, die aber nun wegfallen, uͤbergangen
worden iſt. Das Jahr 1777 war das traurigſte
fuͤr die Univerſitaͤt zu Gießen, wo ich damals ſtu-
dierte, die antiquiſſima Giſſenſis ging damals ganz
ſchiebes, wie man von einer ſich ihrer Aufloͤſung
neigenden gelehrten Innung nicht unfein ſagen
wuͤrde. Ich ſelbſt kam in große Verlegenheit,
aber nachdem alles Ungemach uͤberſtanden und der
Univerſitaͤtsſpektakel, der fruͤh im Fruͤhling ange-
fangen hatte, zu Ende war, welches jedoch erſt im
ſpaͤten Herbſt geſchah, wie auf den deutſchen Uni-
verſitaͤten ex cauſſis praequantibus et lucrativis*)
Mode iſt, machte ich in Geſellſchaft einiger Freun-
de, welche ſelbſt Frankfurter waren, eine Reiſe
nach dieſer Reichsſtadt. Ich logirte im Thiergar-
ten, aber ich logirte auch nur da: denn verzehrt
habe ich damals in dieſem Gaſthofe faſt gar nichts,
da ich immer Freunde beſuchte, oder ſonſt herum
G 2
[100] lag. Unter andern Kneipen, welche ich in Ge-
ſellſchaft meiner Kumpanen beſuchte, war auch
eine, welcher man einen gar ſchnurrigen Namen
gegeben hatte. Es war kein Bordel, und deß-
wegen duͤrfen meine in Frankfurt bekannte Leſer ja
nicht an die ſchwarze Katze, an den haarigen Ran-
zen, oder an ſonſt ein beruͤchtiges, mit einem
Ekelnamen verſehenes Haus denken. Indeſſen
hatte die Kneipe, oder das Bierhaus doch ei-
nen ſchnurrigen Namen, der mir damals, weil
er eine Aehnlichkeit mit dem Namen einer Kneipe
in Gießen hatte, ſehr gefiel, und um dieſes Na-
mens willen, beſuchte ich die Bierſchenke faſt taͤg-
lich. Ich wuͤrde dieſe Benennung hier mittheilen:
aber ich mag in Frankfurt kein Stadtgeſchwaͤtz rege
machen, und zudem iſt der jetzige Beſitzer der
Schenke mein guter Freund, welcher mir in den Jah-
ren 1793 und 95 einige Gefaͤlligkeiten erwieſen hat.


Der Wirth des Hauſes war damals ſeit einem
halben Jahre verſtorben, und die Wirthin noch eine
junge Frau, von ohngefaͤhr 28 oder 30 Jahren.
Daß es ihr an Freiern nicht fehlte, verſteht ſich
von ſelbſt: denn ſie hatte gute Nahrung, und nur
ein Kind von etwan ſechs Jahren; aber von meh-
rern Freiern ſchien keiner vorzuͤglich beguͤnſtigt zu
ſeyn. Sie war jedesmal auſſerordentlich freund-
lich, wenn ich kam, und ich ſchrieb die gute Auf-
[101] nahme, die ſie mir machte, und ihr zuvorkommen-
des Weſen dem Gießer Ton zu, den ich an mir
hatte: denn dieſen Gießer Ton und den Gießer
Comment hielt ich damals fuͤr das Nichtweiter der
feinen Lebensart. Allein meine Freunde ſahen
weiter als ich, und Hr. R...d ſagte eines Tags
zu mir:


„Hoͤre Bruder, merkſt du nicht an der Frau
L....wirthin?“


Ich. Nichts! die Frau iſt, ſo wahr ich lebe
und des Eulerkappers Seele lebt, eine honorige
Frau.


R...d. Das iſt ſie auch: aber merkſt du denn
gar nichts?


Ich. Was ſollte ich merken? Macht ſie viel-
leicht mit?


R...d. Was weiß ich? Zu ſolchen Schoſen
nimmt man hier zu Lande keine Zeugen. Aber das
muß doch ein Blinder ſehen, daß die Frau dich
gerne ſieht.


Ich. Kann ſeyn; das macht, weil wir Gieſ-
ſer Burſche ſind, ſieht ſie uns alle drey gerne. Die
Frau hat gerne mit Leuten zu thun, welche den
Comment verſtehen.


R...d. Die verſteht ſo viel vom Comment,
wie der grobe Muͤller im Einhorn. Wenn ſie das
Burſchenweſen verſtuͤnde und Gefallen dran faͤnde,
[102] wuͤrde ſie nicht zuͤrnen, und aus der Stube laufen,
wenn wir das Ecce quam bonum intoniren; und
doch gehoͤrt ein honettes Ecce quam bonum zum
Commerſch, und folglich ſo weſentlich zum Bur-
ſchencomment, wie das Feuer auf die Tabaks-
pfeiffe. *) Nun, mein Freund, ſie iſt in dich ver-
ſchoſſen.


Ich. Verſchoſſen, lieber Kerl, biſt du
naͤrriſch?


R...d. So gewiß, als ich vor dir ſtehe, ſie
iſt es. Und hoͤre, Bruder, hier waͤr Etwas zu
machen.


Ich. Und was?


R...d. Wie, wenn du die Frau naͤhmſt und
L...wirth wuͤrdeſt. Das waͤr ein gefundnes Freſ-
ſen fuͤr dich. Du ſchikſt dich gar nicht uͤbel zu ei-
nem Kneipier. —


[103]

Ich lachte, und doch hatten R...ds Reden in
mir gewiſſe Ideen rege gemacht, denen ich nicht
ohne Wohlbehagen nachhing. Sobald ich konnte,
beſuchte ich das Bierhaus, und entdekte Reize an
der Wirthin, die ich vorher gar nicht bemerkt hatte.
Ich fing an, ſo nach meiner Art, ſchoͤn zu thun,
und ſiehe da, Madam kam mir auf dem halben
Weg entgegen: R...d legte ſich hinein und wir
ſprachen ganz im Ernſte von einer Heirath. Ich
dachte nun Wunder, was ich meinem Vater fuͤr
eine Freude machen wuͤrde, wenn ich ihm von
meinem nahen Gluͤcke Nachricht gaͤbe. Ich ſchrieb
an ihn: aber ſeine Antwort, die ich gleich ſechs
Tage nachher erhielt, war voll Verweiſe uͤber mein
thoͤrigtes Vorhaben. Ich erſchrak, konnte doch
meinem ehrlichen Vater nicht Unrecht geben, und
da ſelbſt meine Verwandten in Frankfurt mir hef-
tig zuſezten, ſo eine naͤrriſche Idee fahren zu laſ-
ſen, ſah ich ſelbſt ein, daß ich im Begriff war,
einen dummen Streich zu machen, und beſchloß,
nach Gießen zuruͤck zu kehren. Ich wandte bey
meiner Madam vor, eine in Gießen vorgefallne
Schlaͤgerey, wovon ich als Zeuge ſey aufgefuͤhrt
worden, machte meine Gegenwart daſelbſt noth-
wendig, ich wuͤrde aber in kurzer Zeit wieder kom-
men. Madam glaubte mir, und ich zog ab: ſie
begleitete mich noch bis Vibel, und wir nahmen
[104] zaͤrtlich Abſchied von einander. Ich kam nicht
wieder, wie ſich von ſelbſt verſteht, und ſchon
im Anfange des Jahr 1778 heurathete die gute
Fran, welche auch zu Verſtande gekommen
ſeyn mogte, einen Bierbrauer, der ſich freylich fuͤr
ſie beſſer ſchickte, als ein neunzehnjaͤhriger Stu-
dent, mit aller ſeiner Commentkenntniß. Der
Sohn, welcher damals ein Kind von ſechs Jah-
ren war, iſt ſeit 1792 Wirth, da der zweyte Herr
Gemal, der Bierbrauer abgefahren iſt, und die
Frau Wirthin entweder keinen andern mehr finden
konnte, oder finden wollte. Ich bin bey den gu-
ten Leuten noch 1795 geweſen, und von ihnen hu-
man genug behandelt worden. „Siehſt du, Cle-
mens, der Mann da waͤre vorzeiten beynahe
einmal dein Vater geworden“ ſagte ſie zu ihrem
Sohne. „Das waͤre ja recht huͤbſch geweſen, er-
wiederte Clemens: denn ſo haͤtte ich doch noch ei-
nen Vater; aber der, den ſie mir gaben, ſtarb mir
viel zu fruͤh.“


Wenn ich hernach die Sache mit der Bierſchen-
kerey zu Frankfut am Mayn ſo bey einer Pfeiffe
Tabak und bey heiterer Seele uͤberlegte, kraͤnkte
ich mich zwar nicht, daß ſie zuruͤckgegangen war,
aber ich uͤberzeugte mich doch auch, daß ich nicht
ungluͤcklich geworden ſeyn wuͤrde, wenn ich Bier-
chenke geworden waͤre. Ich kenne wirklich Bier-
[105] ſchenken, die mehr Credit und eo ipſo auch mehr
Ehre haben, als mancher Profeſſor Ordinarius und
mancher Hofrath, welcher mit groͤßter Sehnſucht
auf die heiligen Abende wartet, um ſeinen Antheil
an den Amtsſporteln zu ziehen.


Zehntes Kapitel.


Allerhand Hiſtoͤrchen.


Im Winter 1798 erhielt ich einen Brief von dem
Kellerwirth Boos in Goͤttingen, worin ich um 11
Thlr. 16 Gr. 7 Pf. manichaͤert wurde. Ich war
zwar einige Mal auf dem Keller zu Goͤttingen ge-
weſen, aber nie hatte ich einen Heller Schulden da-
ſelbſt gemacht, und dieß wuͤrde auch nicht einmal
angegangen ſeyn, weil der Wirth — ich weiß wirklich
nicht, ob Signor Boos damals (1778-79)
ſchon Kellerkneipier geweſen iſt, oder nicht — ſich mit
mir gezankt hatte, und dieß wegen ſeiner Magd,
mit welcher er ſcharmirte, und die ich ein Keller-
menſch genannt hatte. Denn der Goͤttinger Kel-
lerwirth im Jahr 1778 war, wie die meiſten Herren
dieſes Handwerks zu Goͤttingen, ein grober Mos-
jeh, beynahe ſo grob, wie der grobe Muͤller zu
[106] Gießen, oder der Wirth in der Karthaune zu Frank-
furt am Mayn.


Der Brief des Kneipier Boos befremdete mich
nicht wenig, aber ich fand gar bald, daß ein Irr-
thum vorgefallen ſeyn muͤßte, denn da ſich die
Schuld von den Jahren 1783 und 84 herſchrieb,
ſo konnte ich ſie nicht gemacht haben, weil ich da-
mals in Halle Kollegia las, und nicht einmal
mein Bruder konnte jenes Laus Deo contrahirt ha-
ben. Ich fand fuͤr gut, gar nicht zu antworten,
und nun verklagte mich Meiſter Boos der Kneipen-
wirth beym Prorektor der Univerſitaͤt, welcher
damals Hr. Pr. Kluͤgel war. Ich wurde citirt,
verſaͤumte aber den Termin, und ſiehe da, ich wur-
de contumacirt. Allein ob ich gleich mich vor dieſer
Contumazſentenz gar nicht zu fuͤrchten hatte, und
zwar wegen den zu Goͤttingen wenigſtens auf dem
Papier, geltenden Geſetzen, ſo ſchrieb ich doch an den
Prorector, und bat mir einen neuen Termin aus,
und nun konnte ich hinlaͤnglich beweiſen, daß ich
an dem Tage meiner Promotion in Halle nicht
8 gr. 6 pf. in Goͤttingen auf einer Kneipe verzeh-
ren konnte. Dieſe Vertheidigung wurde dem Knei-
pier zugeſendet, und da er ſeinen Irrthum einſah,
wurden die Akten reponirt. Sonſt muß ich doch
dem Mosjeh Boos wohlmeinend rathen, daß er,
wenn er wieder einmal klagen will, ſich einen an-
[107] dern Advokaten annehme, als der war, durch
deſſen Griffel er mich verklaget hat; denn das Kla-
geding, welches nach Halle gekommen iſt, war
gar ein klaͤgliches Klageding, welches Boos wohl
ſelbſt koͤnnte fabricirt haben, wenn nicht die vie-
len lateiniſch ſeyn ſollenden Brocken und der abge-
ſchmakte Styl, die Fabrik eines Advokaten hin-
laͤnglich anzeigten.


Weil ich aber doch von Goͤttingen rede, will
ich einen Irrthum widerlegen, den man in Ruͤck-
ſicht der daſigen Profeſſoren und Studenten ſchon
ſeit der Errichtung der Univerſitaͤt hegt. Man bil-
det ſich naͤmlich ein, die Herren Goͤttinger ſeyen
Muſter der feinen Lebensart, und uͤbertrieben es
hierin wohl mehr, als daß ſie es woran mangeln
ließen. Dieß iſt, ſelbſt mit Erlaubniß der Goͤttin-
ger Herren nicht wahr, durchaus naͤmlich nicht:
denn daß es in Goͤttingen Profeſſoren und Stu-
denten von ſehr feinen Sitten gab, hab ich ſelbſt
erfahren, und zweifle nicht, daß es in dieſem
Stuͤck ſeit meiner Zeit noch beſſer geworden iſt.
Jedoch gab es einige Profeſſoren daſelbſt, welche
auf dem Katheder fleißig die große Glocke lau-
teten und ohngefaͤhr eine Sprache fuͤhrten, wie
die Musketiere auf der Hauptwache. Beſonders
war ein gewiſſer Herr Juriſt da, welchem es Arms-
dick aus dem Maule ging, wenn er Beyſpiele
[108] zur Erlaͤuterung ſeines Vortrags herbey ſuchte.
Ich weiß, daß er einſt in der Lehre de emtione
venditione
die Frage aufwarf, ob, wenn ein Stu-
dent auf dem Weg nach Boſten ſich mit einem
Maͤdchen im Korn fuͤr Geld luſtig mache, das
Geſchaͤft ein contractus emtionis venditionis ſey?
Es iſt uͤbrigens anzumerken, daß die Juriſten ſich
auf mehrern Univerſitaͤten ſtark aufs Zotenreißen
legen: doch war damals auch ein Herr Mediciner
als ein aͤchter Cyniker bekannt, und das Beneh-
men der ſonſt großen und hochverdienten Maͤnner,
Michaelis, Kaͤſtners und Lichtenbergs gehoͤrte doch
wohl nicht durchgaͤngig zur feinen Lebensart.


Bey den Studenten war die feine Lebensart
auch nicht durch die Bank zu Hauſe. Ich ſah noch
vor zwey Jahren an einem gewiſſen Orte einige
Goͤttinger, welche renommirten trotz dem wildeſten
Jenenſer vor zwanzig Jahren, nur mit dem Un-
terſchiede, daß die Herren Goͤttinger, ſobald je-
mand anfing, ihnen aufs Leder zu reden, gleich
ſtille wurden, welches der Jenenſer aber ſo leicht
nicht that. Die Herren bilden ſich auf ihre Uni-
verſitaͤt etwas ein, und Einbildung dieſer Art,
welche ſich auf keine eignen Realitaͤten gruͤnden, er-
zeugen Stolz, Impertinenz und Grobheit, lauter
Dinge, welche mit der feinen Lebensart gar nicht
beſtehen koͤnnen. Wie weit es die Herren — ich
[109] rede immer nicht von allen — in der Real-Zoto-
logie, welche doch große Wiſſenſchaft der Verbal-
Zotologie vorausſezt, gebracht haben, mag fol-
gendes Geſchichtchen beweiſen.


Im Jahr 1778 verließ ein gewiſſer von
H... die Univerſitaͤt Goͤttingen, wo er nichts ge-
lernt, aber doch zum Erſatz fuͤr Profeſſoren und
Philiſter, große Summen verzehrt hatte. Dieſer
H.... gab den Tag vor ſeinem Abzug einen
Schmauß, wozu auch ich eingeladen wurde. Ohn-
gefaͤhr dreißig Perſonen wurden herrlich tractirt,
nachdem aber alle beyſammen waren, trat Hr. H...
auf, und erklaͤrte, daß jeder, welcher vor dem
allgemeinen Aufbruch auch nur aus der Stube gehen
wuͤrde, fuͤr einen Hunzfott gehalten werden ſollte.
Auf jeder andern Univerſitaͤt wuͤrde ein ſolches
Hunzfottſetzen
Unwillen und vielleicht gar
Ausbruch des Unwillens in der ganzen Geſell-
ſchaft verurſacht haben, aber die Herren Goͤttinger
applaudirten den witzigen Einfall; damit aber das
ſtrenge Gebot, nicht zur Thuͤre hinaus zu gehen,
deſto beſſer moͤchte gehalten werden, mußte Con-
rad, der Bediente, die Thuͤre verſchließen,
welche er nur dann oͤffnete, wenn Chocolade,
Wein, Punſch, Eſſen und d. gl. hineingebracht
werden mußte. Weder Nachtſtuhl noch Nachttopf
war zu ſehen, alle Neceſſitaͤten mußten entweder
zum Fenſter hinaus, oder in die Stube gemacht
[110] werden. Das Gelag dauerte bis fruͤh ſechs Uhr,
und nun denke man ſich die Geſtalt der beyden
Zimmer des Hn. v. H... und den lieblichen Geruch,
welcher daſelbſt herrſchte! Hr. v. H... welcher
noch lebt, aber von der Gelehrſamkeit weiter kei-
nen Gebrauch machte, wird gewiß lachen, wenn
er dieſe Nachricht leſen ſollte.


Freylich war das Spaͤßchen doch noch etwas
feiner, als die Art, womit die Gießenſer den
Frauenzimmern den Spaziergang auf dem Wall
verleideten. Auf dem Wall iſt ein ſchoͤner Spa-
ziergang rund um die Stadt, aber wer einmal
drauf iſt, muß entweder vorwaͤrts oder ruͤckwaͤrts
gehen, da man bloß an den drey Thoren herunter
kommen kann: faſt ſtets ſahe man Studenten und
Frauenzimmer drauf herum ſpazieren, bis endlich
die Studenten die Schoͤnen vertrieben. Dieß ge-
ſchah auf folgende von Hn. Hill, dem Oberzoto-
logen, angegebene Art. Zehn oder zwoͤlf Stu-
denten zogen auf den Wall: da gingen ſechs, acht
Maͤdchen oder Madamen mit einander; nun theil-
ten ſich die Studenten, ſechs liefen den Damen vor,
und ſechs blieben zuruͤck; die Damen kamen alſo in
die Mitte, aber die vordern Burſchen ſezten ihr Ge-
ſpraͤch mit den hinten Gebliebenen fort, und nun
wurde ein derbes Kapitel aus der Zotologie vor-
genommen, welches die armen Damen bis ans
[111] naͤchſte Thor mit anhoͤren mußten. Man ſtelle
ſich die Qual der Schoͤnen vor! Doch ſagte man,
einige haͤtten Gefallen an dem galanten Vortrag
der Burſche gefunden. Nachdem dieſe zotologi-
ſche Schnurre etwan ſechs Mal wiederholt worden
war, vermieden alle Frauenzimmer den Wall!
Das war eine Großthat der damaligen Gießer
Burſchen wuͤrdig.


Indeſſen duͤrfen unſre heutigen Univerſitaͤter
eben nicht ſo gar ſtolz thun, wenn ſie die zotolo-
giſchen Genieſtreiche der ehemaligen leſen, und
ihre, freylich in gar vieler Hinſicht beſſere, we-
nigſtens feinere Lebensart, dagegen halten. Die
aͤltern Studenten hatten Tugenden, welche zu un-
ſerer Zeit anfangen, gewaltig rar und ſelten zu wer-
den, und dahin gehoͤrt vorzuͤglich die Ehrlichkeit im
Bezahlen. Ich weiß noch die Zeit, wo es eine
Schande war, zu prellen, oder per Schwanz, wie
man ſagt, von der Univerſitaͤt abzufahren. Das
Wuchten, oder das geheime Abziehen aus einem
Wirthshauſe, ohne die Zeche zu bezahlen, war
vollends ſchimpflich. Ein gewiſſer Mayer zu
Gieſſen ließ ſich einſt Spek und Eyer in Heuchel-
heim machen, und wuchtete ſich. Die Wirthin
klagte es andern Studenten, und Mayer mußte
nicht nur die Zeche bezahlen, ſondern bey jeder Ge-
legenheit ſang man ihm folgendes Epigramm vor:


[112]
Eps tenienfis Dominus Mayer

Prellte die Wirthin um Speck und Eyer:

Der Spaß war hübſch, doch wahrlich rar

Für den Verſtand des Musjeh Maar.

In und um Halle geſchehen dergleichen Wuch-
tereyen mehrmals, ſo wie zu Jena, Goͤttingen,
Erlangen u. ſ. w. Aber unſre jetzigen Wirthe und
Kneipenhalter ſind auch viel aufmerkſamer, als
ſonſt. Neulich erzaͤhlte mir der Schenkwirth zu
Stichelsdorf, Herr Runge, folgende Raupe,
welche ihm vor zwey Jahren die Studenten ſpiel-
ten. Etwan vierzehn bis achtzehn Hallenſer ka-
men nach Stichelsdorf, und ließen ſich den daſi-
gen herrlichen Breyhan trefflich ſchmecken, forder-
ten Abendbrod, und machten eine Zeche von ohn-
gefaͤhr acht Thaler. Da ſie in der obern Stube
allein waren, ſo warfen ſie nach und nach ihre
Huͤte herunter, und ſchlichen ſich mit bloßen Koͤ-
pfen, gleichſam als wollten ſie ihre Neceſſitaͤten ver-
richten, zum Hauſe hinaus, und marſchierten nach
Reideburg zu. Aber Hr. Runge, welcher nun
inne ward, daß er geprellt war, verfolgte ſie, und
war ſo gluͤcklich, einige einzuholen, welche ſich
zwar zur Wehre ſezten, endlich aber doch dem
Wirth und ſeinen Helfern ſich als Gefangene uͤber-
laſſen mußten. Sie hatten kein Geld, und Runge
war zufrieden, daß ſie ihm ihre Namen ſagten:
er
[113] er iſt auch bezahlt worden, haͤtten aber die Herren
ſich wuchten koͤnnen, er haͤtte nie einen Heller
erhalten.


Eben deßwegen, daß der Student ſo gerne
prellt, ſich mit der Malice druͤckt, ſich
wuchtet und ſkiſſirt, iſt auch der Credit ſo
ſelten, und die Prellereyen von Seiten der Phili-
ſter gehn ins Wilde. Es iſt was abſcheuliches,
ein Pumpbuch fuͤr Studenten nachzuſehen, wie
da alles uͤberſezt iſt, wodurch auch der ordentlichſte
Menſch bey einem ſonſt ganz artigen Wechſel, mit
Gewalt gezwungen wird, ſich in Schulden zu ſte-
cken. Die Philiſter ruͤhmen ſich oͤffentlich, daß
ſie die Studenten prellten, und rechtfertigen ihre
Prellereyen damit, daß ſie ja auch geprellt wuͤrden,
daß man es ihnen alſo nicht uͤbel nehmen duͤrfe,
wenn auch ſie die Studenten wieder prellten. Der
Student betrachtet den Philiſter, und der Philiſter den
Studenten als abgeſagten Feind, und Feinde, wie
man weiß, pluͤndern ſich wechſelsweiſe, ohne ſich
deßhalben Vorwuͤrfe zu machen. Man hat, beſon-
ders ſeit einiger Zeit her, ſo viel uͤber die Verbeſſerung
des Studentenweſens geſchrieben, aber den wichti-
gen Punkt, die Pumpprellereyen betreffend, faſt gar
nicht beruͤhrt. Uebrigens denke man ja nicht, daß bloß
in den Haͤuſern einiger habſuͤchtigen Buͤrger ſolche
Betruͤgereyen — denn das ſind ſolche Spaͤße
Laukh. Leben 5ter Theil H
[114] doch immer — Mode waͤren; auch in Profeſſoren-
Haͤuſern wird der Student ſo gut geprellt, wie in
dem Hauſe des aͤrmſten Buͤrgers, und in vorneh-
men Quartieren wohl noch am aͤrgſten.



Eilftes Kapitel.


Fortſetzung der Geſchichte meiner eignen Lage.



Im Sommer 1798 wurde es mir in meinem Quar-
tier bey dem Schneider Baum unertraͤglich: denn
meine Frau zankte ſich oft mit demſelben, und ich ſuch-
te mir ein ander [Quartier]. Ich haͤtte recht gute finden
koͤnnen, aber meine Frau waͤhlte ein Suterraͤn, worin
zwey ziemlich artige Stuben waren: alles war recht
gut, wenn nicht die Fenſter à rez de chauſſée oder
dem Pflaſter gleich geweſen, und alſo jedem Neu-
gierigen zur Beſchauung all unſers Thun und
Laſſens frey geſtanden haͤtten. Der Winter war
ſehr ſtrenge, und doch empfand ich in meinem Su-
terraͤn wenig von der Strenge deſſelben: ich hatte
aber auch gutes Feuerwerk.


Um dieſe Zeit fing ich auch an, mich auf die
Rechtswiſſenſchaft zu legen, wozu mir ein Ver-
[115] druß Gelegenheit gab, welchen ich mir unvorſich-
tiger Weiſe zugezogen hatte. Ich hatte fuͤr einen
gewiſſen Soldaten Urban, und fuͤr den Zimmermei-
ſter Hn. Haak einige juriſtiſche Aufſaͤtze beſorgt,
wohl gemerkt, nicht ſelbſt gemacht, ſondern nur
beſorgt. Da man nun im Preußiſchen durchaus
nicht zugiebt, daß ein Nichtzuͤnftler, d. i. ein ſol-
cher, welcher nicht in die Innung der ſogenann-
ten Juſtizcommiſſarien, an andern Orten heißen
dieſe Herren Advocaten, ſo wie ſie ſchon vor
Olims Zeiten hießen: der Name Advocat hat
aber einen etwas ſchiefen Nebenbegriff, weil man
ſich dabey immer einen Menſchen zu denken ge-
wohnt iſt, welcher das Recht verdreht, und nicht
ſowohl fuͤr ſeine Clienten, als fuͤr ſeinen Beutel
ſorgt; deswegen ſchaffte auch Friedrich II. dieſen
Titel Advocat ab, und gab den Herrn Sach-
waltern den Titel Aſſiſtenzrath, hernach aber Ju-
ſtizcommiſſarius. Im Grunde iſt nichts geſchlech-
tert, aber leider! auch nichts gebeſſert worden durch
die Veraͤnderung der Titulaturen. Wo das In-
tereſſe obwaltet, da beſſert man ſelten was, und
wie ſollte es einem Gericht, einer Regierung, Amt
u. ſ. w. einfallen, die Advocaten in der Ordnung
zu halten, da eben durch die Unordnungen, wel-
che die Advocaten machen, die Sporteln der Her-
ren ſelbſt vermehrt werden? Ich gebe uͤbrigens
H 2
[116] gerne zu, daß an den Preußiſchen Gerichtshoͤfen
weit weniger Irregularitaͤten gefunden werden,
als ſonſt wo. Man denke an die herrliche Gerech-
tigkeitspflege in den Reichsſtaͤdten, und wers nicht
weis, laſſe ſichs erzaͤhlen, er wird erſtaunen! In-
deſſen will ich doch zu ſeiner Zeit ein Baͤndchen
merkwuͤrdiger Rechstfaͤlle ins Publikum ſchi-
cken, woruͤber auch mancher Herr zu — und zu
— und an andern Orten mehr, die juriſtiſche Naſe
garſtig ruͤmpfen ſoll. Aber ich muß wieder fort-
fahren.


Da nun keinem Nonjuſtizcommiſſarius erlaubt
iſt, und das von Rechts wegen, eine Rechtsſache vor
Gericht zu bea[ſ]vociren, ſo wurden natuͤrlich der Sol-
dat Urban und der Zimmermeiſter Haak, nach den
Verfaſſern ihrer eingegebenen Schriften befragt, und
beyde — ob ſie mir gleich aufs heiligſte verſprochen
hatten, meinen Namen zu verſchweigen — be-
kannten auf mich. Im Vorbeygehen muß ich an-
merken, daß man Unrecht thut, ſich auf Leute zu
verlaſſen, welche durch einen Eid getrieben wer-
den koͤnnen, ihr Wort zu brechen. Ich fuͤr mei-
nen Theil halte den Eid fuͤr ein ſehr elendes Mit-
tel, die Wahrheit heraus zubringen, und wenn ich
hoͤre, daß eine Sache durch einen Eid ſey berich-
tiget worden, ſo zweifle ich deſto ſtaͤrker an ihrer
Richtigkeit, beſonders wenn das Intereſſe des
[117] Schwoͤrenden mit im Spiel war. Es giebt groͤ-
bere Vergehungen, als ein falſcher Eid, und zu
dieſen groͤbern Vergehungen gehoͤrt die Brechung
des einem Freunde gegebenen Wortes. Seine
Seele zum Teufel ſchwoͤren
, iſt ein Aus-
druck ohne Sinn; denn nicht der Schwur, ſon-
dern die Handlung iſt Suͤnde. Wenn ich z. B.
falſch geſchworen haͤtte, um den tugendhaften Ver-
gniaud, den Camille Desmoulins, oder den
Bailli von dem moͤrderiſchen Eiſen zu retten, ſo
wuͤrde ich mir nicht allein kein Gewiſſen daraus
machen, die Terroriſten durch einen falſchen Eid
betrogen zu haben, ſondern wuͤrde eben den fal-
ſchen zur Rettung der Tugend geleiſteten Eid fuͤr
meine ſchoͤnſte That halten, und mich derſelben oͤf-
fentlich ruͤhmen, und jeder rechtdenkende Mann
wuͤrde mir applaudiren. Meine Moral wird man-
chem zu lux und manchem verdammlich vorkommen:
aber was kuͤmmern mich die Urtheile anderer?
Eben die, welche die ſogenannte Heiligkeit des Ei-
des ſo vertheidigen, als wenn damit das Wohl und
das Wehe des ganzen Staats im engſten Zuſam-
menhang ſtuͤnde, ſind meiſtens die erſten, die falſch
ſchwoͤren, wenn es auf ihrem Nutzen ankommt.
Experto crede Roberto. Selbſt die hoͤchſte Obrig-
keit, ich meyne die Fuͤrſten, nimmt es nicht ſo
genau mit dem Meyneid. Ein Deſerteur hat ge-
[118] wiß ſeinen Eid gebrochen, und iſt daher meynei-
dig, folglich nach den Geſetzen infam: doch
nimmt jeder Fuͤrſt die Ausreißer andrer Fuͤrſten
gerne an, und ich will den ſehen, der ſo einem ehe-
maligen Deſerteur vorwerfen ſollte, er ſey kein ehr-
licher Mann. Daß man hierin recht thue, geſte-
he ich gerne: denn die meiſten vom Soldaten ge-
leiſteten eidliche Verpflichtungen ſind erzwungen
worden; aber ſo viel erhellet doch aus dieſem Bey-
ſpiel, daß die hoͤchſte Obrigkeit Faͤlle annehme,
wo ein Meyneid keine Schande bringt. Die Fol-
ter hat man zur Ehre der Menſchheit abgeſchafft,
weil man einſah, daß ſie ein ſehr unſicheres Mit-
tel ſey, die Wahrheit zu erforſchen: eben ſo ſollte
man es mit dem Eid machen; aber freylich, wo
blieben alsdann die Sporteln? Doch wieder zu
meiner Geſchichte.


Urban und Haak wurden zum Eide getrieben,
und gaben mich nota bene als den Verfaſſer der von
ihnen eingegebenen Rechtsſchriften an. Die Re-
gierung zu Magdeburg ſowohl, als die Halliſchen
Gerichte requirirten an die Univerſitaͤt, und ich
wurde gefordert. Ich ſagte die Wahrheit, und der
Hofrath Dryander, oder Triander — ich weiß wirk-
lich nicht, wie ſich dieſer Herr eigentlich ſchreibt —
erhielt den Auftrag, mir einen Verweis zu geben.
Wer den Herrn Hofrath kennt, wird ſich leicht
[119] vorſtellen koͤnnen, wie dieſer Verweis beſchaffen
geweſen iſt: mir fiel er indeſſen nicht auf; denn in
den Paar Augenblicken, da er mir die vorgeſchrie-
bene Naſe gab, dachte ich mir den Onkel Toby
und den Korporal Trim ſo lebhaft, daß ich bey-
nahe in lautes Auflachen ausgebrochen waͤre;
und geſchah das, ſo haͤtte es der Herr Hofrath als
Mangel des Reſpects gegen das ernſte Gericht*)
vielleicht ausgelegt, und doch waͤre es nichts ge-
weſen, als eine ganz unſchuldige Ruͤckerinnerung
an den Onkel Toby und an den Korporal Trim!
Es giebt aber dergleichen ſchiefe Auslegungen
mehr, doch die gehn mich hier noch nichts an;
vielleicht unterſuche ich ſie bey einer andern ſchick-
lichern Gelegenheit.


Von Unkoſten iſt mir damals nichts abgefor-
dert worden, aber im J. 1801, alſo drey Jahre
hernach ſollte mir der Univerſitaͤtsactuar Hr. Bu-
ſten einiges Geld auszahlen, und da zeigte er mir
eine Rechnung, welche von Hn. Klein unterſchrie-
ben war, und zog mir 4 Thlr. 11 Gr. 6 Pf. ab.
Habeant ſibi: in drey Jahren fordern ſie nichts,
und erſchweren — oder erleichtern ſich dadurch
ihre Rechnungen. Ich weiß es nicht: die Herren
[120] werden es am beſten wiſſen. Aber doch iſts ſon-
derbar, daß ein Preußiſches Gericht, beſonders
ein unverſitaͤtiſches drey volle Jahre warten konnte,
ehe es Unkoſten forderte, und dann erſt forderte,
als der Prorector, unter welchem die Sache vor-
gefallen war, laͤngſt verſtorben, der Director aber
weit weg verſezt war. Ich mache hier keine Anmer-
kungen, vielleicht machen dieſe einige ſachkundige
Leſer, und das iſt mir genug.


Indeſſen lebte ich ziemlich ruhig, und hatte
gegen den Herbſt 1798 das Vergnuͤgen, mei-
nen Vetter Jacob Laukhard bey mir in Halle zu
ſehen. Dieſer rechtſchaffne Mann hatte mit mir
einen Theil ſeiner erſten Jugend in Dolgesheim bey
Maynz zugebracht, wo damals der Inſpector Kratz
eine Art lateiniſcher Schule errichtet hatte. Kratz
war ein Mann von Kenntniſſen, das heißt, er
ſchrieb und ſprach lateiniſch ohne Schnitzer, las
die Griechiſchen Autoren ohne Verſion und ohne
Lexicon, wußte viel Geſchichte, Geographie und
rechnete gut: dabey verſtand er auch Franzoͤſiſch
und Engliſch, und ſo war er dann allerdings der
gelehrteſte Mann weit und breit herum, aber ſeine
Lehrmethode war abſcheulich, und die Behandlung
der Schuͤler ſchrecklich: immer wurde zugeſchla-
gen, und wer mit etwan ſechs oder acht Lungen-
hiebe durchkam, fuͤr eine Schullection naͤmlich,
[121] nicht fuͤr den ganzen Tag, der konnte ſich gluͤck-
lich preißen. Mein Vetter Jacob hat ſehr oft die
ſchwere Hand des fuͤrchterlichen Orbilius Kratz fuͤh-
len muͤſſen. Ich erinnere mich noch, oft mit Un-
willen, oft mit Wohlbehagen, je nachdem ich ge-
ſtimmt bin, an die Schimpfwoͤrter, womit Kratz
ſeine Scholaren zu compelliren pflegte. Auſſer
den auch ſonſt gewoͤhnlichen, Eſel, Flegel,
Schlingel, Roͤckel, Toͤlpel, Ochſe, Narr,
Teufelskind u. d. gl. hatte er auch noch ſeine
vielleicht ihm ganz eigne: garſtiger Wuhl,
Ofenlochsgabel, Kappesdorſche, Ruͤ-
benhengſt, Dullullul, Federduͤftchen,
Herr Schuzker, Kalidokes Schimpa-
hes, Ennerſt und noch viele andre, die ich ver-
geſſen habe. Nie rief er uns mit unſern eignen
Namen: wenn er einen fragen wollte, guckte er
ihn ſtier an, und ſchrie: „Na, haſt'd keine Ohren,
du Wuhl, du Ruͤbenhengſt?“ Folgte dann auf
vorgelegte Frage eine befriedigende Antwort, ſo
brummte er ſtatt aller Approbation ein dumpfes
Hm, Hm, her; war er aber mit der gegebenen
Antwort nicht zufrieden, ſo kamen Schimpfwoͤr-
ter und endlich derbe Ohrfeigen oder Stockhiebe.


Mein Onkel, Jacobs Vater, zog etwan 1767 oder
69 nach der Oberlauſitz, und Jacob kam auf die Schu-
le nach Goͤrlitz, dann auf die Univerſitaͤt nach Wit-
[122] tenberg, Leipzig und Strasburg: da aber das Schick-
ſal ſeine Leute wunderlich fuͤhrt, ſo gerieth mein guter
Vetter unter die franzoͤſiſchen Soldaten, ſegelte
nach Amerika, und ward endlich Hofmeiſter in
Schleſien. Die Leſer koͤnnen leicht denken, daß
von einem Manne, welcher ſo wunderliche Umzuͤge
gemacht hat, gar viel Intereſſantes erzaͤhlt werden
koͤnnte, aber ich ſchreibe ja meine und nicht mei-
nes Vetters Geſchichte, und kann daher damit
nicht dienen. Vielleicht beſchreibt er einſt ſeine
Hiſtorie, und dann waͤre es ſehr unartig, wenn
ich ihm vorgreifen wollte.


Einige Wochen nach meines Vetters Abreiſe
kam ein Maͤnnchen nach Halle, deſſen Logis ich
aber trotz meiner Unterſuchungen nicht ausfindig
machen konnte. Das Maͤnnchen beſuchte mich
fruͤh Morgens, und beſchied mich auf den Nachmit-
tag zu ſich auf die ſogenannte Loge, er habe mir
ein Project mitzutheilen, durch deſſen Ausfuͤhrung
wir beyde koͤnnten auf immer gluͤcklich werden. Ich
halte zwar blutwenig auf Projecte, weil mir bis-
her alle die, welche ich formirt hatte, oder welche
andre fuͤr mich formirten, geſcheitert oder wenig-
ſtens mislungen waren, doch wollte ich dießmal
ſehen, was das Maͤnnchen eigentlich haben wolle,
und ging auf die Loge, wo damals Mosjeh Diet-
[123] ler ſeine corrupte Wirthſchaft fuͤhrte. Geheimniß-
voll blinkte mir das Maͤnnchen, und nahm mich
mit in die große Wirthsſtube, die er ausdruͤcklich
hatte heizen laſſen, und wo wir allein ſeyn konn-
ten. Hier entdeckte er mir bey einem Glas Brey-
han ſein Anliegen. „Ich bin ein Adeptus, ſagte
er, und habe durch lange Erfahrungen, große Rei-
ſen, tiefe Unterſuchungen endlich die Geheimniſſe der
Natur entdeckt, welche vor den Augen der Men-
ſchen, auch der allerkluͤgſten und allergelehrteſten
verborgen ſind. Ich mache zwar weder Gold noch
Silber, denn das iſt vielleicht unmoͤglich, wel-
ches ich jedoch nicht behaupten will, da ich die
Sache nicht genau genug unterſucht habe; aber
wenigſtens iſt das Goldmachen unnuͤtz und uͤber-
fluͤſſig: denn Gold und Silber giebt es genug in
der Welt, um Handel und Wandel zu unterhal-
ten, und dieß iſt hinreichend. Aber ich habe weit
koͤſtlichere Arcanen, ich beſitze die Kunſt, das Le-
ben der Menſchen zu verlaͤngern und die Geſund-
heit unverletzt zu erhalten. Ich mache es nicht
wie Hufeland in Jena, welcher Diaͤt und Ord-
nung befiehlt: nein! wer mir folgen will, kann
nach Herzensluſt ausſchweifen, kann ſich alle Ta-
ge zehnmal beſaufen, kann ſich mit Frauenzim-
mern uͤbermaͤßig begehen, kurz er kann treiben,
was ihm geluͤſtet zu treiben, und ſeine Geſund-
[124] heit muß nicht im geringſten dadurch geſchwaͤcht
werden.“


„Das waͤre ja, fiel ich ein, ein herrliches Ar-
canum fuͤr große Herren, fuͤr Praͤlaten, Dom-
herren, Kammerherren, Hofbediente und reiche
Taugenichtſe.“


„Ja wohl, fuhr er fort: aber nicht nur fuͤr
reiche und vornehme Herren und Damen iſt mein
Arcanum: denn auch in den niedern und niedrig-
ſten Staͤnden ſind die Ausſchweifungen große Mode.
Sogar bey Kammerkaͤtzchen und Domeſtiken wer-
de ich Beyfall finden. — Aber, liebſter Freund,
ich habe einen Mann noͤthig, der mit mir zieht,
und mich unterſtuͤzt, und dieſen Mann glaube ich
in Ihnen gefunden zu haben.“


Ich. Wie meynen Sie das?


Das Maͤnnchen. Sie ziehen mit mir:
Sie haben viele Bekanntſchaften in- und außerhalb
Deutſchland. Wo wir hinkommen, empfehlen Sie
mich Ihren Bekannten, und es ſoll uns nicht fehlen,
wir wollen unſern Schnitt ſchon machen. Alles
Geld, welches wir verdienen, theilen wir.


Ich. Warum ziehen ſie nicht lieber allein,
und behalten den Ertrag Ihrer Induſtrie fuͤr ſich?


Das Maͤnnchen. Das geht nicht an: ich
darf mich nicht ſelbſt produciren; ſo was macht
erſtlich verdammt verdaͤchtig, und die Leute ſehen
[125] einen fuͤr einen Charlatan an, und dann kommt
auch hier und da die Obrigkeit dahinter. —


Ich. (einfallend) Beſonders im Preußiſchen,
nicht wahr?


Das Maͤnnchen. Bitte recht ſehr um Ver-
gebung, im Preußiſchen iſts gar nicht ſchlimm
fuͤr unſer Einen. Etwas Geld koſtets zwar, aber
die Erlaubniß zu practiciren iſt leicht zu erhalten.
— Um aber allen Ungelegenheiten vorzubeugen, zie-
hen Sie als Freund mit mir, machen mich ſo unter
der Hand in Staͤdten und andern Orten bekannt,
und wir wollen ſchon unſer Schaͤfchen ſcheeren.


Ich. Ja ja, denn nach dem Sprichwort,
mundus vult depici, das heißt: die Herren wollen
bedient ſeyn.


Das Maͤnnchen. Ganz recht, liebſter
Freund; Sie ſind mein Mann, und wir koͤnnen
einander dienen. Manus manum lavat, ſagt man
im Sprichwort, Sie gehn doch mit?


Nun wurde ich im Ernſt uͤber den zudringli-
chen Unverſchaͤmten aufgebracht, und erklaͤrte
ihm gradezu, daß ich nie der Bediente oder der
Freund eines Quakſalbers, Charlatans und Gift-
miſchers werden wuͤrde. Das Maͤnnchen ſagte
weiter nichts, als: wem nicht zu rathen iſt, dem
iſt auch nicht zu helfen, und ging fort. Als er
weg war, aͤrgerte ich mich, dem Mosjeh nicht
[126] derber die Wahrheit geſagt zu haben, aber nach
und nach beſann ich mich und bedauerte, den Kerl
auf ſeinen ebentheuerlichen Zuͤgen nicht begleitet
zu haben; ich haͤtte, glaub ich, recht ſehr viel
lernen koͤnnen in ſolcher Geſellſchaft. Es iſt al-
lerdings nicht ſehr loͤblich, mit einem medicini-
ſchen Charlatan und einem alchymiſtiſchen Betruͤ-
ger — und dieß war mein Maͤnnchen ganz ge-
wiß — herum zu ziehen, aber ich konnte es im-
mer einmal probiren, um doch auch die Erfahrung
zu lernen, wie weit Leichtglaͤubigkeit und Betrug
gehen kann. Ich habe nachher weiter nichts mehr
von meinem Maͤnnchen gehoͤrt: denn er verließ
Halle noch am naͤmlichen Tag.


Zwoͤlftes Kapitel.


Haͤusliche Auftritte. Die Frau Hammern.


Seit der Geburt meines Fritzemann Acke
gings ſo ziemlich in meiner Wirthſchaft: denn ich
verdiente ſo viel, als wir brauchten, und ſo leb-
ten wir ruhig, ſo ruhig, als man unter meinen
[127] Umſtaͤnden leben kann. Freylich fielen ſehr oft
kleine Zaͤnkereyen zwiſchen mir und meiner Frau
vor, welche von beyden Seiten nicht ganz ohne
Grund waren, jedoch das ging bald voruͤber, und
wenn wir uns gezankt hatten, ſo waren wir eine
halbe viertel Stunde hernach wieder die beſten
Freunde. Ein Umſtand war indeſſen doch Urſa-
che, daß der Unwille meiner Frau gegen mich
laͤnger dauerte, ſo lange naͤmlich, bis ſie von dem
Ungrund ihres Verdachts uͤberzeugt war.


Eine gewiſſe weggeworfene Creatur, die man
Frau Hammern nannte, ſprach mich einſt auf der
Straße an, mit ihr zu gehen, und ihr einen Brief
zu ſchreiben, oder vielmehr einen Menſchen, wel-
cher ihr noch 19 thlr. ſchuldig war, bey den Gerich-
ten zu Bernburg zu verklagen. Ich hatte gerade
nicht Zeit, ihr Verlangen zu erfuͤllen, verſprach
ihr aber, naͤchſtens zu ihr zu kommen. Sie de-
ſignirte mir ihr Haus: ich ging fort und vergaß,
was ich verſprochen hatte. Ohngefaͤhr acht Tage
hernach ging mich die Hammern wieder an, aber
auch damals konnt ich ihr nicht folgen, als ſie
mich aber zum dritten Mal anredete, ging ich
gleich mit ihr. Eine dienſtfertige Frau, naͤmlich
die Frau des Muſicus Spazier, hatte mich ſchon
mehrmals mit der Hammern reden ſehen, und als
ſie nun gar ſahe, daß ich mit dieſer Makerelle ging,
[128] lief ſie ſchnell zu meiner Frau und berichtete ihr,
ſo eben ſey ich in ein Hurenhaus gegangen. Ich
muß hier bemerken, daß ich durchaus von den
Verhaͤltniſſen der Hammern nichts wußte, und
daß es mir gaͤnzlich unbekannt war, daß ſie lie-
derliche Wirthſchaft betrieb: denn ſonſt wuͤrde ich
doch wenigſtens nicht am hellen Tage hingegan-
gen ſeyn. Meine Frau warf ſchnell ihren Mantel
hin und eilte mir nach, fand mich aber ganz al-
lein in der Stube der Hammern, weil dieſe weg-
gegangen war, Papier zu holen. Wie ſie mich
apoſtrophirt habe, moͤgen ſich meine Leſer ſelbſt
denken. Ich hatte alle Muͤhe, ſie nur in ſoferne
zu beſaͤnftigen, daß ſie nur keinen Skandal auf
der Straße machte, und das Grobzeug zuſammen
zog. Nun erfuhr ich alſo, in welchem Hauſe ich
geweſen war, und aͤrgerte mich ſelbſt, dahin gegan-
gen zu ſeyn. Nachdem aber meine Frau wieder
ruhig geworden war, konnte ich ſie von meiner
Unſchuld wohl uͤberzeugen, aber noch jezt macht
ſie mir, wenn ſie boͤſe iſt, uͤber dieſen Vorfall die
bitterſten Vorwuͤrfe, und ich muß oft folgende ſchoͤ-
ne Frage hoͤren: Sag mir'n mal, Menſchenkind,
obs nicht wahr iſt, daß ich dich aus'm Hurenhaus
geholt habe? das iſt nun freilich wahr, aber ich
war doch unſchuldig, und verdiene daher keine
Vorwuͤrfe dieſer Art.


Da
[129]

Da ich aber doch einmal von der Frau Ham-
mern geſprochen habe, ſo will ich ihre heilloſe
Wirthſchaft vorher beſchreiben: vielleicht kommen
dieſe Blaͤtter den Herren der hieſigen Polizey zu
Geſichte, und vielleicht nimmt dieſe einige Ruͤck-
ſicht auf meine Nachrichten, und zerſtoͤrt vielleicht
die Infamien, welche bey der Hammern getrie-
ben werden. Ich habe meine Nachrichten zwar
nicht aus eigner Erfahrung, aber doch von ſolchen
Leuten, welche als die guͤltigſten Zeugen gelten
koͤnnen, weil ſie dieſe Huͤtte der niedrigſten Wol-
luſt ſelbſt und oͤfters beſucht haben.


Die Hammern haͤlt kein eigentliches Bordel,
das heißt, es iſt bey ihr keine regelmaͤßige Auflage
feiler Menſcher, welche jedem zu Gebote ſtehen,
der den geringen Preiß bezahlt, auf welchen ſie
ſich taxirt haben: aber wer Etwas von der Art
ſucht, kann ſich dennoch an die Frau Hammern
wenden, welche gewiß dafuͤr ſorgt, daß ihm aus
der Noth geholfen werde. Feile Maͤdchen finden
ſich ungerufen des Abends bey ihr ein: denn
am Tage leidet ſie dergleichen nicht, es muͤßte
denn ein auſſerordentlicher Fall ſeyn mir periculum
in mora
verbunden. Wenn aber keine Maͤdchen
da ſind, ſo hat die gute Frau doch Bekanntſchaft und
weiß gleich, wo ein Dirnchen ſteckt, das gern Et-
was verdienen moͤgte: diejenigen Maͤdchen, wel-
Laukh. Leben 5ter Theil. I
[130] che oft bey der Madam Hammern ſich einfinden,
haben den Namen Hammermamſellen von
unſern Studenten bekommen. So eine Hammer-
mamſell iſt aber gehalten, jedesmal eine Abgabe
von dem zu zollen, was der gierige Herr Galan
fuͤr die genoſſene oder vielmehr fuͤr die noch zu ge-
nießende Freuden hingiebt; und dieſe Abgabe iſt
ſehr billig: denn wer laͤßt gerne umſonſt, fuͤr
nichts und wieder nichts in ſeiner Werkſtaͤtte ar-
beiten? Bis auf dieſen Punkt hatte nun die Ham-
mern vor den uͤbrigen Bordelliſten nichts zum
voraus: aber was nun kommt, iſt ihr ganz eigen.


Frau Hammern verſteht die Kunſt, ledige und
verehlichte Frauenzimmer zu verfuͤhren, und ſie
zu verkuppeln. Wer ein Maͤdchen oder ein Weib
gern haben moͤgte, darf ſich nur an Madam Ham-
mern wenden, und wenn dieſe das Maͤdchen oder
die Frau nicht ſchaffen kann, ſo kann es niemand.
Mir ſind Faͤlle bekannt, wo Frau Hammern wirk-
liche ernſthafte Liebesgeſchichten angeſponnen hat,
und oft bin ich erſtaunt, wenn meine Freunde mir
Frauenzimmer zeigten, welche bey der Hammern
geweſen waren, um da mit ihren Liebhabern eine
Zuſammenkunft zu halten, die doch ſonſt in aller
Augen fuͤr tugendhaft, wenigſtens fuͤr ehrbar paſ-
ſiren. Fuͤrchten Sie ſich aber nicht, meine Schoͤ-
[131] nen, ich werde keine von ihnen nennen: Sie ſind
mehr zu bedauern, als zu beſchimpfen.


Dieſes Gewerbe treibt Frau Hammern ſchon
ſeit vielen Jahren, und doch erinnere ich mich
nicht, daß die Polizey auch nur ein einziges Mal
nach dieſer heilloſen Wirthſchaft gefragt haͤtte. Es
kann ſeyn, daß die Herren von der Sache, die
jedoch ganz ſtadtkuͤndig iſt, und wovon in hoͤhern
und niedrigern Cirkeln geſprochen wird, nichts
vernommen haben, und daher die Kupplerin nicht
controlliren konnten: eben deßwegen wuͤnſchte ich
aber, daß dieſe Blaͤtter den Herren zu Geſicht
kaͤmen, und dann waͤre ich gleich bereit, auf Re-
quiſition naͤmlich, ihnen naͤhere Beweiſe der ab-
ſcheulichen Kuppeley vorzulegen. Bey uns hat
zwar der Unterſchied zwiſchen delicta privata und
publica aufgehoͤrt, indeſſen glaube ich doch, daß
jeder, welcher von ſolcher heilloſen Wirthſchaft
Kenntniß hat, auch das Recht habe, den Skan-
dal der Obrigkeit bekannt zu machen, und daß
alsdann auch dieſe verbunden ſey, der heilloſen
Wirthſchaft Einhalt zu thun.


Ich weiß, daß man hin und wieder die Frage
aufgeworfen hat, ob auf Univerſitaͤten privilegirte
Bordelle angelegt werden koͤnnten, wodurch der
Schade, welcher aus den Winkelbordellen und aus
dem Umgang mit liederlichen, auf ihre eigne Hand
I 2
[132] wohnenden Menſchern, den Studenten erwaͤchſt,
verhindert wuͤrde? Es muß wirklich weit mit dem
Verderbniß der Sitten gekommen ſeyn, wenn man
ſolche Fragen aufwerfen kann! Es ſollte noͤthig
ſeyn, fuͤr junge Maͤnner, welche ſich den hoͤhern
Wiſſenſchaften widmen, und einſt Volkslehrer,
Richter und Aerzte werden wollen, und ſich oben auf
den Univerſitaͤten zu dieſen erhabenen Zweckell vor-
bereiten, fuͤr ſolche Leute, ſage ich, ſollte es noͤthig
ſeyn, Bordelle zu errichten, und dieſe Bordelle
zu privilegiren, und der Obrigkeit — doch wohl
der akademiſchen Obrigkeit ſelbſt? — die Ober-
aufſicht und das Direktorium davon zu uͤberlaſſen!!!
Ich zweifle, ob jemals eine deutſche Univerſitaͤt
ein Bordel privilegiren wird; vielleicht ſollten
die Vorgeſezten der Univerſitaͤten dafuͤr ſorgen,
daß alle Gelegenheiten, die niedre Wolluſt zu trei-
ben, ſorgfaͤltig abgeſchnitten wuͤrden, welches
auch ſo gar ſchwer nicht iſt, wenn mans nur or-
dentlich anfaͤngt. Die meiſten jungen Leute, dieß
muß ich zur Ehre unſrer Studenten ſagen, haſſen die
feile Wolluſt, und verachten die elenden Creaturen,
welche ſolche Dienſte leiſten. Wie leicht waͤre es
aber, alle Juͤnglinge von guter Erziehung von
dem Beſuch feiler Menſcher und von der Gemein-
ſchaft mit denſelben abzuhalten, da eben dieſe
Juͤnglinge ſich groͤßtentheils ein hohes Ideal von
[133] Liebe und Minnegluͤck gebildet haben, womit die
Bordellerey und Menſcherey ganz und gar incom-
patibel iſt? Alte Suͤndenboͤcke, und rohe Kerle
ohne Erziehung werden zwar der niedern Luſt nach-
rennen: denn dieſe kennen und verlangen weiter
nichts als Genugthuung fuͤr ihren Kitzel, aber der
Juͤngling hat Anſpruͤche, welche ihm keine Bor-
delnymphe und kein Thuͤrmer gewaͤhren kann.
Faſt immer iſt die Verfuͤhrung andrer Schuld,
wenn junge Leute ſich der Ausſchweifung ergeben,
und dadurch ungluͤcklich werden. Wenn die Neu-
linge oder Fuͤchſe ankommen, werden ſie ſofort von
den Veteranen angefuͤhrt, und mit allem bekannt
gemacht, was dieſe betreiben: die Buffe oder Bor-
delle werden bey dieſen Inſtructionen nicht vergeſſen,
und kaum iſt der Fuchs drey Tage auf der Akade-
mie, ſo kennt er ſchon alle Loͤcher, und die in den-
ſelben commandirenden Buffpatronen, und die ſer-
virenden Buffmenſcher. Dieß iſt beynahe auf al-
len deutſchen Univerſitaͤten ſo. Die Polizey iſt
zwar dann und wann aufmerkſam auf dieſe Unſtaͤ-
tereyen, aber ſie verfehlt faſt allemal ihren Zweck:
denn das Viſitiren der Bordelle, welches das Ein-
zige iſt, das man bisher zur Stoͤhrung dieſer Un-
ordnungen vorgenommen hat, wird groͤßtentheils
ſchon vorher bekannt, und dann finden die ſuchen-
den Haͤſcherpatroniſten ſelten einen Studenten in
[134] einem ſolchen Loche. Aber wenn ſie auch welche
finden, ſo koſtet es einiges Geld, und das Uebri-
ge bleibt, wie es war. Der jetzige Prorektor
in Halle hat einiges zur Stoͤrung der Bordellerey
und der Hurenwirthſchaft gethan, und ſelbſt alle
gutdenkende Studenten wuͤnſchen, daß er ſeinen
Zweck vollkommen erreichen moͤge — aber ſie wuͤn-
ſchen es mehr, als ſie es hoffen: denn das Uebel
hat zu tiefe Wurzeln gefaßt, als daß es leicht aus-
zurotten ſeyn ſollte. Doch es iſt gut, die Mate-
rie von den Bordellen, Buffen und Thuͤrmern, das
iſt Gaſſennymphen, abzubrechen, ob ſie gleich ſehr
reichhaltig iſt, und es mancher geru ſehen wuͤrde,
wenn ich noch einige Kapitel damit aufuͤllte.


Im Herbſt 1798 wurde ich durch einen ſehr
freundſchaftlichen Brief des rechtſchaffnen und ge-
lehrten Herrn Berghauptmanns von Murr zu
Nuͤrnberg, ſehr angenehm uͤberraſcht. Dieſer vor-
treffliche Literator verſicherte mich, daß er mei-
ne Siebenſachen mit Vergnuͤgen geleſen habe, und
mit meinen freyern Aeuſſerungen und Urtheilen
durchaus zufrieden ſey: zugleich ſchickte er mir ei-
nen Katalogus derjenigen Buͤcher ſeiner ſehr zahl-
reichen Sammlung, welche er verkaufen wollte,
und forderte mich auf, mir nach Gefallen einiges
zu waͤhlen. Ich antwortete dem edelmuͤthigen
Manne, und uͤberließ ihm ſelbſt die Wahl de
[135] Buͤcher, welche er fuͤr mich nuͤtzlich und brauch-
bar hielte. Gegen Weihnachten ſchickte mir Herr
von Murr einen Pack, worin ich unter andern
folgende Werke fand: Euripidis Opera ex Editio-
ne Canteri; Lyrici et Bucolici graeci; Serveti
Lbb. de Chriſt. reſtit; La Vie de Lucillo Vanini;
Aminta di Taſſo; Statii Opera; Apollonii Rhodii
Aggonantica
und mehr andre Werke dieſer Art.
Herr von Murr muß ſich eine ſehr gute Vorſtel-
lung von meinen geriugen Kenntniſſen und Faͤhig-
keiten machen, da er mir ſolche Buͤcher zum Ge-
ſchenk gemacht hat. Nie wird meine Hochach-
tung und meine Dankbarkeit gegen den rechtſchaff-
nen Mann bey mir lau werden, und der Bey-
fall eines ſolchen Mannes wird gewiß mehr bey
mir gelten, als das Lob oder der Tadel der licht-
ſcheuen Recenſenten in den ſogenannten Bibliothe-
ken, Literaturzeitungen, Annalen, und wie die
gelehrten Troͤdelbuden in Deutſchland ſonſt noch
heißen moͤgen. Die Herren, welche an den ge-
lehrten Journalen arbeiten, moͤgen mir es nicht
uͤbel nehmen, daß ich vielleicht mit weniger Reſpect
von ihren Inſtituten ſpreche, als ſie vielleicht erwar-
teten: es iſt zu unſrer Zeit große Mode, beſonders
unter den Schriftſtellen, alles bey ſeinem rechten
Namen zu nennen, und Dank ſey es der Preß-
freyheit, ſeine Meynung grade heraus zu ſagen.
[136] Die Herren Recenſenten gehn uns in dieſem Stuͤck
mit dem beſten Beyſpiel vor, und einige machens
ihnen auch treulich nach. Herr Mehmel, Pro-
feſſor in Erlaugen, ſchalt noch erſt neulich die all-
gemeine deutſche Bibliothek eine Kneipe wor-
in liederliches Geſindel (intellige die Re-
cenſenten, alle oder nur einige, iſt gleichviel) be-
herbergt wuͤrden. Dieſes herrliche Elogium ha-
ben die Herren der deutſchen Bibliothek ſogar in
ihrem Recenſirbuche wiederholt, aber dabey wird
es auch wohl bleiben: denn ſie werden ſich wohl
huͤten, den Herrn Mehmel gerichtlich zu belan-
gen, welches auch wahrſcheinlicher Weiſe wenig
helfen moͤgte. Wie artig Herr Danz ſeine Recen-
ſenten abzufertigen wiſſe, kann man ſehen in der
Vorrede zum ſechſten Bande ſeines Commentars
uͤber Hrn. Runde's Privatrecht: Herr P. Dabelon
hat auch gar artig deutſch geſprochen mit ſeinem
Recenſenten. Nun frage ich:


quis dubitet, nomina tanta ſequi?


Doch mit den Recenſenten werde ich bald bey
einer ſchicklichern Gelegenheit — aber auch zum lez-
ten Male — ſprechen: hier merke ich nur noch an,
daß mir ein Recenſirklub grade ſo vorkommt, wie
etwan ein Criminalgericht, oder eine Municipa-
litaͤt in Frankreich zur Zeit des Terrorismus. Die
Mitglieder kannten einander ſelten, ſo gehts auch
[137] bey den Recenſenten: unter den Mitgliedern gabs
einige der wichtigen Unterſuchungen und Entſchei-
dungen gewachſene Maͤnner, aber da ſaßen auch
[...]nberbes pueruli, jaͤmmerliche Wichte, die weder
Giks noch Gaks wußten, und doch uͤber die ſchwer-
ſten Rechtshaͤndel abſprachen; eben dieß iſt auch
der Fall mit den Recenſeuten, unter welchen es
manche ſachkundige einſichtige Maͤnner, aber auch
gar traurige Kunſtjuͤngerlein giebt, wie ihr Mach-
werk hinlaͤnglich beweiſet. Endlich konnte ein zur
Zeit des Terrorismus in Frankreich gefaͤlltes Ur-
theil nicht reformirt werden; wie einmal geſpro-
chen war, ſo blieb es; eben ſo koͤnnen auch die
Recenſirſpruͤche nicht geaͤndert werden: denn ſonſt
muͤßte man ja die gedruckte Bogen umdrucken, und
das geht nicht. Der Terrorismus in Frankreich
hat laͤngſt aufgehoͤrt, der Terrorismus der Recen-
ſenten aber auch: Es war einmal eine Zeit, wo
man ſich vor den Urtheilen der Recenſenten zwar
nicht fuͤrchtete, aber doch dieſelben als Urtheile
von competenten Richtern gefaͤllt, anſahe, und
ihre Zurechtweiſungen gern annahm, aber ſeitdem
Grobheit, Stolz, Impertinenz und brutales We-
ſen mit großer Ignoranz verbunden, das Signale-
ment der Recenſiſten geworden iſt, kuͤmmert ſich nie-
mand mehr um Recenſoren als ſolche; man lieſt die
gelehrten Zeitungen, um zu erfahren, wie die
[138] Titel der neuen Buͤcher heißen, wie ſtark ſie ſeyen
an der Bogenzahl, und was ſie koſten, auch wohl
um die Zeit zu vertreiben, oder des Spaſes we-
gen: denn wehe dem, welcher die Recenſirbuͤcher
lieſet, um ſich zu unterrichten, und, um uͤber die
Fortſchritte der Litteratur zu urtheilen!


Dreyzehntes Kapitel.


Herr Dreyßig. Die Eudaͤmoniſten.


Im Sommer 1799 kam der Koͤnig von Preußen
nach Halle, und die Hallenſer waren alle, wie
billig, ſehr froh, ihren erhabenen Monarchen in
ihren Ringmauern zu ſehen. Ich fuͤr meine Per-
ſon habe damals den Koͤnig nicht geſehen: denn
ich mogte mich da nicht hinzu draͤngen, wo ſich
jederman draͤngte, blieb daher zu Hauſe, und beſorgte
mein Blumenbret. Ich erfuhr aber doch zu meiner
nicht geringen Freude, daß der Koͤnig nach mir ge-
fragt habe. Im botaniſchen Garten, wo dem Koͤnige
und der Koͤnigin ein Fruͤhſtuͤck war bereitet worden,
erblickte die Koͤnigin einen Haufen Studenten, und
fragte, was das fuͤr gutgekleidete, artige, junge
[139] Leute waͤren? Es wurde ihr geantwortet, es ſeyen
Studenten, und da wunderte ſie ſich, daß Stu-
denten ſo artig und wohlgezogen ſeyn koͤnnten. Es
iſt ſichtbar, daß der Monarchin ein boͤsartiger Be-
griff von Studenten und ihrem Weſen beygebracht
ſeyn mußte: freylich konnte ein Auftritt, welcher
den Tag zuvor im Garten zu Dieskau vorgefal-
len war, der Dame keine guͤnſtige Idee von Stu-
denten beybringen. Ein Student war daſelbſt,
als der Koͤnig ankam, und trug einen Helm, wel-
cher mit einem Riemen uuter dem Kinn ſo befe-
ſtigt war, daß er ihn nicht abnehmen konnte. Je-
derman zog vor dem Konige den Hut ab, bis
auf den Studenten mit dem Helm. Der Koͤnig,
welchen dieſes verdrieſſen, oder wenigſtens befrem-
den mogte, fragte ihn, wer er waͤre? „Ich bin
ein Student,“ erwiederte der Gefragte in einem
eben nicht feinen Tone. „Das ſieht man wohl,“
ſagte der Koͤnig, und wendete ſich weg. Der
Student bekam hernach auf einige Tage Stadtar-
reſt??? Ein Herr von dem Koͤnigl. Gefolge, wel-
cher mir in der Maͤrkerſtraße begegnete, und mich
noch von Alters her kannte, rieth mir, dem Koͤ-
nige mich zu naͤhern, und ihn an ſein Verſprechen
zu erinnern. Ich uͤberlegte, was zu thun ſey,
und fand, daß ich es nicht thun muͤſſe: denn ich
traute der Empfehlung gewiſſer Halliſcher Herren
[140] nicht; welche um den Koͤnig waren, vorzuͤglich
fuͤrchtete ich, ein gewiſſer Theologe, deſſen Per-
ſonnage dem Monarchen wichtig ſcheinen mußte,
moͤgte mir einen uͤblen Gefallen thun, aus reiner
Menſchenliebe naͤmlich, wie ſichs von ſelbſt ver-
ſteht. Es iſt eine gar herrliche Sache um die
Geſetze und die Moral: wer klug iſt, kann immer
ſeinen Leidenſchaften Gehoͤr geben, und findet doch
immer gute Gruͤnde zur Entſchuldigung, und zur
Beſchoͤnigung der unbilligſten Dinge findet man
Geſetze. Sollte man wohl folgenden Vorfall glau-
ben? Und doch hat ſich die Sache gerade ſo zuge-
tragen, wie ich ſie erzaͤhle.


Ein gewiſſer Student der Rechte, aus Schle-
ſien gebuͤrtig, ſuchte vor einiger Zeit, etwan vor
ſechs Monaten, um den Freytiſch nach: man
machte ihm Hoffnung dazu, und er ſtellte ſich zum
Examen. Weder gegen ſeine Kenntniſſe, welche
gar nicht gemein ſind, noch gegen ſeine Lebensart,
welche ſehr regelmaͤßig und geſittet iſt, konnte das
Geringſte eingewendet werden, und doch erhielt
er den ihm zugeſagten Freytiſch nicht, weil er —
katholiſch war. Wenn etwan ein Paſtor
Goͤtz zu Hamburg, ein Profeſſor Seiler in Erlan-
gen, oder ein Bechtold in Gießen ſo einen Grund
das Beneficium zu verſagen, angefuͤhrt haͤtten,
wollte ich kein Wort ſagen: denn bey dieſen Leuten
[141] iſt es Grnndſatz, daß man die Feinde des Herrn
d. i. die Nichtlutheraner auch fuͤr ſeine Feinde hal-
ten, und folglich ihnen nichts gutes thun muͤſſe.
Aber ein Noͤſſelt, ein Eberhard — ſolche
Maͤnner koͤnnen ſagen: weil dieſer ſonſt fleißige,
gutgeſittete Mann einen andern Kirchennamen hat,
als wir, ſo ſoll er nicht umſonſt mit uns eſſen;
lieber ſollen andre, welche Mittel genug habeu,
ſich den Mittagstiſch zu kaufen, dieß Beneficium
genießen. Sogar einige unter unſern Profeſſoren
haben ziemlich laut uͤber das erzaͤhlte Verfahren
geklagt, aber es iſt dabey geblieben, und ich ent-
halte mich aller weitern Anmerkungen, doch
wird jeder graddenkende Mann mir Recht geben,
wenn ich behaupte, daß wenn ja ein altes Geſetz
exiſtirte, welches die Katholiken von den koͤnigl.
Freytiſchen ausſchloͤſſe, dieſes Geſetz entweder ab-
geſchafft oder uͤbergangen werden muͤßte, zumal
wenn von der Unterſtuͤtzung eines aͤuſſerſt armen,
aber fleißigen und geſchickten Mannes die Rede iſt.
Mir iſt die Litaney des großen Erasmus bey die-
ſem Umſtand eingefallen.


Die Reiſe des Koͤnigs nutzte Herr Dreyßig, der
Kunſt- und Buchhaͤndler, ſonſt gruͤner Mann ge-
nannt, um einige Bogen gedruckt ins Publikum
zu werfen, und einige Groſchen damit zu verdie-
nen. Es wurden daher einige Sudelwiſche, wor-
[142] in die Reiſe des Koͤnigs nach Halle, und deſſen
kurzer Aufenthalt in dieſer Stadt erzaͤhlt wurde,
zuſammen geſcriebelt, und Gott weiß, quo cenſore,
herausgegeben. Einige wollten behaupten, Hr.
Dreyßig ſey nicht der Verfaſſer dieſer Dinger, aber
wenn ich meine Meynung ſagen ſoll, ſo finde ich
das Geſchreibſel des gruͤnen Mannes vollkommen
wuͤrdig: bis auf den Ausdruck iſt alles gruͤnmaͤn-
niſch. Der Koͤnig hatte ſich ohnweit Halle an ei-
ner Anhoͤhe auf den Raſen gelegt, um von da aus
den Halloren, welche auf der Saale ein Schiffer-
ſtechen hielten, zuzuſehen: dieſen Umſtand druͤckt
Herr Dreyßig mit dieſen Worten aus: „Der Koͤ-
nig habe vollends da gelegen, wie ein
Schaafknecht
!“ Heißt das nicht ſehr edel und
ganz à la gruͤner Mann, von einem Monarchen
ſprechen? Andre Nachrichten, die Koͤnigin betref-
fend, werden in der halliſchen Poͤbelſprache er-
theilt! z. B. die Koͤnigin ſey ein gar grauſam ſchoͤ-
nes Madamchen u. ſ. w. Am Ende des zweyten
Stuͤcks dieſes Machwerks kommt etwas ſehr wi-
tziges vor: Herr Dreyßig fuͤhrt naͤmlich einen von
dem Gefolge des Koͤnigs redend ein, welcher ſeine
Betrachtungen uͤber Halle anſtellte, worin Leute
von ſo verſchiedenem Charakter lebten. Er ſtellt
mehrere zuſammen, welche einander auffallend
unaͤhnlich ſind, oder wenigſtens nach Meiſter Drey-
[143] ßigs Einbildung ſeyn ſollen. So wird z. B. der
Stadtmuſicus Hr. Wansleben, ein wohlgewach-
ſener großer Mann, mit einer gewiſſen Mamſell
Steinhaͤuſer, einem winzigen Geſchoͤpfchen, zuſam-
mengeſtellt. Auch meiner Wenigkeit thut Herr
Dreyßig die Ehre der Collation an, und bringt mich
mit dem Hn. Prof. Bathe zuſammen. Ich weiß
zwar recht gut, daß ich mit Hn. Bathe nichts Aehn-
liches habe; aber worin die auffallende Unaͤhn-
lichkeit beſtehen ſoll, ſahe ich nicht ein, und konn-
te, als ich das Geſchmiere auf der Mail las, gar
nicht begreifen, wie ich dazu kaͤme, mit dem
Prof. Bathe verglichen zu werden. Ich ging da-
her zu Herr Dreyßig in ſeine Kunſtkammer, oder
wie die Studenten ſagen, Kunſtloch, und bat
mir eine Erklaͤrung von dem Herrn Kunſtmeiſter aus,
aber dieſer antwortete mir ſo komiſch unbeſtimmt,
daß ich einſahe, er wolle mich zum beſten haben,
und nun auch nach meiner Art derbe zu reden an-
fing. Unſer Debattiren wurde ſo laut, daß die
Jungen auf der Straße ſich vor Hn. Dreyßigs Ca-
binet de merveilles
verſammelten, und ſelbſt die
Voruͤbergehenden ſtehn blieben. Ich entfernte mich,
und Herr Dreyßig rief mir nach, daß er mich beym
Prorektor ſprechen wuͤrde, aber er hat mich nicht
fordern laſſen, ſondern mir dadurch eins zu verſetzen
geglaubt, daß er in der Fortſetzung der Wiſche die
[144] Bemerkung einfließen ließ, ich verſtuͤnde mich
auf den Schnapps, und wiſſe, wo der Beſte in
Halle zu haben ſey. Ich glaubte nicht, daß es
der Muͤhe werth ſey, mich weiter mit Mſtr. Drey-
ßig in eine oͤffentliche Fehde einzulaſſen, und lachte
uͤber die Ausfaͤlle eines Mannes, der ohnehin un-
faͤhig iſt, jemand zu injuriiren.


Mit den Eudaͤmoniſten haͤtte ich auch Haͤndel
bekommen, wenn mich die Verfaſſer des Obſcu-
ranten-Almanachs der Muͤhe nicht uͤberhoben haͤt-
ten, mit den jaͤmmerlichen Kerlen Krieg zu fuͤh-
ren. Ich hatte das Geſchreibſel, Eudaͤmonia ge-
nannt, noch nie geſehen, wohl hatte ich davon
gehoͤrt und geleſen, und wußte aus den Nachrich-
ten einſichtiger braver Maͤnner, daß die Eudaͤmonia
unter den infamen Sudeleyen, welche zu un-
ſrer Zeit Deutſchland uͤberſchwemmen, einen vor-
zuͤglichen Platz verdient, und eben ſo wie andre gro-
be Pasquillen z. B. einige Skarteken von Goͤchhau-
ſen, Doctor Bahrdt mit der eiſernen Stirne u. d.
gl. den guten Namen braver Maͤnner begeifert.
Daß aber die fatalen Eudaͤmoniashanswurſten
auch meiner gedenken, und mich an ihren Pranger
ſtellen wuͤrden, war mir nie eingefallen, bis ich
endlich einen Brief ohne Anzeige des Ortes, wo
er herkam und ohne Unterſchrift erhielt, worin mir
berichtet wurde, daß ich im zwoͤlften Stuͤck des
Kloaks
[145] Kloaks Eudaͤmonia derb angegriffen und herunter ge-
macht ſey. Ich wollte doch das Ding ſelbſt nachſehen,
hatte aber große Muͤhe, es zu erhalten, da das
Geſudel im Preußiſchen und Saͤchſiſchen ganz und
gar keinen Abgang findet. Ich las und erſtaunte,
da mich die elenden Buben fuͤr einen Verbrecher
erklaͤren, den man in Effigie aufhaͤngen muͤſſe: die
andern Titulaturen, welche ſie mir gaben, z. B.
den Preußiſchen Spion, Laukhardsſeele, Propa-
gandentrompeter, ſanscuͤlottiſcher Großſchreier u.
d. gl. wollte ich ihnen gerne vergeben, aber wegen
des Haͤngens in Effigie gedachte ich doch, ein Wort
deutſch mit ihnen zu ſprechen, aber der Obſcuranten-
almanach uͤberhob mich dieſer Muͤhe, und ich danke
den Verfaſſern dieſes Werks, daß ſie den Eudaͤ-
moniſten ſtatt meiner, geantwortet haben.


Der obgedachte Brief enthielt die Namen meh-
rerer Maͤnner, welche zu den Eudaͤmoniſten ſollen
gehoͤrt haben, naͤmlich v. Grolmann in Gießen,
Prof. Jung in Marburg, Hofprediger Stark in
Darmſtadt, Aoloys Hoffmann in Wien, Hoſchka,
v. Goͤchhauſen in Eiſenach, und endlich den ad in-
ſtar
eines Zahnbrechers ſchreienden Journalsmann
Schirach in Altona. Ich will nicht behaupten,
daß alle die genannten Herren Eudaͤmoniſten ſind,
d. i. daß ſie alle an dem Journal, Eudaͤmonia ge-
nannt, den Staupbeſen verdient haben, ich mag
Laukh. Leben 5ter Theil. K
[146] ſogar keinen Einzigen als wirklichen Eudaͤmoniſten
angeben: denn das hieße gerade ſo viel, als ſo
einen Herrn fuͤr einen Geſellſchafter und Waffen-
traͤger der erſten Schurken Deutſchlands erklaͤren;
indeſſen zeugen doch die Handlungen mehrerer der
genannten Herren von Dero Eudaͤmoniſtiſchen
Geſinnungen. Die That des Herrn von Grol-
mann zu Gießen an dem D. G — — — wurde
durch einen gewiſſen Exulanten in Ober- und Nie-
derſachſen ſo verſchrieen, daß gewiß die Kinder auf
einen Mann weiſen wuͤrden, der ſich Grolmann
nennt und dieſe Gegenden bereiſen ſollte. Schade
iſt es doch, daß der liberale und rechtſchaffne Cri-
minaliſt Grolmann in Gießen wohnt, und mit
dem eudaͤmoniſch geſinnten Menſchen einerley Na-
men fuͤhrt! Den Prof. Jung in Marburg mag ich
kaum nennen: er hat zu viel aͤhnliches mit einem
gewiſſen Kerl, Roſenfeld glaub ich, hieß er. Man
ziehe nur Froͤmmlingen von Profeſſion die heilige
Maske von der Fratze, und dann wird wenig
uͤbrig bleiben, weßwegen man ſie fuͤr Muſter hal-
ten muͤſſe.


Loripedem rectus derideat, Aethiopem albus.

Quis tulerit Gracchos de ſeditione querentes?

Quis coelum terris non miſceat, et mare coelo,

Si fur diſpliceat Verri, Homicida Miloni,

Clodius accuſet moechos, Catilina Cethegum?

[147]
Qualis erat tragico nuper pollutus adulter

Concubitu, qui tone leges revocabat amaras

Omnibus atque ipſi Veneri Martique timendas;

Cum tot abortivis foecundam Iulia vulvam

Solveret, ac patruo ſimiles effunderet offas.

Sollte man nicht denken, Juvenalis ſey ein
Prophet geweſen, und die angefuͤhrte Stelle ſey
ein weißagendes Geſichte?


Daß ein Mann, wie Stark in Darmſtadt ſich
zu dem Eudaͤmoniſtengeſindel geſellt hat, oder ge-
ſellt haben ſoll, iſt wirklich ſehr zu bedauern. Der
Verfaſſer des Haͤpheiſtio ein Eudaͤmoniſt!!


Herr von Goͤchhauſen in Eiſenach verdient oͤf-
fentlich geruͤhmt zu werden, und ich wuͤrde es
thun, wenn ich meine Stimme fuͤr wuͤrdig hielte,
den Rechtſchaffnen zu loben. Er hat ſich oͤffent-
lich erklaͤrt, warum er freyere Geſinnungen mit
Sanscuͤlotterey in eine Bruͤhe geworfen, und je-
den fuͤr einen Ohnehoſen angeſehen habe, der nicht
dachte, wie ohngefaͤhr Hr. Rehberg oder einer
desgleichen. Ich habe mich unendlich uͤber das
freye eines gelehrten und durch Verdienſte angeſe-
henen ſo wuͤrdige Geſtaͤndniß gefreuet, und bedaure
nur, daß mir einige Ausdruͤcke entfahren ſind in
meinen Schriften, welche auf Herrn von Goͤch-
hauſen nicht den beſten Bezug haben; aber dieſe
Ausdruͤcke concerniren bloß den Schreiber der Wan-
K 2
[148] derungen in die Rhein- und Mayngegenden, kei-
neswegs aber den ſchaͤtzbaren Verfaſſer des Maͤhr-
chens aus der andern Welt.


Der Journaliſt Schirach, oder Herr von Schi-
rach in Altona ſcheint mir durchaus keinen unmit-
telbaren Antheil an der Eudaͤmonia genommen zu
haben, da ſein politiſches Journal die Eu-
daͤmonia beynahe aͤquirt, ich meyne an Luͤgen, Laͤ-
ſterungen und Verlaͤumdungen. Doctor Bahrdt
ſagt im Ketzeralmanach, das deutſche Publikum
ſey ein altes Weib, weil es die Schriften eines
gewiſſen Herrn gleichſam verſchlungen habe. Den
Beweis, daß unſer Publikum ein altes Weib iſt,
koͤnnte man am beſten daher fuͤhren, daß das po-
litiſche Journal des Herrn von Schirach noch Kaͤu-
fer und Abſatz findet. Der große Schirach
hat den Schleier der Politik vom Geſicht geriſſen,
und immer vorher aus unumſtoͤßlichen Gruͤnden
geweißaget, wie es noch in der Welt gehen muͤßte,
und folglich auch gewiß gehen wuͤrde. Daß es
ſo, wie der große Politiker geweißagt hat, gehen
mußte, daran iſt wohl kein Zweifel, nur war es
ſehr Schade, daß faſt keine einzige Schirachſche
Weißagung eintraf. Doch die Weißagungen moͤg-
ten immer hingehen, die machen das politiſche
Journal bloß zu einem elenden Sudel, woruͤber
der Kluge die Achſel zuckt, und die Verdrehungen
[149] der Begebenheiten, welche ſich Schirach oder ſeine
unbekannte Correſpondenten erlauben, waͤren auch
noch zu verzeihen; denn ſo Etwas hat er mit vielen
inlaͤndiſchen und auslaͤndiſchen Zeitungsſchreibern,
ſogar mit gelehrten Zeitungsſchreibern, gemein:
und wenn mehrere einerley Bocksſtreiche machen,
ſo fallen dieſe weniger auf: aber ſeine Invectiven
auf brave Maͤnner ſind unverzeihlich und verdienen
oͤffentlich geprangert zu werden, wenn jenen ver-
unglimpften Maͤnnern daher ein Schaden entſtan-
den waͤre, daß ſie im politiſchen Journal mishan-
delt wurden.


Die Eudaͤmonia hat nicht ſo viel Gluͤck ge-
macht, als das politiſche Journal: das Ding war
gar zu arg, und gar zu elend; da dachten dann
die Herren, welchen zu Gefallen die Eudaͤmoni-
ſten ihre Federn in Uebung ſezten:


Wollt ihr nicht beſſer ſtreiten fuͤr uns, dann
I — — — und verboten die fernere Erſcheinung
der Monatswiſche.


Einen Hauptſpaß habe ich auch vor einigen
Jahren erlebt, den ich doch hier ſo [...]ς ἐν παϱ [...];δῳ er-
zaͤhlen will. Ein Prediger zu Acken an der Elbe, Na-
mens Sabel, aͤrgerte ſich gar maͤchtig, daß der Ver-
faſſer einer Broſchuͤre, Charakteriſtik einiger
Brandenburgiſchen Geiſtlichen
, ihn etwas
unſanft mitgenommen und herumgeſchleppt hatte.
[150] Er rieth hin und her, wer doch der nicht genannter
Schreiber des kleinen Buches ſeyn moͤgte, und fiel auf
einen hieſigen Gelehrten, welcher ihn einſt in Acken
beſucht hatte. Dieſer Mann iſt nichts weniger als
ein Satyriker, und haßt alle gelehrte und ungelehrte
Fehden; haͤtte daher Herr Sabel Perſonen gefragt,
welche den ihm verdaͤchtigen Gelehrten naͤher und
beſſer kannten, als er, ſo wuͤrde ihm ſein Irrthum
leicht ſeyn benommen worden: aber das war ihm
zu weitlaͤuftig, er wollte einen naͤhern Weg ein-
ſchlagen, und ſchrieb daher einen Wiſch von eini-
gen Bogen wider ſeinen putativen Angreifer. Das
Ding iſt ein non plus ultra von fadem Geſchwaͤz,
und hoͤkerweiberiſchen Witzeleyen: aller Orten
leuchtet Herrn Sabels Armſeligkeit am Geiſte
hervor, wenn er ſchon einen Brief einruͤckt, der
ihm vom Phoͤbus Apollo ſelbſt ſoll geſchrieben ſeyn.
Dieſer Brief des Apollo gehoͤrt zuverlaͤßig zu den
apokryphiſchen Schriften, oder man muͤßte anneh-
men, Phoͤbus Apollo habe Herrn Sabel ſo behan-
deln wollen, wie ehedem Friedrich Wilhelm der
Erſte den bekannten Gundlich, ſonſt naͤrriſche Ex-
cellenz genannt, behandelt hat. Herr Sabel laͤßt
ſeinen vermeynten Gegner in einen Schoͤps ver-
wandeln, aufhaͤngen u. ſ. w. Der Gelehrte,
welchen Herr Sabel ſo ſkandaloͤs beſchrieben und
behandelt hatte, lachte uͤber die Armſeligkeiten und
[151] die Gaͤnſegalle des Kanzelmanns, und antwortete
ihm, wie billig — gar nicht. Bald hernach
wußte das ganze Publikum, wer der wahre Ver-
faſſer der obgedachten Charakteriſtik ſey: Herr
Sabel weiß es wahrſcheinlich auch, hat aber ſtille
geſchwiegen, und wohl dran gethan.


Vierzehntes Kapitel.


Engelmann von Schochwitz.


Im Herbſt des Jahres 1799 lernte ich einen
Landmann naͤher kennen, welcher mir in mehr
als einer Hinſicht merkwuͤrdig geworden iſt. Die-
ſer Mann heißt Engelmann und beſizt ein Bauern-
gut zu Schochwitz im Mansfeldiſchen. Der naͤ-
here Umgang, welchen er mit einem armen Bauern-
maͤdchen gehabt haben ſoll, brachte die Leute auf
die Vermuthung, er ſey der Vater ihres unehligen
Kindes, ob es gleich nicht an andern Mannsper-
ſonen fehlt, die ſich der Gunſt dieſer ſonſt ziem-
lich publiken Dirne ruͤhmen koͤnnen. Indeſſen wur-
de das Maͤdchen wieder ſchwanger, und Engel-
mann paſſirte abermals fuͤr den Urheber dieſer
[152] Schwangerſchaft. Er leugnete es zwar gegen je-
derman, aber ein Verdacht dieſer Art und ein ſol-
ches Geſchwaͤtz iſt ſchwer zu widerlegen und zu ſtil-
len; daher konnte es auch nicht fehlen, daß die
Gattin des Engelmann ihm manche truͤbe Stunde
machte, und ſich faſt taͤglich mit ihm zankte. Auf
einmal verſchwand das Maͤdchen, und wurde ei-
nige Tage hernach in der Saale todt gefunden.
Einige liederliche Buben, welche grade um dieſe
Zeit wegen allerhand Hallunkenſtreichen eingezogen
wurden, ſagten ganz von freyen Stuͤcken vor Ge-
richt aus, Engelmann habe ſie beſtellt, das Maͤd-
chen in ihrer Wohnung zu ermorden, und hernach
in die Saale zu werfen. Daß auf dieſe Ausſage
Engelmann ſofort eingezogen wurde, verſteht ſich
von ſelbſt, aber bey der Unterſuchung fanden ſich
ſo viele Widerſpruͤche zwiſchen den Ausſagen der
Buben, und der Sache ſelbſt, daß jeder Unbe-
fangne ſehr leicht ſchließen mußte, die Schurken
haben falſch ausgeſagt: indeſſen konnte doch En-
gelmann nicht eher losgelaſſen werden, bis ſeine
Unſchuld vollkommen erwieſen war. Dieß bewirkte
ein hieſiger Rechtsgelehrter, Herr Juſtizcommiſ-
ſar Rupprich, welchem ich den Ruhm eines habi-
len Sachwalters ſehr gerne zugeſtehe, ob er gleich
mein Freund nicht iſt, wie ich weiterhin dociren
werde. Die Unſchuld des Engelmann wurde voll-
[153] kommen anerkannt, und er kam los: aber er wur-
de doch in alle Koſten verdammt, die der ganze
weitlaͤuftige Proceß verurſacht hatte, und durfte
an keinen Erſatz des großen Schadens denken, wel-
chen ſein Hausweſen durch ſeine Verhaftung und
ſein langes Gefaͤngniß gelitten hatte. Ich kann
nicht beſtimmen, in wie fern jemand Proceßkoſten
tragen muͤſſe, der fuͤr unſchnldig erklaͤrt worden
iſt, indeſſen ſcheint es mir doch, daß in Faͤllen, wie
der des Anſpaͤnners Engelmann war, der Staat
ſelbſt die Koſten leiſten muͤßte. Ich habe viel Ehr-
furcht gegen die Ausſpruͤche der Regierung zu
Magdeburg, indeſſen kommt es mir doch vor,
als ſey Engelmann zu hart und folglich unbillig
behandelt worden. Freylich konnten jene Buben,
welche den Mann bloß aus Bosheit — denn Vor-
theile konnten ſie durch dieſen Streich nicht erwar-
ten — angegeben und eines Menſchenmordes be-
ſchuldiget hatten, die Proceßunkoſten nicht leiſten, die
ihnen allerdings haͤtten zufallen muͤſſen: aber ich
ſehe auch gar nicht ein, wie eine Verbindlichkeit auf
mich fallen koͤnne, bloß deßwegen, weil der, wel-
cher dieſelbe zu leiſten hat, ſie nicht leiſten kann?


Engelmann ſchrieb auf ſeinem Gefaͤngniß ein
dickes Buch, worin er die Geſchichte ſeines Pro-
ceſſes, ſeines Arreſtes und derjenigen erzaͤhlt,
welche zugleich auf dem Rathhauſe ſaßen, und mit
[154] welchen er ſich unterreden konnte: denn da man
gleich von Anfang einſahe, daß er unſchuldig ſeyn
muͤſſe, hielt man ihn eben nicht ſehr ſtrenge, und
fuͤr Geld und gute Worte thun die Herren Carcer-
majoren auch Etwas. Dieſe Schrift iſt wirklich
leſenswerth, und hat mitunter ſehr gute naive Ein-
faͤlle, aber ich zweifle, daß ſie in Halle oder Mag-
deburg das Imprimatur erlangen wuͤrde. Engel-
mann iſt nach ſeiner Entlaſſung mein Gevatter ge-
worden.


Meine Lage war im Jahr 1799 nichts weni-
ger, als ruhig und gluͤcklich. Schon im Herbſt des
vorigen Jahres war die Mutter meiner Frau zu
ihrem Mann, der als Unteroffizier bey dem Fuͤ-
ſelierbataillon Carlowitz ſteht, abgegangen, und
hatte mir ihre juͤngſte Tochter zuruͤckgelaſſen. Wir
konnten das Maͤdchen recht gut brauchen, da ſie
weiter nichts koſtete, als das bischen Eſſen, und
etwan das Schuhwerk. Im Fruͤhling 1799 hoffte
ich bey dem Schneider Hubert weiter logiren zu
koͤnnen, aber der religioͤſe Mann hatte von meiner
Irreligion gehoͤrt, und befuͤrchtete, ich moͤgte Un-
ſegen auf ſein Haus bringen, daher bat er mich in
einem hoͤflichen Zettelchen, auszuziehen. Ich that
dieß gerne, und zog in die ſogenannte Kutſche:
der Beſitzer dieſes Hauſes war ein kreuzbraver
Mann, welcher ehedem Soldat geweſen war, und den
[155] ich ſchon ſeit vielen Jahren kannte. Meine Frau
war anfaͤnglich mit der Wirthin aufs beſte einver-
ſtanden, und beyde ſtacken immer beyſammen:
aber Weiber, beſonders Weiber ohne Grundſaͤtze,
koͤnnen nicht lange Freundſchaft halten, jede Klei-
nigkeit veruneinigt ſie, dann kommen Klatſche-
reyen, und zulezt die unverſoͤhnlichſten Fehden.


So gings bey uns: ich kann zwar nicht ſagen,
wer zuerſt Schuld war an dem Scandal, meine Frau
oder die Frau Harrin; genug, ſie wurden Feinde,
und zwar die unverſoͤhnlichſten Feinde. So gerne
ich im Hauſe geblieben waͤre, mußte ich Anſtalt
zum Ausziehen machen. Meine Frau hatte indeſ-
ſen bey einem Schuhmacher Schaͤfer eingemiethet,
und ich war nachgiebig genug, zu thun, was ſie
haben wollte.


Im Sommer dieſes Jahres ſchrieb ich meinen
Franz Wolfſtein, oder Begebenheiten eines dum-
men Teufels in zwey Baͤnden. Das Buch oder
dieſer Roman ſollte beweiſen, daß ohne Weltkennt-
niß und ohne die Kunſt, ſich in andre Leute zu ſchi-
cken, und ſich nach ihren Launen zu richten, alle
Rechtſchaffenheit und alle Kenntniſſe nicht im
Stande ſind, uns vor Unfaͤllen zu bewahren. Ei-
nige Recenſenten haben das Werk ſo halbwege
durchgehen laſſen, andre aber ſind derb druͤ-
ber hergefallen. Doch das thut zur Sache nichts:
[156]infra rede ich noch ein Woͤrtchen mit meinen Re-
cenſenten, oder vielmehr mit meinen Leſern: denn
Recenſenten leſen ſelten mehr von den Buͤchern,
als den Titel und die Vorrede; den Reſt durch-
blaͤttern ſie nur.


Meine Frau brachte bald nach unſerm Einzuge
in Schaͤfers Reſidenz einen zweyten derben Jun-
gen. Nach chriſtlicher Gewohnheit und nach den
Landesgeſetzen, oder vielmehr nach geiſtlichen
Verordnungen, welche der Landesherr beſtaͤtigt
hat, mußte ich den Jungen taufen laſſen, und Herr
Prof. Guͤte taufte ihn. Als dieſer ſonſt gelehrte
und rechtſchaffne Mann meinen erſten taufte, hatte
er das alte Formular, nach welchem das arme
acht- oder zehntaͤgige Kind gefragt wird: ob es
dem Teufel, und allen ſeinen Werken und Weſen
entſage? Ob es an Gott Vater, an Jeſum Chri-
ſtum, der empfangen iſt vom heiligen Geiſte, ge-
boren aus Maria der Jungfrauen, der niederge-
fahren iſt zur Hoͤllen, an eine Auferſtehung des
Fleiſches u. ſ. w. glaube? Ob es wolle getauft
ſeyn? u. ſ. w. Lauter Fragen, die ſich einem
kleinen Kinde nicht vorlegen laſſen, und die
mit der ſonſt ehrwuͤrdigen Handlung der Taufe ei-
nen ſeltſamen Contraſt machen. Denn wenn man
auch zugeben muß, daß die Kindertaufe nicht ab-
geſtellt werden kann, ſo muß doch auch zugegeben
[157] werden, daß das gewoͤhnliche Taufformular ab-
geſchmackt und zweckwidrig, folglich allerdings ab-
zuſtellen ſey. Erſt noch kuͤrzlich ſagte ein gewiſſer
Halliſcher Geiſtlicher auf der Kanzel, Chriſtus
ſelbſt (!) und die Apoſtel haͤtten Kinder getauft:
der Herr muß nicht viel in der Kirchengeſchichte
ſtudiert haben. *) Ich hatte lange Zeit keiner
Taufhandlung zugeſehen, und haͤtte beynahe uͤber
das allerliebſte Formular laut aufgelacht, doch
hielt ich an mich, und mein Fritzemann wurde ohne
Scandal hingetauft. Ich konnte nichts anders er-
warten, als Hr. Pr. Guͤte wuͤrde das alte Formu-
lar wieder herbringen, als er meinen zweyten
Jungen der heil. Kirche durchs Waſſerbad im
Wort einverleibte: aber ich wurde ſehr angenehm
uͤberraſcht, als Herr Guͤte ein neues ſehr vernuͤnf-
tiges Formular gebrauchte, welches ihm, als Con-
cipienten, wahre Ehre macht, und hinlaͤnglich be-
weiſt, daß er wiſſe, wofuͤr man die Taufe uͤber-
haupt, und die der kleinen Kinder insbeſondere
zu halten habe.


Dieſen Winter uͤber habe ich fuͤrchterlich aus-
geſtanden: ich hatte mir nur wenig Holz ange-
geſchafft, und mußte hernach bloß Torfſteine bren-
nen, und das dazu noͤthige Holz bey den Hoͤcken
[158] kaufen. Jede Woche brauchte ich mehr als fuͤr
1 ½ Thaler Brennwerk, und doch ward die ohne-
hin abſcheulich kalte, dem Oſt- und Nordwind
ausgeſezte Stube ſelten recht warm: die Fenſter
waren faſt immer gefroren, und wenn ich an
meinem Schreibtiſche ſaß, hatte ich ſelten warme
Fuͤſſe oder warme Haͤnde. Doch trug ich alles
ziemlich geduldig, weil ich damals noch beſ-
ſere Zeiten hoffte. Ich arbeitete den erſten Theil
meiner Novellen aus, und fing auch an ein Woͤr-
terbuch der alten Erdbeſchreibung zu verfertigen,
welches aber aus verſchiedenen Urſachen bis jezt
noch nicht fertig geworden iſt. Es giebt zwar
mehrere und nicht unbrauchbare Woͤrterbuͤcher uͤber
dieſe Wiſſenſchaft, welche ich noch immer fuͤr ſehr
ſchwer halte: aber dieſe Woͤrterbuͤcher ſind zu weit-
laͤuftig und zu koſtbar, als daß ſie allen denen [i]n die
Haͤnde kommen koͤnnten, die ihrer beduͤrfen. Da-
her kommt es dann auch, daß nicht nur junge
Leute, welche alte Schriftſteller leſen, ſondern
auch ſolche, welche dergleichen Autoren erklaͤren
ſollen, alle Augenblick ſtocken und nicht wiſſen,
wo ſie ſind. Ich habe den Gedanken, ein Lexikon
der alten Geographie, ohngefaͤhr 12 bis 14 Bogen
ſtark, herauszugeben, noch nicht fahren laſſen:
vielleicht erſcheint es bald. Gegen das Fruͤhjahr
ſchrieb ich meinen Marki von Gebrian, worin ich
[159] die franzoͤſiſchen Emigranten, ſo wie ich ſie habe
kennen lernen, abſchilderte. So lange unſre
Deutſchen noch dumm genug ſind, ſich von dieſem
Auswurf der franzoͤſiſchen Nation verachten und
prellen zu laſſen, iſt es gut, daß man ihnen von Zeit
zu Zeit dieſe Burſche abſchildere. Freylich wird es
immer weniger noͤthig, von den unwiſſenden, ſchal-
koͤpfigen, duͤnkelreichen, dummſtolzen, impertinen-
ten Faſelanten, welche unter dem Namen der Emi-
gres herumſtreichen, Beſchreibungen zu machen.
Man faͤngt an, ſie aller Orten fuͤr das zu halten,
was ſie ſind, naͤmlich fuͤr untaugliche Subjecte,
welche das Ungluͤck, das ſie druͤckt, an ihrer eig-
nen und an fremden Nationen, vorzuͤglich an der
Deutſchen vollkommen verdient haben. Es ſey
ferne von mir, jemand aufzuhetzen, und zu be-
wegen, daß er den franzoͤſiſchen Emigranten
Schutz und Unterſtuͤtzung verſage, und noch viel
weniger will ich alle Emigranten fuͤr elende
Kerle ausgeben: ich kenne mehrere, welche ver-
dienen, daß man ſie ſchaͤtze und ehre, aber a po-
tiori fit de nominatio,
ſagen die Logiker, und da
iſt dann Emigrant und Haſelant faſt immer ſyno-
nym. Ich ſprach noch vor kurzem mit einem Ju-
den, der aus Frankreich kam, und mir von der
gegenwaͤrtigen Lage dieſes Reiches einige intereſ-
ſante Nachrichten mittheilte. Dieſer Mann er-
[160] zaͤhlte mir, daß die Meiſten von den neuerdings
zuruͤckgekehrten Emigranten ſich eben ſo in Frank-
reich betruͤgen, wie ſie ſich in Deutſchland betra-
gen haben, und daher bey jedem rechtlichen Fran-
zoſen verhaßt und verachtet waͤren. Ich glaubs
ſehr gerne, denn ich kenne die ſacrés bougres d'Emi-
grés,
und weiß, weß Geiſtes Kinder ſie ſind.


Funfzehntes Kapitel.


Mein Freund Premßler.


Mein Freund Premßler war ein Mann, welcher
nach dem einſtimmigen Zeugniß aller derer, die
ihn naͤher kannten, ein beſſeres Schickſal verdiente,
als ihm zu Theil ward. Es gab freylich Firle-
faͤnze, welche ihn bey ſeinem Leben taxirten,
und nach ſeinem traurigen Tode blamirten und laͤ-
ſterten, ſogar in gedruckten Wiſchen: aber auf
das Urtheil der Firlefaͤnze kommt nichts an. Ich
will ihn ſchildern, wie er war, und meinen Leſern
uͤberlaſſen, von ihm und von ſeinem Tod zu ur-
theilen, wie ſie glauben, daß geurtheilt werden
muͤſſe.


Premßler
[161]

Premßler war aus Weimar gebuͤrtig, wo ſein
Vater, wenn ich nicht irre, Aufſeher uͤber das da-
ſige Zuchthaus geweſen iſt. Einer von ſeinen Bruͤ-
dern hatte die Rechte ſtudiert, und war in Eiſe-
nach angeſtellt worden; dieſer aber hatte die Wund-
arzneykunſt gelernt, und kam ohngefaͤhr 1790 zu
dem Halliſchen Regiment als Compagniefeldſcheer,
oder wie ſie nachgehends heißen mußten, als Chi-
rurgus. Ich habe es nie recht verſtehen koͤnnen,
warum das gute deutſche Wort Feldſcheer,
welches jeder verſteht, einem griechiſchen Wort,
Chirurgus, weichen mußte: denn Chirurgus,
kommt her von χειϱ die Hand und ἐϱγον ein
Werk, oder eine Arbeit, und heißt weiter nichts, als
ein Kerl, der mit ſeinen Haͤnden etwas verrichtet:
nach der erſten Bedeutung des Wortes iſt alſo ein
Dieb, ein falſcher Spieler, ein Taſchenſpieler,
ein Bierfiedler, ein Ausfeger der heimlichen Ge-
maͤcher u. ſ. w. allemal ein Chirurgus: denn alle
dieſe Kerle betreiben etwas mit ihren Haͤnden; aber
das deutſche Feldſcheer kommt ſolchen Burſchen,
und uͤberhaupt niemanden als einem Wundarzt zu.
Doch dieſes will ich nur ſo im Vorbeygehn ange-
merkt haben.


Premßler kam zum Halliſchen Regiment als
Chirurgus, und wurde nach der Entweichung des
windigen Herrn Haupt bey der Compagnie an-
Laukh. Leben 5ter Theil. L
[162] geſtellt, wobey ich damals als Soldat ſtand. Ich
ward ſehr bald mit ihm bekannt, und von der er-
ſten Zeit unſrer Bekanntſchaft waren wir unzer-
trennliche Freunde. Wir liebten beyde muntere
Geſellſchaften, und muntere Unterhaltung, und
ſo trafen wir uns faſt taͤglich auf dem Rathskeller
oder bey Sander in den neuen Haͤuſern, oder ſonſt
wo luſtige Leute zuſammen kamen, und ſich die
Zeit vertrieben. Ich will nicht ſagen, daß Premß-
ler ein Freund von der Voͤllerey und andern Aus-
ſchweifungen geweſen ſey: ſelten, ſehr ſelten ſahe
ich ihn betrunken. Sein Umgang war angenehm,
wenn er aber jemand, beſonders ein Frauenzimmer,
herumholen wollte, wußte er ſeinen Gegenſtand
ſo huͤbſch aufs Korn zu nehmen, daß ihm die
Augen haͤtten uͤbergehen moͤgen. Meiner damali-
gen Wirthin, der Frau Gruneberg, ward es im-
mer Angſt und bange, wenn Premßler in ihr Zim-
mer trat, und ein frommes Geſpraͤch mit ihr an-
fing, welches ſich immer auf Sarcasmen endigte.


Als wir 1792 ins Feld zogen, blieb Premßler
bis Coblenz bey der Compagnie, und vertheidigte
mich in Gießen gegen den groben Muͤller, der mich
bey meinem Hauptmann verklagt hatte: denn die
groben Flegel, ſo grob und impertinent ſie auch
immer ſeyn moͤgen, wollen es doch nicht leiden,
daß man ihnen den kompetenten Namen gebe, und
[163] ſie grobe Flegel heiße. In Coblenz ward mein
Premßler dem Generalchirurgus bekannt, und die-
ſer verſezte ihn zum Feldlazareth, wo er auch bis
an das Ende des Kriegs geblieben iſt. Ich ſah
ihn dieſe Zeit uͤber nur ſelten, da ihm ſeine Ge-
ſchaͤfte nicht erlaubten, weite Turen zu unter-
nehmen. Als ich 1795 wieder nach Halle kam,
fand ich meinen Freund Premßler daſelbſt, und
nun wurde unſer Umgang wie ehedem fortgeſetzt.
Wir waren faſt taͤglich beyſammen, vorzuͤglich auf
der Mail und auf dem Keller, wo ſeit 1796 un-
ſer gemeinſchaftlicher Freund, Herr Heynemann,
Paͤchter war.


Premßler war in der Stadt als ein geſchickter
Mann bekannt, und viele Leute bedienten ſich ſei-
nes Raths und ſeiner Huͤlfe in Nothfaͤllen. Ein
gewiſſer Herr von Adel, der damals hier ſtudierte,
hatte ſich bey einem inficirten Maͤdchen ſo verdor-
ben, daß er weder gehen noch ſtehen konnte.
Premßler curirte ihn gluͤcklich. Der gnaͤdige Herr
ließ ſich die Rechnung machen, fand ſie billig,
und verſprach nicht nur bald zu bezahlen, ſondern
noch obendrein ein gutes Praͤſent zu geben. Premß-
ler erzaͤhlte mir dieß, und meynte, nun waͤre es
ſchon ſo gut, als wenn er ſein Honorar und das
Praͤſent ſchon wirklich in Haͤnden haͤtte. Ich
kannte aber die Studenten beſſer, und beſonders jene,
L 2
[164] welche dicke thun, und mehr zu geben verſprechen,
als ſie ſchuldig ſind, und deßwegen rieth ich Premß-
lern, auf die Bezahlung ſeiner Schuld zu dringen,
da der Herr von Adel, den er curirt hatte, ohne-
hin bald abgehen wuͤrde. Premßler lachte mich
aus, und war ohne Sorgen. Endlich hieß es auf
einmal, Herr von — ſey abgefahren, wie die
Katze vom Taubenſchlag, und habe ſeinen ganzen
Wechſel mitgenommen. Premßler war nun ſehr
uͤbel dran; denn er hatte die Arzney in der Apo-
theke auf ſein Conto genommen, und mußte den
Apotheker bezahlen. Er ſchrieb drey Briefe an
den ſaubern Kumpan, aber nie erhielt er eine Ant-
wort. Endlich ſchrieb er einen derben Brief, und
drohte, den ſchoͤnen Herrn zu verklagen. Nun
kam Antwort, aber eine ſolche, wie ſie von einem
Niedertraͤchtigen nur erwartet werden kann. Herr
Premßler habe ohne Erlaubniß der Obrigkeit an-
dern angeſtellten Aerzten ins Handwerk gegriffen:
er moͤge immerhin klagen, wenn er Geld fuͤr Pro-
zeßkoſten wegzuſchmeißen habe u. ſ. w. Da ſtand
nun mein guter Premßler, und krazte ſich hinter
den Ohren, ich aber rieth ihm zu ſchweigen: denn
auf jeden Fall haͤtte er Unkoſten gehabt, und waͤre
am Ende doch durchgefallen. Fuͤr Fuhren nach
Lauchſtaͤdt, fuͤr Reiſen auf die Meſſe zu Leipzig,
fuͤr die Unterhaltung eines luͤderlichen Maͤdchens
[165] hatte der feine Herr Geld genug, ſo wie fuͤr das
Spiel im Doſtiſchen Keller, aber keins fuͤr den
Arzt, der ihm die franzoͤſiſche Krankheit curirt
hatte. Pfuy Teufel!!


Um Premßlers naͤhere Umſtaͤnde hatte ich mich
nie bekuͤmmert: denn es iſt uͤberhaupt meine Ge-
wohnheit nicht, in die Geheimniße meiner Freunde
einzudringen. Eines Tages gingen wir ſpazieren,
und da entdeckte er mir, daß er ſchon laͤngſt mit
einem Maͤdchen aus dem Weimarſchen bekannt
ſey, und daß er großen Luſten habe, das Maͤdchen zu
ſeiner Frau zu machen, es ſey gar ein liebes gutes
Kind, heiße Julchen, habe blaue Augen, einen vollen
Buſen etc. etc. Ich billigte ſein Vorhaben. „Ja,
antwortete er, wenn das Ding nur ſo gleich gehn
koͤnnte: der Alte, ihr Vater, iſt ein komiſcher
Kerl, der verlangt, ich ſolle Medicin ſtudieren —


Ich. Ih nun, die haſt Du ja ſtudiert.


Premßler. Aber nicht handwerksmaͤßig,
das heißt, ich habe keine Collegia als Student ge-
hoͤrt, und da kann ich nicht Doctor werden. Der
Alte will aber, daß ſein Tochtermann ein Doc-
tor ſey.


Ich. Der Alte iſt ein Haſenfuß. Grade als
wenn man kein geſchickter Arzt ſeyn koͤnnte, ohne
das elende Doctordiplom.


[166]

Premßler. Haſt Recht, aber was hilft das
mir. Er iſt der Vater meiner Braut, und wenn
er nicht will, wird aus der ganzen Sache nichts.
Doch habe ich noch einen Vorſchlag; ich will mir
eine Barbierſtube in meinem Lande anſchaffen,
vielleicht, daß er alsdann ſeinen Conſens giebt.


Er ſchrieb an den Vater ſeines Maͤdchens, die-
ſer antwortete aber nicht ſo, wie er es wuͤnſchte,
und nun entſchloß ſich der arme Teufel, ſelbſt hin-
zureiſen, und ſeine Sachen muͤndlich auszumachen.
Er fand weder bey ſeinem kuͤnftigen Schwiegerva-
ter noch bey ſeinen Anverwandten viel Troſt, und
kam mißmuthiger zuruͤck, als er weggereiſt war.
Gegen ſeine vertrauteſten Freunde war er verſchloſ-
ſen, und nur dann und wann ließ er ein Wort fal-
len, woraus man ſchließen konnte, was in ſeinem
Innern vorging. Einſt ſaß ich neben ihm auf
dem Rathskeller, und ein gewiſſer Buͤrger erzaͤhlte
mir die Haͤndel, worin ihn ſein eigner Bruder ge-
bracht hatte, und ſchloß mit den Worten: daraus
koͤnnen Sie ſehen, das mein Bruder ein eingemach-
ter Bengel iſt. „Vielleicht, fiel Premßler ein,
iſt Ihr Bruder noch lange ſo kein Bengel als der
Meinige.“ Hieraus ſchloß ich, daß er zu Hauſe
ſehr beleidigt worden ſeyn muͤße.


Da wir gewohnt waren, bey unſern Zuſam-
menkuͤnften mitunter von ernſthaften Dingen zu
[167] reden, brachte Premßler ſo wie von ohngefaͤhr das
Geſpraͤch auf den Selbſtmord, oder wie man rich-
tiger ſagen ſollte, die Selbſttoͤdtung und beſtritt mich
immer, wenn ich meine Meynung vertheidigte, daß
der Selbſtmord in ſehr vielen Faͤllen erlaubt ſey,
und in einigen ſogar Pflicht werden koͤnne. Einſt
warf er mir ein, daß die Verbreitung einer ſolchen
Lehre ſehr vielen Schaden ſtiften koͤnne. Im ge-
geringſten nicht, erwiederte ich: wer ſo weit
kommt, daß er ſein Leben haſſet und ſein Daſeyn
muthig verabſcheut, der wird ſich hinrichten,
und allen theologiſchen und philoſophiſchen So-
phismen fuͤr das Gegentheil kein Gehoͤr geben:
wer aus Melancholie ſich ermorden will, hoͤrt oh-
nehin auf keine Gruͤnde; und wer endlich ſein Le-
ben lieb hat, oder ſonſt den Tod fuͤrchtet, toͤdtet
ſich nicht, und wenn Du ihm noch ſo ſtark bewei-
ſeſt, daß es erlaubt ſey, oder daß er ſich in ſeinem
jetzigen Fall hinrichten muͤſſe. Ueber ſolche Mate-
rien diſputirt man bloß, damit die Zeit hingehe,
obgleich das Pro und das Contra weder nutzen noch
ſchaden kann.


Spaͤt im Herbſt 1799 blieb ich Abends bis um
eilf Uhr auf dem Rathskeller: Premßler war auch
zugegen, und als ich weggehen wollte, bat er mich,
ihm noch Geſellſchaft zu leiſten. Ich ließ mir
leicht zureden, und ſo ſaßen wir dann beyſammen
[168] bis gegen ein Uhr. Auf dem Nachhauſegang war
Premßler ſehr aufgeraͤumt, und da Gebhards La-
den noch offen war, traten wir ein, und machten
einen Schnapps. Das Geſpraͤch kam auf ſein
Maͤdchen, und Premßler aͤuſſerte, daß er ſie ganz
vergeſſen habe, es ſey einfaͤltig, ſich an ein Maͤd-
chen zu draͤngen, zu welchem man nicht mit Be-
quemlichkeit kommen koͤnne. Wir gingen hierauf
fort, und jeder begab ſich nach Haus. Den fol-
genden Tag — es war ein Montag — begegnete
mir Premßler um eilf Uhr Vormittags, und fragte
mich, ob ich mit auf den Keller gehn wolle? Ich
ſchlug es aus, weil ich nothwendig ſonſtwohin ge-
hen mußte.


Gleich nach zwoͤlf Uhr kam das Geruͤcht, der
Chirurgus Premßler habe ſich ſelbſt erſchoſſen.
Ich erſchrack, und um mich von der Wahrheit der
Sache zu uͤberzeugen, lief ich hin, und fand mei-
nen Freund in ſeinem Blute liegen. Er hatte ſich
mit einer bloßen Ladung Pulver in den Mund ge-
ſchoſſen.


Daß er ſchon lange mit dem Gedanken, ſich
ſelbſt zu toͤdten, muͤſſe umgegangen ſeyn, erhellet
daher, daß er ſich ſchon vierzehn Tage vorher die
Jagdflinte, womit er ſich entleibte, von einem
Studenten, Namens Ballo, geborgt hatte. Auf
ſeinem Tiſche fand man einen Brief an Hn. Ein-
[169] kauf, und dann eine kurze Lebensbeſchreibung,
welche er bat, dem bekannten Herrn Dreyßig zu-
zuſtellen, damit dieſer ſie moͤgte abdrucken laſſen:
denn Premßler wußte ſehr wohl, daß Dreyßig dieſe
Gelegenheit benutzen wuͤrde, um einen Bogen ins
Publikum zu ſchicken, um nun zu verhuͤten, daß
Dreyßig Unwahrheiten auftiſchte, wollte er lieber
ſelbſt einen Aufſatz machen, der ohne Gefahr der
Luͤgen im Publikum erſcheinen koͤnnte. Herr
Dreyßig hat wirklich einen Bogen uͤber Premßlers
Selbſtmord herausgegeben, und das Andenken
deſſelben, ſo viel an ihm war, geprangert. Deſto
edler aber handelten Premßlers Vorgeſetzte: ſie
ließen ihn begraben, und zwar ſo auf den Gottes-
acker, als wenn er ſua morte geſtorben waͤre. Alle
gute Menſchen, welche Premßlern naͤher gekannt
hatten, bedauerten ihn, aber einige Firlefaͤnze,
welche gern raͤſonnirten, und alles zum Schlimm-
ſten kehren, gaben vor, Premßler habe ſich wegen
ſeiner Schuldenlaſt entleibt. Ich habe mich ſehr
genau nach allen ſeinen Schulden erkundigt, und
gefunden, daß nur etwan 34 Thaler hinreichend
geweſen waͤren, alle ſeine Contos zu tilgen.


Oſſa quieta precor, Premslere, quieſcere in
urna,
Et ſit humus cineri non oneroſa tuo!


[170]

Sechszehntes Kapitel.


Haͤndel mit den Juden. Geſpenſtergeſchichten.


Ich bin nie ein Freund der Juden geweſen, nicht
als verachtete und haßte ich ſie, weil ſie nicht
glauben, wie es die ſymboliſchen Buͤcher der lu-
theriſchen Kirchen vorſchreiben, oder weil ſie Je-
ſum nicht Herren heißen, ſondern deßwegen weil
ihre Religion ſo beſchaffen iſt, daß derjenige, wel-
cher ihr von ganzer Seele anhaͤngt, ein ganz un-
brauchbares Mitglied der Geſellſchaft ſeyn und blei-
ben muß. Eine abgeſchmacktere und zugleich into-
lerantere und ſtolzere Religion als die juͤdiſche iſt,
kann es gar nicht geben, daher koͤnnen auch die
Juden niemals uͤber Intoleranz klagen, wenn ſie
verfolgt werden. Konnte wohl Calvin uͤber Into-
leranz ſich beſchweren, wenn er den Catholiken in
die Haͤnde gefallen und auf den Scheiterhaufen ge-
ſetzt worden waͤre? Er hatte ja ſo ein Traktament
dem braven und gelehrten Servet anthun laſſen.
Man nehme an, Juden waͤren die Eroberer von
[171] Amerika geweſen, und fragte ſich, ob ſie es wohl
wuͤrden beſſer gemacht haben, als Pizarro und
Cartez? Pizarro und Cartez, und wie jene Bar-
baren noch ſonſt hießen, handelten aber gradezu
als Schurken: denn ſie wußten, daß das was ſie
thaten, unrecht war; aber ſetzen wir, daß Juden
Amerika erobert haͤtten, und es noch aͤrger gemacht
haͤtten als Pizarro und Cartez, ſo konnten dieſe
Juden immer ehrliche und rechtſchaffne Leute blei-
ben: denn ſie thaten weiter nichts, als was ihre
Religion erlaubte, oder vielmehr von ihnen heiſchte.
Schon in den Moſaiſchen Buͤchern kommen haͤufige
Geſetze vor, daß alle Heyden, d. i. alle Nichtju-
den, wozu auch die Chriſten gehoͤren, ausgerottet
werden ſollen, und zwar ſo, daß das Kind in ſei-
ner Mutter Leib nicht moͤge verſchont werden. Daß
die Juden dieſe unmenſchlichen Befehle nur zu treu-
lich ausgefuͤhrt haben, lehren die hiſtoriſchen Buͤ-
cher des alten Teſtaments, und ſogar die Pſalmen
ſelbſt. Es iſt daher auch kein Wunder, daß meh-
rere gutgeſinnte Menſchen das Alte Teſtament von
einem gewiſſen dem menſchlichen Geſchlecht auf-
ſaͤtzigen und gehaͤſſigen Daͤmon herkommen ließen,
den ſie den Judengott nannten. Als der be-
kannte Schwaͤrmer Barchocab oder Barchoc-
bas unter der Regierung des K. Hadrianus die
Juden verſammelte, und in Orient das jaͤmmer-
[172] liche Spectakel anfing, ſchlugen die ſanften Kin-
der Iſraels viele tauſend Heyden und Chriſten todt,
und dieß deßwegen, weil es Gott ſo haben wolle.
Zu unſern Zeiten koͤnnen zwar die Leutchen Lehren
dieſer Art nicht mehr gelten machen, aber die Leh-
ren ſelbſt ſind noch immer da, wie kein orthodoxer
Hebraͤer in Abrede ſeyn wird. Daß uͤbrigens die
Juden dem Staate ſtets ſchaͤdlich und niemals
nuͤtzlich ſind, im allgemeinen naͤmlich, haben
ſchon viele Staatskundige Maͤnner hinlaͤnglich be-
wieſen: da ſie nichts treiben, als Wucher, ſo muͤſ-
ſen ſie auch immer ſchaden. Man hat zwar aller-
hand Vorſchlaͤge gethan, die unter den Chriſten
wohnenden Juden zu verbeſſern, aber alle dieſe
Vorſchlaͤge muͤſſen durchaus nnfruchtbar bleiben,
weil die Religion dieſen Leuten verbietet, ſich ver-
beſſern zu laſſen.


Ich habe mich mehrmals in meinen Schriften
uͤber Juden und Judenthum erklaͤrt, und dieſe eben
nicht gar ſanfte Erklaͤrungen waren unſern hieſigen
Juden bekannt geworden, und dieſe hatten daher
keinen geringen Haß auf mich geworfen, woruͤber
ich mich aber ſehr wenig bekuͤmmere: denn einem
graddenkenden Menſchen muß es einerley ſeyn, ob
ihn ſo ein Mosjeh Schacher- oder Wechſelhans an-
freundet oder anfeindet. Eines Tags kam ich auf
[173] den goldnen Loͤwen, um daſelbſt einen Magdebur-
giſchen Handelsmann, Herrn, Raack aufzuſuchen.
Wir ſetzten uns zuſammen, und, ich weiß nicht wie,
das Geſpraͤch kam auf die Juden. Hayman, der
Judenvorſteher, Wolf und noch ein Iſraelit, deſ-
ſen Namen mir entfallen iſt, waren gegenwaͤrtig:
dieſe nahmen die Parthey ihrer Nation, aber auf
die allerkomiſchte Weiſe. Sie meynten, da es
unter den Chriſten ſelbſt ſo viele falſche Wechſel-
ſchmiede, Betruͤger und Spitzbuben gaͤbe, ſo muͤſſe
den Juden auch erlaubt ſeyn, falſche Wechſel zu
machen, zu betruͤgen und zu ſpitzbuͤbern. Unter den
Chriſten gaͤbe es viele Taugnichtſe, die auch bloß
verzehrten, ohne das Geringſte fuͤr das Beſte der Ge-
ſellſchaft zu arbeiten, und daher koͤnne man es den
Juden nicht verdenken, wenn ſie alle Taugenichtſe
waͤren u. ſ. w. Der Diſputat erhitzte ſich, und es
kam zu Invectiven, und zwar zu ſo kraͤftigen, daß
die Juden hoch und theuer ſchwuren, mich zu ver-
klagen. Sie haben aber nicht Wort gehalten, viel-
leicht weil ſie befuͤrchteten, es moͤgten in dem Pro-
zeſſe gewiſſe Stuͤckchen durch mich an den Tag ge-
bracht werden, deren Publicitaͤt ihnen unangenehm
ſeyn koͤnnte. Seit jener Zeit gruͤßt mich kein Jude
mehr auf der Straße, und der alte, unbeholfne
Hayman weicht mir allemal ſehr weit aus, wenn
er mir begegnet.


[174]

Ich geſtehe indeſſen ſehr gerne, daß es viel
rechtſchaffne und brave Maͤnner unter denen giebt,
welche Juden heißen: daß dieſe aber keine wahren
Juden ſind, und folglich von mir nicht gemeynt
werden, verſteht ſich von ſelbſt.


Ein Geſpenſtergeſchichtchen, welches mir im
Februar 1800 erzaͤhlt wurde, darf ich hier nicht
unberuͤhrt laſſen. Ich hatte einem beguͤterten Land-
mann 4 ½ Stunde von hier einige Dienſte geleiſtet:
der Mann bat mich ſo oft, ihn einmal zu beſuchen,
daß ich endlich mich entſchloß, ein Paar Tage auf
dem Dorf, wo er wohnte, zuzubringen. Es war
ſchon ein alter Mann von 72 Jahren; ſein einzi-
ger Sohn war laͤngſt geſtorben, wie auch ſeine
Schwiegertochter, aber der Sohn ſeines Sohnes
wohnte bey ihm im Hauſe, und dieſen jungen
Leutchen hatte er ſein Gut uͤbergeben. Der Alte
ſowohl, als die Jungen, erwieſen mir alle Freund-
ſchaft, und wollten mich laͤnger bey ſich behalten,
als ich mir vorgenommen hatte zu bleiben. Ueber
dem letzten Fruͤhſtuͤck, welches wir mit einander
einnahmen, kam unſer Geſpraͤch auf die Geſpen-
ſter, ich weiß ſelbſt nicht wie, und da wurden ei-
nige Hiſtoͤrchen aufgetiſcht, welche jedesmal ei-
nen laͤcherlichen Ausgang gehabt hatten.


Ja, fing endlich der alte Mann an, da meine
Schwiegertochter, die hat Kuraſche, die fuͤrchtet
[175] ſich vor keinem Geiſt, ſonſt haͤtte ſie meinen Sohn
nicht. „O ſchweigt doch, Vater,“ fiel die junge
Frau ein. Ich ward begierig, was der Alte ſa-
gen wollte, und bat ihn, zu erzaͤhlen, aber die
junge Frau hielt ihrem Schwiegervater den Mund
zu, als er eben anfing, meine Neugierde zu be-
friedigen. Endlich riß dem Alten die Gedult; er
machte ſich mit Gewalt los, und ſagte halb aͤrger-
lich: laß mich immer erzaͤhlen, dann ſieht doch
der Herr, daß du dich vor Geiſtern nicht fuͤrch-
teſt, dumme Triene. Hierauf wendete er ſich zu
mir, und fuhr fort: Ja ſehen Sie, da mein Toͤf-
fel war kaum achtzehn Jahr alt, ſo machte er ſchon
Liebſchaft mit meines Nachbars Tochter, die da
druͤben auf der andern Seite am Kirchhofe oder
Gottesacker wohnt. Ich merkte den Handel gar
bald: denn ſo ein junger Schlapps verſtehts
noch nicht, und kann unſer einen auf keinen Fall
betruͤgen. Mir gefiel das Ding nicht; ich hatte
ein ander Maͤdel fuͤr meinen Jungen; die war
aber noch zu jung, aber mein Toͤffel war auch
noch nicht veraltert, und konnte noch warten.
Aber Toͤffel lag alle Tage bey ſeiner Roͤſe; das
verbat ich ihm, und doch ließ ers nicht. Da ging
ich zum Vater von Roͤſen: Gevatter, ſagte ich,
mein Junge laͤuft Eurer Tochter nach, das iſt
aber nichts, und daraus kann Spitakel werden;
[176] ich wills einmal nicht haben, und Ihr ſeyd ein
geſcheider Mann, als daß Ihr uns Eure Tochter
aufdringen ſolltet. Was, ſagte der alte Curt,
mein Nachbar, ich Euch meine Tochter aufdrin-
gen? Tauſend Sakkerment, wenn ich nicht wuͤßte,
daß Ihr aus guter Meynung ſpraͤcht, Gevatter,
ich ſagte Euch ins Angeſicht hinein, Ihr waͤret
ein Eſel und ein Hunzfott, verſteht Ihr mich, Ge-
vatter. Aber ſo meynt Ihrs gut, und ich meyne
es auch gut: ich verſpreche Euch, den Umgang
Eures Sohns mit meiner Tochter zu hindern, wie
und wo ich kann, aber Ihr muͤßt Euern Toͤffel
auch kurz halten.


Dieſer Abrede zufolge hielt ich meinen Toͤffel
kurz, und als ich erfuhr, daß er dem Maͤdel im
Feld nachgegangen war, kalaſchte ich ihn tuͤchtig
durch, und verbot ihm den Umgang mit dem Maͤ-
del von neuem. Mein Nachbar Curt that daſſelbe
bey ſeiner Tochter, und nun glaubten wir, haͤtten
wir das Unſrige gethan, und es wuͤrde weiter kein
Spitakel werden. Ja, huͤte einer einen Sack voll
Floͤhe! Alle Abende viſitirte ich meinen Sohn, wie
ein Corporal ſeine Soldaten viſitirt, ob er auch
huͤbſch zu Hauſe ſey: ich fand ihn allemal.


Nun gings Geſpraͤch im Dorf herum, auf dem
Gottesacker ginge ein Geiſt: die Nachbarn woll-
ten ihn geſehen haben, aber keiner hatte das Herz,
den
[177] den Geiſt naͤher zu pruͤfen: unſer Paſtor ſelbſt, dem
wir es vorſtellten, ſagte, es koͤnnte wohl ſeyn,
daß auf dem Gottesacker ein Geiſt ginge, man
muͤſſe ſich aber davor nicht fuͤrchten; gute Geiſter
thaͤten einem nichts, und boͤſe koͤnnten einem nichts
thun, und doch traute ſich der Paſtor nicht hinzu-
gehen, um dem Geiſt aufzupaſſen.


Eines Abends war ich in der Schenke mit
meinem Nachbar Curt, da wurde auch von dem
Geſpenſt auf dem Gottesacker geſprochen, und
die Leute machten allerhand Gloſſen daruͤber.
„Donnerwetter, fing ein fremder Huſar an, wel-
cher bisher ganz ſtill da geſeſſen, und zugehorcht
hatte: das Spoͤkeding *) moͤgt ich doch auch ſehen!“


Curt fragte ihn, ob er an Spoͤkedinger glau-
be? „Warum nicht gar, erwiderte der Hu-
ſar! Hab mein Tag an ſolche Narrendinger nicht
geglaubt, an ſo was glaubt nur ein Dummkopf,
ein Bauer, eine alte Vettel, oder ein Eſel, wie
Euer Paſtor iſt.“ „Na dann, ſagte Curt, wollt
ich ihm nicht rathen, hinzugehen und das Spoͤke-
ding aufzuſuchen. Wer an Spoͤkedinger nicht
glaubt, ſieht entweder gar nichts, oder das Spoͤ-
Laukh. Leben 5ter Theil. M
[178] keding ſpielt ihm einen Poſſen, daß er genug dar-
an hat.“


„Kreuz Bataillon, ſchrie der Huſar, kommt
mir nicht ſo, Nachbar Curt? Das Ding will ich
ſehen, und wenns der Teufel ſelbſt waͤre. Um
wie viel Uhr kommts dann auf den Gottesacker?“


Man ſagte ihm, daß es gleich nach Eilfen kaͤme,
der ließ ſich alſo noch eine Kanne Bier geben, und
ging auf den Schlag Eilf fort, nachdem er uns
verſprochen hatte, wieder zu kommen.


Wir warteten bis drey viertel auf zwoͤlf, aber
es kam kein Huſar: ha, ſagte Nachbar Curt, dem
hat gewiß das Spoͤkeding einen Streich verſetzt;
kommt laßt uns zuſehen. Wir gingen, aber nicht
ohne Herzklopfen, nach dem Kirchhof, und ſiehe da,
der Huſar ſtand dort und expoſtulirte mit dem Spoͤ-
keding, welches er feſthielt. Wir vernahmen
deutlich, daß der Huſar das Ding mitnehmen
wollte, aber das Geſpenſt bat vor Gott, und nach
Gott, er ſolle es gehen laſſen. Nun kriegten wir
alle Kuraſche, und gingen darauf los, und als
Gott den Schaden beſah, war es — Nachbar
Curts Tochter, die Roͤſe. „Schwerenoth, ſchrie
Curt, was machſt Du hier? Du verfluchter Beſen,
Dich ſoll ja ein Gewitter regieren!“ Mit dieſen
Worten griff er das Maͤdel an, und kalaſchte ſie
derb durch; ich glaube, er haͤtte ſie zu Schanden
[179] geſchlagen, wenn der Huſar ſich nicht drein gelegt
haͤtte.


Den andern Tag kam Curt zu mir. „Hoͤrt,
Nachbar, ſagte er, ich habe Euch was zu ſagen,
aber Ihr muͤßt ja nicht boͤſe werden. Meine Toch-
ter der verfluchte Nickel, hat mir alles geſtanden.
Nachdem der Umgang mit Euerm Toͤffel verbo-
ten war, durften ſie ſich nicht mehr oͤffentlich bey
einander ſehen laſſen, und da fiel ihnen ein, des
Nachts zuſammen zu kriechen. Euer Toͤffel ſollte
zu Roͤſen kommen, aber der fuͤrchtete ſich vor den
Todten auf dem Kirchhof; Roͤſe hatte mehr Herz
und kroch zu Toͤffeln: ſie hing allemal einen
Laken um, und da waren wir dumm genug, das
Maͤdel fuͤr ein Spoͤkeding anzuſehen. Heut hat
das Thier alles gebeichtet, und ſiehe da, die Ca-
naille iſt ſchwanger. Was wollt Ihr nun thun,
Nachbar? Wir waren doch immer gute Freunde.
— Was wollt ich machen, fuhr mein Landmann
fort? Der Spitakel war einmal gemacht: ich
hunzte meinen Toͤffel tuͤchtig ab, doch gab ich mei-
ne Einwilligung, und nun ſind die Leutchen ſchon
lange Mann und Weib.


Uebrigens muß ich von unſern Landleuten nahe
bey Halle anmerken, daß der Aberglaube unter
ihnen wenig mehr herrſcht, und daß ſie bey weitem
M 2
[180] vernuͤnftiger denken, als jene Pfaffen in der Pfalz,
welche vom Schlappohr, vom Muhkalb und von
andern Ungethuͤmen, ſogar auf der Canzel pre-
digen. Im Mansfeldiſchen trift man hier und
da noch den groͤbſten Aberglauben an; da giebts
Kerle, welche im Lande herumziehen, und den
Hoͤllenzwang des beruͤchtigten Doktor Fauſts, die
Clavicula Salomonis, und anderes dummes Zeug
aufſuchen, um die Schaͤtze auf dem Mansfelder
Schloß, wo niemals Schaͤtze waren, mit Huͤlfe
der Geiſter aufzuſuchen, und ein abgefeimter Kerl
zu Eiſenberg, welcher aber auch ſelbſt in Halle ſei-
nes Gleichen hatte, verſieht dieſe betrogenen Be-
truͤger mit derley Raritaͤten. Ferner giebts im
Mansfeldiſchen Hexen, Nixe u. d. gl. und wer
den Fratzen widerſpricht, den haͤlt der Poͤbel fuͤr
einen Wahnſinnigen, oder fuͤr einen Freygeiſt. In
Helfta, einem Dorfe bey Eisleben, lebt eine Frau,
oder hat doch noch vor kurzem gelebt, welche einen
Kobold, oder nach der dortigen Ausſprache, einen
Kowelt hatte, der ihr mit Spinnen und Stricken
das Brodt verdienen mußte! Das muß ein miſerabe-
ler Kerl von Teufel ſeyn, der ſeinen Clienten mit ſonſt
nichts helfen kann, als mit Spinnen und Stricken.
Der Herr Paſtor Baͤhrends zu Helfta iſt zwar
nichts weniger, als ein Freund des Beelzebubs und
ſeines Anhangs, aber ſeine Predigten wider den
[181] Aberglauben haben doch die Kobolde, die Nixen,
den Berggeiſt u. d. gl. bis jetzt nicht verſcheuchen
koͤnnen.


Siebenzehntes Kapitel.


Nordhauſen.


Meine Buͤcher, beſonders meine Lebensbegeben-
heiten, waren auch nach Nordhauſen gekommen,
und daſelbſt fleißig geleſen worden. Im Herbſt
1800 kam Hr. Schulze, welcher hier in Halle die
Rechte ſtudierte, auf meine Stube, und lud mich
im Namen ſeines Vetters, des Herrn Juſtizcom-
miſſars Lange, nach Nordhauſen ein, und ver-
ſicherte mich zugleich, daß ich viel Goͤnner daſelbſt
habe, welche es gerne ſehen wuͤrden, wenn ich da-
hin kaͤme.


Wer mich kennt, der denkt hierbey gleich, daß
dieſe Einladung mir ſehr willkommen war: denn ich
bin nie lieber, als wo man mich gerne ſieht, und
haſſe alle Oerter, wo ich Leute vermuthen kann, die
Etwas an mir zu tadeln und auszuſetzen finden.
[182] Nicht als wenn ich nicht das Herz haͤtte, ſolchen
Recenſenten unter die Augen zu treten: denn ich
weiß allemal, daß auch ſie, die Herren und Da-
men, ihre recenſionsfaͤhige Fehler und Maͤngel an
ſich haben, und auf allen Fall beſſer thun wuͤrden,
ſie kehrten vor ihrer Thuͤre, und zaͤhlten erſt ihre
Schulden, ehe ſie die meinigen, welche ſich doch
de facto nicht uͤber dreyßig Thaler belaufen, bey
jedem, der mir helfen koͤnnte, auseinander ſetzen,
und die Leute vor mir warnen. Heute, da ich die-
ſes ſchreibe, ſagte mir ein Buͤrger aus unſerer Stadt,
Hr. – — habe geſagt: ja, wenn Laukhard heute
noch ſtirbt, ſo ſind alle, die Etwas an ihn zu for-
dern haben, rein betrogen. „Ja, hatte ſeine Frau,
die Madame dazu geſetzt, wenn Laukhard krepirt,
ſo ſind alle ſeine Schuldner beſchiſſen.“ Ich wie-
derhole dieſe ſchoͤnen Reden, die troz ihrer zotolo-
giſchen Beſchaffenheit, doch ſchoͤn ſeyn muͤſſen,
weil ſie aus einem ſchoͤnen Munde kommen, und
wuͤnſche, daß meine Leſer ſie auch ſchoͤn finden
moͤgen. Aber wie, wenn der Herr — — heute
ſtuͤrbe, oder nach ſeiner Madam Dialekt, krepirte,
um wie vieles wuͤrden dann die Herren in Halle
und auſſerhalb Halle betrogen und beſchiſſen wer-
den? Doch was geht mich das weiter an? Kommt
Zeit, kommt Rath; und ſterbe, oder krepiere ich
uͤber kurz oder uͤber lang, ſo wird die Noth der Welt
[183] wenigſtens durch meine Schulden nicht ver-
mehrt werden.


In Nordhauſen hoffte ich huͤbſche Bekannt-
ſchaften zu machen, und nahm die Einladung mit
Freuden an. Ich ſchrieb an den Herrn Juſtizcom-
miſſar Lange, daß ich zu Weyhnachten erſcheinen
wuͤrde, und dieſer Biedermann antwortete mir
gleich mit umgehender Poſt, daß ich ihm ein will-
kommener Gaſt ſeyn ſollte.


Einige Tage vor Weyhnachten kam Abends Hr.
Schulze und ſagte mir, daß ich mich fertig ma-
chen muͤße: denn ſchon den folgenden Tag wuͤrde
die Reiſe nach Nordhauſen vor ſich gehen. Ich
war ſehr uͤbel berathen: denn es fehlte mir am Be-
ſten, wie die Hallenſer ſagen, oder ich hatte Mo-
ſen und die Propheten nicht, wie es nach einem
andern Dialekt heißt, oder ich war ſans Spieß,
und ganz niedertraͤchtig auf dem Hund, wie ſich
unſre Herren Studenten in ihrer kernigten erhabe-
nen Sprache ausdruͤcken, welche niemand verſteht,
als ſie ſelbſt und die, welche mit ihnen umgehen,
wohin Herr Zacharias Schmid in Reideburg vor-
zuͤglich gehoͤrt. Aber es wurde Rath geſchafft.


Herr Wolf, der Vetter unſers Wolfs — man
merkt wohl, daß ich von τω πανυ dem Philolo-
gen Wolf rede, welcher ſeit ſeiner Exiſtenz auf der
halliſchen Akademie dieſer mehr Nutzen, und im
[184] Ausland ‚mehr Ehre verſchafft hat, als alle‛ die,
welche nach Chriſtian Thomaſius hier gelehrt
haben.


Große Maͤnner hat Halle zu allen Zeiten gehabt,
und die unſterblichen Verdienſte der Boͤhme, Guud-
ling, Heineccius, Baumgarten, und einiger ande-
rer waren mir ſchon bekannt, ehe ich nach Halle
kam; aber da traf ich den großen Semler, den
beſſernden Noͤſſelt, den in omni jure vel curatiſſi-
mum
Woltaͤr; einen Karſten, einen Knapp — Gei-
ſter meiner Lehrer, und Sie noch im Leben, Sie,
großer Woltaͤr, und ſie reinlehrender Noͤſſelt, ver-
zeihen Sie, daß ich Ihre Namen in dieſem Bu-
che hinſchreibe! Sie vergeben mir gewiß [...] aber
die Recenſenten? Je nun! die Burſche muͤſſen ſich
gefallen laſſen, was vor ihre Guckaͤuglein faͤllt,
ſo wie ſich das liebe Publicum muß gefallen laſſen,
was die Burſche demſelben jede Woche vorrecenſi-
ren, id eſt, vorgakeln wollen. Habeant ſibi, ſagte
ehemals mein Rektor, und er hatte Recht: Waͤrt
Ihr nicht ſo dumm, dumme Jungensſtreiche zu ma-
chen, ſo wuͤrden andre dummen Jungen nicht ge-
reizt, Euch auszugerben. Tantum de recenſenti-
bus,
wenn ich werde angemerkt haben, daß der
Name Recenſent ein Crimen falſi in ſich ſchließt.


Dem Publicum bin ich aber Rechenſchaft ſchul-
dig: denn das Publicum lieſt mich. Alſo Sem-
[185] ler und Karſten ſind lange todt, aber in meiner
Seele leben ſie, die großen Maͤnner, ſo lange
meine Seele lebt!


Woltaͤr lebt noch; dieſer Redliche gab mir einſt
ſein Auditorium, daß ich darin die alte Ge-
ſchichte und die Begebenheiten der Roͤmer — Roͤ-
miſche Geſchichte haben wir noch nicht, leider! —
erklaͤren konnte. Karſten gab mir ſeine bisher
noch nicht erſetzte Lehrſtunden frey. Dank den
Maͤnnern!


Aber zuruͤck auf Wolf. — Seitdem Schulz
Halle verließ, lag alles Studium der Literatur gleich-
ſam wie begraben. Freylich las Schulz noch uͤber
die elende hebraͤiſche Ueberſetzung der chaldaͤiſchen
Fragmente Daniels: Herr Fabri, der Magiſter,
erklaͤrte freylich die Gedichte des Homerus aus
dem Homeromoſtix d. i. aus der elenden Verſion,
welche Hager beydrucken ließ, und ohne welche
Hr. Fabri ſeinen Text nicht hatte vertiren koͤnnen,
und dann aus eines, neſcio cujus, Clavis Home-
rica;
wenn ich nicht irre, war der Mosjeh ein
Schweizer. Ueberdem erklaͤrte, oder exponirte,
nach Waiſenhaͤuſer Art, Herr Gutz die Gedichte
des Horatins, und machte ſie moraliſcher —
durchs Evangelium. Niemeyer harangirte uͤber
einige Stuͤcke aus den griechiſchen Theaterdichtern,
und der Vortrag gefiel ſo ſehr, daß man nach ge-
[186] endeter Lection nicht wußte, was Herr Niemeyer
gewollt hatte: vom Griechen war gar keine Frage.


Nun kam Wolf, und auf einmal fielen die
Lectionen eines Fabri und Niemeyer. Jener warf
ſich in die Geographie, und erklaͤrte die Trachten
der Buͤrgerfrauen zu Nordhauſen, dieſer (hic —
ille Rhenii Gram. p.
97.) machte eine Anweiſung
zur Kinderzucht, genannt Paͤdagogik. Dieß Stu-
dium muß ganz trefflich ſeyn: denn wer nichts
lernen mag, ſtudiert Paͤdagogik, und kommt mit
Unwiſſenheit durch. Er war ja ein Schuͤler Nie-
meyers, et quis ad tanti hominis nomen non ad-
[ſt]upeſcat!!!
Hab ich doch Burſche gekannt, die
nicht menſa decliniren konnten, und doch Maece-
natis patrocinio
derbe Kerls geworden ſind! Exem-
pla ſunt odioſa;
glaubt aber jemand, hier ſey zu
viel geſchrieben, der melde ſich bey mir, und ich
werde ihm Rede ſtehen.


Nun kam Wolf! Die verwoͤhnte Magen der
Studenten konnten freylich Wolfs Gerichte nicht
verdauen; der Mann war weder ein eleganter Nie-
meyer, noch ein Lexicologus Fabri: er forderte
grammatiſche Kenntniß der Sprachen, damit die
Herren einſt auch das Zeug, d. i. den Inhalt des
Geleſenen verſtehen koͤnnten. So was war man
nicht gewohnt, das Wortding zu verſtehen, und
zu aufmerkſam auf das Sachding, oder vielmehr
[187] das Sachding erwartend, die Schofeley nachzukri-
tzeln, vergaß man ſogar, woruͤber geleſen wurde.
Hr. Molwude aus Magdeburg hoͤrte ein ganzes
Semeſter Hn. Niemeyers Vortrag uͤber den Ho-
merus, und hatte — kein Exemplar des Home-
rus: doch ſchrieb er fleißig nach, und fuͤllte taͤg-
lich 1 ½ Bogen mit — Unſinn. Videantur Nie-
meyeri Notae ad Homeri Carmina!!!


Ich ſelbſt las damals uͤber Theocritus Idyl-
len: aber wie erſchrack ich, als ich einer Lection
Wolfs beywohnte! Heyne, den großen Heyne hatte
ich gehoͤrt, aber was war Heyne gegen Wolf? Je-
ner gruͤndlich gelehrt in allem Alten und in allem
Schoͤnen, aber ohne kritiſchen Geiſt, dieſer eben
ſo gelehrt, oder noch gelehrter, und — mit kri-
tiſchem Auge guckend, betrachtend, aufnehmend.
Verzeiht, große Maͤnner, daß ich uͤber Euch ur-
theile; ich urtheile bloß fuͤr mich, fuͤr die Welt
urtheilt Euer Verdienſt!


Wolf aͤnderte das Studium der Hallenſer auf
die vortheilhafteſte Art. Mit einer koͤniglichen
Kleinigkeit that er Wunder; ihm und — zur —
ſeys geſagt — ihm allein gebuͤhrt das Anſehen
dieſer Akademie.


Welche Maͤnner ſind nicht ſchon aus Wolfs
Schule gegangen? Wer kennt nicht Fuͤlleborn,
Ideler, Rambach — wer kennt ſie nicht, die Edeln,
[188] die Gelehrten, die Verbreiter guter nuͤtzlicher
Keuntniſſe?


Vielleicht denkt der Leſer, ein naͤheres Intereſſe
mache mich ſo ſprechen. Vergieb Leſer, daß ich
Dich eines Irrthums zeuge. Haſt'n Tacitus gele-
ſen Lib. I. Hiſt. C, I, Galba, Otho, Vitellius nec
beneficio nec injuria mihi cogniti; dignitatem no-
ſtram a Veſpaſiano inchoatum a Tito auctam, a
Domitiano ulterius provectam non abnucrim; ſed
Incorroptam fidem profeſſis et ſine odio citraque in-
vidiam dicendus quisque eſt.
Ich citire dieſe Stelle
aus dem Gedaͤchtniß, da ich das Buch nicht zur
Hand habe. Aber wenn ich ohngefaͤhr ein und
das andre Wort falſch ſetze, ſo hoffe ich, daß man
mir verzeihen wird, wie den alten Kirchenvaͤtern,
die auch viele Stellen der Bibel anfuͤhren, wo
ſie nicht ſtehen, z. B. der große Origines citirt
den h. Paulus an die Galater, *) und doch ſteht
die von dem gelehrten Alexandriener angezogne
Stelle im Brief an die Roͤmer C. I. 17.


Doch ich bin ein dummer Kerl, will ein Buch
machen, das jeder leſen ſoll, und raͤſonnire von Kir-
chenvaͤtern. Doch iſt der Gedanke an Kirchenvaͤ-
ter nicht ganz unfruchtbar. Jener Jenaiſche Stu-
dent hielt die Kirchenvorſteher fuͤr Kirchenvaͤter,
[189] welche ihn verklagten, da er bey dem unſinnigen
Vortrag des Hn. Superintendent Oemler Tabak
geraucht hatte. Das war ja wohl ſo ein Stuͤck von
Sacrilegium, woruͤber Hr. Schnaibert, der Ex-
caplan, jetzt Profeſſor zu Jena, ſo viel zu ſchwa-
tzen weiß. Der Mann ſoll jetzt hoͤflicher ſeyn, als
im Jahr Domini 1787. Wohl ihm! Vielleicht hat
ihn das Maͤdchen ad numerum neſcio quem, be-
kehrt.


Aber wo bin ich denn? — Ja, ob mir Herr
Wolf beneficio oder injuria cognitus iſt? Nein,
meine Herren Leſer! Hr. Wolf iſt zwar mir dann
freundlich, wenn ich ihn um Freundſchaft bitte;
aber ſo iſt Herr Wolf gegen Jeden. — Buͤcher
hat mir Wolf genug geborgt, und zwar ſolche, die
nur Maͤnner von einander borgen, denn ich, da
ich Bach kenne, brauche Dobelows Rechtsge-
ſchichte nicht: ſo brauche ich auch den ſchulmei-
ſtermaͤßigen Commentar des Mosjeh Thormeyers
uͤber Ciceros LL. Offeiorum nicht, ſobald ich nur
meinen Heiſinger habe.


Es iſt uͤberhaupt eine ſchnurrige Sache mit
dem Becommentiren der alten Claſſiker. Wer z.
B. den Virgilius leſen kann, oder den Homerus,
bedankt ſich vor allen Auslegungen des Cuſtathius
und des Hn. Heyne. Doch haben Ausleger wie
die Genannten, immer ihre hohen Verdienſte; aber
[190] was ſagen wir denn zu Erklaͤrungen, wie die ei-
nes Mosjeh Motz, eines A. B. C. – X. Y. Z. ſind?
Soll dann jeder Philologe der alten und neuen
Zeit dieſer Burſchen ihr Eſel ſeyn? Heh! Die
alten Kerle kennen dieſe Menſchenkinder nicht, wie
ich dann Herrn Motz einmal betheuern hoͤrte, daß
vor Dacier niemand den Horatius erklaͤrt habe.
Zudem ſind es meiſtens arme Teufel, welche zu
guten Buͤchern keine Moneten haben: lebt nun ſo ein
armer Teufel auf einer Univerſitaͤt, wie Halle iſt,
und will ein Buch haben: eh bien, non adeſt.*) Er
kommt nach vierzehn Tagen wieder: ſ'iſt niſcht
dah; hab'ſch g'ſagt. Er geht zum Bibliothekar
und beſchwert ſich: haͤtt den Teufel vom Suchen
und Warten, hab mehr zu thun, iſt die Antwort des
humanen gelehrten Bibliothekars, und der Su-
chende – bleibt weg, weil er ſich an den Hund erin-
nert, welcher das Heu huͤtete. Doch das gilt
nicht allewege. Alle, die Gunſt haben, **) koͤn-
nen ſich Buͤcher nehmen, welche ſie wollen, und ich
kenne einen, der jetzt angeſtellt iſt, ***) welcher ſich
[191] alle Woche wenigſtens einen Thaler mit Verleihen
der Buͤcher aus der Univerſitaͤtsbibliothek verdient.
In Leipzig iſts uͤbrigens eben ſo, und daß es in
Goͤttingen ſo war, wenigſtens im Jahr 1778-79
kann ich durch ſehr treffliche Teſtimonien beweiſen.


Was ſagen Sie aber dazu, junge Maͤnner?
— Nicht wahr, lieber einen Pabſt gemacht, als
ſolches Zeug?


Achtzehntes Kapitel.


Fortſetzung.


Herr Wolf, Schulze und noch zwey andre aus
der Grafſchaft Hohnſtein gebuͤrtige Studenten
waren meine Begleiter. Es war fruͤh, als wir
ausgingen, herrliches Wetter, und wir konnten
ſchon gegen eilf Uhr in Langenbagen ſeyn, ob wir
gleich erſt lange nach Sieben ausgingen. Es war
Sonntag, und die Wirthin, bey welcher wir ein-
kehrten, um ein Fruͤhſtuͤckchen zu nehmen, ſchrie
und ſchimpfte fuͤrchterlich auf ihren Paſtor. Der
Mann ſey zu faul und zu nachlaͤßig, meynte ſie,
[192] und hielt die Kirche nicht ſo oft, als er doch ſollte:
kaum hoͤrten ſie in ihrem Dorfe alle vierzeh [...] Tage
eine Predigt: aber der liebe Gott ſey auch ein ſtar-
ker eifriger Gott, und habe ſchon vor einigen Jah-
ren die ſeinem Dienſt widerfahrne Geringſchaͤtzung
geraͤcht, indem er die ſchreckliche Feuersbrunſt ver-
anſtaltet habe, wodurch das ganze Dorf beynahe
zu Grunde ging.


„Meynt ſie dann, Frau Wirthin, ſagte ich,
daß der liebe Gott ein Mordbrenner ſey?“


Sie. Herr Jehmineſes, lieber Herr, wie
ſchwaͤtzen Sie doch? Der liebe Herr Gott ein Mord-
brenner?


Ich. Allerdings iſt er ein Mordbrenner, wenn
Sie Recht hat.


Sie. Ich will doch nicht hoffen, daß Sie ſo
gottlos denken!


Ich. Bewahre! Ich weiß, daß das wohlthaͤ-
tigſte Weſen ſeinen Creaturen nichts Boͤſes thut.
Aber wie Sie ſpricht, Frau Wirthin, thut uns
Gott Boͤſes.


Sie. Wie dann ſo, daß Gott erbarme.


Ich. Sie ſagt ja, der liebe Gott habe die
Feuersbrunſt hier veranſtaltet, um ſeinen Schimpf
zu raͤchen. Wenn das wahr iſt, ſo muß er ja einen
Gefallen an derſelben gehabt haben; da aber doch
der Brand ſehr viele Leute ins Verderben ſtuͤrzte,
ſo
[193] ſo muß Gott Vergnuͤgen am Verderben andrer
Leute haben, und das iſt haͤßlich.


Die Frau ergrimmte, und ſagte grade heraus,
ich verſtuͤnde die Sache nicht, und rieth mir, kuͤnf-
tig nicht mehr ſo naſeweis zu ſeyn. — Hr. Schulze
zahlte unſere Zeche, und mußte zwanzig Groſchen
geben, ob wir gleich nun fuͤr 2 gl. 6 pf. Schnapps
und ein wenig Butter und Brodt gehabt hatten. Die-
ſe Prellerey war wahrſcheinlich eine Strafe fuͤr un-
ſern Unglauben gegen die Effaten der Frau Wirthin.


Als wir aus der Langenbagner Kneipe traten,
fings an zu regnen: es hatte gefroren und nun
ward der Weg ſo glatt, daß wir mehr hinten aus-
rutſchten, als vorwaͤrts kamen. Nach vielem Fal-
len erreichten wir endlich Abends ſpaͤt Eisleben.
Der Regen hielt noch immer an, und die Ausſicht
fuͤr den folgenden Tag war ſehr traurig. Im
Wirthshaus zum Sieb zu Eisleben fanden wir ei-
nen Menſchen, welcher mit einer Donna im Lan-
de herum zog, und ſich, ich weiß nicht wie, durch-
ſchlich. Das Maͤdchen war ganz artig von For-
mate, und ſchien gar nicht ſproͤde zu ſeyn, wenig-
ſtens nahm ſie es gar nicht uͤbel, daß ein geweſe-
ner Preußiſcher Soldat den unter Soldaten her-
koͤmmlichen Comment erklaͤrte, und brav Zoto-
logien einmiſchte: zugleich verſicherte ſie, daß kei-
ner, und ſollte er auch der große Mogul ſeyn, ihr
Laukh. Leben 5ter Theil. N
[194] ein Kind machen koͤnne. Die Donna muß alſo
das Ding oft genug und zwar multifariam verſucht
haben.


Den folgenden Tag hatte zwar der Regen
aufgehoͤrt, aber der Weg war fuͤrchterlich ſchlecht.
Gerne haͤtten wir eine Fuhre genommen, aber es
war keine zu haben, und wir mußten zu Fuße
fortbattern. Alle Augenblick gleiteten unſre Fuͤße
aus, und Pardanz, da lag bald dieſer, bald jener
auf der Naſe. Mich traf dieſes Ungluͤck gar ſehr
oft. Mit Muͤhe kamen wir auf ein Dorf jenſeits
Wallhauſen, wo Herr Schulze mit den beyden
theologiſchen Studenten beym Paſtor Loci ein-
kehrte. Ich und Hr. Wolf blieben in der Schenke,
und erſt in Berg verſammelten wir uns wieder.


Die Herren, welche beym Paſtor eingekehrt wa-
ren, waͤren zwar ſehr gerne fruͤh weggegangen,
aber das ginge nicht, denn beym Paſtor muͤßen
fruͤh nach verleſenem ellenlangen Morgenſegen drey
bis vier Lieder geſungen werden, und ſo Etwas ko-
ſtet Zeit. Wer ſich nicht in dieſe Ordnung fuͤgt, wird
vom Hn. Paſtor fuͤr einen Freygeiſt und unflaͤtigen
Kerl erklaͤrt, und darf nicht wiederkommen. Ich
erinnerte mich bey der drolligen Erzaͤhlung von
der Singerey und Beterey beym Paſtor — —
an die Singerey beym ehemaligen Paſtor Thiels
zu Udenheim in der Pfalz, wo man nicht eher
[195] Etwas zu eſſen bekam, als bis man das Lied:
Gott lebet noch, mit hergeorgelt und neun und
neunzig Tiſchgebeter mit hergeplerret hatte. An An-
dacht war nicht zu denken, war aber auch nicht
noͤthig, und der liebe Gott mußte mit dem Heror-
geln und Herplerren ſchon zufrieden ſeyn.


Erſt gegen ſechs Uhr kamen wir nach Nordhau-
ſen. Ich eilte nach dem Hauſe des Herrn Juſtiz-
commiſſarius Lange, aber ſtehe da! der war nicht
zu Hauſe. Was war zu thun? In ein Gaſthaus
wollte ich zwar gehen, aber Hr. Wolf nahm mich
mit, und ich machte mich ſchon commode, als Hr.
Fromm, der negotiorum geſtar des Juſtizcommiſ-
ſars erſchien, und mich mit Gewalt fortſchleppte.
Herr Fromm redete mich folgender Weiſe an: „Das
verborgene Bewußtſeyn hat uns electeriomatiſch be-
lehrt, daß Sie, mein wertheſter Magiſter, in dem
Dunſtkreis der des heiligen Reichs freyen Stadt
Nordhauſen ſeit einer Stunde den Punkt Ihrer
Exiſtenz genommen haben. Herr Juſtizcommiſſar
Lange, mein verehrter und bis in das Nichtſeyn
meines ſich ſelbſt vergeſſenden Bewußtſeyn verehr-
ter Goͤnner, Protector und Patronus, erſucht Sie
durch die Puſillanimitaͤt meines Zungenorgans
und durch die Abjecticitaͤt meiner Suada, ihre
freylich etwas muͤden Hoͤlzer des Spazierens, loco-
motiv zu machen, und mir zu folgen.“ Dieſe
N 2
[196] Rede des Herrn Fromm beſtimmte mich mitzuge-
hen, und Hr. Fromm fuͤhrte mich auf das Garten-
haus des Herrn Senators Seydler, wo jede Wo-
che eine Geſellſchaft zuſammen kommt, welche
Aſſemblee genannt wird. Es ſind mehrere Geſell-
ſchafteu dieſer Art in Nordhauſen, und mehrere
von den Honoratioren der Stadt nehmen an dieſen
verſchiedenen Conventen Antheil: eine iſt jedoch
da, wozu niemand, als die Beſtimmten, Zutritt
hat: ich glaube, dieſe hieß Concordia, und iſt
ſo eine Art von Freymaͤurerloge, welche ich weiter
nicht naͤher kennen lernte.


Bey Hn. Seydler traf ich jetzt den Juſtizcom-
miſſar Lange, und noch viele artige Nordhaͤuſer
von Extraction. Adel iſt uͤberhaupt in dieſer Stadt
nicht: die Buͤrgerſchaft beſteht ſchon ſeit den großen
hier vorgefallenen Mordgraͤueln nur aus Buͤrgerli-
chen, ob ſie gleich vor Olims Zeiten ihren Pa-
tricieradel ſo gut hatte, als Frankfurt, Nuͤrn-
berg und die meiſten Reichsſtaͤdte. Allein unter
der Regierung K. Carls des vierten, fand die Buͤr-
gerſchaft fuͤr noͤthig, wider ihren Magiſtrat zu re-
belliren, und alle Edelleute, welche nicht entwi-
ſchen konnten, todtzuſchlagen. Dieſe entſetzliche
That wuͤrde zu jeder andern Zeit derb ſeyn beſtraft
worden, aber K. Carl IV. verzieh den Einwohnern,
ließ ſich Geld geben, und confirmirte eine Conſti-
[197] tution, welche ſie ſich ſelbſt gemacht hatten. Ich
glaube, dieſes Unheil geſchahe 1368; Hr. Seyd-
ler hat dieſe Revolution zu Nordhauſen aus guten
Quellen und archivariſchen Nachrichten beſchrieben,
und ſeinen Aufſatz einem ſogenannten Revolutions-
Almanach einverleibt, in welchem neben ſo man-
chem elenden ſchofeln Zeug doch dann und wann ein
leſenswerther Aufſatz zu finden iſt.


Die Herren, welche ich bey Hn. Seydler antraf,
waren aͤuſſerſt artige Leute von viel jovialiſcher
Munterkeit, und Feinde aller Jener. Ich hatte
ſchon bey Hr. Wolf Abendbrodt gegeſſen; aber auf
der Aſſemblee mußte ich nochmals eſſen, ob es
gleich ſchon ziemlich ſpaͤt war. Sehr vergnuͤgt
verlief die Zeit, und erſt gegen ein Uhr des Nachts
fuͤhrte Hr. Fromm den Juſtizcommiſſar und mich
nach Haus. Daß mein Kopf nicht ſo beſchaffen
war, wie er zu ſeyn pflegt, wenn ich fruͤh auf-
ſtehe, verſteht ſich von ſelbſt, indeſſen war ich
noch nicht voͤllig heroiſch, das ward ich erſt beym
Juſtizcommiſſar. Dieſer wußte, daß ich kommen
wuͤrde, und hatte deßwegen ſich einen recht guten
Nordhaͤuſer Schnapps zugelegt, womit er mich
regalirte. Ich kannte die Kraͤfte des Getraͤnkes
nicht, und Hr. Fromm brachte mich zu Bette.


Ich aͤrgerte mich den andern Morgen, daß ich
gleich am erſten Abend meiner Exiſtenz in Norhau-
[198] ſen begenirt geweſen war, und erklaͤrte mich dar-
uͤber gegen Hr. Fromm. Dieſer ſchlug eine helle
Lache auf, und verſicherte mich, daß das Haar-
beutelhaben, oder wie man pro dialecto Frommia-
na
in Nordhauſen ſagt, das ſich Beſchettern ſtark
Mode ſey, daß niemand ſich daruͤber formaliſire.
Daß Hr. Fromm ſehr Recht hatte, habe ich in der
Folge mehrmals [gefunden].



Neunzehntes Kapitel.


Herr Fromm. Herr Bock und andre Perſonagen.



Der Juſtizcommiſſar haͤlt eine Leſebibliothek,
welche vor andern ihre großen Vorzuͤge beſitzt.
Herr Lange ſcheint bloß aus Patriotismus ſein
Inſtitut angelegt zu haben, da es ihm ganz und
gar nichts eintraͤgt, als die Proprietaͤt der Buͤcher,
welche dazu angeſchafft werden: denn alles, was
einkommt, wird wieder zum Ankauf neuer Buͤcher
verwendet: die Intereſſenten zahlen daher auch
nicht ſehr viel, muͤſſen ſichs aber gefallen laſſen,
grade diejenigen Buͤcher zu leſen, welche ihnen zu-
geſchickt werden, wenn ſie Buͤcher holen laſſen,
[199] und haben nicht das Recht, in der Bibliothek her-
umzukrabſchen, und mitzunehmen, was ihnen
etwan anſtehen mag. Alle Intereſſenten erhalten
zwar alle Buͤcher nach und nach — die neuern
naͤmlich: denn die ſchon laͤngſt in dem Vorrath
befindlichen kann ſich jeder holen laſſen — aber
dabey wird eine ſolche Ordnung beobachtet, daß
derjenige, welcher eher als ein andrer Intereſſent
war, auch vor dieſem das Buch zum Leſen erhalte.
Ich weiß nicht, ob an dieſer Einrichtung Etwas
zu tadeln ſey, da eben dadurch gar mancher In-
convenienz vorgebeugt wird. Z. B. manches Werk
beſteht aus mehrern Baͤnden: wer aus Hr. Lange's
Bibliothek einen Band geleſen hat, erhaͤlt alle
andre nach einander, dahingegen in andern Bi-
bliotheken, welche doch auch gut eingerichtet ſind,
ein Leſer zwanzigmal und wohl noch oͤfter ſchicken
muß, bis er die verlangte Fortſetzung erhaͤlt, und
indeſſen den Inhalt der vorigen Theile wieder ver-
gißt. Die Leſerey um einen Groſchen faͤllt in der
Langeſchen Bibliothek ganz weg, und niemand,
auſſer den Intereſſenten, bekommt ein Buch: da-
durch wird auch eine große Unordnung verhuͤtet.


Aber Einrichtungen dieſer Art ſind auch nur
an Oertern moͤglich, wo lauter ordentliche Leſer
zu haben ſind, welche alle Woche hoͤchſtens ein
Buch zu ihrem Nutzen und Vergnuͤgen leſen,
[200] und alle Quartal richtig bezahlen, wie die Da-
men und Herren in und um Nordhauſen zu thun
gewohnt ſind. Auf Univerſitaͤten, und an ſolchen
Orten, wo es eine große Menge Muͤßiggaͤnger
giebt, z. B. in Berlin, Breslau, Magdeburg,
Leipzig, wegen der großen Menge der Offiziere,
der Scholaren, iſt es gar nicht thunlich, Ordnung
zu halten. Einer, ſo ein Herr Leutnant, Faͤhn-
drich, Student u. ſ. w. lieſt bloß Romane, aber
ſo ſchnell und ſo heißhungrig, daß er alle Tage ei-
nen Band und wohl noch mehr hineinworgt; und
fuͤr ſolche kann doch wohl keine monatliche Praͤ-
numeration Statt finden, der muß ſchon à Gro-
ſchen leſen.


Die Buͤcher, welche Hr. Lange ausgiebt, ſind
alle gut gewaͤhlt, und Sachen, zotologiſchen In-
halts findet man gar nicht bey ihm. Hr. Fromm
iſt ſein Bibliothekar, und beſorgt das Geſchaͤft mit
ſehr vieler Genauheit, ob er gleich nur einige
Stunden des Tages drauf verwendet. Sonſt iſt
Hr. Fromm auch noch Leichen- und Hochzeitsbitter
und Ceremonienmeiſter bey allen vornehmen Ge-
lagen, welche zu Nordhauſen vorfallen. Er hat
zwar bey dieſen wichtigen, und mit dem Wohl des
Staats unmittelbar verbundnen Aemtern noch ei-
nen Gehuͤlfen, aber dieſer, ob er gleich laͤnger
angeſtellt iſt, kann es doch ſo weit in Ruͤckſicht der
[201] Gunſt des Publikums nicht bringen, als Herr
Fromm, denn Fromm reißt keine Zoten, aber der
andre Herr iſt ein Zotologe, deſſen Gleichen mir
ſelten vorgekommen iſt, und nimmt kein Blatt
vors Maul, es mag zugegen ſeyn, wer da will,
luſtige Bruͤder, oder Frauenzimmer von Stande
und Erziehung, das iſt ihm Eins; nebenher haͤngt
er ſich auch nicht ſelten einen Haarbeutel an, den
Fromm ſelten hat, und nur in gutem Wein an-
nimmt.


Hr. Fromm hat viele Verdienſte um den Nord-
haͤuſer Dialekt: welchen er mit vielen Woͤrtern
und Redensarten verbraͤmt, ſo recht à la Burſch,
und à la Musketier: denn Studenten und Soldaten
pflegen auch ihre eigne Sprache zu reden, und wer
die nicht verſteht, denkt oft, arabiſche und chineſi-
ſche Woͤrter zu hoͤren, ſo ſeltſam klingen die Ra-
ritaͤten. Unter andern iſt Fromm der Erfinder des
Wortes Schetter, welches ſo viel bedeutet, als
Schnapps, und von dieſem Stammwort kommen
folgende Derivate, ein Schetterer (Schnapps-
ſaͤufer) ſich beſchettern, Schetterey (Brannt-
weinbrennerey, item eine Schnappskneipe) er
ſpricht ſchetterlich (wie ein Betrunkner). Dieſe
und andre Woͤrter dieſes Schlags hat Hr. Fromm
ſo oft in allen Cirkeln, wohin er kommt, angebracht,
daß ſie allgemein bekannt und gebraͤuchlich ge-
[202] worden ſind. Außerdem iſt Fromm ein Philoſoph,
und raͤſonnirt uͤber alle Gegenſtaͤnde der Metaphy-
ſik, der Moral und der Politik ſehr gelaͤufig, aber auch
ſo grundgelehrt, daß ich bey aller Anſtrengung
meiner Aufmerkſamkeit, doch nie ſo gluͤcklich ſeyn
konnte, ihn zu verſtehen. Es giebt jedoch Leute
zu Nordhauſen, welche den Mann eben deßwegen
fuͤr einen großen Geiſt und gruͤndlichen Denker
halten, weil er ſtets ſo ſpricht, daß man unmoͤg-
lich abſehen kann, wovon eigentlich die Rede iſt,
ob von der Revolution in Frankreich oder dem
pomphaften Aufzug des Kayſers von Sina. Die-
ſes aber und aͤhnliche Kleinigkeiten, welche ins
Sonderbare fallen, ausgenommen, iſt Fromm ein
kreuzbraver rechtſchaffner Mann, welcher das Ver-
trauen aller derer verdient, die mit ihm zu thun
haben.


Herr Bock, der Schuſter, hat mir waͤhrend
meines Aufenthalts in Nordhauſen manche ver-
gnuͤgte Stunde gemacht. Der Juſtizcommiſſar
kann dieſen Mann wohl leiden, wegen ſeiner Origi-
nal[i]taͤt, und ſeine huͤbſche junge Frau wird ihm auch
gewiß keine Feinde machen, da er, wahrſcheinlich
weil ers nicht noͤthig hat, durchaus nicht eiferſuͤch-
tig iſt. Es iſt auch uͤberhaupt eine ganz naͤrriſche
Sache um die Eiferſucht, die auf jeden Fall uͤberfluͤſ-
ſig und nachtheilig iſt, da der Eiferſuͤchtige ſtets aͤr-
[203] ger geprellt wird, als der Tolerante. Dieß will ich
aber ohne allen Bezug auf Hn. Bock den Schuſter zu
Nordhauſen geſagt haben. Ob ich gleich vor meiner
Ankunft in Nordhauſen keine Seele daſelbſt perſoͤn-
lich kannte, ſo hatten doch viele daſelbſt gehoͤrt, daß
ich kommen wuͤrde, und hatten deßwegen pro und
contra Wetten angeſtellt. Bock, welcher ſich ge-
nau erkundigt hatte, wettete mit einem Fleiſcher-
meiſter um vier Butellen Wein, und gewann na-
tuͤrlich ſeine Wette, als ich ankam. Die ganze
Nacht ging hin, uͤber die Verzehrung der Wette:
denn es blieb nicht bey vier Butellen — das iſt
Mode ſo zu Nordhauſen.


Neben dem Schuſter Bock wohnt der Berg-
commiſſar Roſenthal, deſſen Buͤcher man im ge-
lehrten Deutſchland findet. Herr Roſenthal, ſei-
nes Handwerks ein Becker, legte ſich nachher auf
allerhand Wiſſenſchaften, und ſchrieb uͤber alles,
worauf er ſich legte, uͤber Mathematik, Chemie,
Naturgeſchichte u. ſ. w. Da ich von allen die-
ſen Sachen wenig verſtehe, und uͤberdieß Hn. Ro-
ſenthals Buͤcher nie geſehen habe, ſo kann ich uͤber
die Großheit oder Kleinheit ſeiner Verdienſte nicht
urtheilen. Freylich wenn die Aufnahme in gelehrte
Geſellſchaften ein ſicherer Beweis des Verdien-
ſtes waͤren, ſo muͤßte Hr. Roſenthal ein Mann
von gewaltigem Verdienſt ſeyn: denn er iſt ja —
[204] und ich glaube gar, inter alios honores — Mit-
glied der naturforſchenden Geſellſchaft zu Halle.
Aber man weiß ja, daß ſolche honores nichts be-
weiſen, zumal —! Doch was geht das mich
an? Ich wollte den Mann kennen lernen, aber
da ich hoͤrte: er ſey dann und wann ein wunder-
licher Behandler der Fremden, die ihn beſuchen,
wollte ich mich keiner unſanften Begegnung aus-
ſetzen, und blieb weg. Aber Bock drang darauf,
daß ich den Bergcommiſſar ſprechen mußte, und
beſtellte ihn in ſein Haus, wohin er auch mich
und Hr. Lange einlud. Herr Roſenthal kam nicht,
und ließ ſich mit ſeinem Podagra entſchuldigen.
Die wahre Urſache aber, warum der Commiſſar
nicht kam, war Hr. Langens Gegenwart: denn
dieſen kann er aus mehr als einem Grunde nicht
leiden.


Roſenthal naͤmlich ſchreibt eine Wochenſchrift,
welche er den Hohenſteiniſchen (Hohnſteiniſchen)
Erzaͤhler nennt: im Grunde aber iſts ein Nord-
haͤuſer Erzaͤhler und Spaßmacher, der gar oft
ins Platte und Grobe faͤllt. Im Ausland kennt
man das Ding gar nicht, und die ſich aufs Wei-
teſte verlaufenden Blaͤtter kommen hoͤchſtens nach
Sondershauſen und nach Rosla. Um aber ſeinen
Schriften gehoͤrig Salz und Pfeffer beyzuſtreuen,
ſey es auch ſchwarzes Salz und Spaniſcher Pfef-
[205] fer, ſo greift er dann und wann bekannte Perſo-
nen an, und macht ſie, wo nicht laͤcherlich, doch
boͤſe. Den obgedachten Hn. Fromm hatte er eben
ſo einige Mal aufgefuͤhrt, unter dem Namen
Pius. Fromm glaubte ſeine Ehre beleidigt, und
zog brav auf den Bergcommiſſar los, und Hr. Lan-
ge wurde in dieſen Streit verwickelt, ich weiß
nicht wie.


Wie gern aber der Bergcommiſſar die Leute
neckt, beweiſt folgendes Geſchichtchen. Ein ge-
wiſſer Jung war als Doctor der Medicin nach
Nordhauſen gekommen, und hatte angefangen zu
practiciren. Man kann leicht denken, daß dieſer neue
Aeſkulap mit Factionen zu kaͤmpfen hatte, welche nie
ausbleiben, wenn ein neuer Arzt oder Advokat, oder
Muſikus, Tanzmeiſter, ja ſogar wenn eine neue
Freudennymphe auftritt, aber Hr. Jung ſchien
ſich um die Factionen wenig zu kuͤmmern, und
ſchrieb deßwegen einen Brief an einen Bekannten
in Nordhauſen. Der Bekannte verrieth ihn, und
brachte den Brief ins Publikum, und der Bergcom-
miſſar ließ ihn in ſeinem Erzaͤhler abdrucken. Der
Wiſch war ratione des Stils und der Orthogra-
phie abſcheulich: ein Bauernjunge, deſſen Schul-
meiſter nicht ganz Rindvieh war, mußte beſſer
ſchreiben, als der Doctor, aber die Abſicht, war-
um der Bergcommiſſar den Brief abdrucken ließ,
[206] war nichts weniger, als edel: er wollte dem Do-
ctor ſchaden, und um ſeinen Credit bringen; in
wie ferne ihm dieſe Abſicht gelungen ſey, muß hier
nicht erzaͤhlt werden.


Zwanzigſtes Kapitel.


Krankheit.


Den Tag vor Weyhnachten fuͤhrte mich Herr
Lange fruͤh in die Apotheke zum Bittern, dann gingen
wir auf den Rathskeller zu Wein, von da zum Eſ-
ſen, wobey auch derb Wein aufgetiſcht wurde, und
den Abend brachten wir auf einer Schenke außer-
halb der Stadt zu. Daß mir aller Orten derb zu-
getrunken wurde, verſteht ſich von ſelbſt, ſo wie
es ſich von ſelbſt verſteht, daß ich richtig Beſcheid
that. Ich kam zwar ohne große Schnurre ins
Quartier, aber hier wurde fortgefahren bis nach
Mitternacht um drey Uhr, wo ich mit einigen
Freunden die Kirchen beſuchte, in welchen die ſo-
genannte Chriſtmette gehalten wurde. Hier wa-
ren ſehr huͤbſche Geſichter bey dem Schimmer der
unendlich vielen Lichter zu ſehen, und recht huͤb-
[207] ſche Muſik zu hoͤren, ſonſt ging aber alles ſehr an-
ſtaͤndig zu, wenigſtens weit anſtaͤndiger, als ſonſt
in der Chriſtmette zu Halle, wo die Studenten
Commerslieder ſangen, Tabak rauchten, mit Straſ-
ſenmenſchern ſchaͤkerten, und diejenigen beſcha-
bernakten, bey welchen ſie einige Andacht bemer-
ken wollten. Unſre Studenten ſind zwar jetzt viel
artiger, als damals, und doch iſt es ſehr gut, daß
die Chriſtmette in Halle abgeſchafft iſt. Vielleicht
geſchieht dieß auch bald in Nordhauſen.


Nach der Chriſtmette gab Hr. Lange eine klei-
ne Collation in ſeinem Hauſe, wobey ſich unter
andern auch Hr. Koch, der Domkuͤſter, einfand.
In Nordhauſen iſt ein (bisheriges) Immediatſtift,
welches man den Dom nennt. An keinem Ort iſt ſo
eine Anſtalt uͤberfluͤßiger als in Nordhauſen, wo
beynahe gar keine Katholiken ſind, und doch ſind
an dieſem Stift fuͤnf Canonici, ein Domſyndicus,
ein Cantor und eine Menge andrer Bedienten. Die
Canonici ſtehen ſich recht gut, haben das Recht,
Bier und Schnapps zu ſchenken, aber nicht uͤber
die Straße zu verkaufen: wer alſo das gute Dom-
bier ſchlucken will, muß die Herren ſelbſt beſuchen,
wo ihm dann aufgewartet wird. Die Territorial-
gerechtigkeit des Stifts iſt mit Pfaͤhlen abgeſteckt,
und der Domnepp oder Domgerichtsdiener darf ſich
nicht uͤber dieſe Pfaͤhle in ſeinen Amtsverrichtungen
[208] wagen, ſonſt krabſcht ihn ein Stadtnepp auf, und
ſchleppt ihn mir nichts, dir nichts aufs Raths-
haus. Der Syndicus des Doms, Hr. Klaproth,
Doctor der Rechte, ein feiner artiger Mann, wel-
cher eine ſehr ſchoͤne Frau hat, aber auch trefflichen
Burgunder fuͤhrt, ſuchte von jeher alle Zaͤnkereyen
mit dem Magiſtrat zu vermeiden, welcher, wie alle
Magiſtraͤte, beſonders die in den Reichsſtaͤdten,
keinen Spaß verſteht.


Hr. Koch wollte mir den Dom zeigen, und
that es auch mit vieler Humanitaͤt: ich koſtete
das gute Dombier, und den Domſchnapps, aß
bey Hr. Advocat Lange, dem Bruder des Juſtizcom-
miſſars zu Gaſt, verſchwaͤrmte den Tag in lauter
muntern Cirkeln, ſo wie den folgenden, und konnte
ſchon den zweyten Feyertag Abends den Kopf nicht
mehr in der Hoͤhe halten. Ein heftiger Schwin-
del, mit einem nicht zu daͤmpfenden Huſten verbun-
den, ergriff mich, und ſiehe da, ich mußte die
Geſellſchaft verlaſſen und mich zu Bette legen.
Ich hatte meine Natur zu ſehr beſtuͤrmt, und dieſe
unterlag.


Schon am folgenden Tag war das Entzuͤn-
dungsfieber da, und wuͤrde mich vielleicht wegge-
rafft haben, woran freylich nicht viel gelegen
haͤtte, wie eine gewiſſe Madam in Halle, an de-
ren
[209] ren Wegraffung aber auch gar nichts laͤge, wohl-
weiſe angemerkt hat, wenn Hr. Phyſikus Philter
nicht ſeine Kenntniſſe zu meiner Herſtellung ange-
wendet haͤtte. Dieſer edle Mann, dem ich nur
im ſtillen danken darf, verbindet mit großen me-
diciniſchen Einſichten, den liebenswuͤrdigſten Cha-
rakter und eine unermuͤdete Aufmerkſamkeit auf
alles, was ſeines Amtes iſt. Dieſem vortrefflichen
Arzt verdanke ich, daß ich noch exiſtire, und be-
ſaͤße ich ſolche Guͤter, welche die menſchliche Exi-
ſtenz zu einem wahren Gut machen koͤnnen, gerne
theilte ich ſie mit ihm. Doch Hr. Phyſikus Phil-
ter bedarf meines Geſchenks nicht. —


Ich wuͤrde eher wieder auf dem Zeug geweſen
ſeyn, wenn ich mich ſtreng nach der Vorſchrift
meines einſichtigen Arztes gerichtet haͤtte. Was
die Speiſen anbetrifft, welche er mir unterſagt
hatte, ſo folgte ich zwar: denn ich aß gar nichts,
da ich gar keine Eßluſt hatte, und einen unuͤber-
windlichen Ekel vor allen Speiſen empfand. Aber
Hr. Philter hatte mir den Schetter (Branntewein)
und den Wein verboten. Schetter trank ich zwar
nicht, aber doch taͤglich einige Glaͤſer Wein, wel-
che mir Herr Fromm aus dem Keller des Juſtiz-
commiſſars zuſtellte, und ſo verſchlimmerte ich
ſtets meinen Zuſtand.


Laukh. Leben 5ter Theil. O
[210]

Am Neujahrstage 1801 feyerten die Nordhaͤu-
ſer *) das Feſt des angehenden Jahrhunderts, und
ich ſtehe dafuͤr, daß von allen Einwohnern keine
funfzig die heilige Nacht uͤber ins Bette gekommen
ſind. Um zwoͤlf Uhr des Nachts wurden alle Glo-
cken gelaͤutet, und die nordhaͤuſer Canonen
auf dem Kirſchberg abgebrannt. Die uͤbrige Nacht
wurde gejubelt und geſoffen, bis man endlich in
die Kirchen ging, und Gott dankte, daß man im
neuen Jahre noch eben ſo gut Schlund und Kehle
habe, als im alten.


Die Honoratioren zu Nordhauſen hatten mehre-
re große Diners veranſtaltet: unter andern war
auch eins auf dem Grimmel veranſtaltet, bey
welchem auch der Juſtizcommiſſarius engagirt
war. Er und mehrere Herren bedauerten ſehr, daß
ich an dieſer Feſtlichkeit nicht Theil nehmen konnte,
ich war ſelbſt verdruͤßlich daruͤber, aber was wollte
ich machen? Ich mußte zu Hauſe bleiben und das
Bette huͤten. Herr Lange verließ mich, Herr
Fromm konnte mir nicht Geſellſchaft leiſten, weil
[211] er bey der Feſtivitaͤt eine Quaſioberinſpection hatte.
Hr. Bock der Schuſter, hatte die Nacht uͤber dem
Glaſe ſo ſtark zugeſprochen, daß er nun da liegen,
und den Rauſch ausſchlafen mußte: niemand blieb
alſo bey mir, als das huͤbſche Weibchen des lez-
tern, welche meiner recht treulich pflegte. Man
denke ja an nichts Boͤſes ἀισχϱα πϱαττειν τοτ [...]
ἀδυνατον.


Die Herren, welche auf dem Grimmel bey
Hr. Credo verſammelt waren, dachten fleißig an
mich, und ſchickten mir von jedem Gericht eine ſo
derbe Portion, daß ein Scheundreſcher ſich an je-
der bequem haͤtte ſaͤttigen koͤnnen. Ich konnte aber
leider von allen dieſen Herrlichkeiten keinen Ge-
brauch machen; denn es fehlte mir an Appetit,
und doch verſuͤndigte ich mich an einem Gerichte,
welches der Doctor mir verboten hatte, naͤmlich
an einer Sagoſuppe mit Wein. Sie war herrlich
zubereitet, und ſchmeckte mir auch ſo gut, daß ich
wenigſtens zwoͤlf Suppenloͤffel voll davon aß.
Den folgenden Tag war mein Zuſtand wieder
ſchlimmer. Endlich ſiegte meine gute Natur durch
Hn. Philter unterſtuͤtzt, uͤber die Krankheit, und
den Tag vor Dreykoͤnig ging ich wieder aus, und
beſuchte nicht nur gute Freunde, ſondern auch vor-
zuͤglich die Schenken.



[212]

Ein und zwanzigſtes Kapitel.


Magiſtratswahl. Schenken.


Der Stadtmagiſtrat zu Nordhauſen beſteht aus
drey Abtheilungen, deren jede ihren Buͤrgermeiſter,
Senatoren und Aſſeſſoren hat. Dieſe Abtheilun-
gen wechſeln ſo ab, daß alle drey Jahre jede an
die wirkliche Regierung kommt. Die Stellen ſind
uͤbrigens immerwaͤhrend, und wenn ein Mitglied
abgeht oder ſtirbt, ſo wird ein neues auf den Vor-
ſchlag eines wirklichen Mitglieds aufgenommen.
So einen Vorſchlag thun, heißt man bringen,
z. B. der und der hat den und den Buͤrgermeiſter,
Senator u. ſ. w. gebracht: aber bey der jetzigen
Verfaſſung wird wohl das anomaliſche Bringen
und das damit verbundne Geldſchneiden wegfallen,
oder ſich vielleicht noch gar vermehren. Viele
Nordhaͤuſer klagten uͤber das Bringen, und ver-
ſicherten, mancher Eſel wuͤrde nicht im Senat
ſitzen, wenn er nicht einen guten Bringer ge-
habt haͤtte.


[213]

In Nordhauſen hat jeder Buͤrger, welcher zu
einer Rathsfaͤhigen Gilde gehoͤrt, auch das Recht,
eine Stelle im Rath zu hoffen, wenn er anders
ſich nur ſtets ſo betragen hat, daß der hochweiſe
Rath keine Schande von ihm befuͤrchten muß.
Aber gar viele Familien kommen nie zu der Ehre,
daß einer aus ihren Mitteln zum Regiment gelangt,
weil es ihnen an Bringern fehlt. Daher ſind nur
einige Familien im Beſitz der hoͤchſten Gewalt und
deren Verwaltung, und dieſe Familien conſtituiren
alſo den Patricierſtand oder den Adel zu Nordhau-
ſen. Adel iſt alſo doch auch da, ob ſich gleich
niemand von ſchreibt. Die Roͤmer ſchrieben ſich
auch nicht von, und hatten doch einen ſehr derben
Adel. Wahrſcheinlich aͤndern die jetzigen Umſtaͤn-
de vieles in dieſer Hinſicht.


Ob aber gleich die Rathsglieder durch die Brin-
gerey gewaͤhlt werden, ſo ſpielt man doch alle
Jahre eine Komoͤdie, welche einer Wahl des gan-
zen Magiſtrats aͤhnlich ſieht. Den Tag vor drey
Koͤnigen verſammelt ſich der vollſtaͤndige Magi-
ſtrat, das heißt alle drey Regimenter, auf dem Rath-
hauſe, in ihren ſchwarzen Galakleidern, und ſehn
einander an. Gegen Abend gehn ſie auseinander.
In der Nacht verſammeln ſie ſich wieder, der Herr
Paſtor Primarius haͤlt eine Rede, worin er das
abgehende Regiment ermahnt, bey der Wahl des
[214] neuen Regiments — welches ſchon laͤngſt durchs
Bringen gewaͤhlt iſt — die Regeln der Gerech-
tigkeit zu beobachten, und ja alles zur Ehre Got-
tes zu thun. Die Zeit uͤber, als dieſe Ceremonie
dauert, wird Wein und Kuchen gegeben, und ge-
gen Tag zieht der Magiſtrat, der neue naͤmlich,
nach der Hauptkirche, wo die Buͤrgerſchaft ihm
eine Quaſihuldigung leiſtet. Daß die ganze Buͤr-
gerſchaft dieſe Zeit uͤber luſtig im Sauß und
Brauß lebe, laͤßt ſich denken: aber auch der hoch-
edle Magiſtrat lebt hoch auf, und jedes Mitglied
erhaͤlt aus dem Stadtkeller eine Portion Wein,
und dann ein gewiſſes Weißbrodt, welches zu die-
ſem Behuf beſonders gebacken wird, und den Na-
men Herrenbrodt fuͤhret. Ich habe ſelbſt von die-
ſem ſchoͤnen Brodt gegeſſen. Ehemals, ſo ſagte
man mir, blieben alle drey Regimenter die Nacht
zwiſchen den vigiliis Epiphaniae und dem Dreykoͤ-
nigstag beyſammen, und zechten, konnten aber
hernach, wenn die Quaſiwahl vor ſich gehen ſollte,
nicht mehr ſtehen. Ein patriotiſcher Buͤrgermei-
ſter machte, um dieſer Unordnung abzuhelfen, die
Verordnung, daß in Zukunft jedem ſein Quantum
ins Haus ſollte geſchickt werden: daher dann jener
Wein, und jenes Brodt fuͤr die Senatoren. Die
Buͤrgermeiſter erhalten doppelte Portionen, und
das iſt auch ſehr billig!


[215]

Die Nordhaͤuſer, beſonders die von der hoͤhern
und reichern Claſſe, ſind große Liebhaber von Ver-
gnuͤgungen, ob ich gleich mit Recht behaupten
kann, daß ſie ihre Arbeiten und Beſchaͤftigungen
nie den Vergnuͤgungen und Ausſchweifungen auf-
opfern, wie z. B. viele Hallenſer, Goͤttinger, Je-
nenſer, Gießer u. d. gl. In Halle z. B. trift
man ſtets in allen Kneipen fruͤh und Abends, und
auf allen Doͤrfern um die Stadt Buͤrger an, und
wenn zu Lauchſtaͤdt die fuͤr Halle ſo ſchaͤdliche Co-
moͤdie im Gange iſt, ſo ſtroͤmen die Philiſter eben
ſo unſinnig dahin, wie die Studenten, und ſi diis
placet,
wohl noch unſinniger. Ob zu Hauſe Ar-
beit verſaͤumt wird, darnach fragt der Philiſter ſo
wenig, als der Herr Student, ob er einige Colle-
gien — worin er doch ohnehin wenig lernt —
ſchwaͤnzt, oder nicht. In allen Staͤdten, wo Uni-
verſitaͤten ſind, welche den Ton gewiſſer Maaßen
angeben, habe ich dieſes Unweſen bemerkt.


Aber ſo iſts nicht zu Nordhauſen: die daſigen
Buͤrger lieben auch ihr Vergnuͤgen, aber erſt dann,
wenn ſie ihre Arbeit gethan haben, und richten ſich
ſo ein, daß ſie gegen Abend zuſammen kommen
koͤnnen. Die vornehmſten Verſammlungsoͤrter
ſind auſſerhalb der Stadt, und heißen der Grim-
mel, das Schießhaus, der Lorbeerbaum,
der Kirſchberg und der Hammelr. Lezterer
[216] Ort wird doch nur ſelten beſucht, aber erſterer deſto
mehr. An allen dieſen Oertern ſind ſchoͤne Zimmer,
ſchoͤne Gaͤrten, gute Aufwartung ohne Prellerey,
und was das beſte iſt, ſtets artige Geſellſchaft, und
munteres, nicht aber zotologiſches Geſpraͤch. Frau-
enzimmer ſind von ſolchen Gelagen durchaus aus-
geſchloßen; dieſe haben andere Zuſammenkuͤnfte.
Sonntags und Montags aber werden die gedachten
Oerter von keinem Buͤrger von Diſtinction beſucht,
weil an dieſen Tagen Creti und Plethi, das iſt Gno-
ten u. d. g. mit ihren Schaͤtzchen daſelbſt ihr We-
ſen haben, und ſich bey Muſik und Tanz luſtig
machen.


In Halle ſchaͤmt ſich ſchon Hr. A der Kraͤmer,
H. B der Buchhaͤndler, Hr. C der Baumeiſter,
Hr. D der Antiquar, Hr. E der Profeſſor, Hr.
F der Advocat, H. G der Schulhalter, Hr. H der
Goldſchmied und andre Herren, oͤffentliche Oerter
des Vergnuͤgens zu beſuchen, nicht deßwegen, weil
ſie ſparſam waͤren, und nicht auch gerne mitmach-
ten, ſondern bloß deßwegen, weil ſie ſich fuͤr vor-
nehmer und beſſer halten, als alle andere Men-
ſchen, die nicht auch Kraͤmer, Buchhaͤndler, Bau-
meiſter, Antiquare u. ſ. w. ſind. So iſts nicht in
Nordhauſen, und ich glaube, es iſt ſchon ſehr recht,
daß es nicht ſo iſt. Ich habe in Schenken z. B.
auf dem Grimmel Senatoren, Paſtoren, Buͤrger
[217] mit Titeln und andere gefunden, die ſich kein Be-
denken machten, bey einem Glas Breyhan, und
einer Pfeiffe Tabak einige Stunden zu verſchwaͤtzen,
ſelbſt der nur ſeit kurzem verſtorbene Rector der la-
teiniſchen Schule, Herr Pappe, glaubte nicht, daß
es ſeinem Monarchismus zuwider ſey, eine ſolche
Geſellſchaft zu beſuchen.


Indeßen muß ich anmerken, daß alle Arten von
niedrigem Poͤbel aus dieſen Cirkeln verbannt ſind.
Da uͤberhaupt keine Frauenzimmer dahin kommen,
ſo kommt auch mancher Troß nicht hin, welche Da-
men immer mitzuſchleppen pflegen, z. B. ihre
Maͤdchen und mit dieſen einen Herrn Soldaten,
Schuhputzer, Taugenichts u. ſ. w.: manche Faͤnt-
chen, welche nur nach den Frauen und Jungfrauen
laufen, bleiben auch weg, und ſuchen wo ſonſt ihr
Unterkommen. Geſpielt wird auch nicht, und ſo
ziehen die Karten und Wuͤrfel niemand dahin.


Der Trunk iſt in Nordhauſen ſehr gut. Den
Schnapps, welcher hier gebrauet wird, kennt man
weit und breit. Bier, braunes naͤmlich, wird faſt
gar nicht getrunken, ob es gleich ſehr gut iſt, und
nahrhaft, deſto mehr trinkt man aber die Goſe und
den Breyhan. Wein hat jeder bemittelte Buͤrger
im Keller, und manche mehrere Sorten.


Die Wirthshaͤuſer oder Gaſthoͤfe in der Stadt
ſind nur fuͤr Fremde, und werden von Einheimi-
[218] ſchen ſelten oder gar nicht beſucht, ja man wollte
gar von Magiſtrats wegen den Wirthen in der
Stadt, wahrſcheinlich auf Betrieb derer auſſerhalb
der Stadt, das Recht ſtreitig machen, Leuten aus
der Stadt zu eſſen und zu trinken zu geben.


Einige Sonderbarkeiten habe ich bemerkt, die
mir damals auffielen, als ich ſie zum erſtenmal
ſahe. Einer meiner Freunde nahm mich eines
Tages mit ins Concert, wohin auch fuͤr uns eine
derbe Butelle Breyhan gebracht wurde. Als wir
uns geſetzt hatten, ermahnte mich mein Beglei-
ter, meine Pfeiffe anzuzuͤnden. Ich lachte, und ſag-
te, daß es doch nicht erlaubt ſey, an einem oͤffentli-
chen Orte Tabak zu rauchen, wo ſo viele Schoͤ-
nen gegenwaͤrtig waͤren. Was, erwiederte mein
Freund, kuͤmmern uns die Frauenzimmer? Unſre
Weiber ſind des Qualmens ſchon gewohnt, und
unſre Maͤdchen? die ſind froh, wenn ſie Maͤnner
kriegen, die Tabak rauchen. Ich fand das Argu-
ment meines Freundes ſehr richtig, und ſteckte mei-
ne Pfeiffe an, ſo wie es alle Mannsperſonen tha-
ten, welche gegenwaͤrtig waren. Eben ſo raucht
man auch auf Baͤllen und in andern Geſellſchaften,
wo Weiber hingehen.


[119[219]]

Zwey und zwanzigſtes Kapitel.


Frauenzimmer, und andere Merkwuͤrdigkeiten von Nordhauſen.
Mein Abzug von dannen.


Herr Fabri hat eine Abbildung von einer Nord-
haͤuſer Buͤrgersfrau ſtechen und illuminiren laßen,
wie vielleicht die Buͤrgerinnen daſelbſt vor hundert
Jahren gegangen ſind: denn ich ſahe ſolche Tracht
nicht. Die Buͤrgerinn des Hn. Fabri traͤgt einen
langen blauen Tuchmantel mit einer goldnen Treſſe
um den Kragen, und einen Huth, welcher dem
Schabesdeckel der Juden ſo aͤhnlich ſieht, wie ein
Ey dem andern. Ich fand keine Weiber in Tuch-
maͤnteln und noch weniger mit Schabesdeckeln: alle
gingen gekleidet, wie an andern Orten auch. Un-
ter den Buͤrgermaͤdchen giebt es ſehr huͤbſche niedli-
che Geſichtchen, und unter den Honoratioren habe
ich auf einem Balle, dem ich beywohnte, ganz vor-
zuͤgliche Schoͤnheiten beobachtet. Die Nordhaͤu-
ſerinnen ſind um ſo mehr liebenswuͤrdig, da ſie gar
nichts von dem ſteifen laͤppiſchen, praͤtenſionsvollen,
groben und impertinenten Weſen an ſich haben,
[220] welches alibi das ſchoͤne Geſchlecht ſo ſehr uͤbel re-
commandirt, ob gleich die Damen wunder glauben,
wie huͤbſch ihnen die hohe Naſe und die futile Im-
pertinenz anſtehe. Indeßen wißen die Nordhaͤuſer
Schoͤnen recht gut, was ſie ſich und ihrer Wuͤrde
ſchuldig ſind, und daher herrſcht unter ihnen wahre
Sittſamkeit, und kein Wort wird aus ihrem Munde
gehoͤrt, woraus man auf verderbte Sitten, oder auf
Luͤſternheit ſchließen koͤnnte. Unter dem Poͤbel giebts
freylich weggeworfne Menſcher, und wer des
Nachts ausgeht, um ſolche Moͤbel auf der Straße
aufzuſuchen, geht nicht vergebens. Aber das iſt
ja aller Orten ſo.


Reiſende, welche dahin kommen, werden ge-
wiß wieder zufrieden abgehen, wenn ſie ſich um die
Bekanntſchaft einiger braven Maͤnner bemuͤhen wol-
len: denn durch einen und den andern lernen ſie
gewiß alles Sehenswerthe der Stadt kennen und wer-
den in die beſten Familien eingefuͤhrt. Sehens-
wuͤrdig ſind aber die ſehr gut eingerichteten Hoſpitaͤ-
ler, welche ein gewißer Flugapoſtel durch Deutſch-
land ſo ſchief beſchrieben hat, die Kunſt, wodurch
das Flußwaſſer der ganzen Stadt mitgetheilt wird,
und andere Dinge, welche ſich beſſer ſehen, als
beſchreiben laßen. Der große Roland von Nord-
hauſen, [...]lcher daſelbſt am Rathhauſe ſteht, und
ein allmaͤchtiges Rachſchwert in der Hand fuͤhrt,
[221] iſt ſchon mehrmals der Gegenſtand des Romanen-
ſchreiberwitzes geweſen. Man wird den großen Ro-
land herunterwerfen, wenn Nordhauſen Preußiſch
wird, ſagte neulich ein ſeynwollender Publiciſt zu
mir. Man wird ihn ſtehen laßen, erwiederte ich;
der große Roland iſt von Stein, und niemand
fuͤrchtet ihn: ob man aber die Privilegien der Nord-
haͤuſer auf immer unangetaſtet laßen wird, iſt
eine andre Frage.


Als ich voͤllig hergeſtellt war, und mir alles
wieder recht gut ſchmeckte, was ich aß und trank,
reiſte ich von Nordhauſen ab, nachdem ich ohnge-
faͤhr fuͤnf Wochen daſelbſt zugebracht hatte. Ewig
werde ich mich mit Vergnuͤgen und Dankbarkeit an
die Anfnahme und Behandlung erinnern, welche
mir in dieſer guten Stadt wiederfahren iſt. Lange,
Neuenhan, Ramsdahl, Seydler, Philter, Rothe,
Heiker und viele andre ſind meinem Herzen ewig
theure Namen. Ich hoffe, in dieſem Buche von
Nordhauſen nichts Unrechtes geſchrieben zu haben,
wenigſtens wollte ichs nicht thun, und konnte auch
nicht, da mir nichts bekannt worden iſt, was der
guten Stadt zum Nachtheil gereicht. Fehler und
Maͤngel giebts aller Orten, aber in Nordhauſen fin-
det man doch davon verhaͤltnißmaͤßig weniger, als
ſonſtwo.


[222]

Moͤchte doch die gute Stadt unter Preußiſcher
Hoheit ſo gluͤcklich, und noch gluͤcklicher ſeyn, als
ſie es, bey ihrer republicaniſchen Verfaßung war!
Und warum ſollte ſie es nicht? Sind nicht andre
Staͤdte, welche Preußens Scepter unterworfen
ſind, im bluͤhendſten Zuſtand? Und wenn hier und
da eine Stadt in ſchlechten Umſtaͤnden iſt, ſo liegt
es nicht ſowohl an der Regierung, als vielmehr
an andern Umſtaͤnden z. B. an der Liederlichkeit
der Buͤrger ſelbſt.


Ich war noch matt, als ich zuruͤckging, und
kam den erſten Tag nicht weiter als nach Rosla,
wo ein Graf von Stollberg wohnt. Im Wirths-
hauß, wo ich uͤbernachtete, fand ich einen Preußi-
ſchen Soldaten, welcher ins Weimarſche auf Ur-
laub ging. Der Menſch gefiel mir, und ich rede-
te viel mit ihm. Nicht lange hernach kam auch
ein Kaſtenkraͤmer, der gleich ein Spiel vorſchlug,
um die Zeit zu vertreiben. Ich entſchuldigte mich,
und verſicherte, wie's denn auch wahr iſt, daß ich
nie ſpielte. Nun machte ſich der Kaſtentraͤger an
den Soldaten, welcher ſich eben einen großen Tha-
ler hatte wechſeln laßen. Der Soldat wollte an-
faͤnglich nicht anbeißen, doch gab er endlich nach,
und das Spiel begann. Es war das verderbliche
infame Grobhaus, welches die Franzoſen Lans-
[223] quenet
nennen, und wie der Name Lansquenet*)
anzeigt, ein altes deutſches Soldatenſpiel iſt.
Gar viele Spiele ſind von Soldaten erfunden wor-
den, z. B. das Piket, das l'Homber. — Der
Soldat verlohr einige Thaler, war aber immer
gleichguͤltig. Ich warnte ihn draußen vor dem
Kaſtenkraͤmer, und rieth ihm aufzuhoͤren, aber er
laͤchelte, und ſagte: „laßen ſie mich nur; der Kerl
ſoll ſchon ſeinen Mann finden.“ Ich legte mich
ſchlafen, und fand fruͤh Morgens den Kaſtenmann
nicht mehr, aber wohl den Soldaten, welcher mir
vierzehn blanke Kronenthaler wieß, die er dem Bur-
ſchen abgenommen hatte. O, ſagte er, lieber Herr,
ich kann mogeln, wie der Teufel, das hab ich bey
den Preußen gelernt. Alſo Mogeln, dachte ich, iſt
eine Kunſt, die man bey den Preußen leicht lernen
kann!! Die Gegend von Nordhauſen bis Sanger-
hauſen iſt himmliſch: man heißt ſie die guͤldne Aue,
und ſie verdient dieſen Namen auch vollkommen:
auf der Seite ragt der hohe Kipphaͤuſer hervor,
von welchem der Poͤbel gar viel zu erzaͤhlen weiß.
In dieſem Berg iſt naͤmlich der Sage nach eine be-
zauberte Hoͤhle, worin Kayſer Friedrich der Erſte,
oder der Rothbart mit ſeinem Hofſtaat an einer ſtei-
nernen Tafel ſitzt, und nicht eher erloͤſt werden
[224] kann, bis ſein Bart neun Mal wird um die Ta-
fel gewachſen ſeyn: ſchon vor hundert Jahren um-
gaben die rothen Haare von Friedrichs Bart ſechs
Mal die myſterioͤſe Tafel, alſo wird wohl Frie-
drich bald frey werden. Die Fabel ſchreibt ſich ohne
Zweifel daher, daß damals, als Friedrich im Ori-
ent umkam, lange Zeit niemand in Deutſchland
wußte, wo er hingekommen war.


Die ganze Straße von Nordhanſen bis nach
Sangerhauſen war damals mit Saͤchſiſchen Dra-
gonern beſetzt, welche verhindern ſollten, daß kein
Getreide aus dem Saͤchſiſchen nach Nordhauſen
verfuͤhrt wurde. Sachſen war geſperrt, aber die
Herren Drogoner ließen mit ſich handeln, und ſo
wurde gewaltig viel Roggen, Weitzen, Gerſte und
Hafer durchgefahren. Die Kerle lebten einen gu-
ten Tag in fraudem legis.


In Sangerhauſen ſprach ich bey Hr. Kayſer
dem Kaufmann ein, welcher recht guten Wein hat,
und zog dann weiter: aber ſchon zwey Stunden
von dieſer Stadt mußte ich wieder Halt machen, weil
es regnete. Ich legte mich um neun Uhr auf die
Streue, aber ſchon um elf kamen Gaͤſte, welche
auf dem naͤchſten Dorf Gevatter geſtanden, und
nun ein Scandal machten, daß ich unmoͤglich
ſchlafen konnte. Was war zu thun? Ich ſtand
auf, und nahm an der Geſellſchaft Antheil, welche
bis
[225] bis Tag beyſammen blieb, und ſich die Zeit mit
Koffee- und Schnappstrinken und Zotenreißen ver-
trieb. Hier konnte ein Sammler zotologiſcher
Anekdoten ſeinen Vorrath um ein ſtarkes vermehren.


Weiter begegnete mir auf dieſer Reiſe nichts
Sonderbares: doch lernte ich noch die wahre Ur-
ſache kennen, warum die Weidenbaͤume, wenn ſie
aͤlter werden, pflegen aufzuplatzen, und dieſe muß
ich meinen Leſern mittheilen. Zwiſchen Scherben
und Paſſendorf kam ein huͤbſcher Menſch zu mir,
welcher aus dem Mansfeldiſchen gebuͤrtig war.
Wir ſprachen von allerhand, endlich kamen wir an
eine Reihe Weidenbaͤume. „Sieh an, ſagte ich,
die Baͤume ſind auch alle geborſten.“


Er. Ja, wiſſen Sie aber auch warum?


Ich. O ja! Die Baͤume werden oft ihres
Oberholzes beraubt: da muß alſo der Saft im
Stamm bleiben, und macht, daß dieſer aufſpringt.


Er. Larifari, das iſt nicht wahr; ich weiß es
wohl beſſer.


Ich. Nun, und —


Er. Kennen Sie Judas, den Verraͤther?


Ich. Nein, den kenne ich nicht, aber gehoͤrt
habe ich von ihm. Wie kommt aber Judas, der
Verraͤther, und die Weidenbaͤume zuſammen?


Er. O, ſehr ſtark.


Laukh. Leben 5ter Theil. P
[226]

Ich. Das verſtehe ich nicht, und bin begierig,
es zu vernehmen.


Er. Ja, ſehen Sie, Judas hat ſich an ei-
nen Baum gehenkt, nachdem es ihm leid gewor-
den war, daß er den Herrn verrathen hatte. Der
Baum, woran ſich der Schuft aufhenkte, war ein
Weidenbaum.


Ich. Je nun, wenn es auch ein Weidenbaum
war, ſo wars doch gewiß keiner von dieſen da.


Er. Nein, das wars nicht: aber es war doch
ein Weidenbaum, und nun muͤßen alle Weiden-
baͤume dafuͤr buͤßen: Gott hat ſie alle verflucht,
daß ſie muͤßen aufberſten, wie Judas, der Verraͤ-
ther, aufgeborſten iſt. Hab ich nicht Recht, Herr?


Gegen ein ſolches Argument hatte ich nun frey-
lich nichts einzuwenden, aber aus dem angefuͤhrten
Geſpraͤch erhellet doch, wie ſtark die Macht des
Aberglaubens noch iſt, und wie kraß und finſter
die Begriffe der Leute vom lieben Gott ſeyn muͤßen,
welcher alle Weidenbaͤume verfluchen kann, weil
Judas, der Schuft, ſich an einen Weidenbaum
gehenkt hat. Unſre heiligen Buͤcher ſelbſt ſcheinen
dieſen ſeltſamen, der goͤttlichen Gerechtigkeit ſo nach-
theiligen Fratzenglauben, zu unterſtuͤtzen. Denn
da lieſt ja der Poͤbel auch, daß Jeſus einen Feigen-
baum ve [...]flucht habe, weil er zu einer Zeit, da er
keine Feigen haben konnte, auch wirklich keine hatte.
[227] Der arme Feigenbaum am Wege mußte verdorren,
und hatte doch nichts verbrochen.


Drey und zwanzigſtes Kapitel.


Meiſter Schaͤfer der Schuſter zu Halle.


Ich hatte im Sommer 1799 in einem Hauſe ge-
wohnt, welches die Kutſche heißt, und war von
da im Herbſt zu einem Schuhmacher gezogen, wel-
cher Schaͤfer hieß, unter den hieſigen Buͤrgern
aber mehr unter dem Namen des Hn. Unteroffi-
ziers, als unter ſeinem eignen bekannt war. Schaͤ-
fer hatte naͤmlich bey einer gewiſſen Gelegenheit
ſich geruͤhmt, er ſey Unteroffizier bey der Stadt,
und habe das Recht, einen Degen zu tragen mit ei-
nem Portdepe. Die Hallenſer ſind aber komiſche
Leute, welche nichts weniger vertragen koͤnnen,
als dummen Bauernſtolz, und jeden ſarkaſtiſch
verfolgen, der ſich ſo was zu Schulden kommen
laͤßt: Schaͤfer hieß daher der Herr Unteroffizier,
ſo wie ein anderer Jemand der Leutnant genannt
wurde, weil er zu ſeiner Frau beym Abſchied ins
P 2
[228] Feld geſagt hatte: „als Corporal gehe ich weg, als
Leutnant komme ich wieder.“


Ich kann nicht eigentlich ſagen, was mich be-
wog, zu dem Schuſter Schaͤfer zu ziehen: meine
Frau war auch hier an meiner Mißlage vorzuͤglich
Schuld, dieſe miethete das Zimmer, und that ſo
froh, als ſie auf dem Katzenplan — ſo heißt das
Plaͤtzchen, worauf Schaͤfer ſein Haus hatte —
wohnen konnte, als logierte ſie im Luſtgarten des
Paradieſes.


Indeſſen waͤhrte die Freude nicht lange: meine
Frau kam bald in die Wochen, und der fuͤrchterlich
kalte Winter, welcher erfolgte, machte, daß wir in
der ſehr uͤbel verwahrten Stube mehr Feuerwerk
brauchten, als zur Heitzung von zwey andern Zim-
mern noͤthig geweſen waͤre. Meine Frau ſprach
deßwegen mit dem Wirth; dieſer verſprach den Ofen
machen zu laßen: denn hieran mußte die Schuld lie-
gen, daß die Stube ſich ſo ſchwer heitzen ließ;
aber ſtatt den Ofen zu verbeſſern, nahm er die ei-
ſerne Platten heraus, und ſetzte Ziegeln dafuͤr
ein: die Platten verkaufte er, wie er dann hernach
vor ſeinem loͤblichen Abſchied von Halle ſogar die
Oefen verkauft hat. Auſſerdem trillte uns Schaͤfer
unaufhoͤrlich um Geld, daran aber hatte er noch nicht
genug: er trug mich noch obendrein in allen Knei-
pen herum, und gab bald da bald dort vor, ich
[229] ſey ihm, wer weiß wie viel ſchuldig, zwanzig,
dreyßig Thaler, und noch druͤber: wer mich kannte,
und den Herrn Stadt-Stabs-Unteroffizier Schaͤ-
fer, der wußte freylich, daß dieß gelogen war:
denn Schaͤfer konnte mir keine dreyßig Thaler bor-
gen, ſo viel hatte er noch niemand borgen koͤnnen.


Mein Gevatter Engelmann von Schochwitz be-
ſuchte mich oͤfters, und da Freund Schaͤferus merk-
te, daß der Mann Geld hatte, lag er ihm an,
wenigſtens ihm drey Louisdor zu borgen, welche
er binnen vier Wochen wieder zu geben verſprach.
Engelmann traute dem Menſchen, weil er aber kein
Geld bey ſich hatte, verſprach er es ihm zu ſchicken,
Freund Schaͤfer aber, welcher befuͤrchtete, Engel-
mann moͤgte auf andre Gedanken kommen, und
ihm den Credit verſagen, nahm ein Pferd, und
begleitete den ehrlichen Engelmann nach Schoch-
witz, wo er das Geld empfing, und dann eine Luſt-
reiſe ins Mansfeldiſche machte, von welcher er
nicht eher zuruͤckkam, als bis das Geld alle war.
Engelmann hat noch keinen Kreuzer von ſeinem
Geld wieder geſehn, und wird, ſi diis placet, auch
keinen wieder ſehen.


Einen andern ehrlichen Mann wollte Schaͤfer
auch anprellen, aber ich verhinderte es. Dieſer war
Hr. Lederhaͤndler Zappe von Magdeburg, mit wel-
chem ich hier in Halle Bekanntſchaft und Freundſchaft
[230] gemacht hatte. Hr. Zappe und ich ſaßen bey ein-
ander auf dem Weinkeller, und waren vergnuͤgt,
als Schaͤfer ſich ſo nach ſeiner dummdreiſten Art
bey uns eindrang, und an unſerm Wein Theil nahm,
welchen Hr. Zappe auch gerne hergab, da er hoͤrte,
der Zudringliche ſey mein Hauswirth. Dieſer, wel-
cher bloß gekommen zu ſchmarntzen, hoͤrte nun, Hr.
Zappe ſey ein Lederhaͤndler, und machte ſeine
Sachen ſo gut, daß Zappe ihm fuͤr hundert Thaler
Leder zu ſchicken verſprach, welche Schaͤfer auf die
Oſtermeſſe bezahlen ſollte. Sie machten ſogar eine
Art von ſchriftlichem Contract. Den folgenden
Tag ſprach ich Hn. Zappe auf dem Loͤwen; er frag-
te mich nach dem Credit des Großſprechers; als
ich ihm aber die wahren Umſtaͤnde deſſelben entdeck-
te, dankte er mir und war froh, daß er ſein Leder
noch hatte. Haͤtte er es geſchickt, ſo war er geprellt,
wie ſo mancher andere.


Mit allen Leuten im Hauſe zankte ſich Mosjeh
Schaͤfer alle Tage, und beſonders heftig, wenn er
kein Geld hatte, welches dann ſehr oft der Fall
war. Er haßte nichts ſo ſehr, als die Arbeit; fruͤh,
wenn er aufſtand — fruͤh hieß aber bey Schaͤfer ſo
viel als um neun oder zehn Uhr — zog er ſich
ſchnell an, und eilte in eine Kneipe, um da ſein
Fruͤhſtuͤck einzunehmen: nach Tiſche, das heißt nach
der Zeit, wo ordentliche Leute zu eſſen pflegen,
[231] ſtieg oder, wenn er Geld hatte, ritt er zu Dorfe.
Stichelsdorf war ſein Lieblingsort, theils weil es
da herrlichen Breyhan giebt, theils aber auch,
weil er daſelbſt einen Freund, den Hn. Amtsver-
walter Bertram hatte, welchen er auch weidlich
geſchnellt hat. Der gutmuͤthige Mann dachte, ſein
Gevatter Schaͤfer wuͤrde ihn nicht anfuͤhren, und
borgte ihm — zu ſeinem Schaden. Von Sti-
chelsdorf kehrte er gegen Abend nach Halle zuruͤck,
pflanzte ſeinen Leichnam auf den Rathskeller, auf
die Mail, oder auf die Loge, und hielt daſelbſt aus
bis auf den lezten Mann.


So gings einen Tag und alle Tage: wie ſeine
Wirthſchaft bey dieſer Lebensart gefahren ſey, kann
man leicht denken. Er hielt zwar Geſellen, aber
die verließen ihn bald, ſo auch die Lehrburſche,
welche bey ſo einem Meiſter nichts lernen konnten;
mit der Frau lebte er wie Hunde und Katzen mit
einander zu leben pflegen: dabey war er ein großer
Verfechter der Innungsprivilegien, ein Erzfeind
alles Herkommens, und wollte alles bloß durch Ge-
ſetze entſchieden wiſſen. Eben daher zankte er ſich
unaufhoͤrlich mit den andern Meiſtern, welche ihn
aber nur auslachten, und ſchreien ließen.


Da er unendlich viel uͤbelverſtandnen Stolz
beſaß, ſo war ihm nichts empfindlicher, als wenn
er wegen Schulden gemahnt wurde, am alleraͤrg-
[232] ſten aber tobte und ſchalt er, als ihm von Ma-
giſtrats wegen einige Neppe zur Auspfaͤndung ins
Haus geſchickt wurden. Nie habe ich einen Men-
ſchen geſehen, der ſich komiſcher betragen haͤtte, als
ſich unſer Hr. Unteroffizier damals betrug. Da
wollte er alles zum Hauſe hinaus werfen: aber
ein derber Soldat, welcher zu einer hinten im Ho-
fe wohnenden Frau gehen wollte, und welchem der
Schuſter Grobheiten ſagte, griff ihn bey der Gur-
gel, und transportirte ihn ſehr unſanft ſelbſt zur
Hausthuͤre hinaus.


So zaͤnkiſch aber ſonſt auch Schaͤfer, und ſo
impertinent grob er gegen jederman war, der ihm
in den Weg kam, kann ich doch nicht ſagen, daß
er mit mir gezankt, oder mir Grobheiten geſagt
habe, bis ohngefaͤhr einige Wochen vor meinem
Abzug aus ſeinem Hauſe, und auch damals war
er gegen mich nicht eigentlich grob.


Meinen Leſern muß dieß billig auffallen, und
ſie werden mir es ohne Zweifel uͤbel nehmen, daß
ich den Ehrenmann hier ſo unvortheilhaft beſchreibe,
zumal da er nicht in Halle iſt, und ſich nicht ver-
theidigen kann: ſie finden in der Schilderung des
militaͤriſchen Schuſters vielleicht eine gewiße de-
mangeaiſon de médiſe,
die keinem Menſchen wohl
anſteht, und die ich mir bey allen meinen uͤbrigen
Fehlern, doch nicht gerne moͤgte vorruͤcken laßen.
[233] Aber das folgende Kapitel ſoll und wird mich gewiß
entſchuldigen. Ich weiß es recht gut das goldne
Spruͤchlein de mortuis et abſentibus non niſi bene,
aber obgleich der Schuſter Schaͤfer jetzt abweſend
iſt, ſo darf ich ihn nicht allein doch beſchreiben,
ſondern ich glaube auch, daß es meine Pflicht iſt,
einen Menſchen oͤffentlich bekannt zu machen, der
ſich an mir ſo wie Schaͤfer verſuͤndigt hat.


Vier und zwanzigſtes Kapitel.


Huͤbſche Raritaͤten.


Ich habe immer von der Enthaltſamkeit und von
der Keuſchheit der Frauenzimmer ſo meine ganz eig-
ne Gedanken gehabt, und niemals die Vorzuͤge
einer Frau oder eines Maͤdchens bloß allein in
der Jungferſchaft oder in der ehelichen Treue geſucht.
Es mag uͤbrigens eine ganz huͤbſche Sache ſeyn,
wenn man ein lediges Maͤdchen als Jungfer zur
Gattin erhaͤlt, oder wenn eine Ehefrau ſichs nie
nach fremder Koſt geluͤſten laͤßt. Aber nur wenige
ſind ſo gluͤcklich, dieſes Loos zu treffen, wie die
leidige Erfahrung zeigt und beweiſet.


[234]
— Tarpejum limen adora

Bonus et auratam Junoni caede juvencam,

Si tibi contigerit capitis matrona pudici!

Paucae adeo Cereris vittas contingere dignae

Quarum non timeat pater oſcula —

ſagt Juvenalis *) vielleicht etwas ſtark, aber ſehr
wahr fuͤr ſeine Zeit, und fuͤr die unſrige nicht ganz
falſch wenigſtens. Da nun die Hoͤrnertraͤgerey ſo
ein gemeines, ja gar allgemeines Uebel iſt, ſo darf
man beynahe behaupten, es ſey ein nothwendiges
Uebel, und daher iſt es recht, und billig, daß man
es mit Gedult ertrage, und ſo viel als moͤglich iſt,
zu lindern und zu beſſern ſuche, wenn es eintritt.
Die Franzoſen haben daher ganz Recht, daß ſie
wenig eiferſuͤchtig ſind, und es von jeher auch we-
nig waren: Die ſonſt ſo eiferſuͤchtigen Italiener
und Spanier ſind zu unſern Zeiten ſehr nachſichtig,
und in Italien hat jede Dame einen Cicisbeo, ſo
wie in Spanien jede einen Corteja hat: geringere
Frauenzimmer haben hier ihre amigos und in Ita-
lien ihre vicini. Das iſt ſchon recht ſo: die Leute
ſind tolerant geworden, und haben eingeſehen, daß
unter allen Bocksſtreichen keine naͤrriſcher heraus-
kommen, als die, welche ein Eiferſuͤchtiger ge-
woͤhnlich macht.


[235]

Ich denke, wenn die Frau das Scandal nicht
gar zu arg macht, und ihren Mann nicht abſicht-
lich zu beſchimpfen und zu kraͤnken ſucht, hat die-
ſer keine Urſache, mit ihr zu brechen. Manche
machen es freylich zu arg, und ſolche verdienen
fortgejagt zu werden, aber grade ſolche Creaturen
pflegen recht nachſichtige Maͤnner zu haben. Doch
dieſe Kerle ſuchen ihren eigenen Nutzen zu befoͤr-
dern, indem ſie die Schleichgaͤnge der Frau Ge-
mahlin nicht verhindern. Ich habe die Ehre, eine
gewiße Madam zu kennen, welche mehr als einen
angeſehenen Mann in ihr Netz gezogen, und mehr
als eine Familie in große Unordnung gebracht hat.
Ihre Liebhaber waren bloß Ehemaͤnner: denn von
ſolchen konnte die Kokette mehr ziehen, als von
Unverheiratheten, aber es waren auch durchaus
Schafskoͤpfe, welche ſich prellen ließen nach No-
ten; insbeſondere wird geſagt, daß ſich ein gewiſ-
ſer Herr Schwarzrock, vulgo Pfaff, habe von der
Liſtigen ganz artig haͤnſeln laßen, aber obgleich
dieſer Pfaffe fuͤnf oder ſechs hundert Thaler fuͤr das
Vergnuͤgen von einer halben Viertelſtunde hingeben
mußte, hat ihn doch jederman ausgelacht, und
niemand bedauert, und das mit Recht: denn nichts
iſt abſcheulicher als ein heuchleriſcher Pfaffe. *) Der
[236] Ehemann der Madam, von welcher ich rede, wuß-
te um ihre ganze Wirthſchaft, da Madame alles ſo
frey oͤffentlich trieb, daß die ganze Stadt daruͤber
ſkallirte, und daß in allen Kneipen, wohin Herr
Gerber, der Ehemann, kam, ſo deutlich daruͤber raͤ-
ſonnirt wurde, daß er haͤtte muͤſſen von Holz ſeyn,
wenn ers nicht haͤtte verſtehn wollen. Aber Herr
Gerber hatte dazu keine Ohren: er ließ ſeine liebe
Jule machen, was ſie wollte, und lebte einen guten
Tag. Geſchaͤfte hatte Hr. Gerber nie geliebt, und
da das von Madam verdiente Geld ihn der Muͤhe
uͤberhob, ſelbſt Geld zu verdienen, ſo freute er ſich
ſeiner Hahnreyſchaft, die ihm ſo viele Vortheile brach-
*)
[237] te. Aber Julchens Reize nahmen nach gerade auch
ab, und verſchwanden, und mit ihnen verſchwan-
den auch die Liebhaber. Einige waren von ihr zu
Grunde gerichtet worden, und die darbenden Fami-
lien fluchten der Koketten, andre hatten die Ver-
fuͤhrerin naͤher kennen lernen, und verachteten ſie:
neue Liebhaber, welche im Stande geweſen waͤren,
Geld zu geben, und die ausſchweifenden Beduͤrf-
niſſe der Madame zu befriedigen, kamen nicht;
aber Madame mußte durchaus bedient ſeyn, und
ſchaffte, welche freylich nicht klotzten, weil ſie
nicht konnten, welchen aber Madame klotzen mußte.
Madame war gewohnt, ſtets auf hohen Fuß zu
leben, und ein Haus zu machen: ſo lange ihre
Anbeter noch huͤbſch reich waren, ging das Ding
gut, aber als ſie anfing nichts mehr einzunehmen
fuͤr ihre Gunſtbezeugungen, mußte Madame aus
eignen Mitteln die ſchweren Ausgaben beſtreiten,
welche das Hausmachen zu koſten pflegt. Dar-
uͤber gerieth ſie in Schulden, und ihres Mannes
Credit in gewaltige Unordnung. Nun erſt fiel es
Herrn Gerbern ein, daß ſeine Frau ihm untreu ge-
weſen war, und er ließ ſich ſcheiden, da ſie nichts
mehr verdienen konnte.


So ein Mosjeh, wie Herr Gerber und ſeines
Gleichen, verdient Verachtung: aber ſoll man dann
auch ohne Unterſchied jeden verachten, der ſeiner
[238] Frau einen Fehler vergiebt, und eine Gattin be-
haͤlt, von deren Fall er uͤberzeugt iſt? Ich denke,
nein! Sie beſſert ſich, und dann mags ja gut ſeyn:
wir ſind ja alle ſterbliche Menſchen, pflegte meine
Tante immer zu ſagen, wenn ihr mein Vater ihre
Ausſchweifungen im Trunke vorhielt. Eine Frau
kann ſonſt ſehr ſchaͤtzbare Eigenſchaften haben,
welche den Ehemann mit Recht bewegen koͤnnen,
ihr einen verliebten Fehltritt zu vergeben. Frauen-
zimmer ſind ſchwache Geſchoͤpfe, und man weiß
ja, daß luͤſterne Burſche huͤbſchen Weibern mehr
nachſteheu, als ledigen Maͤdchen, und das aus
leicht zn errathenden Gruͤnden.


Hier werden meine Leſer fragen, was dann
Meiſter Laukhard gethan haben wuͤrde, wenn ihm
ein andrer ins Gehege gegangen waͤre? Ich weiß
es warlich nicht, meine Herren, was ich grade ge-
than haben wuͤrde: denn mich regieren die Leiden-
ſchaften, wie der Wind das ſchwache Rohr: aber
das weiß ich doch, daß ich wuͤrde klug gethan ha-
ben, wenn ich geſchwiegen, und mein Kreutz mit
Gedult getragen haͤtte. Mein Hannchen hat mir
zwar in dieſem Stuͤck noch keine Gelegenheit oder
Urſache zu klagen gegeben; aber wenn dem auch ſo
waͤre, ſo wuͤrde ich mir wahrſcheinlich haben zu-
reden laſſen.


[239]

Herr Profeſſor M.... zu F.... ſperrte erſt
den Leuten die Maͤuler auf, und nachdem er ſich
und ſeine Frau weidlich beſchimpft hatte, ließ ers
auch gut ſeyn: er haͤtte den Spektakel nicht anfan-
gen ſollen. Herr M.... war ein Buͤcherwurm,
lag den ganzen Tag und die halbe Nacht uͤber dem
Corpus Juris: die Zeit, wenn er nicht ſtudierte,
oder ſchlief, brachte er bey der Weinflaſche zu. In
H...., wo er anfangs exiſtirte, heyrathete er ein
junges Ding, welches mit der Lebensart des Herrn
Gemahls durchaus nicht zufrieden ſeyn konnte.
Madame ſuchte ſich alſo andern Zeitvertreib, und
fand ihn mit Studenten und ſogar mit gemeinen
Soldaten. Der Herr Profeſſor merkte nichts:
ſeine Frau trieb das Leben ſo frech und ſo oͤffentlich,
daß die ganze Stadt davon redete, und er merkte
noch immer nichts. Endlich wurden ſeine eigne
Collegen aufgebracht, und meynten, ein ſolches
Betragen einer Frau Profeſſorin blamire die ganze
Innung. Prof. N.... ein Freund des Hn. M...
uͤbernahm es, dieſem das ſkandaloͤſe Leben der
Frau vorzuſtellen, und that es nach der ihm ganz
eignen zotologiſchen Freymuͤthigkeit *) ſo kraͤftig,
[240] daß M.... Fener fing, und beſchloß, ſich ſcheiden
zu laſſen. Waͤhrend der Verhandlung kamen die
abſcheulichſten Dinge zum Vorſchein, und unter
andern auch, daß Madame oͤffentliche Hurenhaͤu-
ſer beſucht hatte. Es war nun ganz natuͤrlich, daß
Hr. M.... ſeine liebe Frau loswerden mußte;
aber die Mutter derſelben, eine alte Politikuſſin,
brachte ihn durch Geld und Champagner, wie auch
durch einen Codex Theodoſianus in 6 Folianten,
den ſie ihm ſauber gebunden zuſchickte, ſo herum,
daß er den Scheidungsprozeß niederſchlug, und
ſeine Frau wieder zu ſich nahm. Die Acten wur-
den bey dem Univerſitaͤtsgericht niedergelegt, aber
Hr. M.... aͤrgerte ſich doch, daß in der Regiſtra-
tur der Univerſitaͤt Papiere lagen, welche ſeiner
Ehre ſo ſehr nachtheilig waren. Er ſagte daher
dem Actuar, er moͤgte ihm doch ſeine Acten auf ei-
nige Tage geben, er habe wonach zu ſehen. Der
Actuar, welcher einfaͤltiglich glaubte, was der
Hr. Profeſſor ſagte, gab die Acten hin, und Herr
M.... ließ ſogleich Feuer anzuͤnden im Ofen, und
warf die Acten hinein. Freylich waren nun die
Papiere dahin, aber M....s Schande und die
ſeiner Frau waͤhrte noch immer, er machte daher,
daß er fortkam, und ging nach F...., wo man
ſeine Hahnreyſchaft weniger kannte, als in H....
Man ſagt, die Frau Profeſſorin ſoll ihrem Ehe-
mann
[241] mann nie wieder Gelegenheit gegeben haben, eine
Eheſcheidungsklage wider ſie anzufangen, ob es
gleich nicht an Leuten fehlte, welche ausſprengten,
in F.... ſogar habe ſie Stipendien an huͤbſche
Studenten ausgetheilt.


Fuͤnf und zwanzigſtes Kapitel.


Fortſetzung des drey und zwanzigſten Kapitels.


Als ich von Nordhauſen zuruͤck kam, empfing
mich meine Frau mit vieler Herzlichkeit, aber ſo-
bald die erſten Bewillkommungen vorbey waren,
floß ihr Mund von Invectiven wider den Schuſter
Schaͤfer uͤber. Der Bube hatte ſie im Zank eine
Hure geheiſſen, und ihr vorgeworfen, ſie habe ei-
nen guten Freund von mir mehr beguͤnſtigt, als es
einer Ehefrau zukomme. Ich kannte den Schuſter,
und wußte, daß er an alle Schlechtigkeiten und
Eſeleyen gewoͤhnt, jederman fuͤr einen ſchlechten
Kerl und fuͤr einen Eſel anſahe. Ich rieth meiner
Frau, ſtille zu ſchweigen, dieſe aber beſtand dar-
auf, daß ich den Burſchen koramiren ſollte. Ich
mußte gehorchen, denn eine Frau hat allemal das
Recht, ſo Etwas zur Rettung ihrer Ehre von ih-
rem Manne zu fordern. Des andern Tages fruͤh
ſprach ich mit dem Staabsunteroffizier Schaͤfer,
Laukh. Leben 5ter Theil. Q
[242] und hielt ihm ſein Vergehen vor; er aber ſchwur
hoch und theuer, es ſey nicht wahr; er koͤnne zwar
einiges geſagt haben, aber dann ſeys gewiß nicht
in uͤbler Abſicht, und zwar in einem bey ihm ſehr
gewoͤhnlichen hohen Grad der Beſoffenheit geſche-
hen u. ſ. w. Was wollt ich machen? Zeugen hatte
ich keine, und den Mosjeh auf einen Schwur zu
treiben, hielt ich nicht fuͤr rathſam: denn es iſt
uͤberhaupt eine kuͤtzliche Sache, ſein Recht auf ei-
nen Eid ankommen zu laßen, beſonders in Halle,
und bey Schaͤfern war es gewiß am aller kuͤtzlich-
ſten: denn dieſer hatte einſt auf dem Rathskeller
erklaͤrt, ein Schwur ſey eine Lumperey; man koͤn-
ne ſo ein Ding hinbrummen — ſeine eigene Aus-
druͤcke — ohne ſich das geringſte Gewiſſen zu ma-
cheu. Ich mußte alſo ſchweigen, und alles war
wieder gut.


Die Sache ſelbſt, welche Schaͤfer meiner Frau
vorwarf, ruͤhrte mich nicht im Mindeſten: denn der-
jenige Freund, mit welchem, nach der Laͤſterung
des Buben meine Frau ein Verbrechen begangen
haben ſollte, war damals, als ich in Nordhauſen
war, zwar in Halle, aber in ſolchen Umſtaͤnden be-
fand er ſich, welche nicht erlauben, daß man an
naͤheren Umgang mit Frauenzimmern denke: ich
konnte daher ſehr ruhig ſeyn. Daß uͤbrigens mein bra-
fer Freund meine Frau beſucht, und ihr in meiner
[243] Abweſenheit Beyſtand geleiſtet hat, verdanke ich
ihm herzlich. Man hatte naͤmlich ausgeſprengt,
ich ſey in Nordhauſen geſtorben, und da zog ſich
jederman von meiner Frau zuruͤck, aber der ehr-
liche S... und Hr. B. nahmen ſich meiner Frau und
meines Ackens an, und ſo konnten dieſe auch ohne
mich ſubſiſtiren.


Mit Schaͤfern blieb nun alles ruhig, und er ſelbſt
legte weder mir noch meiner Frau nicht das Gering-
ſte mehr in den Weg. Ohngefaͤhr vierzehn Tage
vor Oſtern ſprach er mich um Geld an, welches
ich ihm zwar erſt bey der Raͤumung des Quartiers
zu geben hatte: denn ich wollte ausziehen. Ich
hatte eben eine Anweiſung an einen hieſigen An-
tiquar erhalten, und gab dieſe dem Schuſter, um
ſie Hn. Weidlich — ſo heißt der Antiquar — zu
bringen, und zu fragen, ob er ſie annehmen wollte.
Schaͤfer kam zuruͤck und meldete mir, daß Hr.
Weidlich den andern Tag verſprochen habe, die
Anweiſung zu bezahlen, nur ſollte er eine Quittung
von mir mitbringen.


Dieſe ſchickte ich zwar an Hn. Weidlich, ließ ihn
aber bitten, dem Schaͤfer nicht mehr als 6 Thlr. zu
bezahlen: denn grade ſo viel war ich ihm ſchuldig:
Schaͤfer, welcher gedacht hatte, die ganze Anweiſung
zu ziehen, und mich hernach warten zu laßen, und
Q 2
[244] am Ende zu prellen, gerieth hieruͤber aufs heftigſte
in Wuth, und da er vermuthete, meine Frau habe
mich bewogen, ihm nicht mehr zu geben, als ihm
zukomme, wie es denn auch wahr iſt, fiel er dieſe
an, und nannte ſie in Beyſeyn einiger Buͤrger eine
Hure und Ehebrecherinn, welche einen fremden Herrn
in meiner Abweſenheit bey ſich habe ſchlafen laßen:
als ſich meine Frau etwas derb gegen den unſinni-
gen Buben vertheidigte, ſtieß dieſer ſie an, daß ſie
uͤber die Wiege hinſtuͤrzte.


Ich ward wegen dieſer infamen Behandlung
meiner Frau bey den Stadtgerichten klagbar, und
Hr. D. Scheuffelhuth, welcher die Klageſchrift auf-
ſetzte, wuͤrde dem elenden Wicht gewiß rechtſchaf-
fen eingeheizt haben, wenn der Burſche ſich nicht
fortgemacht, und alle die geprellt haͤtte, welche ei-
nige Forderungen an ihn hatten.


Kaum war Mosjeh Schaͤfer, der Schuſter und
Unteroffizier weg, ſo hoͤrte man ſein Lob in der
ganzen Stadt, und weit und breit auf dem Lande
herum. Es war in der Stadt beynahe keine Knei-
pe, wo er nicht Baͤren angebunden hatte, alle ſei-
ne Bekannte hatte er geprellt, und ich mußte meine
Klage liegen laßen. Wie konnte ich auch gegen
einen Hollunken agiren, welcher ſeine Frau und
zwar in ſchwangern Umſtaͤnden im aͤrgſten Elend
ſitzen laͤßt, und in die Welt laͤuft? Alle die, wel-
[245] che mit ihm zu thun gehabt hatten, krazten ſich
hinter den Ohren, und mußten nun durch Ehren-
titel, Schurke Spitzbube, Betruͤger, u.
d. gl. ihrem Aerger Luft machen. Ich hatte voll-
kommne Satisfaction: denn einem Elenden, wel-
cher durch Schulden, Fikfakkereyen und Buben-
ſtreiche, deren uͤble Folgen er fuͤrchtet, fluͤchtig wird,
kann man wohl eine Injurie vergeßen.


Aber warum thuſt du es denn nicht, Laukhard,
werden meine Leſer fragen? Warum beſchreibſt du
denn den elenden Schuſter Schaͤfer, ſo wie du gethan
haſt? Das war auch nicht recht.


Antwort: Ich thue dieß nicht meinetwegen:
denn mir liegt wenig daran, ob Schaͤfer der Staabs-
unteroffizier und Schuſter in Halle auf dem Raths-
keller, in Stichelsdorf bey Hr. Runge, oder in ei-
ner Branntweinskneipe ſitzt, und da den großen
Herrn macht, oder ob er unſtaͤt und fluͤchtig in der
Welt herumſtreicht: aber meiner Frau war ich dieſe
Genugthuung ſchuldig, und habe ſie ihr auch gerne
geleiſtet. Die Familie des Schaͤfers, welche in
Halle exiſtirt, habe ich weder beſchimpfen noch be-
leidigen wollen: was ich geſchrieben habe, iſt no-
toriſch, und jedem bekannt, ſo bekannt, daß ſich
von Schaͤfers Hiſtorien einige Spruͤchwoͤrter her-
ſchreiben, welche wahrſcheinlich, wie alle Spruͤch-
woͤrter, noch lange im Gang bleiben werden.


[246]

Von Halle aus zog Schaͤfer nach Erfurt, ließ
ſich daſelbſt von Kayſerlichen Werbern unterhalten,
und wurde nach Prag gebracht, wo er jetzt hal-
ter die Ehre und das große Gluͤck hat, halter
dem groͤß [...]en Herrn in der ganzen Welt zu dienen,
und halter den Stand eines Koſtbeutels zu be-
kleiden. Er hat ſchon einige Mal an ſeine Ver-
wandte geſchrieben, und ſie gebeten, fuͤr ſeine Los-
kaufung zu ſorgen, aber die wollen nichts von ihm
wißen. Seine Frau befindet ſich jetzt beßer als vor-
her, da der Wicht noch bey ihr war, aber ſeine
Schuldner ſind — geprellt.


Eben war ein Freund bey mir, dem ich das, was
ich vom Schuſter Schaͤfer geſchrieben hatte, vor-
las. Er ſchuͤttelte den Kopf, und meynte, es
wuͤrde beßer ſeyn, wenn ich die ganze Hiſtorie
wegließe. Ich koͤnnte einen Injurienprozeß mir
auf den Hals ziehen.


„Und wer ſoll mir den an den Hals werfen,“
fragte ich?


Er. Je nun ſeine Verwandten. —


Ich. Seine Verwandten? Die kuͤmmern ſich
um den Burſchen nicht.


Er. Meynen Sie? Seine Schweſter verthei-
digt ihn πυξ ϰαι λαξ.


Ich. Ha, ha, ha, das ſollte mir doch eine
wahre Freude ſeyn, wenn dieſe gegen mich auf-
[247] treten wollte. Aber Sie wißen ja, daß eine
Schweſter die Sache ihres Bruders nicht fuͤhr[en]
darf. Dem Bruder ſtuͤnde es noch eher an; der iſt
ja ein Juriſt, und koͤnnte an mir probiren
quid valeant humeri
Quid ferre recuſent.


Auf keinen Fall aber fuͤrchte ich mich: denn
ſind ſie klug, ſo ſchweigen ſie; ſchweigen ſie aber
nicht, und raͤſonniren brav, und ſpectakeln, was das
Zeug haͤlt, ſo lache ich, und finde gewiß viele,
die mit mir lachen. Uebrigens muß ich noch eini-
ge Kunſtgriffe erwaͤhnen, welche Schaͤfer anwen-
dete, wenn er kein Geld hatte, und doch ſaufen
wollte. Vielleicht koͤnnen dieſe Kunſtgriffe andern
Leuten nuͤtzlich ſeyn, welche ihm aͤhneln.


Einſt kam er auf die Loge zu Hr. Buſſe. Wer
hat da Ihrer Frau die Schuhe gemacht, fragte er?


Buſſe. Meiſter N. N.


Schaͤfer. Iſt ſchofele Waare, mein Seel!
Gott ſoll mich ſtrafen (beſieht die Schuh) ja meiner
Seele, mein Junge macht beßeres Zeug. Was
koſten denn die Latſchen?


Frau Buſſe. Einen Thaler.


Schaͤfer. Schwerenoth, ſo ein Paar Latſchen
einen Thaler! Da mache ich ein Paar derbe huͤb-
ſche Schuhe fuͤr 20 gl.


[248]

Fr. Buſſe. Je nun, ich brauche wieder
Schuhe.


Schaͤfer. Blox, will's Maaß nehmen.


Schaͤfer nahm das Maaß, ſoff einige Tage
auf die zu machenden Schuhe los, und als er merk-
te, daß die 20 gl. herunter ſeyn mogten, kam er
nicht wieder. Hr. Buſſe mahnte ihn einige Mal,
aber da er ſahe, daß doch nichts werden wuͤrde,
ließ ers gut ſeyn, und iſt — geprellt.


Ein ander Mal kam er auf den Univerſitaͤts-
keller, ein Beckermeiſter ſaß da, und trank ein Glas
Breyhan. Schaͤfer that, als ſaͤhe er den Becker
nicht, wendete ſich gegen einen ſeiner Mitmeiſter,
und ſagte: Es iſt doch zum Raſendwerden, wenn
man denkt, Geld zu kriegen, muß man noch ſuchen,
wo man welches herkriegt, um es einzuloͤſen.


Der Meiſter. Es wird wohl auf der Poſt
liegen.


Schaͤfer. Warum nicht gar auf der Poſt?
In der Kugel vorm Steinthor ſteht es in Saͤcken.
Stelle Dir vor, der Lauſekerl da von — — der
vertrackte — — iſt mir ſchon ſeit Jahr und Tag
Geld ſchuldig: ich drohte ihm mit der Klage, da
ſchaͤmte er ſich, und ſchickt mir heute neun Schef-
fel Roggen herein. Sechs ſollen meine, und drey
ſoll ich ihm bezahlen. Sein Kerl hat die Saͤcke
in der Kugel abgeſetzt, und will nun Geld haben.


[249]

Meiſter. Du mußt die drey Scheffel verkau-
fen, ſo kriegſt Du ja gleich Geld.


Schaͤfer. Das will ich auch: weiſt Du nie-
mand, der alles zuſammen nehmen wollte.


Der Beckermeiſter legte ſich nun drein, und
fragte nach dem Preiß: Schaͤfer ſetzte einen ci-
pilen, verſprach dem Becker alle neun Scheffel zu
laßen, ließ ſich aber gleich 4 Thlr. 12 gr. auf
Abſchlag geben, um den Kerl abzufertigen, wie
er ſagte, ging dann ſchnell fort, und — kam
nicht wieder.


Vor vierzehn Tagen ſprach ich mit einem kayſer-
lichen Deſerteur, welcher den Mosjeh Schaͤfer recht
gut kannte. Er beſchrieb mir ihn ſo, daß ich wohl
merken konnte, er habe ſich bey den Koſtbeuteln nicht
um ein Haar gebeſſert. Sein brutales Weſen hat
ihm auch ſchon einige Mal derbe Regimentsſtrafen,
wie der Deſerteur ſagte, zugezogen, aber vielleicht
hats der Kerl uͤbertrieben, und Schaͤfers Zuͤchti-
gungen waren wohl nur Arſchpruͤgel, welche bey
den Halters nur gar zu gemein und leicht zu ha-
ben ſind.


[250]

Sechs und zwanzigſtes Kapitel.


Oeffentliches Aergerniß und Apologie.


Nach meiner Ruͤckkehr von Nordhauſen unterhielt
ich mit meinen daſigen Freunden, beſonders mit
dem Hn. Juſtitzcommiſſar Lange, einen ununterbro-
chenen Briefwechſel: ich ſchrieb ellenlange Epiſteln,
und erhielt dergleichen wieder zuruͤck, kurz ich lebte
auch noch in der Ferne mit meinen lieben Freunden.
Herr Juſtitzcommiſſar Lange meldete mir, daß er
eine kleine Schrift herauszugeben geſonnen ſey,
worin auch meiner und meines Aufenthalts zu
Nordhauſen gedacht werden wuͤrde, und fragte
mich, ob ich ſein Unternehmen billige? Warum
ſollt' ich das nicht thun? Hatte ich doch ſelbſt ſchon
fuͤnf dicke Baͤnde von mir in die Welt geſchickt:
und zudem war nicht zu vermuthen, daß Hr. Lan-
ge etwas ſkandaloͤſes und ehrenruͤhriges von mir
anbringen wuͤrde: dazu war er zu ſehr mein Freund,
und ein zu ehrlicher Mann. Ich ſchrieb ihm alſo,
und bat ihn, mir bald Bogen zu ſchicken. Ich
wartete lange vergebens, nun aber erhielt ich das
Nordhaͤuſiſche woͤchentliche Nachrichts-
blatt, 17tes Stuͤck vom 27. April 1801 und er-
ſtaunte nicht wenig, als ich folgenden Artikel las,
[251] welcher gleich vorn, und zwar wie's ſcheint, abſicht-
lich voran gedruckt war.


Oeffentliche Bekanntmachung.


Allen Unſern gutdenkenden biedern Buͤrgern und
Einwohnern, welche ſich die Muͤhe genommen ha-
ben, die von dem Herrn Juſtiz-Commiſſair Lange
herausgegebenen Bogen uͤber den Aufenthalt
des Herrn Magiſter Laukhard in Nord
-
hauſen etc. nur zu durchblaͤttern, wird bey dem
erſten Anblick derſelben gewiß nicht entgangen ſeyn,
wie aͤußerſt platt und ſchmutzig die Ausdruͤcke ſind,
deren ſich der Verfaßer zur offenbaren Beleidigung
der Leſer, der Sittlichkeit, und des guten Ge-
ſchmacks bedient; wie ſchal der Witz iſt, womit
derſelbe Gegenſtaͤnde abgehandelt hat, die auch
nicht das geringſte Intereſſe haben, und wie ſtraͤf-
lich er ſich ſogar erdreuſtet hat, bey dem aufgeſtell-
ten Begriff des Worts Genie eine hoͤchſt ſkandaloͤſe,
die Wuͤrde der chriſtlichen Religion ſchaͤndende Zu-
ſammenſtellung und Vergleichung zu machen. Zwar
ſoll der Herr Magiſter Laukhard bey einem Abend-
Geſpraͤche dieſe unerhoͤrte Vergleichung gemacht
haben; allein dies kann dem Verfaßer auf keine
Weiſe zur Entſchuldigung dienen, denn wer berech-
tiget ihn, ein Geſpraͤch unter vier Augen oͤffentlich
durch den Druck bekannt zu machen, und durch die
Lobſpruͤche der Laukhardſchen Definition jene Mey-
[252] nung und Vergleichung zu billigen und oͤffentlich
anzupreiſen. Wer gab ihm das Recht, in der Note
ſub No 7 uͤber die Dogmen der chriſtl. Kirche ſo
hoͤchſt unanſtaͤndige Ausdruͤcke zu gebrauchen?


Wir ſind nun zwar weit entfernt, die Preßfrey-
heit allhier nur im geringſten einſchraͤnken zu wol-
len; koͤnnen aber ohnmoͤglich geſtatten, daß ſolche
in Preßfrechheit ausarte, und daß allhier Piecen ge-
druckt werden, die wie das angefuͤhrte Langiſche
Produkt im hoͤchſten Grade anſtoͤßig und dem Gan-
zen nachtheilig ſind. Ohngeachtet wir dahero (un-
de vero, ſi placet?
) uͤberzeugt ſind, daß diejenigen
gutgeſinnten (ſed malevoli?) Buͤrger und Einwohner,
welche die bisher herausgekommenen wenigen Bo-
gen der Langiſchen Piece geleſen haben, der wei-
teren Fortſetzung derſelben mit großem Verlangen
eben nicht entgegen ſehen, ſondern vielmehr die fol-
genden Bogen von ſelbſt zuruͤcklegen werden, (nach
dem Durchleſen doch erſt?); ſo haben wir uns den-
noch bewogen gefunden, den Druck und die Ver-
breitung derſelben aus wohlgemeynter Abſicht all-
hier zu unterſagen, und ſolche (die noch zu drucken-
den oder die ſchon gedruckten?) als confiscirt hier-
mit zu erklaͤren. Nordhauſen, den 20. April 1801.
B. u. R. d. K. F. R. St. Nordhauſen.


Ehe ich weiter erzaͤhle, muß ich einige Anmer-
kungen machen uͤber dieſe oͤffentliche Bekanntma-
[253] chung. Hr. Lange ſchrieb eine Piece, und der Hoch-
weiſe Magiſtrat zu Nordhauſen will nicht erlauben,
daß dieſe Piece in dieſer Reichsſtadt gedruckt, und
verbreitet werde. Gut, ſo konnte und ſollte viel-
mehr bloß dem Cenſor — denn ich weiß doch, daß
ein Cenſor in Nordhauſen iſt — anbefohlen wer-
den, den folgenden Bogen das Imprimatur zu ver-
weigern. Geſchah dieß nicht, oder wußte vielleicht
der Hochweiſe Magiſtrat zu Nordhauſen, daß der
Hr. Buchdrucker auch gar manches z. B. den Ho-
hen (Hohn) ſteiniſchen Erzaͤhler ohne Cenſur, mir
nichts dir nichts, drucke, ſo konnte ja dem Herrn
Buchdrucker durch einen Rathsdiener, welche ohne-
hin nicht viel zu thun haben, angezeigt werden, das
Langeſche Schriftchen duͤrfe bey Strafe nicht fortge-
druckt werden, und that es dann doch der Buch-
drucker nicht, ſo hatten ja die Hochweiſe Herren
ihre Neppe, *) welche als dienſtbare Geiſter den Be-
fehlen der hohen Obrigkeit ſchon Reſpect zu ſchaffen
wißen. Wozu war es nun noͤthig, dieſen Befehl
ins Wochenblatt zu ſetzen? Man ſetzt Befehle und
Verordnungen ins Wochenblatt und in die Zei-
tungen, weil ſie allgemein ſind, und weil man ſie
nicht jedem Individuum inſinuiren kann: hier aber
faͤllt dieſer Grund weg: denn ſowohl dem Hn. Lan-
[254] ge als dem Buchdrucker war die Fortſetzung der
Piece ſchon unterſagt, und beyde hatten ſchon Pari-
tion geleiſtet gegen die hohen Befehle, ehe dieſelben
im Wochenblatt oͤffentlich bekannt gemacht wurden.
Aus welchen Urſachen hat alſo der Magiſtrat dieß ge-
than? Ich kann keine andere auffinden, als die lie-
be Schadenfreude, welche in den Seelen einiger Mit-
glieder dieſer gewiß ehrwuͤrdigen und helldenkenden
Verſammlung ein wenig ultra modum wirkſam ge-
weſen ſeyn mag. Doch ich muß weiter erzaͤhlen.


Die Bekanntmachung, welche man ſo eben ge-
leſen hat, fiel mir ſehr auf: ich wollte ſofort an den
Herrn Juſtitzcommiſſar Lange ſchreiben, und mich
nach den wahren Umſtaͤnden und der Lage der gan-
zen Sache erkundigen, als mir folgender Brief zuge-
ſchickt wurde, welchen ich ohne Bedenken ganz ein-
ruͤcke.


Nordhauſen, den 21. Mai 1801.
Hochgeehrteſter Herr,


Ich habe waͤhrend Ihrem Aufenthalt in unſe-
rer Stadt die Ehre gehabt, Sie kennen zu lernen,
und auch zu ſprechen, und habe gefunden, daß Sie
ein Mann ſind, der es wenigſtens nicht verdient,
wenn (daß) man ihn oͤffentlich ſchimpfe und proſti-
tuire. Das thut aber Lange, der Advocat, der ſich
hier fuͤr einen Juſtitzcommiſſarius ausſchreit, und
[255] es doch nicht iſt: denn unſer Magiſtrat macht keine
Juſtizcommiſſarios (commiſſare). Lange hat ein
haͤßlich Pasquil (Pasquill) auf Sie drucken laßen,
worinnen Sie als ein großer arger Religionsſpoͤtter,
als ein Erzfreygeiſt und als ein Verraͤchter aller Tu-
gend und aller Keuſchheit (???) an den Pranger
geſtellt und abgemahlt (gemalt) werden. Laßen
Sie ſich nur die gottloſen Bogen kommen, und
Sie werden ſehen, wie graͤßlich Sie abgebildet
ſind. Ich mags Ihnen nur nicht zu Leide thun,
ſonſt ſchickte ich Sie (Ihnen) dieſelbige gleich mit.
Aber damit hat Lange noch nicht genug: er macht
Sie auch in allen Geſellſchaften herunter, und hat ſo-
gar ihr ſchmutziges Hembd beſchrieben, das Sie mit
nach der Stadt ſollen gebracht haben. Iſt das ein
Freund? Er ſprach zwar immer, daß er Ihr wah-
rer Freund iſt (ſey), und daß er Sie bald wieder bey
ſich erwartet (erwarte), aber Sie werden ſich wohl
in Acht nehmen, den Lange wieder zn beſuchen,
der an Sie (Ihnen) ſo freventlich gethan hat. Sie
werden, wie ich hoͤre, bald Ihre Lebensbeſchreibung
fortſetzen, da muͤßen Sie dann auch den Lange recht
mitnehmen: denn er verdient es. Faͤllt es Ihnen
bald wieder ein, nach Nordhauſen zu kommen, ſo
werden Sie auch außer dem Lange Freunde finden,
die es ſich zur Freude machen werden, Ihnen Ver-
gnuͤgen zu machen. Dieſes Schreiben habe ich in
[256] guter Meynung geſchrieben und hoffe, Sie werden
mich verſtehen. Ich bin mit aller Hochachtung


Ew. ergebenſter Diener
Sincerus.


Von wem war nun der Brief? Von Sincerus;
aber keine Familie Sincerus exiſtirt in Nordhauſen.
Der Verfaſſer war alſo ein Pſeudonymus, und auf
pſeudonymiſche Schriftſteller und Briefſchreiber ha-
be ich nie Etwas gehalten; die Herren ſind allemal
gar ſehr verdaͤchtig. So viel ſahe ich wohl ein, daß
Factionen in Nordhauſen ſeyn mußten, von welchen
eine auf Hr. Langens Seite war, die andre aber
ihn haßte, und mich gern zum Werkzeug ihres Un-
willens machen wollte: aber ich ſahe doch auch zu-
gleich, daß mußte geplaudert worden ſeyn. Der
Briefſteller erwaͤhnt meines ſchmutzigen Hemdes.
Ich hatte wirklich ein ſchmutziges und — ich ſetze
es hinzu — zerriſſenes Hemd in Nordhauſen auf
dem Leibe. Woher wußte dieß der Briefſteller?
Von Herrn Langen ſelbſt? das folgt nicht: Herr
Fromm und der Schuſter Bock, und des Schuſters
huͤbſche junge Frau, und Hr. Langens alte Auf-
waͤrterin, und vielleicht noch mehr andere Perſo-
nen kannten die Beſchaffenheit meines Hemdes;
konnte keiner von dieſen geplaudert haben? Und
geſetzt auch, Hr. Lange habe ſelbſt von meinem Hem-
de etwa der Geſellſchaft auf dem Grimmel, auf
dem
[257] dem Kirſchberg oder ſonſtwo Notitz erhielt, ſo folgt
noch nicht, daß er mich herunter gemacht, und be-
ſchimpft habe: denn wenn ein zerrißnes oder ſchmu-
tziges Hemd beſchimpft
Quis tunc conſervet honorem?


Ich erinnere mich noch eines alten jezt laͤngſt
aus der Mode gekommnen Studentenliedes, wor-
in es unter andern heißt:


Die Zeit macht alle Sachen ſtumpf,
Utendum eſt dum durat,
Ein dreckigt Hemd, ein Loch im Strumpf
Philoſophus non curat.


Das alte Liedchen hat nicht ſehr unrecht: ich
wuͤrde es daher dem Juſtitzcommiſſar auch nicht ſehr
uͤbel nehmen, wenn er von meinem Hemd in ſeinen
Cirkeln erzaͤhlt haͤtte.


Den Vorwurf der Freygeiſterey und der Reli-
gionsſpoͤtterey hat mir der Magiſtrat zu Nordhauſen
gewißer Maaßen ſchon vorher in ſeiner Bekannt-
machung gemacht und Hr. Lange hatte bloß das
gebilligt, was er mir wider die Religion in ſei-
nen Bogen in den Mund legte. Zu Nordhauſen
iſt man ſo gut in der Welt, wie an andern Orten,
das heißt, man glaubt auch da oft zu hoͤren und zu
verſtehen, was man weder gehoͤrt noch verſtanden
hat. Ich habe zwar nicht eigentlich erfahren koͤn-
nen, welche Aeußerung gegen die chriſtliche Reli-
Laukh. Leben 5ter Theil. R
[258] gion mir eigentlich Schuld gegeben wird, aber er-
klaͤren muß ich oͤffentlich, daß ich in Nordhauſen
wider die eigentliche chriſtliche Religion nie das
geringſte geaͤußert habe. Es kann ſeyn, daß ich
dieſer oder jener Kirchenfratze, und ſollte es auch
eine Nordhaͤuſer Fratze ſeyn, nicht im Beſten ge-
dacht habe: indeßen weiß ich nicht, ob es ſo iſt:
denn wer erinnert ſich an alle Worte, die er beym
Wein, Punſch, Breyhau oder Schetter geredet
hat? Es mag aber immer ſeyn, daß ich ſo nach
meiner Art von gewiſſen Lehren, z. B. von der Erb-
ſuͤnde, von der Trinitaͤt, von der reellen Gegen-
wart des Leibes u. ſ. w. welche ich nebſt mehrern
andern fuͤr Hirngeſpinnſte halte, oder von Gebraͤu-
chen z. B. vom Beichtpfennig, von der Kinder-
taufe, von den Bustagen, von der Vereydung auf
die Symboliſchen Buͤcher, von der Kirchenbuße,
u. d. gl. die ich als Mißbraͤuche anſehen muß, raͤ-
ſonnirt habe, aber dennoch bin ich uͤberzeugt, nie
wider die eigentliche Lehre Jeſu und ſeiner Apoſtel,
mithin auch nicht gegen die chriſtliche Religion los-
gezogen zu haben: hat aber dennoch Herr Lange
mir ſo etwas in den Mund gelegt, ſo hat er mich
nchit verſtanden, oder — welches auch ſeyn kann
— die Herren vom Senat haben den Hn. Lange
nicht verſtanden. Dieſes wuͤrde ihnen, den Her-
ren naͤmlich, auch gar nicht zum Vorwurf gerei-
[259] chen: denn ſie ſind ja keine Theologen, aber dann
haͤtten ſie auch ihr Urtheil ſuſpendiren und den
Herrn Primarius erſt zu Rathe ziehen muͤßen.
Doch wer weiß auch, was geſchehen iſt!


Herr Lange ſoll mich auch als einen Spoͤtter
aller Tugend und aller Keuſchheit beſchrieben ha-
ben, ſagte der Epiſteliker. Ich erinnere mich
nicht, uͤber die Tugend geſpottet zu haben: dieß
kann nur ein Narre thun, und ſelbſt der Allerla-
ſterhafteſte nimmt ſich in Acht, oͤffentlich uͤber geſell-
ſchaftliche Tugenden loszuziehen, und das Laſter
zu empfehlen. Doch gedenkt der Briefſteller der
Keuſchheit insbeſondere, welche ich ſoll beleidiget
haben. Practiſch kann dieß nicht geſchehen ſeyn:
denn ich habe mir keinen unkeuſchen Griff, ge-
ſchweige denn ſonſt Etwas in Nordhauſen zu Schul-
den kommen laßen. Ich zweifle zwar nicht, daß
es in dieſer Stadt, ſo wie leider in allen Staͤdten,
feile Nymphen und Gaſſenmenſcher giebt, und das
zwar in abundantia, wie mich einige Freunde ver-
ſichert haben, aber ich habe Menſcher dieſer Art
daſelbſt nicht kennen lernen. Doch kann es ſeyn,
daß ich bey einem und dem andern Zotologiſchen
Diskurs mein Scherflein auch beygetragen habe.
Daß aber ein zotologiſches Geſpraͤch die Tugend
der Keuſchheit gradezu beleidige, ſehe ich nicht
ein. Catullus hat Recht, wenn er ſagt
R 2
[260]Caſtum decet eſſe pium poëtam
Ipſum; verſiculos nihil neceſſe eſt

und Auſonius
Laſciva nobis eſt pagina, vita proba d. i. curta.
Ich kenne einen gewiſſen Hn. Profeſſor, welcher
in ſeinen Lehrſtunden die aͤrgſten Zoten und Saͤue-
reyen vorbringt, und doch ſonſt keuſch und zuͤchtig
lebt — in Werken. Die ehemaligen Zuhoͤrer des
ſeeligen N....s zu H.... wißen noch recht gut,
wie dieſer große Gelehrte auf dem Catheder zu re-
den gewohnt war, und wie er die Zoten mit Ge-
walt in ſeinen Vortrag zwang, daß er ſogar bey
der Lehre de emtione venditione ſchmutzige aͤcht zo-
tologiſche Beyſpiele von den Menſchern unter dem
rothen Thurm anbrachte, und doch war N....
nichts weniger, als ausſchweifend. Baldinger riß
auch Zoten, und zwar recht ſaftige, und lebte doch
keuſch. Wenn ich alſo gleich einiges Zotologiſche
angebracht habe in den Geſellſchaften zu Nordhau-
ſen, ſo kann daraus doch gar nicht geſchloßen wer-
den, daß ich ein Feind der Keuſchheit ſey, und hat
jemand ſo geſchloßen, ſo hat er einen Fehlſchluß
gemacht.


Was ſonſt noch in dem anonynen Briefe von
Herrn Langen ſelbſt vorkommt, geht mich nichts
an z. B. daß er nicht Juſtitzcommiſſar ſey. Da
ihm aber doch der Magiſtrat ſelbſt dieſen Titel bey-
[261] legt, ſo muß ich allerdings denken, er ſey es
wirklich. *) So viel und nicht mehr fuͤhre ich wegen
des oͤffentlichen Schreibens und Redens zu meiner
Rechtfertigung an; nicht als ob ich mich geaͤrgert
haͤtte uͤber das unnuͤtze Gezaͤnke, ſondern bloß um
den Herren zu zeigen, daß ich antworten kann,
wenn ich directe oder indirecte gefragt werde.


Indeſſen fand ich fuͤr gut, meinen Briefwechſel
mit Hn. Langen abzubrechen. Ich bin gewohnt, an
gute Freunde grade von der Leber weg zu ſchreiben,
und kuͤmmere mich wenig darum, was ich ſchreibe,
und wie ich ſchreibe, daher kann es mir auch nicht
gleichviel ſeyn, ob man mein Geſchreibſel oͤffentlich
bekannt macht, oder nicht. Hat aber, ſo dachte
ich, Herr Lange ſogar von deinem ſchmutzigen Hem-
de geſprochen, ſo wird er wohl auch deine Briefe
oͤffentlich vorleſen. Ich ſchwieg daher, und Hr.
Lange auch.


Im Februar dieſes Jahres ſchrieb ich an einen
Freund zu Nordhauſen, und ſchickte ihm eine Ab-
ſchrift des oben angefuͤhrten anonymen Briefes.
Der Freund, an den ich ſchrieb, iſt eben kein Freund
des Hn. Lange, und daher glaubte ich, eine fuͤr
[262] dieſen eben nicht vortheilhafte Antwort zu erhalten.
Ich irrte mich: denn mein Freund ſchrieb mir, die
Blaͤtter, welche der Juſtitzcommiſſar haͤtte drucken
laßen, enthielten gar nichts nachtheiliges fuͤr mich,
und ſeine oͤffentlichen Geſpraͤche auf dem Grimmel
und an andern Orten des Vergnuͤgens waͤren ſo be-
ſchaffen, daß man ſeine Freundſchaft gegen mich
nicht verkennen koͤnne. Dieß beruhigte mich voͤl-
lig, und ich verlange jezt nicht einmal mehr, die
famoͤſen Bogen zu leſen, welche Hr. Lange im
Reichsanzeiger zu vollenden verſprochen hat.
Wenns ihm uͤbrigens drum zu thun iſt, daß die
von ihm geſchriebenen Lauchardiana im Druck er-
ſcheinen, ſo mag er mir nur das fertige Manu-
ſcript ſchicken: fuͤr einen Verleger will ich ſchon
ſorgen.


Sieben und zwanzigſtes Kapitel.


Meine Haͤndel mit der Regierung zu Magdeburg.


Die Preußiſchen Staaten wimmeln, wie alle
Laͤnder, von einer großen Menge Winkeladvokaten,
welche fuͤr Geld und gute Worte in Prozeßen ar-
beiten, Klagen ſchreiben, und Suppliken machen.
[263] Dieſe Praxis iſt zwar durch einige Verordnungen
ſehr eingeſchraͤnkt, und was eigentliche Rechts-
ſachen anbelangt, gaͤnzlich verboten. Dafuͤr ſind
ordentliche Advokaten, welche man Juſtitzcommiſ-
ſarien gewoͤhnlich nennt, angeſtellt, und dieſe ſol-
len auch fuͤr Geld und gute Worte, wie ſich dieß
ohnhin verſteht, die klagenden und bittenden Par-
theyen bedienen oder deſerviren.*) Die Einrichtung
iſt im Ganzen nicht zu verwerfen, ob ſie gleich
viele Inconvenienzen mit ſich fuͤhrt, die freylich
nicht immer koͤnnen vermieden werden. Eine von
den Hauptinconvenienzen iſt wohl dieſe, daß die
Gerechtigkeit leicht zur Hure und das Recht eine
kaͤufliche Waare werden kann. Exempla ſunt odi-
oſa,
ſonſt waͤre ich wohl im Stande, einige und zwar
recht auffallende zu liefern.


Ich behalte mirs auf ein ander Mal vor. Ich
habe mich nie mit gerichtlichen Dingen gern abge-
geben: theils verſtand ich das Ding nicht hinlaͤng-
lich, theils haßte ich die Schikane, und fuͤrchtete
mich vor der Arbeit, vor der unangenehmen Ar-
beit, Acten durchzuſtaͤnkern: inzwiſchen machte
ich doch dann und wann fuͤr einen Bekannten eine
[264] Vorſtellung, und hatte einige Mal das Vergnuͤ-
gen zu hoͤren, daß ſie nach Wunſch gewirkt hatte.
Im eigentlichen Sinn war ich jedoch kein Win-
keladvokat, weil ich nicht jedem aufwartete, der
mich drum anſprach, mich auch in eigentliche
Rechtshaͤndel nicht einließ, und mich in nichts
miſchte, worin jemand anders arbeitete.


Ohngefaͤhr im Auguſt 1800 erſcholl auf ein-
mal das Geruͤcht in der ganzen Stadt, der Aſſeſſor
Rommann oder Kornmann habe eine ſchwangere
Frau auf dem Rathhaus in der Gerichtsſtube der-
maßen geſtoßen und getreten, daß ſie abortirt ha-
be, und auf der Stelle geſtorben ſey. Ich hoͤrte
die ſchoͤne Geſchichte auf dem Rathskeller, glaub-
te aber eben deswegen wenig davon, weil ſie gar
zu graͤßlich erzaͤhlt wurde. Das Geruͤcht macht
gleich alles groͤßer, beſonders in Halle.


Fama malum quo non velocius ullum

Mobilitate viget, viresque adquirit eundo:

Tam ficti pravique tenax quam nuntia veri

Fama loquax, quae veris addere *)falſa

Gaudet et ex minimo ſua per mendacia creſcit.**)

Indeſſen mußte doch etwas an der Sache mit
der Inſultirung der ſchwangern Frau ſeyn, da je-
[265] derman ſo frey und oͤffentlich davon ſprach. Wenn
damals der Aſſeſſor Kornmann die Geſellſchaf-
ten auf der Mail, auf dem großen Keller, bey
Herrn Boſſe, in Stichelsdorf und Riedeburg haͤtte
beſuchen ſollen, er wuͤrde Dinge gehoͤrt haben,
woruͤber ihm die Ohren haͤtten gellen muͤſſen, und
waͤre er auch noch mehr taub geweſen, als die
Geſetze ſelbſt ſind, welche er behandelt. Einige
Wochen hernach ging ich durch die Clausſtraße:
ein mir bekannter, ſehr rechtſchaffner Buͤrger bat
mich, bey ihm einzuſprechen, weil er mir Etwas
zu ſagen habe. Ich that dieß gerne, und Herr
Grundmann — ſo hieß der Buͤrger — fuͤhrte mich zu
dem Becker Wendeburg, deſſen Ehefrau der Aſſeſ-
ſor Kornmann ſo abſcheulich behandelt haben ſollte.
Wendeburg erzaͤhlte mir den Vorfall, und ſeine
gleichfalls gegenwaͤrtige Frau beſtaͤtigte alles, was
der Mann ſagte.


Nach dieſem Bericht hatte ein Student Na-
mens Ahlburg, bey Wendeburgen logirt. Als die-
ſer auszog, zahlte er alles, was er ſchuldig war,
bis auf einen Thaler, den er nicht ſchuldig ſeyn
wollte. Es kam daruͤber zu einem Gezaͤnke, und
Hr. Ahlburg, um ſeinen Koffer, welchen Wende-
burg nicht herausgeben wollte, zu erhalten, wen-
dete ſich an den Prorector. Dieſer ließ den Koffer
ſofort holen, aber Herr Ahlburg mußte dennoch
[266] den Thaler bezahlen, und zwar an den Prorektor.
Der Prorektor ſchickte, ich weiß nicht warum, den
Thaler aufs Rathhaus, und die Herren auf dem
Rathhaus ließen dem Becker ſagen, er moͤge kom-
men, und ſeinen Thaler holen. Der Becker war eben
mit Arbeit uͤberladen, und ſchickte die Frau hin,
weil er glaubte, dieſe koͤnne eben ſo gut, als er
ſelbſt, einen Thaler in Empfang nehmen. Als
die Frau in die Gerichtsſtube kam, war von den
Herren noch niemand da — es war nach eilf
Uhr — als der Aſſeſſor Kornmann. Dieſer fuhr
die Frau haͤßlich nnd mit den niedrigſten Schimpf-
reden an: die Frau, welche auch das Maͤulchen bey
ſich hatte, blieb ihm ſeine Invectiven nicht ſchuldig,
und ſo entſtand ein foͤrmliches Gezaͤnke, welches
fortzuſetzen Hr. Kornmann unter ſeiner Wuͤrde
hielt, worinn er dann auch vollkommen recht hatte:
denn es iſt nichts abgeſchmackter, als ein Gezaͤnke
mit dem Richter in der Gerichtsſtube, und doch
hoͤrt man dergleichen nicht ſelten. Die Frau
ſchwieg aber noch nicht, da gab er ihr, vielleicht
weil ſie ſich zu nahe machte, einen Stoß, und
klingelte den Haͤſchern. Dieſe kamen und ſchlepp-
ten die Frau auf des Aſſeſſors Befehl in die Nep-
perey oder aufs Capitel, wo die Herren Neppen
ihr Standquartier haben. In der Nepperey blieb
die Frau nicht lange, ſondern wurde nun ins Loch
[267] geworfen, wo ſie bis Abends um neun Uhr blei-
ben ſollte. Als die Wendeburgin von der Gerichts-
ſtube nach der Nepperey, und von da aus ins
Loch geſchleppt wurde, widerſetzte ſie ſich den
Knechten oder Neppen aus allen Kraͤften und fiel ei-
nige Mal auf den Treppen nieder; die Neppen aber,
ihrer Schuldigkeit eingedenk, drohten ihr mit
Schlaͤgen, mißhandelten ſie, und ſchleppten ſie
fort: die Frau kam hiedurch in mißliche Umſtaͤnde,
und da ſie ſich alle Stunden der Niederkunft ver-
muthend war, ſo konnte ihr Zuſtand allerdings be-
denklich werden.


Wendeburg der Beckermeiſter wartete auf ſeine
Frau, aber ſie kam nicht: er erkundigte ſich nach ihr,
und hoͤrte, ſie ſey durch die Haͤſcher ins Loch ge-
worfen worden. Er eilte aufs Rathhaus, und
redete da ſo derb, daß der Aſſeſſor, welcher uͤble
Folgen befuͤrchten mogte, ſeinen ſtrengen Spruch
zuruͤcknahm, und die Frau ſtante pene, wie die
Hallenſer ſagen, wieder in Freyheit ſetzen ließ.
Die Neppen aͤrgerten ſich gewaltig; denn ſie er-
hielten nichts pro ſtudio et labore.


Die Frau konnte kaum nach Haus gehen, ſo
matt und ſchwach war ſie: zu Hauſe mußte ſie gleich
ins Bett gebracht werden: denn ſie empfand
Schmerzen und Wehe, wie eine Kreiſende. Der
Becker ließ eine Hebamme, die Frau Großin ru-
[268] fen, aber dieſe wollte das Geſchaͤft nicht allein
uͤbernehmen, und daher wurde nach dem Hn. Ge-
heimenrath Meckel geſchickt. Dieſer große Mann,
deſſen Humanitaͤt eben ſo groß iſt, als ſeine Wiſ-
ſenſchaft und Dexteritaͤt, erſchien, und fand die
Umſtaͤnde allerdings mehr als bedenklich. Indeſ-
ſen war die Frau jung und ſtark, und ſo konnte
durch Hn. Meckels geſchickte Hand dasjenige leicht
wieder gut gemacht werden, was die Neppen auf
dem Rathhaus, oder ſelbſt Hr. A. Kornmann ver-
dorben hatte: die Hebamme verſicherte, das Kind
ſey aus ſeiner Lage verruͤckt geweſen, und habe
muͤßen reponirt werden. Der Beckermeiſter Wen-
deburg, uͤber die unwuͤrdige Behandlung, welche
ſeiner Frau in der Gerichtsſtube wiederfahren war,
mit Recht aufgebracht, ſuchte ſich einen Advoca-
ten, und wollte den Beleidiger bey der Magdebur-
giſchen Regierung verklagen, aber die Herren Ad-
vocaten — Juſtizcommiſſare, Hoffiskaͤle, etc. etc.
— waren eben nicht der Meynung, daß man um
eines — mit Recht oder mit Unrecht — beleidigten
Philiſters ſich eine Gerichtsperſon — deren favor,
zu deutſch, Beguͤnſtigung — in andern Faͤllen
nuͤtzlich ſeyn konnte, durch Verklagerey auf den
Hals hetzen muͤſſe, und verſagten ihre Aſſiſtenz.
Nun ſuchte ſich der Becker einen andern, und kam
ſo an mich.


[269]

Soweit geht die Erzaͤhlung des Becker Wende-
burgs und ſeiner Frau. Ich habe ſie hinlaͤnglich
unterſucht, und vieles davon beſtaͤtigt gefunden,
daher trage ich auch kein Bedenken, das Ganze,
naͤmlich fuͤr mein Individuum, fuͤr wahr zu hal-
ten. Dem leſenden Publikum liegt wenig an der
ganzen Geſchichte: denn was kuͤmmert ſich dieſes
um den halliſchen Aſſeſſor Kornmann, um den hal-
liſchen Becker Wendeburg und ſeine Frau, und um
ein Scandal auf dem halliſchen Rathhaus und in
der halliſchen Nepperey? Aber ich mußte dennoch
die Sache in extenſo erzaͤhlen, damit meine Leſer
mich nicht fuͤr unbeſonnen halten, daß ich mich in
dergleichen Dinge miſchte: ich dachte, etwas gu-
tes zu ſtiften, wenn ich mich einer Sache annaͤh-
me, die mich freylich nichts anging: nahm ſich
doch,
Si licet exemplis in parva grandibus uti
der große Voltaire der Familie des ungluͤcklichen
Calas an, und rettete ſie durch ſeinen Freund,
den ehrwuͤrdigen Sachwalter Beaumont: aber ſo-
gleich hatte Beaumont mit dem Parlament zu thun,
wo ein Aulnoy und ein Chatignon ſaßen. Doch
haec in tranſitu, ſo viel ſich ſonſt noch druͤber ſagen
ließe: denn nie erſchien das Parlament zu Paris
in groͤßerm Glanze, nie wurde deßen Gerechtig-
keit mehr geprießen, als damals, da es nicht ei-
[270] nen Individuellen armen Suͤnder in einem Colle-
gium, ſondern ein ganzes anſehnliches Collegium
— das Parlament zu Toulouſe beſtrafte. —


Wendeburg bat mich, eine Klage wider Herrn
Kornmann aufzuſetzen, und zwar im Namen ſeiner
Frau. Ich hatte grade damals nicht wohl Zeit, ſo
ein Ding zu machen, erzaͤhlte aber die ganze Hiſto-
rie einem damals durch Halle reiſenden naſſauiſchen
Beamten, welcher mich durch ſeine Vorſtellung, daß
ich ein gutes Werk thun koͤnnte, bewog, ſo ein Li-
bell aufzuſetzen und nach Magdeburg zu ſchicken.
Ich habe in dieſer Schrift mich keines einzigen Aus-
drucks bedient, welchen der Aſſeſſor Kornmann
als Injurie oder Calumnie anſehen konnte: freylich
hatte ich nicht geſchrieben „Seine Wohlge-
bohren, der Herr Aſſeſſor haben geru-
het, mich allerguͤtigſt durch Neppe, ins
Loch werfen zu laßen
“ aber ſo darf man ja,
wie mich duͤnkt, nicht an die Regierung ſchreiben,
unter welcher der Hr. Aſſeſſor ſteht, oder welcher
er, nach einem richtigern Ausdruck, ſubordinirt iſt.
— Demohnerachtet hieß es doch nachher, die Klage
ſey voll Injurien und Calumnien geweſen: ſo waͤ-
ren aber die meiſten Klagſchriften wahre Pasquil-
len voll Injurien und Calumnien.


Die Antwort blieb nicht lange aus: denn der
Aſſeſſor Kornmann erhielt Befehl, auf die Anklage
[271] der Beckerin zu berichten, und zwar, quod probe
notandum,
gewißenhaft. Wie und was er be-
richtet hat, oder ob er gar berichtet hat, habe we-
der ich noch die Beckerinn erfahren: uͤbrigens war
auch ſein Bericht nicht noͤthig, und iſt er ja ab-
gegangen, ſo war es nur ſo pro forma. Ich ver-
ſtand damals den Rummel noch nicht ſo, wie ich
ihn jetzt verſtehe, ſonſt wuͤrde ich mich mit der Sache
gar nicht haben eingelaßen.


Der Syndicus Streuber oder Streiber *) erhielt
den Auftrag, denjenigen herauszubringen, und
deßen Namen der Regierung anzugeben, welcher
das Pasquill — denn ſo nannte Hr. Streuber die
Klage **) — gemacht habe. Ich war grade von
Halle abweſend, und in Nordhauſen krank, als
dieſe Unterſuchung angeſtellt wurde. Die Wende-
burgin verrieth mich nicht, aber nach meiner Ruͤck-
kehr rieth ich ihr ſelbſt, mich zu nennen. Hr.
Streuber hatte indeßen ſich die Unterſuchung vom
Hals gewaͤlzt, und jezt wurde ſie dem Hn. Doc-
tor Stiſſer aufgetragen, welcher mich citiren ließ.


Wenn nicht Hr. Stiſſer die Commiſſion gehabt
haͤtte, ſo waͤre ich nicht erſchienen, und ſollte man
[272] neun und neunzig beſchriebene Stempelbogen an
mich geſchickt haben: denn weder die Regierung zu
Magdeburg noch ihre Mandatarien und Deputirten
zu Halle, wie ſie heißen moͤgen, Syndicuſſe, Hof-
fiskaͤle etc. etc. etc. ſind meine Vorgeſetzten; aber ich
kannte den Herrn Doctor, als einen ſehr ſoliden,
braven und einſichtigen Mann, und erſchien.


Um bald loszukommen, geſtand ich alles gerne
ein, doch hielt mich Hr. Stiſſer beynahe zwey
Stunden auf, weil auch die Beckerinn und ihr
Mann herbey mußten. Zum Ueberfluß hatte ich
mich noch auf den Zinngießer Hn. Grundmann be-
rufen, und einige Tage hernach wurde auch dieſer
verhoͤrt.


Acht und zwanzigſtes Kapitel.


Luſtiger Arreſt. Der Regiſtrator Abel. Hempel der Amtsknecht.


Nach vielen Hin- und Herſchreiben, Protocoll-
machen, Citiren, Verhoͤren und d. gl. kam endlich
nach Pfingſten meine Sentenz von Magdeburg,
nach welcher ich 1 Thlr. 4 gl. 6 pf. bezahlen und
48 Stunden im Arreſt ſitzen ſollte. Dieſes Ur-
theil
[273] theil war nun in der That nicht hart, und in der
Sentenz hatten die Herren weder deſpotiſch noch
anzuͤglich geſprochen. Hr. D. Stiſſer fragte mich,
ob ich mit dem Spruche zufrieden ſey, oder ob ich
dagegen einkommen wolle? Ich verneinte dieſes,
und erklaͤrte, daß ich einſitzen wolle, nur muͤſſe es
an einem Sonnabend und Sonntag geſchehen, da
ich an den andern Tagen Unterricht zu geben haͤtte.
Meine Frau erſchrack fuͤrchterlich, als ſie hoͤrte, ich
muͤſſe aufs Karzer; aber ich erklaͤrte ihr alles, und
fuͤhrte ihr Beyſpiele an, und ſie lachte, wie ich,
obgleich aus verſchiedenen Gruͤnden.


Ich konnte mich ſehr leicht troͤſten: denn wie
oft habe ich und andere ehrliche Kerle in Gießen
wegen des vertrakten Eulerkappers ſitzen muͤſſen,
zwey, drey Tage und noch laͤnger? Rief ich Abends:
pereat Eulerkaper, kapper, kapper! und wurde
entdeckt, ſo waren mir wenigſtens zwey Tage Kar-
zerſtrafe gewiß. Der Aſſeſſor Kornmann glaubte
ſich von mir beleidigt, und die Regierung glaubte
es auch, alſo war es natuͤrlich, daß ich geſtraft wer-
den mußte. Und doch iſt Hr. Kornmann eine ganz
andere Perſon als der Gießer Eulerkapper: dieſer
war ein elender Maͤdchenschulmonarch, ein Jo-
hann Heinrich Eulerkapper, Ritter von
Fellaga
, des heiligen Roͤmiſchen Reichs
Großkroneſelsohrtraͤger
, Hunzfott,
Laukh. Leben 5ter Theil S
[274]und Schwerdfeger, und doch mußte man ein-
ſtecken, wenn man pereat Eulerkapper, kapper,
kapper! gerufen hatte! Zwar hatte ich den Hn.
Kornmann gar nicht beleidigt, *) meiner Mey-
nung nach naͤmlich, alſo im Grunde nicht, man
muͤßte dann mit gewiſſen kuͤnſtlichen Criminaliſten
eine injuria culpoſa annehmen; aber er hielt ſich fuͤr
beleidigt, und da war doch wohl eine Satisfaction
nothwendig. Ob ſich Hr. Kornmann auch druͤ-
ber mag gefreuet haben? Sollte man ihn fragen,
ſo wuͤrde er wahrſcheinlich antworten, er kuͤmme-
re ſich wenig um mich; ob ich auf dem Bau oder
in einem Bierhauſe ſitze, ſey ihm ganz einerley:
ich ſey unter aller Kritik, und daher denke er nicht
an das, was mich betraͤfe; haͤtte er aber gewußt,
daß ich ſitzen ſollte, ſo haͤtte er es nicht zugegeben(!!)
etc. etc. etc. etc. **) Im Grunde aber mag er ſich doch
recht herzlich gaudirt haben: denn ſonſt wuͤrde er
bey der Regierung zu Magdeburg, wo er ſo viele
Freunde hat
, nicht πυξ [...] λαξ auf die Beſtra-
fung des Schriftſtellers gedrungen haben. Ob er
[275] ſich aber auch uͤber dieſe gedruckte Nachrichten gau-
diren wird, iſt eine andre Frage? Hier iſt nicht
die Magdeburgiſche Regierung, ſondern das Deut-
ſche, und bald auch *) das Franzoͤſiſche und Engli-
ſche Publikum Richter, und da fragt es ſich, ob
die Plurima auf ſeiner Seite ſeyn werden. Vehe-
menter dubito!


Aber ich mußte einmal eingeſteckt werden, und
ward es auch. Ohne einen Spieß **) zu haben, zog
ich zu Herrn Klappenbach und forderte Quartier.
Herr Klappenbach — nicht aber, wie einige ſu-
perkluge geplappert haben, Herr Schlappenbach,
der Obernepp, von welchem in meinem Aſtolfo
Mention geſchieht — ſagte mir, ich muͤßte noch
einige Wochen warten, denn alle ſeine Quartiere
waͤren beſetzt. Er hatte nicht Unrecht: denn eine
kurz vorher entdeckte Spitzbubenbande hatte Anhang
in Halle ***), und dieſer Anhang war damals auf
allen Karzern und Gefaͤngniſſen einquartiert. Aber
ich wollte einmal dem Herrn Aſſeſſor Korn-
mann meine ἀπολυτϱωσις, zu Deutſch, meinen
Loͤſepreiß leiſten — nicht aber Buße thun: denn
S2
[276] warlich, es reuete mich nicht, des Hn. Aſſeſſors
wegen an die Regierung geſchrieben zu haben —
und forderte alſo, daß Hr. Klappenbach mich ein-
ſtecken moͤgte. Ich kam nun auf die Buͤrgerſtube,
ein Loch, bey deſſen Anblick der Pſychologe ſowohl,
als der Criminaliſt und der Satyriker reichlichen
Stoff zu Expectorationen finden kann. Der Pſy-
chologe wuͤrde ſich wundern, daß die Hallenſer zu-
geben, daß ein Pißfaß da ſteht, worin der Urin
mehrere Monate conſervirt wird, und wuͤrde vom
dreymonatlichen Urin auf den Geſchmack unſerer
Herren Hallenſer ſchließen, welche die Antiquitaͤten
auch in dieſem Stuͤcke zu lieben ſcheinen. Der Cri-
minaliſt wuͤrde ſagen, das ſey doch wohl kein Ge-
faͤngniß, deſſen Waͤnde ein kleiner Junge einſtoßen
kann: und der Satyriker vollends — doch ſuo
tempore plura!


Mein Hannchen brachte mir Kaffee, den ich frey-
lich erſt haͤtte zu Hauſe trinken koͤnnen, und mein
Fritzemann Acke waͤlzte ſich auf dem in der Came-
ra obſcura
d. i. dem Schlafzimmer liegenden
Stroh, und ward ſo voll Laͤuſe, daß ihn meine
Frau in einigen Tagen nicht reinbringen konnte. *)


Kaum war es bekannt worden, Laukhard ſey
auf dem Gute, das heißt, auf dem Arreſt, ſo wur-
[277] de ich gleichſam beſtuͤrmt mit Beſuch: aber die
Neugierigen wieß ich ab, weil ich mich nicht zum
Object des Anguckens ad inſtar der Praͤdicanten,
Profeſſoren, Komoͤdianten, Seiltaͤnzer, Hans-
wurſte etc. machen wollte, ob ichs gleich ſelbſt ſchon
oft genug geweſen war. Nur einige kamen wirk-
lich in meine Putzſtube, aber keiner kam leer.


Der Magiſter Dornenſteeg hatte ſeine achtzehn-
jaͤhrige Schnappspulle gefuͤllt, und wir leerten ſie;
als wir grade am Ende waren, kam Hr. Kiepke,
der Hirſchwirth mit einem derben Schnabes*) und
einem Pack Taback. Unſer Geſpraͤch rollirte uͤber
die Befugniſſe der Accisbediente, die Contrebande,
welche confiscirt wird, utiliter ſich zuzueignen:
doch wurde die ſchwere Frage geloͤſet, warum ein
Defrandant weniger und mehr geſtraft werde, als
ein anderer, und oftmals gar nicht. Mir kam die
Frage immer ſchwer vor, aber einige Aufſchluͤſſe
machten mir das Problem leicht. Auch Hr. Raack
und Hr. Albrecht der Beutler bekanonirten mich,
das iſt, ſie beſetzten meinen Arreſttiſch mit großen
Breyhanskruͤgen, Canonen genannt.


Unter mir ſaß eine Theilnehmerin an der loͤb-
lichen Geſellſchaft, welche Klappenbachs Quartie-
re occupirt hatte. Dieſe induſtrioͤſe Communitas
[278] hatte weit und breit herum geſtohlen und geraubt,
und es ſcheint, als wenn einige Oberaufſeher der
lieben Polizey ſelbſt Theil genommen haben, nicht
an der Operation ſelbſt, wohl aber an dem Ope-
rirten; die Mail bey Halle, welche ſo oft in dieſem
Werke ſchon genannt iſt, diente den Burſchen zur
Niederlage, und Herr Brand der Mailwirth hatte
woͤchentlich einen fixirten Gehalt fuͤr ſeine Gefaͤllig-
keit. Er und alle, welche man entdecken konnte,
wurden eingeſteckt.


Hier muß ich eine impertinente Luͤge widerle-
gen, welche zur Schaͤndung der Wahrheit in ſo vie-
len Buͤchern aufgetiſcht wird, naͤmlich daß die
Folter im Preußiſchen durchaus abgeſchafft ſey.
Wider die Folter hat man ſchon gewaltig geſchrie-
ben, und dieſelbe als unſinnig und grauſam weit
und breit verſchrieen; beſonders haben dieß unſre
Philoſophen gethan. Preußen hat die Ehre, als
der aufgeklaͤrteſte Staat in Europa angeſehen zu wer-
den, und das mit Recht, und doch hat die Folter noch
nicht aufgehoͤrt in Preußen! Baum, ein Theil-
nehmer an der genannten Spitzbubengeſellſchaft,
hat auf Befehl und Verordnung des Auditoͤrs mehr
als tauſend Pruͤgel bekommen, weil er nicht geſte-
hen wollte, was man aus ſeinem Munde zu hoͤren
verlangte. Ob er die Wahrheit immer geſagt, oder
[279] manches Factum zum Schaden andrer, falſch
angegeben habe, iſt ungewiß, und gar manche
einſichtige Maͤnner finden in Baums Angaben,
allerley Anomalien. Baum iſt indeſſen ein Be-
weis, daß die Folter noch nicht abgeſchafft iſt:
denn Pruͤgel, welche man geben laͤßt, um jeman-
den nachbeten zu machen, was man ihm in Cauſa
criminali
vorſagt, verdienen den Namen der Fol-
ter ſo gut als Daumenſchrauben und Spaniſche
Stiefel. Freylich war Baum nichts als Soldat,
und Soldaten werden in mancher Hinſicht angeſe-
hen, wie die Sclaven auf Martinique: aber Baum
war doch immer Menſch, und verdiente allemal
als Menſch behandelt zu werden. Nach den Ge-
ſetzen macht der Meyneyd infam, und das mit
Recht: ein Musketier legte vor einigen zwanzig
Jahren einen Meyneyd ab, und Ruſt der Soldat,
welchen er als einen Dieb angegeben hatte, wurde
beynahe todtgeſchlagen, weil er einen nicht begang-
nen Diebſtahl nicht geſtehen wollte. Der geweſene
General des Halliſchen Regiments, Adolph von
Anhalt, erklaͤrte auf aͤcht Fuͤrſtlich, die Canaille ſo
lange zu pruͤgeln, bis ſie bekennte oder verreckte,
und der Auditoͤr Seyfert, cujus memoria eſt in ma-
ledictione,
befolgte den barbariſchen Befehl des Ty-
rannen ſo artig, als wenn er die Schinderknechts-
kunſt zu Gießen bey dem Kanzler Koch, dem Ante-
[280] ſignan der Schinderknechte *) gelernt haͤtte: Ruſt
wurde zum Kruͤppel geſchlagen, und wuͤrde endlich
haben unterliegen muͤſſen, wenn die wahren Diebe
nicht waͤren entdeckt worden. Der Menſch, wel-
cher durch einen falſchen Eyd dem Ruſt die infame
Behandlung zugezogen hatte, ward Unteroffizier.
Auf den Bau haͤtte er ſollen geſchickt werden, aber
er ward Unteroffizier, und endlich gar Offizier.
Konnte man das Portdepee aͤrger brandmarken?
Ich bin uͤberzeugt, wenn unſer ehrliebender Koͤnig
die Ruſtiſche Hiſtorie wuͤßte, er riße dem Unwuͤr-
digen den Degen von der Seite. Doch weiter!


Die Unterſuchungen der Spizbuͤbereyen der
Brandiſchen Bande waͤhrt ſchon uͤber ein Jahr;
Brand und ſeine Frau ſitzen noch, und niemand
vermuthet einen baldigen Rechtsſpruch.


Montags fruͤh wurde ich meines Arreſtes ent-
ledigt.


Einige Zeit nachher wurde ich auf die Waage
gefordert, wo mir der Hofrath Dreyander einen
Wiſch vorlegte, der an die Regierung zu Magde-
burg von einen Kerl aus Trotha war geſchickt wor-
den. „Haben Sie das Ding gemacht, fragte Hr.
Dreyander?“


[281]

Ich. Nein.


Er. Si feciſti nega, eſt prima regula juris.


Ich. Die nur gar zu gut befolget wird.


Er. Beſonders vom Herrn Magiſter.


Ich. Herr Hofrath, bin ich hierher gerufen
worden, um Beleidigungen zu hoͤren?


Er. Schon gut, ſchon gut! Haben Sie das
Ding da gemacht?


Ich. Nein.


Er. Aber der Kerl hat's doch geſagt.


Ich. Und wenn auch.


Er. Dem Kerl muß geglaubt werden.


Ich. Mein Wort gilt doch ſo viel wie das
Wort des lumpigen Kerls von Trotha.


Er. Das verſtehen Sie nicht. Der Kerl hat
fidem; er indicirt ſeine complices. Die Sache ſoll
naͤher unterſucht werden.


Ich. Hab nichts dagegen.


Er. Auf allen Fall kommen Sie garſtig in die
Tinte.


Das war mein Beſcheid. Acht Tage nachher
ließ mich Hr. Dreyander nochmals citiren: ich er-
ſchien, wartete uͤber eine Stunde, und konnte kaum
erhalten, daß ich weggehen durfte, indem der luſtige
Kerl von Trotha, welcher aber doch mehr fidem als
ich hatte, nicht kam. Kaum war ich zu Hauſe,
ſo kam der Pedell Hr. Penke, und rief mich. Nun
[282] entdeckte ſich die ganze Sache. Der Regiſtrator
Abel oder Apel von Gibichenſtein hatte den Wiſch
fuͤr meine Arbeit ausgegeben, und da der dumme
Kerl von Trotha ſelbſt nicht wußte, wer den Dreck
geſchmiert hatte, ſo rieth ihm Abel, mich als den
Verfaßer anzugeben. Dieß ſagte der Pinſel aus,
und Dreyander ließ es zu Protocoll nehmen. Ich
beſchwerte mich nun, uͤber die Impertinenz des
Regiſtrators, Hr. Hofrath Dreyander verſprach
mir Genugthuung, aber ich habe keine erhalten,
und muß mir ſie ſelbſt nehmen, indem ich dieſe
Hiſtorie dem Publikum erzaͤhle. Abel haͤtte, ſtatt
in der Gerichtsſtube, den dummen Kerlen, Luͤgen
und Falſchheiten zu inſpiriren, doch warlich an
ſich und ſeine Fallibilitaͤten denken ſollen. Ich mag
hier nichts von ihm herſetzen: denn Fremde kuͤm-
mern ſich wenig um den Regiſtrator Abel, und
Einheimiſche hoͤren in allen Kneipen genug von
ihm, beſonders in Delau und auf dem Neumarkt
in Halle. Madam Abel erzaͤhlt ganz frank und
frey die allerſchoͤnſten Geſchichtchen von verbrannten
Acten, von geſtohlnen Uhren u. d. gl. und die Leute
tragen die Geſchichtchen von Kneipe zu Kneipe.
Abel ſcheint aber gut friſch zu denken, und ſich um
das Gerede der Leute nicht zu kuͤmmern. Er hat
auch vollkommen Recht: denn je aͤrger man, mit
Verlaub zu reden
, den Dreck herumruͤhrt,
[283] deſto aͤrger ſtinkt er. Neulich reichte ſeine Frau ein
derbes Ding gegen ihn ein, aber das Ding bewirkte
grade ſo viel als ein Mahnbrief an einen boͤſen
Schuldner. Man braucht ja Fidibus.


Da Herr Abel Amtsregiſtrator zu Gibichen-
ſtein iſt, ſo faͤllt mir durch die Aſſociation der Ide-
en der Amtsknecht Hempel ein. Sein Vorfahr
Scharlach nannte ſich ſelbſt den Schwanz von der
Gerechtigkeit zu Gibichenſtein, und dachte Wun-
der, wie witzig er ſich ausgedruͤckt habe. Ich rei-
ſte vor wenigen Jahren nach Schochwitz, und kehrte
in Lieskau ein, um einen Schnapps zu machen.
Als ich wegging, fragte ich die Wirthin, ob ich mei-
ne Pfeiffe durchs Dorf fortrauchen duͤrfte? O ja,
erwiederte die Wirthin, heute kommt Hempel nicht:
er geht zu Gottes Tiſche.


Ich. Alſo wenn Hempel nicht kommt, darf
man rauchen.


Wirthin. Freylich; was der nicht ſieht, darf
jeder thun.


Ich. Aber kann mich denn keiner von den Her-
ren ſehen, die im Amt ſitzen?


Wirthin. Ey was die andern Herren! die
ſind – Wenns nur Hempel nicht ſieht.


Ein ſolches Anſehen hat Hempel, von welchem
man im eigentlichen Sinn der Worte ſagen kann,
er habe die Gewalt zu zuͤchtigen und loszulaßen.


[284]

Neun und zwanzigſtes Kapitel.


Madame Ilſchnerin. Herr Doctor Thieß.


Warum ich dieſes Capitel hier einruͤcke, wird man
verſtehen, wenn man es durchgeleſen haben wird:
alſo bitte ich die Leſer, nicht gleich beym Anklotzen
der Ueberſchrift ein Urtheil zu faͤllen.


Um die oͤffentliche Meynung, oder vielmehr
um das oͤffentliche Geſchwaͤtz iſt es eine gar ſeltſame
Sache. Laudatur ab his, culpatur ab illis, ſagte
Horatius, und dieſes Wort iſt auf den Gegenſtand
dieſes Kapitels ſehr anwendbar. Ganz Halle,
und die Gegend weit und breit um Halle kennt die
Frau Ilſchnerin, aber die Urtheile derer, welche
ſie kennen, ſind gar ſehr verſchieden. Ich mache
hier weder ihren Accuſator, noch ihren Apologe-
ten, und erzaͤhle bloß das, was mich in Ruͤckſicht
auf ſie angeht, das Uebrige moͤgen die Leſer ſich
ſelbſt ſuppliren.


Vor ohngefaͤhr vier Jahren heyrathete ein ge-
wißer Student *) eine alte Wittwe, welche da-
[285] mals noch reich war, und Madam Ilſchnerin war
die Hayrathsſtifterin. Der Herr Student hatte
aber grade kein Geld: denn wenn er ſich haͤtte hel-
fen koͤnnen, wuͤrde er ſich wohl ſchwerlich ent-
ſchloßen haben, eine alte an der Kruͤcke ſchleichende
Schachtel zu heyrathen: freylich de guſtibus non
eſt diſputandum,
aber in Hinſicht auf alte Schach-
teln iſt der Geſchmack ziemlich allgemein. Noch
vor der Hochzeit veruneinigtr ſich der Student und
ſeine Frau Braut mit Madam Ilſchnerin, und
nun war des Raͤſonnirens kein Ende von beyden
Seiten. Nachdem der Student ſeine Ehe, wenig-
ſtens vor dem Prieſter, vollzogen hatte, verklagte
er die Frau Ilſchnerin, und forderte einige Wech-
ſel, wodurch er ihr viertauſend Thaler verſchrieben
hatte, zuruͤck. In dem Laufe der Klage ergab
ſichs, daß die Madam Ilſchnerin dem Studenten
kein baares Geld gegeben hatte, und daß dieſer bloß
um zu ſeinem Zweck zu gelangen, den Wechſel ge-
ſchrieben hatte.


Um dieſe Zeit wurde ich mit Madam Ilſchne-
rin bekannt, und fand ein ſehr gebildetes Frauen-
zimmer in ihrer Perſon. Da ich mit ihrem Gegner
mehrere Geſchaͤfte ſchon gehabt hatte, ſo unternahm
ich es, einen Vergleich zu Stande zu bringen,
und der Gegner war nicht abgeneigt, ſich Vorſchlaͤ-
ge gefallen zu laßen, aber Madam Ilſchnerin war
[286] mit den Anerbieten ihres Feindes nicht zufrieden,
zumal da ihr Sachwalter, der Stiftsamtmann
Buͤttner verſicherte, der Prozeß koͤnne fuͤr Mada-
me nicht verlohren gehen. Aber es heißt auch hier
Fraudancur jure periti.


Der Prozeß ging verlohren, und zwar in allen
Inſtanzen: die Acten ſind, wegen der vielen darin
vorkommenden Allotria und alter und neuer Ge-
ſchichten gar ſehr erbaulich zu leſen. Gedruckt
haben ſie werden ſollen, und es wuͤrde auch geſche-
hen ſeyn, wenn der Buchdrucker haͤtte auf Pump
drucken, und bis ad calendas graecas mit der Be-
zahlung warten wollen. Meine Bemuͤhungen, ei-
nen Vergleich zu bewirken, waren alſo vergebens;
doch ſetzte ich meine Beſuche bey Madam fort, weil
ich wirklich viel Vergnuͤgen in ihrem Umgang fand.
Indeßen hatte Frau Ilſchnerin auch Scandal mit
ihrem Manne, und beyde Theile trugen auf Ehe-
ſcheidung an. Die Acten dieſes Prozeßes ſind auch
gar erbaulich zu leſen, und den Winter von 1800
bis 1801 durfte man nur den Univerſitaͤtskeller be-
ſuchen, um aus dem Munde eines Hn. Auſculta-
tors einen fidelen Auszug aus den die Ilſchneriſche
Eheſcheidungsſache betreffenden Acten zu hoͤren.
Der Hr. Auſcultator mogte nicht umſonſt auſcul-
tirt haben. Ehe die Scheidung wirklich erfolgte,
beſuchte ich die Madam noch immer; der Mann
[287] aͤrgerte ſich uͤber den Umgang ſeiner Frau, und Hr.
Roͤpprich, ſein Advocat, brachte es dahin, daß
der Frau Ilſchnerin aufgegeben wurde, von mir,
dem Candidat Hn. Bernhard, und einem Landlaͤufer
Namens Gebhard keine Beſuche mehr anzuneh-
men. Madame hatte ſich auf mein Zeugniß in
einer ganz unbedeutenden Sache berufen; Hr. Roͤp-
prich, den die Sache nichts anging, weil ſie
weder fuͤr noch wider ſeinen Klienten war, mach-
te allerley Gloſſen vor Gericht uͤber meine Perſon,
und uͤber mein Betragen, wofuͤr ich ihm hiermit
oͤffentlich danke, und ihn verſichre, daß ich den
weitern Dank ſuo tempore nicht ſchuldig bleiben
werde. Aber freylich hatte ich mich an einem Freun-
de des Hn. Roͤpprichs grob genug verſuͤndigt, und
daher mag es wohl kommen, daß er meiner ſo un-
gnaͤdig gedachte. Ich muß doch die Sache er-
zaͤhlen.


Im Sommer 1800 ſchickte mir Hr. Magiſter
Dornenſteeg oder Eichhorn einige Bogen zur Durch-
ſicht, weil er ſelbſt nicht Zeit hatte. Ich ſahe das
Ding an, und fand, daß es ein juriſtiſches Woͤr-
terbuch ſeyn ſollte, aber von ſo erbaͤrmlicher Art,
daß auch nicht ein einziger Artikel ohne einige
Schock Schnitzer darin war. Hr. Boͤhme in
Leipzig war der Verleger, und der verſtorbne Buch-
drucker Hr. Cramer druckte es.


[288]

Wenn Hr. Boͤhme Ihr Freund iſt, lieber Cra-
mer, ſagte ich zu dieſem, ſo ſchreiben Sie ihm,
er moͤge ja nicht den traurigen Sudel drucken laßen:
der Dreck wird zuverlaͤßig Makulatur, und um
Ihnen zu beweiſen, daß ich Recht habe, wollen
wir einen Mann fragen, der als competenter Be-
urtheiler ſolcher Dinger kann und muß angeſehen
werden. Wir gingen zu dem Hn. Profeſſor Koͤnig,
und dieſer gelehrte und humane Jurisconſult er-
klaͤrte das Machwerk fuͤr das non plus ultra alles
juriſtiſchen Unſinns. Cramer ſchrieb das Urtheil
des Hn. P. Koͤnigs an Hn. Boͤhmen, und mit dem
dritten Bogen wurde der Druck des jaͤmmerlichen
Sudels beſchloſſen. Der Verfaſſer war mir unbe-
kannt, aber hinterher erfuhr ich, daß es ein ſehr
naher Verwandter eines Freundes des Herrn Roͤp-
prichs war. Nun konnte ich mir manches erklaͤren.


Madam Ilſchnerin wurde von ihrem Manne
geſchieden, zog in die Stadt, und bekam bald ei-
nen Freywerber, der aber bald wieder abtrat, und
ihr einen derben Prozeß an den Hals warf, wel-
cher gleichfalls erbaulich iſt. Bey der Gelegenheit
meines Umgangs mit der Frau Ilſchnerin ward ich
naͤher mit einem gewiſſen Mann bekannt, welcher
Knorre heißt, und ſich durch ſeine Feder und durch
die Induſtrie ſeiner Frau durchbringt. Knorre hat
der Frau Ilſchnerin viel, ſehr viel zu danken, und
daher
[289] daher war es mir auffallend, daß er endlich gar
wider ſie auftrat, und ein Zeugniß zu ihrem
Nachtheil ablegte. Es kann ſeyn, daß er die
Wahrheit bezeuget hat, aber zum Nachtheil ſeiner
Freundin mußte er es nicht thun, zumal da er nicht
aufgefordert war, noch aufgefordert werden konnte.
Knorre ſchrieb in Ilſchners Namen zwey Wechſel:
Ilſchner leugnet dieſe Wechſel beſtellt, und Geld
darauf empfangen zu haben. Die Sache iſt noch
nicht ausgemacht. Wie wenn die Wechſel, als
untergeſchoben, anerkannt werden? Hat nicht Knor-
re alle Urſache, die Madam Ilſchnerin zu ſchonen,
um ſich nicht die Gefahr zuzuziehen, fuͤr einen Fal-
ſarius angeſehen zu werden? Hr. Knorre und ſeine
Frau, welche ich nie beleidigt, haben doch die
Guͤte gehabt, meiner ſo nach ihrer Art zu geden-
ken, und ſogar den Anzug meiner Frau ihrer Cri-
tik zu wuͤrdigen. Danke dafuͤr recht ſchoͤne, und
da einer meiner Freunde naͤchſtens ein Werkchen
uͤber das Jus Cambiale ſchreiben will — Doch wei-
ter im Text.


Im erſten Theil meines Aſtolfo kommt eine ge-
wiſſe Madam Maſchkupi vor, eine bloß fingirte
Perſon, unter welcher ich mir die Madam Ilſchne-
rin wenigſtens ganz und gar nicht dachte. Eben
ſo wenig dachte ich mir unter dem daſelbſt beſchrie-
benen Magiſter ein Individuum aus der wirklichen
Laukh. Leben 5ter Theil. T
[290] Welt, und die dort genannten Mamſellen Spa-
dille und Manille ſind bloß erdichtete Perſonen.
Dieß iſt meine Erklaͤrung, welche mehr gelten
muß, als alle Auslegungen muͤßiger Koͤpfe, auf
welche der Spruch des Terentius *) angewendet
werden kaun:


Faciunt nae intellegenda, ut nihil intellegant.


Indeſſen hat mir doch dieſe fatale Auslegung,
welche wer weiß von wem zuerſt iſt aufgebracht
worden, gar viel Verdruß zugezogen. Erſtlich
machte mir die Madam Ilſchnerin ſelbſt Vorwuͤrfe
druͤber, und ich hatte alle Muͤhe anzuwenden, um
ſie nur gewiſſer Maaßen zu beruhigen, und dann
hielten ſich andre gleichfalls fuͤr beleidiget, und
gingen mir zu Leibe: einer davon drohte mir ſogar
mit einer Klage. Ein gewißer Herr will ſogar in
der Rathsſtube geſagt haben, von Mad. I. koͤnne
man ſkandoloͤſe Nachrichten in Laukhards Buͤchern
finden, und ein anderer wollte ſich ſogar drauf, als
auf ein Document berufen. Man denkt leicht,
daß mir ſo Etwas nicht gleichguͤltig ſeyn konnte:
ich kuͤmmere mich zwar ſehr wenig um die Urtheile
andrer Leute, aber ich mag doch nicht haben, daß
man mich als einen Diffamanten ausſchreie — und
das wuͤrde ich auf alle Faͤlle ſeyn, wenn ich wirk-
[291] lich auf jene Perſonen angeſpielt, oder ſie gar naͤ-
her beſchrieben haͤtte, welche die kurioͤſen Muͤßig-
gaͤnger zu Halle unter meinen Perſonen wollen ver-
ſtanden wißen.


Wer einen Roman ſchreibt, kann ohnmoͤglich
vermeiden, daß nicht ſeine Perſonen einigen wo
nicht ganz, doch zum Theil aͤhnlich ſehen, welche
in der wirklichen Welt exiſtiren: es waͤre aber doch
ein gewaltiger Fehlſchluß, daß der Schreiber eines
ſolchen Buches auch grade jene Leute, welchen ſeine
Fictionen aͤhneln, wirklich im Sinne gehabt, und
Willens geweſen ſey, ſie zu beſchreiben, und ihnen auf
dieſe Art wehe zu thun. Ich habe mich hieruͤber ſchon
hinlaͤnglich erklaͤrt, aber die kuͤnſtlichen Leute ha-
ben auf meine Erklaͤrungen nicht geachtet, und
ihre Noten mit niemands Dank gemacht, blos um
zu zeigen, daß ſie eine feine Naſe haben.


Herr D. Thieß hat mir auch die Ehre angethan,
meinen Namen in ſeinen Theologiſchen Almanach
fuͤrs Jahr 1802 zu ſetzen, nur wuͤnſchte ich, daß
er es mit mehrerer Schonung gethan haͤtte. Er
nennt mich den famoͤſen Laukhard. Das Wort
famoͤs kommt aus dem Lateiniſchen her, wo fa-
moſus
im guten und boͤſen Sinn gebraucht wird:
doch haͤufiger im lezten als im erſten. Im Deut-
ſchen weiß ich nicht, ob es gute Schriftſteller von
Menſchen in guter Bedeutung gebraucht haben.
T 2
[292] Schiller hat zwar einmal famoͤſe Niederlage
geſagt, wo das Beywort bloß das Aufſehen und die
großen Folgen anzeigt, welche jene Niederlage ge-
habt hat. Doch ich will mich wegen dieſes Adjec-
tivs mit Hr. D. Thieß nicht zanken: will mich der
Herr Doctor wegen der wenigen Bekanntſchaft, die ich
mir erworben habe, einen famoͤſen Mann nen-
nen, ſo mag er es thun, und dann wird er es auch
nicht uͤbel nehmen, wenn ihn jemand den famoͤſen
Doctor Thieß nennt, auch Er iſt bekannt genug,
und hat ſich durch ſeine, wie ich gern eingeſtehe,
leſenswuͤrdige Lebensbeſchreibung, noch bekannter
gemacht. Aber daß Herr Thieß ſagt, ich habe das
Geheime Archiv der Zeit erbrochen, verſtehe ich
nicht ganz. Geheimniße habe ich nie entdeckt; da-
zu hatte ich weder Gelegenheit noch Willen. Ich
habe freylich manche Geſchichte und manches Ge-
ſchichtchen, auch manches ſkandaloͤſe Anekdoͤtchen
in meinen Buͤchern vorgebracht; aber alle dieſe
Dinge waren keine Geheimniße. Zum Beyſpiel,
was ich von Carl Magnus dem Rheingrafen, von
den Grafen von Leiningen geſchrieben habe, auch
alles was in meinen Schriften von dem traurigen
franzoͤſiſchen Kriege, von der laͤcherlichen und elen-
den Beſchaffenheit der Reichsarmee und andern
Dingen vorkommt, gehoͤrt nicht ins geheime Archiv
der Zeit, ſondern iſt da, wo es geſchehen iſt, we-
[293] nigſtens bekannt genug geweſen. Meine Buͤcher
ſind in den Haͤnden des Publikums, und werden
in ganz Deutſchland und auch außer Deutſchland
geleſen, und dennoch hat meinen Nachrichten noch
niemand in Hauptſachen widerſprochen, wenn
ich gleich gern zugeben will, daß ich dann und wann
in Kleinigkeiten geirrt und einen Namen *) unrecht
geſchrieben habe. Meine Nachrichten ſind daher
notoriſch wahr, und keineswegs aus dem gehei-
men Archiv der Zeit gezogen, welches ich nicht er-
brechen kann. Hr. Thieß erzaͤhlt ja ſelbſt eine
Menge Anekdoten, die gewiß manchem nicht ſchme-
cken werden. Deßwegen hat aber Hr. Thieß noch
lange kein Archiv erbrochen. Man nimmt es ſehr
uͤbel, und zwar mit Recht, wenn ſich jemand un-
terſteht, aus einem Archiv, wozu er Zugang hat,
Documente zu entwenden, oder Nachrichten oͤffent-
lich bekannt zu machen, deren Publicitaͤt dem Be-
ſitzer des Archives nachtheilig ſeyn kann: was wird
man erſt von einem Menſchen denken, welcher ge-
heime Archive erbricht, und den Inhalt derſelben
mit des Henkers Dank unter die Leute bringt?
[294] Uebrigens iſt mir des Hn. Doctors Anzeige nicht
ſchaͤdlich, und daher bin ich gar nicht unzufrieden
mit ihm, vielmehr verehre ich ſeine großen Kennt-
niße und Verdienſte, und ſchaͤtze ſeine edle Frey-
muͤthigkeit, und freue mich, einem ſolchen Mann
bekannt zu ſeyn.


Dreyßigſtes Kapitel.


Meine literariſche Arbeiten ſeit 1799.


Der letzte Theil meiner Schildaiſchen Annalen
kam auf Oſtern 1799 heraus, im Sommer ſchrieb
ich mein Werkchen uͤber den Amiciſtenorden, wes-
halben ich einigen Verdruß mit dem ſeeligen Pro-
feſſor Krauſe und dem damaligen Univerſitaͤtsdirec-
tor Hr. G. R. Klein hatte. Ich mußte einige Sei-
ten umdrucken laßen. Außer dieſem Buͤchlein,
welches ſogar von den Recenſenten iſt gut
aufgenommen worden, und woruͤber der Verfaßer
der Schrift Graf Gerido von Taufkirchen
ſehr beſcheidene Anmerkungen gemacht hat, *) ſchrieb
ich noch einen Roman, Franz Wolfſtein oder Be-
[295] gebenheiten eines dummen Teufels, in zwey ziemlich
ſtarken Baͤnden. Die Recenſenten dieſes Buchs
haben unter andern es ſehr uͤbel genommen, daß ich
in einer Anmerkung geſchrieben hatte, die Univer-
ſitaͤt, oder vielmehr die mediciniſche Fakultaͤt zu
Erfurt habe einen jungen erzunwiſſenden Men-
ſchen, welcher ſchon in Halle ſey abgewieſen wor-
den, ohne Examen und ohne Diſputation fuͤr baar
Geld
zum Doctor der Arzneykunſt gemacht, und
haben deßwegen dieſe Fakultaͤt aufgefordert, ſich
zu vertheidigen; aber die Apologie iſt ausgeblie-
ben, wahrſcheinlich, weil die Fakultaͤt ſie nicht
ſelber — wollte. *)


Auf Oſtern 1800 gab ich einen Band Novel-
len heraus, welchem der zweyte auf Michaelis nach-
folgte, und einen Roman in zwey Theilen Mar-
ki von Gebrian. In der Novellenſammlung
kommen kleine Romane, und zum Theil auch wah-
re Erzaͤhlungen vor; im Gebrian aber wollte ich
die franzoͤſiſchen Emigranten von jener Seite ſchil-
dern, von welcher ſie mir bekannt worden waren.
Ich kenne einige Emigranten, welche verdienen,
geehrt und geſchaͤtzt zu werden: aber die Meiſten
et tantum non omnes ſind elende Wichte, welche
von Unwiſſenheit, Stolz und Impertinenz ſtrotzen,
[296] und bey all ihrer innerlichen und aͤußerlichen Trau-
rigkeit die deutſche Nation, bey welcher dieſe Bett-
ler Brodt und Schutz finden, verachten und haſ-
ſen. Die Emigranten-Canaille iſt unſerm Vater-
lande ſchaͤdlicher geweſen, als die Peſt zu Davids
Zeiten dem juͤdiſchen Lande war. Alle dieſe Schrif-
ten, den Amiciſtenorden ausgenommen, hat Hr.
Fleiſcher in Leipzig verlegt. Hr. Guͤnther in Pe-
gau verlegte meinen Grafen von Vitacon, einen
Emigrantenroman in zwey Baͤnden, worin aber
andre Perſonen aufgeſtellt ſind, als im Gebrian.
Auf Oſtern 1801 kam meine Ueberſetzung einer
anonymiſchen Piece, Bonaparte und Cromwell
mit meinen Anmerkungen heraus, welche mir deß-
wegen wuͤrdig geſchienen hat, auch in Deutſchland
bekannt zu werden, weil der franzoͤſiſche Verfaſ-
ſer ſehr richtige Urtheile uͤber den Oberconſul ſeines
Volkes vorbringt, welche manches falſche Urtheil,
uͤber den ſonſt großen Mann rectificiren koͤnnen.
Beynahe zwey Jahre arbeitete ich an einem Werke
uͤber die Geſchichte Europas von Carl dem Großen
bis auf unſre Zeit. Dieſes Werk iſt unter dem
Titel: Bild der Zeit mit Kupfern in zwey Baͤn-
den erſchienen, und ſoll, wenn ich einigen Re-
cenſenten und einigen ſachkundigen Leſern trauen
darf, ſeinem Zweck entſprechen. Ich wollte das
Studium der Geſchichte durch eine richtige und
[297] lichtvolle Darſtellung leichter und angenehmer ma-
cher; ob ich aber dieß habe leiſten koͤnnen, wage
ich nicht zu entſcheiden. Ich that wenigſtens, was
ich thun konnte. Ein Erfurter Recenſent, er heißt
glaube ich, Dominicus, hat verſchiedne antipa-
piſtiſche Aeußerungen in meinem Werke getadelt,
und das ſehr conſequent: denn wer nach moͤn-
chiſchen Grundſaͤtzen erzogen iſt, der muß auch
nach moͤnchiſchen Principien recenſiren: ſind ja
doch auch die Recenſenten der A. L. Zeitung und
der deutſchen Bibliothek ihren philoſophiſchen
Grundſaͤtzen ſo ziemlich getreu, warum ſollte es
der Erfurter Recenſent nicht auch den ſeinigen
ſeyn? Aus guten Gruͤnden ſetzte ich meinen Na-
men nicht auf den Titel des Bildes der Zeit: aber
ſieben ſchoͤne Kupfer dienen ihm zur vorzuͤglichen
Zierde.


Von meinem Aſtolfo erſcheint jetzt der dritte
und letzte Band, und auf Oſtern dieſes Jahres iſt
ein Theil meines Anekdotenbuches fertig geworden.
Einiges habe ich anonymiſch herausgegeben, und
finde es noch nicht nothwendig, meine Anonymi-
taͤt in dieſer Hinſicht aufzugeben. Einiges hat
man auch ſchon auf meine Rechnung geſchrieben,
wovon ich aber nicht Verfaſſer bin. In Hn. Meu-
ſels gelehrtem Deutſchland findet ſich eine gewalti-
ge Menge von Fehlern dieſer Art, welche aber
[298] beynahe nicht vermieden werden koͤnnen, bey ei-
nem Werke von ſolchem Umfang.


Meinen Unterricht bey den hieſigen Studie-
renden habe ich nach meinen Kraͤften immer ſo be-
trieben, daß ich hoffen konnte, meine Herren Zu-
hoͤrer wuͤrden wahren Nutzen von meinen Lectionen
haben. Mit einigen wiederholte ich die Kirchenge-
ſchichte, mit andern die theologiſche Dogmatik,
und da ich mir ſeit einigen Jahren einige Kennt-
niſſe in der Rechtswiſſenſchaft, beſonders im Ju-
ſtinianiſchen-, Canoniſchen- und Staats-Recht er-
worben habe, ſo fand ich ſchon einige Mal Gele-
genheit, auch dieſe Diſciplinen zu repetiren: die he-
braͤiſche, griechiſche und lateiniſche, wie auch ei-
nige neuere Sprachen, habe ich mitunter auch ge-
lehrt, und lehre ſie noch. Seitdem Hr. Wolf hier
das philologiſche Studium wieder è tenebris zuruͤck
gerufen hat, finden ſich mehrere Liebhaber der
Sprachkunde, als ehemals in Halle. Die ſchoͤne
Spaniſche Sprache ſogar, welche bisher ganz und
gar vernachlaͤßigt wurde, weil man ſie aus Un-
kunde der wirklich ſchaͤtzbaren Spaniſchen Literatur
fuͤr unnuͤtz hielt, findet ihre Schuͤler. Ob aber
auch das Studium der Morgenlaͤndiſchen Sprachen
einſt in Halle in gebuͤhrenden Flor kommen wird,
iſt eine Frage, welche ich nach der jetzigen Lage
der Dinge nicht bejahen kann. Wir haben zwar
[299] fuͤr die Sprachen des Orients recht gute Lehrer,
die Herren Vater und Wahl, aber dieſe Herren
koͤnnen wegen gewiſſer Radicalfehler, doch nur
aͤuſſerſt wenig bewirken. Dieſe Radicalfehler lie-
gen theils in den Vorurtheilen, welche unſre Stu-
dierenden beherrſchen, theils in dem Mangel an
Huͤlfsmitteln, die zur Orientaliſterey nothwendig
ſind. Ich werde mich naͤher erklaͤren. Die mei-
ſten Studenten et tantum non omnes, glauben,
die morgenlaͤndiſchen Sprachen ſeyen uͤbermaͤßig
ſchwer, und koͤnnten nur durch die aͤußerſte An-
ſtrengung erlernt werden. Dieſes wirklich unge-
gruͤndete Vorurtheil kommt aber daher, daß die jun-
gen Leute einen pedantiſchen Unterricht auf Schu-
len gehabt haben. Um eine Sprache zu lehren,
und dem Anfaͤnger Geſchmack daran beyzubringen,
muß man auch die Sprache verſtehen, und recht
gruͤndlich verſtehen, ſonſt wird der Unterricht con-
fus und abgeſchmackt. Nun aber ſind viele von
denen, welche auf Schulen das Hebraͤiſche lehren
ſollen, ſelbſt traurige Suͤnder in dieſer Sprache,
und deren Grammatik, und fuͤhren eine Lehrart,
die kein Menſch verſtehen und nuͤtzen kann. Jun-
ge Leute ſchreiben aber das der Sprache ſelbſt zu,
was doch der Unwiſſenheit des Docenten haͤtte ſol-
len zugeſchrieben werden, und laſſen ſich ab-
ſchrecken.


[300]

Das andre Vorurtheil der Studenten in Hin-
ſicht auf die morgenlaͤndiſche Sprachen erklaͤrt die-
ſelben fuͤr uͤberfluͤßig und unnuͤtz. Ich brauche,
heißt es, das alte Teſtament ja nicht zu verſte-
hen; genug wenn ich das neue verſtehen lerne.
Aber die Herren bedenken nicht, daß ſie ohne Kennt-
niß des Hebraismus, und folglich auch der Arabi-
ſchen Sprache, ohne welche die Hebraͤiſche unmoͤg-
lich erlernt werden kann, das neue Teſtament noch
viel weniger verſtehen koͤnnen, als ohne Wiſſen-
ſchaft der Griechiſchen Sprache. Da hoͤren ſie
zwar zwey Jahre hinter einander die ſogenannte
Exegeſe des neuen Teſtaments, und wenn ſie fertig
und recht fleißig geweſen ſind, koͤnnen ſie zwar
nachbeten, aber nicht gruͤndlich erklaͤren.


Dieſes Vorurtheil verſtaͤrken die Conſiſtorien
auf eine hoͤchſt unanſtaͤndige Weiſe, indem ſie Leute
durchlaſſen, wie man ſagt, und als Candidaten
approbiren, welche kaum hebraͤiſch leſen koͤnnen.
Dieß iſt Unrecht, und vermehrt die Traͤgheit der
Studierenden, welcher doch nach dem Willen des
Koͤniges nicht vorgearbeitet werden ſoll. Da den-
ken dann die jungen Herren, ſie brauchten ja das
juͤdiſche Zeug — ſo nennen ſie die alte ehrwuͤrdige
hebraͤiſche Sprache, — vor dem Conſiſtorium nicht,
weßhalben ſie dann dieſelbe nun noch lernen ſoll-
ten? Es waͤre ſehr zu wuͤnſchen, daß die Exami-
[301] natoren in dieſer Hinſicht etwas ſchaͤrfer, hingegen
in Ruͤckſicht der kritiſchen Philoſophey nachgiebiger
waͤren.


Endlich hindert auch der Mangel an Huͤlfs-
mitteln das Studium der Orientaliſchen Literatur
gar ſehr. Fuͤr das Hebraͤiſche giebts nun wohl
noch Huͤlfsmittel genug, Bibeln, Verſionen, Le-
xika, Januen, Claves, Eſelsbruͤcken von allerley
Art, u. ſ. w. aber fuͤr die arabiſche Sprache, oh-
ne welche die hebraͤiſche nie gruͤndlich erlernt
werden kann, ſind die Huͤlfsmittel ſehr ſelten, und
bey der jetzigen Lage der Dinge, laͤßt ſich kaum
hoffen, daß dieſer Mangel aufhoͤren werde. Wir
haben ja nicht einmal ein ertraͤgliches Handlexi-
kon, und an wohlfeilere Ausgaben der beſten
Schriftſteller iſt gar nicht zu denken, da ſogar man-
che wichtige Werke dieſer Literatur noch uͤberhaupt
nicht gedruckt ſind.


Ein und dreyßigſtes Kapitel.


Annalen der Univerſitaͤt zu Halle von 1801 und 1802.


Herr G. R. und Prof. Meckel war Prorektor der
Halliſchen Univerſitaͤt, als im December 1800 der
[302] bisherige Direktor Klein abging, um in Berlin
das Amt eines Tribunalraths zu uͤbernehmen.
Herr Klein hatte nie das Zutrauen der Studenten
gehabt — a potiori naͤmlich — ich mag aber nicht
unterſuchen, ob er ſelbſt oder vielmehr die Studen-
ten an dieſem Mißverſtaͤndniß Schuld waren. Hr.
G. R. Meckel fuͤhrte aber ſein Prorektorat ſo, daß
jederman, die Studenten und die Buͤrger, voll-
kommen damit zufrieden waren. Herr Meckel iſt
ein Mann, welcher ſtets mit Arbeiten zum Beſten
der Leidenden, gleichſam uͤberladen iſt. Kleinig-
keiten ließ er alſo ſobald durch, als es nur immer
moͤglich war, und befolgte bey der Unterſuchung
der Vergehungen gewiſſe Grundſaͤtze, welche den
wahren Zweck des Prorektorats, naͤmlich die Erhal-
tung der oͤffentlichen Ruhe und der guten Sitten,
ungemein befoͤrderten. Das Meckeliſche Prorekto-
tat ging voruͤber ohne ein einziges auffallendes
Skandal, und Herr Klappenbach, der Oberauf-
ſeher der Karzer, verſicherte, daß er nie weniger,
als waͤhrend dieſer Zeit, verdient habe. Ich glaubs
ihm gerne: denn Meckel beſann ſich erſt, ehe er
jemand aufs Karzer ſchickte, wo die Studenten ſo
recht eigentlich geſtraft, das heißt um ihr Geld,
und um ihre Zeit gebracht werden.


Profeſſor Jakob ward Prorektor nach Meckel,
und gleich anfangs trug man ſich mit allerhand Ge-
[303] ſpraͤchen von Verbeſſerungen, welche der neue Ma-
giſtrat vornehmen wuͤrde. Es blieb jedoch alles
ruhig, ſo ziemlich naͤmlich, bis gegen den Herbſt
1801, wo die ſogenannten Studentenkraͤnzchen
aufgehoben werden ſollten.


Ehedem exiſtirten in Halle eine große Menge
Ordensbruͤder, welche unter dem Namen der Uni-
tiſten und Conſtantiſten vorzuͤglich bekannt waren.
Es gab zwar auch zu gewiſſen Zeiten Inviolabi-
liſten, Deſperatiſten und andre Klicken mit ſelt-
ſamen Namen, aber dieſe kamen vor jenen nicht
recht auf, und unter andern nahm der Orden der
Herren Deſperatiſten ein gar deſperates Ende. Die
Univerſitaͤt war immer aufmerkſam auf die Ordens-
verbindungen, und ſtellte mehrmals ſcharfe Unter-
ſuchungen darwider an: aber ganz vertilgt wurden
ſie doch nie, bis es der Mehrheit der Studenten
ſelbſt einfiel, gegen die Orden zu agiren, und ih-
nen ein derbes Bollwerk entgegen zu ſetzen. Dieſes
Contra gegen die Orden ſollten die Kraͤnzchen wer-
den, welche die verſchiedenen Landsmannſchaften
unter ſich errichteten, und den Orden opponirten.
Das Ding hatte den beſten Erfolg; die Orden wur-
den gewiſſer Maaßen infamiſirt, und gingen ſo
nach und nach ein, wenigſtens wurden ſie unſicht-
bar, wie die unſichtbare chriſtliche Kirche, und
[304] niemand bekannte ſich mehr zu dieſen geheimen Ge-
ſellſchaften.


Die Kraͤnzchen exiſtirten ganz oͤffentlich, und
ſogar ein Verfaſſer einer Poetiſchen Blumenleſe de-
dicirte einem Kraͤnzchen ſeine Sammlung: Wenn
die Kraͤnzchen oͤffentlich am Neujahrsabend oder am
Tag der ſogenannten Prorektorwahl commerſirten,
ſo hatten ſie die Ehre, von Profeſſoren, ja ſogar
vom Prorektor ſelbſt beſucht zu werden. Dieſe
Herren commerſirten zwar nicht ſelbſt mit, aber ſie
approbirten doch durch ihre Gegenwart das Kraͤnz-
chen und den kraͤnzianiſchen Commers.


Die Kraͤnzchen ſind, wie ich an einem andern
Orte *) hinlaͤnglich bewieſen habe, von den eigent-
lichen Orden im Grunde wenig unterſchieden; ihr
Zweck iſt wie der Zweck der Orden, ein Streben
nach einer freylich nur eingebildeten Herrſchaft auf
der Akademie: da ſie jedoch nicht ſo viele Alfanze-
reyen und myſterioͤſe Fratzen haben, als die Orden,
ſo koͤnnen ſie nicht ſo ſchaͤdlich werden, als dieſe, und
koſten auch bey weitem nicht ſo viel Geld. Ich fuͤr
meinen Theil bin vollkommen uͤberzeugt, daß junge
Leute ohne alle Verbindung auf Univerſitaͤten weder
exiſti-
[305] exiſtiren koͤnnen, noch exiſtiren ſollen: ſo lange der-
gleichen Verbindungen, Kraͤnzchen, Landsmann-
ſchaften etc. nicht in renommiſtiſche Klicken ausar-
ten, und ſo den Zweck der Univerſitaͤterey ſelbſt hin-
dern, ſoll und muß man ſie toleriren, damit nicht
Etwas ſchlimmeres entſtehe, wenn man ſie zer-
ſtoͤrt.


Aber von Seiten der Univerſitaͤt, oder vielmehr
von Seiten des Curatoriums zu Berlin dachte man
anders, und verbot die Kraͤnzchen bey ſchweren
Strafen. Herr Prof. Meckel ſtellte waͤhrend ſei-
nes Prorektorats keine Inquiſition gegen die Kraͤnz-
chen an, aber Herr Jakob that dieſes, und die
Studenten glaubten, er allein ſey die Urſache
der ihnen ſo unangenehmen Unterſuchung, und
warfen einen Vaturianiſchen Haß auf ihn, der ſich
durch allerley ziemlich derbe Exploſionen aͤußerte.


Der Prorektor ließ ſich nicht irre machen, und
verordnete am ſchwarzen Bret, daß alle Senioren
und andre bey den Kraͤnzchen Chargirten ſich bin-
nen acht Tagen angeben, die Geſetze der Verbin-
dungen nebſt den Degen und Rappieren extradiren,
und ein Verzeichniß aller Verbuͤndeten ſtellen ſoll-
ten: widrigenfalls wuͤrde man wider ſie ſtreng nach
den Geſetzen verfahren: die Klicken und alle Theil-
nehmer an denſelben ſeyen hinlaͤnglich bekannt etc.


Laukh. Leben 5ter Theil. U
[306]

Dieß war ein Donnerſchlag fuͤr die Herren
Kraͤnzianer! Dieſe hatten ſich nichts weniger als ſo
Etwas vermuthet, und hatten daher ſich gar nicht
in Acht genommen, um ihre Verbindungen geheim
zu halten, wie ſie doch der Klugheit gemaͤß haͤtten
thun muͤſſen, da ſchon einige Jahre vorher das
Halten der Kraͤnzchen unterſagt worden war. Aber
jeder Schuſter und Schneider, jeder Kraͤnzianiſcher
Kneipenhalter, jeder Stiefelwichſer und jeder
Pferdephiliſter wußte ganz genau, wer zu dieſem
oder zu jenem Kraͤnzchen gehoͤrte, und da konnten die
Herren leicht vermuthen, daß der Prorektor mit
ihren Verbindungen bekannt ſey. Auſſerdem ſollen
auch, wie man ſich nicht ins Ohr, ſondern ganz
laut auf der Straße ſagte, Angeber und Maͤhr-
chenstraͤger aus der Zahl der Halliſchen Studenten
ſelbſt herumſchleichen, und das, was ſie erfahren
koͤnnen, wieder ausplaudern, und ſogar bey den
Vorgeſezten angeben. Ich bin zwar vollkommen
uͤberzeugt, daß Herr Jakob ſich keines Angebers
und keines geheimen Spions bedient habe, um die
Heimlichkeiten der Studenten zu erfahren: denn
dergleichen thut kein rechtlicher Mann, und dann
war es ja auch gar nicht noͤthig, da er andre Mit-
tel genug in Haͤnden hatte, die Kraͤnzchen und de-
ren ganzes Zubehoͤr hinlaͤnglich zu entdecken. In-
deſſen glaubten dieſes doch die Kraͤnzianer, und
[307] um ſo vielmehr mußten ſie glauben, der Prorek-
tor wiſſe um alles, was ſie anging.


Gleich nach dem obgedachten Anſchlag verſam-
melten ſich die Kraͤnzchen, und nach einigen De-
batten wurde beſchloſſen, der Aufforderung nicht zu
gehorchen, ſondern das Aeuſſerſte zu erwarten.
Waͤren die Senioren Leute geweſen, welche noch
lange auf der Univerſitaͤt haͤtten bleiben wollen,
oder haͤtte die Pluralitaͤt der Geſellſchaften aus
Auslaͤndern beſtanden, ſo waͤre es vielleicht dabey
geblieben, aber ſo waren beynahe alle Landeskinder,
und die Senioren waren naͤchſtens im Begriff, die
Akademie zu verlaſſen. Unter ſolchen Umſtaͤnden
wurde das Concluſum weislich abgeaͤndert, und
Degen, Rappiere und Geſetze wurden ausgeliefert.


Bis jezt war alles ſtille — wie mans ohnge-
faͤhr von Univerſitaͤten ſagen kann — hergegan-
gen; aber nun entſtand eine gewaltige Gaͤhrung
auf der ganzen Akademie; die Studenten glaubten
in ihren Rechten gekraͤnkt zu ſeyn, und dem Pro-
rektor wurden manche Pereat's geſchrieen. Ich
ging eines Abends hinter dem Rathhaus herunter,
um mich auf den Univerſitaͤtskeller zu begeben.
Von ferne hoͤrte ich pereat tief! tief! rufen,
kuͤmmerte mich aber nicht um dieſes Geſchrey, und
ging weiter. Einige Menſchen, vielleicht Studen-
ten, vielleicht auch keine Studenten, liefen neben
U 2
[308] mir vorbey; als ich aber gegen das Rathhaus kam,
hielten mich einige Neppe an, welche, wie es
ſcheint, den Perificanten nachgerennt waren. „Was
wollt Ihr, fragte ich?“ und die Neppe, welche
mich kennen mogten, ſagten: „ach, Sie haben
gewiß nicht pereat geſchrieen!“ und ließen mich
gehen.


Nach und nach legte ſich der Unwillen der Stu-
denten, und es ſcheint auch, daß die Obrigkeit von
der Strenge der Geſetze nachgelaſſen habe. So
wurden z. B. die Commerſe nicht nur in der Stadt,
ſondern auch auf den Doͤrfern, und namentlich zu
Riedeburg unter ſtrengen Strafen unterſagt. Das
war zwar ſchon oͤfter geſchehen, aber dießmal
wurde ſogar an die Saͤchſiſchen Gerichte deßwegen
requirirt. Nicht lange nachher, als dieſer Befehl
angeſchlagen worden war, hielten mehrere Stu-
denten in Riedeburg einen flotten Commers, und
der Herr Richter — ſahe zu, und gaudirte ſich ob
der Fidelitaͤt. Nach dieſer Zeit ſind oͤfters Commerſe
bey Herrn Zacharias Schmid in Riedeburg gehal-
ten worden, aber alle ohne Ahndung.


Mit den Staͤndchen oder Abendmuſiken ging
es eben ſo. Dieſe waren ſtreng verboten, aber die
Obſervanz hat ſie wieder erlaubt gemacht: Oft-
mals fiel mir bey dergleichen Vorfaͤllen die Stelle
aus dem Horatius bey:


[309]

Quid leges ſine moribus
Vanae prot[i]ciunt?


Lieber gar keine Geſetze, als ſolche, welche man
nicht ſtreng halten machen kann, oder nicht mag.
Il vaut mieux de ne faire point de loix, que d'en
faire des impuiſſantes,
ſagt Montesquieu, und er
hat Recht. Un magiſtrat, qui menace toujours,
mais qui n'y donnes pas de poids, ſe fait mépriſer,

ſagt der Verfaſſer des Buchs: ſur les moeurs,*)
und er hat auch ſehr Recht, wie die leidige Erfah-
rung taͤglich beweiſet.


Eins hat indeſſen der Prorektor, Herr Jakob,
recht gut gemacht, und jederman, ſelbſt die Stu-
denten, danken ihm dafuͤr. Er hat die haͤßlichen
Halliſchen Bordelle, oder die Hurenloͤcher zerſtoͤrt,
wo die jungen Leute in den Grund verderbt wur-
den. Die ſchaͤndlichen Halter ſolcher infamen Wirth-
ſchaften zogen die Herren an ſich, indem ſie ihre
feile Waare ſtets ankuͤndigten, und aufs Beſte her-
ausſtrichen. Sie ſtanden ſich auch recht gut da-
bey, konnten jubeln nach Herzensluſt, konnten
alles mitmachen, und achteten kein Geld, da ſie
dergleichen ſehr leicht verdienen konnten. Aber ſeit-
dem die Wirthſchaften aufgehoͤrt haben, geht es
dieſen Prieſtern und Prieſterinnen der niedrigen
[310] Wolluſt gar klaͤglich. Freylich wird es nie an fei-
len Menſchern fehlen, aber es giebt doch keine
oͤffentliche Tempel der Wolluſt mehr, und das iſt
ſchon ſehr viel.


Wenn Herr Prof. Jakob, oder das Curatorium
zu Berlin auch den Schaden hindern koͤnnte, oder
wollte — denn warum ſollte es unmoͤglich ſeyn? —
welchen die Komoͤdie zu Lauchſtaͤdt jaͤhrlich fuͤr die
Halliſchen Studenten ſtiftet, ſo wuͤrde das dadurch
erworbene Verdienſt warlich ſehr bedeutend ſeyn.
Dieſe Komoͤdie verfuͤhrt die Studenten nicht nur zu
ſehr betraͤchtlichen Ausgaben, welche das Vermoͤ-
gen der Meiſten uͤberſteigen, ſondern haͤlt ſie der-
geſtalt vom Studieren ab, daß Viele den ganzen
Sommer uͤber gar nichts lernen. Wenn ich einem
Vater rathen ſollte, deſſen Sohn in Halle ſtudiert,
ſo wuͤrde ich ihn zu bewegen ſuchen, den jungen
Herrn nur den Winter uͤber daſelbſt zu laſſen, und
den Sommer zu Hauſe zu behalten. Ich rede aus
vieljaͤhriger Erfahrung. Es waͤre beſſer, man er-
laubte, waͤhrend der ſogenannten Lauchſtaͤdter Zeit
ein Schauſpielhaus in Halle ſelbſt: dieſes wuͤrde
unendlich weniger uͤble Folgen haben, als das
Theater in dem koſtbaren und doch uͤber allen Glau-
ben elenden Lauchſtaͤdt.


Sonſt wird die Lebensart unſrer Studierenden
von Tag zu Tag artiger und geſitteter. Die alte,
[311] in das Weſen der Studenten ſelbſt verwebte Re-
nommiſterey hat beynahe voͤllig aufgehoͤrt, und
ſelten ſieht man noch auffallende Kleiderfratzen,
Stuͤrmer, *) Uniformen, Canonenſtiefel u. d. gl.
Aber der Fleiß, welcher den Wiſſenſchaften gebuͤhrt,
ſcheint auch taͤglich abzunehmen, und die Herren
Examinatoren tragen dazu das Ihrige maͤchtig bey.
Menſchen paſſiren durch juriſtiſche Examina — ich
wills beweiſen, wenn man mich auffordert — die
auch die erſten Linien der Rechtswiſſenſchaft nicht
gelernt haben. Ich habe noch vor einigen Wochen
ein Teſtimonium geſehen, worin beſtaͤtiget wurde,
daß Hr. — — das Civil- Criminal- Kirchen- und
Staatsrecht, wie auch die Rechtsgeſchichte fleiſ-
ſig gehoͤrt habe; aber ganz Poſſendorf und Lauch-
ſtaͤdt kann bezeugen, daß er in alle dieſe Collegia
wenig kommen konnte, weil er nicht in loco war.
Was ihn ſein Examinator mag gefragt haben, weiß
ich freylich nicht, aber das weiß ich wohl, daß er
auf die Frage, wie culpa und dolus in criminalibus
differirten, antwortete, dolus ſey alsdann, wenn
der Delinquent ſeine Sachen liſtig geſpielt habe,
culpa aber ſey gewaltſames Verbrechen, z. B. Straſ-
ſenraub: bey jenem, dem dolus faͤnde Entſchuldi-
gung Statt, bey dieſer aber nicht. Iſt ſo Etwas
[312] nicht erbaulich? Doch wuͤrde ich ſehr ſuͤndigen, wenn
ich nicht oͤffentlich geſtehen wollte, daß es uns an
jungen Maͤnnern nicht fehlt, welche den Wiſſen-
ſchaften Ehre machen, und dereinſt die Zierde der-
ſelben ſeyn werden.


Zu bedauern iſt es aber doch, daß die Theolo-
gie in Halle, wo ſonſt ein Semmler lehrte, nun
nach gerade zur Concordienformel zuruͤck krebsgaͤn-
gert. Das alte Ding, Syſtem mit Unrecht ge-
nannt, welches die Nicaͤniſchen und Chalcedonenſi-
ſchen Fratzen, nebſt den Fratzen des h. Auguſtinus,
Anſelmus und Luthers Privatmeynungen und an-
dre unverdaute Saͤtze aufſtellt, wird unſern Stu-
dierenden zur Schande des neunzehnten Jahrhun-
derts noch immer vorgeleyert, und die jungen Maͤn-
ner, welche in ihren Schuljahren geſcheidere Sa-
chen gehoͤrt haben, moͤgen kratzen, ſcharren und
laͤrmen, wie ſie wollen, der Herr Profeſſor hoͤrt
doch nicht auf, ihnen die Erbſuͤnde vorzudemon-
ſtriren, und die Zahl der Engel und der Teufel
vorzurechnen.


O quantum eſt in rebus inane!



[313]

Zwey und dreyßigſtes Kapitel.


Meine jetzige Lage.


Die taugt nun freylich nicht viel: quaͤlende Sor-
gen druͤcken mich zu Boden, und Ausſichten zur
Verbeſſerung meines Zuſtandes zeigen ſich auch
nicht. Ich habe bey jedem Project, das ich mach-
te, immer gefehlt, und eben daher bin ich es muͤ-
de, neue Projekte zur Beſſerung meines Zuſtandes
zu machen, und laſſe es gehen, wie es geht.
Nichts ruͤhrt mich mehr, und wenn ich auf Etwas
hoffte, und es mir dann, wie faſt immer, fehl
ſchlaͤgt, ſo kann ich recht herzlich druͤber lachen.
Auf Freundſchaften habe ich ſonſt viel gehalten:
aber die Erfahrung hat mich gelehrt, daß Freund-
ſchaften gerade nicht mehr und nicht weniger ſind,
als hoͤfliche Geſellſchaften, z. B. in einem Gar-
ten, Kneipe u. ſ. w. die man vergißt, ſobald man
heraus iſt, und ſie folglich nicht mehr noͤthig hat.
Man thut Unrecht, wenn man mehr von Freun-
den fordert, als ſie nach der Natur der Freund-
ſchaft leiſten koͤnnen. Mutua utilitas iſt das Fun-
Laukh. Leben 5ter Theil. X
[314] dament ſolcher Verbindungen, hoͤrt das mutuum
auf, gute Nacht Jungfer Freundſchaft! Daher
ſind alle Theorien und Moralien, welche Cicero
und Carraccioli, und alle zwiſchen jenem groſ-
ſen und dieſem kleinen Buͤchermacher ſtehende
Schriftſteller bloß Hirngeſpinnſte, denen die Er-
fahrung widerſpricht. Eben indem ich dieß ſchrei-
be, laͤßt mir ein Freund, den ich aufforderte mir
beyzuſtehen, freundſchaftlichſt ſagen, er ſey mir
nichts ſchuldig
; ich moͤge ihm nicht mehr
kommen
. Er hat Recht! und ich waͤre ein Narre,
wenn ich mich uͤber erkaltete Freundſchaft beſchwe-
ren, oder gar aͤrgern wollte.


Ob ich aber gleich keine Ausſichten habe, und
ein Feind aller Projecten bin, ſo habe ich doch noch
nicht allen Muth verlohren, und vielleicht zeigt
mir das Schickſal noch einen ungeſuchten Weg,
worauf es ſich beſſer gehen laͤßt, als auf dem ge-
genwaͤrtigen. Dieſer Band meiner Lebensgeſchichte
iſt aber grade nicht ſo beſchaffen, daß ich hoffen
koͤnnte, meine Lage dadurch beſſer zu machen, er
kann mir unmoͤglich einen Goͤnner bringen, aber
manche Feinde muß er mir machen. Aber mei-
ne Theorie uͤber Feindſchaft iſt der uͤber Freund-
ſchaft vollkommen gleich: ich achte weder eine noch
die andre. Ich biete mich nie theurer aus, als
ich werth bin, und habe die Kunſt nicht ſtudiert,
[315] folglich auch nicht gelernt, Aufſehen zu meinem
Vortheil zu machen, daher bin ich auch immer zu-
ruͤck geblieben, und komme wahrſcheinlich erſt daun
in eine ruhige Lage, wenn man mich zu Grabe
traͤgt.


Ueber das fehlgeſchlagene Gluͤck, welches ich
mit meinem Hannchen zu genießen hoffte, troͤſtet
mich meine leidige Erfahrung. Ich ſehe naͤmlich,
daß tauſend Ehen, wo nicht ungluͤcklicher, doch
auch um kein Haar beſſer ſind als die meinige.
Wer hieß mich auch heyrathen? Ein Menſch, der
nicht jaͤhrlich auf einige hundert Thaler gewiße Rech-
nung machen kann, muß, wenn er klug iſt, an kein
Weib denken. Doch es iſt einmal geſchehen, und
il faut faire bonne mine à mauvais jeu: ich werde
die Launen meiner Frau tragen, poltern mitunter
und doch am Ende gedultig thun, wenn ſie auch
bis in Ewigkeit fortfahren ſollte, bey allem meinem
Bitten und Schelten, den Kammerfenſterladen zu-
zumachen, und das Mittagseſſen erſt um ein Uhr
auf den Tiſch zu bringen. Gut iſt uͤbrigens, daß
mein Hannchen kein Buch ſchreiben kann: denn
ſonſt ſchriebe ſie vielleicht auch ihre Lebensgeſchich-
te, und da wuͤrde ich vielleicht noch ſchlimmer weg-
kommen, als in der Literaturzeitung und in der
deutſchen Bibliothek.


[316]

Meinen Fritzemann Acke habe ich beſchloßen,
auf eine ganz eigne Art zu erziehen. Latein und
Franzoͤſiſch, die Erdbeſchreibung und die Geſchichte,
in ſoferne dieſe verdient, gelernt zu werden, werde
ich ihn ſelbſt lehren, auch die Rechenkunſt und die
Geometrie. Kann ichs bewerkſtelligen, ſo ſoll er
die Chirurgie lernen; denn dieſe Wiſſenſchaft iſt
unter allen Wiſſenſchaften wohl die, welche den
meiſten Nutzen leiſtet, und ich moͤgte nicht gerne,
daß mein Fritzemann ein unnuͤtzer Kerl in der Welt
wuͤrde. Geht es aber nicht mit der Chirurgie, welche
ich ſehr wohl von der Bartkratzerey zu unterſcheiden
weiß, ſo ſchicke ich ihn, wenn er die Staͤrke dazu
hat, zu einem Canoniercorps. Den Katechis-
mus ſoll er nicht lernen, und ich hoffe ihm durch
meinen Vortrag der Geſchichte ſo einen Eckel ge-
gen die Pfafferey beyzubringen, daß er weder die
Salbadereyen der Pfaffen anhoͤren, noch ihnen
Beichtgeld geben ſoll. Die Polizey fordert zwar
mirabile dictu — daß jedes Kind entweder ge-
tauft oder beſchnitten ſey, ausgenommen die Kinder
der Anabaptiſten, welche ein privilegium ſpeciale
haben, aber bisher kenne ich noch kein Preußiſches
Polizeygeſetz, welches befiehlt, daß alle getaufte
Kinder den Katechismus lernen und confirmirt wer-
den muͤßen. Der Junge hat zwar ſchon ſo vom
Zuhoͤren das Lied: „eine feſte Burg iſt unſer Gott“
[317] gelernt, hat aber ſo wenig Begriffe von dem In-
halt deſſelben, daß er den darin genannten al-
ten boͤſen Feind und ſeinen Schulmeiſter fuͤr
ein Ding haͤlt. Kommt Zeit, kommt Rath.


Ich fuͤr mein Theil lebe ſo ziemlich ruhig, und
laße alle Steine liegen, die ich nicht wegſchaffen
kann. Mangel habe ich freylich an vielen Dingen,
woran andre abundiren, aber das Nothwendige
fehlt mir doch nur ſelten. Man ſagt gewoͤhnlich,
Credit ſey ſo gut, als baar Geld; aber es iſt doch
auch zu etwas gut, wenig Credit zu haben: denn
ſo kann man auch wenig Schulden machen, und
dieß iſt mein Fall.


Mein Umgang ſind meine Bekannten, worun-
ter ich auch einige Freunde rechnen kann. Von
leztern habe ich erſt kuͤrzlich Herrn Dornenſteeg oder
Eichhorn verlohren, welcher ins Hannoͤveriſche
verreiſet iſt, und wahrſcheinlich nicht wieder kommt.
Die oͤffentlichen Oerter beſuche ich oft, aber nur ge-
gen Abend, meiſtens aber nur ſolche Oerter, wo
man bey einem Glas Breyhan einen unterhaltenden
Diſcours fuͤhren kann. Meine Bekannten ſehen mich
immer gerne kommen.


Meine Studien ſetze ich noch immer fort, und
vorzuͤglich ſuche ich das Roͤmiſche und Deutſche ge-
meine Recht zu erlernen, nicht als wollte ich einſt
großen nuͤtzlichen Gebrauch davon machen: denn
[318] wie ſchon geſagt iſt, ich haſſe alle Projecte fuͤr mich
und meinen Zuſtand: ſie haben bisher nichts ge-
taugt, und werden in Zukunft eben ſo wenig tau-
gen: alſo apage has nugas. Aber ich habe Gefal-
len an der Rechtswiſſenſchaft, und vielleicht kann
ſie mir noch nuͤtzen.


Vor einigen Tagen erhielt ich einen Brief von
meiner alten Mutter, welcher meine laͤngſt pro-
jectirte Reiſe nach dem Vaterlande nothwendig
macht. Ich werde dieſelbe noch dieſes Jahr un-
ternehmen, und da ich meine Tour etwas ausdeh-
nen will, ſo werde ich Gelegenheit haben, man-
ches zu ſehen und zu hoͤren, welches eines oͤffent-
lichen Rapports nicht unwuͤrdig ſeyn moͤgte. Kuͤnf-
tige Oſtermeſſe hoffe ich dem Publikum mit den
Beobachtungen, welche ich auf dieſer Reiſe machen
werde, meine Aufwartung zu machen, und bis da-
her wuͤnſche ich meinen lieben Leſern recht wohl zu
leben.


Ende des fuͤnften Theils.

[319]
Notes
*)
Dieſe Goͤttin ſoll nach dem Zeugniß des Jamblichus im
Leben des Pythagoras ſehr partheyiſch ſeyn, und doch
will der weiſe Kaiſer Marcus Aurelius im 4ten Buche
ſeiner Selbſtphiloſophie, daß der Menſch ihr, dieſer
Partheylichkeit ungeachtet, willig gehorchen und folgen
muͤſſe. Freylich wenn die Ειμαϱμενη unwiderſtehlich
iſt, ſo waͤre es Thorheit ihr entgegen zu ſtreben.
**)
Perſius Sat. I.
*)
Ovid. de Rem. Amor. L. I.
*)
Ein ſuus haeres iſt ein Erbe, welcher zur Zeit des
Todes des Erblaſſers in deſſen vaͤterlicher Gewalt, und
*)
zwar im naͤchſten Grade war §. 2. I. de haered. qual.
et diff.
alſo bloß Kinder und Kindeskinder, deren Va-
ter todt iſt.
*)
Virg. Ecl. IV.v. 5.ſeqq.
*)
Joſeph Wieland, der Marionettenſpieler, graſſirte vor etwan
25 Jahren in ganz Deutſchland herum, und erwarb ſich ein
Vermoͤgen von 60000 Thalern. Er war wirklich beſſer dran,
als mancher Schauſpieldirektor, den die Manichaͤer aus einem
Land ins andre jagen. Exempla ſunt odioſa.
*)
Was nuͤtzen die leeren Geſetze, wenn niemand zu gehorchen
gewohnt iſt.
**)
Ein dem Stadtmagiſtrat gehoͤriges Gebaͤude, welches die
Univerſitaͤt gemiethet hat, um da ihre Gerichte, Diſputatio-
[...] u. d. gl. zu halten.
*)
Band 1. Seite 37 ff.
*)
— — quaeque ipſe miſerrima vidi,
Et quorum pars magna ſui.

Virg. Aen. L. II.
*)
Mehr Nachricht von dieſem Nichtswuͤrdigen giebt das Staa-
tenjournal. B. V.
*)
I. A. Spohn de privatione privilegiorum infami
ac famoſa. Goettingae in fallos
1775. Der Pro-
rektor kann wohl eine Matrikel ertheilen, aber den, der ſie hat,
derſelben nicht berauben, auch dann nicht, wenn dieſer rele-
girt wird. Bey Schulz gings indeſſen: denn der dumme Teu-
fel ließ mit ſich machen, was man wollte.
*)
Ep. L. I. IV.
*)
Verſ. Prolog. in Sat.
*)
Einſt wurde er im Hirſch zu einer Strafe condemnirt, wel-
che doch nicht wohl hatte ausgeuͤbt werden koͤnnen. Er ſollte
naͤmlich kombabuſirt werden. Ein luſtiger Bruder machte
auf dieſe Poſſe folgendes Diſtichon:
Pendent de furca Briſi genitalia: namque

Fecerat, infandum! ſtupra nefanda Briſus.

Ich tadelte dieſe Verſe, weil die erſte Sylbe in Briſus
lang und kurz gebraucht ſey; aber Herr von Briſen nahm ſich
der Verſe ſelbſt an und vertheidigte ſie.
*)
D. t. weil die Herren vom Prorektor an, bis zum Karzer-
knecht Etwas haben verdienen wollen.
*)
Wohl zu merken, daß ich vom Jahr 1777 rede, und nicht
von 1802: denn, Dank ſey's der beſſern Lebensart der Stu-
denten, nicht aber den Akademiſchen Polizeyanſtalten, das
Ecce quam bonum und deſſen Schweinereyen, werden
bloß noch bey Gnotenkommerſchen gehoͤret. Dieſe aber ſin-
gen wie folget:
Ex tam bonam

Bonam acund am

Han mer kane fratres

Haburum.
*)
Sie folgen dir nach, Juͤngling, ins ernſte Gericht.
Klopſtock.
*)
Tertull. de baptismo Cap. 18. Walchli Hiſt.
Paedobapt. IV. prior. ſecul.
*)
Spoͤkeding, Spukeding, Gloie, Gloinich, Kobold u. d. gl.
ſind ſynonym mit Geſpenſt.
*)
Πεϱι ἀϱχων L. III. C. 12.
*)
Woͤrtlich ex ore.
**)
Suo tempore abſens in libro cui titulus — —.
Nunc contentus dictis cetera linquo.
***)
Meine Herren, wollen Sie das genauer wiſſen, laſſen
Sie mich ad Magnificum citiren und egregié reſpondebo.
Dieß zur Nachricht fuͤr gewiſſe Herren.
*)

Es giebt auch Dichter zu Nordhauſen, und einer derſelben
machte ein Epigramm auf das alte und neue Jahrhundert,
welches verdient, aufbewahrt zu werden.


Du ſcheidend Jahrhundert ich danke dir,

Daß du's liebe Leben gegeben mir:

Du angehend Jahrhundert, wie koͤnnt dich ich preißen:

Du wirſt ja dieß hoͤchſt Gut gewiß mir entreißen.
*)
Von Lanzknecht oder Landsknecht, d. i. Soldat.
*)
Sat. VI. v. 49.
*)
Hunc ego fatis
Imputo, qui vultu morbum inceſſuque ſatetur,
*)
Horum ſimplicitas miſerabilis, his ſuros ipſe
Dat veniam; ſed pejores qui talia verbis
Herculis invadunt, et de virtute locuti
Clunem agitant. Ego te caventem, Sexte vereber?
Infamis Varillus alt: quo deterior te?
Loripedem rectus derideat, Aethiopem albus:
Quis tulerit Gracchos de ſeditione querentes.
Quis coelum terris non miſceat, et mare coelo,
Si ſur diſpliceat Verri, homicida Miloni,
Clodius accuſet Moechos, Catilina Cethegum?
In tabulam Sullae ſi dicant diſcipuli tres?
Qualis erat tragico nuper pollutus adulter
Concubitur, qui tunc leges revocabat amaras
Omnibus atque ipſis Veneri Martique timendus,
Cum tot abortivis foecundam Julia vulvam
Solveret, et patruo ſimileis effunderet offas.

Juvenalis Sat. II.
*)
Die Profeſſores Juris haben von jeher den wohlverdienten
Ruhm als groſſe Kenner der Zotologie gehabt. Ich rede nicht
von allen! Doch ſehe man Caricaturen von Anſelmus Rabioſus
2ten Theil. Berlin 1802.
*)
Haͤſcher.
*)
So im Vorbeygehen moͤgte ich anmerken, daß das Wort
Juſtitzcommiſſar ſeiner Etymologie nach einen komiſch-
haͤmiſchen Nebenbegriff mit ſich fuͤhrt. Zur Erklaͤrung iſt hier
kein Raum.
Anmerkung des Setzers.
*)
Hr. Juſtizcommiſſar Schneller ſchreibt desſerviren, des-
ſerviten.
Nicht unrecht! Er desſervirt ſo lange, als noch
etwas da iſt, wenns alle iſt, hoͤrt er auf.
*)
Virg. Aen. L. IV.
**)
Ovid. Met. Lib. IX.
*)
Ich verſtehe die Orthographie der eignen Namen unſerer Ge-
richtsherren ſchlecht. Sie werden mir daher verzeihen, wenn
ich falſche oder unrechte Buchſtaben ſetze.
**)
Er mag wohl Hn. P. Webers bekanntes vortreffliches Buch
uͤber dieſen Gegenſtand damals noch nicht geleſen haben.
*)
Injuria enim dictum eſt vel factum ſignificans (?)
in contumeliam hominis honeſti dolo
malo
commiſſum. Herm. Vultejus.
Ueber
dieſe Definition der Injurie werde ich bey Gelegenheit, wel-
che ſich mir, wie ich hoffe, bald darbieten ſoll, einen Com-
mentar liefern.
**)
Sunt haec ipſiſſima verba. Auch hieruͤber liefre ich
ſuo tempore einen Commentar, aber erſt ſuo tempore.
*)
Weil dieſe Biographie uͤberſetzt wird.
**)
Sechſer oder Sechspfennigſtuͤck. Lat. haſta, daher haſtatus
d. i. ein Menſch, der Moſen und die Propheten hat, zu Deutſch,
ein Beſpieſter.
***)
Quo undique cuncta atrocia et pudenda confla-
unt, celebranturque. Tacit. Aun. L. XV. C.
45.
*)
Haec phraſis notetur! Meinſt du?
*)
Schnapps.
*)
Man ſehe Kochs Inſtitutiones juris Criminalis im An-
hange, aber die aͤltern Ausgaben: denn Hr. Koch oder ſein
Verleger mag ſich des Schinderknechtsunterrichts geſchaͤmt ha-
ben; und ſo blieb er in den neuern Editionen weg.
*)
Er laͤßt ſich zwar Commiſſar nennen: in den Acten aber
heißt er Student, und die Acten duͤrfen doch in der
Regel
nicht luͤgen.
*)
Terent. Andriae prolog.
*)
Z. B. im zweyten Band dieſes Werkes S. 329. kommt
Krippenſtavel ſtatt Krippendorf vor. Deßwegen haͤtte aber ein
gewiſſer Herr keinen großen Brief ſchreiben, und es mir zum
Verbrechen machen muͤſſen, daß ich des Branntweinbrenners
und Schenkwirths zu Neuſtaͤtt im Weimarſchen, Hn. Caſpar
Krippendorfs Namen unrecht geſchrieben habe. Fehler dieſer
Art finden ſich ſogar beym Thuanus und beym Hugo Grotius.
*)
In der Vorrede zum zweyten Theil dieſes im Grunde leſens-
werthen Buches.
*)
Non poſſum, ich will nicht.
*)
In meiner Schrift uͤber den Amiciſten-Orden. Halle bey Cra-
mer 1799.
*)
Duclos.
*)
Huͤte, wie man ſie im Jahr 1672 in Spanien getragen hat.

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TextGrid Repository (2025). Laukhard, Friedrich Christian. F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bp96.0