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[]
Lieder
fuͤr
Kinder.

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Leipzig,:
bey M. G. Weidmanns Erben und Reich.
1767.
[][1]
Zuſchrift
an ein paar Kinder.
Jhr fodert huͤpfend eine Gabe

Mir, kleinen Schmeichler, ab?

Hier habt Jhr alles, was ich habe,

Und mir die Muſe gab.

Die Muſe — doch ich hoͤr Euch fragen,

Welch Wunderding dieß iſt?

Jch will es im Vertraun Euch ſagen:

So bald ich Euch gekuͤßt.

Es iſt die vaͤterliche Liebe,

Der jede Liebe weicht,

Und der bey mir nichts, als die Liebe

Fuͤr Eure Mutter gleicht.

Laßt ſie Euch dieſe Lehren geben,

Durch Harmonie verſuͤßt:

Weit kraͤftiger lehrt Euch ihr Leben,

Das lauter Wohllaut iſt.



[2]
Der junge Baum.
Das liebe kleine Baͤumchen hier,

Das einſt gepflanzet ward mit mir,

Traͤgt ſchon ſo jung und zart

Die Fruͤchte von der beſten Art.

Es lohnt des Gaͤrtners froher Hand,

Den Fleiß, den er darauf verwandt:

Was wird, ihn zu erfreun,

Es nicht erſt einſt erwachſen ſeyn!

O bin ich nicht dem Baͤumchen gleich?

Zwar itzt nur noch an Hoffnung reich.

Doch will ich nicht nur bluͤhn,

Nein, einſt von goldnen Fruͤchten gluͤhn.



[3]
Lob der Unſchuld.
Du, der Unſchuld ſuͤße Ruh,

O wie lieblich ſchmeichelſt du

Unſern Seelen!

Eitle Wolluſt fleucht vor dir,

Und doch laͤſſeſt du es mir

Nicht an Wolluſt fehlen.

Du ſtreuſt Roſen und Jesmin

Auf die ſichern Pfade hin,

Die ich gehe.

Jch bin ganz Zufriedenheit,

Wenn ich dich voll Heiterkeit

Auf mich laͤcheln ſehe.

Ohne Kummer, ohne Reu,

Fuͤhrſt du ſie vor mir vorbey

Meine Tage.

Meine Muͤh machſt du mir leicht,

Und in meine Spiele ſchleicht

Sich nicht ſpaͤte Klage.

A 2Laß
[4]
Laß mein Herz ſich deiner freun,

Dich noch, werd ich aͤlter ſeyn,

Freundinn nennen.

Jn dem Ungluͤck troͤſte mich,

Und nie laß mich ohne dich

Eine Freude kennen.



[5]
Das Veilchen.
Warum, geliebtes Veilchen, bluͤhſt

Du ſo entfernt im Thal?

Verſteckſt dich unter Blaͤttern, fliehſt

Der ſtolzern Blumen Zahl?

Und doch voll Liebreiz dufteſt du,

So bald man dich nur pfluͤckt,

Uns ſuͤßre Wohlgeruͤche zu,

Als manche, die ſich ſchmuͤckt.

Du biſt der Demuth Ebenbild,

Die in der Stille wohnt,

Und den, der ihr Verdienſt enthuͤllt,

Mit frommen Dank belohnt.



[6]
Schoͤnheit und Stolz.
Phillis.
Du lobeſt Chloen? nennſt ſie ſchoͤn?

O ſieh doch mir erſt ins Geſicht!

Wie ich, das mußt du mir geſtehn,

So ſchoͤn iſt Chloe nicht.


Damon.
Ja, Phillis, daß du ſchoͤner biſt,

Geſteh ich dir gar gerne zu:

Doch iſt ſie nicht ſo ſchoͤn, ſo iſt

Sie nicht ſo ſtolz, als du.



[7]
Der May.
Es laͤchelt aufs neu

Der froͤhliche May

Jn buntem feſtlichen Kleide.

Von Hoͤhen und Thal

Toͤnt uͤberall

Die ſuͤße Stimme der Freude.

Jn Wieſen und Flur

Giebt uns die Natur

Die ſchoͤnſten Blumen zu pfluͤcken.

Drum will ich zum Tanz

Mit einem Kranz

Die blonden Haare mir ſchmuͤcken.

Doch ſollt ich nicht den,

Der alles ſo ſchoͤn

Erſchuf, erſt bruͤnſtig erheben?

Durch Jubelgeſang

Preis ihn mein Dank,

Doch mehr: mein kuͤnftiges Leben!



[8]
Der Tod.
Es ſterben Greiſe,

Und ſind nicht weiſe,

Und wenn man ſie nunmehr begraͤbt,

Wird ſie kein Edler klagen;

Denn man weiß nichts zu ſagen,

Als daß ſie lang genug gelebt.

Sollt ich nicht ſtreben

Alſo zu leben,

Daß, wenn man mich auch jung begraͤbt,

Die Frommen bey mir klagen,

Und zu einander ſagen:

O haͤtt er laͤnger doch gelebt!



[9]
Der Apfel.
Als juͤngſt Haͤnschen in dem Gras

Sich ein Blumenſtraͤuschen las,

Fand er, welch Vergnuͤgen!

Einen Apfel liegen.

Haͤnschen huͤpfte froh daher;

„Ey wie wunderſchoͤn iſt er!„

Sprach er; meinem Magen

Soll er wohl behagen.

Voll Begierde biß er zu —

Haͤnschen, o was ſprudelſt du?

Will dem kleinen Gecken

Nicht der Apfel ſchmecken?

O ſprach er: „der Wurm iſt drinn,„

Und warf ihn entruͤſtet hin:

„Eine ſchoͤne Luͤgen

Laß ich mich betruͤgen!„



[10]
Die Freyheit.
Warum, du kleine Nachtigall,

Hoͤr ich nicht deiner Stimme Schall

Mehr der Natur zu Ehren?

Du ſangſt in Straͤuchen ja zuvor

So wunderſchoͤn, daß aller Voͤgel Chor

Schwieg, wenn du ſangſt, um dich zu

hoͤren.

Jm goldnen Bauer ſitzeſt du;

Jch trage dir die Speiſe zu

Schon mit dem fruͤhſten Morgen.

Kein Sturm und Regen ſchadet dir;

Doch du ſingſt nicht, und ſitzeſt traurig

hier,

Als haͤtteſt du recht ſchwere Sorgen.

Wie, ſollt es dich vielleicht gereun,

Bey mir hier eingeſperrt zu ſeyn?

Da flieg in Freyheit wieder!

O ja, du ſingſt, ſchon hoͤr ich dich

Vom naͤchſten Baum, und du belohneſt

mich

Dafuͤr durch deine beſten Lieder!



[11]
Die wahre Groͤße.
Der Krieger duͤrſtet nach Ehre

Jn eiſernem Feld,

Und glaubt, er bau ihr Altaͤre,

Wenn mancher edle Held

Von ſeinem Schwerdtſtreich faͤllt.

Und wenn er Laͤnder verwuͤſtet

Und Staͤdte verbrannt,

Und ſich auf Leichen gebruͤſtet

Mit Blut beſpritzter Hand;

Wird er oft Groß genannt.

Doch wer ſich ſelber beſtreitet,

Die Tugend verehrt,

Um ſich das Gluͤcke verbreitet,

Und durch ſein Beyſpiel lehrt,

Jſt nur des Ramens werth.



[12]
Das Kartenhaͤuschen.
Lacht nur, guten Leute, lacht,

Daß mein Haus, das ich gemacht,

Eine leichte Luft zerſtoͤrt.

Jſt dieß lachens werth?

O! ihr baut auch oft in Wind!

Sagt, was eure Schloͤſſer ſind,

Die ihr euch ſo hoch erbaut,

Und mit Stolz beſchaut?

Werden ſie noch morgen ſtehn?

Ja — vielleicht — wir wollen ſehn.

Stoͤrt nicht oft ein Augenblick

Unſer ganzes Gluͤck?



[13]
Der wahre Reichthum.
Warum durchirrt nach Gut und Geld

Der Menſch die fernſten Meere,

Als ob fuͤr ihn nicht eine Welt

Schon groß genug waͤre?

Doch, wenn er, was er wuͤnſcht, beſitzt,

So ſtirbt er, ohne daß ers nuͤtzt.

Dieß koͤnnen nicht die Guͤter ſeyn,

Die man ſich ſoll erwerben.

Ein Weiſer ſammlet Schaͤtze ein,

Die nie mit ihm ſterben.

Die Tugend iſts; nach dieſer Zeit

Folgt ſie ihm in die Ewigkeit.



[14]
Der Fiſch an der Angel.
Das kleine Fiſchgen ſpielet hier

Jn ſilbernem Bach,

Und haͤngt, voll luͤſterner Begier,

Bloß ſeinen Freuden nach.

Es merket nicht die blutge Liſt,

Den freundlichen Feind,

Der deſto mehr zu fuͤrchten iſt,

Je guͤtiger er ſcheint.

Die Ruthe mit der Angel ſpielt

Schon uͤber ihn hin,

Und voller Neubegierde ſchielt

Es bloß nach dem Gewinn.

Es naht ſich ſchon — itzt ſchnappt es zu!

Was haſt du gethan?

Du bluteſt, armes Thierchen du,

O biſſeſt du nicht an! —

Mich reiße nie, was mir gefaͤllt,

Unpruͤfend dahin!

Dein Beyſpiel lehre mich die Welt

Und ihre Reizung fliehn!



[15]
Die Seifenblaſe.
Wie ſpielt die ſchoͤne Blaſe nicht

So bunt am goldnen Sonnenlicht?

Allein, ein Hauch! weg iſt die Pracht,

Und ihrer wird nicht mehr gedacht.

Jhr iſt ein junges Herrchen gleich,

Stolz auf ſein Kleid, vom Golde reich,

Selbſt aber an Verdienſten leer:

Man nehm es ihm, ſo bleibt nichts mehr.



[16]
Die kleinen Leute.
Jn Lilliput, ich glaub es kaum,

Doch Swift erzaͤhlts, ſind Leute

So groß, als ungefaͤhr mein Daum:

Man denk erſt in der Weite!

Da muͤſſen ſie gewiß ſo klein,

Als bey uns eine Muͤcke ſeyn.

O waͤr ich dort, wie groß waͤr ich!

Man nennte mich den Rieſen,

Und mit den Fingern wuͤrd auf mich,

Wo man mich ſaͤh, gewieſen!

Dort, ſpraͤchen ſie, dort gehet er!

Und vor mir gieng das Schrecken her.

Doch wenn ich nun nicht kluͤger waͤr,

Als itzt; ſie aber waͤren

Geſitteter, verſtaͤndiger,

Wie! wuͤrden ſie mich ehren?

Jch glaube kaum. Sie wuͤrden ſchreyn:

Groß an Geſtalt, am Geiſte klein!



[17]
Die Muͤcke.
Des Lichtes Glanz in dunkler Nacht

Reizt einer Muͤcke Unbedacht:

Sie ſpielt und nimmt nicht die Gefahr,

Die ihr das Leben koſtet, wahr.

O ladet mich der goldne Schein

Der Wolluſt dieſes Lebens ein:

So denke ſtets mein Herz daran,

Wie leicht ihr Reiz verderben kann!



[18]
Der Vorſatz.
Weil ich jung bin, ſoll mein Fleiß

Eifrig ſich beſtreben,

Daß ich moͤg einſt, als ein Greis,

Recht zufrieden leben.

Zwar will ich mich jugendlich

Meiner Tage freuen;

Doch nie alſo, daß es mich

Darf im Alter reuen.



[19]
Die Sonne.
Gegruͤßet ſeyſt du, edles Licht,

O Sonne, die mein Angeſicht

Aufs neu jetzund erhellet!

Wie groß iſt der, der dich gemacht,

Und deine Majeſtaͤt und Pracht

Ans Firmament geſtellet!

Aus deinem Feuermeere fließt

Die Waͤrm in alles, was da iſt,

Jhm Kraft und Glanz zu geben.

Der Eichbaum und das kleinſte Gras

Empfaͤngt von dir in gleichem Maas

Flor, Wachsthum, Reife, Leben.

Du biſt des frommen Weiſen Bild,

Der ſtets, mit Menſchenlieb erfuͤllt,

Vertheilt, was er beſitzet.

Den Bloͤden leuchtet ſein Verſtand,

Jndem die immer offne Hand

Wohlthaͤtig andern nuͤtzet.



[20]
Die Kleiderpracht.
Tulipanen prangen ſchoͤn

Jn den Farben, die ſie ſchmuͤcken;

Doch man laͤßt ſie traurig ſtehn,

Da ſie ſonſt durch nichts entzuͤcken.

Aller Kleider Herrlichkeit

Mag ſich auch ein Geck verſchaffen;

Man verkennt im bunten Kleid

Doch nicht den geputzten Affen.



[21]
Der Sperling und das Tur-
teltaͤubchen.

Der Sperling.
Jch armer Schelm! wie geht es mir!

Du biſt geliebt: ich bin verachtet!

Was denkt der Menſch wohl, daß er dir

Weit minder nach dem Leben trachret?

Bin ich, geſteh es mir nur zu,

Nicht zehnmal liſtiger, als du?


Das Turteltaͤubchen.
Das macht, daß du ein Raͤuber biſt;

Jch nehme bloß, was er mir ſchenket,

Und habe noch durch Trug und Liſt

Jhn nie an ſeinem Gut gekraͤnket.

Was hilfts, wenn man Verſtand beſitzt,

Und nicht zu guten Thaten nuͤtzt!



[22]
Das Clavier.
Suͤßertoͤnendes Clavier,

Welche Freuden ſchaffſt du mir!

Jn der Einſamkeit gebricht

Mir es an Ergoͤtzen nicht;

Du biſt, was ich ſelber will,

Bald Erweckung und bald Spiel.

Scherz ich, ſo ertoͤnet mir

Ein ſcherzhaftes Lied von dir;

Will ich aber traurig ſeyn,

Klagend ſtimmſt du mit mir ein;

Heb ich fromme Lieder an,

Wie erhaben klingſt du dann!

Niemals oͤffne meine Bruſt

Sich der Lockung falſcher Luſt!

Meine Freuden muͤſſen rein,

So wie deine Saiten ſeyn,

Und mein ganzes Leben nie

Ohne ſuͤße Harmonie.



[23]
Die Freundſchaft.
Der Freund, der mir den Spiegel zeiget,

Den kleinſten Flecken nicht ver-

ſchweiget,

Mich freundlich warnt, mich ernſtlich

ſchilt,

Wenn ich nicht meine Pflicht erfuͤllt:

Das iſt ein Freund,

So wenig er es ſcheint!

Doch der, der mich ſtets ſchmeichelnd

preiſet,

Mir alles lobt, nie was verweiſet;

Zu Fehlern mir die Haͤnde beut,

Und mir vergiebt, eh ich bereut:

Das iſt ein Feind,

So freundlich er auch ſcheint!



[24]
An den Schlaf.
Komm, ſuͤßer Schlaf, erquicke mich!

Mein muͤdes Auge ſehnet ſich

Der Ruhe zu genießen,

Komm, ſanft es zuzuſchließen!

Wie aber, Freund, o ſchloͤſſeſt du

Von nun an es auf ewig zu,

Und dieſe Augenlieder

Saͤhn nie den Morgen wieder?

So weis ich, daß ein ſchoͤnres Licht

Einſt meinen Schlummer unterbricht,

Und einen Tag mir goͤnnet,

Der keinen Abend kennet.



[25]
Die Zeit.
So wie ein Tropfen in dem Bach,

Folgt in der Zeit

Ein Augenblick dem andern nach

Jns Meer der Ewigkeit.

Der jetzt noch gegenwaͤrtig war,

(Schon jetzt nicht mehr!)

Entflieht fuͤr mich auf immerdar

Ohn alle Wiederkehr.

Wie muß mir jeder Augenblick

Unſchaͤtzbar ſeyn!

Leg ich ihn ungenuͤtzt zuruͤck,

So bring ich nie ihn ein.

Wie viel verſcherzt ich ſchon, wie viel!

Sie ſind dahin!

Weg Taͤndeley und Puppenſpiel,

Da ich kein Kind mehr bin.



[26]
Die Furcht.
Hier in dieſen dunkeln Straͤuchen

Will ich, ganz allein,

Meine Grillen mir verſcheuchen,

Mich des Fruͤhlings freun.

Philomele ſoll mich lehren

Was ſie ſingen kann;

Und ich ſtimm auch ihr zu Ehren

Wohl ein Liedgen an! —

Doch was hoͤr ich ſich bewegen?

Ah! was rauſchet dort? —

Schrecklich rauſcht es mir entgegen, —

Waͤr ich dießmal fort! —

O! ich zittre! ich vergehe,

Weh mir Armen! Weh!

Jetzund kommt es — ja, ich ſehe —

Ach! — ein kleines Reh.



[27]
Die Dohle und die Nachtigall.
Dohle.
Kleiner Schreyhals ſage mir,

Ey, wie koͤmmts, daß Menſchen dir

So viel Beyfall gern gewaͤhren?

Gleichwohl ſchweigt oft dein Geſang:

Jch! ich ſchwatze Tage lang,

Und mich wuͤnſcht kein Menſch zu hoͤren!


Nachtigall.
Koͤmmt es denn aufs Schwatzen an?

Dem, der niemals ſchweigen kann,

Wird kein Kluger Lob gewaͤhren.

Du ſprichſt ohne Unterlaß,

Jmmer einerley, und was?

Nichts. Das wuͤnſcht man auch zu hoͤren!



[28]
Der Neid.
Man lobt den kleinen Fritzen ſehr,

Er ſey gehorſam und beſcheiden,

Verſtaͤndig, fleißig, lerne mehr,

Als ich? ihn ſollt ich wohl beneiden.

Allein was hilft mein Neid mir nun?

Wird er dann weniger erhoben?

Weit beſſer, es ihm vorzuthun!

So muß man mich noch weit mehr loben.



[29]
Der arme Mann.
Bruder und Schweſter.
Schweſter.
Bruder! ſieh den armen Mann

Doch nicht in der Naͤh ſo an!

Wie verhungert! wie zerriſſen!

Nein, mich ſchaudert hinzugehn! —

Aber du? — ſo moͤcht ich wiſſen,

Was du willſt an ihm erſehn!


Bruder.
Laß mich immer naͤher gehn,

Und ſein ganzes Elend ſehn!

Man lernt nie ſein Gluͤck erkennen,

Wenn man nicht das Elend kennt,

Noch fuͤr den voll Dank entbrennen,

Der uns dieſes Gluͤck gegoͤnnt.



[30]
Eitle Schoͤnheit.
Der Knabe vor dem Spiegel.
Der Bruder.
O! ich bin doch ein ſchoͤner Knabe!

Das iſt gewiß!

Der Spiegel, den ich vor mir habe

Verraͤth mir dieß!

Wie ſanft iſt mein Geſicht! wie rund!

Die blauen Augen ſchmachten!

Und dieſer kleine rothe Mund

Jſt auch nicht zu verachten.

So bald ich freundlich laͤchle, prangen

Die Zaͤhn, als Elfenbein,

Auf Ros und Lilien vollen Wangen

Druͤckt ſich ein Gruͤbchen ein,

Und ach! das guͤldne Haar: ſo ſoll

Ein paar der ſchoͤnſten Goͤtterknaben,

(Sie hießen Bacchus und Apoll)

Es einſt getragen haben.

Die
[31]
Die Schweſter.
Mein lieber Bruder, vor dem Jahre

War ich, wie du, ſo ſchoͤn!

Was hatt ich da fuͤr ſchwarze Haare?

Du haſt ſie noch geſehn.

Da lobte jedes dieß Geſicht

Bewundernd um die Wette,

Und ſchwur, es ſey kein Maͤdchen nicht

So ſchoͤn, als Henriette.

Allein die Schoͤnheit iſt vergangen.

Da kam der Blattern Wuth,

Zerriß mir dieſe glatten Wangen,

Loͤſcht aus der Augen Gluth:

Doch glaube nicht, daß michs verdruͤßt.

Nein, es hat mich gelehret,

Daß das nur wahre Schoͤnheit iſt,

Was keine Zeit zerſtoͤret.



[32]
Der Greiß.
Dort fiel ein armer alter Greiß!

Sein Haupt war wie ein Silber

weiß,

Und ihm verſagt ſein zitternd Knie,

Und ach — die boͤſen Knaben die,

Wie lachten ſie!

Mich dauert dieſer gute Mann!

Wer eines Alten ſpotten kann,

Jſt der wohl werth, ietzt jung zu ſeyn?

Jſt der wohl werth, einſt alt zu ſeyn?

Wahrhaftig, nein!



[33]
Der Fleiß.
Suͤßer, angenehmer Fleiß!

O wie herrlich iſt der Preiß,

Den er jedem Juͤngling beut,

Der ihm ſeine Kraͤfte weiht.

Wenn die Langenweile gaͤhnt

Und ſich krank nach Poſſen ſehnt,

Huͤpft in froher Thaͤtigkeit

Die ihm nie zu lange Zeit.

Ja, auf ſeidnen Schwingen fliehn

Seine Stunden vor ihm hin:

Den verlohrnen Augenblick,

Nichts ſonſt, wuͤnſcht er ſich zuruͤck.

Er iſt ſtark, geſund und friſch,

Arbeit wuͤrzet ihm den Tiſch,

Und kein kranker Ekel ſchleicht

Sich zu ſeiner Mahlzeit leicht.

Wenn er winkt, druͤckt ihm die Ruh

Seine Augen willig zu:

Nie hat ihn ein Traum geweckt,

Der im Schlummer ihn geſchreckt.

CEr
[43[34]]
Er begegnet allemal

Fruͤh dem erſten Sonnenſtral,

Wenn er, munterm Fleiß geneigt,

Von den Bergen nieder ſteigt.

Jn der Jahre reifern Lauf

Suchen Ehr und Wuͤrd ihn auf:

Gluͤck und Seegen warten ſein,

Um ſein Alter zu erfreun.

Aller Orten trifft er dann

Fruͤchte ſeiner Arbeit an,

Keinen Augenblick der Zeit,

Die er nun umſonſt bereut.

Auch im Alter, auch als Greiß

Jſt er munter und voll Fleiß,

Und ihn traͤgt kein falſcher Stab

An ſein ruhigs, ſpaͤtes Grab.



[35]
Die Eule.
Die Eule ſcheut das Sonnenlicht

Und kriecht in finſtre Hoͤhlen.

Warum? weil ihre Werke nicht

Den Menſchen ſich empfehlen.

Mich uͤbereile keine That,

Die ich einſt muß bereuen!

Denn wer ein gut Gewiſſen hat,

Braucht nie den Tag zu ſcheuen.



[36]
Das aͤußerliche Anſehn.
Unter ſchoͤn gewachsnen Baͤumen

Stand ein niedrer krummer Baum:

Sie in ihrer Hoheit Traͤumen,

Goͤnnten ihm das Leben kaum:

O koͤmmt nur der Zimmermann,

Sprachen ſie, ſo muß du dran!

Doch ſchon koͤmmt er angeſtiegen, —

Wie? was faͤllt dem Thoren ein?

Sie bemerkt er mit Vergnuͤgen,

Sollts auf ſie gemuͤnzet ſeyn?

Himmel! alle haut er um,

Dieſer bleibt, denn er war krumm.


O man trotze nicht auf Erden

Auf Geſtalt und aͤußre Pracht:

Das kann oft zum Fall uns werden,

Was uns ſtolz und eitel macht.

Wer nicht ſehr ins Auge faͤllt,

Den beneidet nicht die Welt.



[37]
Klagelied eines Knaben
auf ein junges Maͤdchen.
Dieß bange Klaggetoͤne

Gilt das Amalien?

Wie hab ich nicht die Schoͤne

Vor kurzem noch geſehn?

O ja, mit ihren Schweſtern

Gieng ſie noch ehegeſtern,

Zum frohen Tanz

Jn einem Blumenkranz.

Wie die Orangenbluͤte,

So glaͤnzt ihr Angeſicht,

Und ſelbſt die Roſe gluͤhte

Darunter ſchoͤner nicht:

Am Abend von dem Tage,

War ihre letzte Klage,

Daß ganz und gar

Jhr Kranz entblaͤttert war.

C 3Wer
[38]
Wer haͤtt ihr ſollen ſagen,

Daß wir in naͤchſter Nacht

Sie wuͤrden ſo beklagen,

Wie ſie des Kranzes Pracht.

Die Blume — unter allen

Die ſchoͤnſte iſt gefallen —

Sie faͤllt herab,

So fruͤh verwelkt, ins Grab!

Wo ſeyd ihr ſuͤßen Roſen,

Wo ſeyd ihr hingeflohn?

Statt euch noch lieb zu koſen,

Eilt man behend davon.

Wie ſchlecht ſchmuͤckt ſie die Seide

Von ihrem Sterbekleide,

Und dieß iſt doch

An ihr das ſchoͤnſte noch.

Bald
[39]
Bald wird man den Gebeinen

Den letzten Dienſt verleihn,

Um ſie nicht weiter weinen

Und ſie vergeſſen ſeyn!

Jch will ihr Blumen ſtreuen,

So oft ſie ſich verneuen —

Doch wer ſagt mir,

Wie lange bin ich hier!



[40]
Das Geſchenk.
Der Bruder an die Schweſter.
Sieh! kann ein Apfel ſchoͤner ſeyn?

Ja Schweſter, eine Augenweide!

Wie muß nicht ſein Geſchmack erfreun,

Macht ſchon ſein Anblick ſolche Freude.

Sein lieblicher Geruch, wie hold!

Jn gelben roth durchſtreiften Schaalen,

Glaͤnzt ein Rubin gefaßt in Gold:

Kein Maler kann den Apfel malen.

Du moͤchteſt ihn? ich geb ihn dir,

Ja, haͤtt ich auch noch ſchoͤnre Sachen!

Schoͤn iſt es, gluͤcklich ſeyn: Doch mir

Jſt es weit ſchoͤner, gluͤcklich machen.



[41]
Der Vorwitz das Kuͤnftige
zu wiſſen.

Guͤtig huͤllt in Finſterniſſen

Gott die Zukunft ein:

Deutlich ſie voraus zu wiſſen

Wuͤrde Strafe ſeyn.

Saͤh ich Gluͤck auf meinem Wege;

Wuͤrd ich ſtolz mich blaͤhn,

Und leichtſinnig oder traͤge

Meinen Zweck verſehn.

Saͤh ich Ungluͤck; wuͤrd ich zittern:

Und die kuͤnftge Zeit

Wuͤrde mir das Gluͤck verbittern,

Das mich ietzt erfreut.

Was ich habe, will ich nuͤtzen,

Fernen Gram nicht ſcheun:

Und ſoll ich ein Gluͤck beſitzen,

Meines Gluͤcks mich freun.



[42]
Unuͤberlegter Wunſch.
Der Mann und der Knabe.
Der Knabe.
Dieß braune Pferd — welch ſchoͤnes

Thier!

O lieber Mann, erlaubet mir

Ein wenig drauf herum zu traben,

Was wollt ich nicht fuͤr Freude haben!

Der Mann.
Pruͤf deine Kraͤfte dich zuvor,

Eh du was wuͤnſcheſt, kleiner Thor!

Weiſt du ein Pferd auch zu regieren,

Um nicht dein Leben zu verlieren?



[43]
Der Seiltaͤnzer.
Jch hab ihn geſehen,

Den kuͤnſtlichen Mann,

Auf einem Seile gehen,

So gut ichs auf der Ebne kann.

Jch muß es wohl ſagen,

Das fordert viel Muͤh:

Doch moͤcht ich etwas fragen:

Die ſeltne Kunſt — was nuͤtzet ſie?



[44]
Das Lamm.
Wie nah, du armes Laͤmmgen, du,

Wie nahe gehſt du mir!

Noch ſpielſt du ſorglos und in Ruh,

Und ach! was drohet dir!

Den, der dir ietzt das Futter giebt,

Haͤltſt du fuͤr einen Freund? —

Dich liebt er, weil er ſich nur liebt

Und iſt dein aͤrgſter Feind!

Die rothe Schleife, welche ſich

Jetzt um dein Haͤlschen ſchlingt,

Ach! iſt das Band, woran man dich

Zum Tode morgen bringt.

Und dieſe Hand — mit ſanftem Muth

Wird ſie von dir gekuͤßt?

O! wuͤßteſt du, daß morgen Blut,

Dein Blut von dieſer fließt!

Wohl dir! genieß in Gluͤck und Ruh

Der kurzen Lebensfriſt:

Was huͤlf es dir: ach wuͤßteſt du,

Was dir beſchieden iſt!



[45]
Das groͤßte Gluͤck.
Von dem Gluͤcke alle Gaben,

Reichthum, Ehr und Schaͤtze haben,

Dieß iſt zwar, ich muß geſtehn,

Wuͤnſchenswerth und wunderſchoͤn.

Doch das groͤßte Gluͤck auf Erden,

Das uns kann zu Theile werden,

Jſt des Gluͤcks, deß wir uns freun,

Ja, des groͤßten wuͤrdig ſeyn.



[46]
Ein kleines Unrecht.
Meinen Vetter Chriſtian

Wagts ein Bienchen einſt zu ſtechen:

Zornig ſprach der kleine Mann,

Wart, nur wart, ich will mich raͤchen!

Ploͤtzlich brach mit kuͤhner Hand,

Er vom naͤchſten Buſche Reiſer,

Schlug, und warf mit unter Sand

An der armen Bienen Haͤuſer.

Doch der kleinen Voͤgel Heer

Ließ die Schmach nicht ungerochen,

Alles fiel ihn an, und er

Wurde jaͤmmerlich zerſtochen.

Dieß war, rief er, deine Schuld,

\&q;Wird mein Jnformator ſagen:

\&q;Lerne kuͤnftig in Geduld

\&q;Ein geringes Unrecht tragen!„



[47]
Der Schneemann.
Der ſchoͤne Schneemann — ey wie

groß,

Ein rieſenmaͤßiger Coloß!

Doch ach! die liebe Sonne ſcheint,

Und er zerrinnt, eh mans gemeint.

Jhm gleicht ein eitler leerer Kopf,

Von weitem glaͤnzt der arme Tropf,

Doch der Verſtand beleucht ihn nur,

So ſchmilzt die ſchimmernde Figur.



[48]
Der Mond.
Wie ſuͤß und freundlich lacht

Des Monden ſtille Pracht,

Den ich von jener Hoͤh

Heruͤber ſteigen ſeh.

Jch ſehe glaͤnzend ihn

Auf jenen Baͤumen gluͤhn,

So wie der Phoͤnix ruht

Jn ſeinem Reſt voll Gluth.

Allein ſein ſilbern Bild

Jſt ruhig, lieblich, mild,

Er laͤchelt jedem Ruh

Und ſuͤße Stille zu.

Die Weisheit gleichet ihm,

Nie wild und ungeſtuͤm,

Die jedem, der ſie liebt,

Auch gleiche Sanftmuth giebt.

Sein
[49]
Sein liebreich Angeſicht

Faͤrbt ſich vom Sonnenlicht,

Warum denn? ohne dieß

Bedeckt es Finſterniß.

So muß der Tugend Schein

Der Weisheit Glanz verleihn —

Dich, Weisheit, ſuch auch ich,

Doch, Tugend, bloß durch dich!



[50]
An die Lerchen.
Himmel, ach! iſt das der Dank?

Kann der reizende Geſang,

Den, wenn ſich der Lenz verjuͤngt,

Jhr der frohen Erde bringt,

Euch fuͤr dieſe Wuth nicht buͤrgen,

Daß die Menſchen Euch erwuͤrgen?

Arme kleine Lerchen, ach!

Jch, ich fuͤhle Eure Schmach:

Fiel es mir auch zehnmal ein,

Nie will ich ſo grauſam ſeyn —

Doch, bald haͤtt ich es vergeſſen,

Daß wir heute Lerchen eſſen.



[51]
Der Gehorſam.
Mein Hundchen iſt ein gutes Thier,

So bald ich rufe, folgt er mir,

Doch koͤmmt er nicht, wenn ichs ihm ſage,

So iſt er werth, daß ich ihn ſchlage.

Beſtrafet mich mein Vater nun,

Will ich nicht ſeinen Willen thun,

Darf ich es denn ſo uͤbel nehmen? —

Mich wuͤrde ja mein Hund beſchaͤmen.



[52]
Der thoͤrichte Wunſch.
O daß ich nicht ein Vogel bin,

So ſchnell und federleicht,

Der uͤber Berg und Thaͤler hin

Jn Augenblicken ſtreicht.

Dann floͤh ich uͤber Land und See,

Durchreiſte jeden Ort,

Waͤr bald im Thal, bald in der Hoͤh,

Bald hier, bald wieder dort.

Dann ſucht ich ſtets den Ort mir aus,

Wo Lenz und Sommer bluͤhn,

Und baute mir mein fluͤchtig Haus

An ſchoͤnſten Oertern hin.

Bald ſchwaͤng ich mit der Lerche Schall

Jn Luͤften mich empor:

Bald ſchluͤg ich, wie die Nachtigall,

Aus dunkeln Straͤuchen vor.

Bald
[53]
Bald floͤg ich, wie ein Adler fliegt —

Doch — welch ein Schuß geſchah?

O weh! ein armer Vogel liegt

Jn ſeinem Blute da.

Wohl mir! daß nicht mein Wunſch

gelang,

Wie ſollt es mich gereun!

Wie groß iſt, Gott, Gott ſey es Dank!

Das Gluͤck ein Menſch zu ſeyn!



[54]
Der Schatten.
Da laͤuft mein Schatten vor mir hin:

O ſeht doch! ſeht! wie groß ich bin!

Mich wagt man Klein zu nennen? —

Doch ach! weg war ich! ſeh ichs nicht,

Ein Woͤlkchen deckt der Sonne Licht?

So kann man ſich verkennen!

Der Herr dort, der ſich vornehm

blaͤht,

Lacht: doch wer weiß, wies ihm ergeht,

So groß wir ihn ietzt nennen.

Es nehme nur ein neidiſch Gluͤck

Den guͤldnen Sonnenſchein zuruͤck:

So wird man ihn nicht kennen!



[55]
Die Bienen.
Tragt nur in die Zellen ein,

Kleine Honigſammlerinnen:

Jetzt bey warmen Sonnenſchein

Sucht Jhr Schaͤtze zu gewinnen:

Muͤßiggaͤnger haßt man hier;

Fleiß und Arbeit ſind Euch Freude,

Und das Beſte ſammelt Jhr

Auf der blumenvollen Weide.

Wenn dann einſt der rauhe Nord

Ueber jene Huͤgel ſtreichet

Und der Flora Kinder dort,

Von der bunten Flur verſcheuchet;

Dann ſitzt Jhr in Sicherheit:

Voll ſind Eure Vorrathskammern,

Und Euch lehrt die Duͤrftigkeit

Nicht vor andern Thuͤren jammern.

D 4Doch
[56]
Doch Jhr ſorgt nicht nur fuͤr Euch:

Nein, bey Eurem ſuͤßen Fleiße

Seyd Jhr auch fuͤr andre reich,

Dankbegierig, milde, weiſe:

Jhr verzinnßt das kleine Haus

Reichlich dem, der es erbauet,

Und der leiht mit Wucher aus,

Der Euch in der Theurung trauet.

Euer bluͤhendes Geſchlecht

Moͤge jaͤhrlich ſich vermehren,

Und das weiſe Buͤrgerrecht

Nie ein falſcher Fremdling ſtoͤren!

Blumen will ich pflanzen, hier

Jedes Bluͤmchens ſorgſam ſchonen,

Und Jhr ſollet mich dafuͤr

Einſt mit Honigſeim belohnen.



[57]
Die Lieblings Leidenſchaft.
Schweſter.
Du kleiner Trommelſchlaͤger Du,

Wenn hoͤrſt Du einmal auf zu

ſchwaͤrmen?

So ſitze doch einmal in Ruh!

Kein Ende hat das Stunden lange Laͤrmen.

Bruder.
Du kleine Puppentaͤndlerinn,

Du haſt auch wohl zu reden Ehre:

Du bringſt die Zeit mit Puppen hin,

Als ob dieß nicht ſo gut als Trommeln

waͤre.

Schweſter.
Sich zu vergnuͤgen iſt auch Pflicht;

Doch werd ich damit niemand plagen,

Fuͤr mich ſchickt ſich das Trommeln nicht:

Doch Puppenſpiel; das mußt du ſelber

ſagen.

D 5Bru-
[58]
Bruder.
Jch ſag, eins iſt das andre werth,

Du biſt ſo klug, als ich mir ſcheine;

Ein jedes liebt ſein Steckenpferd:

Die Pupp iſt deins, die Trommel iſt das

meine.



[59]
Der Schmetterling.
O ſeht den bunten Schmetterling,

Welch glaͤnzend allerliebſtes Ding!

Wie iſt ihm doch geſchehen!

Als ich ihn kuͤrzlich noch geſehen,

War es ein kriechend garſtges Thier,

Nur Ekel macht es mir.

Dieß ſoll mir eine Lehre ſeyn,

Nie auf den aͤußerlichen Schein

Blos mein Vertraun zu ſetzen.

Der, den wir ietzt veraͤchtlich ſchaͤtzen,

Vielleicht wird das ein groͤßrer Mann,

Als ich nie werden kann.



[60]
Der Kraͤuſel.
Mein Kraͤuſel huͤpfet froh umher,

Wenn ich ihn fleißig treibe,

Doch ganz unthaͤtig lieget er,

Wenn ich in Ruhe bleibe.

Wer ſtets dem Gluͤck im Schooße

ruht,

Wird oft zur Tugend traͤge:

Doch er wird thaͤtig, weiſe, gut,

Fuͤhlt er des Ungluͤcks Schlaͤge.



[61]
Der Morgen.
Willkommen ſchoͤner Morgen!

Wie groß iſt deine Pracht!

Sie bliebe mir verborgen,

Waͤr ich nicht fruͤh erwacht:

Luſt, Wunder und Entzuͤcken

Begegnen meinen Blicken,

Wohin ich immer ſeh,

Jm Thal und auf der Hoͤh.

Es gluͤhn der Berge Spitzen

Von guͤldnem Sonnenſtrahl;

Von Diamanten blitzen

Die Pflaͤnzgen uͤberall.

Jn Luft und auf der Weide

Ertoͤnt das Lied der Freude,

Und weckt in ſuͤßem Schall

Den dankbarn Wiederhall.

EJhr
[62]
Jhr wißt nicht, reiche Praſſer,

Was ihr fuͤr Gluͤck verſchlaft?

Seyd eure eignen Haſſer,

Und durch euch ſelbſt beſtraft!

Verſchlaft die ſchoͤnſten Stunden,

Nie ſey von euch empfunden,

Was dieſe ſchoͤne Welt

Fuͤr Wunder in ſich haͤlt.

Jch will es aber fuͤhlen. —

Jndem die Weſte mir

Jn Locken lieblich ſpielen,

Sitz und betracht ich hier.

Gott! iſt mein irrdiſch Leben

Mit ſo viel Gluͤck umgeben,

Was wird der Wohnplatz ſeyn,

Der uns dort ſoll erfreun!



[63]
Das Vogelneſt.
Da hab ich es, das Haͤnflingsneſt!

Nun iſt mirs endlich doch gelungen:

Das ganze Neſt und mit vier Jungen: —

Ja ſtraͤubt Euch nur, ich halt Euch feſt.

Doch wie barmt nicht der Aeltern

Paar!

Soll oder ſoll ich ſie nicht nehmen?

Nein, nein, deß muͤßt ich mich ja ſchaͤmen,

Jch handelte, wie ein Barbar.

Wie oft hat mich nicht ihr Geſang,

Lag ich im Graſe dort geſtrecket,

Zu Harmonie und Luſt erwecket,

Und dieß waͤr nun der ganze Dank?

Jch riß ihr armes Haͤuschen ab,

Das ſie nach Gaſtrecht mir vertrauet,

Von Moos und Stroh ſich ſelbſt erbauet,

Zu dem ich nicht ein Haͤlmchen gab.

E 2Wenn
[64]
Wenn eine raͤuberiſche Hand

Mich meinen Aeltern nun entriſſen?

Was wuͤrden da fuͤr Thraͤnen fließen,

Wie jammervoll waͤr unſer Stand!

Nein, liebe Saͤnger, bleibt in Ruh,

Hier habt Jhr Eure Kinder wieder:

Vervielfacht ſingt Jhr Eure Lieder,

Mir dann aufs naͤchſte Fruͤhjahr zu.



[65]
Ermahnung an zwey
Kinder.

Suͤßes Maͤdchen, holder Knabe!

Spielt nur, ſpielt in meinem Schooß!

Wenn ich Euch in Armen habe,

Bin ich wie ein Koͤnig groß.

Euer Stammeln, Euer Lallen,

Jſt fuͤr mich Beredſamkeit:

Euer Wunſch, mir zu gefallen,

Wolluſt und Zufriedenhelt.

Wenn mich Eure Haͤndchen ſtreicheln,

Sanft mir Euer Auge lacht:

O ſo hab ich auf das Schmeicheln

Einer ganzen Welt nicht Acht.

Gern miſch ich in Eure Spiele

Mich mit froher Nachſicht ein.

O des Gluͤcks! daß ich dann fuͤhle

Wieder einmal Kind zu ſeyn.

E 3Ja,
[66]
Ja, geliebte, zarte Beyde,

Tauſendmal umarm ich Euch!

Jmmerdar ſey Eure Freude

Eurer jetzgen Freude, gleich.

Unſchuld wohn in Euern Herzen,

Keine Bosheit komm in ſie!

Jhr koͤnnt ſingen, tanzen, ſcherzen,

Nur verſcherzt die Tugend nie!


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Dieses Werk ist gemeinfrei.


Rechtsinhaber*in
Kolimo+

Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2025). Collection 3. Lieder für Kinder. Lieder für Kinder. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bp71.0