[][][][][][][[I]]
ENTWICKLUNGSGESCHICHTE
DES
MENSCHEN UND DER HÖHEREN THIERE.

[[II]][[III]]
ENTWICKLUNGSGESCHICHTE
DES
MENSCHEN
UND
DER HÖHEREN THIERE.


AKADEMISCHE VORTRÄGE



MIT FIGUREN IN HOLZSCHNITT.


LEIPZIG,:
VERLAG VON WILHELM ENGELMANN.
1861.

[[IV]]
[[V]]

VORWORT.


Die Vorlesungen über Entwicklungsgeschichte, welche ich hier-
mit veröffentliche, beanspruchen keineswegs eine ausführliche Dar-
stellung des ganzen seit Jahren aufgespeicherten embryologischen
Materiales zu geben, vielmehr sollen dieselben einfach den Studiren-
den und Aerzten, sowie Allen denen, welchen das Studium der
Specialarbeiten zu sehr abseiten liegt, eine kurze und bündige
Uebersicht der wichtigeren Thatsachen und des neuesten Stand-
punctes der Wissenschaft mit Bezug auf allgemeine Fragen geben.
In der Darstellung ging mein Streben vor Allem auf Klarheit, und
hoffe ich, dass es mir, gestützt auf eine Jahre lange Uebung in Vor-
trägen aus diesem Gebiete, gelungen sein werde, dasselbe in einer
solchen Weise zu beherrschen und aufzuschliessen, dass auch dem
Anfänger die Schwierigkeiten nicht zu gross erscheinen. Immerhin
bitte ich zu bedenken, dass die Entwicklungsgeschichte zu den Wis-
senschaften gehört, die nur durch ein gründliches und ernsthaftes
Studium sich angeeignet werden können.


Ueber das Aeussere des Werkes erlaube ich mir Folgendes zu
bemerken. Die Vorlesungen sind wesentlich in der Form, in der
sie hier erscheinen, im Sommer dieses Jahres gehalten und von
zweien meiner talentvollsten Zuhörer, den Herren L. Seuffert von
Schweinfurt und M. Tuchmann aus Uhlfeld stenographirt und ins Reine
gebracht worden. Der vielleicht auffallende geringe Umfang mancher
derselben erklärt sich theils aus der kurzen akademischen Vorträ-
gen zugewiesenen Zeit, namentlich aber aus dem Umstande, dass
[VI]Vorwort.
embryologische Vorlesungen ohne eine Anfertigung vieler Zeichnun-
gen nicht durchzuführen sind. Die grosse Bedeutung der Abbildun-
gen für das Verständniss der Entwicklungsgeschichte hat mich auch
bewogen, das Werk selbst nach Möglichkeit mit solchen auszustatten
und hoffe ich, dass die beigegebenen Originalzeichnungen sowohl,
als die Copieen aus den bewährtesten Monographien, welche die
geschickte Hand des Herrn Lochow auf Holz gezeichnet und Herr
Flegel mit immer gleicher Vortrefflichkeit geschnitten hat, wesent-
lich dazu beitragen werden, das Ganze dem Verständnisse näher
zu bringen. Eine Veranschaulichung aller und jeder Verhältnisse
durch Abbildungen, wie sie bei Vorträgen leicht ist, war jedoch
nicht durchzuführen und verweise ich in dieser Beziehung nament-
lich auf die grösseren Werke von Bischoff, Ecker, Erdl, Coste,
Rathke
und Remak.


Zürich im October 1860.


A. Kölliker.


[[VII]]

Inhaltsverzeichniss.


  • Seite.
  • Erste bis vierte Vorlesung.
  • Historische Einleitung 1
  • Fünfte Vorlesung.
  • Erster Hauptabschnitt.
  • Von der Entwicklung der Leibesform und den Eihüllen 24
  • Das Säugethierei 23
  • Das Vogelei 24
  • Furchungsprocess 28
  • Sechste Vorlesung.
  • Erklärung der Furchung 32
  • Erste Entwicklung des Säugethiereies nach der Furchung 34
  • Furchung des Cephalopodeneies 38
  • Siebente Vorlesung.
  • Furchung des Vogeleies 40
  • Keimhaut 42
  • Erste Veränderungen der Keimhaut 43
  • Achte Vorlesung.
  • Erste Entstehung des Hühnerembryo 46
  • Medullarrohr 47
  • Urwirbel 49
  • Bildung der Bauchwand 51
  • Neunte Vorlesung.
  • Seite.
  • Kopfdarmhöhle 52
  • Beckendarmhöhle 56
  • Bildung des Mitteldarmes 57
  • Zehnte Vorlesung.
  • Umwandlung der Urwirbel 59
  • Bleibende Wirbelkörper 62
  • Entwicklung der Bauchwand 64
  • Eilfte Vorlesung.
  • Bildung der Hautplatten des Rückens 67
  • Bildung der Extremitäten 69
  • Bildungsgesetz des Wirbelthieres 70
  • Zwölfte Vorlesung.
  • Erste Entwicklung des Säugethiereies 75
  • Dreizehnte Vorlesung.
  • Erste Bildung der Gefässe 86
  • Vierzehnte Vorlesung.
  • Bildung des Darmes und Dottersackes 93
  • Amnion 100
  • Fünfzehnte Vorlesung.
  • Entwicklung des Amnios 102
  • Allantois 106
  • Sechzehnte Vorlesung.
  • Urnieren 110
  • Gestaltung des Säugethierembryo nach Auftreten der Allantois. 115
  • Siebenzehnte Vorlesung.
  • Jüngste menschliche Embryonen 122
  • Menschliche Embryonen der 4. —6. Woche 129
  • Achtzehnte Vorlesung.
  • Eihüllen des Menschen 137
  • Neunzehnte Vorlesung.
  • Eihüllen des Menschen (Schluss) 150
  • Zwanzigste Vorlesung.
  • Eihüllen der Säugethiere 160
  • Einundzwanzigste Vorlesung.
  • Entwicklung der menschlichen Eihüllen 172
  • Zweiundzwanzigste Vorlesung.
  • Zweiter Hauptabschnitt.
  • Von der Entwicklung der Organe und Systeme.
  • Seite.
  • I Entwicklung des Knochensystems.184
  • Dreiundzwanzigste Vorlesung.
  • Entwicklung des Knochensystems (Fortsetzung) 189
  • Vierundzwanzigste Vorlesung.
  • Entwicklung des Knochensystems (Schluss) 208
  • Fünfundzwanzigste Vorlesung.
  • II. Entwicklung des Nervensystems226
  • Sechsundzwanzigste Vorlesung.
  • Entwicklung des Nervensystems (Fortsetzung) 240
  • Siebenundzwanzigste Vorlesung.
  • Entwicklung des Nervensystems (Schluss) 254
  • Achtundzwanzigste Vorlesung.
  • III. Entwicklung der Sinnesorgane.
  • A. Auge 273
  • Neunundzwanzigste Vorlesung.
  • Auge (Schluss) 286
  • Dreissigste Vorlesung.
  • B. Entwicklung des Gehörorganes 300
  • Einunddreissigste Vorlesung.
  • B Entwicklung des Gehörorganes (Schluss) 312
  • Zweiunddreissigste Vorlesung.
  • C. Entwicklung des Geruchsorganes 325
  • Dreiunddreissigste Vorlesung.
  • D. Entwicklung der äusseren Haut 337
  • IV. Entwicklung des Muskelsystems.347
  • Vierunddreissigste Vorlesung.
  • V. Entwicklung des Darmsystems.
  • A. Entwicklung des Darmkanales 354
  • Fünfunddreissigte Vorlesung.
  • B. Entwicklung der grösseren Darmdrüsen 371
  • Sechsunddreissigste Vorlesung.
  • Seite.
  • VI. Entwicklung des Gefässsystems394
  • Siebenunddreissigste Vorlesung.
  • Entwicklung des Gefässsystems (Schluss) 414
  • Achtunddreissigste Vorlesung.
  • VII. Entwicklung der Harn- und Geschlechtsorgane429
  • Neununddreissigste Vorlesung.
  • Entwicklung der Harn- und Geschlechtsorgane (Schluss) 445
[[1]]

Erste Vorlesung.


Meine Herren! Die Entwicklungsgeschichte des Menschen und
der höheren Geschöpfe, mit der wir uns in diesen Vorträgen beschäf-
tigen werden, ist von jeher ein Lieblingsthema der Aerzte und Ana-
tomen gewesen. War es im Anfange wohl vor Allem der eigen-
thümliche Zauber, den das Forschen nach dem ersten Werden und
Entstehen des so zusammengesetzten thierischen Organismus auf
das Gemüth ausübt, der zu diesem Studium drängte, so gesellten
sich zu dieser Triebfeder bald noch manche andere und mehr prac-
tische. Der Geburtshelfer, der Chirurg, ja selbst der mit den inne-
ren Krankheiten beschäftigte Arzt fand häufige Veranlassung nach
dieser Seite die Blicke zu wenden und so kam der Anatom und Phy-
siolog von selbst dazu, auch diesem Theile der Wissenschaft eine
grössere Rücksicht angedeihen zu lassen. Bei einer so wichtigen
und tief eingreifenden Disciplin konnte es dann auch nicht anders ge-
schehen, als dass dieselbe nach und nach immer mehr in den Vor-
dergrund trat, bis sie endlich, nachdem die vergleichende Anato-
mie und die Histologie die Erforschung des allmäligen Werdens der
Formelemente und Organe als die eigentliche Grundlage einer jeden
wissenschaftlichen Untersuchung bezeichnet hatten, ihren Rang an
der Spitze der anatomischen Lehren einnahm.


Betrachten wir den Entwicklungsgang der Embryologie etwas
genauer und im Einzelnen, so finden wir, dass dieselbe, obschon im
Allgemeinen in ihrer Geschichte der Anatomie und Medicin gleich-
laufend, doch nicht ganz die Geschicke dieser Wissenschaften theilt
und sich langsamer als sie entwickelt hat. Während die Anatomie
im 16. Jahrhundert ihr Wiederaufblühen feierte, beginnen die bes-
Kölliker, Entwicklungsgeschichte. 1
[2]Erste Vorlesung.
seren embryologischen Untersuchungen erst ein Jahrhundert später
und fällt die erste wissenschaftliche Bearbeitung dieses Gebietes in
eine noch viel jüngere Zeit. Will man in der Geschichte der Embryo-
logie Perioden unterscheiden, so kann man nur zwei annehmen, eine
erste von den Anfängen bis auf die erste wissenschaftliche Bearbei-
tung durch Caspar Friedrich Wolff in der zweiten Hälfte des
18. Jahrhunderts und eine zweite von Wolff bis auf unsere
Zeiten.


Erste Periode.
Aristoteles.
Die erste Periode anlangend, so ist von den Leistungen des Al-
terthumes nicht viel auf uns gekommen, immerhin wissen wir soviel,
dass schon bei den Griechen eine gewisse Summe von embryologi-
schen Kenntnissen sich fand, die bei Aristoteles ihren Höhepunct
erreichten. In seiner Schrift πεϱὶ ζῳῶν γενέσεος, vor Allem aber
auch an andern Stellen hat dieser grösste Forscher des Alterthumes
eine Menge feiner Beobachtungen über die Zeugung und Entwick-
lung der Thiere mitgetheilt, unter denen manche, nachdem sie ganz
allgemein dem Unglauben und der Vergessenheit anheimgefallen
oder nicht verstanden worden waren, erst in unseren Tagen wieder
ans Licht gezogen und als richtig erkannt worden sind, wie die über
den glatten Hai mit einer Placenta, den Dottersack der Tintenfische,
die Erzeugung der Bienen, die Begattungsarme der Cephalopoden
u. a. mehr. Und wenn auch Aristoteles in seiner Erkenntniss des
bebrüteten Hühnchens nicht gerade weit gekommen zu sein scheint,
indem er das Herz (στίγμη κινουμένη, punctum saliens der Ueber-
setzer) als den zuerst gebildeten Theil ansah, so unterliegt es doch
keinem Zweifel, dass er der Erste war, der mit Bewusstsein embryo-
logische Untersuchungen vornahm, und in diesem Gebiete das Beste
im Alterthume leistete.


16. und 17.
Jahrhundert.
Alle andern untergeordneteren Arbeiten übergehend wenden
wir uns gleich zum Mittelalter, in dem mit dem Wiederaufwachen
der Anatomie auch die Embryologie neu entstand. Immerhin schritt
die Anatomie derselben bedeutend voran und habe ich Ihnen, ohne
von den grossen Anatomen Vesal, Eustachi und Fallopia in dieser
Beziehung etwas melden zu können, Fabricius ab Aquapendente,
Professor in Pavia und Schüler von Fallopia, als den Ersten zu be-
zeichnen, der in seinen Schriften de formato foetu 1600 und de for-
matione foetus
1604 die ersten unvollkommenen Beschreibungen und
Abbildungen zur Entwicklungsgeschichte des Hühnchens, der Säuge-
thiere und des Menschen gab. Aus dem 17. Jahrhundert sind zu er-
[3]Historische Einleitung.
wähnen: A. Spigeliusde formato foetu 1631, den Menschen betreffend
und durch Naivität der Abbildungen sich auszeichnend; C. Needham,
de formato foetu 1667 mit Darstellungen von Säugethierembryonen;
Harvey,Exercitationes de generatione animalium 1652 mit Untersu-
chungen über das Hühnchen und die Säugethiere, die jedoch mit
Bezug auf letztere zu keinen erheblichen Resultaten führten, wäh-
rend Regner de Graaf († 1673) durch seine Abhandlung de mulierum
organis
(Opera omnia 1677 Cap. XVI.), durch den Nachweis der nach
ihm benannten Follikel im Eierstocke und des Säugethiereies im Ei-
leiter, sowie durch seinen Ausspruch Omne vivum ex ovo von einem
durchgreifenden Einflusse auf den Gang der weiteren Forschungen
war, obschon es ihm nicht gelang, das Säugethierei im Eierstock
wirklich zu demonstriren, dessen Entdeckung er jedoch sehr nahe
war. Swammerdam ferner († 1685) gibt in seiner Bibel der Natur
die Entwicklung des Froscheies und die erste Abbildung eines Fur-
chungsstadiums des Dotters (Tab. XLVIII), Leeuwenhoek wird von
Einfluss durch seine Beschreibung der Samenthierchen, Vallisneri
und Verheyen (Anat. corp. hum.) verfolgen die Eierstöcke im Sinne von
Graaf weiter. Alle aber übertrifft Marcellus Malpighi, der in seinen
zwei Abhandlungen de formatione pulli und de ovo incubato (Opera
omnia
Lugd.-Bat. 1687 Tom. II) die erste zusammenhängende Ge-
schichte des Hühnchens mit vielen feinen Beobachtungen und ver-
hältnissmässig schon sehr guten Abbildungen gibt.


Das 18. Jahrhundert brachte in seiner ersten Hälfte nicht viel18. Jahrhundert.
Erhebliches in unserer Wissenschaft, indem die wenig erquicklichen
Discussionen über die Betheiligung der Eier und der Samenfäden
an der ersten Anlage des Embryo (Ovisten und Animalculisten) und
über die Frage, ob der Embryo im Ei vorgebildet sei oder nicht
(Theorie der Evolution und Epigenese) die Forscher mehr beschäftigten
als die Verfolgung der Thatsachen, und kann ich Ihnen aus dieser
Zeit kaum etwas weiteres namhaft machen als AlbinusIcones ossium
foetus
1737 und A. v. Haller’s Arbeiten, die besonders in seiner gros-
sen Physiologie und in Deux mémoires sur la formation du coeur Lau-
sanne 1758 niedergelegt sind. Da tauchte in der zweiten Hälfte die-
ses Jahrhunderts ein Mann auf, dem die Entwicklungsgeschichte nicht
blos eine Reihe der genauesten Einzelbeobachtungen, sondern auch
ihre erste wissenschaftliche Begründung verdankt, so dass wir
vollkommen berechtigt sind, von ihm an eine neue Periode zu
datiren.


1*
[4]Erste Vorlesung.

Zweite Periode.
C. F. Wolff.
Caspar Friedrich Wolff, ein Deutscher, der später als Aka-
demiker in Petersburg lebte, hat schon durch seine Dissertation:
Theoria generationis Halae 1759 (zum zweiten Male deutsch her-
ausgegeben Berlin 1764) die Augen seiner Zeitgenossen auf sich
gezogen, und dann später durch eine zweite Abhandlung de forma-
tione intestinorum
in Novi Comment. Acad. Sc. J. Petrop. XII. 1768
und XIII. 1769, deutsch von Meckel, Halle 1812, seinen Ruf für
immer begründet. Versuchen wir, das besonders Hervorragende in
den Leistungen Wolff’s genauer zu bezeichnen, so möchte Folgen-
des vor Allem zu betonen sein. Wolff ist einmal Vorkämpfer der
Theorie der Epigenese und ihm vor Allem hat man es zu danken,
dass die von so gewaltigen Gegnern wie Haller und Bonnet ver-
theidigte Evolutionslehre endlich unterlag. Von welchem Einflusse
diess auf die Entwicklungsgeschichte sein musste, werden Sie leicht
einsehen, wenn Sie bedenken wollen, dass nur bei der Annahme
einer allmäligen Entstehung des Embryo aus einer einfachen Anlage
das Streben nach einer genauen Verfolgung des ersten Werdens des-
selben sich kund geben kann, während die Theorie der Evolution
oder der Entwicklung durch einfache Enthüllung schon gebildeter
Theile jeder weiteren embryologischen Untersuchung von Hause aus
den Weg versperrt. Es hat nun aber Wolff nicht blos theoretisch
der Entwicklungsgeschichte die Bahn bezeichnet, auf der sie vorzu-
schreiten hat, sondern dieselbe forschend auch selbst betreten und
in seinen Untersuchungen über die Entwicklung des Hühnchens
alles bisher Geleistete weit übertroffen. Neben vielen wichtigen
Entdeckungen mit Bezug auf die erste Anlage der Organe, wie z. B.
derjenigen der nach ihm genannten Urnieren, nenne ich Ihnen vor
Allem seine Studien über die Bildung des Darmkanals, von dem er
nachweist, wie er aus der Form eines flach ausgebreiteten Blattes
zu einer Halbrinne wird, dann vorn und hinten sich schliesst und
endlich zu einem vollständigen, vom Dottersacke abgeschnürten Ka-
nale sich gestaltet, an dem dann noch in letzter Linie die äussern
Ausmündungen sich bilden. Durch diese Untersuchung
Wolff’s wurde zum ersten Male ein Organ von seinem
ersten Anfange an bis zu seiner Vollendung verfolgt,

und, was noch wichtiger ist, die Bildung eines so zusam-
mengesetzten Apparates,
wie der Darm, auf eine ein-
fache blattartige primitive Anlage zurückgeführt.


Fast noch einflussreicher als durch diese Untersuchungen wurde
[5]Historische Einleitung.
aber Wolff durch seine theoretischen Betrachtungen, durch den
allgemeinen Standpunct, den er einnahm. Wolff ist der Entdecker
der Metamorphose der Pflanzen und nicht Göthe, was dieser selbst
anerkennt, und hat er als junger Mann von 26 Jahren in seiner Dis-
sertation diese Lehre in ihrem ganzen Umfange vorgetragen. Die
Zurückführung aller wesentlichen Pflanzentheile mit Ausnahme des
Stengels auf das Blatt musste ihn natürlich auf den Gedanken brin-
gen, auch die Generationstheorie der Thiere in ähnlicher Weise zu
entwickeln. Er findet jedoch bald, dass, bei der grossen Verschie-
denheit der Organe, Ein Primitivorgan analog dem Blatte hier nicht
ausreicht und unmöglich vorhanden sein kann. Bei weiterer Ver-
folgung dieser Angelegenheit nun fällt ihm die Aehnlichkeit der er-
sten Anlage des Darmes mit derjenigen des Nervensystemes, des
Gefässsystemes, der Fleischmasse und des gesammten Keimes über-
haupt auf (Ueber die Bildung des Darmkanals St. 141), und so
kommt er schliesslich (1. c. St. 157) zu folgendem merkwürdigen
Ausspruche, in dem die ganze neuere Lehre von dem Aufbaue des
Leibes aus mehrfachen blattartigen Primitivorganen im Keime an-
gedeutet ist: »Diese nicht etwa eingebildete, sondern auf den sicher-
sten Beobachtungen begründete und höchst wunderbare Analogie
von Theilen, die in ihrer Natur so sehr von einander abweichen,
verdient die Aufmerksamkeit der Physiologen im höchsten Grade,
indem man leicht zugeben wird, dass sie einen tiefen Sinn hat und
in der engsten Beziehung mit der Erzeugung und der Natur der
Thiere steht. Es scheint, als würden zu verschiedenen Zeiten und
mehrere Male hinter einander nach einem und demselben Typus ver-
schiedene Systeme, aus welchen dann ein ganzes Thier wird, gebil-
det, und als wären diese darum einander ähnlich, wenn sie gleich
ihrem Wesen nach verschieden sind. Das System, welches zuerst
erzeugt wird, zuerst eine bestimmte eigenthümliche Gestalt annimmt,
ist das Nervensystem. Ist dieses vollendet, so bildet sich die Fleisch-
masse, welche eigentlich den Embryo ausmacht, nach demselben
Typus .... Darauf erscheint ein drittes, das Gefässsystem, das
gewiss .... den ersteren nicht so unähnlich ist, dass nicht die, als
allen Systemen als gemeinsam zukommend beschriebene Form, in
ihm leicht erkannt würde. Auf dieses folgt das vierte, der Darmka-
nal, der wieder nach demselben Typus gebildet wird, und als ein
vollendetes, in sich geschlossenes Ganze den drei ersten ähnlich er-
scheint.«


[6]Erste Vorlesung.

Endlich erlaube ich mir auch noch, Ihnen anzuführen, dass,
worauf Huxley zuerst die Aufmerksamkeit gelenkt hat, Wolff auch
als der Vorläufer von Schleiden und Schwann bezeichnet werden
darf, indem er die Zusammensetzung der Pflanzen und Thiere aus
Bläschen nachwies, doch war diese Lehre bei ihm noch von keinem
sehr erheblichen Einflusse auf seine embryologischen Studien ausser
insofern, als er das Wachsthum der Organe theilweise von diesen
Elementen abhängig machte.


[[7]]

Zweite Vorlesung.


Meine Herren! Wolff’s geniale Lehren, die wir in der vorigenWolff’s
Nachfolger.

Stunde besprochen haben, waren lange Zeit nicht von dem Einflusse,
den sie hätten haben können, denn es blieb seine wichtigste Ab-
handlung über die Bildung des Darmkanals so sehr unbekannt, dass
selbst Oken und Kieser, als sie in den Jahren 1806 und 1810 ihre
Arbeiten über die Entwicklung des Darmkanals veröffentlichten,
von derselben nichts wussten. Inzwischen machte die Embryolo-
gie, wenn auch nicht mit Bezug auf die frühesten Stadien und die
Theorie, doch im Einzelnen viele bemerkenswerthe Fortschritte.
Unter den zahlreichen Arbeiten des letzten Drittheiles des 18. Jahr-
hunderts und der zwei ersten Decennien des unserigen sind folgende
besonders bemerkenswerth:


Hunter, Anatomia uteri humani gravidi Lond. 1775, mit vortrefflichen
Darstellungen der Eihäute und des schwangeren Uterus; Auten-
rieth
Supplem. ad histor. embr. humani Tubing. 1797; Sömmering
Icones embryon. human. Francof. 1799; Oken über die Bildung des
Darmkanals aus der Vesicula umbilicalis in Oken und Kieser Bei-
träge z. vergl. Zool., Zoot. und Phys. Bamberg 1806, eine auch in
allgemeiner Beziehung bemerkenswerthe Abhandlung; Derselbe,
über die Bedeutung der Schädelknochen, Jena 1807, eine epoche-
machende Arbeit für die vergleichende Anatomie und, weil auf
embryologische Thatsachen gegründet, auch der Ausgangspunct
genauerer Untersuchungen über die Entwicklung der Wirbelsäule
und des Schädels: Kieser, der Ursprung des Darmkanals aus der
Vesic. umbilicalis darg. im menschl. Embryo, Göttingen 1810;
Meckel’s zalreiche kleinere Abhandlungen zur Entwicklungsge-
schichte in s. Beitr. zur vergl. Anat. 1808 — 1812, seinen Abh. aus
der menschl. u. vergl. Anat. 1806 und in seinem Archiv; Tiede-
mann
Bildungsgeschichte des Gehirns, Landshut 1816, eine vor-
treffliche Detailuntersuchung.


[8]Zweite Vorlesung.

Ausserdem war auch der in diese Periode fallende grosse Fort-
schritt in der Lehre von den Missbildungen, wie er besonders
durch Meckel’s pathologische Anatomie verwirklicht wurde, von
grosser Bedeutung für die Erkenntniss der normalen Entwicklungs-
verhältnisse.


Chr. Pander.Nachdem im Jahre 1812 Wolff’s Arbeit über den Darmkanal
durch Meckel’s Uebertragung allgemein bekannt geworden war,
konnte es nicht fehlen, dass dieselbe nach allen Seiten mächtig an-
regte. Nichts beweist besser die Grossartigkeit der Untersuchungen
dieses Autors und die Wahrheit seiner allgemeinen Auffassungen,
als der Umstand, dass nur fünf Jahre später im Jahre 1817 unsere
Wissenschaft durch Pander einen solchen Fortschritt machte, dass
man unbedingt die ganze neuere Entwicklungsgeschichte von ihm
an datiren würde, wenn nicht aus den eigenen Worten dieses Au-
tors (In seiner Dissertation sagt Pander auf p. 17: »Omnem tamen
laudem superant egregiae Wolffii observationes
«) hinreichend klar
wäre, dass auch er von Wolff ausging. Und da nun gerade die
Theorie der Zusammensetzung des Keimes aus blattförmigen Schich-
ten, durch die Pander berühmt geworden ist, wie wir oben sahen,
bei Wolff schon bestimmt angedeutet sich findet, so glauben wir
nicht Unrecht zu thun, wenn wir diese neue Aera der Entwicklungs-
geschichte von Wolff datiren und Pander als den Ersten bezeichnen,
der die Ideen dieses grossen Mannes an der Hand der Beobachtung
als wahr erwies, den selbst v. Baer: »vir sempiternae gloriae, cui
ingenio paucos, perseverantiae vero in investigandis rebus subtilissimis
nullum parem vidit orbis terrarum
« nennt (de Ovi mammal. genesi,
praefatio)
. Um übrigens nach allen Seiten gerecht zu sein, wollen
wir noch erwähnen, dass Pander seinem grossen Lehrer Döllinger und
auch d’Alton dem Aelteren die Anregung zu seinen Untersuchungen
und mannigfache Unterstützung verdankt, und dass neben den Leh-
ren Wolff’s sicherlich auch die durch diese Männer vertretene na-
turphilosophische Richtung von einem bedeutenden Einflusse auf
seine Forschungen war.


Pander’s hier in Würzburg und zwar in einem grossartigen
Maasstabe angestellte Untersuchungen, die in seiner Dissertation
(Hist. metamorphoseos, quam Ovum incubatum prior. quinque diebus
subit
. Wirceburgi 1817) und in einer besonderen Arbeit (Beitr. z. Ent-
wickl. des Hühnchens im Ei, Würzburg 1817), deren vortreffliche
Kupfertafeln d’Alton angefertigt hat, niedergelegt sind, geben nicht
[9]Historische Einleitung.
nur eine genauere Geschichte der allerersten Entwicklung des Hühn-
chens, als man sie bisher besass, sondern waren vor Allem dadurch
von grösster Tragweite, dass durch dieselben zum ersten Male die
ursprünglichen, von Wolff geahnten Primitivorgane, die der Ent-
wicklung der Organe und Systeme zu Grunde liegen, durch die Be-
obachtung nachgewiesen wurden. Pander unterscheidet an der
Keimhaut des Hühnereies schon in der zwölften Stunde der Bebrü-
tung zwei Schichten, eine äussere, das seröse Blatt, und eine
innere, das Schleimblatt, zwischen welchen dann später noch
eine dritte Lage, das Gefässblatt, sich entwickelt. Obschon nun
Pander diese Blätter als den Ausgangspunct aller spätern Organe
betrachtet, so hat er sich doch über ihre Umwandlungen und ihre
Bedeutung im Ganzen genommen nur sehr kurz ausgesprochen
und wären wegen des Aphoristischen seiner Darstellung seine An-
gaben wohl nicht so bald zu einer grösseren Bedeutung gelangt,
wenn dieselben nicht in v. Baer einen Förderer und theilweise auch
einen Vertreter gefunden hätten, der es verstand, der Blättertheorie
in den weitesten Kreisen Eingang zu verschaffen.


Carl Ernst von Baer, ein Jugendfreund Pander’s, hatte mitC. E. v. Baer.
diesem in Würzburg den Vorträgen Döllinger’s beigewohnt und
war noch theilweise Zeuge der eben geschilderten Untersuchungen
über das bebrütete Hühnchen gewesen. Nachdem er später in Kö-
nigsberg Pander’s Arbeiten erhalten, begann er im Jahre 1819
seine eigenen Forschungen über das Hühnerei, die er bis zum Jahre
1823 fortsetzte, dann in den Jahren 1826 und 27 vollendete, und
deren Resultate er theils im Auszuge in Burdach’s Physiologie,
theils in einer besonderen Schrift: Ueber Entwicklungsgeschichte
der Thiere. Beobachtung und Reflexion. Erster Theil. Königsberg
1828, mittheilte. Weitere Untersuchungen über das Hühnchen und
die übrigen Wirbelthiere gedachte v. Baer in einem zweiten Bande zu
veröffentlichen, dessen Druck schon im Jahre 1829 begann und dann
nach langer Unterbrechung im Jahre 1834 bis zum 38. Bogen geför-
dert wurde, doch kam er nicht dazu, dieselben zu vollenden, so
dass man es vor Allem dem Verleger zu verdanken hat, dass das,
was von dieser Arbeit fertig war, im Jahre 1837 als 2. Theil der
Entwicklungsgeschichte wirklich ausgegeben wurde.


Durch diese beiden Werke ist v. Baer in der glänzendsten Weise in
die Fussstapfen Wolff’s und Pander’s getreten, und dürfen dieselben
sowohl wegen des Reichthums und der Vortrefflichkeit der Thatsachen,
[10]Zweite Vorlesung.
als auch der Gediegenheit und Grösse der allgemeinen Betrachtungen
halber unbedingt als das Beste bezeichnet werden, was die em-
bryologische Literatur aller Zeiten und Völker aufzuweisen hat.


Die Leistungen v. Baer’s im Einzelnen so namhaft zu machen,
wie sie es verdienen, ist hier ganz unmöglich und beschränke ich
mich auf folgendes. Das Thatsächliche anlangend, so geben seine
Arbeiten einmal die erste vollständige und bis ins Einzelne durch-
geführte Untersuchung über die Entwicklung des Hühnchens und
stellen zweitens auch diejenige der übrigen Wirbelthiere in einer
Weise dar, wie sie noch nicht dagewesen war, so dass er als der
eigentliche Schöpfer der vergleichenden Embryologie zu betrachten
ist. Wollte man v. Baer’s Entdeckungen besonders hervorheben,
so müsste man System für System, Organ für Organ aufzählen, in-
dem sein Scharfblick und seine Ausdauer überall Neues zu Tage
förderte, und begnüge ich mich daher nur zwei seiner wichtig-
sten Funde, die des wahren Ovulum der Säugethiere (S. de Ovi
mammalium et hominis genesi
. Lipsiae 1827) und der Chorda dorsalis
zu erwähnen. Ebenso gross als in der Beobachtung war v. Baer
auch in seinen Reflexionen, und gebe ich Ihnen hier eine kurze
Skizze seiner theoretischen Auffassungen. Anschliessend an Pander
lässt auch v. Baer in dem ursprünglich einfachen Keime durch Son-
derung Blätter entstehen, doch weicht er im Einzelnen erheblich von
Pander ab. Zwar spricht er anfänglich auch von einem serösen
Blatte, einem Schleimblatte und einem Gefässblatte, verfolgt
man jedoch seine Darstellung genau, so findet man, dass er nicht
dasselbe meint wie Pander. Nach v. Baer nämlich ist der Keim in
der ersten Zeit wohl an seinen Oberflächen von verschiedener Be-
schaffenheit, aussen glatt, innen mehr körnig, aber nicht in Schich-
ten spaltbar und namentlich in seinem Innern nicht differenzirt.
Später erst macht sich eine Trennung in zwei Lagen, eine animale
und vegetative, bemerklich, von denen jede wieder aus zwei
Schichten besteht, die erste aus der Hautschicht und der
Fleischschicht, die letztere aus der Gefässschicht und der
Schleimschicht. Aus diesen Schichten entwickeln sich dann in
zweiter Linie, was v. BaerFundamentalorgane nennt (Bd. I.
Scholion III. p. 153 und Scholion IV. p. 160. Bd. II. p. 67 u. fgde.),
welche nach ihm die Form von Röhren haben. So bildet die Haut-
schicht die Hautröhre und die Röhre des centralen Nervensystems,
von welch letzterer v. Baer zwar die allererste Entwicklung nicht
[11]Historische Einleitung.
verfolgt hat, aber doch aus guten Gründen in sehr bemerkenswerther
Weise ihr Hervorgehen aus dem mittleren Theile der Hautschicht
annimmt (I. pag. 154, 165, 166; II. pag. 68 Anmerk.); aus der
Fleischschicht lässt er die Doppelröhre des Knochen- und Muskel-
systems mit der unpaaren knöchernen Axe hervorgehen, die Ge-
fässschicht und Schleimschicht endlich formen einmal in Verbin-
dung mit einander die Röhre des Darmkanals und ausserdem die
erstere allein die freilich verwachsende Röhre des Gekröses. Aus
diesen wenigen Fundamentalorganen entwickeln sich dann zugleich
mit histologischen Sonderungen und morphologischen Differenzirun-
gen in der äusseren Gestaltung alle späteren Organe des Körpers,
in welcher Beziehung besonders hervorgehoben zu werden verdient,
dass v. Baer die Sinnesorgane zur Nervenröhre, dann die Speichel-
drüsen, Leber, Pancreas und Lungen zur Darmröhre, endlich das
Herz, das dem Gekröse analog gesetzt wird, die Nebennieren, Schild-
drüse, Thymus, Milz, Wolff’schen Körper, die ächten Nieren und die
Geschlechtsdrüsen, wenigstens bei den Vögeln, zum Gefässblatte
zählt. Nimmt man nun noch dazu, dass v. Baer diese einfache Dar-
stellung des Entwicklungsplanes der höheren Thiere durch vortreff-
liche Auseinandersetzungen des Gesetzmässigen im Bau des fertigen
Wirbelthieres, sowie durch klare schematische Zeichnungen stützte,
so wird man leicht begreifen, dass dieselbe sehr bald den Beifall
und die Anerkennung aller Forscher sich erwarb.


In der That hatte auch v. Baer so zu sagen Alles geleistet, was
mit den ihm gebotenen Hülfsmitteln, und nach dem damaligen Stande
der Wissenschaft geleistet werden konnte. Das, was seinen Arbei-
ten fehlte, war die Zurückführung der Keimblätter und Fundamen-
talorgane auf die histologischen Elemente, mit andern Worten, der
Nachweis ihres Zusammenhanges mit dem primitiven Elementaror-
gan oder der Eizelle und ihrer allmäligen Entwicklung aus demsel-
ben durch histologische Sonderung. Allein dieser Nachweis konnte
begreiflicherweise erst dann gegeben werden, als im Jahre 1838
durch Schwann die Zusammensetzung des thierischen Körpers aus
einfachen zelligen Elementen aufgedeckt worden war, und haben
wir nun in der That den letzten Aufschwung in unserer Wissen-
schaft von dieser Zeit an zu rechnen. Bevor wir jedoch auf diese
neueste Epoche eingehen können, haben wir noch der anderen Lei-
stungen kurz zu gedenken, die in die Zeit zwischen Pander und
Schwann fallen.


[[12]]

Dritte Vorlesung.


v. Baer’s
Zeitgenossen.
Meine Herren! In derselben Zeit, in der v. Baer seine Unter-
suchungen anstellte, waren gleichzeitig eine grosse Zahl anderer
Forscher im Gebiete der Entwicklungsgeschichte thätig, von deren
Leistungen hier nur in sofern die Rede sein kann, als dieselben auf
den Gang der gesammten Wissenschaft einen Einfluss ausübten,
oder den Menschen speciell betreffen. Als wichtig sind vor Allem
die Untersuchungen zu bezeichnen, die zur nähern Kenntniss des
Entdeckung des
Keimbläschens
der Vögel
Eies führten. Im Jahre 1825 wies Purkinje das Keimbläschen im
Vogeleie nach (Symbol. ad ovi avium historiam, Vratislav. 1825. Gra-
tulationsschrift an Blumenbach), und zwei Jahre später machte, wie
des Ovulum der
Säugethiere
schon angegeben, v. Baer die glänzende Entdeckung des Ovulum
der Säugethiere und des Menschen in den Graaf’schen Follikeln,
nachdem allerdings schon vorher im 17. Jahrhundert durch Regner
de Graaf
, im 18. durch Cruikshank und in unsern Tagen durch
Prévost und Dumas die Eier im Eileiter aufgefunden worden waren,
und die letzten Autoren, freilich, ohne sie zu erkennen, allem An-
scheine nach in zwei Fällen die Eier selbst im Ovarium gesehen hat-
ten. Obgleich v. Baer das Keimbläschen des Säugethiereies nur un-
bestimmt erkannte (S. den Commentar zu seiner Epistola de ovi
genesi
in Heusinger’s Zeitschrift II. St. 125) und in der Vergleichung
desselben mit dem Vogeleie nicht glücklich war, so bezeichnet sein
Fund doch den Anfang einer neuen Periode für die Entwicklungs-
geschichte der Säugethiere. Vervollständigt wurden diese Erfah-
des Keimbläs-
chens der Säuger
rungen dann noch durch den bestimmteren Nachweis des Keim-
bläschens der Säuger durch Coste (Recherches sur la générat. d.
Mammifères par Delpech et Coste
, Paris 1834) und etwas später und
selbstständig auch durch Wharton Jones (Lond. and Edinb. philos.
[13]Historische Einleitung.
magaz. III. Series, Vol. VII. 1835) und durch die Auffindung des
Keimfleckes durch R. Wagner (Müll. Arch. 1835. St. 373; Münch-des Keimfleckes.
ner Denkschr. II. pag. 531 und Prodromus historiae generationis,
Lips. 1836).


In zweiter Linie sind aus dieser Zeit als wichtig die Erfahrun-Beobachtungen
über junge Em-
bryonen von Säu-
gern und des
Menschen.

gen über die erste Entwicklung der Säugethiere, dann über junge
menschliche Embryonen und die Placenta zu bezeichnen. Durch
Prévost und Dumas (Annal. d. Sc. nat. 1824. Tom. III) und v. Baer
(de ovi genesi) erhielten wir die ersten Angaben über die frühesten
Anlagen des Säugethierembryo und über die Keimblase und den
Keim, welche dann später von Coste (l. c. und Embryogénie com-
parée
, Paris 1837) weiter geführt wurden, der auch zuerst die Keim-
blase (Vésicule blastodermique) genau unterschied. Menschliche Em-
bryonen und Eihäute wurden in dieser Zeit viele untersucht und
nenne ich Ihnen nur die grösseren Arbeiten von Pockels (Isis 1825),
Seiler (die Gebärmutter und das Ei des Menschen, Dresden 1831),
Bréchet (Études anat. sur l’oeuf humain, Paris 1832), Velpaux (Em-
bryologie ou Ovologie humaine
, Paris 1833), Bischoff (Beitr. zur Lehre
von den Eihüllen des menschl. Fötus, Bonn 1834), an die sich dann
noch viele kleinere von E. H. Weber, J. Müller, R. Wagner, v. Baer,
Wharton Jones, Allen Thomson, Eschricht
und Anderen anschlossen.


Die vergleichende Entwicklungsgeschichte wurde in der Zeit
zwischen Pander und Schwann ausser durch v. Baer auch von
vielen andern Forschern sehr eifrig betrieben, doch verstand es
keiner, die allgemeine Bedeutung derselben so sehr ans Licht zu
setzen, wie er. Unter den Leistungen derselben sind folgende als die
wichtigsten zu bezeichnen. Erstens die Entdeckung der FurchungEntdeckung
der Furchung.

beim Froschei durch Prévost und Dumas (Ann. d. Scienc. nat. Tom. II.)
und beim Fischei durch Rusconi (Müll. Arch. 1836) und die weitere
Verfolgung dieses wichtigen Vorganges durch diese Männer und
v. Baer (Müll. Arch. 1834), zweitens die Arbeiten über die Ent-Entw. des
Skeletts.

wicklung des Skeletts durch Dugès (Ostéol. et Myol. des Batra-
ciens
1834), Rathke (Isis 1825 und 1827; Ueber den Kiemenap-
parat und das Zungenbein, Riga 1832; Ueber die Entw. d. Schädels
der Wirbelthiere, Vierter Bericht des naturw. Sem. v. Königsberg
1839) und Reichert (Vergl. Entwickl. d. Kopfes der nackten Am-
phibien, Königsberg 1838), drittens endlich die Forschungen über
die Bildung der Geschlechtsorgane und der Drüsen durchGeschlechtsor-
gane, Drüsen.

Rathke (Beitr. z. Gesch. d. Thierwelt, 3. Abth. Halle 1825, Meck.
[14]Dritte Vorlesung.
Arch. 1832, und dessen Abhandl. z. Bildungs- und Entwicklungs-
gesch. I., Leipzig 1832) und J. Müller (Meck. Arch. 1829, Bildungs-
geschichte der Genitalien, Düsseldorf 1830, de glandul. secernent.
structur. penitiori
, Lipsiae 1830).


Handbücher.Endlich sind nun noch die allgemeinen Bearbeitungen der Ent-
wicklungsgeschichte zu nennen, die zum ersten Male in dieser Zeit
auftreten. Es sind: das Handbuch der Entwicklungsgeschichte des
Menschen von Valentin, Berlin 1835, ein mit grossem Fleisse und
an der Hand vielfacher eigener Erfahrungen gearbeitetes Werk und
dann die Darstellungen der Entwicklungsgeschichte in den Hand-
büchern von E. H. Weber (Hildebrandt’s Anatomie), R. Wagner (Phy-
siologie 1. Auflage) und Burdach (Physiologie 2. Aufl. 1837. Bd. II).


So mannigfache Bereicherungen nun auch alle diese Arbeiten
und manche andere noch, die hier nicht aufgeführt werden können,
enthalten, so ist doch unter allen denselben keine zu finden, die in
allgemeiner Beziehung auch nur von ferne mit dem v. Baer’schen
Werke verglichen werden könnte und die im Stande gewesen wäre,
die Wissenschaft im Ganzen wesentlich weiter zu führen, als es
durch Pander und v. Baer geschehen war. Nichts zeugt vielleicht
mehr für die Grossartigkeit der Leistungen dieser Männer, als dass
Schwann’s Ein-
fluss auf die
Embryologie.
es des totalen Umschwunges bedurfte, der durch Schwann in allen
anatomischen Wissenschaften eintrat, um auch die Entwicklungs-
geschichte in eine neue Phase zu bringen. Nachdem aber einmal
die elementäre Zusammensetzung der Thiere und zwar vor allem
durch die Untersuchung der embryonalen Gewebe durch den ge-
nannten Forscher fest begründet war, stellte sich bald für alle den-
kenden Beobachter als die fernere Aufgabe der Entwicklungsge-
schichte die heraus, einmal die PanderBaer’schen Blätter des Kei-
mes auf ihre histologische Zusammensetzung zu ergründen und ihre
Entwicklung aus der ursprünglichen Eizelle zu verfolgen, und zwei-
tens auch ihre Betheiligung an der Bildung der Organe auf die Lei-
stungen ihrer morphologischen Elemente zurückzuführen, und sehen
wir auch, dass vom Jahre 1839 an die meisten Forscher mehr oder
minder entschieden auf dieser allerdings schwierigen Bahn vorzu-
dringen sich bemühen. Wollen wir übrigens ein klares Bild von den
sehr zalreichen Arbeiten dieser letzten Epoche gewinnen, so müs-
sen wir dieselben nothwendig nach ihrer verschiedenen Richtung
auseinanderhalten und die Arbeiten, die einfach als Bereicherungen
[15]Historische Einleitung.
des Thatsächlichen erscheinen, von denen sondern, denen eine all-
gemeine Bedeutung zukommt.


In letzterer Beziehung waren es vor Allem zwei Fragen, die dieGenauere
Erforschung der
Furchung.

Forscher beschäftigten, und zwar einmal die erste Bildung der Form-
elemente der Embryonen und ihre Beziehungen zu denen der er-
wachsenen Organismen, und zweitens die Keimblätter und ihre Um-
gestaltungen. In ersterer Beziehung wurde zunächst die Erforschung
der Furchung die Hauptaufgabe. Abgesehen von einer grossen
Zahl von Beobachtungen, die die grosse Verbreitung dieses Vorganges
darthaten, gelang es auch bald, das Wesentliche dieser Erscheinung
zu erfassen. Siebold war der Erste, der in den Furchungskugeln
der Rundwürmer ein helles Bläschen entdeckte, (Burdach’s Phys.
2. Aufl. 2. Bd.) von dem dann sein Schüler Bagge (de evolutione Strongyli
auricularis et Ascaridis acuminatae
, Erlangae 1841) nachwies, dass
es immer vor der Theilung der Furchungskugeln in zwei zerfällt,
Beobachtungen, die von mir bestätigt und dahin erweitert wurden,
dass diese Bläschen, die ich aus hier nicht zu erörternden Gründen erst
Embryonalzellen nannte (Müll. Arch. 1843) und später für gewöhn-
liche Kerne erklärte (Entw. d. Cephalop., Zürich 1844), noch ein Kör-
perchen enthalten, welches übrigens vor mir schon von Rathke ge-
sehen worden war (Fror. Not. 1842 N. 517), worauf ich dann so-
wohl für die totale als die partielle Furchung, die ich zuerst an den
Cephalopoden auf ihre letzten Ursachen verfolgte, eine Theorie auf-
stellte (ll. cc.), die sich im Wesentlichen als richtig bewährt hat.Erste Zellenbil-
dung und ihre
Beziehungen zur
Furchung.


Gleichzeitig mit der Erforschung des eigentlichen Wesens der
Furchung wurde auch die Frage nach ihrer Bedeutung für die Bil-
dung des Embryo und seiner Elemente in Angriff genommen. Bischoff
(Kaninchenei) und bestimmter Reichert (Entwicklungsleben im Wir-
belth. 1840) wiesen nach, dass die Furchungskugeln später zu Zel-
len sich gestalten, und zeigte namentlich der letztere Autor, dass
beim Frosch die Elemente aller Organe die Abkömmlinge der Fur-
chungszellen sind, doch vermochte diese Auffassung anfänglich nicht
durchzudringen, da Vogt im Jahre 1842 in seinen Arbeiten über die
Entwicklung des Alytes und Coregonus in vollem Gegensatze hierzu
den Satz aufstellte und im Einzelnen durchzuführen versuchte, dass
die Furchungskugeln später sich auflösen und die ersten Zellen der
Embryonen frei in dem hierdurch entstandenen Cytoblasteme sich
bilden, und war es daher für die richtige Weiterentwicklung dieser
Angelegenheit wohl nicht ohne Bedeutung, dass ich in meiner Ent-
[16]Dritte Vorlesung.
wicklungsgeschichte der Cephalopoden die Unhaltbarkeit der Vogt’-
schen Auffassungen darthat, und namentlich auch zum ersten Male
an einem Geschöpfe mit partieller Furchung den ganzen Ablauf
derselben und ihren Zusammenhang mit der späteren Zellenbildung
verfolgte. Es wurde so durch Reichert und noch bestimmter durch
mich der wichtige Satz ausgesprochen, dass in vollem Gegensatze
zu Schwann’s Annahme bei der embryonalen Entwicklung eine freie
Zellenbildung nirgends sich findet, vielmehr alle Elementartheile der
älteren Embryonen directe Abkömmlinge der ersten Furchungskugel
und somit der Eizelle sind, eine Aufstellung, die später auch durch
Remak’s zalreiche Untersuchungen bekräftigt und vervollständigt
wurde, und gleich von Anfang als Ausgangspunct für eine ganz neue
Grundanschauung der Gewebelehre sich gestaltete, so dass ich schon
in der ebenerwähnten Schrift dazu gelangte, mit grosser Wahrschein-
lichkeit die Behauptung aufzustellen (l. c. pag. 100): »dass in der
ganze Reihe der Entwicklung der thierischen Gewebe, ebenso wie
bei den Pflanzen, keine Zellenbildung ausserhalb der schon vorhan-
denen sich finde, vielmehr alle Erscheinungen als die ununterbro-
chene Folge von Veränderungen ursprünglich gleichbedeutender und
alle von Einem ersten abstammender Elementarorgane aufzufassen
seien.« Durch diese im Jahre 1844 ausgesprochene Behauptung war
ich, was den erwachsenen thierischen Organismus betrifft, den Er-
fahrungen allerdings weit vorausgeeilt, und wurde dieselbe dann
erst viel später, nachdem in mir selbst, in Betreff ihrer allgemeinen
Gültigkeit für die nachembryonalen Zustände, mehrfache Zweifel
aufgestiegen waren, und nachdem Remak dieselbe sich angeeignet
hatte, vor Allem durch Virchow’s Beobachtungen im normalen und
pathologischen Gebiete zur allgemeinen Gültigkeit erhoben.


[[17]]

Vierte Vorlesung.


Meine Herren! Die Betrachtungen der vorigen Stunde habenNeueste
Blättertheorien.

ergeben, wie die neuere Entwicklungsgeschichte in allgemeinen hi-
stologischen Fragen in Folge der vereinten Leistungen vieler For-
scher in einem weiten Gebiete ihren mächtigen Einfluss entfaltete,
und für sich selbst eine gesicherte Basis errang. Man sollte nun
denken, dass in demselben Maasse auch der Frage nach den Primitiv-
organen des Keimes eine allgemeine Berücksichtigung zu Theil ward.
Dem ist jedoch nicht so und blieb die Blättertheorie Pander’s und
v. Baer’s so sehr auf die eigenen Kreise der Embryologie beschränkt,
dass eigentlich nur zwei Autoren, nämlich Reichert und Remak an
ihrer weiteren Ausbildung einen nennenswerthen Antheil nahmen.
Reichert verfolgte die Anlage des Embryo beim Frosche und Hühn-Reichert.
chen und fand bei denselben nicht unerhebliche Verschiedenheiten
(Entwicklungsleben im Wirbelthierreich 1840 und Beiträge zur
Kenntniss des heutigen Zustandes der Entwicklungsgeschichte, Ber-
lin 1843). Beim Frosch bildet sich aus dem gefurchten Dotter zu
äusserst die sogenannte Umhüllungshaut, eine vergängliche
epithelartige Hülle. Dann entstehen der Reihe nach, indem eine
Lage Furchungskugeln nach der andern weiter sich organisirt, 1) die
blattförmige Anlage des Centralnervensystems und zu beiden Seiten
davon die Anlagen des Hautsystems, 2) die Chorda mit der blatt-
förmigen paarigen Anlage des Wirbelsystems, 3) das Blutsystem mit
dem Herz, den grossen Gefässen, der Leber, dem Pancreas und den
Urnieren, endlich 4) die Anlage des Darmsystems für alle Häute des
Darmkanals. Beim Hühnchen lässt Reichert aus dem Keime oder
der Keimhaut des bebrüteten Eies, von der er übrigens nur ein
oberes Blatt kannte, ebenfalls eine vergängliche Umhüllungshaut
Kölliker, Entwicklungsgeschichte. 2
[18]Vierte Vorlesung.
hervorgehen. Die Anlagen für den Embryo selbst bilden sich dann
der Reihe nach unter dieser, indem sie von dem sogenannten Keim-
hügel oder dem weissen Dotterkern (dem Kern des Hahnentritts von
Pander) sich ablösen und zwar 1) die Anlage des centralen Nerven-
systems, 2) das Stratum oder die Membrana intermedia für alle üb-
rigen gefässhaltigen Organe, welche zum grössten Theile früher für das
Gefässblatt erklärt wurde, und endlich 3) die Anlage des Cylinder-
epithels des Darmkanals. — Diese Darstellung ist, obschon in mehr-
facher Beziehung verfehlt, wie Remak zuerst überzeugend dargethan
hat — indem namentlich die Umhüllungshaut in ihrem den Embryo
bekleidenden Theile kein vergängliches Gebilde, sondern die Anlage des
centralen Nervensystems und der Epidermis ist und beim Hühnchen
der Keim des gelegten Eies einzig und allein die Anlage des Embryo
darstellt und keine Schichten vom Dotter zu demselben hinzukom-
men — doch im Ganzen als ein sehr wesentlicher Fortschritt zu be-
trachten. Reichert hat zuerst die primitiven blattförmigen Anlagen
des Embryo vom histologischen Gesichtspuncte aus genau untersucht
und an der Hand dieser Methode die Schichten viel bestimmter fest-
gestellt als es v. Baer bei dem damaligen Standpuncte der feineren
Anatomie möglich war. Die Lagen, die er beim Frosch und besonders
beim Hühnchen findet, sind, wenn man von den Deutungen und An-
gaben über ihre Entstehung absieht, im Wesentlichen dieselben, die
auch der neueste Autor in diesem Gebiete annimmt, und wird man
immerhin sagen dürfen, dass Reichert, wenn auch nicht in der
Deutung und Herleitung, doch wenigstens mit Bezug auf die Lagerung
und Zahl der Blätter des Keimes, der Wahrheit sehr nahe gekommen
ist. Auf Reichert’s Untersuchungen fussend, gelang es dann end-
Remak.lich Remak beim Hühnchen und z. Th. beim Frosch eine Darstellung
dieser Verhältnisse zu geben, welche, wie ich aus eigener Anschau-
ung sagen kann, als eine fast nach allen Seiten vollendete bezeich-
net werden darf, wie denn überhaupt die Arbeit dieses Autors (Un-
tersuchungen über die Entwickl. d. Wirbelthiere. 1. Heft. 1850.
2. Heft. 1854. 3. Heft. 1855.) als die gediegenste und vollkommenste
der neuesten Periode der Embryologie nach Schwann erscheint. Da
wir im Verlaufe dieser Vorträge die Anschauungen Remak’s weitläufig
auseinanderzusetzen Gelegenheit haben werden, so bemerke ich hier
der Uebersicht wegen nur so viel, dass er zuerst zwei und dann drei
Keimblätter annimmt, 1) das äussere Keimblatt für die Epidermis und
das centrale Nervensystem, 2) das mittlere Keimblatt für alle übrigen
[19]Historische Einleitung.
gefässhaltigen Theile und 3) das Darmdrüsenblatt für das Epithel
des Darmes und seiner Annexa.


Es bleibt mir nun noch übrig, Sie mit den wichtigeren Einzel-
untersuchungen und den übersichtlichen Darstellungen in unserm
Gebiete aus der Zeit nach Schwann bekannt zu machen.


Grössere Arbeiten haben geliefert:


a. Ueber den Menschen.


Coste, Histoire générale et particulière du développement des corps organisés.
4 Fascicules 1847—1859, Planches I—XII, mit schöner Darstellung der
mütterlichen Eihüllen und junger menschlicher Embryonen, sonst ein
grossartig angelegtes vergleichend-embryologisches Werk.


Erdl, Die Entwicklung des Menschen und des Hühnchens im Ei. Bd. 1. Th. 2.


Entwicklung der Leibesform des Menschen. Leipzig 1846.


b. Ueber die Säugethiere.


Barry, Researches on Embryology. First Series, Philos. Trans. for 1838. Part II.
Second Series ibid
. 1839. Part II. Third Series ibid. 1840. — Untersuchun-
gen über die erste Entwicklung des Kaninchens, die nebst manchem Gu-
ten auch viele nicht stichhaltige Angaben enthalten.


Hausmann, Ueber die Zeugung und die Entstehung des wahren weiblichen
Eies bei den Säugethieren und Menschen. Hannover 1840.


Bischoff, Entwicklungsgeschichte des Kanincheneies, Braunschweig 1842.


Entwicklungsgeschichte des Hundeeies, Braunschweig 1845.


Entwicklungsgeschichte des Meerschweinchens, Giessen 1852.


Entwicklungsgeschichte des Rehes, Giessen 1854.


Bischoff hat das grosse Verdienst, die erste zusammenhängende
Untersuchung über die frühesten Gestaltungen des Säugethierem-
bryos gegeben zu haben, und sind seine beiden ersten Arbeiten
namentlich die Hauptbasis für unsere Deutungen der frühesten
menschlichen Zustände.


Costel. c. Pl. I—VI.


c. Ueber die Vögel.


Reichert, Das Entwicklungsleben im Wirbelthierreich, Berlin 1840.


Remak, Untersuchungen über d. Entwicklung der Wirbelthiere, Berlin 1855.


Erdl, l. c. Erster Theil. Entwicklung der Leibesform des Hühnchens,
Leipzig 1845.


Coste, Hist. générale etc. Pl. I. II. (Furchung des Vogeleies.)


d. Ueber die Amphibien.


Rathke, Entwicklungsgeschichte der Natter, Königsberg 1839.


Ueber die Entwicklung der Schildkröten, Braunschweig 1848.


Alle embryologischen Arbeiten Rathke’s zeugen von der fein-
sten Beobachtungsgabe und grösstem Fleisse, und so ist auch vor
2*
[20]Vierte Vorlesung.
Allem die erste Schrift eine wahre Fundgrube für die Entwicklungs-
geschichte der Organe.


Reichert, Entwicklung des Frosches, l. c.


Vogt, Unters. ü. d. Entwicklung der Geburtshelferkröte, Solothurn 1842.


Remak, Entwicklung des Frosches, l. c.


M. Rusconi, Hist. nat., développement et métam. de la Salamandre terrestre,
Paris 1854.


H. J. Clark, Embryology of the turtle in L. AgassizContributions to the na-
tural history of the united States of N. America. Vol. II. Part III
. 1857.


e. Ueber die Fische.


Vogt, Embryologie des Salmones, Neuchatel 1842.


Aubert in Zeitschr. f. wiss. Zool. V. 1853. S. 94.


Lereboullet, Sur le développem. du brochet, de la perche et de l’écrevisse.
Annal. d. sc. nat
. 4. Sér. Tom. 1. 2. 1855.


Leydig, Beitr. z. mikr. Anat. u. Entwicklg. d. Rochen u. Haie, Leipz. 1852.


f. Ueber Wirbellose.


Aus der grossen Zahl der Untersuchungen über diese Thier-
abtheilung führe ich Ihnen nur diejenigen an, die mit Bezug auf all-
gemeine Fragen, die Zellen- und Blättertheorie, von Belang sind.


Kölliker, Entwicklungsgeschichte der Cephalopoden, Zürich 1844.


G. Zaddach, Unters. über d. Entw. und den Bau der Gliederthiere. 1. Heft
die Entwicklung des Phryganideneies, 1854.


Von Handbüchern und übersichtlichen Darstellungen sind zu
nennen:


Bischoff, Entwicklungsgeschichte der Säugethiere und des Menschen, Leip-
zig 1842. Ein vortreffliches Buch mit Hinsicht auf das Morphologische.


Derselbe, Artikel Entwicklungsgeschichte in Wagner’s Handwör-
terbuch der Physiologie. Bd. I.


J. Müller in seinem Handbuch der Physiologie II.


R. Wagner und Funke in ihren Handbüchern der Physiologie, zu denen die
vortrefflichen in der ersten Auflage von R. Wagner und in der zweiten
von A. Ecker herausgegebenen Icones physiologicae gehören.


Longet in seinem Traité de physiologie II.


Ausserdem mache ich Sie noch auf die ganz ausgezeichneten
plastischen Darstellungen aus Wachs zur Entwicklungsge-
schichte des Menschen aufmerksam, welche Herr Dr. A. Ziegler in
Freiburg i. Br. unter der Leitung von A. Ecker ausgeführt hat und
von denen bis jetzt 5 Serien (Herz, äussere Genitalien, äussere Lei-
besform, erste Veränderungen des befruchteten Eies, äussere Form
des Gesichts) vorliegen.


[[21]]

Fünfte Vorlesung.


Meine Herren! Nachdem ich Ihnen die Geschichte der Em-
bryologie nach ihren wichtigsten Seiten und den jetzigen Standpunct
dieser Wissenschaft dargelegt habe, wende ich mich nun zur eigent-
lichen Aufgabe dieser Vorträge. Ich werde die Entwicklung des
Menschen in zwei Abschnitten besprechen, von denen der eine die
erste Anlage der Leibesform und der wichtigsten Organe, so wie die
kindlichen und mütterlichen Eihüllen, der zweite die Entwicklung
der einzelnen Organe und Systeme zum Gegenstande haben wird.
Wo immer möglich halte ich mich an den Menschen. Da jedoch un-
sere Kenntnisse über die frühesten Zustände des befruchteten mensch-
lichen Eies sehr mangelhaft sind, so ist es nicht anders möglich, als
für diese Periode die höhern Wirbelthiere und vor Allem die Säuge-
thiere zu Grunde zu legen, deren Entwicklung, wenigstens was die
Leibesanlage betrifft, nach Allem, was wir wissen, mit derjenigen
des Menschen in hohem Grade übereinstimmt. Wo die Kenntnisse
über die Säugethiere ebenfalls nicht ausreichen, wie mit Bezug auf
die Schichten der Embryonalanlage, wenden wir uns an die Vögel,
deren erste Anlage mit derjenigen der Säugethiere ebenfalls in allen
wesentlichen Verhältnissen übereinstimmt.


Erster Hauptabschnitt.
Von der Entwicklung der Leibesform und den Eihüllen.


Das unbefruchtete Ei zeigt bei allen Geschöpfen die bekanntenUnbefruchte-
tes Ei.

vier Theile: Dotterhaut (Membrana vitellina), Dotter (Vitellus), Keim-
bläschen (Vesicula germinativa, Purkinje’sches Bläschen) und den
oder die Keimflecken (Macula germinativa, Wagner’scher Fleck), doch
[22]Fünfte Vorlesung.
finden sich trotz dieser allgemeinen Uebereinstimmung mancherlei
Verschiedenheiten im Einzelnen. Vor Allem ist es der Dotter, des-
sen Zusammensetzung sehr wechselnde Verhältnisse darbietet, deren
richtige Auffassung für den Embryologen nicht ohne Belang ist, da
ja dieser Theil des Eies es ist, aus dem der Embryo sich bildet. Es
sind darum auch die Forscher schon seit längerer Zeit bemüht ge-
wesen, sowohl seine Zusammensetzung und Bildung als auch seine
Bedeutung für die Anlage des neuen Geschöpfes zu ergründen und
hat sich hierbei mit Bezug auf letzteres ein doppeltes Verhalten her-
ausgestellt, welches dazu benutzt worden ist, um die Eier in zwei
Hauptgruppen zu sondern. Bei den einen Eiern nämlich wird, worauf
Bildungsdotter
und
Nahrungsdotter.
Reichert zuerst die Aufmerksamkeit gelenkt hat (Beitr. St. 25 flgde.),
der gesammte Dotter zur Anlage des Embryo verwendet, während
bei den andern nur einem kleineren Theile des Eiinhaltes diese Be-
deutung zukommt und das meiste einfach Nahrungsmaterial für das
werdende Geschöpf ist. Reichert gebraucht zur Bezeichnung dieser
beiden Dotterarten die Ausdrücke »Bildungsdotter« und »Nahrungs-
dotter«, welche von den meisten Autoren angenommen wurden, wie
besonders von Leuckart und Allen Thomson in ihren vortrefflichen
Arbeiten über das thierische Ei (Artikel Zeugung in R. Wagner’s
Handb. d. Phys. Bd. IV. und Art. Ovum in Todd’s Cyclopaedia of
Anatomy, Supplem
.), und die Eier selbst hat Remak, je nachdem sie
nur Bildungsdotter oder beide Dotterarten enthalten, »holoblastische«
und »meroblastische« genannt. (Compt. rend. 1852. T. XXXV.
pag. 341).


Die Eier mit Bildungs- und Nahrungsdotter unterscheiden sich
noch weiter dadurch, dass bei den einen schon das unbefruchtete
Ei im Eierstock den Bildungsdotter erkennen lässt, wie das Ei der
Vögel, der beschuppten Amphibien, der Plagiostomen [Thomson l. c.
pag. 80 contra Leydig (Rochen und Haie pag. 87)], der Teleostier
(Vogt, Aubert, Lereboullet, Ransom contra Coste), bei denen allen
derselbe in Gestalt einer grösseren oder kleineren Scheibe feinkör-
niger Substanz erscheint, die man mit v. Baer als Stratum proligerum,
Keimschicht bezeichnen kann. Bei den meroblastischen Eiern der
Wirbellosen dagegen hat sich eine solche Sonderung noch nicht vor-
gefunden, doch nimmt auch hier, wenigstens nach der Befruchtung,
wie ich bei den Cephalopoden gefunden habe, der Bildungsdotter
eine andere Beschaffenheit an und wird feinkörnig.


Mit dem hervorgehobenen Unterschiede in der Verwendung des
[23]Säugethierei.
Dotters für den Aufbau des Embryo hängt dann auch ein anderes
Verhältniss aufs nächste zusammen, nämlich das, dass alle holobla-
stischen Eier totale, die meroblastischen dagegen nur partielle Fur-
chung besitzen, wie diess später des Näheren auseinandergesetzt
werden soll.


Ich gebe Ihnen nun noch eine übersichtliche Zusammenstellung
der Verbreitung der beiden genannten Eiformen im Thierreiche.


Damit, dass ich diese Eintheilung der Eier in zwei Gruppen zu
Grunde lege, bin ich jedoch nicht gemeint zu behaupten, dass die-
selbe eine ganz durchgreifende und gelungene sei, indem man bei
einer Rundschau unter den holoblastischen Eiern sehr bald findet,
dass dieselben Uebergänge zu den meroblastischen zeigen. So bleibt,
um nur Eines anzuführen, bei den Eiern der Batrachier, obschon
sie totale Furchung besitzen, ein Theil des Dotters zurück, der nicht
direct zum Aufbau des Embryo verwendet wird. Immerhin halte

Figure 1. Fig. 1.


ich die fragliche Eintheilung im Ganzen für
eine brauchbare und will ich Ihnen nun im
Folgenden als Typen der beiden Gruppen das
Säugethierei und das Vogelei beschreiben.


Das Säugethierei (Fig. 1.), das IhnenSäugethierei.
wohl schon hinreichend bekannt ist, hat eine
verhältnissmässig dicke Dotterhaut, die wie
eine helle Schicht den Dotter umgibt und daher

Fig. 1. Ovulum des Menschen aus einem mittelgrossen Follikel 250 mal
vergr. a. Dotterhaut Zona pellucida, b. äussere Begrenzung des Dotters und
zugleich innere Grenze der Dotterhaut, c. Keimbläschen mit dem Keimfleck.


[24]Fünfte Vorlesung.
früher den Namen Zona pellucida erhielt. Der Dotter zeigt zwei Be-
standtheile, einen homogenen, mehr flüssigen, und einen körnigen,
der zum Theil deutlich aus Fettmolekülen, zum Theil aus ganz fei-
nen Körnchen besteht, deren Natur nicht weiter ermittelt ist. In
den Eiern mancher Gattungen sind die Körner zalreich und dann
erscheint der Dotter weisslich, in andern Fällen sind sie spärlicher
und die Eier mehr hell und durchscheinend. Im Innern des Dotters
und meist nicht ganz in der Mitte liegt ein kugelrundes bläschenför-
miges Gebilde, das Keimbläschen, mit klarer, heller Flüssigkeit im
Innern und einem dunkleren festeren Korn, dem Keimfleck. Das
reife menschliche und Säugethierei misst durchschnittlich ⅛—1/10‴,
die Dotterhaut 0,002—0,003‴, das Keimbläschen 0,02‴ und der
Keimfleck 0,002—0,003‴.


Als Typus der meroblastischen Eier wähle ich das Ei des Huh-
nes, dessen Verhältnisse am genauesten verfolgt sind.


Ei des Huhnes.Das Eierstocksei des Huhnes besteht, wenn wir zunächst nur die
makroskopischen Verhältnisse berücksichtigen, aus einer Dotterhaut
und aus dem Dotter. Am Dotter selbst unterscheidet man an einer
Stelle einen weissen, von der gelben Masse nicht ganz scharf abge-
grenzten Fleck von etwa 1½—2‴ im Durchmesser, den Hahnen-
tritt
oder die Narbe (Cicatricula), besser die Keimschicht oder
Keimscheibe (Stratum s. Discus proligerus). Macht man einen
senkrechten Durchschnitt durch ein erhärtetes Ei, so zeigen sich die
Verhältnisse in folgender Weise. Der Discus proligerus erscheint als
eine kleine, weisse, nach innen zu verdickte Stelle an der Peripherie
des Dotters, und von demselben aus zieht sich wie ein weisslicher

Figure 2. Fig. 2.


Strang oder Streifen in das Innere des Dot-
ters hinein, der sich dann zu einem kugeli-
gen Gebilde von derselben Farbe verbrei-
tert. Diesen ganzen Theil des Dotters unter-
halb des Discus nennt man den weissen
Dotter
oder das Dotterweiss. Derselbe
ist flüssiger, weicher als die übrigen Theile
des Dotters, und hat man daher auch die
Verhältnisse so ausgedrückt, dass man im

Fig. 2. Schematischer Durchschnitt durch einen reifen Hühnerdotter.
a. Dotterhaut. b. Keimschicht oder Bildungsdotter mit dem Keimbläschen.
c. Gelber Nahrungsdotter mit den Schichtungslinien. d. Weisser Nahrungs-
dotter mit d′ der grösseren Ansammlung im Innern des gelben Dotters.


[25]Vogelei.
Innern des Dotters eine Höhle (Latebra, Purkinje) beschrieb, von der
ein Kanal gegen die Keimscheibe in die Höhe ziehe. — Die ganze
übrige grössere Masse des Dotters wird von dem sogenannten gel-
ben Dotter
gebildet, welcher Andeutungen von Schichten zeigt,
die im Allgemeinen der grösseren Masse des weissen Dotters concen-
trisch verlaufen. Im Innern des Discus findet man das Keimbläs-
chen
als ein rundes Gebilde von 1/80—1/60″ und an jüngern Eier-
stockseiern zeigt sich ausserdem noch an der gesammten Peripherie
des Dotters eine Epithelialschicht von kleinen kernhaltigen
Zellen, die unmittelbar innen an der Dotterhaut anliegt. Mit dem
Wachsthum des Eies verschwindet die Epithelialschicht und zwar
zuletzt am Discus proligerus und zeigt das Ei im Eileiter, mag es
befruchtet sein oder nicht, keine Spur mehr von diesen Zellen.


Es besteht somit, um das Gesagte noch einmal zusammenzufas-
sen, das jüngere Eierstocksei 1) aus der Dotterhaut, 2) der Epi-
thelialschicht
, 3) dem Nahrungsdotter, der in den gelben
Dotter
mit seiner concentrischen Schichtung und den weissen
Dotter
zerfällt, 4) aus dem Bildungsdotter oder der Keim-
scheibe und 5) aus dem in diesem befindlichen Keimbläschen.


Die mikroskopischen Verhältnisse anlangend, so ergibt
sich Folgendes. Die Dotterhaut ist eine zarte zum Theil structur-
lose, z. Th. fein körnig oder undeutlich faserig erscheinende Membran.


Der gelbe Dotter besteht aus weichen, dehnbaren, rundlichen
Elementen von 0,02—0,03‴ im Mittel, welche einen feinkörnigen
Inhalt ohne Kern und alle eine zarte Membran besitzen, die jedoch
nicht immer leicht zu erkennen ist. Wie Remak angegeben hat, zei-
gen dieselben in Berührung mit Wasser Formänderungen, die manch-
mal an peristaltische Bewegungen erinnern, eine Erscheinung, die
kaum durch die Wasserwirkung allein zu erklären ist, wie dieser Autor
will, da sie auch bei Eiweisszusatz sich findet und wohl besser als
ein wirklich vitales Phänomen aufgefasst wird. Diese Bläschen
nun und eine geringe Menge Flüssigkeit bilden das ganze Gelbe im
Ei, dem freie Körner und anderweitige Elemente fehlen und dessen
körniges Ansehen im gekochten Zustande einzig und allein von die-
sen Elementen herrührt, die in diesem Falle durch gegenseitigen
Druck polygonal erscheinen, doch kann ich Ihnen noch anführen,
dass nach Remak (Entw. pag. 82) an der Innenfläche der Dotterhaut
des bebrüteten Eies bis zum 6. Tage Elemente vorkommen, die mit
den gleich zu erwähnenden des weissen Dotters übereinstimmen.


[26]Fünfte Vorlesung.

Der weisse Dotter, der, wie Sie sehen (Fig. 2), eine Art Höhle
im Gelben einnimmt, besteht aus Flüssigkeit, aus kugeligen kleineren
Gebilden, die offenbar Fetttröpfchen sind, und aus Bläschen, die durch
ihre geringere Grösse (von 0,008—0,01‴ im Mittel), eine sehr deut-
lich hervortretende zarte Hülle und durch die besondere Beschaffen-
heit des Inhaltes sich auszeichnen. Die meisten derselben nämlich
enthalten nichts als helle Flüssigkeit und einen grösseren Fetttropfen,
doch kommen ausser diesen auch solche vor, die eine gewisse Zahl
grösserer und kleinerer Fetttröpfchen führen oder mit solchen ganz
erfüllt sind, und finden sich diese Formen namentlich an der Grenze
zwischen weissem und gelbem Dotter in einer Mannigfaltigkeit, dass
man deutlich erkennt, dass die Elemente beider Dotterarten nicht
wesentlich verschieden sind.


Die Keimscheibe, der Discus proligerus, besteht aus grös-
seren und kleineren Fetttröpfchen und was das Keimbläschen
anlangt, so ist dasselbe ein grosses zartes Bläschen, das im Innern
Flüssigkeit und einige Körner, die Keimflecken, enthält, deren
spätere Schicksale noch nicht mit hinreichender Genauigkeit ver-
folgt sind. Die epithelartige Zellenschicht an der Innen-
fläche der Dotterhaut jüngerer Eierstockseier endlich besteht aus
Zellen, die von denen eines gewöhnlichen kleineren Pflasterepithels
in Nichts verschieden sind.


Vergleichung des
Eies des Huhnes
mit dem Säuge-
thierei.
Vergleichen Sie nun, nachdem Sie das Ei der Säugethiere und
der Vögel kennen, dieselben mit einander, so wird Ihnen eine solche
Verschiedenheit derselben entgegentreten, dass von selbst die Frage
sich aufdrängt, ob denn beiderlei Eier die nämliche Bedeutung
haben. Schon v. Baer, dem Entdecker des Säugethiereies, ist diese
Verschiedenheit aufgefallen und hat ihn zu dem eigenthümlichen
Ausspruche verleitet, dass das Säugethierei dem Keimbläschen des
Vogeleies und der Graaf’sche Follikel des Eierstocks dem gesamm-
ten Hühnerei entspreche. Später hat H. Meckel an der Hand der
neueren Erfahrungen diese Angelegenheit wieder aufgenommen
(Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. III), wobei er zu der Behauptung ge-
langte, dass der Discus proligerus und das Keimbläschen sammt
dem weissen Dotter des Hühnereies dem Säugethierei entspreche,
dagegen der gelbe Dotter, das Dotterepithel und die Dotterhaut dem
Corpus luteum gleichkomme. Dieser Vergleich von Meckel ist inso-
fern glücklicher als der von v. Baer, als derselbe nicht blos das
Keimbläschen, sondern auch einen Theil des Dotters dem Säuge-
[27]Vogelei.
thierei gleichstellt, wobei das Keimbläschen des einen genau dem
des andern Eies entsprechen würde, allein ganz verfehlt ist der Ver-
gleich des gelben Vogeldotters und der ihn umgebenden Theile mit
dem Corpus luteum, die Parallelisirung dieses ganz und gar aus
Bindegewebe mit Blutgefässen bestehenden Gebildes mit den ganz
verschiedenen Dotterbläschen und ihrer Begrenzungshaut. Allen
Thomson
, dessen vortrefflichen Artikel »Ovum« ich Ihnen heute
vorgelegt habe, spricht sich, den Missgriff Meckel’s vermeidend,
dahin aus, dass das Dotterepithel des Eierstockseies des Huhnes der
Membrana granulosa oder dem Epithel des Folliculus graafianus
gleichkomme und dass der gelbe Dotter von dieser Zellenschicht
aus gebildet werde, somit eine Epithelialproduction sei, welche nach
und nach um den weissen Dotter sich anlege. Nach Meckel, dem
Thomson beistimmt, besitzt das Keimbläschen und der weisse Dotter
ursprünglich eine dicke Begrenzungshaut, welche die eigentliche
Dotterhaut darstelle; was gewöhnlich Dotterhaut des Vogeleies ge-
nannt werde, das sei nur eine secundäre Membran, die sich aussen
auf der den gelben Dotter begrenzenden Epithelialschicht nieder-
schlage. Ausserhalb dieser Haut bleibe dann übrigens noch eine
Lage Zellen und diese sei das Epithel des reifen Eisäckchens des
Hühnereies.


Die ganze Angelegenheit dreht sich, wie Sie erkennen werden,
wesentlich um den Nachweis der »eigentlichen Dotterhaut« von
Meckel; mit dem Nachweis des Mangels oder des Vorkommens der-
selben fällt oder steht die ganze Lehre. Nun diese eigentliche Dot-
terhaut hat Niemand sonst finden können. Ich habe vor einigen
Jahren mit einem meiner Zuhörer, Herrn Samter, Untersuchungen
über die Entwicklung des Vogeleies begonnen, welche dieser dann
selbständig weiter geführt und in seiner Dissertation beschrieben
hat (Nonnulla de ovi avium evolutione, Halis 1853). Samter und ich
selbst sind zur Ueberzeugung gelangt, dass eine solche eigentliche
Dotterhaut um den weissen Dotter und das Keimbläschen zu keiner
Zeit existirt, dass dagegen schon die jüngsten Eier die Membran be-
sitzen, die sich nach Thomson secundär auf der innern Lage der sich
spaltenden Membrana granulosa ablagern soll. Ebenso hat ein Schü-
ler Reichert’s, Hoyer, bei seinen Nachforschungen (Müll. Arch. 1857)
diese innere Dotterhaut nicht finden können. Diesem zufolge kön-
nen wir, trotz dem, dass auch ein so umsichtiger Forscher, wie
A. Ecker an Meckel und Thomson sich angeschlossen hat (Icon. phys.
[28]Fünfte Vorlesung.
2. Aufl.), nicht umhin, den ganzen Hühnerdotter trotz seines zusam-
mengesetzten Baues dem Säugethierei für gleichwerthig zu erklären,
womit dann zugleich auch gesagt ist, dass die zusammengesetzten
meroblastischen Eier eben so gut wie die einfacheren holoblastischen
die Bedeutung von Zellen haben, indem es nicht dem geringsten
Zweifel unterliegen kann, dass die letzteren Eier wirkliche einfache
Zellen und die Keimbläschen deren Kerne sind.


Ich wende mich nun zur Schilderung der Entwicklungsphasen,
welche das Ei unmittelbar nach der Befruchtung durchläuft und
werde ich Ihnen dieselben zunächst von Säugethieren beschreiben.


Die allerersten Entwicklungsstadien sind vom menschlichen Eie
unbekannt, indem die seltenen Fälle, in denen es bisher gelang,
menschliche Eier noch im Eileiter zu finden, bis jetzt zu keinen
nennenswerthen Resultaten geführt haben. Um so vollständiger
sind unsere Kenntnisse über einige Thiere und verdanken wir diess
vor Allem den erfolgreichen Bemühungen von Bischoff und von
Coste, neben denen auch Barry genannt werden kann. Ich folge vor
Allem den Darstellungen Bischoff’s über das Ei des Hundes und Ka-
ninchens, werde mir aber erlauben, einige Lücken in den Beobach-
tungen dieses Autors nach den Erfahrungen zu ergänzen, die man
an andern Thierformen gemacht hat.


Furchung des
Säugethiereies.
Das Säugethierei wird in der Regel im Eileiter befruchtet und
hier läuft nun der so eigenthümliche und vielfach besprochene Fur-
chungsprocess
an demselben ab. Das Ei im Eileiter ist anfäng-
lich noch ganz ebenso beschaffen, wie im Eierstock, und ist mit allen
seinen Theilen und von derselben Grösse, umgeben von den anlie-
genden Zellen der Membrana granulosa, in die es im Graaf’schen
Follikel eingebettet lag, in mehreren Fällen von Bischoff bei beleg-
ten Säugethieren im Anfange des Eileiters gesehen worden. Als
erstes Zeichen der Befruchtung, welche immer auch durch die an
der Dotterhaut haftenden und manchmal noch beweglichen Samen-
fäden erkannt wird (s. Fig. 3—6), ergibt sich das Schwinden des
Keimbläschens und des Keimfleckes. In zweiter Linie zieht sich der
Dotter, der vorher die Dotterhaut ganz erfüllte, etwas zusammen
und bildet eine Kugel, die von der Dotterhaut etwas absteht und,
wie Beobachtungen an niedern Thieren ergeben, im Innern ein kern-
artiges Gebilde mit einem Kernkörperchen enthält. Diesen zusam-
mengezogenen Dotter mit dem neuen Zellenkern nennt man die erste
[29]Furchung des Säugethiereies.
Furchungskugel und sie ist der Ausgangspunct einer grossen
Menge ähnlicher aber viel kleinerer Gebilde, die durch wiederholte

Figure 3. Fig. 3.


Figure 4. Fig. 4.


Figure 5. Fig. 5.


Figure 6. Fig. 6.


Theilungen in bestimmter gesetzmässiger Weise aus
ihr hervorgehen. Zuerst spaltet sich die genannte
Kugel durch eine ringsherumgehende Furche in zwei
Halbkugeln (Fig. 3), von denen jede einen Kern
enthält. Die beiden neuen Furchungskugeln thei-
len sich wieder in je zwei durch eine Furche, die
die erste unter einem rechten Winkel schneidet,
so dass 4 Kugeln entstehen (Fig. 4), welche bald einfach aneinander
liegen, so dass sie zusammen eine Kugel bilden, bald zwei und
zwei zusammen kreuzweise gestellt sind. Durch weitere Theilun-
gen dieser 4 ebenfalls kernhaltigen Kugeln bilden sich 8, die schon
ganz unregelmässig liegen (Fig. 5), dann 16, 32, 64, die immer
kleiner und kleiner werden (Fig. 6) und so fort, bis endlich eine
grössere Zahl kleinerer Kugeln da sind, die alle ihren Kern im In-
nern zeigen. Der Dotter, der in den ersten Stadien dieses Theilungs-
processes eine ganz höckerige Oberfläche darbot, so dass er einer
Brombeere oder Himbeere verglichen werden konnte, bietet nun-
mehr wieder eine mehr glatte Oberfläche dar, so dass man das Ei
auf den ersten Blick von einem nicht gefurchten nicht unterscheidet,
doch zeigen sich bei genauerer Untersuchung die kleinsten Fur-
chungskugeln leicht, deren Grösse nach Bischoff zwischen 0,01‴
und 0,02‴ beträgt.


Mit den ersten Stadien des Furchungsprocesses treten innerhalb
der Dotterhaut ein, zwei oder selbst noch mehr helle rundliche Ge-

Fig. 3—6. Eier des Hundes aus dem Eileiter, umgeben von der Zona pel-
lucida
oder Dotterhaut, auf welcher bei allen Eiern Samenfäden haften. Nach
Bischoff.


Fig. 3. Ei mit zwei Furchungskugeln und zwei hellen Körperchen neben
denselben. Die Zona ist noch von Zellen der Membrana granulosa umgeben. —


Fig. 4. Ei mit vier Furchungskugeln und einem hellen Korn innerhalb der Zona.


— Fig. 5. Ei mit 8 Kugeln. — Fig. 6. Ei mit zalreichen kleineren Kugeln.


[30]Fünfte Vorlesung.
bilde auf (Fig. 3, 4), welche neben den Furchungskugeln liegen,
deren Ursprung und Bedeutung noch nicht aufgehellt ist, insofern als
man sie bald für Abkömmlinge des Keimfleckes, bald für Inhaltstheile
des Keimbläschens, bald für losgelöste Theile der mehr flüssigen
Substanz des Dotters gehalten hat und denen von der einen Seite
eine grosse, von der andern gar keine Wichtigkeit beigelegt wurde.
Wahrscheinlich, wenn auch nicht ganz sicher, ist, dass sie von der
Bindesubstanz der Dotterelemente herrühren, und sicher, dass sie
für die Furchung und die Bildung des Embryo von keinem weitern
Belange sind.


Erklärung
der Furchung.
Wie Sie sehen, ist das Morphologische des Furchungsprocesses
sehr einfach und leicht aufzufassen. Schwierigkeiten zeigen sich
erst, wenn wir uns fragen, was diesem Furchungsprocesse zu Grunde
liegt und welche Bedeutung die Dotterabschnitte in histologischer
Beziehung haben. Ohne Sie mit der Schilderung der langwierigen
Discussionen über diese Puncte zu behelligen, will ich mich kurz
dahin aussprechen, dass, meiner Meinung nach, wie ich es schon in
den Jahren 1843 und 1844 aufstellte, der ganze Vorgang eine Art
Zellenvermehrungsprocess ist, bedingt durch die Vermehrung der
Kerne der Furchungskugeln (Fig. 7). Nach dem Schwinden des

Figure 7. Fig. 7.


Keimbläschens bildet sich im
ersten Stadium ein neuer Kern
mit einem Kernkörperchen im
Innern des Dotters, der sich
dann um denselben zusammen-
ballt. Im zweiten Stadium
theilt sich der Kern in zwei, von
denen jeder von einer Hälfte des Dotters umgeben wird. Im dritten
Stadium zerfallen diese zwei Kerne in vier und entstehen vier Ku-
geln. So geht es fort, bis zum Zerfallen des Dotters in viele und
kleine Theile. Die Bildung des ersten Kernes bedingt somit die Bil-
dung der ersten Kugel, die Theilung derselben die erste Theilung
des Dotters und so weiter. Nie theilt sich eine Kugel, bevor die-
selbe nicht zwei Kerne erhalten hat. — Niemand wird leugnen kön-
nen, dass der ganze Vorgang der Zellenvermehrung durch Theilung

Fig. 7. Drei Eier von Ascaris nigrovenosa, 1. aus dem zweiten, 2. aus dem
dritten und 3. aus dem fünften Stadium der Furchung mit 2, 4 und 16 Fur-
chungskugeln, a. äussere Eihülle, b. Furchungskugeln. In 1 enthält der Kern
der untern Kugel zwei Nucleoli, in 2 die unterste Kugel zwei Nuclei.


[31]Erklärung der Furchung.
sehr ähnlich ist, um so mehr, da auch die Kernvermehrung ganz in
derselben Weise wie bei der Theilung der Zellen, unter vorheriger
Theilung der Kernkörperchen durch Theilung statt hat (Fig. 7), auch
würde wohl Niemand diese Auffassung bestritten haben, wenn es
gelänge, an den Furchungsabschnitten der ersten Stadien die Mem-
branen nachzuweisen, die, wie wir sehen werden, am Schlusse
des ganzen Vorganges an den letzten Kugeln so deutlich hervortre-
ten. Allein der Mangel deutlicher und bestimmt vom Inhalt unter-
schiedener Hüllen an den Kugeln der früheren Zeiten, den ich we-
nigstens mit Andern trotz der entgegenstehenden Behauptungen
neuerer Autoren immer noch behaupten muss, kann uns nicht ab-
halten, den Furchungsprocess als eine Zellentheilung anzusehen,
und scheint mir der Grund, warum es im Anfange nicht zur Bil-
dung von deutlichen Membranen kommt, einfach darin zu liegen,
dass die Kernvermehrung und Dotterzerklüftung zu rasch vor sich
geht. Uebrigens hat bei dem jetzigen Standpuncte der Histologie
diese Frage viel von ihrer früheren Bedeutung verloren, wie ich
schon in meiner Gewebelehre (3. Aufl. St. 24) angedeutet habe.


[[32]]

Sechste Vorlesung.


Ursprung der
Kerne der Fur-
chungskugeln.
Meine Herren! Ich habe Ihnen das vorige Mal den Furchungs-
process des Säugethiereies in seinen Hauptstadien geschildert und
meine Ansicht über denselben dahin abgegeben, dass die Dotterthei-
lung von der Bildung von Kernen im Innern des Dotters und von der
Vermehrung dieser Kerne abhänge. Der Ursprung dieser Kerne ist
jedoch bis jetzt noch in ein gewisses Dunkel gehüllt und ist nament-
lich die Herkunft des Kernes der ersten Furchungskugel noch nicht
hinreichend aufgeklärt. Die Mehrzahl der Forscher ist der Ansicht,
dass das Keimbläschen mit der Befruchtung schwinde und somit
der Kern der ersten Furchungskugel ein ganz neu entstandenes Ge-
bilde sei, es sind jedoch auch gegentheilige Stimmen laut geworden
und haben namentlich J. Müller (bei Entoconcha mirabilis) und spä-
ter auch Leydig und Gegenbaur, Beobachtungen vorgebracht, denen
zufolge das Keimbläschen nicht schwinden soll, in welchem Falle
der erste Furchungskern als mit demselben identisch anzusehen
wäre. Im Ganzen ist diese Frage für die Auffassung des Furchungs-
processes selbst nicht von grossem Belang, dagegen hat dieselbe
allerdings eine nicht geringe allgemeine Tragweite, denn wäre der
Kern der ersten Furchungskugel in der That nichts anderes als das
Keimbläschen oder der Kern der Eizelle, so ergäbe sich ein vollstän-
diger Zusammenhang aller zusammengehörenden Generationen und
wären nicht blos die Zellen des Embryo Abkömmlinge der Eizelle,
sondern auch alle Kerne desselben Nachkommen des Kernes dersel-
ben. Im anderen Falle dagegen fände eine Unterbrechung der Ge-
nerationen mit Bezug auf die Kerne statt, und wäre jedes Individuum
wenigstens in dieser Beziehung vom mütterlichen Organismus un-
abhängig.


[33]Erklärung der Furchung.

So sehr nun auch die Annahme einer gänzlich ununterbroche-
nen Formfolge zu den Anschauungen der neuern Histologie passt, so
kann es sich doch in dieser Angelegenheit nicht darum handeln,
sondern wir werden vor Allem zu fragen haben, nach welcher Seite
die Thatsachen schwerer in die Wagschaale fallen, und da kann es
dann wohl kaum zweifelhaft sein, dass in einer bedeutenden Zahl
guter Beobachtungen das Schwinden des Keimbläschens wirklich
nachgewiesen ist. Diesen Erfahrungen gegenüber scheint mir die
negative Beobachtung, dass bei einigen Thieren während der Ent
wicklung das Stadium nicht zur Beobachtung kam, in welchem das
Keimbläschen fehlte, nicht gerade von grosser Bedeutung zu sein,
und will ich mir nur erlauben, Ihnen noch anzuführen, dass nach
der übereinstimmenden Aussage aller Botaniker bei den höheren
Pflanzen der Kern des Eies, das heisst des sogenannten Embryo-
sackes, keinen Antheil an der Bildung der Zellen (der sogenannten
Keimbläschen) hat, aus denen die junge Pflanze nach der Befruch-
tung hervorgeht.


Eine zweite Frage, die wir noch aufwerfen können, ist die:Bewegungen des
Dotters und Be-
ziehungen der-
selben zur Fur-
chung.

durch welche Momente kommt die eigentliche Dotterzerklüfung zu
Stande? Für einmal ist es hier ebensowenig als bei der Zellenthei-
lung möglich, eine bestimmte Antwort zu geben, doch ist es nicht
undenkbar, dass Bewegungsphänomene, von den Kernen angeregt,
dem Ganzen zu Grunde liegen und möchte ich Ihnen in dieser Be-
ziehung noch folgende Thatsachen namhaft machen. Ein Engländer,
Ransom, hat vor einigen Jahren zuerst vom Dotter von Gasterosteus
mitgetheilt, dass derselbe Bewegungen zeige; später hat Reichert
dasselbe beim Hechteie beobachtet und Aehnliches war schon vorher
von Ecker an den Furchungskugeln des Frosches und von Siebold
und mir an den Zellen von Planarienembryonen gesehen worden.
Vielleicht zählen hierher auch einige räthselhafte Beobachtungen
von Bischoff. Derselbe sah einmal an einem Kaninchenei vor dem
Eintritte der Furchung langsame Rotationen der ganzen Dottermasse,
die er freilich auf Rechnung feiner Cilien setzt, die er auch gesehen
zu haben glaubt. Später nahm er ähnliche Rotationen auch beim
Meerschweinchen wahr, bei dem er jedoch keine Wimpern finden
konnte. Es liegt nahe anzunehmen, dass in beiden Fällen einfach
ein Bewegungsphänomen des Dotters vorlag, ähnlich denen, die
Ransom und Reichert sahen. Nimmt man nun zu diesen Thatsachen
noch die zalreichen Beobachtungen von Bewegungserscheinungen im
Kölliker, Entwicklungsgeschichte. 3
[34]Sechste Vorlesung.
Inhalte vieler thierischer Zellen, so erscheint gewiss die Annahme,
dass solche Bewegungen bei der Dotterzerklüftung wie bei der Zel-
lentheilung überhaupt eine Rolle spielen und dass die Kerne es sind,
die immer nach ihrer Theilung in zwei diese Bewegungen veranlassen,
als nicht ganz unberechtigt, um so mehr wenn man weiss, welche
Bedeutung die Kerne überhaupt für das Zellenleben besitzen.


Erste Entwick-
lung des Säuge-
thiereies nach
der Furchung.
Ich halte es nun für zweckmässig, bevor wir zur Betrachtung
der partiellen Furchung weiter gehen, Ihnen noch einige Entwick-
lungsstadien des Säugethiereies zu schildern. Wir haben die Dot-
terfurchung bis zur Bildung eines Haufens kleiner Kugeln mit einer
mehr glatten Oberfläche verfolgt. Im nächsten Stadium nun, so-
bald das gefurchte Ei in den Uterus gelangt ist, wandeln sich alle
oberflächlichen Furchungskugeln in Zellen um, erhalten deutliche
Membranen, vergrössern sich und bilden so ein schönes Zellenge-
webe, ähnlich einem einfachen Pflasterepithel, so dass dann inner-
Keimblase.halb der Dotterhaut eine Blase sich befindet, welche aus Einer
Schicht polygonaler mosaikartig angeordneter Zellen besteht (Fig. 8).

Figure 8. Fig. 8.


Diese Blase wurde zuerst von v. Baer,
dann auch von Coste bestimmter ge-
sehen und von letzterem mit dem Namen
Vésicule blastodermique, Keimblase,
bezeichnet. Die erste genauere Be-
schreibung derselben vom Kaninchen
und Hunde verdanken wir jedoch Bi-
schoff
, und wenn es ihm auch beim
Meerschweinchen und Rehe nicht ge-
lang, ihre Entwicklung genau zu ver-
folgen, so dass — sicherlich mit Un-
recht — über seine früheren Aufstel-
lungen Zweifel in ihm aufstiegen, so ist er doch der Erste, der die
Entwicklung dieser wichtigen Blase aus den Furchungskugeln und
ihre Zusammensetzung aufgehellt und durch schöne Abbildungen
versinnlicht hat. Ausserdem hat auch Coste die Keimblase genauer
verfolgt und in seinen Tafeln dargestellt. Im Innern der Keimblase
befindet sich Flüssigkeit und an einer Stelle ein Rest von Furchungs-
kugeln (Fig. 8), die zuerst eine halbkuglig vorspringende Masse,

Fig. 8. Kaninchenei aus dem Uterus, von circa 0,011 Par. Zoll Grösse, das
innerhalb der Zona pellucida die einschichtige Keimblase und im Innern dersel-
ben einen Rest nicht verbrauchter Furchungskugeln zeigt. Nach Bischoff.


[35]Entstehung des Fruchthofes.
später eine mehr scheibenförmige oder leicht warzenförmige Schicht
bilden, Kugeln, die als noch nicht verbrauchte, das heisst, als noch
nicht in Zellen umgewandelte anzusehen sind. Anfänglich nicht viel
grösser als die ursprüngliche Dottermasse wächst die Keimblase
sehr rasch; mit dem Wachsthume werden die Zellen immer deut-
licher und zarter und es dringt immer mehr Flüssigkeit in das In-
nere der Blase, welche unzweifelhaft von dem mütterlichen Organis-
mus, das heisst dem Uterus abstammt; so erreicht dieselbe bald die
Grösse von ⅓—½‴, während die Dotterhaut zugleich in eine ein-
fache, ganz zarte Haut umgewandelt wird. Hat die Blase beim Ka-
ninchen eine Grösse von ¾‴ erreicht, so bemerkt man an dersel-
ben einen rundlichen Fleck, der sich von dem übrigen durchsichti-
gen Theil durch eine weissliche Farbe auszeichnet (Fig. 9 und 10).

Figure 9. Fig. 9.


Figure 10. Fig. 10.


Das ist der Fruchthof, Area germinativa, welcher die StelleFruchthof.
bezeichnet, wo später der Leib des Embryo sich anlegt. Im weite-
ren Verlaufe des Wachsthums nun wird die Keimblase, vom Fruchthofe
ausgehend, doppelschichtig und diese Verdopplung schreitetKeimblase
doppelschichtig.

in kreisförmiger Linie immer weiter fort, wie diess in Profilansich-
ten (Fig. 11 und 12) deutlich zu erkennen ist, bis gegen den Pol der
Blase, welcher dem Fruchthof gegenüber liegt (Fig. 13). Ein Durch-
schnitt der Blase aus diesem Stadium mitten durch den Fruchthof
würde ein äusseres und ein inneres Blatt zeigen, jedes mit einer Ver-
dickung am Fruchthof. Während diese Spaltung der Keimblase sich

Fig. 9. Kaninchenei aus dem Uterus von 1¾‴ Durchmesser, a. Zona pel-
lucida, b
. Keimblase, c. Fruchthof, d. Stelle, wo die Keimblase schon doppel-
schichtig ist.


Fig. 10. Dasselbe Ei im Profil, Buchstaben wie bei Fig. 9.


3*
[36]Sechste Vorlesung.
ausbildet, treten zugleich aussen an der feinen Umhüllungshaut der
Primitive
Zöttehen.
Blase, der ursprünglichen Dotterhaut, kleine Wärzchen auf (Fig. 11,

Figure 11. Fig. 11.


Figure 12. Fig. 12.


Figure 13. Fig. 13.


12, 13), welche derselben ein leicht
zottiges Ansehen geben und kann
man von nun an diese Hülle auch die
primitive Zottenhaut, Cho-
rion primitivum
, oder die äus-
sere Eihaut
Membr. ovi externa
nennen. Die genannten Zöttchen
sind übrigens strukturlose Ge-
bilde ohne Kerne und ohne Zellen
und können am besten gewissen
äusseren Ablagerungen verglichen
werden, die man auf Zellmembranen und namentlich auf der Dotter-
haut unbefruchteter Eier, z. B. von Fischen, häufig beobachtet.


Bildung des
Fruchthofes.
Ich wende mich nun zu einem Punkte, der noch nicht hinrei-
chend beleuchtet ist, nämlich zur Frage nach der Art und Weise der
Entstehung des Fruchthofes und der Verdopplung der Keimblase.
Die Bildung des Fruchthofes anlangend, so ist man, gestützt auf
Bischoff’s Abbildungen des Kanincheneies, anfänglich so ziemlich
allgemein der Ansicht gewesen, dass derselbe eine weitere Entwick-
lung der ursprünglichen zelligen Keimblase sei und durch Wuche-

Fig. 11. Kaninchenei von 3‴, bei dem die Keimblase schon in einer grös-
seren Ausdehnung doppelschichtig ist. Buchstaben wie bei Fig. 9. Die Zona
trägt kleine Zöttchen und erscheint nun als primitives Chorion.


Fig. 12. Dasselbe Ei wie Fig. 11 im Profil, Buchstaben dieselben.


Fig. 13. Kaninchenei von etwa 4‴ mit fast ganz doppelschichtiger Keim-
blase. Buchstaben wie in Fig. 9. Fig. 9—13 nach Bischoff.


[37]Bildung des Fruchthofes.
rung der Elemente desselben an einer Stelle sich bilde. Bei genauer
Würdigung aller Verhältnisse ergibt sich jedoch, dass seine Bildung
wahrscheinlich eine ganz andere ist und mit dem früher erwähnten
Reste der Furchungskugeln an der Innenwand der Keimblase zu-
sammenhängt. Beim Kaninchenei lässt zwar Bischoff den fraglichen
Rest der Furchungskugeln in Zellen umgewandelt an der Bildung
der ursprünglichen einschichtigen Keimblase Theil nehmen (Ent-
wickl. St. 74) und den Fruchthof als eine ganz neue Bildung auf-
treten, dafür gibt er aber in seiner Entwicklungsgeschichte des
Hundeeies schon Andeutungen, welche auf eine Beziehung des
Restes der Furchungskugeln zur Bildung des Fruchthofes hin-
weisen. Noch bestimmter scheint Coste dieser Auffassung zu hul-
digen, wenigstens ergeben die Abbildungen und Tafelerklärun-
gen seines grossen Werkes, dass er beim Kaninchen jenen Rest von
Furchungskugeln später in Zellen sich umwandeln lässt, welche
an einer Stelle der inneren Seite der Keimblase sich anlegen
und hier den Fruchthof bilden helfen. Leider scheint Coste die
hierbei stattfindenden Vorgänge nicht so genau verfolgt zu haben,
als es wünschenswerth wäre, wenigstens geben seine Abbildungen
über diese Verhältnisse nicht hinreichenden Aufschluss, und fällt
es daher allerdings schwer ins Gewicht, dass Remak (Entwickl. St. 84)
der früheren Ansicht von Bischoff sich zugewendet hat und die Keim-
blase des Kaninchens nach dem Ablaufe der Furchung als eine überall
einschichtige Blase beschreibt, die im Innern keinen Rest von Fur-
chungskugeln enthalte und erst später im Bereiche des Fruchthofes
zwei Zellenlagen darbiete. Bei diesem Stande der Dinge ist es
schwer, sich für die eine oder andere Ansicht zu entscheiden. Ich
stehe jedoch nicht an, zu bekennen, dass die spätere Auffassung von
Bischoff und die von Coste meiner Meinung nach viel mehr für sich
hat und erlaube ich mir, Ihnen noch anzuführen, dass auch beim
Hühnchen die Keimhaut, so wie sie aus der Furchung selbst hervor-
geht, nicht ein- sondern mehrschichtig ist.


Nehmen wir die genannte Hypothese als richtig an, so ergibtSchichtung der
Keimblase.

sich mit Bezug auf die Entstehung der spätern zwei Schichten der
Keimblase und des Fruchthofes, dass die innere Schicht der Blase
nichts anderes sein kann, als eine Production der ursprünglichen
tieferen Lage des Fruchthofes, welche in ähnlicher Weise am Rande
wuchert, wie diess auch bei dem innern Blatte der Keimschicht des
Hühnereies vorkommt. Damit stimmt auch, dass schon in früher
Zeit bei noch wenig weit fortgeschrittener Verdopplung der Keimblase,
[38]Sechste Vorlesung.
wie Bischoff gezeigt hat, die zwei Blätter nicht blos im Fruchthof,
wo beide Verdickungen zeigen, sondern auch ausserhalb desselben
trennbar und als besondere Lagen nachweisbar sind.


Ich verlasse nun das Säugethierei in diesem Stadium, um später
wieder zu demselben zurückzukehren, und wende mich zur Schil-
derung der partiellen Furchung.


Partielle
Furchung.
Wie Sie wissen, haben zuerst Rusconi und später besonders
Vogt den Vorgang der partiellen Furchung am Fischei beobachtet,
doch gelang es auch dem Letztern nicht, über die demselben zu
Grunde liegenden Vorgänge ins Reine zu kommen. Erst später
wurde durch meine Beobachtungen bei den Cephalopoden dieser
interessante Vorgang so verfolgt, dass es gelang, denselben mit der
totalen Furchung in ein Bild zu vereinen und das beiden Gemeinsame
zu erkennen. Da die Erfahrungen über die Cephalopoden immer
noch die zusammenhängendsten sind, die wir besitzen, so erlaube
ich mir, Ihnen zunächst dieselben kurz zu skizziren, um so mehr,
als die weniger gekannte Furchung des für uns so wichtigen Hüh-
nereies in genau derselben Weise abzulaufen scheint. Bei den Tin-
Furchung der
Cephalopoden.
tenfischen furcht sich von dem ovalen Ei nur eine ganz kleine Stelle
in der Nähe des spitzen Endes. Im ersten von mir gesehenen Sta-
dium waren hier zwei leicht hervorragende Hügel, die jedoch nur
an der Stelle, wo sie an einander stiessen, durch ein kurzes Seg-
ment einer Kreislinie begrenzt und durch eine seichte Furche von
einander getrennt waren, im Uebrigen aber ohne Grenze in den Dotter
verliefen. Jeder Hügel enthielt einen Kern mit Kernkörperchen in der
Mitte und um denselben lag eine ganz feinkörnige Masse, welche ich
früher in dem Dotter nicht vorgefunden hatte. Diess ist das zweite
Stadium der Furchung. Das erste, in dem Ein Hügel mit Einem
Kern vorhanden sein wird, habe ich nicht mit Sicherheit gesehen.


Nach vorausgegangener Theilung der Kerne nun theilen sich
die erwähnten zwei Hügel oder Halbkugeln, so dass vier Segmente
entstehen, welche wie alle spätern Segmente an ihrem äussern Rande
von der übrigen Dottermasse nicht abgegrenzt sind, sondern nur als
Erhebungen derselben erscheinen. Diese vier Segmente theilen sich
in weiterem Verlaufe in acht, jedes Segment wieder mit einem
Kern. Nun spalten sich, nachdem in den acht Segmenten zwei hin-
tereinanderliegende Kerne entstanden sind, dieselben so, dass ihre
Spitzen als vollkommene Furchungskugeln sich ablösen, während
der Rest als ein neues weiter nach aussen liegendes Segment er-
[39]Furchung des Cephalopodeneies.
scheint, und dann liegen in diesem fünften Stadium acht vollkommene
Furchungskugeln ringförmig beisammen, in dem von den acht neuen
Segmenten begrenzten kreisförmigen Raume. Während diess ge-
schieht, hat auch die feinkörnige Masse, die dem Bildungsdotter des
Hühnereies verglichen werden kann, sich vermehrt und ist in allen
Kugeln und Segmenten um die Kerne angehäuft.


Von nun an geht der Furchungsprocess unter beständiger Kern-
vermehrung in der Art weiter, dass 1) die Segmente wiederholt in
der Richtung der Radien der sich furchenden Kreisstelle in neue
Segmente sich theilen und 2) abwechselnd damit die neuen Segmente
immerwährend durch Quertheilung an der Spitze in Furchungs-
kugeln und neue weiter nach aussen stehende Segmente zerfallen.
Während diess geschieht theilen sich auch die Furchungskugeln
selbst immer weiter und entsteht so schliesslich eine grosse Zahl
kleiner Abschnitte. Sein Ende erreicht der Vorgang dadurch, dass
an den letzten Segmenten, ohne dass vorher die Kerne sich theilen,
die Spitzen zu Kugeln sich abschnüren und besteht dann der Keim
ganz und gar aus einer Scheibe von kernhaltigen Kugeln, welche
dann unter immer neuer Vermehrung zu Zellen sich gestalten und
schliesslich zu den Anlagen der embryonalen Organe zusammen-
treten.


[[40]]

Siebente Vorlesung.


Meine Herren! Die Furchung des Cephalopodeneies, die ich
Ihnen in der vorigen Stunde in den Hauptzügen beschrieben, ist
nicht blos dadurch von Interesse, dass sie uns über das Wesen der
Furchung selbst wichtige Aufschlüsse liefert, indem sie aufs Ueber-
zeugendste zeigt, dass die Furchungsabschnitte noch keine Zellen
sind — denn es sind ja die Segmente alle vom Dotter gar nicht ab-
gegrenzt — sondern es gibt uns dieselbe auch den Schlüssel zum
Verständnisse derjenigen des Hühnereies, über welche, obschon die-
selbe schon vor mehr als 10 Jahren von Coste (Compl. rend. 1848)
entdeckt wurde, doch bis jetzt nichts vorliegt, als eine Tafel Abbil-
dungen sammt der dazu gehörigen Erklärung in dem grossen Werke
von Coste (Taf. II).


Furchung des
Vogeleies.
Das Ei des Huhnes wird im Eileiter befruchtet und in diesem
beginnt auch die Furchung, und zwar in dem untern, Schalen bilden-
den Theile desselben, nachdem das Keimbläschen schon früher ge-
schwunden ist, welches, beiläufig bemerkt, ganz unabhängig von
der Befruchtung zu schwinden scheint und an gelegten Eiern im-
mer fehlt. Im ersten von Coste gesehenen Stadium (Fig. 14. 1)
zeigte der Discus proligerus oder die Cicatricula Eine kurze Furche
in seiner Mitte. Im zweiten Stadium (Fig. 14. 2) waren zwei Kreuz-
furchen da und 4 Segmente, die die ganze Cicatricula einnahmen.
Im dritten Stadium sind 8 Segmente vorhanden, doch wurde dieses
nicht, sondern nur ein Uebergangsstadium mit 6 Segmenten wahr-
genommen, von denen zwei noch dem zweiten Stadium angehörten.
Ist die Furchung so weit gediehen, so beginnt, wie bei den Cephalo-
poden, die Bildung von Furchungskugeln durch Abschnürung der
Spitzen der Segmente, und zeigt das vierte Stadium 8 Segmente und
[41]Furchung des Vogeleies.
8 Kugeln, von denen das von Coste gesehene Uebergangsstadium
(Fig. 14. 3) mit 9 Segmenten und 7 Kugeln eine Anschauung gibt.

Figure 14. Fig. 14.


Im weitern Verlauf scheint beim Hühnchen, wenigstens nach Coste’s
Abbildungen zu urtheilen (Fig. 14. 4, 5, 6), keine so grosse Regel-
mässigkeit zu herrschen wie bei den Tintenfischen, immerhin lässt
sich so viel entnehmen, dass auch hier durch fortwährende Theilung
der Segmente und Abschnürung ihrer Spitzen, sowie durch Thei-
lung der Kugeln selbst eine immer grössere Zahl von kleinen Ab-
schnitten entsteht, bis am Ende auch die letzten Segmente in Ku-
geln sich umwandeln und die ganze Cicatricula in eine Schicht

Fig. 14. Sechs Furchungsstadien der Keimschicht des Hühnereies nach
Coste. Alle von Eiern aus dem untern Theile des Eileiters und dem sogenann-
ten Uterus. Grösse der Keimschicht 3mm, 1. Keimschicht mit 2 Segmenten,
2. Keimschicht mit 4 Segmenten, 3. dieselbe mit 9 Segmenten und 7 Furchungs-
kugeln, die sich polygonal gegen einander abgrenzen, 4. dieselbe mit 48 Seg-
menten, von denen einzelne Andeutungen neuer Theilungslinien zeigen, und
vielen polygonalen Furchungskugeln, von denen einzelne einen centralen dunk-
leren Körper (Kern ?) zeigen, 5. Keimschicht nahe am Ende der Furchung mit
zalreichen kleinen Segmenten am Rande und sehr vielen Furchungskugeln,
6. Keimschicht mit ganz kleinen gleichmässig grossen Elementen, die zwei
Schichten bilden, von denen die untere nicht vollständig ist. Die Elemente
einer solchen Keimschicht sind im Begriff, sich in Zellen umzuwandeln und
kann dieselbe nun Keimhaut, Blastoderma, oder Keim heissen.


[42]Siebente Vorlesung.
kleiner Furchungskugeln umgewandelt ist, welche — was alle
Beachtung verdient — schon jetzt aus zwei Lagen, einer ober-
flächlichen mit kleineren und einer tieferen mit grösseren Elemen-
ten besteht. — Ueber die dieser partiellen Furchung zu Grunde lie-
genden Momente hat sich Coste nicht geäussert, auch erwähnt er
nichts von Kernen in den Segmenten und grössern Kugeln, doch
kann es nicht dem geringsten Zweifel unterliegen, dass der Vorgang
hier genau in derselben Weise zu Stande kommt, wie bei Sepia.


Keimhaut des
gelegten Eies.
Wir wenden uns nun zum gelegten Ei. Die Cicatricula dessel-
ben, die schon oft Gegenstand der Untersuchung war, unterscheidet
sich, wie Sie nach dem eben Geschilderten leicht entnehmen kön-
nen, sehr wesentlich von der des Eierstockseies und muss mit einem
besondern Namen bezeichnet werden; sie kann entweder Keim,
Blastos, oder Keimhaut, Blastoderma, heissen. Schon Schwann
hat in dieser Keimhaut Zellen beschrieben und die Untersuchungen
von Remak, die ich nach allen Seiten bestätigen kann, haben eine
vollständige Aufklärung über ihre Zusammensetzung ergeben. Die-
sen zufolge besteht dieselbe aus zwei Schichten. Die obere Schicht
oder das obere Keimblatt besteht aus feiner granulirten, blasse-
ren kleineren Zellen (von 0,006—0,008‴) mit ziemlich deutlichem
bläschenförmigem Kern und 1 oder 2 Nucleolis und zarten Membranen,
während das untere Keimblatt grössere (von 0,001—0,015‴)
mit Fetttropfen ganz gefüllte dunklere Elemente zeigt, deren Mem-
branen und Kerne nur schwer aufzudecken sind (s. Remak l. c.
St. 181). Alle diese Elemente sind unzweifelhaft Nachkommen der
vorhin beschriebenen Furchungskugeln und erklärt sich die Schwie-
rigkeit, mit welcher ihre Membranen nachzuweisen sind, einfach
aus dem Umstande, dass dieselben eben im Uebergange aus der
einen Form in die andere begriffen sind.


Mit der Bebrütung treten nun rasch hinter einander grosse Ver-
änderungen an der Keimhaut auf, die man, um sie dem Verständ-
nisse näher zu bringen, am besten mit Remak in verschiedene Stufen
eintheilt.


Die 3 Blätter der
Keimhaut.
In erster Linie zeigt sich eine Sonderung der Keimhaut
in drei Blätter
. Während nämlich schon nach einigen Brüt-
stunden die Keimhaut durch Vermehrung ihrer Zellen durch Thei-
lung sich vergrössert und verdickt, wobei das obere Blatt rascher
wächst als das untere, sondern sich die Elemente des untern Blattes
in zwei Lagen, eine obere dickere mehrschichtige, das mittlere
[43]Erste Veränderungen der Keimhaut.
Keimblatt, und in eine untere epithelartige einschichtige Lage, das
eigentliche untere Keimblatt oder das Drüsenblatt, des-
sen Zellen durch das Vorkommen von Fetttropfen von denen des mitt-
leren sich unterscheiden, welche namentlich in denjenigen der Rand-
theile grösser und in grösserer Menge angehäuft sind.


Ist diese Sonderung in 3 Blätter eingetreten, so beginnt unterEmbryonalan-
lage.

fortschreitender Ausbreitung der Keimscheibe die Mitte derselben
sich zu verdicken, und erscheint als eine kreisförmige dunklere
Stelle, welche jedoch nur dem oberen und mittleren Keimblatte an-
gehört. Wie der weitere Verlauf zeigt, ist diese schildförmige Ver-
dickung nichts anderes, als die erste Spur des Embryo und kann
dieselbe daher die Embryonalanlage heissen.


Figure 15. Fig. 15.

Nun erscheint an-Primitivstreifen
oder Axenplatte.

fänglich nicht ganz in
der Mitte der noch run-
den Embryonalanlage
ein weisslicher Längs-
streifen, der Primi-
tivstreifen
v. Baer’s
oder die Axenplatte
von Remak, welche da-
durch gebildet wird,
dass die beiden äusseren
Keimblätter in der Mitte,
in einer zur Längsaxe des
Eies queren Richtung, in
einer schmalen Zone von
⅙—⅓‴, später von ½‴
und darüber mit einan-

Fig. 15. Keimhaut des Hühnchens vom Anfange der Bebrütung, etwa 20mal
vergr. Nach Remak. 4. Flächenansicht von unten gesehen, ok oberes Keimblatt,
do Rand des untern Keimblattes (Dotterrinde Remak) mit grösseren dunkleren
Zellen, die Area opaca darstellend, ds schildförmige centrale Verdickung im
hellen Fruchthofe, dem mittleren und oberen Keimblatte angehörend, ap Axen-
platte (Primitivstreifen v. Baer) nicht ganz in der Mitte des Fruchthofes, wo die
zwei äussern Keimblätter verschmolzen sind.
2. Senkrechter Querschnitt derselben Keimhaut. Der Deutlichkeit wegen
ist zwischen den Blättern ein Zwischenraum gelassen. ap, ok, do, wie vorhin. mk
mittleres Keimblatt, d mittlerer dünnerer Theil des innern Keimblattes oder des
Darmdrüsenblattes, ed angrenzende Theile des freien Dotters.


[44]Siebente Vorlesung.
der verwachsen und zugleich sich etwas verdicken. Eine Keimhaut
aus diesem Stadium von unten betrachtet (Fig. 15) zeigt zu äusserst
bei ok das am weitesten über den Dotter gewucherte obere Keim-
Area opaca.blatt, dann folgt eine dunkle Zone do, Area opaca, dunkler Frucht-
hof, gebildet von grösseren mit vielen Fettkörnern erfüllten Rand-
zellen des innern Keimblattes, hierauf ein heller kreisförmiger Hof,
Area pellucida.Area pellucida, durchsichtiger Fruchthof, in welchem die Elemente
des innern Keimblattes heller und kleiner sind, endlich die kreis-
förmige nicht scharfbegrenzte Embryonalanlage ds oder der Dop-
pelschild von Remak und in diesem der Primitivstreifen oder die

Figure 16. Fig. 16

Primitivrinne.
Chorda dorsalis.
Axenplatte ax. Das Verhältniss
der Blätter zu einander zeigt der
Querschnitt (Fig. 15. 2), in welchem
mk die mittlere Keimschicht und ed
den Nahrungsdotter bezeichnet.


Während der helle Fruchthof
eine ovale Gestalt annimmt, die
Embryonalanlage in die längliche
Gestalt übergeht (Fig. 16) und sich
etwas schärfer abgrenzt, bildet sich
in der Mitte der Axenplatte eine
seichte Rinne, die Primitivrinne,
dadurch, dass die seitlichen Theile
der Axenplatte sich verdicken und
leistenförmig erheben, was v. Baer
die Rückenplatten genannt hat.
Unterhalb der Rinne in der untern
Lage der Axenplatte erscheint als-
bald ein breiter walzenförmiger
Strang ch, die Chorda dorsalis, die

Fig. 16. Oval gewordener durchsichtiger Fruchthof eines Hühnereies mit
weiter gediehener Sonderung (IV. Stadium vom 1. Tage) 20mal vergr. Nach
Remak. 1. Von der untern Fläche gesehen, ch Chorda, x Anschwellung dersel-
ben am hintern Ende; ap Seitenhälften der Axenplatte, die am Kopfe bogen-
förmig in einander umbiegen und am hintern Ende in der Keimhaut sich ver-
lieren, sp Seitenplatten, die vorn und hinten in einander übergehen, y Grenze
des hellen Fruchthofes. 2. Senkrechter Querschnitt derselben Keimhaut von
der Mitte, uw Urwirbelplatten, ohne Grenze in die Seitenplatten übergehend,
mp Medullarplatte, ins Hornblatt sich fortsetzend, d Darmdrüsenblatt. Ausser-
dem ist die Chorda sichtbar und die Primitivrinne.


[45]Erste Veränderungen der Keimhaut.
später zu einem knorpelartigen Gebilde sich umgestaltet und der
Vorläufer der spätern Wirbelsäule ist.


Mit dem Auftreten der Chorda, die bald ein vorderes zuge-
spitztes und ein hinteres spindelförmig verdicktes Ende erkennen
lässt, wird eine besondere Bezeichnung für die übrigen Theile der
Axenplatte nöthig und können nun die zu beiden Seiten der Chorda
liegenden Theile derselben uw die Urwirbelplatten und die ganzeUrwirbelplatten.
obere Lage mp, obschon sie von den untern Theilen noch nicht voll-
kommen trennbar ist, die Medullarplatte heissen. Die RandtheileMedullarplatte.
der Embryonalanlage, obschon, wie die Durchschnittsansicht (Fig. 17)
lehrt, von der Medullarplatte und den Urwirbelplatten nicht ge-
schieden, können doch schon als Hornblatth und als Seiten-Hornblatt.
plattensp unterschieden werden. Das Hornblatt ist etwas dicker
als der peripherische Theil des äussern Blattes des Keimes, aber nicht
so dick wie die Medullarplatte, welche als unmittelbare Fort-
setzung desselben erscheint und nur durch eine immer grösser wer-
dende Helligkeit vor demselben sich auszeichnet. Die SeitenplattenSeitenplatten.
gehen nach aussen unmittelbar in den dünneren Theil des mittle-
ren Keimblattes über und sind anfänglich von den Urwirbelplatten
nicht gesondert. Später tritt im Bereiche des Rumpfes eine solche
Sonderung durch eine feine helle Linie ein, am Kopfe dagegen blei-
ben beide Theile mit einander verbunden und können dieselben zu-
sammen die Kopfplatten heissen.Kopfplatten.


Die drei beschriebenen Keimblätter zeigen eine ganz bestimmte
Beziehung zu den Organen und Systemen des fertigen Embryo und
ist es zweckmässig, Sie schon jetzt auf diese Verhältnisse aufmerksam
zu machen. Aus dem obern Keimblatte entwickelt sich aus der Me-
dullarplatte das centrale Nervensystem und aus dem Hornblatte die
Epidermis mit allen Epidermisgebilden, aus dem mittleren Keimblatte
das Knochen- und Muskelsystem, die Geschlechtsorgane und alle ge-
fässhaltigen Theile, mit Ausnahme des Centralnervensystems. Das
untere Keimblatt endlich gibt das Epithel des Darmes und aller An-
hangsdrüsen desselben. Es können daher diese Blätter mit Remak
auch als das Sinnes- oder sensorielle Blatt, das moto-
risch-germinative
Blatt und das trophische oder Darm-
Drüsenblatt
bezeichnet werden.


[[46]]

Achte Vorlesung.


Meine Herren! Die bisher beschriebenen Veränderungen der
Erste Entstehung
des Embryo.
Embryonalanlage des Hühnchens lassen noch nicht erkennen, wie aus
ihr die zusammengesetzten Organe und namentlich auch die spätere
Leibesform hervorgeht, und ist es nun erst die nächstfolgende Zeit,
welche uns lehrt, wie aus der flachen länglichen mässig dicken Mitte
der Area pellucida ein wirklicher Embryo sich gestaltet. Die Vorgänge,
durch welche diess geschieht, sind wesentlich drei. Einmal erheben
sich an der äussern Fläche der Embryonalanlage die äussern Ränder
der Medullarplatte sammt den daran grenzenden Theilen der Urwir-
belplatten und des Hornblattes, so dass sie eine breite Furche, die
Rückenfurche, begrenzen, und bildet sich dann durch das Ver-
wachsen der Ränder dieser Furche das Medullarrohr oder die
Anlage von Gehirn und Rückenmark und der Rücken des Embryo.
In analoger Weise entsteht zweitens an der untern Fläche der Em-
bryonalanlage die erste Anlage des Bauches — das Wort im wei-
tern Sinne genommen — und des Darmkanals, indem die Sei-
tenplatten zugleich mit den anliegenden beiden andern Keimblättern
nach unten sich wölben, von allen Seiten einander entgegenwuchern
und schliesslich so verschmelzen, dass nur noch eine Lücke, der
Nabel, offen bleibt. Im Zusammenhange mit diesem Vorgange und
unter beständiger Vergrösserung schnürt sich der Embryo zuerst am
Kopfe, dann auch seitlich und hinten von dem peripherischen Theile
der Keimhaut, d. h. zunächst von der Area pellucida ab. Zu diesen
Vorgängen gesellen sich dann noch die grössere Entwicklung des
vordern Leibesendes zum Kopf, die Spaltung der Seitenplatten in
Leibeswand und Darmwand, womit zugleich die Bildung der gros-
sen vordern Leibeshöhlen gegeben ist, endlich die Entwicklung des
[47]Erste Entstehung des Hühnerembryo.
Herzens und der ersten Blutgefässe im mittleren Keimblatte, und
dann ist der Leib des Embryo selbst in seiner ersten Anlage deut-
lich gezeichnet.


Verfolgen wir nun die einzelnen bezeichneten Vorgänge etwasBildung des
Medullarrohres.

genauer und zwar zuerst die Bildung des Rückens und des Me-
dullarrohres
. In der zweiten Hälfte des ersten Brüttages erhe-
ben sich die äussern Ränder der Medullarplatte und zugleich wuchern
auch die Urwirbelplatten mit. So entsteht in der ganzen Länge des
Rückens eine breite seichte Furche, die Rückenfurche von RemakRückenfurche.
(Fig. 17), begrenzt von zwei leistenförmigen Erhebungen, den

Figure 17. Fig. 17.


Rückenwulsten,Rückenwülste.
welche Theile unzwei-
felhaft nichts als wei-
tere Entwicklungen der
schon in der vorigen
Stunde beschriebenen
Primitivrinne und der sie begrenzenden Leisten sind, obwohl in der
Mitte der Rückenfurche noch eine Andeutung der ursprünglichen
Rinne sich findet. Ist die Furche gebildet, so wachsen ihre Ränder
einander rasch entgegen (Fig. 18) und erfolgt bald ihre SchliessungSchliessung der
Rückenfurche.

Figure 18. Fig. 18.


und zwar zuerst in einer Ge-
gend, die man geneigt ist als
den Hals zu bezeichnen, die
aber, wie sich später er-
gibt, die hintere Kopfgegend
ist. Hier verwachsen die Ränder der Medullarplatte und die an-
grenzenden Theile des Hornblattes, die zusammen eine scharfe
Kante bilden, mit einander, so dass aus der erstern ein geschloss-
ner Kanal hervorgeht, über welchen das Hornblatt von einer Seite

Fig. 17. Querschnitt durch die Anlage eines Hühnerembryo vom Ende des
ersten Tages 90—100mal vergr. ch Chorda; uwp Urwirbelplatte mit einer
Spalte uwh, vielleicht der ersten Andeutung der spätern Höhle der Urwirbel;
sp Seitenplatten mit den Urwirbelplatten hier noch verschmolzen, dd Darmdrü-
senblatt, h Hornblatt, m Medullarplatte. Beide zusammen sind in eine starke
Falte, die Medullarwülste oder Rückenwülste erhoben, die die breite Rücken-
furche Rf begrenzen, in deren Mitte noch die Primitivrinne Pr sichtbar ist.


Fig. 18. Querschnitt durch den Rumpf eines Hühnerembryo vom Ende
des ersten Tages etwa 15mal vergr. nach Remak. ch Chorda, d Darmdrüsen-
blatt, u Urwirbel, sp Seitenplatten, m Medullarplatte, w Medullarwulst,
h Hornblatt.


[48]Achte Vorlesung.
zur andern herübergeht (Fig. 19). Zugleich wuchern die Urwirbel-
platten so nach der Rückenseite empor, dass sie über die halbe

Figure 19. Fig. 19.


Höhe des gebildeten Medullarkanales herausreichen, doch verwach-
sen diese vorläufig noch nicht von rechts und von links, so dass
das centrale Nervensystem für einmal nur vom Hornblatte, i. e.
der spätern Epidermis bedeckt ist, welches selbst anfänglich dem
in der obern Mittellinie etwas eingezogenen Medullarrohre fest an-
haftet.


Ist die Verwachsung der Rückenfurche einmal eingeleitet, so
schreitet sie allmälig nach vorn und nach hinten fort, jedoch so lang-
sam, dass erst am zweiten Tage der Verschluss auch hinten, wo er
Anlage
des Gehirns.
zuletzt eintritt, vollständig ist. Zugleich entwickeln sich vom Ende
des ersten Tages an beginnend am Kopftheile desselben blasige Auf-
treibungen, die Anlagen der einzelnen Hirntheile und nahe am hin-
tern Ende eine starke Erweiterung, der Sinus rhomboidalis. Die Sub-
stanz des ganzes Rohres wird sehr durchsichtig und hell, ziemlich
deutlich querstreifig und lässt zu allen Zeiten an Chromsäurepräpa-
raten kernhaltige Zellen erkennen, die jedoch im frischen Zustande
nicht sichtbar sind.


Ich habe Ihnen vorhin bemerkt, dass die Schliessung des Me-
dullarrohres nicht am Halse, sondern am Kopfe beginne. Die Grenze
zwischen Rumpf und Kopf wird nämlich zu derselben Zeit durch
das Auftreten eigenthümlicher vierseitiger dunkler Flecken bezeich-
net, welche paarig unter der Medullarplatte erscheinen, so jedoch,

Fig. 19. Querschnitt durch einen Hühnerembryo vom zweiten Tage,
90—100mal vergr. dd Darmdrüsenblatt, ch Chorda, uw Urwirbel, uwh
Urwirbelhöhle, ao primitive Aorta, ung Urnierengang, sp Spalte in den Sei-
tenplatten (erste Andeutung der Pleuroperitonealhöhle), die durch dieselbe
in die Hautplatten hpl und Darmfaserplatten df zerfallen, die durch die Mittel-
platten mp untereinander zusammenhängen, mr Medullarrohr (Rückenmark),
h Hornblatt, stellenweise verdickt.


[49]Urwirbel.
dass sie dieselbe am Rande etwas überragen (Fig. 20). Es sind
diess die sogenannten »Urwirbel« oder die Anlagen und Vorläu-Urwirbel.
fer namentlich der Wirbelsäule und ihrer Mus-
keln, so wie der Nervenwurzeln, von denen sich
leicht nachweisen lässt, dass sie einem Zerfal-
len der Urwirbelplatten in einzelne Stücke ihren
Ursprung verdanken und im Allgemeinen wir-
belförmige Gebilde darstellen (Fig. 19 uw). Im
Anfange erscheinen nur zwei oder drei Paare
solcher Urwirbel, bald aber mehrt sich ihre
Zahl auf 6—7, welche ungefähr die Mitte der
Embryonalanlage einnehmen. Bis jetzt scheint
man ziemlich allgemein angenommen zu haben,
dass die ersten Urwirbel den vordern Rücken-
oder den hintersten Halswirbeln entsprechen,
besonders gestützt auf v. Baer’s Aeusserung,
dass vor und hinter denselben neue entstehen
und dann auch wegen ihrer Lage in der Mitte
der Embryonalanlage. Verfolgt man jedoch ihr
allmäliges Auftreten genauer, so ergibt sich,
dass die ersten derselben den vordersten
Halswirbeln entsprechen und dass alle neuen
Urwirbel immer hinter den vorhandenen auf-

Figure 20. Fig. 20.


treten, in welchem Sinne auch schon Remak vermuthungsweise sich
geäussert hat (l. c. pag. 12). Ist dem so, so ergibt sich allerdings
ein ganz eigenthümliches Verhalten der Hauptleibesabschnitte jun-
ger Embryonalanlagen zu einander, welches Ihnen die Fig. 20, dann
auch spätere Figuren von Säugethierembryonen versinnlichen wer-
den, in denen fast die Hälfte der Anlage auf den Kopf, etwas über

Fig. 20. Hühnerembryo vom Ende des ersten Tages in der Bauchlage,
etwa 15mal vergr. Nach Remak; hb Anlage des Vorderhirns oder blasenför-
mige vorn bei o noch offene Auftreibung am vordern Ende des Medullarrohres,
x Stelle, von wo an das Medullarrohr noch offen, die Rückenfurche noch nicht
geschlossen ist, mp die in Erhebung begriffenen Seitentheile der Medullar-
platte, z die Erweiterung der Rückenfurche in dieser Gegend, sh die Schlund-
höhle, y Grenze zwischen dieser und dem Vorderdarm vd, bezeichnet durch
den Umschlagsrand der Kopfscheide. Die hintere Grenze des Vorderdarms oder
der gesammten Kopfdarmhöhle wird bezeichnet durch den Umschlagsrand der
Kopfkappe (Vergl. Fig. 23). Die Umrisse des Embryo oder die Ränder der Sei-
tenplatten sind zu stark markirt.


Kölliker, Entwicklungsgeschichte. 4
[50]Achte Vorlesung.
ein Viertel auf die vordere Halsgegend und das letzte Viertel auf
Art des Wachs-
thums des Hüh-
nerembryo.
die übrigen Gegenden kommt. Zugleich erschliesst sich uns hieraus
ein bestimmtes Wachsthumsgesetz, indem sich ergibt, dass der Leib
des Vogels in einer bestimmten Richtung aus der indifferenten An-
lage sich hervorbildet, so dass erst der Kopf, dann der Hals und so
weiter erst die übrigen Theile nach und nach sich abgliedern. Diess
ist jedoch nicht so zu verstehen, als ob anfänglich die hintern Lei-
bestheile gar nicht angelegt seien, vielmehr ergibt sich aus der La-
gerung der Anschwellung der Chorda und der hintern Ausbuchtung
des Medullarrohres, welche im Laufe der Entwicklung immer mehr
vom Kopfe sich entfernen, dass wenigstens anfänglich der Theil der
Embryonalanlage, welcher unter fortwährendem Wachsthume in
immer neue Urwirbel sich sondert, nicht am allerhintersten Ende
derselben, sondern vor der Lendenanschwellung gelegen ist. Später,
wenn einmal alle Hals- und Brustwirbel angelegt, das Medullarrohr
und der Rücken ganz geschlossen und auch die untere Leibeshöhle
in der Beckengegend gegeben sind, scheint der Indifferenz- oder
Wachsthumspunct allmälig hinter die Lendenanschwellung verlegt zu
werden und schliesslich vielleicht ganz ans hintere Ende der Axe
selbst zu gelangen, wenigstens kann die Bildung eines freien län-
geren Schwanzes, der auch dem Hühnerembryo nicht fehlt, der vorn
schon Urwirbel zeigt und hinten noch nicht abgegliedert ist (S. Re-
mak
Tab. IV. Fig. 42), nicht anders gedeutet werden.


Soviel bekannt, gilt ein ähnliches Wachsthumsgesetz, wie das
eben für das Hühnchen auseinandergesetzte, für alle Wirbelthiere
und möchte bei genauerer Prüfung auch bei manchen Wirbellosen
nicht fehlen.


Bildung des
Darmes und der
Bauchwand.
Wir wenden uns nun zur Betrachtung der ersten Entwicklung
des Bauches, so wie der Darmanlage. Wie an der obern Seite der
Embryonalanlage die Mitte des äussern Keimblattes oder die Medul-
larplatte nach Bildung einer Furche allmälig zu einem Rohre sich
gestaltet, so treffen wir diess auch an der Bauchfläche am innern
Keimblatte (dem Darmdrüsenblatte), welches nach und nach zum
Epithelialrohre des Darmes sich umwandelt; in ähnlicher Weise
wie dort die Urwirbel und das Hornblatt — erstere freilich erst in
späterer Zeit vollständig — das gebildete Medullarrohr umschliessen,
so geschieht diess auch am Epithelialrohre der untern Seite durch
die Seitenplatten des mittleren Keimblattes und das ihnen anliegende
Hornblatt. So sehr nun aber auch in den Endergebnissen eine Ana-
[51]Bildung der Bauchwand.
logie der untern mit der obern Körpergegend hervortritt, so sind
doch die der Bildung der erstern zu Grunde liegenden Vorgänge in
ihren wesentlichen Erscheinungen andere. Am Rücken bildet sich
erst eine Längsfurche mit zwei seitlichen Erhebungen, den Rücken-
wülsten, und dann vereinigen sich diese in einer mittleren linien-
förmigen Naht, am Bauche dagegen wuchern die Seitenplatten nicht
blos von rechts und von links, sondern auch von vorn und hinten
her, mithin von allen Seiten nach unten, ihr Vorrücken geschieht
concentrisch, jedoch stärker von vorn her und die endliche Vereini-
gung hat in einem Puncte, dem Nabel, statt. Hier gibt es daher
keine mittlere Naht
, sondern nur Vereinigungspuncte
und zwar finden sich solche an allen drei Keimblättern, die an der
Bildung der Bauch- und Darmwand betheiligt sind.


Ausser dieser Hauptverschiedenheit finden sich nun noch an-
dere, die jedoch besser erst bei der speciellen Beschreibung hervor-
gehoben werden.



[[52]]

Neunte Vorlesung.


Kopfdarmhöhle.Meine Herren! Die einzelnen Vorgänge bei der Bildung der
Bauchwand, die in der letzten Stunde noch im Allgemeinen kurz ge-
schildert wurden, sind nun folgende. Fast gleichzeitig mit dem An-
fange des Verschlusses des Medullarrohres beginnt beim Hühnchen
die Bildung der Kopfdarmhöhle dadurch, dass die Seitenplatten
am vordern Leibesende — die hier mit den Urwirbelplatten zu den
sogenannten Kopfplatten verschmolzen sind — zuerst von vorn und
nach und nach auch von den Seiten her mit ihren Rändern nach unten
gegen den Dotter zu wuchern, wobei sie zugleich gegen einander sich
krümmen. Hierdurch löst sich das Kopfende der Embryonalanlage
von der Ebene des Fruchthofes ab (schnürt sich ab) und bildet sich
zugleich in demselben an der Dotterseite eine kleine blinde Höhle
Vorderer
Darmeingang.
(Fovea cardiacaWolff, Kopfdarmhöhle Remak), deren nach hinten
gerichtete Oeffnung der vordere Darmeingang (vordere Darm-
pforte Remak) heisst. Die untere und die Seitenwände dieser Höhle
werden übrigens von allen drei Keimblättern gebildet und setzen sich
dieselben am Rande der Darmpforte in die entsprechenden Blätter
des durchsichtigen Fruchthofes fort, welche hier unter dem sich ab-
schnürenden Kopfe eine von einem abgerundeten Walle begrenzte
Kopfkappe.leichte Grube bilden, und bei einer Ansicht von unten den Kopf
bedecken, und die sogenannte Kopfkappe bilden, unter welchem
Namen jedoch kein besonderer Theil der Keimhaut zu verstehen ist.


In weiterer Entwicklung (siehe Fig. 21, 22, 23, auch 20, an der
die Kopfdarmhöhle vom Rücken her zur Ansicht kommt) tritt der
Kopf durch selbständiges Wachsthum und durch die weiter rück-
wärts schreitende Verlängerung seiner Bauchwand immer mehr als
besonderes Gebilde hervor und wird zugleich die Kopfkappe grösser.
[53]Kopfdarmhöhle.
Zugleich ergeben sich in den Wandungen der Kopfdarmhöhle be-
merkenswerthe Veränderungen. In der vordern Wand derselbenSpaltung in den
Wandungen der
Kopfdarmhöhle.

beginnt, ausgehend vom Rande des vordern Darmeinganges, im Be-
reiche des mittleren Keimblattes (resp. der Seitenplatten oder der
seitlichen Theile von Remak’s Kopfplatten) ein Spaltungsprocess, der
in der Längsrichtung nach und nach über die ganze hintere Hälfte
der genannten Wand und seitlich so weit sich erstreckt, als die Sei-
tenplatten reichen, und auch noch etwas über den Bereich des Em-
bryo in die Kopfkappe übergeht. So entsteht an der Kopfdarm-
höhle ein Gegensatz zwischen einem vordern Theile, der Schlund-

Figure 21. Fig. 21.


Figure 22. Fig. 22.


höhle (Fig. 21), inSchlundhöhle.
welchem die Sei-
tenplatten, die bei
Remak hier nun
SchlundplattenSchlundplatten.
heissen, ungespal-
ten sind, und ei-
nem hintern Theile
(Fig. 22), der die
Anlage des übrigen
Vorderdarms, d. h.
der Speiseröhre,
und vor derselben
die erwähnte Spal-
tungslücke enthält,
die nichts anderes
ist als die Höhle, in

Fig. 21. Querschnitt durch den Kopf und Schlund eines 36 Stunden alten
Hühnerembryo vor der Herzhöhle. Nach Remak. h Hornblatt, s die ungespal-
tenen Seitenplatten, pa die primitiven Aorten, ae Aortenende des Herzens,
ks Kopfscheide (Amniosfalte), hk Herzkappe, beide innen vom mittleren Keim-
blatte (Fortsetzungen der Haut- und Darmfaserplatte), aussen vom Hornblatte
gebildet und seitlich verschmelzend, hh vorderer Ausläufer der Herzhöhle


Fig. 22. Querschnitt durch die Herzgegend eines 36 Stunden alten Hühner-
embryo. Nach Remak. gb Leichte Vertiefung am Hornblatte, aus welcher die
Labyrinthblase sich bildet, d Drüsenblatt, den Vorderdarm auskleidend,
df Darmfaserschicht desselben, hp Hautplatten, hier Halsplatten genannt, mit
einer leichten Erhebung jederseits, welche die beginnende Kopfscheide oder
Amniosfalte ist, up Urwirbelplatten, pa Primitive Aorten, h Herz mit einer
Scheidewand im Innern, hg Herzgekröse, hh Herzhöhle. Die untere Begrenzung
dieser Höhle wird von der nicht bezeichneten Herzkappe gebildet (s. Fig. 23).


[54]Neunte Vorlesung.
Herzhöhle.der das Herz sich bildet (HerzhöhleReichert, HalshöhleRe-
mak
). Die Begrenzungen derselben sind auf dem Querschnitte 4) ge-
gen die Wirbelsäule zu das obere Spaltungsblatt der vereinigten
Seitenplatten, das nun als äussere Wand des Vorderdarms erscheint
Darmfaserplatte.und Darmfaserplatte heisst (Fig. 22 df); 2) seitlich und unten
das untere oder äussere Spaltungsblatt, das wieder aus zwei Theilen
Hautplatten.besteht, nämlich a) den sogenannten Hautplatten hp (hier von
Remak Halsplatten genannt), welche mit dem Hornblatte vereint die
seitliche Leibeswand bilden und in die seitlichen Theile der Kopf-
Herzkappe.kappe übergehen und b) der sogenannten Herzkappe von Remak
oder dem Theile der Kopfkappe, welcher mit der Wand des Vorder-
darmes zusammenhängt, wie diess Fig. 23 lehrt. Im Längsschnitte
Herz.

Figure 23. Fig. 23.


(Fig. 23) sieht man, dass die Herzhöhle
hh auch in die Kopfkappe kk sich hin-
einzieht und sind ihre Begrenzungen
hier 1) nach hinten die Wand des Vorder-
darms df, 2) gegen den Kopf zu eine
Haut, die mit den Hautplatten zusam-
menhängt und später als Kopftheil des
Amnios erscheint ks, 3) gegen den Dot-
ter die Fortsetzung der Faserwand des
Vorderdarms oder die Herzkappe von
Remakhk. Das Herz selbst bildet sich
in der Wand des Vorderdarms aus der
Darmfaserplatte und ist anfänglich ein
solider gerader Zellenstrang, der aber
bald eine Höhlung erhält und auch sonst
rasch sich weiter umändert, wie diess
später beschrieben werden soll.


Während die geschilderten Vorgänge
schon am Ende des ersten Brüttages am
Kopfe sich einleiten, ist im ganzen übri-
gen Theile der Embryonalanlage von einer vordern und von seitlichen
Bauchwänden noch nichts zu bemerken. Erst viel später und zwar

Fig. 23. Längsschnitt durch die Axe des Vordertheils eines Hühnerem-
bryo vom Ende des ersten Tages. Nach Remak. Schematisch. h Hornblatt,
k Kopfplatten, m Medullarrohr, ch Chorda, d Drüsenblatt, df Faserschicht
des Vorderdarmes, aus welcher das Herz sich bildet, hh Herzhöhle, hk Herz-
kappe, ks Kopfscheide, kk Kopfkappe.


[55]Beckendarmhöhle.
am dritten Brüttage entsteht am hintern Ende der Embryonalanlage
in ähnlicher Weise wie vorn eine kleine Höhle, die Beckendarm-Beckendarm-
höhle, hinterer
Darmeingang.

höhle mit dem hintern Darmeingang und beginnen die Rän-
der der Seitenplatten auch in der Mitte sich nach unten zu biegen,
um dann nach und nach mit den mitwuchernden, am Kopf und Becken
schon vorhandenen Bauchwänden auch diejenigen der mittleren Theile
zu erzeugen. Die hierbei vorkommenden etwas schwieriger auf-
zufassenden Einzelnverhältnisse erläutere ich Ihnen am besten durch
einige Durchschnittszeichnungen. Fig. 24 zeigt Ihnen den Quer-Hühnerembryo
vom 2. Tage.

Figure 24. Fig. 24.


schnitt der Mitte des Rumpfes eines 36stündigen Embryo, bei dem,
obschon von einer Krümmung der Seitenplatten noch nichts zu sehen
ist, doch schon ein Vorgang sich eingeleitet hat, der mit der Bildung
der Peritonealhöhle zusammenhängt, nämlich die Spaltung derSpaltung der
Seitenplatten.

Seitenplatten in eine mit dem Hornblatte h verbunden bleibende
»Hautplatte« hpl und eine mit dem Darmdrüsenblatte d sich ver-Hautplatte.
einigende Darmfaserplatte df. Beide diese Platten gehen nachDarmfaserplatte.
aussen verschmelzend in das ungetheilte mittlere Keimblatt des
Fruchthofes über, nach innen dagegen hängen sie bogenförmig unter
sich zusammen, welcher Verbindungstheil mp die MittelplatteMittelplatte.
heisst, und grenzen hier an die Urwirbel uw und an die zwischen
beiden Theilen gelegenen primitiven Aorten ao und Urnierengänge
ung. Die zwischen den genannten Blättern befindlichen Lücken er-
strecken sich kanalartig durch den ganzen Randtheil des Embryo,
gehen am hintern Ende desselben bogenförmig in einander über und

Fig. 24. Querschnitt durch einen Hühnerembryo vom zweiten Tage,
90—100mal vergr. dd Darmdrüsenblatt, ch Chorda, uw Urwirbel, uwh
Urwirbelhöhle, ao primitive Aorta, ung Urnierengang, sp Spalte in den Sei-
tenplatten (erste Andeutung der Pleuroperitonealhöhle), die durch dieselbe
in die Hautplatten hpl und Darmfaserplatten df zerfallen, die durch die Mittel-
platten mp untereinander zusammenhängen, mr Medullarrohr (Rückenmark),
h Hornblatt, stellenweise verdickt.


[56]Neunte Vorlesung.
verbinden sich auch vorn mit der Spaltungslücke, in welcher das
Herz liegt.


Hühnerembryo
vom Ende des
2. Tages.
Ein weiteres Stadium zeigt Ihnen die Fig. 25, einen Querschnitt
durch den Rumpf eines Embryo vom Ende des zweiten Brüttages

Figure 25. Fig. 25


darstellend. Hier haben sich die Hautplatten hp mit dem ihnen
anliegenden verdickten Hornblatte h schon stark bogenförmig ge-
krümmt, und zugleich ist der Spaltungsprocess im mittleren Keim-
blatte über den Bereich des Embryo heraus eine Strecke weit in
den Fruchthof oder den peripherischen Theil der Keimhaut vorge-
schritten und hat sich die Fortsetzung der Hautplatten sammt dem
Amniosfalte.Hornblatte als Amniosfalte af erhoben. Nach innen gehen die
Hautplatten bogenförmig durch die Mittelplatten in die Darmfaser-
platten über, doch geht an der Umbiegungsstelle eine Fortsetzung
beider, die primitiven Aorten theilweise umgebend, näher an die
Mittellinie heran, eine Lage, die als erste Andeutung des Gekröses
erscheint. Die Bauchfläche des Embryo ist noch wenig vertieft,
doch bemerkt man eine vom Darmdrüsenblatte dd ausgekleidete
Darmrinne.Furche in der Mittellinie, die Darmrinne.


Hühnerembryo
vom 3. Tage.
Im Verlaufe biegen sich nun, wie die Fig. 26 zeigt, die Haut-
platten hp stark nach unten und gegen die Mittellinie zu, während
zugleich die Amniosfalte af gegen den Rücken sich erhebt. Das
Darmfaserblatt ist stärker und namentlich an der Umbiegungsstelle in
die Hautplatte unterhalb der näher gerückten primitiven Aorten ver-
Gekrös- oder
Mittelplatten.
dickt, welcher Theil nun schon eher den Namen der Gekrösplat-
ten
oder Mittelplatten (Remak) verdient. Es ist jedoch das

Fig. 25. Hälfte eines Querschnittes durch einen Hühnerembryo von 2 Ta-
gen, 90—100mal vergr.
Bezeichnung wie in Fig. 24. Ausserdem un Urniere, m Muskelplatte, p
Pleuroperitonealhöhle, af Seitenscheide oder Amniosfalte.


[57]Bildung des Mitteldarms.
Darmdrüsenblatt dd in der Mitte der tiefer gewordenen Darmrinne
dr noch immer nicht von einer Fortsetzung der Darmfaserplatten

Figure 26. Fig. 26.


bekleidet, sondern grenzt nach wie vor an die Chorda ch, nur dass
es jetzt etwas mehr von derselben getrennt ist als früher.


Figure 27. Fig. 27.

Endlich schildere ichHühnerembryo
von 5 Tagen.

Ihnen noch ein Stadium,
in welchem der Verschluss
der Bauchhöhle und des
Darmes fast zur Vollendung
gediehen sind. In Fig. 27
sehen Sie die Bauchhöhle
durch die Hautplatten hp
fast geschlossen und inner-
halb derselben den stark
rinnenförmigen Darmka-
nal, der mit seinen bei-
den Lagen, der Darm-
faserplatte df und dem
Darmdrüsenblatte d, in
die entsprechenden Häute
der peripherischen Keim-
schicht übergeht, welche

Fig. 26. Querschnitt eines Hühnerembryo vom Anfange des 3. Tages,
90—100mal vergr. Buchstaben wie in Fig. 25. vc Vena cardinalis.


Fig. 27. Querschnitt durch den Rumpf eines 5 tägigen Embryo in der Na-
belgegend. Nach Remak. sh Scheide der Chorda, h Hornblatt, am Amnios, fast


[58]Neunte Vorlesung.
nun schon den Dottersack bilden. Befestigt wird der Darm durch ein
Mesenterium.deutliches Gekröse, das von einer vor der Chorda und der Anlage
der Wirbelsäule gelegenen Masse ausgeht, welche die Wolff’schen
Körper, die jetzt unpaare Aorta sa und die Cardinalvenen vc ein-
schliesst und offenbar nichts anderes ist, als die nach innen gewu-
cherte und zu einer unpaaren Masse verschmolzene ursprüngliche
Umbiegungsstelle der Hautplatten in die Darmfaserplatten, aus wel-
cher Wucherung auch das Gekröse selbst hervorgeht.


Durch Verwachsung der Seitenplatten von allen Seiten her und
ebenso der Darmrinne in der Weise, die in der vorigen Stunde im
Allgemeinen characterisirt wurde, kommt nun endlich die Bildung
einer geschlossenen Leibes- und Darmhöhle zu Stande, welche ich
Ihnen wohl nicht durch eine besondere Zeichnung zu versinnlichen
brauche, um so mehr, da alles bisher noch nicht genau Erörterte,
wie die Schilderung des Verhältnisses des Amnios zur Bauchwand
und des Dottersackes zum Darme noch weiter zur Besprechung ge-
langen wird.


geschlossen, sa secundäre Aorta, vc Venae cardinales, mu Muskelplatte, g Spi-
nalganglion, v vordere Nervenwurzel, hp Hautplatte, up Fortsetzung der Ur-
wirbel in die Bauchwand (Urwirbelplatte Remak, Visceralplatte Reichert).
bh Primitive Bauchwand aus der Hautplatte und dem Hornblatt bestehend, df
Darmfaserplatte, d Darmdrüsenblatt, beide hier, wo der Darm im Verschlusse
begriffen ist, verdickt. Die Masse um die Chorda ist der in Bildung begriffene
Wirbelkörper, die vor den Gefässen enthält in den seitlichen Wülsten die Ur-
nieren und setzt sich in der Mitte ins Gekröse fort.


[[59]]

Zehnte Vorlesung.


Meine Herren! Wir haben den Hühnerembryo so weit verfolgt,
dass Sie im Allgemeinen zu erkennen im Stande sind, wie aus der
platten Embryonalanlage mit ihren 3 Blättern ein Leib von dem Ty-Innere Verände-
rungen des Hüh-
nerembryo.

pus eines Wirbelthieres sich entwickelt, nun fehlt Ihnen aber noch
jede Kenntniss der innern Veränderungen, durch welche die spätern
Organe und Systeme, wie Knochen, Muskeln, Nerven, Häute sich bil-
den. Betrachten Sie die in den Fig. 25 und 28 dargestellten Embryo-

Figure 28. Fig. 28.


nen und fragen Sie sich, ob Sie im Stande sind, zu errathen, wie aus
dieser im Innern so einfachen Anlage die mannigfachen spätern Theile
sich entfalten und Sie werden sicherlich davon abstehen müssen, eine
Antwort zu geben. Am Rücken und in der Leibesaxe finden Sie
über dem Rückenmark statt Haut, Muskeln, Knochen und den Häu-
ten des Organes selbst nichts als das Hornblatt, unten an der Stelle

Fig. 28. Querschnitt durch einen Hühnerembryo vom zweiten Tage,
90—100mal vergr. dd Darmdrüsenblatt, ch Chorda, uw Urwirbel, uwh
Urwirbelhöhle, ao primitive Aorta, ung Urnierengang, sp Spalte in den Sei-
tenplatten (erste Andeutung der Pleuroperitonealhöhle), die durch dieselbe
in die Hautplatten hpl und Darmfaserplatten df zerfallen, die durch die Mittel-
platten mp unter einander zusammenhängen, mr Medullarrohr (Rückenmark),
h Hornblatt, stellenweise verdickt.


[60]Zehnte Vorlesung.
der Wirbelsäule die Chorda dorsalis, unmittelbar angrenzend an das
Mark und an das Darmdrüsenblatt, seitlich die fast ganz zusammen-
hängende Zellenmasse der Urwirbel, und die seitliche Leibeswand be-
steht ebenfalls nur aus den gleichartigen Zellen der Hautplatten und aus
dem Hornblatte und zeigt von Muskeln, Nerven, Rippen, Cutis, Peri-
tonaeum keine Spur. Es ist das Verdienst von Rathke, Reichert und
vor Allem von Remak, genau ermittelt zu haben, wie diese innern
Vorgänge sich machen und gebe ich Ihnen nun im Folgenden nach
eigenen Untersuchungen, die fast in Allem als Bestätigungen derer
Remak’s dienen, eine kurze Schilderung derselben.


Umwandlungen
der Urwirbel.
Die Urwirbel, anfänglich ganz solide aus Zellen zusammen-
gesetzte Gebilde, entwickeln später eine Höhle im Innern, in Folge
eines Spaltungsprocesses, der mit der Spaltung der Seitenplatten
parallelisirt werden kann. Die Entwicklung und genaue Gestalt
Urwirbelhöhle.dieser Höhle ist schwer zu ermitteln. Remak lässt dieselbe schon
am zweiten Tage sich bilden und das ganze Innere der Urwirbel
einnehmen, die er am Anfange des dritten Tages dünnwandige Kap-
seln nennt; ich habe dieselbe zuerst in Gestalt einer Spalte gesehen,
und zwar zu einer Zeit, wo die Urwirbel von den Seitenplatten noch
nicht geschieden waren, wie die Fig. 17 lehrt. Später finde ich
(s. Fig. 28) eine rundliche Höhle, wie sie Remak beschreibt, allein
die Wandungen derselben waren immer eher dick zu nennen. Die
weiteren Veränderungen sehe ich wie Remak. Es wuchert nämlich
die untere Wand der Urwirbelblase, namentlich von der Umbie-
gungsstelle in die innere Wand aus, in die Höhle hinein und füllt
dieselbe mit einer immer breiter werdenden Wucherung nach und
nach so aus, dass von der ursprünglichen Höhle bald nur noch eine
Spalte übrig bleibt, welche anfänglich die Gestalt hat, die die Fig. 25
darstellt, später ganz schmal wird (Fig. 26) und schliesslich ver-
schwindet. Vorher hat sich jedoch — und hierin liegt die Haupt-
bedeutung dieses Spaltungsvorganges — die obere Wand der Höhle
Muskelplatte.als ein besonderes Gebilde, die Muskelplatte (Fig. 25, 26 m) (auch
Rückentafel bei Remak) von dem übrigen Urwirbel uw, den ich nun
Eigentlicher
Urwirbel.
den eigentlichen Urwirbel nenne (Wirbelkernmasse bei Remak),
abgelöst und bleibt fortan, auch nach dem Verschwinden der Spalte,
durch die Stellung und gestreckte Form ihrer Elemente als ein be-
sonderes Gebilde erkennbar.


In zweiter Linie umwachsen die eigentlichen Urwirbel die
Chorda, die vorläufig noch ihre frühere Stärke beibehält, und das
[61]Umwandlung der Urwirbel.
Rückenmark. Die Umschliessung des letztern geschieht am 4. Tage
durch eine dünne Lamelle, welche von den seitlich neben dem MarkUmschliessung
des Markes.

gelegenen Theilen der eigentlichen Urwirbel ausgeht und, zwischen
Mark und Hornblatt wuchernd, endlich mit derjenigen der andern

Figure 29. Fig. 29.


Seite verschmilzt (Fig. 29). Dies ist die obere Vereinigungs-Obere Vereini-
gungshaut.

haut (Membrana reuniens superior) von Rathke, welche auch mit
dem Namen der häutigen Wirbelbogen bezeichnet werden

Fig. 29. Querschnitt durch den hintern Theil des Rumpfes eines Hühner-
embryo von 4 Tagen, 90—100mal vergr. Die Buchstaben wie in Fig. 26, ao die
schon verschmolzenen 2 primitiven Aorten, vc Vena cardinalis. wh Häutige An-
lage des Wirbelkörpers, aus einem Theile des Urwirbels entstanden, die Chorda
nur unten umfassend. www Wenig scharf markirte Grenze der Producte des
Urwirbels gegen die Producte der Mittelplatten und die Aorta. wb Häutige Wir-
belbogen über dem Medullarrohr vereint (Membr. reuniens superiorRathke).
wq Fortsetzung der Wirbelanlage gegen die Bauchwand (Querfortsatz und
Rippe). mp Muskelplatte, hpr Hautplatte des Rückens, mh Hülle des Markes,
ein Product des Urwirbels, a Amnios, welches ganz geschlossen war, aber
nicht ausgezeichnet ist. Die Markhöhle ist auch mit mh bezeichnet.
Fig. 29, 17, 19, 25 und 26 sind bei derselben Vergrösserung möglichst ge-
treu nach der Natur gezeichnet und können daher auch benutzt werden, um
die Weise des Wachsthums der verschiedenen Organe zu verfolgen.


[62]Zehnte Vorlesung.
Umwachsung der
Chorda.
kann. Die Umwachsung der Chorda geschieht von den tieferen Thei-
len der eigentlichen Urwirbel aus und zwar zuerst an der untern
Seite derselben (Fig. 29) und später erst durch ein dünnes Blatt,
das zwischen ihr und dem Mark hineinwuchert (Fig. 27). So wird
die Chorda ganz von dem Blastem der eigentlichen Urwirbel um-
Aeussere Scheide
der Chorda.
schlossen, welches hier als äussere Scheide der Chorda be-
zeichnet werden kann und ist nun aus den eigentlichen Urwirbeln
Häutige
Wirbelsäule.
eine vollkommene Wirbelsäule, freilich noch im häutigen
Zustande, hervorgegangen. Aus dem unteren Theile der Urwirbel
hat sich die äussere Scheide der Chorda oder die Anlage der Wir-
belkörper entwickelt, aus dem oberen Theile die damit untrennbar
verschmolzenen häutigen oberen Bogen. Bogen- und Wirbel-
körperanlagen bilden übrigens auf eine kurze Zeit vor dem Auftre-
ten der Anlagen der Knorpelbogen und der spätern Wirbelkörper
eine ganz zusammenhängende Doppelröhre, die die Chorda und das
Mark einschliesst und an die häutigen Wirbelsäulen der Cyclosto-
men erinnert. Bald nach der Schliessung der häutigen Bogen über
dem Mark entwickeln sich in denselben durch histologische Diffe-
Knorpelige
Wirbelbogen.
Spinalganglien.
renzirung die Anlagen der Knorpelbogen und der vordern und
hintern Nervenwurzeln sammt den Spinalganglien. Es
zerfällt nämlich im Bereiche eines jeden Urwirbels der häutige Bo-
gen, abgesehen von dünnen Verbindungsstreifen, in den Rücken-
marksnerv und die Anlage des knorpeligen Wirbelbogens (Fig. 30).
Vom Nerven, welcher immer die vordere Seite des betreffenden Ur-
wirbelstückes einnimmt, erscheint zuerst das relativ ungemein
starke Spinalganglion gg und später erst wird seine Verbindung mit
dem Mark und die vordere Wurzel sichtbar. Die Wirbelbogenan-
lage b an der jeweilig hinteren Seite eines Urwirbels ist anfänglich
schmaler als das Ganglion und reicht noch nicht bis zur obern Mit-
tellinie, sondern verliert sich ohne Grenze in den oberen Theilen
Neue Gliederung
der Wirbelkör-
persäule.
der häutigen Bogen. — Während diese Theile sich absondern, er-
geben sich in den Anlagen der Wirbelkörper bemerkenswerthe Ver-
änderungen. Ich habe Ihnen schon vorhin angedeutet, dass nach
der Umhüllung der Chorda durch die eigentlichen Urwirbel diesel-
ben alle (Fig. 30 p) zu einer zusammenhängenden Masse verschmel-
zen. In dieser häutigen Wirbelkörpersäule oder äusseren Scheide
der Chorda ergeben sich aber sofort neue Gliederungen in der
Art, dass in den Gegenden, welche den mittleren Theilen der frühe-
ren Urwirbel entsprechen (Fig. 30 zw), neue Trennungslinien auf-
[63]Bleibende Wirbelkörper.
treten, durch welche die bleibenden Wirbelkörper bezeichnet wer-
den. Natürlich sind die Anlagen der Knorpelbogen mit diesen neuen

Figure 30. Fig. 30.


Abtheilungen vom Anfange an in einer
ganz bestimmten Verbindung und er-
gibt sich bei Vergleichung der Erzeug-
nisse der früheren Urwirbel und der
Zusammensetzung der bleibenden Wir-
belanlagen folgende Beziehung beider
zu einander. Jeder bleibende Wirbel,Theile der secun-
dären Wirbel.

z. B. der 6. Halswirbel, besteht 1) aus der
hintern Hälfte des 6. Urwirbels, 2) aus
der vordern Hälfte des siebenten, 3) aus
dem Bogen des 6. Urwirbels, der mehr
an der vordern Seite des neuen Wir-
belkörpers ansitzt. Ferner gehört nach
Remak zu diesem Wirbel das vor ihm
gelegene Lig. intervertebrale, das mithin ebenfalls aus der hintern
Hälfte des 6. Urwirbels sich bildet. Mit der Verrückung der primi-

Fig. 30. Halstheil der Urwirbelsäule eines Embryo vom 6. Brüttage, um
die Neugliederung der Wirbelkörpersäule zu erläutern. Das Medullarrohr ist
nach Spaltung der obern Vereinigungshaut entfernt und die Wände des Wirbel-
kanals so nach aussen geschlagen, dass die Urwirbelerzeugnisse von dieser
Seite her sichtbar werden. s Vorderstes, verkümmertes Ende der Chorda ohne
Gegensatz von Scheide und Axe, ch Chorda mit Unterschied von Scheide und
Axe a, erstere mit leichten Einschnürungen an den Grenzen der secundären
Wirbelkörper, x und y die beiden obersten Wirbelkörper, an denen die Gren-
zen der primitiven Wirbelkörper oder Urwirbel nicht mehr sichtbar sind.
An den sechs folgenden secundären Wirbelkörpern sind die Grenzen der
primitiven Wirbelkörper genau in der Mitte derselben noch sichtbar. t und z
die beiden letzten secundären Wirbelkörper, an denen die Grenzen der pri-
mitiven Körper nicht mehr zu sehen sind, zw Grenzen der secundären Wir-
belkörper, zugleich die Stellen der Zwischenwirbelbänder, b die Wirbelbo-
gen mit dem Kopftheile eines secundären oder mit dem Schwanztheile eines
primitiven Wirbelkörpers zusammenhängend, dem Schwanztheile einer Mus-
kelplatte mp entsprechend, jedoch auf den Kopftheil der folgenden Muskelplatte
ein wenig herüberragend, so dass jeder ein Bindestück zwischen je zwei Muskel-
platten bildet, mp die durchsichtigen Muskelplatten oder Rückentafeln, über
die Wirbelbogen hinausragend. Ihre Grenzlinien treffen verlängert mit denen
der primitiven Wirbelkörper zusammen; g die Spinalganglien, den Kopftheil
einer Muskelplatte einnehmend und dem Kopftheile eines primitiven oder dem
Schwanztheile eines secundären Wirbelkörpers entsprechend, ov Obere Ver-
einigungshaut, die vorläufig den Wirbelkanal schliesst, da weder Muskelplat-
ten noch Wirbelbogen zur Vereinigung gelangt sind. Nach Remak.


[64]Zehnte Vorlesung.
tiven Wirbelkörper, wenn man die Urwirbeltheile, die die Chorda
umschliessen, so nennen darf, ändert sich natürlich auch das
Verhältniss der Spinalganglien zu denselben in der Art, dass
das zu einem Bogen gehörende Ganglion, welches an den primitiven
Wirbeln in seiner Lage der vordern Hälfte des Wirbels entspricht,
an den bleibenden Wirbeln in den Bereich des hintern Abschnittes
des nächstvorhergehenden Wirbels gelangt, wie am besten die Fig. 30
lehrt, die Ihnen diese etwas schwierig aufzufassenden Verhältnisse
versinnlicht, welche bei p die ursprünglichen Grenzen der Wirbel
und ausserdem bei zw und sonst die Grenzen der bleibenden Wir-
bel zeigt. Sind die bleibenden Wirbel einmal angelegt, so beginnen
wichtige Vorgänge, welche nach und nach zur endlichen Vollendung
der Rücken- und Bauchwand des Embryo führen, und welche wesent-
lich darauf beruhen, dass die Producte der Urwirbel, d. h. die Mus-
kelplatte, der Spinalnerv und die Anlage des Knorpelbogens, theils
nach oben um das Mark herum, theils nach unten in die Bauchwand,
d. h. in die Hautplatten hineinwachsen, während zugleich diese
letzten Platten nach Remak auch selbst nach dem Rücken hinauf sich
Bildung
der Bauchwand.
entwickeln. Betrachten wir zuerst die Bildung der Bauchwand.
Die ursprüngliche Bauchwand (Fig. 26) besteht, wie Sie
wissen, aus der äussern Lamelle der Seitenplatten oder den Haut-
platten sp und dem hier verdickten Hornblatte. Anfänglich von den
Urwirbeln getrennt verwachsen später die Hautplatten mit densel-
ben (Fig. 31) und nun beginnen die Muskelplatte mu einerseits und
der Spinalnerv g, v und der Wirbelbogen anderseits in dieselben
hineinzuwuchern in der Art, dass sie die Hautplatten in einen dicke-
ren äussern und einen dünneren innern Theil sondern oder spalten.
Ist dieser Vorgang bis zu einer gewissen Entwicklung gelangt, so
besteht dann die Bauchwand aus folgenden Schichten: 1) dem Horn-
blatte, 2) der äussern dickern Lage der Hautplatten oder der Anlage
der Cutis, 3) der Muskelplatte oder der Anlage der visceralen Mus-
keln (Intercostales etc.), 4) und 5) der in einer Schicht liegenden
Anlage der Rippen und Nervi intercostales und 6) der innern Schicht
der Hautplatte oder der Anlage der serösen Auskleidung der Pleu-
roperitonealhöhle. Es versteht sich von selbst, dass die Rippenanla-
gen, welche ja von den Bogen ausgehen, dieselben Beziehungen zu
den Urwirbeln und zu den bleibenden Wirbelkörpern darbieten,
wie die Bogen, so dass jede Rippe ihrer Entwicklung nach zu dem
vor ihr gelegenen Intercostalnerven zählt. Ebenso gehört, da jede
[65]Entwicklung der Bauchwand.
Muskelplatte einem Urwirbel entspricht, jede Gruppe von Intercos-
talmuskeln zu der hinter ihr gelegenen Rippe. Wo keine Rippen

Figure 31. Fig. 31.


sich finden, fehlt das Her-
einwachsen der Urwir-
belproducte in die Bauch-
wand doch nicht, be-
schränkt sich aber auf
Muskeln und Nerven und
gehören daher die Bauch-
muskeln in dieselbe Mus-
kelgruppe wie die Zwi-
schenrippenmuskeln.


Der Erste, der die
ebengeschilderten Vor-
gänge beobachtet hat,
Rathke, nennt die ur-
sprüngliche Bauchwand
die untere Vereinigungs-
haut (Membrana reuniens
inferior
) und die Producte
der Urwirbel die Bauchplatten, doch hat Rathke darin geirrt,
dass er die Vereinigungshaut durch die Bauchplatten verdrängt wer-
den lässt. Hierauf hat Reichert gesehen, dass die Bauchplatten, die
er »Visceralplatten« nennt, nur in die Bauchwand hineinwachsen,
und endlich Remak eine sehr gelungene Darstellung des ganzen Vor-
ganges gegeben, die ich vollkommen bestätigen kann.


Ihre letzte Ausbildung erreicht die Bauchwand dadurch, dass,Letzte Ausbil-
dung der Bauch-
wand.

nachdem die Rippenanlagen verknorpelt und die einzelnen Muskeln
ausgebildet sind, was lange vor der Zeit geschieht, wo die Bauch-
platten die vordere Mittellinie erreicht haben, nun diese Theile selbst

Fig. 31. Querschnitt durch den Rumpf eines 5 tägigen Embryo in der Na-
belgegend. Nach Remak. sh Scheide der Chorda, h Hornblatt, am Amnios, fast
geschlossen, sa secundäre Aorta, vc Venae cardinales, mu Muskelplatte, g Spi-
nalganglion, v vordere Nervenwurzel, hp Hauptplatte, up Fortsetzung der Ur-
wirbel in die Bauchwand (Urwirbelplatte Remak, Visceralplatte Reichert).
bh Primitive Bauchwand aus der Hauptplatte und dem Hornblatt bestehend,
df Darmfaserplatte, d Darmdrüsenblatt, beide hier, wo der Darm im Verschlusse
begriffen ist, verdickt. Die Masse um die Chorda ist der in Bildung begriffene
Wirbelkörper, die vor den Gefässen enthält in den seitlichen Wülsten die Ur-
nieren und setzt sich in der Mitte ins Gekröse fort.


Kölliker, Entwicklungsgeschichte. 5
[66]Zehnte Vorlesung.
durch fortgesetztes Wachsthum in der ursprünglichen Bauchwand
sich weiter schieben, bis sie endlich in der vordern Mittellinie ent-
weder zur Berührung kommen, wie die Recti abdominis, oder selbst
verwachsen, wie die Rippen mit dem Brustbeine, wovon später
noch weiter gehandelt werden soll.


[[67]]

Eilfte Vorlesung.


Meine Herren! Bei der Ausbildung des Rückens ist nach RemakBildung der
Hautplatten des
Rückens.

der erste Schritt zur Vollendung der, dass die Hautplatten der Bauch-
wand mit ihrem aussen an den Bauchplatten gelegenen und dicht
an die Urwirbel angrenzenden Theile nach dem Rücken her-
auf wuchern
und nach und nach als Hautplatten des Rü-
ckens
, zwischen den Muskelplatten und dem Hornblatte sich fort-
schiebend, die obere Mittellinie erreichen, wo sie dann, zwischen dem
Hornblatte und den häutigen Bogen (der oberen Vereinigungshaut
von Rathke) gelegen, verschmelzen. Von diesem merkwürdigen
Vorgange, nach dem somit die Cutis des Rückens — denn die ge-
nannten Ausläufer der Hautplatten sind nichts Anderes — von
den ursprünglichen Seitenplatten der Embryonalanlage abstammen
würde, hat zuerst Reichert Andeutungen gegeben (Entwicklungs-
leben etc. St. 133 flgde, St. 164), doch rechnet er auch die Mem-
brana reuniens superior
zu seinem Hautsystem, was ich mit Remak
für unrichtig halten muss. Im Uebrigen hat Remak Reichert’s An-
gaben bestätigt und, freilich ohne genauere Mittheilungen zu bringen,
einfach angegeben (Entw. St. 48), dass die Haut des Rückens von
der Hautplatte der Bauchwand abstamme. Was mich betrifft, so
habe ich mir viele Mühe gegeben, die Bildung der Haut des Rückens
zu verfolgen. Es ist mir jedoch nie gelungen, ein allmäliges Her-
aufwachsen der Seitenplatten zu bemerken. In allen Fällen war
entweder, wie in Fig. 26, von der Hautschicht des Rückens noch gar
nichts zu sehen, oder sie war in der ganzen Breite desselben, mit
Ausnahme der Gegend über dem Medullarrohre selbst, angelegt, wie
in Fig. 29 und 32. Ich bin so schliesslich zur Ueberzeugung gelangt,
dass die Haut des Rückens durch eine Spaltung der Muskelplatte
5*
[68]Eilfte Vorlesung.
entsteht und nichts als die äussere Schicht derselben ist. Zur Be-
stätigung dieser Auffassung kann ich Ihnen noch bemerken, dass
auch Remak, wenigstens beim Frosche, für die Kopfhaut eine Entste-
hung derselben an Ort und Stelle zugleich mit der Schliessung des
Medullarrohres statuirt (Entw. St. 155), was meinen Erfahrungen
zufolge auch für das Hühnchen gilt.


Weitere
Ausbildung des
Rückens.
Ist die Hautschicht des Rückens einmal angelegt, so wird der
Rücken langsam dadurch vollendet, dass erstens die Wirbelbogen,
die mittlerweile verknorpeln, mit ihren obern Enden in den ur-
sprünglichen häutigen Bogen einander entgegenwachsen und endlich
verschmelzen, was jedoch erst spät geschieht, zweitens die Haut-
platten ebenfalls in der Mittellinie von beiden Seiten her sich ver-
einen und drittens die Muskelplatten auch nach oben Ausläufer
senden, aus denen dann, zusammen mit den übrigen im Bereiche der
Wirbelanlagen gelegenen Theilen derselben, die vertebralen Muskeln
(tieferen Rückenmuskeln) sich gestalten, deren Beziehungen zu den
Urwirbeln und den bleibenden Wirbeln, wenigstens bei den von
Wirbel zu Wirbel sich wiederholenden Muskeln, dieselben sind, wie
die der Intercostales. Zu der Muskelplatte des Rückens gesellt sich
dann natürlich auch noch ein Ast des Spinalnervens, der Ramus
posterior
, doch ist es mir noch nicht gelungen, in einer früheren
Zeit desselben ansichtig zu werden.


Erste Bildung der
Extremitäten.
Ich gebe Ihnen nun noch einige Andeutungen über die erste
Bildung der Extremitäten und über die den geschilderten Vorgängen

Figure 32. Fig. 32.


analogen Erscheinungen
am Halse und Kopfe.
Die erste Andeutung der
Extremitäten zeigt sich
in einer Verdickung
der Hautplatten. Ist
diese stärker geworden
und als kleiner Stummel
hervorgetreten (Fig. 32),
so zeigt sich auch schon
eine Verbindung des
Axentheils der Anlage
mit einem Auswuchse

Fig. 32. Querschnitt durch die Beckengegend und Allantois eines Hühner-
embryo mit eben hervorsprossenden hintern Extremitäten (vom 5. Tage), etwa


[69]Bildung der Extremitäten.
der Urwirbel, an dem deutlich die Muskelplatte und der Spinalnerv
sich betheiligt. Im weitern Verlaufe wuchern die Nerven entschie-
den in die Extremitätenanlage hinein und erscheinen an jungen An-
lagen als unverhältnissmässig mächtige Bildungen (S. Remak l. c.
Taf. IV. Fig. 43); was dagegen die Knochen und Muskeln betrifft,
so ist es noch Niemand gelungen, nachzuweisen, ob dieselben un-

Figure 33. Fig. 33.


abhängig von den Urwir-
beln oder aus einem von
diesen hineingewucherten
Blasteme sich erzeugen
(Fig. 33). Meinen Erfah-
rungen zufolge scheint mir
das erstere wahrscheinli-
cher, doch bin ich weit da-
von entfernt, in dieser Be-
ziehung eine bestimmte An-
sicht äussern zu können. —
Auffallend ist die von Remak
gefundene sehr bedeutende
Verdickung des Hornblattes
am Ende des Extremitäten-
stummels (Fig. 32 h′).


30mal vergr. ch Chorda, m Medullarrohr, ao hintere Aorten (Schwanztheil),
die in die Art umbilicales sich fortsetzen, vc Venae cardinales, un Urnieren,
mp Muskelplatte, etwas in die Extremitätenanlage sich hinein erstreckend,
np Hautplatte des Rückens, h Hornblatt, h′ stark verdickte Stelle desselben an
der Spitze des Extremitätenstummels, a Amnios (nicht ausgezeichnet) mit sei-
nen beiden Lagen, dem Hornblatte und der Hautplatte, d Höhle des Hinter-
darms, dd Darmdrüsenblätt oder Epithel, df Darmfaserplatte, an der aussen
schon die Serosa deutlich ist, den Darm nicht ganz umgebend, p Peritonal-
höhle, sl seitliche Leibeswand in vb die vordere Bauchwand übergehend,
al Allantois mit der Bauchwand noch verbunden und von einer dünneren Fort-
setzung des Darmdrüsenblattes ausgekleidet.


Fig. 33. Querschnitt eines Hühnerembryo vom 4. Tage in der Gegend der
vordern Extremitäten, etwa 20mal vergr. Nach Remak. zu beiden Seiten des
Rückenmarks sieht man die Muskelplatte, die hintere Nervenwurzel mit dem
Ganglion und die vordere Wurzel, alle drei in die Extremität sich fortsetzend
und in der helleren Axe derselben E sich verlierend. Unter der Chorda zeigen
sich die verschmolzenen Aorten, zu beiden Seiten die Cardinalvenen, unter
diesen die Urnieren. Der Darm ist fast geschlossen, das Amnios ganz gebildet
und mit beiden Lagen der nach innen von den Extremitätenanlagen befindlichen
seitlichen Bauchwand, der Hautplatte und dem Hornblatte, verbunden.


[70]Eilfte Vorlesung.

Innere Ausbil-
dung von Kopf
und Hals.
Was den Kopf und Hals anlangt, so geschieht die innere Aus-
bildung derselben zwar im Wesentlichen nach denselben Gesetzen,
wie sie beim Rumpfe dargelegt wurden, es zeigt sich jedoch hier der
bedeutende Unterschied, einmal, dass die Urwirbelplatten und Sei-
tenplatten mit einander verbunden bleiben, und zweitens, dass die-
selben auch nicht in der Längsrichtung in einzelne Stücke sich son-
dern, mit andern Worten: es finden sich am Kopfe keine Urwirbel und
auch später, so lange derselbe noch knorplig ist, keine Wirbelabthei-
lungen und eben so wenig Bildungen, welche den häutigen oder
weichen Anlagen der Bogen verglichen werden könnten. Im Ein-
zelnen gestalten sich die Haupterscheinungen folgendermaassen.


Bildung des
Schädels.
Die Urwirbelplatten umwachsen mit ihren innern Theilen die
Chorda früh von oben und von unten und stellen so eine häutige
Anlage der Schädelbasis dar. Später umgeben sie mit ihren obern
Theilen nach Analogie der Membrana reuniens superior der Wirbel-
säule auch das Gehirn und bilden so eine häutige Schädelkapsel, die
dann nachher in einen äussern Theil, die Haut, und einen innern,
die eigentliche häutige Schädelkapsel sich differenzirt. In den
Bauchwänden des Kopfes und Halses erleiden die ursprünglich
dieselben mit dem Hornblatte zusammensetzenden Seitenplatten
später eine Verdickung, die von den mit ihnen verschmolzenen Ur-
wirbelplatten ausgeht und nach und nach auf die Seitenwände über-
geht, jedoch die Mittellinie der vordern Wand anfänglich nicht er-
Schlundplatten.reicht. Dann bilden sich seitlich je 4 Spalten, die Schlund- oder
Kiemenspalten, welche von aussen bis in den Schlund führen,
und vor der ersten Spalte in der untern Mittellinie unter dem Ende
des Gehirns entsteht durch Einbuchtung und Durchbrechen von
Mund.aussen der Mund. Die die erste, zweite und dritte Spalte von vorn
her begrenzenden Theile der Schlundwände verdicken sich und
Schlundbogen.heissen die Schlundbogen, und aus diesen entwickeln sich
dann, wie wir später sehen werden, wenn die Schlundspalten, mit
Ausnahme der ersten, die zum äusseren und mittleren Ohre wird,
schon lange geschlossen sind, das Zungenbein, die Gehörknöchel-
chen und noch einige andere Theile des Kopfskeletts.


Hiermit schliesse ich die zusammenhängende Betrachtung der
Entwicklung des Hühnchens ab, indem ich Ihnen nun das nöthige
Material an die Hand gegeben habe, aus dem Sie das Gesetzmässige
in der Entwicklung der Wirbelthiere zu erkennen und herzuleiten
im Stande sind. Nehmen Sie als Ausgangspunct eine Embryonal-
[71]Bildungsgesetz des Wirbelthieres.
anlage von der Zusammensetzung der in Fig. 34 gezeichneten, soDie drei Lagen
des jungen Em-
bryo.

erkennen Sie an derselben drei Hauptlagen: 1) das Hornblatt, 2) das

Figure 34. Fig. 34.


mittlere Keimblatt mit der Medullarplatte und 3) das Darmdrüsen-
blatt, mit andern Worten: zwei einfache epitheliale dünne Lagen und
eine innere mächtigere Masse mit früh auftretenden Sonderungen.
Die Bedeutung dieser Lagen für die späteren Bildungen ist die:
Aus dem Hornblatte entwickelt sich die gesammte Epidermis des
Körpers, die Hornbildungen (Nägel, Federn), alle Hautdrüsen ohneLeistungen des
Hornblattes,

Ausnahme, mit Inbegriff derer, die in die Mundhöhle ausgehen,
die Linse im Auge und die epitheliale Auskleidung der Mundhöhle,
der Nasenhöhle und des Ohrlabyrinths. Das Darmdrüsenblattdes Darmdrüsen-
blattes,

liefert die gesammte epitheliale Auskleidung des Darmkanals mit
den kleineren Darmdrüsen und die zelligen Elemente des Pan-
creas, der Leber, der Lungen, der Thyreoidea und der bleiben-
den Nieren. Das mittlere Keimblatt sammt der Medullar-des mittleren
Keimblattes und
der Medullar-
platte.

platte endlich erzeugt alle gefässhaltigen Theile des Körpers, das
Nervensystem, Muskelsystem, Knochensystem, alle bindegewebigen
Unterlagen und Hüllen, wie die Cutis, die gefässhaltige Darmhaut,
die Hüllen der Drüsen, und natürlich alle Organe des Gefässsystems,
namentlich auch die Lymphdrüsen, die Milz, die Thymus. Ausser-
dem bildet dasselbe aber auch gewisse epitheliale Auskleidungen,
wie die der Urnieren, der keimerzeugenden Theile des Geschlechts-
apparates und der serösen Häute. Das Vermögen zur Schaffung ge-
fässloser epithelialer Bildungen und von Drüsen fehlt somit allerdings
dem mittleren Keimblatte nicht, was die Einfachheit der Verhält-

Fig. 34. Querschnitt durch einen Hühnerembryo vom zweiten Tage,
90—100mal vergr. dd Darmdrüsenblatt, ch Chorda, uw Urwirbel, uwh
Urwirbelhöhle, ao primitive Aorta, ung Urnierengang, sp Spalte in den Sei-
tenplatten (erste Andeutung der Pleuroperitonealhöhle), die durch dieselbe
in die Hautplatten hpl und Darmfaserplatten df zerfallen, die durch die Mittel-
platten mp unter einander zusammenhängen, mr Medullarrohr (Rückenmark),
h Hornblatt, stellenweise verdickt.


[72]Eilfte Vorlesung.
nisse etwas stört, allein dieselbe wird doch nur da in Anspruch ge-
nommen, wo der Lage der Theile nach die Leistungen der zwei epi-
thelialen Blätter sich nicht wohl entfalten konnten. Gehen wir auf
die erste Entwicklung zurück, so finden wir, dass, während das
mittlere Keimblatt und das Darmdrüsenblatt in derselben Bedeutung
wie später dastehen, das Hornblatt und die Medullarplatte aus Einer
und derselben Schicht, dem äussern Keimblatte, hervorgehen. Die-
Entwicklung der
Medullarplatte.
ses Verhalten ist so auffallend und liegt der Gedanke so nahe, dass
die Medullarplatte aus dem mittleren Keimblatte hervorgehe, das
sonst alle gefässhaltigen Theile liefert, dass es sich wohl der Mühe
lohnt, die Thatsachen genau zu prüfen und vor Allem zu fragen, ob
nicht die Medullarplatte bei ihrem Entstehen von einer Fortsetzung
des Hornblattes bekleidet sei, wie diess in der That Reichert seiner
Zeit angegeben hat. Ich habe ebenso wie Remak, der der Medullar-
platte zuerst die angegebene Entstehungsweise zuschreibt, das erste
Auftreten derselben aufs sorgfältigste verfolgt und bin hierbei
(Fig. 35) zur bestimmtesten Ueberzeugung gelangt, dass dieselbe in

Figure 35. Fig. 35.


ihrer Totalität eine
Fortsetzung des
Hornblattes ist.

Von einer epithelialen
Auskleidung der An-
lage des Nervensystems
ist nicht nur in den ersten zwei Brüttagen durchaus nichts zu sehen,
sondern man vermisst dieselbe auch noch in späterer Zeit, wie am
4. und 5. Tage. Auch beim Frosche, auf den man besonderes Ge-
wicht gelegt hat, sind die Verhältnisse wesentlich eben so. Das
Hornblatt besteht hier aus einer äusseren braunen und einer tieferen
hellen Zellenschicht, die beide sich in die Medullarplatte fortsetzen.
Nach seiner Schliessung besteht das Medullarrohr aus zwei Schich-
ten, von denen die innere dunkle nun allerdings wie ein Epithel
erscheint, allein ich finde, wie Remak (Entw. St. 149), dass auch
diese an der Bildung der Nervensubstanz sich betheiligt. Sollte aber

Fig. 35. Querschnitt durch die Anlage eines Hühnerembryo vom Ende des
ersten Tages 90—100mal vergr. ch Chorda; uwp Urwirbelplatte mit einer
Spalte uwh, vielleicht der ersten Andeutung der spätern Höhle der Urwirbel;
sp Seitenplatten mit den Urwirbelplatten hier noch verschmolzen, dd Darmdrü-
senblatt, h Hornblatt, m Medullarplatte. Beide zusammen sind in eine starke
Falte, die Medullarwülste oder Rückenwülste erhoben, die die breite Rücken-
furche Rf begrenzen, in deren Mitte noch die Primitivrinne Pr sichtbar ist.


[73]Bildungsgesetz des Wirbelthieres.
auch diese Lage vielleicht blos zum Epithel des Kanales sich gestal-
ten, der auch beim Frosche zeitlebens im Rückenmark sich erhält,
so würde die Nervenmasse doch aus Einer Anlage mit dem Horn-
blatte entstehen, denn es ist ja auch die äussere helle Lage des Me-
dullarrohres eine unmittelbare Fortsetzung der tiefern Lage des
Hornblattes.


Wir kommen somit zur unzweifelhaften Erkenntniss, dass das
centrale Nervensystem und die Epidermis eine und dieselbe Uran-
lage haben und will ich Ihnen nur noch bemerken, dass nach dem
jetzigen Stande der feineren Anatomie diese Sachlage nicht mehr
das Befremdende hat, das sie noch zu der Zeit besass, als Remak sie
auffand, indem wir jetzt wissen, dass an gewissen Orten, wie in
der Geruchsschleimhaut und im Labyrinthe und vielleicht noch an-
derwärts, auch Bestandtheile von Epithelien wirklich nervöse Natur
besitzen und mit tieferen Nerven zusammenhängen.


Die morphologischen Vorgänge bei der Umbildung der dreiMorphologische
Vorgänge bei der
Umbildung der
drei Keimblätter.

Keimblätter in die aufgezälten Organe sind im Einzelnen sehr
verschieden; doch findet sich Ein Gedanke überall wieder, der der
Umbildung von Blättern oder hautförmigen Anlagen in Röhren.
Wenn Sie für einmal von den spätern Umgestaltungen des mittleren
Keimblattes absehen, so ist das Grundphänomen bei der Bildung des
Wirbelthiers das, dass aus der blattförmigen Anlage durch paarige
Wucherungen von einer Axe aus nach oben und nach unten (Evolu-
tio bigemina
v. Baer), genauer bezeichnet: durch Umbiegen der Sei-
tenränder nach unten und Bildung von Längswulsten neben der
obern Mittellinie, die dann zu einem Kanale schliessen, ein Leib
mit einer obern Nervenhöhle und einer untern Visceralhöhle ent-
steht. Das äussere Keimblatt erzeugt hierbei nothwendig eine
Doppelröhre, nämlich einmal die Umhüllung des Ganzen oder
das Hornblatt (Epidermis) und zweitens mit seinem mittlern Theile
das Nervenrohr, während das untere Blatt nur eine einfache Röhre
bildet, das Darmepithelialrohr. Das mittlere Keimblatt liefert die
Axe, die Chorda, und dann die Begrenzungen des Nerven- und
Eingeweiderohres oder die Urwirbel und die Seitenplatten, welche
die betreffenden Röhren freilich anfänglich nicht vollkommen um-
umgeben. Ist so die erste Anlage gegeben, so wird dieselbe einzig
und allein durch Leistungen des mittleren Keimblattes vervollstän-
digt. Statt der primitiven Axe entsteht eine bleibende dadurch,
dass die Urwirbel die Chorda umwachsen, und so die Wirbelkör-
[74]Eilfte Vorlesung.
peranlagen liefern. Der übrige Theil der Urwirbel dient zur Ver-
vollständigung der Rücken- und der Bauchwand. Der erstern liefert
er, durch Spaltung in verschiedene Lagen und zugleich durch Wuche-
rung nach der obern Mittellinie zu, die Hüllen des Medullarrohres, die
Wirbelbogen und Nervenstämme und durch die Muskelplatte auch
die tieferen Muskelschichten (die vertebralen Muskeln Arnold) und
die Haut; der letztern gibt er ebenfalls die Knochen (Rippen und
Brustbein), die Muskeln (die visceralen Muskeln Arnold) und Nerven,
welche Theile alle aus den Seitentheilen der ursprünglichen Urwir-
bel hervorsprossen, d. h. von den Wirbelbogen, der Muskelplatte
und den Nervenstämmen aus in die Seitenplatten hineinwachsen,
die dadurch in eine Cutisschicht und eine innere Lage (Darmfaser-
haut oder, wie im Bereiche der Pleuroperitonealhöhle, in die Serosa)
gespalten wird. Während diess geschieht, wuchern die Seitenplat-
ten, die im ganzen Bereiche der Pleuroperitonealhöhle in eine äussere
Hautplatte und eine innere Darmfaserplatte sich gespalten haben,
mit ihrem innern Ende nach innen unter der Axe durch zur Ver-
vollständigung der Darmwand und zur Erzeugung des Gekröses,
wo ein solches vorhanden ist. Wo Extremitäten vorkommen, sind
sie Erzeugnisse der Seitenplatten, und zwar der äussern Schicht
derselben, welche an der Grenze gegen den Rücken einmal zu Mus-
kel- und Knorpelanlagen sich differenzirt, die dann zur Bildung des
Extremitätengürtels und seiner Muskeln in die Rücken- und Bauch-
wand hineinwuchern und zweitens durch mächtige Wucherung
nach aussen die Anlage der eigentlichen Extremität erzeugen, welche
dann unter Mitbetheiligung der von den Urwirbeln aus einwachsen-
den Nerven weiter in ihre einzelnen Theile sich sondert. — So
entsteht durch ein merkwürdiges Ineinandergreifen der Leistungen
der Urwirbel- und der Seitenplatten, das ganze verwickelte Gefüge
des Innern des Leibes.


Ueberblicken wir noch einmal das Ganze, so können wir sagen,
dass der Leib des Hühnchens (und des Wirbelthiers) aus drei
Keimblättern
und sechs primitiven Organen, von denen
zwei paarig sind, und zwar 1) dem Hornblatte, 2) dem Darmdrü-
senblatte, 3) der Medullarplatte, 4) der Chorda, 5) den Urwirbel-
platten und 6) den Seitenplatten sich aufbaut und wird Ihnen jeder
Schritt, den wir in der Verfolgung der Entwicklung der einzelnen
Organe weiter thun werden, eine neue Bestätigung dieser Sätze
bringen.


[[75]]

Zwölfte Vorlesung.


Meine Herren! Wir haben das Kaninchenei in dem StadiumEntwicklung des
Säugethiereies.

verlassen, in welchem dasselbe innerhalb der mit kleinen structur-
losen Zöttchen besetzten Dotterhaut, oder des primitiven Chorion,
aus einer doppelschichtigen Keimblase bestand, an welcher
an einer Stelle eine beiden Lagen der Blase angehörige Verdickung,
der Fruchthof, sich fand und wenden wir uns nun an der Hand
der über den Hühnerembryo erlangten Kenntnisse zur Schilderung
und Deutung der weiteren Veränderungen desselben.


Zunächst und vor Allem möchte ich Ihnen sagen, dass nachSchichten der
Keimblase.

Allem, was wir über die Entwicklung der Säugethiere wissen, nicht
bezweifelt werden kann, dass, analog den Veränderungen beim Hühn-
chen, die Keimblase bei der weitern Entwicklung ebenfalls in
drei Blätter zerfällt. Das innerste oder das Darmdrüsenblatt
(S. Fig. 47, 1) bildet eine ganz geschlossene einschichtige Blase und
besteht aus der innern Zellenschicht der Keimblase und den tiefsten
Zellen in der Gegend des Fruchthofes. Das zweite oder mittlere
Keimblatt reicht nur so weit als der Fruchthof
und
verdankt seinen Ursprung, wie beim Hühnchen, ganz bestimmt der
ursprünglichen innern Schicht der Keimblase, von der Bischoff be-
stimmt dargethan hat, dass sie, sowie der Fruchthof sichtbar wird,
auch eine Verdickung hat. Das äussere Keimblatt endlich be-
steht aus der äusseren Zellenlage der doppelschichtigen Keimblase
und der äusseren Schicht des Fruchthofes und besitzt im Bereiche
des Fruchthofes von der Zeit des Auftretens desselben an eine Ver-
dickung, deren eigentliche Entwicklung hier eben so wenig klar ist
wie beim Hühnchen. In der Fig. 47, 1 ist dieser Zustand der Keim-
blase, jedoch nach dem Auftreten der Embryonalanlage dargestellt
[76]Zwölfte Vorlesung.
und bedeuten die Buchstaben ak, mk, ik die drei Keimblätter, an
denen bei zweien auch die Embryonalanlage durch eine Verdickung
dargestellt ist.


Veränderungen
des Fruchthofes.
Während die erwähnte Spaltung der Keimblase eintritt, wächst
dieselbe und zeigen sich bald weitere Veränderungen. Sobald näm-
lich dieselbe den Durchmesser von 6‴ überschritten hat, zeigen sich
am Fruchthofe, der mit der Blase, jedoch einzig und allein
durch Wachsthum der mittleren Keimschicht,
sich ver-
grössert, die ersten Veränderungen, die auf die Bildung des Embryo
hindeuten, indem ein Gegensatz zwischen einer helleren Mitte, der
Area pellucida.Area pellucida, dem durchsichtigen Fruchthofe, und
Area opaca.einem dunkleren Randsaume, der Area opaca, dem dunklen
Fruchthofe,
auftritt, worauf dann der ganze Fruchthof aus der
runden in eine länglich-runde Gestalt übergeht. Ist derselbe eiför-
Embryonalan-
lage.

Primitivrinne.

Figure 36. Fig. 36.


mig geworden (Fig 36), so zeigt
sich die Embryonalanlage in
Gestalt eines länglichen, dichteren
Schildchens in der Mitte des-
selben und auf diesem erscheint
dann ziemlich gleichzeitig auch
die Primitivrinne als eine
schmale, die Enden des Schild-
chens nicht erreichende linien-
förmige Furche. Weiter nimmt
dann der Fruchthof wieder die
runde Gestalt an (Fig. 37), wäh-
rend die Embryonalanlage schwach
leyerförmig wird und von einem
ähnlich gestalteten hellen Hofe um-
geben erscheint. Diese Embryo-
nalanlage nun entspricht, wie na-
mentlich Bischoff’s Abbildungen vom Hundeei, zusammengehalten
mit Remak’s Angaben (l. c. St. 87), lehren, wohl vor Allem der
AxenplatteRemak’s beim Hühnerembryo und bezeichnet die Ge-
gend, in der die Verdickung im äussern Keimblatte oder die Anlage
der Medullarplatte und die mittlere Verdickung im mittleren Keim-

Fig. 36. Fruchthof der Keimblase eines Kaninchens, etwa 40mal vergr.
Der weisse Rand ist die Area opaca, die dunkle breitere Zone die Area pellucida.
In dieser zeigt sich die Embryonalanlage mit der Primitivrinne. Nach Bischoff.


[77]Erste Entwicklung der Säugethiere.
blatte, die bald in Urwirbelplatten und Chorda sich sondert, mit
einander verschmolzen sind, doch sind wohl auch schon die Seiten-

Figure 37. Fig. 37.


platten, oder wie man sie mit
Inbegriff des die Randtheile
bekleidenden Hornblattes auch
nennen kann, die Bauchplatten
Baer’s, als ganz schmale Säume
angedeutet, obschon hierüber
Bischoff’s Abbildungen keine
bestimmte Auskunft geben.


In weiterer Linie bildet sich
nun, wie Remak’s Beobachtun-
gen beim Kaninchen lehren
(l. c. Nachträge z. St. 87) und
auch Bischoff’s Abbildungen
vom Hundeei entnehmen las-
sen, auch beim Säugethierem-
bryo eine breite Rückenfurche aus, die in der Quere so weitRückenfurche.
sich erstreckt, wie die Axenplatte, und von stark hervorragenden
Wülsten, den RückenwülstenBaer’s oder den Medullarwül-Rückenwülste.
sten
Remak’s, begrenzt wird, die nach hinten allmälig sich abflachen
und am Kopfe von rechts und links her sich verbinden, und so
einen halbkreisförmigen Wall bilden, dessen Umfang die Anlage der
Hirnblase bezeichnet. Durch den dünnen Boden der Mitte der
Furche erkennt man die breite Chorda, die mit ihrer verdünntenChorda.
Spitze die Mitte des Hirnabschnittes erreicht. Diese Rückenfurche
wird auch hier von der Medullarplatte ausgekleidet und ist nach
Remak’s Untersuchungen das Verhältniss der letzteren zum Hornblatte,
das hier aus einer einzigen Zellenlage besteht, genau dasselbe, wie
beim Hühnchen, d. h. es gehen beide unmittelbar in einander über
und ist nicht daran zu denken, dass ersteres nur eine oberflächliche
Bekleidung der Medullarplatte darstelle. — Bevor die Rückenfurche
sich schliesst, entstehen nun auch, wenigstens beim Hundeembryo,
schon die ersten Urwirbel und bilden sich zugleich schon dieUrwirbel.
Hirnabthei-
lungen.

drei ursprünglichen Hirnabtheilungen, sowie die erste

Fig. 37. Fruchthof des Kaninchens mit leyerförmiger Embryonalanlage,
a Primitivrinne, b Embryonalanlage, c Area pellucida, leyerförmig, d Area
opaca
, kreisrund. Etwa 10mal vergr. Nach Bischoff.


[78]Zwölfte Vorlesung.
Kopfdarmhöhle.Anlage der Kopfdarmhöhle aus, und ist in dieser Beziehung eine
Abbildung von Bischoff besonders lehrreich (Fig. 38). In dieser
Junger Embryo
des Hundes.

Seitenplatten.

Figure 38. Fig. 38.


deute ich mit Remak (l. c. St. 191) die ganze
dunkle Begrenzung b der noch weit offenen
Rückenfurche aa′, deren Ränder durch den
hellen Saum angegeben sind, als Medul-
larplatte
und darunter gelegene Urwir-
belplatten. Am breiteren Kopftheile zeigt
die Furche schon 3 Ausbuchtungen, die
Hirnblasen, in der Mitte, wo 6 Ur-
wirbel
durch die Platte hindurchschim-
mern, ist dieselbe schmäler und hinten
wieder ähnlich wie bei den Vögeln am Sinus
rhomboidalis
erweitert. Die mittlere dunkle
Linie bezeichnet die Chorda. Ausserdem
sind hier auch die Seitenplattenc deut-
lich, die in das mittlere und äussere Blatt
des Fruchthofes d übergehen, während f das Darmdrüsenblatt
darstellt. Die Profilansicht dieses Embryo (Fig. 39) zeigt, dass der
Kopf sich schon etwas vom Fruchthofe abgeschnürt hat, dass mithin
die erste Anlage der Kopfdarmhöhle schon gebildet ist. Ueberhaupt
ist der ganze Embryo am Rücken etwas gewölbt und an der Bauch-

Figure 39. Fig. 39.


seite leicht rinnenförmig vertieft zu den-
ken. — Auf dieses Stadium folgt nun bald
der Schluss der Furche, während zugleich

Fig. 38. Embryonalanlage eines Hundeeies,
etwa 10mal vergr. Nach Bischoff. a Rückenfurche,
hier mit 3 Erweiterungen und 2 Einschnürungen,
Andeutungen der aus diesem Theile der Medullar-
platte sich entwickelnden 3 Hirnblasen, a′ Erwei-
terung der Rückenfurche in der Lendengegend (Sinus
rhomboidalis
), b Medullarplatte, c Seitenplatten, d
äusseres und mittleres Blatt der Keimblase, f inne-
res Blatt derselben. In der Mitte sind 6 Urwirbel
sichtbar und in der Mitte der Rückenfurche sieht
man die durchschimmernde Chorda dorsalis.


Fig. 39. Derselbe Embryo, den Fig. 38 darstellt,
von der Seite, a abgetrennte äussere Lamellen der
Keimblase. Das Offenstehen der Rückenfurche und
die Abschnürung des Kopfes sind deutlich.


[79]Erste Entwicklung der Säugethiere.
die Kopfdarmhöhle sich verlängert, das Herz in deren vorderen
Wand sich anlegt und die Urwirbel an Menge zunehmen.


Beim Kaninchen schliesst sich nach Bischoff’s DarstellungenJunger Embryo
des Kaninchens.

die Rückenfurche früher als beim Hunde. Fig. 40 zeigt dieselbe schon

Figure 40. Fig. 40.


Figure 41. Fig. 41.


ganz geschlossen an einem
Embryo, der vom Fruchthofe
noch nicht abgeschnürt ist.
Das Medullarrohr zeigt An-
deutungen einer ersten Hirn-
blase a und einer zweiten b,
und ausserdem 7 Urwirbel,
die auch bei Säugethieren
offenbar die Halsgegend be-
zeichnen. Vom durchsichti-
gen Fruchthofe ist nur noch
eine ganz kleine Stelle am
Kopfe zu sehen. In einem
folgenden Stadium erst (Fig.
41 und 42) hat der Kanin-
chenembryo ungefähr das
Stadium erreicht, das vor-
hin vom Hunde beschrieben
wurde. Die 3 Hirnblasen
sind sehr deutlich und an
der vordersten schon zwei
seitliche Ausbuchtungen be-
merkbar, die Anlagen der
primitiven Augenbla-Primitive Augen-
blasen.

sen. Urwirbel sind 8 Paare
angelegt. In der Ansicht von
unten (Fig. 42) zeigt sich die
noch kleine Kopfdarm-
höhle
und die eben begin-

Fig. 40. Embryonalanlage eines Kaninchens mit geschlossener Rücken-
furche. Der durchsichtige Hof ist nur noch am Kopfe sichtbar. a Erweiterung
des Medullarrohres an der Stelle der spätern ersten Hirnzelle, b beginnende
Bildung der zweiten Hirnzelle, c Urwirbel, 7 an der Zahl. 10mal vergr. Nach
Bischoff.


Fig. 41. Fruchthof und Embryonalanlage eines Kaninchens vom Rücken
her. a Rand der Kopfscheide des Amnios, b erste Hirnblase, c seitliche Aus-


[80]Zwölfte Vorlesung.
Beckendarm-
höhle.
nende Beckendarmhöhle. Der etwas abgeschnürte Kopf liegt
in einer grubenförmigen Vertiefung und ist schon von einer Falte des
Erste Spur des
Amnios.

Figure 42. Fig. 42.


Figure 43. Fig. 43.


äusseren Keimblattes kap-
penartig umgeben, welche
die erste Anlage des Amnios
bezeichnet, dessen Bildung
wir später im Zusammen-
hange betrachten werden.


Von nun an schreitet die
Bildung der Kopfdarmhöhle
rasch vorwärts und beginnt
auch zugleich das erste Ge-
fässsystem mit dem Herzen
sich anzulegen (Fig. 43 und
44). Fig. 43 zeigt Ihnen in

buchtungen derselben
oder primitive Augen-
blasen, d zweite, e dritte
Hirnblase. Es sind 8 Ur-
wirbel sichtbar und zwi-
schen denselben das
Rückenmark. Die strah-
ligen Falten gehören der
serösen Hülle an, die
aus einem der Theile der
Amniosfalte hervorgeht
und der Hof um den Kopf
bedeutet eine Vertiefung
oder Einsenkung der
zwei innern Blätter der
Keimblase, in welchen
derselbe liegt. 10mal
vergr. Nach Bischoff.


Fig. 42. Derselbe Em-
bryo von der Bauchseite.


a Eingang in die Kopfdarmhöhle, b Kopfscheide des Amnios, c Eingang in die
Beckendarmhöhle, die noch sehr klein ist.


Fig. 43. Fruchthof und Embryo vom Kaninchen, von der untern Seite her,
bei dem die ersten Spuren der Gefässe sichtbar sind. Etwa 10mal vergr. Nach
Bischoff. a Anlage des Herzens, dessen hinteres Ende in die Anlagen der zwei
Venae omphalo- mesentericae übergeht, bb primitive Augenblasen seitlich an der


[81]Erste Entwicklung der Säugethiere.
der vordern Wand der Kopfdarmhöhle das Herz als einen noch fastHerz.
geraden Kanal, dessen erster Bildung wohl unzweifelhaft wie beim

Figure 44. Fig. 44.


Hühnchen eine Spaltung in dieser Wand vorausgeht. Im FruchthofeErste Spuren der
Gefässe.

zeigen sich die ersten schwachen Spuren von Gefässnetzen und einer
Randvene a. Der Embryo selbst ist noch fast ganz von derselben
Beschaffenheit wie vorhin, nur sind die Urwirbel auf 10 vermehrt
und ist der Kopf mehr abgeschnürt und etwas nach unten umgebo-
gen, daher das vorderste Ende des Gehirns mit den stärker ent-
wickelten Augenblasen b nur von unten sichtbar ist (Fig. 43), ferner
der Leib mehr rinnenförmig. — Die Amniosfalte am Kopfe oder
die Kopfscheide ist stärker (Fig. 44 b) und ausserdem beginntKopfscheide des
Amnios.

dieselbe auch an den Seiten sich zu bilden und ist am Schwanze
schon deutlich ausgeprägt (b′), wo sie Schwanzscheide heisst.Schwanzscheide.


ersten Hirnzelle, die wegen der erfolgten Krümmung des Kopfes von unten
sichtbar sind. Es sind 10 Urwirbel da, der Leib ist stark rinnenförmig vertieft,
Kopf und Beckendarmhöhle sind grösser und am Rande des Fruchthofes er-
scheint die Anlage der Vena terminalis.


Fig. 44. Derselbe Embryo vom Rücken her. a Vena terminalis, bb Kopf-
scheide, b′ Schwanzscheide des Amnios, die durch die nicht bezeichneten,
dem Embryo dicht anliegenden Seitenscheiden zusammenhängen. Die Falten
an der Kopfscheide bedeuten die seröse Hülle.


Kölliker, Entwicklungsgeschichte. 6
[82]Zwölfte Vorlesung.

Erster Kreislauf.Ohne für einmal die erste Entwicklung der Gefässe zu verfol-
gen, schildere ich Ihnen nun gleich einen Embryo, bei dem der erste
Kreislauf im Fruchthofe vollkommen ausgeprägt ist (Fig. 45). Das

Figure 45. Fig. 45.


Herz.Herz ist mehr entwickelt, so dass es nun schon eine ziemliche Her-
vorragung der vordern Wand der Herzhöhle bedingt, die jedoch in
der Figur nicht angedeutet ist. Zugleich erscheint dasselbe so S för-
mig gebogen, dass der venöse Theil d nach unten und links, der
arterielle nach oben und rechts sich findet. Aus dem oberen Theile
Aorta.des Herzens gehen zwei Arcus aortae hervor, die — ihr weiterer
Verlauf ist an der Figur nicht sichtbar — in der Wand der Kopf-
darmhöhle nach oben und dann längs der Gegend der spätern Wir-

Fig. 45. Fruchthof eines Kaninchens mit Embryo von der Bauchseite,
von 4 Par. Linien Durchmesser mit vollkommen entwickeltem erstem Gefäss-
system. Nach Bischoff, etwas verkl. a Vena oder Sinus terminalis, b Vena
omphalo-mesenterica, c
starker hinterer Ast derselben, d Herz, schon S för-
mig gebogen, e primitive Aorten oder Arteriae vertebrales posteriores, ff Art.
omphalo-mesentericae, g
primitive Augenblasen. Man sieht das feinere ober-
flächliche (nach aussen gelegene) mehr arterielle und das stärkere tiefe, mehr
venöse Gefässnetz im Fruchthof. Der Leib des Embryo ist etwas mehr ge-
schlossen als in der Fig. 43.


[83]Erste Entwicklung der Säugethiere.
belsäule nach hinten sich wenden. Hierbei vereinigen sie sich bald
zu einem kurzen unpaaren Aortenstamme, der bald wieder in
zwei parallele Aeste auseinander geht, die ArteriaevertebralesArt. vertebrales
posteriores
.

posteriores oder die primitiven Aorten, die, unterhalb der
Urwirbel neben der Chorda gelegen, bis zum hintern Ende des Em-
bryo verlaufen. Hierbei geben sie jede 4—5 Aeste, die ArteriaeArt. omphalo-
mesentericae
.

omphalo-mesentericae oder die Nabelgekröspulsadern, ab, die,
ohne im Embryo selbst sich zu verbreiten, über den Bereich dessel-
ben hinaus in den Fruchthof verlaufen und hier mit den ebenfalls
den Embryo verlassenden letzten Enden der primitiven Aorten ein
oberflächliches ziemlich dichtes Gefässnetz bilden, das fast die
ganze Fläche des Fruchthofes, der nun etwa 4‴ misst, einnimmt.
Die Randtheile dieses Netzes münden in eine starke Vene, VenaVena terminalis.
sive Sinus terminalis, die, fast den ganzen Fruchthof begrenzend,
am Kopfe mit zwei Stämmen, den Venae omphalo-mesenteri-Venae omphalo-
mesentericae
.

cae oder Nabelgekrösvenen, gegen den Embryo sich umbiegt,
welche dann in das hintere Ende des Herzens einmünden. Bevor
sie dieses erreichen, nehmen sie jedoch noch zwei hintere Venen-
stämme auf. Alle drei grösseren Venen hängen durch ein etwas
weiteres Venennetz zusammen, welches tiefer liegt als das Netz, das
aus den Arterien hervorgeht. Die Vertheilung der Blutgefässe im
Fruchthofe ist demnach, wie die Figur Ihnen zeigt, so, dass derselbe
in 4 Bezirke zerfällt. Von den zwei mittleren ist der vordere ohne
alle Gefässe und enthält der hintere nur Ausbreitungen der Arte-
rien. Die seitlichen dagegen zeigen Arterien- und Venenveräste-
lungen in zwei Lagen.


Diess ist die zierliche Gestalt des ersten Gefässsystems, das vorPhysiologische
Bedeutung des
Kreislaufes im
Fruchthofe.

Allem das Bemerkenswerthe zeigt, dass es ein einkammeriges Herz
besitzt und dass im Embryo selbst noch keine weiteren Verästelun-
gen sich finden. Physiologisch sind diese ersten Gefässe wohl vor-
züglich dazu bestimmt, aus dem Inhalte der Keimblase, der, wie wir
früher sahen, vom mütterlichen Organismus stammt, Nahrungsma-
terial aufzunehmen, daher die resorbirenden Venenwurzeln in tie-
ferer Schicht liegen und überaus stark entwickelt sind. Das aufge-
nommene Material nun kommt in erster Linie wohl vorzüglich dem
Fruchthofe zu Gute, der in seiner gefässführenden Schicht rasch
sich ausdehnt und das innere Blatt der Keimblase immer mehr um-
wächst, um mit demselben dann den Dottersack zu bilden, in zwei-
ter Linie auch dem Embryo selbst, der jedoch in diesem Stadium
6*
[84]Zwölfte Vorlesung.
noch keine eigenen feineren Gefässausbreitungen besitzt und daher
für einmal wohl auch auf eine directe Aufnahme der Flüssigkeit der
Keimblase durch seine zelligen Elemente, insonderheit durch die
Zellen seines Darmdrüsenblattes angewiesen ist. Dass diess wirklich
die Bedeutung dieses ersten Kreislaufes ist, lehrt allerdings der
Hühnerembryo viel besser, bei dem die Beziehung des Inhaltes der
Keimblase oder des Dotters zur Ernährung keinem Zweifel unter-
liegt, allein auch beim Säugethiere ist die Sache nicht anders, nur
spielt dieser Kreislauf nur kurze Zeit die Rolle eines Ernährungsap-
parates für den Embryo selbst, indem bald andere und bessere
Quellen für denselben sich aufthun.


Gestalt des Em-
bryo beim Auf-
treten der Blut-
gefässe.
Kaninchen.
Ueber die anderweitige Beschaffenheit des Säugethierembryo
zur Zeit des Auftretens der ersten Gefässe bemerke ich Ihnen nun
noch Folgendes. Beim Kaninchen ist der Embryo nicht viel wei-
ter als wir ihn in der Fig. 43 sehen, und ist nur das hervorzuheben,
Hund.
Gehörbläschen.

Figure 46. Fig. 46.


dass die Zahl der Urwirbel 12
beträgt, die Augenblasen nun
deutlich von der ersten Hirn-
blase abgeschnürt sind und das
Amnios eine schon fast voll-
kommene Hülle um den Rücken
des Embryo bildet, jedoch
noch nicht ganz geschlossen
ist. Beim Hunde ist die Lei-
besform im Allgemeinen und
das Verhalten des Amnios
wohl im Wesentlichen das-
selbe, dagegen zeigen sich hier
zwei ganz neue Bildungen,
die Gehörbläschen und
die ersten Kiemenbogen
(Fig. 46). Jene sind zwei

Fig. 46. Hundeembryo nach eben angelegtem erstem Kreislauf von unten,
etwa 10mal vergr. Nach Bischoff. Herz S förmig, daneben die zwei primitiven
Gehörbläschen, vor denselben die zwei ersten Kiemenbogen und das umgebo-
gene vorderste Ende des Kopfes mit den zwei primitiven Augenblasen. Im
Fruchthofe sind die Venae omphalo-mesentericae mit ihren beiden Stämmen deut-
lich und 5 Paar Arteriae omphalo-mesentericae, zu denen noch die Enden der
primitiven Aorten sich gesellen, die um den Rand der Beckenbucht herum auch
in den Fruchthof treten.


[85]Erste Entwicklung der Säugethiere.
neben der dritten Hirnblase, jedoch oberflächlich gelegene runde
Bläschen, die, wie Beobachtungen am Hühnerembryo lehren, von
denen später die Rede sein wird, ursprünglich als Einbuchtungen des
Hornblattes auftreten und dann später als runde Bläschen von dem-
selben sich abschnüren. Die ersten Kiemen- oder Schlund-Kiemenbogen,
erstes Paar.

oder Visceralbogen sind zwei hakenförmig gekrümmte Ver-
dickungen im vordersten Theile der Wand der Kopfdarmhöhle, die
mit ihren vorderen abgerundeten Enden sich nahezu berühren. Die-
selben liegen unmittelbar unter und hinter der vordersten Hirnblase
und zwischen und unter denselben verliert sich das arterielle Ende
des Herzens, dessen Spaltungsäste, die zwei Aortenbogen, innen an
diesen Bogen rückwärts laufen.


Anmerkung. An den Zellen des Darmdrüsenblattes des
Hühnchens
finden sich zur Zeit des Auftretens der ersten Gefässe und spä-
ter deutlich verdickte und poröse Säume an der gegen den Nahrungs-
dotter zu gewendeten Fläche, eine Thatsache, aus der wohl auf eine lebhafte
Resorbtion durch diese Schicht geschlossen werden darf.


[[86]]

Dreizehnte Vorlesung.


Entwicklung der
ersten Gefässe
und des Blutes.
Meine Herren! Nach der Schilderung des ersten Kreislaufes im
Fruchthofe, dessen Gefässe Ihnen die Fig. 45 im Zustande vollständi-
ger Ausbildung zeigte, wende ich mich nun zur Betrachtung der al-
lerersten Entwicklung des Herzens, der Blutgefässe und des Blutes.
Die Erfahrungen, die man über diese Theile am Säugethierembryo
sammeln konnte, sind jedoch so spärlich, dass wir genöthigt sind,
in dieser Beziehung an andere Wirbelthiere und besonders an das
Hühnchen uns zu halten.


Herz.Was zunächst das Herz anlangt, so haben schon vor Jahren
Reichert am Hühnchen, Vogt bei Coregonus palaea und ich selbst an
Tintenfischen die Beobachtung gemacht, dass das Herz ursprünglich
ein ganz geschlossener Schlauch ist, dessen Wandung aus
Zellen besteht. Reichert und Vogt haben ausserdem noch darge-
than, dass in früheren Stadien das Herz ein ganz solider, durch und
durch aus Zellen zusammengesetzter Strang ist. Die neuesten Un-
tersuchungen Remak’s haben mit der Bestätigung der obigen Anga-
ben weitere Aufschlüsse über die Entwicklung des Herzens geliefert.
Durch Remak wissen wir, wie ich schon früher Ihnen geschildert
habe, dass das Herz zunächst als Verdickung in der Faserwand des
Vorderdarms erscheint, wo es gemeinschaftlich mit zwei grossen
Venen, den Venae omphalo-mesentericae und den Anfängen der Arcus
Aortae
sich anlegt. Nach und nach trennt sich die Anlage des Her-
zens vom Vorderdarm, bis am Ende das Herz ganz frei in der Herz-
höhle, deren Bildung beim Hühnchen schon früher besprochen
wurde, seine Lage hat und nur durch die beiden Venen und Arte-
rien befestigt ist. Remak hat ebenfalls gefunden, dass die erste An-
lage des Herzens eine solide Zellenmasse ist, und dass im Innern
[87]Erste Bildung der Gefässe.
dieser erst nachträglich eine Höhlung sich bildet. In dieser Höhlung
bemerkt man Flüssigkeit und einzelne Zellen, welche als abgelöste
Wandzellen betrachtet werden können und als Blutkörperchen zu
bezeichnen sind. Die Wandung des Herzens beginnt merkwürdiger
Weise ihre Zusammenziehungen zu einer Zeit, wo sie noch ganz aus
Zellen besteht, wenigstens ist beim Hühnchen am zweiten Tage, an dem
die Pulsation beginnt, von Muskelfasern Nichts zu sehen, auch sind
sicherlich keine solchen in irgend wie entwickelterem Zustande vor-
handen. Wir hätten daher hier einfache Zellen als Ursachen der Con-
traction anzusehen, etwa wie bei den einfachsten Thieren (Hydra
z. B.), wobei es jedoch unentschieden bleibt, ob alle Zellen des ur-
sprünglichen Herzschlauches contractil sind, oder nur gewisse der-
selben. Die Bildung der Höhlung im Innern kommt während der
Abschnürung des Herzens von der Darmfaserwand zu Stande und
zwar wahrscheinlich durch Ausscheidung von Flüssigkeit im Innern.
Hierdurch wird auch der centrale Theil der Zellen der Herzanlage
gelockert und von den äusseren Zellen gelöst und diese Zellen rollen
dann als erste Blutzellen in der ausgeschiedenen Flüssigkeit umher.
Die Pulsation beginnt schon am geschlossenen Herzen, bevor dieses
noch mit den Gefässen communicirt, die Schläge folgen sich lang-
sam, in langen Intervallen, in der Richtung vom Venenende nach
dem Arterienende zu, also von hinten nach vorn. Nachdem am zwei-
ten Tage beim Hühnchen das Herz mit der Höhlung der Gefässe in
Verbindung getreten ist, die Blutbehälter überhaupt weiter ausge-
bildet sind, beginnt ein regelrechter Kreislauf und die Pulsationen
vermehren sich bis auf 40 in der Minute.


Das Herz ändert nach seiner Abschnürung auch seine Gestalt
und Lage. Zuerst krümmt es sich der Länge nach und dreht sich
hierbei etwas nach rechts, so dass die frühere vordere Wand nach
rechts, die frühere hintere Wand nach links sich wendet. Da wo
die Aorten entspringen, tritt eine Anschwellung, der Bulbus Aor-Bulbus aortae.
tae auf, und an der Einmündungsstelle der Venen bilden sich zwei
Ausbuchtungen, die Anlagen der Vorkammern und Herzohren.Vorkammern.
Zugleich krümmt sich das Herz S förmig zusammen und wird nach
und nach diese Biegung immer bedeutender, so dass der arterielle
Theil ganz nach rechts, vorn und oben, der venöse Theil ganz nach
links, hinten und unten zu liegen kommt. An dem so beschaffenen
Herzen unterscheidet man jetzt drei durch leichte Einschnürungen
von einander geschiedene Abtheilungen, die Vorkammern, die Kam-
[88]Dreizehnte Vorlesung.
mer und den Bulbus Aortae, doch ist immer noch der Schlauch ein
ganz einfacher und nur von einer einzigen Höhle eingenommen.


Die weitere Ausbildung des Herzens werde ich bei der Schilde-
rung der einzelnen Organe besprechen, und wende ich mich nun
Entwicklung der
ersten Gefässe.
zur Darstellung der ersten Entwicklung der Gefässe. Die
ältern Embryologen, Döllinger und v. Baer an der Spitze, hatten in
dieser Beziehung eigenthümliche Ansichten und liessen die Gefässe
einfach als Lücken zwischen den Elementen des Fruchthofes ent-
stehen, welche von dem vom Herzen getriebenen Blutstrome gegra-
ben würden, eine Ansicht, die selbst Reichert in seiner Schrift »das
Entwicklungsleben« für gewisse Gefässe vertrat. Nach und nach bil-
dete sich jedoch eine richtigere Auffassung dieser Verhältnisse aus,
welche von Reichert selbstangebahnt wurde, der schon im Jahre 1841
(Müll. Arch. St. CLXXXIV) seine früheren Ansichten theilweise
modificirte, und dann in einer Untersuchung von mir selbst über die
Bildung der Gefässe und des Blutes (Zeitschr. f. rat. Med. 1846.
Bd. IV. pag. 112) zuerst einen ganz bestimmten Ausdruck fand, in-
dem ich den Satz aufstellte, dass die ersten Gefässe der Embryonen
Alle ursprünglich als solide Zellenmassen auftreten, die erst nach-
träglich hohl werden, wobei die centralen Zellen derselben als erste
Blutzellen erscheinen. Diese meine Annahmen wurden dann durch
Remak’s ausführliche Untersuchungen an Hühnerembryonen voll-
kommen bestätigt, und in neuester Zeit hat sich auch Reichert ge-
nau an dieselben angeschlossen (Beob. üb. d. Bildung der Blutgef.
b. Fischen 1858). Nach Remak entstehen im durchsichtigen und
dunklen Fruchthofe des Hühnchens während des letzten Viertels des
ersten Tages solide Zellenstränge von 1/50 bis 1/80‴ Durchmesser,
welche ein sehr dichtes Netz darstellen, dessen Maschen kaum wei-
ter sind, als die Gefässanlagen selbst, ein Netz, in welchem man
anfänglich keinen Unterschied zwischen Stämmen und Aesten be-
merkt. In zweiter Linie werden diese compacten Gefässanlagen im
Innern hohl, ganz so wie es am Herzen geschieht, indem gleichzeitig
mit dem Auftreten einer Flüssigkeit die centralen Zellen sich lockern
und nun als erste Blutkörperchen erscheinen. Zugleich erweitern
sich nach und nach einzelne Anlagen mehr, während andere zurück-
bleiben, so dass am zweiten Tage schon, wenigstens mit Bezug auf
Grösse und Weite, eine Differenz zwischen Stämmen und Aesten und
feinsten Netzen vorhanden ist. Der Bau der Gefässe dage-
gen ist überall ein gleicher
; Aorten, Arteriae und Vv. om-
[89]Erste Bildung der Gefässe.
phalo-mesentericae und periphere Verästelungen sind, wie sie alle
nach demselben Plane sich anlegen, so auch alle anfänglich in ganz
gleicher Weise aus einer einschichtigen zelligen Wand gebildet, und
bemerkt man von eigentlichen Capillaren in diesem Stadium noch
keine Spur. Im scheinbaren Profile gesehen zeigt ein solches primi-
tives Gefäss eine einfache Lage von Zellen, deren innerer Theil halb-
kugelig in das Lumen vorspringt; von der Fläche betrachtet er-
scheint die Gefässwand wie eine Mosaik, wie ein einfaches Pflaster-
epithel.


Nachdem die ersten Blutgefässe einmal angelegt sind, vermeh-Weiterbildung
der ersten Ge-
fässe.

ren sich dieselben, wie es scheint, in doppelter Weise: erstens da-
durch, dass zwischen den vorhandenen Netzen neue, solide, aus
Zellen zusammengesetzte Cylinder auftreten, von denen manche nach
Remak nur aus zwei Zellenreihen bestehen und die nachher hohl
werden, und dann zweitens in der Art, dass einzelne schon gebil-
dete Blutgefässe durch feine Ausläufer sich mit einander verbinden,
die, anfangs kaum stärker als eine Bindegewebsfibrille, nach und
nach sich erweitern, und nachdem sie für die Blutzellen durchgän-
gig geworden, ganz den Bau der später auftretenden Capillaren zei-
gen. Die Entstehungsweise dieser Gefässe ist von Remak nicht auf-
geklärt worden, es ist jedoch wahrscheinlich, dass dieselben nach
Art der wirklichen Capillaren durch Verschmelzung von einfachen
Zellen oder auch dadurch zu Stande kommen, dass Auswüchse der
Zellen benachbarter Gefässe auf einander stossen, sich vereinigen
und in zweiter Linie zu einem Kanal sich erweitern, der auch mit
dem Lumen der betreffenden Gefässe sich in Verbindung setzt, indem
die Wandungen der durch Sprossen vereinigten Zellen nach dieser
Seite vergehen.


Dunkler und heller Fruchthof verhalten sich beim Hühnchen inBedeutung des
Fruchthofes für
die Bildung der
Gefässe und
Blutzellen.

Bezug auf Gefässbildung ganz gleich, nicht aber in Bezug auf die
Bildung der Blutzellen. Nicht nur färben sich im Bereiche des dunk-
len Fruchthofes die centralen Zellen der Gefässanlagen früher als im
hellen Hofe, sondern es scheint auch, wenigstens nach Remak’s Mit-
theilungen, in diesem letztern überhaupt keine erhebliche Bildung
von Blutzellen stattzufinden, daher er den dunklen Fruchthof statt
Gefässhof, Area vasculosa, wie man ihn genannt hat, lie-
ber als Bluthof, Area sanguinea, bezeichnen möchte. Nach
dem, was ich über diese Verhältnisse gesehen habe, möchte ich
glauben, dass eine Blutzellenbildung auch im hellen Fruchthofe statt
[90]Dreizehnte Vorlesung.
hat, dass aber die ursprünglichen Blutzellen im dunklen Fruchthofe
rascher sich vermehren und sich früher färben. Wäre dem nicht so,
so müsste man annehmen, dass die Gefässanlagen im hellen Hofe in
ihrer Totalität und zwar unter Ausscheidung von Plasma allein zu
wirklichen Gefässen sich umbilden, was zwar nicht unmöglich, aber
doch gerade nicht wahrscheinlich ist.


Zeitverhältnisse
der Gefässbil-
dung.
Bemerkenswerth ist die Zeitfolge, in der nach Remak die Ent-
wicklung der verschiedenen Blutbehälter eintritt. Die primitiven
Blutgefässe im Fruchthofe bilden sich, wie erwähnt, alle gleichzeitig
am Ende des ersten Tages der Bebrütung, und auch die Färbung der
Blutzellen hat schon begonnen, bevor noch eine Spur des Herzens
sich zeigt. Aber die Entwicklung dieses Organes, die im Anfange
des zweiten Tages beginnt, geht so rasch von Statten, dass bald
eine regelrechte Circulation in Gang kommt. Reichert ist in dieser
Beziehung mit Remak nicht einverstanden und erklärt in seiner neue-
sten Arbeit, dass Herz und Gefässe zu gleicher Zeit sich anlegen.


Erste Blutzellen.Die ersten Blutzellen des Hühnchens sind, wie Sie aus dem
bisher Angegebenen schon hinreichend haben entnehmen können,
nichts anderes als die centralen Zellen der Anlagen der Gefässe und
des Herzens, und stimmen dessnahen in allen wesentlichen Merk-
malen mit den Bildungszellen der jungen Embryonen überein. Spä-
ter färben sich dieselben, verlieren ihren körnigen Inhalt und gehen
aus der mehr runden in die elliptische Form über. Wie diese eigent-
lichen Blutzellen weiter sich verhalten und sich vermehren, soll
später im Zusammenhange mit den weiteren Gestaltungen des Ge-
fässsystems des Näheren betrachtet werden.


Bildung der
ersten Gefässe
bei Säugern.
Die erste Gefäss- und Blutbildung im Hühnerembryo, obschon
noch nicht vollständig aufgehellt, ist doch im Ganzen wohl erforscht
im Vergleich zu dem, was wir von den Säugethierembryonen wis-
sen. Bei diesen kennt man bis jetzt weder die erste Bildung des
Herzens noch die der Gefässe. Da jedoch das Herz ursprünglich
eine einfache zellige Wandung besitzt, wie Bischoff beim Kaninchen-
embryo sah, und da nach demselben Autor die ersten Blutzellen des
Kaninchens farblose, den Bildungszellen ganz gleiche runde Zellen sind,
so erschliessen wir der Analogie nach, dass auch hier die ersten
Bildungsverhältnisse in ähnlicher Weise ablaufen wie beim Hühnchen.


Gibt es ein be-
sonderes Gefäss-
blatt?
Noch haben wir die Frage genauer zu beantworten, in welchem
Theile des Embryo oder des Keimes denn eigentlich das Herz und die
ersten Gefässe sich entwickeln. Sie erinnern sich von den ersten
[91]Erste Bildung der Gefässe.
Vorlesungen her, in denen ich die Geschichte der Embryologie be-
sprach, dass Pander neben seinem serösen Blatte und dem
Schleimblatte auch ein sogenanntes Gefässblatt annimmt,
in dem das Herz und die Gefässe sich ausbilden sollen. Diese Lehre,
der sich auch v. Baer im Wesentlichen angeschlossen, ist in späte-
rer Zeit vielfach missverstanden und dahin ausgelegt worden, dass
nach der Ansicht der genannten Autoren Alle Gefässe des Körpers
aus Einer besondern Keimschicht hervorgehen. Diess ist jedoch
durchaus nicht die Meinung v. Baer’s, an dessen ausführlichere
Schilderungen wir uns vorzüglich zu halten haben, vielmehr be-
zieht sich die Aufstellung eines Gefässblattes nur auf die Gefässe
des ersten Kreislaufes und in dieser Auffassung ist diese Lehre auch
jetzt noch im Wesentlichen richtig. Auch die neuesten Untersuchun-
gen Remak’s, die leicht zu constatiren sind, haben ergeben, dass
alle Gefässe des Fruchthofes in einer besondern Lamelle des mittle-
ren Keimblattes, der Darmfaserplatte, sich bilden; in derselben
Schicht entsteht auch das Herz so wie die grossen Venenstämme.
Was die primitiven Aorten anlangt, so ist ihre Entstehungsweise
allerdings noch nicht ganzklar. Sie haben aus den früheren Zeichnun-
gen entnehmen können (Figg. 24, 25), dass die Aorten anfänglich zwi-
schen dem Randtheile der Urwirbel und dem innern Rande der Darmfa-
serplatten, da, wo diese mit den Hautplatten zusammenhängen, ihre
Lage haben. Es ist nun bis jetzt noch nicht entschieden, aus wel-
chem Theile des mittleren Keimblattes die Aorten hervorgehen, ob
aus den innersten Zellen der Darmfaserplatten oder aus den Urwir-
beln. Die bestimmt nachgewiesene Betheiligung der Darmfaserplat-
ten an der Bildung des übrigen Gefässsystems lässt jedoch vermu-
then, dass auch die Aorten aus den innersten Theilen derselben
hervorgehen und würde in diesem Falle auch jetzt noch die Be-
nennung der Darmfaserplatten als »Gefässblatt« gestattet sein. Soll-
ten aber auch diese Gefässstämme oder gewisse Theile derselben
aus den Urwirbeln hervorgehen, so bliebe doch so viel bestehen,
dass beim Hühnchen und bei Säugethieren nur die innerste Schicht
des mittleren Keimblattes an der Bildung der ersten Gefässe bethei-
ligt ist. Diess wäre jedoch nicht so zu verstehen, als ob dieselbe
nur Gefässe lieferte, wie denn auch schon v. Baer aus der Gefäss-
schicht auch die Häute des Darmes z. Th., das Gekröse, die Wolff’-
schen Körper, die Geschlechtsorgane u. s. w. hervorgehen lässt.


[92]Dreizehnte Vorlesung.

Um diese Frage möglichst richtig aufzufassen, so können Sie
nun noch berücksichtigen, dass bei niedern Wirbelthieren die ersten
Gefässe z. Th. auch in einer Lage auftreten, in welcher bei höhern
Geschöpfen anfänglich durchaus keine Gefässe sich finden, wie Rei-
chert
neulich für die Fische nachgewiesen hat (l. c.), so wie dass
die später in den Organen des Embryo auftretenden Gefässe offen-
bar selbstständig in diesen sich bilden. Es kann daher auf
keinen Fall in demselben Sinne von einem Gefäss-
blatte als einem primitiven Organe gesprochen wer-
den, wie wir von einer Medullarplatte reden
, die das
gesammte centrale Nervensystem mit den nervösen Theilen der
höhern Sinnesorgane aus sich entwickelt, oder von einem Hornblatte
und einem Darmdrüsenblatte, welche alle und jede Zellenmassen der
innern und äussern Epithelialorgane liefern, und erscheint es aus
diesem Grunde wohl am besten, diese Bezeichnung fallen zu lassen.


[[93]]

Vierzehnte Vorlesung.


Meine Herren! Nachdem einmal die ersten Gefässe und das
Herz im Säugethierembryo angelegt sind, erleidet derselbe rasch
weitere Veränderungen, welche sich sowohl in der weitern Entwick-
lung der Leibesform und der innern Organe als auch in dem Auf-
treten der sogenannten fötalen Hüllen und Blasen, dem Dotter-
sack, Amnios
, der serösen Hülle und der Allantois aus-
sprechen, welche Vorgänge, um richtig verstanden zu werden, der
Reihe nach für sich zu betrachten sind.


Was nun zunächst den Dottersack anlangt, so kann dessenEntwicklung des
Dottersackes und
Darmkanals.

Bildung nur im Zusammenhange mit derjenigen des Darmkanals
betrachtet werden. Halten Sie sich zunächst an den kahn ‒ oder
holzschuhähnlichen Embryo, bei welchem die Blutgefässe eben ent-
standen sind, so finden Sie, wie Ihnen die nachstehende Fig. 47, 2
im senkrechten Durchschnitte zeigt, die Anlage des Darmes in Gestalt
einer in der Mitte weit offenen Halbrinne, welche vorn in die längere
blind endende Kopfdarmhöhle und hinten in die kurze und ebenfalls
blinde Beckendarmhöhle übergeht. Beide diese Höhlen, so wie die
Rinne, sind von dem innern Keimblatte oder dem DarmdrüsenblatteDarmdrüsenblatt.
Remak’s, welches, wie Sie aus Früherem wissen, zum Darmepithele
wird, vollständig ausgekleidet und geht dieses an der grossen Bauch-
öffnung des Leibes unmittelbar in dieselbe Lamelle des Fruchthofes
über, um dann am Rande dieses mit dem ursprünglichen innern
Blatte der Keimblase sich fortzusetzen. Das gesammte Darmdrüsen-
blatt des Fruchthofes und des Embryo und der Rest der ursprüng-
lichen innern Lamelle der Keimblase bilden somit Eine zusammen-
hängende Blase, die wir schon früher als innere Keimschicht be-
zeichneten, an der wesentlich zwei Theile zu unterscheiden sind,
[94]Vierzehnte Vorlesung.
ein im Embryo gelegener centraler, aus dem das Epithel des Dar-
mes sich gestaltet und ein ausserhalb desselben befindlicher peri-

Figure 47. Fig. 47.


Fig. 47. Fünf schematische Figuren zur Darstellung der Entwicklung der
fötalen Eihüllen, in denen in allen mit Ausnahme der letzten der Embryo im
Längsschnitte dargestellt ist. 4. Ei mit Zona pellucida, Keimblase, Fruchthof und
Embryonalanlage. 2. Ei mit in Bildung begriffenem Dottersacke und Amnios.
3. Ei mit sich schliessendem Amnios, hervorsprossender Allantois. 4. Ei mit
zottentragender seröser Hülle, grösserer Allantois, Embryo mit Mund- und Anus-
öffnung. 5. Ei, bei dem die Gefässschicht der Allantois sich rings an die seröse


[95]Bildung des Darmes und Dottersackes.
pherer, der später als Epithel des Dottersackes erscheint. Der jetzt
noch kurze weite Verbindungsgang zwischen beiden erscheint später
als innere Auskleidung des Dotterganges.


Ausser diesem Epithel besitzt übrigens der in Bildung begrif-Darmfaserhaut.
fene Darm und Dottersack auch noch, wenigstens in einer bestimm-
ten Ausdehnung, eine zweite Hülle, die sogenannte Darmfaserhaut.
Am Darme zeigt sich diese Hülle, wie ich Ihnen schon früher vom
Hühnchen geschildert, einmal am Kopfdarme, im Bereiche des hin-
tern Abschnittes desselben oder des sogenannten Vorderdarmes an
den Seiten und vorn gegen die Herzhöhle zu (Fig. 22). Am Mittel-
darme erscheint dieselbe seitlich (Fig. 26) und am Hinterdarme wie-
derum seitlich und vorn. Obschon diese Hülle beim Säugethierem-
bryo in ihrer Entwicklung nicht verfolgt ist, so unterliegt es doch
nicht dem geringsten Zweifel, dass dieselbe wie beim Hühnchen
sich verhält und nichts als die untere Lamelle der gespaltenen Sei-
tenplatten ist. — Eine ähnliche Bekleidung findet sich nun auch am
Dottersacke, jedoch nur im Bereiche des Fruchthofes, welche die
Gefässe desselben trägt, und geht dieselbe, wenigstens beim Hühn-
chen, in ähnlicher Weise aus der Fortsetzung der Seitenplatten in
den Fruchthof hervor, wie die Faserschicht des eigentlichen Darmes

Hülle angelegt hat und in die Zotten derselben hineingewachsen ist, wodurch
das ächte Chorion entsteht. Dottersack verkümmert, Amnioshöhle im Zuneh-
men begriffen.
d Dotterhaut, d′ Zöttchen der Dotterhaut; s h seröse Hülle; s z Zotten der
serösen Hülle; c h Chorion (Gefässschicht der Allantois); ch z ächte Chorion-
zotten (aus den Fortsätzen des Chorion und dem Ueberzug der serösen Hülle
bestehend; a m Amnios; k s Kopfscheide des Amnios; s s Schwanzscheide
des Amnios; a h Amnioshöhle; a s Scheide des Amnios für den Nabelstrang;
a der Embryonalanlage angehörende Verdickung im äussern Blatte der Keim-
blase a′; m der Embryonalanlage angehörende Verdickung im mittleren Blatte
der Keimblase m′, die anfänglich nur so weit reicht, als der Fruchthof, und
später die Gefässschicht des Dottersacks d f darstellt, die mit der Darmfaser-
platte zusammenhängt; s t Sinus terminalis; d d Darmdrüsenblatt, entstanden
aus einem Theile von i, dem innern Blatte der Keimblase (späterem Epithel des
Dottersacks); k h Höhle der Keimblase, die später zu d s, der Höhle des Dotter-
sacks wird; d g Dottergang; a l Allantois; e Embryo; r ursprünglicher Raum
zwischen Amnios und Chorion, mit eiweissreicher Flüssigkeit erfüllt; v l vor-
dere Leibeswand in der Herzgegend; h h Herzhöhle ohne Herz dargestellt ‒
In Fig. 2 und 3 ist der Deutlichkeit wegen der Amnios zu weit abstehend ge-
zeichnet. Ebenso ist die Herzhöhle überall zu klein gezeichnet und auch sonst
manches, wie bes. der Leib des Embryo mit Ausnahme der Fig. 5 nur sche-
matisch dargestellt.


[96]Vierzehnte Vorlesung.
aus den Seitenplatten selbst. Es setzt sich nämlich, sobald die Darm-
und Amniosbildung sich einleitet, die Spaltung in den Seitenplatten
auch auf den Fruchthof fort und trennt das mittlere Keimblatt auch
hier in einen untern Theil, der als Fortsetzung der Darmfaserschicht
des Darmes auf dem Darmdrüsenblatte des Fruchthofes liegen bleibt,
und in einen obern, der als Verlängerung der Hauptlatten am Horn-
blatte sitzen bleibt und zur Amniosbildung verwendet wird. Etwas
anders scheint die Sache beim Säugethierembryo sich zu verhalten,
indem hier, wie Sie später hören werden, das Amnios nach den
bisherigen Ermittlungen keine Bekleidung von den Seitenplatten
erhält. In diesem Falle wäre die Lamelle, die vom mittleren Keim-
blatte aus in den Bereich des Fruchthofes übergeht und die später
als äussere Haut des Dottersackes erscheint, einzig und allein Fort-
setzung der Darmfaserplatten.


Im weitern Verlaufe (Fig. 47, 3, 4) wird nun die Darmfaser-
schicht von Darm und Dottersack immer vollständiger und schnürt
sich zugleich der Darm immer mehr vom Dottersacke ab, welcher
so schliesslich einen längern und engen Stiel bekommt, welcher der
Dottergang.Dottergang, Ductus omphalo-mesentericus, s. vitello-
intestinalis
, heisst. Ersteres anlangend, so bildet sich am Vor-
derdarme (s. Fig. 22) und Hinterdarme allmälig auch hinten eine
Wand, indem die innersten Theile der Darmfaserplatten oder die
Mittelplatten einander entgegenwachsen und zuletzt verschmelzen.
Ebenso entsteht am Kopfdarme eine Faserwand durch Ablösung der
benachbarten Theile der dem mittleren Keimblatte angehörenden
Kopfplatten (vergl. Fig. 21, wo diese Wand noch fehlt), dagegen
sind im Bereiche des Mitteldarmes die Vorgänge etwas verwickelter.
Hier gestaltet sich die Mitte des weiten die ganze Breite des Embryo
einnehmenden Halbkanals zunächst zu einer besonderen Rinne, der
Darmrinne.Darmrinne (Fig. 26. d r), welche anfänglich nur vom Drüsenblatte
ausgekleidet ist. Bald jedoch treten auch hier die Mittelplatten vor
und vereinigen sich von beiden Seiten hinter der Darmrinne, was
von Wolff die Darmnaht genannt wurde (Fig. 29). Ist diess ge-
schehen, so zieht sich die hintere Wand der Darmrinne auch noch
in der Mittellinie zu einer senkrechten Scheidewand aus und bildet
Gekröse.die Anlage des Gekröses (Fig. 48). — Während dieser Vorgänge ver-
engert sich die Darmrinne immer mehr und schliesst sich endlich
von vorn und von hinten her zu einem Kanal, der zuletzt nur noch
durch eine enge Verbindungsöffnung mit dem Dottersack zusammen-
[97]Entwicklung des Darmes.
hängt. Die Fig. 49 und 50 zeigen Ihnen vom Hundeembryo ein
Stadium, wo der Darm, dessen Magen (Fig. 50 b) und Leber

Figure 48. Fig. 48.


(Fig. 50 c) schon angelegt
sind, schon ziemlich ab-
geschnürt ist, aber doch
noch in der Mitte in wei-
ter Verbindung mit dem
Dottersacke steht. In
Fig. 51 ist der Dottersack
viel mehr abgeschnürt
und der Darm bis auf eine
kleine Stelle, die durch
einen kurzen Dottergang
mit dem Dottersacke sich
verbindet, ganz geschlos-
sen. Zugleich zeigt Ihnen
diese Figur den Darm,
in Folge der Entwicklung
des Mesenterium, das
aber nicht gezeichnet ist,
auch schon von der Wirbelsäule abstehend, mit der Mitte bogen-
förmig vorspringend. Die Stelle des Darmes, von welcher der Dot-

Figure 49. Fig. 49.


Figure 50. Fig. 50.


Fig. 48. Siehe die Be-
schreibung bei Fig. 31.
pag. 65.


Fig. 49. Darm des in
Fig. 60 (s. unten) dargestell-
ten Hundeembryo von unten
vergr. dargestellt. Nach
Bischoff. a Kiemen- oder
Visceralbogen, b Schlund-
und Kehlkopfanlage, c Lun-
gen, d Magen, f Leber,
g Wände des Dottersacks,
in den der mittlere Theil
des Darmes noch weit über-
geht, h Enddarm.


Fig. 50. Derselbe Darm von der Seite gesehen. a Lungen, b Magen, c Le-
ber, d Dottersack, e Enddarm.


Kölliker, Entwicklungsgeschichte. 7
[98]Vierzehnte Vorlesung.
tergang ausgeht, entspricht, wie sich später zeigt, einer Stelle des
Dünndarmes unterhalb von dessen Mitte am spätern Ileum.


Figure 51. Fig. 51.

Dasselbe, was diese Zeichnungen, lehren Ihnen vielleicht noch
anschaulicher die Schemata Fig. 47. 1—5, die wohl ohne Wei-
teres klar sind, und besonders die Verhältnisse des Dotterganges
Mund- und
Afteröffnung.
deutlich zeigen. In Fig. 47. 4 ist auch die Mund- und After-
öffnung
dargestellt, von der ich noch nicht gehandelt habe. Dieselben
entstehen, bevor der Darm ganz geschlossen ist, nicht durch einen

Fig. 51. Embryo eines Hundes von 25 Tagen, 2mal vergr., von vorn und
gestreckt. Die vordere Bauchwand ist theils entfernt, theils nicht dargestellt,
so dass die Bauchhöhle viel weiter offen steht, als sie in dieser Zeit sich findet
und das Herz bloszuliegen scheint. a Nasengruben, b Augen, c Unterkiefer
(erster Kiemenbogen), d zweiter Kiemenbogen, e rechtes, f linkes Herzohr,
g rechte, h linke Kammer, i Aorta, k Leberlappen mit dem Lumen der Vena
omphalo-mesenterica
dazwischen, l Magen, m Darm, durch einen kurzen engen
Dottergang mit dem Dottersacke n verbunden, hier schon mit einem Gekröse
versehen, das aber nicht dargestellt ist, und eine vortretende Schleife bildend,
o Wolff’sche Körper, p p Allantois, q vordere, r hintere Extremitäten. Nach
Bischoff.


[99]Gefässe des Dottersackes.
Durchbruch der blinden Enden des Darmes nach aussen, sondern
dadurch, dass selbständig an der Stelle von Mund und After Ein-
buchtungen der äussern Haut nach innen entstehen, welche, sobald
sie auf die Enden des Darmes gestossen sind, mit denselben sich in
Verbindung setzen. Am Kopfe geht aus dieser Einbuchtung der
Haut die ganze Mundhöhle hervor und ist somit das, was wir bis-
her Kopfdarm nannten, der Schlundkopf. Am hintern Ende ent-
wickelt sich von aussen her die untere Hälfte des Mastdarmes und
kann ich Sie bei dieser Gelegenheit daran erinnern, dass nicht ge-
rade selten eine Missbildung beobachtet wird, welche in bestimm-
ter Weise das eben Auseinandergesetzte bekräftigt, es sind diess
die Fälle, in denen zwar die Anusöffnung da ist, aber in einen blin-
den Sack führt. Die innere Untersuchung ergibt dann meist den
Dickdarm mit einem ebenfalls blinden Ende dem äussern Blindsacke
dicht anliegend und würde in einem solchen Falle eine einfache
Operation die Verbindung herzustellen im Stande sein. Andere Male
ist jedoch das Darmende weit entfernt gelagert und wäre ein ope-
rativer Eingriff ohne Erfolg.


Vom Dottersacke selbst habe ich Ihnen nun zunächst noch an-Gefässe des
Dottersackes.

zugeben, wie die äussere gefässhaltige Hülle, die derselbe in spätern
Zeiten zeigt, sich ausbildet. Es geschieht diess dadurch, dass die
Lage, die im Fruchthofe die Gefässe trägt und die Fortsetzung der
Darmfaserplatte ist, allmälig über den ganzen Dottersack oder, ge-
nauer bezeichnet, dessen Epithelialschicht sich ausbreitet und die-
selbe endlich ganz umschliesst, wie die Fig. 47 schematisch dar-
stellt. Wie diese Gefässschicht (das Gefässblatt von Pander und
v. Baer) hierbei sich verhält, ist, was die mikroskopischen Verhält-
nisse anlangt, noch nicht verfolgt, dagegen weiss man, dass die ur-
sprünglichen Gefässe des Fruchthofes allmälig so sich ändern, dass
der Sinus terminalis vergeht und statt der mehrfachen Paare von Arte-
riae omphalo-mesentericae
schliesslich nur eine einzige und zwar die
vorderste rechte übrig bleibt, welche entsprechend sich ver-
grössert, während zugleich von den zwei Venen desselben Namens
ebenfalls nur die eine und zwar die linke sich erhält. — Die Wachs-
thumsverhältnisse des Dottersackes sind in den schematischen Zeich-
nungen, die natürlich nicht entsprechend im Ganzen vergrössert
werden konnten, so dargestellt, als ob derselbe später sich verklei-
nerte. Hierbei hatte ich die menschlichen Embryonen im Auge, bei
denen dieses Gebilde, nachdem der Darm einmal gebildet ist, nahe-
7*
[100]Vierzehnte Vorlesung.
zu stehen bleibt oder wenigstens nur unerheblich wächst, wie diess
auch bei seiner geringen physiologischen Bedeutung, über die später
noch gehandelt werden soll, leicht begreiflich ist.


Amnios oder
Schafhäutchen.
Gleichzeitig mit der Bildung des Darmkanals und Dottersacks
geht auch die Bildung des Amnios oder Schafhäutchens vor
sich. Mit diesem Namen bezeichnet man eine zarte durchsichtige
Blase, welche schon ziemlich früh den jungen Embryo dicht umgibt
und von den jeweiligen Rändern der untern Leibesöffnung oder dem
sogenannten Bauchnabel oder eigentlichen Nabel ausgeht. (Vergl.
Fig. 47. 4, 5.)


Lag?n des
Amnios.
Dieses Häutchen besteht, wie Reichert und Remak beim Hüh-
nerembryo nachgewiesen haben, aus zwei Schichten, einer innern
Epithelialschicht aus einer einfachen Lage pflasterförmiger
Zellen, die mit dem Hornblatte des Embryo zusammenhängt, und
einer äussern Faserschicht, welche die unmittelbare Fortsetzung der
Hautplatte ist (siehe Fig. 52). Man kann daher auch nicht mit Un-

Figure 52. Fig. 52.


recht sagen, das Amnios sei beim Hühnchen eine Fortsetzung der ge-
sammten Haut. Was die Säugethiere und den Menschen anlangt, so
ist von einer Zusammensetzung desselben in den früheren Zeiten aus
zwei Häuten bis jetzt nichts bekannt, ich habe jedoch bei einem
4 Wochen alten menschlichen Embryo an demselben zwei Schich-
ten gefunden, von denen die innere ein einfaches Pflasterepithel mit
schönen grossen Zellen war, während die äussere aus kleineren,

Fig. 52. Querschnitt eines Hühnerembryo vom Anfange des 3. Tages,
90—100mal vergr. Buchstaben wie in Fig. 25. v c Vena cardinalis.


[101]Amnios.
z. Th. spindelförmig ausgezogenen Elementen bestand. Bei einem
7 Wochen alten Embryo des Menschen war die äussere Lage schon
ziemlich deutlich faserig wie Bindegewebe, zeigte jedoch noch ziem-
lich viele kernhaltige Zellenkörper und wie sternförmige anastomo-
sirende Zellen. Diesem zufolge scheint das Amnios auch hier, wie
beim Hühnchen, eine Fortsetzung nicht blos der Epidermis, sondern
der ganzen Haut zu sein. Bemerkenswerth ist, dass das Amnios
des Hühnchens deutlich contractil ist. K. E. v. Baer ist derContractilität des
Amnios.

Erste, der angibt, dass das Amnios am 7. Tage bald an dem einen,
bald an dem andern Ende sich zusammenziehe und runzle und so
dem Embryo eine oscillatorische Bewegung mittheile, doch blieb
diese Beobachtung lange Zeit unberücksichtigt und wurde erst im
Jahre 1854 durch Remak der Vergessenheit entrissen (Müll. Arch.
S. 369). Remak beobachtete die Contractionen des Amnios am
7. Tage und wies zugleich spindelförmige, einkernige Muskelfasern
in der Faserschicht des Amnios nach, welche Angabe ich mit Vul-
pian
bestätigen kann. Dieser Autor gibt ausserdem an (Brown Sé-
quard
, Journal de Phys. I. pag. 619), dass die Bewegungen des Am-
nios bis zu den letzten Brüttagen bleiben. Die entferntere Ursache
dieser Bewegungen anlangend, so glaubte v. Baer, dass dieselben
durch die Kälte veranlasst werden, und Remak deutet wenigstens an,
dass dieselben innerhalb des Eies vielleicht nicht vorhanden seien,
Vulpian hat jedoch gezeigt, dass, wenn man zwischen dem 6. und
8. Tage ein Ei in einem dunklen Raume durch ein Licht erhellt, ganz
entschiedene Bewegungen des Embryo wahrgenommen werden, die
er auf Rechnung des Amnios setzt, wobei jedoch zu bemerken ist,
dass, wie schon v. Baer gezeigt hat und auch Remak und Vulpian
zugeben, der Embryo schon am 7. Tage schwache selbständige
Bewegungen zeigt. Noch erwähne ich Ihnen, dass ich eben so we-
nig, wie Vulpian und Remak, Nerven im Amnios aufzufinden im Stande
war, so wie dass von Bewegungen des Amnios von Säugern nichts
bekannt ist.


Das Amnios hat zu keiner Zeit und bei keinem Geschöpfe selb-
ständige Gefässe.


[[102]]

Fünfzehnte Vorlesung.


Amnios.
Entstehung des
Meine Herren! Nachdem ich Ihnen das Amnios in seiner ferti-
gen Gestalt geschildert habe, muss ich nun noch auf die Art und
Weise seiner Entstehung näher eingehen. Betrachten Sie einen
Hühnerembryo aus einem frühen Stadium, so finden Sie, dass der-
selbe ganz flach auf dem Dotter aufliegt, so dass seine Ränder un-
mittelbar ohne Niveau-Unterbrechung in die Ebene des Fruchthofes
oder der peripherischen Theile des Keimes übergehen. Sowie aber der
Embryo seine Bauchwand zu bilden beginnt und am Kopfe und hin-
tern Leibesende die ersten Schritte zu seiner Abschnürung gesche-
hen, kommt er wie in eine Einsenkung des Fruchthofes zu liegen,
die, unter dem eingeknickten Kopf- und Schwanzende sich hinweg-
biegend, erst vorn und dann hinten wallförmig sich erhebt, und die
Ihnen schon bekannte Kopf- und Schwanzkappe bildet (siehe
Fig. 23). Dasselbe geschieht, wie Sie aus dem Querschnitte Fig. 53

Figure 53. Fig. 53.


entnehmen können, zu bei-
den Seiten des Embryo und
bildet auch hier der peri-
phere Theil des Keimes
dicht am Rande der Seiten-
platten jederseits einen leichten Wall, die sogenannten Seiten-
kappen
. An der Bildung der ganzen Depression, der Telle im
Centrum der Keimblase, wodurch der Embryo von allen Seiten eine
wallartige Begrenzung von den sich erhebenden Theilen des Frucht-

Fig. 53. Querschnitt eines Hühnerembryo vom Ende des ersten Tages
etwas hinter der vorderen Darmpforte. Die Rückenfurche ist weit offen, ebenso
der Darm. Die Seitenplatten sind in Hautplatte und Darmfaserplatte gespalten
(Vergl. Figg. 25 und 26). Am Rande des Embryo erheben sich alle drei Keim-
blätter als Seitenlappen. Nach Remak.


[103]Amnios.
hofes erhält und die in ganz gleicher Weise wie beim Hühnchen
auch beim Säugethierembryo erscheint, betheiligen sich ursprüng-
lich alle drei Schichten des Fruchthofes (Fig. 53); allein im weitern
Verlaufe geht die Spaltung, welche in den Seitenplatten eintritt und
dort zur Bildung der Pleuro-peritonealhöhle führt, auch auf den
Fruchthof über, und trennt sich auch hier (Fig. 25, 26) das mittlere
Keimblatt in zwei Lamellen, eine äussere, die Fortsetzung der Haut-
platten, und eine innere, die Fortsetzung der Darmfaserplatten. Am
Kopfende, wo diese Spaltung beginnt, ziehen sich so das Drüsenblatt
und die Fortsetzung der Darmfaserplatte aus der Falte der Kopf-
kappe heraus und trennen sich vom Hornblatte und der demselben
anliegenden Fortsetzung der Hautplatte oder der sogenannten Hals-
platte, so dass nun diese allein, die zugleich stärker hervorwuchern,
die Falte um den Kopf bilden, welche jetzt den Namen »Kopf-Kopfscheide.
scheide« führt. Anfänglich am vordern Ende der Herzhöhle
(Fig. 23. ks) beginnend zieht sich diese Kopfscheide nach und nach
so weit rückwärts, dass sie die ganze vordere Begrenzung der Herz-
höhle liefert und dann erst sich umschlägt, um nach dem Rücken
des Embryo empor zu laufen (Fig. 47). Aber nicht blos am Kopf-
ende, sondern auch am hintern Ende und gleichzeitig an den Seiten
erfolgt eine Spaltung des mittleren Keimblattes des Fruchthofes in
zwei Lamellen, wie Ihnen der Querschnitt Fig. 25 zeigt, und wer-
den auch hier die den Embryo begrenzenden Wälle nach erfolgter
Trennung der zwei betreffenden Blätter mit neuen Namen, denen der
Seitenscheiden und der Schwanzscheide bezeichnet.Seitenscheiden.
Schwanzscheide.


Die auf die angegebene Weise entstandenen Scheiden oder Fal-
ten, die man auch die Amniosfalten nennen kann, wachsen nun
von allen Seiten gegen einen idealen Punkt, der etwas hinter der
Mitte des Rückens seine Lage hat, weiter, wie Ihnen die Querschnitte
Fig. 52 und 48 und die schematischen Längsschnitte Fig. 47 darthun.
Anfangs stehen dieselben noch weit von einander ab und begrenzen
dann die Amniosfalten am Rücken einen ovalen Raum (Fig. 54), der wie
ein Loch erscheint, das in seiner Configuration dem Bauchnabel sehr
ähnlich ist, bald aber wird durch das fortwährende Weiterwuchern
der Scheiden, vor Allem der Kopfscheide, die Amniosöffnung am
Rücken immer enger und enger und ist zuletzt nur noch als kleine
Oeffnung auf dem Rücken des Embryo zu erkennen (Fig. 48 und 47).
Endlich schliesst sich auch diese, Kopf-, Schwanz- und Seitenschei-
den sind mit einander verwachsen. Sowie diese Verwachsung ein-
[104]Fünfzehnte Vorlesung.
getreten ist, von der Ihnen der Längsschnitt Fig. 47. 3 eine Anschau-
ung gibt, zerfällt beim Säugethierembryo der Theil der Keimblase,

Figure 54. Fig. 54.


welcher an der Amniosbildung
betheiligt ist, in zwei Gebilde,
deren eines das Amnios dar-
stellt, während das andere mit
dem übrigen Theile der äus-
sern Schicht der Keimblase als
eine vollkommen geschlossene
Blase erscheint, die sich an die
äussere Eihaut anlegt und mit
ihr das ganze Ei umschliesst.
Diese Blase heisst nach v. Baer
Seröse Hülle.die seröse Hülle, und be-
steht sowohl beim Säugethier-
embryo, als auch beim Hühn-
chen nur aus dem Hornblatte,
nicht aus den zwei Schichten,
welche man am Amnios findet,
indem bei Vögeln und Säuge-
thieren das mittlere Keimblatt des Fruchthofes nur in so weit in
zwei Blätter sich spaltet, als dasselbe an der Amniosbildung be-
theiligt ist.


Ich habe Sie schon früher darauf aufmerksam gemacht, dass
das Amnios ursprünglich dem Embryo ganz dicht anliegt, so dicht,
dass man in einer schematischen Zeichnung das Lagerungsverhält-
niss beider nicht ganz genau angeben kann. Erst nachdem die Bil-
dung des Amnios vollendet und die seröse Hülle entstanden ist, erst
dann scheidet sich nach und nach Flüssigkeit zwischen dem Amnios
Liquor Amnii
Schafwasser.
und dem Embryo aus, der Liquor amnii oder das Schafwas-
ser
, durch welches das Amnios vom Embryo abgehoben wird, so
dass dieser in einer mit Flüssigkeit erfüllten Höhle liegt.


Fig. 54. Hundeembryo nach eben angelegtem erstem Kreislauf vom Rü-
cken her gesehen, ungefähr 40mal vergr. Nach Bischoff. Der Embryo ist der-
selbe, den die Fig. 46 von der Bauchseite her darstellt. Das Medullarrohr ist
am Kopfe und ganz hinten noch offen. Das Amnios deckt schon den ganzen
Embryo mit Ausnahme der Mitte des Rückens, wo durch die Oeffnung dessel-
ben der Leib sichtbar ist. An der Umschlagsstelle der Amniosfalten ist noch
ein Theil der serösen Hülle erhalten.


[105]Amnios.

Die weiteren Schicksale des Amnios sollen später im Zusam-Erklärung der
Bildung des
Amnios.

menhange mit den letzten Veränderungen der übrigen fötalen Eihül-
len besprochen werden, dagegen will ich Ihnen noch einige Aufklä-
rungen über die Art und Weise der Bildung des Amnios geben.
Die Amniosbildung kommt nicht durch mechanische Vorgänge zu
Stande, wie noch in neuester Zeit von mehrfachen Seiten irrthüm-
lich gelehrt wird, indem man z. B. dasselbe durch das Sichanlegen
der äussern Schicht der Keimblase an die äussere Eihaut entstehen
liess, sondern unzweifelhaft durch Zellenthätigkeit und besondere
Wachsthumsverhältnisse der äussern Schicht der Keimblase. Sie
werden sich leicht vorstellen können, wie durch Zellenvermehrung
eine Haut wie das Amnios in der Fläche nach einer bestimmten
Richtung sich ausdehnt, und brauche ich Sie wohl kaum daran zu
erinnern, dass z. B. das Blatt einer Pflanze durch ähnliche Vorgänge
seine Grösse und eigenthümliche Gestalt erlangt. Wie am embryo-
nalen Theile des äussern Keimblattes die Medullarwülste durch eine
besondere Richtung der Zellenthätigkeit — d. h. durch ein star-
kes Flächenwachsthum an einer beschränkten Stelle — sich erhe-
ben, so entstehen gerade in derselben Weise weiter nach Aussen
auch die ersten Amniosfalten. Einmal gebildet, so ist es einfache
Vermehrung aller diese Falten ursprünglich bildenden Zellen, welche
dieselben in bestimmter Richtung nach dem Rücken des Embryo
empor treibt, und eben so bedingt dann eine Aenderung dieses
Vermehrungsprocesses in der Art, dass nach und nach immer we-
niger Zellen an demselben sich betheiligen, die endliche Verwach-
sung der genäherten Falten in einem Punkt. Es wäre mir leicht,
Ihnen diess noch weiter im Einzelnen auszuführen, da jedoch die
Meisten von Ihnen wohl hinreichend mit den Leistungen von Zellen
mit Bezug auf Formänderungen von Organen vertraut sein werden,
so beschränke ich mich auf das Bemerkte und will ich Ihnen nur noch
anführen, dass nach dem Schlusse des Amnios dasselbe noch eine
Zeit lang mit der serösen Hülle in Verbindung bleibt, und dass in
gewissen Fällen selbst wie ein dünner Verbindungsstrang beider
Häute gefunden wird, der in der Fig. 47. 3 dargestellt ist.


Wir haben bis jetzt zwei fötale Blasen kennen gelernt, den Dot-
tersack und das Amnios. Jede dieser Hüllen besteht, wie wir ge-
sehen haben, aus einer Lamelle des mittleren Keimblattes und aus
einer Epitheliallage: der Dottersack aus der Darmfaserplatte und
dem Drüsenblatt, das Amnios aus der Fortsetzung der Hautplatten
[106]Fünfzehnte Vorlesung.
und dem Hornblatte. Einen wesentlichen Unterschied zwischen bei-
den Hüllen bedingt das Verhalten der Gefässe, indem der Dotter-
sack Gefässe führt, die er in seinem eigenen Gewebe entwickelt,
während das Amnios bei keinem Geschöpfe und zu keiner Zeit Ge-
fässe enthält und hierdurch seine geringere Dignität wenigstens mit
Bezug auf die vegetativen Vorgänge darthut.


Allantois,
Harnsack.
Ich wende mich nun zur Beschreibung der Allantois oder
des Harnsackes (v. Baer), eines Gebildes, das für die Ernährung
des Embryo eine sehr wichtige Rolle spielt und der Träger der Um-
bilicalgefässe
ist. Der Harnsack wird beim Säugethierembryo
später als das Amnios sichtbar; erst wenn dieses ganz geschlossen
ist, beobachtet man die ersten Spuren des neu entstehenden Gebil-
des und zwar am hintern Ende des Embryo am Rande des Eingan-
ges in die Beckendarmhöhle. Das Erste, was man bemerkt, sind
zwei leichte Auftreibungen am Rande der vordern Beckenwand

Figure 55. Fig. 55.


(Fig. 55). Diese beiden Höcker
oder Hügel werden immer grös-
ser, verschmelzen mit einander
und bilden eine einzige war-
zenförmig hervorspringende
Erhebung, die anfangs, eben
so wie die früheren Höcker,
ganz solid und durch und durch
aus Zellen zusammengesetzt
ist (Fig. 56). Bald jedoch be-
merkt man in dem birnförmig
sich gestaltenden Gebilde eine
Höhle; das so entstandene
Bläschen vergrössert sich mehr
und mehr, wird gestielt und
trennt sich zugleich von der
Wand der Beckendarmhöhle,
tritt dagegen mit dem Hinter-

Fig. 55. Hinteres Ende eines Hundeembryo mit hervorsprossender Allan-
tois. Das sogenannte Gefässblatt und das Darmdrüsenblatt oder die Anlage des
Darmes und die benachbarten Theile des Dottersackes sind zurückgeschlagen,
um die Corp. Wolffiana zu zeigen, 40mal vergr. Nach Bischoff. a Wolff’sche
Körper mit dem Ausführungsgange und den einfachen blinden Kanälchen, b Ur-
wirbel, c Rückenmark, d Eingang in die Beckendarmhöhle.


[107]Allantois.
darm in Communication (Fig. 64). Sehr früh entwickeln sich auf
der hervorsprossenden Allantois Gefässe und zwar sind es die EndenGefässe der
Allantois.

Figure 56. Fig. 56.


der beiden primitiven Aorten oder der
Aa. vertebrales posteriores, wie sie auch
genannt werden, die aus der Becken-
bucht hervorkommend ein zartes Netz
auf dem Bläschen bilden, aus welchem
wiederum zwei Venen, die Vv. umbili-
cales
entspringen, welche in den Rän-
dern der Bauchwände nach vorn ver-
laufen und mit den Venae omphalo-me-
sentericae
gemeinschaftlich in einen Be-
hälter einmünden, der mit dem venösen
Theile des Herzens in Verbindung steht.
In weiterer Entwicklung gestaltet sich
nun die Allantois nach und nach zu einer grösseren ausserhalb
des Embryo zwischen Dottersack und Amnios gelegenen Blase, die
ein ganz deutlich sichtbarer hohler Stiel mit dem Darm und zwar
mit der vordern Wand des Mastdarms in Verbindung setzt (Fig. 47).
Dieser Stiel ist der Urachus oder Harngang, dessen obliterirter
Rest beim Erwachsenen als Ligamentum vesicae medium vom Schei-
tel der Harnblase bis zum Nabel geht. Mit dieser weitern Ausbil-
dung des Harnsackes tritt dann auch eine Veränderung in seinem
Gefässsysteme ein, insofern als derselbe stärker sich entwickelt und
die Arterien mit dem Auftreten der Gefässe der hintern Extremi-
täten und des Schwanzes nicht mehr als die Enden der primitiven
Aorten erscheinen, obschon sie, die von nun an Art. umbilicales
heissen, die stärksten Ausläufer derselben sind.


Die weitern Veränderungen der Allantois werden wir späterErste Bildung
des Harnsackes.

im Zusammenhange mit den übrigen Eihüllen betrachten, dagegen
ist hier der Ort, die Art und Weise ihrer ersten Entstehung
noch etwas näher ins Auge zu fassen. Nach v. Baer sprosst der
Harnsack als ein unpaares Gebilde aus der vordern Wand des Mast-
darmes hervor und ist eine Fortsetzung der beiden Häute desselben,

Fig. 56. Hinteres Ende eines Hundeembryo mit nach hinten geschlagener
mehr entwickelter Allantois a. Nach Bischoff. b Enddarm nach vorn mit dem
Dottersack verbunden, der auf die linke Seite geschlagen ist, c primitive Aorten
auf der Allantois sich verzweigend, d Venae umbilicales, an den Rändern der
Bauchwand verlaufend.


[108]Fünfzehnte Vorlesung.
des Gefässblattes und des Schleimblattes (Darmdrüsenblattes). Diese
in Anbetracht der spätern Beziehungen der Allantois zum Darme
sehr zusagende Ansicht wurde allgemein angenommen, es hat sich
jedoch später ergeben, dass dieselbe weniger auf Beobachtungen
als darauf beruht, dass es v. Baer unmöglich erschien, dass die Al-
lantois in anderer Weise aus dem Darmkanale sich hervorbilde, als
die andern mit demselben verbundenen Organe, wie die Leber und
die Lungen, von denen v. Baer ihre Entwicklung durch Wucherung
der Darmwand dargethan hatte. Der Erste, der über die erste Bil-
dung der Allantois Thatsächliches vorführte, ist Reichert, der die-
selbe vom Hühnchen als anfänglich doppelt und solide beschreibt,
über ihre Herkunft selbst jedoch nicht ganz im Klaren war. Darauf
beschrieb Bischoff den Harnsack von Säugethierembryonen als eine
ursprünglich solide doppelte Wucherung der vordern Beckenwand,
die erst nachträglich einfach und hohl werde und sich mit dem
Darm in Verbindung setze, und Remak endlich verdanken wir die
vollständigsten Aufschlüsse über seine Entstehung. Nach diesem
Autor entsteht in der vordern Beckenwand eine ähnliche Spaltung
wie diejenige, die zur Bildung der Herzhöhle in der vordern Hals-
wand Veranlassung gibt (Fig. 23). Die eine Lamelle (Hautplatte)
des gespaltenen mittleren Keimblattes geht als Faserschicht auf das
Amnios, die andere Lamelle (Darmfaserplatte) auf den Dottergang
und Dottersack über. Vom Ausgangspunkte der Spaltung jedoch, von
der Hautplatte aus (in der Fig. 23 würde der analoge Punkt der
sein, wo die Hautplatte von der Darmfaserplatte sich trennt, ein-
wärts der Buchstaben ks) entwickelt sich die erste Anlage der Allan-
tois als solide Wucherung der vordern Bauchwand, gerade vom Rande
derselben aus und zwar in der Form der Ihnen schon bekannten
zwei Höcker. Nachdem diese sich vereinigt haben, trennt sich die
Anlage vom Rande der vordern Bauchwand, tritt dagegen mit der
Darmfaserwand in Verbindung und zugleich entwickelt das Drüsen-
blatt des Darmes eine blinde Ausstülpung in die noch solide Anlage
hinein. Dieser blinde Auswuchs wird dann immer grösser, die
Wandungen des Bläschens dabei immer dünner, und schlägt dann
die Allantois im weitern Verlauf den Entwicklungsgang ein, den wir
schon geschildert haben. Ueberraschend ist bei dieser Allantois-
bildung, über deren Richtigkeit keine Zweifel bestehen können,
die Lösung der ursprünglichen Verbindung der Harnsackanlage von
der vordern Bauch- oder Beckenwand, die neue Vereinigung
[109]Allantois.
mit der Faserplatte des Mastdarms, dessen Drüsenblatt die innere
Wand der hohl gewordenen Anlage auskleidet, und hat auch Remak
in dieser Beziehung keine weiteren Aufschlüsse gegeben. Dem Be-
merkten zufolge sind Harnsack und Dottersack, obwohl im Bau im
Wesentlichen gleich und jeder aus einer Fortsetzung der Darmfaser-
platte und des Darmdrüsenblattes gebildet, doch in der Entwick-
lung ganz und gar verschieden, und können Sie hieraus entnehmen,
dass man in der Entwicklungsgeschichte ebenso wie anderwärts
sich sehr davor zu hüten hat, nach der Analogie Schlüsse abzuleiten,
indem die Thatsachen oft auf die merkwürdigste Weise allen unsern
aprioristischen Ableitungen widersprechen.


Noch ist zu bemerken, dass wenigstens beim HühnerembryoContractilität der
Allantois.

auch die Allantois contractil ist. Vulpian, dem wir diese
Beobachtung verdanken, beobachtete die Contractilität vom 8. Tage
an bis zum Ende der Fötalperiode und wies auch die spindelför-
migen Muskelzellen nach, von denen dieselbe herrührt (Journ. de
Phys. I. pag. 619 u. flgde.).


[[110]]

Sechzehnte Vorlesung.


Urnieren.Meine Herren! An die Schilderung der Allantois reihe ich nun
noch die Betrachtung der sogenannten »Urnieren« oder »Wolff’-
schen Körper
« (auch Primordialnieren oder Oken’sche
Körper
genannt). Sie erinnern sich aus früheren Darstellungen,
Urnierengänge.dass die Ausführungsgänge dieser Organe beim Hühnerembryo
schon in sehr früher Zeit auftreten und nach Remak unmittelbar
unter dem Hornblatte in einer kleinen Lücke zwischen demselben,
den Seitenplatten und den Urwirbeln ihre Lage haben, eine Dar-
stellung, welche auch nach meinen Untersuchungen vollkommen be-
gründet ist (Fig. 57). Diese Gänge nun entwickeln sich wahrschein-

Figure 57. Fig. 57.


lich aus den Seitenplatten und nicht aus den Urwirbeln, auf keinen
Fall aber ist eine Hervorbildung derselben aus dem Hornblatte an-
zunehmen, indem die genaueste Beobachtung von einer Wucherung

Fig. 57. Querschnitt durch einen Hühnerembryo vom zweiten Tage,
90—100mal vergr. dd Darmdrüsenblatt, ch Chorda, uw Urwirbel, uwh
Urwirbelhöhle, ao primitive Aorta, ung Urnierengang, sp Spalte in den Sei-
tenplatten (erste Andeutung der Pleuroperitonealhöhle), die durch dieselbe
in die Hautplatten hpl und Darmfaserplatten df zerfallen, die durch die Mittel-
platten mp untereinander zusammenhängen, mr Medullarrohr (Rückenmark),
h Hornblatt, stellenweise verdickt.


[111]Urnieren.
dieses Blattes an dieser Stelle zu keiner Zeit irgend eine Spur ergibt.
So auffallend es mithin auch ist, dass die Urnierengänge und, wie wir
sehen werden, auch die Urnieren aus dem mittleren Keimblatte her-
vorgehen, während sonst die grosse Mehrzal der Drüsen in ihren
epithelialen Elementen aus dem Hornblatte und dem Darmdrüsen-
blatte sich hervorbildet, so bleibt doch nichts anderes übrig, als
den Thatsachen ihr Recht einzuräumen, auch wenn wir dieselben
vorläufig nicht begreifen. Wir werden übrigens später sehen, dass
auch andere ächte Drüsen, wie die Hoden und Eierstöcke, ohne Be-
theiligung der Epithelialblätter des Keimes entstehen.


Der Ausführungsgang der Wolff’schen Körper scheint anfangs
solid zu sein und erst in zweiter Linie eine Höhle in seinem Innern
zu entwickeln. Wenigstens sieht man im Anfange keine Spur einer
Höhle (Fig. 25), während später deutlich ein Lumen in dem Kanal
wahrzunehmen ist. Im weiteren Verlaufe nun rückt dieser Kanal gegen
das Darmdrüsenblatt und immer näher gegen die Aorta zu, welche
ihrerseits gegen die Mittellinie vorrückt, so dass er nach und nach
seitlich von den Urwirbeln, beinahe an die Stelle zu liegen kommt,
die früher die Aorta einnahm. Während dieser Lageveränderung
des Kanals, deren Ursache wahrscheinlich in besonderen Wachs-
thumsverhältnissen des Hornblattes und der Hautplatten zu suchen
ist (s. Fig. 25 und 57), bemerkt man auch an der inneren, unteren
Seite desselben unterhalb der Urwirbel eine Zellenmasse (Fig. 25. uw),
aus welcher sich die Urniere selbst gestaltet. Auch von dieser Zel-
lenmasse ist nur das sicher, dass sie aus dem mittleren Keimblatte
hervorgeht, dagegen bleibt es auch hier zweifelhaft, ob dieselbe aus
den Urwirbeln oder aus den Seitenplatten, d. h. den Mittelplatten
hervorgeht. Nach dem, was ich zu ermitteln im Stande war, ist
letzteres das wahrscheinlichste, auch sieht man in gewissen Fällen
deutlich nach innen von den Anlagen der Urnieren eine ziemlich
scharfe Begrenzung der Urwirbel ganz in derselben Weise wie
früher, von welcher allerdings in dem in Fig. 25 dargestellten
Schnitte nichts zu sehen war.


Beim Hühnerembryo, den Remak sorgfältig untersucht hat, er-Urnieren des
Hühnerembryo.

scheint die Urniere, sobald sie einigermaassen entwickelt ist, in fol-
gender Weise: der Ausführungsgang verläuft an der untern Seite
der Urwirbel mehr nach aussen und mit ihm stehen nach innen
kurze, einfache, quere Drüsenkanälchen in Verbindung, so dass die
ganze Drüse wie halb gefiedert erscheint; ausser diesen queren Ka-
[112]Sechzehnte Vorlesung.
nälchen bemerkt man dann noch an der inneren Seite des Ganges
zwischen und nach innen von den queren Kanälchen rundliche, aus
Zellen gebildete Körperchen. Nach Remak’s Darstellung sollen die
Querkanälchen der Drüse aus solchen rundlichen Zellenhäufchen
sich entwickeln, welche mit dem Ausführungsgange in Verbindung
treten und dann eine Höhlung bekommen. Doch spricht er auch
die Vermuthung aus, dass die Querkanälchen der Drüsen durch
Wucherung des Ausführungsganges sich bilden, in welchem Falle
dann die rundlichen Zellenmassen alle nichts anderes als die Anla-
gen der »Malpighischen Körperchen« wären, welche in den Urnieren
vorkommen. Diese Vermuthung ist, obschon sehr wahrscheinlich,
nicht als bewiesen zu erachten und sind wir daher über die erste
Bildung der Querkanälchen noch nicht im Klaren. Mag dem sein
wie ihm wolle, so ist so viel sicher, dass auf jeden Fall ein Theil
Malpighi’sche
Körperchen der
Urnieren.
der rundlichen Zellenmassen zu den Malpighischen Körperchen der
Urnieren wird. Rathke hat zuerst die interessante Entdeckung ge-
macht, dass die Urnieren der beschuppten Amphibien, Vögel und
Säugethiere wirklich Malpighische Körperchen besitzen, wesentlich
von demselben Bau wie die der bleibenden Nieren. Nach Remak
nun entwickeln sich diese »glomeruli« aus rundlichen, isolirten Zel-
lenmassen, die erst in zweiter Linie mit den Drüsenkanälchen in
Verbindung treten. Diese Verbindung lässt er, gestützt auf Unter-
suchungen über die bleibenden Nieren, in der Art vor sich gehen,
dass die Anlage des Malpighischen glomerulus in ein Drüsenkanäl-
chen hineinwachse und zwar so, dass das blinde Ende des Drüsen-
kanälchens ins Innere hinein eingestülpt werde. Indem dann diese
Einstülpung weiter sich entwickelt, kommt der Malpighische glome-
rulus
schliesslich wie in das Innere des erweiterten Endes des Drü-
senkanälchens zu liegen, zugleich wandelt sich derselbe grössten-
theils in Blutgefässe um; die Oeffnung nun, durch welche die Ge-
fässe mit dem glomerulus in Verbindung stehen, verengert sich nach
und nach und zugleich scheiden die Zellenmassen der Urnierenka-
nälchen sowohl als auch die eingestülpten Enden derselben an ihrer
äusseren Fläche eine structurlose Membrana propria aus, welche als
die äusserste Begrenzung der Malpighischen Körperchen erscheint,
und im Falle sie sich im ganzen Umfange des Epithels derselben
bildet, auch eine Bekleidung für den glomerulus selbst abgeben muss.
Ob jedoch eine solche innere Membrana propria in den Urnieren
vorkommt, ist nicht erwiesen.


[113]Urnieren.

Bei den Säugethieren ist die allererste Entwicklung der Urnie-Urnieren der
Säugethiere.

ren noch nicht verfolgt und beschränkt sich Alles, was wir über die
frühesten Zustände derselben wissen, auf folgendes. Nach Bischoff’sErste Gestalt
derselben.

Untersuchungen werden die Urnieren sichtbar, bevor die Allantois-
anlage hervortritt und erscheinen als zwei Züge, die sich unterhalb
der Urwirbel vom Herzen bis zur Beckenbucht erstrecken (Fig. 58).


Figure 58. Fig. 58.

An diesen Zügen unterscheidet
man den nach Aussen gelege-
nen Ausführungsgang und die
nach Innen zu befindlichen ganz
kurzen geraden Drüsenkanäl-
chen, die am Ende meist etwas
kolbig erweitert sind. Ausfüh-
rungsgang wie Drüsenkanäl-
chen sind nach Bischoff ur-
sprünglich solide Gebilde, die
erst in zweiter Linie ein Lumen
bekommen. Sobald nun die
Allantois sich gebildet und ei-
nigermaassen entwickelt hat,
lässt sich nachweisen, dass die
Urnierengänge mit zwei nahe
gelegenen Oeffnungen in die-
selbe einmünden. Beim Hüh-
nerembryo dagegen münden, beiläufig bemerkt, die Urnierengänge
niemals in die Allantois, sondern in die hintere Wand des Theiles
des Mastdarms, der später zur »Kloake« wird, ebenso scheint es
sich nach Rathke auch bei den Schlangenembryonen zu verhalten.


Die weitere Entwicklung der im Anfange so zierlich und ein-Weitere Ent-
wicklung der
Urnieren.

fach gebildeten Urnieren kennt man nun von Säugethier- und
menschlichen Embryonen ziemlich genau und sind es namentlich
die Beobachtungen von Joh. Müller, Valentin, Rathke, Bischoff und
Andern, die uns in dieser Beziehung Aufschlüsse gegeben haben.

Fig. 58. Hinteres Ende eines Hundeembryo mit hervorsprossender Allan-
tois. Das sogenannte Gefässblatt und das Darmdrüsenblatt oder die Anlage des
Darmes und die benachbarten Theile des Dottersackes sind zurückgeschlagen,
um die Corp. Wolffiana zu zeigen, 10mal vergr. Nach Bischoff. a Wolff’sche
Körper mit dem Ausführungsgange und den einfachen blinden Kanälchen, b Ur-
wirbel, c Rückenmark, d Eingang in die Beckendarmhöhle.


Kölliker, Entwicklungsgeschichte. 8
[114]Sechzehnte Vorlesung.
Die einfachen Drüsenkanälchen wachsen im weiteren Verlaufe und
beginnen sich zu schlängeln, so dass die lange, schmale Drüse nach
und nach eine mehr compacte Form annimmt und ein zusammen-
hängender Drüsenkörper sich bildet. Auf dem Höhestadium seiner
Entwicklung erscheint der Wolff’sche Körper als eine beiläufig
spindelförmige, ziemlich dicke Drüse, deren Ausführungsgang
an der vordern, äusseren Fläche gerade herunter läuft und nimmt,
immer noch von derselben Längenerstreckung wie früher, einen
bedeutenden Raum seitlich vom Gekröse des Mitteldarmes in der
Bauchhöhle ein. Bezüglich auf den Bau, so besteht der Wolff’sche
Körper wesentlich aus den schon erwähnten geschlängelten Drü-
senkanälchen, die, ausser dass sie einen grösseren Durchmesser
besitzen, in allen Beziehungen mit den Kanälchen der bleibenden
Nieren übereinstimmen, und jedes für sich in den Ausführungsgang
einmünden. Ausserdem finden sich noch zahlreiche Blutgefässe, die
von mehrfachen, von der Aorta unter rechten Winkeln abgehenden
Malpighische
Körper.
kleinen Arterien abstammen und im Innern mit Malpighischen
Knäueln
enden, die auch in den Urnieren von Säugethieren nicht
fehlen, und in derselben Weise mit den Drüsenkanälchen sich ver-
binden, wie diess von der eigentlichen Niere bekannt ist. — Bei Ei-
Flimmerung in
den Urnieren.
dechsenembryonen ist von Remak[und] mir selbst Flimmerung in
den Kanälen der Urnieren beobachtet worden, welche bei andern
Thieren bis jetzt noch nicht zu sehen war.


Nachdem die Urnieren eine Zeit lang in voller Grösse bestan-
den haben, beginnen sie nach und nach im Wachsthum stille zu
stehen und ändern dann ihre Lage in der Bauchhöhle in der Art,
dass sie scheinbar mehr nach hinten rücken. Zuletzt fallen sie mit
Ausnahme gewisser Theile, die mit den Geschlechtsorganen sich
verbinden, einer Auflösung anheim, wie diess später ausführlich
geschildert werden soll.


Verrichtungen
der Urnieren.
Ueber die Function dieser Organe besitzen wir ganz be-
stimmte Aufschlüsse. Joh. Müller hat zuerst in den Kanälchen der
Urnieren ein eigenthümlich geformtes Secret in Gestalt von körnigen
Massen gefunden, eine Beobachtung, die später von Volkmann und
Rathke bei Eidechsenembryonen, von Remak beim Hühnchen und
von Bischoff bei Säugethieren bestätigt wurde. Remak hat ausser-
dem gezeigt, dass dieses körnige Secret Harnsäure enthält, indem
auf Zusatz von Essigsäure die characteristischen Harnsäurekrystalle
auftraten, und die Zusammensetzung desselben aus harnsaurem Am-
[115]Urnieren.
moniak und harnsaurem Natron wahrscheinlich gemacht. Diesem
zufolge nun und wegen der vollkommenen Uebereinstimmung der
Wolff’schen Körper mit den ächten Nieren in der feineren Structur kann
nicht bezweifelt werden, dass dieselben wirklich harnbereitende
Organe
sind, und entsteht zugleich die fernere Frage, welchen
Antheil dieselben an der Bildung der Flüssigkeit nehmen, welche die
Allantois erfüllt. Die Allantoisflüssigkeit enthält, wie zuerstAllantoisflüssig-
keit.

beim Hühnchen sich hat nachweisen lassen, Harnsäure und zu einer
gewissen Zeit auch Harnstoff; die der Säugethiere führt ebenfalls
Substanzen, die als Harnbestandtheile bezeichnet werden können,
und hat man in ihr das sogenannte »Allantoin« und dann auch
Harnstoff gefunden. Ausserdem enthält dieselbe auch Zucker (Ber-
nard, Majewski
) und Eiweiss. Nach Majewski enthält die immer
alkalische Allantoisflüssigkeit älterer Kalbsembryonen (von 21—27
Wochen) 96,16 Wasser und 3,84 feste Substanz. Davon sind
2,76 organische Materie und von dieser 0,64 Traubenzucker und
0,85 Harnstoff. Diesem zufolge könnte man auf den Gedanken kom-
men, die Allantois sei wirklich eine Art »Harnsack« und es stamme
die gesammte Flüssigkeit derselben aus den Wolff’schen Körpern,
allein diess hiesse wohl zu weit gehen, denn es ist nicht gedenkbar,
dass die grosse Masse von Flüssigkeit, welche bei manchen Ge-
schöpfen oft lange Zeit hindurch den Harnsack erfüllt, nichts An-
deres sein sollte, als das Secret der kleinen und im Ganzen genom-
men nur kurze Zeit bestehenden Wolff’schen Körper. Offenbar hat
die Allantoisflüssigkeit noch eine andere Quelle und zwar erscheint
es mir als das Wahrscheinlichste, dass sie zum grössten Theile aus
den Gefässen der Wandungen der Allantois selbst stammt und nichts
als eine Ausscheidung derselben ist. Ausserdem hat man auch an
ein Eindringen der Flüssigkeit von Aussen, d. h. vom Uterus her
gedacht, welche Vermuthung jedoch kaum begründet sein möchte.


Ich wende mich nun, meine Herren, zur Betrachtung der wei-Gestaltung des
Säugethierem-
bryo nach dem
Auftreten der
Allantois.

teren Veränderungen, welche der Säugethierembryo erleidet, nach-
dem die Allantois und die Wolff’schen Körper gebildet sind, Ver-
änderungen, die denselben nun bald in seine typische Form über-
führen. — Wie Sie sich erinnern werden, ist der Säugethierembryo
in der Gestalt, die Sie bisher kennen gelernt haben, äusserst ein-
fach und stellt ein schiff- oder kahnförmiges Gebilde dar, an wel-
chem sich vorn eine grössere und am hintern Ende eine kleinere
Höhle findet, während in der Mitte der Leib weit offen und rinnen-
8*
[116]Sechzehnte Vorlesung.
förmig ausgehöhlt ist. Betrachtet man einen Embryo aus diesem
Stadium in der seitlichen Ansicht, so sieht man, dass der Kopf zwar
grösser als die übrigen Theile, aber doch nicht auffallend ver-
dickt ist, und dass derselbe etwas über das Niveau der Keimblase
hervorragt und sich ein Wenig abgeschnürt hat (s. Fig. 39, die ein
etwas früheres Stadium darstellt). Eine ähnliche Abschnürung fin-
det sich auch am hinteren Leibesende, und zugleich ergibt sich,
dass der Leib in der Längsrichtung etwas convex ist. Die weiteren
Veränderungen in der Leibesgestalt sind nun folgende: Zunächst
entwickelt sich der Kopf mächtig und immer mächtiger, was vor
Allem durch die grosse und rasche Entwicklung des Gehirns be-
dingt wird, und zugleich schnürt sich derselbe immer mehr von der
Keimblase ab. Während diess geschieht, erleidet derselbe zu-
gleich eine eigenthümliche Krümmung, die bei genauer Betrach-
tung als eine doppelte erscheint (Fig. 59). Eine erste Krümmung,
Vordere Kopf-
krümmung.

Figure 59. Fig. 59.


oder die vordere Kopf-
krümmung
, findet sich in
der Gegend der zweiten Hirn-
blase (Fig. 59 bei c), und bil-
det einen starken Vorsprung,
so dass der Kopf dadurch in
einen vordern und hintern
Theil zerfällt, welche durch
einen nahezu rechten Winkel
in einander übergehen. Eine
zweite Krümmung zeigt sich
an der Grenze des verlänger-
ten Marks und des Rücken-
marks; diese heisst gewöhn-
lich der Nackenhöcker, oder
die Nackenkrümmung, wir
wollen sie jedoch mit dem Na-
men der »hinteren Kopf-

Fig. 59. Embryo eines Hundes mit vollkommen gebildetem aber dicht an-
liegendem Amnios, noch ohne Allantois mit den angrenzenden Theilen des Dot-
tersackes in der Seitenansicht, etwa 10mal vergr. Nach Bischoff. Der Em-
bryo ist mit seinem Kopfe wie in den Dottersack eingestülpt, d. h. in einer Ein-
senkung desselben gelegen. a Vorderhirn, b Zwischenhirn, c Mittelhirn, d dritte
primitive Hirnblase, e Auge, f Gehörbläschen, g g g Kiemenbogen, h Herz.
Am Bauche sieht man die Ränder des rinnenförmig ausgehöhlten Leibes.


[117]Gestalt des älteren Säugethierembryo.
krümmung« belegen. Bezeichnen Sie die Axe des Embryo durchHintere Kopf-
krümmung.

Linien, so sehen Sie, dass die Axe des Rückens ungefähr unter einem
rechten Winkel in die des hinteren Kopftheiles übergeht, und dass
dieser wiederum nahezu in einem rechten Winkel in die des vorde-
ren Abschnittes sich fortsetzt. Eine ähnliche Krümmung erleidet
der Embryo später auch an seinem hinteren Leibesende, welche wir
»die Schwanzkrümmung« nennen wollen (Fig. 60). ZugleichSchwanzkrüm-
mung.

Figure 60. Fig. 60.


krümmt sich auch der Rücken des Embryo mehr, so dass er etwas
hinter der vorderen Extremität buckelartig vortritt und findet man
in einem weiteren Stadium diesen Vorgang so weit gediehen (Fig. 60),
dass das vordere und hintere Leibesende einander sehr nahe liegen
und eine ziemlich geschlossene Bucht umfassen, in welcher das
Herz, der sich entwickelnde Darmkanal und die hervorsprossenden
Eingeweide überhaupt ihre Lage haben. Ausser der einfachen

Fig. 60. Derselbe Hundsembryo in der Seitenansicht, den die Fig. 51
darstellt. Nach Bischoff. a Vorderhirn, b Zwischenhirn, c Mittelhirn, d dritte
Hirnblase, e Auge, f Gehörbläschen, g Unterkieferfortsatz, h Oberkieferfort-
satz des ersten Kiemenbogens, zwischen beiden der Mund, i zweiter Kiemen-
bogen, davor die erste Kiemenspalte, k rechtes Herzohr, l rechte, m linke
Kammer, n Aorta, o Herzbeutel, p Leber, q Darm, r Dottergang mit den Vasa
omphalo-mesenterica, s
Dottersack, t Allantois, u Amnios, v vordere, x hintere
Extremität, z Riechgrube.


[118]Sechzehnte Vorlesung.
Spiralige
Aufrollung des
Schwanzes.
Schwanzkrümmung zeigt das hintere Leibesende in einem gewissen
Stadium auch noch eine Andeutung einer spiraligen Aufrollung,
doch ist diese beim Säugethierembryo nie stärker ausgeprägt, wo-
gegen dieselbe beim Hühnchen sehr schön zu sehen ist (s. Remak
l. c. Tab. IV. Fig. 46) und bei Schlangenembryonen nach Rathke in
einer so ausgezeichneten Weise erscheint, dass der Schwanz zur
Zeit der höchsten Entwicklung dieses Verhältnisses 7 Spiraltouren
bildet und die Gestalt eines Schneckengehäuses wiederholt.


Drehung des Em-
bryo um seine
Längsaxe.
Zu der beschriebenen Kopf- und Schwanzkrümmung gesellt
sich nun noch eine Drehung des Embryo um seine Längs-
axe
, die in einer bestimmten Zeit sehr ausgeprägt ist. In einem
gewissen Stadium nämlich liegt der Embryo so auf der Keimblase,
dass sein Kopf von oben betrachtet im Profil sich zeigt und seine
linke Seite nach oben wendet, während der mittlere Theil in der
Weise gedreht ist, dass immer mehr vom Rücken sichtbar wird, so
dass an der hinteren Leibeshälfte der Rücken nach oben und die
Bauchfläche nach unten gerichtet ist. Das hintere Ende selbst ist
dann häufig wiederum etwas auf die Seite gewendet und macht
dann bei weiterer Entwicklung die erwähnten Spiraltouren, bei

Figure 61. Fig. 61.


denen die Mittellinie des
Rückens nach Aussen ge-
kehrt ist. Betrachtet man
einen Embryo mit entwi-
ckelter Spiralkrümmung
von der Seite der Keim-
blase, so wird natürlich
seine rechte Kopfhälfte und
die Bauchfläche des Lei-
bes sichtbar sein, wie die
Fig. 61 ergiebt. Noch ist
zu bemerken, dass die
Spiralkrümmung des Lei-
bes eine von links nach
rechts gewundene Spirale

Fig. 61. Hundsembryo von unten und rechts gesehen mit nach links ge-
schlagenem Dottersack. Nach Bischoff. a vordere Extremität, b Allantois,
c erster Kiemenbogen (Unterkieferfortsatz), d zweiter Kiemenbogen, hinter dem
noch ein dritter und vierter sich finden, e Gehörbläschen. Ausserdem sieht
man 4 Kiemenspalten, das Herz, die Urnieren.


[119]Gestaltung des älteren Säugethierembryo.
darstellt, wie am besten bei Schlangenembryonen zu sehen ist. Spi-
ral-, Kopf- und Schwanzkrümmung nun erhalten sich, nachdem sie
vollkommen ausgebildet sind, noch eine gewisse Zeit, später aber
streckt sich der Embryo wieder mehr und wenn er auch allerdings
noch lange die Andeutung einer Krümmung erkennen lässt, so ist
dieselbe in späterer Zeit doch nicht mehr so ausgesprochen, und
hebt sich namentlich der Kopf ziemlich bald und streckt sich, eine
Erscheinung, welche mit der Entwicklung des Halses zusammenhängt.


Was nun die Ursache dieser Krümmungen im Allgemeinen be-
trifft, so werden dieselben unstreitig dadurch bedingt, dass der Rü-
cken und vor Allem das centrale Nervensystem, von denen wir schon
früher gesehen haben, dass sie vor allen andern Theilen sich anlegen
und weiterbilden, mehr als die Theile der Bauchfläche wachsen, wo-
durch der Embryo nothwendigerweise nach dem Rücken zu convex
wird. Später nun rücken diese Theile im Wachsthume langsamer vor
und beginnen die vordern Theile sich zu entwickeln, worauf dann
der Embryo gewissermaassen wieder sich aufrollt.


Während die beschriebenen Veränderungen in der Stellung desHals.
Leibes vor sich gehen, entwickelt sich nicht nur der Kopf immer
mehr, sondern es bildet sich allmählig auch der Hals aus, wobei
sich bemerkenswerthe Phänomene ergeben. Es treten nämlich auch
beim Säugethierembryo in der Halswand zu einer gewissen Zeit
Spalten auf, welche von aussen in den Vorderdarm (die spätere
Schlundhöhle) durchdringen und »Kiemenspalten« oder »Vis-Kiemenspalten.
ceralspalten« auch »Schlundspalten« heissen. Solcher Spal-
ten zeigen sich nach und nach vier (Fig. 61), welche als längliche
Oeffnungen hinter der Mundöffnung an den seitlichen Theilen des
Halses erscheinen und von vorn nach hinten im Durchmesser ab-
nehmen. Nach Remak entstehen diese Spalten dadurch, dass der
Schlund nach Aussen durchbricht, nicht die Haut nach
Innen, auch nicht in der Weise, dass beide Theile einander entge-
genkommen, so dass demnach die Ränder der Spalten gewisser-
maassen von den Häuten des Schlundes oder des Vorderdarmes aus-
gekleidet sind.


Mit der Bildung dieser Spalten am Halse nun geht das AuftretenKiemenbogen.
der sogenannten »Kiemenbogen« oder »Visceralbogen« Hand
in Hand. Es verdickt sich nämlich, von hinten nach vorn vorrückend,
die zwischen den Spalten gelegene Masse der Halswand und bildet
derbe Streifen, die man eben mit dem Namen der »Kiemenbogen«
[120]Sechzehnte Vorlesung.
bezeichnet, und deren beim Säugethierembryo vier vorhanden sind
(s. Fig. 62, in welcher das Herz und der Raum zwischen den Kie-
menbogen noch von einer dünnen Haut, der primitiven Brustwand

Figure 62. Fig. 62.


bedeckt zu denken ist). Der erste dieser Kie-
menbogen (Fig. 62. d) liegt zwischen der Mund-
öffnung und der ersten Spalte; der zweite (f)
zwischen der ersten und zweiten Spalte, der
dritte (f′) zwischen der zweiten und dritten und
der vierte (f″) endlich zwischen der dritten
und vierten Kiemenspalte. Von diesen Kiemen-
bogen nun sind der erste, zweite und dritte am
Ende kolbig, so dass sie bei der Ansicht von vorn,
die ich Ihnen nach Bischoff hier vorgeführt habe,
ein eigenthümliches Bild geben, indem sie ge-
wissermaassen wie rippenähnliche Bogen er-
scheinen, die sich gegen einander krümmen. Die ersten Bogen be-
rühren sich in der Mittellinie, während die folgenden je weiter nach
hinten, um so mehr von einander abstehen, und in der Lücke zwi-
schen dem Ende derselben findet sich die ursprüngliche Halswand
als dünne Haut (untere Verbindungshaut) und bedeckt von dieser
die primitiven Aortenbogen, von denen Fig. 61 drei Paare zeigt.
Der erste Kiemenbogen zeigt ferner einen kleinen Ausläufer, welcher
nach oben den Mund umgibt und der »Oberkieferfortsatz« heisst.


Den Zusammenhang nun der so eben besprochenen Bildungen
mit der weiteren Entwickelung des Halses werde ich Ihnen später
schildern, doch können Sie immerhin schon jetzt Folgendes sich
merken. — In einem späteren Stadium verschwinden die Kiemen-
spalten bis auf die erste, welche sich zum äusseren und mittleren
Ohr gestaltet; die Kiemenbogen verschwinden z. Th., z. Th. werden
sie knorpelig und verwandeln sich, indem sie später theilweise ver-
knöchern, in gewisse länger oder ganz sich erhaltende Theile, nämlich
den »Meckel’schen Fortsatz« am Unterkiefer, den Hammer, Ambos
und Steigbügel und das Zungenbein sammt dem Griffelfortsatz des
Schädels um.


Fig. 62. Kopf des Embryo der Fig. 61 von unten gesehen, mehr vergr.
Nach Bischoff. a Vorderhirn, b Augen, c Mittelhirn, d Unterkieferfortsatz,
e Oberkieferfortsatz der ersten Kiemenbogen, f f′ f″ 2—4 Kiemenbogen,
g linkes, h rechtes Herzohr, k rechte, i linke Kammer, l Aorta mit 3 Paar
Arcus aortae.


[121]Gestaltung des älteren Säugethierembryo.

Zum Schlusse erwähne ich Ihnen noch kurz, dass die Extremi-
tätenbildung beim Säugethier und Menschen in ähnlicher Weise wie
beim Hühnchen vor sich geht, indem auch hier seitlich an der
Gränze vom Rücken und Bauch kleine Wülste hervorsprossen, die
bald blattförmig werden und im weiteren Wachsthum sich abglie-
dern. Auch bei den Säugethieren entstehen übrigens die vorderen
Extremitäten zuerst (vergl. die Fig. 51, 60, 61).


[[122]]

Siebenzehnte Vorlesung.


Jüngste
menschliche
Embryonen.
Ich wende mich nun, meine Herren, zur Schilderung der jüng-
sten bekannten menschlichen Embryonen bis zu dem Sta-
dium, in welchem wir den Säugethierembryo verlassen haben.


Aus der ersten Woche der Schwangerschaft, während wel-
cher das Ei den Eileiter durchwandert, besitzen wir vom Menschen
keine oder wenigstens keine solchen Beobachtungen, dass dieselben
Eier
der 2. Woche.
für eine weitere Verwerthung sich eigneten. Aus der zweiten
Woche
dagegen, in welcher das Ei schon im Uterus ist, hat schon
vor Jahren Thomson in Glasgow zwei Eier beschrieben (Edinb. med.
and Surg. Journal 1839 Vol. LII
) und will ich Ihnen nun vor Allem
diese immer noch ganz alleinstehenden Fälle etwas eingehender
schildern.


Erstes Ei von
Thomson.
Ein erstes Ei (Fig. 63), dessen Alter Thomson zu 12—13 Tagen
schätzt, hatte eine Grösse von 3‴ und besass eine äussere Ei-

Figure 63. Fig. 63.


haut oder Chorion, welche mit kurzen,
dünnen und einfachen Zöttchen besetzt
war. Im Innern derselben befand sich eine
Blase, offenbar die Keimblase, welche
das Chorion beinahe ganz erfüllte und auf
dieser ein Embryo von 1‴ Länge, der mit
seinem vorderen und hinteren Ende schon
etwas von der Keimblase abgeschnürt war,
mit seinem mittleren Theile dagegen un-
mittelbar auf derselben auflag und mit sei-
nen Rändern in dieselbe sich fortsetzte,

Fig. 63. Menschliches Ei von 12—13 Tagen nach Thomson. 1. Nicht ge-
öffnet in natürlicher Grösse, 2. geöffnet und vergrössert.


[123]Jüngste menschliche Embryonen.
somit noch keinen Darm besass. Allantois und Nabelstrang waren
nicht vorhanden und auch vom Amnios meldet Thomson nichts. Doch
kann man mit Bischoff aus dem von Thomson angegebenen Um-
stande, dass der Embryo mit seinem Rücken an die äussere Eihaut
festgeheftet war, schliessen, dass das Amnios schon da war, in wel-
chem Falle dann die äussere Eihaut entweder als seröse Hülle allein
oder als solche sammt der Dotterhaut aufgefasst werden müsste.
Im erstern Falle wären die Zöttchen Productionen der serösen Hülle,
im letztern könnten dieselben nur ähnliche structurlose Bildun-
gen sein, wie ich sie Ihnen früher vom Kaninchen geschildert habe.


Die zweite Beobachtung von Thomson bezieht sich auf ein EiZweites Ei von
Thomson.

von 6‴ Grösse (Fig. 64), dessen Alter Thomson auf 15 Tage schätzt.

Figure 64. Fig. 64.


Figure 65. Fig. 65.


Dieses Ei war mehr eiförmig und ebenfalls mit
Zöttchen besetzt. Im Innern der Eihaut desselben
fand sich ein grosser mit Flüssigkeit erfüllter Raum
und an einer Stelle eine Blase von ungefähr 1‴
Grösse, welche die Anlage eines Embryo zeigte.
Der Embryo selbst war auch etwa 1‴ gross und
überragte die Blase etwas; von der Rückenseite
gesehen (Fig. 65) zeigte derselbe eine sehr deutliche
Rückenfurche, welche in der Mitte schon im
Schliessen begriffen war und ebenso stark hervor-
tretende Rückenwülste. An der Bauchseite des
Embryo war das Herz bemerklich; und am Kopf-
ende sass ein hautartiger Lappen, wahrscheinlich
ein Stück des Amnios. Auch von diesem Embryo
gibt übrigens Thomson wieder an, dass er mit dem
Rücken am Chorion festsass und ist somit mit Be-
zug auf die Deutung der äusseren Eihaut wiederum die Möglichkeit
vorhanden, dass dieselbe die seröse Hülle war.


Dieses zweite Ei nun ist offenbar nicht ganz normal; der Be-
schaffenheit des Embryo zufolge ist es sehr jung, sicherlich ebenso
jung als das Ei der ersten Beobachtung, wo nicht noch jünger und

Fig. 64. Menschliches Ei von 15 Tagen nach Thomson in natürlicher Grösse
geöffnet, um den grossen Innenraum und den kleinen Embryo zu zeigen.


Fig. 65. Embryo dieses Eies vergrössert. a Dottersack, b Nackengegend,
wo die Rückenfurche schon geschlossen ist, c Kopftheil des Embryo mit noch
offener Rückenfurche, d hinteres Ende, wo dasselbe der Fall ist, e hautartiger
Anhang, vielleicht ein Theil des Amnios.


[124]Siebenzehnte Vorlesung.
doch findet sich ein so grosser Zwischenraum zwischen Ei und Cho-
rion, während derselbe im ersten Falle nicht vorhanden war, und
es ist daher wohl anzunehmen, womit auch A. Ecker übereinstimmt,
dass das Ei in diesem Falle, wie es so oft geschieht, nach dem Ab-
sterben des Embryo noch eine Zeit lang fortwuchs.


Nun folgen Eier, bei denen der Embryo ein Amnios, Dottersack
und Allantois zeigt; doch besitzen wir leider keine sichern Beob-
achtungen von einem menschlichen Eie mit freier Allantois, d. h. von
einem solchen, bei dem die Allantois noch nicht an das Chorion
festgewachsen und der Nabelstrang noch nicht angelegt war. Wohl
sind in der Literatur einige Fälle von solchen Eiern aufgeführt, Be-
obachtungen von Coste (Embryogénie comparée), von Pockels (Isis
1825, pag. 346), Meckel (Deutsch. Archiv 1817, Tab. I, Fig. 2), von
Thomson (l. c), von v. Baer (Entwickl. II, Taf. VI, Fig. 16 u. 17) und
Andern, allein einerseits gehören dieselben nicht hierher, wie der
Fall von Thomson, in dem schon ein Nabelstrang sich vorfand, an-
derseits beziehen sie sich auf unvollkommen ausgebildete Embryo-
nen, oder sind so unvollständig beschrieben und von so unbestimm-
ten Abbildungen begleitet, dass dieselben auch nicht weiter zu
brauchen sind.


Eier
der 3. Woche.
Von Eiern mit Nabelstrang, Amnios und Dottersack aus der
dritten Woche der Schwangerschaft habe ich nun vor Allem eines
von Coste geschilderten Eies (Hist. du devél. Pl. II) zu gedenken,
das unstreitig das vollkommenste und am genauesten beobachtete
von allen menschlichen Eiern aus frühern Zeiten ist. Das Ei selbst,
Ei von Coste von
15—18 Tagen.
dessen Alter Coste auf 15—18 Tage schätzt, war 6‴ gross und rings
mit kürzeren leicht ästigen Zöttchen besetzt. Im Innern befand
sich ein ziemlich grosser Zwischenraum und an einer Stelle der
Embryo mit Amnios und Dottersack durch einen kurzen
Nabelstrang an das Chorion befestigt (Fig. 66). Der Em-
bryo
von 2‴ Länge (Fig. 66, 67) war leicht nach dem Rücken zu
gekrümmt mit abgeschnürtem vorderem und hinterem Ende, von
denen sich jedoch ersteres, wenigstens in dem eigentlichen Kopf-
theile nur wenig verdickt zeigte, wogegen die Halsgegend, wo das
S förmige Herz seine Lage hatte, stärker vortrat und der massigste
Theil des Embryo war. Am Herzen selbst erkennt man die Herz-
höhle (Cavum pericardii) und den Bulbus aortae (Fig. 67 b), da-
gegen sind die Vorkammern und Kammern (bei c) noch kaum von
einander zu unterscheiden. Am Kopfe zeigen sich Andeutungen
[125]Jüngste menschliche Embryonen.
von Kiemenbogen und Kiemenspalten (Schlundspalten) (Fig. 66 f)
ziemlich weit vorn, doch sind die letzteren noch nicht durchge-

Figure 66. Fig. 66.


Figure 67. Fig. 67.


brochen. Bei der Ansicht von unten (Fig. 67) sieht man ferner am
Kopfe vor den ersten Kiemenbogen, die ziemlich deutlich sind, einen
conischen, unpaaren Fortsatz ganz nach vorn zu, den Stirn- oder
Nasenfortsatz und zwischen diesem Fortsatze und den vordersten
Kiemenbogen eine Grube, die in der Bildung begriffene Einstülpung,

Fig. 66. Menschlicher Embryo mit Dottersack, Amnios und Nabelstrang
von 15—18 Tagen nach Coste, vergr. dargestellt. b Aorta, c Herz, d Rand der
weiten Bauchöffnung, e Oesophagus, f Kiemenbogen, l Hinterdarm, m Arteria
omphalo-mesenterica, n Vena omphalo-mesenterica, o
Dottersack, dessen Ge-
fässe nicht ausgezeichnet sind, u Stiel der Allantois (Urachus), a Allantois mit
deutlichen Gefässen, als kurzer Nabelstrang, zum Chorion ch gehend, v Am-
nios, a h Amnioshöhle.


Fig. 67. Derselbe Embryo von vorn stärker vergrössert mit geöffnetem
und grösstentheils entferntem Dottersack. a Allantois, hier schon Nabelstrang,
u Urachus oder Stiel derselben, i Hinterdarm, v Amnios, o Dottersack oder
Nabelblase, g primitive Aorten, unter den Urwirbeln gelegen; die weisse Li-
nie ist die Trennungslinie zwischen beiden Gefassen, x Ausmündung des Vor-
derdarms in den Dottersack, h Stelle, wo die Vena umbilicalis und die Venae
omphalo-mesentericae n
zusammentreffen, um ins Herz einzumünden, p Peri-
cardialhöhle, c Herz, b Aorta, t Stirnfortsatz.


[126]Siebenzehnte Vorlesung
die später die Mundhöhle gibt. Der Bauch des Embryo ist weit
offen, wie das die seitliche und die Ansicht von vorn zeigen, und
steht der ungestielte, 11/4‴ grosse Dottersack (in der Ansicht von
vorn geöffnet dargestellt) in grosser Ausdehnung in offener Verbin-
dung mit dem Darm, von dem nur der Anfangsdarm, dessen Aus-
mündung in den Mitteldarm in der Fig. 67 bei x zu sehen ist, und
der Enddarm (Fig. 67 i) entwickelt sind. Am hinteren Leibesende
findet sich die Allantois (a) in Form eines Stranges, der durch einen
breiten Stiel (u), den späteren Urachus, mit dem Enddarm und,
wie es scheint, auch noch mit der vorderen Beckenwand zusammen-
hängt und dann ins Chorion sich verliert, dessen innere Lamelle
sie bildet. Wie weit die Höhle der Allantois und die epitheliale
innere Lamelle derselben sich erstreckte, darüber hat Coste nichts
mitgetheilt. Am Dottersacke und der Allantois sind Gefässe bemerk-
lich. Am Dottersacke zwei Arteriae omphalo-mesentericae rechts und
links ziemlich in der Mitte (Fig. 66 m) und zwei Venae omphalo-me-
sentericae
mehr nach vorn (Fig. 67 n); ebenso sieht man Gefässe an
der Allantois, welche auch in die hautartige Ausbreitung derselben
am Chorion übergehen, hier jedoch nur mit dem Mikroskope wahr-
zunehmen sind. Das Amnios geht von den Rändern der grossen
Bauchöffnung aus, umhüllt ziemlich genau die untere Seite des Ko-
pfes, steht aber vom Rücken so wie vom hinteren Leibesende weit
ab und bildet mit seinem hintersten Theile noch eine unvollkommene
Scheide für die hintere Seite des Stieles der Allantois. Von Extre-
mitäten, Augen und Ohrbläschen ist an diesem Embryo noch keine
Spur zu sehen, ebenso meldet Coste nichts von Wolff’schen Körpern,
welche jedoch sehr wahrscheinlich angelegt waren, dagegen will er
zwei ziemlich grosse Aorten (Fig. 67 g) zu beiden Seiten der mitt-
leren Theile des Leibes gesehen haben, die aber nicht besonders
deutlich hervortraten. — Ich habe den oben geschilderten Embryo
bei Coste selbst gesehen und so weit es an dem Spirituspräparate
möglich war, mich von der Richtigkeit der Beschreibung überzeugt,
wenn ich auch nicht alles, was Coste abgebildet hat, wieder erken-
nen konnte. Ich bemerke diess zur Steuer der Wahrheit, da von
einigen Seiten Coste’s Angaben mit einem gewissen Misstrauen auf-
genommen worden sind.


Ueber das Chorion dieses Eies nun noch Folgendes. Das-
selbe bestand aus zwei Schichten; die innere Lamelle dessel-
ben, welche Coste als Ausbreitung der Allantois auffasst, war
[127]Jüngste menschliche Embryonen.
überall gefässhaltig, besass aber keine Zotten, die äussere
Lamelle dagegen trug hohle, leicht verästelte Zotten und mündete
bemerkenswertherweise die Höhlung einer jeden Zotte an der der
Allantois zugewendeten Fläche dieser Haut durch ein rundes Loch
frei aus.


Durch die Gefälligkeit des Herrn Gerbes, des Mitarbeiters von
Coste, habe ich in diesem Frühjahre Gelegenheit gehabt, das Cho-
rion dieses Eies mit dem Mikroskope zu untersuchen. Hiebei zeigte
sich, dass die Zotten und die sie tragende Haut ganz und gar aus
epithelartigen Zellen, von derselben Beschaffenheit, wie die des Epi-
thels der späteren gefässhaltigen Chorionzotten, bestehen und stehe
ich diesem zufolge nicht an, die ganze Lage für die seröse Hülle
zu erklären, womit auch Coste und Gerbes einverstanden sind. Die
innere Lage des Chorions, die ich auch untersuchte, bestand aus
sich entwickelndem Bindegewebe und führte überall feine Blut-
gefässe
, eine Thatsache, die wir später verwerthen werden.


An die eben besprochene Beobachtung von Coste schliesst sichEi
von J. Müller.

ein Fall an, den Joh. Müller in seiner Physiologie II, St. 713 kurz be-
schrieben hat. Das betreffende Ei war 7—8‴ gross, der Embryo
2½‴, der Nabelstrang ⅔‴ dick und der Dottersack oder das
Nabelbläschen, Vesicula umbilicalis, wie dieses Gebilde
beim Menschen auch heisst, 1½‴ gross, ohne Dottergang, in breiter
Verbindung mit dem Darmkanal. Das Amnios umhüllte, von den
Rändern der weiten Bauchhöhle ausgehend, den Embryo ganz dicht,
bildete aber eine Scheide für den Stiel der Allantois oder den Nabel-
strang. Es waren drei Paar Kiemenbogen und Kiemenspal-
ten
vorhanden, und hinter denselben der hervorragende Herz-
schlauch
. Extremitäten werden nicht erwähnt. — v. Baer und
R. Wagner schätzen, nach den von J. Müller gelieferten Daten, das
Ei auf 25 Tage. Meiner Ansicht zufolge kann dasselbe, in Anbe-
tracht der wenig vorgeschrittenen Entwicklung, nicht älter als drei
Wochen gewesen sein, und steht auf jeden Fall dem Ei von Coste
sehr nahe.


Ein nur wenig älteres Ei aus der dritten Schwangerschafts-Ei
von R. Wagner.

woche hat R. Wagner in den Icones physiologicae abgebildet (erste
Auflage, Tab. 8, zweite Aufl. Tab. 25). Das Ei mass fast 6‴ und
der Embryo 2‴; der Dottersack war 1‴ lang, oval und durch
einen kurzen, aber weiten Stiel, den Dottergang, mit dem schon
fast ganz geschlossenen Darme verbunden. Das mit kleinen mehr
[128]Siebenzehnte Vorlesung
einfachen Zöttchen besetzte Chorion enthielt eine ziemlich grosse
mit eiweissreicher Flüssigkeit gefüllte Höhle, in welcher der Embryo
mit Amnios und Dottersack, nur durch den kurzen Nabelstrang be-
festigt, frei enthalten war. Das Amnios umhüllte den Embryo nur
lose Die Allantois zeichnet Wagner als keulenförmige kurze Blase
durch den Nabelstrang durchschimmernd, doch ist über ihre Ge-
fässe und das genauere Verhalten der Blase nichts mitgetheilt.
Der Embryo selbst ist nach dem Rücken zu gekrümmt, zeigt drei
Kiemenspalten, Wolff’sche Körper, ganz kleine Anlagen der Extre-
mitäten, die drei Hirnblasen und die Gehörbläschen, aber nichts
vom Auge, und ist somit auf jeden Fall älter als die bisher beschrie-
benen, wenigstens möchte ich ihn, namentlich mit Bezug auf das
Verhalten des Dottersackes für älter als den vorhin beschriebenen
Müller’schen halten.


An diese jüngsten Eier mit ausgebildeteren Embryonen reihe
ich nun noch zwei Fälle von Coste und Thomson, die ebenfalls an
der Grenze der dritten und vierten Woche stehen. Auf Pl. II a hat
Ei von Coste
von 20—21 Ta-
gen.
Coste ein Ei von 1″ Durchmesser, das auf 20—21 Tage geschätzt
wird, abgebildet. Der Embryo war so gekrümmt, dass er einen
starken Bogen bildete und der Kopf und das zugespitzte Schwanz-
ende einander nahe standen. Am Kopfe, welcher ziemlich vor-
tritt, und die zwei von Säugethieren schon früher beschriebenen
Krümmungen zeigt, unterscheidet man die Anlagen der Nasengru-
ben, des Auges und der Ohrbläschen, welche letztere Coste wie
mit einer Oeffnung zeichnet, die, wie ich Ihnen angab, bei Hühner-
embryonen an den primitiven Ohrbläschen beobachtet ist. Ausser-
dem finden sich vier Kiemenbogen, der erste gablig gespalten,
mit einem sogenannten oberen und unteren Kieferfortsatz,
welche die Mundöffnung zwischen sich haben, die von vorn noch
von dem schon erwähnten Stirnfortsatze begrenzt wird. Am Rumpfe
ist die Anlage der vordern Extremität als eine ganz leichte Er-
hebung zu sehen, von der hintern Extremität meldet Coste nichts.
Hinter den Kiemenbogen liegt in einer stark vorspringenden Herz-
höhle das Herz, dessen Kammer schon doppelt ist und an dem
man auch die Vorkammern unterscheidet. Weiter nach hinten er-
scheint die noch wenig entwickelte Leber und die durchscheinenden
Wolff’schen Körper. Der Bauch ist ziemlich weit offen und entsen-
det aus seinem Innern mit einem beträchtlich breiten und langen
Stiele den Dottersack, an dem die Gefässe deutlich zu sehen sind.
[129]Jüngere menschliche Embryonen.
Am hinteren Ende des Embryo, hinter dem Dottersacke zeigt sich
ferner der kurze Nabelstrang, der sich mit zwei Arterien und zwei
Venen (Arteriae und Venae umbilicales) ans Chorion inserirt, welches
in seiner ganzen Ausdehnung gefässhaltig und mit baumförmig ver-
ästelten Zotten besetzt ist. Das Amnios umhüllt den Embryo ganz
dicht, wie diess bei jungen Säugethierembryonen immer beobachtet
wird, so dass demnach keine Amniosflüssigkeit vorhanden ist.
Ueberhaupt entspricht dieser Embryo in hohem Grade gewissen
Formen von Säugethierembryonen, welche ich Ihnen in früheren
Stunden beschrieben habe, woraus sich die Berechtigung ergibt,
unsere Erfahrungen an Thieren zur Ausfüllung von Lücken in der
menschlichen Embryologie zu benutzen.


In die dritte oder den Anfang der vierten Woche verlege ichEmbryo
von Thomson
vom Anfange der
4. Woche.

auch einen Embryo, welchen Thomson beobachtet hat und der nach
einer Originalzeichnung meines geehrten Freundes in den Figuren
68 und 69 dargestellt ist. Bei diesem Embryo sehen Sie den Dot-

Figure 68. Fig. 68.


Figure 69. Fig. 69.


tersack ungefähr in demselben Verhältnisse wie beim vorigen Eie,
nur etwas zusammengefallen und an seiner Oberfläche mit Runzeln
versehen. Der kurze Nabelstrang liegt an der unteren Seite und ist
nicht sichtbar, auch sind die genaueren Verhältnisse desselben von
Thomson nicht angegeben. Der Kopf des Embryo, Kiemenbogen

Fig. 68. Menschliches Ei vom Ende der dritten oder Anfange der vierten
Woche, nach einer Orginalzeichnung von Thomson in natürlicher Grösse. Em-
bryo mit Amnios und Dottersack liegen, durch einen kurzen nicht sichtbaren
Nabelstrang befestigt, in dem eine weite Blase bildenden Chorion.


Fig. 69. Embryo dieses Eies vergrössert. a Amnios, b Dottersack, c er-
ster Kiemenbogen, Unterkieferfortsatz, d Oberkieferfortsatz desselben Bogens,
e zweiter Kiemenbogen, hinter dem noch zwei kleinere sichtbar sind. Spalten
sind drei deutlich, zwischen dem 1. und 2., 2. und 3. und 3. und 4. Bogen,
f Anlage der vordern Extremität, g primitives Ohrbläschen, h Auge, i Herz.


Kölliker, Entwicklungsgeschichte. 9
[130]Siebenzehnte Vorlesung.
und -Spalten und Sinnesorgane verhalten sich wie in dem Falle von
Coste. Auge und Ohr treten deutlich hervor, jedoch ist, was von
letzterem sichtbar wird, wiederum nur die Anlage des primitiven
Ohrbläschens, nicht die des äusseren Gehörganges. Das Amnios
umhüllt den Embryo ziemlich dicht; die vordere Extremität ist in
der Zeichnung sichtbar, ob die hintere schon vorhanden war, ist
nicht zu erkennen. Dieses Ei, dessen Alter Thomson, offenbar zu
hoch, auf 4—5 Wochen schätzt, war 12‴ gross und enthielt im In-
nern eine grosse Höhle, der Embryo betrug 2‴ und der Dotter-
sack 1½‴.


Embryonen der
4. Woche.
Wir kommen nun zu Embryonen, die durch das deutliche
Gestieltsein des Nabelbläschens und das bestimmte Hervortreten der
Extremitäten ganz bestimmt von den bisher beschriebenen sich un-
terscheiden und sicher nicht jünger als 3½ Wochen sind. Solcher
Embryonen sind schon so viele beobachtet, dass es nicht mehr mög-
lich ist, alle Fälle einzeln durchzugehen und beschränke ich mich
daher auf folgende Darstellungen, indem ich Sie mit Bezug auf an-
dere Erfahrungen namentlich auf Ecker’s Icon. phys. und dann auch
auf Erdl’s Abbildungen verweise.


Figure 70. Fig. 70.

Embryo
von Thomson.
Fig. 70 zeigt Ihnen einen sol-
chen Embryo nach einer nicht
edirten Zeichnung von Thomson,
dessen einzelne Theile auch ohne
ausführliche Beschreibung ver-
ständlich sein werden. Thomson
schätzt diesen Embryo, der, die
Krümmung mitgerechnet, 5‴
maass, auf 4—5 Wochen. Der
Dottersack betrug 2‴. Zwei
ähnliche Embryonen von 25—
28 Tagen hat auch Coste (Pl.
III und III a) beschrieben, deren
Bau ich Ihnen noch etwas detail-

Fig. 70. Menschlicher Embryo der vierten Woche nach einer nicht edirten
Zeichnung von Thomson vergr. dargestellt. a Amnios, das am Rücken in einer ge-
wissen Ausdehnung entfernt ist, b Dottersack, b′ Dottergang, c Unterkieferfort-
satz des ersten Kiemenbogens, d Oberkieferfortsatz desselben, e, e′ e″ zweiter
bis vierter Kiemenbogen, f primitives Ohrbläschen, g Auge, h vordere, i hin-
tere Extremität, k Nabelstrang mit kurzer Amniosscheide, l Herz, m Leber.


[131]Jüngere menschliche Embryonen.
lirter schildern will. Das Ei, das nur von einem derselben in na-
türlicher Grösse abgebildet ist, hatte 8‴ im Durchmesser, während
der Embryo, im gekrümmten Zustande gemessen, 4‴, in Wirklich-
keit etwa 6‴, der Dottersack 2‴ betrug. Der Embryo des zweiten
Eies (bei Coste Pl. III a) zeigte folgendes Verhalten (Fig. 71). DerEmbryo von
Coste von
25—28 Tagen.

Figure 71. Fig. 71.


Kopf ist sehr gross, die Gegend des Mittelhirns
ragt stark hervor und an der Stirn sieht man die
zwei Blasen des grossen Hirns durchschimmern.
Der Mund ist eine unförmliche Oeffnung, welche
mit den Nasengruben (Fig. 71 3) noch zusammen-
hängt, die seitlich über ihm sich befinden und
vorn vom Stirnfortsatze, seitlich von den Ober-
kieferfortsätzen des ersten Kiemenbogens (Fig. 71 4)
und nach hinten von den vereinigten Unterkiefer-
fortsätzen (5) desselben Kiemenbogens begrenzt
wird, welche letzteren schon einen Unterkiefer
darstellen. Kiemenbogen sind immer noch vier
vorhanden, von denen jedoch in der Ansicht von
vorn, ausser dem eben erwähnten ersten, nur
noch der zweite (6) und der dritte (6″) sichtbar
sind, wogegen der vierte, ebenso wie die vier vor-
handenen Spalten, nicht zum Vorschein kommen.
Von dem noch ungefärbten Auge (h) erscheint ein
kleiner Theil, dagegen ist das Ohrbläschen, das
wie in dem Embryo von Thomson sich verhält,
nicht sichtbar. Das Herz hat schon ziemlich die
Form, die es später beibehält, man sieht die Aorta und den Bulbus
Aortae
(b), die mit den Herzohren (o o′), Vorkammern und Kammern
(v v), alle ganz oberflächlich liegen und nur von einer dünnen Haut
bedeckt sind, die in der Figur 71 weggenommen ist. Unter und hinter

Fig. 71. Menschlicher Embryo von 25—28 Tagen nach Coste gestreckt und
von vorn dargestellt nach Entfernung der vordern Brust- und Bauchwand und
eines Theiles des Darmes. n Auge, 3 Nasenöffnung. 4 Oberkieferfortsatz, 5 verei-
nigte Unterkieferfortsätze des ersten Kiemenbogens oder primitiver Unterkiefer,
6 zweiter, 6″ dritter Kiemenbogen, b Bulbus Aortae, o, o′ Herzohren, v v rechte
und linke Kammer, u Vena umbilicalis, f Leber, e Darm, a′ Arteria omphalo-me-
senterica, j′ Vena omphalo-mesenterica, m
Wolff’sche Körper, t Blastem der Ge-
schlechtsdrüse, z mesenterium, r Enddarm, n Arteria, u Vena umbilicalis,
7 Mastdarmöffnung oder Oeffnung der Kloake, 8 Schwanz, 9 vordere, 9′ hin-
tere Extremität.


9*
[132]Siebenzehnte Vorlesung.
dem Herzen und hinter dem Herzbeutel, welche noch die ganze
Breite der Brust einnehmen und die noch ganz rudimentären Lungen
bedecken, erkennt man die etwas grössere zweilappige Leber (f) mit
dem Stamme der beiden Umbilicalvenen (u) in dem Einschnitte der-
selben. Die Wolff’schen Körper oder Urnieren (m) sind zwei lange
schmale Körper, welche noch die ganze Länge des hintern Abschnit-
tes der Leibeshöhle einnehmen und von der Leber bis ganz rück-
wärts in die Beckenbucht sich erstrecken; die Drüsenkörper sind
aus gewundenen Kanälchen zusammengesetzt, und an ihrer Aussen-
seite bemerkt man den geraden Ausführungsgang, der nach Coste
in das Ende des Darmes oder die sogenannte Kloake mündet, wäh-
rend an ihrer Innenseite schon ein Blastemstreifen sichtbar ist, aus
dem die Geschlechtsdrüsen sich entwickeln, dessen mittlerer Theil
in der Figur abgeschnitten ist. Der Darmkanal (r) stellt einen ein-
fachen Schlauch dar, der gegen den Nabelstrang zu eine leichte
Schleife oder einen leichten Vorsprung bildet. In dieser ganzen
Gegend, so weit der Darm diesen Vorsprung bildet, ist auch das
Mesenterium (z) schon vorhanden; ziemlich auf der Höhe des Vor-
sprunges beginnt der Dottergang, Ductus omphalo-mesentericus, der
an seinem Anfange eine kleine Erweiterung darbietet und dann
leicht gewunden bis zum Dottersacke oder dem Nabelbläschen
sich fortsetzt. Längs des Dotterganges verläuft die A. omphalo-me-
senterica dextra
(a′), während die linke Arterie nun obliterirt ist,
und vom Dottersacke zurück kommt nur Eine der früher vorhande-
nen zwei Venen, und zwar die linke V. omphalo-mesenterica (j′).
Auf dem Dottersacke zeigt sich ein hübsches Gefässnetz, das
mit den oben erwähnten Gefässen zusammenhängt. Am hintern
Ende des Embryo erkennt man den abgeschnittenen Stiel der Allan-
tois, in der Mitte des Stiels aber eine Oeffnung, welche zum Urachus
führt; auf jeder Seite liegen symmetrisch zwei Gefässe, nach vorn
die zwei Venae umbilicales (u), von denen die rechte, die später zu
Grunde geht, schon schwächer ist, und nach hinten, d. h. gegen die
Beckenhöhle zu, zwei Aa. umbilicales (a). Alle diese Theile, die vier
Gefässe und den Urachus, umgibt eine bindegewebige Masse, die,
ursprünglich nichts anderes als die bindegewebige äussere Hülle
des Stieles der Allantois, nach und nach eine erhebliche Dicke ge-
winnt und dann später als eigenthümliches sulziges oder gallertiges
Gewebe erscheint, welches im Nabelstrang die Gefässe desselben
umhüllt. Die Extremitäten (9 9′) sind einfache kurze Stummel und
[133]Jüngere menschliche Embryonen.
das hintere Leibesende läuft in eine spitze schwanzartige Verlänge-
rung aus, die an die Verhältnisse der Thierembryonen erinnert. Eine
Afteröffnung oder, wie man sie besser nennt, eine gemeinschaftliche
Oeffnung des Darm-, Harn- und Geschlechtsapparates ist deut-
lich sichtbar (7), umgeben von zwei leichten Genitalwülsten, den
Uranlagen der äusseren Genitalien. Das Amnios lag dem Embryo
nicht mehr ganz dicht an und war auch etwas Amnioswasser vor-
handen. Um den Nabelstrang bildete dasselbe nun eine deutliche
Scheide, die jedoch nicht ganz bis zum Chorion sich erstreckte und
den Dottergang wie zu einer kleinen Oeffnung heraustreten liess.
Zwischen dem Embryo sammt dem Amnios und dem Chorion befand
sich, wie in allen solchen jungen Eiern, ein ziemlich weiter, mit Flüs-
sigkeit gefüllter Raum, in dem der Dottersack frei enthalten war.
Das den Embryo rings umhüllende Chorion war an seiner ganzen
Innenfläche, nicht blos an der Stelle, welche später als Placentar-
stelle erscheint, von den Nabelgefässen reichlich versorgt und trug
aussen hübsch verästelte Zotten. Nach eigenen Untersuchungen
kann ich Ihnen mittheilen, dass die Zotten solcher 4 Wochen alten
Eier nun nicht mehr wie früher blos von der Epithelialschicht des
Chorion oder der serösen Hülle gebildet werden, sondern nun auch
einen innern bindegewebigen Strang mit Blutgefässen zeigen, der
von der innern Lamelle des Chorions abstammt.


Erlauben Sie mir nun zur Vervollständigung des Bildes Ihnen
noch menschliche Embryonen aus der fünften und aus der sechsten
Woche zu beschreiben. In der fünften Woche zwischen dem 28.Embryonen
der 5. Woche.

und 35. Tage beginnt der Embryo, der bis dahin mit Kopf und
Schwanz stark zusammengekrümmt war, nach und nach sich zu
strecken, immerhin ist auch am Anfange der sechsten Woche die
Biegung noch sehr ausgesprochen. Zugleich schliessen sich die
Kiemenspalten mit Ausnahme der ersten, deren Eingang zur äussern
Ohröffnung sich gestaltet; der Kopf wird grösser und die Extremi-
täten länger und gegliedert. Einzelnheiten anlangend, so zeigt Ihnen
die nachstehende Fig. 72 einen Embryo von 35 Tagen, nach CosteEmbryo
von Coste von
35 Tagen.

von vorn. Der ganz nach hinten gelegene Nabelstrang ist immer
noch kurz und dick; statt der früheren vier Allantois- oder Umbi-
licalgefässe enthält er jetzt nur noch drei, nämlich zwei Arteriae
umbilicales
(nn) und die frühere linke Vene gleichen Namens (u),
indem die rechte Vene geschwunden ist. In den Nabelstrang hin-
ein geht bruchartig eine lange Schleife des Darmkanals, welche vom
[134]Siebenzehnte Vorlesung.
ganzen Dünndarme und dem Anfange des Dickdarmes gebildet wird,
dessen Coecum durch eine leichte Ausbuchtung nahe der Mitte des

Figure 72. Fig. 72.


hinteren Schenkels der Schleife schon
angedeutet ist. Vom Scheitel oder der
Umbiegungsstelle der Darmschleife aus,
die in der Fig. 72 auf die rechte Seite
geschlagen ist, setzt sich der Dottergang
(x) als ein dünner Strang fort, der,
nachdem er den Nabelstrang durchlau-
fen, noch eine Strecke weit zwischen
Amnios und Chorion hinzieht, und dann
in den Dottersack (Nabelbläschen) über-
geht, dessen Gefässe sich ganz ebenso
verhalten, wie in den Embryonen der
vierten Woche, nur dass jetzt Aeste der
Art. omphalo - mesenterica zur Darm-
schlinge sichtbar sind, aus denen später
die Arteria mesenterica superior sich bil-
det. Ausserdem zeigt der Nabelstrang
in seiner ganzen Länge den noch hohlen
Urachus, der in der Gegend der Inser-
tion des Nabelstranges an dem Chorion
blind endigt und auf der andern Seite
durch eine leichte Erweiterung, die An-
lage der Harnblase, mit dem Mastdarme
communicirt. Das Amnios ist schon eine
ziemlich geräumige Blase mit mehr Flüs-

Fig. 49. Menschlicher Embryo von 35 Tagen von vorn nach Coste. 3 linker
äusserer Nasenfortsatz, 4 Oberkieferfortsatz des ersten Kiemenbogens, 5 primiti-
ver Unterkiefer, z Zunge, b Bulbus aortae, b′erster bleibender Aortenbogen, der
zur Aorta ascendens wird, b″ zweiter Aortenbogen, der den Arcus aortae gibt,
b‴ dritter Aortenbogen oder Ductus Botalli, y die beiden Fäden rechts und
links von diesem Buchstaben sind die eben sich entwickelnden Lungenarterien,
c′ gemeinsamer Venensinus des Herzens, c Stamm der Cava superior und Azy-
gos dextra, c″
Stamm der Cava sup. und Azygos sinistra, o′ linkes Herzohr,
v rechte, v′ linke Kammer, a e Lungen, e Magen, j Vena omphalo-mesenterica
sinistra, s
Fortsetzung derselben hinter dem Pylorus, die später Stamm der
Pfortader wird, x Dottergang, a Art. omphalo-mesenterica dextra, m Wolff’scher
Körper, i Enddarm, n Arteria umbilicalis, u Vena umbilicalis, 8 Schwanz, 9 vor-
dere, 9′ hintere Extremität. Die Leber ist entfernt.


[135]Jüngere menschliche Embryonen.
sigkeit und erfüllt nun den Raum des Chorions fast ganz, welches
letztere immer noch überall mit Zotten besetzt ist, von denen jedoch
die der spätern Placentarstelle schon etwas stärker ausgebildet
sind. Was den Embryo selbst betrifft, so ist das Gesicht mehr aus-
gebildet, der Stirnfortsatz grösser und mit dem Oberkieferfortsatze
des ersten Kiemenbogens fast vereint, so dass die Nasenöffnung
von der Mundöffnung mehr geschieden ist. In der Mundhöhle sieht
man die Zunge. Die Kiemenspalten sind bis auf die erste (Ohröffnung)
geschwunden und von den Kiemenbogen ausser den ersten (Unter-
und Oberkiefer) nur noch der 2. und 3. als Querwülste sichtbar.
Die Augen sind gefärbt und ragen mehr hervor, von dem Gehör-
bläschen dagegen ist nichts mehr sichtbar.


Die Extremitäten sind weiter in der Entwicklung vorangeschrit-
ten und erkennt man an den vordern die Andeutungen der Hand
und leichte Kerben für die Finger. Zu beiden Seiten und vor der
Oeffnung des Mastdarmes oder der Kloake sind zwei Wülste und
eine Furche zwischen ihnen jetzt ganz deutlich, wie Sie wissen, die
Anlagen der äussern Genitalien. Die Leber, die in der Fig. 72 ent-
fernt ist, ist grösser geworden, und das Herz mehr ausgebildet. Die
Wolff’schen Körper, etwas verkümmert, aber doch noch gross, zei-
gen an ihrer äusseren Seite den Ausführungsgang und den soge-
nannten Müller’schen Faden, den ich Ihnen später genauer schildern
werde, an der innern Seite in Form eines weissen Streifens die
Anlage der Geschlechtsdrüsen. Von den Lungen (a e) sieht man die
erste Andeutung zu beiden Seiten der Speiseröhre vor dem Magen
(e), der jetzt sammt dem Duodenum schon kennbar ist. — Ein
schwanzartiger Anhang (8) ist immer noch da.


Menschliche Eier und Embryonen der sechsten Woche, vonEmbryonen
der 6. Woche.

denen bei Coste (Pl. V, a) einer von 40 Tagen in seiner innern Or-
ganisation dargestellt ist, characterisiren sich denen der fünften
Woche gegenüber namentlich durch folgendes. Der Körper ist mehr
gestreckt und der Kopf relativ grösser. Der Oberkieferfortsatz des
ersten Kiemenbogens und der Stirnfortsatz haben sich an einander
gelegt und ist nun das Nasenloch von der Mundöffnung ganz getrennt.
Die Nase beginnt etwas vorzutreten, doch ist das Gesicht noch ganz
platt, der Mund ungemein weit. Die äussere Ohröffnung steht höher,
in einer Linie mit dem Mundwinkel, und ist schon etwas eckig mit
leichtgewulsteten Rändern. Brust und Bauch treten ungemein stark
vor, und zeigt letzterer den Nabel schon mehr in der Mitte. Die
[136]Siebenzehnte Vorlesung.
Extremitäten zeigen ihre drei Abschnitte deutlich und sind auch
am Fusse die Zehen angedeutet, doch lange nicht so bestimmt wie
bei der Hand, an der übrigens die Fingerrudimente immer noch wie
durch Schwimmhäute vereint sind. An der Urogenitalöffnung er-
scheint die Andeutung der Geschlechtswülste etwas bestimmter,
das hintere Leibesende dagegen tritt nicht mehr säugethierartig her-
vor. Mit Bezug auf die innere Organisation dieser Embryonen ist
nur folgendes hier anzuführen. Die Wolff’schen Körper sind sehr
verkümmert und nehmen nur noch einen kleineren Raum im hinte-
ren Abschnitte der Bauchhöhle ein, dagegen sind an ihrer innern
und hintern Seite die Geschlechtsdrüsen, deren besondere Natur
jedoch noch nicht zu erkennen ist, die Nieren und Nebennieren zu
sehen. Die Leber ist ungemein gross und blutreich, ebenso treten
die Lungen mehr vor, liegen aber noch ganz hinter dem Herzen und
der Leber. Der Darm bildet eine einfache aber längere Schleife,
deren grösster Theil im Nabelstrange drin liegt und die nun ganz
bestimmt am hintern Schenkel der Schleife, nicht weit von der Stelle,
wo der Dottergang mit dem Darm sich vereint, das Coecum zeigt.
Die Eihüllen sind, abgesehen von der etwas beträchtlicheren Grösse
des Eies, im Wesentlichen wie in der fünften Woche.


Hiermit schliesse ich nun die Betrachtung menschlicher Eier
und Embryonen für einmal ab, indem ich Alles, was mit Bezug auf
den Bau und die Leibesform, sowie auf die Beschaffenheit der Ei-
hüllen noch nicht zur Besprechung kam, in späteren Stunden nach-
zuholen gedenke.


[[137]]

Achtzehnte Vorlesung.


Meine Herren! Es ist in früheren Stunden zu wiederholtenEihüllen.
Malen von den fötalen Eihüllen die Rede gewesen, dagegen bin ich
noch nicht dazu gelangt, Ihnen eine zusammenhängende Schilde-
rung der wichtigsten derselben, nämlich des Chorion, zu geben und
ebenso wenig habe ich Gelegenheit gehabt, das Verhalten derselben
in späteren Schwangerschaftsmonaten und die Einrichtungen im
Uterus zur Hegung des Eies zu schildern. Jetzt, wo Sie die erste
Entwicklung des Embryo kennen, ist es am Platze, auch die Lehre
von den Eihüllen im Zusammenhange zu besprechen, und gedenke
ich der Verständlichkeit halber zuerst das Verhalten derselben in
der zweiten Hälfte und am Ende der Schwangerschaft zu beschrei-
ben, ehe ich auf die erste Entstehung dieser Häute zu reden komme.


Oeffnet man einen Uterus aus dem vierten Schwangerschafts-Eihüllen in der
Mitte der
Schwangerschaft.

monate, so findet man in der Höhle desselben eine Blase, die an
einer Seite an der Wand festsitzt und die Höhlung ziemlich erfüllt.
Diese Blase, welche das Ei enthält, die Sie in dem schematischen
Durchschnitte Fig. 73 aus einer etwas früheren Zeit dargestellt fin-
den, wird nicht blos von den fötalen Bildungen, sondern auch von
einer Hülle dargestellt, welche vom Uterus aus über dieselben her-
übergeht und als dünne durchscheinende Membran den ganzen nicht
am Uterus festsitzenden Theil des Eies umschliesst. Diese Membran
(Fig. 73 d r), die man umgeschlagene hinfällige Haut,Decidua reflexa.
Membrana decidua s. caduca reflexa nennt, geht an dem Theile, wo das
Ei festsitzt, einfach in die innere Oberfläche des Uterus über und
hängt mit dieser zusammen. Die Höhle des Uterus selbst ist in die-
ser Periode vom Eie schon ganz eingenommen, im zweiten und drit-
ten Monate jedoch findet sich zwischen Ei und Uterus ein etwelcher
[138]Achtzehnte Vorlesung.
Zwischenraum, den Sie sich übrigens nicht so gross zu denken ha-
ben, wie er in der schematischen Zeichnung erscheint; auch ist der-

Figure 73. Fig. 73.


selbe nicht, wie manche Autoren
angegeben haben, von einer be-
sonderen Flüssigkeit (Hydroperi-
one, Breschet)
erfüllt, sondern
enthält Nichts als etwas Schleim.
Die Einmündungsstellen der Tu-
ben sind entweder beide oder
blos eine offen, je nach dem Sitze
des Eies; das Orificium uteri in-
ternum
ist ebenfalls offen, der
Canalis cervicis dagegen in der
Regel durch einen Schleimpfropf,
eine Ausscheidung der Gruben
der Plicae palmatae verlegt. Die
Schleimhaut des Uterus selbst (d v) ist in der ganzen Höhle des Kör-
pers des Organes von erheblicher Dicke und eigenthümlicher Beschaf-
fenheit, wie Sie nachher hören werden und führt jetzt den Namen
Decidua vera.Membrana decidua s. caduca vera, wahre hinfällige
Haut
. Beide Membranae deciduae setzen sich auch auf den Theil
des Uterus fort, an welchem das Ei durch das Chorion festgewachsen
Placenta uterina.ist, und bilden hier den Mutterkuchen, die Placenta uterina
oder die Membrana decidua serotina der Autoren (Fig. 73 p l), welche
in noch zu schildernder Weise mit der Placenta foetalis, dem Frucht-
kuchen, zusammenhängt und mit derselben die Gesammtplacenta
oder den Mutterkuchen im weiteren Sinne bildet. Untersucht man
das Innere des Eies, so findet man zunächst, dicht anliegend an der
Chorion.Decidua reflexa und an der Placenta uterina, das Chorion oder die
Zottenhaut des Eies, welches eine vollkommene Blase bildet. Das
Chorion muss jetzt in zwei Theile zerfällt werden, einen Theil, wel-
cher mit sehr dichten, reichverästelten, baumförmigen Zotten besetzt

Fig. 73. Eihüllen des Menschen in situ, schematisch dargestellt. m Mus-
cularis des Uterus nicht ausgezeichnet; d v Decidua vera, plu Placenta uterina
äussere Schicht, pl u′ innere Lage derselben mit Fortsätzen zwischen die Cho-
rionzotten ch z hinein, d r Decidua reflexa, ch l Chorion laeve, ch f Chorion fron-
dosum
mit den Zotten ch z die Placenta foetalis darstellend, a Amnios, a h Am-
nioshöhle, a s Amniosscheide für den Nabelstrang, d g Dottergang, d s Dotter-
sack, t Oeffnung einer Tuba, a h Höhle des Uterus, zu geräumig dargestellt.


[139]Eihüllen des Menschen.
ist, Placenta foetalis oder Chorion frondosum (ch f), undPlacenta foetalis.
durch diese Zotten aufs innigste mit der Placenta uterina zusammen-
hängt und einen zweiten Theil, das glatte Chorion, Ch. laeveChorion laeve.
(ch l), das auf den ersten Blick glatt erscheint, bei genauerer Besichti-
gung dagegen auch kleine Zotten zeigt, die jedoch in ziemlich weiten
Abständen stehen und wenig verästelt sind und daher auf den ersten
Blick dem Auge sich entziehen. Diese Zöttchen haften an und in der
Decidua reflexa und verbinden diese und das Chorion wie kleine
sehnige Fäden. Auf das Chorion folgt das Amnios, jedoch befin-Amnios.
det sich zwischen beiden Gebilden eine dünne gallertige Lage, die
an Spirituspräparaten wie eine weiche Haut erscheint, die soge-
nannte Membrana intermedia, die nichts anderes ist als ein einge-Membrana inter-
media
.

dickter Rest der ursprünglich in bedeutender Menge zwischen dem
Amnios und Chorion befindlichen eiweisshaltigen Flüssigkeit, und
keine weitere Bedeutung besitzt. Das Amnios, das sonst die ganze
vom Chorion umschlossene Höhle einnimmt, setzt sich an der Pla-
centa auf den schon ziemlich langen Nabelstrang fort, um so eine
Scheide für dieses Gebilde darzustellen und endet dann am Nabel
in Verbindung mit der äusseren Haut des Embryo. An der Inser-
tionsstelle des Nabelstranges an die Placenta findet man wie ein
Loch, aus welchem der Dottergang (d g) hervortritt und zwischenDottergang.
Placenta und Amnios weiter verläuft, um in verschiedener Entfer-
nung von der Insertion des Nabelstranges in den Dottersack oderDottersack.
das Nabelbläschen(d s) einzumünden. Die grosse Höhle, die
das Amnios umschliesst, ist mit dem Schafwasser oder Frucht-Schafwasser.
wasser
erfüllt, in welchem der Embryo frei flottirt.


Betrachten wir nach dieser übersichtlichen Schilderung die ein-
zelnen Theile etwas genauer. Die Decidua vera, um mit dieser zuDecidua vera.
beginnen, kleidet nicht blos die gesammte Höhle des eigentlichen
Uteruskörpers, soweit derselbe nicht von der Placenta eingenommen
wird, aus, sondern geht, allerdings verdünnt, an den Oeffnungen
des Uterus auch in die Schleimhäute des Cervix und der Eileiter
über, von denen, wie erwähnt, eine Oeffnung durch die Placenta
verlegt sein kann. Ihrer Natur nach ist die Decidua nichts anderes
als die umgewandelte Schleimhaut des Uterus, nicht eine neue
Schicht, ein besonderes Exsudat, wie man früher glaubte. Im vier-
ten Monate ist dieselbe nur noch etwa ½—1½‴ dick, während sie
im dritten Monate 2—3‴ beträgt, so dass um diese Zeit ungefähr
⅓ der Dicke der Gesammtwand des Uterus auf ihre Rechnung
[140]Achtzehnte Vorlesung.
kömmt. Nichtsdestoweniger ist sie im vierten Monate noch sehr ge-
fässreich und bemerkt man an ihrer innern Oberfläche bei frischen
Objecten eine grosse Menge von Gefässramificationen, und unter
diesen besonders weite Venensinus, die am Rande der Placenta, da wo
die Decidua vera in die Reflexa übergeht am entwickeltsten sind, und
durch zahlreiche Anastomosen wie einen ringförmigen Sinus bilden,
aber auch an den übrigen Gegenden nicht fehlen. Das Gewebe der
Decidua vera anlangend, so ist in Betreff der Oberfläche sicher, dass
das frühere Flimmerepithel des Uterus nicht mehr vorhanden ist,
dagegen zweifelhaft, ob ein anderes Epithelium an die Stelle dessel-
ben tritt, wie z. B. Robin annimmt. Wohl bemerkt man in einzel-
nen Fällen in der ersten Hälfte der Schwangerschaft da und dort,
besonders in der Nähe der Mündungen der Uterindrüsen ein Pfla-
sterepithel an der Decidua, ich habe jedoch noch keinen Fall ge-
sehen, in dem dasselbe auf grösseren Strecken regelrecht ausgebildet
gewesen wäre. Will man nun auch auf dieses Fehlen des Epithels
an manchen Stellen nicht zu viel geben, da hinreichend bekannt ist,
wie leicht zarte Epithelien sich ablösen, und das Vorkommen des-
selben für die ersten Monate der Schwangerschaft zugeben, so ist
doch so viel entschieden, dass dasselbe vom fünften und sechsten
Monate an, sobald beide Deciduen mit einander verkleben, nicht mehr
vorhanden ist. Im Innern der Decidua findet man verschiedene
Elemente, vor allem eine mehr amorphe Bindesubstanz, welche alle
andern Elemente trägt, unter denen neben den zalreichen Gefässen
runde und spindelförmge Zellen bei Weitem die Hauptmasse aus-
machen. Die runden Zellen sind schön und gross (bis 0,015‴ und
mehr) mit deutlichen Kernen und Kernkörperchen und erinnern sehr
an Epithelialzellen, für welche Deutung auch ihre hie und da vor-
kommenden polygonalen Begrenzungen zu sprechen scheinen. Be-
denklich ist jedoch der Umstand, dass sie in allen Schichten der
Decidua, auch in den tiefsten, sich finden, so wie dass sie auch an
den Stellen, wo noch Uterindrüsenreste mit deutlichem kleinem Pfla-
sterepithel vorkommen, dicht aussen an den Drüsen zu sehen sind.
Namentlich der letzte Umstand scheint gegen eine Vermuthung zu
sprechen, welche jedem sich aufdringen muss, der weiss, dass die
Decidua vera in den ersten zwei Wochen der Schwangerschaft so zu
sagen aus nichts als aus gewucherten Uterindrüsen besteht, wäh-
rend man von solchen später äusserst wenig mehr sieht und sich
die Frage vorlegt, was aus den Epithelzellen dieser wird. Ich würde
[141]Eihüllen des Menschen.
übrigens mit grösserer Bestimmtheit an die Möglichkeit der Abstam-
mung der fraglichen Zellen von den Epithelzellen der Uterindrüsen
denken, wenn nicht das dazu käme, dass dieselben später einem
guten Theile nach in Faserzellen sich umwandeln, welche man auch
schon im vierten Monate in Menge neben denselben findet, Faser-
zellen, welche später entschieden in Bindegewebe sich umwandeln
und hierdurch namentlich den geäusserten Gedanken, wenn auch
nicht unmöglich machen, doch wenigstens in den Hintergrund drän-
gen. Es sind übrigens diese Faserzellen ziemlich ausgeprägte spin-
delförmige Zellen von verschiedener Form und Grösse, alle mit deut-
lichen rundlichen oder länglichrunden Kernen.


Eine nicht unwichtige Frage ist die, ob die Decidua vera in derDrüsen der
Decidua vera.

Mitte der Schwangerschaft noch Uterindrüsen besitze. Nach
Coste’s Angaben ist diess in der That der Fall und zwar sollen die
Uterindrüsen, die nach diesem Forscher noch in grosser Anzahl sich
finden, zwar einfach, aber so geschlängelt und zusammengewickelt
sein, dass sie denen der Schweissdrüsen ähnliche Drüsenkörper
bilden (Histoire du dével. Tab. VIII). Sicher und längst bekannt
ist es, dass die Decidua vera um diese Zeit, so wie früher schon und
später, an ihrer innern Oberfläche eine grosse Menge von grösseren,
von blossem Auge sichtbaren Löchern oder spaltenförmigen Oeff-
nungen enthält, welche namentlich nach Entleerung der Blutgefässe
der ganzen Oberfläche der Haut ein deutlich siebförmiges Ansehen
verleihen. Verfolgt man diese Löcher, so kommt man in Gruben,
selbst in Kanäle, welche die ganze Dicke der Haut durchsetzen und
an dem der Muskelhaut zugewendeten Theile blind endigen. Es ist
nun allerdings sehr wahrscheinlich, dass diese Löcher und Kanäle,
wie Coste mit Andern annimmt, Umwandlungen der früheren
schlauchförmigen Uterindrüsen sind: ich muss Ihnen jedoch bemer-
ken, dass es mir, wenigstens in der Mitte der Schwangerschaft, noch
nicht gelungen ist, als Auskleidung dieser Kanäle das wirkliche
frühere Drüsenepithel zu finden, so wie auch, dass ich um diese
Zeit keine unveränderten Drüsen gesehen habe. Diesen letzten Punkt
anlangend will ich jedoch Coste’s Angabe nicht entgegentreten,
da ich bis jetzt nur Spirituspräparate auf diese Verhältnisse unter-
sucht habe, und was die Löcher und weiteren Kanäle der älteren
Decidua anlangt, so glaube ich den bestimmten Nachweis liefern zu
können, dass dieselben wirklich veränderte Uterindrüsen sind. Ich
habe nämlich in einer Decidua vera der vierten Woche neben un-
[142]Achtzehnte Vorlesung.
veränderten Uterindrüsen auch viele andere gesehen, welche, ohne
ihr Epithel eingebüsst zu haben, in weitere, z. Th. buchtige Kanäle
umgewandelt waren und z. Th. schon so ziemlich das Ansehen der
späteren Kanäle hatten.


Ich habe Ihnen nun noch anzugeben, dass die äussere Fläche
der Decidua vera mit der Muskelsubstanz des Uterus ziemlich innig
zusammenhängt; doch ist diese Verbindung nicht so fest, dass sich
nicht beide Theile von einander trennen liessen; hierbei bleibt ein
Theil der Vera oder der Schleimhaut immer an der Muscularis sitzen
und zeigt das losgetrennte Stück der Decidua eine rauhe Oberfläche.


Decidua reflexa.Die Decidua reflexa, die continuirlich mit der Vera zusammen-
hängt, stimmt in gewissen Verhältnissen ihres Baues mit dieser
überein, während sie in andern ziemlich abweicht. Die äussere der
Uteruswand zugekehrte Oberfläche der Reflexa ist glatt und in der
Mitte der Schwangerschaft nach Allem, was wir wissen, ohne Epi-
thel; die innere Oberfläche dagegen ist rauh und mit dem Chorion
durch die vorhin erwähnten kleinen Zotten verwachsen. In vollem
Gegensatze zur Vera ist die Reflexa im vierten Monate, zu welcher
Zeit sie noch etwa ⅓—½‴ misst, ja sogar schon im dritten Monate
ganz gefässlos; auch die zalreichen Oeffnungen, die man an
jener findet, fehlen um diese Zeit bei der in Rede stehenden Mem-
bran gänzlich, ausser an der Stelle, wo dieselbe in die Vera um-
biegt. Abgesehen davon aber beurkundet die Reflexa durch ihren
feineren Bau, durch die zalreichen grosszelligen Elemente und
spindelförmigen Faserzellen und ihr mehr homogenes bindegewebi-
ges Substrat ihre nahe Verwandtschaft mit der wahren hinfälligen
Haut.


Placenta.Was die Placenta uterina s. Decidua serotina, den mütter-
lichen Theil des Fruchtkuchens oder den Mutterkuchen im engern
Sinne, anlangt, so ist es äusserst schwierig, über den Bau dieses
Theiles ins Reine zu kommen. Die Placenta überhaupt, als Ganzes
genommen, ist ein sehr weiches und blutreiches Gebilde, dem man
nicht leicht durch die gewöhnlichen anatomischen Untersuchungsme-
thoden, mit dem Messer oder durch Injection, beikommen kann. Es
erklärt sich hieraus die Mannichfaltigkeit der Ansichten, die man
über den Bau der Placenta aufgestellt hat, so wie die Unklarheit, in
der wir heute noch bezüglich mancher hieher gehörigen Puncte be-
fangen sind. Betrachten wir die Placenta als Ganzes, so erscheint
sie als scheibenförmiges oder kuchenförmiges Gebilde, je nach der
[143]Eihüllen des Menschen.
Periode der Schwangerschaft, in der man sie untersucht, von ver-
schiedener Grösse, in der Mitte der Schwangerschaft von 4—5″
Durchmesser, am Ende derselben von 6—8″ Grösse. Man unter-
scheidet an ihr eine convexe Uterinfläche und eine concave embryo-
nale Fläche und kann dieselbe behufs der Beschreibung in den
mütterlichen und fötalen Theil, Mutterkuchen und Fruchtkuchen,
sondern, welche jedoch beide in der Mitte der Schwangerschaft aufs
innigste mit einander vereinigt sind und vom vierten Monate an sich
nicht mehr trennen lassen. Die Placenta foetalis wird, wie Sie ausPlacenta foetalis.
Früherem wissen, von dem Theile des Chorion gebildet, welcher
ursprünglich der Uteruswand zugewendet ist, und an dieser Stelle
zeigt sich dann eine ungemeine Entwicklung der Chorionzotten;
hier allein breiten sich auch die sogenannten Placentargefässe des
Embryo, die zwei Arterien und die Vena umbilicalis aus. Demzu-
folge zeigt der Fruchtkuchen an seiner fötalen, vom Amnios beklei-
deten Seite eine mässig feste, glatte, weisslich durchscheinende
Haut, an welche der Nabelstrang sich inserirt und in welcher die
gröberen Verästelungen der Umbilicalgefässe liegen, und an der
Aussenfläche dieser, welche nichts anderes als das Chorion ist, die
Stämme der Chorionzotten, welche durch ihre zalreichen Veräste-
lungen nach aussen eine ziemlich dichte und zusammenhängende
Masse bilden, die, wenn man dieselbe von der mütterlichen Placenta
getrennt sich denkt, nach aussen gegen den Uterus eine im Allge-
meinen leicht gewölbte, jedoch nicht ebene, sondern mehr hügelige
oder gelappte Oberfläche darbietet. Die einzelnen Chorionzotten
sind in ihren Verästelungen so mannichfach verschieden gestaltet,
dass eine specielle Beschreibung nicht nöthig ist und die Bemer-
kung genügt, dass dieselben an jedem Bäumchen ungemein zalreich
sind und sowohl als Zweitheilungen auftreten, als auch als viele
von den Stämmchen und Aesten unter rechten Winkeln abgehende
Ausläufer erscheinen, so dass manche Zweige in grosser Ausdeh-
nung nur von solchen besetzt sind. Die letzten Enden der Bäum-
chen sind kolbig, walzenförmig, birnförmig, selbst keulenförmig,
gestielt oder fadenförmig, jedoch immer und ohne Ausnahme frei
und in keiner Verbindung mit dem mütterlichen Theile der Placenta,
in welcher Beziehung ich den Angaben gewisser Beobachter entge-
gentreten muss.


Bezüglich auf den Bau so verhält sich der Placentartheil desFeinerer Bau der
Placenta foetalis.

Chorion im Wesentlichen ebenso wie das übrige Chorion und besteht
[144]Achtzehnte Vorlesung.
aus einer äusseren, alle Theile überziehenden Epithelschicht
und aus einer innern, dem Embryo zugewendeten bindegewebi-
gen Grundlage
. Ein jedes Chorionbäumchen besteht in allen
seinen Theilen aus einer innern bindegewebigen Axe und einem
äussern Pflasterepithel mit schönen kernhaltigen Zellen, die im In-
nern Körnchen und manchmal auch Fett enthalten. Dieses Epithel
löst sich sehr leicht in Fetzen ab und kann man namentlich von
nicht ganz frischen Placenten ganze Ueberzüge der Enden der Cho-
rionzotten wie Handschuhfinger im Zusammenhange erhalten, an
denen die Zusammensetzung aus einfachen Epithelialzellen auf das
deutlichste zu sehen ist. Das Bindegewebe ist in den Stämmen der
Zotten derber, fester, mehr fibrillär, in den feineren Verästelungen
weicher und gelatinös; in allen Theilen enthält dasselbe eine ge-
wisse Menge spindelförmiger auch wohl sternförmiger zelliger Ele-
mente, die ich als Bildungszellen des Bindegewebes betrachte. Aus-
serdem sind Kerne vorhanden, die ohne umhüllende Membranen
in dem Fasergewebe drin liegen. Mit Ausnahme weniger Endaus-
läufer der Bäumchen, die nur aus Epithelzellen bestehen und ein-
fache Epithelialfortsätze sind, enthalten alle Verästelungen Blutge-
fässe. In jede Zotte tritt ein Ast einer A. umbilicalis hinein, aus
jeder Zotte kommt eine Vene heraus, welche in eine V. umbilicalis
übergeht und diese Gefässe verästeln sich nun bis in die letzten
Ausläufer hinein. Früher glaubte man, dass Arterien und Venen nur

Figure 74. Fig. 74.


in diesen und zwar durch einfache Schlingen
ineinander übergehen, es hat jedoch Schröder
van der Kolk
in einer vortrefflichen Arbeit
über den Bau der menschlichen Placenta (Verh.
van het K. Nederlandsche Instituut
1851, St.
69 flgde.) nachgewiesen, dass dieselben auch
in den Stämmen zalreiche Capillarnetze bilden,
und dass in den Zottenenden neben einfachen
Schlingen auch Anastomosen sich finden, wie
Ihnen diess die Fig. 74 versinnlicht. Aus dem
Gesagten können Sie entnehmen, dass das Ge-
fässsystem des Embryo, insoweit es in die
Placenta eingeht, ein vollkommen geschlossenes

Fig. 74. Ein Theil eines injicirten Aestchens einer Chorionzotte. Nach
Ecker, Icon. phys. Erklärung zur Taf. XXVIII. a Hauptgefässstamm, n Capil-
laren des oberflächlichen Netzes.


[145]Eihüllen des Menschen.
ist, dass jedoch die Gefässe und das Bindegewebe, welches diesel-
ben trägt, vom mütterlichen Organismus nur durch ein dünnes und
auf jeden Fall leicht durchdringliches Epithel getrennt sind, so dass
ein Austausch der in den Blutgefässen von Mutter und Kind enthal-
tenen Stoffe mit Leichtigkeit sich machen muss.


Weniger leicht als der fötale Antheil der Placenta ist der müt-Placenta uterina.
terliche Theil zu erforschen. Betrachtet man eine in regelrech-
ter Weise vom Uterus gelöste Placenta von ihrer convexen oder
Uterinfläche, so findet man, dass sie an dieser Fläche wie in eine
gewisse Menge von unregelmässigen, polygonalen Abtheilungen oder
Lappen, die sogenannten Cotyledonen der Placenta, zerfällt.
Diese Cotyledonen werden von den Zotten des Chorions gebildet,
welche gruppenweise inniger mit einander verbunden sind und da-
durch zusammengehalten werden, dass der mütterliche Antheil in
bestimmter Weise zwischen dieselben eindringt. Es liegen nämlich
an der angegebenen Fläche die Chorionzotten nicht frei, vielmehr
ist dieselbe immer von einem Theile der mütterlichen Placenta be-
deckt, welcher jedoch kaum mehr als ¼—½‴ Dicke hat und, wenn
er gut erhalten ist, als eine zusammenhängende Haut erscheint,
welche den fötalen Theil der Placenta bedeckt, und am Rande einer-
seits in die Vera, anderseits in die Reflexa sich fortsetzt.


Bei genauer Untersuchung auf Durchschnitten zeigt sich nun,
dass diese Membran mit einzelnen stärkeren und schwächeren Fort-
sätzen zwischen die Cotyledonen sich hinein erstreckt, welche Fort-
sätze im weiteren Verlaufe noch verschiedentlich sich theilen und
verzweigen und mehr weniger tief in die Placenta foetalis oder zwi-
schen die Chorionzotten eindringen. Keiner dieser Fortsätze erreicht
jedoch, nach meinen Wahrnehmungen, die innersten Theile der Pla-
centa foetalis
oder die Stelle, wo die Chorionbäumchen festsitzen,
und findet sich überhaupt in den an das Chorion selbst grenzenden
Theilen keine Spur von mütterlichem Gewebe. Die erwähnte müt-
terliche Membran nun mit ihren Fortsätzen ist, wie Durchschnitte
von Placenten in ihrer Lage ergeben, nur der innerste Theil der
eigentlichen Placenta uterina und zeigen solche Schnitte, dass der
an die Muskelhaut angrenzende mächtigere Theil derselben von dem
an die Placenta foetalis anstossenden besonders durch grossen
Reichthum an Blutgefässen, namentlich durch weite Venenräume
sich auszeichnet.


Kölliker, Entwicklungsgeschichte. 10
[146]Achtzehnte Vorlesung.

Feinerer Bau der
Placenta uterina.
Ich komme nun zur Betrachtung der feineren Structur-
verhältnisse
der Placenta uterina. Was das Gewebe der
Placenta uterina betrifft, so stimmt dasselbe mit dem der Deciduae
vollkommen überein und besteht nur insofern eine Differenz beider,
als man in der Placenta uterina eine Zellenform findet, die ich we-
nigstens in den Deciduae noch nicht gesehen habe, obschon sie bei
genauerem Nachforschen wohl auch noch sich finden mag, nämlich
grosse Blasen, bis zu 0,06‴ Durchmesser, welche mit Zellenkernen
ganz vollgepfropft sind und vorzüglich in den tieferen Schichten der
Placenta uterina, in der Nähe der Muskelhaut, ihre Lage haben. Den
Rest des Gewebes bilden dann kleinere Zellen und spindelförmig
ausgezogene Elemente, viele mit mehrfachen Kernen, zum Theil auch,
wenigstens in älteren und ganz ausgetragenen Placenten, ziemlich
deutlich faseriges Bindegewebe. Von glatten Muskelfasern, welche
Ecker in den äussern Schichten der Placenta uterina gefunden haben
will (Icon. phys. Erkl. d. Taf. XXVIII.), ist mir noch nichts vorgekom-
men und möchte ich ganz im Allgemeinen mir die Bemerkung er-
lauben, dass es bei dem Vorkommen vieler sicherlich nicht musku-
löser spindelförmiger Zellen der verschiedensten Formen in allen
drei Deciduae kaum möglich sein wird, gewisse derselben vom
anatomischen Standpuncte allein als muskulös zu deuten. Sehr
Arterien der
Placenta uterina.
eigenthümlich ist dagegen das Verhalten der Blutgefässe der Pla-
centa uterina.
An einer injicirten oder sonst einfach präparirten
Placenta lassen sich von der Seite des Uterus her ohne Schwierig-
keit zalreiche spiralig gewundene Arterien nachweisen, welche in
den äussern Theil der Placenta uterina eindringen, und noch leichter
überzeugt man sich, dass diese Schicht auch eine übergrosse Menge
weiter und vielfältig verbundener Venen enthält. Geht man weiter
nach innen und untersucht man den Theil der Placenta, welcher bei
der Geburt abgestossen wird, so zeigt sich, dass an der convexen
Seite der Placenta da und dort kleinere Arterienstämmchen
vorkommen und, getragen von dem hier noch befindlichen Gewebe,
ins Innere dringen. Schneidet man diese Arterien auf, so sieht
man, dass von besonderen Wandungen an denselben nicht mehr
die Rede sein kann, und dass es in der That nichts anderes als müt-
terliches Placentargewebe ist, welches dieselben begrenzt. Ver-
folgt man die arteriellen Kanäle weiter, so lassen sich dieselben in
den früher beschriebenen Fortsätzen des mütterlichen Placentarge-
webes noch eine Strecke weit zwischen und in die Cotyledonen hin-
[147]Eihüllen des Menschen.
ein verfolgen, am Ende jedoch hört jede besondere Auskleidung der-
selben auf und verlieren sich die Kanäle schliesslich in buchtige,
von allen Seiten zusammenhängende Räume, welche zwischen den
Chorionzotten sich befinden und bis zu den Stämmen der Chorion-
bäumchen reichen oder, genauer ausgedrückt, die ganze Placenta
foetalis
durchziehen. Was so für die Arterien gilt, passt auch auf
die Venen. In den tieferen Theilen der Placenta gegen den Embryo
zu ist keine Spur von Venen zu sehen; dieselben treten erst in
der Gegend der Arterien auf und erscheinen vorzüglich in folgender
Weise.


Um die Placenta herum, zum Theil noch innerhalb derselben,Venen der
Placenta uterina.

zum Theil schon in der Decidua vera findet sich eine Art weiten
Randgefässes, der sogenannte Venensinus der Placenta oder
der ringförmige Sinus, der an der einen Seite viele Venenwur-
zeln aus der Placenta bezieht, auf der andern Seite durch zalreiche
Abzugskanäle zu den Venen des tieferen Theiles der Decidua vera
und der Muscularis führt. Genauer betrachtet ist dieser ringförmige
Sinus jedoch nicht ein einziges zusammenhängendes Gefäss, viel-
mehr sind es Anastomosen der aus dem Innern der Placenta heraus-
kommenden Venen, die gewöhnlich da und dort unterbrochen sind,
so dass selten ein vollständiger Kreis vorhanden ist. Die Wurzeln,
welche von Seiten der Placenta in den Sinus einmünden, kann man
eine Strecke weit, von den Rändern der Placenta aus, innerhalb des
mütterlichen Gewebes bis ins Innere hinein verfolgen, wobei sich
zeigt, dass dieselben anfänglich ebenfalls mehr zwischen den Coty-
ledonen verlaufen, es entbehren jedoch dieselben, welche meist eine
beträchtliche Weite haben, einer besonderen Auskleidung und wer-
den ebenso wie die Arterien nur von mütterlichem Placentargewebe
getragen, von welchem jedoch nicht behauptet werden soll, dass es
nicht, zum Theil wenigstens, einer Umbildung der ursprünglichen
Gefässwände seinen Ursprung verdanke. Schliesslich laufen nun
auch diese Venen frei in die Maschenräume zwischen den Chorion-
zotten aus, und ganz dasselbe gilt auch von einer gewissen Zahl
von Venen, die wie die Arterien an der convexen Seite der Placenta
aus derselben heraustreten. Von Capillargefässen ist dem Gesagten
zufolge im mütterlichen Theile der menschlichen Placenta keine
Spur zu sehen und hängen Arterien und Venen einzig und allein
durch ein System anastomosirender Lücken zusammen, welche ganz
und gar von den fötalen Chorionzotten getragen werden, ungefähr
10*
[148]Achtzehnte Vorlesung.
in derselben Weise, wie Sie dies von den Corpora cavernosa penis
kennen, welche Organe seit E. H. Weber schon oft zum Vergleiche
herbeigezogen worden sind. Hier wie dort sind wohl zuführende
Arterien und ableitende Venen da, Capillaren jedoch fehlen, oder
sind vielmehr durch mannigfach anastomosirende Hohlräume ver-
treten, welche von einem den Gefässen mehr fremden Gewebe, hier
den Zotten, dort den Balken, begrenzt werden. Nach dieser Auf-
fassung, welche ich schon seit langem vertrete (vergl. C. Wild zur
Physiol. der Placenta, Würzburg 1849), umspült mithin das Blut der
Mutter in der Placenta unmittelbar die embryonalen Zotten und ist
nur durch das Zottenepithel und die Bindegewebsschicht von den
fötalen Blutgefässen getrennt. Im Widerspruche hiermit hat freilich
schon vor längerer Zeit E. H. Weber als Auskleidung der mütter-
lichen Bluträume der Placenta eine dünne Membran beschrieben
(Hildebrandt’s Anat. II. St. 495 flgde. und R. Wagner Phys. 3. Aufl.
St. 128), welche dem mütterlichen Organismus angehöre, und später
finden Sie auch in der Arbeit von Schröder van der Kolk über die
Placenta die Bemerkung, dass die Zotten eine doppelte Auskleidung
besitzen und zwar 1) die fötale Epithelhülle und dann noch 2) eine
epithelartige Haut, welche, vom Uterus gebildet (mütterliches Epi-
thel), alle Chorionzotten umschliesse; allein ich muss wiederholt wie
früher bestimmt behaupten, dass eine solche mütterliche Ausklei-
dung der Bluträume zwischen den Verästelungen der Chorionzotten
nicht existirt und in keiner Weise zu demonstriren ist. Nur in so
weit als noch Fortsätze der Decidua serotina in die Placenta eindrin-
gen, betheiligt sich auch mütterliches Gewebe an der Begrenzung
der Bluträume, allein diese Stellen sind im Ganzen genommen von
geringem Belang, so dass auf jeden Fall die überwiegende Mehrzahl
der mütterlichen Bluträume einfach von den fötalen Zotten begrenzt
wird und hier, meiner Auffassung zufolge, die Wandungen der Blut-
gefässe, welche das mütterliche Blut ursprünglich umschlossen, ver-
loren gegangen, oder zerstört worden sind. Dass dem wirklich so ist,
lässt sich noch an ausgetragenen Placenten demonstriren. Es zeigt
sich nämlich hier, wie zuerst von E. H. Weber (Hildebrandt’s Anat.
IV) und später auch von Virchow (Archiv Bd. 3. St. 450) hervorge-
hoben wurde, die interessante Thatsache, dass da und dort in dem
Theile der Placenta, der noch Gefässe in mütterlichem Gewebe ent-
hält, grössere oder kleinere Büschel von Chorionzotten frei in die
mütterlichen Gefässe hineinragen, was nicht anders zu Stande kom-
[149]Eihüllen des Menschen.
men konnte, als dadurch, dass die Zotten durch ihr Wachsthum das
mütterliche Gewebe verdrängten. Weber freilich lässt diese frei
vom Mutterblut umspülten Büschel von Chorionzotten noch von einer
Einstülpung der Gefässhaut bekleidet sein, allein das Mikroskop
zeigt mit Bestimmtheit, dass dieselben ausser ihrem Epithel keine
weitere Begrenzung haben. Was wir so im Kleinen an der ausge-
tragenen Placenta sehen, dass geht wohl, wie Virchow zuerst be-
stimmt auseinandergesetzt hat, bei der ersten Bildung derselben im
Grossen vor sich und darf man es unbedingt auf Rechnung der so
mannichfach wuchernden Chorionzotten setzen, dass man später
von den in der Placenta ursprünglich auch vorkommenden Capilla-
ren nichts mehr findet.


Die Circulation des Blutes in der Placenta muss bei demBlutbewegung in
der mütterlichen
Placenta.

angegebenen Baue, wie leicht begreiflich, im Ganzen eine ziemlich
unregelmässige sein. Da die Arterien an der convexen Seite der
Placenta zutreten und die Hauptvenen am Rande derselben ent-
springen, so wird man wohl sagen dürfen, dass der Blutstrom im
Allgemeinen von der convexen gegen die concave Seite und den
Rand der Placenta zu geht. Bei den vielfachen Verbindungen
der Maschenräume jedoch müssen nothwendig manche Unregelmäs-
sigkeiten in dieser Blutbewegung eintreten, Aenderungen der Blut-
ströme, vorübergehende Stockungen u. s. w., denen zwar durch die
anderweitigen venösen Abzugskanäle, welche an der convexen Seite
der Placenta sich befinden, entgegengearbeitet wird, die aber nichts-
destoweniger in vielen Fällen zu bleibenden Störungen und Blutge-
rinnungen führen, welche, wie Sie wissen, in der Placenta zu den
gewöhnlichen Erscheinungen gehören. Aehnliche Unregelmässig-
keiten zeigt auch unstreitig die Circulation in den Corpora caver-
nosa penis
; auch hier ist dem Blutstrome keine ganz bestimmte Rich-
tung vorgezeichnet und derselbe bedeutenden Schwankungen un-
terworfen, die jedoch wegen der Contractilität des Gewebes kaum
je zu bleibenden Störungen führen.


[[150]]

Neunzehnte Vorlesung.


Fötale Eihüllen
in der Mitte der
Schwangerschaft.
Ich wende mich heute, meine Herren, zunächst noch zu einer
genaueren Betrachtung des Verhaltens der fötalen Eihüllen in
Chorion.der Mitte der Schwangerschaft. Vom Chorion, das Sie in
seinem wichtigsten Theile, der Placenta foetalis, schon kennen, ist nur
noch zu bemerken, dass dasselbe in seinem übrigen Theile eine dünne,
weissliche, durchscheinende, bindegewebige Haut ohne Blutgefässe
darstellt, welche durch spärliche, wenig verästelte und kleine Zött-
chen mit der Decidua reflexa sich verbindet, Zöttchen, welche natür-
lich auch gefässlos sind, und aus einem bindegewebigen Strange und
einem Epithel bestehen, so dass demnach, da auch die ganze äus-
sere Fläche des Chorions von einem Epithel bekleidet wird, zwischen
Decidua reflexa und Placenta uterina einerseits und den fötalen
Theilen anderseits Ein zusammenhängendes Epithel sich findet,
welches somit die alleräusserste Begrenzung des ganzen Eies und
eine Art Oberhäutchen darstellt.


Amnios.Die nun folgende Bildung, das Amnios, ist in der Mitte der
Schwangerschaft schon eine grössere Blase, die mit Ausnahme der
Stelle, wo der Dottersack sich befindet, ganz innig am Chorion an-
liegt, jedoch immer leicht von demselben sich ablösen lässt. Bei
der Trennung beider Membranen findet man zwischen denselben
ein fadiges gallertiges Gewebe in sehr geringer Menge, von dem ich
Ihnen schon früher meldete, dass es der Rest der ursprünglich zwi-
schen Chorion und Amnios befindlichen eiweisshaltigen Flüssigkeit
sei, eine Ansicht, die Bischoff (Beitr. z. Lehre von den Eihüllen d.
menschl. Fötus 1834. St. 78) zuerst aufgestellt hat. Einen beson-
deren Namen (Tunica mediaBischoff) verdient diese Lage, die beim
Menschen keine Organisation zeigt und auch keine Gefässe enthält,
[151]Eihüllen des Menschen.
kaum und werden wir derselben ihrer geringen Bedeutung halber
von nun an nicht weiter gedenken. An der Insertionsstelle des Na-
belstranges an der Placenta geht das Amnios auf denselben über
und bildet eine Scheide für ihn, die sich bis zum Nabel des Embryo
erstreckt und hier, wie schon erwähnt, in die Cutis und Epidermis
sich fortsetzt. Bezüglich der feineren Structur zeigt das Amnios an
der der Höhlung desselben zugewendeten Seite ein einfaches Pfla-
sterepithel, ausserdem aber noch eine äussere faserige Schicht, in
der da und dort blasse, sternförmige, kernhaltige Zellen zum Vor-
schein kommen. Diese Faserschicht entspricht, wie wir früher sahen,
der mit Muskelfasern versehenen Schicht des Amnios des Hühn-
chens und sie ist es, welche am Nabel unmittelbar in die Cutis sich
fortsetzt, wobei jedoch zu bemerken ist, dass beim Menschen der
Uebergang nicht genau an der Insertion des Nabelstranges am Bauche,
sondern einige (3—4‴) Linien davon entfernt am Nabelstrange selbst
sich macht. In diesem Bezirke enthält auch der Nabelstrang wirk-
liche Capillaren, denn die neulich von Virchow (Cellularpathologie
St. 87) erwähnten feineren Blutgefässe gehören einzig und allein
der Scheide des Nabelstranges an. Bei Thieren, wie z. B. bei Kalbs-
embryonen, hat, beiläufig bemerkt, die Scheide des Nabelstranges
auf grössere Entfernungen (1—2″) vom Bauche noch die Beschaf-
fenheit der äussern Haut.


Vom Liquor Amnii oder Schafwasser im Innern der
Amnioshöhle, in welchem der Embryo schwimmt, werde ich spä-
ter im Zusammenhange handeln.


Der Dottersack oder das Nabelbläschen ist im viertenDottersack oder
Nabelbläschen.

und fünften Monate noch ein ganz deutliches Gebilde, welches 3,
4—5‴ im Durchmesser besitzt und irgendwo zwischen Amnios und
Chorion, meist ziemlich entfernt von der Insertionsstelle des Nabel-
stranges gegen den Rand der Placenta zu oder ausserhalb derselben
seine Lage hat. Dieses Bläschen, welches im Innern eine geringe
Menge von Flüssigkeit enthält, deren Natur unbekannt ist, besteht
aus einer bindegewebigen Hülle und einem deutlichen Pflasterepi-
thel, zeigt häufig noch Blutgefässe, die Vasa omphalo-mesenterica,
und bemerkenswerther Weise an seiner innern Oberfläche kleine, von
v. Baer (Entw. II. St. 190) bemerkte Zotten, welche, wie ich finde,
Gefässe enthalten, aber kaum von weiterer physiologischer Bedeu-
tung sind. Ein Stiel ferner, welcher, soweit er frei liegt, den Dot-
tergang noch erkennen lässt, verbindet das Nabelbläschen mit dem
[152]Neunzehnte Vorlesung.
Nabelstrange, in welchem dann die Vasa omphalo-mesenterica, wenn
sie noch vorhanden sind, weiter bis zum Embryo verlaufen.


Nabelstrang.Der Nabelstrang, Funiculus umbilicalis, endlich, den
wir zum Schlusse noch betrachten, ist ein ziemlich zusammenge-
setztes Gebilde. Das gröbere anatomische Verhalten anlangend, be-
merke ich Ihnen, dass derselbe in der Mitte der Schwangerschaft
5, 6—8″ Länge hat und eine Dicke von 4—5‴ besitzt, so ziemlich
von der Mitte des Bauches des Embryo ausgeht und meist gegen die
Mitte des Mutterkuchens an denselben sich ansetzt. Seine Zusam-
mensetzung anlangend, so besteht der Nabelstrang, von dessen Win-
dungen später noch die Rede sein soll, aus folgenden Theilen: 1) aus
der Scheide vom Amnios, 2) aus den Nabel- oder Placen-
targefässen, Vasa umbilicalia,
zwei Arterien und einer
Vene, von denen die Vene central, die Arterien peripherisch liegen,
3) aus den kleinen Dottersackgefässen, wenn sie noch vor-
handen sind (Arteria und Vena omphalo-mesenterica). In früherer
Zeit enthielt er auch den Dottergang,Ductus vitello-intestinalis,
der jedoch, ebenso wie der Urachus oder Stiel der Allantois, in der
Mitte der Schwangerschaft nicht mehr zu erkennen ist. Alle diese
Theile nun werden durch ein weiches, gallertiges Bindegewebe zu-
sammengehalten, das unter dem Namen der Wharton’schen Sulze
bekannt ist und nach Art des Unterhautbindegewebes von Embryo-
nen aus einem Schwammgewebe von weichen Fasern und einer in
den Lücken desselben enthaltenen hellen Sulze besteht, die in neue-
rer Zeit besonders Virchow genauer untersucht hat (Würzb. Verhandl.
II. St. 160, Cellularpatholog. S · 88 flgde). Die Fasern zeigen alle
Uebergänge von anastomosirenden sternförmigen Zellen zu netzför-
mig vereinten, mehr weniger fibrillären Bindegewebsbündeln, in
denen da und dort noch unveränderte Zellen sich finden, und was
die Sulze anlangt, so ist dieselbe schleim- und eiweisshaltig und
enthält eine gewisse Menge rundlicher Zellen. Das Ganze gehört zu
der Form von Bindegewebe, welche Virchow als Schleimgewebe,
ich als gallertiges Bindegewebe bezeichnet haben. Ausser den grös-
seren Gefässen, die, wie ich vor längerer Zeit nachgewiesen habe,
eine ungemein entwickelte Muskelhaut haben und sehr contractil
sind, enthält der Nabelstrang selbst keine weiteren Gefässe und na-
mentlich keine Capillaren, was zeigt, dass unter besondern Umstän-
den (worunter hier die Weichheit und Permeabilität der Wandungen
der Umbilicalgefässe zu verstehen ist) auch grössere Gefässe das zur
[153]Eihüllen des Menschen.
Ernährung und zum Wachsthume eines Theiles nöthige Material ab-
geben können. Eben so wenig sind Lymphgefässe im Nabel-
strange nachzuweisen. Nerven hat man bis jetzt nur in der Nähe
des Embryo gefunden. Nach Schott (Die Controverse ü. d. Nerven
des Nabelstr. Frankf. 1836) lassen sich an der Nabelvene Aeste des
linken Lebergeflechtes bis zum Nabelringe und an den Arterien Aus-
läufer des Mastdarmgeflechtes, beim weiblichen Fötus des Uterin-
geflechtes 1—1½″ weit in den Nabelstrang verfolgen und Valentin
hat noch 3—4″ vom Nabel weg mit dem Mikroskope Nervenfasern
im Nabelstrange gefunden. Letztere Angabe kann ich bestätigen,
dagegen habe ich mich beim Menschen und bei Thieren bisher ver-
geblich bemüht, in der Mitte und am Ende des Nabelstranges Ner-
ven zu finden, obschon ich auch auf das Vorkommen blasser em-
bryonaler Fasern achtete. Besässe in der That der Nabelstrang in
seinem grösseren Theile und ebenso die Placenta foetalis keine Ner-
ven, so wäre dies, in Anbetracht der grossen Contractilität der
Blutgefässe dieser Theile, physiologisch von nicht geringem Interesse.


Indem ich die Schilderung der Beschaffenheit des Uterus wäh-Eihüllen in der
2. Hälfte und am
Ende der
Schwangerschaft.

rend der Schwangerschaft den Handbüchern und Vorträgen über
Anatomie und Geburtshülfe überlasse, gehe ich gleich über zur
Betrachtung der weiteren Veränderungen der fötalen und müt-
terlichen Eihüllen und vor Allem ihres Verhaltens am Ende der
Schwangerschaft. Was zunächst die mütterlichen EihüllenMütterliche Ei-
hüllen.
Decidua.

anlangt, so sind am Ende der Schwangerschaft die Decidua vera
und reflexa mit einander verwachsen, und zugleich so verdünnt,
dass sie eine einzige ganz dünne Haut darstellen. Natürlich ist
hiermit auch jeder Zwischenraum zwischen Ei und Uteruswand
geschwunden und füllt das Ei den Uterus ganz aus. Untersucht
man von aussen nach innen die Schichten eines hochschwangern
Uterus, so stösst man nach Durchschneidung der sehr verdünnten
Muskelhaut auf ein dünnes, gelbweisses, faserig-blättrig erschei-
nendes Häutchen und dieses, welches eben die Deciduae darstellt,
führt durchschnitten gleich zum Chorion. Mit dem Grösserwer-
den des Eies nämlich vereinigen sich die Deciduae, nachdem sie
schon vom sechsten Monate an oder schon etwas früher verklebt
waren; mit der Grössenzunahme des Uterus ferner nehmen diesel-
ben nicht auch entsprechend an Masse zu und werden immer dün-
ner, nichtsdestoweniger kann man nicht selten selbst am Ende der
Schwangerschaft da und dort, jedoch niemals auf grössere Strecken
[154]Neunzehnte Vorlesung.
beide Deciduae künstlich von einander trennen. Das Gewebe der Deci-
dua anlangend, so zeigt dasselbe immer noch ungefähr das nämliche
Verhalten wie früher, nur ist es jetzt weiter ausgebildet und reicher
an spindelförmigen Zellen und den mannichfachsten Uebergängen der-
selben in wirkliches, ziemlich deutlich fibrilläres Bindegewebe. Gibt
es eine Stelle, wo man den Uebergang von Zellen in Bindegewebs-
fasern deutlich demonstriren kann, so ist es hier. Bemerkenswerth
ist ferner, dass die Vera mit dem Fortschreiten der Schwangerschaft
immer gefässärmer wird und am Ende derselben verhältnissmässig
nur noch wenige Gefässe enthält. Was die Reflexa anlangt, so war
sie, wie Sie wissen, in dieser Beziehung die Vorläuferin der Vera.


Placenta.Die Placenta ist im ausgetragenen Eie 6—8″ gross und ¾—1″
dick. Ihr Bau ist immer noch derselbe wie früher, nur dass alle
ihre Theile und vor Allem die Chorionbäumchen an Mächtigkeit zu-
genommen haben und brauchen wir uns eigentlich nicht länger bei
Zuckerbildung
in der Placenta.
derselben aufzuhalten. Ich benutze jedoch diese Gelegenheit, um
einer Beobachtung zu gedenken, welche in unseren Tagen Bernard
in Paris an der Placenta einiger Geschöpfe gemacht, und in einer
kleinen Abhandlung unter dem Titel »Sur une nouvelle fonction du
Placenta
« veröffentlicht hat (Brown Sequard, Journal d. Phys. II, 31).
Bernard entdeckte nämlich, dass in der Placenta von Nagethieren
in gewissen epithelialen Elementen dieselbe glycogene Substanz sich
findet, die nach seinen und anderen Erfahrungen auch in den Zellen
der Leber vorkömmt; er glaubte hiermit eine sehr wichtige und spe-
zifische Function der Placenta gefunden zu haben, wie er das von
der Leber demonstrirt hatte, und stellte die Hypothese auf, dass in
der ersten Fötalperiode die Placenta,
in der zweiten
dagegen, ebenso wie in der nachembryonalen Zeit, die Leber ein
zuckerbildendes Organ
sei.


Die Wiederkäuer schienen jedoch diesem Satze sich nicht fügen
zu wollen, wenigstens liess sich in den Cotyledonen der Placenta
derselben nichts Aehnliches finden, allein es zeigte sich, dass die-
selben, wenn auch nicht im Chorion, so doch im Amnios viele »Or-
ganes hepatiques
« besitzen, indem es Bernard gelang, nachzuweisen,
dass die längst bekannten Epithelialzotten des Amnios dieser Thiere
ebenfalls glycogene Substanz enthalten. Ebenso fand er beim
Hühnchen in den Wandungen des Dottersackes Zellen mit glycoge-
ner Materie, musste dagegen zugleich erklären, dass mit Bezug auf
den Menschen seine Untersuchungen noch nicht abgeschlossen seien.
[155]Eihüllen des Menschen.
Diese mit einem gewissen éclat vorgetragenen Beobachtungen wur-
den jedoch bald in einer etwas unerwarteten Weise weitergeführt
und in ihr rechtes Licht gesetzt, indem Rouget (Journ. d. phys. II,
pag. 308) zeigte, dass bei den Embryonen verschiedener Geschöpfe
sehr viele Elemente glycogene Substanz enthalten. Wenn bei Em-
bryonen, wie Rouget darthat und Bernard später selbst weiter aus-
führte, die Epithelzellen der verschiedensten Schleimhäute, die Zel-
len der Epidermis, die Muskelfasern u. s. w. zuckerbildende Sub-
stanz enthalten, so ist es klar, dass ihr Vorkommen in den Papillen
des Amnios und in der Placenta der Nagethiere, deren Zellen mit
glycogener Substanz übrigens nach Rouget der Placenta uterina an-
gehören, nur als Theil einer weit verbreiteten Erscheinung aufzu-
fassen ist und auf keinen Fall die ganz besondere Bedeutung haben
kann, die Bernard demselben anfänglich zuschrieb.


Von den fötalen Eihüllen ist das Chorion und AmniosFötale Eihüllen
am Ende der
Schwangerschaft.

am Ende der Schwangerschaft leicht nachzuweisen. Beide sind
jedoch verdünnt und unter einander verklebt. Ueberhaupt stellen
die Deciduae, Chorion und Amnios zusammen um diese Zeit nur eine
ganz dünne Blase dar und diese ist es, welche beim Gebäracte zu
dem erweiterten Muttermunde hervortritt und dann reisst.


Vom Dottersacke weiss man schon seit langem aus verein-Dottersack.
zelten Beobachtungen, dass er am Ende der Schwangerschaft noch
vorhanden sein kann, es hat jedoch erst in unseren Tagen B. Schultze
gezeigt, dass derselbe so zu sagen ohne Ausnahme noch an ganz
ausgetragenen Eiern sich vorfindet (Deutsche Klinik 1858 No. 28).
Nach diesem Autor ist derselbe am Ende der Schwangerschaft 2—3‴
gross, liegt meist ausserhalb des Bereiches der Placenta, oft weit
von derselben, und haftet gewöhnlich am Amnios. Auch der Ductus
omphalo-mesentericus
oder der Dottergang ist um diese Zeit noch
nachzuweisen. Im Innern des Dottersackes finden sich Fett und
kohlensaure Salze in wechselnder Menge.


Das Amnios-Wasser oder Schafwasser verhält sich,Liquor Amnii.
was seine Menge anlangt, bei verschiedenen Individuen und in den
verschiedenen Zeiten der Schwangerschaft verschieden. Letzteres
anlangend, so ist es im fünften und sechsten Monate am reichlichsten
und kann bis zu zwei Pfund betragen, gegen Ende der Schwanger-
schaft nimmt dasselbe wieder ab und ist meist nur noch zu etwa ein
Pfund vorhanden. Die chemischen Verhältnisse sind besonders von
[156]Neunzehnte Vorlesung.
C. Vogt, Rees, Scherer (Zeitschr. f. wiss. Zool. 1849 Bd. I. pag. 88),
Majewski (de Substant., quae Liquor. Amnii et Allant. insunt, rationi-
bus
, Dorp. 1858) und Andern geprüft worden, wobei sich ergeben
hat, dass die Amniosflüssigkeit, auch Fruchtwasser genannt, alka-
lisch reagirt und sich im Allgemeinen wie ein verdünntes Blutse-
rum verhält. Sie enthält beim reifen Embryo nur etwa 1 % feste
Bestandtheile, ist dagegen in früheren Monaten etwas concentrirter.
Bei Thieren (Herbivoren) ist nach Majewski das Amnioswasser ge-
rade umgekehrt in späteren Zeiten reicher an festen Theilen. Von
organischen Materien hat man immer Eiweiss gefunden, ausserdem
in gewissen Fällen Harnstoff, unzweifelhaft von den Nieren abstam-
mend, den auch Majewski bestätigt und beim Menschen in zwei Fäl-
len zu 0,34 % und 0,42 % bestimmte. Zucker findet sich, wie
Bernard zuerst angab, im Amnioswasser von Herbivoren, fehlt da-
gegen nach Majewski beim Menschen. Bei ersteren fand er denselben
entgegen Bernard auch bei älteren Embryonen.


Nabelstrang.Ich habe Ihnen nun noch Einiges über das Verhalten des Na-
belstranges
am Ende der Schwangerschaft anzugeben. Der voll-
ständig ausgebildete Nabelstrang hat eine beträchtliche Länge, die
Sie im Mittel zu 18 und 20″ annehmen können. Als Extreme sind
auf der einen Seite 60 und 65″, auf der andern 2½″ beobachtet.
Die Dicke ist 5—6‴. Immer ist derselbe spiralig gedreht in der
Art, dass einmal der ganze Strang eine Drehung zeigt und zweitens
im Innern die Nabelarterien noch stärker gewunden sind und um
die weniger gedrehte Vene herumlaufen. Diese Drehung, deren An-
fang schon in frühere Zeiten fällt und die in den meisten Fällen
vom Embryo aus von links nach rechts gegen die Placenta hin ver-
läuft, hat Anlass zu ziemlich langwierigen Discussionen über die ihr
zu Grunde liegenden Ursachen gegeben. Sehr wahrscheinlich ist
es, dass durch ein eigenthümliches in Spiralen fortschreitendes
Wachsthum eine Drehung zunächst an den Nabelstranggefässen zu
Stande kommt, welche dann auch den Embryo zu Drehungen ver-
anlasst, denen er, weil er ganz frei im Schafwasser schwimmt,
keinen Widerstand entgegen zu setzen vermag. Dadurch wird dann
auch die Scheide des Nabelstranges, jedoch etwas weniger als die
Gefässe in der angegebenen Richtung gewunden. Die Zusammen-
setzung des Nabelstranges des reifen Embryo ist dieselbe wie früher,
nur sind die Dottersackgefässe jetzt nicht mehr vorhanden. — Mit
der Placenta verbindet sich der Nabelstrang selten genau central;
[157]Eihüllen des Menschen.
in der Regel jedoch nahe der Mitte, doch sind Ausnahmen hiervon
und ein sonstiges abweichendes Verhalten nicht selten. Manchmal
spaltet sich der Nabelstrang vor der Insertion und geht mit zwei
Aesten an die Placenta heran oder es verbindet sich ein einfacher
Strang stark excentrisch, ja selbst marginal mit dem Mutterkuchen,
in welch letzterem Falle alle seine Gefässe einseitig in die Placenta
hineinstrahlen. Ja es kann selbst vorkommen, dass der Nabelstrang
gar nicht an die Placenta, sondern an den zottenfreien Theil des
Chorions sich inserirt und von hier aus seine Gefässe weiter gegen
die Placenta hinsendet (velamentöse Insertion des Nabelstranges).
Am Nabelstrange selbst finden sich als Abweichungen knotenartige
Verdickungen und verdünnte Stellen, schleifenförmige Hervortrei-
bungen der Gefässe und wirkliche, durch Verschlingung gebildete
Knoten, und was seine Lage anlangt, so zeigen sich die verschieden-
artigsten Beziehungen desselben zum Embryo, namentlich mannich-
fache Umschlingungen desselben um Hals, Rumpf und Extremi-
täten.


Die Placenta sitzt gewöhnlich am Grunde des Uterus, bald mehrSitz der Placenta.
an der vorderen, bald mehr an der hinteren Wand, jedoch selten ge-
nau in der Mitte, sondern meist mehr auf einer Seite, so dass die
eine oder andere Eileitermündung verlegt ist. Es kann jedoch der
Mutterkuchen auch mehr gegen den Cervix zu rücken, und ganz seit-
lich sitzen, ja es hat derselbe manchmal seine Lage selbst ganz unten,
so dass er über das Orificium uteri internum herüberwuchert und die-
ses verstopft. Sie können sich die Gefährlichkeit dieser sogenannten
Placenta praevia denken. Gleich beim Beginne des Gebäractes wird
in diesen Fällen mit der Eröffnung des Muttermundes die Placenta
immer mehr vom Uterus getrennt, was beim Wegfalle einer dauern-
den Contraction, die sonst auf die Lösung der Placenta folgt, natür-
lich schon beim Beginne der Geburt furchtbare Blutungen bedingt,
während in gewöhnlichen Fällen das Reissen der dem Orificium
uteri
anliegenden ganz gefässlosen Eihäute durchaus ohne Nach-
theil eintritt.


Werfen Sie nun noch einen Blick auf das Verhalten der Eihüllen
bei der Geburt und die Wiederherstellung eines normalen Zustandes
der Uterinschleimhaut. Unmittelbar nach der Geburt des Kindes
stossen sich alle Eihüllen mit der Placenta ab und findet man in
regelrechten Fällen in der sogenannten Nachgeburt die ganzeNachgeburt.
fötale Placenta und von der mütterlichen Placenta den innersten
[158]Neunzehnte Vorlesung.
Theil, der, wie ich Ihnen schon früher sagte, in Form einer Haut
von ¼—½‴ Dicke die Uterinfläche der losgelösten Placenta beklei-
det; man findet ferner die beiden verwachsenen hinfälligen Häute,
das Chorion und Amnios entweder nur in Fetzen, in welchem Falle
sich Theile derselben schon während der Geburt abgelöst haben,
oder ziemlich gut erhalten und mit der Placenta verbunden in Form
eines Sackes, der natürlich an einer Stelle, die, je nach dem Sitze
der Placenta, derselben näher oder ferner liegt, eingerissen ist.
Nach der Geburt stossen sich dann während der Lochien immer
noch vorzüglich von der Placentarstelle, weniger von den übrigen
Gegenden, Theile der Uterusschleimhaut in Fetzen ab. Sind die
Lochien vorbei, so bildet sich allmählich wieder eine neue Schleim-
haut im Uterus auf eine Weise, die leider noch nicht hinreichend
genau verfolgt ist. Nach den vorliegenden Beobachtungen ist es
mehr als wahrscheinlich, dass bei einer normalen Geburt niemals
die ganze Schleimhaut sich ablöst, vielmehr der äusserste mit der
Muskelhaut verbundene Theil derselben zurückbleibt, um dann von
sich aus, sowohl im Bereiche der Decidua vera als in dem der Placenta
uterina
, eine neue vollständige Mucosa zu bilden. Nach den Anga-
ben französischer Autoren (Robin u. And.) soll die Bildung der
neuen Schleimhaut sogar schon während der Schwangerschaft in
der Nähe der Muskelhaut beginnen, ich muss jedoch gestehen, dass
ich in den bisher beigebrachten Thatsachen schlagende Beweise für
diese Behauptung vermisse.


Extrauterin-
schwangerschaf-
ten.
Es ist vielleicht nicht unzweckmässig, bei dieser Gelegenheit
noch etwas über Extrauterinschwangerschaften zu bemer-
ken. Es gibt Fälle, wo das befruchtete Ei nicht in den Uterus ge-
langt und trotzdem sich entwickelt. Das Ei kann entweder in den
Tuben liegen bleiben (gewöhnliche Tubarschwangerschaft
und interstitielle Schwangerschaft, wenn das Ei in dem
Theile der Tuba sitzt, der durch die Substanz des Uterus verläuft), oder
es kann gar nicht in die Tuben gelangen, sondern in die Beckenhöhle
sich verirren und da oder dort hinter den breiten Mutterbändern sich
festsetzen (Abdominalschwangerschaft). In beiden Fällen läuft
die Entwicklung des Eies selbst wie gewöhnlich ab, und entstehen die
normalen fötalen Hüllen, was freilich weniger merkwürdig ist, als
dass auch eine Art Decidua vera und eine Placenta uterina sich aus-
bilden und eine Verbindung des Eies mit dem mütterlichen Orga-
nismus entsteht, die eine ziemlich gute Ernährung des Eies ermög-
[159]Eihüllen des Menschen.
licht. Bei der Abdominalschwangerschaft veranlasst das Ei einen
Congestionszustand der benachbarten Theile und bildet sich nach
und nach eine solche Hypertrophie des Bauchfelles aus, dass dasselbe
befähigt wird, die Rolle der Mucosa uteri zu übernehmen. Was die
Tubarschwangerschaft betrifft, so ist die hier eintretende Bildung
regelrechter mütterlicher Eihüllen mit Ausnahme einer Decidua reflexa
um das sich entwickelnde Ei leichter zu verstehen, weil ja hier eine
Schleimhaut vorhanden ist, welche die des Uterus vertreten kann.
Bemerkenswerth ist, dass bei den Tubar- und Abdominalschwan-
gerschaften der Uterus, obwohl er an der Bergung und der
Ernährung des Eies keinen directen Antheil nimmt, doch etwas an
Grösse zunimmt, und in seiner Schleimhaut hypertrophisch wird,
so dass sich neben der anderen eine ächte Decidua vera bildet.


[[160]]

Zwanzigste Vorlesung.


Entwicklung der
Eihüllen.
Meine Herren! Nachdem Sie das Verhalten der Eihüllen von
der Mitte bis zum Ende der Schwangerschaft kennen gelernt haben,
gehe ich nun zur Besprechung der wichtigen Frage über, wie die-
selben entstehen. Hierbei kann ich jedoch das Amnios und den
Dottersack, deren Entwicklung schon früher geschildert wurde, bei
Seite lassen, so dass eigentlich nur das Chorion, von dem noch nicht
im Zusammenhange die Rede war, und die mütterlichen Eihüllen
übrig bleiben.


Die Bildungsgeschichte der genannten Häute ist einer der dun-
kelsten Theile der gesammten menschlichen Embryologie, ja man
kann unbedingt behaupten, dass es nicht möglich ist, mit Bezug auf
dieselbe zu klaren Anschauungen zu gelangen, wenn man nicht
auch das herbeizieht, was bei Thieren über diese Verhältnisse er-
mittelt worden ist. Sie werden es daher als nicht unpassend er-
achten, wenn ich Ihnen vorerst die Eihäute einiger Haupttypen der
Säugethiere mit Bezug auf ihren Bau und ihre Entstehung schildere,
und dann erst zur Betrachtung auch der menschlichen Verhältnisse
übergehe.


Eihüllen der
Säugethiere.
Carnivoren.
Bei den Carnivoren, von denen wir den Hund, dessen Ei-
hüllen besonders durch die Untersuchungen von v. Baer, Sharpey,
Ernst Heinrich Weber
und Bischoff genauer bekannt sind, als Typus
wählen, entwickelt das Ei schon in einer sehr frühen Zeit Zotten
auf seiner äusseren Oberfläche. Nach v. Baer findet man diese Zot-
ten schon bei Eiern von ½‴, nach Bischoff bei solchen von 1½ bis
2‴ Durchmesser als kleine structurlose, eckige Warzen, die im gan-
zen Umkreise des Eies auf der Zona pellucida oder der Dotterhaut
aufsitzen, zu einer Zeit, wo im Innern des Eies noch keine Embryo-
[161]Eihüllen der Säugethiere.
nalanlagen, sondern nur die einfache Keimblase mit dem Fruchthofe
vorhanden ist. V. Baer nennt diese zottige Eihülle die Membrana
ovi externa
, welcher Name wohl etwas zu allgemein ist und daher
besser mit dem der zottigen Dotterhaut oder des primiti-
ven Chorions
vertauscht wird. Nach Bischoff’s Untersuchungen
findet man später, wenn Amnios, Dottersack, Allantois und seröse
Hülle gebildet sind, hohle, aus Zellen zusammengesetzt erscheinende
Zotten, von denen Bischoff behauptet, dass sie aus den structur-
losen primitiven Zotten sich entwickeln; diess ist jedoch sicherlich
nicht richtig und muss ich der Ansicht das Wort reden, die schon
vor längerer Zeit Reichert beim Kanincheneie vertreten hat, nach
welcher die primitiven Zotten und die sie tragende Dotterhaut ver-
schwinden, worauf dann eine neue Zottenhaut und zwar aus der
serösen Hülle sich entwickelt. Die seröse Hülle nämlich, die wie
ein Epithel aus einfachen Zellen gebildet ist, treibt, sobald das Am-
nios geschlossen und dieselbe als besondere Membran zu erkennen
ist, durch Wucherung ihrer Elemente hohle, zellige Productionen im
ganzen Umkreise des Eies, die secundären Zotten. Fasst man
die Sache so auf, so fallen alle die Schwierigkeiten weg, die Bischoff
fand, als er zu erklären versuchte, wie die structurlosen primitiven
Zotten, die auf einer gleichfalls structurlosen Haut, der Dotterhaut,
sitzen, später eine Zusammensetzung aus Zellen zeigen und Gefässe
erhalten. Für uns sind die primitiven Zotten nichts als Excres-
cenzen der Dotterhaut, oder der äusseren Zellenmembran der Eizelle,
die in derselben Weise sich bilden, wie auch sonst bei Thieren und
Pflanzen Auswüchse und Ablagerungen aussen auf Zellenmembranen
entstehen, und eine nur vorübergehende Existenz haben. Die blei-
benden Zotten dagegen sind Erzeugnisse des Embryo selbst und
zwar zuerst seiner epithelialen Begrenzung oder der serösen Hülle,
wahre Epithelialwucherungen, in welche dann bald auch die Ge-
fässe des Embryo sich hinein bilden.


Um wieder auf das ganze Ei zu kommen, so ist dasselbe beim
Hunde erst rund, wird aber bald tonnenförmig und zeigt, sobald
die primitive Zottenhaut verschwunden ist, die bleibenden hohlen
Zöttchen der serösen Hülle, jedoch nicht überall, sondern nur in
einer breiten Zone ringsum in der Mitte, während die Pole glatt
bleiben. Im Innern findet man folgende Verhältnisse. Der Embryo
hat einen grossen Dottersack, welcher in die Zipfel des Eies hinein-
reicht; auf der rechten Seite desselben ist die Allantois hervorge-
Kölliker, Entwicklungsgeschichte. 11
[162]Zwanzigste Vorlesung.
wachsen, welche, sobald sie etwas grösser geworden ist, an den
zottentragenden Theil der serösen Hülle sich anlegt, nach und
nach um den Dottersack und den Embryo herum wächst, mit
ihren Blutgefässen in die hohlen Zöttchen der serösen Hülle sich hin-
einbildet und so in Verbindung mit derselben das eigentliche Chorion
oder, genauer bezeichnet, die Placenta foetalis bildet (Fig. 75). Wol-

Figure 75. Fig. 75.


len Sie jedoch bemerken,
dass beim Hunde die Allan-
tois als Blase sich erhält
und somit nur die äussere,
der serösen Hülle anlie-
genden Wand derselben
(Fig. 75 fa, ea) an der Bil-
dung des Chorion sich be-
theiligt, während die in-
nere Wand am Dottersack
und Amnios anliegt. Aus
dem Bemerkten ergibt sich
mithin, dass beim Hundeei
der Reihe nach eigentlich
drei verschiedene zotten-
tragende Eihüllen auftre-
ten und zwar 1) eine primitive Zottenhaut, bestehend aus der Zona
pellucida
(Dotterhaut) und den structurlosen Excrescenzen derselben;
2) die seröse Hülle mit den hohlen zelligen Productionen noch ohne
Gefässe und 3) das eigentliche bleibende Chorion, welches dadurch
entsteht, dass die Allantoisgefässe in die hohlen Zotten der serösen
Hülle hineinwachsen.


Die Placenta des Hundes kommt in einer sehr merkwürdigen
Weise zu Stande. Nach der Entdeckung von Sharpey (in der eng-
lischen Uebersetzung von J. Müller’s Physiologie durch Baly) sind die
ringförmig angeschwollenen Stellen im Uterus des Hundes, welche mit
den ringförmigen zottentragenden Zonen der Eier zu den Placenten sich

Fig. 75. Ei eines Hundes im Querschnitte dargestellt. Nach Bischoff.
sh seröse Hülle, fa Faserschicht der äusseren Wand der Allantois, ea Epithel
derselben, fa′ Faserschicht der innern Wand der Allantois, ea′ Epithel dersel-
ben, ag Allantoisgefässe, e Embryo, d Höhle des Darmkanals mit ds derjeni-
gen des Dottersackes in Verbindung, fd gefässhaltige Lage des Dottersackes,
ed Epithel desselben, a Amnios.


[163]Eihüllen der Säugethiere.
verbinden, nichts Anderes als Wucherungen der Schleimhaut und
zeigen die nämlichen Elemente, wie diese, namentlich sehr schöne,
ebenfalls vergrösserte Uterindrüsen. Sharpey hat ferner beobach-
tet, dass die Chorionzotten in diese Drüsen, d. h. wenigstens in die
Anfänge derselben hineinwachsen, welche dann, entsprechend der
Wucherung der Chorionzotten, sich vergrössern und zu bedeutenden
Säcken mit Verästelungen sich gestalten, während der äussere tie-
fere Theil der Drüsen unverändert bleibt. Nach und nach gehen
dann in der so zu Stande gekommenen Placenta die drüsigen Ele-
mente verloren, wogegen die mütterlichen Blutgefässe sehr stark
sich entwickeln und nach E. H. Weber’s Untersuchungen, der ebenso,
wie später Bischoff, Sharpey’s Angaben nach allen Seiten zu bestä-
tigen vermochte (Zusätze zur Lehre vom Baue und den Verrichtungen
de Geschlechtsorgane in Abh. der K. sächs. Acad. Jablonowsky’sche
Gesellsch. 1846, S. 406), sehr dünnwandige ⅙‴ weite Capillaren zei-
gen, welche von allen Seiten von den ebenfalls gefässhaltigen Aus-
wüchsen des Chorions umgeben sind, so dass eine sehr innige Wech-
selwirkung des mütterlichen und des fötalen Blutes ermöglicht wird.
Im Gegensatze zur menschlichen Placenta finden sich demnach in
der Uterinplacenta des Hundes (und auch der Katze nach Weber
und Eschricht [de organis, quae respirationi et nutrit. foetus inservi-
unt, Hafniae
1837]), wirkliche Capillaren, während die grossen
Bluträume des Menschen vollkommen fehlen, eine Beobachtung, die
eigentlich zuerst von Eschricht an der Placenta der Katze gemacht
wurde, dem jedoch die Beziehungen der Zotten zu den Drüsen ver-
borgen blieben. Bei der Geburt stossen sich nur die innern Theile
der gewucherten Uterinschleimhaut oder der Placentae uterinae ab
und werden die zurückbleibenden Theile zur Wiederherstellung einer
neuen Mucosa verwendet, in derselben Weise, wie wir diess für
den Menschen angenommen haben.


Das Ei der Nagethiere (Fig. 76), das wir durch die Unter-Nagethiere.
suchungen von v. Baer und namentlich von Bischoff kennen, besitzt
im ausgebildeten Zustande eine rundliche, in einige Abtheilungen
zerfallende Placenta, welche von Seiten des Eies von der Allantois
gebildet wird, die zeitlebens als eine Blase sich erhält. Diese Al-
lantois ist mit der serösen Hülle verbunden, und beide stellen ge-
meinschaftlich die Zotten der Placenta foetalis dar, welche aufs In-
nigste in eine wuchernde Parthie des Uterus eingreifen, so dass man
beide Theile, den mütterlichen und den fötalen Theil der Placenta nicht
11*
[164]Zwanzigste Vorlesung.
von einander trennen kann; ein Hereinwachsen der Zotten in Ute-
rindrüsen ist jedoch beim Kaninchen nicht demonstrirt. Die Ge-

Figure 76. Fig. 76.


fässe beider Theile der
Placenta sind sehr ent-
wickelt, zeigen aber auch
im mütterlichen Theile
nichts Bemerkenswerthes,
was wiederum mit Hin-
sicht auf die menschliche
Placenta besonders her-
vorzuheben ist. Vom Dot-
tersacke des Kaninchens ist
zu bemerken, dass er sich
in eigenthümlicher Weise
modificirt, indem er zu
einer hutpilzförmigen ge-
stielten Base wird (Fig.
76 ds), die am inneren Blatte Gefässe entwickelt (Fig. 76 fd), die
mit einem Sinus terminalis (st) enden, während das äussere Blatt
gänzlich gefässlos bleibt und nur von dem ursprünglichen inneren
Blatte der Keimblase, dem späteren Epithel des Dottersackes (ed″),
gebildet wird. Zwischen Allantois, Amnios und Dottersack ent-
wickelt sich im Kanincheneie ein grosser Raum (r), der mit einer
eiweisshaltigen Flüssigkeit erfüllt ist. In späterer Zeit nun ver-
wächst der gefässhaltige Theil des Dottersackes mit der serösen Hülle
und es bildet sich so auch an dem Theile des Eies, welchem die
Allantois nicht anliegt, eine gefässhaltige äussere Eihaut. Die äus-
sere Eihaut eines reifen Kanincheneies oder das Chorion zeigt also
das Bemerkenswerthe, dass sie ihre Gefässe von zwei Localitäten
her bezieht, ein Verhalten, welches wir bei keinem andern Ge-
schöpfe wiederfinden, und welches ausserdem zeigt, dass das Cho-
rion nicht immer allein auf die Vasa umbilicalia angewiesen ist.

Fig. 76. Ei des Kaninchens im Längsschnitte. Nach Bischoff. e Embryo,
a Amnios, u Urachus, al Allantois mit ihren Gefässen, sh seröse Hülle, pl
deutet die Zotten der Placentarstelle an, die aus der Allantois und der serösen
Hülle bestehen, was in der Figur nicht weiter angegeben ist; fd gefässhaltige
Faserhaut des Dottersackes, ed Epithel des Dotterganges, ed′ Epithel der in-
nern Lamelle des Dottersackes, ed″ Epithel der äussern Lamelle desselben,
st Sinus terminalis, Ende der Faserschicht des Dottersackes, r Raum mit Flüs-
sigkeit zwischen Amnios, Allantois und Dottersack.


[165]Eihüllen der Säugethiere.
Wahre Zotten und eine Placenta entwickelt jedoch auch beim Ka-
ninchen nur der Theil des Chorions, an dessen Bildung die Allantois
sich betheiligt.


Die früheren Zustände des Kanincheneies anlangend, so habe
ich Ihnen vor Allem zu bemerken, dass dasselbe im Eileiter eine
starke Eiweissschicht erhält und in dieser Beziehung dem Vo-
geleie gleicht, ein Verhalten, welches ebenfalls nach den bisherigen
Ermittlungen bei den Säugethieren ganz allein dasteht. Sowie dann
nach der Furchung sich die Keimblase zu bilden beginnt und das
ganze Ei sich ausdehnt, wird die Eiweissschicht nach und nach im-
mer dünner und verschwindet endlich ganz. Bischoff hat diese
Verhältnisse so dargestellt, als ob die Eiweissschicht mit der Zona
verschmelze, allein es ist wohl naturgemässer zu sagen: die Eiweiss-
schicht wird resorbirt und dient zur Ernährung der Keimblase.


Ist das Eiweiss resorbirt, so findet man dann als äussere Be-
grenzung des Eies eine ganz dünne Haut, die nichts anderes ist, als
die verdünnte Zona pellucida oder die Dotterhaut und auf dieser
bilden sich dann an liniengrossen Kanincheneiern zu einer Zeit, wo
vom Embryo noch gar nichts zu sehen, wohl aber der Fruchthof
schon angelegt ist, die schon früher beschriebenen structurlosen Zött-
chen im ganzen Umkreise des Eies (Figg. 11, 12, 13). Wie beim Hunde
so nimmt Bischoff auch für das Kaninchen an, dass diese primiti-
ven Zöttchen der Zona pellucida unmittelbar in die Zotten der spä-
teren Placenta übergehen; eine Auffassung, der ich auch hier nicht
beipflichten kann. Auch beim Kaninchen gehen offenbar die Zona
und die primitiven Zöttchen in späteren Zeiten verloren und sind
die bleibenden Chorionzotten eine ganz neue Bildung, welche aus
der serösen Hülle in Verbindung mit der Allantois sich entwickelt.


Ich schildere Ihnen nun ferner das Ei der Wiederkäuer,Wiederkäuer.
(Fig. 77), das einen langen spindelförmigen Schlauch darstellt. Hat
dieses Ei eine gewisse Entwicklung erlangt, so findet man, dass die
äussere Begrenzung desselben von dem Chorion gebildet wird, wel-
ches da und dort Haufen oder Büschel von Zotten trägt, die rund-
liche, bei einigen Gattungen convexe, bei andern an der Endfläche
vertiefte Erhebungen bilden. Diese Massen, welche in grösseren
Abständen über die ganze Oberfläche des Eies zerstreut sind und
nur an den zugespitzten Enden desselben fehlen, nennt man die
Cotyledonen; dieselben sind jedoch, wie Sie leicht einsehen,
nichts Anderes, als kleine fötale Placenten. Das Chorion mit Aus-
[166]Zwanzigste Vorlesung
nahme der Enden desselben ist ferner gefässhaltig, indem sich die
Umbilicalgefässe nicht nur aufs reichlichste in den Cotyledonen ver-

Figure 77. Fig. 77.


ästeln, sondern auch in den Zwischenstellen sich ausbreiten. Diesen
meist zahlreichen kleinen fötalen Placenten entsprechend besitzt
nun die Schleimhaut des Uterus von Stelle zu Stelle Erhebungen,
wie grosse Wülste, welche die mütterlichen Placenten darstellen.
Fötale und mütterliche Placenten oder Frucht- und Mutterkuchen
greifen aufs Innigste in einander ein und entsprechen sich in der
Form ganz genau; ist nämlich der Fruchtkuchen convex, so stellt
der Mutterkuchen eine mit napfförmiger Grube versehene Erhebung
dar und umgekehrt. Bemerkenswerth ist ferner, dass man beide
Theile von einander trennen kann, was zwar weniger leicht an fri-
schen Eiern, dagegen kurze Zeit nach dem Tode ganz vollständig
gelingt, so dass die Zotten der Cotyledonen, wie Weber sagt, aus den
Gruben der Mutterkuchen sich herausziehen lassen, wie der Säbel aus
der Scheide, oder eine Hand aus dem Handschuh. Wie bei den Car-
nivoren und Nagern, so findet sich nach E. H. Weber auch bei den
Wiederkäuern in den mütterlichen Placenten keine Spur einer Er-
setzung der Capillaren durch weite wandungslose Lacunen, ja es
sind hier, abgesehen von der Menge, die Capillaren nicht einmal
auffallend entwickelt und mit denen des Hundes auch nicht von
ferne zu vergleichen.


Fig. 77. Embryo des Rehes mit den Hüllen. Nach Bischoff, nicht ganz
ausgezeichnet. a Embryo, b zwei gespaltener Dottersack, b′ fadenförmiges
Ende desselben, c zweizipflige Allantois mit ihren Gefässen, c′ blinder Zipfel
der Allantois, d seröse Hülle.


[167]Eihüllen der Säugethiere.

Die übrigen Theile des Eies verhalten sich folgendermaassen:
der Embryo ist wie gewöhnlich vom Amnios umschlossen und ein
Nabelstrang vorhanden, welcher die Stämme der Umbilicalgefässe
zur Allantois führt und auch den Urachus enthält. Die Allantois
selbst ist ein zweizipfeliger Sack, dessen Gefässhaut und Epithel
ursprünglich ganz genau aneinander liegen, später jedoch wächst
die Gefässschicht rascher, legt sich an die seröse Hülle an und bildet
die eigentliche Grundlage des Chorions, welches nun im Innern einen
zweizipfeligen Sack, die Epithelialschicht der Allantois enthält, die
v. Baer fortan als Allantois im engern Sinne bezeichnet. Sicher ist
auf jeden Fall, dass die Gefässlage des Harnsackes später eine be-
deutende Selbständigkeit beurkundet. So bildet sich dieselbe auch
zu den Theilen des Eies hin, zu welchen die Allantois als Ganzes nie
hingelangt, nämlich in die Gegend, wo das Amnios der serösen Hülle
anliegt, und zwar durch Vermittelung einer gallertigen im Innern
des Eies befindlichen Masse, so dass dann später die Gefässschicht
der Allantois einen vollkommen geschlossenen Sack bildet, der
in seiner Form genau der serösen Hülle entspricht und mit ihr eben
das Chorion darstellt, eine Bildung, deren Entwicklung aus der dop-
peltgestielten Allantois später nicht mehr zu erkennen ist.


In den Eiern der Wiederkäuer findet sich auch ein eigenthüm-
lich geformter Dottersack, indem derselbe in geringer Entfer-
nung vom Darme in zwei Aeste sich spaltet, (Fig. 77 bb′), welche,
bald fadenförmig sich verdünnend, rechts und links nach den Enden
der Eier verlaufen. Blutgefässe finden sich nach Coste ursprüng-
lich am ganzen Dottersacke, später jedoch verschwinden dieselben
an den atrophirenden Zipfeln und ziehen sich auf den mittleren
Theil des Organes zurück, der zuletzt allein noch übrig bleibt.


Das Ei der Wiederkäuer entwickelt sich in folgender Weise:
Anfangs ist dasselbe, wie das der Nager und Carnivoren, kugelrund
und kommt in dieser Gestalt, umgeben von der Dotterhaut, in den
Uterus. Hier wächst dasselbe mit allen seinen Theilen, Keimblase
sowohl wie Dotterhaut, in die Länge und auf der langgestreckten
Keimblase entwickelt sich dann in gewöhnlicher Weise ein Frucht-
hof und ein Embryo, während zugleich, offenbar vom Uterus abstam-
mende Flüssigkeit zwischen Dotterhaut und Keimblase sich ansam-
melt. Ist das Amnios und die seröse Hülle gebildet, so legt sich die
letztere nach und nach an die Dotterhaut an und trennt sich immer
mehr vom Dottersacke oder dem inneren Blatte der Keimblase, dem
[168]Zwanzigste Vorlesung.
sie ursprünglich anliegt. In den so zwischen Dottersack und serö-
ser Hülle entstehenden Zwischenraum entwickelt sich die Allantois
hinein, die in Form zweier hakenförmig gekrümmter Anhänge am
hinteren Leibesende hervorsprosst, und erfüllt bald den ganzen
Raum der serösen Hülle, indem zugleich ihre Epithelialschicht und
die Gefässlage so von einander sich trennen, wie ich es Ihnen schon
früher angegeben. Die Dotterhaut (Zona pellucida) des Eies der
Wiederkäuer bekommt niemals eine Eiweissschicht und entbehrt
auch der structurlosen Zöttchen, die Sie von den Carnivoren und
Nagern kennen. Sobald das Gefässblatt der Allantois an die seröse
Hülle und diese an die Dotterhaut sich angelegt hat, verschwin-
det diese primitive Eihaut und entwickelt nun das Chorion, d. h.
die Gefässhaut der Allantois plus der serösen Hülle, seine Zotten,
die nach und nach die schon beschriebenen Cotyledonen bilden.


Ausser diesen finden sich nach v. Baer und E. H. Weber am
Chorion der Wiederkäuer noch zotten- oder faltenartige Erhebun-
gen zwischen den Cotyledonen, welche den Mündungen der Uterin-
drüsen gegenüber ziemlich entwickelt und auch sehr gefässreich
sind, ein Umstand, welcher der Vermuthung Raum gestattet, dass
das Secret der Uterindrüsen vom Eie resorbirt werde. Was ferner
die Betheiligung der Uterindrüsen an der Bildung der Placenta an-
langt, so nimmt E. H. Weber als ausgemacht an, dass auch bei den
Wiederkäuern die Zotten in dieselben hineinwachsen, wogegen
Bischoff vom Rehe mittheilt, dass hier die Stellen des Uterus, die
zu den Mutterkuchen sich gestalten, gar keine Uterindrüsen enthal-
ten, so dass mithin diese Angelegenheit noch nicht als erledigt be-
trachtet werden kann.


Pachydermen.Endlich schildere ich Ihnen noch das Ei eines Pachydermen
und zwar des Schweines, welches durch v. Baer’s Untersuchun-
gen (Entw. II.) genau bekannt ist. Die Form dieses Eies und seine
innere Beschaffenheit stimmt in allen wesentlichen Verhältnissen mit
dem der Wiederkäuer überein, indem dasselbe ebenfalls eine beträcht-
liche Länge, einen zweizipfeligen Dottersack und eine doppelt ausge-
zogene Allantois besitzt, welche dann später das Chorion bildet.
Der Hauptunterschied beider Eier liegt darin, dass beim Eie des
Schweines keine Cotyledonen vorkommen, wogegen dasselbe an sei-
ner ganzen Oberfläche mit Ausnahme der letzten Enden kleine Zött-
chen trägt, welche in kleine Vertiefungen der Uterinschleimhaut
eingreifen, so jedoch, dass eine Trennung des Eies vom Uterus
[169]Eihüllen der Säugethieres.
leicht möglich ist, daher diese Verbindung nicht mit derjenigen ver-
glichen werden kann, welche die Cotyledonen der Wiederkäuer
darbieten. Beim Pferde zeigt sich ein ähnliches Verhalten; nurEinhufer.
sind hier die Zöttchen mehr entwickelt und ist das ganze Ei oder
Chorion mit denselben besetzt. Gestützt auf v. Baer’s Angaben und
die anderweitigen Erfahrungen über diese Verhältnisse glaube ich
auch für das Schwein annehmen zu dürfen, dass sein Chorion aus
der serösen Hülle und der Gefässschicht der Allantois sich bildet,
sowie dass die ursprüngliche Eihaut desselben oder die Dotterhaut
mit dem Auftreten der serösen Hülle vergeht.


Ich stelle Ihnen nun die bisher besprochenen Verhältnisse noch
übersichtlich zusammen, indem eine richtige Auffassung derselben
auch für die Würdigung der Eihüllen beim Menschen von grosser
Wichtigkeit ist.


Mit Bezug auf die Verbindung zwischen Mutter und
Frucht
zeigen uns die Säugethiere folgende Typen:


  • 1) Es fehlt die Placenta ganz, die Verbindung des Eies
    mit dem Uterus ist ganz lose, das Chorion trägt
    nahezu an seiner gesammten Oberfläche kleine
    Zöttchen, welche in leichte Vertiefungen der Ute-
    rinschleimhaut eingreifen
    . (Typus der Pachydermen,
    oder des Schweines.)
  • 2) Es findet sich eine innige Vereinigung von fötalen
    und mütterlichen Bildungen, doch sind Frucht-
    und Mutterkuchen ohne Zerreissung trennbar
    . (Ty-
    pus der Wiederkäuer.)
  • 3) Fötaler und mütterlicher Theil der Placenta sind
    innig verbunden und in keiner Weise trennbar
    .
    (Carnivoren, Nagethiere, Affen, Mensch.)

Mit diesen drei Verbindungsarten von Mutter und Frucht hängt
nun auch, worauf E. H. Weber zuerst aufmerksam gemacht hat, der
Umstand zusammen, dass bei den einen Geschöpfen eine Abtren-
nung der Uterinschleimhaut beim Gebäracte stattfindet, bei den an-
deren nicht. Bei allen Geschöpfen des dritten Typus nämlich wird
ein Theil der Uterinschleimhaut als Decidua abgestossen, doch zeigt
sich in dieser Beziehung allerdings noch der sehr bemerkenswerthe
Unterschied, dass beim Menschen die ganze Uterinschleimhaut (Pla-
centa uterina, Decidua vera
und Decidua reflexa, die, beiläufig be-
merkt, nur dem Menschen zukommt) sich ablöst, während bei den
[170]Zwanzigste Vorlesung.
Carnivoren und Nagern nur der Theil der Schleimhaut verloren geht,
welcher an der Bildung der Placenta Antheil nimmt, der übrige
Theil nicht; es fehlt somit diesen beiden Thieren nicht blos die Re-
flexa
, sondern auch eine Decidua vera. Bei den Thieren des zwei-
ten und ersten Typus findet gar kein Verlust der Uterin-
schleimhaut beim Gebäracte
statt. Dass diess beim Schweine
der Fall ist, wird Ihnen aus dem Geschilderten klar sein, allein auch
bei den Wiederkäuern ziehen sich die Zotten der fötalen Cotyledo-
nen einfach aus den Mutterkuchen heraus, welche dann nach und
nach wieder sich zurückbilden. Bei den Geschöpfen des dritten
Typus geht übrigens nirgends die Uterinschleimhaut in ihrer ganzen
Dicke verloren, vielmehr stösst sich immer nur die innere, ober-
flächliche Lage derselben in grösserer oder geringerer Dicke ab und
erzeugt sich dann aus dem, was zurückbleibt, die Schleimhaut neu.


Werfen Sie noch einen Blick auf die feineren Verhältnisse der
Verbindung zwischen Frucht- und Mutterkuchen, so finden Sie,
dass in den einen Fällen die Chorionzotten einfach von Falten oder
Erhebungen der Uterinschleimhaut umgeben werden, während in
anderen dieselben in die Uterindrüsen hineinwachsen. Der letztere
Fall ist mit Sicherheit nur beim Hunde und bei der Katze (E. H. We-
ber
) demonstrirt, kommt jedoch nach Weber’s Angabe auch bei den
Wiederkäuern vor, was Bischoff für das Reh nicht gelten lässt. Der
erstere Fall findet sich beim Schweine in sehr geringer Entwicklung,
etwas ausgeprägter beim Pferd und sehr entwickelt beim Kaninchen
und nach Bischoff auch beim Reh.


Mag die Verbindung so oder so sein, so ist doch das Verhalten
der Blutgefässe bei allen genauer untersuchten Thieren wesentlich
dasselbe, indem die mütterlichen Theile überall Capillarnetze enthal-
ten und hat man bis jetzt nirgends die eigenthümlichen Verhältnisse
wiedergefunden, die die Placenta des Menschen zeigt. Innerhalb
dieser Uebereinstimmung zeigt sich dann aber doch der Unterschied,
dass, während das Kaninchen, die Wiederkäuer und das Schwein im
Uterintheile der Placenta nur gewöhnliche Capillaren führen, diesel-
ben beim Hunde eine colossale Weite haben, was allerdings einen
Uebergang zu den Verhältnissen des Menschen begründet.


[[171]]

Einundzwanzigste Vorlesung.


Nachdem ich Ihnen, meine Herren, die Eihäute des MenschenEntwicklung der
menschlichen
Eihüllen.

aus der Mitte der Schwangerschaft und aus späterer Zeit geschildert
und auch die Haupttypen der Säugethiere in ihren wesentlichen Ver-
hältnissen beschrieben habe, will ich heute versuchen, die Frage zu
beantworten, auf welche Art und Weise die Bildung der mensch-
lichen Eihäute vor sich geht. Fassen wir zunächst die fötalen
Eihüllen
ins Auge, so bleibt nur noch das Chorion zur Bespre-
chung übrig.


Sie erinnern sich aus dem, was ich Ihnen von Thieren mit-Entwicklung des
Chorions.

theilte, dass das spätere (secundäre) oder eigentliche Chorion überall
aus zwei Bestandtheilen zusammengesetzt ist und zwar 1) aus einer
Epithelialschicht nach aussen, welche auch die Zotten überzieht und
2) aus einer Bindegewebsschicht mit Gefässen nach innen. Die Epi-
thelialschicht ist, wie alle bisher angestellten Beobachtungen un-
zweifelhaft darthun, nichts Anderes als die seröse Hülle, deren Ent-
wicklung, wie Sie wissen, mit der Bildung des Amnios in nahem
Zusammenhange steht (Siehe die vierzehnte Vorlesung). Die Bindege-
websschicht des Chorions, diese innere Schicht, welche Blutgefässe
führt, stammt bei den meisten Thieren von der Allantois, es kann
jedoch, wie wir bei den Nagern gesehen haben, auch der Dottersack
Gefässe an die äussere Eihülle abgeben und sich so an der Bildung
des Chorions betheiligen. Es ist nun die Frage, wie die Verhält-
nisse in dieser Beziehung beim Menschen sich gestalten, ob wir be-
rechtigt sind, die bei Thieren geltenden Gesetze auch auf denselben
überzutragen, oder ob wir für ihn besondere specifische Verhältnisse
anzunehmen haben. Vor Allem ist zu betonen, dass auch beim
Menschen eine primäre äussere Eihaut von einer späteren bleibenden
[172]Einundzwanzigste Vorlesung.
Primitive Eihaut.Eihaut zu unterscheiden ist. Bei Thieren fanden wir, dass die pri-
mitive Eihaut aus der Zona pellucida oder Dotterhaut besteht, auf

Figure 78. Fig. 78.


welcher nach abgelaufenem Furchungsprocesse, wenigstens beim
Kaninchen und Hunde, structurlose Zöttchen entstehen, so wie dass
die primäre Zottenhaut, wie sie im letztern Falle heissen kann,
später schwindet, um dem secundären Chorion Platz zu machen.

Fig. 78. Siehe die Beschreibung bei Fig. 47. pag. 94.


[173]Entwicklung der menschlichen Eihüllen.
Auch beim befruchteten menschlichen Eie ist natürlich das ur-
sprüngliche Vorhandensein einer von der Dotterhaut gebildeten Hülle
nicht zu bezweifeln. Da jedoch menschliche Eier aus dem Eileiter
nicht mit Sicherheit bekannt sind, und da auch über die aller-
jüngsten Eier im Uterus äusserst wenige Beobachtungen vorliegen,
so sind die späteren Schicksale der Dotterhaut ganz unbekannt, und
im Besonderen die Frage noch nicht erledigt, ob dieselbe auch beim
Menschen in einem gewissen Stadium Zöttchen trägt oder nicht. Aus
einer Beobachtung von Wharton Jones (Philos. Transactions 1837,
pag. 339), der im Uterus in der einen Seite der Decidua ein erbsen-
grosses Eichen fand, welches, obschon es keinen Embryo, sondern
nur an einer Seite einen kleinen runden Körper, vielleicht die Keim-
blase, enthielt, doch schon wenigstens an einer Seite Zöttchen trug,
könnte man versucht sein, den Schluss abzuleiten, dass die Dotter-
haut auch beim Menschen zu einer gewissen Zeit Zöttchen trägt.
Da aber nur diese Eine Beobachtung vorliegt und noch sehr fraglich
ist, ob jenes Ei normal und so jung war, wie es dem Baue nach sein
musste (angeblich war das Ei 3—4 Wochen alt), da ferner nicht
nachgewiesen ist, dass jene Zotten wirklich structurlos waren, so
ist es wohl am gerathensten, in Bezug auf diesen Fall sich wei-
terer Folgerungen zu enthalten. Zwei andere Eier aus einem frü-
heren Stadium von 3 und 6‴, welche Allen Thomson im Uterus be-
obachtete und die ich Ihnen früher beschrieb (s. Figg. 63—65), waren
ebenfalls mit Zöttchen besetzt, allein bei diesen Eiern, die schon
einen Embryo enthielten, erscheint es in hohem Grade wahrschein-
lich, dass die äussere zottentragende Eihülle schon die seröse Hülle
war, und dass die Zöttchen aus Zellen bestanden. Es scheinen nämlich
die fraglichen Embryonen das Amnios, dessen Vorhandensein im-
mer auch von dem Bestehen einer serösen Hülle zeugt, schon gehabt
zu haben, wie sich daraus schliessen lässt, dass dieselben mit dem
Rücken an der äussern Eihülle festsassen, wie diess immer der Fall
ist, wenn Amnios und seröse Hülle im Begriffe sind, sich zu tren-
nen. Leider meldet Thomson gar nichts über die mikroskopische
Zusammensetzung der Zöttchen dieser Eier, welche, beiläufig ge-
sagt, vielleicht jetzt noch sich anstellen liesse, und enthalten wir
uns daher auch für diese Fälle der Entscheidung. Sicher ist nur so
viel, dass die Dotterhaut später schwindet und kann ich wenigstens
dafür einstehen, dass dieselbe an dem 15—18 Tage alten Eie von
Coste, das ich selbst untersuchte (s. Vorles. XVII.), und bei einem
[174]Einundzwanzigste Vorlesung.
28 Tage alten anderen Eie, dem jüngsten, das mir bisher zu Gesicht
kam, nicht mehr vorhanden war.


Secundäres
Chorion.
Es sind somit, wie Sie sehen, unsere Kenntnisse über die
Schicksale der primitiven menschlichen Eihaut im Ganzen noch sehr
mangelhaft, aber auch mit Bezug auf die bleibende äussere Eihaut,
oder das secundäre eigentliche Chorion, sind noch manche
Lücken in unserem Wissen. Ich betrachte es als ausgemacht, dass
von den zwei Theilen, welche das bleibende Chorion bilden, die
äussere Epithelialschicht die seröse Hülle ist, während die innere
von der Allantois abstammt. Dagegen ist noch keineswegs mit Be-
stimmtheit ermittelt, wie die Allantois im Einzelnen sich verhält und
namentlich nicht dargethan, ob sie als Blase an der Innenseite der
serösen Hülle herumwuchert, oder derselben nur ihre Bindegewebs-
schicht abgibt. Dass die Allantois, wenigstens mit ihrer äusseren
gefässhaltigen Hülle, an der ganzen innern Oberfläche der serösen
Hülle herumwuchert und nicht etwa, wie man auch geglaubt hat,
nur an der späteren Placentarstelle sich ansetzt, lässt sich bestimmt
darthun. Es hat nämlich vor Allem Coste bewiesen, dass das Cho-
rion in frühester Zeit in seinem ganzen Umkreise gefässhaltig ist und
von den Nabelgefässen versorgt wird. Bei dem kleinen Embryo aus
der dritten Woche, den ich Ihnen nach Coste früher schilderte
(s. Vorles. XVII), fand sich ein ringsum mit Zotten besetztes Chorion.
Die Zotten waren, wie die seröse Hülle, aus Zellen gebildet und
nichts als hohle Auswüchse derselben, in welche die bindege-
webige Schicht des Chorions nicht einging
. Diese brei-
tete sich an der ganzen Innenfläche der zottentragenden äusseren
Eihülle (der serösen Hülle) aus und besass überall Blutge-
fässe
, welche von den Nabelgefässen abstammten. In der vierten
Woche habe ich bei dem Embryo, den ich Ihnen in einer früheren
Stunde zeigte, das Chorion ebenfalls rings herum gefässhaltig ge-
funden, hier aber enthielten auch die Zotten alle schon eine binde-
gewebige Axe mit Ausläufern der Nabelgefässe, während zugleich
die seröse Hülle oder die Epithelialschicht des Chorions äusserst
deutlich war. Bei noch älteren Eiern aus dem zweiten Monate
findet man eine gewisse Zeit lang das Chorion im ganzen Umkreise
gefässhaltig, dann aber verschwinden nach und nach die Gefässe in
einem Theile desselben, während zugleich auch die Zotten in dieser
Gegend nicht weiter sich entwickeln und so stellt sich nach und nach
[175]Entwicklung der menschlichen Eihüllen.
der Unterschied zwischen einem gefässhaltigen und gefässlosen,
einem zottenreichen und zottenarmen Theile des Chorions heraus,
wie Sie ihn aus späterer Zeit kennen.


In welcher Weise betheiligt sich nun die Allantois an der Bil-
dung der erwähnten gefässhaltigen Schicht des Chorions? Wie wir
schon sahen, sind verschiedene Möglichkeiten gedenkbar, ich glaube
jedoch, dass folgende Auffassung, welche sich schon bei v. Baer an-
gedeutet findet und die in unseren Tagen besonders Coste vertreten
hat, der Wahrheit am nächsten kommen dürfte. Die Allantois wächst
als eine wirkliche Blase nur soweit aus dem Embryo hervor, bis sie
die seröse Hülle erreicht hat. Ist diess geschehen, so wuchert dann
ihre Bindegewebsschicht mit den Blutgefässen für sich allein rasch an
der ganzen inneren Oberfläche der serösen Hülle weiter und bildet
eine Blase, welche der inneren Oberfläche der serösen Hülle anliegt,
jedoch mit der ursprünglichen Allantois nichts mehr zu thun hat und
nur einer Wucherung der Gefässschicht derselben ihren Ursprung
verdankt. Der Rest der eigentlichen Allantois oder die Epithelialschicht
derselben verschwindet dann später, ohne eine weitere Bedeutung zu
erlangen und ist alles, was von der ursprünglichen Blase übrig bleibt,
die Harnblase mit dem bis zum Nabel sich erhaltenden Urachus, von
denen Sie später hören werden. Dieser Auffassung zufolge würde
also beim Menschen die Allantois als Blase an der Bildung des Cho-
rions keinen Antheil nehmen, und als solche nur eine vorübergehende
Existenz haben, dagegen ihre bindegewebige äussere Haut mit den
Nabelgefässen mächtig sich entwickeln, an der Innenfläche der se-
rösen Hülle herum wuchern und so das eigentliche bindegewebige
Chorion darstellen, von welchem aus dann in zweiter Linie, wie sich
von selbst versteht, später Wucherungen in die hohlen Zotten sich
hineinbilden, durch welche das Chorion erst ganz zur Vollen-
dung kommt. Wenn Sie die Frage aufwerfen, worauf sich die
eben auseinandergesetzte Auffassung stütze, so habe ich Ihnen vor
Allem die, wie mir scheint, sehr gewichtige Thatsache mitzutheilen,
dass man bei ganz jungen menschlichen Eiern im gefässhaltigen
Theile des Chorions und überhaupt zwischen Chorion und Amnios
keine Spur der Epitheliallage der Allantois findet, wie es doch der
Fall sein müsste, wenn die ganze Allantois an der Bildung des Cho-
rions sich betheiligte. Zweitens erwähne ich Ihnen, dass von mehr-
fachen Seiten, theils im Nabelstrange, theils dicht neben demselben
blasige Gebilde beobachtet worden sind, die mit ziemlicher Sicher-
[176]Einundzwanzigste Vorlesung.
heit als Reste der Epithelialblase der Allantois gedeutet werden
können, wie von v. Baer (Entw. II, St. 278), R. Wagner (Icon. phys.
Tab. VIII.), Coste (l. c.), älterer zweifelhafter Erfahrungen von
Seiler und Pockels nicht zu gedenken. — Wenn man aber auch,
wie diess von vielen Seiten geschieht, diesen letztgenannten Erfah-
rungen keine besondere Beweiskraft zuschreiben will, so wird man
doch nicht umhin können, der vorgetragenen Ansicht wenigstens
insofern beizupflichten, als dieselbe die Gefässschicht der Allantois
an der ganzen innern Oberfläche der serösen Hülle herumwuchern
und das Epithelialblatt derselben keine erhebliche Entwicklung neh-
men lässt. Zweifelhaft bleibt, wie mir scheint, nur Ein Punct und
das ist der, ob das Gefässblatt der Allantois als Blase herumwuchert,
oder gewissermaassen nur mit seinen Blutgefässen in einfacher
Schicht an die seröse Hülle sich anlegt. Für beide Möglichkeiten
finden sich, wie schon vor langer Zeit v. Baer gezeigt hat, bei Thie-
ren Analogien und wird es sich daher vor allem darum handeln,
ob beim Menschen irgendwelche Thatsachen bekannt sind, die nach
der einen oder der anderen Seite den Ausschlag geben. Und solche
liegen in der That vor. Das Chorion ist nämlich auch bei ganz jun-
gen Eiern aus der dritten und vierten Woche in seiner von der Al-
lantois abstammenden Schicht nur einblätterig und zwischen
ihm und dem Amnios keine zweite Membran vorhanden, indem
die sogenannte Tunica media, wie wir früher sahen, nur eine eiweiss-
haltige Gallerte und keine organisirte Haut ist, und glaube ich somit
nicht zu irren, wenn ich der ersten Auffassung den Vorzug gebe.
Aus dem Gesagten können Sie nun auch entnehmen, dass eine an-
dere schon angedeutete Hypothese, nach welcher die Allantois nur
an der spätern Placentarstelle sich anlegen soll, auf jeden Fall zu
verwerfen ist. Es scheitert dieselbe an der Thatsache, die, wie
erwähnt, besonders Coste zu Tage gefördert hat, dass zu einer ge-
wissen Zeit bei ganz jungen Eiern das Chorion ringsum von den
Umbilicalgefässen versorgt wird, aber auch abgesehen hiervon, geht
ja schon aus dem Umstande, dass das Chorion überall zweiblätte-
rig ist, überall eine Bindegewebsschicht besitzt, hervor, dass die
Allantois nicht blos an der Placentarstelle, sondern ringsum mit der
serösen Hülle sich vereint, denn eine Möglichkeit, die Bindegewebs-
schicht des glatten Theiles des Chorions von irgendwo andersher
abzuleiten, liegt nicht vor.


[177]Entwicklung der menschlichen Eihüllen.

Lie späteren Schicksale des Chorions sind Ihnen schon grössten-
theils bekannt und habe ich nur Weniges noch beizufügen. Haben
sich einmal in der vierten Woche die Umbilicalgefässe im ganzen Cho-
rion sammt dem sie tragenden Bindegewebe in die hohlen Zotten der
serösen Hülle hineingebildet, so wächst das Chorion eine Zeitlang in
allen seinen Theilen gleichmässig fort, bis gegen das Ende des zwei-
ten Monates. Dann erst und im dritten Monate beginnt die fötale
Placenta sich auszubilden, indem an der Stelle, mit welcher das Ei
der Uteruswand anliegt, die Zotten immer weiter wuchern, während
dieselben an den übrigen Stellen im Wachsthume zurückbleiben und
ihre Gefässe atrophisch werden. So bildet sich nach und nach der
Unterschied zwischen einem zottenreichen und zottenarmen, zwi-
schen dem gefässhaltigen und gefässlosen Theile des Chorions aus.
Die Art und Weise, in der das Wachsthum der Zotten vor sich geht,
ist mit Hülfe des Mikroskopes leicht zu verfolgen und namentlich
dadurch characteristisch, dass die Epithelialschicht der Zotten in
der grossen Mehrzahl der Fälle der Bindegewebsschicht im Wachs-
thume voraneilt. Man findet nämlich zu allen Zeiten, aber besonders
schon in früheren Perioden an allen Zotten, eine grosse Anzahl seit-
licher und endständiger kleiner Auswüchse und Nebenanhänge von
den verschiedenartigsten Formen, vom Fadenförmigen bis zur Ge-
stalt kurzer gedrungener Keulen oder länglich runder ungestiel-
ter Blätter und Kegel, Fortsätze, die einzig und allein vom Epithel
ausgehen und häufig nur wie aus einer feingranulirten Masse mit
vielen Kernen zu bestehen scheinen, andere Male jedoch ihre Zu-
sammensetzung aus Zellen deutlicher zeigen. In diese Epithe-
lialfortsätze
wächst dann erst in zweiter Linie das Bindegewebe
mit den Gefässen herein und ist somit wie bei der ersten Bildung
der Zotten so auch später die seröse Hülle der Bindegewebsschicht
immer voran. Von der Mächtigkeit der Wucherungen der Chorion-
zotten macht man sich übrigens keinen Begriff, wenn man dieselben
nicht selbst untersucht hat und will ich Sie daher nur noch einmal
daran erinnern, dass die Placenta am Ende der Schwangerschaft
so zu sagen aus nichts als aus einem dichten Filz von Chorionzotten
besteht und im Innern kein mütterliches Gewebe mehr enthält.


Von dem Nabelstrange habe ich Ihnen noch zu bemerken, dass
seine Bindegewebsschicht oder die Wharton’sche Sulze offenbar zum
grössten Theile von der Allantois abstammt, einem geringen Theile nach
mag dieselbe auch von dem Bindegewebe herrühren, das dem Dot-
Kölliker, Entwicklungsgeschichte. 12
[178]Einundzwanzigste Vorlesung.
tergange und den Dottersackgefässen angehört. Der von der Allan-
tois herstammende Theil und der Stiel des Dottersackes sind in sehr
frühen Zeiten als besondere Gebilde deutlich zu unterscheiden und
liegt letzterer Theil wie in einer Furche des ersteren, später aber
umwächst der zur Allantois gehörige Theil vollständig den Dotter-
gang und seine Annexa und bildet sich so unter. Mitbetheiligung der
immer enger werdenden Nabelstrangscheide des Amnios ein ein-
facher cylindrischer Strang, an dem man keine Spur der ursprüng-
lichen Verhältnisse mehr erkennt.


Mütterliche
Eihüllen.
Ich wende mich nun zur Entwicklungsgeschichte der
mütterlichen Eihüllen und will Ihnen zunächst einige That-
sachen mittheilen, die geeignet sind, einen richtigen Einblick in die
Zusammensetzung und Bedeutung der Decidua vera, Decidua reflexa
und Placenta uterina zu gewähren. Die Decidua reflexa habe ich
Ihnen aus dem vierten und fünften Monate als gefässlos beschrieben,
bemerken Sie aber, dass diese Membran bei jüngeren Eiern
Gefässe
enthält und zwar um so mehr, je jünger dieselbe ist, wie
besonders die schönen Abbildungen von Coste (l. c. Pl. II—V.) lehren.
Nur an einer einzigen Stelle ist die Reflexa gefässarm, ja, in
einem kleinen Bezirke wenigstens, selbst gefässlos, an einer Stelle,
die wie eine Art Nabel ziemlich in der Mitte erscheint, und an die-
ser Stelle bemerkt man auch wie eine Art Narbe, oder eine kleine
Einsenkung, wie wenn hier eine Schliessung einer ursprünglich
offenen Blase stattgefunden hätte. Ausser diesen Gefässen, die man
im zweiten Monate deutlich erkennt, zeigt die Reflexa in frühen Sta-
dien fast überall Drüsenmündungen oder jene Löcher, die ich
Ihnen schon früher von der Vera beschrieben habe; nur jene Stelle
in der Mitte, wo jene narbenähnliche Bildung sich befindet, bleibt
Decidua vera.auch von diesen Mündungen frei. Was die Vera anlangt, so ist von
ihr besonders hervorzuheben, dass sie, je jünger das Ei ist, um so
mehr der Schleimhaut des Uterus ähnlich ist und immer deutlicher
und bestimmter als Abkömmling derselben sich zu erkennen gibt.
In der That haben auch die Untersuchungen von E. H. Weber (Mül-
ler
’s Phys. 1840. Bd. II. pag. 740 und Zusätze z. Lehre vom Baue
und von den Verricht. der Geschlechtsorgane in Abh. d. K. sächs. Aka-
demie 1846. S. 406 flgd.) und von Sharpey (in der engl. Uebersetz.
v. d. Müll. Physiol.) ergeben, dass die Decidua vera nichts anderes
ist als die umgewandelte Schleimhaut des Uterus, eine Ansicht, die
allerdings schon viel früher von Oken, Seiler und Sabatier ausge-
[179]Entwicklung der menschlichen Eihüllen.
sprochen worden war, aber bisher jeder thatsächlichen, auf genaue
anatomische Untersuchungen gestützten Begründung entbehrt hatte
und daher nicht im Stande gewesen war, die allgemein verbreitete
Hypothese, dass die hinfälligen Häute Exsudate des Uterus seien, in
den Hintergrund zu drängen.


Durch die Untersuchungen von E. H Weber und Sharpey (wel-
cher Letztere zuerst in einem wirklich schwangeren Uterus die Ute-
rindrüsen auffand, während in Weber’s Fall ein Ei nicht gesehen
wurde und der Uterus möglicher Weise nur ein menstruirender war),
sowie durch die späteren von Coste, die ich für eine Decidua aus
der vierten Woche bestätigen kann, hat sich ergeben, dass die De-
cidua
ganz und gar den Bau der Uterinschleimhaut besitzt und na-
mentlich auch dieselben Drüsen zeigt, welche auch im nicht schwan-
geren Uterus sich finden und vor Allem zur Zeit der Menstruation
so entwickelt sind. In Sharpey’s Fall, dem jüngsten, der bisher zur
Untersuchung kam — indem, wie gesagt, Weber’s Beobachtung,
sowie ähnliche von Bischoff, Virchow und andern, in welchen kein
Ei gefunden wurde, nicht mit Bestimmtheit hierher gezählt werden
können — enthielt der Uterus ein Ei von höchstens fünfzehn Tagen.
Die Vera war etwas gerunzelt und hatte das gewöhnliche siebför-
mige Aussehen. Die engeren unter den Grübchen hatten den Cha-
racter der schlauchförmigen Drüsen und von diesen sah man einen
deutlichen Uebergang zu den weiteren Kanälen. Ganz dasselbe
scheint auch Coste gesehen zu haben und ich habe mich noch in
der vierten Woche von dem Vorkommen wenig veränderter Drüsen
neben andern, die in weitere Kanäle umgewandelt waren, über-
zeugt. Und wenn auch die Umwandlungen der gewöhnlichen Ute-
rinschleimhaut in die des schwangeren Uterus noch nicht Schritt
für Schritt verfolgt sind, so genügen doch diese Erfahrungen voll-
kommen und können wir es jetzt als ganz ausgemacht betrachten,
dass die Decidua vera nichts anderes als die hypertrophische, und
an Gefässen reicher gewordene Schleimhaut des Uterus ist. Hinzu-
fügen will ich noch, dass die Veränderungen, die die Uterinschleimhaut
zur Zeit der Menstruation erleidet, wobei sie sehr blutreich wird,
zu 3—6‴ sich verdickt, sich faltet und prachtvolle geschlängelte
Drüsen zeigt, höchst wahrscheinlich auch in der ersten Woche der
Schwangerschaft eintreten, auch ist es leicht möglich, dass in der
That eine der von Weber, Bischoff, Sharpey, Virchow und Andern
beschriebenen Fälle von hypertrophischer Uterinschleimhaut bei
12*
[180]Einundzwanzigste Vorlesung.
Anwesenheit eines frischen Corpus luteum, in denen kein Ei sich vor-
fand, sich doch auf eine stattgehabte Conception bezog.


Decidua reflexa.Wir wenden uns nun zur Decidua reflexa, über deren Ent-
stehung man vor noch nicht langer Zeit ganz unrichtige Vorstel-
lungen hatte, weil man von der falschen Ansicht ausging, dass die
Oeffnungen der Tuben durch die als Exsudat aufgefasste Decidua vera
verschlossen seien. Von dieser Voraussetzung ausgehend behaup-
tete man, das Ei schiebe, wenn es aus dem Eileiter in den Uterus
gelange, diese Membran vor sich her, stülpe sie ein und dehne sie
dann durch sein eigenes Wachsthum zu einer besonderen Umhül-
lung aus, die ihrer Bildungsweise halber den Namen Decidua reflexa
erhielt. Mit der Erkenntniss, dass die Decidua vera nichts als die
umgewandelte Schleimhaut des Uterus sei, trat auch in der Ge-
schichte der Reflexa ein Wendepunct ein. E. H. Weber und Sharpey
fanden dann in der Reflexa dieselben Drüsenmündungen, welche
auch die Vera besitzt und gelangten so zum Ausspruche, dass auch
die Reflexa der Uterinschleimhaut beizuzählen sei, ein Satz, den alle
Spätern angenommen haben und den auch die umfassenden Unter-
suchungen von Coste nach allen Seiten stützen. Als man einmal so
weit gelangt war, ergab sich natürlich auch die Nöthigung, eine
andere Erklärung für die Bildung der Reflexa aufzustellen, denn an
eine Verschliessung der Tuben durch die Schleimhaut des Uterus
und an eine Einstülpung der Schleimhaut durch das Ei war nicht
zu denken, um so weniger, als die von älteren Beobachtern schon
öfters gemachte Wahrnehmung, dass das Orificium uterinum der
Tuba auch an schwangeren Gebärmüttern nicht geschlossen ist, immer
bestimmter als ausnahmslose Regel hervortrat, in welcher Beziehung
besonders Coste sich Verdienste erworben hat. Unter den mehr-
fachen Möglichkeiten, an die man gedacht hat, scheint mir die
von Sharpey zuerst vorgetragene bei Weitem die beste und einzig
brauchbare zu sein. Sharpey nimmt an, dass das Ei, nachdem es
in die Höhlung des Uterus eingetreten, sich in eine Falte der gewul-
steten Schleimhaut oder der Deeidua vera einbette, worauf dann
diese über das Ei herüberwuchere und es vollständig einschliesse.
Die Möglichkeit einer solchen Einbettung des Eies wird Ihnen ein-
leuchten, wenn Sie bedenken wollen, dass das Ei, wenn es in den
Uterus gelangt, höchstens ⅛‴ gross ist, also sehr leicht in irgend
einer Falte liegen bleiben und von der wuchernden Schleimhaut um-
schlossen werden kann. An eine andere Möglichkeit hat E. H. Weber
[181]Entwicklung der menschlichen Eihüllen.
gedacht, nämlich an die, dass das Ei, im Uterus angelangt, in die
Schleimhaut selbst, d. h. mitten in deren Gewebe zu liegen komme,
gewissermaassen in dieselbe einsinke und einen Theil der Schleim-
haut als Reflexa vor sich hertreibe, während der andere liegenblei-
bende zur Bildung der Placenta uterina verwendet werde, ich muss
jedoch gestehen, dass mir diese Auffassung weniger zusagt, als die
von Sharpey, aus Gründen, die ich Ihnen wohl nicht auseinander-
zusetzen brauche. Ebensowenig kann ich einer dritten Hypothese
mich anschliessen, die in der neuesten Zeit Funke geäussert hat. Ge-
stützt auf Bischoff’s Wahrnehmungen beim Meerschweinchen, denen
zufolge bei diesem Thiere das Ei in eine Uterindrüse hineingelangt
und hier sich festsetzt, hat Funke die Vermuthung ausgesprochen,
dass so etwas auch beim Menschen sich finde. Allein abgesehen
von allem andern sprechen schon die Grössenverhältnisse der Eier
und Uterindrüsenmündungen gegen diese Aufstellung.


Verglichen mit diesen beiden Hypothesen ist Sharpey’s Theorie
sicherlich viel zusagender, doch wollen wir uns nicht verbergen
dass auch sie immer noch nicht durch wirkliche, unumstössliche
Thatsachen gestützt ist, indem es noch Niemand gelungen ist, ein
Ei im Momente der Bildung der Reflexa zu sehen, mit andern Wor-
ten eine noch nicht vollkommen geschlossene Reflexa zu beobachten.
Und wenn auch jene früher schon erwähnte narbenähnliche Stelle
auf der Mitte der Reflexa in hohem Maasse für die Theorie von
Sharpey spricht, so ist doch auch diese Thatsache nicht vollkommen
schlagend. Dagegen können wir nicht zugeben, dass die Annahme,
dass eine Schleimhaut ein auf ihr liegendes Gebilde durch Wucherung
einschliesse, etwas unmögliches oder unwahrscheinliches an sich trage,
indem für einen solchen Vorgang mannichfache Analogien sprechen.
Schon E. H. Weber hat an die Säcke erinnert, die aus der Rückenhaut
der Pipa americana um die Eier sich bilden, allein wir brauchen nicht
so weit zu gehen, um Aehnliches zu finden. Denken Sie an die Bil-
dung des Amnios, das, ursprünglich als kleine Falte von der Haut
des Embryo ausgehend, nach und nach um diesen herumwuchert, in
der Mitte verwächst und einen vollkommenen Sack um den Embryo
bildet; erinnern Sie sich ferner an die Umschliessung des Medul-
larrohres durch das Hornblatt bei der Schliessung der Rückenfurche
und an die Schliessung der Bauchwände um den Darm und Sie
haben Analogien, die z. Th. nicht brauchbarer zu denken sind. Un-
serer Anschauung über die Bildung der Reflexa zufolge ist demnach
[182]Einundzwanzigste Vorlesung.
die Placenta uterina nicht eine Decidua serotina, d. h. eine nachträg-
lich sich bildende Lage, wie die ältere Einstülpungstheorie anneh-
men musste, sondern einfach der Theil der Uterusschleimhaut, auf
dem das Ei aufliegt und der dann später durch besondere Umwand-
lungen einen so abweichenden Bau annimmt, dass er allerdings einen
besonderen Namen verdient.


Hat sich die Uterusschleimhaut als Reflexa um das Ei zu einem
Sacke geschlossen, so findet man anfangs das rings mit Zotten be-
setzte Ei noch ganz frei und kann man dasselbe noch in der vier-
ten Woche leicht aus seinem Behälter herausnehmen, ja selbst im
zweiten Monate ist die Trennung meist ganz leicht; am Ende des
zweiten Monates aber bilden sich die Zotten auf der Placentarseite
mehr aus, und im dritten Monate wird die Verbindung des Eies mit
dem Uterus immer ausgesprochener. Die innige Vereinigung des
Eies und der Uterinschleimhaut kommt dadurch zu Stande, dass
zuerst die ganze dem Eie zugekehrte Fläche der letzteren, mithin auch
die Innenfläche der Reflexa und nicht blos die Stelle der spätern
Placenta uterina, grubig wird, und ein maschiges, bienenwabenähn-
liches Ansehen annimmt. Diese Gruben verschwinden später an
der Reflexa, an dem Theile dagegen, der zum Mutterkuchen sich ge-
staltet, werden dieselben immer grösser, indem die Schleimhaut
den Chorionzotten entgegenwuchert und dieselben immer inniger
umschliesst. Meiner Ueberzeugung nach darf man es als sicher
betrachten, dass die Chorionzotten beim Menschen nicht in Uterin-
drüsen hineinwuchern. Meinen Erfahrungen zufolge verschwinden
nämlich diese Drüsen in der Placenta uterina in der kürzesten Zeit
und sind am Ende des ersten Monates zu einer Zeit, wo das Ei noch
gar keine Verbindung mit dem Uterus eingegangen hat, auch nicht
einmal in Spuren vorhanden. Der Mensch schliesst sich somit an
die Geschöpfe an, bei denen die Uterinschleimhaut mit ihrer ge-
sammten Oberfläche den Chorionzotten entgegenwuchert und die-
selben umfasst. Im dritten und vierten Monate ist die Vereinigung
am innigsten und reicht um diese Zeit, wie früher schon angegeben,
das Gewebe der Placenta uterina, reichlich wuchernd und weite
dünnwandige Blutgefässe in grosser Zahl in sich entwickelnd, weit
gegen das Chorion hin und kann selbst die Stämme der
Zotten
an ihrem Ausgangspuncte erreichen. Im weite-
ren Verlaufe hält jedoch das Uteringewebe der Placenta mit den
Chorionzotten nicht gleichen Schritt, wird von den Ausläufern der-
[183]Entwicklung der menschlichen Eihüllen.
selben von allen Seiten her durchsetzt und zerstört und schwindet
so schliesslich, theils verdrängt, theils durch Atrophie, bis auf den
kleinen Rest, der an der Uterinfläche der Placenta sich findet, so
dass am Ende der Schwangerschaft im Innern der Placenta wohl
viele mütterliche Bluträume, aber kein Uteringewebe mehr vorhan-
den ist.


Mit dieser Schilderung der Entwicklung der Eihüllen bin ich
nun am Ende des ersten Abschnittes angelangt und gehe ich nun
in der nächsten Stunde zur Betrachtung der Entwicklung der ein-
zelnen Organe und Systeme und zwar zunächst des Knochensystemes.


[[184]]

Zweiundzwanzigste Vorlesung.
Zweiter Hauptabschnitt.


Von der Entwicklung der Organe und Systeme.


I. Entwicklung des Knochensystems.


Entwicklung der
Wirbelsäule.
Meine Herren! Ich beginne den speciellen Theil der Entwick-
lungsgeschichte mit der Schilderung der Skelettbildung und
wende mich zunächst zur Betrachtung der Entstehung der Wir-
belsäule
. Sie wissen aus dem Früheren, dass der Bildung der
Wirbelsäule und des Skeletts überhaupt die Entstehung der Chorda
Chorda dorsalis.dorsalis
vorangeht, eines im Allgemeinen spindelförmigen Stran-
ges, welcher vorn und hinten zugespitzt endigt und nahe am hin-
tern Ende eine leichte Anschwellung besitzt. Die Chorda dorsalis
besteht ursprünglich aus einem einfachen Zellenstrange, in zweiter
Linie aber erhält dieselbe eine structurlose Scheide, die nach und
nach etwas fester wird und an einer ausgebildeten Chorda als ein

Figure 79. Fig. 79.


glashelles, mässig dickes (von 0,0012‴ bei einem
menschlichen Embryo vom Ende des zweiten Mo-
nats, von 0,0032‴, bei einem Schafsembryo von
6‴) Umhüllungsgebilde erscheint, während die
Zellen wohl etwas grösser sind als im Anfange,
auch polygonal gegen einander sich abgrenzen, je-
doch immer zartwandig bleiben und nie eine grös-
sere Aehnlichkeit mit Knorpelzellen erlangen. Man
pflegt die Chorda dorsalis einen Knorpelstrang zu
nennen, es ist jedoch nicht zu läugnen, dass das
Gewebe derselben beim Menschen und bei den

Fig. 79. Stück der Chorda dorsalis eines 6‴ langen Schafembryo. a Scheide
derselben; b Zellen mit hellen blasigen Räumen.


[185]Entwicklung des Knochensystems.
meisten Thieren dem Gewebe ausgebildeter Knorpel sehr wenig
ähnlich ist, und dass daher die schon vor langer Zeit von J. Müller
(Osteol. der Myx. S. 438) und in unsern Tagen, gestützt auf die che-
mische Beschaffenheit der Chorda, auch von Schlossberger in seiner
vergl. Thierchemie geäusserte Ansicht, dass die Chorda kein Knor-
pel sei, eine gewisse Berechtigung besitzt. Da jedoch nach meinen
Erfahrungen die Chordasubstanz bei gewissen Fischen (Polypterus,
Lepidosteus
u. a.) stellenweise in ächten hyalinen Knorpel sich um-
wandelt und bei einigen Gattungen auch theilweise verkalkt, da fer-
ner unzweifelhafte Knorpel gewisser Geschöpfe, wie z. B. die soge-
nannten weissen Knorpel der Myxinoiden, im Baue der Chorda sehr
nahe stehen, so lässt sich, wie mir scheint, die Ansicht doch fest-
halten, dass die Chorda dorsalis zum Knorpelgewebe gehört und
zwar zu der Form, die ich zelligen Knorpel genannt habe.


Die Chorda dorsalis ist, wie Sie wissen, der Vorläufer der Wir-Entstehung der
häutigen Wirbel-
säule.

belsäule und bildet sich diese aus den zu beiden Seiten derselben
gelegenen Urwirbelplatten, die später in die einzelnen Urwirbel zer-
fallen, in einer Weise hervor, die wir in einer früheren Vorlesung
beim Hühnchen ausführlich dargestellt haben (zehnte Vorlesung).
Was die Säugethiere und den Menschen anlangt, so ist die allererste
Entwicklung der Wirbelsäule unbekannt, doch können darüber keine
Zweifel bestehen, dass der Vorgang im Wesentlichen derselbe ist
wie beim Hühnchen, indem eine Chorda dorsalis und Urwirbel auch
hier nicht fehlen und kann nur das in Frage kommen, ob die merk-
würdige, von Remak beim Hühnchen beobachtete Aenderung in der
Gliederung (s. S. 62) den Säugethieren auch zukommt oder nicht.
Wir nehmen daher auch für die Säugethiere einen ersten weichen
oder häutigen Zustand der Wirbelsäule an, in welchem dieselbe
schon Anlagen der Wirbelkörper zeigt, die die noch ganz zusam-
menhängende Chorda umschliessen und mit oberen Ausbreitungen,
den Anlagen der oberen Bogen oder der Membrana reuniens superior,
einen zusammenhängenden Canal für das Medullarrohr bildet.


Die Verknorpelung der Wirbelsäule beginnt beim MenschenVerknorpelung
der Wirbelsäule.

in der sechsten bis siebenten Woche und breitet sich rasch über die
Körper aus, so dass man schon in der achten Woche eine vollstän-
dige Säule von knorpeligen Körpern mit dünnen häutigen Ligamenta
intervertebralia
findet. Hierbei bleibt die Chorda anfänglich noch
erhalten, beginnt jedoch schon im Innern der Wirbelkörper zu verkümmern,
während sie in den Zwischenbändern und den angren-
[186]Zweiundzwanzigste Vorlesung.
zenden Theilen der Knorpel gut entwickelt ist, so dass sie nun auf
Längsschnitten das perlschnurartige Ansehen zeigt, dass die Fig. 80
wiedergibt. Viel langsamer als in den Körpern findet die Verknor-

Figure 80. Fig. 80.


Figure 81. Fig. 81.


pelung in den Wirbelbogen statt und sind in der achten Woche die
Bogen nicht mehr ausgeprägt, als es die Fig. 81 zeigt, so dass das
Rückenmark und die zwei Reihen Spinalganglien neben demselben
um diese Zeit einfach von der Membrana reuniens superior bedeckt
sind. Im dritten Monate wachsen die knorpeligen Bogen, die mit
dem Wirbelkörper Ein Stück ausmachen, weiter gegen die obere
Mittellinie, doch ist auch um diese Zeit der Wirbelkanal in der Lum-
bal- und Sacralgegend und ebenso in der Halsgegend noch ziemlich
weit offen, während am Rücken die Bogen schon zur Berührung ge-
kommen sind. Im vierten Monate kommt dann die vollkommene
Vereinigung der Bogen zu Stande, und ist um diese Zeit der knor-
pelige Wirbel, dessen Ossification freilich schon begonnen hat,
vollkommen ausgebildet und im Wesentlichen mit allen den Theilen
versehen, die Sie vom knöchernen Wirbel her kennen.


Steissbeinwirbel.Nach dem eben dargestellten Plane nun entwickelt sich beim
Menschen die grosse Mehrzahl der Wirbel. Eine Ausnahme bilden
die letzten Steissbeinwirbel, bei denen sich keine Bogenstücke, son-
dern nur Wirbelkörper ausbilden, doch enthalten diese, ebenso
wie die anderen Wirbelkörper, anfangs noch die Chorda dorsalis in

Fig. 80. Senkrechter frontaler Längsschnitt durch einige Brustwirbel
eines 8 Wochen alten menschlichen Embryo in der Gegend der Chordareste,
vergrössert. v knorpeliger Wirbelkörper; li Ligamentum intervertebrale; ch
Anschwellung der Chorda zwischen zwei Wirbeln.


Fig. 84. Querschnitt durch einen Brustwirbel und 2 Rippenköpfchen eines
8 Wochen alten menschlichen Embryo, vergrössert. ch Chorda, cv knorpeliger
Wirbelkörper, pr Querfortsatz, a Wirbelbogen, c Rippe.


[187]Entwicklung des Knochensystems.
ihrem Innern, und geht auch die Entwicklung derselben im We-
sentlichen nach dem Plane der übrigen vor sich. Mehr abweichend
ist die Bildungsgeschichte des ersten Halswirbels, bei welchem, wieErster Halswir-
bel.

Rathke schon vor längerer Zeit (Entw. d. Natter) gezeigt hat. das
Stück, welches dem Körper entspricht, nicht mit dem Bogen des
Atlas, sondern mit dem Körper des zweiten Wirbels sich verbindet
und den Zahn des Epistropheus darstellt, eine Behauptung, die in
unsern Tagen auch dadurch eine Bestätigung gefunden hat, dass
nach H. Müller (Ueber das Vorkommen von Chordaresten beim Men-
schen nach der Geburt in Zeitschr. f. rat. Medic. III. Reihe, Bd. II,
S. 202) die Chorda durch den Zahn des Drehers und das Lig.
suspensorium dentis
aus der Wirbelsäule in die Schädelbasis über-
geht. Ein Ersatz wird aber beim Atlas dadurch geboten, dass die
beiden Bogen an der unteren Seite mit einander verwachsen und einen
Ring bilden, welcher den Zahn oder eigentlichen Körper des Atlas
umschliesst. Während somit die letzten Wirbel nur Wirbelkörper
sind, stellt der Atlas eigentlich nur einen Bogen dar.


Die Verknöcherung der Wirbelsäule beginnt am EndeVerknöcherung
der Wirbelsäule.

des zweiten oder Anfange des dritten Monates, und zwar ossificiren
die Wirbel im Allgemeinen von drei Puncten aus, je einem in den
Bogen und einem im Körper. Der letztere Knochenpunct bildet sich
in der Nähe der Chorda dorsalis, so dass man in gewissen Fällen an-
fangs zwei Kalkablagerungen bemerkt, die aber bald zusammen-
fliessen, wodurch dann eine kleine centrale Verkalkung des Knorpels
um den kleinen Chordarest herum entsteht. Gleichzeitig mit diesen
Ossificationspuncten bemerkt man auch Blutgefässe im Knorpel,
welche vom Perichondrium aus eindringen und sich schon vor der
Verknöcherung zu bilden scheinen. Sehr bald nun wird durch den
grösser werdenden Ossificationspunct die Chorda ganz verdrängt,
so dass man im Innern der Wirbelkörper bald nichts mehr als einen
Kalk- oder Knochenpunct findet (Fig. 89). Aehnliche Knochenpuncte
treten dann auch in den Bogen und zwar in jedem Bogen einer
auf und aus diesen drei Knochenpuncten geht die Hauptmasse des
Wirbels hervor. Ziemlich rasch wuchern nämlich diese Ossifica-
tionspuncte weiter, erreichen im vierten und fünften Monate die
Oberfläche des Knorpels und kommen auch einander immer näher,
wobei zu bemerken ist, dass von den Bogen aus auch die knorpeli-
gen Gelenk- und Querfortsätze verknöchern. So entwickeln sich
nach und nach knöcherne Wirbel, welche aus drei durch Knorpel-
[188]Zweiundzwanzigste Vorlesung.
lagen verbundenen Stücken, einem Körper, der etwas kleiner ist als
das, was in der Osteologie Wirbelkörper heisst, und zwei Bogen-
stücken, welche die Quer- und Gelenkfortsätze und die Gelenkflä-
chen für die Rippen tragen und deren Dornen noch lange knorpelig
bleiben. Noch bei neugeborenen Kindern findet man die knöchernen
Bogen, obwohl dicht an einander gelegen, nicht mit einander ver-
bunden und durch eine Knorpelmasse getrennt, und kommt die Ver-
schmelzung gewöhnlich erst während des ersten Jahres zu Stande,
so dass man bei Kindern aus dem zweiten Jahre die Bogen ver-
schmolzen und die Knochendornen in der Bildung begriffen findet.
Etwas später, vom dritten bis zum achten Jahre, vereinigt sich dann
auch der Körper mit den Bogen.


Ossification von
Atlas und Epi-
stropheus.
Wie bei der ersten Bildung, so verhalten sich der Atlas und
Epistropheus auch bei der Verknöcherung abweichend. Der Atlas
verknöchert von drei Puncten aus, von denen zwei die Stelle der
Bogen bei den anderen Wirbeln, der dritte die des Körpers einnimmt,
jedoch mit diesen keinen Vergleich aushält und auch sonst ganz sui
generis
da steht. Der Epistropheus hat die drei Kerne der anderen
Wirbel und ausserdem noch einen im Zahnfortsatz.


Ossification des
Os. sacrum,
Das Kreuzbein entwickelt sich aus fünf Wirbeln, welche alle
aus denselben drei Stücken hervorgehen wie die übrigen Wirbel,
zu denen dann bei den ersten drei Wirbeln noch accessorische Stücke
hinzukommen, die am vorderen Theile des seitlichen breiten An-
des Os. coccygis.hanges ihren Sitz haben. Bei den Steissbeinwirbeln endlich,
deren Verknöcherungszeit sehr variabel ist, bildet sich [ursprüng]-
lich nur ein Körper aus, und fehlen mit Ausnahme des ersten dieser
Wirbel die Bogenstücke ganz.


Accessorische
Knochenpuncte.
Zu den drei Knochenpuncten nun, welche die Hauptmasse der
Wirbel darstellen, gesellen sich nun nach der Geburt noch viele an-
dere accessorische, von den ich Ihnen ohne ausführliche Schilde-
rung nur bemerken will, dass dieselben an der Superficies auricu-
laris
des Os. sacrum, an den Spitzen aller Dorn- und Querfortsätze
(zum Theil doppelt), dann auch der Processus accessorii der Lenden-
wirbel, und, obschon nur vereinzelt und besonders an den Lendenwir-
beln, auch den Gelenkfortsätzen sich finden, im Ganzen erst spät (vom
achten bis fünfzehnten Jahre nach Schwegel, in den Sitzungsberichten
Wien Acad. 1858. St. 337) auftreten und erst bei der Vollendung
des Wachsthumes mit der Hauptmasse der Wirbel verschmelzen. Be-
sonders interessant sind die accessorischen Knochenpuncte, welche
[189]Entwicklung des Knochensystems.
sich an den Wirbelkörpern in Form von Scheiben bilden, die an den
beiden Verbindungsflächen derselben sitzen und mit den Epiphysen
der Röhrenknochen verglichen werden können. Diese Epiphysen-
stücke, die Sie an der hier vorliegenden Wirbelsäule eines zwanzig-
jährigen Individuums an allen Wirbeln, auch an denen des Kreuz-
beines, sehen und die andeutungsweise auch an den beiden Enden
des Zahnes des Drehers vorkommen können, zeigen sich kaum vor
dem achten Jahre und verschmelzen meist sehr spät mit den Kör-
pern, deren Bildung demzufolge mit der der Röhrenknochen ver-
glichen werden kann, die auch aus drei Stücken hervorgehen.


Nun noch einige Bemerkungen über die Ligamenta inter-Ligamenta inter-
vertebralia
.

vertebralia.


Während in den Körpern der Wirbel die Chorda sehr früh ver-
schwindet, sobald die Ossificationspuncte auftreten, findet sich in
den Lig. interv. gerade das Gegentheil. Wie ich Ihnen früher be-
merkte, findet man schon im zweiten Monate die Chorda in den
Zwischenwirbelbändern stärker entwickelt, und bei weiterer Ver-
folgung zeigt sich, dass dieser Chordarest mit der Wirbelsäule
fortwuchert. Bei Neugeborenen gewahrt man in jedem Lig. inter-

Figure 82. Fig. 82.


vertebrale eine ziemlich gros-
se Höhle von birnförmiger Ge-
stalt, welche von einer wei-
chen Gallerte erfüllt ist, die
aus grösseren und kleineren
zelligen Elementen besteht.
Es unterliegt nicht dem ge-
ringsten Zweifel, dass diese
Gallerte von der früheren Chor-
da abstammt und dass die
Höhle selbst die ursprüngliche
die Chorda enthaltende Höhle
im Ligamentum intervertebrale ist, obschon es nicht mehr gelingt, die
ursprüngliche Scheide der Chorda nachzuweisen. Ja noch mehr.
Diese Gallerte schwindet auch später nicht, und sind noch beim
Erwachsenen die Chordazellen vorhanden und in der inneren wei-
chen Pulpa der Zwischenwirbelbänder in Menge zu finden. Es bil-
den diese Zellen beim Neugeborenen und Erwachsenen unregelmäs-

Fig. 82. Lig. intervertebrale eines Neugeborenen im Querschnitte. a Chor-
dahöhle mit den Zellen der Chorda erfüllt. Etwa 25mal vergrössert.


[190]Zweiundzwanzigste Vorlesung.
sige Haufen und zeichnen sich durch das Vorkommen mit Flüssigkeit
erfüllter Hohlräume aus, welche Ihnen ein eigenthümliches Ansehen

Figure 83. Fig. 83.


geben, so dass man sie nicht leicht
als das erkennt, was sie sind. So-
mit schwindet die Chorda auch
beim Menschen und den Säugethie-
ren nicht ganz und es steht daher
das Verhalten, welches man bei
den Fischen und fischähnlichen Am-
phibien findet, bei denen die con-
caven Verbindungsflächen der Wirbelkörper mit gut entwickelten
Chordaresten ausgefüllt sind, nicht so isolirt da, als man gewöhn-
lich glaubt.


Entwicklung der
Rippen und des
Brustbeins.
Ich gehe nun zur Entwicklung der Rippen und des Brust-
beins
. Die Rippen sind Producte der Urwirbel oder der pri-
mitiven häutigen Wirbelsäule, welche, wie ich Ihnen schon frü-
her angegeben, in noch weichem Zustande gleichzeitig mit der Mus-
kelplatte und den Spinalnerven, die ebenfalls aus den Urwirbeln
sich entwickeln, in die ursprüngliche Bauchwand hineinwachsen.
Gleichzeitig mit den Wirbeln verknorpeln dann auch diese Fortsätze,
und entstehen die knorpeligen Rippen, welche jedoch von Anfang
an von den Querfortsätzen abgegliedert und durch eine weiche
Bandmasse mit ihnen verbunden sind, welche nichts anderes als ein
Ueberrest des Blastems der häutigen Wirbelfortsätze ist. Sind die
Rippen einmal verknorpelt, was im zweiten Monate geschieht, so
wachsen sie dann in der ursprünglichen Bauchwand oder der Mem-
brana reuniens inferior
langsam weiter gegen die vordere Mittel-
linie zu, wobei jedoch die sieben oberen oder Brustbeinrippen ein
besonderes merkwürdiges Verhalten zeigen. Nach den Untersuchun-
gen von Rathke nämlich (Müller’s Arch. 1838. S. 365) vereinigen
sich die sieben Rippen einer Seite, bevor sie die vordere Brustge-
gend erreicht haben, mit ihren vorderen Enden alle mit einander
zur Darstellung eines länglichen Knorpelstreifens, und diese zwei
Streifen sind nichts anderes als die knorpeligen Brustbeinhälften,
die erst später zur Vereinigung kommen. Die ganze Masse der sie-
ben Rippen mit der sie vereinenden Knorpelplatte wuchert nun immer
weiter in der ursprünglichen Bauchwand gegen die vordere Mittel-

Fig. 83. Ein Haufen Chordazellen mit Vacuolen aus einem Lig. interv.
eines 5 Wochen alten Kindes. 350mal vergrössert.


[191]Entwicklung des Knochensystems.
linie zu, bis endlich die Brustbeinhälften zur Vereinigung gelangen,
welche zunächst oben zu Stande kommt und von hier aus nach un-
ten fortschreitet, so dass zuletzt alle sieben Rippen durch eine ein-
zige Knorpelplatte mit einander zusammenhängen und das knorpe-
lige Brustbein angelegt ist, welches dann nachträglich noch seinen
Processus ensiformis entwickelt. Diese Entwicklungsgeschichte des
Brustbeins erklärt jene Ihnen wohl zum Theil bekannten Missbil-
dungen, welche man mit dem Namen der Brustbeinspalten (Fissurae
sterni
) bezeichnet. Es sind diess Fälle, in denen die Brustbeinhälf-
ten nicht ganz zur Vereinigung gelangen, sondern grössere oder klei-
nere Lücken als Ueberreste der ursprünglichen grossen Lücke zwi-
schen den Rippen vorkommen und in der Mitte der Brust nur die
Haut als Bedeckung sich findet. Der bekannte Groux hat eine sol-
che, obwohl unvollkommene Brustbeinspalte.


Ist das knorpelige Brustbein gebildet, so beginnt dann ziemlichVerknöcherung
des Brustbeins.

spät, d. h. vom sechsten Monate an, die Verknöcherung, indem sich
meist ein Knochenpunct im Manubrium, eine gewisse wechselnde
Zahl von solchen (4—13 nach Schwegel), die häufig paarweise in
3—4 Querreihen stehen, im Körper und dann noch gewöhnlich ein
Knochenpunct im späteren Processus ensiformis bildet. Später beim
reifen Embryo und im ersten Jahre verschmelzen die einzelnen
Puncte des Körpers zu drei bis vier grösseren Stücken, welche vom
vierten Jahre an auch noch von unten nach oben so mit einander
sich vereinen, dass dann der Knochen aus den bekannten drei Stü-
cken besteht, deren weitere Verhältnisse Ihnen bekannt sind.


Die Rippen verknöchern sehr früh schon im zweiten MonateVerknöcherung
der Rippen.

jede mit einen Knochenkerne, der sich rasch nach beiden Seiten aus-
breitet, so dass dieselben schon im dritten Monate eine erhebliche
Länge haben. Wie andere Röhrenknochen wachsen dann die Rip-
pen theils auf Kosten des Knorpelrestes, von denen übrigens ein
Theil zu den bleibenden Rippenknorpeln sich gestaltet, theils vom
Perichondrium aus weiter, bis endlich in späterer Zeit erst (vom
achten bis vierzehnten Jahre nach Schwegel) in den Knorpeln der
Köpfchen und Höcker Epiphysenkerne sich bilden, die dann zwi-
schen den 14.—18.—25. Jahre mit den Diaphysen verschmelzen.


Die Entwicklung des Schädels, zu der wir jetzt überge-Entwicklung des
Schädels.

hen, ist einer der schwierigsten Gegenstände der Entwicklungsge-
schichte, doch sind wir, namentlich durch die sorgfältigen Untersu-
chungen Rathke’s, in neuerer Zeit über manche dunkle Verhältnisse
[192]Zweiundzwanzigste Vorlesung.
aufgeklärt worden. Vor Allem bemerke ich Ihnen, dass der Schä-
del, gleich wie der Wirbel, drei Zustände, den häutigen, knor-
peligen
und knöchernen durchläuft, von denen wir die beiden
ersten mit einem von Jacobson zuerst gebrauchten Namen die Pri-
mordialschädel
nennen und von dem bleibenden knöchernen
Schädel unterscheiden. Ferner ist hervorzuheben, dass auch der
Schädel aus einer Belegungsmasse oder einem Blasteme hervorgeht,
welches sich zu beiden Seiten der Chorda findet oder, um mit den
Worten der neueren Entwicklungsgeschichte zu reden, aus den Ur-
wirbelplatten unter Mitbetheiligung der Chorda sich entwickelt.


Häutiger Primor-
dialschädel.

Figure 84. Fig. 84.

Betrachten wir nun zunächst
die Art und Weise der Entwick-
lung des häutigen Schädels. Sie
erinnern sich aus dem über die
Entwicklung des Hühnchens Mitge-
theilten, dass die Urwirbelplatten
an dem vordern Ende der Chorda
noch über dieselbe hinausgehen
und bogenförmig untereinander zu-
sammenhängen (Fig. 84). Der häu-
tige Schädel nun entwickelt sich
aus dem vordersten Theile der Ur-
wirbelplatten, welcher keine Glie-
derung darbietet und niemals in
Urwirbel zerfällt (Fig. 60), wesent-
lich in der nämlichen Weise, wie
die häutige Wirbelsäule. Es um-
schliessen nämlich einmal die Ur-
wirbelplatten des Kopfes mit ihren
innern Rändern von oben und von

Fig. 84. Oval gewordener durchsichtiger Fruchthof eines Hühnereies mit
weiter gediehener Sonderung (IV. Stadium vom 1. Tage) 20mal vergr. Nach
Remak. 1. Von der untern Fläche gesehen, ch Chorda, x Anschwellung dersel-
ben am hintern Ende; ap Seitenhälften der Axenplatte, die am Kopfe hogen-
förmig in einander umbiegen und am hintern Ende in der Keimhaut sich ver-
lieren, sp Seitenplatten, die vorn und hinten in einander übergehen, y Grenze
des hellen Fruchthofes, 2. Senkrechter Querschnitt derselben Keimhaut von
der Mitte, uw Urwirbelplatten, ohne Grenze in die Seitenplatten übergehend,
mp Medullarplatte, ins Hornblatt sich fortsetzend, d Darmdrüsenblatt. Aus-
serdem ist die Chorda sichtbar und die Primitivrinne.


[193]Entwicklung des Knochensystems.
unten her die Chorda und stellen so die Schädelbasis her, und
zweitens wuchern dieselben mit ihren äussern Theilen nach oben zur

Figure 85. Fig. 85.


Umschliessung des Gehirns (Fig. 85). So entsteht ein ganz zusammen-
hängender häutiger oder weicher primordialer Schädel, der anfäng-
lich so zu sagen nichts als eine Kapsel für das Gehirn darstellt, nach
und nach aber an seinem vordern Ende eine besondere Entwicklung
erleidet und die Theile der spätern Nasengegend zu bilden beginnt,
die wir dann freilich beim knorpeligen Primordialschädel viel be-
stimmter ausgeprägt finden werden.


So einfach nun auch der eben geschilderte Vorgang erscheint,
so sind doch mehrere Verhältnisse bei der Bildung des häutigen
Schädels nichts weniger als vollständig aufgeklärt und haben einer-
seits Rathke, anderseits Reichert und A. Bidder über die Bildung
der primitiven Schädelbasis und die Betheiligung der Chorda dabei
sehr abweichende Ansichten vorgetragen. Nach Rathke zerfällt der
Theil der Belegungsmasse der Chorda, aus welcher der Schädel sich
bildet, oder der Urwirbelplatten in zwei Theile, einen hintern Ab-
schnitt, der die Chorda einschliesst, die nach Rathke nie bis an das
vordere Ende der Schädelbasis reicht, sondern in der Gegend der
Gehörbläschen aufhört, und einen vordern Theil, der mit dersel-
ben direct nichts zu thun hat. Dieser letztere bildet eine ziemlich
breite Platte, welche an ihrem vordern Ende in zwei Fortsätze aus-

Fig. 85. Querschnitt durch den Kopf und Schlund eines 36 Stunden alten
Hühnerembryo vor der Herzhöhle. Nach Remak. h Hornblatt, s die ungespal-
tenen Seitenplatten und die mit denselben zusammenhängenden Urwirbelplat-
ten, pa die primitiven Aorten, ae Aortenende des Herzens, ks Kopfscheide
(Amniosfalte), hk Herzkappe, beide innen vom mittleren Keimblatte (Fort-
setzung der Haut- und Darmfasserplatte), aussen vom Hornblatte gebildet und
seitlich verschmelzend, hh vorderer Ausläufer der Herzhöhle, d das die
Schlundhöhle auskleidende Darmdrüsenblatt. Ausserdem sieht man das Me-
dullarrohr, d. h. die 3. Hirnblase und unterhalb derselben die Chorda.


Kölliker, Entwicklungsgeschichte. 13
[194]Zweiundzwanzigste Vorlesung.
wächst, die vorn durch einen geringeren, weiter rückwärts dagegen
durch einen grösseren Zwischenraum von einander getrennt sind.
Diess sind die sogenannten seitlichen SchädelbalkenRathke’s.
Ein unpaarer mittlerer, nach oben gekrümmter Fortsatz findet sich
ferner gerade da, wo das Gehirn seine vordere Krümmung macht,
der mittlere Schädelfortsatz, der aber nur eine vorüberge-
hende Existenz besitzt und in keine bleibenden Theile sich umwan-
delt, namentlich nicht in die Sattellehne, an deren Stelle er sich be-
findet. Unmittelbar vor diesem Fortsatze nun und zwischen den
paarigen Schädelbalken stülpt sich nach Rathke’s früheren Angaben
die Rachenschleimhaut in die Schädelhöhle hinein, um dann später
zur Hypophysis Cerebri sich abzuschnüren. Abgesehen von dieser
Lücke ist übrigens nach Rathke’s Auffassung die Schädelhöhle doch
auch zwischen den Schädelbalken, jedoch nur durch eine dünne
Membran, geschlossen, doch wird nach ihm die eigentliche Schädel-
basis vorn erst dadurch erzeugt, dass später die Schädelbalken un-
ter einander verschmelzen.


Reichert’s Auffassung, die in der Dissertation von A. Bidder
(De cranii conformatione, Dorpati 1847) und in Müller’s Arch. (1849
St. 443) niedergelegt ist, weicht in Manchem von der von Rathke
ab. Nach diesem Autor reicht die Chorda anfänglich bis an’s vor-
dere Ende der Urwirbelplatten bis in die Gegend der Stirn, ver-
kümmert dann aber während der Ausbildung der häutigen Schädel-
anlage in ihrem vorderen Theile. Die Existenz der seitlichen Schä-
delbalken läugnet Reichert für die Säugethiere, Vögel und Schlan-
gen, doch geht auch aus seinen Angaben hervor, dass in der That
an der Schädelbasis mehr nach vorn zu die Mitte anfänglich in grös-
serer oder geringerer Ausdehnung von einer andern Beschaffenheit
und dünner ist als die seitlichen Theile. Den mittleren Schädelbal-
ken fasst Reichert als Sattellehne und, wie es scheint, zum Theil
auch als Fortsatz der harten Hirnhaut auf, und was die Hypophysis
anlangt, so läugnet er, dass die Schädelbasis jemals durchbro-
chen sei.


Wollen Sie nun meine Stellung zu diesen streitigen Puncten
kennen lernen, so habe ich Ihnen zunächst zu sagen, dass es mir
scheint, als ob mit Bezug auf die Frage der paarigen Schädelbalken
als Grundlage des vorderen Theiles des Schädels Rathke und Rei-
chert
nicht so weit aus einander stehen, als es auf den ersten Blick
erscheint. Auch Rathke nimmt, abgesehen von der Stelle der Hypo-
[195]Entwicklung des Knochensystems.
physis, deren Bildung wir beim Gehirn besprechen werden, nir-
gends eine Lücke des Schädelgrundes an und sind seine Balken
nichts als derbere Streifen in der zusammenhängenden Basis. Dass
solche aber wirklich vorkommen, kann meiner Meinung zufolge nicht
bezweifelt werden und hat diess ja auch Reichert z. Th. zugegeben.
Der mittlere Schädelbalken ist meinen Untersuchungen an jungen
menschlichen Embryonen zufolge nichts als das sehr früh auftretende
Tentorium cerebelli (Fig. 86), und nicht Sattellehne,
die erst später hervorwächst, und was die Chorda
anlangt, so muss ich nach Untersuchungen an Hüh-
nerembryonen mich dahin aussprechen, dass sie,
wenn auch nicht bis an’s vorderste Ende der Urwir-

Figure 86. Fig. 86.


belplatten, doch anfangs weiter nach vorn reicht, als Rathke und
auch Remak annehmen, dann aber in Folge der mächtigen Entwick-
lung der vordersten Theile des Schädels immer weiter nach hinten
zu liegen kommt.


Der häutige Primordialschädel, der ein ganz getreuer Ab-Knorpeliges Pri-
mordialcranium.

druck des Gehirns ist, besteht nur kurze Zeit und wandelt sich
bald durch histologische Differenzirung in das knorpelige Pri-
mordialcranium
um, wobei nur das sicher ist, dass die Ver-
knorpelung an der Basis beginnt, dagegen zweifelhaft bleibt, ob

Fig. 86. Senkrechter Durchschnitt durch den Schädel eines 8 Wochen
alten menschlichen Embryo in natürlicher Grösse. Die Schädelbasis erhebt
sich in der Gegend der spätern Sattellehne in einen grossen mittleren, am Ur-
sprunge im Innern knorpeligen, sonst häutigen Fortsatz, welcher der mittlere
Schädelbalken Rathke’s ist. Von diesem zieht sich bis zu 2 eine Falte der
harten Hirnhaut, das Tentorium cerebelli, zu dem auch der häutige Theil des
erwähnten Fortsatzes gehört. Die kleine Grube vor dem Tentorium unmittel-
bar über dem Fortsatze ist für das Mittelhirn (Vierhügel), die grössere Grube
zwischen 2 und 3 für das Cerebellum. Bei 3 ist eine Falte der Hirnhaut, die
zwischen Cerebellum und Medulla oblongata sich einsenkt, für welche letztere
die Grube hinter dieser Falte bei 4 bestimmt ist. In diese erhebt sich noch eine
kleine Kante der Basis, die unmittelbar hinter dem Pons liegt und dem hinter-
sten Theile der Schädelbasis entspricht. Der grössere Raum der Schädelhöhle
vor dem grossen Basilarfortsatze wird nochmals durch eine seitliche Hirnhaut-
falte bei 1 in zwei Räume geschieden, von denen der vordere das grosse Hirn,
der hintere den Sehhügel mit den entsprechenden Basaltheilen (Tuber cine-
reum, Hypophysis
etc.) enthält. Der vorderste höhere Theil der Schädelbasis
ist das Siebbein und Nasentheil derselben. — Zur bessern Orientirung ver-
gleiche man die spätere Zeichnung des Gehirns eines Embryo aus dem 2. Mo-
nate.


13*
[196]Zweiundzwanzigste Vorlesung.
dieselbe überall gleichzeitig auftritt, oder, wie es wahrscheinlicher
ist, zu beiden Seiten der Chorda beginnt und von da aus weiter
schreitet. Schon im zweiten Monate findet man beim Menschen die
ganze Basis knorpelig und setzt sich der Knorpel auch noch eine
kleine Strecke weit auf die seitlichen Theile fort, während der Rest
häutig ist und auch später so bleibt. Das knorpelige Primordial-
cranium des Menschen besteht somit aus einem häutigen Dache, wel-
ches nichts anderes, als ein Theil des ursprünglichen häutigen Cra-
niums ist, zweitens aus vorzugsweise häutigen Seitentheilen, deren
Bedeutung dieselbe ist, und drittens aus einer knorpeligen Basis,
welche beiläufig dem späteren Hinterhauptsbeine und dem grösse-
ren Theile des vorderen und hinteren Keilbeines entspricht. Knor-
pelig sind auch die Pyramiden des Felsenbeines und die Partes ma-
stoideae
der Schläfenbeine, sowie das Siebbein, welches mit dem
Keilbeine zusammenhängt und alle spätern Theile (Lamina cribrosa
und perpendicularis und die conchae) angedeutet hat. Als Fortsetzung
desselben schliesst sich endlich noch als vorderster Theil des knor-
peligen Craniums eine knorpelige äussere Nasenscheidewand und
eine knorpelige äussere Nase an, die jedoch wenig entwickelt sind.
Eine detaillirte Beschreibung dieses knorpeligen Primordialcraniums

Figure 87. Fig. 87.


ist nicht am Platze und lege ich Ihnen zur
weiteren Ergänzung noch eine Abbildung des
rein knorpeligen Theiles desselben aus dem
dritten Monate vor (Fig. 87), aus einer Zeit,
in welcher dasselbe, abgesehen von einigen in
demselben entstandenen Knochenkernen, voll-
kommen gut entwickelt ist.


Das knorpelige Primordialcranium ist nun
aber nicht bei allen Geschöpfen so wenig aus-
gebildet wie beim Menschen. Ich selbst habe
mit einem meiner früheren Zuhörer Herrn

Fig. 87. Primordialschädel eines 3 Monate alten menschlichen Embryo von
oben; a obere Hälfte der Squama ossis occipitis, b untere Hälfte derselben, c knor-
pelige Parietalplatte, d Pars condyloidea ossis occipitis, e Pars basilaris, f Pars petrosa
mit dem Meatus auditorius internus, g Sattellehne, davor zwei Kerne des hintern
Keilbeinkörpers, h Kerne in den Processus clinoidei anteriores, i grösstentheils
knöcherne Ala magna, k Ala parva, l Crista galli, m Labyrinth des Siebbeins,
n knorpelige Nase, o Knorpelstreif zwischen der Parietalplatte und dem Keil-
beine, p Frontalplatte oder knorpeliger Verbindungsstreif zwischen der Ala parva
und der Lamina cribrosa, q Foramen opticum.


[197]Entwicklung des Knochensystems.
Dr. Spöndli in Zürich seiner Zeit einige Untersuchungen über das Ver-
halten desselben bei Säugethieren angestellt, welche in dessen Dis-
sertation (Ueber den Primordialschädel der Säugethiere und des
Menschen, Zürich 1846) niedergelegt sind, als deren Resultat sich
ergab, dass bei der Maus und beim Schweine die häutigen Stellen
des knorpeligen Craniums, die man auch die Fontanellen desselben
nennen kann, viel kleiner sind als beim Menschen, indem bei diesen
Thieren das Schädeldach namentlich in der Parietalgegend fast ganz
knorpelig ist. Werfen Sie ferner einen Blick auf die tiefer stehenden
Wirbelthierklassen, so werden Sie finden, dass bei den Batrachiern
vor Allem den Perennibranchiaten und bei vielen Knochenfischen
die knorpeligen Primordialcranien noch viel ausgebildeter sind. Ja
es zeigt sich, dass bei manchen Geschöpfen, wie bei den Haifischen
und Rochen, den Neunaugen, ja selbst bei manchen Knochenfischen,
wie den Salmonen und Hechten, die knorpeligen embryonalen Cra-
nien z. Th. in vollkommenster Ausbildung, als ganz geschlossene
Knorpelkapseln, zeitlebens sich erhalten. Diese Thatsachen geben
uns erst die richtigen Fingerzeige über die Bedeutung des allerdings
sehr wenig entwickelten menschlichen Primordialschädels und seine
Stellung zum bleibenden Schädel, wie ich Ihnen diess in der folgen-
den Stunde des Weiteren darzulegen gedenke.


[[198]]

Dreiundzwanzigste Vorlesung.


Umbildung des
Primordialschä-
dels in den knö-
chernen Schädel.
Meine Herren! Der knorpelige Primordialschädel, dessen Ent-
wicklung wir zuletzt verfolgt haben, wandelt sich in folgender Weise
in den bleibenden Schädel um. Erstens bildet sich ein Theil des
knorpeligen Schädels unmittelbar in Knochen um und zwar in der-
selben Weise, wie überall da, wo knorpelig präformirte Theile ossi-
ficiren. Zweitens bleibt ein Theil des knorpeligen Primordial-Cra-
niums in diesem Zustande, und geht in die auch beim Erwachse-
nen vorkommenden knorpeligen Theile über. Drittens verschwin-
det ein jedoch nur sehr unbedeutender Theil des primordialen Knor-
pels durch Atrophie. Viertens endlich bilden sich an der Aussen-
seite des knorpelig häutigen Craniums besondere Deck- oder Beleg-
knochen, wie man dieselben nennen kann, die später untereinander
und mit denjenigen Knochen verschmelzen, welche aus dem Primor-
dialschädel selbst hervorgegangen sind.


Ossification des
primordialen
Knorpels.
Betrachten wir nun zunächst die Veränderungen des eigentlichen
primordialen Knorpels, so finden wir, dass aus demselben fast das
ganze Hinterhauptsbein, das hintere und vordere Keilbein und das
Siebbein, sammt den untern Muscheln hervorgehen. Dazu kommen
dann noch die Pars petrosa und mastoidea des Felsenbeins, deren
Entwicklung jedoch erst später beim Gehörorgan vollständig be-
sprochen werden kann.


Hinterhaupts-
bein.
1) Das Hinterhauptsbein verknöchert im Anfange des drit-
ten Monates und zwar mit Einem Knochenpuncte in der Pars basi-
laris
(Fig. 88 e), je Einem in den Partes condyloideae (d) und
zwei bald verschmelzenden in der knorpeligen Squama (a). Zu diesen
Knochenkernen gesellt sich dann, wie ich gezeigt habe, noch ein
anderes Stück (Fig. 88 a), welches ausserhalb des Primordialschä-
[199]Entwicklung des Knochensystems.
dels als Deckknochen sich entwickelt und den oberen Theil der
Schuppe bildet. Dasselbe verschmilzt später mit dem untern pri-

Figure 88. Fig. 88.


mordialen Schuppenstücke vollständig, so
jedoch, dass eine Fissur rechts und links am
Rande der Squama in der Höhe der Protube-
rantia occipitalis externa
längere Zeit hindurch
die Vereinigungsstelle andeutet und meist
noch bei Neugebornen sichtbar ist. Die im
Knorpel entstandenen vier Knochenkerne
kommen in der zweiten Hälfte des embryo-
nalen Lebens unter allmäliger Verdrängung
des Knorpels einander immer näher, sind
jedoch noch bei Neugebornen durch dünne
Knorpelreste getrennt. Ihre endliche Vereinigung zu Einem Kno-
chen beginnt im ersten oder zweiten Jahre zwischen den Gelenk-
theilen und dem Schuppentheile, wo dieselbe von aussen nach innen
(gegen das For. occipitale magnum) fortschreitet. Später erst, im
dritten und vierten Jahre, verbinden sich auch, und zwar vom
Foramen magnum aus, die Gelenktheile und die Pars basilaris, so
dass im fünften oder sechsten Jahre alle Theile zu Einem Knochen
verschmolzen sind.


2) Das hintere Keilbein, Os sphenoidale posterius, ent-Hinteres
Keilbein.

wickelt sich im dritten Monate a) aus zwei Knochenkernen in der
Gegend des Türkensattels (Fig. 88), welche bald zu Einem ver-
schmelzen (Fig. 89. s), b) aus zwei seitlichen Puncten in der Gegend
des Sulcus caroticus und der Ligula (siehe Meckel in seinem Archiv
I. Taf. III. Fig. 23, Spöndli l. c. Fig. 8, b, meine Mikr. Anat. Taf. III.
Fig. 3, wo der betreffende Kern nur auf einer Seite colorirt und
nicht bezeichnet ist, und Virchow, Entw. d. Schädelgrundes St. 45)
und c) aus zwei Knochenkernen in der Ala magna (Fig. 88, i und 89),
welche auch die Lamina externa processus pterygoidei liefern, wo-

Fig. 88. Primordialschädel eines 3 Monate alten menschlichen Embryo von
oben; a obere Hälfte der Squama ossis occipitis, b untere Hälfte derselben, c knor-
pelige Parietalplatte, d Pars condyloidea ossis occipitis, e Pars basilaris, f Pars petrosa
mit dem Meatus auditorius internus, g Sattellehne, davor zwei Kerne des hintern
Keilbeinkörpers, h Kerne in den Processus clinoidei anteriores, i grösstentheils
knöcherne Ala magna, k Ala parva, l Crista galli, m Labyrinth des Siebbeins,
n knorpelige Nase, o Knorpelstreif zwischen der Parietalplatte und dem Keil-
beine, p Frontalplatte oder knorpeliger Verbindungsstreif zwischen der Ala parva
und der Lamina cribrosa, q Foramen opticum.


[200]Dreiundzwanzigste Vorlesung.
gegen die innere Lamelle dieser Fortsätze nicht knorpelig vorgebildet
ist und aus dem Oberkieferfortsatze des ersten Kiemenbogens hervor-

Figure 89. Fig. 89.


zugehen scheint, wie diess
noch später angegeben wer-
den soll. In der zweiten
Hälfte des Fötallebens ver-
einen sich 1) die beiden La-
mellen der Flügelfortsätze
und 2) der Körper und die
seitlichen Kerne, und eben-
so verbindet sich noch vor der
Geburt das hintere Keilbein
mit dem vordern, so dass bei
Neugebornen nur noch die
Alae magnae als getrennte
Stücke sich finden, welche je-
doch im Laufe des ersten Jahres mit dem Reste verwachsen. Bemer-
kenswerth ist übrigens, dass bei der Geburt noch der grösste Theil der
Sattellehne knorpelig ist und dass der Knorpel auch noch über den
Clivus bis zur Synchondrosis spheno-occipitalis sich hinzieht (s. Vir-
chow
l. c. St. 16). Diese Synchondrose erhält sich bekanntlich bei
manchen Individuen zeitlebens, in der Regel jedoch vergeht dieselbe
vom 13ten Jahre an von innen nach aussen, so dass bei Vollendung
des Wachsthumes das Hinterhaupts- und das Keilbein zum Grund-
beine
synostosirt sind.


Wie bei allen aus Knorpel ossificirenden Knochen tragen auch
beim hintern Keilbeine periostale Ablagerungen zur Vervollständi-
gung des Knochens bei, es verdient jedoch eine besondere Berück-
sichtigung, dass dieselben hier, vor Allem an den Alae magnae und

Fig. 89. Senkrechter Durchschnitt durch den Kopf eines 4 Monate alten
Embryo. N Nasenbein mit P dem Perioste unter demselben, F Stirnbein, P
Scheitelbein, Sq Schuppe das Schläfenbeins, Ms Oberkiefer, Mi Unterkiefer,
V Pflugschaar, s Kern im hintern Keilbeinkörper, H Zungenbeinkörper, Th
Schildknorpel, Cr Ringknorpel, CV Wirbelkörper mit Kernen, AV Wirbelbo-
gen. a Obere Hälfte der Squama ossis occipitis, b untere Hälfte derselben, c Pa-
rietalplatte, d Pars condyloidea ossis occipitis, e Pars basilaris, f Pars petrosa mit
dem Meatus anditor. internus, g Sattellehne, davor zwei Kerne des hinteren Keil-
beinkörpers, h Kerne in den Processus clinoidei anteriores, i grösstentheils knö-
cherne Ala magna.


[201]Entwicklung des Knochensystems.
den Processus pterygoidei sehr massenhaft auftreten und auch schon
früh erscheinen.


3) Das vordere Keilbein, Os sphenoidale anterius, entstehtVorderes
Keilbein.

ebenfalls im dritten Monate aus zwei Ossificationspuncten in den
Alae parvae nach aussen vom Foramen opticum (Fig. 88 h), dazu
kommen etwas später zwei Kerne im Körper (meine Mikr. Anat. II.
Taf. III. Fig. 3), welche vier Kerne nach dem sechsten Monate un-
tereinander und vor der Geburt auch mit dem hintern Keilbeine
verschmelzen. Nach Virchow’s Untersuchungen ist jedoch um diese
Zeit der intersphenoidale Knorpel noch keineswegs verschwunden,
vielmehr an der untern Seite noch in erheblichem Grade erhalten
und mit dem knorpeligen Rostrum sphenoidale in Verbindung, wel-
ches seinerseits continuirlich mit der Nasenscheidewand zusammen-
hängt. Dieser Theil der Synchondrose vergeht auch nur langsam,
so dass noch im 13ten Jahre Reste desselben mitten im Knochen
vorkommen können. Noch vor der Geburt erscheinen auch die
Cornua sphenoidalia, die nicht knorpelig vorgebildet sind und erst
zur Zeit der Pubertät mit dem Ganzen verschmelzen.


4) Das Siebbein verknöchert in der Mitte des FötallebensSiebbein.
zuerst in der Lamina papyracea und dann in den Muscheln. Bei
der Geburt besteht der Knochen aus den zwei Labyrinthen und den
zwei davon getrennten untern Muscheln, während der Rest noch
knorpelig ist. Im ersten Jahre beginnt die Ossification in der La-
mina perpendicularis
und Crista galli, während die Verknöcherung
von den Labyrinthen aus auch auf die Lamina cribrosa fortschreitet.
Endlich, im fünften und sechsten Jahre, verschmelzen die drei Stücke
untereinander, wobei jedoch zu bemerken ist, dass ein Theil des
ursprünglichen knorpeligen Siebbeins, der unter den Nasenbeinen
liegt, später durch Resorption verloren geht.


Was zweitens die Deck- oder Belegknochen des SchädelsDeck- oder Be-
legknochen des
Schädels.

anlangt, so gehören zu denselben, ausser den schon erwähnten in-
nern Lamellen der Processus pterygoidei, den Cornua sphenoidalia
und dem obern Theile der Schuppe des Hinterhauptsbeins, noch die
Scheitelbeine, Stirnbeine und Nasenbeine, die Schuppe des Schlä-
fenbeins und der Paukenring, Annulus tympanicus, ein kleines ring-
förmiges Knöchelchen, aus welchem der knöcherne äussere Gehör-
gang entsteht, endlich das Pflugscharbein und die Zwischenkiefer.
Alle diese Deckknochen entstehen ohne allen Zweifel aus derselben
Schicht, welche überhaupt die Knochen des Embryo liefert, oder
[202]Dreiundzwanzigste Vorlesung.
aus den Urwirbelplatten des Schädels; ebenso sicher ist es aber
auch, dass nicht eine und dieselbe Lamelle dieser Urwirbelplatten
das Primordialcranium und die Deckknochen liefert, vielmehr die
letztern aus einem äussern Blatte hervorgehen, welches dem Primor-
dialcranium unmittelbar aufliegt. Keiner von den Deck- oder Be-
legknochen, die auch secundäre Knochen genannt werden, ist knor-
pelig vorgebildet, und findet man niemals ein knorpeliges Stirnbein
oder ein knorpeliges Scheitelbein, wie man z. B. bei jungen Em-
bryonen ein knorpeliges Hinterhauptsbein oder ein knorpeliges Keil-
bein wahrnimmt; die Deckknochen sind aber auch nicht häutig
präformirt, sondern entwickeln sich von kleinen Anfängen aus, in
einer weichen, allerdings meist hautartigen, aber morphologisch
nicht bestimmten, d. h. nicht deutlich begrenzten Grundlage. In
der Gegend des Scheitels z. B. sieht man zuerst aussen am häuti-
gen Primordialcranium eine Zahl ganz kleiner isolirter Knochen-

Figure 90. Fig. 90.


puncte, die, immer zahlreicher wer-
dend, nach und nach mit einander ver-
schmelzen. Ist so eine kleine Anlage
des Scheitelbeins gebildet (Fig. 90), so
wächst dieselbe theils durch Wucherung
der schon vorhandenen Knochenbalken,
theils durch Aneignung neuer, isolirt
entstandener Puncte weiter, während zugleich die vorhandenen
Lücken immer mehr mit Knochenmasse sich ausfüllen (Fig. 91), bis

Figure 91. Fig. 91.


Fig. 90. Scheitelbeinanlagen eines 12 Wochen alten menschlichen Fötus,
18mal vergr.
Fig. 91. Scheitelbein eines 14 Wochen alten menschlichen Fötus, 18mal
vergr.


[203]Entwicklung der Knochensystems.
am Ende ein dünner compacter Knochen entsteht, dessen weitere
Entwicklung wir hier nicht zu verfolgen haben. Wesentlich in der-
selben Weise bilden sich alle andern Deckknochen, wobei nur das
zu bemerken ist, dass die kleineren von Anfang an in mehr com-
pacter Gestalt auftreten, wie zum Beispiel die obere Hälfte der
Schuppe des Hinterhauptsbeines, von der ich Ihnen hier eine Abbil-

Figure 92. Fig. 92.


dung vorlege (Fig. 92), die Nasenbeine und andere, sowie dass die
Zeit des ersten Auftretens derselben an das Ende des zweiten und
den Anfang des dritten Monates fällt.


Die richtige Auffassung dieser Verhältnisse, die Unterscheidung
von zweierlei Knochen, einmal von primordialen Knochen,
welche aus dem Primordialcranium entstehen, und zweitens von
Deck- oder Belegknochen, ist meiner Meinung nach von grosser
Wichtigkeit, jedoch weniger in histologischer Beziehung — da wir
jetzt durch H. Müller wissen, dass nirgends, auch bei den knorpe-
lig vorgebildeten Knochen nicht, ächtes Knochengewebe unmittelbar
aus Knorpel hervorgeht — als mit Hinsicht auf die Morphologie, in-
sonderheit die vergleichende Anatomie und hat sich unstreitig Jacobson,
der zum ersten Male diese Unterscheidung aufstellte (s. Müller’s
Arch. 1844), durch dieselbe ein grosses Verdienst erworben. Erst
seitdem diese Unterscheidung besteht, sind wir zu einer richtigen
Deutung der Schädelknochen der verschiedenen Wirbelthiere ge-
langt, erst seit dieser Zeit konnte der Grundsatz ausgesprochen wer-
den, dass alle Schädelknochen im ganzen Thierreiche in zwei
besondere und scharf getrennte Gruppen zerfallen, sowie dass vom
morphologischen Gesichtspuncte aus nur Deckknochen mit Deck-
knochen und primordiale Knochen mit solchen in Vergleichung
gezogen werden dürfen. Von diesem Standpuncte aus sind weder
die Functionen noch die Lagerung der Knochen das Maassgebende,
sondern einzig und allein ihre Entwicklung.


Fig. 92. Obere Hälfte der Schuppe eines 14 Wochen alten Fötus. a Stel-
len, wo dieselbe mit dem untern Stücke bereits verschmolzen ist.


[204]Dreiundzwanzigste Vorlesung.

Indem ich es den Handbüchern der vergleichenden Anatomie
und der Histologie überlasse, Sie einerseits über die Tragweite des
eben erwähnten Grundsatzes, andererseits über die mikroscopi-
schen Verhältnisse bei der Entwicklung der einzelnen Schädelkno-
chen weiter aufzuklären, füge ich nun zunächst noch einige Bemer-
kungen über einen Knochen bei, welcher eigentlich nicht in den
Felsenbein.Schädeltypus gehört. Es ist diess das Felsenbein mit seiner Pyra-
mide und der Pars mastoidea. Diese beiden Theile, knorpelig vor-
gebildet und mit dem Primordialcranium innig verschmolzen, gehen
unstreitig aus derselben skelettbildenden Schicht hervor, welche das
Primordialcranium liefert; allein sie gehören nicht zu dem gewöhn-
lichen Wirbeltypus, dem der Schädel, wenigstens in seinen hintern
Theilen, folgt, und bezeichnet man daher dieselben mit Recht als
Sinnesknochen oder als Stücke, welche zur Umschliessung eines
Sinnesapparats dienen. Die Verknöcherung dieser Schädeltheile
schildere ich Ihnen später beim Gehörorgane.


Vergleichung des
Schädels mit der
Wirbelsäule.
Erlauben Sie mir nun noch die Frage zu besprechen, wie sich
der Schädel zur Wirbelsäule verhält, ob am Schädel Wirbel ange-
nommen werden dürfen oder nicht. Bekanntermaassen hat Oken im
Anfange dieses Jahrhunderts die Wirbeltheorie des Schädels aufge-
stellt und behauptet, dass der Schädel aus einer Reihe von Wirbeln
bestehe und nichts als eine modificirte Wirbelsäule sei. Ueber die
Richtigkeit dieser Theorie wurde viel hin und her gestritten, und
gingen auch diejenigen, welche sie anerkannten, in ihren Ansichten
über die Zahl der Schädelwirbel selbst wieder aus einander, indem
die Einen drei, Andere vier, wieder andere eine noch grössere An-
zahl von Schädelwirbeln annahmen. Durch die neueren Untersu-
chungen über die Entwicklung des Schädels und der Wirbelsäule
hat sich diese Angelegenheit nun ziemlich geklärt, und lässt sich,
Bedeutung des
Hinterhaupts-
beins,
wie mir scheint, mit Bestimmtheit Folgendes aufstellen. Am Schä-
del findet sich auf jeden Fall Ein Theil, welcher noch ziemlich
genau einem Wirbel entspricht, und das ist das Hinterhaupts-
bein
. Der Körper des Hinterhauptsbeines entwickelt sich um die
Chorda dorsalis herum, welche, wie ich Ihnen früher angab, anfangs
in die Schädelbasis hineingeht, und entspricht mithin ganz einem
Wirbelkörper; ebenso sind die Partes condyloideae und der knorpe-
lige Theil der Squama oder der untere Theil der knöchernen Squama
ihrer ganzen Entwicklung nach einem Wirbelbogen und einem Dorn-
fortsatze gleich zu setzen. Das Bild eines Wirbels, das uns somit das
[205]Entwicklung des Knochensystems.
Hinterhauptsbein darbietet, wird nur dadurch getrübt, dass mit der
Schuppe ein Stück verbunden ist, das nicht aus dem knorpeligen
Schädel hervorgeht und den obern Theil der knöchernen Schuppe
ausmacht. Es kommen jedoch bei Thieren und zwar bei Fischen, wie
Stannius gezeigt hat, auch an der Wirbelsäule solche Deck- oder Be-
legknochen vor. Schon weniger scheinen das vordere und dasder Keilbeine,
hintere Keilbein dem Typus eines Wirbels zu entsprechen, indem
einmal die Chorda sicherlich nie im Knorpel des vordern Keilbein-
körpers zu finden ist, und zweitens auch die Theile, die als Bogen
zu deuten wären, nämlich die Alae magnae und parvae, das Gehirn
nicht umfassen. Nichts destoweniger halte ich dafür, dass auch
diese beiden Knochen als Schädelwirbel zu betrachten sind. Der
hintere Keilbeinkörper entsteht auf jeden Fall noch theilweise direct
um die Chorda, die in der knorpeligen Schädelbasis bis in die Ge-
gend der Sattellehne zu verfolgen ist, und was die vordern Theile
anlangt, so haben wir gesehen, dass wenigstens von Reichert eine
ursprüngliche Erstreckung der Chorda bis an’s vorderste Ende des
Schädels angenommen wird. Will man aber auch mit Remak diess
nicht zugeben, so ist doch so viel sicher, dass das Blastem, aus wel-
chem das vordere Keilbein und das Siebbein entstehen, dasselbe
ist, aus welchem das hintere Keilbein, das Os occipitis und auch
die Wirbel hervorgehen, so dass somit, wenigstens in dieser Bezie-
hung, eine Uebereinstimmung besteht. Was die Alae magnae und
parvae anlangt, so sind sie allerdings von den Bogenstücken des
Hinterhauptsbeines und der Wirbel abweichend, indem die Um-
schliessung des centralen Nervensystems erst durch Deckknochen,
das Scheitelbein und Stirnbein, vervollständigt wird, allein einmal
gehört das Geschlossensein der Wirbelbogen nicht nothwendig zum
Wirbeltypus, wie am besten die letzten Wirbel des Menschen leh-
ren, und dann ist den besondern Verhältnissen Rechnung zu tragen,
welche an der Kopfwirbelsäule in Folge der grossen Entwicklung des
Gehirns sich finden. Am zweifelhaftesten ist die Bedeutung des Sieb-des Siebbeins.
beins und des vorderen knorpelig bleibenden Endes des Primor-
dialschädels. Einige bezeichnen das Ethmoideum als vierten Wirbel
des Schädels, Andere betrachten es als nicht dem Wirbeltypus an-
gehörig und legen ihm die Bedeutung eines Sinnesknochens bei, ebenso
wie dem Felsenbeine. Ich für meine Person glaube, dass auch das
Siebbein und überhaupt der vordere Theil des Primordialschädels
zur Wirbelsäule zählt, und als eigenthümlich modificirtes Ende der-
[206]Dreiundzwanzigste Vorlesung.
selben zu betrachten ist. Die Abweichung vom gewöhnlichen Ty-
pus ist allerdings sehr gross, allein es ist gewiss, dass das Siebbein
in derselben Weise aus den Urwirbelplatten oder aus der skelett-
bildenden Belegmasse der Chorda dorsalis entsteht, wie das vordere
Keilbein, und dass dasselbe ursprünglich in continuirlicher Verbin-
dung mit dem hintern Theile des Schädels steht. Meiner Meinung
nach folgen die Lamina perpendicularis mit der Crista galli und dem
Nasenscheidewandknorpel dem Typus der Wirbelkörper, und sind
auf jeden Fall die vorderen Verlängerungen der Wirbelkörpersäule.
Mit dieser allerdings sehr umgewandelten Axe sind dann auch seit-
liche Auswüchse verbunden, welche den Bogen an die Seite zu stel-
len sind, aber, statt die gewöhnliche Lage und Form der Bogen zu
zeigen, nach unten gekrümmt und eingerollt sind. Den Vergleich
noch weiter zu führen, erscheint mir an diesem Orte nicht am
Platze, und will ich nur noch bemerken, dass allerdings, auch mei-
ner Auffassung nach, der Wirbeltypus des vorderen Schädelendes
dadurch besonders umgewandelt wird, dass dieser Theil, wenig-
stens bei den höhern Thieren, in eine innige Beziehung zum Ge-
ruchsorgane tritt, ohne jedoch deswegen zu besondern Sinneskno-
chen sich zu gestalten. Wir finden daher auch, dass, wo diess
weniger der Fall ist, wie bei den Fischen, auch der nahezu vorderste
Theil des Schädels noch eine Fortsetzung der Schädelhöhle zeigt und
lange nicht so abweichend gestaltet ist.


Das Ergebniss der ganzen Betrachtung ist mithin das, dass der
Schädel, trotz mannichfacher Abweichungen, doch im Ganzen dem
Wirbeltypus folgt, so jedoch, dass derselbe in verschiedenen Gegen-
den verschieden ausgeprägt, hier ganz deutlich und dort fast ver-
wischt ist.


Chordareste im
ausgebildeteren
Schädel.
Anschliessend an das Bemerkte will ich nun noch einen Gegen-
stand zur Sprache bringen, der nicht nach allen Seiten hin hinrei-
chend aufgeklärt ist, es ist diess das Verhalten der Chorda
dorsalis
im Schädel in späteren Zeiten
. Bis vor kurzem
hatte man über die weiteren Schicksale der Chorda im Schädel gar
keine Gewissheit und liess man dieselbe im zweiten Monate schon
verschwinden. Heinrich Müller war es, der, wie an der Wirbel-
säule, so auch in der Schädelbasis zuerst die Spuren der Chorda
genau verfolgte (l. c.) und ihre Ueberreste bei Embryonen verschie-
denen Alters beim Menschen und bei Thieren im Basilartheile des
Schädels, in der Gegend des Hinterhauptbeins und des hintern Keil-
[207]Entwicklung des Knochensystems.
beins auffand. Müller sah bei einem Kalbsembryo von 3″ die
Chorda aus dem Zahne des Epistropheus und dem Lig. suspensorium
dentis
in den Knorpel der Pars basilaris ossis occipitis eintreten. Von
hier ging sie, immer im Knorpel gelegen, unter dem basilaren Kno-
chenkerne durch, stieg dann in der Synchondrosis spheno-occipitalis
gegen die Mitte des Knorpels aufwärts und erreichte dicht hinter der
Sattellehne die Oberfläche des Knorpels, so dass sie eigentlich
ganz in dessen Perichondrium lag, um dann schliesslich wieder in
den Knorpel der Sella einzutreten und dicht hinter dem Hirnanhange
sich zu verlieren. Bei menschlichen Embryonen gelang es H. Müller
nicht, eine solche oberflächliche Lage der Chorda an einer Stelle mit
Bestimmtheit zu demonstriren, ausser in einem Falle am hintern
Ende des Basilarknorpels, dagegen zeigten sich bestimmte Chorda-
reste sowohl im Basilarknorpel, als in der spheno-occipitalen Syn-
chondrose bei Embryonen von 2½—9″. Bei älteren Embryonen
und Neugeborenen fand Müller in der angegebenen Synchondrose
verschieden geformte Höhlen mit gallertigem Inhalte und Elementen,
die ganz den früher beschriebenen blasigen Chordazellen aus den
Ligamenta intervertebralia glichen, und steht dieser Forscher nicht
an, dieselben für Chordareste zu erklären, in welcher Beziehung er
mir vollkommen im Rechte zu sein scheint. — Das Vorkommen von
Resten der Chorda dorsalis bei älteren Embryonen hat nun aber
ausser der embryologischen noch eine andere Bedeutung, worauf
Müller ebenfalls die Aufmerksamkeit gelenkt hat. Es haben näm-Gallertge-
schwülste des
Clivus und ihre
Beziehung zu den
Chordaresten.

lich vor nicht langer Zeit Virchow, Luschka und Zenker eigenthüm-
liche gallertartige Geschwülste am Clivus beschrieben, welche Vir-
chow
und Luschka als aus Umwandlungen des ursprünglichen Knor-
pels der Schädelbasis hervorgegangen betrachten. Die Elemente
dieser Geschwülste, die Virchow als Physaliden und die Ge-
schwülste selbst als Physaliphoren bezeichnet, haben die grösste
Aehnlichkeit mit denen der ältern Chorda dorsalis, wie diess schon
Virchow hervorhebt; da man jedoch allgemein annahm, dass die
Chorda im Schädel sehr früh schwinde, so kam Niemand auf den Ge-
danken, diese Bildungen mit der Chorda in Verbindung zu bringen;
H. Müller dagegen musste, sobald er von der langen Persistenz der
Chordareste in der spheno-occipitalen Synchondrose sich überzeugt,
und auch Umwandlungen derselben in grössere Höhlungen mit
blasigen Zellen aufgefunden hatte, diese Möglichkeit nahetreten, und
scheint es mir, dass er mit vollem Rechte die Vermuthung aus-
[208]Dreiundzwanzigste Vorlesung.
spricht, dass die genannten Gallertgeschwülste eine
directe Beziehung zur Chorda haben, d. h. im Wesent-
lichen nichts als Hypertrophien der Chordareste sind
.


Zum Schlusse füge ich noch einige Bemerkungen über das
Wachsthum des Schädels als Ganzes bei. Die für den
Embryologen am meisten in die Augen fallende Erscheinung ist die,
dass der Spheno-occipitaltheil des Schädels zuerst und erst in zwei-
ter Linie auch der Ethmoidaltheil desselben sich ausbildet. Sehr
ausgeprägt ist dieses Verhalten bei ganz jungen Embryonen bis zu
solchen vom Ende des zweiten Monates, zu welcher Zeit der Spheno-
occipitaltheil fast allein die Schädelbasis ausmacht und der Ethmoi-
daltheil verschwindend klein ist (Fig. 93). Von da an entwickelt
sich aber auch der vordere Schädelantheil rasch, so dass er schon

Figure 93. Fig. 93.


Figure 94. Fig. 94.


im 4.—5. Monate (Fig. 94) eine nicht unbeträchtliche Länge besitzt,
und ebenso wie in der zweiten Hälfte des Embryonallebens rascher
wächst als der hintere Theil, wie diess auch Virchow für diese Pe-
riode angibt (l. c. St. 23). Sind einmal die Verknöcherungen ein-
getreten, so gewinnt der Schädel an Länge und Umfang durch
Wucherungen der Knorpelreste und Näthe, welche Wucherungen
überall selbständig auftreten und am Nasentheile ebenso gut wie an

Fig. 93. Senkrechter Durchschnitt durch den Schädel eines 8 Wochen
alten menschlichen Embryo in natürlicher Grösse. Die ausführliche Erklärung
siehe bei Fig. 86 auf Seite 195.


Fig. 94. Senkrechter Durchschnitt durch den Kopf eines 4 Monate alten
Embryo. Die ausführliche Erklärung siehe bei Fig. 89 auf Seite 200.


[209]Entwicklung des Knochensystems.
der spheno-occipitalen Synchondrose und an den Nähten des Schä-
deldaches sich zeigen. Die genaueren Gesetze dieses Wachsthumes
zu erörtern, ist hier nicht der Ort, nur das sei bemerkt, dass Stö-
rungen desselben, welche an den Knorpeln der Basis von H. Müller
in einem merkwürdigen Falle von Cretinismus bei einem Kalbe
durch das Mikroskop mit Bestimmtheit nachgewiesen wurden (Würzb.
medicinische Zeitschrift Bd. I. Heft 3), zu frühzeitigen Synostosen
an der Schädelbasis und am Schädeldache führen, welche, je nach-
dem sie vereinzelt oder in grösserer Verbreitung auftreten, zu ge-
ringeren oder stärkeren Deformitäten führen, wie diess besonders
von Virchow klar auseinandergesetzt worden ist. Schädel und Ge-
hirn haben beide ihr selbständiges und unabhängiges Wachsthum,
doch bedingen Störungen in der Entwicklung des einen auch Ab-
weichungen des andern Organs, in der Art jedoch, dass fehlerhafte
Ausbildung des Gehirns vor Allem und zuerst das Schädeldach und
viel weniger die Schädelbasis beeinflusst.


Rölliker
[[210]]

Vierundzwanzigste Vorlesung.


Gesichtsknochen.Meine Herren! Zur Vervollständigung der Entwicklungsge-
schichte des Kopfskelettes haben wir nun noch von den Gesichts-
knochen
zu handeln, insoweit als dieselben nicht schon beim
Schädel zur Besprechung kamen, und führt uns diess von selbst
dazu, auch die äusseren Formen des Gesichtes zu berücksichtigen,
ohne deren Kenntniss ein Verständniss der Gestaltung der Knochen
nicht möglich ist.


Aeussere
Gestalt des
Gesichtes.
Das Gesicht bildet sich aus zwei paarigen und einem unpaaren
Gebilde hervor, welches aber bei genauer Betrachtung auch paarige
Elemente enthält. Die erstern sind der erste Kiemenbogen mit
seinem Ober- und Unterkieferfortsatze, die Sie schon von
früheren Schilderungen her kennen, und der noch nicht beschriebene
äussere Nasenfortsatz, das unpaare Gebilde ist der Stirn-
fortsatz
mit den innern Nasenfortsätzen. Um Ihnen die
Verhältnisse dieser verschiedenen Theile und ihre Entwicklung
leichter verständlich zu machen, beginne ich mit der Hinweisung
auf die Figur 95, die ein Stadium zeigt, in welchem alle genannten
Theile vollkommen ausgeprägt sind. Bei diesem menschlichen Em-
bryo bildet der Mund, der im geöffneten Zustande dargestellt ist,
eine grosse Querspalte, welche die schon gebildete Zunge (z) erken-
nen lässt. Begrenzt wird dieselbe von unten durch die vereinigten
Unterkieferfortsätze des ersten Kiemenbogens (5), die wie
einen primitiven Unterkiefer darstellen, während von oben her die
Oberkieferfortsätze desselben Kiemenbogens (4) seitlich und
in der Mitte der Stirnfortsatz einen fast zusammenhängenden Ober-
kiefertheil bilden. Der Stirnfortsatz erscheint als eine kurze
und breite Verlängerung der Stirn, eine Betrachtung desselben von
[211]Entwicklung des Knochensystems.
unten und auf Durchschnitten zeigt jedoch, dass derselbe die Ver-
längerung nicht blos des Schädeldaches, sondern auch der Schädel-

Figure 95. Fig. 95.


basis ist und mit einem Worte das vor-
dere Ende des gesammten Schädels dar-
stellt. Es sind übrigens an diesem
Stirnfortsatze eine mittlere Einsenkung
und auch eine leichte äussere Furche und
zwei seitliche lappenartige Fortsätze,
die ich die inneren Nasenfort-
sätze
heisse, zu unterscheiden, welche
in diesem Stadium an die Oberkiefer-
fortsätze angrenzen und mit denselben
die nach aussen von ihnen gelegenen
äussern Nasenöffnungen (3) von unten
schliessen. Die äussere Begrenzung der
Nasenlöcher bildet der äussere Na-
senfortsatz
(seitlicher Stirnfortsatz
von Reichert), welcher auch mit zum
vordern Ende des Schädels gehört und
gemeinschaftlich mit dem Oberkiefer-
fortsatze eine Furche begrenzt, die bis
zum Auge verläuft und die Thränen-
furche
heissen mag, weil sie, wie
Coste wohl mit Recht angibt, zum Thrä-
nenkanale sich gestaltet.


Indem ich Sie nun mit Bezug auf
die allererste Entwicklung der äussern

Fig. 95. Menschlicher Embryo von 35 Tagen von vorn nach Coste. 3 linker
äusserer Nasenfortsatz, 4 Oberkieferfortsatz des ersten Kiemenbogens, 5 primiti-
ver Unterkiefer, z Zunge, b Bulbus aortae, b′erster bleibender Aortenbogen, der
zur Aorta ascendens wird, b″ zweiter Aortenbogen, der den Arcus aortae gibt,
b‴ dritter Aortenbogen oder Ductus Botalli, y die beiden Fäden rechts und
links von diesem Buchstaben sind die eben sich entwickelnden Lungenarterien,
c′ gemeinsamer Venensinus des Herzens, c Stamm der Cava superior und Azy-
gos dextra, c
″ Stamm der Cava sup. und Azygos sinistra, o′ linkes Herzohr,
v rechte, v′ linke Kammer, ae Lungen, e Magen, j Vena omphalo-mesenterica
sinistra, s
Fortsetzung derselben hinter dem Pylorus, die später Stamm der
Pfortader wird, x Dottergang, a Art. omphalo-mesenterica dextra, m Wolff’scher
Körper, i Enddarm, n Arteria umbilicalis, u Vena umbilicalis, 8 Schwanz, 9 vor-
dere, 9′ hintere Extremität. Die Leber ist entfernt.


14*
[212]Vierundzwanzigste Vorlesung.
Gesichtsform auf die später zu gebende Bildungsgeschichte des Ge-
ruchsorganes und des Darmkanales verweise, wende ich mich gleich zur
Schilderung der wichtigsten weiteren Veränderungen, durch welche
die noch sehr unvollkommene Gestaltung der Fig. 95 in die bleibende
übergeht. Die äusseren Theile anlangend, so ist das Erste, dass der
Stirnfortsatz und die Oberkieferfortsätze einerseits, anderseits eben
diese Fortsätze und der äussere Nasenfortsatz ganz mit einander
verschmelzen, wodurch ein vollständiger Oberkieferrand und eine
einfache, jedoch noch wenig ausgedehnte Wangengegend entsteht.
Ist diess geschehen, so entwickelt sich der Rand der Oberkieferge-
bilde zur Lippe und zum Alveolarrande der Ober- und Zwischenkie-
fer, während äusserlich unter der Stirn ganz allmälig die Nase her-
vorwuchert und aus einer breiten platten primitiven Form immer
mehr in die bekannte Gestalt übergeht. Wie diese Vorgänge im
Einzelnen sich machen, brauche ich Ihnen wohl nicht ausführlich
zu schildern, doch kann ich Sie, wenn Sie weitere Aufklärung wün-
schen, noch auf die sehr naturgetreuen Abbildungen von A. Ecker
und Erdl verweisen.


Bildung
des Gaumens.
Während die ersten der eben erwähnten Veränderungen sich
einleiten, gehen auch mehr in der Tiefe namhafte Umgestaltungen
vor sich. Anfangs ist die Mundhöhle eine weite Höhle, in welche
oben und vorn die Geruchshöhlen durch zwei kleine Löcher (Fig.
96 in), die ich die innern Nasenöffnungen nenne, ausmün-
den. Bald jedoch und zwar schon vor dem Ende des 2. Monates
leitet sich ein Vorgang ein, durch welchen schliesslich die einfache
Mundhöhle in einen untern grössern digestiven und einen obern
engen respiratorischen Abschnitt gesondert wird. Es wuchern näm-
lich (s. Fig. 96) die Oberkieferfortsätze des ersten Kiemenbogens

Figure 96. Fig. 96.


nicht blos äusserlich, sondern auch innerlich in
Gestalt einer Leiste oder Platte, die man die Gau-
menplatte
heissen kann (g), in horizontaler Rich-
tung nach innen, so dass sie eine immer enger wer-
dende Spalte, die Gaumenspalte, zwischen sich
zeigen. Von der 8. Woche an verschmelzen dann

Fig. 96. Kopf eines menschlichen Embryo aus der 8. Woche von unten.
Der Unterkiefer ist weggenommen. um die grosse Spalte in der Mundrachen-
höhle mr zu zeigen, welche später durch Vortreten und Verwachsen der
Gaumenfortsätze g geschlossen wird. an Aeussere Nasenöffnungen; in in-
nere Nasenöffnungen oder Ausmündungen des Labyrinthes, von den Choanen
wohl zu unterscheiden.


[213]Entwicklung des Knochensystems.
die Gaumenplatten unter einander von vorn nach hinten, so jedoch,
dass sie vorn auch mit dem untern breiten Rande der noch ganz kur-
zen Nasenscheidewand sich vereinen. In der 9. Woche ist der vordere
Theil des Gaumens, der dem späteren harten Gaumen entspricht,
schon vollkommen geschlossen, der weiche Gaumen dagegen noch
gespalten, doch bildet sich dieser von nun an rasch aus und zei-

Figure 97. Fig. 97.


gen Embryonen der zweiten
Hälfte des 3. Monates das
Velum gebildet und auch
das Zäpfchen in der Bildung
begriffen, das übrigens schon
vor der Vereinigung der bei-
den Hälften des weichen
Gaumens als eine kleine Her-
vorragung an den hintern
Enden derselben zu erken-
nen ist (Fig 97).


Hier ist nun auch derGaumen- und
Lippenspalten.

Ort, Sie an gewisse Missbildungen des Gesichtes und Gaumens
zu erinnern, welche in den eben geschilderten Verhältnissen ihre
Erklärung finden und als ein Stehenbleiben auf normalen embryo-
nalen Stufen zu deuten sind, ich meine den Wolfsrachen, die
Hasenscharten und Lippenspalten in ihren verschiedenen
Formen. Bei der ausgeprägtesten Form dieser Missbildungen, dem
doppelten Wolfsrachen mit doppelter Hasenscharte, findet man nicht
nur Lippen und Kieferrand auf beiden Seiten gespalten, sondern
es fehlt auch der Gaumen ganz oder fast ganz und sind Mund und
Nasenhöhle in weiter Verbindung. Die Nasenscheidewand kann da-
bei ganz gut ausgebildet sein, ragt wie frei in die Mundhöhle hinein
und steht mit dem zwischen den beiden erstern Spalten oder Ha-
senscharten befindlichen Stücke in Verbindung, welches die Zwischen-
kiefer mit den Schneidezähnen enthält, während das Pflugschaar-
bein an der Nasenscheidewand aufsitzt. Bei geringeren Graden ist
entweder nur der Gaumen gespalten und die vordern Theile ver-

Fig. 97. Oberkiefer und Gaumen eines 9 Wochen alten Fötus, 9mal vergr.
a Lippen abgeschnitten, b Gaumen, c äusserer Zahnwall, d innerer Zahnwall,
e Papille des ersten Backzahnes. f Papille des Eckzahnes, g des zweiten, h des
ersten Schneidezahns, i Gaumenwülste, k Zwischenkiefergegend, l weicher
Gaumen, noch gespalten.


[214]Vierundzwanzigste Vorlesung.
eint (Wolfsrachen), was auf einer oder auf beiden Seiten in der gan-
zen Länge oder nur stellenweise sich findet, oder es sind die vor-
dern Theile mangelhaft und der Gaumen ganz. Bei der Lippenspalte
sind nur die Weichtheile gespalten, bei der Hasenscharte auch die
Knochen, in der Art, dass Oberkiefer und Zwischenkiefer, von denen
der letztere im Stirnfortsatze, der andere im Oberkieferfortsatze sich
entwickelt, getrennt bleiben.


Entwicklung der
Gesichtsknochen.
Wir kommen nun zur Betrachtung der Hartgebilde des
Gesichtes
, die einerseits im Zusammenhange mit dem ersten Kie-
menbogen, anderseits, wie diess schon in der vorigen Stunde aus-
einandergesetzt wurde, vom vordersten Ende des eigentlichen
Schädels aus sich entwickeln.


Umbildungen des
ersten Kiemen-
bogens.
Der erste Kiemenbogen besteht anfänglich aus einer wei-
chen Bildungsmasse, welche, wie wir früher sahen, von der Schädel-
basis aus in der Gegend des vordern Keilbeines analog einer Rippe
sich entwickelt und in die ursprüngliche Bauchwand hineinwuchert,
wo dann die Bogen der beiden Seiten verschmelzen (Fig. 98, c).

Figure 98. Fig. 98.


Anfänglich einfach, wie die an-
dern Bogen, treibt derselbe spä-
ter nahe an seinem Ausgangs-
puncte von der Schädelbasis
den schon mehrfach erwähnten
Oberkieferfortsatz (d), der im
Zusammenhange mit der Bil-
dung der Mundhöhle und Mund-
öffnung ein freies vorderes Ende
erhält. Dieser Bildungsweise
zufolge sind Ober- und Unter-
kieferfortsatz des ersten Kie-
menbogens aussen von der
äussern Haut und innen von der
Schleimhaut des Mundes und der Rachenhöhle bekleidet, da es hier
nicht zur Bildung einer Höhle, analog der Pleuroperitonealhöhle

Fig. 98. Menschlicher Embryo der vierten Woche nach einer nicht edirten
Zeichnung von Thomson vergr. dargestellt. a Amnios, das am Rücken in einer ge-
wissen Ausdehnung entfernt ist, b Dottersack, b′ Dottergang, c Unterkieferfort-
satz des ersten Kiemenbogens, d Oberkieferfortsatz desselben, e, e′ e″ zweiter
bis vierter Kiemenbogen, f primitives Ohrbläschen, g Auge, h vordere, i hin-
tere Extremität, k Nabelstrang mit kurzer Amniosscheide, l Herz, m Leber.


[215]Entwicklung des Knochensystems.
kommt, wie in den hinteren Theilen des Rumpfes. Anfänglich aus
weichem, indifferentem Gewebe bestehend, wandelt sich im weitern
Verlaufe der Unterkieferfortsatz in seiner ganzen Länge in ächten
Knorpel um, während der Anfangstheil und der Oberkieferfortsatz
weich bleiben. So zerfällt der erste Kiemenbogen in zwei Theile,
von denen der knorpelige Hammer und Ambos und den sogenannten
Meckel’schen Fortsatz, der weiche das Flügelbein (Lam. externa
proc. pterygoidei
) und das Gaumenbein liefert.


Der äusserst wichtigen von Reichert gemachten EntdeckungUnterkieferfort-
satz des ersten
Kiemenbogens.

von der Entwicklung der beiden genannten Gehörknöchelchen aus
dem Unterkieferfortsatze des ersten Kiemenbogens (De arcubus sic
dictis branchialibus etc. Diss. inaug
. Berol. 1837, Müller’s Arch.
1837 und Vergl. Entw. des Kopfes u. s. w., Königsb. 1838) ging die
Beobachtung eines Knorpelstreifens durch J. F. Meckel voran (Anat.
IV. St. 47), welcher bei Embryonen vom Hammer aus in den Unter-
kiefer sich erstreckt. Die Fig. 99 zeigt Ihnen diesen sogenannten

Figure 99. Fig. 99.


Meckel’schen Fort-Meckel’scher
Fortsatz.

satz oder Knorpel
von einem 4½ Monate
alten menschlichen
Embryo. Derselbe
tritt als ein ziemlich
starker cylindrischer
Knorpelstrang oben
und vorn aus der Pau-
kenhöhle heraus, ge-
deckt vom verbrei-
terten Ende des vor-
dern Schenkels des
um diese Zeit noch
sehr zarten knöcher-
nen Annulus tympani-
cus
. Innen an der

Fig. 99. Kopf und Hals eines menschlichen Embryo aus dem 5. Monate
(von circa 18 Wochen) vergrössert. Der Unterkiefer ist etwas nach oben ge-
zogen, um den Meckel’schen Knorpel zu zeigen, der zum Hammer führt. Aus-
sen an demselben liegt der Nervus mylohyoideus, innen davon der Querschnitt des
Pterygoideus internus und der M mylohyoideus. Das Trommelfell ist ent-
fernt und der Annulus tympanicus sichtbar, der mit seinem breiten vordern Ende


[216]Vierundzwanzigste Vorlesung.
Ohrspeicheldrüse und der Carotis externa gelegen, wendet sich der-
selbe gleich an die innere Seite des Unterkiefers und verläuft hier
in einer bei 3- und 4monatlichen Embryonen sehr stark ausgepräg-
ten Furche nach vorn bis nahe an die Vereinigungsstelle beider Un-
terkiefer. In seiner Lage am Kiefer befindet sich der Knorpel hinten
zwischen dem Knochen und dem Pterygoideus internus mit dem Ner-
vus lingualis
an seiner innern und dem Nervus mylohyoideus an sei-
ner äussern Seite, während der Maxillaris inferior gerade über ihm
seine Lage hat. Weiter nach vorn liegt der Meckel’sche Knorpel
hart am Ansatze des M. mylohyoideus, jedoch an der Aussen-
seite
des Muskels, so dass er mithin hier nur vom Biventer und der
Glandula submaxillaris bedeckt ist und eine verhältnissmässig ober-
flächliche Lage hat. Entfernt man den Paukenring und das Trommel-
fell, so gewahrt man, dass der Knorpel wie später der Processus Fo-
lianus
mit dem Hammer sich verbindet und mit ihm Eins ist (Fig. 99).


Hammer, Ambos.Dieser Fortsatz nun sowie der Hammer und Ambos sind, wie
Reichert sicherlich mit vollem Rechte lehrt, weitere Entwicklungen
des Unterkieferfortsatzes des ersten Kiemenbogens. Derselbe son-
dert sich beim Knorpeligwerden zuerst in zwei Stücke und dann
nehmen diese durch besondere Wachsthumserscheinungen nach und
nach die Formen des Hammers und des Amboses an, während der
vordere Theil des Bogens mit dem Hammer verbunden bleibt. Zu-
gleich kommen diese Gebilde durch einen noch nicht genau verfolg-
ten Vorgang in den Bereich der ersten Kiemenspalte oder der Pau-
kenhöhle zu liegen und setzen sich mit dem Steigbügel in Verbin-
dung. Die weitern Schicksale dieser Theile sind nun folgende.


Hammer und Ambos, anfangs ganz knorpelig, beginnen im 4.
Monate zu verknöchern und zeigen hierbei das Eigenthümliche, dass
sie in erster Linie vom Perioste aus ossificiren, wie diess übrigens
nach H. Müller’s Erfahrungen auch bei den Rippen gefunden wird,
so dass sie zu einer gewissen Zeit im Innern eine mit Knorpel er-
füllte Höhle zeigen. Im 5. Monate sind beide Knöchelchen ganz aus-

den Meckel’schen Knorpel deckt und dicht hinter sich den Eingang in die Tuba
Eustachii
zeigt. Ausserdem sieht man Ambos und Steigbügel sammt dem Pro-
montorium
, dahinter die knorpelige Pars mastoidea mit dem Proc. mastoideus
und dem langen gebogenen Pr. styloideus, zwischen beiden das Foramen stylo-
mastoideum
; ferner den M. styloglossus, darunter das Lig. stylohyoideum zum
Cornu minus ossis hyoidei, dessen Cornu majus auch deutlich ist, und den abge-
schnittenen M. stylo-hyoideus. Am Halse sind blosgelegt der N. hypoglossus,
die Carotis, der Vagus, einige Muskeln und der Kehlkopf zum Theil.


[217]Entwicklung des Knochensystems.
gebildet, dagegen verknöchert der Meckel’sche Fortsatz, geringe
Spuren von Kalkablagerungen abgerechnet, nie, erhält sich jedoch
während der ersten Hälfte des Fötallebens vollkommen gut und
schwindet nach Meckel erst im 8. Monate ganz, so dass von ihm
nichts als der lange Fortsatz des Hammers sich erhält.


An der Aussenseite des Meckel’schen Fortsatzes bildet sich
der Unterkiefer und steht dieser genau in demselben Verhält-Unterkiefer.
nisse zu ihm, wie die Deckknochen am Schädel zum Primordialcra-
nium. Von einem kleinen unscheinbaren Anfange an, der schon in
der zweiten Hälfte des zweiten Monates, mithin sehr früh, auftritt,
gestaltet sich derselbe bald zu einem länglichen, halbrinnenförmi-
gen, an der Aussenseite des Meckel’schen Fortsatzes gelegenen
Scherbchen, und wird schon im Anfange des dritten Monates grös-
ser als dieser, während zugleich seine verschiedenen Fortsätze sich
zu entwickeln beginnen. Nach Reichert soll übrigens zu der er-
wähnten äussern auch noch eine innere Lamelle dazu kommen, von
der ich, beim Menschen wenigstens, bisanhin nichts wahrzunehmen
im Stande war. Während des ganzen Embryonallebens besteht der
Unterkiefer aus zwei Hälften, die durch eine Art Synchondrose mit
einander vereint sind, doch verknöchert diese schon in den ersten
Monaten nach der Geburt. Bemerkenswerth ist auch, dass, obschon
der Unterkiefer nicht knorpelig vorgebildet ist, doch später am vor-
dern Ende, sowie am Gelenkkopfe, beim Kalbe auch am Winkel,
Knorpelbelege sich entwickeln und wie bei einem Röhrenknochen
das Längenwachsthum besorgen.


Der Oberkieferfortsatz des ersten Kiemenbogens lie-Gaumen- und
Flügelbeine.

fert, wie ich Ihnen schon früher bemerkte, die Gaumen- und Flü-
gelbeine
(Lamina interna Processus pterygoidei). Beide diese Kno-
chen entstehen, ohne knorpelig präformirt gewesen zu sein, nach
Art der Clavicula und der Deckknochen des Schädels am Ende
des zweiten Monates von je Einem Ossificationspuncte aus und be-
dürfen keiner detaillirteren Beschreibung.


Der Oberkiefer und das Wangenbein werden gewöhn-Oberkiefer,
Jochbein.

lich in ihren Beziehungen zum Oberkieferfortsatze dem Unter-
kiefer und Meckel’schen Knorpel verglichen, es ist jedoch unzwei-
felhaft, dass, wenn auch das Blastem, aus welchem die beiderlei
Knochen hervorgehen, dieselbe genetische Bedeutung hat, doch der
Oberkiefer in keiner so unmittelbaren Beziehung zum Gaumen- und
Flügelbeine steht, was in noch höherem Grade vom Wangenbeine
[218]Vierundzwanzigste Vorlesung.
gilt. Der Oberkiefer verknöchert am Ende des zweiten Monates.
Anfänglich sollen nach einigen Autoren mehrere Ossificationspuncte
vorhanden sein, es ist jedoch sicher, dass schon im Anfange des
dritten Monates ein einziger zusammenhängender Knochen da ist,
welcher dann durch Periostablagerungen weiter wuchert. Das
Jochbein verknöchert ebenso wie der Oberkiefer und auf jeden
Fall nur von Einem Puncte aus.


Ich habe zur Vollendung der Entwicklungsgeschichte des Ge-
sichtsskelettes Ihnen nun noch die Schädelknochen vorzuführen,
welche am vordersten Ende desselben sich finden und an der Ge-
sichtsbildung Antheil nehmen. Da das Siebbein und die untere
Muschel, sowie die Nasenknorpel schon besprochen sind, so blei-
ben nur noch die Nasenbeine, Thränenbeine, Pflugschaar und die
Nasenbein,
Thränenbein.
Zwischenkiefer übrig. Die Nasenbeine und Thränenbeine,
die im Anfange des dritten Monates verknöchern, sind ächte Beleg-
Pflugschaar.knochen des Siebbeines. Dieselbe Stellung hat auch der Vomer
zur Nasenscheidewand, der im dritten Monate entsteht und anfäng-
Zwischenkiefer.lich die Form einer Halbrinne hat. Was die Zwischenkiefer
anlangt, so ist es immer noch nicht ganz ausgemacht, ob dieselben
beim Menschen als selbständige Knochen sich entwickeln, oder von
Anfang an Theile des Oberkiefers sind. Sicher ist, dass sie von der
Mitte des dritten Monates an mit dem Oberkiefer zusammenhängen,
ich glaube jedoch meinen Erfahrungen zufolge denen mich an-
schliessen zu sollen, welche diese Knochen als selbständige Gebilde
sich entwickeln lassen. Bei Embryonen von 10 Wochen fand ich
dieselben noch fast ganz von den Oberkiefern getrennt, mit Aus-
nahme einer kleinen Verbindung an der Gesichtsfläche. In der 11.
und 12. Woche ist die Verbindung hier inniger, dagegen immer noch
am Gaumentheile eine Spalte vorhanden, welche, wie längst be-
kannt, auch später noch in dieser Gegend sichtbar ist. Es möchte
demnach wahrscheinlich sein, dass die ersten Ossificationspuncte
für Oberkiefer und Zwischenkiefer gesondert auftreten, aber sehr
früh und zwar von aussen nach innen verschmelzen. Bei der dop-
pelten Hasenscharte mit Wolfsrachen bleibt wegen der mangelnden
Vereinigung der Oberkiefer- und innern Nasenfortsätze diese Verbin-
dung aus und spricht das selbständige Auftreten von Knochenstücken,
welche die Schneidezähne tragen, und der von der Nasenscheide-
wand getragene Stummel, wie leicht ersichtlich, sehr zu Gunsten
der ursprünglichen Selbständigkeit der fraglichen Knochen, welche
[219]Entwicklung des Knochensystems.
diesem zufolge am vordersten Ende des Septum narium ungefähr
dieselbe Stellung einnehmen würden, wie weiter hinten der Vomer.


Wir wollen nun schliesslich auch noch die Umwandlungen desUmbildungen
der hinteren
Kiemenbogen.

zweiten und der folgenden Kiemenbogen besprechen. Nicht blos
der erste, sondern auch alle folgenden Kiemenbogen gehören, wie
die Fig. 100, in welcher der erste Urwirbel, der dem Atlas ent-

Figure 100. Fig. 100.


spricht, hinter dem vier-
ten Bogen seine Lage hat,
deutlich lehrt, ursprüng-
lich zum Kopfe. Im wei-
teren Verlaufe, mit dem
Hervortreten des eigent-
lichen Gesichtes, rücken
jedoch die hinteren Kie-
menbogen immer mehr
an den Hals und hier liegt
dann auch der grössere
Theil der bleibenden Ge-
bilde, die aus diesen Bo-
gen hervorgehen, in wel-
cher Beziehung jedoch
nur der zweite und dritte
Bogen von Belang sind, indem der sogenannte vierte Bogen, der
jedoch nie so ausgeprägt ist, wie die andern, wenigstens in keine
knöchernen Theile sich umwandelt.


Der zweite Kiemenbogen ist in seinen UmwandlungenZweiter
Kiemenbogen.

ebenfalls vor Allem von Reichert genau verfolgt worden. Ursprüng-
lich mit der Schädelbasis in der Gegend des hinteren Keilbeines
verbunden, trennt er sich von dieser, sowie die Entwicklung der
knorpeligen Gehörkapsel beginnt, indem sein Anfangsstück ver-
schwindet. Der Rest sondert sich in bestimmter Weise in knorpe-
lige und weiche Theile. Das Anfangsstück wird zum SteigbügelSteigbügel.
und setzt sich mit dem Labyrinthe in Verbindung. So auffallend
diese Entwicklung des so sonderbar geformten Stapes aus einem

Fig. 100. Hundsembryo von unten und rechts gesehen mit nach links ge-
schlagenem Dottersack. Nach Bischoff. a vordere Extremität, b Allantois,
c erster Kiemenbogen (Unterkieferfortsatz), d zweiter Kiemenbogen, hinter dem
noch ein dritter und vierter sich finden, e Gehörbläschen. Ausserdem sieht
man 4 Kiemenspalten, das Herz, die Urnieren.


[220]Vierundzwanzigste Vorlesung.
Kiemenbogen auch sein mag, so kann doch nach den Mittheilungen
von Reichert und Rathke nicht der geringste Zweifel darüber be-
stehen, dass dieselbe wirklich in dieser Weise sich macht. Zudem
ist auch der Steigbügel bei manchen Geschöpfen zeitlebens ein un-
durchbohrtes stabförmiges Gebilde und vom Steigbügel der Menschen
und der Säugethiere ist diess, wie Reichert gezeigt hat und leicht
zu bestätigen ist, wenigstens für die frühesten Zeiten richtig. Erst
in zweiter Linie erhält der knorpelige Steigbügel durch Resorption
ein kleines Loch und nimmt dann nach und nach seine typische
Form an. Der Stapes ossificirt später als die andern Ossicula audi-
tus
und zwar nach Rathke mit 3 Kernen. Das folgende nicht verknor-
Musculus
stapedius
.
pelnde Stück des zweiten Bogens wird nach Reichert zum Musculus
stapedius
. Dann kommt ein langes Knorpelstück, das mit der Pars
mastoidea
des Primordialschädels verschmilzt und wenn es ossificirt,
Eminentia
papillaris.
Processus
styloideus
.
die Eminentia papillaris an der hintern Wand der Paukenhöhle
und den Processus styloideus liefert. Das vorderste unterste
Stück endlich, das mit dem der andern Seite nie verschmilzt, ver-
Cornu minus
ossis hyoidei.
Lig. stylo-hyoi-
deum
.
knorpelt zum Theil und bildet das Cornu minus ossis hyoidei,
zum Theil gestaltet sich dasselbe zum Lig. stylo – hyoideum,
das an dieses kleine Horn geht (Fig. 101).


Dritter Kiemen-
bogen.

Corpus ossis
hyoidei, Cornua
majora
.

Figure 101. Fig. 101.

Der dritte Kie-
menbogen
wird nur
in seinen vordersten
vereinigten Theilen
knorpelig und gestal-
tet sich zum Zun-
genbeinkörper

und zu den grossen
Hörnern
, welche
Theile im knorpeligen
Zustande Eins aus-
machen, bei der Ver-
knöcherung dagegen,
die erst im 8. Monate
eintritt, drei Kerne
für die bekannten drei
Theile erhalten.


Fig. 101. Kopf und Hals eines menschlichen Embryo aus dem 5. Monate
von circa 18 Wochen) vergrössert. Erklärung siehe auf Seite 215.


[221]Entwicklung des Knochensystems.

Zur Vervollständigung der Schilderungen über die Entwick-Extremitäten.
lung des Knochensystems habe ich Ihnen nun noch über die Extre-
mitäten
zu berichten. Was die äussere Erscheinung der GliederAeussere Gestalt
derselben.

anlangt, so wissen Sie aus Früherem (siehe Vorl. XI, XVII), dass die-
selben, beim Menschen in der 4. Woche, uranfänglich in der Gestalt
kleiner einfacher Stummelchen auftreten, welche aus den dem Rü-
cken am nächsten gelegenen Theilen der Seitenplatten sich hervor-
bilden, und ebenso habe ich Ihnen auch schon mitgetheilt, dass die
obere Extremität früher erscheint, als die untere. In weiterer Ent-
wicklung sondert sich schon in der 5. Woche jede Gliedmaasse zu-
nächst in zwei Abtheilungen, von denen die äussere mehr verbrei-
terte oder schaufelförmige der Hand und dem Fuss, die andere
mehr cylindrische oder stielartige den zwei ersten Abschnitten der-
selben entspricht (Fig. 95). Dann treten, zuerst an der Hand und
dann auch am Fusse, ungefähr in der 7. Woche, vier schwache Ein-
schnitte auf, welche die ersten Anlagen der Finger und Zehen be-
zeichnen, und während diese mehr sich ausbilden, wird etwa in der
8. Woche auch die Trennung der beiden ersten Gliederabschnitte
deutlich, so dass am Ende des 2. Monates äusserlich alle Hauptab-
schnitte angelegt sind, wobei jedoch noch das zu bemerken ist, dass
um diese Zeit beide Extremitäten einander noch sehr ähnlich sehen
und die Unterschiede erst im 3. Monate mit der weiter fortschreiten-
den Entwicklung derselben ganz bezeichnend auftreten.


Eine weitere Schilderung der äusseren Form der Glieder wer-
den Sie mir wohl erlassen und wende ich mich daher gleich zur
Besprechung der Hartgebilde derselben. Wie Sie aus Früherem
haben entnehmen können (St. 68, 69), so ist es auch der neueren
Entwicklungsgeschichte noch nicht gelungen, genau nachzuweisen,
woher das Blastem stammt, aus dem die Knochen und Muskeln
der Extremitäten ihren Ursprung nehmen, und ist namentlich die
Frage noch ganz unerledigt, ob und welchen Antheil die Urwirbel
an der Bildung derselben haben. Die Möglichkeit, dass alle Theile
des Extremitätenskelettes aus den Urwirbeln hervorgehen, ist nicht
zu läugnen, auf der andern Seite ist es aber auch ebensogut ge-
denkbar, dass die Seitenplatten resp. die Hautplatten es sind,
welche ebenso wie die Haut der Glieder, so auch die innern Theile
mit Ausnahme der Nerven liefern. Würdigt man beide Fälle unbe-
fangen, so erscheint es am wahrscheinlichsten, dass die eigentliche
Extremität, vom Oberarm und Oberschenkel an, sammt ihren Mus-
[222]Vierundzwanzigste Vorlesung.
keln den Hautplatten ihren Ursprung verdankt, und in loco sich
bildet, was dagegen die Extremitätengürtel (Scapula, clavicula,
Hüftbein) sammt den betreffenden Muskeln anlangt, so wage ich
nicht mit Bestimmtheit zu entscheiden, ob dieselben an Ort und
Stelle, mithin aus den Urwirbeln und der Hautplatte der seitlichen
und vorderen Leibeswand, sich anlegen, oder von der Gegend des
Extremitätenstummels aus in die betreffenden Orte hineinwachsen,
immerhin muss ich bemerken, dass bisanhin Niemand von einem
solchen Hereinwachsen irgend etwas beobachtet hat, und dass es
mir daher zusagender erscheint, anzunehmen, dass auch diese Theile
da sich bilden, wo man sie später findet. Bei dieser Auffassung
hätten wir somit z. B. uns vorzustellen, dass die Scapula sammt den
Muskeln derselben (Cucullaris, Latissimus, Rhomboidei etc.) aus dem
äussern Theile der Muskelplatten des Rückens, die, wie Sie wissen,
Theile der Urwirbel sind, sich hervorbilden, sowie dass die Clavi-
cula
sammt den Pectorales und Subclavii in der Hautplatte der Brust
nach aussen von den Rippen und ihren Muskeln entstehen.


Eine weitere Besprechung dieser schwierigen Frage kann beim
Mangel von bestimmten Thatsachen unmöglich von Nutzen sein und
führe ich Sie daher lieber gleich auf das bekannte Gebiet der Ent-
wicklung der Extremitätenknochen von der Zeit an, wo ihre erste
Anlage einmal gegeben ist. Alle Extremitätenknochen, mit einziger
Ausnahme des Schlüsselbeins, zeigen dieselben drei Zustände, die
Sie schon von der Wirbelsäule und dem Schädel kennen gelernt
haben. Schon im ersten Stadium, in welchem die betreffenden
Theile aus weicherem Blasteme mit mehr indifferenten Zellen bestehen,
lässt sich eine bestimmte Begrenzung an denselben erkennen, doch
wird die eigenthümliche Gestalt der einzelnen Stücke allerdings
erst dann recht deutlich, wenn dieselben in den knorpeligen Zu-
stand übergehen, was am Ende des 2. Monates und im Anfange des
3. geschieht. Der letzte oder knöcherne Zustand tritt in dersel-
ben Weise ein, wie bei allen knorpelig vorgebildeten Knochen, zeigt
jedoch mit Bezug auf die Zahl der Ossificationspuncte und die Zeit
ihrer Erscheinung Verschiedenheiten, die wir noch im Einzelnen
kurz durchgehen wollen.


Knochen der
obern Extremität.
Schlüsselbein.
Von den Knochen der obern Extremität zeigt das Schlüs-
selbein
sehr bemerkenswerthe Verhältnisse, indem dasselbe nach
der Entdeckung von C. Bruch nicht knorpelig und auch nicht im
weichen Zustande vorgebildet ist, vielmehr nach Art der Deckkno-
[223]Entwicklung des Knochensystems.
chen des Schädels von einem kleinen weichen Anfange aus gleich
in den knöchernen Zustand übergeht. Erwähnenswerth ist auch
das frühe Auftreten dieses Knochens, das in die 7. Woche fällt, so-
wie dass derselbe rasch eine relativ sehr bedeutende Grösse erreicht
und nach Meckel im 2. Monate den Oberschenkel um das Vierfache
an Länge übertrifft. Wie beim Unterkiefer treten übrigens auch
am Schlüsselbeine später knorpelige Epiphysen auf, von denen die
sternale zwischen dem 15.—18. Jahre einen Knochenpunct in sich
entwickelt, die erst am Ende der Wachsthumsperiode zwischen dem
22. und 25. Jahre mit dem Hauptstücke verwächst.


Das Schulterblatt verknöchert im Anfange des 3. MonatesSchulterblatt.
mit einem mittleren Kern, der nach und nach über den ganzen Knor-
pel sich ausdehnt mit Ausnahme des hintern Randes, des Processus
coracoideus
, der Cavitas glenoidea und des Acromion, die noch beim
Neugebornen knorplig sind und wie Apophysen eines Röhrenkno-
chens beim weiteren Wachsthume sich betheiligen. Im ersten Jahre
erhält der Processus coracoideus einen besonderen Knochenkern, an-
dere Kerne erscheinen erst zur Zeit der Pubertät im Acromion, am
untern Winkel, und ein streifenförmiger am ganzen hinteren Rande,
welche erst am Ende des Wachsthums mit dem Körper verschmelzen.


Das Oberarmbein ossificirt in der 8. oder 9. Woche in derOberarmbein.
Diaphyse. Bei der Geburt sind die beiden Apophysen noch voll-
kommen knorpelig, die Diaphyse verknöchert. Im ersten Jahre bil-
den sich dann zuerst zwei Kerne in der untern Apophyse und zwar
einer in der Eminentia capitata und einer in der Trochlea, einige Mo-
nate später tritt dann auch im Kopfe ein Ossificationspunct auf.
Ausserdem erscheinen noch am Anfange des zweiten Jahres ein Kern
im Tuberculum majus, zwischen dem zweiten und dritten einer im
Tuberculum minus und noch etwas später je einer in den Condylen,
von welchen Kernen die obern früher als die untern mit dem Haupt-
epiphysenkerne sich verbinden. Zwischen dem 16. und 20. Jahre
verwachsen die Epiphysen mit der Diaphyse, und zwar die untern
früher als die obern.


Die Vorderarmknochen sollen nach ältern Angaben, vonVorderarm-
knochen.

deren Richtigkeit ich jedoch mich nicht habe überzeugen können,
ursprünglich nur Eine Knorpelmasse bilden, die nachträglich in zwei
sich sondere. Die Verknöcherung beginnt in beiden Knochen zwi-
schen dem 2. und 3. Monate, doch bleiben die Enden auch nach der
Geburt noch lange knorpelig. Der Radius erhält nach Arnold am
[224]Vierundzwanzigste Vorlesung.
Ende des 2. Jahres einen Kern in der untern und gegen das 7. Jahr
einen in der obern Epiphyse. Bei der Ulna zeigt sich im 6. Jahre
ein Knochenpunct im untern Knorpel und drei im obern. Zwischen
dem 18. und 22. Jahre verschmelzen dann die Epiphysen mit der
Diaphyse und zwar die oberen zuerst.


Handwurzel-
knochen.
Die knorpeligen Handwurzelstücke werden im 3. Monate
erst deutlich und bleiben in der Regel knorpelig bis zur Geburt,
doch kann im Os hamatum und Os capitatum die Ossification schon
vor derselben auftreten, welche auf jeden Fall bald nach derselben
verknöchern. Im 5.—6. Jahre verknöchern das naviculare, luna-
tum
und triquetrum, etwas später die übrigen.


Mittelhand-
knochen.
Die Ossametacarpi verknöchern in den Diaphysen schon im
3. Monate, so dass bei der Geburt nur noch die Köpfchen des 2.—5.
und das hintere Ende des 1. knorpelig sind, in denen dann im 2.
Jahre besondere Kerne auftreten, die gegen das 20. Jahr mit der
Diaphyse verschmelzen.


Fingerglieder.Die Phalangen verknöchern am Ende des 3. Monates, zuerst die
erste und zuletzt die 3. Reihe. Im 5. Jahre nach der Geburt ent-
stehen Epiphysenkerne in den hintern (obern) Enden aller Phalan-
gen, die erst nach der Pubertät mit den Diaphysen sich vereinen.


Knochen
der untern
Extremität.
Hüftbein.
Von den Knochen der untern Extremität hat das
Hüftbein als Vorläufer einen zusammenhängenden Knorpel von
derselben Gestalt. Die Verknöcherung beginnt mit 3 Puncten, einem
im Darmbeine im 3. Monate und einem im Sitzbeine, im Ramus des-
cendens
, im 5. Monate, und einem im horizontalen Aste des Scham-
beines, der zwischen dem 6. und 7. Monate auftritt. Beim Neuge-
bornen sind noch knorpelig der Darmbeinkamm, die Pfannengegend,
wo die 3 Stücke zusammenstossen, der absteigende Schambein- und
der aufsteigende Sitzbeinast, sowie der Sitzbeinhöcker. Etwa im
7. Jahre verbinden sich Schambein und Sitzbein mit einander, da-
gegen sind die drei Stücke in der Pfanne bis zur Pubertätszeit durch
einen Y förmigen Knorpel geschieden, in dem jedoch schon früher
einer oder mehrere unregelmässige Ossificationspuncte entstehen.
Accessorische Knochenkerne und Streifen entstehen zwischen dem
8. und 14. Jahre im Darmbeinkamme, im Höcker des Sitzbeines,
sowie im Tuberculum pubis, die erst ums 20. Jahr mit den grössern
Knochen verschmelzen.


Oberschenkel.Der Oberschenkel erhält seinen Diaphysenkern am Ende
des 2. Monates und verknöchert mit seinem Mittelstücke bald ganz.
[225]Entwicklung des Knochensystems.
Am Ende der Fötalperiode zeigt sich ein Kern in der untern Apophyse
und bald nach der Geburt einer im Kopfe. Dazu kommen dann noch
im 3.—4. Jahre ein Kern im Trochanter major und im 13. Jahre einer
im Trochanter minor. Die Epiphysen verschmelzen gegen das 18.—20.
Jahr mit der Diaphyse und zwar die untere zuerst. Beachten Sie,

Figure 102. Fig. 102.


mit Bezug auf die Bestimmung des Alters von
älteren Embryonen, den Kern in der untern
Apophyse, der sehr constant im letzten
Schwangerschaftsmonate auftritt und bei
einem vollkommen ausgetragenen Kinde 2—
2½‴ Durchmesser besitzt. Die nebenstehende
Figur zeigt Ihnen diesen Kern in einer etwas
späteren Zeit, ist aber zur Orientirung voll-
kommen brauchbar.


Die Unterschenkelknochen ver-Schienbein.
Wadenbein.

knöchern von der Mitte aus im Anfange des 3.
Monates. Die Enden sind bei der Geburt noch
knorpelig und erhalten ihre Kerne, von denen
die oberen zuerst auftreten, im ersten Jahre.
Im 18.—20. Jahre vereinen sich die Epiphy-
sen mit dem Mittelstücke, wobei die unteren
den oberen vorangehen.


Die Kniescheibe ist zwar schon frühKniescheibe.
sichtbar, verknöchert jedoch erst nach der
Geburt, zwischen dem 1.—7. Jahre, und er-
reicht ihre volle Ausbildung zur Zeit der Pu-
bertät.


Von den Fusswurzelknochen ver-Fusswurzel.
knöchern vor der Geburt meist nur Sprung-
und Fersenbein im 8. Monate, manchmal
auch das Würfelbein. Der Fersenhöcker erhält im 8.—10. Jahre einen
besondern Kern, der erst spät mit dem Hauptknochen verschmilzt.


Mittelfussknochen und Zehenglieder verhalten sich im
Allgemeinen wie die entsprechenden Knochen der Hand, nur dass
ihre Kerne meist etwas später erscheinen.


Fig. 102. Oberschenkel eines 2 Wochen alten Kindes senkrecht durchge-
sägt; natürliche Grösse. a Substantia compacta der Diaphyse; b Markhöhle; c
Substantia spongiosa
der Diaphyse; d knorpelige Epiphysen mit Gefässkanälen;
e Knochenkern in der unteren Epiphyse.


Kölliker
[[226]]

Fünfundzwanzigste Vorlesung.


II. Entwicklung des Nervensystems.


Entwicklung des
Gehirns.
Wir kommen heute, meine Herren, zur Entwicklungsgeschichte
des Nervensystems und wollen wir mit derjenigen des Gehirns
Hirnblasen.

Figure 103. Fig. 103.


den Anfang machen. Sie wissen aus früheren
Vorlesungen, dass das centrale Nervensystem
in Gestalt einer langen, mässig breiten Platte,
der Medullarplatte, sich anlegt, welche mit dem
Hornblatte ununterbrochen zusammenhängt und
in zweiter Linie zu einem Halbkanale sich um-
wandelt, dessen nach oben offene Rinne die
Rückenfurche genannt wird (Fig. 17 St. 47).
Der Verschluss dieser Rinne ist schon bespro-
chen worden und ebenso auch die allerersten
Entwicklungszustände des Gehirns und Rücken-
marks (St. 48, 78). Während die Rückenfurche
am Kopftheile sich schliesst, ja bei gewissen
Säugern, wie beim Hunde, nach Bischoff schon
vorher (Fig. 104), bildet sich hier zunächst
ganz vorn eine Erweiterung (Fig. 103), hinter
welcher dann bald noch zwei andere auftreten,
so dass dann drei Abschnitte, die vordere,
mittlere und hintere Hirnblase, deutlich zu un-
terscheiden sind (Fig. 104). In weiterer Ent-
wicklung gehen aus diesen drei ursprünglichen

Fig. 103. Hühnerembryo vom Ende des ersten Tages in der Bauchlage,
etwa 45mal vergr. Nach Remak; hb Anlage des Vorderhirns oder blasenförmige
vorn bei o noch offene Auftreibung am vordern Ende des Medullarrohres, x
Stelle, von wo an das Medullarrohr noch offen, die Rückenfurche noch nicht


[227]Entwicklung des Nervensystems.
Abtheilungen fünf hervor, für welche v. Baer zuerst treffende Be-
zeichnungen gewählt hat (Entw. II, St. 107). Die erste Blase näm-

Figure 104. Fig. 104.


lich sondert sich in einen grösseren vorderen
Abschnitt und in einen kleineren hinteren
Theil, welche das Vorderhirn und das
Zwischenhirn heissen (Fig. 105 v, z). Die
zweite Abtheilung, das Mittelhirn (Fig.
105 m), bleibt als ein einfacher, ursprüng-
lich ziemlich grosser Theil des Gehirns be-
stehen, die dritte Blase dagegen zerfällt wie-
derum in zwei Theile, einen vorderen, der
den Namen Hinterhirn führt, und einen
hinteren, der Nachhirn heisst (Fig. 105 h, n).
Die wesentlichsten Vorgänge, die die Fünf-
theilung der ursprünglichen drei Blasen, die
auch Vorderhirn, Mittelhirn und Nach-
hirn
im weiteren Sinne bezeichnet werden,
bedingen, sind, wie schon v. Baer gezeigt hat, folgende. An der drit-
ten Abtheilung, an welcher nach der allgemeinen Annahme, die je-

Figure 105. Fig. 105.


doch, wie wir später sehen wer-
den, vielleicht nicht richtig ist,
der primitive Zustand der Halb-
rinne sich erhält und später zur
Bildung der Rautengrube, Fovea
rhomboidalis
, führt, bilden sich
als vordere Begrenzung der brei-

geschlossen ist, mp die in Erhebung begriffenen Seitentheile der Medullar-
platte, z die Erweiterung der Rückenfurche in dieser Gegend, sh die Schlund-
höhle, y Grenze zwischen dieser und dem Vorderdarm vd, bezeichnet durch
den Umschlagsrand der Kopfscheide. Die hintere Grenze des Vorderdarms oder
der gesammten Kopfdarmhöhle wird bezeichnet durch den Umschlagsrand der
Kopfkappe (vergl. Fig. 23). Die Umrisse des Embryo oder die Ränder der Sei-
tenplatten sind zu stark markirt.


Fig. 104. Embryonalanlage eines Hundeeies, etwa 10mal vergrössert. Nach
Bischoff. Erklärung s. S. 78.


Fig. 105. Centralnervensystem eines menschlichen Embryo von 8‴ Länge
(7. Woche). 1. Ansicht des Embryo von hinten mit blosgelegtem Hirn und
Mark und den neben demselben gelegenen Spinalganglien. 2. Ansicht des Ge-
hirns und obern Theiles des Rückenmarks von der Seite. 3. Ansicht des Ge-
hirns von oben. v Vorderhirn, z Zwischenhirn, m Mittelhirn, h Hinterhirn, n
Nachhirn, z′ vorderes unteres Ende des Zwischenhirns, wo später das Tuber
cinereum
liegt. Die rundliche Stelle davor ist der Sehnerv.


15*
[228]Fünfundzwanzigste Vorlesung.
ten Spalte von beiden Seiten zwei Wülste einander entgegen, welche,
indem sie dann unter einander verschmelzen, die Anlagen des klei-
nen Gehirns darstellen und die Gegend bezeichnen, die Hinterhirn
heisst. An der ersten Hirnblase ferner sieht man sehr früh die pri-
mitiven Augenblasen sich bilden, welche Anfangs an den vordern
Seitentheilen derselben ihre Lage haben. Nach und nach schnüren
sich diese Blasen ab, während zugleich der zwischen beiden Aus-
stülpungen gelegene Theil der ersten Hirnblase weiter nach vorn
und oben sich entwickelt, so dass die primitiven Augenblasen all-
mälig mehr nach unten und hinten zu liegen kommen. Der Theil der
ersten Hirnblase, mit welchem dieselben zusammenhängen, rückt so
ebenfalls immer mehr nach hinten und da derselbe auch nicht so
rasch sich entwickelt, wie der nach vorn sich anbildende Theil der-
selben, so lassen sich bald zwei Abtheilungen dieser Blase unter-
scheiden, von denen der erste das Vorderhirn und der mit den
Augenblasen verbundene das Zwischenhirn heisst.


Krümmungen des
Gehirns.
Das primitive Gehirn liegt anfänglich mit allen seinen Theilen
in einer Ebene, sehr bald aber beginnt dasselbe sich zu krümmen,
so dass es wie mehrmals beinahe rechtwinklig gebogen erscheint.
Betrachtet man ein Gehirn aus diesem oder aus späteren Stadien in
einer seitlichen Ansicht (Fig. 105), so findet man eine erste Krüm-
mung am Uebergange des Rückenmarks in die Medulla oblongata,
Nackenkrüm-
mung.
die Nackenkrümmung des Gehirns. Eine zweite noch be-
trächtlichere Biegung findet sich am Hinterhirn, da wo Hinterhirn
und Nachhirn in einander übergehen, und zwar genau in der Ge-
gend, wo später der Pons Varoli entsteht; ich heisse dieselbe die
Brückenkrüm-
mung.
Brückenkrümmung. Der vordere Schenkel dieser Krümmung
führt dann bis zum Mittelhirn, welches zu einer gewissen Zeit (s.
Fig. 60 und 62) den erhabensten Theil des ganzen Gehirns dar-
Scheitelkrüm-
mung.
stellt. Am Mittelhirn beginnt dann eine letzte oder die Scheitel-
krümmung
, indem Zwischenhirn und Vorderhirn wiederum un-
ter nahezu einem rechten Winkel zum Mittelhirn und Hinterhirn ge-
stellt und mit ihrer Längsaxe nach unten gerichtet sind. Die Figuren
60 und 106 zeigen Ihnen, dass diese Krümmungen einigermaassen
den Biegungen entsprechen, welche der Leib des jungen Embryo
macht, indem wenigstens der Nackenhöcker, an der Uebergangsstelle
von Rumpf und Kopf, und die vordere Kopfkrümmung, die auch der
Scheitelhöcker heisst (St. 116), auch am centralen Nervensysteme
sich bemerklich machen, allein dieses hat noch eine Biegung, von
[229]Entwicklung des Nervensystems.
welcher der Kopf nichts zeigt und diese ist die mittlere Krümmung
zwischen Hinterhirn und Mittelhirn.


Figure 106. Fig. 106.

Es ist nicht leicht zu sagen,Ursachen der
Krümmungen.

was die Ursache der Krüm-
mungen des centralen Nerven-
systems ist. Meiner Meinung zu-
folge erklärt sich ein Theil der
Krümmungen, und zwar die
Nackenkrümmung und die Schei-
telkrümmung, wie diess Rathke
zuerst richtig angegeben hat
(Entw. d. Natter St. 25, 34 und
35), aus dem in frühen Zeiten
alle andern Theile übertreffen-
den Längenwachsthume des cen-
tralen Nervensystems und ist es
dieses Wachsthum, welches auch die zwei Biegungen des vorderen
Leibesendes, die durch den Scheitel- und Nackenhöcker bezeichnet
werden, veranlasst. Dass die Biegungen gerade an diesen zwei Stel-
len eintreten, erklärt Rathke treffend aus dem Umstande, dass die
Axe des Skelettes an der Grenze zwischen Wirbelsäule und Schädel
und an der Schädelbasis da, wo die Chorda aufhört und die Schädel-
balken beginnen, am nachgiebigsten sei. Wird nun auch in dieser
Weise die Krümmung von Kopf und Hirn im Allgemeinen ganz gut
erklärt, so genügt das Aufgestellte doch nicht, um die eigenthüm-
liche Gestalt der letzteren im Einzelnen begreiflich zu machen. Wir
finden nämlich, dass, während die Schädelbasis und der Schädel
selbst eigentlich nur Eine Krümmung macht, die aussen durch den
Scheitelhöcker und innen durch den Vorsprung der Sattellehne sich
kundgibt, eine Biegung, die Reichert als »Gesichtskopfbeuge« be-
zeichnet hat, das Gehirn zwei Krümmungen darbietet, von denen
die eine, die Brückenkrümmung, am Schädel vollkommen fehlt und
die andere, die Scheitelkrümmung, am Gehirn wenigstens viel aus-

Fig. 106. Menschlicher Embryo der vierten Woche nach einer nicht edirten
Zeichnung von Thomson vergr. dargestellt. a Amnios, das am Rücken in einer ge-
wissen Ausdehnung entfernt ist, b Dottersack, b′ Dottergang, c Unterkieferfort-
satz des ersten Kiemenbogens, d Oberkieferfortsatz desselben, e, e′ e″ zweiter
bis vierter Kiemenbogen, f primitives Ohrbläschen, g Auge, h vordere, i hin-
tere Extremität, k Nabelstrang mit kurzer Amniosscheide, l Herz, m Leber.


[230]Fünfundzwanzigste Vorlesung.
geprägter ist, als an der Schädelbasis, indem die Concavität dersel-
ben hoch über der anfänglich sehr wenig ausgesprochenen Sattel-
lehne steht. Es muss daher noch ein besonderes Moment bei der
Gestaltung des Gehirns im Spiele sein. Entweder leistet der Schädel
bei fortdauerndem Längenwachsthum des Gehirns einen schliesslich
nicht mehr zu überwindenden Widerstand und krümmt sich daher
das Gehirn selbständig weiter oder es bilden sich in der Schädel-
höhle selbst gewisse Theile aus, welche einer einfachen Fortsetzung
der Krümmung in den zwei zuerst auftretenden Hauptrichtungen
sich entgegenstemmen. Eine Entscheidung zwischen diesen beiden
Möglichkeiten ist schwer zu geben, doch will ich mir erlauben, Ihre
Aufmerksamkeit auf ein Gebilde zu lenken, das in dieser Beziehung
Tentorium
cerebelli
.
vielleicht sehr maassgebend ist, nämlich auf das Tentorium cere-
belli
, welches schon bei ganz jungen Embryonen, wenn auch in
anderer Richtung und Lagerung als später, angelegt ist. Es erstreckt
sich nämlich (Fig. 93) von der Schädelbasis in der Gegend der kaum
angedeuteten Sattellehne ein häutiger Fortsatz, den Sie als der Dura
mater
angehörig betrachten können, aufwärts bis an die untere
Fläche des Mittelhirns und weicht dann in zwei Schenkel aus ein-
ander, welche das Mittelhirn umfassen. Es scheint mir nun, dass
durch die frühe Entwicklung dieser Scheidewand, welche offenbar
das Tentorium in einem frühen Stadium ist, die Krümmung am Pons
und auch die starke Einkeilung in der Gegend des Mittelhirns be-
wirkt wird. Das grosse Längenwachsthum des Gehirns wird auch
bei dieser Auffassung als die Hauptursache der Verlängerung der
Hirnaxe angesehen, jedoch angenommen, dass das vom sich ent-
wickelnden Tentorium gesetzte Hinderniss derselben eine besondere
Richtung aufpräge.


Das Tentorium cerebelli stellt übrigens in diesem Stadium eine
fast senkrecht stehende Scheidewand durch die ganze Schädelhöhle
dar, die, ganz verschieden von später, an ihrem unteren Theile, der
an der Sella ansitzt, sehr breit und oben ganz schmal ist, mit an-
dern Worten, es ist dasselbe einem Diaphragma mit einem ganz ex-
centrisch oben sitzenden kleineren Loche zu vergleichen, wie die Fig.
93 Ihnen dies einigermaassen versinnlicht. Später entwickelt sich der
obere Theil immer mehr und rückt in Folge der Ausbildung der vor-
deren und mittleren Theile der Schädelhöhle weiter nach hinten, bis
endlich die bekannten Verhältnisse des späteren Kleinhirnzeltes da
sind. Zugleich ändert sich auch die Beziehung desselben zu den
[231]Entwicklung des Nervensystems.
Hirntheilen, denn während dasselbe früher an der Grenze zwischen
Mittelhirn und Zwischenhirn und dann zwischen Mittelhirn und Hin-
terhirn seine Lage hat, finden wir es später zwischen dem Vorder-
hirn und Hinterhirn, was einfach mit der grossen Entwicklung der
einen und dem Zurückbleiben der andern Abtheilungen in spätern
Zeiten zusammenhängt. — Ich darf Sie nun wohl auch noch daran
erinnern, dass, wie ich Ihnen schon früher bei Schilderung der Ent-
wicklung des Schädels mitgetheilt habe, das embryonale Tentorium
und Rathke’s mittlerer Schädelbalken meiner Auffassung zufolge
ein und dasselbe Gebilde sind und hat auch Rathke die Frage be-
sprochen, in wiefern der fragliche Balken auf die Krümmung des
Gehirns von Einfluss sei.


Ausser durch das Tentorium ist die Dura mater noch in einerFalx cerebri.
andern Beziehung auf die Gestaltung des embryonalen Gehirns von
Einfluss. Es bildet sich nämlich am Vorderhirne ebenfalls sehr früh
von derselben aus die Hirnsichel und mit der Bildung derselben
steht die Entwicklung der beiden Hemisphären dieses Hirntheiles im
innigsten Zusammenhang.


Bevor wir in der speciellen Betrachtung der HirnentwicklungUmwandlungen
der 5 Hirnblasen
im Allgem einen.

weiter gehen, will ich Ihnen zuerst noch die Bestimmung der fünf
embryonalen Hirnabschnitte angeben. Das Vorderhirn wird zu dem
grossen Gehirne mit Inbegriff der Corpora striata, des Corpus callo-
sum
und des Fornix, jedoch mit Ausnahme der Sehhügel und der
Theile am Boden des dritten Ventrikels, welche aus dem Zwischen-
hirne hervorgehen. Das Mittelhirn, anfangs ein sehr grosser Abschnitt,
tritt später ganz zurück und gestaltet sich zu nichts Anderem, als
zu den Vierhügeln. Das Hinterhirn wird, wie schon erwähnt, Cere-
bellum
und das Nachhirn Medulla oblongata.


Verfolgen wir nun die Schicksale der einzelnen Hirntheile ge-Vorderhirn.
nauer und beginnen wir zunächst mit dem Vorderhirne. Das Vor-
derhirn ist ursprünglich eine einfache Blase, welche mit dem Mittel-
hirne durch eine grosse Oeffnung in weiter Verbindung steht. Nach
der Theilung des Vorderhirns in das eigentliche Vorderhirn und in
das Zwischenhirn wuchert das erstere gleichzeitig mit der BildungBildung der
Hemisphären.

der Sichel in zwei Lappen, die Hemisphären, hervor, die an ihren
inneren einander zugewendeten Flächen mit einer länglichen, senk-
recht stehenden Spalte sich öffnen (Fig. 107, 1). Diese Spalte, die
natürlich, da das Vorderhirn ursprünglich eine ganz geschlossene
Blase darstellt, als eine nachträglich entstandene Bildung aufzufassen
[232]Fünfundzwanzigste Vorlesung.
ist, führt in das Innere der Höhle der Hemisphären und durch sie
entwickelt sich dann die Pia mater ins Innere hinein, um die Plexus

Figure 107. Fig. 107.


chorioidei der Seiten ventrikel
zu bilden, welche schon sehr
früh auftreten, und im dritten
Monate unverhältnissmässig
gross sind. Die Trennung des
Vorderhirns ist nach der Bil-
dung der Hemisphären und
der genannten Spalte so be-
deutend, dass die beiden
Hälften desselben nur noch
vor der Spalte in einer schma-
len Zone, die in der Fig. 107, 2
von d bis b reicht, zusam-
menhängen. Rückwärts stehen dieselben jedoch immer noch mit
dem Zwischenhirn in Verbindung und hier entwickelt sich dann der
vordere äussere Theil des Hirnstieles (Fig. 107, 1 c). Ebenso ist
ihre Höhle durch die Spalte mit der Höhle des Zwischenhirns in
Verbindung, indem dieselbe gewissermaassen an der Stelle des spä-
teren Foramen Monroi steht.


Das Weitere anlangend, so schildere ich Ihnen nun zunächst die
äusseren Veränderungen des grossen Hirns. Nur kurze Zeit liegen die
Hemisphären vor dem Zwischenhirn und findet man beim Menschen
schon im zweiten Monate, dass dieselben nach hinten und aussen
sich verlängern und einen Theil der Sehhügel oder des Zwischenhirns
bedecken (Fig. 108). Im dritten Monate ist der Sehhügel schon ganz
bedeckt, dagegen bleibt der Vierhügel oder das Mittelhirn längere Zeit
frei, wird jedoch im fünften Monate ebenfalls überragt, so jedoch,
dass derselbe in der Ansicht von hinten anfangs noch sichtbar ist
und erst im 6. Monate ganz sich verbirgt, um welche Zeit das grosse
Gehirn auch das Cerebellum überragt und zwar mehr, als diess spä-

Fig. 107. Vier halbschematische Ansichten der innern Fläche der Hemi-
sphären zur Darstellung der Entwicklung derselben nach Fr. Schmidt. 1. von
der 6. Woche, 2. von der 8. Woche, 3. von der 10. Woche. 4. von der 16.
Woche. a Fissura transversa cerebri, b Lamina terminalis, c Hirnstiel zwischen
Seh- und Streifenhügel, d oberes Ende der Verwachsungsstelle der Hemisphä-
ren, e Lobus inferior, i Stria cornea, n Bulbus olfactorius, ff′ Längsfurche, h Rand-
bogen, h′ äusserer Theil des Randbogens, h″ innerer Theil des Randbogens,
h‴ crus anterius fornicis und Septum, g Balken, k Commissura anterior.


[233]Entwicklung des Nervensystems.
ter der Fall ist. Das gesammte Wachsthum des Gehirns kann auch so
ausgedrückt werden, dass man sagt, es entwickle sich dasselbe

Figure 108. Fig. 108.


Figure 109. Fig. 109.


nach hinten und unten bogenförmig um den Sehhügel und Hirnstiel
herum, wie diess die Fig. 107 zeigt. Bei der oberflächlichen Betrach-
tung erscheint es, als ob der Hinter- und Unterlappen aus der ur-
sprünglichen Anlage des Vorderhirns ganz neu sich hervorbildeten,
es möchte jedoch der Wahrheit entsprechender sein, mit Dr. Schmidt
(Zeitschr. f. wissensch. Zool. Bd. XI) anzunehmen, dass schon bei
der ersten Anlage alle Theile der Hemisphären gegeben seien und
nur durch innere Massenzunahme nach und nach mit ihren einzelnen
Abschnitten mehr hervortreten. — Die Oberfläche anlangend, so
sind die Hemisphären anfänglich ganz glatt und bleiben so bis ans
Ende des zweiten Monates. Im dritten Monate entwickeln dieselbenPrimitive
Windungen.

Windungen und Furchen (Fig. 109), welche, von innen gesehen,
als starke Vorsprünge erscheinen und auf Faltungen der noch dün-
nen Wandungen der blasenförmigen Hemisphären beruhen. V. Baer
(Entw. II St. 217), Tiedemann (Entw. des Gehirns 1816 St. 153),
Bischoff (Entw. St. 176) sind der Ansicht, dass diese primitiven
Windungen in die bleibenden übergehen und dass diese überhaupt
durch Faltungen der ursprünglichen Hemisphärenblasen entstehen,
es ist jedoch leicht zu zeigen, dass die fraglichen Faltungen, die im
4. Monate ihre grösste Entwicklung erreichen, mit Ausnahme einiger
ganz bestimmter Züge, die noch besonders erwähnt werden sollen,
im 5. Monate wieder verschwinden, so dass im 6. Monate die Hirn-
oberfläche wieder vollkommen glatt ist (Fig. 110). Erst im 7. und

Fig. 108. Die Erklärung siehe auf St. 227.


Fig. 109. Gehirn eines 3monatlichen menschlichen Embryo von der Seite in
natürlicher Grösse. h Hemisphäre des grossen Hirns, an der schon alle Lappen
und breit und kurz auch die Fossa Sylvii deutlich ist. m Mittelhirn, e Cerebel-
lum, mo
Rest der Membrana obturatoria ventriculi IV, die als bogenförmige Leiste
vom kleinen Hirn auf die Medulla oblongata übergeht.


[234]Fünfundzwanzigste Vorlesung.
Bleibende
Windungen.
besonders vom 8. Monate an bilden sich die bleibenden Windungen
und zwar einfach durch Wucherungen der Oberfläche der nun schon
sehr dickwandigen Hemisphären, genau in derselben Weise, wie sie
Fossa Sylvii.

Figure 110. Fig. 110.


auch am kleinen Gehirne entstehen,
welches ja nie eine innere Höhle
enthält.


Was nun die besonderen, früh
auftretenden und nicht vergängli-
chen Furchen betrifft, so ist eine
erste solche die Furche, die zur
Bildung der Fossa Sylvii führt. Ihre
Entstehung hängt mit der Entwick-
lung des Unterlappens zusammen
und tritt dieselbe immer stärker
hervor, je mehr dieser sich ausbil-
det. Im 3. Monate ist die Sylvische
Spalte schon angedeutet, jedoch
ganz flach und breit (Fig. 109. 111). Ganz langsam bildet sich die-
selbe nun weiter aus, so dass sie im 6. Monate, wenn auch tiefer
und bestimmter ausgeprägt, doch immer noch weit offen ist (Fig.
110). Vom 7. Monate an entwickeln sich die Windungen der Insel
oder des Stammlappens in dem seitlichen Theile der breiten Furche,
welche mithin anfänglich ganz frei liegen und erst am Ende des Em-
bryonallebens durch Ausbildung des sogenannten Operculum von
oben her bedeckt werden.


Wichtige Furchen liegen ferner an der inneren Fläche der Hemi-
sphären, deren Verhältnisse Ihnen die von Herrn Dr. Schmidt aus
Kopenhagen gelieferten Schemata am klarsten versinnlichen, der
diese wichtige Gegend genauer als alle bisherigen Beobachter ver-
folgt hat. Die Vergleichung der Fig. 107 1—4 zeigt Ihnen, dass die
in die Hemisphärenblase führende, anfangs senkrecht stehende Spalte
mit der Entwicklung der Hemisphären nach hinten nach und nach
sich umbiegt und ebenfalls wie um den Hirnstiel sich herumkrümmt,
so dass sie immer mehr die Gestalt und Lage der grossen Querspalte
des Gehirns zwischen dem Sehhügel und Hirnstiel einerseits und
dem Gewölbe anderseits annimmt. Sehr früh nun tritt parallel dem

Fig. 110. Gehirn eines 6monatlichen menschlichen Embryo in natürlicher
Grösse. ol Bulbus olfactorius, fs Fossa Sylvii, c Cerebellum, p Pons Varoli, f Floc-
culus, o Oliva
.


[235]Entwicklung des Nervensystems.
oberen Rande dieser Spalte eine bogenförmige Furche (Fig. 107 e)Bogenfurche.
auf (Bogenfurche Arnold, Schmidt), welche eine bogenförmige Win-
dung, den Randbogen von Schmidt, abgrenzt, mit ihrem hinteren
stärkeren Theile in die Höhle der Hemisphäre vorspringt und das
Cornu ammonis bildet. Fast um dieselbe Zeit wie die Bogenfurche tritt
noch eine mehr der Länge nach verlaufende Furche auf (Fig. 107 ff),Längsfurche.
die in der Mitte die Bogenfurche berührt, vorn und hinten aber von
ihr sich entfernt. Der hintere Theil dieser Längsfurche bleibt erhal-
ten, und wandelt sich in die tiefe Furche um, welche die Zwickel,
Cuneus, am Hinterlappen von vorn her begrenzt, und die Convexität
des Calcar avis bedingt. Ebenso bleibt der mittlere Theil der Längs-
furche und stellt später mit der Bogenfurche die tiefe Furche über
dem mittleren Theile des Balkens dar.


Von den inneren Theilen des grossen Gehirns gedenke ich nunStreifenhügel.
zunächst des Streifenhügels. Derselbe erscheint am Ende des

Figure 111. Fig. 111.


zweiten Monates als eine kleine
längliche Erhabenheit am Boden
der Hemisphärenblase, die an-
fänglich ganz vor dem Sehhügel
liegt und einer Wucherung der
Wand der Hemisphäre ihren Ur-
sprung verdankt. Im dritten
Monate (Fig. 111) ist das Corpus
striatum
, wenn auch noch viel kleiner als der Sehhügel, doch an der
Aussenseite desselben gelegen, jedoch durch eine tiefe enge Spalte
von demselben getrennt. Eine noch engere aber weniger tiefe Spalte
scheidet das Gebilde auch von der äusseren Wand der Hemisphären-
blase, die übrigens hier dicker ist als an den übrigen Stellen und
sowohl nach aussen als nach innen leicht convex vorspringt. Die

Fig. 111. Gehirn eines 3monatlichen menschlichen Embryo in natürlicher
Grösse. 1. Von oben mit abgetragenen Hemisphären und geöffnetem Mittelhirn.
f Vorderer Theil des abgeschnittenen Randbogens des grossen Hirns; f′ hinterer
Theil des Randbogens, der einen Vorsprung nach innen, das Ammonshorn be-
dingt; c st Corpus striatum, davor eine stark nach innen vortretende Einbiegung
der Hemisphärenwand, die später vorgeht; th o Thalamus opticus. 2. Dasselbe
Gehirn von unten, to Tractus opticus noch querstehend; cm Corpora mamilla-
ria
, eine einfache Masse bildend, p Pons Varoli: mo Rest der Membrana obtura-
toria ventriculi
IV. Ausserdem sieht man noch das Tuber cinereum und die ab-
geschnittenen zwei Nervi optici und am Vorderlappen die beiden Bulbi und
Tractus olfactorii.


[236]Fünfundzwanzigste Vorlesung.
Gestalt anlangend, so ist der Streifenhügel schon jetzt vorn breit
und hinten verschmälert, doch zeigt derselbe am ersteren Orte
ganz vorn eine senkrechte Furche, durch welche der Kolben in zwei
Lappen getheilt wird, von denen der äussere steilere, welcher dem
späteren Kolben entspricht, gegen die Oeffnung des Riechkolbens
herabläuft, der andere gegen die unteren Theile des Sehhügels sich
zurückbiegt und an der Seitenwand desselben ganz vorn sich ver-
liert. Vom vierten Monate an wächst das Corpus striatum rasch, die
Spalten an seiner äusseren und inneren Seite gleichen sich aus und
die Verhältnisse gestalten sich bald, geringe Formabweichungen ab-
gerechnet, wie beim Erwachsenen.


Balken.

Figure 112. Fig. 112.

Figure 113. Fig. 113.

Das Gewölbe und der
Balken sind die Theile
des Cerebrum, die mit Be-
zug auf ihre Entwicklung
am meisten Schwierigkei-
ten darbieten. Ich ver-
weise Sie hier wiederum
vor Allem auf die in den
Figg. 112 und 113 gege-
benen halbschematischen
Ansichten und folge in der
Darstellung der Einzeln-
verhältnisse den Mitthei-
lungen von Dr. Schmidt,
die sich in Allem als voll-
kommen richtig bewäh-
ren. Was nun zunächst
den Balken betrifft, so
stehen sich mit Bezug auf
dessen Bildung mehrere
Ansichten gegenüber. Tie-
demann
lässt denselben
von den Hemisphären aus
durch Verwachsung der

Fig. 112. Siehe die Erklärung Fig. 107 S. 232.


Fig. 113. Innenfläche der rechten Hemisphäre des grossen Hirns eines
6monatlichen menschlichen Embryo, nach Schmidt, Buchstaben wie in Fig. 107.
l Gyrus cinguli, m Gyrus hippocampi.


[237]Entwicklung des Nervensystems.
Fasern des Stabkranzes sich bilden, während Bischoff annimmt,
dass derselbe aus der ursprünglichen Vereinigungsstelle der Halb-
kugeln hervorgehe und Arnold, auf dessen Darstellung der Ent-
wicklungsgeschichte im 2. Bande seiner Anatomie St. 1175—1355
ich Sie nachträglich noch aufmerksam mache, in einer mir nicht
verständlichen Weise dem Balken eine von den Hemisphären unab-
hängige und ganz selbständige Entwicklung zuschreibt. Schmidt’s
Untersuchungen lehren, dass Tiedemann im Wesentlichen Recht
hat und gestalten sich nach ihm die Verhältnisse in folgender
Weise.


Die Wandungen der Hemisphäre zeigen vom 3. Monate an deut-
lich zwei Schichten, eine äussere mit senkrechter Faserung, die spä-
ter zur grauen Substanz der Windungen sich gestaltet, und eine
innere mit horizontalem Faserverlauf, deren Elemente jedoch aller-
wärts in die der äusseren Lage sich umbiegen. Die Fasern der inneren
Schicht, welche später die Markmasse der Hemisphären darstellt,
convergiren schon im dritten Monate, bevor der Balken da ist, nach
zwei Puncten, nämlich einmal nach dem Hirnstiele, und stellen so
den sogenannten Stabkranz dar, und zweitens nach der Stelle, welche
unmittelbar über der Verbindungsstelle beider Hemisphären sich
befindet (d in Fig. 112, 1, 2, 3); diese letzte Faserung ist die erste
Andeutung der Balkenstrahlung. Unmittelbar über der Stelle, gegen
welche die Fasern der Balkenstrahlung convergiren, brechen nun
im vierten Monate, zu welcher Zeit der Balken zuerst erscheint, die
horizontalen Fasern durch die Rinde durch und verwachsen von bei-
den Seiten mit einander. Diess ist die erste Andeutung des Balkens,
der in seiner frühesten Form (s. Fig. 112, 4 g) ein ganz kleines, fast
cylindrisches Verbindungsstück darstellt, das im Randbogen unmit-
telbar über dem vordersten obersten Theile der Querspalte seine Lage
hat. Um die Stellung des Randbogens zum Balken noch genauer zu
bezeichnen, ist zu bemerken, dass der Bogen nach Schmidt mit Be-
zug auf seinen Bau in zwei Theile zerfällt, einen unteren (h″, h‴ in
Fig. 112, 4 und in Fig. 113), die Querspalte begrenzenden, der nur
aus horizontalen, von vorn nach hinten ziehenden Fasern besteht
und der Rindenschicht entbehrt, und einen oberen Theil (h h′ in
Fig. 112, 4 und in Fig. 113), der beide Schichten besitzt. Der Bal-
ken bricht nun gerade an der Grenze zwischen diesen beiden Schich-
ten durch und kommt bei seiner weiteren Ausbreitung nach hinten
der äussere Bogen an seine äussere Fläche zu liegen und wandelt
[238]Fünfundzwanzigste Vorlesung.
sich in die Stria alba Lancisi und die Stria obtecta des Balkens und
in die Fascia dentata des Ammonshorns um, während der innere
Gewölbe.Bogen mit longitudinaler Faserung das Gewölbe und die Scheide-
wand bildet. Der Fornix geht somit aus der oberen Begrenzung der
Querspalte der Hemisphäre hervor, wie diess schon von Arnold und
Retzius (Oppenheim’s Zeitschr. 1846. Aug.) erkannt worden ist. Der
vordere senkrechte Theil des Gewölbes ist, wie aus dem früher Be-
merkten hervorgeht und wie die Fig. 112, 2, 3 u. 4 deutlich lehren,
ursprünglich mit dem entsprechenden Theile der andern Seite ver-
wachsen und entwickelt sich aus dem an den primitiven Balken an-
grenzenden obersten Theile dieser Stelle der Körper des Gewölbes.
Weiter abwärts dagegen spalten sich die Theile und bilden sich dann
zu den Columnae fornicis und den beiden Hälften des Septum pelluci-
dum
um, dessen Höhle mithin keine primitive Bildung ist. Hier ent-
steht dann auch nicht durch Verwachsung, sondern durch histologi-
Commissura
anterior.
sche Differenzirung die Commissura anterior, die kurze Zeit vor dem
Balken deutlich wird. Septum pellucidum und Körper des Fornix,
anfänglich ganz klein, gewinnen mit der Entwicklung des Balkens
immer mehr an Ausdehnung, während zugleich die anfänglich ganz
oben liegenden Crura posteriora mehr nach hinten gedrängt werden
und ihre spätere Stelle einnehmen.


Wachsthum
des Balkens.
Von dem Balken habe ich Ihnen nun noch zu bemerken, dass
die verbreitete Ansicht, dass von demselben anfänglich nur das
Knie da sei und dann nachträglich erst die hinteren Theile sich bil-
den (Tiedemann, Arnold) nach Schmidt nicht richtig ist. Nach die-
sem Autor enthält schon der eben entstandene Balken, wie ihn die.
Fig. 112, 4 zeigt, die Elemente aller seiner Theile, und stellt das ge-
sammte Corpus callosum dar, wie unzweifelhaft daraus hervorgeht,
dass derselbe jetzt schon Fasern enthält, die in den Hinterlappen
und Unterlappen ausstrahlen. Richtig ist, dass der Balken vorzüg-
lich nach hinten an Länge gewinnt, diess geschieht jedoch nicht so,
dass an seinem hinteren Ende neue Elemente sich ansetzen, sondern
dadurch, dass zwischen seinen Fasern immer neue entstehen, die
wahrscheinlich von den Hemisphären aus in ihn sich hinein bilden,
oder selbständig in ihm entstehen. Uebrigens verlängert sich der
Balken auch nach vorn, wie am besten daraus hervorgeht, dass vom
Knie im vierten Monate noch nichts zu sehen ist. Erst im fünften
Monate wird dasselbe deutlich, in welcher Zeit das dünnere hin-
tere Ende eben die Sehhügel bedeckt, und im sechsten Monate ist der
[239]Entwicklung des Nervensystems.
Balken in seiner Erstreckung und sonst schon ziemlich so gebildet
wie später (Fig. 113).


Ich habe nun noch eines Gebildes zu gedenken, nämlich der
Stria cornea, welche nach Schmidt aus dem hinteren, später unteren
Begrenzungsrande der grossen Querspalte des Gehirns sich hervor-
bildet (i in Fig. 112, 1—4), gegen welche Auffassung wohl kaum
etwas Begründetes sich einwenden lässt.


[[240]]

Sechsundzwanzigste Vorlesung.


Wir gehen, meine Herren, in der Betrachtung der einzelnen
Theile des Hirns weiter.


Zwischenhirn.Der zweite Abschnitt des embryonalen Hirns, das Zwischen-
hirn
oder die Sehhügelblase ist ursprünglich eine hohle dünnwan-
dige Blase, in weiter Verbindung mit dem Mittelhirn und dem Vor-
derhirn. Im weiteren Verlauf verdickt sich die Wand von den unte-
ren seitlichen Theilen und von der Seitenwand her und spaltet sich
zugleich die Blase in der oberen Mittellinie. In der Fig. 108, welche
das Gehirn von einem etwa sieben Wochen alten Embryo darstellt,
war die Sehhügelblase noch ungespalten, in der Fig. 114 dagegen von
einem 3monatlichen Embryo sehen Sie dieselbe gespalten bis auf einen
kleinen Rest ganz hinten, aus welchem die Commissura posterior und
die Zirbel sich entwickelt, welche nach Tiedemann erst im vierten
Monate sich zu bilden beginnt, während ihre Stiele oder, genauer ge-

Figure 114. Fig. 114.


sagt, deren Verlängerungen an
den Sehhügeln nach vorn (Striae
medullares
) schon im 3. Monate
deutlich sind (Fig. 114). Wäh-
rend so die hintere Commissur
aus einem Theile der ursprüng-
lichen Decke des Zwischenhirns
sich hervorbildet, entsteht die
Commissura mollis durch eine Verwachsung der beiden Sehhügel
und zwar nach Schmidt schon am Ende des fünften Monates. Die Ge-
stalt anlangend, so sind die Sehhügel schon im dritten Monate ganz

Fig. 114. Die Erklärung siehe Fig. 111 S. 235.


[241]Entwicklung des Nervensystems.
massige Körper, vorn eher spitz und hinten breit (Fig. 111), die so
dicht an einander liegen, dass der obere Theil der zwischen ihnen
befindlichen Spalte oder des dritten Ventrikels ganz geschlossen ist.
Im vierten und fünften Monate nehmen sie dann nach und nach ihre
typische Gestalt an, worüber nichts weiter zu sagen ist.


Eine besondere Berücksichtigung verdient der Boden des Zwi-Boden des
Zwischenhirns.

schenhirns. Ursprünglich geschlossen erleidet derselbe nach den
Angaben von Schmidt ebenfalls eine Spaltung. Die Ränder der
Spalte laufen als zwei parallele Wälle allmälig an Höhe zunehmend
nach vorn, verbreitern sich dann und setzen sich in den untersten
hintersten Theil der Verwachsungsstelle der beiden Hemisphären
fort, die zur Lamina terminalis wird. Später legen sich die Ränder
der Spalte dicht an einander, ohne indess fester zu verwachsen, so
jedoch, dass vorn eine runde Oeffnung sich erhält, die zur Höhle des
Trichters wird. Dann verdickt sich der ganze Boden des dritten
Ventrikels und gestaltet sich zu den bekannten Theilen, über die ich
Ihnen noch im Einzelnen Folgendes zu sagen habe.


Die Corpora candicantia sind nach Tiedemann anfänglichCorpora
candicantia.

einfach und werden erst im siebenten Monate doppelt. Schmidt lässt
dieselben von Anfang an als zwei Erhebungen auftreten, was ich
vorläufig nicht unterstützen kann, indem ich beim 3monatlichen Em-
bryo nur Eine grössere Erhebung fand (Fig. 111). Das Tuber cine-Tuber cinereum.
reum ist um diese Zeit auch deutlich und durch ein ganz kurzes
Infundibulum mit der Hypophysis verbunden. Die Sehnerven gehenChiasma
n. opticorum.

bis zum Ende des zweiten Monates jeder für sich vom vorderen Ende
des Bodens des Zwischenhirns aus und zwar von einer deutlichen
hügelartigen Erhebung. Im dritten Monate entwickelt sich aus die-
ser das Chiasma und zugleich werden die Tractus optici deutlich, die
anfänglich ganz quer verlaufen (Fig. 111 to).


Die Entwicklung der Hypophysis Cerebri ist immer nochHypophysis.
in grosses Dunkel gehüllt. Rathke hatte früher (Müller’s Arch. 1838
St. 482 und Entwickl. d. Natter St. 81, 123 u. 132) angegeben, dass
der Hirnanhang aus einer Ausstülpung der Rachenhöhle durch die
Basis des Schädels hindurch sich bilde, in neuester Zeit erklärt er
aber in seiner Entwicklungsgeschichte der Schildkröten St. 29, dass
er seine frühere Behauptung fallen lasse. Die angeführte Stelle
scheint jedoch zu lehren, dass es mehr theoretische Gründe sind,
die ihn hierzu bewogen, als wirkliche Beobachtungen. Auf der an-
deren Seite hat Reichert kurze Zeit nach Rathke erklärt (Entwick-
Kölliker, Entwicklungsgeschichte. 16
[242]Sechsundzwanzigste Vorlesung.
lungsleben im Wirbelthierreich. St. 179), dass die Glandula pituita-
ria
aus dem vordersten Ende der Chorda dorsalis sich hervorbilde,
dagegen unterlassen, ausführlicher die Thatsachen vorzulegen, auf
welche er seine Behauptung gründet. Andere Angaben über die Bil-
dung der Hypophysis existiren nicht und habe auch ich zu bedauern,
Ihnen nichts ganz Bestimmtes sagen zu können. Sicher ist Eine That-
sache, die nämlich, dass bei jungen Embryonen in der That eine
Ausstülpung aus der Rachenhöhle gegen die Schädelbasis vorkommt,
wie diess Rathke zuerst beschrieben hat und auch jetzt noch fest-
hält. Ich kenne diese Ausstülpung vom Hühnchen, wo sie am vierten
Tage sehr deutlich ist und auch von Remak erwähnt und abgebildet
wird (Tab. V. Fig. 57, 5 und Erklärung dazu) und finde sie auch bei

Figure 115. Fig. 115.


menschlichen Embryonen der 4.—6. Woche, von
denen die Fig. 115 Ihnen dieselbe von unten zeigt.
Auf Durchschnitten sieht man, dass dieselbe ge-
rade auf den Türkensattel zugeht, so dass ihre
Axe in Einer Richtung mit der Sattellehne und
dem Tentorium cerebelli (dem mittleren Schädel-
balken Rathke’s) steht, jedoch etwas weniges vor
der Lehne sich befindet. Bei dem in Fig. 115 ab-
gebildeten Embryo war die Länge der Ausstülpung der Dicke des
Basilartheiles des Schädels, Anlagen der Hartgebilde und Hüllen des
Gehirns zusammengenommen, gleich und schien in der That die
Schädelbasis zu durchboren und noch deutlicher war diess bei einem
vier Wochen alten Embryo, bei dem die Ausstülpung in Gestalt eines
von vorn nach hinten comprimirten Säckchens entschieden in der
Schädelhöhle zu liegen schien. Es ist mir jedoch aus Mangel an
Material an ganz jungen Embryonen nicht gelungen, in dieser Be-
ziehung so vollständig ins Reine zu kommen als ich es wünschte
und möchte ich daher doch für einmal kein ganz bestimmtes Urtheil
abgeben. Eben so wenig kann ich Ihnen sagen, was aus dieser Aus-
stülpung wird. Hat dieselbe keine Beziehung zur Bildung der Hypo-
physis
, was mir noch nicht erwiesen scheint, so wäre vielleicht an
das von mir im Grunde des Pharynx aufgefundene tonsillenartige
Organ zu denken. Was die Ansicht von Reichert anlangt, so muss

Fig. 115. Kopf eines sechs Wochen alten menschlichen Embryo von vorn
und unten. u Stelle wo der Unterkiefer sass; o Oberkieferfortsatz des ersten
Kiemenbogens; an äusserer Nasenfortsatz; n Nasengrube; st Stirnfortsatz;
g Ausstülpung der Rachenschleimhaut.


[243]Entwicklung des Nervensystems.
ich bekennen, dass dieselbe von vornherein mir nicht zusagt, im-
merhin will ich Ihnen erwähnen, dass nach Remak, der übrigens
ebenfalls für Reichert’s Annahme nicht günstig gestimmt ist (Entw.
St. 44 Anm.) in der Hypophysis des Menschen und von Säugethieren
mitunter knorpelharte aus kleinen polyëdrischen kernlosen Zellen
zusammengesetzte Stückchen gefunden werden (Müller’s Archiv
4844, St. 517).


Das Mittelhirn erleidet keine so bedeutenden Veränderungen,Mittelhirn.
wie die bisher beschriebenen Hirntheile. Ursprünglich ein grosser
und ganz frei gelegener Hirntheil (Fig. 105) wird derselbe, wie ich
Ihnen schon früher angab, allmälig vom grossen Hirne bedeckt,

Figure 116. Fig. 116.


während er zugleich im Wachsthume weniger
fortschreitet und nach und nach zu einem un-
tergeordneten Gebilde zurücksinkt. Mittlerweile
verengert sich auch die Höhle der Blase durch
Wucherung ihrer Wandungen, so dass am Ende
nur noch der Aquaeductus Sylvii als Rest der-
selben übrig bleibt. Die Oberfläche ist lange
Zeit glatt, abgesehen von einer, wie es scheint,
nicht constanten Längsfurche (Fig. 116) die später
schwindet. Erst im sechsten Monate bildet sich
eine bleibende Längsfurche an der Oberfläche aus,
zu der dann im siebenten Monate auch eine Quer-
furche kommt, während zugleich die zwischen
den Furchen gelegenen Theile sich wölben, so
dass dann das Organ im Wesentlichen ausgebil-
det ist. Aus den Basaltheilen des Mittelhirns ent-
wickeln sich die Hirnstiele.


Das Cerebellum entwickelt sich aus zwei Blättchen, die vonHinterhirn.
den vordersten Theilen der Ränder der ursprünglichen dritten Hirn-
abtheilung einander entgegen wachsen und schon im zweiten Monate
in der hinteren Mittellinie zur Berührung kommen. Es stellt dann das
kleine Gehirn oder Hinterhirn im engern Sinne (Fig. 117) eine kleine,
horizontal liegende, überall gleich dicke Platte dar, unter oder vor
welcher die Verbindung der Rautengrube mit der Höhle des Mittel-

Fig. 116. Dreimonatlicher menschlicher Embryo in natürlicher Grösse mit
blosgelegtem Hirn und Mark. h Hemisphären des grossen Hirns, m Mittelhirn,
c kleines Hirn. An der Medulla oblongata sieht man einen Rest der Membrana
obturatoria ventriculi IV
.


16*
[244]Sechsundzwanzigste Vorlesung.
hirns statt hat. Im 3. Monate (Fig. 109, 111, 116) hat das Cerebellum
wesentlich noch dieselbe Gestalt, doch sind jetzt schon die seitlichen
Theile etwas dicker als die Mitte, die später zum Wurme sich ge-

Figure 117. Fig. 117.


staltet. Eine merkwürdige schon
von älteren Beobachtern (Tiede-
mann, Schönlein
) theilweise ge-
sehene und in neuester Zeit von
Schmidt genauer beschriebene
Bildung ist eine dünne Lamelle,
die das kleine Gehirn mit dem
Membrana
obturatoria
ventriculi IV.
verlängerten Marke verbindet und die Rautengrube grösstentheils
schliesst. Nach meinen Beobachtungen verhält sich diese Bildung,
die ich die Membrana obturatoria ventriculi quarli nenne, folgender
Maassen. Vom ganzen hinteren Umfange des Cerebellum nach unten
zu geht eine dünne Membran aus, welche, wenn sie abgerissen ist,
als ein vorspringender scharfer Rand erscheint (Figg. 109, 111 mo),
den auch schon Tiedemann gesehen hat. Der Theil dieser Haut nun,
der von den Seitentheilen des Cerebellum ausgeht, wendet sich bau-
chig vortretend nach unten gegen das verlängerte Mark, um, so scheint
es, unmittelbar mit dem strangförmigen Körper oder dem Rande der
Fovea rhomboidalis sich zu verbinden. Hierbei zeigt der vordere und
der hintere Theil der Lamelle ein etwas verschiedenes Verhalten. Vorn
nämlich geht dieselbe ziemlich gerade abwärts und vereinigt sich un-
mittelbar mit dem Corpus restiforme. Weiter nach hinten dagegen
biegt sich dieselbe zuerst weit einwärts und verbindet sich mit einem
andern Blatte, welches vom Rande des Sinus rhomboidalis horizontal
nach innen vortritt (Fig. 116). So entsteht hier wie eine Duplicatur
mit einem scharfen concaven Rande nach innen, welche beim Präpa-
riren der Theile an der Medulla oblongata sitzen bleibt. Beide Blätter
dieser Verdoppelung gehen brückenförmig von einer Seite zur andern
und der vordere Rand des oberen Blattes verbindet sich dann auch
mit dem Wurm. Hierbei ist jedoch zu bemerken, dass die Duplica-
tur in der hinteren Mittellinie sehr wenig entwickelt ist. Sehr deut-
lich erscheint diese ganze Bildung im 4. Monate, aus welcher Zeit
die Fig 118 entnommen ist. Bei diesem Embryo erschien die Mem-
brana obturatoria
mit ihrem oberen, vom Cerebellum ausgehenden
Theile wie ein besonderer zweibäuchiger Lappen desselben und liess
hinten ein rautenförmiges quergestelltes Loch offen, das durch die

Fig. 117. Die Erklärung siehe Fig. 105. S. 227.


[245]Entwicklung des Nervensystems.
Pia mater verschlossen war. Ich glaubte anfangs, dass die Pia mater
durch dieses Loch in den vierten Ventrikel eindringt, um den Plexus

Figure 118. Fig. 118.


chorioideus zu bilden, überzeugte mich dann
aber, dass dem nicht so ist. Es zeigte sich
nämlich bei einer sorgfältigen Zergliederung,
dass das obere Blatt der Membrana obturato-
ria mo
keine einfache Lamelle ist, sondern
aus zwei Abtheilungen besteht, die durch
den Plexus chorioideus geschieden sind. Es
dringt nämlich in der Querfurche, wo der
Buchstabe mo steht, die Pia mater horizontal ins Innere und schwillt
dann zu den hier noch einfach querstehenden Plexus an, die wie die
Aushöhlung der Membrana obturatoria einnehmen und ihr bauchiges
Vortreten bewirken. Beide Theile des oberen Blattes der Membrana
obturatoria
haften übrigens innig an der oberen und unteren Fläche
des Plexus an und hängt wohl sicherlich das Epithel beider Theile
unmittelbar zusammen.


Ueber die Bedeutung und Entwicklung der eben beschriebenenBedeutung und
Entwicklung
der Membrana
obturatoria
.

Membrana obturatoria sind bis jetzt nur Vermuthungen möglich, da-
gegen liegen ihre späteren Schicksale zum Theil klar vor. Ersteres
anlangend, so würde die ganze Bildung leicht verständlich, wenn
man annehmen dürfte, dass die Höhle der dritten embryonalen Hirn-
blase von Anfang an auch oben ganz oder wenigstens grösstentheils
geschlossen ist. In diesem Falle wäre dann die fragliche Membran
nur eine Umbildung der Decke der Höhle, in welche an zwei be-
stimmten Stellen die Pia mater zur Bildung der Plexus sich einstülpt
und die zwei oben beschriebenen Lappen, aus denen das Cerebellum
sich bildet, einfach Verdickungen der Decke. Es sprechen nun in der
That einige Erfahrungen in diesem Sinne. Schönlein (Von der Hirn-
metamorphose, Würzburg 1816) hat schon vor Jahren angegeben,

Fig. 118. Ansicht des hinteren Theiles des Gehirns eines vier Monate alten,
4″ 4½‴ langen menschlichen Embryo in natürlicher Grösse. h Hemisphäre des
grossen Hirns, q noch einfacher Vierhügel, vor dem das abgeschnittene Tento-
rium cerebelli
sichtbar ist, e kleines Hirn, l Fasciculus lateralis, c Fasc. cunea-
tus, g Fasc. gracilis, mo Membrana obturatoria ventriculi IV
, wie einen beson-
deren zweibäuchigen Lappen des kleinen Hirns darstellend. Die quere Linie
zwischen den beiden scheinbaren Lappen ist eine enge Spalte, durch welche
die Pia mater eindringt und in den Plexus chorioideus übergeht, mo′ mittlerer
brückenartiger Theil der Deckmembran, t hinteres Ende derselben, das später
zur Ligula sinus rhomboidei wird.


[246]Sechsundzwanzigste Vorlesung.
dass der vierte Ventrikel an Embryonen des Menschen bis zum
Ende des dritten Monates durch eine Markhaut geschlossen sei,
welche später zerreisse und in ihren Resten die unteren Marksegel
und den Riegel (Obex) des Calamus scriptorius darstelle. Diese Be-
obachtung ist nun freilich bisanhin von Niemand bestätigt oder bes-
ser gesagt berücksichtigt worden mit Ausnahme von Girgensohn,
der im Wesentlichen dasselbe meldet wie Schönlein (Meck. Arch.
1827. St. 362. Tab. VI), und von Schmidt, der angibt, dass er diese
Markhaut nicht habe finden können, immerhin dienen zur Unter-
stützung derselben eine Reihe vergleichend-anatomischer Thatsachen.
Von Baer hat schon vor langer Zeit angegeben, dass beim vier Tage
alten Hühnchen der vierte Ventrikel eine Decke aus Nervenmasse
habe, die später spurlos schwinde (Ueb. Entw. d. Thiere I. St. 74)
eine Beobachtung, die in unseren Tagen von Remak bestätigt worden
ist (Entw. St. 33). Ferner meldet Rathke von den Embryonen der
Natter, dass die 4. Hirnhöhle derselben von einer Nervenplatte be-
deckt werde, die aufs innigste mit der Pia mater zusammenhänge,
und später bis auf einen kleinen Rest schwinde (Entw. d. Natter.
St. 16, 37, 81 und 133. Tab. VI. Fig. 17 und 18), und erinnert, dass
er eine ähnliche Decke auch von den Embryonen der Haifische be-
schrieben (Beitr. z. Geschichte d. Thierwelt. Th. 4. St. 14. Taf. I.
Fig. 6), sowie dass eine solche auch den erwachsenen Cyclostomen
und Batrachiern zukomme. Bei Säugethierembryonen konnte dagegen
Rathke nichts von einem nervösen Deckblatte finden, doch paralle-
lisirt er den Plexus chorioideus ventriculi IV. den bei den anderen
Wirbelthieren vorkommenden häutig-nervösen Blättern. Bei so be-
wandten Verhältnissen möchte es nun denn doch sehr wahrscheinlich
sein, dass auch beim Menschen der vierte Ventrikel von Anfang an
ganz oder grösstentheils durch eine aus der ursprünglichen Medullar-
platte hervorgegangene Decke geschlossen ist, in welchem Falle dann
die Membrana obturatoria aus dem hinteren Theile dieser Decke ab-
zuleiten wäre, das Cerebellum aber aus ihrem vorderen Theile. Das
in der Fig. 118 gezeichnete Verhalten wäre dann ein späterer Zu-
stand, der sich leicht erklären liesse, wenn man annähme, dass die
primitive Decke des vierten Ventrikels stellenweise nur ein Epithel,
an anderen Orten auch Nervenmasse liefert, wie diess auch beim
Rückenmark sich findet, von welchem ich Ihnen das Genauere spä-
ter noch angeben werde. An den ersteren Orten müsste dann natür-
lich später die Pia mater scheinbar unmittelbar den Ventrikel schlies-
[247]Entwicklung des Nervensystems.
sen oder könnte selbst nach vorhergegangener Wucherung in dem-
selben zu liegen scheinen.


Diese Betrachtung führt mich nun noch auf zwei andere Puncte.Entwicklung des
Plexus chorioidei.

Ist der Plexus chorioideus ventriculi IV. nicht wirklich im Ventrikel
gelegen, sondern, weil sein Epithel aus der embryonalen Medullar-
platte abstammt, eigentlich doch ausserhalb desselben befindlich, so
wird es sehr wahrscheinlich, dass dasselbe auch für die anderen
Plexus gilt. In diesem Falle wäre weder der dritte Ventrikel oben
noch auch die Seitenventrikel seitlich als offen zu betrachten und
würde mithin jede wirkliche secundäre Spaltung des embryonalen
Medullarrohres fehlen. Es scheint mir nun in der That, dass die
Verhältnisse in diesem Sinne aufzufassen sind, wofür auch die inni-
gen Beziehungen der Tela chorioidea superior zum Eingange der
seitlichen Ventrikel zu sprechen scheinen, doch gestehe ich Ihnen
offen, dass ich dieser Frage noch nicht die nöthige Aufmerksamkeit
zugewendet habe, um mich ganz bestimmt aussprechen zu dürfen.
Uebrigens will ich nicht unterlassen Ihnen noch anzuführen, dass
schon Schmidt auf die Aehnlichkeit der Beziehungen der oberen und
unteren Plexus zu den benachbarten Hirntheilen hingewiesen und
die Frage aufgeworfen hat, ob nicht der Plexus lateralis ursprüng-
lich auch von einem Markblatte umhüllt sei, wie derjenige des vier-
ten Ventrikels, von dem er annimmt, dass er wirklich in dem Ven-
trikel drin liege.


Ist der vierte Ventrikel ursprünglich von der Medullarplatte
ganz geschlossen, so wird dann zweitens die Entwicklung des kleinen
Gehirns wohl auch etwas anders aufzufassen sein, als es bisher ge-
schehen ist. In der That muss ich Ihnen auch bekennen, dass ich an
demselben nie zwei getrennte Hälften wahrgenommen, und dass es
mir daher am zweckmässigsten scheint anzunehmen, dass dasselbe
als eine Verdickung der erwähnten Deckmembran sich bilde.


Sind diese Verhältnisse noch in mehrfacher Beziehung in Dunkel
gehüllt, so ist es dagegen ganz sicher, dass aus der genannten Deck-
membran die Vela medullaria inferiora und die Flockenstiele sich her-
vorbilden, welche anfänglich ganz nach hinten liegen und erst durch
die weitere Entwicklung des kleinen Hirns in seinen oberen und
vorderen Theilen nach unten zu liegen kommen. Andere Ueberreste
derselben sind der Obex am Calamus scriptorius und die Ligula am
Rande des Sinus rhomboidalis, von welcher noch beim Erwachsenen
die Verbindung mit der Tela chorioidea inferior nachzuweisen ist,
[248]Sechsundzwanzigste Vorlesung
und deren oft sehr bedeutende Breite an die embryonalen Verhält-
nisse erinnert.


Lappen des
Cerebellum.
Ueber die sonstige Entwicklung des kleinen Hirns ist hier nicht
der Ort ausführlicher zu handeln, daher nur Folgendes. Am Ende
des dritten und im vierten Monate beginnen die Seitentheile stärker
sich zu wölben und beginnt auch die Bildung der Lappen und Fur-
chen und zwar zuerst am Wurm und später an den Seitentheilen
(Fig. 118, 119). Rasch schreitet die Bildung der Windungen, welche

Figure 119. Fig. 119.


Wucherungen der oberflächlichen Theile
ihren Ursprung verdanken, vorwärts, so
dass im sechsten Monate (Fig. 110, 120)
schon alle Haupttheile angelegt sind und
die weiteren Veränderungen nur auf die
weitere Ausbildung der einzelnen Theile
sich beziehen.


Figure 120. Fig. 120.

Nachhirn.Von der Medulla oblongata oder dem Nachhirn ist das
Bemerkenswertheste ihre bedeutende Grösse in frühen Zeiten (Fig.
109, 116, 117, 119). Die innere Ausbildung dieses Theiles ist noch
nicht verfolgt und beschränkt sich alles was ich Ihnen sonst noch zu
melden habe darauf, dass die einzelnen Abtheilungen, Brücke, Oli-

Fig. 119. Gehirn und Mark eines vier Monate alten Embryo des Menschen
in natürlicher Grösse. h Hemisphären des grossen Hirns, v Vierhügel, c klei-
nes Gehirn, dessen scheinbar hinterste Windung nichts Anderes ist, als die
Membrana obturatoria ventriculi IV., mo verlängertes Mark.


Fig. 120. Gehirn eines 6monatlichen menschlichen Embryo von hinten in
natürlicher Grösse. Das Gehirn ist dasselbe, das in der Fig. 110 von der Seite
dargestellt ist. li Lobus inferior cerebri, ss Lobus semilunaris superior cerebelli,
si L. semilunaris inferior, p Pyramiden, u Uvula, gb Lobus gracilis et Biventer
.


[249]Entwicklung des Nervensystems.
ven, Pyramiden, Corpora restiformia mit ihren Unterabtheilungen
schon im dritten Monate zu erkennen sind, und im vierten bis fünf-
ten Monate ganz deutlich werden. Die Querfasern der Brücke ent-
stehen durch histologische Differenzirung und nicht durch Verwach-
sung von Theilen, die vom kleinen Hirn aus sich bilden, wie diess
Arnold angenommen hat.


Zur Entwicklung des Rückenmarks übergehend, erlaube ichEntwicklung des
Rückenmarks im
Allgemeinen.

mir nun zunächst Ihnen einige Zustände ins Gedächtniss zu rufen,
die früher schon zur Besprechung kamen. Fig. 121 zeigt Ihnen das

Figure 121. Fig. 121.


Rückenmark in seiner
ersten Anlage zu einer
Zeit, wo es als rinnen-
förmige Medullarplatte
mit dem Hornblatte con-
tinuirlich zusammen-
hängt und den mittleren Theil des äusseren Keimblattes darstellt.
Wie Sie bereits wissen, schliesst sich die Halbrinne der Medullar-
platte bald zu einem vollständigen, vom Hornblatte ganz getrennten
Rohre, und in diesem Zustande sehen Sie das Rückenmark des zwei-
tägigen Hühnerembryo in der Fig. 122. Das Verhalten des Markes

Figure 122. Fig. 122.


Fig. 121. Querschnitt durch die Anlage eines Hühnerembryo vom Ende des
ersten Tages 90—100mal vergr. ch Chorda, uwp Urwirbelplatte mit einer
Spalte uwh, vielleicht der ersten Andeutung der späteren Höhle der Urwirbel,
sp Seitenplatten mit den Urwirbelplatten hier noch verschmolzen, dd Darmdrü-
senblatt, h Hornblatt, m Medullarplatte. Beide zusammen sind in eine starke
Falte, die Medullarwülste oder Rückenwülste erhoben, die die breite Rücken-
furche Rf begrenzen, in deren Mitte noch die Primitivrinne Pr sichtbar ist.


Fig. 122. Querschnitt durch einen Hühnerembryo vom zweiten Tage,
90—100mal vergr. dd Darmdrüsenblatt, ch Chorda, uw Urwirbel, uwh
Urwirbelhöhle, ao primitive Aorta, ung Urnierengang, sp Spalte in den Sei-
tenplatten (erste Andeutung der Pleuroperitonealhöhle), die durch dieselbe
in die Hautplatten hpl und Darmfaserplatten df zerfallen, die durch die Mittel-
platten mp unter einander zusammenhängen, mr Medullarrohr (Rückenmark),
h Hornblatt, stellenweise verdickt.


[250]Sechsundzwanzigste Vorlesung.
in der Längsansicht zeigt Ihnen die nachstehende Fig. 123, ausser-
dem die früher gegebenen Zeichnungen (Fig. 38, 39, 40, 41, 42—44)

Figure 123. Fig. 123.


und wird aus der Betrachtung dieser Darstel-
lungen klar werden, dass dasselbe in seinem
ersten Erscheinen und in seinem weiteren
Wachsthume wesentlich denselben Gesetzen
folgt, die früher als die der Bildung des Leibes
überhaupt dargelegt wurden (s. St. 50). Auch
das Mark nämlich wird, wie der ganze Körper,
gleich von Anfang an gewissermaassen mit
allen seinen Theilen angelegt, wie am besten
daraus hervorgeht, dass dasselbe schon in den
ersten Stadien eine Anschwellung an seinem
hinteren Ende zeigt (Figg. 20 und 38), welche
nichts Anderes als die Lendenanschwellung ist.
Hiermit soll jedoch nicht gesagt sein, dass ur-
sprünglich schon alle Abtheilungen desselben
zu unterscheiden sind, vielmehr zeigt sich auch
hier, dass die Ausbildung von vorn nach hin-
ten fortschreitet. In dem Rückenmark des Em-
bryo der Fig. 123 ist, wie die Zahl der Urwir-
bel zeigt, offenbar die Pars cervicalis schon
fast vollkommen angelegt, während die Pars
dorsalis, lumbalis
und sacralis, wie ich die übrigen Gegenden nach
dem Ursprunge der Nerven bezeichne, noch im ersten Stadium der
Ausbildung begriffen sind. Durch innere Wachsthumsphänomene
treten auch diese nach und nach immer bestimmter hervor, so je-
doch, dass der Punct des eigentlichen Wachsthums nicht am hin-
tersten Ende, sondern vor demselben seine Lage hat.


Sind einmal alle Urwirbel zu Tage getreten, so ist auch das
Mark in allen seinen Theilen angelegt und zeigt sich dann im Ver-
gleiche zu den späteren Verhältnissen das Bemerkenswerthe, dass
dasselbe in der ganzen Länge der Wirbelsäule sich erstreckt und
somit auch die Anlagen der Lenden- und Sacralwirbel einnimmt.
Längere Zeit hindurch wächst nun die Wirbelsäule und das Rücken-
mark ganz gleichmässig fort, wie Ihnen die Figg. 124 und 125 von
einem zweimonatlichen und einem drei Monate alten Embryo zeigen,

Fig. 123. Siehe die Erklärung von Fig. 103, S. 226.


[251]Entwicklung des Nervensystems.
dann aber tritt vom vierten Monate an eine raschere Entwicklung der
Wirbelsäule ein, in Folge welcher das Rückenmark nach und nach

Figure 124. Fig. 124.


seine Stellung zu den unteren Wirbeln än-
dert und scheinbar heraufrückt. Es reicht
übrigens das Mark im sechsten Monate noch
bis an den Sacralkanal und selbst am Ende
des Embryonallebens steht seine Spitze im-
mer noch im dritten Lendenwirbel, woraus
Sie ersehen können, dass die bleibenden
Verhältnisse erst nach der Geburt ganz sich
ausbilden.


Während so das Mark, wenn auch allsei-

Figure 125. Fig. 125.


tig in der Längsrichtung wachsend, doch mit der Wirbelsäule nicht
gleichen Schritt hält, zeigen die unteren Nervenwurzeln ein ab-
weichendes Verhalten. Anfänglich ebenso wie die Hals- und Rücken-
nerven unter rechten Winkeln vom Marke abgehend, beginnen die-
selben mit dem scheinbaren Höhersteigen desselben sich zu verlän-
gern, nehmen eine immer schiefere Richtung an und bilden endlich
die Cauda equina. Auch die Dura mater und Arachnoidea betheiligen
sich an diesem Wachsthume und auch die Pia mater bleibt nicht zu-
rück, und liefert das Filum terminale. Letzteres anlangend ist übri-
gens zu bemerken, dass dasselbe beim Menschen theilweise und bei
den Thieren, bei denen es in seiner ganzen Länge eine Verlängerung
des Canalis medullae spinalis enthält, wohl ganz und gar als Fort-
setzung des Rückenmarks zu betrachten ist, und dass somit die
vorhin gemachte Angabe, dass das Mark vom vierten Monate an in
seinem Wachsthume mit der Wirbelsäule nicht mehr Schritt halte,
dahin zu ändern ist, dass dasselbe von dieser Zeit an mit dem Theile,
der die Rückenmarksnerven abgibt, allerdings zurückbleibt, da-

Fig. 124. Siehe die Erklärung von Fig. 105, S. 227.


Fig. 125. Siehe die Erklärung von Fig. 116, S. 243.


[252]Sechsundzwanzigste Vorlesung.
gegen aus seinem untersten Ende eine rudimentäre Bildung hervor-
treibt, die gleichmässig mit der Wirbelsäule sich verlängert.


Innere Vorgänge
bei der ersten
Bildung des
Markes.
Ich wende mich nun zur Schilderung der inneren Veränderun-
gen des Markes bei seiner Entwicklung, mit Bezug auf welchen sehr
interessanten Gegenstand bis jetzt nur einige wenige Mittheilungen
von Bidder und Remak vorliegen, zwischen denen leider nur geringe
Erfahrungen
von Bidder
u. Kupfer.
Uebereinstimmung herrscht. Nach Bidder u. Kupfer, dessen ausführ-
lichere Darstellung ich Ihnen zuerst vorlege (Unters. üb. d. Rücken-
mark, Leipz. 1857), hat das Rückenmark beim Schaafembryo von 3—
3½‴ Länge im Querschnitte eine birnförmige Gestalt mit dem grösse-
ren Durchmesser von vorn nach hinten (vergl. die Fig. 126, die das
nächstfolgende Stadium darstellt). Der Centralkanal ist spaltenförmig
wie beim Hühnchen (s. Fig. 26) und vorn und hinten die Oberfläche
beinahe erreichend, so dass die Hauptmassen des Markes zu den
Seiten desselben sich befinden. Das Mark besteht durchweg aus
kleinen Zellen, von denen jedoch die an den Centralkanal angren-
zenden schon länglich und in der Umbildung in das Epithel dessel-
ben begriffen sind. Ausserdem findet sich vorn und seitlich eine
rundliche Anhäufung unmerklich grösserer Zellen, von welchen aus
ein Bündel feiner Fasern, die vordere Wurzel, nach aussen in die
Urwirbelplatten tritt, in denen auch nach hinten schon das Spinal-

Figure 126. Fig. 126.


ganglion als eine noch nicht scharf um-
schriebene Masse gehäufter kleinerer Zel-
len deutlich ist. Das gesammte Mark wird
jetzt schon von einer ganz dünnen, spin-
delförmige Zellen enthaltenden Dura ma-
ter
umgeben.


Schaafembryonen von 4—4½‴ zei-
gen wesentlich noch dasselbe Verhalten
(Fig. 126). Neu ist, dass nun der Cen-
tralkanal cm hinten eine rautenförmige
Erweiterung besitzt, sowie dass vorn

Fig. 126. Querschnitt des Rückenmarks eines Schaafembryo von 4‴ Länge
30mal vergr. Nach Bidder u. Kupfer. aa Anlage der grauen Substanz, b dunk-
lere Stelle innerhalb derselben, aus der die vordere Wurzel f hervorgeht, c Epi-
thel des Centralkanals cm, im Holzschnitte nicht dunkel genug und auch zu
wenig streifig, h vordere Commissur, dd häutiger Wirbelbogen oder Membrana
reuniens superior
von Rathke, e Spinalganglion, g Anlage der Dura mater und
der Hülle des Ganglions. Erstere ist nach mir die Pia mater.


[253]Entwicklung des Nervensystems.
zwischen den beiden Seitenhälften eine quere Commissur h, die
Commissura anterior, aufgetreten ist, die äusserst feinfaserig ist und
keine Spur von Zellen oder Kernen zeigt. Das Epithel des Central-
kanals besteht jetzt deutlich aus drei bis vier Lagen senkrechter
Zellen (welche in dem Holzschnitte nicht deutlich genug erscheinen)
und reicht vorn bis an die Commissur, hinten bis an die Dura mater,
so dass somit, abgesehen von der Commissur, in der vorderen und
hinteren Mittellinie keine Nervenmasse vorhanden ist. Das Spinal-
ganglion e ist immer noch ohne Verbindung mit dem Marke, zeigt
aber jetzt eine scharfe Begrenzung durch die in der Bildung begrif-
fene Faserhülle g.


Das nächstfolgende Stadium bei Embryonen von 5‴ Körperlänge
(Fig. 127) ist characterisirt durch das Auftreten der weissen Stränge,

Figure 127. Fig. 127.


durch die Verbindung des Spinal-
knotens mit dem Marke und das
erste Erscheinen auch des peri-
pherischen Theiles der sensiblen
Wurzel. Von der weissen Sub-
stanz zeigt sich der Vorderstrang
bei m als eine nach aussen von
der Commissur gelegene Auflage-
rung auf die schon vorhandene
Markmasse, welche von nun an
als graue Substanz bezeichnet
werden kann. Die jetzt noch
breite Furche zwischen den bei-
den Anlagen der Vorderstränge ist die erste Andeutung der vorderen
Längsspalte. In ähnlicher Weise erscheint hinten, seitlich von der
Mittellinie, bei n eine kleinere Auflagerung bei h, der Hinterstrang.
Beide Stränge bestehen aus einer glashellen, auf dem Querschnitte
von feinen dunklen Pünctchen bezeichneten, in der Längsansicht fein
gestreiften Masse, aus der sich bei etwas älteren Embryonen auch
feine Fäserchen isoliren aber durchaus keine Zellen und Kerne ge-
winnen lassen. — Gleichzeitig mit dem Hinterstrange erscheint nun

Fig. 127. Querschnitt des Rückenmarks eines Schaafembryo von 5‴ Länge,
30mal vergr. Nach Bidder u. Kupfer. Bezeichnung wie in Fig. 126. m Anlage
des Vorder- und Seitenstranges, n Anlage des Hinterstranges, aus der die sen-
sible Wurzel zum Ganglion zieht.


[254]Sechsundzwanzigste Vorlesung.
auch ein Faserbündel, das von den vorderen Theilen desselben aus
zum rasch heranwachsenden Spinalganglion zieht, von welchem
Bidder u. Kupfer nicht ermitteln konnte, ob dasselbe vom Marke
gegen das Ganglion oder in umgekehrter Richtung sich entwickelt;
dagegen sah er die Fasern dieses Bündels oder der hinteren Wurzel
noch in den Hinterstrang hinein sich erstrecken und dann sich ver-
lieren, ohne dass eine Fortsetzung in die graue Substanz deutlich zu
machen war, wie sie in allen Stadien und auch in diesem bei der
vorderen Wurzel deutlich sich zeigte. deren Kern in der grauen Sub-
stanz in diesem Stadium schon sehr bestimmt sich abgrenzte, so dass
nun nicht zu verkennen war, dass die Zellen desselben die Anlagen
der grossen Nervenzellen der Vorderhörner sind. In der That ver-
folgte auch Bidder u. Kupfer Fasern der Vorderwurzeln bis zu diesen
Zellen. Ausserdem ist nun von diesem Stadium noch zu bemerken,
dass zwischen den Zellen der grauen Substanz eine Zwischensubstanz
deutlich war, das Epithel des Centralkanals schärfer abgegrenzt sich
zeigte (auch der Holzschnitt Fig. 127 gibt das Epithel nicht scharf
genug wieder), endlich, dass vom Spinalganglion auch peripherisch
ein Faserbündel ausging, das jedoch die vordere Wurzel noch nicht
erreichte.


Bei Schaafembryonen von 7—8‴ zeigte sich die Masse der Vor-
derstränge noch einmal so dick als bei dem ebenbeschriebenen Em-
bryo und so weit nach hinten gewuchert, dass sie bis zur Austritts-
stelle der hinteren Wurzel hin reichte und die motorische Wurzel
ziemlich die Mitte derselben durchsetzte. Somit hatte der Vorder-
strang auch den Theil geliefert, den man den Seitenstrang nennt,
und ist von einem besonderen Auftreten desselben keine Rede. Auch
der Hinterstrang war übrigens gewachsen, jedoch lange nicht in
dem Maasse wie der Vorderstrang, und stand hinten von der Mittel-
linie etwas weiter ab als dieser. Von den übrigen Verhältnissen er-
wähne ich Ihnen, dass die eigenthümliche Erweiterung des Central-
kanals bei solchen Embryonen sich auszugleichen beginnt, sowie
dass das Epithel desselben nun vollkommen scharf abgegrenzt ist.
Man erkennt daher mit Bestimmtheit, dass dasselbe vorn bis dicht
an die Commissur reicht, wogegen dasselbe hinten nun allerdings
durch eine ganz dünne Lage grauer Substanz bedeckt erscheint, die,
wie mir scheint, der Vorläufer der sogenannten grauen Commissur
ist. Das Spinalganglion ist noch grösser und liegt nun ganz seitlich
am Marke; im Innern desselben zeigen sich jetzt ganz deutlich Fasern
[255]Entwicklung des Nervensystems.
und der austretende Theil der sensiblen Wurzel hat sich mit der
vorderen Wurzel zum Stamme des Rückenmarksnerven verbunden.


Endlich untersuchte Bidder u. Kupfer noch Schaafembryonen von
12‴ Länge. Bei diesen umgab die weisse Masse das Rückenmark ganz
und begann hinten schon die Bildung der hinteren Furche. Zugleich
hatte sich vorn die graue Masse zur Anlage der Vorderhörner vor-
gewölbt, so dass nun der Querschnitt schon mehr an den des aus-
gebildeten Markes erinnerte.


Aus diesen Beobachtungen, die auch bei Hühnchen von drei bis
neun Tagen ihre Bestätigung fanden, zieht Bidder u. Kupfer neben
andern den wichtigen Schluss, dass die Nervenfasern des Markes und
der Wurzeln, die überall als kern- und zellenlose Gebilde auftreten,
nicht durch Verwachsung längsgeordneter Zellen entstehen, sondern
wahrscheinlich einfach als Ausläufer der Nervenzellen des Markes und
des Spinalganglions sich entwickeln. Inwiefern diese Annahme be-
gründet ist, soll später erörtert werden und will ich Ihnen nun vor-
her noch Remak’s und meine eigenen Erfahrungen schildern.


Nach Remak (pag. 89) besteht das Mark des Hühnchens anfäng-Beobachtungen
von Remak.

lich aus Zellen, welche im Allgemeinen radienartig um den Central-
kanal herum liegen. Am fünften Tage unterscheidet man zwei Lagen
von nahezu gleicher Mächtigkeit, eine innere, weichere mit radiären
Zellen und eine äussere, festere querfaserige. Erstere ist die Anlage
der grauen Substanz und des Epithels des Centralkanals, die Quer-
fasern dagegen, die mit den Spinalganglien und Nervenwurzeln sich
verbinden, gestalten sich mit der Zeit zu den Fortsetzungen der
Wurzeln in das Innere des Markes hinein und zu den Commissuren.
Ursprünglich an der Oberfläche des Rückenmarks gelegen, werden
diese Querfasern später von den Längsbündeln bedeckt. Diese sind
nach Remak uranfänglich in der vorderen und hinteren Mittellinie
gelegene einfache Stränge, die nach und nach seitlich bis zu den
vorderen und hinteren Wurzeln sich ausbreiten und, die Querfasern
bedeckend, in zwei Hälften sich sondern. Ueber das Auftreten der
Seitenstränge hat Remak keine Beobachtungen, doch hält er es für
wahrscheinlich, dass dieselben als besondere Bildungen auftreten.
— Die Spinalganglien mit den Nervenwurzeln lässt Remak unabhän-
gig vom Marke aus den Urwirbeln sich bilden (St. 40) und bemerkt
ausserdem, dass die Nerven aus einer feinfaserigen Substanz ohne
Zellen und Kerne bestehen.


[[256]]

Siebenundzwanzigste Vorlesung.


Eigene Unter-
suchungen über
die Entwicklung
des Markes.
Meine Herren! Zu meinen eigenen Beobachtungen über das
Rückenmark übergehend, theile ich Ihnen nun zuerst mit, dass meine
Erfahrungen beim Hühnchen, die bis zum zehnten Tage eine zusam-
menhängende Reihe bilden, im Wesentlichen mit denen von Bidder u.
Mark des
Hühnchens.
Kupfer stimmen. Wie Sie früher schon hörten, besteht das Medullar-
rohr unmittelbar nach seiner Schliessung am zweiten und dritten
Tage überall aus gleichartigen länglichen Zellen, deren längere Durch-
messer radiär gestellt sind. Am vierten Tage beginnt eine Trennung
dieser Zellen in zwei Lagen, dadurch, dass die äusseren der Ober-
fläche concentrisch sich ordnen und in Fasern sich verlängern, wäh-
rend die inneren ihre ursprüngliche Lage beibehalten und nun als
Epithel des Centralkanales erscheinen. Zugleich tritt auch die vor-
dere Commissur und bald darauf auch die vorderen und hinteren
Stränge auf. Am Ende des vierten und am Anfange des fünften Ta-
ges zeigt dann das Mark folgende Beschaffenheit. Die Gestalt des
Querschnittes ist ziemlich eiförmig, vorn breiter, hinten schmäler.
Der Centralkanal, am Halse rautenförmig, am Rücken mehr spalten-
förmig, hat eine überall, namentlich aber hinten sehr dicke Ausklei-
dung radiär gestellter Zellen, welche an der hinteren Mittellinie die
Oberfläche erreicht, während sie vorn noch von der schmalen Quer-
brücke der vorderen Commissur bedeckt ist. Die concentrisch fase-
rige Rindenschicht bildet somit nur zwei seitliche Zonen, von denen
ausserdem noch zu bemerken ist, dass sie hinten sehr schmal sind
und nur vorn und seitlich eine etwas grössere Mächtigkeit haben.
Hier ist auch die Faserung dieser Lage, die, wie ich entgegen Remak
annehmen muss, die Anlage der grauen Substanz ist, am deutlich-
sten und geht die Richtung derselben theils gegen die vordere Com-
[257]Entwicklung des Nervensystems.
missur, theils gegen die vorderen Wurzeln. Bedeckt wird nun die
graue Substanz noch von den Anlagen der weissen Stränge, die beide
entgegen den Angaben von Remak entschieden von Anfang an als
paarige Bildungen auftreten. Die vorderen Stränge liegen anfänglich
vorn seitlich neben der Commissur, breiten sich aber bald auch auf
die vorderen Seitentheile aus, so dass mithin von besonderen Seiten-
strängen keine Rede sein kann. Die hinteren Stränge sind auf dem
Querschnitte elliptisch, kleiner und nehmen die hinteren Seitentheile
ein, erreichen jedoch am fünften Tage die Vorderstränge noch nicht.
Alle Stränge und auch die Commissur bestehen, wie Bidder und
Kupfer und Remak richtig melden, aus kernlosen äusserst feinen
Fasern. Zwischen dem fünften und neunten bis zehnten Tage um-
wachsen nun die Stränge das ganze Mark mit Ausnahme der Gegend
der vorderen Commissur und werden zu einer ziemlich mächtigen
Rindenschicht. Zugleich wächst auch die graue Substanz und zwar,
wie mir schien, in doppelter Weise. Einmal von sich aus durch Ver-
mehrung ihrer Elemente und zweitens wohl auch dadurch, dass die
äusseren Zellen der Auskleidung des Centralkanales in ihren Bereich
gezogen werden. Was man nämlich in dieser frühen Zeit als Epithel
des Centralkanales bezeichnet, ist nicht als eine scharf abgegrenzte
Bildung aufzufassen, sondern als eine noch indifferente Zellenmasse,
die auch später noch am Wachsthume der grauen Substanz sich be-
theiligt. Hierdurch und durch Aufhören des Wachsthums wird die-
ser Centralkanal bald absolut und relativ kleiner, doch ist derselbe
noch bei 40tägigen Embryonen ein ziemlich weiter Kanal.


Wie beim Hühnchen so habe ich auch beim Menschen einigeMark des
Menschen.

Figure 128. Fig. 128.


Erfahrungen über die Entwicklung des Rücken-
markes aufzuweisen, welche, da sie bis jetzt
die einzigen sind, die über die feineren Ver-
hältnisse Aufschluss geben, wohl nicht ohne
Werth sind. Den frühesten von mir beobach-
teten Zustand zeigt Ihnen die Fig. 128, die in

Fig. 128. Querschnitt des Halstheils des Rücken-
marks eines vier Wochen alten menschlichen Embryo,
36mal vergrössert. c Centralkanal, e epithelartige Aus-
kleidung desselben, g vordere graue Substanz mit
einem dunkleren Kern, aus dem die vordere nicht dargestellte Wurzel ent-
springt, g′ hintere graue Substanz, v Vorderstrang, h Hinterstrang.


Kölliker, Entwicklungsgeschichte. 17
[258]Siebenundzwanzigste Vorlesung.
allen wesentlichen Puncten mit den Abbildungen von Bidder und
Kupfer von Schaafembryonen übereinstimmt. Bei diesem vier Wochen
alten Embryo betrugen die Durchmesser des Markes in der Halsge-
gend in der Richtung von vorn nach hinten 0,42—0,44‴ und in der
Querrichtung am breitesten Theile 0,24—0,25‴. Der Centralkanal
war beiläufig rautenförmig und seine epithelartige Auskleidung mit
länglichen geschichteten Zellen 0,040—0,044‴ dick. Vorn und hin-
ten erreichte dieselbe die Oberfläche und fehlte an ersterem Orte ein
bestimmtes Anzeichen einer vorderen Commissur. Die graue Sub-
stanz, aus rundlichen kleinen Zellen bestehend, bildete hinten und
seitlich eine sehr dünne Lage g′, war dagegen vorn schon in an-
sehnlicher Mächtigkeit vorhanden und zeigte hier auch wie eine
rundliche etwas dunklere Masse g, aus der die in der Abbildung
nicht dargestellte vordere Wurzel entsprang. Von einer hinteren
Wurzel war nichts zu sehen, dagegen fanden sich die Spinalganglien
schon angelegt und ebenso die Vorder- und Hinterstränge h und v,
die beide aus einer kern- und zellenlosen hellen Masse bestanden,

Figure 129. Fig. 129.


die auf dem Querschnitte nichts als
feine Puncte zeigte. Beide Stränge la-
gen seitlich und waren übrigens noch
sehr wenig entwickelt.


Etwas weiter war das Mark bei
einem sechs Wochen alten Embryo (Fig.
129), bei dem dasselbe als Ganzes im
Querschnitte ebenfalls birnförmig er-
schien. Der Centralkanal zeigte ziem-
lich dieselbe Form, wie bei Schaafem-
bryonen, erschien jedoch im Verhält-
niss zur übrigen Markmasse unver-
hältnissmässig gross. Sein Epithel be-
stand im Allgemeinen aus mehrfachen Lagen senkrechter schma-
ler Zellen und war überall von gleicher Dicke mit Ausnahme der
hinteren Mittellinie, wo dasselbe genau in der Mitte äusserst dünn
war, während die benachbarten Theile kolbige Anschwellungen

Fig. 129. Querschnitt des Halsmarkes eines sechs Wochen alten mensch-
lichen Embryo von 0,56‴ Höhe und 0,44‴ Breite am breitesten Theile, 50mal
vergrössert. Bezeichnung wie in Fig. 128. ca Commissura anterior, m vordere,
s hintere Wurzel, v′ hinterer Theil des Vorderstranges (sogenannter Seiten-
strang), e′ dünner Theil der Auskleidung des Centralkanales in der hinteren
Mittellinie.


[259]Entwicklung des Nervensystems.
zeigten. Hier lag auch, wie bei Schaafen und bei dem eben er-
wähnten jungen menschlichen Embryo, der Markkanal mit seinem
Epithel frei zu Tage, sonst war derselbe überall theils wie seitlich
von der grauen Substanz, theils wie in der vorderen Mittellinie von
der vorderen Commissur bedeckt. Die graue Substanz bestand
überall aus kleinen kernhaltigen Zellen, vielleicht mit etwas Zwi-
schensubstanz, und war vorn mächtig, hinten dagegen immer noch
sehr wenig entwickelt. Die weissen Stränge erschienen als zwei
schwächere Hinterstränge seitlich am hinteren Theile des Markes,
aus denen nach vorn die hinteren Wurzeln hervortraten, und als
zwei stärkere Vorderstränge. Am entwickeltesten waren diese zu
beiden Seiten der vorderen Commissur, bis zur Austrittsstelle der
vorderen Wurzeln, wo dieselben auch leicht vortretend schon einen
seichten und breiten Sulcus anterior begrenzten. Hinter den vor-
deren Wurzeln schien auf den ersten Blick die weisse Substanz ganz
zu fehlen, eine Untersuchung mit starker Vergrösserung ergab je-
doch, dass auch hier bis etwas vor der Stelle, wo der Spinalkanal
seine grösste Breite besitzt, ein ganz dünner Rindenbeleg vorhanden
war. Die gesammte weisse Substanz mit Inbegriff der Commissura
anterior
war übrigens wie früher durchscheinend, ja fast glashell,
auf dem Querschnitte fein punctirt, streifig an Längsansichten und
ohne Spur von Zellen und Kernen. —


Gestützt auf diese Erfahrungen beim Menschen und Hühnchen
schliesse ich mich nun ganz an Bidder u. Kupfer an und spreche mich
dahin aus, dass die erste Anlage des Markes nur die des Epithels
und der grauen Substanz in sich schliesst und dass die weissen
Stränge und die Commissur erst in zweiter Linie als eine äussere
Belegmasse auftreten. Wie diess geschieht, wird noch weiter zu er-
mitteln sein, doch bin ich für einmal sehr geneigt wie Bidder und
Kupfer vor Allem daran zu denken, dass die Nervenröhren ursprüng-
lich einfach als Ausläufer der Zellen auftreten. Mit Bezug auf die Zahl
der Stränge kann nicht wohl bezweifelt werden, dass eigentlich nur
zwei Paar solcher vorhanden sind und dass die Seitenstränge nichts
als Theile der Vorderstränge sind.


Es ergeben sich mithin mit Bezug auf die erste Bildung des
Markes folgende Sätze:


1. Das Mark besteht nach der Schliessung der Rückenfurche aus
einem Kanale, dessen Wandung von ganz gleichartigen radiär
gestellten Zellen gebildet wird.


17*
[260]Siebenundzwanzigste Vorlesung.

2. In zweiter Linie bildet sich in dieser Wand eine Scheidung in
zwei Lagen, von denen die äussere zur grauen Substanz sich ge-
staltet, während die innere als Auskleidung des Centralkanales
erscheint.


3. Die weisse Substanz erscheint später als die graue Substanz und
ist eine äussere Belegung derselben, die unzweifelhaft in erster
Linie von den Zellen der grauen Substanz geliefert wird. Die
Zahl der Stränge ist vier, zu denen noch eine weisse Commissur
kommt und treten die ersteren von Anfang an paarig auf.


Weitere
Entwicklung
des Markes.
Die weitere Entwicklung des Markes ist beim Menschen und bei
Säugern noch von gar Niemand auf die feineren Verhältnisse unter-
sucht und doch sind hier noch einige nicht ganz unwichtige That-
sachen verborgen. Da es mich zu weit führen würde, wollte ich Ihnen
diese Angelegenheit in extenso vortragen, so begnüge ich mich mit der
Vorlegung einiger Abbildungen, die sich auf das menschliche Rücken-
mark beziehen. Fig. 130 u. 131 zeigen Ihnen Querschnitte des Markes

Figure 130. Fig. 130.


Figure 131. Fig. 131.


Fig. 130. Rückenmarksquerschnitt eines menschlichen Embryo von acht
Wochen von 1⅓mm Höhe und 1½mm Breite., 50mal vergrössert. Bezeichnung
wie in Fig. 129. h′ hervorragende Theile der Hinterstränge, die später als be-
sondere Keilstränge erscheinen; zwischen ihnen bei c Epithel des Central-
kanals.


Fig. 131. Querschnitt durch einen Halswirbel und das Mark eines 9—10


[261]Entwicklung des Nervensystems.
von einem acht Wochen und einem neun bis zehn Wochen alten
Embryo und werden Sie bei Vergleichung dieser Figuren mit Fig.
129 leicht herausfinden, dass das Wachsthumsgesetz des Markes im
Allgemeinen das ist, dass, während der Centralkanal nach und nach
verkümmert, die graue Substanz sowohl als und vor Allem der
weisse Beleg an Masse zunehmen. Einzelnes anlangend so zeigt er-
stens der Centralkanal eine von hinten nach vorn fortschreitende
Atrophie, welche allem Anscheine nach vor Allem durch die mäch-
tige Entwicklung der Hinterstränge bewirkt wird. So geschieht es,
dass derselbe allmälig von der Oberfläche ins Innere sich zurück-
zieht und endlich nur noch einen relativ kleinen Raum im Centrum
des Markes einnimmt. Bei dem in der Fig. 129 dargestellten Marke
eines sechs Wochen alten Embryo sehen Sie den Kanal an der hin-
teren Fläche des Organs frei zu Tage liegen, ja die ganze Breite des-
selben einnehmen, es dauert jedoch dieser Höhepunct der Entwick-
lung nicht lange, denn schon beim achtwöchentlichen Embryo finden
wir den Centralkanal, obschon immer noch weit, doch mit seiner
hinteren Hälfte schon sehr verkümmert, theilweise verwachsen und
nur noch in einer geringen Ausdehnung an der Oberfläche des Markes,
jedoch im Grunde einer kleinen Furche zwischen den Hintersträngen
befindlich. Im dritten Monate endlich zieht sich der Centralkanal
ganz ins Innere zurück und schwindet noch mehr. In der neunten
Woche (Fig. 131) läuft auf dem Querschnitte die hintere Hälfte in
eine schmale Spitze aus, welche noch etwas zwischen die Hinter-
stränge eindringt, jedoch die Oberfläche lange nicht erreicht, und in
der zwölften Woche liegt der Kanal ganz und gar im Innern, so dass
er nun durch graue Substanz, die Commissura grisea, von den Hin-
tersträngen getrennt ist. Doch sieht man auch um diese Zeit noch eine
Andeutung des verkümmerten Theiles des Kanals in einem spitzen
Anhange seines Epithels, der mehr weniger weit gegen die Hinter-
stränge sich erstreckt und keine deutliche Structur mehr besitzt.


Das Epithel des Centralkanales junger Embryonen ist sehr dick

Wochen alten menschlichen Embryo, 35mal vergrössert. Höhe des Markes
mm, Breite 2—2¼mm. e Epithel des Centralkanals, e′ in Obliteration be-
griffener hinterer Theil desselben, v Vorderstrang, h Hinterstrang, h′ Keil-
strang desselben, vw vordere Wurzel, hw hintere Wurzel, g Ganglion spinale,
p m Pia mater, dm Dura mater
, der Wirbelanlage noch dicht anliegend, wk
Wirbelkörper, ch Chordarest, wb Wirbelbogen knorpelig, ow Rest der Mem-
brana reuniens superior
.


[262]Siebenundzwanzigste Vorlesung.
und wenigstens drei- bis vierschichtig. Später wird dasselbe dün-
ner, und scheinen die äusseren Zellenlagen in den Bereich der grauen
Substanz gezogen zu werden, was Sie nicht befremden wird, wenn
Sie bedenken wollen, dass dasselbe bei Embryonen der ersten Mo-
nate nie scharf gegen die umgebenden Theile abgesetzt ist.


Von der Entwicklung der Vorderstränge lehren die gege-
benen Figuren, dass dieselben beim weiteren Wachsthume des Markes
immer mehr sich verdicken und verbreitern, so dass sie schon beim
acht Wochen alten Embryo mehr als die Hälfte des Markes einneh-
men; jedoch erreichen um diese Zeit ihre hinteren Enden oder die
Seitenstränge der Autoren die Hinterstränge noch nicht und sind
durch eine später schwindende Seitenfurche von denselben ge-
schieden. Eine tiefere Furche bildet sich vorn durch das stärkere
Wachsthum der Stränge gegenüber den inneren Theilen, die vordere
Spalte, welche schon am Ende des zweiten Monates gut entwickelt
aber noch breit ist und am Ende des dritten Monates nahezu die
bleibenden Verhältnisse zeigt. Beim Embryo von neun bis zehn Wo-
chen (Fig. 131) sind die Vorderstränge und Hinterstränge zur Ver-
einigung gelangt und die graue Substanz rings von der weissen Masse
umgeben. Die hinteren Stränge, die anfangs ganz seitlich ihre
Lage haben, dehnen sich bald so gegen die hintere Mittellinie aus,
dass sie schon in der achten Woche hier dieselbe Stellung einneh-
men wie die vorderen Stränge an der anderen Seite. Sehr bemer-
kenswerth sind um diese Zeit zwei besondere leistenartige Hervor-
ragungen dieser Stränge, zwischen denen eine wirkliche hintere
Längsspalte sich findet. Später rücken diese Leisten unter Verdrän-
gung des Centralkanals dicht an einander, so dass die Spalte ganz
schmal wird (Fig. 131), doch tritt keine Verwachsung derselben ein
und findet man schon im Anfange des dritten Monates eine binde-
gewebige Scheidewand zwischen denselben, die jedoch nie mit der
Pia mater aus der Spalte sich herauszieht. Während diess geschieht,
ändert sich auch die Gestalt der Hinterstränge in der Art, dass die
leistenförmigen Erhebungen immer mehr in dasselbe Niveau mit den
äusseren Theilen kommen, dafür aber tritt im Innern eine Art Tren-
nung ein und erscheinen dieselben im dritten Monate deutlich als
besondere Keilstränge (Fig. 131) zu beiden Seiten der hinteren
Längsspalte. Offenbar sind diese embryonalen Keilstränge dieselben
Bildungen, welche Goll in seinen Beiträgen zur feineren Anatomie
des Markes als die »dunklen Keile« der Hinterstränge bezeichnet
[263]Entwicklung des Nervensystems.
und deutet ihr frühes Auftreten auf besondere anatomisch-physiolo-
gische Beziehungen, über welche ohne weitere Anhaltspuncte sich
auszusprechen zu Nichts führen kann. Nur das möchte ich Ihnen
noch von unserem Standpuncte aus bemerken, dass an Querschnit-
ten die Trennung dieser Keile von dem äusseren Theile der Hinter-
stränge oft eine so bestimmte ist, dass man sich des Gedankens nicht
erwehren kann, dass die Ausgangspuncte für die Bildung beider
ganz verschiedene sind.


Von der grauen Substanz habe ich Ihnen in morphologischer
Beziehung nicht viel zu sagen. Dieselbe wächst gleichzeitig mit den
weissen Strängen, wenn auch anfänglich langsamer als diese, immer
mehr heran und zeigt schon im dritten Monate Andeutungen der
Hörner, welche unstreitig dadurch zu Stande kommen, dass stellen-
weise die weisse, an anderen Orten die graue Substanz mehr wächst.
So wird die seitliche Trennung der Hörner dadurch bedingt, dass
gerade da, wo der Vorderstrang an den Hinterstrang angrenzt, er-
sterer eine starke Wucherung nach innen entwickelt und in ähn-
licher Weise geschieht dieses auch an den anderen Orten.


Aus dem Angegebenen wird Ihnen nun wohl hinreichend klar
geworden sein, dass die seit Tiedemann (Bildungsgeschichte des Ge-
hirns) allgemeine Annahme, dass der Rückenmarkskanal erst in der
Mitte des Fötallebens ganz sich schliesse, ganz unrichtig ist. Nur in
der allerersten Periode, so lange die Rückenfurche besteht, ist der
Kanal offen, von da an geschlossen. Es liegt übrigens besagter An-
nahme das Wahre zu Grunde, dass beim zweimonatlichen Embryo
das Mark von hinten her äusserst leicht wie in zwei Hälften bricht,
die vorn zusammenhängen, was sich übrigens leicht begreift, wenn
man weiss, dass der Spinalkanal um diese Zeit hinten mit seinem
Epithel an der Oberfläche liegt.


Die Häute des Rückenmarks sind meinen Erfahrungen zufolgeBildung der
Rückenmarks-
häute.

keine Productionen der Medullarplatte oder des oberen Keimblattes,
sondern der Urwirbel. Die Pia mater ist schon bei Hühnerembryo-
nen vom vierten Tage sichtbar (s. Fig. 29 mh) und etwas später wird
auch die harte Haut deutlich. Beim sechswöchentlichen mensch-
lichen Embryo sind beide Häute ebenfalls deutlich, doch habe ich
um diese Zeit noch keine Gefässe im Mark gefunden. Selbst in der
neunten Woche vermochte ich noch keine solchen zu entdecken und
fiel mir auch auf, dass die Pia ganz leicht vom Marke sich löste.
Beim Hühnerembryo zeigen sich nach Remak schon am neunten Tage
[264]Siebenundzwanzigste Vorlesung.
Gefässe im Marke, doch lässt er es unentschieden, ob dieselben selb-
ständig in ihm entstehen, oder von aussen sich hereinbilden. —
Noch bemerke ich Ihnen, dass das Mark den Spinalkanal lange Zeit
hindurch ganz erfüllt und der Subarachnoidealraum eine spätere
Bildung ist.


Entwicklung der
peripherischen
Nerven.
Das peripherische Nervensystem, zu dessen Besprechung
wir schliesslich noch übergehen, ist mit Bezug auf seine morpholo-
gische Entwicklung noch äusserst wenig untersucht, immerhin
lassen sich schon jetzt folgende wichtigere allgemeine Sätze auf-
stellen:


Allgemeine
Bildungsgesetze.
1. Von allen Nerven sind nur zwei directe Productionen des cen-
tralen Nervensystems und zwar der Tractus olfactorius mit dem
Riechkolben und der Sehnerve mit der primitiven Augenblase,
welche Theile daher auch als Organe des Gehirns selbst aufgefasst
werden können, wie es beim Riechkolben in der That schon längst
geschieht.


2. Von den übrigen Abschnitten des peripherischen Nervensystems
entwickeln sich die Ganglien sowohl der Cerebrospinalnerven
und auch des Sympathicus unzweifelhaft ganz selbständig aus
dem mittleren Keimblatte und setzen sich erst in zweiter Linie
theils unter einander theils mit dem Rückenmarke in Verbindung.


3. Die motorischen Kopfnerven, sowie die motorischen Wurzeln der
Rückenmarksnerven scheinen direct aus dem Rückenmarke und
der Medulla oblongata hervorzuwuchern und entwickeln sich dann
centrifugal weiter unter Mitbetheiligung von Elementartheilen des
mittleren Keimblattes.


Zum besseren Verständnisse und zur näheren Begründung dieser
Sätze diene Ihnen folgender Blick auf die geschichtliche Entwicklung
dieser Frage.


Die älteren Anatomen gingen von der Ansicht aus, dass die
Bildung aller Nerven vom Gehirn und Rückenmarke aus erfolge und
dass dieselben dann ganz allmälig gegen die Peripherie des Körpers
fortwachsen, und findet sich dieselbe noch im Jahre 1827 von Tiede-
mann
vertreten (Zeitschr. f. Physiol. III. 1. St. 25). Zu dieser Auf-
stellung hatte wohl vor Allem das frühe Auftreten von Gehirn und
Mark und dann auch der Umstand Veranlassung gegeben, dass un-
streitig die höheren Sinnesnerven aus dem Gehirne sich hervorbilden.
Im Jahre 1828 bemerkte jedoch v. Baer (Entw. I. St. 110), dass aus
dem letzteren Umstande noch nicht folge, dass auch die anderen
[265]Entwicklung des Nervensystems.
Nerven in dieser Weise entstehen, indem wenn auch die höheren
Sinnesorgane aus dem Gehirne sich bilden, so doch die Bauch- und
Rückenplatten, d. h. die Theile, in denen die Spinalnerven sich aus-
breiten, unabhängig vom Rückenmarke entstehen. V. Baer erklärt,
es sei ihm ebenso unwahrscheinlich, dass die Nerven aus den Mus-
keln oder den anderen Organen in den Centraltheil hinein wachsen,
als das Entgegengesetzte und spricht sich dahin aus (vergl. auch
II. St. 102), dass die Nerven durch histologische Sonderung da sich
bilden, wo sie sich finden und gleich von Anfang an mit Ursprung
und Ende angelegt werden, so dass keine Verwachsung ursprüng-
lich getrennter Theile irgendwo sich finde. Zu dieser zweiten Auf-
stellung, welcher bald die Mehrzahl der Forscher huldigte und die
auch in den Handbüchern ihre Vertretung fand (S. Bischoff, Entw.
St. 197), gesellte sich nun nach und nach eine dritte, die in ihren
Anfängen auf Serres zurückgeht, nach welcher die peripherischen
Nerven ganz selbständig sich bilden und erst in zweiter Linie mit
Hirn und Mark verwachsen sollen (Anat. comp. du cerveau, Paris
1824. I. pag. 249 u. flgde., 346 u. flgde., 503). Die Gründe, die
Serres vorbrachte, waren jedoch so mangelhaft, dass es begreiflich
ist, dass seine Hypothese nicht den geringsten Anklang fand und
schon von Tiedemann als irrig und keiner Widerlegung werth erklärt
wurde. Und doch liegt, was jedoch Serres keineswegs als Verdienst
angerechnet werden kann, in derselben etwas ganz Wahres und
hätte Tiedemann offenbar besser gethan, sich etwas vorsichtiger zu
äussern, um so mehr, da er selbst nach seinen Erfahrungen (l. c.
St. 25) für eine selbständige Entstehung des Sympathicus sich aus-
spricht. In der That haben die neuesten Untersuchungen unerwar-
teter Weise nun wirklich Thatsachen ans Licht gefördert, die zeigen,
dass das Nervensystem weder in allen seinen Theilen selbständig,
wie v. Baer glaubte, noch einzig und allein vom Gehirn und Mark
aus sich entwickelt. Remak war der Erste, der an der Hand seiner
embryologischen Untersuchungen beim Hühnchen zeigte, dass so-
wohl die Ganglien gewisser Kopfnerven (des V. VII. VIII. IX. und
X. Paares) als auch diejenigen aller Spinalnerven ganz selbständig
entstehen und ursprünglich ohne alle Verbindung mit dem Central-
nervensysteme sind, und ferner wahrscheinlich machte, dass auch
gewisse Theile des Sympathicus unabhängig von den anderen peri-
pherischen Nerven sich entwickeln (Ueber ein selbst. Darmnerven-
system, Berlin 1847. St. 23 u. flgde., und Untersuchung. z. Entw.
[266]Siebenundzwanzigste Vorlesung.
St. 37, 41, 94, 111). Remak hat übrigens nirgends bestimmtere
Andeutungen gegeben, wie eigentlich die Entwicklung des periphe-
rischen Nervensystems vor sich gehe, doch findet man bei ihm noch
die Bemerkungen: 1) dass die sensiblen Wurzeln von den Ganglien,
und die motorischen von den Stämmen aus gegen das Mark sich bil-
den, und 2) dass alle eben entstandenen Nerven aus ganz homoge-
nen Fasern ohne Kerne bestehen, welche letzteren erst nachträglich
sich bilden sollen (Darmnervensystem, St. 11 und 26).


Vergleichen Sie nun mit diesen Angaben die früher schon mit-
getheilten der neuesten Beobachter in diesem Gebiete, so werden
Sie finden, dass Bidder-Kupfer und Remak mit Bezug auf die selb-
ständige und isolirte Entstehung der Spinalganglien ganz mit ein-
ander übereinstimmen, nur dass erstere es unentschieden lassen, ob
die hintere Wurzel vom Ganglion gegen das Mark oder umgekehrt
sich hervorbilde. Dagegen weichen Bidder u. Kupfer sehr wesent-
lich darin ab, dass sie, wenn auch nicht mit Bestimmtheit, doch
mit Wahrscheinlichkeit die motorischen Wurzeln aus dem Rücken-
mark hervorwachsen lassen und dieselben schon zu einer Zeit fin-
den, wo von den sensiblen Elementen noch gar nichts da ist, ausser
dem Ganglion.


So weit die bisherigen Annahmen und Erfahrungen. Fragen Sie
nun, welches Ergebniss meine Beobachtungen geliefert haben, so
kann ich Ihnen Folgendes sagen. Es unterliegt nicht dem geringsten
Zweifel, dass die Ganglien der Cerebrospinalnerven selbständig aus
einem Theile der Urwirbelplatten sich bilden. Ebenso kann ich nach
meinen Beobachtungen am Hühnchen dahin mich aussprechen, dass
die Ganglien der Spinalnerven anfänglich mit dem Marke nicht ver-
bunden sind, und dass die sensiblen Wurzeln nicht in loco aus Ele-
menten sich bilden, die zwischen dem Ganglion und dem Marke
liegen. Wäre dem so, so müssten diese Wurzeln eine Zusammen-
setzung aus zelligen Elementen zeigen und könnten nicht, wie Remak
und Bidder-Kupfer mit Recht angeben, aus gleichartigen feinen Fäser-
chen bestehen. Dagegen erlauben mir meine Wahrnehmungen bis-
her keine Entscheidung über die wichtige Frage, ob die genannten
Wurzeln vom Ganglion gegen das Mark oder in umgekehrter Richtung
sich hervorbilden. — Die motorischen Wurzeln anlangend, so scheint
es mir unzweifelhaft, dass dieselben aus dem Marke, d. h. den Zellen
der grauen Substanz desselben, hervorwachsen, denn sie zeigen an-
fänglich keine Spur einer Zusammensetzung aus kernhaltigen Ele-
[267]Entwicklung des Nervensystems.
menten und stehen von den allerersten Anfängen an mit dem Marke
in Verbindung. Bei dieser Auffassung ist es freilich nicht leicht zu
sagen, wo die Kerne herrühren, die an den ausgebildeten Nerven-
fasern vorkommen, immerhin liegen mehrere Möglichkeiten vor, de-
ren ausführliche Besprechung jedoch am zweckmässigsten der Ge-
webelehre überlassen bleibt, daher ich mich hier auf die Bemerkung
beschränke, dass es meinen Erfahrungen über die Entwicklung der
Nerven in den Schwänzen der Froschlarven zufolge am wahrschein-
lichsten ist, dass die Ausläufer der Nervenzellen des Markes in einer
gewissen Entfernung von demselben mit peripherischen Zellen sich
in Verbindung setzen. Die Membranen und Kerne dieser Zellen wer-
den zur Scheide und den Kernen der ausgebildeten Nervenröhre,
während möglicher Weise der Axencylinder eine Bildung ist, die
von einer Nervenzelle im Centralorgan selbständig bis in die Peri-
pherie hinein sich entwickelt.


Nach Besprechung der allgemeinen Verhältnisse schildere ich
Ihnen nun noch kurz die wichtigsten Einzelnheiten.


Von den Kopfnerven, mit Ausschluss der höheren Sinnes-Entwicklung der
Kopfnerven.

nerven, die bei den betreffenden Organen werden abgehandelt wer-
den, weiss man durch Remak, dass beim Hühnchen am Ende des
dritten Tages einige mit Ganglien versehene Nervenstämme
erscheinen. Der erste, der Trigeminus, liegt an der Grenze
zwischen dem verlängerten Marke und dem kleinen Hirne vor der
ersten Kiemenspalte, beginnt mit einem anfänglich mit der Medulla
oblongata
noch nicht verbundenen grossen Ganglion Gasseri und theilt
sich bald in zwei Aeste, von denen der obere, dem ersten und zwei-
ten Aste entsprechende, zum Auge verläuft und dort in ein grosses
Gangl. ciliare ausgeht, welches das Auge halbmondförmig umfasst,
während der untere Ast zum Unterkieferfortsatze des ersten Kie-
menbogens sich begibt. Sobald der Oberkieferfortsatz deutlich wird,
erhält er vom oberen Aste einen Zweig und später rücken alle drei
Aeste bis zum Ganglion und der gemeinsame Stamm vergeht.


Der zweite gangliöse Kopfnerv liegt zwischen der ersten und
zweiten Kiemenspalte, mithin im zweiten Kiemenbogen und vor dem
Ohrbläschen. Derselbe ist weit zarter als der erste und wird von
Remak offenbar mit Recht als Facialis gedeutet.


Der dritte gangliöse ebenfalls kleine Nerv liegt hinter dem
Ohrbläschen im dritten Kiemenbogen und ist der Glossopha-
ryngeus
.


[268]Siebenundzwanzigste Vorlesung.

Der vierte wieder stärkere gangliöse Kopfnerv, der Vagus,
liegt ebenfalls hinter dem Ohrbläschen, verläuft zwischen den hin-
teren Kiemenspalten und den ersten Urwirbeln zur Faserwand des
Vorderdarmes und entwickelt später auch Aeste zum Herzen, das,
wie Sie aus Früherem wissen, aus dieser Wand sich entwickelt, die
anfänglich unverhältnissmässig gross sind, und zu den Lungen.


Von der Entwicklung der Augenmuskelnerven, des Accessorius
und Hypoglossus ist bis jetzt nichts bekannt.


Bildung der
Rückenmarks-
nerven.
Was die Rückenmarksnerven anlangt, so fehlt eine spe-
cielle Entwicklungsgeschichte derselben fast ganz. Was wir wissen,
beschränkt sich auf die Ganglien und Wurzeln und wurde das Wich-
tigste schon vorhin auseinandergesetzt, so dass nur noch Weniges
nachzutragen bleibt. Vor Allem möchte ich mit Bezug auf den Ort
der Entstehung der Spinalganglien mir hier noch eine Bemerkung
erlauben. Nach Remak’s Darstellung, die ich Ihnen früher (s. St. 61
u. flgde.) ausführlich vorgetragen, zerfallen die aus den Urwirbeln
hervorgegangenen oberen Ausläufer, die das Rückenmark umschlies-
sen (die Membrana reuniens superior von Rathke oder das was ich
häutige Wirbelbogen nenne), der Länge nach in die Spinalganglien
und die Anlagen der eigentlichen Bogen. Ich finde nun aber bei
Untersuchungen an jungen menschlichen und Säugethierembryonen,
dass diese Auffassung nicht ganz naturgemäss ist, indem mir die
Sache so sich zu verhalten scheint, dass die häutigen Wirbelbogen
in der Dicke in zwei Lagen sich spalten, von denen die innere
die Hüllen des Rückenmarks sammt den Spinalganglien, die ur-
sprünglich alle innen an den eigentlichen Wirbelbogen ihre Lage
haben, liefert, während die äussere die knorpeligen Wirbelbogen und
die sie vereinenden Ligamenta crurum subflava erzeugt. Diese meine
Annahme ändert übrigens nicht das Geringste an dem, was Remak
über die Lagenverhältnisse von Ganglien und Wirbelbogen zu einan-
der und zu den primären und secundären Wirbelabtheilungen vor-
getragen hat, nur hat man sich die beiderlei Gebilde nicht in einer
Ebene, in einer und derselben Schicht liegend zu denken.


Ein fernerer Punct, auf den ich noch Ihre Aufmerksamkeit len-
ken möchte, ist die ungemeine Grösse der Spinalganglien in frühen
Zeiten. Betrachtet man den Rücken junger menschlicher Embryonen
von vier bis acht Wochen, so sieht man an demselben deutlich das
Mark durch die Haut und die Membrana reuniens superior durch-
[269]Entwicklung des Nervensystems.
scheinen. Zu beiden Seiten des Markes erscheinen zwei Reihen
weisslicher quadratischer Gebilde (Fig. 105. Ausserdem vergl. man
die schönen Abbildungen bei Ecker Taf. XXVI. Fig. I, II, III, IX, X,
XII), welche man bis jetzt allgemein als Urwirbel gedeutet zu haben
scheint, die jedoch, wie eine Zergliederung lehrt, nichts Anderes als
die eines dicht am anderen liegenden Spinalganglien, zum Theil auch,
so wie sie in den Seitenansichten erscheinen, die Wirbelbogen sind

Figure 132. Fig. 132.


(Fig. 132). Ueber die genaue Lage der Ganglien geben
erst Querschnitte Aufschluss und sieht man an solchen
(Fig. 127, 131), dass die Ganglien anfänglich seitlich an
den mittleren Theilen des Markes und später mehr in der
Höhe der vorderen Hälfte desselben und noch tiefer
ihren Sitz haben. Es unterliegt keinem Zweifel, dass die
ungemeine Grösse dieser und aller Ganglien überhaupt
in den ersten Zeiten damit zusammenhängt, dass dieselben wichtige
Bildungspuncte sind, was auch, wenn die früher gegebene Schil-
derung ihrer Bedeutung für die Bildung der Nervenfasern richtig ist,
als bewiesen betrachtet werden kann.


Die Entwicklung des Sympathicus ist bis jetzt fast nur vonEntwicklung des
Sympathicus.

Remak ins Auge gefasst worden, es gestatten jedoch die Beobachtun-
gen dieses Autors beim Hühnchen keine vollständige Uebertragung
auf den Menschen. Beim Hühnchen tritt der Sympathicus in vier
Abtheilungen auf, die Remak als Grenznerven, Mittelnerven,
Darmnerven
und Geschlechtsnerven bezeichnet. Zuerst
bildet sich der Grenzstrang, und zwar aus bogenförmigen Ver-
bindungen der Stämme der Wirbelnerven, von denen jeder an seiner
Abgangsstelle eine gangliöse Anschwellung darbietet. Eine beson-
dere Anlage dieser Bogen fand Remak nicht, auch gelang es ihm
nicht, zu entscheiden, ob dieselben aus den Urwirbeln oder den
Seitenplatten sich bilden, doch hält er das Letztere für das Wahr-
scheinlichere. Etwas später am siebenten Tage erscheint der von
Remak entdeckte grosse einfache Darmnerv, der am Mesenterialrande
des Darmes von der Kloake bis zum Duodenum geht, wo er spitz
endet, und später eine Menge Ganglien und Darmäste zeigt. In der
dritten Brütwoche entstehen drittens die Mittelnerven, durch
welche der Darmnerv mit dem Plexus coeliacus verbunden wird und

Fig. 132. Ein Stück Rückenmark des Embryo der Fig. 105 von vorn und
vergrössert dargestellt. m Mark, g Spinalganglien.


[270]Siebenundzwanzigste Vorlesung.
viertens unterscheidet Remak noch die Geschlechtsnerven.
Dieselben entstehen am achten Tage aus einer paarigen Anlage am
innern Rande der Urnieren und hinter den Geschlechtsdrüsen. Die-
selbe besteht aus gangliösen Strängen, die durch Queranastomosen
verbunden sind und Fäden an die Keimwerkzeuge abgeben. Die
oberen Enden dieser Stränge sind nach Remak die Anlagen der
Nebennieren, die einen gangliösen Centraltheil besitzen sollen, der
nachträglich aus denselben hervorwachse und mit dem entsprechen-
den Theile der anderen Seite und dem unteren Ende der gangliösen
Stränge zum Plexus coeliacus sich umbilde.


Die bedeutende Tragweite dieser Mittheilungen springt ohne
Weiteres in die Augen und wäre es sehr zu wünschen, dass wir
ähnliche Erfahrungen über den Menschen und die Säugethiere be-
sässen. Alles, was ich Ihnen von diesen mittheilen kann, ist Folgen-
des. Den Grenzstrang des Sympathicus in der Brust sah Valentin,
dem wir die ersten genaueren Mittheilungen verdanken (Entw. St.
471), bei einem 8‴ langen Schweineembryo, und Kiesselbach (Hist.
format. et evol. Nerv. Symp
. Monachi 1836. 4. c. Fig. Diss.) bei
einem 8½‴ langen Kalbsembryo und einem 9‴ langen des Menschen,
und beschreiben beide Autoren denselben als einen knotigen Strang
ohne Verbindungsfäden. Bischoff sah bei einem 8‴ langen mensch-

Figure 133. Fig. 133.


lichen Embryo durchaus nichts vom Sympathicus, er-
kannte dagegen bei einer 13‴ langen Frucht nicht nur
den Brusttheil, sondern auch das Ganglion cervicale su-
premum
. Ich selbst sah den Brusttheil bestimmt bei
8—9‴ langen Embryonen des Menschen, doch wird der-
selbe erst am Ende des zweiten und im dritten Monate
deutlicher. Die Ganglien desselben liegen von Anfang an
dicht an den knorpeligen Wirbelkörpern und entstehen
wohl unzweifelhaft aus den Seitenplatten d. h. den Mit-
telplatten. Anfänglich ohne Zwischenstränge eines dicht
am andern gelegen entwickeln sich nachher solche Fäden
zwischen ihnen, doch geht es hiermit sehr langsam vor-
wärts, wie Sie aus nebenstehender Figur erkennen kön-
nen, die den Grenzstrang eines Embryo aus dem vierten

Fig. 133. Grenzstrang des Sympathicus eines viermonatlichen Embryo von
4″ 4½‴ Länge in natürlicher Grösse. 1. 2. 3. Ganglia cervicalia, 4. letztes
Ganglion thoracicum, c Ganglia lumbalia, 5. Ganglia sacralia, e Ganglion coccy-
geum, sp Splanchnicus major
.


[271]Entwicklung des Nervensystems.
Monate darstellt, in welchem die Brustganglien noch gar nicht ge-
schieden sind und die Lendenganglien eben anfangen sich zu tren-
nen, während auffallender Weise die Sacral- und Halsknoten schon
Verbindungsstränge besitzen.


Ueber die Entwicklung der peripherischen Geflechte des
Sympathicus des Menschen und der Säugethiere wissen wir fast
nichts. Kiesselbach sah das Ganglion coeliacum erst im siebenten
Monate, wogegen Lobstein (de nervi sympath. hum. fabrica §. 58)
dasselbe schon bei einem vierzehn Wochen alten Embryo wahrnahm.
Letztere Beobachtung ist vollkommen richtig und habe ich wenig-
stens den Ptexus coeliacus schon bei Embryonen des dritten Monates
von der neunten Woche an gefunden, zu welcher Zeit auch die
Splanchnici majores schon deutlich sind. Auffallend war mir, dass
bei solchen Embryonen aus dem dritten Monate der ganze Raum zwi-
schen den Nebennieren, Nieren und Geschlechtsdrüsen von einem
Nervengeflechte mit zahlreichen grösseren Ganglien eingenommen
war, das ziemlich deutlich zwei Hälften erkennen liess, und erin-
nerte mich dasselbe lebhaft an die von Remak beschriebenen Ge-
schlechtsnerven des Hühnchens. Ja es ergaben sich selbst einige
Thatsachen, die für eine Beziehung dieser Geflechte zu den Neben-
nieren sprechen. So sah ich bei einem dreimonatlichen Embryo die

Figure 134. Fig. 134.


Nebennieren vor der Aorta durch eine Quer-
masse verbunden, in welche der Splanchnicus
sich verlor und die offenbar zu dem erwähnten
Nervengeflechte gehörte, und kann ich Sie bei
dieser Gelegenheit daran erinnern, dass schon
Valentin und Meckel die Nebennieren ursprüng-
lich als zusammenhängend beschreiben. Unter-
suchungen an Kalbsembryonen ferner haben
mir ergeben, dass auf jeden Fall dasselbe Blastem, das den er-
wähnten Nervenplexus liefert, mit seinem oberen Theile die Neben-
nieren erzeugt, die keinerlei genetischen Zusammenhang weder mit
den Wolff’schen Körpern, noch mit den bleibenden Nieren haben,

Fig. 134. Harn- und Geschlechtsorgane eines männlichen Embryo von drei
Monaten in natürlicher Grösse. nn Nebennieren, uh Cava inferior, n Niere,
h Hoden, gh Gubernaculum Hunteri, b Harnblase. Ausserdem sind der Mast-
darm, die Ureteren und Samenleiter (wg) zu sehen. Hinter dem Mastdarm und
zwischen den Nieren und Hoden ist eine längliche Masse, durch welche die
Art. mesenterica inferior hervorkommt, die vielleicht zum Sympathicus gehört.


[272]Siebenundzwanzigste Vorlesung. Entwicklung des Nervensystems.
doch ist es mir bisher noch nicht gelungen, nachzuweisen, ob die-
selben wirklich in einem innigeren Verbande zu den sympathischen
Plexus vor der Aorta stehen oder nicht. Auf jeden Fall aber for-
dern auch meine Erfahrungen bei Säugern, wie die von Remak beim
Hühnchen, zu einer genaueren Erforschung der Genese der Neben-
nieren auf und berechtigen zu der Hoffnung, dass von dieser Seite
her das Dunkel, das diese Organe umgibt, endlich sich werde er-
hellen lassen.


[[273]]

Achtundzwanzigste Vorlesung.


III. Entwicklung der Sinnesorgane.


A. Auge.


Wir sind nun, meine Herren, bei der Entwicklung der Sinnes-Primitive
Augenblasen.

organe angelangt und schildere ich Ihnen zunächst diejenige des
Auges, von dessen allerersten Anfängen schon in früheren Vor-

Figure 135. Fig. 135.


lesungen (Vorl. XII u. XXV.)
die Rede war. Ich gab Ihnen
damals an, dass die Augen
in Form zweier für sich be-
stehender Blasen seitlich aus
dem ersten Abschnitte des
embryonalen Gehirns oder
dem Vorderhirne hervorwu-
chern (Fig. 135), sowie dass
diese «primitiven Augenbla-
sen», indem sie zugleich mit
einem hohlen Stiele sich ver-
sehen, nach und nach an die
untere Seite des Vorderhirns
rücken und schliesslich, so-

Fig. 135. Fruchthof und Embryonalanlage eines Kaninchens vom Rücken
her. a Rand der Kopfscheide des Amnios, b erste Hirnblase, c seitliche Aus-
buchtungen derselben oder primitive Augenblasen, d zweite, e dritte Hirn-
blase. Es sind 8 Urwirbel sichtbar und zwischen denselben das Rückenmark.
Die strahligen Falten gehören der serösen Hülle an, die aus einem Theile
der Amniosfalte hervorgeht und der Hof um den Kopf bedeutet eine Vertiefung
oder Einsenkung der zwei inneren Blätter der Keimblase, in welcher derselbe
liegt. 10mal vergr. Nach Bischoff.


Kölliker, Entwicklungsgeschichte. 18
[274]Achtundzwanzigste Vorlesung.
bald die erste Hirnabtheilung in eigentliches Vorderhirn und Zwi-
schenhirn sich umgebildet hat, an der unteren Fläche des letzteren
ihre Lage haben. Während die primitiven Augenblasen diese Lage-
veränderung erleiden, zeigen sie nach Remak insofern ein bemer-
kenswerthes Verhalten, als wenigstens beim Hühnerembryo in einem
gewissen Stadium ihre hohlen Stiele unter einander communiciren,
gewissermaassen in einen gemeinschaftlichen Raum übergehen, be-
vor sie am Boden des Zwischenhirns ausmünden. Dieses Stadium,
obschon nur ein vorübergehendes, indem beide Blasen bald wieder
vollständig von einander sich trennen, ist doch von Interesse mit
Bezug auf den Streit, der früher zwischen zweien der ausgezeichnete-
sten Embryologen, v. Baer und Huschke, in Betreff der allerersten
Entwicklung der Augen herrschte. Während nämlich v. Baer an-
nahm, dass die Augen von Anfang an als gesonderte und selbstän-
dige Ausstülpungen aus dem Gehirn auftreten, vertrat Huschke die
Ansicht, dass denselben ursprünglich eine einzige Anlage zu Grunde
liege, welche nachträglich in zwei zerfalle und führte namentlich die
Missbildung der Cyclopie, bei der nur Ein mittleres Auge vorhanden
ist, sowie das Vorkommen einer eigenthümlichen Spalte an der
fötalen Augenblase, welche er auf die eben erfolgte Trennung der
einfachen Augenanlage bezog, zu Gunsten seiner Ansicht an. Es
haben jedoch die Mehrzahl der neueren Embryologen, vor Allem
Arnold, Ammon, Bischoff, Schöler und Remak im Wesentlichen an
v. Baer sich angeschlossen und hat, wie schon angegeben, Huschke
nur insofern Recht bekommen, als beim Hühnchen ein Uebergangs-
stadium sich findet, in welchem die Stiele der beiden Augenblasen
mit einander in Verbindung sind.


Haben die primitiven Augenblasen ihre Lageveränderung durch-
gemacht, so sieht man sie, wenigstens mit ihren Stielen, an der Basis
des Zwischenhirns liegen, die Blasen selbst dagegen so gelagert,
dass sie mit der einen oberen Seite das Vorderhirn berühren, mit
der unteren dagegen, sowie mit der dem Stiele entgegengesetzten
Polfläche gegen die äusseren Bedeckungen gerichtet sind. Die äussere
Bedeckung der Augenblase soll nach Remak beim Hühnchen nur von
dem Hornblatte gebildet werden, in ähnlicher Weise wie auch das
Medullarrohr ursprünglich unmittelbar nach seiner Schliessung nur
vom Hornblatte bekleidet wird (s. Fig. 24, 25, 26). Derselbe meldet
nämlich (Untersuch. St. 91), dass über und unter den primitiven
Augenblasen das Hornblatt durch die Kopfplatten des mittleren
[275]Entwicklung des Auges.
Keimblattes, die auch die Haut erzeugen, vom Hirnrohre getrennt
sei, dass dagegen gerade an der Aussenfläche der Augenblasen das
Hornblatt so dicht aufliege, dass hier die Kopfplatten unterbrochen
zu sein scheinen. Wie beim Menschen und bei den Säugethieren diese
Verhältnisse sich gestalten, ist noch nicht erforscht, ich glaube je-
doch, gestützt auf später zu erwähnende Eigenthümlichkeiten der-
selben bei der Linsenbildung, annehmen zu dürfen, dass hier nicht
blos die Epidermis (das Hornblatt), sondern auch ein Theil der Cutis
die primitive Augenblase von aussen bedeckt.


In Betreff der weiteren Veränderungen der primitiven Augen-Umwandlungen
der primitiven
Augenblase im
Allgemeinen.

blasen gebe ich Ihnen nun zunächst zur Erleichterung des Verständ-
nisses der etwas schwierigen Verhältnisse folgende übersichtliche
Schilderung. Die primitive Augenblase wird nicht als solche zum
späteren Bulbus, vielmehr bildet sich dieser 1) aus der primitiven
Blase, 2) aus einer dieselbe einstülpenden Wucherung der gesamm-
ten äusseren Haut, welche die Linse und den Glaskörper liefert und
3) aus einer vom mittleren Keimblatte, d. h. den Kopfplatten, ab-
stammenden äusseren Hülle, welche die Faserhaut (Sclera und Cor-

Figure 136. Fig. 136.


nea) und vielleicht auch
einen Theil der Uvea er-
zeugt. Sobald nämlich die
primitive Augenblase ihre
bleibende Stellung einge-
nommen hat, wird die-
selbe an dem dem Stiele
entgegengesetzten Pole durch eine Wucherung des Hornblattes, die
zur Linse sich abschnürt, so eingestülpt, dass ihre vordere Wand an
die hintere Wand sich anlegt und die primitive Blase als solche ganz
verschwindet und nun ein doppelblätteriges becherförmiges Gebilde
darstellt, das mit seinem vorderen Rande die Linse umfasst (Fig.
136, 1, 2). Gleichzeitig mit dieser Einstülpung durch die Linse und

Fig. 136. Längsschnitte des Auges von Hühnerembryonen nach Remak.
1. Von einem etwa 65 Stunden alten Embryo. 2. Von einem nur wenige Stun-
den älteren Embryo. 3. Von einem viertägigen Embryo. h Hornblatt, l Linse
bei 1 noch sackförmig und mit dem Hornblatte verbunden, bei 2 und 3 abge-
schnürt aber noch hohl, o Linsengrube, r eingestülpter Theil der primitiven
Augenblase, der zur Retina wird, u hinterer Theil der Augenblase, der, wie
Remak glaubt, zur gesammten Uvea wird und bei 1 und 2 durch den hohlen
Sehnerven mit dem Gehirn verbunden ist, x Verdickung des Hornblattes um
die Stelle, von der die Linse sich abgeschnürt hat, gl Glaskörper.


18*
[276]Achtundzwanzigste Vorlesung.
unmittelbar nachher wuchert aber auch die Cutis der unteren Kopf-
fläche einwärts von der Linse gegen die primitive Blase und ihren
Stiel oder den späteren Sehnerven und treibt die untere Wand der-
selben gegen die obere; hierdurch entsteht hinter der Linse ein be-
sonderer Raum, der die neue Wucherung oder die Anlage des Glas-
körpers enthält (Fig. 136, 3), und gewinnt die primitive Augenblase
eine eigenthümliche Haubenform, welche Ihnen die Fig. 140 deut-
lich machen wird. Der Sehnerve selbst wird in Folge dieser
zweiten Wucherung einmal von einem hohlen Kanale, der er bis-
anhin war, zu einem bandförmigen soliden Gebilde und zweitens ge-
staltet sich dieses auch noch zu einer nach unten offenen Halbrinne.
Denkt man sich Linse und Glaskörperanlage, sowie die Einstülpung
in den Stiel der primitiven Blase weg, so würde die letztere nun wie
ein gestielter doppelblätteriger Becher erscheinen, an dessen einer
Seite eine breite Spalte sich fände. Die Höhle, zu der diese Spalte
führt, ist aber nicht mehr die ursprüngliche Höhlung der primitiven
Blase, die mit den Hirnhöhlen communicirt, sondern ein neues, an
der Aussenseite der ursprünglichen Blase entstandenes Cavum, für
welches nun auch ein neuer Namen, der der «secundären Au-
genblase»
nöthig wird. Im weiteren Verlaufe nun verwächst die
Spalte der secundären Blase und des Sehnerven und erscheint dann
die vorhin erwähnte Wucherung der Cutis als isolirter Glaskörper
und bindegewebige Axe mit den Vasa centralia im Sehnerven; fer-
ner wird die vordere Oeffnung der secundären Blase, in der die
Linse liegt, die schon seit der Abschnürung derselben von dem
Hornblatte bedeckt war, sowie die ganze übrige secundäre Augen-
blase auch noch von der Sclera und Cornea umschlossen und dann
ist das Auge in allen seinen wesentlichen Theilen angelegt.


Bildung
der Linse.
Betrachten wir nun nach dieser vorläufigen Schilderung die
einzelnen Vorgänge bei der Bildung des späteren Augapfels näher
und fassen wir zuerst die Linse ins Auge. Nachdem man früher
von der Entstehungsweise der Linse nicht die geringste genauere
Kenntniss gehabt hatte, entdeckte zuerst Huschke im Anfange der
dreissiger Jahre (Isis 1831. St. 950 und Meck. Arch. 1832. St. 17.
Taf. l. Fig. 5), dass die Linsenkapsel eine «Einstülpung des äusseren
Hautsystems» ist, die nachher von demselben sich abschnürt und in
sich die Linse erzeugt. Diese wichtige Beobachtung wurde später von
C. Vogt bei Coregonus palaea, von mir bei Tintenfischen und von
Remak beim Hühnchen bestätigt, dagegen gelang es verschiedenen
[277]Entwicklung des Auges.
anderen Autoren, wie Bischoff, Gray, Fr. A. v. Ammon (die Entw. d.
menschl. Auges. 1858. St. 52 u. flgde.) und Schöler nicht, sich von
der fraglichen Einstülpung zu überzeugen und wird es dessnahen
nicht überflüssig sein zu bemerken, dass beim Hühnchen die Oeff-
nung der Linsengrube äusserst leicht zu beobachten ist, wovon Sie
sich an einem früher Ihnen vorgelegten Embryo, an dem auch die
Oeffnung der Labyrinthblase des Gehörorganes zu sehen war, selbst
haben überzeugen können. Was die feineren Vorgänge der Linsen-
bildung betrifft, so hatte übrigens Huschke keine Kenntniss dersel-
ben und ist Vogt der Erste, der in seiner Embryologie des Salmones
1842. St. 76 und 77 zeigte, dass die Linse aus den Epidermiszellen
der Linsengrube hervorgeht, welche nach der Abschnürung der
Einstülpung erst einen hohlen Sack und dann einen soliden durch
und durch aus Zellen gebildeten Körper darstellen. Dieselbe Bezie-
hung der Linse zu dem Epithel der Linsengrube machte auch ich für
die Tintenfische wahrscheinlich (Entwickl. d. Cephalopoden. 1844.
St. 103) und Remak bestätigte dann diese Erfahrungen bei Fischen,
beim Frosche und beim Hühnchen. Am genauesten hat derselbe bei
dem letzten Thiere die Linsenbildung verfolgt und können Sie die
hier stattfindenden Vorgänge aus der Fig 136 entnehmen. h stellt
das Hornblatt dar, welches da, wo es der primitiven Augenblase an-
liegt, sich verdickt und einstülpt (Fig. 136, 1). In zweiter Linie (Fig.
136, 2) schnürt sich die dickwandige Linsengrube ganz ab, in der-
selben Weise, wie das Medullarrohr vom Hornblatte sich trennt, und
nun liegt die Linse als eine hohle dickwandige Blase in der vorderen
Vertiefung der eingestülpten primitiven Augenblase, die von nun an
als Höhlung der secundären Augenblase erscheint. Die Wandung der
eben gebildeten Linse besteht aus cylindrischen radiär gestellten
Zellen, welche später in Fasern auswachsen, wobei dann die ur-
sprüngliche innere Höhle bald schwindet. Beim Frosche soll nach
Remak (Unters. üb. d. Entw. d. Wirbelth. St. 150) die Linse nur
aus der tieferen farblosen Schicht des Hornblattes sich entwickeln,
jedoch anfänglich ebenfalls blasig sein, was mir nicht verständlich
ist, indem ja hier eine Linsengrube nicht vorhanden sein kann. Bei
Fischen dagegen sah Remak die Grube sehr schön, fand jedoch bei
Gobio die eben abgeschnürte Linse schon solid und aus Linsenfasern
gebildet, die während der Abschnürung sich bilden. — Diese Er-
fahrungen Remak’s sind, wie schon bemerkt, beim Hühnchen in der
That leicht zu bestätigen, immerhin will ich Ihnen noch eine Ab-
[278]Achtundzwanzigste Vorlesung.
bildung von demselben vorlegen (Fig. 137, 2) die eigentlich zur Ent-
wicklung der Geruchsorgane gehört, an welchen die Linsengrube

Figure 137. Fig. 137.


noch durch eine enge Oeff-
nung nach aussen mündet.
Was die Säugethiere und den
Menschen anlangt, so ist die
erste Bildung der Linse noch
gänzlich unbekannt, indem
auch Bischoff, der so viele
junge Säugethierembryonen
untersucht hat, in dieser Be-
ziehung durchaus nichts meldet. Immerhin ist nicht im Geringsten
zu bezweifeln, dass auch hier die Linse wesentlich in der nämlichen
Weise sich bildet wie beim Hühnchen, und stütze ich mich bei die-
sem Ausspruche auf eine Reihe Beobachtungen über die allerersten
Zustände des eben entstandenen Organes. Schon Valentin meldet
aus einer Zeit, wo man von Zellen noch nichts wusste, dass die
Linse eines 6‴ langen Schaaffötus an der ganzen Peripherie und fast
bis zur Mitte aus Bläschen, zwischen denen schuppenförmige Körper
lagen, zusammengesetzt war, allein diese Beobachtung kann als nicht
ganz zuverlässig — indem unter den grossen Bläschen wahrschein-
lich nichts als die bekannten grossen Eiweisstropfen aus den Linsen-
fasern gemeint sind — keine weitere Verwerthung finden. Dagegen
habe ich bei einem 7‴ langen Schaaffötus die Linse ganz und gar aus
kleinen kernhaltigen Zellen zusammengesetzt gefunden (Mikr. Anat. II.
St. 730) und bei einem acht bis neun Wochen alten Embryo des Men-
schen traf ich die ganze Linse von zarten spindelförmigen Zellen ge-
bildet. Diesen Erfahrungen kann ich jetzt noch die wichtige über die
Linse eines vier Wochen alten menschlichen Embryo anreihen. Diese
Linse von 0,06‴ Gesammtdurchmesser, die Sie in der Fig. 138 dar-
gestellt finden, war hohl wie die ebengebildete Linse des Hühner-

Fig. 137. Kopf eines Hühnerembryo vom dritten Tage, vergr., Chromsäure-
präparat. 1. von vorn, 2. von der Seite. n Geruchsgrübchen, l Linse mit einer
runden Oeffnung, durch die ihre Höhle nach aussen mündet, gl Augenspalte,
die mit der Bildung des Glaskörpers zusammenhängt und vom Rande der Linse
auf den Sehnerven oder Augenstiel übergeht, jedoch nicht deutlich genug aus-
gefallen ist. o Oberkieferfortsatz des ersten Kiemenbogens, u Unterkieferfort-
satz desselben, g Gehörbläschen durch eine runde Oeffnung nach aussen mün-
dend. Ausserdem sind noch der zweite und dritte Kiemenbogen und in der
Fig. 1 auch die Mundspalte sichtbar.


[279]Entwicklung des Auges.
embryo und bestand in ihrer 0,02‴ dicken Wand aus einfachen
0,003 — 0,004‴ breiten länglichen Zellen, die, wie mir schien, in

Figure 138. Fig. 138.


höchstens drei Schichten angeord-
net waren. Diese Linse ist somit
offenbar als eine noch sehr junge
anzusehen, doch war eine äussere
Ausmündung der Linsenhöhle be-
stimmt nicht mehr da.


Allem dem Bemerkten zufolge
steht auf jeden Fall so viel fest,
dass die Linse eine Production des
Hornblattes, mit anderen Worten
eine Epidermisbildung ist, die von
aussen her an das Auge herangelangt, und ist nur noch die Frage
aufzuwerfen, wie die structurlose Linsenkapsel und eine besondere
gefässreiche Kapsel der embryonalen Linse sich bilden, welche letz-
tere später noch besonders besprochen werden soll. Die structur-
lose Kapsel, die sehr früh sichtbar wird — Remak sah dieselbe schon
an der eben abgeschnürten Linse des Hühnchens — scheint mir ein-
fach eine Ausscheidung der Linsenzellen oder eine Art Cuticula an
der angewachsenen Seite eines Epithels zu sein, und was die ge-
fässreiche Kapsel anlangt, so halte ich dieselbe für eine mit der Linse
abgeschnürte Cutisschicht, indem ich besonders darauf mich stütze,
dass, wie die Glaskörperbildung uns lehrt, sicherlich mit der Epi-
dermis auch die Cutislage in das primitive Auge sich einstülpt.


Mit Bezug auf den Glaskörper nämlich ist, obschon dessenEntwicklung des
Glaskörpers.

Bildung noch sehr im Dunkeln liegt, doch so viel sicher, dass der-
selbe ebenfalls, wie die Linse, nicht in der primitiven Anlage des
Auges gegeben ist, sondern von aussen her sich bildet und die pri-

Fig. 138. Vordere Hälfte eines senkrecht durchschnittenen Auges eines
vier Wochen alten menschlichen Embryo, von der Schnittfläche aus gesehen,
100mal vergr. l Linse mit einer centralen Höhle, g Glaskörper durch einen
Stiel g′, der durch die Augenspalte hindurchdringt, mit der Haut unterhalb des
Auges verbunden, v Gefässschlinge, die in diesem Stiele in das Innere des
Glaskörpers eindringt und hinter der Linse liegt, i innere Lamelle der secun-
dären Augenblase oder Retina, a äussere Lamelle derselben, die bei a′ schon
Pigment in ihren Zellen enthält und zur Pigmentlage der Chorioidea sich ge-
staltet, h Zwischenraum zwischen beiden Lamellen oder Rest der Höhle der
primitiven Augenblase.


[280]Achtundzwanzigste Vorlesung.
mitive Augenblase einstülpt. V. Baer und Viele mit ihm nahmen sei-
ner Zeit an, dass die primitive Augenblase unmittelbar zum späteren
Bulbus sich gestaltet, und da lag es dann natürlich nahe, den Glas-
körper als die fester gewordene Flüssigkeit im Innern dieser Blase
aufzufassen und denselben mit der Flüssigkeit in den Hirnhöhlen,
mit denen ja die Augenblase ursprünglich in offener Verbindung
steht, zu vergleichen. Eine Wendung zu einer richtigeren Erkennt-
niss wurde zuerst durch Huschke gegeben, der (Ammon’s Zeitschr. f.
Ophthalmologie 1835. St. 275) zeigte, dass die primitive Augenblase,
wie er glaubte, durch die Bildung der Linse so eingestülpt werde,
dass die vordere Wand derselben an die hintere sich anlege und jede
Spur der früheren Höhlung schwinde, welche Beobachtung dann
später von Remak bestätigt wurde. Somit war klar, dass der Glas-
körper nicht im Innern der primitiven Blase, sondern gerade umge-
kehrt an der Aussenseite derselben, d. h. zwischen dem vorderen
eingestülpten Blatte derselben und der Linse sich bilden müsse, doch
gelang es keinem der beiden genannten Autoren, irgend weitere That-
sachen aufzufinden. Erst Schöler, einem Schüler Reichert’s, gebührt
das Verdienst, gezeigt zu haben, dass auch der Glaskörper von den
äusseren Bedeckungen in die primitive Blase sich einstülpt, wie diess
die Fig. 138 Ihnen versinnlicht. Während nämlich von vorn her
die Linse die primitive Augenblase einstülpt, geschieht diess kurze
Zeit darauf auch von unten her durch einen Fortsatz, welcher wohl
unzweifelhaft als eine Wucherung der Cutis gedeutet werden darf.
Anfänglich erscheint dieser Fortsatz in Gestalt einer schmalen und
kurzen Leiste, welche unmittelbar hinter und unter der Linse die
untere Wand der primitiven Blase gegen die obere drängt, bald aber
wuchert dieser Fortsatz mit Ausnahme seiner Abgangsstelle von der
Haut zu einem kugeligen Gebilde heran und dann ist die primitive
Augenblase nicht nur von vorn, sondern auch von unten her voll-
kommen eingestülpt, so dass die vordere und untere die obere und
hintere Wand derselben berührt, und erscheint nun als «secun-
däre Augenblase»
, welche den Glaskörper einschliesst, mit ihrem
vorderen Rande die Linse umfasst und unten eine Spalte zeigt, durch
welche der Glaskörper mit der Haut zusammenhängt. Diese secun-
däre Blase kann so lange, als die Spalte, die wir einfach als «Augen-
spalte» bezeichnen wollen, vorhanden ist, am zweckmässigsten mit
einer eng anliegenden Haube verglichen werden. Später jedoch
schliesst sich die Spalte ganz und gar und dann ist die secundäre
[281]Entwicklung des Auges.
Blase ein Becher, der im Innern den Glaskörper und an seiner Mün-
dung die Linse enthält.


Diese Darstellung Schöler’s, über die bis jetzt noch Niemand
sich geäussert hat, muss ich nach meinen Erfahrungen an Hühner-
embryonen und beim Menschen für vollkommen begründet halten.
An Hühnerembryonen des dritten Tages, an denen die Linsengrube
noch offen ist, sieht man, am besten nach ihrer Erhärtung in Chrom-
säure, vom Rande der Linse aus wie eine feine Spalte nach unten
und innen ziehen, welche dann an der Schädelbasis zwischen dem
Geruchsgrübchen und dem Oberkieferfortsatz ausläuft. Schnitte
quer auf diese Linie ergeben, dass hier die Cutislage ohne Hornblatt
an den Sehnerven und die primitive Augenblase herangewuchert ist
und dieselben eingestülpt hat, gerade in derselben Weise, wie diess
Schöler beschreibt und abbildet. Was menschliche Embryonen an-
langt, so ist es mir gelungen, an einem solchen von vier Wochen die
Glaskörperbildung aufs bestimmteste zu demonstriren und lege ich

Figure 139. Fig. 139.


Ihnen hier die Abbildung des Quer-
schnittes des Auges vor (Fig. 139), an
welchem die Einstülpung der primi-
tiven Augenblase hinter der Linse und
der von aussen eindringende Cutis-
fortsatz deutlich zu sehen sind. Das-
selbe zeigt Ihnen auch die Fig. 138,
welche den vorderen Abschnitt des-
selben Auges von der hinteren Seite
gesehen zugleich mit der Linse dar-
stellt. In beiden Figuren stellt i die
innere dickere und a die äussere dünnere Lamelle der eingestülp-
ten primitiven Blase dar, die aufs bestimmteste in einander über-
gehen und nur noch durch einen spaltenförmigen Raum von einan-
der getrennt sind. Der Glaskörper g erscheint ziemlich kugelrund
von beiläufig 0,08‴ Durchmesser und steht durch einen am vorderen
Segmente breiteren (von 0,03‴), am hinteren schmäleren (von

Fig. 139. Hintere Hälfte des senkrecht durchschnittenen Auges eines vier
Wochen alten menschlichen Embryo (desselben Auges das in der Fig. 138 dar-
gestellt ist) bei auffallendem Lichte von vorn betrachtet, 64mal vergr., a äus-
sere Lamelle der secundaren Augenblase (Pigmentschicht), i innere Lamelle
derselben (retina), g Glaskörper, g′ Stiel desselben in der Augenspalte, h Rest
der Höhle der primitiven Augenblase.


[282]Achtundzwanzigste Vorlesung.
0,014‴) Stiel mit der das Auge von unten her begrenzenden Cutis-
lage im Zusammenhang. Im vorderen Segmente drang durch diesen
Stiel ein Gefäss in den Glaskörper ein und endete im unteren Drit-
theile desselben mit einer Schlinge, eine Bildung, die ich für einmal
nicht zu deuten wage. Der Glaskörper selbst sah bei schwächeren
Vergrösserungen körnig, bei stärkeren wie aus kleinen Zellen zu-
sammengesetzt aus, doch muss ich Ihnen gestehen, dass ich mit
Bezug auf letzteren Punct zu keinem sicheren Entscheide gelangte.
Mag dem sein wie ihm wolle, so ist auf jeden Fall Schöler’s Ent-

Figure 140. Fig. 140.


deckung für den Menschen
bestätigt und auch bei die-
sem die Einstülpung der
primitiven Augenblase nach-
gewiesen. — Zur Vervoll-
ständigung des Bildes be-
trachten Sie nun übrigens
noch die Fig. 140, die senk-
rechte Durchschnitte des
anderen Auges des näm-
lichen menschlichen Embryo
darstellt, von dem so eben
die Rede war. Fig. 140, 1
ist leicht verständlich und
zeigt einfach die einge-
stülpte primitive Augenblase
mit Linse und Glaskörper,
so wie sie erscheinen, wenn
der Schnitt neben der Au-

Fig. 140. Senkrechter Längsschnitt durch das Auge eines vier Wochen
alten menschlichen Fötus in zwei Ansichten, die durch verschiedene Einstel-
lung gewonnen wurden. 1. Ansicht der Schnittfläche selbst, die neben dem
Eintritte des Sehnerven und der Augenspalte angelegt wurde. 2. Scheinbare
Schnittfläche in der Gegend der Augenspalte. o untere Wand des platten aber
noch mit einer Höhlung co versehenen Nervus opticus, die in 2 mit i, der inne-
ren Lamelle der secundären Augenblase oder der Retina in Verbindung steht, in
1 dagegen mit der äusseren Lamelle a derselben verbunden erscheint. o′ obere
Wand des Sehnerven, p Stelle der äusseren Lamelle der secundären Augen-
blase, wo die Bildung des schwarzen Pigmentes schon begonnen hat, l Linse,
deren Höhlung nicht dargestellt ist, g Glaskörper, g′ Stelle wo der Glaskörper
durch die Augenspalte mit deri n das Auge eindringenden Cutislage zusammen-
hängt. Vergr. 100.


[283]Entwicklung des Auges.
genspalte und dem Sehnerven durchgeht. Fig. 140, 2 dagegen stellt
einen Schnitt mitten durch den Sehnerven und die Augenspalte dar,
an welchem somit eine untere Begrenzung der secundären Augen-
blase fehlt und die Contour nur durch den Glaskörper gebildet wird.
Der Sehnerv war an diesem Auge ungemein dickwandig und auf-
wärts gebogen und mit einer verhältnissmässig weiten Höhlung ver-
sehen, nichtsdestoweniger war er schon platt und breit.


Dieselbe Einstülpung wie die primitive Augenblase scheint nunBildung des
Sehnerven.

nach Huschke’s Entdeckung (l. c. und Lehre v. d. Eingeweiden. St. 732)
der Sehnerve zu erleiden. Ursprünglich ist derselbe hohl und führt
in die Höhlung der primitiven Blase. Dann aber legt sich die untere
Wand desselben an die obere, der Nerv wird platt und krümmt
sich zugleich so, dass er eine nach unten offene Halbrinne bildet,
welche in die Höhle der secundären Augenblase ausläuft. Endlich
schliesst sich die Rinne und der Nerv wird wieder cylindrisch.
Huschke hat nun freilich nicht angegeben, wodurch diese Umwand-
lung des primitiven Sehnerven bewirkt werde, und eben so wenig
hat Schöler über diese Verhältnisse Mittheilungen gemacht. Wenn
man jedoch bedenkt, dass der Sehnerv die Vasa centralia retinae ent-
hält, so wie dass die Vasa hyaloidea der Embryonen die unmittelbare
Fortsetzung derselben sind, so kann wohl kaum bezweifelt werden,
dass dieselbe Cutiswucherung, die die primitive Augenblase einstülpt
und zur Bildung des Glaskörpers führt, auch noch am Sehnerven
sich findet, denselben ebenfalls einstülpt und hier in den gefäss-
haltigen Bindegewebsstrang im Innern sich umwandelt, wie sich
diess in der That nach der eben vorhin Ihnen gemachten Mittheilung
auch beim Hühnchen beobachten lässt. Bei dieser Auffassung wird
es dann auch begreiflich, dass, obschon der Sehnerv ursprünglich
mit der hinteren Wand der primitiven Augenblase in Verbindung
steht, derselbe später doch mit der inneren d. h. vorderen Lamelle
der secundären Augenblase in Vereinigung gefunden wird.


Ueber die weiteren Schicksale der zwei Blätter der secundärenBedeutung
der 2 Blätter
der secundären
Augenblase.

Augenblase, die von der Einstülpung der primitiven Blase herrüh-
ren, von denen das innere viel dicker ist als das äussere (s. Fig.
137), sind die Ansichten noch sehr getheilt. Während Huschke
und mit ihm Schöler der Ansicht ist, dass das äussere Blatt zur
Stäbchenschicht, das innere zur eigentlichen Retina sich gestalte, hat
Remak mit grosser Bestimmtheit sich dahin ausgesprochen, dass das
[284]Achtundzwanzigste Vorlesung.
innere zur ganzen Retina, das äussere zur Chorioidea sich umwandle,
eine Aufstellung, die a priori allerdings nicht für sich einnimmt, da
mit derselben ausgesprochen wird, dass die primitive Augenblase
mit ihrer vorderen und hinteren Hälfte zu ganz verschiedenartigen
Membranen sich metamorphosire. Indessen kann, wie Sie leicht ein-
sehen werden, eine exacte Naturforschung auf solche Gründe nicht
viel Gewicht legen, dagegen fällt es schwerer in die Wagschale,
dass der neueste Beobachter A. Müller (Allg. med. Centralzeit. 1858.
Nr. 46) gegen Remak sich ausgesprochen hat und wie Huschke die
äussere Wand der eingestülpten primitiven Blase zur Stäbchen-
schicht sich gestalten lässt. Ich bin so glücklich, in dieser schwie-
rigen Frage Ihnen eine ganz bestimmte Entscheidung geben zu kön-
nen, welche zwar weder mit der einen noch mit der anderen
Annahme ganz stimmt, aber doch näher an die von Remak sich an-
schliesst. Bei dem in der Fig. 141 abgebildeten Auge eines vier
Wochen alten menschlichen Embryo nämlich war das schwarze

Figure 141. Fig. 141.


Augenpigment in der allerersten
Anlage vorhanden und dieses Pig-
ment in Gestalt feiner schwarzer
Körnchen fand sich einzig und allein
in den innersten Theilen der
äusseren Lamelle der eingestülpten
primitiven Blase und zwar nur in
der vorderen Hälfte des Auges.
Somit ist klar, dass die genannte
äussere Lamelle nicht zur Retina,
sondern zur Chorioidea gehört und
zwar glaube ich, gestützt auf Erfahrungen, die später erwähnt wer-
den sollen, dass dieselbe nicht zur ganzen Aderhaut, sondern ein-
zig und allein zur Pigmentschicht derselben
sich um-

Fig. 141. Vordere Hälfte eines senkrecht durchschnittenen Auges eines
vier Wochen alten menschlichen Embryo, von der Schnittfläche aus gesehen,
100mal vergr. l Linse mit einer centralen Höhle, g Glaskörper durch einen
Stiel g′, der durch die Augenspalte hindurchdringt, mit der Haut unterhalb des
Auges verbunden, v Gefässschlinge, die in diesem Stiele in das Innere des Glas-
körpers eindringt und hinter der Linse liegt, i innere Lamelle der secundären
Augenblase oder Retina, a äussere Lamelle derselben, die bei a′ schon Pigment
in ihren Zellen enthält und zur Pigmentlage der Chorioidea sich gestaltet, h
Zwischenraum zwischen beiden Lamellen oder Rest der Höhle der primitiven
Augenblase.


[285]Entwicklung des Auges.
wandelt. Die die Pigmentkörnchen enthaltende äussere Lamelle maass
übrigens 0,014 — 0,016‴ in der Dicke und bestand aus deutlichen
kernhaltigen polygonalen Zellen, die, wie mir schien, in zwei,
sicherlich aber nicht mehr Lagen angeordnet waren. Die innere
Lamelle (i) von 0,03 — 0,04‴ Dicke dagegen war aus vielen radiär
gestellten kleinen schmalen Zellen zusammengesetzt.


[[286]]

Neunundzwanzigste Vorlesung.


Entwicklung
der Faserhaut
des Auges.
Meine Herren! Nachdem ich Ihnen nun die Bildung des Auges
im Allgemeinen und namentlich mit Hinsicht auf die frühesten Zu-
stände geschildert habe, wende ich mich jetzt zu einer speciellen
Darstellung der einzelnen Theile desselben und beginne mit der
Sclerotica und Cornea. Beide diese Häute, welche zusammen
die Faserhaut des Auges darstellen, sind bei der ersten Entwicklung
des Auges noch nicht angelegt, vielmehr sondern sich dieselben erst
in zweiter Linie aus den benachbarten Theilen der Kopfplatten in
ähnlicher Weise wie z. B. die Dura und Pia mater des Gehirns und
Rückenmarks aus den Urwirbeln und nicht aus dem Medullarrohre
selbst hervorgehen. So sicher diess ist, so wenig ausgemacht ist es
auf der anderen Seite, ob die Faserhaut des Auges gleich als ge-
schlossene Blase erscheint oder ursprünglich die Form der eben-
gebildeten secundären Augenblase hat, d. h. eine Spalte oder Lücke
an der unteren inneren Seite und vorn ein Loch entsprechend der
Linse besitzt. Für das Vorkommen einer Art Spalte an der jungen
Sclera sprechen einige jedoch nicht klar genug vorgebrachte Mitthei-
lungen von Ammon (die Entwicklungsgesch. d. menschl. Auges. 1858.
St. 40 u. flgde.) und zu Gunsten der Annahme eines ursprünglichen
Mangels der Faserhaut vor der Linse lässt sich der Umstand anfüh-
ren, dass auf jeden Fall die Linse uranfänglich nur von der äusseren
Haut, nach Remak selbst nur von dem Hornblatte bedeckt ist. Mag
dem sein wie ihm wolle, so bildet auf jeden Fall die Faserhaut sehr
früh schon eine vollkommen geschlossene Blase, und ist in der Mitte
des zweiten Monats bei menschlichen Embryonen deutlich und be-
stimmt zu erkennen, während der vier Wochen alte Embryo noch
keine Spur von ihr zeigt. In diesem und in der ersten Hälfte des
[287]Entwicklung des Auges.
dritten Monates sind jedoch der vordere und der hintere Abschnitt
derselben noch vollkommen gleich beschaffen und wird der erstere
erst am Ende des dritten Monates und im vierten Monate allmälig
durchsichtig und somit zur Cornea. Um diese Zeit ist auch die Horn-
haut stark gewölbt, was später nach und nach sich verliert, und was
ihre Dicke anlangt, so ist zu bemerken, dass dieselbe anfänglich
kaum dünner ist als die Sclera, wie Ihnen die Fig. 142 deutlich zeigt,
und in kurzer Zeit dieselbe an Stärke bedeutend übertrifft, so dass
sie zu einer gewissen Zeit mächtiger ist als in der nachembryo-
nalen Zeit.


Die Sclerotica ihrerseits verdickt sich viel langsamer und
bleibt während der ganzen Fötalzeit unverhältnissmässig dünn, da-
her sie auch wegen des Durchschimmerns des inneren Augenpigmen-
tes ein bläuliches Ansehen hat. Ihr Dickenwachsthum kommt nach
Ammon durch äussere Auflagerungen zu Stande, beginnt in einer
mittleren Ringzone und schreitet von da nach vorn und hinten fort;
doch ist sie an der Grenze gegen die Cornea noch am Ende der Fötal-
periode auffallend dünn und ebenso in der Nähe des Sehnerven,
besonders nach hinten und aussen an einer Stelle, welche nach
Ammon schon im dritten Monate deutlich ist und die von ihm soge-
nannte Protuberantia scleralis bildet (l. c. Taf. III. Fig. 15).


In ähnlicher Weise wie die Faserhaut des Auges bildet sich auf
jeden Fall auch die Scheide des Sehnerven, welche ebenfalls im
zweiten Monate schon deutlich wird.


Die zweite oder Gefässhaut des Auges anlangend, so habe ichGefässhaut.
schon der widersprechenden Ansichten Erwähnung gethan, die mit
Bezug auf ihre erste Bildung aufgetaucht sind. Nach der Annahme
von Remak entsteht die ganze Chorioidea aus der äusseren Lamelle der
secundären Augenblase, die, wie Sie bereits wissen, ursprünglich
nichts Anderes als die hintere Hälfte der primitiven Augenblase ist,
und begreift sich so leicht, dass dieselbe ursprünglich nicht weiter
reicht als die Retina und der Rand der Linse und mithin vorn ein
Loch besitzt, welches dem Durchmesser der Linse entspricht (siehe
Fig. 136). Nach der Auffassung von Huschke, Schöler und Aug. Mül-
ler
wird die gesammte secundäre Augenblase zur Retina und kann
demnach die Chorioidea nichts Anderes als eine äussere Auflagerung
sein, gerade wie die Sclerotica und Cornea. Auch bei dieser Auf-
stellung liesse sich das Vorkommen einer vorderen Oeffnung begrei-
[288]Neunundzwanzigste Vorlesung.
fen, indem wir ja vorhin selbst von der Tunica fibrosa es als nicht
unmöglich dargestellt haben, dass ihr vorderer Abschnitt ursprüng-
lich fehle. Einer dritten Ansicht endlich bin ich, wie Sie schon
wissen, selbst zugethan, der nämlich, dass die Pigmentschicht der
Chorioidea aus der äusseren Lamelle der secundären Augenblase, die
Gefässlage dagegen ebenso wie die Sclerotica aus einer äusseren
Auflagerung hervorgehe. Für die erste Annahme habe ich Ihnen
schon früher meine Gründe vorgebracht und will ich Ihnen daher
nur noch sagen, warum ich nicht die ganze Chorioidea aus der ge-
nannten Lamelle entstehen lasse. Der Hauptgrund ist für mich das

Figure 142. Fig. 142.


Verhalten ganz junger Augen,
wie die Fig. 142 eines dar-
stellt. An diesem Auge besteht
die äussere Umhüllung des Au-
ges aus einer einzigen aus
sich entwickelndem Faserge-
webe zusammengesetzten Haut,
die hinten die Pigmentschicht
umschliesst und vorn in die
Hornhaut sich fortsetzt und
ist von einer besonderen Cho-
rioidea
gar nichts zu sehen.
Andererseits ist zwar die Lücke
zwischen den beiden Lamel-
len der secundären Augen-
blase, die zur Retina und zum Pigmentum nigrum sich gestalten, ver-
schwunden und die beiden Lamellen nicht mehr in directer Ver-
bindung, immerhin hängen dieselben noch sehr innig zusammen und
geht selbst das Pigment ein klein wenig auf das vordere abgerun-
dete Ende der Retina über. Wäre die Gefässschicht der Chorioidea
ein Theil der secundären Augenblase, so müsste die Abgrenzung
derselben von der Sclerotica auch in ganz jungen Augen schon sicht-
bar sein und bin ich daher der Meinung, dass die eigentliche Chori-
oidea
nichts als eine Abzweigung der primitiven Faserhaut ist, die

Fig. 142. In Chromsäure erhärtetes Auge eines 9‴ langen Kalbsembryo
senkrecht durchschnitten, 64mal vergr. cc Conjunctiva corneae, e eigentliche
Cornea, l Linse, g Glaskörper mit Blutgefässen, r Retina, p Pigmentum nigrum,
sc
Anlage der Sclerotica und Gefässschicht der Chorioidea, m Rectus superior
und inferior in Bildung begriffen.


[289]Entwicklung des Auges.
die Fig. 142 darstellt, in derselben Weise, wie diess von der Pia
mater
und von der Faserhaut des häutigen Ohrlabyrinthes gilt. Diese
meine Auffassung stimmt auch besser mit dem, was wir sonst von
den Leistungen des Hornblattes wissen, als die von Remak, denn das
Pigmentum nigrum ist doch offenbar nichts als ein Epithel und wis-
sen wir ja, dass auch die Medullarplatte solche Bildungen zu erzeu-
gen im Stande ist. — Mit Bezug auf die früheste Gestaltung der
Chorioidea will ich Ihnen nun übrigens noch bemerken, dass Schö-
ler
der Ansicht ist, dass auch die Gefässhaut, wie die Faserhaut, zu
einer gewissen Zeit eine ganz geschlossene Blase bilde, deren vor-
derer Abschnitt, die Membrana pupillaris und capsulo-pupillaris,
später schwinde, eine Aufstellung, die, wie ich Ihnen später zu zei-
gen hoffe, kaum haltbar ist.


Mag die Tunica vasculosa so oder so entstehen, so ist auf jedenPigmentirung.
Fall so viel sicher, dass dieselbe anfänglich nicht weiter reicht als
der Rand der Linse, sowie dass die Iris ursprünglich noch nicht
vorhanden ist. Die Pigmentirung beginnt beim menschlichen Embryo,
wie wir sahen, schon in der vierten Woche (Fig. 141) zu einer Zeit,
wo die zwei Lamellen der secundären Augenblase noch zusammen-
hängen und zwar ganz vorn und oben, und schreitet von da rasch
auf die übrigen Theile der Haut fort, so dass im zweiten Monate, in
dem auch schon, und zwar in der Mitte desselben nach Arnold, die
Corona ciliaris sich zu entwickeln beginnt, die ganze Haut sich färbt
(siehe auch Fig. 142). Am Ende des zweiten Monates, deutlich jedochIris.
erst im dritten Monate wächst vom vorderen Rande der Chorioidea
eine anfänglich ungefärbte Lamelle in kreisförmiger Linie vor, welche
dann nach und nach zur Iris wird und zwischen Hornhaut und Linse
weiter sich vorschiebend allmälig eine grössere Entfaltung gewinnt

Figure 143. Fig. 143.


und im dritten Monate auch vom Pupillar-
rande aus sich färbt. Eine bemerkenswerthe
und vielbesprochene Erscheinung ist die so-
genannte Chorioidealspalte. Es zeigtChorioideal-
spalte.

nämlich die Chorioidea bei jungen Embryo-
nen an der unteren inneren Seite einen ei-
genthümlichen, nicht pigmentirten Streifen

Fig. 143. Kopf eines Hühnerembryo vom vierten Tage von unten, vergr.
Chromsäurepräparat. n Nasengrube, o Oberkieferfortsatz des ersten Kiemen-
bogens, u Unterkieferfortsatz desselben, k″ zweiter Kiemenbogen, sp Cho-
rioidealspalte des Auges, s Schlund.


Kölliker, Entwicklungsgeschichte. 19
[290]Neunundzwanzigste Vorlesung.
(Fig. 91, 143), welcher vom Pupillarrande bis zum Opticuseintritte
verläuft. Diese Bildung ist von gewissen Forschern als eine wirkliche
Lücke aufgefasst und mit dem Namen der Choroidealspalte belegt
worden und hat mit Bezug auf ihre Bedeutung und Entwicklung zu
den verschiedenartigsten Meinungen Veranlassung gegeben.


Fassen wir zuerst das Thatsächliche ins Auge, so ist sicher,
dass bei den Augen aller Wirbelthiere und auch beim Menschen, bei
dem der Streifen in der sechsten bis siebenten Woche schwindet, so-
bald die Pigmentirung deutlicher wird, ein farbloser Streifen an der
angegebenen Stelle der Gefässhaut sich findet, sowie dass dieser
Streifen an derselben Stelle liegt, wo beim menschlichen und beim
Hühnerembryo die Einstülpung des Glaskörpers in die secundäre
Augenblase sich macht. Ferner ist nach der früher auseinanderge-
setzten Entwicklung der secundären Augenblase nicht zweifelhaft,
dass dieselbe anfänglich unten und innen wirklich eine Lücke hat,
die dann später sich schliesst. Es ist somit klar, dass die Retina,
die auf jeden Fall aus der Wand der secundären Augenblase sich
bildet, ursprünglich eine Spalte haben muss und nach meinen Er-
fahrungen beim Menschen ebenso gewiss, dass eine solche auch an
der Pigmentschicht der Chorioidea sich findet. Wäre die Ansicht von
Remak über die Entstehung der Gefässschicht der Chorioidea richtig,
so könnten wir unbedingt auch dieser eine Spalte zuschreiben, allein
wie die Sachen für einmal liegen, ist eine Entstehung derselben aus
der secundären Augenblase nicht wahrscheinlich und somit kein
Grund vorhanden, an dieser Schicht eine Spalte zu statuiren. In der
That hat nun auch, obschon gewisse pathologische Erfahrungen für
eine Spalte der Chorioidea zu sprechen scheinen, die directe Beob-
achtung der fötalen Chorioidea bisanhin noch nichts von einer sol-
chen ergeben. Jene Erfahrungen sind die von pathologischen Spalt-
bildungen aller Augenhäute und des Glaskörpers in der nachembryo-
nalen Zeit, die allerdings bei der Annahme normaler Fötalspalten
auch in den äusseren Augenhäuten unschwer sich erklären würden,
aber wie leicht begreiflich doch nicht mit Bestimmtheit für die Anwe-
senheit solcher sprechen. Die directen Beobachtungen über die fötale
Chorioidea anlangend, so ist zu bemerken, dass bisanhin eigentlich
keine genaue Untersuchung bekannt geworden ist, in welcher eine
Spalte in der Chorioidea nachgewiesen worden wäre, während auf
der anderen Seite ein so genauer Beobachter wie v. Baer versichert,
dass die sogenannte Spalte nur ein pigmentloser Streifen sei. Das-
[291]Entwicklung des Auges.
selbe meldet auch Remak (Unters. St. 35) und ist es in der That nicht
schwer bei Hühnerembryonen sich zu überzeugen, dass in der Ge-
gend der Spalte die Unterbrechung einzig und allein in der Pigment-
schicht liegt, und so werden wir denn dahin uns aussprechen dür-
fen, dass der weissliche Streifen an der schon gefärbten Aderhaut
nur eine Lücke der Pigmentschicht und nicht der gesammten Chori-
oidea
sei.


Die Retina ist ein Theil der primitiven und später der secun-Retina.
dären Augenblase, und entsteht nach den Erfahrungen von Remak
und mir ganz bestimmt nur aus der inneren Lamelle der letzteren.
Die Retina geht somit aus einer ächten Wucherung oder Ausstül-
pung des Gehirns hervor und ist die zuerst gebildete Augenhaut.
Wie aus dem bisher Angegebenen hinreichend klar geworden sein
wird, reicht dieselbe, sobald einmal die Linse und die secundäre
Augenblase entstanden ist, bis an den Rand der Linse und endet hier
mit einem freien dicken Rande, (Figg. 142, 144). Diese weite Er-
streckung der Retina nach vorn lässt sich nicht blos bei ganz jungen
Embryonen leicht demonstriren, sondern ist auch noch in späteren
Zeiten nachzuweisen, wie beim Hühnchen aus der Mitte der Aus-
brütungsperiode und bei menschlichen Embryonen aus dem zweiten
bis fünften Monate. In der zweiten Hälfte des embryonalen Lebens
bleibt jedoch der vordere Theil der Retina im Wachsthume zurück
(beim sieben- bis achtmonatlichen Fötus misst diese Lage nach
Huschke [Eingeweidelehre St. 728] nur noch \frac{1}{158}‴) und bildet sich
nach und nach zu der Pars ciliaris um, die, wie Sie wissen, beim
Erwachsenen keine nervösen Elemente mehr enthält. Eine fernere
von allen Beobachtern gesehene und leicht zu bestätigende Sache
ist die Dicke der embryonalen Retina. Bei dem erwähnten vier Wo-
chen alten menschlichen Embryo betrug die Dicke der Retina 0,03—
0,04‴ und verhielt sich zum Gesammtdurchmesser des Auges wie
1 : 7,3—1 : 5,5; bei dem Auge des 8½‴ langen Kalbsembryo, das
die Fig. 142 darstellt, maass die Retina 0,15—0,16‴, das Auge selbst
0,7‴, das Verhältniss war somit 1 : 4,6—1 : 4,3. In der zehnten
Woche verhält sich nach Valentin die Dicke der Retina zum Quer-
durchmesser des Augapfels wie 1 : 8, während das Verhältniss beim
Erwachsenen wie 1 : 25—30 ist. Durch diese bedeutende Dicke er-
innert die Retina noch lange an ihren Ursprung aus dem Hirn, um
so mehr, da sie auch, rascher wachsend als die übrigen Augentheile,
schon im zweiten Monate nach innen Falten schlägt. Zuerst scheint
19*
[292]Neunundzwanzigste Vorlesung.
eine Falte an der unteren Seite des Sehnerven aufzutreten, zu der
sich dann aber bald noch zahlreiche andere gesellen, welche vor-
zugsweise im Grunde des Auges stehen. Gegen das Ende des
Embryonallebens verschwinden nach und nach diese Falten wie-
der und beim Neugebornen ist die Haut ganz glatt wie beim Er-
wachsenen.


Der gelbe Fleck fehlt beim Embryo, und ist selbst bei Neu-
gebornen noch nicht sichtbar. Nach Huschke (Eingeweidel. St. 728)
findet sich beim Fötus in dieser Gegend wirklich eine Spalte oder ein
Centralloch, während beim Erwachsenen bekanntlich die Retina
hier nur eine dünne Stelle hat, und ist dieser Autor der Ansicht (de
pectine avium
1827. Progr. §. 8), dass das Loch ein Rest der fötalen
ursprünglichen Spalte des Augapfels sei, welcher Auffassung auch
v. Baer sich angeschlossen hat (Entw. II. St. 248). Gegen diese An-
sicht spricht jedoch, wie schon Brücke und Schöler hervorgehoben
haben, die Lage des gelben Fleckes an der äusseren Seite des Seh-
nerven, während die ursprüngliche fötale Augenspalte an der unte-
ren inneren Seite des Auges ihre Lage hat.


Gefässe des
fötalen Auges.
Wir wenden uns nun zum Glaskörper und zur Linse,
welche in mehrfacher Beziehung ein besonderes Interesse beanspru-
chen. Zunächst bemerke ich Ihnen, dass beide durchsichtigen
Medien des fötalen Säugethier- und Menschenauges mit einem be-
sonderen Systeme von Gefässen versehen sind, von dem man beim
Erwachsenen keine Spur mehr findet. Ein Durchschnitt des Auges
zur Zeit der vollen Entwicklung dieser Gefässe gibt folgendes Bild
(Fig. 144). Die grosse und so dicht an der Hornhaut anliegende

Figure 144. Fig. 144.


Fig. 144. Vorderer Theil des halbirten 10½mm grossen Auges eines Kalbs-
embryo, vergr. l structurlose Linsenkapsel, v hinterer Theil der gefässhal-
tigen Kapsel der Linse, cp Membrana capsulo-pupillaris, p Membrana pupil-
laris, h M. hyaloidea
und Fortsetzung derselben in die Zonula Zinnii, die mit
der M. capsulo-pupillaris sich vereint. Die hintere Wand des Petit’schen Kanales


[293]Entwicklung des Auges.
Linse, dass von einer vorderen Augenkammer eigentlich noch keine
Rede sein kann, ist von einer dünnen bindegewebigen Membran, der
sogenannten «gefässhaltigen Kapsel» umschlossen, welche sichGefässhaltige
Kapsel der Linse.

enge an die hintere Wand derselben anschmiegt (v), dann am Rande
des Organs auf die vordere Seite umbiegt, und zwischen Iris und
Linse, die ebenfalls dicht beisammen liegen, bis zum Irisrande nach
vorn verläuft (cp), woselbst sie mit der Iris zusammenhängt und
das Sehloch verschliesst (p). Die einzelnen Theile dieser Haut sind
nur nach und nach den Anatomen zur Beobachtung gekommen und
erklärt es sich so, dass dieselben unter besonderen Namen aufge-
führt worden sind, was zu mehrfachen Missverständnissen Veran-
lassung gegeben hat. Am frühesten wurde die Haut bekannt, welche
das Sehloch schliesst, und ist diess die vielbesprochene MembranaMembrana
pupillaris
.

pupillaris (p), erst viel später und vor Allem durch J. Müller und
Henle (s. des letzteren Diss. de membrana pupillari, Bonnae 1832)
wurde dann auch die Fortsetzung der Pupillarhaut bis zum Rande
der Linse (cp) oder die Membrana capsulo-pupillaris genauer unter-Membrana
capsulo-
pupillaris
.

sucht und ist es namentlich der Verdienst von Henle nachgewiesen
zu haben, dass beide Häute und die längst bekannte Gefässausbrei-
tung an der hinteren Wand der Linse (v) zusammengehören und
eine besondere gefässreiche fötale Umhüllung der Linse bilden.


Die Gefässe dieser Hülle oder der Gefässhaut der Linse
(Tunica vasculosa lentis) zeigen folgendes Verhalten. Die Arteria cen-
tralis retinae
gibt beim Eintritte in den Bulbus eine kleine Arterie,
die Art. hyaloidea s. capsularis, ab, welche in dem sogenannten Ca-
nalis hyaloideus
, der mit der Area Martegiani beginnt, durch den Glas-
körper gegen die Linse verläuft. Etwas vor der letzteren und ge-
wöhnlich nicht ganz in der Mitte, sondern der unteren Seite näher,
spaltet sich dieselbe pinselförmig in Aeste, welche an der hinteren
Wand der Linse in der Tunica vasculosa sich ausbreiten. Nach allen
Seiten strahlen hier unter spitzwinkligen Theilungen, welche sich
vielfach wiederholen, die kleinen Aestchen der Arteria capsularis aus,
und gehen endlich am Aequator der Linse in eine grosse Menge fei-
ner paralleler Zweigelchen aus. Verfolgt man diese weiter, so findet

konnte nicht erhalten werden, und ist daher nicht gezeichnet. r Retina, sc Scle-
rotica
und Chorioidea, i Iris, c Cornea ohne Conjunctiva dargestellt. — Alle
Zwischenräume zwischen der Linse und ihrer gefässreichen Kapsel, sowie zwi-
schen dieser und der Iris und Cornea und zwischen diesen beiden Theilen selbst
sind in Natura nicht da und mussten der Deutlichkeit wegen gezeichnet werden.


[294]Neunundzwanzigste Vorlesung.
sich, dass dieselben um den Rand der Linse herum in den vorderen
Theil der Gefässhaut der Linse, d. h. in die Membrana capsulo-

Figure 145. Fig. 145.


Figure 146. Fig. 146.


pupillaris und pupillaris über-
gehen, hier aber dann noch
mit anderen Gefässen, die von
der Iris in die Pupillarhaut
übergehen, sich vereinen. Von
vorn gesehen erscheint das Ge-
fässnetz in folgender Weise.
An der Stelle der Pupille be-
merkt man eine zarte durch-
sichtige Membran mit zahlrei-
chen radiären Blutgefässen.
Die feineren unter denselben,
deren Zahl überwiegt, sind
alle Fortsetzungen der Aeste
der Arteria capsularis, die
gröberen dagegen stammen von
den Irisgefässen ab, bilden je-
doch mit den anderen überall
reichliche Anastomosen, jedoch
ohne wirkliche Capillarnetze
zu erzeugen, wie Henle richtig
bemerkt, wobei die Mitte ent-
weder von Gefässen frei bleibt
oder nicht. Manche dieser Iris-
gefässe der Pupillarhaut tragen
sehr bestimmt den Character
von Venen an sich und ist wohl
kaum zu bezweifeln, dass das meiste Blut der Arteria capsularis
durch die Venen der Iris abfliesst. Doch scheinen auch noch andere
Verbindungen der Gefässe der Tunica vasculosa lentis da zu sein,
wie nach Henle (l. c. pag. 28. Fig. 5, 6) mit den Gefässen der Cho-
rioidea
durch eine Gefässausbreitung, die von der Gegend der An-

Fig. 145. Ausbreitung der Art. hyaloidea an der hinteren Kapselwand der
Linse einer neugeborenen Katze. Nach einer Injection von Thiersch.


Fig. 146. Gefässe des vorderen Abschnitts der gefässreichen Membran der
Linse (M. capsulo-pupillaris et pupillaris) einer neugeborenen Katze. Nach einer
Injection von Thiersch.


[295]Entwicklung des Auges.
fänge der Ciliarfortsätze auf der Zonula Zinnii gegen den Rand der
Linse hinzieht.


Zum richtigen Verständnisse der gefässreichen Linsenkapsel habe
ich Ihnen nun noch anzuführen, dass dieselbe, bevor die Iris gebildet
ist, mit ihrer vorderen Wand ganz genau der Linse anliegt. So wie
aber die Iris hervorwächst, stülpt sie die genannte Wand etwas ein,
woher es dann kommt, dass die Pupillarhaut vom Rande der Iris aus
erst ein wenig auf die vordere Irisfläche übergeht und dann erst sich
umbiegt, um die Pupille zu verschliessen. Nichts destoweniger liegt
auch nach dem Hervorsprossen der Iris die Membrana capsulo-pupil-
laris
und pupillaris der Linse genau an und fehlt eine hintere Au-
genkammer ebenso wie beim Erwachsenen ganz und gar. Ja es fehlt
selbst die vordere Augenkammer beim Fötus bis gegen das Ende der
Schwangerschaft, zu welcher Zeit sie ganz langsam sich entwickelt,
und liegt daher die Linse auch später dicht an der Cornea, nur durch
die Pupillarhaut von ihr getrennt.


Die gefässhaltige Kapsel der Linse hat die Aufmerksamkeit derBedeutung der
gefässhaltigen
Kapsel.

Anatomen und Aerzte schon lange auf sich gezogen und ist es be-
sonders die Pupillarmembran gewesen, welche das Interesse dess-
halb erregte, weil sie in gewissen Fällen beim neugebornen Kinde
noch existirt und die sogenannte angeborene Verschliessung der Pu-
pille (Atresia pupillae congenita) bewirkt. Diese practische Seite die-
ser Angelegenheit führte dann zu einer genaueren Untersuchung der
Pupillarhaut sowie überhaupt der ganzen gefässhaltigen Kapsel, in
welcher Beziehung ich Ihnen nun noch Folgendes zu sagen habe.
Die gefässhaltige Kapsel erhält ihre Gefässe schon im zweiten Monate
des Embryonallebens und zeigt dieselben von da an bis zum sechs-
ten und siebenten Monate aufs zierlichste entwickelt. Von da an
beginnt der Schwund derselben und eine Resorption der sie tragen-
den bindegewebigen Haut, die jedoch, wenn man die Angaben aller
Autoren zusammenfasst, an keine ganz bestimmte Zeit gebunden ist,
so dass sich nur so viel sagen lässt, dass in der Regel beim Neuge-
borenen von der ganzen Bildung nichts mehr sich vorfindet. — Die
physiologische Bedeutung der gefässreichen Kapsel der Linse
anlangend, so unterliegt es mir keinem Zweifel, dass dieselbe als
eigentliches Ernährungsorgan der Linse anzusehen ist. Es gilt als
allgemeine Regel für die höheren Geschöpfe, dass wachsende Theile
mehr Blutgefässe besitzen als fertige Theile, und bewahrheitet sich
diess beim Embryo aufs bestimmteste an den Knorpeln, den Kno-
[296]Neunundzwanzigste Vorlesung.
chen, der Haut und beim Auge speciell auch von der Cornea und
Retina, von welch’ letzterer Thiersch in Erlangen namentlich den
grossen Gefässreichthum aufgedeckt hat (s. m. Mikr. Anat. Fig. 423).
So sehen wir, dass auch die ihrer Natur nach als Epidermisgebilde
nothwendig gefässlose Linse behufs ihres Wachsthums eine grosse
Menge von Blutgefässen erhält, die dann später, wenn das Organ
eine gewisse Entwicklung erreicht hat und sein rasches Wachsthum
aufhört, wieder vergehn. Nach Huschke (Eingeweidelehre St. 786)
wiegt die Linse beim sechszehn Wochen alten Kinde 123 Milligramm
und beim Erwachsenen nur 67 Milligr. mehr, nämlich 190 Milligr.,
woraus hinreichend ersichtlich ist, dass nach der Geburt ihr Wachs-
thum ein ungemein langsames ist.


Entwicklung
der gefässreichen
Kapsel.
Die Entwicklung und anatomische Bedeutung der gefässreichen
Kapsel der Linse ist bis jetzt noch kaum ins Auge gefasst worden.
Nach Schöler (l. c. St. 31) ist die Membrana pupillaris und capsulo-
pupillaris
der vordere Theil der Chorioidea, die anfänglich das ganze
Auge und somit auch die Linse umhüllt, dann aber beim Vogel mit
der Bildung der Iris vom Corpus ciliare aus schwindet. Bei dieser
Aufstellung wird jedoch ganz übersehen, dass der hintere Theil der
gefässreichen Linsenkapsel, der in keiner Weise auf die Chorioidea
zurückgeführt werden kann, mit den vorderen Theilen Eins ist, und
ist daher die Hypothese von Schöler von vorne herein als eine un-
genügende zu bezeichnen, ganz abgesehen davon, dass es auch für
die M. pupillaris und capsulo-pupillaris, die ja nirgends mit der Cho-
rioidea
zusammenhängen, ganz unmöglich ist sie auf diese Membran
zu beziehen. Meiner Ueberzeugung nach muss jede Erklärung der Bil-
dung der gefässreichen Linsenkapsel davon ausgehen, dass dieselbe
einen die Linse vollkommen umhüllenden Sack bildet und physio-
logisch zu derselben gehört, gewissermaassen das Ernährungsorgan
derselben bildet. Von diesem Standpuncte aus und gestützt auf die
Entwicklung der Linse und des Glaskörpers von der äusseren Haut
aus habe ich schon vor acht Jahren die Vermuthung ausgesprochen
(Mikr. Anat. II. St. 726, Handb. d. Gewebel. 3. Aufl. St. 653), dass
die gefässreiche Kapsel der Cutis entspreche, welche bei der Bildung
der Linse mit einem Theile der Epidermis von der Haut sich ablöse
und in das Auge gerathe. Der Glaskörper könne dann als modificir-
tes subcutanes Bindegewebe aufgefasst werden, womit seine Be-
schaffenheit bei Embryonen nicht übel stimme. An dieser Aufstel-
lung halte ich auch jetzt noch fest, obschon ich nicht verkenne, dass
[297]Entwicklung des Auges.
dieselbe noch lange nicht nach allen Seiten hinreichend gestützt ist, ja
dass selbst gewisse Thatsachen gegen dieselbe zu sprechen scheinen.
Als solche könnte man die Angaben von Remak bezeichnen wollen,
nach denen beim Hühnchen die primitive Augenblase einzig und allein
vom Hornblatte bedeckt ist, mithin bei der Abschnürung der Linse
kein Theil der Cutis mit sich ablösen kann (s. Fig. 136), allein die
Vögel besitzen keine Membrana pupillaris,
wie schon Hal-
ler
(Elem. phys. T. V. pag. 373, de la formation du poulet. pag. 170)
und v. Baer (Entwickl. II. St. 116) melden, denen auch Henle (l. c.
pag. 24), wenn schon nicht ganz bestimmt, sich anschliesst, und
ebenso fehlt wenigstens dem Hühnerembryo, wie ich finde, der hin-
tere Theil der gefässreichen Kapsel und eine Arteria capsularis ganz
und können somit die Beobachtungen von Remak für die Säugethiere
und den Menschen nicht maassgebend sein. Ich habe nun allerdings
bei diesen eine Mitablösung der Cutisschicht bei der Linsenbildung
noch nicht beobachtet, immerhin habe ich so viel gesehen, dass die
eben erst gebildete Linse des vier Wochen alten menschlichen Em-
bryo schon eine besondere äussere Kapsel in Gestalt eines hellen,
dicken, aus Zellen gebildeten Häutchens besitzt, welche, da noch
keine Chorioidea und Faserhaut da war, keine andere Deutung zu-
lässt. Da nun auch eine andere Erklärung der gefässreichen Kapsel
nicht gedenkbar ist, so scheint mir, dass meine Hypothese nicht so
ganz unbegründet dasteht, und vergleiche ich somit die gefässreiche
Kapsel allen jenen bindegewebigen Hüllen, die die von der äusseren
Haut und den Schleimhäuten durch Wucherungen der Epidermis-
und Epithelialzellen sich bildenden Organe (Drüsen, Haare) als Be-
kleidung mit erhalten.


Von der Linse selbst ist nach dem schon Mitgetheilten nurLinse.
noch wenig zu bemerken. Wie wir schon früher sahen, besteht die
Linse ursprünglich ganz und gar aus Zellen. Diese Zellen wachsen
nach und nach in Fasern aus, so jedoch, dass ein Rest der Zellen an
der vorderen Fläche der Linse bis zum Aequator in Gestalt eines
Epithels liegen bleibt, von welchen Zellen dann, wie ich gezeigt habe
(Mikr. Anat. II. St. 731), das Wachsthum des Organes besorgt wird,
welches durch Apposition neuer Elemente von aussen geschieht. DieLinsenkapsel.
Linsenkapsel ist anfänglich nicht da, tritt schon im zweiten Monate
als ein sehr feines Häutchen auf und wächst dann durch Anlagerung
immer neuer Schichten. Da dieselbe nie eine Zusammensetzung
aus Zellen zeigt, so ist klar, dass sie nichts als eine Ausscheidung
[298]Neunundzwanzigste Vorlesung.
der die Linse anfänglich zusammensetzenden Zellen und des späte-
ren Epithels der vorderen Linsenkapselwand ist, bei welcher Auf-
fassung ihre grössere Dicke an der vorderen Wand, an der zellige
Elemente zeitlebens sich erhalten, sich leicht erklärt. — Die Linse
ist bei Embryonen und noch bei Neugebornen kugeliger als beim
Erwachsenen (Fig. 142) und zeigt bei Neugebornen an beiden Polen
einen einfachen Stern mit drei Strahlen.


Der Glaskörper, obschon allem Anscheine nach aus der Haut
Glaskörper.hervor gegangen, zeigt doch in seinem Innern nie wirkliches Binde-
gewebe, auch nicht von embryonaler Form, sondern besteht von
Anfang an aus einer homogenen Grundsubstanz mit eingestreuten
rundlichen Zellen, welche vorzüglich in seinen oberflächlichen
Schichten liegen. Dagegen zeigt sich bei Embryonen ans einer Aus-
senseite, jedoch offenbar zu ihm gehörend, eine dünne Lage gefäss-
Gefässhaltige
Kapsel des
Glaskörpers.
haltigen Gewebes, die ich die gefässhaltige Kapsel des Glas-
körpers
nenne, weil sie offenbar dieselbe physiologische Bedeutung
hat, wie die entsprechende Hülle der Linse. Die Gefässe dieser Kapsel
stammen von der Retina und bilden in ihr ein lockeres Maschennetz,
das bis auf das vordere Ende der Glashaut oder auf die sogenannte
Zonula Zinnii reicht und dort mit dem sogenannten Circulus Masca-
gnii
endet, der, wie schon erwähnt, auch mit den Gefässen der
Linsenkapsel in Zusammenhang ist. Die Zeit, um welche diese Ge-
fässe schwinden, ist nicht bekannt und kann ich Ihnen nur so viel
sagen, dass sie, wie schon Arnold angibt, in der Mitte des Fötal-
lebens (vom dritten bis sechsten Monate) sehr gut entwickelt sind.


Membrana
hyaloidea.
Ueber die Entwicklung der Membrana hyaloidea ist nichts be-
kannt, doch ist wohl kaum zu bezweifeln, dass dieselbe eine binde-
gewebige Membran ist, für welche Auffassung noch beim Erwach-
senen die Zusammensetzung der Zonula Zinnii spricht.


Von den äusseren Theilen des Auges erwähne ich Ihnen nun
Augenlider.zum Schlusse noch Folgendes. Die Augenlider entstehen im An-
fange des dritten Monates als niedrige Hautfalten, kommen im vier-
ten Monate zur Berührung und verkleben mit einander, öffnen sich
Thränendrüsen.jedoch in der Regel noch vor der Geburt wieder. Die Thränendrü-
sen
entstehen nach Art der Speicheldrüsen, von denen später die
Rede sein wird, als anfänglich solide Wucherungen des Epithels der
Conjunctiva und fällt ihre Bildung in den Anfang des vierten Monates
(Fig. 147). Beim Hühnchen erscheint diese Drüse nach Remak (Unters.
St. 92. Taf. VI. Fig. 87) am achten Tage als ein einfacher, hohler,
[299]Entwicklung des Auges.
aber noch nicht nach aussen mündender doppelwandiger Cylinder,
der mit dem Epithel und der Faserschicht der Conjunctiva zusam-

Figure 147. Fig. 147.


menhängt, und durch solide Sprossen
an seinen Enden weiter wuchert, die
erst in zweiter Linie zum Theil von sich
aus, zum Theil von Seiten der schon
vorhandenen Gänge hohl werden. —
Der Thränenkanal ist keine Ausstül-Thränenkanal.
pung der Mundrachenhöhle, wie v. Baer
seiner Zeit angenommen hat, sondern
anfänglich eine Furche zwischen dem
äusseren Nasenfortsatze und dem Unter-
kieferfortsatze, die in zweiter Linie zu
einem Kanale sich schliesst, eine An-
gabe, die Coste zuerst gemacht hat und
die ich vollkommen bestätigen kann.
Wie die Thränenkanälchen sichCanaliculi
lacrymales.

bilden, ist bis jetzt noch nicht erforscht. Nach Ammon (l. c. St. 160)
werden dieselben am Ende des vierten Monates sichtbar. Die Mei-Meibom’sche
Drüsen.

bom’schen Drüsen bilden sich spät und zwar im sechsten Monate
als solide Wucherungen des Epithels der Augenlidränder, die erst
in zweiter Linie Höhlungen erhalten, und durch solide Wucherungen
ihre Drüsenbläschen anbilden.


Fig. 147. Anlagen von drei Thränendrüsen eines viermonatlichen mensch-
lichen Embryo etwa 60mal vergr. 1. Ganz junge Anlage in Gestalt eines soliden
Zellenstranges mit einer Faserhaut. 2 und 3. etwas entwickeltere Drüschen
mit Höhlungen im Innern; f Anlage der bindegewebigen Hülle der Drüsen,
e Epithel derselben von der Faserhülle etwas abstehend, was nicht ganz natür-
lich ist; a einzelne noch solide, eben in der Bildung begriffene Epithelialspros-
sen, die später zu hohlen Bläschen werden, wie solche auch zu sehen sind.


[[300]]

Dreissigste Vorlesung.


B. Entwicklung des Gehörorganes.


Entwicklungs-
plan des
Gehörorganes
im Allgemeinen.
Meine Herren! Das Gehörorgan, zu dem wir heute über-
gehen, entwickelt sich auf den ersten Blick ähnlich wie das Auge
und findet man auch bei diesem Organe beim Embryo eine Bildung,
welche vom Hornblatte und vielleicht von der gesammten äusseren
Haut ausgeht, dann einen Theil, welchen das Nervensystem liefert
und endlich eine Mitbetheiligung des mittleren Keimblattes; es zeigt
sich jedoch bei näherer Betrachtung doch eine nicht unbedeutende
Verschiedenheit zwischen beiden Sinnesapparaten. Während näm-
lich das Auge, wie ich Ihnen ausführlich auseinandergesetzt habe,
ursprünglich als eine Ausstülpung aus dem Medullarrohre auftritt,
zu welcher sich dann von aussen her die nach innen wuchernde und
zu dem Glaskörper und der Linse sich umgestaltende Haut gesellt,
zeigt sich, dass das Gehörorgan niemals die Form einer hohlen, mit
dem Hirnrohre zusammenhängenden Blase besitzt, ja dass dasselbe
mit Inbegriff des Hörnerven ganz unabhängig vom centralen Nerven-
systeme seinen Ursprung nimmt. Genauer bezeichnet entsteht der
Hörnerv nach Art der gangliösen Kopfnerven selbständig in den Ur-
wirbelplatten des Kopfes und setzt sich erst in zweiter Linie einer-
seits mit der dritten Hirnblase, d. h. dem Nachhirn, und anderseits
mit dem Labyrinthe in Verbindung, welches, d. h. die häutigen
Säckchen und halbkreisförmigen Kanäle, so wie der eigentliche
Schneckenkanal, seinerseits von der äusseren Haut aus seinen Ur-
sprung nimmt und uranfänglich ein nach aussen geöffnetes Bläschen
darstellt. Zu diesen zwei wesentlichsten Bestandtheilen des Gehör-
organes gesellen sich dann noch Anlagerungen vom mittleren Keim-
blatte her, welche die knorpeligen und zum Theil auch die häutigen
Umhüllungen des Labyrinthes liefern, so wie endlich gewisse Theile
[301]Entwicklung des Gehörorganes.
der Kiemenbogen und der ersten Kiemenspalte, aus denen das mitt-
lere und äussere Ohr sammt den Gehörknöchelchen und dem Trom-
melfell ihren Ursprung nehmen.


Nach dieser übersichtlichen Schilderung lege ich Ihnen nunPrimitives
Gehörbläschen.

zuerst die Entwicklung des Labyrinthes und des Hörnerven im Ein-
zelnen dar. Die erste Entwicklung dieser Theile anlangend, so ist es

Figure 148. Fig. 148.


schon längst bekannt, dass das
Labyrinth ursprünglich in Ge-
stalt eines einfachen rundlichen
Bläschens, des Gehör- oder
Labyrinthbläschens, auf-
tritt, das unpassend auch Em-
mert
’sches Bläschen genannt
wird, da, was dieser Forscher
seiner Zeit beschrieb, etwas
ganz anderes war. Längere Zeit
hindurch, ja bis in unsere Tage, galt es auch, gestützt auf die Er-
fahrungen von v. Baer, Rathke (Entw. d. Natter St. 16), Reichert
(Entw. im Wirbelthierreich St. 121) und Bischoff (Entwicklungs-
geschichte, St. 228) denen später auch H. Gray beistimmte (Phil.
Trans. 1851. I. pag. 196), als Axiom, dass dieses Labyrinthbläschen
ebenso wie die primitive Augenblase aus dem centralen Nerven-
systeme und zwar dem Nachhirne sich ausstülpe und eine Zeit lang
mit demselben in offener Verbindung sei und doch hatte schon kurze
Zeit nach v. Baer’s ersten Mittheilungen (Entw. 1.) der durch so
viele feine Beobachtungen seiner Zeit voraneilende Huschke im An-
fange der dreissiger Jahre (Isis 1831. St. 951) den Satz ausgespro-
chen, dass das Labyrinth des Ohres ursprünglich nur eine Grube
der Haut sei, deren Ausführungsgang oder äussere Mündung beim
Hühnerembryo am dritten Tage sich schliesse. Die neueste Zeit hat
nun in der That diese allerdings sehr aphoristische und daher wenig
beachtete Mittheilung bestätigt. Zuerst erklärte Bischoff (Entw. d.
Kaninchens St. 129 und Entwicklungsgesch. St. 567), dass nach sei-
nen neueren Untersuchungen das primitive Ohrbläschen ursprüng-

Fig. 148. Embryo der Fig. 68 vergrössert. a Amnion, b Dottersack, c er-
ster Kiemenbogen, Unterkieferfortsatz, d Oberkieferfortsatz desselben Bogens,
e zweiter Kiemenbogen, hinter dem noch zwei kleinere sichtbar sind. Spalten
sind drei deutlich, zwischen dem 1. und 2., 2. und 3. und 3. und 4. Bogen,
f Anlage der vorderen Extremität, g primitives Ohrbläschen, h Auge, i Herz.


[302]Dreissigste Vorlesung.
in keiner Verbindung mit dem Medullarrohre stehe, und dass er
auch nie die allmälige Hervorbildung desselben aus dem Medullar-
rohre wahrgenommen habe, doch gelang es ihm nicht, die erste Ent-
wicklung des Bläschens zu verfolgen und erwähnt er auch Huschke’s
Darstellung mit keinem Wort. Darauf folgte Remak (Unters. I. Lief.
1851. St. 1—40. Taf. I, II, VII), der ebenfalls ganz bestimmt aus-
sprach, dass die Gehörbläschen keine Ausstülpungen des Medullar-
rohres sind (St. 18) und dieselben auch im Zustande offener nach
aussen mündender und von dem Hornblatte ausgekleideter Bläschen
wahrnahm, jedoch darin im Irrthume befangen war, dass er diesel-
ben aus den Kopfplatten ableitete und ursprünglich als solide schei-
benförmige Körper beschrieb. Nach diesen Vorarbeiten gelang es
denn Remak und Reissner ziemlich gleichzeitig und unabhängig von
einander den Nachweis zu liefern, dass in der That die Labyrinth-
bläschen, wie Huschke schon angedeutet hatte, von Anfang an als
Einstülpungen der Haut auftreten. Während jedoch Reissner (de
auris internae formatione.
Dorp. 1851 Diss.), dieselben durch Einstül-
pung der ganzen Haut, Cutis und Epidermis, die bei Reissner nach
Reichert als Umhüllungshaut bezeichnet ist, sich bilden lässt, leitete
Remak (Unters. Heft II. 1851. St. 73 und 93 und Tab. III) dieselben
nur vom Hornblatte ab und stellte ihre Bildung mit derjenigen der
Linse in Eine Linie.


Gehörbläschen
des Hühnchens.
Wenn Jemand, der gewohnt ist, auch nur mit schwächeren
Vergrösserungen embryologische Untersuchungen anzustellen, Hüh-
nerembryonen vom Ende des zweiten und dem dritten Tage unter-
sucht, so wird er sicherlich erstaunen, dass es so lange dauern
konnte, bevor man über die Entwicklung des primitiven Ohrbläs-
chens ins Reine kam, denn nichts ist leichter, als die Beobachtung
desselben als eines gegen das Nachhirn abgeschlossenen, nach aussen
ausmündenden Säckchens, und habe ich Ihnen, wie Sie sich erinnern
werden, schon in einer früheren Stunde Gelegenheit gegeben, ein
solches Ohrbläschen zu sehen. Verfolgen wir den Vorgang bei der
Bildung desselben beim Hühnchen genauer, so zeigt sich, dass in
der zweiten Hälfte des zweiten Tages zu beiden Seiten des Kopfes
ungefähr der Mitte des Nachhirns entsprechend zwei seichte Grüb-
chen entstehen, welche zusehends tiefer in die Kopfwand sich ein-
graben, und am Ende des zweiten Tages schon als zwei ziemlich
tiefe Gruben mit einer engeren Mündung erscheinen. Ueber die
eigentliche Lage und Bildung dieser Gruben geben jedoch erst Quer-
[303]Entwicklung des Gehörorganes.
schnitte, wie sie schon Reissner und Remak abgebildet haben, voll-
kommenen Aufschluss und erkennt man an solchen, dass die Anlagen
der Ohrbläschen ziemlich genau in der Höhe des Medullarrohres ihre
Lage haben und somit in der Gegend der Urwirbelplatten und nicht
der Seitenplatten ihren Ursprung nehmen, mit anderen Worten, dem
Rücken angehören. Querschnitte lehren ferner sehr bestimmt, dass
die Ohrbläschen anfangs nichts als weitoffene Einbuchtungen und
später erst rundliche Säckchen mit kurzem Halse und engerer Mün-
dung sind, sowie dass das Hornblatt dieselben vollkommen ausklei-
det und hier auffallend verdickt und aus mehrfachen Schichten lang-
gestreckter Zellen zusammengesetzt ist.


Am dritten Tage, an welchem beim Hühnerembryo die Kopf-
krümmung rasch sich entwickelt, erkennt man die Ohrbläschen in

Figure 149. Fig. 149.


der seitlichen Ansicht leicht
(Fig. 149) und befinden sich
dieselben in der Höhe des
nun entstandenen zweiten
Kiemenbogens und der zwei-
ten Kiemenspalte. Die Oeff-
nung derselben ist immer
noch deutlich als eine runde,
mehr nach dem Rücken zu
gelegene Lücke, doch wird nun dieselbe immer enger und schliesst
sich am Ende dieses Brüttages ganz, während zugleich die Bläschen
eine leicht birnförmige Gestalt mit dem breiteren Theile nach unten
oder vorn annehmen. Am vierten Tage sind dieselben ganz abge-
schnürt und zeigen nun, wie Remak ganz richtig angegeben hat,
ausser der vom verdickten Hornblatte herrührenden Wand, die ganz
und gar aus mehrschichtigen länglichen Zellen besteht, keine Spur
einer anderen Hülle, so dass mithin, gerade wie bei der Linse, auch

Fig. 149. Kopf eines Hühnerembryo vom dritten Tage, vergr., Chrom-
säurepräparat. 1. von vorn, 2. von der Seite. n Geruchsgrübchen, l Linse mit
einer runden Oeffnung, durch die ihre Höhle nach aussen mündet, gl Augen-
spalte, die mit der Bildung des Glaskörpers zusammenhängt und von der Ge-
gend des Randes der Linse auf den Sehnerven oder Augenstiel übergeht, je-
doch nicht deutlich genug ausgefallen ist. o Oberkieferfortsatz des ersten Kie-
menbogens, u Unterkieferfortsatz desselben, g Gehörbläschen durch eine
runde Oeffnung nach aussen mündend. Ausserdem sind noch der zweite und
dritte Kiemenbogen und in der Fig. 1 auch die Mundspalte sichtbar.


[304]Dreissigste Vorlesung.
hier nur die äussere Lage der Haut oder das Epidermisblatt bei der
Abschnürung betheiligt erscheint.


Gehörbläschen
der Säugethiere.
So viel vom Hühnchen. Was nun die Säugethiere und den
Menschen anlangt, so ist durch zahlreiche Beobachtungen verschie-
dener Autoren hinreichend constatirt, dass auch hier das Labyrinth
in Gestalt eines rundlichen Bläschen zu beiden Seiten des Nachhirns
auftritt (siehe Fig. 59, 54, 46 nach Bischoff, Fig. 69 und 70 nach
Thomson), doch fehlen bis jetzt alle und jede Beobachtungen über
die erste Entwicklung und die feinere Zusammensetzung dieser Bläs-
chen, indem auch Bischoff, der hierzu die beste Gelegenheit gehabt
hätte, nichts weiter über diese Verhältnisse mitgetheilt hat. Auch
ich bin leider nicht im Stande diese Lücke ganz auszufüllen, immer-
hin kann ich Ihnen mittheilen, dass das Labyrinthbläschen eines
vier Wochen alten menschlichen Embryo, dessen Gestalt allerdings
schon nicht mehr ganz die primitive war (s. Fig. 150) von einer ein-

Figure 150. Fig. 150.


zigen dicken (von 0,02—0,03‴) Mem-
bran umgeben war, die wie die des
Hühnchens ganz und gar aus läng-
lichen epithelartigen Zellen bestand,
und wohl unzweifelhaft vom abge-
schnürten Hornblatte herrührte. In
Anbetracht dieses Umstandes und ge-
stützt auf die Beobachtung von Bi-
schoff,
dass das Ohrbläschen der
Säugethiere anfänglich mit dem Medullarrohre gar nicht zusammen-
hängt, wird es daher wohl erlaubt sein anzunehmen, dass seine erste
Bildung auch bei den Säugethieren und beim Menschen eben so vor
sich geht, wie beim Hühnchen.


Weitere
Umwandlung
des Labyrinth-
bläschens.
Wir wenden uns nun zur Schilderung der weiteren Entwicklung
des Labyrinthbläschens, die besonders durch die Untersuchungen

Fig. 150. Schädel eines vier Wochen alten menschlichen Embryo, senk-
recht durchschnitten, von innen und vergrössert dargestellt. a unbestimmt
durchschimmerndes Auge, no hohler platter Nervus opticus, v, z, m, h, n Gru-
ben der Schädelhöhle, die das Vorderhirn, Zwischenhirn, Mittelhirn, Hinter-
hirn und Nachhirn enthalten, t mittlerer Schädelbalken oder vorderer Theil des
Tentorium cerebelli, t′ seitlicher und hinterer Theil des Tentorium, jetzt noch
zwischen Mittelhirn und Zwischenhirn gelegen, p Ausstülpung der Schlund-
höhle, die Rathke früher mit der Bildung der Hypophysis in Zusammenhang
gebracht, o primitives Gehörbläschen mit einem oberen spitzen Anhang,
durchschimmernd.


[305]Entwicklung des Gehörorganes.
von Rathke bei der Natter und von Reissner beim Hühnchen bekannt
geworden ist. Die erste Veränderung, welche das Bläschen nach
seiner Schliessung oder gleichzeitig mit dieser erleidet, ist die, dass
es eine deutlich birnförmige oder keulenförmige Gestalt annimmt
und dann in zwei Theile, einen unteren mehr rundlichen und einen
oberen länglichen, der wie ein Anhang des ersteren erscheint, sich
scheidet. Dieser Anhang wandelt sich nach Rathke bei der NatterAnhang des
Labyrinthes, Re-
cessus labyrinthi,

Reissner.

nach und nach in ein gestieltes, kolbenförmiges, mit dem Vorhofe
verbundenes Säckchen um, welches später einen Brei von Krystallen
von kohlensaurem Kalk enthält und noch beim erwachsenen Thiere,
von der Schuppe des Hinterhauptsbeines eingeschlossen, zu sehen
ist, es ist jedoch Rathke der Ansicht, dass dieser Anhang des Vor-
hofes, der nach ihm auch bei den Eidechsen sich findet, bei den
höheren Thieren vollkommen fehle und nur noch an dem von E. H.
Weber bei den Plagiostomen beschriebenen, vom Vorhofe zum Schä-
deldache aufsteigenden kalkhaltigen Kanale ein Analogon habe. In die-
ser Beziehung hat der vortreffliche Forscher geirrt und haben sowohl
Reissner als Remak gezeigt, dass auch beim Hühnchen eine ähnliche
Aussackung des Labyrinthbläschens sich findet, die dann nach Reiss-
ner
bei älteren Embryonen mit ihrem erweiterten Ende mit der Dura
mater
sich verbindet und ihren Stiel durch den Aquaeductus vestibuli
zum Vorhofe sendet. Ja selbst bei Säugethieren findet sich ein ähn-
licher Anhang des Labyrinthbläschens, worauf zuerst Reissner die
Aufmerksamkeit gelenkt hat. In der That kennt man schon längst
bei Säugethieren einen stielartigen oberen Fortsatz des primitiven
Ohrbläschens (man vergl. Bischoff Kaninchenei Fig. 66, Hundeei Fig.
41 B, C, 42 B und in diesem Werke Fig. 60 und 61), es scheint jedoch
derselbe allgemein nach dem Vorgange von Bischoff für den Gehör-
nerven gehalten worden zu sein, bis Reissner (l. c. pag. 28) seine
Uebereinstimmung mit dem Labyrinthanhange (Recessus labyrinthi R.)
des Hühnchens darthat. Beim Menschen ist bisher über das Vor-
kommen eines solchen Anhanges noch nichts bekannt geworden,
ich habe jedoch bei einem vier Wochen alten Embryo denselben
ebenfalls sehr schön ausgeprägt gefunden (Fig. 151) und ist daher
wohl kaum zu bezweifeln, dass derselbe bei den Wirbelthieren eine,
wenn auch vielleicht nicht allgemeine, doch sehr verbreitete Erschei-
nung ist. — Noch habe ich Ihnen zu bemerken, dass die Stelle, wo
der Anhang des Labyrinthbläschens liegt, offenbar die ist, wo das-
selbe sich schliesst und erklärt sich so, dass Reissner den Anhang
Kölliker, Entwicklungsgeschichte. 20
[306]Dreissigste Vorlesung.
in einzelnen Fällen noch durch eine feine Mündung nach aussen ge-
öffnet fand.


Schnecke.Kurze Zeit nachdem die besprochene Zweitheilung des primiti-
ven Labyrinthbläschens aufgetreten ist, bildet sich aus dem grösse-
ren unteren Theile desselben ein zweiter Anhang nach vorn und
unten hervor, die Anlage der Schnecke, deren Entstehung durch

Figure 151. Fig. 151.


eine Verlängerung des Bläschens
unter gleichzeitiger theilweiser Ab-
schnürung eines Stückes zu den-
ken ist. Zugleich buchtet sich der
Rest des Säckchens aus und wird
rundlicheckig, so dass dann das
Ohrbläschen, das nun schon La-
byrinth heissen kann, eine eigen-
thümliche schwer zu beschreibende
Gestalt erhält, die Ihnen aus den vorstehenden Zeichnungen klar
werden wird, die das durch Präparation unter der Lupe isolirte La-
byrinth des schon öfter erwähnten vier Wochen alten menschlichen
Embryo darstellen. Fig. 151, B zeigt das Labyrinth der rechten Seite
von aussen; v ist der Vorhof, der bei cs eine rundliche Aussackung,
die Anlage eines halbkreisförmigen Kanals zeigt und in dieser An-
sicht ohne scharfe Grenze in die Schnecke c übergeht. Nach oben
und vorn ragt der bedeutende Vorhofsanhang oder der Recessus la-
byrinthi
hervor. In der Ansicht von hinten (Fig. 151, A) erscheint
das Labyrinth etwas abgeplattet, mit leicht nach innen gebogenem
Recessus vestibuli, einer deutlicher abgesetzten, mit dem Ende nach
aussen gekrümmten Schnecke und zwei Anlagen halbkreisförmiger
Kanäle am Vorhofe. Von vorn endlich ist die Gestalt im Wesent-
lichen ebenso, nur erscheint die Schnecke breiter.


Vorhof und
halbkreisförmige
Kanäle.
Die weiteren Veränderungen muss ich Ihnen nun von den ein-
zelnen Abschnitten gesondert vorführen. Was ich vorhin Vorhof
nannte, ist, wie Sie schon haben entnehmen können, nicht der blei-

Fig. 151. Primitives Gehörbläschen eines vier Wochen alten menschlichen
Embryo von der rechten Seite, durch Präparation isolirt und vergrössert dar-
gestellt. A. von hinten, B. von der Seite und von aussen. v Vestibulum, rv Reces-
sus vestibuli sive labyrinthi, cs, cs
Anlagen der halbkreisförmigen Kanäle, c Spitze
der Anlage der Schnecke, c′ vorderer oberer Theil der Schneckenanlage, a
obere Ausbuchtung am Vestibulum vielleicht Anlage eines Can. semicircularis.
Länge des Recessus vestibuli 0,13‴, Breite am breitesten Theile ebensoviel;
Länge von Vestibulum sammt Cochlea 0,36‴.


[307]Entwicklung des Gehörorganes.
bende Vorhof für sich allein, sondern enthält auch die Anlagen der
halbkreisförmigen Kanäle und des Sacculus rotundus. Die Entwick-
lung der ersteren ist zuerst von Rathke bei der Natter aus der Beob-
achtung eines früheren Stadiums richtig erschlossen und dann von
Reissner beim Hühnchen durch directe Beobachtung, wenn auch
nicht ganz vollständig, doch so ermittelt worden, dass nun die Haupt-
puncte als festgestellt bezeichnet werden können. Hiernach bilden
sich am Vorhofe im weiteren Verlaufe an den Stellen der späteren
Kanäle erst rundliche und dann längliche Erweiterungen oder Aus-
sackungen, die dann in ihren mittleren Theilen verwachsen und
vom Vorhofe sich abschnüren. So entstehen kurze, gerade, dem Vor-
hofe dicht anliegende Kanäle, welche dann durch fortschreitendes
Wachsthum nach und nach eine grössere Länge, die typische Krüm-
mung und ihre Ampullen gewinnen. Diese Erfahrungen kann ich für
den Menschen und die Säugethiere ergänzen. Bei dem in der Fig.
151 wiedergegebenen jungen menschlichen Labyrinthe besass der
Vorhof zwei deutliche rundliche Ausbuchtungen innen und aussen,
die nicht wohl etwas anderes sein können, als Anlagen von halb-
kreisförmigen Kanälen, welcher wage ich nicht zu entscheiden, da
mir die nächstfolgenden Stufen unbekannt geblieben sind. Ebenso
hat vielleicht auch die Ausbuchtung bei v in Fig. 151, B oder die bei a
in Fig. 151, A auf den dritten Kanal Bezug, worüber fernere Unter-
suchungen entscheiden werden. Ist so das erste Auftreten der frag-
lichen Kanäle constatirt, so lehren Beobachtungen an 8½‴ langen
Kalbsembryonen auch ihre weiteren Umwandlungen. Hier nämlich
waren dieselben längere stark vortretende Ausbuchtungen des Vesti-
bulum
und zum Theil schon in der Abschnürung begriffen, wie die
Fig. 152 lehrt, in der der Canalis externus, wenn auch nicht ganz
getrennt, doch in der Mitte einen sehr verengten Eingang besitzt. —
Diesem zufolge können keine Zweifel darüber bestehen, dass die
halbkreisförmigen Kanäle in der That so entstehen, wie Rathke und
Reissner annehmen, und will ich Ihnen nun nur noch angeben, dass
der Rest des primitiven Vorhofes, der für die Bildung der Kanäle
nicht verbraucht wird, zum Alveus communis canalium semicir-
cularium
oder zum Sacculus hemiellipticus sich gestaltet. Der Sac-
culus rotundus
ist mit Bezug auf seine Entwicklung noch nicht hin-
reichend verfolgt, doch kann man wohl mit grosser Wahrscheinlich-
keit annehmen, dass derselbe ursprünglich in ähnlicher Gestalt
auftritt wie die halbkreisförmigen Kanäle, dann aber vom Vorhofe
20*
[308]Dreissigste Vorlesung.
gänzlich sich abschnürt. Vielleicht ist die in der Fig. 152 dargestellte
Ausbuchtung nach innen sr der Sacculus rotundus.


Ueber die späteren Schicksale des Recessus vestibuli bei Säuge-
thieren ist bis jetzt nichts bekannt. Auch ich habe demselben bis

Figure 152. Fig. 152.


jetzt keine grössere Aufmerksam-
keit geschenkt und ist alles, was
ich Ihnen weiter mittheilen kann
das, dass derselbe zur Zeit, wo
das Labyrinth schon deutlich ange-
legte halbkreisförmige Kanäle hat,
die Gestalt eines langen schmalen
Kanales besitzt (Fig. 152, rv), der
vom Vorhofe aus gerade nach
oben steigt und dann blind endigt.
Bei älteren Embryonen ist mir ein
solcher Kanal bis jetzt noch nicht zu Gesicht gekommen — doch
muss ich bekennen, dass ich auch nicht speciell darnach gesucht
habe — und vermuthe ich, dass derselbe bei Säugethieren vergeht,
um so mehr, da bei erwachsenen Geschöpfen von einer Verbindung
des häutigen Labyrinthes mit dem im Aquaeductus vestibuli enthal-
tenen Strange nichts bekannt ist.


Umhüllungen des
Labyrinthes.
Bevor ich weiter gehe, muss ich nun zuerst der Umhüllungen
des Labyrinthes gedenken. Ich habe Ihnen schon oben mitgetheilt,
dass das primitive Ohrbläschen beim Vogel einzig und allein aus dem
Hornblatte oder der embryonalen Epidermis hervorgeht, und dass
dasselbe auch beim jungen menschlichen Embryo keine zweite be-
sondere Hülle erkennen lässt. Es ist auch nicht im geringsten zu
bezweifeln, dass alle bis jetzt geschilderten Veränderungen einzig
und allein auf Rechnung von Wachsthumserscheinungen der ur-
sprünglichen epithelialen Membran kommen. Haben diese Verände-
rungen eine gewisse Stufe erreicht, so findet man das Labyrinth in
allen seinen Theilen von einer zarten bindegewebigen Membran, und

Fig. 152. Querschnitt durch einen Theil des Schädels und das Labyrinth
eines 8½‴ langen Rindsembryo 30mal vergr. ch Chorda in der noch wei-
chen Schädelbasis, sh Schädelhöhle, a Begrenzung der Höhlung in der Schä-
delwand, die die epitheliale Labyrinthblase b enthält, die an einigen Stellen et-
was von der Wand absteht, v Vestibulum, ss oberer halbkreisförmiger Kanal,
se äusserer halbkreisförmiger Kanal, rv Recessus vestibuli, sr Anlage des Sac-
culus rotundus?, c
Anlage der Schnecke, c′ Ende der Anlage der Schnecke der
anderen Seite.


[309]Entwicklung des Gehörorganes.
dann von einer äusseren dickeren und festeren Masse umgeben,
welche später die Natur eines Knorpels annimmt und zur Pars pe-
trosa ossis temporum
sich gestaltet. Nach Rathke soll dieser Knorpel
bei der Natter von einer besonderen Anlage aus, die anfänglich die
Gestalt einer flachen Schale habe und unter dem Labyrinthe liege,
sich entwickeln, was dagegen die höheren Geschöpfe anlangt, so
kann ich mit Bestimmtheit versichern, dass die Verhältnisse hier ganz
andere sind. Bei dem 8½‴ langen Rindsembryo, dessen Gehörorgan
in der Fig. 152 dargestellt ist, bestand die ganze Schädelbasis und
die Seitentheile des Schädels aus einer zusammenhängenden Masse
von rundlichen Zellen, mit äusserst wenig Zwischensubstanz, die
noch nicht Knorpel genannt werden konnte und in der Mitte die
Chorda enthielt. Bei einem acht Wochen alten menschlichen Embryo
war die Umhüllung des Labyrinthes schon entschieden Knorpel, allein
derselbe hing ebenfalls ohne Abgrenzung mit der knorpeligen Schä-
delbasis zusammen und ebenso zeigen sich die Verhältnisse auch bei
älteren Kalbsembryonen. Diesem zufolge scheint es mir unzweifel-
haft, dass die knorpeligen Felsenbeine ganz in derselben Weise sich
bilden, wie die übrigen Seitenwandungen des Schädels (vergl. St.
204); später jedoch nehmen dieselben im Zusammenhange mit der
eigenthümlichen Ausbildung des Sinnesapparates eine von derjenigen
der übrigen Seitenwandungen abweichende Entwicklung und ge-
stalten sich zu besonderen Knochen, die nicht mehr recht in den
gewöhnlichen Typus eines Wirbels passen, ohne jedoch desswegen
fundamental von diesem abzuweichen.


Aus dem Gesagten wird Ihnen nun ersichtlich sein, dass die
epitheliale Blase des primitiven Labyrinthes genau in derselben
Weise wie das ebenfalls vom äusseren Keimblatte sich abschnürende
Medullarrohr von dem mittleren Keimblatte eine bindegewebige und
gefässhaltige Hülle und eine äussere festere, später knorpelige Kapsel
erhält. Ja es lässt sich die Vergleichung noch weiter treiben. Genau
in derselben Weise nämlich wie das Medullarrohr liegt auch die epi-
theliale Labyrinthblase anfänglich nur locker in ihren Hüllen und
schält sich verhältnissmässig leicht aus denselben heraus. Später
verbindet sich dieselbe fester mit dem inneren Theile der wuchern-
den bindegewebigen Hülle, während der äussere Theil derselben als
inneres Perichondrium des knorpeligen Labyrinthes erscheint und
zuletzt endlich bildet sich zwischen diesen beiden Blättern der bin-
degewebigen Hülle ein Zwischenraum, der mit dem Labyrinthwasser
[310]Dreissigste Vorlesung.
sich füllt, so dass dann das spätere häutige Labyrinth wie frei in
einem Raume enthalten ist, der der Lücke zwischen Dura und Pia
mater
verglichen werden kann.


Entstehung der
Höhlen des
knöchernen
Labyrinthes.
Die Art und Weise, wie dieser Raum sich bildet, ist übrigens
bis jetzt noch gar nicht verfolgt und doch verdient der hierbei statt-
findende Vorgang Ihre Aufmerksamkeit, indem derselbe als Typus
für viele Hohlraumbildungen beim Menschen und bei Thieren (Unter-
arachnoidealraum, Höhlen der Gelenke, Schleimbeutel, Sehnenschei-
den, freie Räume in der Schädelhöhle von Fischen, Hauträume der
Batrachier u. s. w.) betrachtet werden darf. Nach meinen Unter-
suchungen beim Menschen und bei Säugethieren gestalten sich die
Verhältnisse folgendermaassen. Mit dem Wachsthume des epithelia-
len Theiles des Labyrinthes wuchert auch seine bindegewebige Hülle
rasch und gewinnt bald eine beträchtliche Dicke. Zugleich scheidet
sich dieselbe in drei Lagen, eine äussere und innere, festere und
dünnere Schicht und eine mittlere weichere Masse, die, vor Allem
an Umfang zunehmend, bald die anderen an Dicke weit übertrifft.
Untersucht man diese letztere mit starken Vergrösserungen, so er-
kennt man leicht, dass dieselbe aus dem von mir sogenannten gal-
lertigen Bindegewebe (Schleimgewebe Virchow), d. h. aus einem
Netzwerk von sternförmigen anastomosirenden Zellen mit rundlichen,
von Flüssigkeit erfüllten Maschen besteht. Zur besseren Versinn-
lichung dieser Verhältnisse wollen Sie die Fig. 153 besehen, welche

Figure 153. Fig. 153.


den Querschnitt des oberen halbkreisförmi-
gen Kanales eines sechsmonatlichen mensch-
lichen Embryo sammt dem umgehenden
Knorpel darstellt. a ist die bindegewebige
Hülle des Tubulus membranaceus, dessen Epi-
thel an diesem Präparate ausgefallen war,
b das Periost des Kanales im Knorpel und die
mächtige helle Schicht c das Gallertgewebe,
von dem ich Ihnen keine stark vergrösserte
Zeichnung vorlege, da dasselbe auf ein Haar mit dem in meiner Ge-
webelehre (3. Aufl. Fig. 208) abgebildeten Schwammgewebe aus dem

Fig. 153. Querschnitt des oberen halbkreisförmigen Kanales eines sechs
Monate alten menschlichen Embryo, vergr. a bindegewebige Hülle des Tu-
bulus membranaceus
, dessen Epithel nicht erhalten ist, b Periost des im Knorpel
ausgegrabenen Kanales, c Gallertgewebe zwischen beiden, d Knorpel mit Ver-
kalkung bei e.


[311]Entwicklung des Gehörorganes.
Schmelzorgane embryonaler Zahnsäckchen stimmt. Aus diesem Gal-
lertgewebe nun bildet sich nach und nach der Hohlraum, der später
den häutigen halbkreisförmigen Kanal umgibt in der Art, dass die
Maschen desselben nach und nach grösser werden und endlich zu-
sammenfliessen, wobei das Zellennetz theils gesprengt, theils nach
beiden Seiten an die betreffenden Wandungen angepresst wird, wo
es noch beim Erwachsenen oft in sehr deutlichen Ueberresten in
Bindegewebe umgewandelt zu erkennen ist. — Den beschriebenen
Vorgang habe ich sowohl bei den halbkreisförmigen Kanälen als auch
beim Vorhofe beobachtet, ausserdem findet sich derselbe aber auch
noch, wie Sie später hören werden, in der Schnecke und führt zur
Bildung der Treppen derselben.


Noch erwähne ich Ihnen, dass die bindegewebigen Hüllen des
sich entwickelnden Labyrinthes schon sehr frühe Gefässe erhalten,
die zum Theil auch in dem erwähnten Gallertgewebe vorkommen,
dagegen habe ich im Labyrinthknorpel des Menschen und der Säu-
ger bis jetzt nichts von solchen gesehen.


[[312]]

Einunddreissigste Vorlesung.


Bildung der
Schnecke.
Meine Herren! Nach dem in der letzten Stunde Bemerkten wer-
den Sie nun die Bildung der Schnecke, zu der wir heute über-
gehen, leicht verstehen. In ihrer ersten Anlage ist die Schnecke, wie
wir sahen, eine einfache längliche Ausbuchtung der primitiven La-
byrinthblase, die zuerst (Fig. 151) weder durch Gestalt noch Lage
an die spätere Schnecke erinnert. Bald aber wächst innerhalb der
noch weichen Umhüllung der Schneckenkanal in die Länge und
krümmt sich immer mehr nach innen, bis er so horizontal in der
Schädelbasis drin liegt, wie die Fig. 152 zeigt und somit eine Lage
und Form darbietet, welche fast auf ein Haar die Verhältnisse der
Vögel wiedergibt. Die vogelähnliche Schnecke der niedersten Säuge-
thiere (Echidna, Ornithorhynchus) muss auf dieser Stufe stehen blei-
ben, bei den übrigen Säugern und beim Menschen dagegen wächst
das Rohr weiter und zwar in der bekannten Spiralkrümmung, wäh-
rend zugleich die umgebende festere Schädelwand mitwuchert, so
jedoch, dass sie immer, von aussen besehen, eine einfache Kapsel
um das Schneckenrohr darstellt, während ihre Elemente im Innern
gewissermaassen ausweichen und dem weichen Rohre Raum lassen.
In der achten Woche hat beim menschlichen Embryo der Schnecken-
kanal schon eine ganze Windung, deren Ende nicht in derselben
Ebene liegt wie der Anfang, und in der elften bis zwölften Woche ist
das Rohr vollkommen ausgebildet. Die knorpelige Umhüllung ist in
der achten Woche von aussen gesehen eine kleine linsenförmige Kap-
sel, die durch ein dünneres Knorpelblatt mit der Mitte der knor-
peligen Schädelbasis zusammenhängt und nach unten leicht convex
vorspringt, während sie nach oben zum Theil schwach vertieft ist
und hier durch eine Oeffnung den Hörnerven aufnimmt. Im dritten
[313]Entwicklung des Gehörorganes.
Monate wird das ganze knorpelige Labyrinth massiger und zeigt am
Ende desselben schon eine bedeutende rundliche Auftreibung da wo
die Schnecke sitzt, die nun auch nach oben vortritt (Fig. 88).


Figure 154. Fig. 154.

Nach Huschke gestaltetBedeutung
des embryonalen
Schneckenkanals.

sich der embryonale Schne-
ckenkanal, der anfänglich
mit dem häutigen Vorhofe
in Verbindung steht, dann
aber von demselben sich
trennt, nicht zum ganzen
Schneckenkanale, sondern
einzig und allein zum häu-
tigen Spiralblatte, welches
beim Embryo ein platter, erst einfach gebogener und dann spiralig sich
ausziehender Kanal ist. Dieses hohle Spiralblatt liegt nun anfänglich,
sammt einem dasselbe locker umgebenden Perioste dem knorpeligen
Gehäuse dicht an, so dass die Scalae noch nicht existiren. Diese
entstehen erst später mit der allmäligen Abplattung des hohlen Spi-
ralblattes, wodurch dasselbe immer mehr von den Schneckenwän-
den sich zurückzieht, bis es endlich zu dem nicht mehr hohlen blei-
benden weichen Spiralblatte sich umgestaltet hat. Die Scalae sind
somit nach Huschke seröse Räume, welche den Höhlen der knöcher-
nen Bogengänge entsprechen, woraus dann ferner folgt, dass die
Tubuli membranacei und die Säckchen des Vorhofes in dem embryo-
nalen hohlen Spiralblatte ihr Analogon haben. — Diese sehr wich-
tigen Angaben von Huschke, durch welche zum ersten Male die Mög-
lichkeit sich eröffnet hat, die Schnecke mit den übrigen Theilen des
Labyrinthes zu vergleichen, sind, obgleich schon im Jahre 1844 ans
Licht getreten, doch bis jetzt einzig und allein von Reissner geprüft
worden (l. c. und Müll. Arch. 1854. St. 420), der dann auch diesel-
ben vollständig bestätigte und durch die bemerkenswerthe Ent-
deckung erweiterte, dass der embryonale Kanal im Spiralblatte, den

Fig. 154. Querschnitt durch die Schnecke eines acht Wochen alten mensch-
lichen Embryo, vergr. dargestellt. CC unterer Theil der knorpeligen Kapsel der
Schnecke, C′ oberer Theil derselben, k ein Theil des knorpeligen Körpers des
Keilbeins mit der Schnecke unmittelbar verbunden, a Acusticus, g Ganglion
desselben, f Facialis (?), c Schneckenkanal nahe am Anfange, c′ Ende dessel-
ben, e verdickter Theil des Epithels des Schneckenkanals, bb bindegewebige
Ausfüllungsmasse im Innern der knorpeligen Schnecke.


[314]Einunddreissigste Vorlesung.
Reissner «Schneckenkanal», Canalis cochlearis, nennt, auch noch
beim Erwachsenen sich findet. Was mich selbst anlangt, so habe
ich der Schnecke alle Aufmerksamkeit geschenkt und will ich Ihnen
nun nach meinen Erfahrungen, die innere Entwicklung derselben,
etwas ausführlicher schildern. Am einfachsten ist es von der in Fig.
154 wiedergegebenen Schnecke eines acht Wochen alten mensch-
lichen Embryo auszugehen. Hier zeigt das knorpelige Labyrinth in
der Gegend der Schnecke eine einfache Höhle, deren Innenwand
noch in keiner Weise die Gestalt des kaum mehr als Eine Windung
beschreibenden Schneckenkanales wiedergibt, sondern ohne alle
Vorsprünge ist. Erfüllt wird diese Höhle erstens von dem Epithe-
lialrohre des Schneckenkanales, das jetzt noch fast ganz rund und
im Verhältniss zur ganzen Schnecke auch sehr weit ist und an der
oberen Seite, wo später die Scala tympani liegt, eine viel grössere
Dicke besitzt, und zweitens von einer bindegewebigen Lage, die als
Umhüllung des Schneckenkanales und als Träger des Schnecken-
nerven erscheint, dessen grosses Ganglion schon in die Aushöhlung
der ersten Windung sich erstreckt. Eine solche Schnecke hat mithin
weder Treppen noch ein Spiralblatt, auch keinen knorpeligen Spi-
ralkanal. — Fragen Sie nun, wie diese Schnecke aus der in der
Fig. 151 gezeichneten hervorgegangen ist, so ist die Antwort nicht
schwer. Vor Allem wollen Sie berücksichtigen, dass an der Säuge-
thierschnecke kurze Zeit nach ihrer Bildung der Nervus cochleae mit
einem grossen Ganglion, das ich Ganglion spirale nennen will, dicht
anliegt. Wenn nun der Schneckenkanal anfängt spiralig auszuwach-
sen, folgt das Ganglion demselben genau und zieht sich strangförmig
aus, und während diess geschieht, beginnt auch eine histologische
Differenzirung der anfangs gleichartigen und weichen Kapsel um die
Schnecke, so dass dieselbe in eine äussere festere Knorpellage und
eine innere weich bleibende bindegewebige Umhüllung des epithelia-
len Schneckenkanales und des Nervus cochleae sammt seinem Gang-
lion
sich scheidet, und dann ist der Zustand der, den die Fig. 154
darstellt.


Die Umwandlung der eben geschilderten einfachen Schnecke zu
den späteren Formen lässt sich kaum errathen und hat mir wenig-
stens dieser Fall von neuem sehr lebhaft gezeigt, wie schwer es ist,
den Entwicklungsgang eines Organes a priori zu construiren. Und
doch sind, wenn man die Natur einmal befragt hat, die Verhältnisse
so äusserst einfach und wird es Ihnen an der Hand der Fig. 155
[315]Entwicklung des Gehörorganes.
nicht schwer fallen, das Weitere zu begreifen. Diese Schnecke eines
Kalbsembryo von 3½″ Länge, die schon ihre volle Zahl von Win-
dungen besitzt, zeigt fürs erste, dass während der epitheliale Schne-
ckenkanal seine volle Länge erreicht, auch das knorpelige Schnecken-
gehäuse mitwächst [und] zwar so, dass seine innere Höhle zwar im-
mer noch einfach bleibt, aber doch schon an der Wand eine spiralige
Furche ausgegraben zeigt, die auf dem Durchschnitte durch Vor-
sprünge (vv) bezeichnet wird. Weiter ist dann besonders die un-

Figure 155. Fig. 155.


gemeine Zunahme des inne-
ren Bindegewebes bemerkens-
werth, in Folge derer der epi-
theliale Schneckenkanal (a)
ganz an die Peripherie des
Binnenraumes der knorpeligen
Kapsel verdrängt worden ist
und nun verhältnissmässig ei-
nen viel kleineren Raum ein-
nimmt, obschon seine absolute
Grösse nicht abgenommen hat.
Diese Zunahme hängt zusam-
men mit der mächtigen Entwicklung der Nerven und Blutgefässe
des Organes. Letztere finden sich nun in grosser Menge vom inneren
Gehörgange her eintretend und verbreiten sich sowohl im Innern,
als auch in einer Art Perichondrium, das die gesammte Höhle der
knorpeligen Kapsel als eine zusammenhängende Schicht auskleidet.
Der Schneckennerv dringt ebenfalls weit ins Innere hinein und
zeigt nun sein Ganglion spirale in einen langgezogenen ziemlich
cylindrischen Strang umgewandelt, der wie der Schneckenkanal
gewunden ist und in der Fig. 155 bei gg im Querschnitte gesehen
wird. Eine genaue Untersuchung dieser Schnecke lässt nun fer-

Fig. 155. Senkrechter Schnitt durch die Schnecke eines 3½″ langen Rinds-
embryo, vergr. dargestellt. C knorpelige Kapsel der Schnecke, v Vorsprünge
derselben nach innen, die eine spiralige Furche begrenzen, k knorpeliger Keil-
beinkörper mit C direct zusammenhängend, o Acusticus, g Ganglion spirale des-
selben bei drei Querschnitten von Windungen erkennbar, a epithelialer Schne-
ckenkanal mit seiner Faserhülle, sp Andeutung der Lamina spiralis, ein derbe-
rer Bindegewebszug mit Nerven und Gefässen, s Andeutung einer häutigen
Scheidewand zwischen zwei Windungen, p inneres Perichondrium der knor-
peligen Schnecke, m Gallertgewebe zwischen demselben und dem Schnecken-
kanale und der Lamina spiralis, Vorläufer der Scalae, ch Chorda.


[316]Einunddreissigste Vorlesung.
ner noch erkennen, dass in derselben auch die Spindel, das Spi-
ralblatt, die Treppen und die bindegewebige Auskleidung dersel-
ben wenigstens in den ersten Spuren angedeutet sind. Man fin-
det nämlich, dass das innere Bindegewebe der Schnecke, das in
der Fig. 154 noch Eine zusammenhängende und gleichartige Masse
darstellte, nun in folgende Theile sich geschieden hat: 1) eine Um-
hüllung des Schneckenkanals selbst (a), welche in allen Windungen
der Schnecke deutlich ausgeprägt ist; 2) einen dichteren platten-
artigen Zug sp, der gegen die Axe der Schnecke verläuft, Gefässe
und das Ganglion spirale enthält und in der ersten halben Windung
schon so entwickelt ist, dass er deutlich als Anlage des Spiralblattes
erscheint; 3) eine äussere am Knorpel anliegende Membran (p), das
innere Perichondrium der Schnecke, die Andeutungen von Scheide-
wänden (s) zwischen die einzelnen Windungen des Schneckenkanals
in der Richtung gegen die Axe der Schnecke entsendet und 4) end-
lich eine gallertige Substanz (m), die jedoch nur in der ersten hal-
ben Windung deutlich ist, die um den Schneckenkanal und die An-
lage des Spiralblattes sich gebildet hat und die erste Anlage der
Treppen bezeichnet. Diese Gallertsubstanz bietet genau denselben
Bau dar, wie diejenige des Vorhofes und der halbkreisförmigen Ka-
näle und führt ebenfalls wie dort einzelne Blutgefässe. Da wo diese
Substanz vorhanden ist, lässt sich nun auch der Gegensatz zwischen
dem Modiolus und den äusseren Theilen deutlich erkennen, doch ist
auch an den anderen Gegenden die Axe des Organs durch ihren
Reichthum an Gefässen und einzelne Nervenzüge vor den anderen
Theilen ausgezeichnet.


Die Verhältnisse des Schneckenkanales selbst lassen sich nur an
stärker vergrösserten Präparaten erkennen und lege ich Ihnen daher
noch die Fig. 156 vor. Dieselbe zeigt, dass das Epithel des Schne-
ckenkanales an der Seite der Schneckenbasis viel dicker ist als an
der anderen, so wie dass dasselbe dort eine grössere und zwei
kleinere Aufwulstungen darbietet (e′ e″ e‴). Besonders auffallend
war das Vorkommen einer hellen structurlosen Schicht auf dem
grösseren Epithelialwulste, der sich leicht isolirte und von der Fläche
als eine feinstreifige Membran sich ergab, ein Gebilde, das mir an-
fangs sehr räthselhaft erschien, in dem ich dann aber bei Vergleichung
der Schnecken älterer Embryonen die von mir sogenannte Corti’sche
Membran erkannte (Handb. d. Geweb. 3. Aufl. St. 671), welche mit-
hin, da sie innerhalb des epithelialen Schneckenkanales sich ent-
[317]Entwicklung des Gehörorganes.
wickelt, nichts anderes als eine Zellenausscheidung oder eine Cuti-
cularbildung ist. Das Epithel des Schneckenkanales besteht übrigens
in diesem Stadium bei Kalbsembryonen an der dünneren Seite aus
pflasterförmigen niedrigen, an der anderen aus langen cylindrischen
Zellen, an denen ich an gewissen Stellen an Chromsäurepräparaten

Figure 156. Fig. 156.


selbst Andeutungen von
Wimpern zu sehen ver-
meinte, ohne jedoch in
dieser Beziehung zu ei-
nem entscheidenden Re-
sultate zu gelangen.


Ist Ihnen nun ein-Bildung der
Scalae.

mal die Entwicklung der
Schnecke so weit klar,
so sind die letzten Sta-
dien nicht schwer zu
begreifen. Das nächste
was geschieht ist die
Bildung der Treppen.
Zuerst entstehen im Gal-
lertgewebe um den Schneckenkanal grössere Hohlräume, welche
bald zusammenfliessen und dann das Netzwerk sternförmiger Zellen
immer mehr gegen das Perichondrium, die häutigen Septa der Win-
dungen, das Spindelblatt und den Modiolus drängen, welche letzten
drei Theile zugleich mit diesen Vorgängen auch erst recht deutlich
werden. Zugleich wächst auch der Knorpel der äusseren Kapsel
etwas weiter in die Scheidewände der Windungen in der Richtung
gegen die Spindel vor, ich habe jedoch nie, auch im sechsten Monate

Fig. 156. Ein Stück der ersten Schneckenwindung von einem 3½″ langen
Kalbsembryo im Querschnitte, 100mal vergr. dargestellt (vergl. Fig. 155, die von
demselben Embryo stammt). pp inneres Perichondrium der Knorpelkapsel der
Schnecke, t Gallertgewebe an der Stelle der späteren Scala tympani nicht aus-
gezeichnet, v ein Theil desselben Gewebes, das die Scala vestibuli erfüllt, g
Ganglion spirale
nicht ganz ausgezeichnet mit einem davon ausgehenden Nerven-
stämmchen, sp Anlage der Lamina spiralis ossea, b Membrana basilaris oder
untere bindegewebige Wand des Schneckenkanales cc, R obere bindegewebige
Wand desselben oder Anlage der von mir sogenannten Reissner’schen Membran,
a ein zu dieser gehendes Gefäss, in dessen Gegend das Perichondrium viel
dicker ist, e dünnes Epithel des Schneckenkanals an der Reissner’schen Mem-
bran, e′, e″ e‴ Epithelialwülste auf der Membrana basilaris, mCorti’sche Mem-
bran, auf dem grösseren Wulst aufliegend.


[318]Einunddreissigste Vorlesung.
nicht, zu welcher Zeit die Ossification der Schnecke beim Menschen
gut im Gange ist, die knorpeligen Septa entwickelter und in der Mitte
vereinigt gesehen, auch muss ich nach meinen Erfahrungen läugnen,
dass der Modiolus und das Spindelblatt jemals aus Knorpel bestehen.
Der Schneckenkanal nimmt mit dem Wachsthume der Schnecke und

Figure 157. Fig. 157.


der Ausbildung der Trep-
pen nicht auch gleich-
mässig an Weite zu und
erscheint daher relativ
um so kleiner, je mehr
das Organ seiner letzten
Ausbildung sich nähert.
Die bemerkenswertheste
Umwandlung in seinem
Bereiche ist die, dass die
bindegewebige Hülle des
Schneckenkanales an sei-
ner inneren mit der La-
mina spiralis
verbunde-
nen Wand, die schon vorher auffallend verdickt war, zu den Zäh-
nen der ersten Reihe hervorwuchert, die beim Menschen schon im
vierten Monate deutlich sind (Fig. 157). Um dieselbe Zeit wird auch
die Lamina spiralis membranacea im engeren Sinne (M. basilaris
Claudius
) und das Ligamentum spirale mit der Stria vascularis sicht-
bar (S. m. Gewebelehre. 3. Aufl. Fig. 346), während die untere oder
vestibuläre Wand des Schneckenkanales immer noch so deutlich ist

Fig. 157. Querschnitt der ersten Windung der Schnecke (ohne knorpelige
Umhüllung) von einem 6½″ langen Kalbsembryo, vergr. dargestellt. t Scala
tympani, v Scala vestibuli, m Canalis cochlearis, zo
später verknöchernder Theil
der Lamina spiralis, h Vorsprung der Habenula sulcata, von wo die von mir so-
genannte Reissner’sche Membran R oder die obere Deckmembran des Canalis
cochlearis
entspringt, z Zähne der ersten Reihe, b Membrana basilaris, sp Liga-
mentum spirale, pp
inneres Periost der Schnecke, sv Gegend der Stria vascula-
ris
, an der äusseren Wand des Schneckenkanals, e—e⁗ Epithel des Schne-
ckenkanals, e Epithel der Reissner’schen Membran, e′ Epithel der Habenula
sulcata
Corti, e″ sehr dickes Epithel im Sulcus spiralis und auf der Habenula
perforata
mihi., ccCorti’sche Membran, die auf e′ und e″ aufliegt, e‴ Du-
plicatur des Epithels, die wesentlich zu den Corti’schen Fasern sich umzuwan-
deln scheint, e⁗ Vorsprung des Ligamentum spirale unterhalb der Stria vascu-
laris
, an den alle Autoren mit Ausnahme von Reissner die Deckmembran des
Canalis cochlearis sich ansetzen lassen.


[319]Entwicklung des Gehörorganes.
wie früher und einwärts von den Zähnen der ersten Reihe im Zu-
sammenhange mit dem Bindegewebe der Habenula sulcata von Corti
entspringt, von wo auch die Corti’sche Membran dicker als früher
ihren Ursprung nimmt. Ueber die Bildung der so zusammengesetzten
Apparate in der Gegend der Nervenendigung der Schnecke ergeben
meine übrigens noch lange nicht bis zum Abschlusse gediehenen
Untersuchungen wenigstens das wichtige Resultat, dass dieselben
alle, mit alleinigem Ausschluss der Enden der Acusticusfasern selbst,
Productionen des verdickten Theiles des Epithels der tympanalen
Wand des Schneckenkanales sind, ja ich glaube selbst gesehen zu
haben, dass die Corti’schen Fasern, die beim Menschen im fünften
Monate auftreten, in jedem ihrer Glieder aus verlängerten Epithel-
zellen sich hervorbilden (siehe Würzburg. naturw. Zeitschr. Bd. II.
St. 1—9). — Erwähnenswerth ist noch die Beobachtung, dass das
Ganglion spirale des Nervus cochlearis jüngerer Embryonen keine
peripherischen
Aeste abgibt. Dieselben werden also wohl ganz
allmälig vom Ganglion aus in die Lamina spiralis hereinwachsen, in
ähnlicher Weise, wie wir diess früher auch für andere Nerven an-
genommen haben.


Der embryonale Schneckenkanal ist, wie Sie wohl schon längst
errathen haben, wenn Ihnen die neuesten Errungenschaften mit Be-
zug auf den feineren Bau der Schnecke bekannt sind, keineswegs ein
vergängliches Gebilde, wie noch Huschke seiner Zeit glaubte, son-
dern wandelt sich in den von Reissner beim Erwachsenen entdeck-
ten mittleren Kanal der Schnecke um, den dieser Autor Canalis coch-
learis
, ich Scala media genannt habe, welchen letzteren Namen ich
jedoch aufgebe, um nicht zum Glauben Veranlassung zu geben, dass
derselbe und die Treppen denselben Entwicklungsgang nehmen.
Meine embryologischen Untersuchungen dienen nicht nur, entgegen
den Behauptungen und Annahmen von Claudius, Böttcher und Dei-
ters
, zur vollkommenen Bestätigung dessen, was Reissner über die
von Seiten der Scala vestibuli den Schneckenkanal deckende Lamelle
vorgebracht hat, sondern es geben dieselben überhaupt ein genaue-
res Bild von diesem Kanal als man bisher gehabt hat, indem nun
die Corti’sche Membran als Cuticularbildung des Epithels der soge-
nannten Membrana basilaris festgestellt ist (siehe Würzb. naturw.
Zeitschr. II). — Dem Gesagten zufolge wird der embryonale Schne-
ckenkanal, wenn auch nur zu einem kleinen, doch gerade zum wich-
tigsten Theile der Schnecke und wird es nach den Resultaten der
[320]Einunddreissigste Vorlesung.
embryologischen Untersuchung zusammengehalten mit dem, was
wir über die Nervenenden im Vorhofe und den Ampullen wissen,
nun im höchsten Grade wahrscheinlich, dass auch die Enden des
Nervus cochleae im Epithel des Canalis cochlearis und zwar in der
Gegend der sogenannten Corti’schen Fasern zu suchen sind, wor-
über sich auszulassen hier nicht der Ort ist.


Verbindung der
Schnecke mit
dem Vorhofe.
Mit Bezug auf die Schnecke ist nun noch ein Punct zu bespre-
chen, nämlich die Beziehung derselben zum übrigen Labyrinthe. Wie
Sie früher gehört, ist der Schneckenkanal ursprünglich ein Auswuchs
des Ohrbläschens und findet sich auch noch bei schon vorgerückte-
rer Entwicklung des Labyrinthes in weiter Verbindung mit dem-
selben, d. h. dem Vestibulum (Fig. 152). Da nun aber beim Erwach-
senen der Canalis cochlearis, obschon dessen Verhalten am Anfange
der Schnecke noch nicht bekannt ist, doch sicherlich mit den Vor-
hofssäckchen in keiner Verbindung steht, so muss man annehmen,
dass die ursprüngliche Verbindung der genannten Theile später sich
löst. Dass die Treppen mit dem Vorhofsraume in Verbindung stehen,
ist aus der Entwicklung leicht begreiflich, da dieselben ganz in glei-
cher Weise sich bilden wie dieser, und wäre höchstens die Frage
aufzuwerfen, wie es kommt, dass die Paukentreppe nicht auch
direct in den Vorhof mündet, was, wie Sie wissen, von der eigen-
thümlichen Anheftung der Spirallamelle abhängt. Die Fenestra
rotunda
steht in keinem inneren Zusammenhange mit der Bildung
des Schneckenkanales ebenso wenig wie die Fenestra ovalis mit
derjenigen der Vorhofssäckchen und sind beide nichts als nicht
verknorpelte Stellen der ursprünglichen Umhüllungsmasse des La-
byrinthes.


Verknöcherung
des Labyrinthes.
Die Verknöcherung des Labyrinthes scheint seit J. F.
Cassebohm (Tract. de aure hum. Hal. et Magdeb. 1734 et 1735) und
J. Fr. Meckel (Handb. d. Anat. IV. St. 42 flgde.) Niemand mehr
untersucht zu haben und erklärt es sich nur so, dass gewisse un-
richtige Angaben fast in allen Handbüchern, Jahr aus Jahr ein, sich
wiederholen. Unrichtig ist es, dass der äussere Theil der Pyramide
des Felsenbeines und das Labyrinth besonders verknöchern, sowie
dass die Verknöcherung als eine dünne Kruste an der Wand des
Labyrinthes beginne. Vielmehr tritt die Kalkablagerung in der gan-
zen Dicke der Wand des Labyinthes auf, so jedoch, dass sie aussen
eher zuerst erscheint als innen (Fig. 153) und verknöchert die ganze
Pyramide von den zuerst an den knorpeligen Bogengängen und der
[321]Entwicklung des Gehörorganes.
Schnecke auftretenden Knochenpuncten aus. Die Zahl dieser ist, wie
richtig angegeben wird, drei, einer an der ersten Windung der
Schnecke und je einer am oberen und hinteren halbkreisförmigen
Kanale, von denen nach und nach die ganze Pars petrosa sammt der
mit ihr verbundenen knorpeligen Pars mastoidea verknöchert, in
einer Weise, die in ihren Einzelnheiten kein grösseres Interesse für
Sie darbietet. Mit der Angabe über die Zeit in der diese Verknöche-
rung eintritt, bin ich dagegen wieder nicht einverstanden. Weder im
dritten noch im vierten Monate, wie behauptet wird, findet sich eine
Spur von Verknöcherung, ja ich habe bei einem 5″ langen Embryo
aus der achtzehnten Woche oder der Mitte des fünften Monates im-
mer noch die ganze Pyramide knorpelig gefunden. Erst am Ende des
fünften und besonders im sechsten Monate beginnen die Kalkabla-
gerungen, schreiten dann aber sehr rasch vorwärts. Im sechsten
Monate findet man jedoch nichts als eine schöne netzförmige Knor-
pelverkalkung und noch keine Andeutung von ächtem Knochen, der
erst in den letzten Monaten vom Perioste des Labyrinthes und von
der äusseren Beinhaut aus auftritt, während zugleich im Innern der
Knorpelknochen resorbirt wird und durch eine gefässreiche ächte
Knochensubstanz, die nach und nach feinschwammig wird, sich er-
setzt. Modiolus und Lamina spiralis sind im sechsten Monate noch
ganz häutig und verknöchern erst am Ende der Fötalperiode ohne
jemals knorpelig gewesen zu sein.Entwicklung des
mittleren Ohres.


Von dem mittleren Ohre, zu dem ich nun übergehe, ist
schon in früheren Stunden mehr weniger ausführlich die Rede ge-
wesen (Seite 70, 119, 201, 215 u. flgde.) und wissen Sie bereits,
dass die Paukenhöhle, Tuba Eustachii und der äussere Gehörgang
aus der ersten Kiemenspalte und die Gehörknöchelchen aus dem
ersten und zweiten Kiemenbogen hervorgehen, auch kennen Sie
schon den Annulus tympanicus, einen Belegknochen, der zum knö-
chernen äusseren Gehörgange sich gestaltet. Es wird daher genügen,
die wenigen noch nicht oder nicht genügend erörterten Verhältnisse
zu besprechen und Ihnen mit kurzen Worten das Ganze der Bildung
des mittleren Ohres im Zusammenhange vorzuführen.


Die erste Kiemenspalte, die beim menschlichen Embryo von
vier Wochen noch vollkommen offen ist (Figg. 70 und 114) schliesst
sich in der fünften Woche, jedoch nicht in ihrer Totalität, wie die
anderen Spalten, sondern so, dass zu beiden Seiten der Verschluss-
stelle, welche der äusseren Mündung nahe liegt, der Anfang und
Kölliker, Entwicklungsgeschichte. 21
[322]Einunddreissigste Vorlesung.
das innere Ende des Kanales sich offen erhalten, welche Theile nichts
anderes als die Anlagen des äusseren Gehörganges einerseits und
der Tuba Eustachii und der Paukenhöhle andererseits sind, während
die Verschlussstelle das primitive Trommelfell darstellt. Im weiteren
Verlaufe verlängert sich nun der innere Theil der Kiemenspalte und
wird an seinem hinteren oder äusseren Ende allmälig weiter. Zu-
gleich bilden sich am Ende des zweiten und in der ersten Hälfte des
dritten Monates die knorpeligen Anlagen der Gehörknöchelchen,
Paukenhöhle.doch ist ihr Verhalten zur Paukenhöhle anfänglich ein ganz anderes
als später. Untersucht man nämlich bei einem drei bis vier Monate
alten Embryo die Paukenhöhle nach Wegnahme des dicken und
so zu sagen horizontal liegenden Trommelfelles, so findet man, dass
dieselbe, wenn auch in der Richtung der Flächenausbreitung des
Trommelfelles ziemlich ausgedehnt, doch gar keine Tiefe, keine freie
Höhle besitzt, und dass die Gehörknöchelchen nicht in ihr, sondern
über ihr ihre Lage haben, woselbst sie in einer dicken Lage galler-
tigen Bindegewebes stecken. Dieses Gallertgewebe ist den Embryo-
logen schon seit Langem bekannt, allein dasselbe wurde bisher
fälschlich für ein frei in der Paukenhöhle befindliches Secret, eine
Art Schleim, gehalten, während dasselbe, wie ich gezeigt habe
(Würzb. Verh. IX. St. LXXVIII), gallertiges Bindegewebe ist, in wel-
chem auch Blutgefässe in ziemlicher Menge verlaufen. Dieses Gal-
lertgewebe erscheint, wie v. Tröltsch zuerst mit Recht angegeben
(Würzb. Verh. l. c. und Die Anatomie des Ohres. Würzb. 1860.
St. 66), als eine Wucherung der inneren oder Labyrinthwand der
Paukenhöhle, zieht sich aber, wie ich finde, längs der inneren Wand
der Tuba bis gegen den Türkensattel und umhüllt nach oben die
Gehörknöchelchen sammt der Chorda tympani und den Sehnen der
Musculi stapedius und Tensor tympani. Dieses Gallertgewebe und die
eigenthümliche Lage der Gehörknöchelchen, welche letztere bis jetzt
allein von A. Fr. Günther (Beob. üb. d. Entw. d. Gehörorganes. Leipz.
1842. St. 50) einigermaassen berücksichtigt worden ist, erhält sich
nun auch während der ganzen Fötalperiode und finden sich beide
Verhältnisse noch bei Neugebornen fast ebenso ausgeprägt wie bei
jungen Embryonen. Erst mit dem Eintritte der geathmeten Luft in
die Tuba und Paukenhöhle ändern sich die fötalen Zustände und
macht das Gallertgewebe einer gewöhnlichen Schleimhaut Platz, in
Folge welcher Veränderungen dann die Paukenhöhle sowohl nach
innen als nach oben an Umfang gewinnt und die Ossicula auditus
[323]Entwicklung des Gehörorganes.
scheinbar in ihr Inneres zu liegen kommen, obschon dieselben, wie
bekannt, allerwärts von der Schleimhaut bekleidet und doch eigent-
lich von aussen in sie eingeschoben sind. Ganz einfach sind übri-
gens die Verhältnisse bei dieser Ausbreitung der Paukenhöhlen-
schleimhaut auf die Gehörknöchelchen doch nicht, vielmehr finden
an gewissen Stellen Verwachsungen derselben, an anderen Resorp-
tionen der Schleimhaut statt, wie jeder leicht einsehen wird, der sich
die Mühe geben will, die genaueren Verhältnisse der Lage der Knö-
chelchen zu überdenken.


Von den Gehörknöchelchen sei nun nachträglich noch be-Gehör-
knöchelchen.

merkt, dass die zwei grösseren bei Neugebornen immer noch nicht
vollkommen ausgebildet sind und im Innern noch eine geräumige
mit Knorpel erfüllte Höhle enthalten, die sich nach und nach mit
einem erst schwammigen und später compacteren Gewebe füllt.


Die Tuba Eustachii ist während der ganzen Embryonal-Tuba Eustachii.
periode ebenso geschlossen wie die Paukenhöhle, und kommt ihre
endliche Eröffnung in ähnlicher Weise zu Stande wie dort, da, wie
ich Ihnen angab, auch an ihrer inneren Wand ein reichliches Gallert-
gewebe sich findet. Bei jungen Embryonen kurz und hoch, wächst
sie allmälig in die Länge, doch bleibt sie während der ganzen Em-
bryonalperiode im Verhältniss zur Höhe kurz. Eigenthümlich sind
auch ihre weite Paukenhöhlenmündung und das wenig vortretende
enge Ostium pharyngeum, das lange Zeit hindurch über der Wur-
zel des weichen Gaumens steht, so wie ihre mehr horizontale Lage.
Der Knorpel der Tuba erscheint im vierten Monate als ein einfaches
oben und innen gelagertes Plättchen hyalinen Knorpels und scheint
kein Theil des Primordialschädels zu sein.


Die Cellulae mastoideae, die analog den Zellen des Geruchs-Cellulae
mastoideae
.

organes entstehen, von denen später die Rede sein wird, sind bei
der Geburt noch kaum angedeutet und bilden sich erst zur Puber-
tätszeit vollkommen aus.


Das Trommelfell ist bei Embryonen viel dicker als später,Trommelfell.
was vorzüglich auf Rechnung des äusseren Epidermisüberzuges zu
setzen ist, doch sind auch die beiden anderen Lagen stärker als beim
Erwachsenen. Von seiner nahezu horizontalen Lage war schon die
Rede und will ich nur noch bemerken, dass diese Stellung selbst am
Ende der Fötalperiode noch sehr ausgesprochen ist. Die Grösse hat
neulich v. Tröltsch gemessen und fand er dasselbe im dritten Monate
2mm hoch, 1¼mm breit, in der zwanzigsten Woche 7mm hoch und
21*
[324]Einunddreissigste Vorlesung.
mm breit, während im neunten Monate dieselben Maasse 9¾ und
mm betrugen.


Aeusseres Ohr.Zum Schlusse führe ich Ihnen nun noch das Wenige an, was
vom äusseren Ohre zu sagen ist. Der Meatus externus osseus ent-
wickelt sich aus dem schon erwähnten Annulus tympanicus, einem
nicht knorpelig praeformirten Knöchelchen, welches als ein Deck-
knochen des Schädels anzusehen ist und noch beim Neugebornen als
isolirbarer Ring zu sehen ist, dann aber nach und nach zu einem
Kanale sich auszieht, der mit dem übrigen Felsenbeine verwächst.
Der knorpelige Gehörgang und das äussere Ohr bilden sich aus der
Haut, welche die äussere Mündung der früheren Kiemenspalte be-
grenzt. Von der Ohrmuschel entsteht die erste Andeutung am
Ende des zweiten Monates, doch entwickelt sich dieselbe rasch und
ist am Ende des dritten Monates schon in allen Theilen da, was im
Einzelnen nachzuweisen hier nicht der Ort ist. Die feste Grundlage
derselben wird im vierten Monate deutlich und ist auch erst hyaliner
Knorpel, der wohl unzweifelhaft als der Haut angehörig zu betrach-
ten ist. Die Ohrenschmalzdrüsen sind nach meinen Erfah-
rungen schon im fünften Monate in ihren Anlagen sichtbar und ent-
wickeln sich nach dem Typus der Schweissdrüsen, von denen später
noch gehandelt werden soll.


[[325]]

Zweiunddreissigste Vorlesung.


C. Entwicklung des Geruchsorganes.


Meine Herren! Die Entwicklung des Geruchsorganes hat bis
jetzt bei den Embryologen nicht die Berücksichtigung gefunden,
welche dem Ohre und vor allem dem Auge zu Theil geworden ist,
und erklärt sich so, dass in Betreff derselben noch manche Unklar-
heiten und Verschiedenheiten der Ansichten vorkommen, aus denen
das Wahre herauszufinden kaum möglich ist, wenn man nicht in
der Lage ist, auf eigene Untersuchungen fussen zu können.


Werfen Sie einen Blick auf die embryologische Literatur der
neueren Zeit, so werden Sie bald erkennen, dass mit Bezug auf dieAllgemeines über
die erste
Entwicklung des
Geruchsorganes.

erste Anlage des Geruchsorganes wesentlich zwei Ansichten ver-
treten sind. Nach der einen älteren Auffassung, die vor Allem durch
J. Fr. Meckel in seinem Handbuche der pathologischen Anatomie
(Leipzig 1812. I. St. 524) in die Wissenschaft eingebürgert wordenJ. Fr. Meckel’s
Ansicht.

ist, sind Mund- und Nasenhöhle ursprünglich eines und stellen ein
grosses geräumiges Cavum dar, das dann in der Weise, wie ich
Ihnen diess in einer früheren Stunde (Vorl. XXIV. St. 210 u. flgde.)
bei Gelegenheit der Schilderung der Entwicklung des Gesichtes vor-
geführt habe, durch die Bildung des Oberkieferrandes und des Gau-
mens in zwei besondere Höhlen, die Mundhöhle im engeren Sinne
und die eigentliche Nasenhöhle zerfällt. Diese Ansicht stützt sich
vor Allem auf die nicht schwer anzustellende Beobachtung von Em-
bryonen, bei denen (s. Fig. 162) die Nasenhöhlen und die Mund-
höhle in offener Verbindung stehen und fand ausserdem auch in den
häufigen Fällen von Missbildung des Oberkieferrandes und des Gau-
mens, die man Wolfsrachen und Hasenscharte nennt, in denen die
embryonale Vereinigung der beiden Höhlen auch in späterer Zeit
mehr weniger ausgeprägt zu sehen ist, eine mächtige Bekräftigung
[326]Zweiunddreissigste Vorlesung.
und ist es daher leicht begreiflich, dass dieselbe bis auf die neuesten
Zeiten viele Vertreter fand, unter denen ich Ihnen nur Coste, Erdl
und Ecker nennen will, und bei embryologischen Untersuchungen
ferner stehenden Forschern, wie bei den Physiologen im weiteren
Sinne, so ziemlich die allein geltende war.


In der That sind nun auch alle von dieser Seite vorgebrachten
Thatsachen vollkommen richtig. Es gibt ein Stadium, in dem Mund-
und Nasenhöhle nur eine einzige grosse Höhle darstellen, allein die-
ser Zustand ist nicht der primitive und erste, vielmehr geht dem-
selben ein anderer voran, in dem beide Cavitäten vollkommen ge-
trennt sind. Schon seit langem findet man in den embryologischen
Specialwerken zuerst durch v. Baer (Entw. I. St. 65, 78, 87, 106,
122, 137, II. St. 117), dann durch Huschke (Meck. Arch. 1832. St. 12)
und besonders durch Rathke. (Ueber die Bildung und Entwickl. d.
Aufstellung von
v. Baer.
Oberkief. u. d. Geruchswerkzeuge in s. Abh. z. Bildungs- u. Ent-
wicklungsgesch. I. 1832; Entwickl. d. Natter. 1839. St. 41, 86;
Entwickl. d. Schildkröten. St. 39) besondere selbständige Grübchen
Primitive
Riechgrübchen.
ganz vorn am Kopfe erwähnt, die v. BaerRiechgruben nennt,
und von denen alle genannten Autoren annehmen, dass dieselben
die ersten Anlagen des Geruchsorganes sind. Diese Gruben sind
nicht nur später auch von Reichert kurz erwähnt (Vergl. Entw. d.
Kopfes der nackten Amphibien. 1838. St. 185), von Bischoff beim
Hunde gesehen (Entw. d. Hundeeies. 1845. St. 107. Fig. 42 A. B. C.,
in diesem Werke Fig. 60) und von Remak beim Hühnchen und Frosche
genauer verfolgt worden (Unters. St. 74, 85, 151. Tab. IV. Fig. 37.
Tab. X. Fig. 12b, 15, 18a und b), so dass über ihr Vorkommen
keine Zweifel bestehen konnten, sondern es haben auch schon die
ersten Beobachter derselben, v. Baer und Rathke, so genaue und
klare Schilderungen ihrer weiteren Umwandlungen und ihrer Bezie-
hungen zu den späteren Zuständen gegeben, dass es allerdings nicht
leicht begreiflich ist, wie die ältere Meckel’sche Ansicht sich so lange
erhalten konnte und sich diess allenfalls nur aus der Schwierigkeit
der Beobachtung dieser Grübchen bei den Säugethieren und beim
Menschen und aus der Unmöglichkeit, ihre Umwandlungen ohne
eigene Verfolgung derselben klar zu begreifen, erklärt.


Was mich betrifft, so habe ich die primitiven Riechgrübchen
beim Hühnchen und beim menschlichen Embryo beobachtet und bei
beiden auch ihre weiteren Veränderungen fast Schritt für Schritt
verfolgt und kann ich Ihnen gestützt auf diese meine Erfahrungen
[327]Entwicklung des Geruchsorganes.
sagen, dass die Angaben von v. Baer und Rathke in allen Puncten
richtig sind. Diesem zufolge stellt sich als zweite und einzig richtige
Ansicht über die Entwicklung des Geruchsorganes die heraus, nach
welcher dasselbe ursprünglich selbständig und ganz unabhängig von
der Mundhöhle entsteht. Erst in zweiter Linie bildet sich dann eine
Vereinigung der Riechgruben mit der Mundhöhle und in dritter Linie
trennt sich die Mundhöhle in zwei Abschnitte, von denen der obere
zum respiratorischen Abschnitte der Nasenhöhlen wird, während
aus den primitiven Riechgruben das eigentliche Labyrinth des Ge-
ruchsorganes entsteht.


Nach diesen Vorbemerkungen wende ich mich nun zur Dar-Erste
Entwicklung des
Geruchsorganes
beim Hühnchen.

stellung der Entwicklung des Geruchsorganes im Einzelnen und will
ich Ihnen nun zunächst und vor Allem die ersten und wichtigsten
Stadien vom Hühnchen schildern, bei dem dieselben sowohl an fri-
schen als und vor Allem an Chromsäurepräparaten äusserst leicht zu
verfolgen sind. Die Riechgruben zeigen sich beim HühnerembryoRiechgrübchen.

Figure 158. Fig. 158.


am Ende des dritten Tages
und erscheinen in der Sei-
tenansicht (Fig. 158) vor und
etwas tiefer als das Auge
so ziemlich in einer Höhe
mit dem sogenannten Au-
genstiele. Dieselben sind viel
kleiner als das Auge und an-
fangs nichts als flache rund-
liche Grübchen, die, wie Remak zuerst richtig angegeben hat, von
dem etwas verdickten Hornblatte ausgekleidet werden, erlangen
aber bald eine etwas beträchtlichere Tiefe und umgeben sich mit
einem leicht vortretenden aber doch scharfen Rande. Betrachtet man
den abgeschnittenen Kopf eines solchen Embryo von unten und vorn,
so dass man gerade in die Mundspalte sieht (Fig. 158. 1), so erkennt

Fig. 158. Kopf eines Hühnerembryo vom dritten Tage, vergr., Chrom-
säurepräparat. 1. von vorn, 2. von der Seite. n Geruchsgrübchen, l Linse mit
einer runden Oeffnung, durch die ihre Höhle nach aussen mündet, gl Augen-
spalte, die mit der Bildung des Glaskörpers zusammenhängt und vom Rande
der Linse auf den Sehnerven oder Augenstiel übergeht, jedoch nicht deutlich
genug ausgefallen ist. o Oberkieferfortsatz des ersten Kiemenbogens, u Unter-
kieferfortsatz desselben, g Gehörbläschen durch eine runde Oeffnung nach
aussen mündend. Ausserdem sind noch der zweite und dritte Kiemenbogen
und in der Fig. 1 auch die Mundspalte sichtbar.


[328]Zweiunddreissigste Vorlesung.
man die Grübchen ganz vorn und seitlich am Schädel, so dass ihre
Lage fast genau dem seitlichen Rande der Hemisphären des grossen
Hirns entspricht und dieselben nicht ziemlich dicht beisammen lie-
gen, wie v. Baer seiner Zeit angegeben hatte. In der Längsrichtung
stehen die Grübchen fast in einer Linie mit den um diese Zeit noch
sehr wenig entwickelten Oberkieferfortsätzen des ersten Kiemen-
bogens, so jedoch, dass sie etwas nach innen von denselben ihre
Lage haben, ferner nehmen dieselben fast die Mitte zwischen dem
Munde und dem erhabensten Theile des Schädels ein, der in dieser
Ansicht von unten sichtbar wird.


Da ich Ihnen das Gesicht in diesem frühen Stadium noch nicht
geschildert habe, so erlaube ich mir nun noch einiges über dasselbe
beizufügen. Der früher schon erwähnte Stirnfortsatz ist zur Zeit des
ersten Auftretens der Nasengruben noch nicht vorhanden und geht,
wie namentlich die Seitenansicht lehrt, die Stirn ganz allmälig ab-
gerundet in die Schädelbasis über, die um diese Zeit noch die Decke
der primitiven Mundhöhle bildet. Die Oberkieferfortsätze des ersten
Kiemenbogens (o) stehen noch ganz seitlich und sind kleine mehr
kegelförmige Erhebungen, deren Spitzen selbst etwas nach aussen
gerichtet sind. Grösser sind die gegen einander gekrümmten Unter-
kieferfortsätze desselben Kiemenbogens (u), doch erreichen auch
diese einander nicht und findet sich in der Mitte zwischen ihnen nur
die untere Verbindungshaut von Rathke. Weiter rückwärts sind
noch zwei, und in einer Ansicht auch ein Theil des vierten Kiemen-
bogens dargestellt, ebenso drei Kiemenspalten (Fig. 158, 2). Zwi-
schen den Nasengrübchen und den Oberkieferfortsätzen endlich fin-
det sich eine feine vom Auge auslaufende Spalte (gl), welche mit der
Bildung des Glaskörpers im Zusammenhange steht und etwas weiter

Figure 159. Fig. 159.


nach innen geht als der betreffende Oberkie-
ferfortsatz, jedoch die Mitte nicht erreicht.


Einmal angelegt bleiben die Geruchsgrüb-
chen nur kurze Zeit in ihren ursprünglichen
Verhältnissen und findet man schon am vier-
ten Tage weitere Veränderungen, von denen
die Fig. 159 die zuerst auftretenden zu ver-

Fig. 159. Kopf eines Hühnerembryo vom Anfange des vierten Tages von
unten und vergrössert dargestellt. Bezeichnung wie bei Fig. 158, ausserdem
sp Choroidealspalte am Auge, k″ zweiter Kiemenbogen, s Schlundhöhle.


[329]Entwicklung des Geruchsorganes.
sinnlichen geeignet ist. Hier erscheinen die Grübchen grösser und
tiefer und dicht über dem auch seinerseits gewachsenen Oberkiefer-
fortsatze gelegen. Zugleich hat sich ihr Umkreis aus dem rundlichen
mehr in eine längliche Gestalt umgebildet und ist am unteren schmä-
leren Ende der umgebende Wall verschwunden und dafür eine
Furche, die wir die Nasenfurche heissen wollen, aufgetreten,Nasenfurche.
welche von dem Grübchen an der Innenfläche des Oberkieferfort-
satzes bis zum Eingange in die Mundhöhle führt. Der noch erhaltene
Theil des Walles des Riechgrübchens ist stärker vorgetreten und er-
scheint nun zu beiden Seiten desselben wie in Gestalt von zwei
Fortsätzen, die als äusserer und innerer Nasenfortsatz be-Aeusserer und
innerer Nasen-
fortsatz.

zeichnet werden können. Der äussere, Rathke’s «Nasendach», Rei-
chert
’s «seitlicher Stirnfortsatz», stellt einen Längskamm zwischen
dem schon gross gewordenen Auge und dem Nasengrübchen dar und
reicht nach unten nahezu bis an den Oberkieferfortsatz. Der in-
nere Nasenfortsatz
ist nichts anderes als die erste Spur des
Ihnen schon bekannten Stirnfortsatzes oder des Nasenfortsatzes der
Stirnwand von Rathke (s. Fig. 160), der jedoch in diesem Stadium
in der Mitte noch nicht ausgeprägt ist, so dass Stirn und Schädelbasis
oder, wenn Sie lieber wollen, die Decke der Mundhöhle immer noch
ohne scharfe Abgrenzung in einander sich fortsetzen. Besagter inne-
rer Nasenfortsatz ist an dem dargestellten Kopfe auch nicht mehr als
ein leichter Wulst, der auch noch den Anfang der Nasenfurche von
innen begrenzt und nach innen und über dem Oberkieferfortsatze
seine Lage hat.


Die Fig. 160, die zwei Köpfe von Hühnerembryonen vom Ende
des vierten und vom Anfange des fünften Tages darstellt, zeigt
Ihnen in dem jüngeren Kopfe nun schon ein Verhältniss, wie es von
menschlichen Embryonen bereits früher geschildert wurde, das
nämlich, dass Mundhöhle und Nasengruben in offener Verbindung
stehen, Sie haben jedoch aus dem bereits Bemerkten hinreichend
entnehmen können, dass dieselbe als eine nachträglich entstandene
anzusehen ist. Betrachten Sie die Einzelnheiten der Figur genauer,
so finden Sie, was die Nasengruben anlangt, dass dieselben schon
ziemlich tiefe Höhlungen sind, die nach oben und hinten und etwas
schief nach innen eine Strecke weit gegen die Schädelbasis eindrin-
gen und durch eine längliche Spalte nach aussen ausmünden, aus-
serdem aber auch durch die fast quer gerichtete und ebenfalls tiefer
gewordene Nasenfurche (nf) in den vordersten Theil der grossen
[330]Zweiunddreissigste Vorlesung.
primitiven Mundhöhle ausgehen. Begrenzt werden die Nasengruben
und die Furche nach innen von den stark vorspringenden Ecken des

Figure 160. Fig. 160.


nun in seiner ganzen Breite scharf vortretenden Stirnfortsatzes (st)
oder den inneren Nasenfortsätzen (in), nach aussen von den zu brei-
ten Fortsätzen umgewandelten äusseren Nasenfortsätzen (an), die
nun die Oberkieferfortsätze (o) wirklich erreichen, nach unten end-
lich von den grossen, wulstigen und beim Hühnchen eigenthümlich
gerade von hinten nach vorn gestellten Oberkieferfortsätzen, die mit
ihrem abgerundeten Ende die Furche von unten begrenzen. Die
Unterkieferfortsätze liegen leicht bogenförmig gekrümmt in der Quer-
richtung und sind in der Mittellinie schon fast bis zur Berührung
gekommen, während die ebenfalls noch sichtbaren zweiten Kiemen-
bogen noch um ein Kleines von einander abstehen. — Zum richtigen
Verständnisse dieser Figur will ich Sie nun noch besonders darauf
aufmerksam machen, dass die Nasengruben selbst, die man jetzt
schon von der äusseren Nasenöffnung und der Nasenfurche unter-
scheiden kann, durchaus blind geschlossen sind, und dass somit die
Verbindung der Mundhöhle mit der Nasengrube durch die Nasen-
furche eine ganz oberflächliche ist.


Das letzte Stadium, das ich Ihnen vom Hühnchen specieller
schildere, welches die Fig. 160, 2 vergegenwärtigt, zeigt Ihnen die
Nasenfurche durch Anlagerung des Oberkieferfortsatzes an den in-

Fig. 160. Zwei Köpfe von Hühnerembryonen, 1. vom Ende des vierten,
2. vom Anfange des fünften Brüttages. Bezeichnung wie bei Fig. 159, ausser-
dem an innerer, in äusserer Nasenfortsatz, nf Nasenfurche, m Mundhöhle,
st Stirnfortsatz. Fig. 158, 159 und 160 sind alle bei derselben Vergrösserung
gezeichnet und mit einander vergleichbar.


[331]Entwicklung des Geruchsorganes.
neren Nasenfortsatz geschlossen und das äussere Nasenloch rings-
herum abgegrenzt. Sondirt man mit einem Haare vom Nasenloche aus
gegen die Mundhöhle, so findet man, dass die Nasenfurche nicht
wirklich verwachsen ist, vielmehr ergibt sich, dass dieselbe zu einem
kurzen Kanale, dem Nasengange, umgewandelt ist und bei Be-Nasengang.
trachtung der Decke der Mundhöhle von unten nach Wegnahme der
Unterkieferfortsätze ergibt sich, dass diese Nasengänge durch zwei
Löcher, die die inneren Nasenlöcher heissen können, in denInnere Nasen-
löcher.

vordersten Theil der Mundhöhle dicht hinter den inneren Nasenfort-
sätzen des Stirnfortsatzes ausmünden. So ist nun das Geruchsorgan
selbst, oder genauer ausgedrückt das Labyrinth desselben, vollstän-
dig angelegt. Die spätere Ausbildung desselben beim Hühnchen zu
besprechen ist hier nicht der Ort und will ich Ihnen daher nur noch
anführen, dass nachträglich durch die Bildung des Gaumens auch
der obere Theil der primitiven Mundhöhle in das Gebiet des respira-
torischen Abschnittes der Nasenhöhle oder des Nasenganges gezogen
wird, der aber beim Hühnchen bei weitem nicht die Entwicklung
erreicht wie bei den Säugethieren, so wie ferner, dass durch die
weitere Ausbildung des Stirnfortsatzes und der äusseren Nasenfort-
sätze, die, wie Sie schon wissen (St. 211), die vordersten Enden
des Schädels darstellen, einerseits und der Ober- und Unterkiefer-
fortsätze andererseits, die alle mit einander später den Schnabel
darstellen, die Nasenhöhlen auch je länger je mehr an Ausdehnung
gewinnen.


Wir wenden uns nun zu den Säugethieren und dem Men-Entwicklung des
Geruchsorganes
bei den Säuge-
thieren und beim
Menschen.

schen und will ich, da ich gerade vom Menschen eine Reihe eigener
Erfahrungen besitze, mich vorzugsweise an diesen halten. Die pri-
mitiven Nasengrübchen der Säugethiere hat zuerst Rathke gesehen
und vortrefflich abgebildet (l. c. Taf. VII. Fig. 1 und 2) und nach
ihm sind dieselben dann noch von Bischoff beim Hunde und viel-
leicht auch von Reichert wahrgenommen worden; was dagegen den
Menschen anlangt, so ist mir keine Beobachtung und Abbildung der-
selben bekannt geworden und ist es daher wohl nicht ohne Bedeu-
tung, dass ich dieselben bei einem ausgezeichnet gut erhaltenen vier
Wochen alten Embryo, den ich der Güte meines Collegen, Dr. A.
Koch, verdanke, vollkommen gut ausgeprägt traf. Bei diesem Em-
bryo (Fig. 161) erkennt man in der Seitenansicht die Nasengrube (n)
ganz vorn am Kopfe als ein schon ziemlich tiefes Grübchen mit et-
was engerem Eingange, das, wie leicht nachweisbar war, von dem
[332]Zweiunddreissigste Vorlesung.
verdickten Hornblatte oder der Epidermis ausgekleidet sich zeigte.
Dasselbe befand sich unmittelbar vor und unter dem Oberkieferfort-

Figure 161. Fig. 161.


satze des ersten Kiemenbogens und
weiter als beim Hühnchen vom Auge
entfernt, welches es auch an Grösse
übertraf. In der Ansicht von vorn und
unten (Fig. 161, 2) waren die Riechgru-
ben noch besser zu erkennen und gab
dieselbe auch eine vortreffliche An-
schauung der primitiven Gestaltung des
Gesichtes beim Menschen. Stirnfortsatz
und Nasenfortsätze fehlten noch ganz
und begrenzte, wenn man sich so aus-
drücken darf, die Stirn die quere,
breite, aber enge Mundspalte, hinter
der die vereinten starken Unterkiefer-
fortsätze des ersten Kiemenbogens ihre
Lage hatten, während die Oberkiefer-
fortsätze als ganz seitlich stehende
Wülste erschienen.


Die weiteren Umwandlungen dieses
primitiven Stadiums geschehen beim
Menschen im Wesentlichen wie beim Hühnchen und verweise ich
Sie nun zunächst auf die Fig. 162, die das Gesicht eines sechswö-
chentlichen Embryo jedoch nach weggenommenem Unterkiefer dar-
stellt. Nach dem was Sie nun schon wissen, werden Sie ohne Wei-
teres nach innen von der Nasengrube (n) und der Nasenfurche, die
nicht bezeichnet ist, den Stirnfortsatz mit dem inneren Nasenfort-

Fig. 161. Menschlicher Embryo von vier Wochen und 6‴ Länge, vergr.
1. in der Seitenansicht. Das Nabelbläschen, das einen ganz kurzen Stiel hatte,
⅔ der Grösse des Embryo besass und auf der linken Seite seine Lage hatte,
ist nicht dargestellt. 2. Kopf desselben Embryo von unten. a Auge; n Nasen-
grübchen; o Oberkieferfortsatz; u Unterkieferfortsatz des ersten Kiemenbo-
gens; b leichte Erhebung, die die Stelle des Labyrinthes andeutet; v rechte
Vorkammer; k rechte Kammer; l Leber; 1 vordere, 2 hintere Extremität;
s schwanzartiges Leibesende; m Mundspalte; k 2 zweiter, k 3 dritter Kiemen-
bogen; uv untere Vereinigungshaut, hier als Bekleidung des Herzens erschei-
nend, das abgeschnitten ist; a in Fig. 2 Aorta; r Mark etwas verzerrt. Die Ge-
gend zwischen den letztgenannten zwei Theilen in 2. nicht ausgezeichnet, weil
hier eine Nadel zur Fixirung durchgestossen war.


[333]Entwicklung des Geruchsorganes.
satze und nach aussen davon den äusseren Nasenfortsatz und den
Oberkieferfortsatz erkennen und will ich Ihnen nur bemerken, dass

Figure 162. Fig. 162.


auch hier die Nasengrube ganz geschlossen ist und
einzig und allein durch die oberflächliche Nasen-
furche mit der primitiven Mundhöhle in Verbin-
dung steht. Verglichen mit dem Hühnchen ist beim
Menschen der Stirnfortsatz schmäler und vor Al-
lem der Oberkieferfortsatz mehr quer gestellt, wo-
her es dann kommt, dass derselbe nicht mit der
Spitze, sondern mit seinem oberen Rande an den
äusseren Nasenfortsatz anstösst. In der zweiten Hälfte des zweiten
Monates schliesst sich die Nasenfurche und öffnet sich dann das La-
byrinth durch die Nasengänge mit zwei engeren Oeffnungen ganz
vorn in die primitive Mundhöhle. Dieses Stadium hat jedoch nur

Figure 163. Fig. 163.


kurzen Bestand, denn schon am Ende des zweiten
Monates beginnt der Gaumen sich zu bilden (Fig.
163), mit dessen Vollendung dann die primitive
Mundhöhle in zwei Abschnitte, einen oberen respi-
ratorischen, den ich den NasenrachengangNasenrachen-
gang.

(ductus naso-pharyngeus) heisse, und einen unteren
digestiven, die eigentliche Mundhöhle zerfällt. Ent-
fernt man bei einem neun bis zehn Wochen alten Embryo, dessen
Gaumen schon gebildet ist, denselben und betrachtet die Nasenhöh-
len von unten, so findet man vorn zu beiden Seiten des noch ganz
kurzen Septum mit der Pflugschaar die inneren Nasenlöcher noch
ganz deutlich in Gestalt zweier kurzer enger Spalten, die aufwärts in
die Labyrinthe führen und nach vorn mit dem äusseren Nasenloche
ausmünden, später aber vergeht mit dem Wachsthume des Labyrin-
thes diese Spalte als ein besonderes, von den benachbarten Theilen
scharf abgegrenztes Gebilde und erscheint dann der Nasenrachengang

Fig. 162. Kopf eines sechs Wochen alten menschlichen Embryo von vorn
und unten, vergrössert. u Stelle wo der Unterkiefer sass; o Oberkieferfortsatz
des ersten Kiemenbogens; an äusserer Nasenfortsatz; n Nasengrube; st Stirn-
fortsatz; g Ausstülpung der Rachenschleimhaut.


Fig. 163. Kopf eines menschlichen Embryo aus der 8. Woche von unten,
vergrössert. Der Unterkiefer ist weggenommen, um die grosse Spalte in der
Mundrachenhöhle mr zu zeigen, welche später durch Vortreten und Verwach-
sen der Gaumenfortsätze g geschlossen wird. an Aeussere Nasenöffnungen;
in innere Nasenöffnungen oder Ausmündungen des Labyrinthes, von den Choa-
nen wohl zu unterscheiden.


[334]Zweiunddreissigste Vorlesung.
mit dem embryonalen Nasengange zusammen, als unterer Nasengang.
Immerhin erkennt der Kundige selbst noch beim Erwachsenen das
fötale innere Nasenloch in der langen engen Spalte, die, zwischen der
unteren Muschel und dem Septum gelegen, aufwärts zum Labyrinthe
führt. Die Nasengaumengänge (ductus nasopalatini) im Canalis
incisivus
, die Sie aus der Anatomie der Erwachsenen kennen, sind
ein Rest der ursprünglichen Verbindung zwischen der Mundhöhle
und dem unteren respiratorischen Abschnitte der Nasenhöhle, doch
habe ich Ihnen zu bemerken, dass dieselben wider alles Erwar-
ten auch bei Embryonen nie von einer grösseren Weite gefunden
werden.


Weitere
Entwicklung des
Geruchs-
labyrinthes.
Das Labyrinth des Geruchsorganes entwickelt sich ganz und
gar aus dem die fötale Riechgrube auskleidenden Hornblatte, das wir
das Riechsäckchen nennen können, unter Mitbetheiligung des
vordersten Schädelendes. Während letzteres zum Stirnfortsatze und
den äusseren Nasenfortsätzen hervorwächst, vergrössert sich auch
das Säckchen in entsprechender Weise und entsteht so nach und
nach eine tiefer eindringende Grube. Der Stirnfortsatz wandelt sich
dann zur knorpeligen Scheidewand der Nasengegend des Primordial-
schädels um, an welcher später als Deckknochen der Vomer und die
Zwischenkiefer sich ausbilden, und aus den im Zusammenhange mit
dem oberen Rande des Septum verknorpelnden äusseren Nasenfort-
sätzen gestalten sich die Siebbeinlabyrinthe und die seitlichen Theile
der äusseren Nase, an denen als Belegknochen die Thränen- und
Nasenbeine entstehen. Die Muscheln treten schon im zweiten Monate
als knorpelige Auswüchse der Seitentheile der knorpeligen Nase auf,
mit deren Weiterwuchern das Hornblatt des Riechsäckchens immer
gleichen Schritt hält. Im dritten Monate ist das Labyrinth schon in
allen seinen wesentlichen Theilen zierlich ausgeprägt, immerhin
Nebenhöhlen
der Nase.
fehlen noch alle Nebenhöhlen, wie die Stirnhöhlen, Antrum Highmori,
Sinus sphenoidales
und ethmoidales. Die Bildung derselben fällt zum
Theil in eine viel spätere Zeit und geschieht dadurch, dass während
an den betreffenden Knochen durch Resorption Lücken und Höhlen
entstehen, die Schleimhaut des Labyrinthes Aussackungen bildet,
die immer genau den Knochen folgen. Am frühesten fällt die Bil-
dung der Sinus ethmoidales und des Antrum Highmori, die schon beim
sechs Monate alten Fötus in der ersten Anlage begriffen sind und die
ersteren rasch sich weiter entwickeln, so dass sie bei der Geburt
schon ganz gut ausgeprägt sind, wogegen die volle Ausbildung der
[335]Entwicklung des Geruchsorganes.
Highmorshöhle erst mit der Vollendung des Wachsthumes eintritt.
Von den Sinus sphenoidales gibt Virchow an, dass sie schon beim
jungen Fötus angedeutet seien, ich muss jedoch gestehen, dass ich
bisher weder beim Fötus noch beim Neugebornen eine Andeutung
von ihnen gesehen habe. Ueberhaupt scheinen diese Höhlen in ihrer
Entwicklung sehr vielen Wechseln ausgesetzt zu sein, denn wäh-
rend die einen Beobachter dieselben im zweiten Jahre schon finden,
habe ich sie im fünften noch vermisst. Die Sinus frontales bilden sich
ebenfalls erst nach der Geburt und zwar ebenfalls in einer nicht
genau zu bestimmenden Zeit. Auf jeden Fall erreichen die beiden
letztgenannten Höhlen erst zur Pubertätszeit eine grössere Ausdeh-
nung und ihre endliche Ausbildung in einer noch viel späteren Zeit.


Die äussere Nase entsteht am Ende des zweiten MonatesAeussere Nase.
durch das Hervorwachsen des vordersten Endes des Nasentheiles
des Primordialschädels. Anfangs kurz und breit, nimmt dieselbe
nach und nach ihre typische Form an, was ich Ihnen wohl nicht im
Einzelnen zu schildern brauche. Im dritten Monate findet man die
Nasenlöcher durch einen gallertigen Pfropf geschlossen, der nach
dem fünften Monate wieder vergeht und aus Schleim und abgelösten
Epithelzellen besteht.


Die Betheiligung des Nervensystems an der Bildung des Ge-Geruchsnerven.
ruchsorganes betreffend, so wissen Sie bereits aus Früherem, dass
der Tractus und Bulbus olfactorius als Ausstülpungen aus der ersten
Hirnblase sich bilden. Von dem Bulbus aus entwickeln sich dann
wahrscheinlich die Nervi olfactorii in das Labyrinth hinein, doch
ist über das Einzelne ihrer Bildung noch durchaus nichts bekannt.


Vergleichen Sie zum Schlusse noch das Geruchsorgan mit denVergleichung des
Geruchsorganes
mit dem Auge
und Ohre.

anderen höheren Sinnesorganen, so finden Sie, dass bei demselben
wie beim Auge und Ohr eine Einstülpung des Hornblattes eine Haupt-
rolle spielt. In der mächtigen Entfaltung dieser Einstülpung über-
trifft das Geruchsorgan selbst noch das Ohr, dagegen schnürt sich
dieselbe nie ganz ab, sondern bleibt immer in Verbindung mit dem
äusseren Hornblatte und der Epidermis. Ob die Cutis bei der Bil-
dung der Riechsäckchen sich mit einstülpt, wie ich Ihnen diess als
wahrscheinlich bei der Linsenbildung geschehend dargestellt habe,
oder ob, wie beim Labyrinthe des Ohres das Hornblatt allein es ist,
welches von aussen geliefert wird, ist noch nicht ausgemacht, doch
scheint eher das Letztere der Fall zu sein. Im nervösen Apparate
stimmt das Geruchsorgan bis zu einem gewissen Grade mit dem
[336]Zweiunddreissigste Vorlesung.
Auge, indem der hohle Bulbus olfactorius mit der primitiven Augen-
blase verglichen werden kann, weicht dagegen ganz vom Gehör-
organe ab. Bei allen drei Sinnesorganen endlich kommen noch Um-
hüllungen von Seiten des mittleren Keimblattes dazu, die freilich bei
keinem so ausgedehnt sind, wie bei dem hier geschilderten Apparate.
— Mit Bezug auf die vergleichende Anatomie endlich will ich Sie
noch daran erinnern, dass fast alle Hauptstadien der Nasenbildung
beim Menschen bei gewissen Thieren als bleibende sich finden. Be-
sonders erwähnenswerth sind die geschlossenen Riechgruben der
Fische, die den embryonalen Riechgrübchen entsprechen und die
Geruchsorgane der Batrachier, die durch kurze Nasengänge vorn in
eine grosse Mundhöhle einmünden, welche der primitiven Mundhöhle
der Embryonen entspricht, während bei den übrigen Thieren ein
verschieden entwickelter Gaumen und kürzere oder längere Nasen-
rachengänge zukommen.


[[337]]

Dreiunddreissigste Vorlesung.


D. Entwicklung der äusseren Haut.


Ich schliesse nun, meine Herren, an die Betrachtung der höhe-
ren Sinnesorgane einige Bemerkungen über die Entwicklung der
äusseren Haut, indem ich mir die Schilderung des fünften so-
genannten Sinnesorganes für die Lehre von der Entwicklung des
Darmkanales vorbehalte.


Die äussere Haut mit allen Anhängen entwickelt sich von zweiEntwicklung der
Haut im
Allgemeinen.

Theilen aus: einmal vom Hornblatte, das, wie Sie wissen, dem äusse-
ren Keimblatte angehört, und zweitens von einer oberflächlichen
Schicht des mittleren Keimblattes aus, welche wir in früheren Stun-
den als «Hautplatte» bezeichnet haben. Wir haben damals schon
angegeben (Vorles. XI), dass die Hautplatte wahrscheinlich überall
selbständig auftritt und einer Ablösung der äussersten Lage des
mittleren Keimblattes ihren Ursprung verdankt, wogegen Remak
wenigstens die Rückenhaut von einer Wucherung der Hautplatten
der Bauchwand ableitet. Mag nun die Hautplatte diesen oder jenen
Ursprung nehmen, so ist sie auf jeden Fall die Anlage der Cutis in
allen ihren Theilen, während das Hornblatt die Anlage der Epider-
mis darstellt. Die Haut selbst nun zeigt in ihrer Entwicklung nur
wenig Bemerkenswerthes. Vom Hornblatte ist Ihnen bekannt, dassEpidermis.
es anfänglich eine ganz dünne Lage bildet und beim Hühnerembryo
ursprünglich aus mehrfachen Zellenschichten besteht (Fig. 17, 19,
25, 26). Beim Säugethierembryo hat man diese Verhältnisse in den
frühesten Stadien noch kaum verfolgt, mit Ausnahme von Remak,
der vom Kaninchen einige Mittheilungen gemacht hat, die im Wesent-
lichen mit dem von ihm beim Hühnerembryo Gefundenen stimmen
(Unters. St. 98), dagegen habe ich bei einem ganz jungen mensch-
Kölliker, Entwicklungsgeschichte. 22
[338]Dreiunddreissigste Vorlesung.
lichen Embryo aus der fünften Woche das Hornblatt aus zwei
Zellenlagen zusammengesetzt gefunden: einer oberen, von schönen

Figure 164. Fig. 164.


polygonalen Zellen gebildeten (Fig. 164), und
einer unteren, aus kleineren Elementen beste-
henden — beide den zwei späteren Lagen, der
Hornschicht und Schleimschicht entsprechend.
In weiterer Entwicklung verdickt sich die Epi-
dermis des Embryo ziemlich rasch, indem sich
durch Wucherung der kleinen Elemente bald
mehrfache Zellenlagen bilden, die Schleimhaut
an Stärke gewinnt und die Hornschicht durch
Uebergang der kleinen Zellen in grössere Schüppchen sich verdickt.
Diesen Process weiter zu verfolgen und durch Zahlen zu belegen, ist
hier nicht am Platze und verweise ich Sie in dieser Beziehung auf
meine Mikr. Anat. II. St. 70, in welcher dieser Gegenstand ausführ-
Cutis.lich abgehandelt ist. Auch in Bezug auf die Cutis selbst finden Sie
dort (St. 32) einlässliche Mittheilungen und führe ich Ihnen nur noch
an, dass diese Schicht bei vier bis fünf Wochen alten Embryonen
noch ganz und gar aus rundlichen und spindelförmigen Zellen be-
steht und blos 0,006—0,01‴ misst. Im vierten Monate entstehen
die ersten Fettträubchen und die Leistchen an der Vola manus und
Planta pedis. Die Papillen sieht man erst im sechsten Monate, zu
welcher Zeit die Cutis schon ½‴ und darüber misst. Beim Neuge-
bornen ist besonders die Stärke des Panniculus adiposus auffallend,
der relativ und zum Theil selbst absolut mächtiger ist als beim Er-
wachsenen.


Entwicklung
der Organe der
Haut.
Grösseres Interesse als die Haut selbst bietet die Betrachtung,
wie aus dem Hornblatte oder der Epidermis sich die verschiedenen
Anhänge der Haut, die Haare, Nägel und Drüsen hervorbilden, in
welcher Beziehung Remak zuerst Mittheilungen gemacht hat, die über
diese Verhältnisse ein besseres Licht verbreiteten, als es früher der
Fall war (Müll. Arch. 1849. St. 75). Nach ihm gehen nämlich beim
Hühnchen die Federn und Nägel aus dem Hornblatte hervor, und
was die Säugethiere anlangt, so hat derselbe Autor wenigstens für
die Haarkeime und Talgdrüsen mit wenigen Worten angedeutet, dass
denselben der nämliche Bildungsmodus zukomme (l. c. St. 78 Anm.).

Fig. 164. Zellen der obersten Epidermislage eines zweimonatlichen mensch-
lichen Embryo, 350mal vergrössert.


[339]Entwicklung der äusseren Haut.
Kurze Zeit darauf ist dann durch mich für den menschlichen Embryo
sowohl bei den Haaren und Nägeln, als auch für Talg-, Schweiss-,
Milch- und Ohrenschmalzdrüsen durch ausführliche Untersuchungen
nachgewiesen worden, dass und wie dieselben aus der Epidermis
sich hervorbilden (Zürcher Mittheilungen 1850. Nr. 41, Zeitschr. f.
wiss. Zool. II. St. 67). Eine genauere Beschreibung dieser Verhält-
nisse in das Gebiet der Mikroskopie verweisend (man vergl. meine
Mikr. Anat. II, und Handb. d. Gewebelehre, 3. Aufl.), will ich Ihnen
hier nur den allgemeinen Plan vorführen, nach welchem die Anhänge
der Haut sich bilden.


Erstens die Haare entwickeln sich am Ende des dritten oderEntwicklung der
Haare.

im Anfange des vierten embryonalen Monates und zwar in der Weise,

Figure 165. Fig. 165.


dass die Schleimschicht der Ober-
haut kleine zapfenförmige Wuche-
rungen nach Innen bildet, die soge-
nannten «Haarkeime» oder genauer
bezeichnet, die Anlagen der Haare
und eines guten Theils der Haar-
säckchen, nämlich der Wurzel-
scheiden. Diese beim Menschen
sicherlich nicht hohlen Wucherungen der Epidermis nun erhalten
von der Cutis eine Umhüllung, welche anfänglich nicht gerade als

Figure 166. Fig. 166.


etwas Selbständiges auftritt, vielmehr erscheint,
wie in allen diesen Fällen, die Epidermiswu-
cherung als das Wesentliche und Bestimmende
und tritt die Umhüllung von den gefässhaltigen
Theilen erst später mehr hervor und stellt
dann den der Cutis angehörigen Theil des Haar-
balges dar. Im weiteren Verlaufe nun gestalten
sich die Wucherungen der Schleimschicht der
Epidermis zu langen flaschenförmigen Gebilden,
in deren Grund von der Anlage des Haarbalges
aus eine Wucherung sich hineinbildet, die

Fig. 165. Haaranlage von der Stirn eines 16 Wochen alten menschlichen
Embryo, 350mal vergr.; a Hornschicht der Oberhaut; b Schleimschicht der-
selben; i structurlose Haut aussen um die Haaranlage herum, die sich zwischen
Schleimschicht und Corium fortzieht; m rundliche, zum Theil längliche Zellen,
welche die Haaranlage vorzüglich zusammensetzen.
Fig. 166. Anlage eines Augenbrauenhaares von 0,22″, 50mal vergr., deren


22*
[340]Dreiunddreissigste Vorlesung.
Anlage der «Haarpapille», in der nach Remak schon früh Gefässe
sichtbar werden. Zugleich sondern sich die Epidermiszellen der
Haaranlage in zwei Schichten, eine innere, in welcher die Elemente
eine mehr gestreckte Form annehmen, Anlage des Haares und der
inneren Wurzelscheide, und eine äussere, deren Zellen mit den Zel-
len der Schleimschicht in Verbindung bleiben und die äussere Wur-
zelscheide darstellen. Endlich trennt sich die innere Lage nochmals
in zwei, das Haar und die innere Wurzelscheide. Somit bildet sich
das Haar mit seinen Scheiden einfach durch Differenzirung der Zellen

Figure 167. Fig. 167.


der primitiven soliden Epidermisanlage und
erscheint gleich von Anfang an als ein gan-
zes kleines Härchen mit Wurzel, Schaft und
Spitze, welches jedoch zuerst nicht hervor-
ragt, sondern von beiden Lagen der Ober-
haut bedeckt ist. Einmal gebildet beginnen
die Härchen zu wuchern und brechen bald
durch, ein Vorgang, der wahrscheinlich
einem guten Theile nach dadurch zu Stande
kommt, dass die Hornschicht der Epidermis
in der That abgehoben wird, oder durch
Abschuppungen verloren geht. Dieses Durch-
brechen der Haare beginnt am Ende des
fünften Monates am Kopfe und der Augen-
brauengegend und endet in der 23—25
Woche an den Extremitäten. Die eben hervorgebrochenen Haare
haben eine sehr regelmässige Stellung, wie diess namentlich von
Eschricht vor Jahren genauer verfolgt und durch Abbildungen ver-
sinnlicht worden ist. Es convergiren nämlich dieselben nach gewis-
sen Linien hin und divergiren von gewissen Puncten oder Linien
aus, so dass sie eigenthümliche federartige Zeichnungen, Wirbel,

innere Zellen einen deutlichen Kegel bilden, noch ohne Haar, aber mit ange-
deuteter Papille. a Hornschicht der Oberhaut; b Schleimschicht derselben;
c äussere Wurzelscheide des späteren Balges; i structurlose Haut aussen an
derselben; h Papilla pili.


Fig. 167. Haaranlage von den Augenbrauen mit eben entstandenem, aber
noch nicht durchgebrochenem Haar von 0,28‴ Länge. Die innere Wurzelscheide
überragt oben die Haarspitze in etwas und seitlich am Halse des Balges zeigen
sich in Gestalt zweier warzenförmigen Auswüchse der äusseren Wurzelscheide
die ersten Anlagen der Talgdrüsen.


[341]Entwicklung der äusseren Haut.
Kreuze u. s. w. bilden, deren detaillirte Schilderung jedoch nicht im
Bereiche unserer Aufgabe liegt.


Die embryonalen Haare (Wollhaare, Lanugo), einmal hervorge-Wollhaare,
Lanugo.

brochen, wachsen bis gegen das Ende des Embryonallebens fort und
können unter Umständen, namentlich am Kopfe, einen ziemlich dich-
ten Ueberzug bilden, doch finden sich in dieser Beziehung grosse
Verschiedenheiten. Schon während des Embryolebens fällt auch ein
Theil der Haare aus, kommt in das Amnioswasser, wird unter Um-
ständen vom Fötus verschluckt und findet sich dann im Darmkanal
und den Fäkalmassen (Meconium), welche gleich nach der Geburt
zuweilen in ziemlich beträchtlicher Menge entleert werden. Bald
nach der Geburt fällt die Lanugo aus und bilden sich neue Haare an
der Stelle der verlorenen. Diese Neubildung von Haaren geht, wieNeubildung
der Haare.

ich an den Augenbrauen eines einjährigen Kindes gezeigt habe, von

Figure 168. Fig. 168.


den Haarsäcken der Wollhaare aus,
die an oder aus ihren Enden Sprossen
treiben, aus welchen sich dann die
neuen Haare bilden. Genauer bezeich-
net gehen diese Sprossen von der äus-
seren Wurzelscheide der Haarbälge
der Wollhaare aus, welche, wie Sie
aus dem Früheren entnehmen wer-
den, nichts als das Rete Malpighii des
Haarbalges ist, und entwickeln ganz
nach dem Typus der embryonalen
Haarsäckchen in sich ein neues Haar
sammt einer inneren Wurzelscheide,
welches dann allmählig neben dem
Wollhaare in die Höhe wächst und

Fig. 168. Ausgezogene Augenwimpern eines einjährigen Kindes, 20mal
vergr. A Eine solche mit einem Fortsatze der Zwiebel oder äusseren Wurzel-
scheide von 0,25‴, in welchem die centralen Zellen länglich sind (ihr Pigment
ist nicht wiedergegeben) und als ein deutlicher Kegel von den äusseren sich
abgrenzen. B. Augenwimper, in deren Fortsatz von 0,3‴ Länge der innere
Kegel in ein Haar und eine innere Wurzelscheide umgebildet ist. Das alte Haar
ist höher heraufgerückt und besitzt ebenso wenig wie in A. eine innere Wur-
zelscheide. a Aeussere, b innere Wurzelscheide des jungen Haares, c Grube
für die Haarpapille, d Zwiebel, e Schaft des alten Haares, f Zwiebel, g Schaft,
h Spitze des jungen Haares, i Talgdrüsen, k drei Schweisskanäle die in A. in
den oberen Theil des Haarbalges einmünden, l Uebergang der äusseren Wur-
zelscheide in die Schleimschicht der Oberhaut.


[342]Dreiunddreissigste Vorlesung.
endlich zu derselben Oeffnung herauskommt. Während diess ge-
schieht, wird die Ernährung des Wollhaares dadurch gestört, dass
es durch den an seiner Basis gebildeten Fortsatz seiner Scheiden von
seinem Ernährungsorgane, der gefässhaltigen Haarpapille, abgehoben
worden ist, in Folge dessen dann seine untersten Zellen verhornen,
während sie in der Zwiebel lebenskräftiger Haare ganz weich sind.
Ist die Haarzwiebel verkümmert und das Wollhaar immer mehr nach
aussen geschoben, so fällt dasselbe endlich aus und nimmt das se-
cundär gebildete Haar die Stelle desselben ein. In dieser Weise ent-
stehen offenbar an allen Stellen statt der Wollhaare die bleibenden
Haare, wobei nur noch das zu bemerken ist, dass solche Neubil-
dungsvorgänge wahrscheinlich selbst noch beim Erwachsenen sich
finden und mithin wohl auch dem Menschen nicht blos ein einmali-
ger Haarwechsel zukommt.


Nägel.Wir kommen nun zur zweiten epidermoidalen Bildung, zu den
Nägeln, deren Entwicklung im dritten Monate mit der Entstehung
des Nagelbettes und des Nagelfalzes ihren Anfang nimmt, die jedoch
anfänglich noch von einer gewöhnlichen Epidermis bekleidet sind.
Im vierten Monate zuerst erscheint zwischen der aus Einer Zellen-
lage bestehenden Hornschicht und der Schleimschicht des Nagelbet-
tes eine einfache Lage platter, blasser, festvereinter kernhaltiger
Schüppchen, von 0,009‴, welche als die erste Anlage des Nagels
aufzufassen sind, der somit ursprünglich rings von der Epidermis
umgeben ist und wie das Haar gleich in toto, auf dem ganzen Na-
gelbette entsteht. Die erste Bildung des Nagels geht übrigens un-
zweifelhaft von den Zellen der Schleimschicht aus und so verdickt
sich denn auch der Nagel bald durch Zutritt neuer Elemente von
derselben Lage aus, so dass er im fünften Monate sammt seinem
Rete Malpighii bereits 0,024‴ misst, und wächst zugleich auch an
den Seiten und an der Wurzel in die Breite und Länge. Immerhin
bleibt er bis zum Ende des fünften Monates unter der Hornschicht
der Oberhaut und ohne freien Rand, welcher letztere erst nach der
Hälfte des sechsten Monates erscheint, so dass im siebenten Monate
der Nagel, die grössere Weichheit und den Umfang abgerechnet, in
nichts Wesentlichem vom fertigen Nagel abweicht. Bei Neugebornen
sind die Nägel am Körper 0,30—0,24‴ dick und durch ihren weit
vorstehenden dünnen, bis zu 2‴ langen freien Rand bemerkens-
werth, der nichts anderes als der im Laufe der Entwicklung nach
vorn geschobene Nagel einer früheren Periode (ungefähr des sechsten
[343]Entwicklung der äusseren Haut.
Monates) ist und bald nach der Geburt sich abstösst, welcher Vor-
gang übrigens noch mehrmals sich wiederholt, bis der Nagel voll-
kommen ausgebildet ist.


Von den Drüsen der Haut sind die Talgdrüsen an denTalgdrüsen.
meisten Gegenden Wucherungen der Haarbälge, deren äussere
Wurzelscheiden kleine warzenförmige, ganz aus Zellen gebildete
Hervorragungen zu einer Zeit treiben, wo die Haare schon etwas
entwickelter sind. Diese Auswüchse gestalten sich zu birn- und

Figure 169. Fig. 169.


flaschenförmigen Gebilden, in wel-
chen dann auch eine Höhle dadurch
entsteht, dass die innersten Zellen
dieser Anlagen eine physiologische
Fettmetamorphose erleiden. Dieses
Fett wird dann als erstes Secret
oder Hauttalg in die Haarbälge, de-
ren Haare mittlerweile durchgebro-
chen sind, entleert. Die weitere Ent-
wicklung der Talgdrüsen ist leicht
zu begreifen. Die Zellenmasse der-
selben wuchert durch solide Spros-
senbildung weiter, wodurch die Drüse verästelt, traubenförmig wird
und in diesen Knospen geht dann die Bildung von Höhlungen genau
ebenso vor sich wie in den ersten Anlagen. Die Bildungsgesetze sind
mithin bei diesen Drüsen insofern im Einklange mit dem, was wir bei
den Haaren fanden, als es ebenfalls die Schleimhaut der Epidermis ist,
von der ihre Entwicklung ausgeht und die Drüsenanlagen anfänglich
auch nichts als solide Massen sind, in denen dann durch Differen-
zirung der Elemente ein Gegensatz zwischen Wand und Innerem
entsteht. Wo die Talgdrüsen selbständig vorkommen, wie z. B. an
der Glans penis, entwickeln sich dieselben nach dem nämlichen Ty-
pus aber direkt von der Epidermis aus.


Die Schweissdrüsen entwickeln sich genau nach dem TypusSchweissdrüsen.
der Talgdrüsen. Die ersten Anlagen derselben, die im fünften Fötal-
monate erscheinen, gleichen denen der Haarbälge sehr und sind
nichts als solide flaschenförmige Auswüchse (Fig. 170) des Rete Mal-
pighii
der Oberhaut, die 0,03—0,09‴ weit in die Cutis sich hinein

Fig. 169. Zur Entwicklung der Talgdrüsen von einem 6monatlichen Fötus,
ungefähr 250mal vergr. a Haar, b innere Wurzelscheide, hier mehr der Horn-
schicht der Oberhaut gleich, c äussere Wurzelscheide, d Talgdrüsenanlage.


[344]Dreiunddreissigste Vorlesung.
erstrecken und von einer dünnen Hülle der letzteren umgeben sind.
Im weiteren Verlaufe werden diese Auswüchse länger und gestalten
sich im sechsten Monate zu leicht gewundenen schmächtigen Anhän-
gen, deren Enden kolbig erweitert sind, bestehen jedoch immer noch
durch und durch aus kleinen rundlichen Zellen. Erst im siebenten
Monate zeigen die Drüsen im Innern einen Kanal, dessen Entstehung
wahrscheinlich mit dem Auftreten von Flüssigkeit zwischen den cen-
tralen Zellen der Drüsenanlagen zusammenhängt, bei welchem Vor-

Figure 170. Fig. 170.


Figure 171. Fig. 171.


gange vielleicht auch ein Theil dieser Zellen sich auflöst in derselben
Weise, wie diess bei der Bildung der Höhlungen in den Talgdrüsen
gefunden wird. Um dieselbe Zeit, wo die Lumina auftreten, zeigen
auch die Enden der Drüsenanlagen ein vermehrtes Wachsthum, ver-
dicken sich und krümmen sich retortenförmig, sodass jetzt auch die
Anlagen der späteren Drüsenknäuel zu erkennen sind (Fig. 171).
Während diess geschieht, brechen dann auch die Höhlen nach aussen
durch und entstehen die Oeffnungen der Schweisskanäle, ein Vor-
gang, der durch Fortsetzung der Lückenbildung auf das Rete Mal-
pighii
der Oberhaut und Abschuppung der Hornschicht sich erklären

Fig. 170. Schweissdrüsenanlage von einem fünfmonatlichen menschlichen
Embryo, bei 350maliger Vergrösserung. a Hornschicht der Oberhaut, b Schleim-
schicht, c Corium, d Drüsenanlage ohne Lumen aus kleinen runden Zellen
bestehend.


Fig. 171. A. Schweissdrüsenanlagen aus dem siebenten Monate, 50mal ver-
grössert. Die Buchstaben a, b, d, wie bei Fig. 169. Das Lumen e ist durchweg
vorhanden, nur reicht es nicht ganz bis ans Ende der dickeren Theile der Drü-
senanlagen, die zu den Drüsenknäueln sich gestalten. Fortsetzung der Kanäle
in die Oberhaut hinein und Schweissporen f sind da. B. Ein Knäuel einer
Schweissdrüse aus dem achten Monate.


[345]Entwicklung der äusseren Haut.
lässt. In den letzten Monaten der Schwangerschaft bilden sich dann
die Drüsen vollständig aus, sodass sie bei Neugebornen, abgesehen
von der Grösse, in Nichts von denen des Erwachsenen sich unter-
scheiden.


In derselben Weise wie die Schweissdrüsen bilden sich nachMilchdrüsen.
den Untersuchungen, welche ich selbst und Langer in Wien ange-
stellt haben, auch die Milchdrüsen. Ich habe diese Drüsen bei
einem fünfmonatlichen männlichen Embryo (Fig. 172, 1) in einem

Figure 172. Fig. 172.


Figure 173. Fig. 173.


sehr frühen Stadium gesehen, in welchem die ganze Drüse nichts
anderes als eine solide Warze der Schleimschicht der Oberhaut dar-
stellte, die von einer Lage dichteren Cutisgewebes umhüllt war. Im
weiteren Verlaufe treibt diese Warze Sprossen (etwa 12—15), die
schon im siebenten Monate deutlich sind (Fig. 172, 2) und bei Neu-
gebornen schon eine zierliche Rosette mit kürzeren einfachen und
längeren leicht ästigen Anhängen darstellen. Eine einfachere solche
Milchdrüse ist in der Fig. 173 nach Langer dargestellt, doch sind die
Drüsen der Neugebornen meist zusammengesetzter, 2—4‴ gross
und mit einzelnen 1—2mal gabelig getheilten Ausläufern versehen,

Fig. 172. Zur Entwicklung der Milchdrüse. 1. Milchdrüsenanlage eines
fünfmonatlichen männlichen Embryo. a Hornschicht, b Schleimhaut der Ober-
haut, c Fortsatz der letzteren oder Anlage der Drüse, d Faserhülle um den-
selben. 2. Milchdrüse eines siebenmonatlichen weiblichen Fötus von oben.
a Centralmasse der Drüse mit grösseren (b) und kleineren (c) soliden Auswüch-
sen, den Anlagen der grossen Drüsenlappen.


Fig. 173. Milchdrüsenanlage eines Neugeborenen. a Centralmasse der
Drüse, um welche sich kleinere (b) und grössere Knospen finden, letztere mit
noch solidem kolbenförmigen Ende c. — Nach Langer.


[346]Dreiunddreissigste Vorlesung.
die an den Enden eine bis fünf rundliche Knospen tragen. Jeder der
in der Fig. 173 gezeichneten Ausläufer ist die Anlage Eines ganzen
Milchdrüsenlappens, doch erreichen dieselben bekanntlich erst spät
ihre volle Ausbildung, in welcher Beziehung ich Sie auf die sorg-
fältigen Untersuchungen von Langer verweise. Der Gang der Ent-
wicklung im Allgemeinen ist übrigens wie bei den Talgdrüsen und
lässt sich namentlich bei Neugebornen, bei denen die Milchdrüse in
eine Periode lebhafter Entwicklung eintritt, leicht demonstriren,
dass die Bildung der Höhlungen in den Drüsenanlagen, die ebenso
wie die Oeffnungen an der Warze um diese Zeit auftreten, mit der
Bildung fetthaltiger Zellen im Innern derselben zusammenhängt.
Diese Zellen sammt etwas Flüssigkeit stellen die sogenannte «Milch
der Neugebornen» dar. Bekanntermaassen tritt bei Neugebornen
beider Geschlechter eine Anschwellung der Brustdrüsen ein und
kann man durch Comprimirung derselben ein milchartiges Secret
auspressen, welches nach der Analyse von Schlossberger so ziem-
lich mit der Milch übereinstimmt. Diese Erscheinung wäre ganz
räthselhaft, könnte man nicht nachweisen, dass dieselbe mit der
Entwicklung der Hohlräume in den Anlagen der Drüsenabtheilungen
zusammenhängt. Die eben erwähnte raschere Entwicklung der Milch-
drüsen unmittelbar nach der Geburt, die natürlich einen vermehrten
Blutandrang im Gefolge hat, erklärt dann auch die häufigen Fälle
von Entzündungen des Organes bei Neugebornen oder Kindern der
ersten Wochen.


Ueberblicken Sie nun noch einmal zum Schlusse das Ergebniss,
so sehen Sie, dass alle Anhänge der Haut, zu denen auch die früher
schon besprochenen Meibom’schen Thränen- und Ohrenschmalzdrü-
sen gehören, demselben Typus der Entwicklung folgen und in erster
Linie als solide Wucherungen des embryonalen Hornblattes, genauer
bezeichnet der Schleimschicht der Oberhaut auftreten, zu denen
sich dann nachträglich noch Umhüllungen von der mittleren Keim-
schicht oder von der Cutis gesellen. Gestalten sich die Wuche-
rungen zu Drüsen, so wandeln sich die inneren Zellen derselben zu
Secretzellen um (Talgdrüsen, Milchdrüsen und wahrscheinlich auch
die grossen Schleimdrüsen und die Glandulae ceruminosae) und ent-
steht so ein Gegensatz zwischen den äusseren und inneren Theilen
oder es bilden sich die Drüsenlumina einfach durch eine Ausschei-
dung von Flüssigkeit; werden dagegen aus den Epidermisfortsätzen
Horngebilde, wie z. B. Haare, so wandeln sich die centralen Ele-
[347]Entwicklung der äusseren Haut.
mente derselben in die specifischen Schüppchen der betreffenden
Theile um. Ein Haar, ein Nagel ist somit einem Drüsensecret zu
vergleichen, dessen Elemente fest vereint sind, und lässt sich selbst
zwischen dem Wachsthum der Haare und der Nägel und der Secre-
tion wenigstens der Zellen ausscheidenden Drüsen eine vollkommen
brauchbare Parallele ziehen.


Ueber die Epidermis selbst habe ich Ihnen nun nachträglichSmegma
embryonum
.

noch zu bemerken, dass dieselbe während des Fötallebens offenbar
mehrfache Desquamationen darbietet, deren Auftreten in früheren
Zeiten nicht verfolgt ist, die aber vom fünften Monate an sehr ener-
gisch Statt haben. Im sechsten Monate findet man die Embryonen
über und über von einer klebrigen etwas Fett enthaltenden Masse,
der sogenannten «Fruchtschmiere», Smegma embryonum, oder dem
«Käsefirniss», Vernix caseosa, bedeckt, welche an bestimmten Lo-
calitäten, namentlich an den Beugeseiten der Gelenke (Achsel, Knie,
Weichen), der Sohle, dem Handteller, dem Rücken, dem Ohr, dem
Kopfe und den Genitalien in besonderer Menge angehäuft ist und
mikroskopisch aus Epidermisschüppchen und dem Secret der um
diese Zeit in physiologische Action tretenden Talgdrüsen besteht.
Diese Masse, welche auch chemisch untersucht ist, bleibt dann bis
gegen das Ende der Geburt. Bei Neugebornen findet man eine sehr
wechselnde Menge derselben vor und sind dieselben manchmal von
diesem Firniss ganz überzogen, welcher auch den Gebärakt zu er-
leichtern im Stande ist. Die während des Embryonallebens abge-
lösten Theile des Smegma kommen natürlich in das Amnioswasser
zu liegen und können dann aus diesem in den Darmkanal und
schliesslich in das Meconium des Embryo übergehen.


Zum Beschlusse der Lehre von den animalen Systemen wenden
wir uns nun noch:


IV. zur Entwicklung des Muskelsystems.


Die Entwicklung des Muskelsystems hat bei den Embryologen
bis jetzt nicht die Beachtung gefunden, die sie verdient, und ist
Remak so zu sagen der Einzige, der sich bemüht hat, den ersten
Bildungsvorgängen auf die Spur zu kommen. Es haben jedoch auch
die Bemühungen dieses Autors, denen ich einige eigene Untersuchun-
gen anreihen kann, noch keineswegs zu abschliessenden Ergebnissen
geführt und ist deswegen das, was ich Ihnen hier vorführen kann,
in vielen Beziehungen lückenhaft.


[348]Dreiunddreissigste Vorlesung.

Primitivorgane
des
Muskelsystems.
Zum Einzelnen übergehend stelle ich den Satz oben an, dass
auf jeden Fall von den drei Keimblättern nur Eines und zwar das
mittlere an der Bildung der Muskeln sich betheiligt. Fragen wir dann
weiter, ob dieses Keimblatt vielleicht ein oder einige wenige Primi-
tivorgane liefert, aus welchen die zahlreichen späteren Muskelgrup-
pen hervorgehen, so lässt sich die bestimmte Anwort geben, dass
auf keinen Fall nur ein einziges solches Primitivorgan vorhanden ist,
indem nicht daran gedacht werden kann, alle Muskeln des Körpers
aus der in früheren Stunden beschriebenen Muskelplatte der Urwir-
bel abzuleiten. Dass diese Muskelplatte übrigens in der That ein
solches primitives Organ darstellt und einer grösseren Zahl von Mus-
keln den Ursprung gibt, ist unzweifelhaft und wird daher unsere
Untersuchung vor Allem darauf ausgehen müssen zu fragen, ob
ausser derselben noch andere solche Bildungsorgane vorkommen
oder nicht.


Wollen wir nun diese Frage mit einiger Aussicht auf Erfolg be-
sprechen, so ist es das zweckmässigste, vor Allem die Muskeln des
Körpers vom Standpuncte der Entwicklungsgeschichte in einzelne
Gruppen zu sondern. Fr. Arnold hat schon vor längerer Zeit eine
solche Eintheilung und zwar die in vertebrale, viscerale und
Extremitäten-Muskeln vorgeschlagen, allein dieselbe erscheint
für unseren Zweck als eine zu allgemeine und erlaube ich mir fol-
gende andere an ihre Stelle zu setzen. Ich unterscheide:


1) die hinteren Seitenrumpfmuskeln, bestehend aus den
tiefen Rückenmuskeln (Multifidus, Semispinalis, Biventer et Com-
plexus
u. s. w.).


2) die vorderen Seitenrumpfmuskeln, beim Menschen nur
repräsentirt durch den Longus colli, Recti antici und Quadratus
lumborum
.


3) die visceralen Muskeln, dargestellt durch die Bauchmuskeln,
die Brustmuskeln z. Th., die oberflächlichen Halsmuskeln z. Th.,
die mimischen Muskeln z. Th. und die Kaumuskeln, die sich
wieder scheiden in: a)äussere: wie z. B. der Obliquus externus
und internus, die Intercostales und der Rectus abdominis und b)in-
nere
, Triangularis sterni, Transversus, Diaphragma.


4) die Gliedermuskeln, die man in a) Muskeln des Extremi-
tätengürtels und b) solche der eigentlichen Extremität trennen
kann.


[349]Entwicklung des Muskelsystems.

5) die Hautmuskeln, welche beim Menschen nur am Halse und
Kopfe vertreten sind.


Die Entwicklung dieser verschiedenen Muskelgruppen anlangend:Bedeutung
der hinteren
Muskelplatte.

so haben wir nun zuerst die Frage aufzuwerfen, in welcher Bezie-
hung dieselben zu der schon früher besprochenen Muskelplatte
stehen. Sie werden sich vielleicht noch erinnern, dass bei jungen
Hühnerembryonen nach Remak’s und meinen Erfahrungen die Ur-
wirbel in zwei Lagen sich sondern, eine obere, die Muskelplatte,
und eine untere, den eigentlichen Urwirbel. Ebenso habe ich Ihnen

Figure 174. Fig. 174.


schon geschildert, wie diese Muskelplatte einmal gegen die Mittel-
linie des Rückens heraufwächst und zweitens auch in die ursprüng-
liche Bauchwand (die Membrana reuniens inferior von Rathke) sich
hineinbildet. Eine weitere Verfolgung der Muskelplatte an beiden
Orten ergibt nun ganz unzweifelhaft, dass dieselbe dort die hinteren
Seitenrumpfmuskeln oder die tiefen Rückenmuskeln und hier die
visceralen Muskeln sammt und sonders, innere wie äussere, liefert.
Dagegen ist meinen Erfahrungen am Hühnchen zufolge nicht daran
zu denken, dass diese hintere Muskelplatte auch die vorderen Sei-
tenrumpfmuskeln liefere, vielmehr entstehen diese aus einer vor-Vordere
Muskelplatte.

deren Muskelplatte, die aus dem vordersten Theile der Ur-
wirbel sich abzweigt, jedoch beim Vogel freilich nur in einer be-
schränkten Gegend der Wirbelsäule auftritt. Was die Muskelgruppe
der Extremitätenmuskeln anlangt, so ist es, wie in einer früheren
Stunde bereits auseinandergesetzt wurde, noch Niemand gelungen,
die Abstammung derselben mit Bestimmtheit nachzuweisen. Wir
haben jedoch damals, wenigstens für die Muskeln der eigentlichen

Fig. 174. Hälfte eines Querschnittes durch einen Hühnerembryo von zwei
Tagen, 90—100mal vergr. Bezeichnung wie in Fig. 22. Ausserdem un Urniere,
m Muskelplatte, p Pleuroperitonealhöhle, af Seitenscheide oder Amniosfalte.


[350]Dreiunddreissigste Vorlesung.
Gliedmasse, es für wahrscheinlicher erklärt, dass dieselben nicht von
der hinteren Muskelplatte aus in die Extremität sich hineinbilden,
sondern unabhängig von den Urwirbeln in der Extremitätenanlage
selbst durch histologische Differenzirung sich entwickeln. Mit Bezug
auf die Muskeln des Extremitätengürtels dagegen (Latissimus, Cuculla-
ris, Rhomboidei, Pectorales, Glutaei
etc.), so könnte die hintere Mus-
kelplatte durch Spaltung in der Fläche schon eher der Ausgangs-
punct für die Bildung derselben sein, doch wird für einmal die
Möglichkeit, dass dieselben aus der Hautplatte der Rücken- und
Bauchwand hervorgehen, um so weniger zu verwerfen sein, als auf
jeden Fall die Hautmuskeln diesen Ursprung nehmen.


Ich ergänze nun diese wenigen Bemerkungen noch durch einige
Einzelnheiten. Beim Menschen werden die Muskeln im zweiten Mo-
nate um die sechste bis siebente Woche deutlich und treten zuerst
die tiefen Rückenmuskeln auf, die jedoch, so lange als die Wirbel-
bogen noch nicht vereint sind (s. Fig. 81), weit von der Mittellinie
abstehen und erst im dritten und zum Theil selbst im vierten Monate
dieselbe erreichen. Ebenso liegen auch die visceralen Muskeln an-
fänglich ganz seitlich ja selbst hinter der Seitenlinie, wovon man an
jungen Säugethierembryonen und auch beim Menschen leicht sich
überzeugt. So wie aber die Rippen mit den Brustbeinanlagen weiter
in die Membrana reuniens inferior oder die primitive Bauchwand
hineinwachsen, bilden sich auch die Intercostales und die Bauch-
muskeln weiter nach vorn zu aus, die Recti nähern sich immermehr
der Mittellinie und erreichen dieselbe endlich ganz, was jedoch be-
kanntlich erst sehr spät geschieht, wesshalb die Linea alba auch
bei reifen Embryonen noch ungemein breit ist. — Grosse Schwie-
Diaphragma.rigkeiten bereitet das Zwerchfell, auf welche v. Baer schon vor
Jahren in treffender Weise aufmerksam gemacht hat (Entw. II. St.
226), und ist es auch mir trotz mehrfacher Bemühungen bis jetzt
noch nicht gelungen, über seine Entwicklung ins Reine zu kommen.
Ich werde Ihnen später einige Thatsachen vorführen, die sich auf
sein eigenthümliches Verhalten zu den sich entwickelnden Lungen
beziehen und begnüge mich hier mit der Bemerkung, das dasselbe
sehr früh sichtbar wird und meiner Vermuthung nach aus zwei
Hälften sich bildet, die mit den zur Bildung des Brustbeins einander
entgegenwachsenden Rippen allmälig von hinten nach vorn sich vor-
schieben und endlich verwachsen.


[[351]]

Vierunddreissigste Vorlesung.


V. Entwicklung des Darmsystems.


A. Entwicklung des Darmkanales.


Meine Herren! In der Bildungsgeschichte der einzelnen OrganeRückblick auf
die erste Bildung
des Darmes.

bei der Entwicklung des Darmkanales angelangt, erlaube ich mir
zuvörderst Sie daran zu erinnern, dass ich Ihnen schon im allgemei-
nen Theile die allererste Anlage des Verdauungsapparates ausführ-
lich geschildert habe (Vorl. XIV). Sie haben damals erfahren, wie
im Bereiche der Embryonalanlage das innere Keimblatt oder Darm-
drüsenblatt
unter Betheiligung einer Schicht des mittleren Keim-
blattes, der Darmfaserplatte, nach und nach vom Dottersacke
sich abschnürt und anfangs zu einer Halbrinne, bald aber zu einem
vorn und hinten geschlossenen Rohre sich gestaltet. Dass dieses
Rohr oder die Anlage des Darmes endlich ganz vom Dottersacke sich
ablöst und mit einer vorderen und hinteren Oeffnung sich versieht,
ist ebenfalls schon beschrieben worden und können wir uns mithin
gleich zur Betrachtung der weiteren Entwicklung des Darmkanales
wenden, indem wir den in den Figg. 47, 4 und 51 dargestellten Zu-
stand als Ausgangspunct nehmen. Vorher ist jedoch noch die Glie-
derung des embryonalen Darmkanales noch etwas einlässlicher zu
besprechen als es in früheren Stunden geschah.


Fasst man die allerersten Zustände des Darmkanales ins Auge,Abschnitte des
embryonalen
Darmes.

wie sie die Figg. 45 und 47, 2 darstellen, so ergibt sich als zweck-
mässigste Eintheilung des Darmes die gang und gäbe in Munddarm
(Rathke), Mitteldarm (Wolff) und Afterdarm (Rathke). Aus
dem Munddarme, der auch Anfangsdarm heisst, gestaltet sich, wenn
man die hier stattfindende Einstülpung von aussen dazu nimmt, die
Mund- und Rachenhöhle, sowie die Speiseröhre sammt dem Magen
[352]Vierunddreissigste Vorlesung.
und dem oberen Theile des Duodenum, der Mitteldarm erzeugt den
Dünndarm mit dem Ende des Zwölffingerdarmes und den Dickdarm
und der Afterdarm oder Enddarm den Mastdarm. Diese Eintheilung
beruht jedoch keineswegs auf einer tiefergreifenden Verschiedenheit
der genannten drei Darmabschnitte, und ist auf jeden Fall für die
specielle Beschreibung eine wenig brauchbare. Viel wichtiger als die
frühere oder spätere Schliessung und Abschnürung der einzelnen
Darmabschnitte erscheint der Umstand, dass die einen Abtheilungen
im Verlaufe der Entwicklung von den Leibeswandungen sich ab-
lösen und in einen besonderen Raum, die Pleuroperitonealhöhle, zu
liegen kommen, so wie zweitens, dass nur gewisse Darmtheile ein
Gekröse entwickeln, die anderen nicht. Das erste Moment, obschon
bedeutungsvoll, ist doch für die specielle Beschreibung nicht brauch-
bar, weil bei der Zugrundelegung desselben ein Organ, die Speise-
röhre, an zwei getrennten Orten zur Besprechung kommen müsste,
dagegen stehe ich nicht an, das andere als Ausgangspunct der wei-
teren Schilderungen obenan zu stellen und den Darmkanal einzu-
theilen in 1) den Anfangsdarm mit Mund-, Rachenhöhle und
Speiseröhre, 2) den Mitteldarm vom Magen bis zur Mitte des
Mastdarmes und 3) den Enddarm, der die untere Hälfte des Mast-
darmes umfasst.


Bildung
der Mundhöhle.
Ich beginne nun zunächst mit dem Anfangsdarme und habe hier
vor Allem noch etwas bei der Mundhöhle zu verweilen, um die An-
deutungen weiter auszuführen, die ich Ihnen im allgemeinen Theile
gegeben. Es ist nicht die primitive Anlage des Darmkanales, aus
welcher die Mundhöhle hervorgeht, vielmehr ist dieselbe, wie uns
Remak’s sorgfältige Untersuchungen des Hühnerembryo gelehrt haben,
ursprünglich eine Einstülpung von aussen. Remak hat beobachtet
(Unters. St. 74. Anm. 56), dass am dritten Brüttage am vorderen
Ende des Embryo unterhalb des vordersten, das Vorderhirn um-
schliessenden Schädelendes und im Bereiche des ersten Kiemenbo-
gens in Folge der Einstülpung des Hornblattes zuerst eine Grube sich
bildet, welche nach und nach theils durch selbständige Wucherung
des sie auskleidenden und zum Theil verdickten Hornblattes, theils
durch das Vortreten der Ober- und Unterkieferfortsätze des ersten
Kiemenbogens sich erweitert und zu einer tieferen Bucht «der Mund-
bucht» von Remak sich umwandelt. Hat diese Bucht ihre grösste
Entwicklung erreicht, so öffnet sie sich nach aussen durch eine quere
Mundspalte, die Ihnen die Fig. 175, 2 von einem menschlichen und
[353]Entwicklung des Darmkanales.
Fig. 158 von einem Hühnerembryo zeigt und grenzt rückwärts un-
mittelbar an das blinde Ende des Vorderdarmes, so dass nur noch

Figure 175. Fig. 175.


eine dünne Scheidewand, welche einer-
seits von dem Hornblatte, und ande-
rerseits vom Darmdrüsenblatte beklei-
det und in ihrer mittleren Lage von
der Darmfaserschicht des Vorderdar-
mes gebildet wird, wie Sie sich diess
bei der Betrachtung der Fig. 23 auf
St. 54 leicht werden versinnlichen kön-
nen, beide Höhlen von einander trennt.
In dieser dünnen Scheidewand, der
Rachenhaut von Remak, entsteht in
der zweiten Hälfte des vierten Brüttages
eine Längsspalte, die Rachenspalte
von Remak, welche die erste Verbin-
dung zwischen der Mundbucht und dem
Vorderdarme darstellt. Dieser Zustand
dauert jedoch nur kurze Zeit, es ver-
kümmern die die Rachenspalte begren-
zenden seitlichen Theile der Rachen-
haut, die gewissermaassen ein primi-
tives Gaumensegel darstellen, immer mehr und verschwinden end-
lich ganz, wodurch eine weite Verbindungsöffnung der Mundbucht
mit dem Vorderdarme hergestellt wird, an deren Wandungen keine
Spur der Rachenhaut mehr zu sehen ist. Der Hergang bei der Bil-
dung der Mundhöhle verdient, wie Remak mit Recht hervorgeho-
ben hat, alle Beachtung, indem er zeigt, dass auch bei der Bildung
der Höhle, die das Geschmacksorgan enthält, ebenso wie bei den

Fig. 175. Menschlicher Embryo von vier Wochen und 6‴ Länge, vergr.
1. in der Seitenansicht. Das Nabelbläschen, das einen ganz kurzen Stiel hatte,
⅔ der Grösse des Embryo besass und auf der linken Seite seine Lage hatte,
ist nicht dargestellt. 2. Kopf desselben Embryo von unten. a Auge; n Nasen-
grübchen; o Oberkieferfortsatz; u Unterkieferfortsatz des ersten Kiemenbo-
gens; b leichte Erhebung, die die Stelle des Labyrinthes andeutet; v rechte
Vorkammer; k rechte Kammer; l Leber; 1 vordere, 2 hintere Extremität;
s schwanzartiges Leibesende; m Mundspalte; 2 k zweiter, 3 k dritter Kiemen-
bogen; uv untere Vereinigungshaut, hier als Bekleidung des Herzens erschei-
nend, das abgeschnitten ist; a in Fig. 2 Aorta; r Mark etwas verzerrt. Die Ge-
gend zwischen den letztgenannten zwei Theilen in 2. nicht ausgezeichnet, weil
hier eine Nadel zur Fixirung durchgestossen war.


Kölliker, Entwicklungsgeschichte. 23
[354]Vierunddreissigste Vorlesung.
drei höheren Sinnesorganen eine Einstülpung des Hornblattes eine
Hauptrolle spielt.


Mit der Vereinigung der Mundbucht mit dem Vorderdarme sind
die Veränderungen der Mundhöhle noch lange nicht beendet, viel-
mehr erleidet dieselbe, die wir in diesem Stadium die «primitive
Mundhöhle» heissen wollen, sowohl an der Mundöffnung bei der Bil-
dung des Oberkieferrandes, als auch im Innern bei der Entwicklung
des Gaumens noch namhafte Umwandlungen, welche jedoch alle in
früheren Stunden schon besprochen wurden, auf welche ich Sie ver-
weise (Vorl. XXIV und XXXI). Nur das sei hier noch bemerkt, dass
mit dem die Mundhöhle auskleidenden Hornblatte bald auch eine
oberflächliche Lage des mittleren Keimblattes innig sich vereint,
welche dann beide zusammen die Schleimhaut der Mundhöhle dar-
stellen.


In der Mundhöhle entwickeln sich die Zunge, die Zähne, die
Speicheldrüsen nebst den kleinen drüsigen Organen, die man in den
Zunge.Wänden der Schleimhaut findet. Was zuerst die Zunge anlangt,
so wuchert dieselbe nach den Angaben von Reichert von den ver-
einten Enden der Unterkieferfortsätze des ersten Kiemenbogens her-
vor und erscheint beim Menschen in der sechsten Woche (s. Fig. 72
St. 134). Man beobachtet zunächst an der Mittellinie der inneren
Fläche des ersten Kiemenbogens einen kleinen Wulst, die erste An-
deutung der Zunge. Dieser Wulst wird immer grösser und breiter,
so dass bald die Spitze desselben, der während seiner Wucherung
allmälig auch die Form der Zunge annimmt, über den Rand des
Unterkiefers hervorragt. Später bleibt die Zunge relativ im Wachs-
thume zurück und zeigt dann überhaupt bald die bleibenden Ver-
hältnisse, mit Bezug worauf ich Ihnen nur noch das mittheile, dass
die Papillen schon im dritten Monate sich zu entwickeln beginnen, so
jedoch, dass zuerst die Conicae und Circumvallatae deutlich werden.


Wenn ich Ihnen vorhin angab, dass die Zunge vom ersten Kie-
menbogen aus sich entwickle, so versteht es sich von selbst, dass
hiermit nicht der später verknorpelnde Theil desselben oder der
Meckel’sche Knorpel, sondern ein nach innen von diesem gelegenes
Blastem gemeint war, das später vorzüglich zum Genioglossus sich
umbildet. Durch die Wucherung dieses Blastems, mit dem übrigens
noch ein zweites vom Zungenbeine oder dem zweiten Kiemenbogen
stammendes (der spätere Hyoglossus) sich verbindet, entsteht der
Muskelkörper der Zunge, während der Ueberzug von der Schleimhaut
[355]Entwicklung des Darmkanales.
der Mundhöhle geliefert wird, die gleichzeitig mit dem ersteren hier
eine Wucherung erfährt. Nach dem früher Bemerkten ist es klar,
dass der epitheliale Theil dieser Bekleidung dem Hornblatte gleich-
werthig ist, und erklärt es sich so leicht, dass bei gewissen Geschö-
pfen der Epidermisüberzug der Zunge eine Beschaffenheit wie an
der äusseren Körperoberfläche zeigt, so wie, dass überhaupt in der
Mundhöhle fester verhornte Theile wie Haare und Stacheln vorkom-
men können, womit jedoch nicht gesagt sein soll, dass nicht solche
Auswüchse auch von inneren Theilen, vom Darmdrüsenblatte aus,
sich bilden können, wie wir diess in der That in der Speiseröhre
und im Magen von Thieren sehen.


Die Zähne, deren Entwicklungsgeschichte mehr in den BereichZähne.
histiologischer Vorträge fällt, und die ich daher nur kurz berühre,
bilden sich in einer sehr eigenthümlichen Weise, die besonders durch
Arnold und Goodsir aufgeklärt worden ist. Im Anfange des dritten
Monates entsteht am Oberkiefer- und Unterkieferrande eine Furche,

Figure 176. Fig. 176.


die Zahnfurche, in welcher
freie Papillen entsprechend der
Zahl der Milchzähne, mithin
zehn in jedem Kiefer, als Wu-
cherungen der Schleimhaut sich
erheben. Diese Papillen wer-
den nach und nach in Säckchen
eingeschlossen dadurch, dass
die Wälle, welche die Zahnpa-
pillen oder die Zahnkeime, wie
sie auch heissen können, be-
grenzen, je zwischen zwei
Zahnpapillen mit einander ver-
wachsen. So entstehen zwanzig Anfangs noch offene Zahnsäckchen,
die dann während des Verwachsens jedes noch eine kleine Neben-
höhle erzeugen, in einer Weise, die aus den schematischen Durch-
schnitten von Goodsir deutlich hervorgeht (s. mein Handbuch der
Geweb. 3. Aufl. Fig. 206). Diese Nebenhöhlen, zur Bildung der blei-

Fig. 176. Unterkiefer eines neun Wochen alten menschlichen Fötus, 9mal
vergr. a zürückgeschlagene Zunge, b rechte Lippenhälfte zurückgelegt, b′ linke
Lippenhälfte abgeschnitten, c äusserer Zahnwall, d innerer Zahnwall, e Pa-
pille des ersten Backzahnes, f Papille des Eckzahnes, g des zweiten, h des
ersten Schneidezahnes, i Falten, wo die Ductus Riviniani später münden.


23*
[356]Vierunddreissigste Vorlesung.
benden Zähne bestimmt, schnüren sich gleichfalls zu besonderen
Säckchen, den Reservesäckchen ab, die anfangs über den Säckchen
der Milchzähne liegen, nach und nach aber an deren hintere Seite
rücken, um später die bleibenden Zähne zu erzeugen. Die Zähne
selbst bilden sich aus den Papillen und Säckchen in der Art, dass
das Elfenbein oder die Hauptmasse des Zahnes durch eine Ossi-
fication eines Theiles der Zahnpapille entsteht, wie man den hierbei
stattfindenden Vorgang — obgleich von der gewöhnlichen Verknö-
cherung abweichend — von einem allgemeinen Gesichtspuncte aus
zu nennen hat. Der Schmelz ist eine verkalkte Ausscheidung der
Epithelialzellen des Zahnsäckchens, das zur Bildung desselben ein
besonderes Organ, das sogenannte Schmelzorgan, erzeugt, und das
Cement ist nichts als eine nach Art der Periostablagerungen vom
Zahnsäckchen auf die Wurzel des Zahnes sich ablagernde ächte
Knochensubstanz.


Die Annahme einer Bildung der Zähne auf freien Papillen, die
erst in zweiter Linie in Säckchen zu liegen kommen, ist in neuester
Zeit von mehreren französischen Autoren (Robin, Guillot) als un-
richtig bezeichnet worden und halte ich es daher nicht für über-
flüssig, Sie speciell sowohl auf eine früher gegebene Abbildung (Fig.
97, St. 213) als auf Fig. 176 aufmerksam zu machen, welche beide
schon vor Jahren von einem meiner früheren Schüler, Herrn Dr. Goll
in Zürich, nach der Natur dargestellt worden sind. Es ist demzu-
folge wenigstens für den Menschen sicher, dass anfangs freie Zahn-
papillen und eine Zahnfurche da sind. Säugethiere habe ich nicht
untersucht, es sollte mich aber sehr wundern, wenn hier nicht
auch anfangs freie Papillen da wären, um so mehr da es keinem
Zweifel unterliegt, dass sehr viele Zähne von Fischen einfach Ossifi-
cationen von Schleimhautpapillen sind, die nie in Säckchen einge-
schlossen werden, bei welchen Zähnen dann übrigens ein Schmelz-
überzug fehlt.


Speicheldrüsen.Die Speicheldrüsen sind mit Bezug auf die allererste Ent-
wicklung noch nicht erforscht, dagegen kennt man dieselben durch
die Untersuchungen von Ernst Heinrich Weber, Rathke, Johannes
Müller, Rudolf Wagner
u. Anderen, aus einer so frühen Zeit, dass
es, zusammengehalten mit anderen Erfahrungen, nicht schwer ist, ihr
Entwicklungsgesetz zu bestimmen. Die Speicheldrüsen sind in früher
Zeit sehr einfache, wenig verästelte Gebilde von sehr zierlicher Form,
die im Wesentlichen mit den in der Fig. 147 dargestellten Thränen-
[357]Entwicklung des Darmkanales.
drüsen übereinstimmen und bestehen aus einem längeren Ausfüh-
rungsgange, der an seinem Ende mit einigen wenigen Aestchen ver-
sehen ist, von denen jedes mit einem kleinen Kölbchen endigt. Wie
bei den Thränendrüsen und den Drüsen der Haut zeigt die Drüsen-
anlage zwei Theile, eine innere, die mit dem Epithel der Mundhöhle
zusammenhängt und eine äussere aus sich entwickelndem Bindege-
webe, die als Fortsetzung der eigentlichen Schleimhaut aufzufassen
ist. Die innere Lage oder die Epithelialschicht enthält in dem Aus-
führungsgange schon eine Höhle, erscheint dagegen in den Enden der
Drüsenanlage und ihren Stielen noch ganz compact und durchaus aus
Zellen gebildet. Im weiteren Verlaufe wuchern diese einfachen Drü-
senanlagen durch Sprossenbildung an den Enden immer weiter, und
gewinnen so nach und nach das spätere Ansehen. Während diess
geschieht, bildet sich auch vom Hauptgange aus der innere Drüsen-
raum immer weiter, bis am Ende auch die letzten Theile sich aus-
höhlen und dann als Drüsenbläschen erscheinen. Halten Sie dieses
Verhalten mit dem zusammen, was ich Ihnen über die Entwicklung
der Hautdrüsen und der Thränendrüsen mitgetheilt habe, so wird
Ihnen kaum zweifelhaft erscheinen, dass auch hier die Drüsenbil-
dung mit einer soliden Wucherung des Epithels beginnt, welche,
indem sie weiter wächst, eine besondere Bekleidung von der eigent-
lichen Schleimhaut erhält und dann mit dieser gemeinschaftlich die
ganze Drüse darstellt. Von den einzelnen Speicheldrüsen erscheint
die Submaxillaris zuerst, dann die Sublingualis und in dritter Linie
die Parotis, und zwar treten alle drei, verglichen mit den Hautdrü-
sen, in sehr früher Zeit, d. h. in der zweiten Hälfte des zweiten
Monates auf und schreiten in ihrer Entwicklung auch ziemlich rasch
voran, sodass sie im dritten Monate, die Grösse abgerechnet, schon
ziemlich ausgebildet sind.


Von der Entwicklung der übrigen Drüsen und drüsenartigenSchleimdrüsen
des
Vorderdarmes.

Organe der Mundhöhle und des Vorderdarmes ist bis jetzt ausser
durch mich nichts bekannt geworden. Nach meinen Erfahrungen
(siehe auch Mikr. Anat. II. 2. St. 197) werden die Schleimdrüsen
dieser Theile (der Lippen, der Zunge, des Gaumens u. s. w.) in einer
viel späteren Zeit angelegt als die Speicheldrüsen und zwar erst im
vierten Monate; abgesehen hiervon stimmen dieselben aber vollkom-
men mit den grösseren Drüsen der Mundhöhle überein und habe ich
mich an den Lippen- und Zungendrüsen aufs bestimmteste über-
zeugt, dass dieselben in ihren ersten Anfängen nichts als einfache
[358]Vierunddreissigste Vorlesung.
solide Sprossen der tieferen Epithelialschichten sind. — Bemerkens-
werth ist die zierliche Gestalt der noch wenig entwickelten Lippen-
drüsen, indem der Drüsenkörper eine runde Masse darstellt, in der,
umschlossen von einer derben Faserhaut, eine zierliche Rosette von
acht bis zehn birnförmigen soliden Drüsenkölbchen enthalten ist,
welche alle unmittelbar am Ende des hohlen Ausführungsganges an-
zusitzen scheinen.


Tonsillen.Die Tonsillen treten im vierten Monate auf in Gestalt einer
einfachen Spalte oder spaltenförmigen Ausbuchtung der Schleimhaut
jeder Seite, die in Einer Linie mit der Ausmündung der Eustachi-
schen Trompete oder eher noch etwas weiter rückwärts liegt als
diese. Im fünften Monate ist jede Tonsille ein plattes Säckchen mit
spaltenförmiger Oeffnung und einigen kleinen Nebenhöhlen, dessen
innere Wand fast wie eine Klappe erscheint. Die äussere Wand und
der Grund des Säckchen sind schon bedeutend verdickt und zeigt
die mikroskopische Untersuchung, dass hier im Bindegewebe der
Schleimhaut eine reichliche Ablagerung von zelligen Elementen statt
gefunden hat, welche jedoch um diese Zeit noch als eine ganz con-
tinuirliche erscheint und nicht in besonderen Follikeln enthalten
ist. Auch im sechsten Monate sieht man von Follikeln noch nichts
Bestimmtes, dagegen sind dieselben bei Neugebornen und ausgetra-
genen Früchten in der Regel sehr deutlich und kommen dieselben
unstreitig einfach dadurch zu Stande, dass später die durch reich-
liche Zelleninfiltration verdickte Schleimhaut durch stärkere Binde-
gewebszüge in einzelne Abtheilungen gebracht wird.


Schleimbälge der
Zunge.
In ähnlicher Weise wie die Tonsillen bilden sich auch die
Schleimbälge der Zungenwurzel, nur dass hier die Schleim-
hautaussackung aus ihrem Grunde auch eine gewöhnliche trauben-
förmige Drüse entwickelt. Die Einzelnheiten habe ich jedoch bei
diesen Organen nicht verfolgt und kann ich Ihnen nur noch das mit-
theilen, dass dieselben, ebenso wie die von mir sogenannte Pha-
rynxtonsille
, bei reifen Embryonen in der Regel schon sehr gut
entwickelt sind und auch deutliche Follikel besitzen.


Schlundkopf.Von den übrigen Theilen des Anfangsdarmes, dem Schlundkopfe
und der Speiseröhre ist nicht mehr viel nachzuholen. Bei ganz jungen
Embryonen ist der Schlund ein ganz kurzes Stück, wie Ihnen die
Fig. 23 zeigt, bei der nur der kleine blind endende Abschnitt vor
der Herzhöhle den Schlund darstellt. Daher liegt auch das Herz, das
in der Faserwand des auf den Schlund folgenden Abschnittes des
[359]Entwicklung des Darmkanales.
Munddarmes (Rathke), den Remak speciell mit dem Namen Vorder-
darm
bezeichnet, sich entwickelt, anfänglich sehr weit nach vorn.
Mit der Ausbildung des Kopfes erlangt dann aber auch der Schlund
eine immer grössere Länge, zugleich treten an demselben von vorn
nach hinten die Kiemen- oder Schlundbogen und die Kiemen- oder
Schlundspalten auf und hiermit rückt dann auch das Herz schein-
bar zurück und nimmt die Lage ein, die Sie in der Fig. 61 darge-
stellt finden. Die innere Ausbildung des Schlundes anlangend, so
habe ich Ihnen schon früher mitgetheilt (Vorl. IX), dass der Schlund
ursprünglich nur Eine Hülle, nämlich das Darmdrüsenblatt, besitzt
(s. Fig. 21), zu der dann aber nachträglich durch Ablösung einer
Schicht des mittleren Keimblattes noch eine Faserhaut sich gesellt.
Die hierbei stattfindenden Vorgänge sind noch nicht genauer ver-
folgt, es scheint jedoch, dass hier sowohl die Seitenplatten des Ko-
pfes als auch die den Urwirbeln des Rumpfes entsprechenden Theile
desselben an der Bildung dieser Hülle betheiligt sind, was, wenn
dem so wäre, einen nicht unwichtigen Unterschied zwischen diesem
Theile des Darmes und dem in der Pleuroperitonealhöhle gelegenen
begründen würde (s. Vorl. IX).


Auch das Endstück des von mir sogenannten AnfangsdarmesSpeiseröhre.
oder die Speiseröhre ist, wie der Schlund, von Anfang an ein äus-
serst kurzer Abschnitt und bleibt länger so als der Schlund. Erst mit
der Streckung des Embryo und der Ausbildung der bleibenden Brust-
wand entwickelt sich auch dieser Theil mehr und nimmt Verhält-
nisse an, die von den bleibenden nicht mehr wesentlich sich unter-
scheiden. Auch dieses Darmstück hat ursprünglich keine besondere
Wand an der hinteren Seite (Fig. 22) und gewinnt dieselbe erst
später in einer ebenfalls noch nicht genau verfolgten Weise.


Wir kommen jetzt zu dem Theile des Darmes den ich seinerMitteldarm.
gemeinsamen Lage in der Bauchhöhle halber, und weil derselbe an
den meisten Stellen auch ein Gekröse besitzt, als Mitteldarm zu-
sammenfasse. Ich habe Ihnen schon früher mitgetheilt, dass dieser
mittlere Theil des Darmkanales anfänglich ganz gerade ist und auch
überall denselben Durchmesser darbietet. Erst in zweiter Linie bil-
det sich am Anfange desselben eine kleine Erweiterung aus, aus
welcher dann der Magen sich entwickelt, und während diess ge-Magen.
schieht, zieht sich zugleich der darauffolgende Theil, der die Anlage
des Dünndarmes und Dickdarmes darstellt, schleifenförmig aus.
Der Magen ist anfänglich nichts als ein einfacher spindelförmiger, in
[360]Vierunddreissigste Vorlesung.
der Mittellinie des Körpers gelegener gerader Schlauch, der durch
ein von seiner hinteren Fläche ausgehendes kurzes Gekröse, das
Mesogastrium.Mesogastrium von J. Müller, befestigt ist, bald aber dreht sich der

Figure 177. Fig. 477.


Magen so, dass seine linke Fläche nach
vorn und seine rechte Seite mehr nach
hinten zu liegen kommt, nimmt zu-
gleich eine etwas schiefe Stellung an
und beginnt an seinem ursprünglich
nach hinten gelegenen Rande die erste
Andeutung des Blindsacks hervorzu-
treiben. Die Fig. 177 zeigt Ihnen den
Magen eines sechs Wochen alten
menschlichen Embryo beiläufig aus
diesem Stadium. Die grosse Curvatur,
die derselbe schon deutlich erkennen
lässt, ist der Theil des Organes, wel-
cher ursprünglich nach hinten gegen
die Wirbelsäule gerichtet war und von
welchem das Mesogastrium ausging.
Dieses Magengekröse, obschon in der
Fig. 177 nicht dargestellt, ist noch
vorhanden, erscheint aber jetzt nicht
mehr als eine senkrechte hinter dem
Magen gelegene Platte mit einer rech-
ten und linken Fläche, vielmehr ist
dasselbe in Folge der Axendrehung des
Magens wie nach unten und links aus-
gezogen, sodass es seine Flächen nun

Fig. 177. Menschlicher Embryo von 35 Tagen von vorn nach Coste, 3 linker
äusserer Nasenfortsatz, 4 Oberkieferfortsatz des ersten Kiemenbogens, 5 pri-
mitiver Unterkiefer, z Zunge, b Bulbus aortae, b′ erster bleibender Aortenbo-
gen, der zur Aorta ascendens wird, b″ zweiter Aortenbogen, der den Arcus
aortae
gibt, b‴ dritter Aortenbogen oder Ductus Botalli, y die beiden Fäden
rechts und links von diesem Buchstaben sind die eben sich entwickelnden Lun-
genarterien, c′ gemeinsamer Venensinus des Herzens, c Stamm der Cava supe-
rior
und Azygos dextra, c″ Stamm der Cava sup. und Azygos sinistra, o′ linkes
Herzohr, v rechte, v′ linke Kammer, ae Lungen, e Magen, j Vena omphalo-
mesenterica sinistra, s
Fortsetzung derselben hinter dem Pylorus, die später
Stamm der Pfortader wird, x Dottergang, a Art. omphalo-mesenterica dextra,
m
Wolff’scher Körper, i Enddarm, n Arteria umbilicalis, u Vena umbilicalis,
8 Schwanz, 9 vordere, 9′ hintere Extremität. Die Leber ist entfernt.


[361]Entwicklung des Darmkanales.
vorzüglich nach vorn und hinten wendet und mit dem Magen zu-
sammen einen spaltenförmigen Raum begrenzt, der durch eine in
der Gegend der kleinen Curvatur gelegene Spalte in die Bauchhöhle
sich öffnet. Diese kleine Curvatur, die in der Fig. 177 in einer pri-
mitiven Form auch schon sichtbar erscheint, ist, wie Sie nun wissen
werden, nichts als der anfänglich vordere Rand des Magens, der mit
der Drehung desselben nach oben und rechts zu liegen kam. Die-
selbe ist übrigens nicht frei, wie die Abbildung glauben machen
könnte, vielmehr geht von derselben aus eine kurze Platte zu der in
der Entwicklung schon sehr vorgeschrittenen aber nicht dargestell-
ten Leber und unter dieser erst, die die Anlage des kleinen Netzes
ist, befindet sich der Eingang in den vorhin bemeldeten Raum hinter
dem Magen, in dem Sie wohl bereits den Netzbeutel erkannt haben.
Das Mesogastrium ist nämlich allerdings nichts als das grosse Netz,
und ist diese seine Bedeutung in einer nur wenig späteren Zeit, in
der es durch fortgesetztes Wachsthum eine über die grosse Curvatur
nach unten hervorragende kleine Falte bildet, nicht zu verkennen.
Es ist übrigens für einmal nicht möglich, das grosse Netz weiter zu
verfolgen und haben wir vorerst noch die ersten Enwicklungszu-
stände des übrigen Mitteldarmes ins Auge zu fassen.


Ein erstes auf den Magen folgendes kleines Stück des DarmesDuodenum.
entwickelt nie ein Gekröse und behält daher seine ursprüngliche
Lage vor der Wirbelsäule mit der Aenderung jedoch, dass dieser Ab-
schnitt oder das Duodenum im Zusammenhange mit der Schiefrichtung
des Magens ebenfalls eine mehr quere Stellung einnimmt, dann auf
eine kurze Strecke abwärts läuft und endlich mit einer rechtwink-
ligen Knickung in den übrigen Mitteldarm übergeht (Fig. 178). DerEigentlicher
Mitteldarm.

übrige grössere Abschnitt des Mitteldarmes (der Mitteldarm in toto
der Embryologen) bildet, wie Sie schon gehört haben, sehr früh eine
Schleife mit nach vorn gerichteter Convexität und entwickelt an sei-
nem hinteren Rande ein Gekröse. Ist diese Schleife, von deren Höhe
der Dottergang ausgeht, nur einigermaassen entwickelt, so tritt die-
selbe mit ihrem Scheitel in den Nabelstrang ein, während zugleich
die beiden Schenkel derselben, die wir als vorderen und hinteren
bezeichnen wollen, nahe aneinander sich legen. Dieser Zustand, den
die Fig. 177 versinnlicht, in welcher die Darmschleife aus dem Na-
belstrange herausgezogen und auf die rechte Seite gelegt ist, tritt
beim Menschen im Anfange des zweiten Monates ein und bleibt die-
ser normale Nabelbruch, wie man denselben nennen könnte, bis in
[362]Vierunddreissigste Vorlesung.
den Anfang des dritten Monates bestehen, in welchem erst mit der
Verengerung des Nabels und der vollkommenen Verschliessung des

Figure 178. Fig. 178.


Bauches der Darm wieder in die Unterleibshöhle zurücktritt. So
lange der Darm mit der erwähnten Schleife im Nabelstrange liegt,
zeigt dieser übrigens zur Aufnahme derselben eine besondere kleine
Höhle, welche vor den Nabelgefässen ihre Lage hat und mit der
Bauchhöhle communicirt, welcher letztere Umstand nicht befrem-

Fig. 178. Embryo eines Hundes von 25 Tagen, 5mal vergr., von vorn und
gestreckt. Die vordere Bauchwand ist theils entfernt, theils nicht dargestellt,
so dass die Bauchhöhle viel weiter offen steht, als sie in dieser Zeit sich findet
und das Herz bloszuliegen scheint. a Nasengruben, b Augen, c Unterkiefer
(erster Kiemenbogen), d zweiter Kiemenbogen, e rechtes, f linkes Herzohr,
g rechte, h linke Kammer, i Aorta, k Leberlappen mit dem Lumen der Vena
omphalo-mesenterica
dazwischen, l Magen, m Darm, durch einen kurzen engen
Dottergang mit dem Dottersacke n verbunden, hier schon mit einem Gekröse
versehen, das aber nicht dargestellt ist, und eine vortretende Schleife bildend,
oWolff’sche Körper, pp Allantois, q vordere, r hintere Extremitäten. Nach
Bischoff.


[363]Entwicklung des Darmkanales.
den kann, wenn Sie bedenken wollen, dass die Scheide des Nabel-
stranges, wie ich Ihnen früher mitgetheilt habe (St. 100), die Fort-
setzung der Bauchhaut des Embryo ist.


Während die besagte Schleife des Mitteldarmes theilweise imDrehung der
Schleife des
Mitteldarmes.

Nabelstrange liegt, bleibt dieselbe nicht lange in ihren ursprüng-
lichen einfachen Verhältnissen bestehen, vielmehr erleidet dieselbe
bald einige wesentliche Veränderungen, die für die Auffassung der
späteren Zustände von grosser Wichtigkeit sind. Das erste ist das
Auftreten einer kleinen Anschwellung an dem hinteren Schenkel der
Schleife in geringer Entfernung von dem Scheitel derselben, die bald
einen kleinen stumpfen Anhang treibt, den Sie in der Fig. 177 dar-
gestellt finden, wo derselbe jedoch nicht weiter bezeichnet ist. Die-
ser Anhang ist die Anlage des Coecum mit dem Processus vermicularis
und ergibt sich mit dem Erscheinen desselben deutlich und klar,
dass auch vom hinteren Schenkel der Schleife noch ein Theil zur
Bildung des Dünndarmes verwendet wird, so wie dass der Dotter-
gang oder der Ductus omphalo-mesentericus, der, so lange er erhalten
ist, vom Scheitel der Schleife abgeht, mit dem Theile des Dünndar-
mes verbunden ist, der später als Ileum erscheint. Kurze Zeit nach-
dem diese Trennung von Dünndarm und Dickdarm deutlich geworden
ist, was in der sechsten Woche geschieht, beginnt eine Drehung der

Figure 179. Fig. 179.


beiden Schenkel der Darmschleife
um einander, sodass der hintere
Schenkel erst nach rechts und dann
über den anderen zu liegen kommt,
von welchen Verhältnissen ihnen
die halbschematische Fig. 179 eine
Anschauung gibt. Zugleich mit die-
ser Drehung treten auch in der sie-
benten Woche die ersten Windungen am Dünndarme auf, welche,
am Ende desselben und der Höhe der Schleife beginnend, bald
soweit zunehmen, dass schon in der achten Woche ein kleiner,
rundlicher Knäuel von fünf bis sechs Windungen im Nabelstrange
darin liegt. Im dritten Monate bilden sich nun die besprochene Dre-
hung und die Windungen noch mehr aus, während zugleich der
Dickdarm sich verlängert und der Darm wieder in die Unterleibs-

Fig. 179. Drei halbschematische Abbildungen zur Darstellung der Drehung
des Dickdarmes um den Dünndarm. v Magen, d Duodenum, t Dünndarm,
c Dickdarm.


[364]Vierunddreissigste Vorlesung.
höhle eintritt und stellt sich dann bald ein Verhältniss her, wie es
das Schema Fig. 179 und die naturgetreue Abbildung Fig. 180 wie-

Figure 180. Fig. 180.


dergibt. Der Dickdarm bildet nun eine grosse
Schleife, die bis an den Magen reicht und dort
vom grossen Netz (o m) bedeckt ist. An dersel-
ben unterscheidet man ein gut ausgebildetes
Colon descendens, ein kürzeres Colon transver-
sum
, das kaum über die Mittellinie reicht und
ein kleines, wie das spätere Colon ascendens
gelagertes Stück, dessen Coecum fast genau in
der Mittellinie steht. Das Mesocolon, das überall
gut entwickelt ist, hat sich in Folge der Dre-
hung der ursprünglichen Darmschleife über den
Anfang des Dünndarmes gelegt, mit dem es dann später verwächst,
und was den Dünndarm anlangt, so liegt derselbe nun mit schon
zahlreicheren Windungen theils in der Concavität des Dickdarm-
bogens, theils nach rechts vom Colon ascendens.


Haben Sie einmal diese Verhältnisse begriffen, so bietet das
Weitere keine Schwierigkeiten mehr. Durch fortgesetztes Längen-
wachsthum rückt der Dickdarm immer mehr an seine spätere Stelle,
doch dauert es lange bis das Colon ascendens vollkommen ausgebildet
ist. Will man die Verhältnisse ganz genau bezeichnen, so hat man
zu sagen, dass im vierten und fünften Monate das Colon ascendens
noch ganz fehlt, indem um diese Zeit des Coecum im rechten Hypo-
chondrium
unter der Leber seine Lage hat und unmittelbar in den
Quergrimmdarm übergeht. Es wird nämlich das scheinbare Colon
ascendens
des dritten Monates später zur Vervollständigung des Colon
transversum
benutzt und rückt das Colon erst in der zweiten Hälfte
des Embryonallebens gegen die Fossa iliaca dextra herab. Die wei-
tere Entwicklung des Colon anlangend, so ist zu bemerken, dass die
Haustra und Ligamenta coli erst im siebenten Monate deutlich wer-
den, sowie, dass das Colon descendens mit dem Wachsthum der Theile
das vollständige Gekröse, das es ursprünglich besitzt, dadurch ein-
büsst, dass dieses nicht in gleichem Maasse wie die übrigen Theile
wächst. Coecum und Processus vermicularis stellen lange Zeit einen

Fig. 180. Ein Theil der Baucheingeweide eines dreimonatlichen weiblichen
menschlichen Embryo, vergr. s Nebenniere, o kleines Netz, r′ Niere, l Milz,
om grosses Netz, c Coecum, r Lig. uteri rotundum. Ausserdem sieht man Blase,
Urachus, Ovarium, Tuba, Uterusanlage, Magen, Duodenum, Colon.


[365]Entwicklung des Darmkanales.
einzigen verhältnissmässig grossen, blinden Anhang des Darmes dar,
dessen Ende erst spät zurückbleibt und dann zum wurmförmigen
Anhange sich gestaltet. — Der Dünndarm zeigt weiter nichts Bemer-
kenswerthes als dass seine Schlingen durch fortgesetztes Längen-
wachsthum sich vermehren und endlich ganz in die Concavität des
Colon zu liegen kommen.


Ueberblicken Sie nun noch einmal Alles über die Entwicklung
des Mitteldarmes Bemerkte, so ergibt sich, dass die eigenthümliche
Stellung der dünnen zu den dicken Gedärmen bei Menschen (und
ebenso bei vielen Säugern) wesentlich von der Drehung abhängt,
welche die Schenkel der primitiven Darmschleife in früher Zeit um
einander beschreiben und wirft sich von selbst die Frage auf, wo-
her diese Drehung abhängt. An rein mechanische Momente hat man
hier sicherlich nicht zu denken und obwohl es ziemlich nahe liegt,
die Drehung der Nabelschnur, die auch meist von links nach rechts
geht, ins Auge zu fassen, so bin ich doch für einmal nicht Willens
zu behaupten, dass diese Drehung auch nur bei der ersten Ent-
stehung der Drehung der Darmschleife wirklich eine wesentliche
Rolle spiele, indem das ganze Phänomen auch durch eigenthümliche
Wachsthumserscheinungen seine Erklärung finden kann. Eine be-
stimmte Antwort auf die gestellte Frage ist für einmal nicht möglich
und haben wir uns damit zu begnügen, die Aufmerksamkeit auch
auf diesen Punct gelenkt zu haben.


Wir wenden uns nun zur Schilderung der Entwicklung desBauchfell.
Bauchfelles und der Netze. Das Bauchfell hat keine primitive
Lage des Keimes als Ausgangspunct, vielmehr bildet sich dasselbe
erst nach der Entwicklung der Bauchhöhle an den der Höhle zuge-
wendeten Oberflächen der Bauchwände und Eingeweide. Betrachten
Sie die Fig. 26 St. 57, so finden Sie, dass beim Hühnerembryo vom
dritten Tage zur Zeit, wo die Bauchhöhle auftritt, vom Peritonaeum
noch keine Spur zu sehen ist, vielmehr die Höhle einfach von den
Darmfaserplatten, den Haut- und Mittelplatten begrenzt wird. Eben-
sowenig ist beim fünftägigen Hühnerembryo, obschon Darm und
Bauchhöhle viel ausgebildeter sind (Fig. 27 St. 57), das Bauchfell
zu sehen und habe ich in dieser Zeit einzig und allein am Hinter-
darm eine Lage gesehen (Fig. 33), die die Anlage des Bauchfelles zu
sein scheint, möglicherweise aber auch noch die Muskelschicht in
sich schliesst. Erst später bei deutlich werdender histologischer
[366]Vierunddreissigste Vorlesung.
Differenzirung der Theile erscheint in der ganzen Ausbreitung der
Bauchhöhle als Begrenzungsschicht die Serosa, wobei nur das zu
bemerken ist, dass die innere Lage der Hautplatten der Bauchwand
später, nachdem das Einwachsen der Producte der Urwirbel in die-
selbe stattgefunden hat, ganz zur Bauchfelllage zu werden scheint
(vergl. St. 64), so wie dass die Mittelplatten in dem Theile, der zu den
Gekrösen sich gestaltet, auch vorzüglich nur das Peritonaeum lie-
fern. Diesem zufolge entsteht das Bauchfell nicht als ein ursprünglich
geschlossener Sack, in den die Eingeweide hineinwachsen, sondern
bildet sich gleich in toto sowohl mit seinem parietalen als visceralen
Blatte in loco und kann der alten Auffassung, die den Beschreibun-
gen des Bauchfelles in der Anatomie immer noch zu Grunde gelegt
wird, höchstens das zugegeben werden, dass die von den Eingewei-
den eingenommenen scheinbaren Einstülpungen des Bauchfelles im
Laufe der Zeit immer mehr sich vergrössern, in welchen Fällen je-
doch das Bauchfell nicht einfach mechanisch ausgedehnt wird, son-
dern selbständig mit wuchert.


Netze.Die Bildung der Netze ist durch die Untersuchungen von Me-
ckel
und J. Müller vor Allem aufgehellt worden. Von der ersten
Entwicklung des grossen Netzes wissen Sie bereits, dass dasselbe
ursprünglich nichts als das Magengekröse, Mesogastrium ist, auch
habe ich Ihnen geschildert, wie im Zusammenhange mit der Drehung
des Magens die erste Anlage des Netzbeutels entsteht. Da das Meso-
gastrium
ursprünglich von der Speiseröhre und dem Diaphragma bis
zum Pylorus reicht und das Duodenum an der hinteren Bauchwand
befestigt ist und nie ein Gekröse erhält, so muss, wenn mit der
Drehung des Magens zwischen demselben und dem Mesogastrium ein
spaltenförmiger Raum entsteht, dieser in der Gegend der kleinen
Curvatur durch eine kürzere Spalte sich öffnen. Im Zusammenhange
mit der Entwicklung der Leber vom Duodenum aus entsteht nun
aber auch noch von der kleinen Curvatur und vom Duodenum aus
eine zweite Bauchfellplatte, das kleine Netz und das Lig. hepato-duo-
denale
, durch welche auch über dem Magen ein geschlossener Raum
gebildet wird, der als Verlängerung des eigentlichen Netzbeutels er-
scheint. Diese Platte erstreckt sich vom rechten Rande der Speise-
röhre, der ganzen kleinen Curvatur und dem oberen Theile des Duo-
denum
zur Porta hepatis, zum ganzen hinteren Theile des Sulcus
longitudinalis sinister
, in dem der Ductus venosus liegt, und auch zum
Diaphragma zwischen der Speiseröhre und der genannten Furche,
[367]Entwicklung des Darmkanales.
und stellt ein eigentliches Lebergekröse dar. Der Raum hinter die-
ser Platte würde, wenn die Leber frei wäre, unter dem rechten
Leberlappen durch eine grosse Spalte ausmünden, da jedoch dieses
Organ im Bereiche der hinteren Hohlvene an der hinteren Bauch-
wand festsitzt und durch das Lig. coronarium am Zwerchfelle anhaf-
tet, so bleibt nur die als Winslow’sches Loch bekannte Lücke, die
dann zugleich auch den Eingang zum Netzbeutel darstellt.


Das grosse Netz oder Mesogastrium geht anfangs an der grossen
Curvatur hinter dem Magen direct zur Mittellinie der hinteren Bauch-
wand. Bald aber wuchert es in der Gegend der Curvatur in eine
freie Falte vor, die schon im zweiten Monate deutlich ist und im
dritten Monate schon mit der halben Breite des Magens vorragt (Fig.
180). Anfänglich hat dieses eigentliche Omentum majus mit dem Colon
gar nichts zu thun, so wie aber dieses so sich entwickelt hat, wie
die Fig. 180 darstellt, deckt das grosse Netz das Colon transversum,
ohne jedoch für einmal mit ihm sich zu verbinden. Später jedoch
verwächst die hintere Platte des grossen Netzes mit der oberen La-
melle des Mesocolon und mit dem Colon transversum selbst, wie diess
schon vor Jahren J. Müller durch treffliche halbschematische Zeich-
nungen versinnlicht hat (Meck. Arch. 1830. Tab. XI. Fig. 4 B, 6-9).
Nur in Einem Puncte hat sich J. Müller getäuscht, indem er nämlich
annahm (s. l. c. Fig. 10, ab), dass später die hintere Platte des Netzes
das Colon transversum ganz zwischen seine Lamellen nehme und so
direct ins Mesocolon sich fortsetze, was nicht der Fall ist. Der em-
bryonale Netzbeutel reicht, wie Sie aus dem Gesagten hinreichend
werden entnommen haben, ursprünglich bis in das untere Ende des
grossen Netzes, ein Verhalten, das noch beim Neugebornen leicht zu
constatiren ist. Später verwachsen, wie bekannt, beide Netzplatten
in grösserer oder geringerer Ausdehnung miteinander, doch findet
man auch beim Erwachsenen dieselben nicht gerade selten noch
vollkommen getrennt.


Der Vollständigkeit wegen erwähne ich nun auch noch die dritteEnddarm.
Abtheilung des embryonalen Darmes oder den Enddarm, von der
weiter nichts zu sagen ist, als dass dieselbe in den Mastdarm sich
umwandelt. Die Anusöffnung entsteht in ähnlicher Weise wie die
vordere Apertur des Darmes durch eine Einstülpung von aussen,
doch vermissen wir bisanhin eine genauere Nachweisung der hierbei
stattfindenden Vorgänge. Die ursprüngliche Anusöffnung ist übri-
gens ebensowenig der späteren gleichwerthig, wie diess bei der
[368]Vierunddreissigste Vorlesung.
Mundöffnung der Fall ist, vielmehr ist dieselbe anfänglich die ge-
meinsame Ausmündung des gesammten Harn- und Geschlechtsappa-
rates und des Darmes und geht erst später in zwei besondere Aus-
gänge über, wie diess später bei den Geschlechtsorganen geschildert
werden soll.


Entwicklung der
Darmhäute.
Die Entwicklung der einzelnen Darmhäute und ihrer Anexa,
zu der wir zum Schlusse noch übergehen, habe ich schon vor Jahren
beim Menschen genauer verfolgt (Mikr. Anat. II, 2. St. 199—202)
und theile ich Ihnen die hauptsächlichsten der von mir gefundenen
Ergebnisse mit. Als allgemeine Bemerkung ist voranzustellen, dass
das embryonale Darmdrüsenblatt des Epithel und die zelligen Ele-
mente aller Darmdrüsen liefert, während die eigentliche Schleim-
haut, die Muscularis und die Serosa aus der Darmfaserschicht sich
entwickeln. Im Einzelnen gestalten sich nun die Verhältnisse fol-
gendermaassen.


Der Magen zeigt das Eigenthümliche, dass sein Epithel sammt
den Magensaftdrüsen, die von demselben aus sich entwickeln, bis
zum vierten Monate eine ganz getrennte Lage bildet, die in keiner
Verbindung mit der Faserhaut des Organes steht und derselben nur
anliegt. In der vierten Woche ist dieses Darmdrüsenblatt, wie es
mit vollem Rechte heissen kann, noch auf vollkommen embryonaler
Stufe ohne Spur von Drüsen und misst nicht mehr als 0,014‴, von
da an wächst dasselbe jedoch rasch beträgt schon in der sieben-
ten bis achten Woche 0,03‴, und zeigt in seinen äusseren Theilen
die ersten Anlagen der Magendrüsen in Gestalt zahlreicher kleiner
dicht beisammenstehender solider Epithelialfortsätze. In der drei-
zehnten Woche misst die ganze Drüsen- und Epitheliallage bereits
0,04—0,05‴ und zeigt innen schon hohle Drüsenkanäle, während
die Enden der Drüsen noch solid sind. Von einer Verbindung der
Faserhaut mit der Drüsenlage war um diese Zeit noch nicht die ge-
ringste Andeutung vorhanden, ja es zeigte sich selbst im fünften
Monate die jetzt 0,06—0,1‴ dicke Drüsen- und Epithelialschicht
als eine ganz selbständige Lage, die leicht in toto sich ablöste, doch
war nun zum ersten Male die ganze innere Oberfläche der Faserhaut
mit ungemein vielen cylindrischen Zöttchen besetzt, die eine Strecke
weit zwischen die Drüsenenden hineinragten. Zwischen dem fünften
und siebenten Monate entwickeln sich dann diese Zöttchen immer
mehr zwischen die Drüsen hinein, verschmelzen nach und nach von
ihrer Basis aus mit einander und bilden endlich ein vollkommenes
[369]Entwicklung des Darmkanales.
die Drüsen einschliessendes Fächerwerk, in dem dann auch Blut-
gefässe sich entwickeln, mit anderen Worten, die eigentliche Schleim-
haut. Diese ist somit nicht blos die innerste Lage der embryonalen
Faserhaut, sondern zum Theil eine ganz neue, von der inneren Ober-
fläche derselben sich entwickelnde Bildung, eine Thatsache, die ge-
wiss ebensowenig a priori sich erwarten liess, wie so manche andere,
die den Forscher in diesem Gebiete überraschen.


Beim Dünndarm gestalten sich die Verhältnisse einfacher,Dünndarm-
schleimhaut.

indem die Lieberkühn’schen Drüsen von Anfang an als hohle Aus-
stülpungen der Epithels auftreten. Zwischen der vierten bis achten
Woche ist die Dünndarmoberfläche ganz glatt ohne Zotten und Drü-
sen und mit einem einfachen Cylinderepithel besetzt. Im Anfange
des dritten Monates erscheinen die Darmzotten als erst warzenför-
mige und dann cylindrische Auswüchse der Faserhaut, die das Epi-
thel vortreiben und in der zehnten Woche schon 0,04—0,06‴ mes-
sen. In der dreizehnten Woche sind die Villi schon 0,15‴ lang und
nun zeigen sich auch zuerst die Drüsen als 0,02—0,04‴ lange,
0,03—0,04‴ breite Ausstülpungen des Epithels, die in Vertiefungen
der Faserhaut zwischen den Zotten ihre Lage haben. Das Epithel
hängt übrigens um diese Zeit noch so locker an der Faserhaut, dass
dasselbe mit Leichtigkeit als Ganzes sich ablöst und dann, wegen
der grossen Zahl der Zottenüberzüge den Anschein einer mehr als
0,15‴ dicken Haut gewährt, ein Verhalten, das zur Meinung geführt
hat (Valentin), dass dasselbe anfangs ungemein dick sei, was keines-
wegs der Fall ist. Die weitere Entwicklung begreift sich leicht und
bemerke ich Ihnen nur noch, dass auch hier eine besondere Schleim-
haut erst im siebenten Monate vollkommen deutlich als ein von der
übrigen Faserhaut getrenntes Gebilde auftritt. — Die Brunner’schenBrunner’sche
Drüsen.

Drüsen erscheinen im fünften Monate und entwickeln sich nach dem
Typus der kleinen Schleimdrüsen der Mundhöhle. Die Peyer’schenPeyer’sche
Drüsen.

Drüsen dagegen sind sicher Productionen der Faserhaut und erschei-
nen im sechsten Monate. Im siebenten Monate sind dieselben ganz
deutlich, haben Follikel von 0,14—0,16‴, die ziemlich weit von ein-
ander abstehen und im Grunde ansehnlicher, von dichtstehenden
Zotten umgebener Vertiefungen ihre Lage haben.


Die Dickdarmschleimhaut endlich entwickelt sich nach
meinen Beobachtungen genau ebenso wie die des Magens. Im An-
fange des dritten Monates hat dieselbe eine Epithelialschicht von
0,02‴ Dicke mit mehrfachen Lagen kleiner Zellen. Am Ende des
Kölliker, Entwicklungsgeschichte. 24
[370]Vierunddreissigste Vorlesung.
dritten Monates und im vierten Monate ist die Drüsenschicht von der
Faserhaut noch ganz und gar geschieden und misst 0,03—0,036‴,
welche Dicke auf Rechnung der schon vorhandenen Drüsen zu setzen
ist, von denen ich nicht ermitteln konnte, ob sie als von Anfang an
hohle Bildungen, oder als solide Sprossen des Epithels auftreten. Am
Ende des vierten Monates treibt die Faserhaut zottenartige Aus-
wüchse zwischen die Drüsen hinein, welche im fünften Monate, wo
die Drüsenschicht 0,2‴ Dicke besitzt, die Anfänge der Drüsen fast
erreichen, die nun auch ein deutliches Lumen und 0,04—0,06‴ Breite
zeigen. Jetzt schon beginnen die Zotten von der Basis aus um die
Drüsenenden herum miteinander zu verschmelzen, ein Vorgang, der
im siebenten Monate sein Ende erreicht, womit dann die Schleim-
haut gebildet ist.


[[371]]

Fünfunddreissigste Vorlesung.


B. Entwicklung der grösseren Darmdrüsen.


Meine Herren! In der Reihe der grossen Anhangsdrüsen desLungen
des Hühnchens.

Darmkanales mag die Lunge zuerst der Gegenstand unserer heuti-
gen Betrachtung sein. Die Lunge entwickelt sich sowohl beim Hühn-
chen als bei den Säugethieren in sehr früher Zeit, jedoch etwas spä-
ter als die Leber und zwar, wie v. Baer schon vor Jahren richtig
angegeben hat, als eine hohle Ausstülpung aus dem Anfangsdarme.
Nach diesem Autor sieht man beim Hühnerembryo am dritten Tage
dicht hinter der letzten Kiemenspalte zu beiden Seiten des Speise-
kanales eine kleine hohle Auftreibung. Beide gestalten sich bald zu
länglichen Säckchen, rücken zusammen und erhalten ein mittleres
Vereinigungsstück, das sofort zu einem kurzen hohlen Stiele, der
Anlage der Luftröhre, sich auszieht, während jedes Säckchen selbst
in einen kurzen Stiel, den Bronchus, und ein erweitertes Ende, die
Anlage der Lunge, sich umwandelt. — Diese Angaben v. Baer’s, ob-
schon von Reichert und zuerst auch von Bischoff als unrichtig hin-
gestellt, haben sich nichts destoweniger vollkommen bewährt und
hat in unseren Tagen besonders Remak dieselben als nach allen Seiten
befriedigend dargethan. Nach Remak geht jedoch dem Stadium, wel-
ches v. Baer als das erste beschreibt, noch ein anderes voraus, in
welchem die Lunge eine einfache hohle Auftreibung der Wand des
Vorderdarmes ist (Unters. St. 55. Taf. VI. Fig. 72 l). Ausserdem hat
Remak auch bestimmter als v. Baer nachgewiesen, dass die Aus-
stülpung der Darmwand, die zur Lunge wird, aus denselben zwei
Schichten besteht, wie diese, nämlich aus dem Epithelialrohre und
der Faserwand (bei v. Baer als Schleimhaut und Gefässschicht be-
zeichnet).


24*
[372]Fünfunddreissigste Vorlesung.

Lungen der
Säuger.
Was die Säugethiere und den Menschen anlangt, so liegen
nur wenige Beobachtungen über die frühesten Zustände ihrer Lun-
gen vor, doch sind dieselben der Art, dass sich mit Sicherheit auf
einen gleichen Entwicklungsgang wie bei den Vögeln schliessen lässt.
Die Säugethiere betreffend so hat schon vor langer Zeit Rathke
bei einem 5‴ langen Schaafembryo sehr einfache Lungen nachgewie-
sen (Meck. Arch. 1830. Tab. I. Fig. 2), welche aus einfachen hohlen
Säckchen und einer kurzen hohlen Luftröhre bestanden. Diess ist
jedoch noch nicht die früheste Form, denn es hat Bischoff bei einem
Hundeembryo, dessen Darm in der Mitte noch in weiter Verbindung

Figure 181. Fig. 181.


mit dem Dottersacke sich befand, die Lungen
als zwei kleine dickwandige Ausstülpungen
gesehen, die noch jede für sich in den Anfang
der Speiseröhre dicht hinter dem Schlunde
einmündeten. Vom Menschen liegt bis
jetzt einzig und allein eine Erfahrung von
Coste vor. Bei einem Embryo von 25—28
Tagen fand er die Lungen in demselben Sta-
dium, das Rathke von einem 5‴ langen
Schaafembryo beschreibt, als zwei kleine
birnförmige, mit einer einfachen Höhlung
versehene Säckchen, welche durch einen
kürzeren Gang in das Ende des Schlundes
mündeten (Hist. du dével. Pl. III, a; Longet,
Traité de phys. II. pag. 205. Fig. 28). Bei
Longet findet sich ausserdem noch die Bemerkung, dass nach Coste
die Lungen anfangs eine einfache Aussackung darstellen, die erst in
zweiter Linie in zwei sich theile, es findet sich jedoch in dem bisher
von Coste Veröffentlichten Nichts auf dieses früheste Stadium be-
zügliche, und vermuthe ich, dass die Annahme eines solchen nicht
wirklich auf Beobachtungen beruht. Was mich betrifft, so kann ich
die Angabe von Coste durch eine Beobachtung an einem vier Wochen
alten Embryo bestätigen, von dessen Lungen ich Ihnen eine Abbil-
dung vorlege. Sie entnehmen aus derselben, dass die Lungen, deren

Fig. 181. Darm des in Fig. 60 (s. unten) dargestellten Hundeembryo von
unten vergr. dargestellt. Nach Bischoff. a Kiemen- oder Visceralbogen, b
Schlund- und Kehlkopfanlage, c Lungen, d Magen, f Leber, g Wände des
Dottersackes, in den der mittlere Theil des Darmes noch weit übergeht, h
Enddarm.


[373]Entwicklung der Darmdrüsen.
Länge 0,32‴ und deren Breite 0,18‴ betrug, genau dieselben Ver-
hältnisse zeigen, welche Coste von seinem Embryo beschreibt. Die

Figure 182. Fig. 182.


Anlage der Luftröhre, von der in der Abbildung nur
ein kleines Stück fehlt, war von der Speiseröhre noch
nicht vollkommen abgeschnürt, insofern als wenig-
stens die Faserhäute beider Kanäle noch verbunden
waren, obschon dieselben besondere Höhlungen ent-
hielten. Die zwei sackförmigen Lungen selbst stellten
wie eine vor dem untersten Ende der Speiseröhre gele-
gene Erhebung dar, die mit ihren nach hinten ragenden
Enden auch die Seitentheile bedeckte und die Speiseröhre fast wie ein
Sattel umgab. Genauer bezeichnet reichten die Lungen selbst noch in
den Bereich des obersten Endes des fast noch gerade stehenden, aber
doch schon mit der Andeutung eines Blindsackes versehenen Magens.
War schon diess bemerkenswerth, so gestaltete sich die Lage zu den
übrigen Organen nicht minder eigenthümlich, indem die Lungen hin-
ten an die Wolff’schen Körper angrenzten und vorn von der allerdings
noch kleinen, aber doch schon die ganze Breite der Bauchhöhle ein-
nehmenden Leber bedeckt waren, vor welcher dann wiederum das
Herz seine Lage hatte. Uebrigens waren die Lungen jetzt schon von
einer zarten Membran von den Wolff’schen Körpern einerseits und
der Leber und dem Magen andererseits getrennt, die nichts anderes
als die Anlage des Zwerchfelles sein kann, deren genauere Verhält-
nisse jedoch nicht zu ermitteln gelang. Bezüglich auf den feineren
Bau, so bestand, wie diess auch von Thieren her bekannt ist, die
gesammte Anlage des Respirationsorganes aus einer unverhältniss-
mässig dicken Faserhaut, die noch ganz aus Zellen zu bestehen schien
und einem inneren dünneren Epithelialrohre, welche den analogen
Schichten des Darmkanales entsprechen.


Diesem zufolge spricht Alles, was wir von der Lunge der Säuge-Weitere
Entwicklung der
Lunge.

thiere wissen, für dieselbe Entwicklung wie bei den Vögeln, und
wird für einmal nur das unentschieden bleiben, ob der erste Anfang
derselben paarig ist oder nicht. Die weitere Entwicklung des Orga-
nes ist bei Säugethieren und beim Menschen im Ganzen leicht zu
verfolgen und lässt sich im Allgemeinen dahin bezeichnen, dass,
während die Faserschicht fortwuchert, das innere Epithelialrohr

Fig. 182. Lungen und Magen eines vier Wochen alten menschlichen Em-
bryo, etwa 12mal vergr. lr Luftröhre, l Lunge, s Speiseröhre, m Magen.


[374]Fünfunddreissigste Vorlesung.
hohle Aussackungen oder Knospen erzeugt, welche rasch sich ver-
mehrend bald in jeder Lunge ein ganzes Bäumchen von hohlen Ka-
nälen mit kolbig angeschwollenen Enden erzeugen, von welchen aus
dann durch Bildung immer neuer und zahlreicherer hohler Knospen
endlich das ganze respiratorische Höhlensystem geliefert wird. Die-
sem zufolge weicht die Lunge von allen bisher besprochenen grösse-
ren Drüsen sehr wesentlich ab. Alle Hautdrüsen mit Inbegriff der
Milchdrüsen, der Thränendrüsen und der Speicheldrüsen, treten
anfänglich als solide Knospen der tieferen Epidermisschichten auf
und erhalten erst in zweiter Linie Höhlungen, und nach demselben
Typus gestalten sich auch die Schleimdrüsen, die Magensaftdrüsen
und das noch nicht besprochene Pancreas, nur dass hier das Darm-
epithel die Rolle des Rete Malpighii vertritt. Die Lungen dagegen sind
von Anfang an hohle Ausbuchtungen des Darmepithels und erhalten
auch im Verlaufe ihrer Ausbildung niemals solide Knospen, so dass
ihre ganze Entwicklung, abgesehen von den Verzweigungen, viel
eher mit dem Wachsthume des Darmes als mit dem der übrigen
Drüsen verglichen werden kann.


Bildung der
grossen Lappen.
Ueber die Entwicklung der Lunge ist nun im Einzelnen noch
Manches beizufügen. In der fünften Woche beginnen beim Men-
schen die Verästelungen des Epithelialrohres der Lungen, deren
Verfolgung im Einzelnen kein Interesse darbietet, daher ich Sie nur
auf einige Abbildungen vom Menschen und von Thieren verweise
(Fig. 183 auf St. 375; J. Müller, de glandularum secern. structura
Taf. XVII. Fig. 7 von einem 1½″ langen Schaafembryo; Coste, Hist.
du dével
. Pl. IV a vom Menschen; Bischoff. Hundeei, Fig. 42 D,
Fig. 45 H; Remak, Unters. Taf. VI, Fig. 82, Lungenlappen eines
Schaafembryo). Sehr früh treten auch beim Menschen und bei Säu-
gern die grossen Abtheilungen der Lunge auf, dadurch, dass einzelne
Abschnitte des Organes mehr vortreten, während zwischenliegende
Stellen zurückbleiben und hat schon am Ende des ersten Monates jede
Lunge eine schwache Andeutung derselben (Fig. 182) und sind in der
Lage der
Lungen.
achten Woche die Hauptlappen bestimmt ausgeprägt. Die Lage des Or-
ganes ist im Anfange des zweiten Monates in der fünften und sechsten
Woche immer noch sehr eigenthümlich, indem die Lungen nicht ne-
ben dem Herzen, welches um diese Zeit die ganze Breite und Tiefe der
Brusthöhle einnimmt, sondern unter demselben neben der Speiseröhre
und dem Magen, zwischen den Wolff’schen Körpern und der Leber
liegen. Die nebenstehende Abbildung von Coste könnte zu dem Glau-
[375]Entwicklung der Darmdrüsen.
ben verleiten, als ob die Lungen um diese Zeit frei in der Bauchhöhle
lägen, dem ist jedoch nicht so, vielmehr sind dieselben, wie genaue

Figure 183. Fig. 183.


Zergliederungen von Kalbsembryonen
von 8—9‴ Länge mich gelehrt haben,
in denen die Lungen auf demselben
Stadium sich befinden, jetzt schon vom
Zwerchfell umschlossen und von den
Baucheingeweiden getrennt. Dieser
Muskel ist jedoch um diese Zeit noch
anders beschaffen als später, denn es
bildet sein Lendentheil mit den an-
grenzenden Theilen des Rippentheiles
einen hohlen trichterförmigen Sack,
der die Lungen genau umschliesst und
erst vor denselben in eine mehr hori-
zontale Platte sich umbiegt, die zwi-
schen Herz und Leber sich einschiebt.
Gegen das Ende des zweiten Monates
kommen die Lungen mit zunehmen-
dem Wachsthum, Vergrösserung der
Brusthöhle und mit dem Zurückblei-
ben des Herzens scheinbar höher her-
auf zu liegen und im dritten Monate
haben dieselben schon ganz ihre typi-
sche Lage neben und hinter dem Her-
zen.


Die inneren Veränderungen der

Fig. 183. Menschlicher Embryo von 35 Tagen von vorn nach Coste. 3 linker
äusserer Nasenfortsatz, 4 Oberkieferfortsatz des ersten Kiemenbogens, 5 pri-
mitiver Unterkiefer, z Zunge, b Bulbus aortae, b′ erster bleibender Aorten-
bogen, der zur Aorta ascendens wird, b″ zweiter Aortenbogen, der den Arcus
aortae
gibt, b‴ dritter Aortenbogen oder Ductus Botalli, y die beiden Fäden
rechts und links von diesem Buchstaben sind die eben sich entwickelnden Lun-
genarterien, c′ gemeinsamer Venensinus des Herzens, c Stamm der Cava supe-
rior
und Azygos dextra, c″ Stamm der Cava sup. und Azygos sinistra, o′ linkes
Herzohr, v rechte, v′ linke Kammer, ae Lungen, e Magen, j Vena omphalo-
mesenterica sinistra, s
Fortsetzung derselben hinter dem Pylorus, die später
Stamm der Pfortader wird, x Dottergang, a Art. omphalo-mesenterica dextra,
m
Wolff’scher Körper, i Enddarm, n Arteria umbilicalis, u Vena umbilicalis,
8 Schwanz, 9 vordere, 9′ hintere Extremität. Die Leber ist entfernt.


[376]Fünfunddreissigste Vorlesung.
Innere Ver-
änderungen der
Lungen.
Lunge habe ich schon vor mehreren Jahren (Mikr. Anat. II. 2. St.
321 flgde.) vom Menschen genau beschrieben und seither meine Er-
fahrungen durch weitere Beobachtungen ergänzt. Diesen zufolge
stellen sich die Verhältnisse so. Bei Embryonen der zweiten Hälfte
des zweiten Monates sieht die ganze 1½—2‴ lange Lunge schon
für das unbewaffnete Auge regelmässig körnig aus, und erkennt man
an der ganzen Oberfläche eine gewisse Zahl rundlicher Erhebungen
von 0,16‴, die ich die primitiven Drüsenbläschen nennen
will, um Verwechslungen mit den späteren Luftzellen vorzubeugen.
Jedes solche Bläschen ist eine am Emde eines Bronchialästchens
sitzende Erweiterung, hat innen ein Epithelialrohr mit länglichen
Zellen und um dasselbe herum eine aus rundlichen Zellen und sich
entwickelnden Fasern bestehende dicke Hülle, welche jedoch nach
aussen nicht scharf abgegrenzt ist, sondern durch ein ähnliches, nur
minder dichtes Gewebe mit den entsprechenden Hüllen der benach-
barten Drüsenbläschen zusammenhängt. Durchschnitte durch solche
Lungen ergeben, dass die primitiven Drüsenbläschen um diese Zeit
einzig und allein an der Oberfläche der Lappen zu finden sind, wäh-
rend das Innere ganz und gar von den Bronchialröhren, dem um-
hüllenden Fasergewebe und den sich entwickelnden Gefässen einge-
nommen wird. Im dritten Monate werden diese Verhältnisse noch
deutlicher und vermehrt sich auch die Zahl der primitiven Drüsen-
bläschen sehr bedeutend, welche nun zum Theil 0,2—0,24‴ messen,
während allerdings einzelne auch nur 0,1 selbst nur 0,08‴ betra-
gen. Ein Flächenschnitt der Lungenoberfläche erscheint um diese
Zeit sehr zierlich und zeigt eine grosse Zahl rundlich polygonaler
kleiner Felder von dunklem Ansehen, die primitiven Drüsenbläs-
chen, in deren Mitte ein dickwandiger Ring mit heller Mitte, der
scheinbare Querschnitt des Epithelialrohres des Drüsenbläschens
sehr deutlich in die Augen springt, dessen aus mehrfachen Lagen
länglicher Zellen bestehende Wand nun eine Dicke von 0,025—
0,030‴ besitzt, während die ganze Epithelialblase einen Durchmes-
ser von 0,06—0,1‴ hat. Die Art und Weise, wie die Drüsenbläs-
chen sich vermehren, ist im dritten Monate an senkrechten Durch-
schnitten immer leicht zu sehen und am Ende dieses Monates auch
an der Oberfläche wahrzunehmen, und versinnliche ich Ihnen die-
selbe durch die beiden Figg. 184 und 185. Fig. 184 zeigt Ihnen das
Verhalten der Epithelialröhren an einem senkrechten Durchschnitte
der Lunge, an dem Sie bei a hohle Sprossen des Epithelialrohres
[377]Entwicklung der Darmdrüsen.
der feinsten Bronchialästchen in verschiedenen Stadien der Umbil-
dung in neue gestielte primitive Drüsenbläschen erkennen. Bei c in

Figure 184. Fig. 184.


Figure 185. Fig. 185.


derselben Figur und noch besser aus der Fig. 185 werden Sie auch
entnehmen können, dass eine solche Sprossenbildung als Zwei- und
selbst Dreitheilung auch an den Drüsenbläschen selbst sich findet.
In beiden Fällen ist es immer das Epithelialrohr, welches den ersten
Anstoss zur Sprossenbildung gibt, dadurch dass dasselbe durch
wiederholte Längstheilung seiner Zellen in bestimmter Richtung in
der Fläche wächst, immerhin haben Sie sich die Faserhülle der Bläs-
chen doch auch als selbständig mitwuchernd zu denken, wobei je-
doch zu bemerken ist, dass dieselbe auch jetzt nach aussen noch
keine scharfe Abgrenzung gegen das interstitielle Gewebe zeigt.


In der nämlichen Weise geht nun die Vermehrung der primiti-
ven Drüsenbläschen und die Zunahme der Verästelung der Bron-
chialästchen im vierten und fünften Monate immer weiter mit dem
einzigen Unterschiede, dass die Bläschen und Bronchialenden zu-

Fig. 184. Endverzweigung eines Bronchialastes aus der Lunge eines drei-
monatlichen menschlichen Fötus. Es ist nur das Epithelialrohr dargestellt und
die Faserhülle weggelassen. a hohle Sprossen der feinsten Bronchialästchen,
b primitive Drüsenbläschen an den Enden derselben, c sich theilende Drüsen-
bläschen. Vergr. 50.


Fig. 185. Ein Segment der Oberfläche der Lunge eines dreimonatlichen
menschlichen Embryo, 50mal vergr. Die Epithelialröhren primitiver Drüsen-
bläschen a bilden an der Oberfläche zum Theil schon kleinere und grössere
Gruppen wie Läppchen, die von einer gemeinschaftlichen Faserhülle f umgeben
werden, die jedoch gegen das interstitielle Gewebe i nicht scharf abgesetzt ist.


[378]Fünfunddreissigste Vorlesung.
gleich auch immer kleiner werden, so dass im vierten Monate
die Bläschen 0,08—0,12‴, im Anfange des fünften Monates nur
noch 0,04—0,06‴ höchstens 0,07‴ messen. Um diese Zeit er-
scheinen auch die Bläschen alle zu vieleckigen Läppchen von
0,24—0,48‴ vereint, welche oft wieder kleinere Häufchen von
vier bis fünf Bläschen unterscheiden lassen. Der Bau dieser Bläs-
chen ist übrigens immer noch derselbe wie früher, nur dass ihre
epitheliale Blase nur noch 0,02‴ misst und ein Epithel von 0,010—
0,016‴ besitzt. Im sechsten Monate schreitet die Vermehrung der
feineren Hohlräume der Lunge noch weiter fort und kann man nun
die runden nur noch 0,025—0,03‴ grossen und sehr dicht gelager-
ten Enden der feinsten Bronchien schon als Lungenbläschen
bezeichnen, um so mehr als sie nun ein Pflasterepithel von 0,004—
0,005‴ Dicke besitzen und auch zum Theil mit einander communi-
ciren, was einfach daher rührt, dass nun die Sprossen der Drüsen-
bläschen nicht mehr vollständig von einander sich sondern. Bis jetzt
hatte die Lunge ganz den Typus einer gewöhnlichen traubenförmi-
gen Drüse; auf einem gewissen Stadium angelangt ändert sich jedoch
dieser Typus und entstehen die eigenthümlichen kleinsten Lungen-
läppchen mit den innig vereinten und wie in einen gemeinschaft-
lichen Hohlraum einmündenden Drüsenbläschen, den Luftzellen,
dadurch, dass ein Bronchialende mit den betreffenden endständigen
Drüsenbläschen Knospen treibt, die nicht mehr (wie früher) von ein-
ander sich trennen und zu neuen gestielten Bläschen werden, son-
dern alle mit einander verbunden bleiben und später wie in einen
gemeinsamen Binnenraum einmünden. Die Bildung der Luftzellen
und kleinsten Läppchen, im sechsten Monate beginnend, kommt erst
in den letzten Monaten der Schwangerschaft zu seiner Vollendung,
denn während die Luftzellen beim reifen Fötus kaum mehr betragen
als im sechsten Monate und selbst in Lungen von Neugebornen, die
schon geathmet haben, nur 0,03—0,06‴ messen, nehmen die Läpp-
chen selbst sehr bedeutend an Grösse zu, so dass die secundären
Läppchen, die bei sechsmonatlichen Embryonen nur ¼—1‴ messen,
bei Neugebornen schon 2—4‴ und mehr betragen. Wie das Wachs-
thum der Lunge nach der Geburt sich verhält, ist noch nicht unter-
sucht, da jedoch die Lungenbläschen des Erwachsenen einen drei bis
viermal grösseren Durchmesser besitzen als die des reifen Embryo,
so ist wohl nicht zu bezweifeln, dass in der nachembryonalen Zeit
keine neuen Luftbläschen mehr entstehen, vielmehr die ganze Volu-
[379]Entwicklung der Darmdrüsen.
menszunahme des Organes bis zur vollen Ausbildung des Körpers
einzig und allein auf Rechnung des Wachsthumes der schon vorhan-
denen Elemente zu setzen ist.


Die Entwicklung der Pleura haben Sie sich eben so zu den-Pleura.
ken wie die des Bauchfells, und erinnere ich Sie bei dieser Gele-
genheit daran, dass die Pleuro-peritonealhöhle, die durch Spaltung
der Seitenplatten der Embryonalanlage entsteht (Vorl. IX) ursprüng-
lich eins ist. Wäre die Bildung des Zwerchfelles genau bekannt,
so liesse sich sagen, ob die Lungen bei ihrem ersten Auftreten in
der primitiven Pleuro-peritonealhöhle liegen oder nicht, so aber
kann man für einmal nur so viel aussprechen, dass von dem Momente
an, wo das Diaphragma auftritt, die Lungen in einem geschlosse-
nen Brustraume liegen. Dieser Raum ist in dem Theile, der die
Lungen enthält, anfänglich sehr klein, aber wie es scheint selbst in
dem Stadium, das die Fig. 183 darstellt, doppelt und durch die
Speiseröhre und zum Theil den Herzbeutel getheilt, während später
vor allem das Herz die Scheidung desselben übernimmt und als
Auskleidung desselben sondert sich dann später an allen denselben
begrenzenden Theilen eine besondere seröse Haut, die schon in der
zehnten Woche deutlich ist.


Zum Schlusse noch einige Bemerkungen über den KehlkopfKehlkopf.
und die Luftröhre. Der Kehlkopf wird beim Menschen am Ende
der fünften und in der sechsten Woche deutlich als eine längliche
Anschwellung am Anfange der Luftröhre, die vom Schlunde aus
einen von zwei Wülsten begrenzten spaltenförmigen Eingang zeigt
(Coste, Hist. du dével. Pl. IV, a. Fig. 5). Schon am Ende der sechsten
Woche sah ich den Kehlkopf rundlich und verhältnissmässig stark
vortretend und zu beiden Seiten des Einganges waren nun auch
zwei stärkere Aufwulstungen zu sehen, die Anlagen der Cartilagines
arytaenoideae
, während vor demselben eine schwache Querleiste die
Gegend bezeichnete, wo später die Epiglottis entsteht. Nach Rei-
chert
sollen die genannten Knorpel, ähnlich wie die Zunge an der
Innenseite des ersten Kiemenbogens, als Wucherungen innen am
dritten Bogen entstehen, eine Ansicht, der ich mich für den Kehl-
deckel anschliessen kann; was dagegen den Kehlkopf selbst mit allen
seinen Theilen betrifft, so scheint es mir unmöglich zu bezweifeln,
dass derselbe in der nämlichen Weise wie die Trachea aus dem un-
tersten Ende des Schlundes hervorgeht und keine directe Beziehung
zu einem Kiemenbogen besitzt. — In der achten bis neunten Woche
[380]Fünfunddreissigste Vorlesung.
beginnt der Kehlkopf zu verknorpeln und seine vier Hauptknorpel
deutlich zu werden, in welcher Beziehung ich Ihnen bemerken will,
dass ich die alte Angabe von Fleischmann, dass Schild- und Ring-
knorpel aus zwei getrennten Hälften sich bilden, nicht unterstützen
kann. Fleischmann, der noch im vierten Monate die genannten Knor-
pel als aus paarigen Stücken bestehend schildert, hat sich offenbar
durch eine Furche täuschen lassen, die im dritten und vierten Mo-
nate an der vorderen Fläche des Kehlkopfes sich befindet; hätte er
Querschnitte untersucht, so hätte er sich leicht überzeugt, dass die
zwei grossen Knorpel von Anfang an einfache Stücke sind. Ring-
knorpel und Giessbeckenknorpel sind übrigens in frühen Zeiten un-
verhältnissmässig dick, während der Schildknorpel erst später mehr
sich ausbildet. Der Kehldeckel ist noch im dritten Monate eine ein-
fache Querleiste und erhebt sich erst später langsam zu seiner ihm
eigenthümlichen Gestalt. Die Kehlkopfstaschen und Bänder im In-
nern des Kehlkopfes sah ich schon im vierten Monate.


LuftröhreDie Luftröhre erhält ihre Knorpelringe um dieselbe Zeit wie
der Kehlkopf seine Knorpel, und ist auch hier von einer Bildung der-
selben aus zwei Hälften, die Fleischmann angegeben hatte, nichts zu
sehen. Nach diesem Autor scheint von Anfang an nicht die volle
Zahl der Ringe da zu sein, wenigstens zählte er in der zehnten Woche
deren nur sechszehn, in der achtzehnten Woche dagegen zwanzig.


Leber.Wir wenden uns nun zur Entwicklungsgeschichte der zweiten
grossen Darmdrüse, der Leber. Die Leber ist beim Säugethier-
embryo und beim Menschen das drüsige Organ, welches nach den
Wolff’schen Körpern zuerst entsteht und fällt ihr Auftreten beim
Erste Bildung
der Leber.
Menschen in die dritte Woche. Beim Hühnchen zeigt sich die Le-
beranlage in der ersten Hälfte des dritten Tages (in der 55.—58.
Brütstunde nach Remak), später als der Urnierengang, aber eher frü-
her als die ersten Drüsenkanälchen der Urniere. Den Untersuchun-
gen der Mehrzahl der älteren Embryologen zufolge, zu denen in
neuerer Zeit auch Remak sich gesellt hat, darf es als ausgemacht be-
trachtet werden, dass beim Hühnchen die Leber uranfänglich in
Form von zwei Blindsäcken auftritt, die unmittelbar hinter der An-
lage des Magens aus der vorderen Wand des Duodenum hervorspros-
sen. Jeder dieser Blindsäcke besteht aus den zwei Ihnen nun wohl
hinreichend bekannten Schichten, aus einer Fortsetzung des Darm-
faserblattes und einer Verlängerung des Darmdrüsenblattes, und
[381]Entwicklung der Darmdrüsen.
stimmt somit ganz und gar mit der ersten Lungenanlage überein.
Beim Menschen ist die erste Entwicklung der Leber noch ganz un-
bekannt, was sich leicht begreift, wenn man bedenkt, wie sehr selten
bis jetzt die Gelegenheit sich dargeboten hat, Embryonen der dritten
Woche zu studiren, allein auch von den Säugethieren besitzen wir
einzig und allein einige Beobachtungen von Bischoff, der bei Hunde-

Figure 186. Fig. 186.


embryonen die Leber zweimal in dem Sta-
dium sah, das in der Fig. 186 dargestellt ist.
Dieselbe stellte (vergl. auch Fig. 50 St. 97)
eine kleine doppelte Ausbuchtung der beiden
Wandungen des Duodenum dar und kann
diesem zufolge füglich nicht bezweifelt wer-
den, dass die Leber auch hier nach demsel-
ben Typus sich entwickelt wie beim Hühn-
chen und von Anfang an als Hohlgebilde
auftritt.


Einmal angelegt bleibt die Leber nurWeiteres
Wachsthum der
Leber.

kurze Zeit auf dem angegebenen Stadium
stehen. Energisch wachsend umfasst sie mit
ihren beiden Lappen sehr bald die Vene,
welche vom Dottersack zum Herzen geht,
die Vena omphalo-mesenterica, sodass diese ins Innere der Leber zu
liegen kommt. Sowie diess geschehen ist, entwickeln sich von der
genannten Vene aus Blutgefässe in die Leber hinein und wird die-
selbe in der kürzesten Zeit zu einem grösseren blutreichen rothen
Organe, welches mit zwei gleich grossen Lappen die ganze Breite der
Bauchhöhle hinter und unter dem Herzen und vor dem Magen und
den Wolff’schen Körpern einnimmt. Schon in der vierten Woche
zeigt die Leber des Menschen die Grösse, die Sie in der Fig. 187
dargestellt sehen, und was ihre Lage in dem natürlich gekrümmten
Embryo darstellt, so können Sie dieselbe aus der Fig. 161 entneh-
men, in der die Leber über dem Nabelstrang und unter dem Herzen
durchschimmert. Während des zweiten Monates wächst nun die
Leber rasch zu einem colossalen Organe heran, das am Ende dieses
und im dritten Monate, aus welchem die Fig. 188 Ihnen dieselbe

Fig. 186. Darm des in Fig. 60 dargestellten Hundeembryo von unten vergr.
dargestellt. Nach Bischoff. a Kiemen- oder Visceralbogen, b Schlund- und
Kehlkopfanlage, c Lungen, d Magen, f Leber, g Wände des Dottersackes, in
den der mittlere Theil des Darmes noch weit übergeht, h Enddarm.


[382]Fünfunddreissigste Vorlesung.
zeigt, fast die ganze Unterleibshöhle ausfüllt und mit ihren unteren
Enden die Regiones hypogastricae erreicht, sodass nur ein kleiner
Raum hinter ihr und in dem Einschnitte zwischen ihren beiden Lap-
pen frei bleibt, in welchem letzteren Dünndarmschlingen und um

Figure 187. Fig. 187.


Figure 188. Fig. 188.


diese Zeit auch der Processus vermicularis
mit dem Coecum wahrgenommen werden.
Diese ungemeine Grösse ist nun auch für
die ganze spätere Periode des Embryonal-
lebens characteristisch, immerhin ist zu
bemerken, dass die Leber allerdings in der
zweiten Hälfte der Schwangerschaft nach
und nach etwas zurückbleibt, d. h. nicht
in demselben Verhältnisse wächst wie die
übrigen Theile, was namentlich vom linken Lappen gilt, der nun
allmälig kleiner erscheint als der rechte. Nichts destoweniger ist die
Leber noch am Ende der Schwangerschaft relativ viel grösser als

Fig. 187. Menschlicher Embryo von 25—28 Tagen nach Coste gestreckt
und von vorn dargestellt nach Entfernung der vorderen Brust- und Bauchwand
und eines Theiles des Darmes. n Auge, 3 Nasenöffnung, 4 Oberkieferfortsatz,
5 vereinigte Unterkieferfortsätze des ersten Kiemenbogens oder primitiver Un-
terkiefer, 6 zweiter, 6″ dritter Kiemenbogen, b Bulbus Aortae, o, o′ Herz-
ohren, vv rechte und linke Kammer, u Vena umbilicalis, f Leber, e Darm,
a′ Arteria omphalo-mesenterica, j′ Vena omphalo-mesenterica, mWolff’sche Kör-
per, t Blastem der Geschlechtsdrüse, z mesenterium, r Enddarm, n Arteria,
u Vena umbilicalis
, 7 Mastdarmöffnung oder Oeffnung der Kloake, 8 Schwanz,
9 vordere, 9′ hintere Extremität.


Fig. 188. Brust- und Baucheingeweide eines zwölf Wochen alten Embryo
in natürlicher Grösse. v Coecum mit dem Proc. vermicularis, dicht an der Leber
und fast in der Mittellinie gelegen.


[383]Entwicklung der Darmdrüsen.
beim Erwachsenen. Ihr Gewicht zu dem des Körpers verhält sich im
ersteren Falle wie 1:18, im letzteren wie 1:36, und was ihre Er-
streckung anlangt, so erfüllt beim reifen Embryo immer noch der
linke Lappen fast das ganze Hypochondrium und reicht der scharfe
Rand des Organes bis in die Nabelgegend oder selbst etwas unter-
halb dieselbe. — Mit der Geburt erfährt die Leber eine rasche Ver-
minderung an Grösse und Gewicht, was daher rührt, dass nun auf
einmal der Blutzufluss von Seiten der Umbilicalvene wegfällt, ein
Verhalten, das zur Aufstellung der sogenannten Leberprobe,
Docimasia hepatis, in der gerichtlichen Medicin geführt hat, deren
geringe Brauchbarkeit Ihnen jedoch klar werden wird, wenn Sie be-
denken wollen, dass das Gewicht der Leber des reifen Fötus inner-
halb ziemlich bedeutender Grenzen variirt. Die Abnahme der Leber
nach der Geburt macht übrigens im Zusammenhange mit der Zu-
nahme des Pfortaderkreislaufes und dem nie stille stehenden Wachs-
thume des Organes selbst, bald wieder einer Volumenszunahme
Platz, welche dann nach und nach die Form der Leber erzeugt, die
Sie vom Erwachsenen kennen, wobei nur mit Bezug auf den linken
Lappen zu bemerken ist, dass sein relatives Zurückbleiben in der
nachembryonalen Zeit viel entschiedener, aber bei verschiedenen
Individuen sehr verschieden ausgeprägt ist als früher.


Die feineren Verhältnisse anlangend, so ist die Entwicklung derInnere Verände-
rungen der sich
entwickelnden
Leber.

Leber äusserst merkwürdig und zeigt keine andere Drüse vollkom-
men Gleiches. Nach Remak’s Untersuchungen, welche bis jetzt über
diesen Gegenstand allein Licht verbreitet haben, entsteht die zwei-
lappige compacte Anlage der eigentlichen Leber aus den zwei ge-
nannten primitiven Lebergängen durch zwei besondere Wachsthums-
phänomene, die man wohl auseinander zu halten hat. Das eine be-
ruht auf einer Wucherung der die primitiven Lebergänge umhüllen-
den Faserschicht, die, wie Sie wissen, die Fortsetzung der Faserlage
des Darmes ist. In Folge dieser Wucherung vereinen sich die beiden
primitiven Lebergänge über dem Stamme der Vena omphalo-mesente-
rica
und wird aus denselben, gleichzeitig mit der Bildung zahlreicher
von der genannten Vena aus sich entwickelnder Blutgefässe, ein
massiges zweilappiges Organ gebildet, dessen äussere Gestalt dem
Verhalten der inneren Drüsenelemente auch nicht von Ferne ent-
spricht. Während nämlich die Faserschicht der Lebergänge in be-
sagter Weise die äussere Form des Organes bedingt, entwickeln sich
von dem Epithel der primitiven Lebergänge aus solide Sprossen
[384]Fünfunddreissigste Vorlesung.
in die Faserschicht hinein, die Lebercylinder von Remak, welche,
nach Art der Anlage traubenförmiger Drüsen weiter wuchernd, sich
verästeln und zugleich — und diess ist der Leber eigenthümlich —
auch durch Anastomosen sich verbinden, in der Art, dass auch die
Sprossen der beiden Lebergänge unmittelbar in Verbindung treten.
Ist dieser Vorgang zu einiger Entwicklung gediehen, so findet man
dann im Innern der beiden Leberlappen ein schon ziemlich ent-
wickeltes Netzwerk von Lebercylindern, von denen eine gewisse Zahl
mit den gleichfalls leicht ästig gewordenen Epithelialschläuchen der
ursprünglichen Lebergänge zusammenhängt, während das Ganze von
der Faserschicht umhüllt und durchzogen wird, welche im Innern
als Trägerin der reichlichen Blutgefässe dient, die alle Lücken zwi-
schen dem Netzwerk der Cylinder erfüllen. Beim Hühnchen hat die
Leber am Ende des fünften und am sechsten Tage den hier geschil-
derten Bau und sind um diese Zeit alle ursprünglich dagewesenen
freien Enden von Lebercylindern verschwunden, mit andern Wor-
ten, in der Netzbildung derselben aufgegangen.


Bei den Säugethieren ist die weitere Entwicklung der primiti-
ven Leberanlage noch von Niemand verfolgt, dagegen besitzen wir
einige Daten über den Bau der jungen Leber selbst, welche an die
Angaben Remak’s vom Hühnchen sich anreihen. Schon vor längerer
Zeit hat Valentin angegeben (Entw. St 519), dass er bei einem 5‴
langen Schweineembryo Anastomosen der Gallenkanälchen ge-
sehen zu haben glaube. Später wurde dann von mir mitgetheilt
(Mikr. Anat. II, 2. St. 246), dass die Leber eines sieben Wochen
alten menschlichen Embryo schon ganz und gar aus den zier-
lichsten Netzen von Leberzellenbalken gebildet sei und einige Jahre
später meldete Remak dasselbe von 6‴ langen Kaninchenembryonen
(Unters. St. 119). Diesen Erfahrungen kann ich jetzt noch die über
einen 6‴ langen menschlichen Embryo der vierten Woche anreihen,
bei dem die Leber im Innern, abgesehen von den Blutgefässen, eben-
falls einzig und allein aus Netzen solider Leberzellenbalken oder Le-
bercylinder bestand, an denen keine freien Enden zu sehen waren.
Diesem zufolge wird wohl nicht zu bezweifeln sein, dass auch bei den
Säugethieren die Leberanlage nach demselben Typus zur jungen Le-
ber sich entwickelt, welchen Remak beim Hühnchen aufgedeckt hat.


Die Art und Weise wie die Netze der Lebercylinder der ganz
jungen Leber zu den Drüsenelementen der fertigen Leber sich um-
wandeln, ist noch wenig verfolgt. Immerhin kann ich Ihnen einen
[385]Entwicklung der Darmdrüsen.
wichtigen Satz als vollkommen gesichert hinstellen, nämlich den,
dass die Leberzellen des Erwachsenen Abkömmlinge der Zellen der
primitiven Lebercylinder und somit auch derjenigen des Darmdrü-
senblattes des Embryo sind. Mit dieser Erkenntniss, die wir Remak
verdanken, tritt die Leber, so eigenthümlich auch sonst ihr Bau sein
mag, doch auf jeden Fall in die Reihe der übrigen Darm- und Haut-
drüsen ein, deren Drüsenzellen auch sammt und sonders auf die
innere und äussere epitheliale Bekleidung des Embryo zurückzufüh-
ren sind. Unermittelt ist das Nähere der Umwandlung der primiti-
ven Netze der Lebercylinder in die späteren anastomosirenden Le-
berzellenbalken, doch ist auch in dieser Beziehung wenigstens so
viel sicher, dass dieselbe im Wesentlichen durch fortgesetzte Zellen-
vermehrung zu Stande kommt, von welcher in jeder jungen Leber
die deutlichsten Anzeichen zu treffen sind. Mit Bezug auf die Um-
wandlung des primitiven Netzwerkes selbst sind zwei Vorgänge ge-
denkbar. Einmal könnte sich dasselbe mehr direct in das spätere
Netz der Leberzellenbalken umwandeln, dadurch, dass seine Stränge
unter fortgesetztem Wachsthum in die Länge und Dicke immer wie-
der von Neuem sich spalteten, bei welcher Spaltung möglicherweise
die Blutgefässe eine Hauptrolle spielen, dadurch dass dieselben mit
ihren Sprossen die Lebercylinder durchbrechen. Zweitens lässt sich
aber auch annehmen, dass das primitive Netz durch Bildung freier
Sprossen, die immer von Neuem anastomosiren, an Umfang gewinnt.
Für das Vorkommen solcher freier Sprossen auch in späteren Zeiten
sprechen nicht nur eine Reihe älterer Beobachtungen besonders von
J. Müller (de gland. secern. struct. pen.), sondern es will auch in
unseren Tagen Remak solche bei älteren Kaninchenembryonen wahr-
genommen haben, ich muss Ihnen jedoch bemerken, dass nach dem,
was ich bei menschlichen Embryonen gesehen, dieselben, wenn sie
vorkommen, hier auf keinen Fall eine grössere Rolle spielen. Sei dem
wie ihm wolle, so geht auf jeden Fall das ganze mächtige Netz der
Leberzellenbalken der ausgebildeten Leber aus den primitiven Le-
bercylindern hervor und ergibt sich somit, dass diese Leberzellen-
balken den feinsten Drüsenkanälen anderer Drüsen entsprechen,
mit dem Bemerken jedoch, dass dieselben gewissermaassen zeit-
lebens auf embryonaler Stufe verbleiben und nie Höhlungen im In-
nern erlangen.


Zur Vervollständigung des Bildes von der inneren EntwicklungGallengänge.
der Leber habe ich nun noch einiger anderer Puncte und vor allem
Rölliker, Entwicklungsgeschichte. 25
[386]Fünfunddreissigste Vorlesung.
der Gallengänge Erwähnung zu thun. Dieselben entwickeln sich
ganz nach dem Typus der Ausführungsgänge der anderen Drüsen
dadurch, dass von den primitiven zwei Lebergängen aus ein Theil
der anfangs soliden Lebercylinder nach und nach sich aushöhlt, ein
Vorgang, der zuerst zur Bildung der grossen Aeste der Lebergänge
und schliesslich zu derjenigen der feinsten noch hohlen Gallenkanäl-
chen führt. Da ursprünglich alle Lebercylinder anastomosiren, beim
Erwachsenen dagegen ausser in der Porta hepatis, wo der Ductus
hepaticus dexter et sinister
die bekannten feinen Anastomosen bilden,
solche nicht vorkommen, so bleibt nichts anderes übrig als anzu-
nehmen, dass später ein Theil der Lebercylinder im Bereiche der sich
bildenden Gallengänge nicht weiter sich entwickelt und schliesslich
durch Resorption verloren geht. — Dass die primitiven Gallengänge
die Ductus hepatici sind, ist Ihnen aus der bisherigen Schilderung
wohl schon klar geworden. Ueber die Bildung des Ductus chole-
dochus
besitzen wir keine Erfahrungen, doch ist wahrscheinlich,
dass derselbe nach Art der Luftröhre durch ein secundäres Hervor-
wuchern der Einmündungsstelle der beiden primitiven Gänge sich
Gallenblase.entwickelt. Die Gallenblase entsteht beim Hühnchen nach Remak
als eine hohle Aussackung des rechten primitiven Leberganges. Bei
Säugern ist ihre erste Entwicklung noch nicht genauer verfolgt und
weiss man nur so viel, dass sie schon im zweiten Monate vorhanden
ist. Sie überragt beim Fötus nie den scharfen Rand der Leber und
zeigt die Falten ihrer Schleimhaut schon im fünften Monate.


Physiologische
Bedeutung der
Leber beim
Fötus.
Zum Schlusse erwähne ich Ihnen nun noch, dass die Leber des
Fötus offenbar ein physiologisch sehr wichtiges Organ ist, wie vor
Allem die grosse Menge Blutes beweist, welche dieselbe durch-
fliesst. Es ist jedoch ihre Bedeutung weniger darin zu suchen, dass
sie Galle secernirt, als darin, dass das Blut in ihr besondere che-
mische und morphologische Umwandlungen erleidet. Der letztere
Punct wird bei der Lehre vom Blute noch weiter zur Besprechung
kommen und erwähne ich Ihnen daher nur noch, dass die Gallen-
secretion zwar schon im dritten Monate auftritt, aber während der
ganzen Fötalperiode nie eine grössere Intensität erreicht. Im dritten
bis fünften Monate findet sich eine gallenähnliche Materie im Dünn-
darme, in der zweiten Hälfte der Schwangerschaft trifft man dieselbe
auch im Dickdarme und zuletzt auch im Mastdarme und nennt man
den grünlich braunen oder braunschwarzen Darminhalt dieser Zeit,
der aus Galle, Schleim, abgelösten Epithelien und mehr zufällig in
[387]Entwicklung der Darmdrüsen.
den Darm gerathenden Theilen der Amniosflüssigkeit besteht, Me-Meconium.
conium oder Kindspech. Die Gallenblase zeigt bis zum sechs-
ten Monate nur etwas Schleim als Inhalt, von da an Galle. Eine
den Ansprüchen der neueren Chemie genügende Analyse der Fötal-
galle fehlt.


Die dritte grössere Darmdrüse, das Pancreas, entwickelt sich,Pancreas.
wie es scheint, ganz nach dem Typus der Speicheldrüsen. Nach
Remak, durch den die älteren Angaben von v. Baer und Rathke eine
weitere Ausführung erfahren haben (Unters. 3. Lief. St. 115), ist beim
Hühnchen, bei dem die Bauchspeicheldrüse etwas nach der Leber
und vor den Lungen um die 65. Brütstunde entsteht, die erste An-
lage des Pancreas eine kleine solide Wucherung der hinteren Darm-
wand in der Höhe des linken primitiven Leberganges, an welcher
beide Darmlagen, das Epithelialrohr und die Faserschicht, jedoch
die erstere mehr, sich betheiligen. Sehr bald entwickelt sich jedoch
eine kleine mit dem Darm communicirende Höhle in dieser Anlage
(Remak, Taf. VI. Fig. 73), was Remak zuerst veranlasste, das Pancreas
als von Anfang an hohl zu bezeichnen. Die weitere Entwicklung
geschieht dadurch, dass die Epithelialschicht der Anlage solide
Sprossen treibt, welche dann nachträglich hohl werden, doch ist
beim Hühnchen das Detail der späteren Stadien nicht verfolgt. Was
die Säugethiere anlangt, so fehlen genauere Untersuchungen über
die Entwicklung dieser Drüse und kann ich Ihnen nur angeben, dass
nach Bischoff (Entw. St. 326) bei einem 7‴ langen Rindsembryo das
Pancreas innerhalb eines von der äusseren Darmhaut ausgehenden
Blastemes als «ein gabelförmig getheiltes Stück Drüsenkanal» zu sehen
war. Bei einem 8‴ langen Rindsembryo war der nur einmal ge-
theilte Stamm der Drüse rundherum mit zwölf bis vierzehn rund-
lichen Anschwellungen besetzt, so dass er einer Dolde glich, und
auch in späteren Zeiten zeigten sich die Zweige immer sehr dicht
mit Knospen besetzt, und liessen sich daher bei Weitem nicht so
übersehen wie bei den Speicheldrüsen. Sie sehen leicht ein, dass
aus diesen Angaben, so dankenswerth sie sind, doch das feinere
Verhalten der Drüse bei ihrer Entwicklung sich nicht entnehmen
lässt und wird es Ihnen daher nicht unerwünscht sein zu hören,
dass nach meinen Erfahrungen beim Menschen das Pancreas in
der That nach demselben Typus sich anlegt, wie beim Hühnchen.
Bei meinem vier Wochen alten Embryo zeigte das Pancreas einen
einfachen weiten und hohlen Ausführungsgang, der an seinen Seiten
25*
[388]Fünfunddreissigste Vorlesung.
und am verschmälerten Ende mit einigen (ich zählte sieben) ge-
schlängelten Nebengängen versehen war, von denen jeder in seinem
schmäleren Anfangstheile schon ein Lumen besass, dagegen am Ende
in eine solide rundlich birnförmige Knospe ausging. Am Ende des
zweiten Monates fand ich die Drüse in ihren Hauptabtheilungen be-
reits vollkommen angelegt, jedoch fällt die Bildung der hohlen Drü-
senbläschen in eine bedeutend spätere Zeit, denn im dritten Monate
traf ich die rundlichen Enden der Drüsengänge noch vollkommen
solid, obschon ihr Durchmesser bereits 0,02‴ betrug.


Ductus
pancreatici
.
Das Pancreas hat, wie Ihnen bekannt ist, sehr häufig, ja wahr-
scheinlich immer zwei Ausführungsgänge, es ist jedoch bis jetzt noch
durchaus unklar, wie der zweite Gang sich bildet. Da nach v. Baer
beim Hühnchen öfter ein Rudiment eines rechten Pancreas sich an-
legt, das aber bald verschwindet, so könnte man daran denken,
dass beim Menschen dieses rechte Rudiment zum Ductus pancreaticus
minor
sich umgestaltet. Es stellen sich jedoch dieser Vermuthung
manche Bedenken entgegen, vor Allem die, dass das Pancreas nach
Rathke und Remak in der hinteren Mittellinie sich entwickelt und
nur secundär eine einseitige Lage annimmt, sowie ferner dass auch
das Hühnchen zwei pancreatische Gänge besitzt, welche um so mehr
Beachtung verdienen, als Remak Andeutungen über eine ganz andere
Bildung des zweiten Ganges gegeben hat (St. 115), denen zufolge der-
selbe ein erst secundär mit dem Darm sich verbindender Ausläufer
des grösseren Ganges zu sein scheint. — Unaufgeklärt ist auch bis
jetzt, wie es kommt, dass später der Ductus pancreaticus und chole-
dochus
neben einander ausmünden, da dieselben doch ursprünglich,
der eine vorn und der andere hinten am Duodenum entstehen. Im
dritten und vierten Monate mündet nach Meckel der Wirsungianus
oben und links in die Pars descendens, der Choledochus unten und
rechts, im fünften Monate dagegen liegen beide Gänge neben ein-
ander.


Als Anhang zu den Darmdrüsen beschreibe ich Ihnen nun noch
die Entwicklung dreier sogenannter Blutgefässdrüsen, der Milz, der
Thymus und der Thyreoidea, die sich wohl am besten hier an-
reihen.


Milz.Die Milz bietet mit Bezug auf ihre Entwicklung nur geringes
Interesse dar. Dieselbe entwickelt sich im zweiten Monate, wann ist
nicht genau bekannt, im Magengekröse dicht am Magen aus einem
Blasteme, das dem mittleren Keimblatte, genauer bezeichnet den
[389]Entwicklung der Darmdrüsen.
Mittelplatten angehört und wächst, verglichen mit der Leber, nur
langsam hervor, so dass sie in der ersten Hälfte des dritten Monates
nur etwa ¾‴ Länge und weniger denn ½‴ in der Breite misst.
Anfangs nur aus kleinen Zellen bestehend entwickeln sich im drit-
ten Monate Gefässe und Fasern in dem Organe und wird dasselbe
bald sehr blutreich. Dagegen treten die Malpighischen Körperchen
erst am Ende der Fötalperiode auf, ohne dass bis jetzt über die erste
Zeit ihres Erscheinens und ihre Entwicklung, die übrigens kaum et-
was Besonderes darbieten wird, Genaueres bekannt wäre.


Ueber die Entstehung der Schilddrüse verdanken wir dieSchilddrüse
des Hühnchens.

ersten genaueren Untersuchungen Remak, aus denen für das Hühn-
chen das bemerkenswerthe Resultat sich ergeben hat, dass dieses
Organ aus dem Schlunde sich hervorbildet, eine Aufstellung, deren
erster Urheber allerdings eigentlich Arnold ist (Salzb. med. chir.
Zeitschr. 1831. II. St. 237 und 301), der dann aber durch seine
späteren Bemerkungen den wichtigsten von ihm ausgesprochenen
Satz, dass die Höhle der Thyreoidea ursprünglich mit derjenigen der
Luftröhre communicire, wieder zurücknahm (Anat. II. St. 1321).
Nach Remak bemerkt man beim Hühnchen um die 70. Brütstunde
an der Vereinigungshaut der Kiemenbogen dicht über dem Aorten-
ende des Herzens und ziemlich im Niveau mit der Abgangsstelle
der beiden Lungen, deren gemeinschaftlicher Stiel noch fehlt, einen
weisslichen runden Fleck von 1/15‴ Grösse, der von einer Verdickung
des Schlundepithels herrührt. Dieser Theil des Epithels bildet dann
eine sackförmige Ausstülpung, die sammt einer von der Schlund-
wand herrührenden Faserhülle von derselben sich abschnürt und
später an die Theilungsstelle der primitiven Aorta zu liegen kommt
(Unters. Taf. IV. Fig. 49. 50, Taf. V. Fig. 70). Die weitere Entwick-
lung dieser einfachen hohlen Schilddrüsenanlage ist von Remak nicht
durch alle Stadien verfolgt worden, immerhin hat er folgendes con-
statirt. Zunächst theilt sich die Anlage in zwei runde hohle Blasen,
die neben die Luftröhre an die Innenfläche der Carotis gelangen
(l. c. Tab. IV. Fig. 51 [fälschlich als 50 bezeichnet], Fig. 52). An
Grösse zunehmend erhält jede Schilddrüsenblase an ihrer Oberfläche
neue Einschnürungen, die als die Andeutungen der Lappen der
fertigen Drüse zu betrachten sind, jedoch erst am Ende der Fötal-
periode ganz von einander sich sondern. Ehe diess geschieht, treibt
die Epithelialwand der Blase solide Sprossen, die sich abschnüren
und dann später auch eine Höhle bekommen, ein Vorgang, der somit
[390]Fünfunddreissigste Vorlesung.
ganz mit dem bei der Bildung der gewöhnlichen traubenförmigen
Drüsen übereinkommt. Welchen Antheil die Abschnürungen der ur-
sprünglichen hohlen Blasen und welchen die letztgenannten soliden
Sprossen an der Bildung der späteren Drüsenfollikel haben und was
aus den Resten der ursprünglichen Blase wird, das hat Remak nicht
bestimmt genug ermittelt, immerhin ist es schon interessant genug
zu wissen, dass die Drüsenanlage in doppelter Weise sich vermehrt
und vergrössert.


Schilddrüse der
Säuger.
Was die Säugethiere und den Menschen anlangt, so ist
die erste Entwicklung der Schilddrüse gänzlich unbekannt, dagegen
sicher, dass sie sehr früh auftritt und längere Zeit hindurch aus
zwei getrennten Hälften besteht. Ersteres anlangend so sah Bischoff
die Drüse bei 1″ langen Rindsfötus und ich habe sie schon bei sol-
chen von 7—8‴ wahrgenommen, und doch war sie in beiden Fällen
nicht in der ersten Anlage begriffen, denn sie bestand schon ganz
und gar aus kleinen Drüsenkörnern, die ich zu 0,01—0,02‴ be-
stimmte. Beim Menschen habe ich ihrem ersten Auftreten nicht
nachgespürt und weiss ich nur so viel, dass sie in der siebenten bis
achten Woche doppelt vorhanden ist und ebenfalls aus kleinen Folli-
keln besteht. Die Entwicklung dieser betreffend so habe ich schon
früher mitgetheilt (Mikr. Anat. II, 2. St. 331), dass allem Anscheine
nach beim Menschen die Follikel durch Treiben rundlicher Sprossen
und Abschnürung derselben sich vervielfältigen, eine Angabe, die
später Remak für Schweinsembryonen bestätigt hat (l. c. St. 122).
Doch glaubt Remak auch hier eine Vermehrung der Blasen durch Bil-
dung solider Epithelialknospen wahrgenommen zu haben (Unters.
Taf. VIII. Fig. 13), was ich nach meinen neueren Erfahrungen voll-
kommen bestätigen muss. Bei Kalbsembryonen von 3″ Länge, bei
denen die zwei Schilddrüsenanlagen schon durch einen Isthmus ver-
bunden sind, zeigten dieselben nur im Innern kleine hohle Follikel,
während die oberflächlichen Lagen ganz und gar aus eigenthüm-
lichen soliden Zellenhaufen von den verschiedensten Formen bestan-
den. Durch Präparation gelang es ziemlich lange, gewundene, leicht
ästige Stränge von 0,008—0,015‴ Breite zu isoliren, welche theils
seitlich, theils endständig mit cylindrischen oder leicht angeschwol-
lenen Sprossen besetzt waren, doch kann ich nicht sagen, dass es
mir geglückt ist, diese Gebilde, die in ihrem Bau sehr an Leber-
zellenbalken erinnern, vollständig darzustellen und ihre Form genau
zu bestimmen. Sei dem wie ihm wolle, so ist doch auf jeden Fall
[391]Entwicklung der Darmdrüsen.
sicher, dass auch bei Säugethieren solide Zellensprossen
eine grosse Rolle bei der Entwicklung der Schilddrüse
spielen
, ja es scheint selbst, dass das Organ vor allem durch
solche Sprossen seine endliche Zahl von Follikeln erhält, indem,
während dieselben fortwuchern, immer einzelne Theile derselben
sich abschnüren und dann zu hohlen Blasen sich umwandeln.


Eine besondere Erwähnung verdienen noch die von Remak beimSchlundspalt-
drüsen des
Hühnchens.

Hühnchen aufgefundenen und anfänglich mit der Thymus verwech-
selten Nebendrüsen der Schilddrüse oder Schlundspaltdrü-
sen, welche dadurch entstehen, dass das Epithel der letzten beiden
Schlundspalten bei der Schliessung derselben zu selbständigen läng-
lich runden Körpern sich abschnürt und später mit den Aortenbogen
von der Schlundwand sich ablöst (Unt. Taf. IV. Fig. 51, 52, Taf. V.
Fig. 70. Taf. VIII. Fig. 8 u. 9). Diese Gebilde nehmen übrigens nie
den Bau der Schilddrüse an und sind bei reifen Hühnchen nur noch
spurweise vorhanden. Analoga dieser Gebilde kommen vielleicht
auch bei Säugethieren vor und wird man, wie Remak hervorhebt,
weiter vor Allem an die von ihm aufgefundenen Wimperblasen in der
Nähe der Thymus von jungen Katzen und ein anderes gelbliches drü-
siges Organ in derselben Gegend sein Augenmerk zu lenken haben
(Unt. St. 124 u. 191).


Schliesslich gedenke ich noch der durch die neueren Unter-Thymus.
suchungen immer wichtiger sich herausstellenden Thymus. Die
allererste Entwicklung dieses Organes ist noch in tiefes Dunkel ge-Erste Anlage
des Organes.

hüllt, doch ist nicht im Geringsten zu bezweifeln, dass dasselbe nicht
aus dem Darmdrüsenblatte, sondern aus dem mittleren Keimblatte
und zwar vielleicht aus der Faserschicht des Anfangsdarmes seinen
Ursprung nimmt. Der erste Beobachter früher Stadien der Thymus,
Bischoff, beschreibt dieselbe bei gestreckt 1″ messenden Rindsem-
bryonen als zwei sehr zarte, dicht neben einander vor der Luftröhre
gelegene Blastemstreifen, die am Kehlkopfe mit der Schilddrüse zu-
sammenzuhängen schienen (Entw. St. 288). Etwas später schildert
auch J. Simon (A phys. essay on the thymous gland. London. 1845.
pag. 20 u. flgde.) die Thymus von Schweins- u. Rindsembryonen
von ¾—1½″ in ähnlicher Weise, nur liegt dieselbe nach ihm längs
der Carotiden vom Herzen an bis in die Höhe des Unterkiefers. Nach
Simon besteht die Thymusanlage aus einem von einer zarten struc-
turlosen Membran mit stellenweisen spindelförmigen Verdickungen
gebildeten Schlauche von nur 1/1190″, der äusserlich schwache An-
[392]Fünfunddreissigste Vorlesung.
deutungen einer Hülle von embryonalem Bindegewebe zeigt und im
Innern anfangs nichts als eine körnige Masse enthält, neben der
aber bald auch eine gewisse Zahl von Kernen auftreten. Diese Er-
fahrungen von Simon kann ich für 1—1½″ lange Rindsembryonen
vollkommen bestätigen mit einziger Ausnahme dessen, was sich auf
den Inhalt des Schlauches bezieht, den ich aus kernhaltigen Zellen
zusammengesetzt fand, und glaube ich diesem zufolge annehmen zu
dürfen, dass die allererste Anlage des Organes ein Zellenstrang ist,
der dann durch Ausscheidung von diesen aus eine structurlose zarte
Hülle erlangt, in ähnlicher Weise, wie diess bei der Chorda dorsalis
sich nachweisen lässt.


Weitere
Entwicklung der
Thymus.
Die weitere Entwicklung der Thymus des jungen Embryo, die
bis jetzt einzig von Simon (l. c.) und mir (Mikr. Anat. II, 2. St. 343)
verfolgt worden ist, lässt sich in wenige Worte zusammenfassen.
Von dem primitiven Thymusschlauche aus bilden sich seitliche Wu-
cherungen, welche, anfangs einfach, bald zu ganzen Gruppen von
Knospen sich umbilden, die den Kanal in seiner ganzen Länge be-
setzen und die ersten Andeutungen der grossen Thymusläppchen
darstellen. Alle diese Knospen besitzen dieselbe structurlose Hülle,
wie der primitive Schlauch und im Innern Zellen und ist klar, dass
eine reichliche Vermehrung dieser Zellen, zusammengenommen mit
einem Wachsthume der Hülle, das Organ aus seiner ersten einfachen
Gestalt in die spätere gelappte Form überführt. Hat die Lappenbil-
dung das Stadium erreicht, in dem der ursprüngliche Strang mit ein-
fachen rundlichen Knospen besetzt ist, was in verschiedenen Gegen-
den der Thymus in verschiedenen Zeiten auftritt, so zeigen sich Blut-
gefässe in der bindegewebigen Hülle des Organes und tritt zugleich
auch ein Unterschied im Innern auf, indem die Centralsubstanz des
ganzen Organes heller wird und wie eine besondere Marksubstanz
erscheint. Mit der weiteren Entwicklung bilden sich dann nur in
der Rindensubstanz Blutgefässe und zarte Bindegewebszüge aus und
erscheint dann mit der Consolidirung dieser Substanz das Innere
allmälig als ein mit den ursprünglichen Elementen gefüllter Kanal,
der aber, wie Sie leicht einsehen, mit einem Drüsenkanale keine
Vergleichung zulässt.


Ueber die Einzelnverhältnisse der Entwicklung des Organes
hebe ich von Thieren, in Betreff welcher ich Sie sonst an J. Simon
verweise, nur das hervor, dass noch bei 2½—3‴ langen Rinds-
embryonen alle Stadien der Entwicklung an der grossen leicht dar-
[393]Entwicklung der Darmdrüsen.
stellbaren, weissen und vom Kieferwinkel bis zum Herzen verlaufen-
den Thymus nachzuweisen sind, indem selbst um diese Zeit die in

Figure 189. Fig. 189.


der Höhe des Kehlkopfes liegende schmale Stelle
des Organes aus nichts als aus dem gewucher-
ten primitiven Thymusschlauche besteht, an
dem dann nach auf- und abwärts alle Stadien
der Sprossenbildung leicht nachzuweisen sind.
Was den Menschen anlangt, so habe ich die
Thymus in der siebenten Woche im unteren
Theile schon gelappt, im oberen, am Halse bis
zur Thyreoidea hin gelegenen Abschnitte ein-
fach gefunden. Bei einem Embryo von zehn
Wochen war das doppelte Organ im unteren
Theile dreieckig, 0,88‴ lang, 1,1‴ breit und
ging nach oben in zwei 0,64‴ lange, 0,16‴,
am Ende nur 0,04—0,02‴ breite Hörner aus.
Diese Hörner bestanden jedes wesentlich aus
einem einfachen mit Zellen gefüllten Cylinder
mit einer zarten scheinbar structurlosen Hülle
von 0,001‴ und einer stärkeren Bindegewebsschicht, doch war ihr
oberes und unteres Ende nicht ganz gleich, indem ersteres nur leicht
gewunden und zum Theil an den Rändern etwas buchtig war, wäh-
rend das andere stark buchtig und mit vereinzelten oder haufen-
weise beisammenstehenden Auswüchsen von 0,02—0,03‴ besetzt
war, die zum Theil schon wie eine innere Höhlung zeigten. Der
dickere Brusttheil des Organes war ganz mit Läppchen besetzt, an
denen wiederum einfachere Drüsenkörner sichtbar waren. In der
zwölften Woche war die Thymus nicht viel grösser, aber auch an
den Hörnern mit Läppchen besetzt.


Ueber die späteren Entwicklungsverhältnisse der Thymus zu
reden ist hier nicht der Ort und verweise ich Sie in dieser Beziehung
auf die Handbücher der Anatomie und Gewebelehre.


Fig. 189. Ein Stück des oberen Endes der Thymus eines 3″ langen Kalbs-
embryo etwa 30mal vergrössert. a einfacher noch nicht mit Knospen besetzter
oberer Theil des Thymusschlauches, b mit Knospen verschiedener Grösse
besetzter Theil des Kanales; c hellere Marksubstanz, die spätere Höhle des
Thymuskanales.


[[394]]

Sechsunddreissigste Vorlesung.


VI. Entwicklung des Gefässsystems.


Wir haben, meine Herren, in den früheren Stunden schon zu
wiederholten Malen Gelegenheit gehabt, die erste Entwicklung des
Gefässsystemes und des Blutes zu besprechen (Vorl. IX, XII, XIII),
so dass es nicht nöthig erscheint, noch einmal auf diesen Gegenstand
zurückzukommen und nur noch erübrigt, die weitere und letzte Aus-
Herz.
Erste
Entwicklung.

Figure 190. Fig. 190.


bildung der einzelnen Theile dieses Systems
zu schildern.


Was nun vor Allem das Herz anlangt,
so erinnere ich Sie noch einmal daran, dass
dasselbe ursprünglich nichts als eine Ver-
dickung der Faserwand des Vorderdarmes
ist, welche dann von diesem sich ablöst und
bald zu einem anfangs geraden Schlauche
sich umwandelt, der aus seinem vorderen
Ende zwei Arcus aortae entsendet, während
er auf der anderen Seite zwei Venae om-
phalo-mesentericae
aus dem Fruchthofe auf-
nimmt (Fig. 43). In diesem Stadium ist das
Herz beim Menschen noch nicht gesehen,
wohl aber auf dem nächstfolgenden, wo es
S förmig sich zu krümmen beginnt, in wel-
chem Coste dasselbe bei einem 15—18 Tage
alten Embryo antraf (Fig. 190). Ist diese

Fig. 190. Menschlicher Embryo der 3. Woche von vorn vergr. mit geöffne-
tem und grösstentheils entferntem Dottersack. a Allantois, hier schon Nabel-
strang, u Urachus oder Stiel derselben, i Hinterdarm, v Amnios, o Dottersack
oder Nabelblase, g primitive Aorten, unter den Urwirbeln gelegen; die weisse
Linie ist die Trennungslinie zwischen beiden Gefässen, x Ausmündung des
Vorderdarmes in den Dottersack, h Stelle, wo die Vena umbilicalis und die Venae


[395]Entwicklung des Gefässsystems.
Krümmung mehr ausgebildet (Fig. 191), so erkennt man zwei Haupt-
biegungen, eine der arteriellen Seite, unten, vorn und rechts unter-
halb des Ursprunges der Aorta und eine des venösen Abschnittes
oben, hinten und links über der Einmündungsstelle der Venen.

Figure 191. Fig. 191.


Figure 192. Fig. 192.


Figure 193. Fig. 193.


Ausserdem findet sich anfangs auch eine starke Biegung am Ur-
sprunge der Aorta, die in der Fig. 190 sehr stark ausgeprägt ist,
später aber verschwindet. Im weiteren Verlaufe krümmt sich nun
das Herz so zusammen, wie Ihnen die Figg. 192 und 193 nach

omphalo-mesentericae n zusammentreffen, um ins Herz einzumünden, p Peri-
cardialhöhle, c Herz, b Aorta, t Stirnfortsatz. Nach Coste.


Fig. 191. Hundeembryo nach eben angelegtem erstem Kreislauf von unten,
etwa 10mal vergr. Nach Bischoff. Herz Sförmig, daneben die zwei primitiven
Gehörbläschen, vor denselben die zwei ersten Kiemenbogen und das umgebo-
gene vorderste Ende des Kopfes mit den zwei primitiven Augenblasen. Im
Fruchthofe sind die Venae omphalo-mesentericae mit ihren beiden Stämmen
deutlich und fünf Paar Arteriae omphalo-mesentericae, zu denen noch die Enden
der primitiven Aorten sich gesellen, die um den Rand der Beckenbucht herum
auch in den Fruchthof treten.


Fig. 192. Herz eines Kaninchenembryo, vergrössert, nach Bischoff, von
hinten. a Venae omphalo-mesentericae, d rechte Kammer, e Bulbus aortae, f sechs
Aortenbogen, c Vorhof, b Auriculae.


Fig. 193. Das Herz der Fig. 192 von vorn, nach Bischoff. ta Truncus ar-
teriosus, ca
Ohrkanal, l linke Kammer, r rechte Kammer, a Vorhof, v Ve-
nensinus.


[396]Sechsunddreissigste Vorlesung.
Bischoff von einem Kaninchenembryo zeigen, und zugleich ent-
wickeln sich auch besondere Ausbuchtungen und eingeschnürte
Stellen. Die Krümmung anlangend, so biegt sich der Herzkanal so,
dass die venöse Krümmung von links nach rechts gegen die Aorta
rückt und selbst etwas hinter dieselbe zu liegen kommt, was dann
auch die Folge hat, dass die Einmündungsstelle der Venen ihre Lage
hinter der arteriellen Krümmung einnimmt, so dass das Herz im
Ganzen in verschiedenen Ebenen liegt, wie diess auch die Fig. 59
auf St. 116 einigermaassen versinnlicht. Von den anderweitigen Ver-
änderungen sind die bemerkenswerthesten das Auftreten von zwei
leichten seitlichen Ausbuchtungen (Fig. 192) an der venösen Krüm-
mung und der Zerfall der arteriellen Krümmung in der Längsrich-
tung in zwei besondere Abschnitte, so dass nun das ganze Herz aus
folgenden Theilen besteht. Dicht über einem kurzen Venenstamme,
der die beiden Venae omphalo-mesentericae aufnimmt, erscheinen
die beiden Ausbuchtungen, welche die Gegend der späteren Vor-
kammern bezeichnen aber nicht schon selbst die Atrien, sondern
nur die Auriculae darstellen. Durch eine leichte Einschnürung,
Canalis
auricularis
.
den Canalis auricularis oder den Ohrkanal der Embryologen,
von dem Vorhofe getrennt, folgen dann die beiden Auftreibungen l
und r mit einer Zwischenfurche, die linke und rechte Kammer.
Zwischen dieser und dem Aortenstamme, der gewöhnlich als Aor-
tenzwiebel, Bulbus aortae
, bezeichnet wird, haben die älteren
Forscher auch eine verengte Stelle unter dem Namen Fretum Hal-
leri
beschrieben, es ist jedoch zu bemerken, dass diese Einschnü-
rung, die in der Fig. 192 in der Ansicht von hinten zu sehen ist,
wenn beständig, doch sicherlich bei Säugethierembryonen bald ver-
geht. An dem zweitjüngsten bis jetzt bekannt gewordenen mensch-
lichen Herzen eines 5‴ langen Embryo aus der dritten Woche, das
bei Ecker (Icon. phys. Taf. XXX. Fig. XVIII und XIX) abgebildet ist
und fast auf derselben Stufe sich befand, wie das Kaninchenherz der
Figg. 192 und 193, war von einer solchen Einschnürung nichts zu
sehen, während die Furche zwischen den beiden Kammern, die ich
Sulcus inter-
ventricularis
.
Sulcus interventricularis nenne, sehr stark ausgeprägt war,
und ganz sicher ist, dass ältere Embryonen von der vierten Woche
an nie ein sogenanntes Fretum Halleri zeigen. Es möchte daher am
Platze sein, diesen Namen aus den Schilderungen des embryonalen
Herzens wegzulassen und dafür den sehr wichtigen und sehr früh
auftretenden Sulcus interventricularis aufzunehmen.


[397]Entwicklung des Gefässsystems.

Während die Figg. 192 und 193 nur sehr wenig an die gewöhn-
liche Herzform erinnern, so werden Sie nun durch das nächstfol-
gende Stadium, das die Figg. 194 und 195 wiedergeben, gleich in

Figure 194. Fig. 194.


ein bekanntes Gebiet geführt. Und doch ist das
herz auch auf dieser Stufe, wie eine genauere
Betrachtung auf den ersten Blick lehrt, noch

Figure 195. Fig. 195.


sehr eigenthümlich, in-
dem dasselbe immer
noch eine einzige Arterie
aus der rechten Kam-
mer entsendet und nur
Eine Vene aufnimmt,
auch im Innern ohne alle
Andeutung von Schei-
dewänden ist, ganz ab-
gesehen von den äusseren Formabweichungen, die ohne weitere
Hinweisung deutlich sind. Die Art und Weise, wie diese Herzform
aus der nächstvorigen entsteht, ist einfach die, dass das Venenende
noch mehr hinter die Aorta tritt, bis dasselbe endlich genau hinter
ihr seine Lage hat, so dass dann bei einer weiteren Vergrösse-
rung der Herzohren dieselben rechts und links von der Aorta zum
Vorschein kommen und wie die beiden Vorhöfe darstellen, während
die Arterie selbst wie in eine Furche zwischen sie zu liegen kommt.
Mit der Vergrösserung der Herzohren musste natürlich auch der
Ohrkanal viel deutlicher hervortreten, der jedoch immer noch wie
anfangs nur zwischen dem Venenabschnitte und der linken Kammer
seine Lage hat. Die Kammern selbst sind, verglichen mit früher,
grösser, die linke stärkere mehr rund, die rechte eher kolbig und
der Sulcus interventricularis nicht schwächer als er im jüngeren
Herzen erschien.


Für die weiteren Veränderungen halte ich mich nun an das

Fig. 194. Kopf des Embryo der Fig. 61 von unten gesehen, mehr vergr.
Nach Bischoff. a Vorderhirn, b Augen, c Mittelhirn, d Unterkieferfortsatz,
e Oberkieferfortsatz der ersten Kiemenbogen, ff′ f″ zwei bis vier Kiemenbo-
gen, g linkes, h rechtes Herzohr, k rechte, i linke Kammer, l Aorta oder
Truncus arteriosus mit drei Paar Arcus aortae.


Fig. 195. Herz des Embryo der Fig. 194 von hinten gesehen. a gemein-
samer Venensinus, b linke, c rechte Auricula, g rechte, f linke Kammer,
e Ohrkanal, h Truncus arteriosus. Nach Bischoff.


[398]Sechsunddreissigste Vorlesung.
Weitere
Entwicklung des
Herzens.
menschliche Herz. Die Fig. 196 zeigt Ihnen das 2⅔mm lange Herz
des in der Fig. 161 dargestellten vier Wochen alten Embryo, das

Figure 196. Fig. 196.


sehr nahe an die Herzform der Figg. 192 und
193 sich anschliesst. Bemerkenswerth ist neben
der grösseren Entwicklung der Herzohren die
Kleinheit der rechten Kammer, ein Verhalten,
das jedoch nur kurze Zeit so ausgeprägt be-
steht, indem ich bei einem kaum merklich
grösseren Herzen von 2⅔mm eines etwa fünf
Wochen alten Embryo schon die Form antraf,
die Coste (siehe Fig. 197) von einem vier Wo-
chen alten Fötus zeichnet, welcher jedoch, wie
wenigstens die Gestaltung des Gesichtes zu
erkennen gibt, älter war als der von mir in
der Fig. 161 dargestellte. Mit Bezug auf die
anderen Verhältnisse des Herzens der Fig. 196
ist noch Folgendes zu bemerken. Die Aorta
oder der Truncus arteriosus, obschon wie mit einer Furche ver-
sehen, welche aber nur die durchschimmernde Intima ist, war
noch einfach und durch die schiefe Lage ihres Anfanges, so wie
durch die starke Biegung in der Gegend der Vorkammer auffallend.
An dieser ist mit Hinsicht auf die nächstfolgende Zeit besonders der
nahezu gleiche Umfang der beiden Herzohren, von denen das linke
selbst eher etwas grösser ist, zu beachten, ausserdem verdient aber
auch das Verhalten der einmündenden Venen Berücksichtigung.
Statt Einer grossen Vene nämlich, die früher allein vorhanden war,
sehen Sie hier das erste Stadium der Scheidung in die drei späteren
Stämme und zwar ist die rechte Cava superior schon ganz getrennt,
während die Cava inferior und die Cava superior sinistra noch zu-
sammenhängen.


Die weiteren Veränderungen des menschlichen Herzens, die
zwischen die vierte bis achte Woche fallen, sind folgende. Zuerst
und vor Allem wird die rechte Kammer kolbenförmig und grösser

Fig. 196. Herz eines vier Wochen alten, 6‴ langen menschlichen Embryo,
5½mal vergr. I. von vorn, II. von hinten. III. mit geöffneten Kammern und
Vorkammer, deren obere Hälfte entfernt ist. a′ linkes, a″ rechtes Herzohr,
v′ linke, v″ rechte Kammer, ao Truncus arteriosus, s Septum ventriculorum in
der Anlage begriffen, cd Cava superior dextra, cs Cava superior sinistra mit
der Cava inferior. Bei II. ist der Canalis auricularis sehr deutlich.


[399]Entwicklung des Gefässsystems.
und verliert die linke Kammer etwas an Rundung, ohne dass die
Gesammtverhältnisse sich änderten, was zu der Form führt, die die

Figure 197. Fig. 197.


Figure 198. Fig. 198.


Figure 199. Fig. 199.


Fig. 197 darstellt. Dann verlängern sich die
beiden Kammern noch mehr und spitzen sich
zu, während zugleich der Venentheil des Her-
zens und besonders die Herzohren zu einer ganz
unverhältnissmässigen Grösse heranwachsen.
Die Fig. 198 zeigt Ihnen nach Ecker das 1½‴
lange Herz eines etwa sechs Wochen alten Em-
bryo von vorn und die Fig. 199 das 4⅓mm
grosse Herz eines Fötus aus der achten Woche
von der hinteren Seite und werden Sie an bei-
den Figuren leicht von der Grösse der Herzohren
sich überzeugen, von denen das rechte jetzt
entschieden das grössere ist. In der Ansicht von

Fig. 197. Menschlicher Embryo von 25—28 Tagen nach Coste gestreckt und
von vorn dargestellt nach Entfernung der vorderen Brust- und Bauchwand und
eines Theiles des Darmes. n Auge, 3 Nasenöffnung, 4 Oberkieferfortsatz, 5 ver-
einigte Unterkieferfortsätze des ersten Kiemenbogens oder primitiver Unter-
kiefer, 6 zweiter, 6″ dritter Kiemenbogen, b Bulbus Aortae, o, o′ Herzohren,
vv rechte und linke Kammer, u Vena umbilicalis, f Leber, e Darm, a′ Arteria
omphalo-mesenterica, j′ Vena omphalo-mesenterica, m
Wolff′sche Körper, t Bla-
stem der Geschlechtsdrüse, z mesenterium, r Enddarm, n Arteria, u Vena
umbilicalis
, 7 Mastdarmöffnung oder Oeffnung der Kloake, 8 Schwanz, 9 vor-
dere, 9′ hintere Extremität.


Fig. 198. Herz von 1½‴ Länge eines etwa sechs Wochen alten mensch-
lichen Embryo, 4mal vergr., nach Ecker. t linke Kammer, r rechte Kammer,
ta Truncus arteriosus, mit einer Furche bei af, die die Trennungsstelle der
Aorta und Pulmonalis andeutet. Ausserdem sieht man die beiden grossen Herz-
ohren.


Fig. 199. Herz eines acht Wochen alten menschlichen Embryo von 4⅓mm
Länge, etwa 3mal vergr. von hinten. a′ linkes, a″ rechtes Herzohr, v′ linke,
v″ rechte Kammer, cd Cava superior dextra, cs Cava superior sinistra, ci Cava
inferior
.


[400]Sechsunddreissigste Vorlesung.
hinten befinden sich übrigens die Herzohren einfach neben und über
den Kammern, in der anderen Ansicht dagegen erkennt man, wie
dieselben einen guten Theil der Kammern decken, in welcher Bezie-
hung ich Ihnen jedoch zu bemerken habe, dass in der Fig. 198 die
Auriculae nicht ganz in ihrer natürlichen Lage, sondern etwas abge-
hoben gezeichnet sind. Venenmündungen sind jetzt ganz bestimmt
drei vorhanden, von denen die der linken Cava superior durch ihre
Lage alle Beachtung verdient, wie wir diess übrigens später beim
Venensystem noch weiter zu besprechen Gelegenheit haben werden.
Alle diese Venen münden übrigens jetzt noch in einen einfachen Raum
zwischen den Herzohren, den primitiven Vorhof, an dem die spätere
Scheidewand auch in dem Herzen der Fig. 197 nur in den ersten
Spuren vorhanden ist. Wesentlich verändert hat sich dagegen das
Verhalten des Vorhofes zu den Kammern, denn während derselbe
früher (s. die Fig. 196) nur mit der linken Kammer in Verbindung
stand, ist er im Herzen der Fig. 198 auch mit der rechten Kammer
schon etwas in Communication und bei dem Herzen der Fig. 199
erkennt man schon von aussen, dass dieser Zusammenhang ein ganz
inniger sein muss und in der That ergibt auch die innere Unter-
suchung eines solchen Herzens, dass jede Kammer nun durch eine
besondere Oeffnung in den Vorhof übergeht. Von dem Truncus arte-
riosus
endlich ist noch zu bemerken, dass derselbe bei dem jüngern
Herzen eine Furche, als Andeutung seiner beginnenden Theilung
zeigt (Fig. 198), welche Trennung bei dem älteren Herzen schon
zum Abschlusse gekommen ist, so dass nun zwei Arterien, die Aorta
und Pulmonalis, jede für die betreffende Kammer vorhanden sind.


Die äusseren Umwandlungen des Herzens weiter speciell zu ver-
folgen lohnt sich kaum der Mühe und begnüge ich mich daher mit
Folgendem. Die rechte Kammer wächst bald so heran, dass sie die
linke an Grösse erreicht oder selbst etwas übertrifft, doch trifft man
beide Kammern gegen das Ende des Fötallebens wieder ziemlich
gleich gross und zusammen einen hübschen Kegel darstellend, indem
der rechte Rand des Herzens wegen der grösseren Dicke der rechten
Kammer jetzt noch abgerundet ist. Die Vorhöfe und Herzohren be-
halten lange Zeit ihre bedeutende Grösse und sind die letzteren selbst
noch beim reifen Embryo verhältnissmässig grösser als später, doch
sind sie allerdings in dieser Zeit nur noch ein schwacher Wider-
schein von dem, was sie früher waren. Die Grösse endlich anlan-
gend, so ist diejenige des ganzen Herzens im Verhältniss zu den
[401]Entwicklung des Gefässsystems.
übrigen Theilen in späteren Zeiten viel geringer. Bei einem vier
Wochen alten Embryo verhält sich das Herz meiner Schätzung zu-
folge zum Körper wie 1:12; im zweiten und dritten Monate berech-
net Meckel das Verhältniss wie 1:50, und beim reifen Fötus wie
1:120. Die absolute Grösse betreffend, so fand ich in der vier-
ten Woche die Länge 2⅓mm; in der achten Woche die Länge 4⅓mm,
die Breite 5⅔mm. Im dritten Monate betrug die Länge 10—12mm
und im fünften Monate 15—16mm.


Wir kommen nun zur Schilderung der wichtigen innerenInnere
Veränderungen
des Herzens.

Veränderungen des Herzens, über welche schon vor Jahren
v. Baer vom Hühnchen eine vortreffliche Darstellung gegeben hat,
welche nach und nach auch für die Säugethiere und den Menschen
sich hat bestätigen lassen. Alle inneren Veränderungen, abgesehen
von den mehr auf den Bau der Wandungen bezüglichen, zielen im
Wesentlichen darauf, aus dem einfächerigen primitiven Herzen, das
dem Typus des Fischherzens folgt, ein zweikammeriges Organ mit
vollkommener Trennung der Blutströme des grossen und kleinen
Kreislaufes zu bilden; es wird jedoch dieses Resultat nicht in der
einfachen Weise erreicht, die man a priori sich zu construiren ge-
neigt ist, in der nämlich, dass der primitive Herzkanal in seiner
ganzen Länge in zwei zerfällt wird, vielmehr folgt die Entwicklung
hier, wie in so vielen Fällen, einer ganz anderen als der Bahn, die
uns die natürlichste erscheint. Während nämlich allerdings sowohl
der Venentheil des primitiven Herzens, als auch die ursprüngliche
Aorta durch eine longitudinale mittlere Scheidewand in zwei
Hälften zerfallen, trennt sich der primitive Ventrikel durch eine
Querwand in zwei Abtheilungen, und wird es so allerdings schwer
begreiflich, wie der Venentheil, der erst nur mit der linken Kammer
in Verbindung steht und der Truncus arteriosus, der änfänglich ein-
zig und allein aus der rechten Kammer entspringt, in ihre späteren
Verhältnisse gelangen. Zur besseren Orientirung betrachten Sie nun
noch einmal das in der Fig. 200 wiedergegebene Herz eines mensch-
lichen Embryo, in dem der einkammerige Zustand noch fast unge-
trübt besteht und die Scheidewandbildung kaum begonnen hat und
dann werden Sie mich auch verstehen, wenn ich Ihnen sage, dass
vor der vollen Ausbildung der Scheidewände durch besondere Wachs-
thumsphänomene einmal an der hinteren Seite des Herzens die rechte
Kammer nach und nach auch in den Bereich des Vorhofes gezogen
wird und zweitens vorn dasselbe auch bei der linken Kammer in ihrer
Kölliker, Entwicklungsgeschichte. 26
[402]Sechsunddreissigste Vorlesung.
Beziehung zur Aorta oder dem Truncus arteriosus geschieht. Mündet
einmal die Vorkammer in beide Kammern und stehen diese auch
Bildung des
Septum
ventriculorum
.

Figure 200. Fig. 200.


beide mit dem Truncus arteriosus in Verbin-
dung, so ist es dann nicht schwer zu begreifen,
wie durch die endliche Vollendung der Septa
im Innern die bekannten vier Höhlen und die
bleibenden Verhältnisse der Arterien sich aus-
bilden.


Nach diesen Vorbemerkungen schildere ich
Ihnen nun der Reihe nach die Vorgänge bei der
Scheidewandbildung in den zwei Abschnitten
des Herzens und im Truncus arteriosus, zu-
gleich mit den übrigen Veränderungen im In-
nern. Die beiden Herzkammern, anfänglich
eben so dünnwandig wie die venöse Abthei-
lung, werden bald — beim Menschen in der
dritten bis vierten Woche — zu zwei Säcken
mit ungemein dicker Wand und sehr enger Höhle, deren Wände
ganz und gar aus einem zierlichen Schwammgewebe sich ent-
wickelnder Muskelbalken bestehen. Zugleich beginnt auch die Bil-
dung des Septum, von dem Ecker einen sehr frühen Zustand
von dem in der Fig. 198 dargestellten Herzen eines gekrümmt 5½‴
messenden Embryo dargestellt hat (Icon. phys. Taf. XXX. Fig. XXII
und XXIII). Dasselbe erschien als eine in der Gegend des Sulcus in-
terventricularis
vom unteren und hinteren Theile der Kammern aus-
gehende niedrige halbmondförmige Falte, deren Concavität nach
oben, d. h. gegen die Aorta und den Vorhof und zugleich ein wenig
nach links schaute. Mithin waren die Kammern an ihren Basaltheilen
noch nicht geschieden, doch hatte sich das ursprüngliche Verhält-
niss auch hier schon in etwas geändert, indem nun auch die rechte
Kammer in etwas mit dem Vorhofe in Verbindung stand. Immer-
hin gehörte das Ostium venosum, dessen Ränder Ecker als stark in
den Vorhof vortretend und, wenn geschlossen, als vierlippig schil-

Fig. 200. Herz eines vier Wochen alten, 6‴ langen menschlichen Embryo,
5½mal vergr. I. von vorn, II. von hinten, III. mit geöffneten Kammern und
Vorkammer, deren obere Hälfte entfernt ist. a′ linkes, a″ rechtes Herzohr,
v′ linke, v″ rechte Kammer, ao Truncus arteriosus, s Septum ventriculorum in
der Anlage begriffen, cd Cava superior dextra, cs Cava superior sinistra mit
der Cava inferior. Bei I. ist der Canalis Auricularis sehr deutlich.


[403]Entwicklung des Gefässsystems.
dert, vorzüglich der linken Kammer an. Nahezu in demselben Sta-
dium, jedoch immerhin etwas weniger entwickelt, befand sich das
in der Fig. 200 wiedergegebene Herz eines vier Wochen alten Em-
bryo, dessen geöffnete Kammern und rudimentes Septum Ihnen die
Fig. 200 III. zeigt und hätte ich nur zu bemerken, dass die Kam-
mern noch dickwandiger waren, als Ecker dieselben zeichnet, so
wie dass um diese Zeit die linke Kammer die rechte noch bedeutend
an Stärke übertraf.


Einmal angelegt bildet sich die Scheidewand der Kammern rasch
aus und ist dieselbe schon bei Embryonen der siebenten Woche voll-
ständig, so dass nun die Kammern mit zwei getrennten Ostien in den
Vorhof ausmünden. Die Gestalt dieser primitiven venösen Mündun-
gen, die wir durch Ecker zuerst kennen gelernt haben (l. c. Taf. XXX.
Fig. XXVII) ist äusserst einfach und stellen dieselben ursprünglich
nichts als einfache Spalten dar, deren Lage und Gestalt beim acht

Figure 201. Fig. 201.


Wochen alten Embryo Ihnen die Fig. 201 zeigt. Die
beiden Lippen, welche jede Spalte begrenzen, sind
die ersten Andeutungen der venösen Klappen, undVenöse Klappen.
sieht man bei der Untersuchung der Kammerhöhle,
dass die Ränder derselben schon um diese Zeit
mit Muskelbalken der Kammerwand in Verbindung
stehen. Doch bilden sich diese Klappen erst im
dritten Monate bestimmter aus, was im Einzelnen zu verfolgen
nicht nöthig ist. Die Kammerwandungen bleiben auch im dritten
und vierten Monate noch unverhältnissmässig dick, werden dann
aber im Verhältniss zu den Herzhöhlen in der zweiten Hälfte der
Schwangerschaft wieder dünner, wobei jedoch zu bemerken ist,
dass die rechte Kammer, obschon im Anfang dünnwandiger als die
linke, doch bald dieselbe Stärke erreicht, wie diese und dieses
Verhältniss dann auch während des ganzen Restes der Embryo-
nalzeit beibehält. Von der feineren Structur der HerzmuskulaturFeinerer Bau
der Kammern.

bemerke ich Ihnen nur Folgendes. Der zierliche cavernöse oder
schwammige Bau, der im zweiten Monate dem Herzfleische in sei-
ner ganzen Dicke
zukommt, ist kein länger andauernder Zustand,
vielmehr wird im dritten und vierten Monate allmälig, von aussen
nach innen fortschreitend, die Herzwand compacter, bis am Ende

Fig. 201. Herz eines acht Wochen alten Embryo nach Wegnahme der Vor-
kammer von oben, etwa 3mal vergr. o die beiden venösen Ostien, ta die bei-
den Arterien, lr der linke und rechte Ventrikel.


26*
[404]Sechsunddreissigste Vorlesung.
der schwammige Bau auf die innersten Lagen allein beschränkt ist.
Dass das Herzfleisch, wie andere Muskeln, aus spindel- und stern-
förmigen Muskelzellen sich aufbaut, habe ich schon vor einigen Jah-

Figure 202. Fig. 202.


ren gezeigt (Handbuch der
Geweb. St. 607), doch scheint
aus den Untersuchungen von
Weissman, der das Vorkom-
men dieser Zellen bestätigt
(Müll. Arch. 1861. 1), her-
vorzugehen, dass dieselben
nicht nur durch Anastomo-
senbildung, wie ich annahm, sondern auch durch einfache Aneinan-
derlagerung zu den Muskelbündeln des fertigen Herzens sich umbil-
den. Nach meinen bisherigen Ermittelungen scheint es, dass die
Bildung der genannten Muskelzellen in der Mitte der Embryonal-
periode abschliesst, und dass das gesammte Wachsthum des Herzens
in späterer Zeit einzig und allein auf Kosten des Wachsthums der
schon vorhandenen Elemente geschieht.


Theilung des
Truncus
arteriosus
.
Gleichzeitig mit der Ausbildung des Septum ventriculorum tritt
auch die Theilung des Truncus arteriosus in Arteria pulmonalis und
bleibende Aorta ein, welche, obgleich scheinbar nur die Fortsetzung
des Vorganges, der bei der Trennung der Kammern statt hat, doch
von demselben wohl zu unterscheiden ist. Während nämlich bei den
Kammern die Herzmuskulatur selbst hervorwuchert und schliess-
lich zu einem vollständigen Septum sich umbildet, ist es bei der pri-
mitiven Aorta die mehr bindegewebige Gefässwand, welche die
Trennung bewirkt. Es kann daher auch die Scheidung des Truncus
arteriosus
nicht so beschrieben werden, als ob sie durch ein Herein-
wachsen des Kammerseptums geschähe, wie am deutlichsten auch
daraus hervorgeht, dass bei gewissen Geschöpfen die Aorta zu einer
Zeit sich theilt, zu welcher die Kammer noch einfach ist. So bei der
Natter nach Rathke (Entw. d. Natter. St. 165), bei der zur Zeit, wo
der Truncus arteriosus in drei Gefässe zerfällt, die Kammer noch
keine Spur eines Septum besitzt. Es kann daher auch, wie Rathke
mit Recht bemerkt, die Ursache der Trennung der primitiven Aorta
in zwei Kanäle nicht mit v. Baer in gewissen Besonderheiten der Cir-

Fig. 202. Muskelzellen aus den Herzkammern eines neun Wochen alten
menschlichen Embryo. 350mal vergrössert.


[405]Entwicklung des Gefässsystems.
culation, in einer besonderen Richtung der Blutströme gesucht wer-
den, vielmehr liegt derselbe einzig und allein in besonderen Wachs-
thumsphänomenen der Arterienwand. — Was nun die Einzelnheiten
beim Menschen anlangt, so habe ich in der vierten Woche den Truncus
arteriosus
noch vollkommen einfach und mit rundem Lumen gefunden.
Querschnitte desselben mikroskopisch untersucht zeigten schon deut-
lich drei Häute, eine dünne derbere Adventitia, eine mächtige helle
Media und eine innere Zellenlage als Intima. In der fünften Woche
war die Arterie ebenfalls noch einfach, doch war das Lumen jetzt
schon in die Quere gezogen und spaltenförmig. In der siebenten und
achten Woche fand ich das Gefäss schon vollkommen doppelt und
gelang es mir hier nicht, Zwischenstadien aufzufinden und die all-
mälige Ausbildung der Theilung zu verfolgen. Glücklicher war ich
bei Rindsembryonen von 7—8‴ Länge und fand ich hier erstens
Aorten mit 8 förmigem Lumen, oder mit anderen Worten, mit zwei
schwachen Leisten im Innern, welche von Wucherungen der Tunica
media
herrührten und zweitens solche, die innerhalb einer gemein-
samen Adventitia zwei Lumina enthielten, die zwar jedes seine be-
sondere Intima, aber zusammenhängende Tunicae mediae besassen.
Diesem zufolge kann nicht wohl bezweifelt werden, dass die Theilung
des Truncus arteriosus wesentlich durch eine Wucherung seiner mitt-
leren Haut zu Stande kommt, welcher erst später auch die Adventitia
folgt, was jedoch beim Menschen sehr früh geschieht, indem schon
in der achten Woche beide grossen Arterien alle ihre Häute für sich
besitzen.


Gleichzeitig mit der Theilung bilden sich auch die Semilu-Semilunar-
klappen.

narklappen, die ich an beiden Arterien schon beim sieben Wo-
chen alten Embryo sah. Dieselben sind jedoch anfänglich nichts als
horizontal vortretende halbmondförmige Wülste der Media und der
epithelialen Intima, durch welche das Lumen an dieser Stelle die
Gestalt eines einfachen dreizackigen Sternes erhält. Zu welcher
Zeit dieselben zuerst als Taschen sichtbar werden, habe ich nicht
untersucht.


Später als die Kammern und der Tr. arteriosus die beschrie-Bildung des
Septum
atriorum
.

benen Trennungsvorgänge zeigen, erleidet auch der Venentheil des
Herzens ähnliche Veränderungen. Nach meinen Erfahrungen nämlich
beginnt die Bildung des Septum atriorum erst nach der Vollendung
des Septum ventriculorum in der achten Woche in Gestalt einer nie-
drigen halbmondförmigen Falte, die von der Mitte der vorderen
[406]Sechsunddreissigste Vorlesung.
Wand der Vorkammer und vom oberen Rande des Septum ventricu-
lorum
ausgeht. In dieselbe Zeit und vielleicht schon etwas früher
fällt auch die Entwicklung zweier anderer Falten an der hinteren
Valvula
Eustachii.
Valvula
foraminis ovalis.
Wand des Vorhofes, der Valvula Eustachii und der Valvula foraminis
ovalis
rechts und links an der Mündung der unteren Hohlvene, welche
Bildungen alle im dritten Monate viel deutlicher werden und dann
schon eine bessere Scheidung der Vorhöfe bedingen, die jedoch, wie
Ihnen bekannt, während der gangen Fötalperiode unvollkommen
Foramen ovale.bleibt, indem dieselben durch das grosse Foramen ovale verbunden
sind. Dieses Loch ist nicht als eine einfache, von rechts nach links
durchgehende Oeffnung in der Scheidewand zu betrachten, sondern
mehr als ein die Cava inferior, die beim Embryo auch zum Theil in
den linken Vorhof mündet, fortsetzender schiefer Kanal, dessen Be-
grenzungen die um diese Zeit sehr grosse Eustachi’sche Klappe und
die Klappe des eiförmigen Loches sind, die man auch als Fortsetzun-
gen der Wand der Vene auffassen kann. Nach der Geburt verschmilzt
die Valvula foraminis ovalis mit dem nach rechts von ihm gelegenen
Septum und stellen dann beide miteinander das bleibende Septum
atriorum
dar. — Die Wandungen der Vorhöfe sind beim Embryo
lange Zeit ungemein dünn, verstärken sich dann an den Herzohren,
an denen zuerst Trabeculae sichtbar werden und später auch an den
übrigen Theilen.


Lage des
embryonalen
Herzens.
Zum Schlusse gebe ich Ihnen nun noch einige Bemerkungen
über die Lage des Herzens. Unmittelbar nach seiner Entstehung
liegt das Herz entschieden im Bereiche des Kopfes, wie Sie aus der
Fig. 43 und 46 entnehmen können, wo dasselbe vor dem ersten Ur-
wirbel, wie Sie wissen dem Vorläufer des ersten Halswirbels, in
der Höhe der zweiten und dritten Hirnblase seine Stellung hat. Mit
der grösseren Entwicklung des Kopfes und Halses rückt nun aber
das Herz scheinbar immer weiter zurück, so dass es nach und nach
in die Halsgegend zu liegen kommt, was durch die ferneren von Bi-
schoff
entlehnten Figuren 59, 61 und 60 auf St. 116—118, vortreff-
lich versinnlicht wird. Hier treffen wir auch noch wenigstens theil-
weise das Herz des vier Wochen alten menschlichen Embryo (s. Fig.
71 und 161) allein bald nimmt dasselbe mit der grösseren Ausbil-
dung der Halsgegend seine Stellung ganz und gar in der Brusthöhle
ein, in der es während des ganzen zweiten Monates die volle Breite
und Tiefe derselben erfüllt und mit seiner Längsaxe gerade steht.
Erst von der achten Woche an beginnen die Lungen, die bisher
[407]Entwicklung des Gefässsystems.
weiter gegen das Becken zu und hinter der Leber lagen, neben dem-
selben sich zu erheben, um bald ihre typische Stellung einzuneh-
men, und während diess geschieht, stellt sich auch das Herz mit der
Spitze mehr nach links, von welcher Zeit an es keine erheblichen
Lageveränderungen mehr erfährt.


Eigenthümlich wie die Lage ist auch die Beschaffenheit der dasHüllen
des Herzens.

Herz umgebenden Theile. So lange das Herz seine primitive Stellung
am Kopfe und Halse einnimmt, ist es in einer Spaltungslücke des
mittleren Keimblattes enthalten, deren Begrenzungen in einer frü-
heren Stunde genau geschildert wurden (Vorl. IX. Fig. 22, 23). Diese
Lücke hat zuerst die in der Fig. 23 dargestellte Form, nimmt aber
später die an, die die Fig. 47, 2—4 darstellt, und finden wir in die-
sem Stadium das Herz vor dem Anfangsdarm gelegen und an der
Bauchseite nur von einer dünnen Haut bedeckt, welche die Mem-
brana reuniens inferior
von Rathke oder die primitive Hals- und
Brustwand ist. Um diese Zeit geschieht es auch, dass das grosse
Herz diese dünne Haut bruchsackartig vortreibt und scheinbar wie
ausserhalb des Leibes seine Lage hat (s. Fig. 60). Dieser Zustand
dauert so lange bis die Producte der Urwirbel, Muskeln, Nerven und
Knochen, in die primitive untere Leibeswand hineinwachsen und die
bleibende Brustwand bilden, mit welchem Vorgange dann erst das
relativ auch kleiner gewordene Herz seine Stelle im Thorax ein-
nimmt, was beim Menschen in der zweiten Hälfte des zweiten Mo-
nates geschieht.


Ueber die Entwicklung des Herzbeutels ist bis jetzt nichtsHerzbeutel.
Sicheres bekannt, doch möchte soviel unzweifelhaft sein, dass der-
selbe nach Analogie des Peritonaeum und der Pleura in loco sich bil-
det und nichts als die äusserste Schicht der Herzanlage und die
innerste Lamelle der primitiven, dass Herz einschliessenden Höhle
ist. Zu welcher Zeit derselbe beim Menschen zuerst sichtbar wird,
ist nicht bekannt und kann ich Ihnen nur soviel sagen, dass derselbe
am Ende des zweiten Monates schon deutlich ist.


Zur Entwicklung der Gefässe übergehend, beginnen wir nunEntwicklung der
Arterien.
Aortenbogen.

zunächst mit den Arterien, unter denen die grossen Stämme in der
Nähe des Herzens vor Allem die Beachtung verdienen. Die erste
Form derselben, die gleich nach der Entstehung des Herzens und
während der Dauer des Kreislaufes im Fruchthofe getroffen wird,
ist die (Fig. 203, 1), dass das Herz vorn einen Truncus arteriosus
(ta) entsendet, der nach kurzem Verlaufe in zwei Arcus aortae sich
[408]Sechsunddreissigste Vorlesung.
spaltet, die in der Wand der Kopfdarmhöhle bogenförmig nach der
Gegend der späteren Schädelbasis und dann längs dieser convergi-
rend nach hinten laufen, um schliesslich zu einem kurzen unpaaren
Aortenstamme sich zu vereinigen (s. Figg. 45 und 46). Sowie die
Aortenbogen.Kiemen- oder Schlundbogen hervortreten, zeigt sich, dass der An-
fang der Aortenbogen an der Innenfläche der ersten Kiemenbogen
liegt (Fig. 46), sowie dass auch für die folgenden Kiemenbogen
neue Aortenbogen hervortreten. Diese entstehen in der Richtung der

Figure 203. Fig. 203.


punctirten Linien der Fig. 203, 1, mithin hinter dem ersten Bogen
oder, wenn Sie lieber wollen, als Queranastomosen seiner beiden
Schenkel und hat man beim Hühnchen leicht Gelegenheit, drei solche
Bogenpaare zu sehen, wie sie die Fig. 62 nach Bischoff vom Hunde
wenigstens in den Anfängen wiedergibt. Es beschränkt sich jedoch
die Zahl der Bogen nicht auf drei, vielmehr treten nach den über-
einstimmenden Angaben von v. Baer und Rathke auch bei Säuge-
thieren ebenso wie bei den Vögeln, der Reihe nach fünf Aortenbogen
auf, in der Art jedoch, dass während die hintersten Bogen entstehen,
die vorderen schwinden und niemals fünf, ja selbst vier nur sehr

Fig. 203. Schema zur Darstellung der Entwicklung der grossen Arterien
mit zu Grundelegung der von Rathke gegebenen Figuren. I. Truncus arteriosus
mit ein Paar Aortenbogen und Andeutung der Stellen, wo das zweite und dritte
Paar sich bildet. II. Truncus arteriosus mit vier Paar Aortenbogen und Andeu-
tung der Stelle des fünften. III. Truncus arteriosus mit den drei hinteren Paaren
von Aortenbogen, aus denen die bleibenden Gefässe sich entwickeln und Dar-
stellung der obliterirten zwei vorderen Bogen. IV. Bleibende Arterien in pri-
mitiver Form und Darstellung der obliterirenden Theile der Aortenbogen.
ta Truncus arteriosus, 1—5 erster bis fünfter Aortenbogen, a Aorta, p Pulmo-
nalisstamm, p′ p″ Aeste zur Lunge, aw′ bleibende Wurzel der Aorta thora-
cica ad, aw
obliterirende Wurzel derselben, s′ s″ Subclaviae, v Vertebralis,
ax Axillaris, c Carotis communis, c′ Carotis externa, c″ Carotis interna
.


[409]Entwicklung des Gefässsystems.
selten zu gleicher Zeit vorhanden sind, wie Sie diess in der Fig.
203, 2 dargestellt finden, in der auch die Stelle des fünften Bogens
durch eine punctirte Linie angegeben ist. Der vierte und fünfte Bo-
gen entstehen als Queranastomosen zwischen dem Truncus arteriosus
selbst und dem hinteren Theile des ursprünglichen ersten Aorten-
bogens und liegen der vierte an der Innenseite des vierten Kiemen-
bogens und der fünfte hinter der vierten Kiemenspalte. Es entspre-
chen sich mithin die Kiemenbogen und Aortenbogen ganz mit ein-
ziger Ausnahme dessen, dass bei den höheren Wirbelthieren kein
fünfter Kiemenbogen sich entwickelt und ist klar, dass die Aorten-
bogen eine Wiederholung des ersten Entwicklungszustandes der
Kiemengefässe der Fische und Batrachier sind. Da jedoch bei den
höheren Thieren keine Kiemen sich ausbilden, so vergeht ein Theil
der Aortenbogen wieder und findet auch der Abschnitt derselben,
der sich erhält, eine ganz eigenthümliche Verwendung.


Die Umwandlung der Aortenbogen in die bleibenden GefässeUmwandlungen
der Aortenbogen.

schildere ich Ihnen nun nach Rathke’s sorgfältigen Untersuchungen
und versinnliche ich Ihnen dieselben durch die zwei Schemata Fig.
203, 3 und 4, die mit einer geringen Modification nach einem von
Rathke gegebenen Schema construirt sind. Die bleibenden grossen
Arterien gehen im Wesentlichen aus den drei letzten Aortenbogen
hervor, doch erhält sich auch ein Theil des ersten und zweiten Bo-
gens in der Carotis interna c″ und Carotis externa c′. Von den drei
letzten Bogen wird der vorderste (der dritte der ganzen Reihe) zum
Anfange der Carotis interna, während die Carotis communis c aus dem
Anfange des ursprünglichen ersten Arcus aortae sich entwickelt.
Der zweite bleibende Aortenbogen (der vierte der ganzen Reihe) setzt
sich auf beiden Seiten, nach der Trennung des Truncus arteriosus in
Aorta und Art. pulmonalis mit der Aorta in Verbindung und wird
links zum eigentlichen bleibenden Arcus aortae, rechts zum Truncus
anonymus
und zum Anfange des Subclavia dextra s′. Die Verbindung
zwischen dem ersten und zweiten bleibenden Bogen (dem dritten
und vierten ursprünglichen Bogen) vergeht. Der dritte bleibende
Bogen (der fünfte der ursprünglichen Reihe) vergeht rechts vollstän-
dig, links tritt derselbe mit der Pulmonalis in Zusammenhang und
bleibt auch während des ganzen Fötallebens mit dem bleibenden
Arcus aortae in Verbindung, so dass das Blut der rechten Kammer
in die Aorta descendens sich entleert. Aus diesem Bogen entwickeln
sich auch die beiden Lungenäste selbst p′ p″, die anfänglich ein
[410]Sechsunddreissigste Vorlesung.
kurzes gemeinschaftliches Stämmchen haben, später aber direct aus
dem Bogen selbst entspringen. Die Verbindung zwischen dem zwei-
ten und dritten Bogen links erhält sich als Fortsetzung der Subclavia
in die Axillaris ax und gibt die Vertebralis v ab, dagegen vergeht
die Fortsetzung des dritten Bogens zur ursprünglichen unpaaren
Aorta (aw), so dass später die Aorta descendens nur mit den Ge-
fässen der linken Seite in Verbindung steht. Die Subclavia der linken
Seite s″ endlich entsteht aus dem Ende des zweiten bleibenden Aor-
tenbogens der linken Seite.


Sind einmal in der angegebenen Weise aus den ursprünglichen
Aortenbogen die bleibenden Gefässe entstanden, so erreichen die-
selben dann nach und nach durch besondere Wachsthumserschei-
nungen ihre bleibenden Verhältnisse, was ich Ihnen wohl nicht im
Einzelnen zu schildern brauche, da die Gefässe der Fig. 203, 4 doch
nicht so sehr von denen der späteren Zeiten abweichen, dass Sie
nicht mit etwas Nachdenken sich die Umwandlungen derselben klar
machen könnten. Beim älteren und reifen Embryo haben dann die
meisten grossen Arterien ihre bleibenden Verhältnisse angenommen
und findet sich nur noch das Bemerkenswerthe, dass die Lungen-
arterie immer noch ausser den Lungenästen einen starken Verbin-
dungszweig, den Ductus arteriosus Botalli zur Aorta abgibt, der als
eigentliche Fortsetzung der Pulmonalis erscheint und erst nach der
Geburt obliterirt.


Entwicklung
der peripheren
Arterien.
Von den übrigen Arterien sind im Ganzen nur wenige auf ihre
Entwicklung untersucht, doch bieten dieselben auch nicht das In-
teresse dar, wie die grossen Stämme am Herzen, und begnüge ich
Aorta
descendens
.
mich daher mit Folgendem. Die Aorta thoracica und abdominalis
scheint ursprünglich ein in seiner ganzen Länge doppelter Stamm zu
sein, doch sind diese Verhältnisse bis jetzt nur beim Hühnerembryo
genauer untersucht. Nach Remak sind hier die beiden ersten Aorten-
bogen ursprünglich nicht verbunden, sondern laufen als von ihm
Primitive Aorten.sogenannte «primitive Aorten» vor der Wirbelsäule einander
parallel bis zum hinteren Leibesende fort. Erst am dritten Tage ver-
schmelzen diese primitiven Aorten in ihrem vordersten an der Wir-
belsäule gelegenen Theile, und von diesem Puncte rückt dann die
Verschmelzung langsam nach hinten fort. Diese Angaben Remak’s
sind bis jetzt noch von Niemand bestätigt worden, es ist jedoch leicht
an Querschnitten von Embryonen des zweiten und dritten Tages die
ursprüngliche Trennung und die spätere Verschmelzung der primi-
[411]Entwicklung des Gefässsystems.
tiven Aorten nachzuweisen, und habe ich Ihnen schon früher in den
Figg. 24, 25, 26 und 29 diese Verhältnisse versinnlicht, von denen
ich die sprechendste hier wiederhole. Diesem zufolge wird wohl
kaum bezweifelt werden können, dass auch bei den Säugethieren
die ersteren Aortenbogen ursprünglich nicht vereint sind, und dass

Figure 204. Fig. 204.


der in der Fig. 203, 1. dargestellte Zustand nicht der ganz primitive
ist. Auf jeden Fall aber scheint es mir ganz sicher, dass die Bauch-
aorta durch Verschmelzung der sogenannten hinteren Wirbelpuls-
adern (Art. vertebrales posteriores), die besser primitive Aorten

Fig. 204. Querschnitt durch den hinteren Theil des Rumpfes eines Hühner-
embryo von vier Tagen, 90—100mal vergr. Die Buchstaben wie in Fig. 26, ao
die schon verschmolzenen zwei primitiven Aorten, vc Vena cardinalis, wh häu-
tige Anlage des Wirbelkörpers, aus einem Theile des Urwirbels entstanden,
die Chorda nur unten umfassend, www wenig scharf markirte Grenze der
Producte des Urwirbels gegen die Producte der Mittelplatten und die Aorta,
wb häutige Wirbelbogen über dem Medullarrohr vereint (Membr. reuniens su-
perior
Rathke), wq Fortsetzung der Wirbelanlage gegen die Bauchwand (Quer-
fortsatz und Rippe), mp Muskelplatte, hpr Hautplatte des Rückens, mh Hülle
des Markes, ein Product des Urwirbels, a Amnion, welches ganz geschlossen
war, aber nicht ausgezeichnet ist. Die Markhöhle ist auch mit mh bezeichnet.


[412]Sechsunddreissigste Vorlesung.
heissen (Fig. 45 e), zu Stande kommt, was dann auch begreiflich
macht, dass die Arteriae omphalo-mesentericae erst Aeste der primi-
tiven Aorten und später der unpaaren Bauchaorta sind. Für die
Annahme einer Entstehung der ganzen Aorta descendens durch Ver-
schmelzung zweier Stämme sprechen auch die freilich seltenen Fälle
von Aorten des Menschen, die in ihrer ganzen Länge durch eine
Scheidewand getheilt sind, von denen ich selbst zwei Präparate bei
Allen Thomson in Glasgow sah.


Arterien des
Dottersacks.
Ausserdem verdienen nun noch die Gefässe des Dottersackes
und der Allantois Erwähnung. Von den erstern habe ich Ihnen schon
früher angegeben, dass die anfänglich zahlreichen Art: omphalo-
mesentericae
später bis auf zwei vergehen (Fig. 66 m), von denen
schliesslich auch nur die rechte sich erhält (Fig. 71 a′, 72 a). Von
dieser entspringt dann als ein anfänglich kleines Aestchen die Art.
mesenterica
, welche dann aber zuletzt, da die Arterie zum Dottersack
nicht wächst, als die eigentliche Fortsetzung des Stammes erscheint,
Arteriae
umbilicales
.

Figure 205. Fig. 205.


der hiermit zur Mesenterica superior
wird. — Die Arterien der Allantois sind
ursprünglich einfach die Enden der pri-
mitiven Aorten (Fig. 205). Sind diese
verschmolzen und die Aorta abdomina-
lis
aus ihnen entstanden, so erscheinen
die Arterien der Allantois, die jetzt zur
Placenta gehen oder die Arteriae umbi-
licales
, einfach als die Theilungsäste der
Aorta in derselben Weise wie beim
Erwachsenen die Iliacae communes, und
diese geben dann schwache Aestchen
zu den hervorsprossenden unteren Ex-
tremitäten und den Beckeneingeweiden
ab. Mit der Zeit werden nun freilich diese Repräsentanten der Ar-
teriae iliaca externa
und interna stärker, da aber auch die Arteriae
umbilicales
während der ganzen Fötalperiode fortwachsen, so er-
scheinen auch beim reifen Embryo immer noch diese Arterien als

Fig. 205. Hinteres Ende eines Hundeembryo mit nach hinten geschlagener
mehr entwickelter Allantois a. Nach Bischoff. b Enddarm nach vorn mit dem
Dottersack verbunden, der auf die linke Seite geschlagen ist, c primitive Aorten
auf der Allantois sich verzweigend, d Venae umbilicales, an den Rändern der
Bauchwand verlaufend.


[413]Entwicklung des Gefässsystems.
die eigentlichen Endäste der Aorta, ein Verhältniss, das erst nach
der Geburt mit der Obliteration der Nabelarterien und ihrer Um-
wandlung in die Ligamenta vesicae lateralia sich ändert.


Wenn ich vorhin die Art. umbilicales als die Endäste der em-
bryonalen Aorta bezeichnete, so ist diess noch etwas näher zu erör-
tern. Zur Zeit, wo die Allantois hervorsprosst (Fig. 205), sind die Ar-
terien derselben in der That die letzten Aeste der noch unverschmol-
zenen primitiven Aorten. Später jedoch, wenn die Verschmelzung
eingetreten ist, setzt sich die unpaare Aorta eigentlich noch jenseits
der Umbilicalarterien mit einem kleinen Stämmchen, das Aorta cau-
dalis
heissen kann und Vorläufer der Sacra media ist, fort und sind
die Arteriae umbilicales nur Seitenäste der mittleren unpaaren Arte-
rie. Da jedoch die Nabelarterie sehr stark und die Verlängerung
der Aorta in den Schwanz nur schwach ist, so erscheinen die erste-
ren auch unter diesen Verhältnissen als die eigentlichen Enden der
Aorta, und habe ich dieselben aus diesem Grunde vorhin als solche
bezeichnet.


[[414]]

Siebenunddreissigste Vorlesung.


Entwicklung des
Venensystems.
Meine Herren! Zur Entwicklung des Venensystems über-
gehend, betreten wir unstreitig das schwierigste Gebiet in der gan-
zen Lehre vom Gefässsysteme, in das zwar die ausgezeichneten Un-
tersuchungen Rathke’s (Ueber den Bau und die Entwicklung des
Venensystems der Wirbelthiere, 3. Bericht über das naturh. Seminar
der Univ. Königsberg 1838) viel Licht gebracht haben, das aber doch
wegen der grossen Variationen, die bei verschiedenen Geschöpfen
sich finden, noch manche dunkle Gegenden darbietet. Der Natur
dieser Vorträge gemäss ist es mir nicht möglich, diesen Gegenstand
vom vergleichend-anatomischen Gesichtspuncte aus zu betrachten
und sehe ich mich genöthigt, mich vor Allem an den Menschen zu
halten, der leider von Rathke gerade am wenigsten berücksichtigt
worden ist.


Allgemeine
Uebersicht der
Entwicklung der
Venen.
Die ersten Venen, die bei der Entwicklung auftreten, sind, wie
Ihnen schon bekannt, die zwei Venae omphalo-mesentericae,
Venae omphalo-
mesentericae
.
die nicht dem Leibe des Embryo selbst, sondern dem Fruchthofe
angehören und durch ein kurzes Stämmchen in das Venenende des
Herzens einmünden (s. Vorl. XII. Fig. 45). Mit der Ausbreitung der
Gefässe des Fruchthofes über die ganze Keimblase und der Bildung
des Dottersackes wandeln sich diese Gefässe in die des Dottersackes
um, von dem anfänglich noch zwei Venen zum Herzen gelangen, die
dann aber später, wenn der Darm vom Dottersacke sich abschnürt,
auf eine einzige, scheinbar der linken Seite angehörige sich redu-
ciren, die immer noch den Namen Vena omphalo-mesenterica trägt,
und später auch eine kleine Vena mesenterica vom Darme her auf-
nimmt. Noch bevor diess geschehen ist, treten aber auch schon zwei
[415]Entwicklung des Gefässsystems.
neue Venengebiete auf, das der Allantois und die Körpervenen des
Embryo selbst. Die Venen der Allantois sind anfänglich zwei VenaeVenae
umbilicales
.

umbilicales, die in der Wand der noch weit offenen Bauchhöhle
nach vorn verlaufen und dann in ein Stämmchen vereint von vorn
her in den Stamm der beiden Venae omphalo-mesentericae sich ein-
senken. Noch bevor die Leber hervorsprosst, werden die Umbilical-
venen mächtiger, eignen den Stamm der Omphalo-mesentericae sich
an, mit anderen Worten, es erscheint derselbe jetzt als Fortsetzung
der Nabelvenen, und die einzig übrig bleibende Vena omphalo-me-
senterica
tritt nun in das Verhältniss eines Aestchens des Nabel-
venenstammes. Mit dem Hervorwachsen der Leber wird der Stamm
der Nabelvenen (früher Stamm der Omphalo-mesenterica) von der-
selben umfasst und entwickeln sich nun zweierlei Systeme von Ve-
nenverästelungen in die Leber hinein. Die einen derselben, die zu-
führenden Leberäste, Venae hepaticae advehentes, der Na-
belvenen, bilden sich von der Einmündungsstelle der Vena omphalo-Venae hepaticae
advehentes
.

mesenterica in die Leber hinein und führen derselben Blut zu, die an-
deren dagegen entwickeln sich weiter oben von der Leber in das Ende
des Stammes der Nabelvenen und stellen die Venae hepaticaeVenae hepaticae
revehentes
.

revehentes dar. Ist diess geschehen, so verschwindet die rechte
Nabelvene, die schon früher eine geringe Entwicklung dargeboten
hatte, ganz, so dass nun das Blut der Placenta nur durch eine linke
Umbilicalvene, die aber nach und nach in die Mittellinie rückt, in
die Leber und zum Herzen geführt wird. Um dieselbe Zeit wird auch
die Omphalo-mesenterica nach und nach zu einem Ast der rechten
Vena hepatica advehens der Nabelvene, obschon sie anfangs genau an
der Ursprungsstelle der Venen der beiden Seiten, jedoch mehr rechts
mit derselben zusammenmündete. Später wird der Theil dieser
Vene, der vom Dottersack kommt, relativ immer kleiner, wogegen
die Darmvenen an Mächtigkeit gewinnen, und sobald dieses Ver-
halten bestimmter ausgebildet ist, muss dann das Ende der Vene
die jetzt noch Omphalo-mesenterica heisst, als Vena portae be-Vena portae.
zeichnet werden, die somit ebenfalls in die rechte Vena hepatica ad-
vehens
der Umbilicalvene einmündet. Der Theil der Vena umbilicalis,
der zwischen den beiderlei Leberästen derselben sich befindet, bleibt
während der ganzen Embryonalzeit bestehen und ist der DuctusDuctus venosus.
Arantii
.

venosus Arantii.


Gleichzeitig mit dem Auftreten der Gefässe der Allantois oder
vielleicht schon etwas früher treten auch die ersten Gefässe im Leibe
[416]Siebenunddreissigste Vorlesung.
des Embryo selbst auf. Die Venen sammeln sich auf jeder Seite in
Venae jugulares
und cardinales.
einen vom Kopfe herkommenden Stamm, die Vena jugularis,
und einen vom hinteren Leibesende abstammenden, die Vena car-
dinalis
, die in der Herzgegend zu einem queren Stamme, dem
Ductus Cuvieri.Ductus Cuvieri, sich verbinden, welche beide mit dem Ende des
Stammes der Omphalo-mesenterica, später der Vena umbilicalis sich
vereinigen. Hat dieses paarige Körpervenensystem eine gewisse Zeit
bestanden, so entwickelt sich, rechts von der Aorta, aus zwei mit
den Venae cardinales verbundenen Wurzeln ein unpaarer Stamm, die
Cava inferior.Cava inferior, die über den Venae hepaticae revehentes mit dem
Stamm der Umbilicalvene zusammenmündet. Um diese Zeit senken
sich somit alle Venen des Embryo gemeinschaftlich in einen kurzen
Venensinus dicht am Herzen ein, später wird jedoch dieser Behälter
in den Bereich des Vorhofes gezogen, so dass dann die Ductus Cu-
vieri
, die nun obere Hohlvenen heissen, für sich und der durch
Vereinigung der Cava inferior und Vena umbilicalis gebildete kurze
Stamm ebenfalls als Cava inferior gesondert in den Vorhof über-
gehen. Noch später vereint sich dann auch das System der linken
Cava superior grösstentheils mit der rechten oberen Hohlvene, wobei
die Cardinalvenen zur Azygos und Hemiazygos werden, und erhält
sich von ihr nichts als das Herzende als Vena coronaria cordis magna.
Hiermit habe ich Ihnen in groben Umrissen die Hauptentwicklungs-
vorgänge des Venensystems gezeichnet und darf ich nun hoffen, dass
Sie an der Hand dieser Uebersicht die Einzelnheiten, zu denen ich
jetzt übergehe, leichter auffassen werden.


Venae omphalo-
mesentericae
.
Nabelgekrös-
oder
Dottersackvenen.
Was erstens die Venae omphalo-mesentericae betrifft, so
finden Sie die frühesten Zustände derselben von Säugethierembryo-
nen nach Bischoff in den Figg. 43, 45, 46 und 59. Beim Menschen
kennt man dieselben aus diesem Stadium noch nicht und ist die
früheste Beobachtung die von Coste an dem in der Fig. 206 dar-
gestellten fünfzehn bis achtzehn Tage alten Embryo, an dem die
genannten Venen (n) die vorderen Seiten des Dottersackes einneh-
men und an der Bauchfläche des Endes des Vorderdarmes in das
Herz einmünden, woselbst sie mit dem Stamme der Venae umbilicales
zusammenmünden, in der Weise, wie diess das Schema Fig. 207, 1.
ergibt. Zwischen diesem Stadium und dem nächstfolgenden, das
die Fig. 71 und 72 und das Schema Fig. 207, 2. darstellen, ist
eine Lücke die bis jetzt noch von Niemand ausgefüllt ist. Beim
vier Wochen alten Embryo nämlich und noch später läuft die allein
[417]Entwicklung des Gefässsystems.
noch erhaltene linke Vene des Dottersackes an der linken Seite der
einfachen Darmschleife und tritt dann hinter dem Pförtner und

Figure 206. Fig. 206.


der Pars horizontalis superior
duodeni
an die rechte Seite
des Magens, um schliesslich
nach vorn in den Stamm der
Venae umbilicales an der Le-
ber einzumünden. Dass die-
ses Gefäss, das hinter dem
Darm durchgeht, nicht ein-
fach die linke Vena omphalo-
mesenterica
sein kann, wie
allgemein angenommen wird,
ist klar, da dieselbe ja ur-
sprünglich vor dem Darme
ihre Lage hat; es ist jedoch
leider für einmal nicht mög-
lich genau zu sagen, wie
dasselbe entsteht. Immer-
hin scheint mir ein von Coste gegebener Fingerzeig (Hist. du dével.
Erklärung der Pl. IV a) den einzig richtigen Weg anzubahnen. Nach
Coste nämlich ist das Ende der eben geschilderten sogenannten lin-
ken Vena omphalo-mesenterica der Stamm der Nabelgekrösvene der
rechten Seite. Ist dem so, und meiner Meinung nach kann diess
nicht wohl bezweifelt werden, so begreift sich dann die Lage dieses
Stammes an der rechten Seite des Magens und hinteren Seite des
Pylorus, letzteres im Zusammenhange mit der Drehung des Magens,
leicht, dagegen wird allerdings noch weiter anzunehmen sein, dass
das Ende des Stammes der linken Omphalo-mesenterica (Fig. 207,
2, om″) vergeht und der Rest derselben mit dem rechten Stamme sich
in Verbindung setzt, welche ihrerseits am Dottersacke schwindet,
was Ihnen das Schema Fig. 207, 2 deutlich machen wird.


Fig. 206. Menschlicher Embryo mit Dottersack, Amnion und Nabelstrang
von 15—18 Tagen nach Coste, vergr. dargestellt. b Aorta, c Herz, d Rand der
weiten Bauchöffnung, e Oesophagus, f Kiemenbogen, l Hinterdarm, m Arteria
omphalo-mesenterica, n Vena omphalo-mesenterica, o
Dottersack, dessen Gefässe
nicht ausgezeichnet sind, u Stiel der Allantois (Urachus), a Allantois mit deut-
lichen Gefässen, als kurzer Nabelstrang, zum Chorion ch gehend, v Amnion,
ah Amnioshöhle.


Kölliker, Entwicklungsgeschichte. 27
[418]Siebenunddreissigste Vorlesung.

Ueber die Beziehungen der Vena omphalo-mesenterica zur Leber
und zur Vena umbilicalis und ihren Leberästen hat der vortreffliche
Rathke eine Schilderung gegeben, von der ich leider wie Bischoff
(Entw. St. 268) bekennen muss, dass sie mir nicht verständlich ist,
und die auf keinen Fall für den Menschen passt. Aus diesem letzte-
ren Grunde sehe ich mich auch nicht veranlasst, auf Rathke’s Dar-
stellungen der Verhältnisse bei den Thieren einzugehen und schildere
ich Ihnen nur die Zustände des Menschen. Hier entwickeln sich die
Umbilicalvenen sicherlich vor der Bildung der Leber, wie
Ihnen der Embryo der Fig. 66 beweist und erscheint daher im Zu-
sammenhange mit dem raschen Wachsthume dieser Venen der ur-
sprüngliche Stamm der beiden Venae omphalo-mesentericae, sobald die
Leber auftritt, nicht mehr als die Fortsetzung der noch erhaltenen
linken Vena omphalo-mesenterica, sondern als die der Nabelvenen,
mit anderen Worten, es hat sich, wie Ihnen die Fig. 207, 2 lehrt,
das Verhältniss der beiden grossen Venen zu einander in der Art
geändert, dass während früher die Vena omphalo-mesenterica Haupt-
gefäss war und der Umbilicalvenenstamm in sie einmündete, nun
umgekehrt die Vena omphalo-mesenterica zu einem Aste der Nabel-
vene geworden ist. In der That fand ich auch bei einem vier Wochen
alten Embryo, ähnlich wie diess Coste in seiner Tab. III, a von einer
gleich alten Frucht zeichnet, bei einer noch sehr kleinen Leber eine
starke Nabelvene, die eine viel kleinere Vena omphalo-mesenterica
als Ast aufnahm, und ebenso verhalten sich die Sachen nach Coste’s
Abbildungen auch beim Schaafe (l. c. Tab. IV), bei dem die kaum
zu einer Masse verwachsene Leberanlage eine mächtige Umbilicalvene
enthält, gegen die die Dottersackvenen ganz zurücktreten. Gestützt
auf diese Thatsachen glaube ich auch nicht zu irren, wenn ich an-
nehme, dass das grosse Gefäss, das Bischoff bei einem Hundeem-
bryo von fündundzwanzig Tagen (s. Fig. 51 in diesem Werke) in der
noch kleinen. Leber als Vena omphalo-mesenterica bezeichnet, schon
die Nabelvene ist. Bei so bewandten Umständen kann man beim
Menschen nicht von Leberästen der Omphalo-mesenterica, sondern
nur von solchen der Vena umbilicalis reden. Diese entwickeln sich
nun allerdings zum Theil und vor allem von dem Puncte aus, wo
die Vena omphalo-mesenterica einmündet (Fig. 207, 2) und bildet
insonderheit der rechte Ast der Vena hepatica advehens der Umbili-
calis
so sich aus, dass bald die Omphalo-mesenterica nicht mehr in
den Stamm, sondern in diesen Ast sich einsenkt. So wird dann
[419]Entwicklung des Gefässsystems.
nach und nach ein Verhältniss herbeigeführt, das während der Fö-
talzeit Geltung hat und das Ihnen die Schemata Fig. 207, 3 und 4
versinnlichen. Dieselben sollen Ihnen ausserdem auch noch zeigen,
wie aus der Vena omphalo-mesenterica der Stamm und die Wurzel

Figure 207. Fig. 207.


der Pfortader sich gestal-
ten. Schon in früherer
Zeit nimmt diese Vene
Wurzeln aus dem Darme
auf, die wir als Vena me-
senterica
bezeichnen wol-
len (Fig. 207, 3). Wäh-
rend nun die eigentliche
Vene des Dottersackes in
späteren Zeiten nicht mehr
wächst und schliesslich
vergeht, entwickelt sich
die Vena mesenterica im-
mer mehr und gesellen sich
auch die anderen Wurzeln
der Pfortader dazu und
wird so natürlich die Om-
phalo-mesenterica
an der
Leber Stamm der Pfort-
ader (Fig. 207, 4), der
aber während der ganzen
Fötalperiode trotz seiner
beständigen Zunahme doch keine überwiegende Bedeutung erlangt,
indem eben die Nabelvene, die von Anfang an die mächtigere ist,
in ihren Leberästen auch immer mehr an Stärke gewinnt. Erst nach

Fig. 207. Schemata zur Darstellung der Entwicklung der Venae omphalo-
mesentericae
und Umbilicales. 1. Aus der Zeit des ersten Auftretens der Umbili-
cales
und der Blüthe der Omphalo-mesentericae. 2. Aus der Zeit des Auftretens
der ersten Leberäste und der Verkleinerung der Omphalo-mesenterica. 3. u. 4.
Aus der Periode des vollkommen eingeleiteten Placentarkreislaufes. om in 4.
Stamm der Omphalo-mesenterica, in 2. 3. bleibende Omphalo-mesenterica, in 4.
Vene des Dottersackes allein. om′, om″ rechte und linke Vena omphalo-mesen-
terica, u
Stamm der Umbilicalvenen, u′ u″ rechte und linke Vena umbilicalis,
dc Ductus Cuvieri, j Iugularis, c Cardinalis, l
Leber, ha Hepaticae advehentes,
hr Hepaticae revehentes, m Mesenterica, da Ductus venosus Arantii, ci Cava
inferior, p Vena portae, l Lienalis, m Mesenterica superior
.


27*
[420]Siebenunddreissigste Vorlesung.
der Geburt, wenn die Nabelvene obliterirt, wird die Pfortader die
einzige zuführende Vene der Leber, und eignet sich dann die frühe-
ren Aeste der Umbilicalis an, so dass der Anfang des rechten Le-
berastes der Umbilicalvene nun zum Anfange des linken Astes der
Pfortader sich gestaltet.


Vena
umbilicalis.
Mit der eben gegebenen Schilderung ist nun auch schon Vieles
besprochen, was zur Geschichte der Vena umbilicalis gehört
und habe ich nur noch Folgendes zur Ergänzung nachzutragen. Dass
die Nabelvene ursprünglich paarig vorhanden ist, wie die Arterien
der Allantois, hat für die Säugethiere Rathke schon vor langer Zeit
angegeben und später Bischoff (s. Fig. 56) und Coste diess bestä-
tigt. Beim Menschen dagegen hat wohl Coste zuerst dieses Verhalten
aufgedeckt (l. c. Tab. III, a, in diesem Werke Fig. 71 aa). Wie die
Allantois im Zusammenhange mit der vorderen Leibeswand sich ent-
wickelt, so sind auch die Nabelvenen ursprünglich nicht blos Venen
der Allantois, sondern auch der vorderen Bauchwand und nehmen
ursprünglich, wie ebenfalls Rathke zuerst mitgetheilt, eine grosse
Menge kleiner Venen der besagten Wand auf, welche Coste neulich
von Schaafembryonen in drei schönen Abbildungen wiedergegeben

Figure 208. Fig. 208.


hat (l. c. Pl. IV. V.
VI). Diese Zweigel-
chen, die nach Coste
auch beim Menschen
vorkommen, schwin-
den später — doch
können selbst beim
Erwachsenen noch
einzelne Reste der-
selben vorkommen —
und ebenso vergeht
auch die eine und
zwar die rechte Na-
belvene ganz, wäh-

Fig. 208. Leber eines reifen Fötus, 5/6 der natürlichen Grösse, von unten.
Der obere Theil des Spigel’schen Lappens, die die linke Furche begrenzenden
Theile und ein Theil des rechten Lappens sind entfernt. u Stamm der Umbili-
calis, u′
Hauptast derselben zum linken Lappen, u″ Ast derselben zum rech-
ten Lappen, u‴ kleinere Aeste zum linken Lappen und zum Lobus quadran-
gularis, dv Ductus venosus Arantii, p Vena Portae, ci Cava inferior
an der
Leber, c Stamm derselben über der Leber, h linke Lebervene, f Gallenblase.


[421]Entwicklung des Gefässsystems
rend die andere nach und nach in die Mittellinie rückt. — In der
Leber treibt der gemeinschaftliche Stamm der Nabelvenen (der
frühere Stamm der Omphalo-mesentericae) bald die zwei schon be-
sprochenen Systeme von zu- und abführenden Venen und spielt
dann die Rolle der späteren Pfortader, mit dem Unterschiede jedoch,
dass die Nabelvene niemals alles ihr Blut durch die Leber sendet,
sondern immer einen Theil desselben durch ihren Stamm direct dem
Herzen, mit anderen Worten, der Cava inferior übermittelt. Es ist
jedoch zu bemerken, dass dieser Stamm später mit der Entwicklung
der Leberäste nicht vollkommen gleichen Schritt hält (Fig. 208), so
dass während der grössten Zeit des Embryonallebens doch das meiste
Blut der Nabelvene erst auf dem Umwege durch die Leber das Herz
erreicht und der ursprüngliche Stamm doch nur als ein engerer Ver-
bindungskanal zwischen ihr und der unteren Hohlvene erscheint,
der nun, wie Sie wissen, Ductus venosus heisst. Dass die Venae
hepaticae revehentes
der Umbilicalvene die eigentlichen Lebervenen
sind, wird Ihnen bereits klar geworden sein und ebenso ist Ihnen
auch bekannt, dass der Ductus venosus nach der Geburt obliterirt
und nur in einem vom linken Aste der Pfortader zur Cava hinzie-
henden Strange sich erhält.


Die ersten Körpervenen, welche im Embryo entstehen, sind dieVenae jugulares
et cardinales.

Venae jugulares und cardinales von Rathke. Beim Hühn-
chen entstehen die Venae cardinales (siehe Fig. 26 vc) am An-
fange des dritten Tages nach den Gefässen des Fruchthofes, aber
vor der Allantois und den Vasa umbilicalia und so wird es sich
wohl auch beim Säugethier- und menschlichen Embryo verhalten,
obschon hierüber noch nichts Sicheres bekannt ist. Es ist dieses
erste System von Körpervenen, dessen genauere Kenntniss wir vor
Allem Rathke, dann auch Coste (l. c. Brébis Pl. IV. V. VI) verdan-
ken, ein sehr zierliches paariges System, dessen einzelne Theile
sich folgender Maassen verhalten. Die Venae jugulares ent-
springen mit vielen Aestchen vom Kopfe besonders aus dem Ge-
hirn, laufen dicht hinter den Kiemenspalten und vor der Gegend des
Gehörbläschens nach hinten bis in die Höhe des Herzens, wo sie
nach innen sich biegen und mit den Stämmen der Venae cardinales
die Ductus Cuvieri bilden, die rechts und links von der Speiseröhre
gegen das Herz verlaufen und mit einem kurzen Stämmchen, ge-
meinschaftlich mit der Vena omphalo-mesenterica, in die noch einfache
Vorkammer sich einsenken. Die Venae cardinales entspringen
[422]Siebenunddreissigste Vorlesung.
doppelt am hinteren Leibesende, laufen hinter den Wolff’schen
Körpern die Aorta zwischen sich nehmend nach vorn, um dann,
wie schon erwähnt, mit den Jugulares sich zu vereinen.


Venae jugulares.Die genaueren Verhältnisse und die weiteren Entwicklungen
dieser zwei Venengebiete sind nun folgende. Die Venae jugula-
res
anlangend, so liegen ihre ersten Zweige in der Schädelhöhle

Figure 209. Fig. 209.


und fliessen jederseits in einem Ge-
fässe zusammen, das als Anfang des
Stammes angesehen werden kann und
später als Sinus transversus erscheint.
Dieses Gefäss verlässt jedoch die
Schädelhöhle nicht durch ein Foramen
jugulare
, sondern durch eine beson-
dere, vor der Ohrgegend gelegene
Oeffnung, welche, wie Luschka ge-
zeigt hat, auch am ausgebildeten knö-
chernen Schädel noch erhalten sein
kann und dann am Schläfenbeine über
dem Kiefergelenke liegt. Später ver-
schliesst sich diese Oeffnung und wird
das Blut der Schädelhöhle durch eine
nahe am Ductus Cuvieri aus dem un-
tersten Ende der primitiven Jugularis
hervorgesprosste Jugularis interna ab-
geführt, so dass dann die erstere als
Jugularis externa erscheint. In den
Bereich desselben Venengebietes ge-
Vertebrales
anteriores.
hören auch 1) die Venaevertebra-
les anteriores
von Rathke, die in
die Ductus Cuvieri sich entleeren und
Subclaviae.zu den bleibenden Venae vertebrales sich gestalten, und 2) die Venae
Venae
cardinales.
subclaviae, die in das Ende der Jugulares sich ergiessen.


Die Venae cardinales sind wohl in erster Linie die Venen

Fig. 209. Schema zur Darstellung der grossen Venen aus der Zeit des
ersten Auftretens des Placentarkreislaufes und der Körpervenen, beim Men-
schen etwa aus der vierten Woche. v gemeinschaftlicher Venensinus, dc Duc-
tus Cuvieri, j
primitive Jugularis, ji Jugularis interna, s Subclavia, c Cardinalis,
h
Ende derselben, spätere Hypogastrica, cr Cruralis, ci Cava inferior, om Om-
phalo-mesenterica, u Umbilicalis, u′
Stamm derselben an der Leber, dessen
Leberäste nicht dargestellt sind.


[423]Entwicklung des Gefässsystems.
der Wolff’schen Körper, deren ganzem Verlaufe sie folgen und von
denen sie viele Zweigelchen aufnehmen. Ausserdem nehmen sie aber

Figure 210. Fig. 210.


auch von der Rückenwand
des Rumpfes viele Aestchen
auf, die den späteren Inter-
costal- und LumbalvenenIntercostales,
Lumbales.

entsprechen. Mit der Bil-
dung der hinteren Extre-
mitäten entstehen an ihren
Stämmen auch die VenaeCrurales.
Crurales. Die weiteren
Umwandlungen der Cardi-
nalvenen sind bei den Säu-
gethieren und beim Men-
schen noch nicht hinrei-
chend verfolgt, es scheinen
jedoch nach Rathke’s Un-
tersuchungen die mittleren
Theile der Cardinalvenen
später ganz zu vergehen.
Die Venen der hinteren Ex-
tremitäten und die Schwanzvenen, die ursprünglich die Enden der
Cardinalvenen sind, schliessen sich dann an die mittlerweile ent-

Fig. 210. Schema zur Darstellung der Bildung der Venensysteme der Cava
superior
und inferior. 1. Ansicht des Herzens und der Venen aus der Zeit des
Bestehens zweier oberer Hohlvenen von hinten. cs Cava superior sinistra,
die mit ihrem Ende Herzvenen aufnimmt, cds Stamm der Cardinalis sinistra,
cd Cava superior dextra, ad Anonyma dextra
(ursprünglich Anfang der rech-
ten Jugularis), as Anonyma sinistra (Verbindungsast zwischen beiden ursprüng-
lichen Jugulares), az Azygos (ursprünglich Stamm der Cardinalis dextra),
Ji Jugularis interna, Ie Jugularis externa, s Subclavia, c obliterirter mittlerer
Theil der Cardinalvenen, vp statt dessen neu aufgetretene Vertebralis posterior,
die nun die Lendenvenen und Intercostalvenen zum Theil aufnimmt, ha Stamm
der Hemiazygos (Verbindungsast zwischen beiden Vertebrales), ci Cava inferior,
il Iliaca communis
(ursprünglich Verbindungsast der Cava mit der Cardinalis),
cr Cruralis, h Hypogastrica (ursprüngliches Ende der Cardinalis).
2. Ansicht des Herzens und der bleibenden Venenstämme mit Andeutung
des Schwindens der Cava superior sinistra von hinten, az Azygos, ad Anonyma
dextra, as Anonyma sinistra, Jc Jugularis communis, s Subclavia, cs
obliterirte
Cava superior sinistra, i Intercostalis suprema, has Hemiazygos superior, hai
Hemiazygos inferior, ha
Stamm der Hemiazygos, sc Sinus coronarius die grossen
Herzvenen aufnehmend (Ende der früheren Cava superior sinistra).


[424]Siebenunddreissigste Vorlesung.
standenen Venae iliacae an (Fig. 210, 2). Die Lendenvenen ferner
vereinen sich theils mit der Vena cava, theils mit einem neu entste-
Vena
vertebralis
posterior.
henden Stamme, der Vena vertebralis posterior von Rathke,
der auch die hinteren Intercostalvenen aufnimmt und durch das sich
erhaltende obere Ende der Cardinalvenen in den Ductus Cuvieri
übergeht. So entsteht dann ein Verhalten der Gefässe, wie Sie das-
selbe in dem Schema Fig. 210, 1 dargestellt sehen.


Behufs der Schilderung der letzten Umwandlungen der Venae
cardinales
haben wir nun vor allem unsern Blick wieder auf die
grossen Stämme am Herzen zu richten. Wie schon angegeben, mün-
den die Ductus Cuvieri, die Abzugskanäle der Jugular- und Cardinal-
venen, anfänglich mit der Vena omphalo-mesenterica, deren Stelle
später von der Umbilicalis und endlich der Cava inferior eingenom-
men wird, gemeinschaftlich in den Vorhof des Herzens. Später wird
dann der kurze gemeinschaftliche Venensinus in den Bereich der
Vorkammer gezogen und dann findet man am Herzen drei grosse
Venenmündungen, die beiden Ductus Cuvieri, die nun auch obere
Cavae
superiores.
Hohlvenen heissen und die Cava inferior. Beim Menschen er-
halten sich diese zwei oberen Hohlvenen viel länger als man bis jetzt
gewusst hat und habe ich Ihnen schon früher ein Herz eines acht
Wochen alten Embryo geschildert (Fig. 199), an welchem dieselben
beide gleich stark waren (s. auch Fig. 210, 1). Hierbei nimmt jedoch
die linke Vene eine andere Stellung an als die rechte und mündet
ganz unten und nach links in die Vorkammer ein, nachdem sie vor-
her auch die Herzvenen aufgenommen hat. Diese obere linke Hohl-
vene nun vergeht, wie ich mit J. Marshall (On the development of
the great anterior veins in Phil. Trans.
1859, I) finde, im dritten und
vierten Monate und bildet sich das bleibende Verhältniss der Venen
des Systemes der Cava superior in folgender Weise. Erstens entsteht
eine Verbindung der linken Jugularis mit der rechten durch einen
kurzen queren Stamm (Fig. 210, as), der nach Marshall bei Schaaf-
embryonen von ½″ noch fehlt, dagegen bei solchen von ¾″ in der
ersten Entwicklung getroffen wird. Beim Menschen ist die Bildung
dieses Gefässes noch nicht verfolgt und weiss man nur soviel, dass
dasselbe am Ende des zweiten Monates vorhanden ist. Zweitens löst
sich der linke Ductus Cuvieri oder die linke Cava superior fast ganz
auf, wie J. Marshall gezeigt hat, mit einziger Ausnahme des End-
Sinus
coronarius.
stückes, welches zum sogenannten Sinus coronarius wird, in den
die Vena coronaria cordis magna und die hinteren Herzvenen
[425]Entwicklung des Gefässsystems.
sich ergiessen. Drittens endlich verbindet sich die linke hintere Ver-
tebralvene hinter der Aorta mit der entsprechenden Vene der rechten
Seite und wird so zur Vena hemiazygos. Die rechte Vena vertebra-Hemiazygos.
lis mit dem Ende der früheren Cardinalis ist nun Azygos geworden,Azygos.
der Ductus Cuvieri dexterobere Hohlvene, das Ende der rechten
Jugularis Anonyma dextra, der neue Verbindungszweig mit derAnonymae.
Jugularis sinistra Anonyma sinistra, wie Ihnen dieses Alles die
Fig. 210 versinnlicht. Das obere Ende der Vertebralis posterior dextra
mit dem Reste der Cardinalis dextra erhält sich in sehr verschiede-
ner Form als Stämmchen der oberen Intercostalvenen oder Hemi-
azygos superior
und Intercostalis suprema. Einen dieser Fälle, wo
die Hemiazygos superior eine Anastomose der Hemiazygos inferior
und Anonyma darstellt, ist in dem Schema Fig. 210, 2 zu Grunde ge-
legt. — Fassen Sie alles Bemerkte zusammen, so ergibt sich, dass
dem exquisit asymmetrischen Systeme der Vena cava superior des
Erwachsenen ein ganz paariges Venengebiet zu Grunde liegt, und
will ich Sie bei dieser Gelegenheit noch darauf aufmerksam machen,
dass bei manchen Säugethieren zeitlebens zwei obere Hohlvenen sich
erhalten, sowie dass auch beim Menschen in seltenen Fällen eine
Cava superior sinistra gefunden wird, in welch’ letzterer Beziehung
besonders die citirte Arbeit von Marshall zu vergleichen ist.


Es erübrigt endlich noch die Bildung der unteren HohlveneCava inferior.
zu besprechen, welche von all den geschilderten primitiven Venen-
stämmen zuletzt entsteht. Wenn die Cardinalvenen die Venen der
Wolff’schen Körper sind, so kann man die Cava inferior die Vene
der Nebennieren, Nieren und inneren Geschlechtsorgane heissen. Ihre
Bildung fällt beim Menschen zwischen die vierte und fünfte Woche und
erscheint dieselbe als ein kürzerer Stamm zwischen den Wolff’schen
Körpern und hinter der Leber, der vorn mit dem Stamme der Umbili-
calvene zusammenmündet und hinten jederseits durch einen hin-
ter den Wolff’schen Körpern gelegenen Ast mit den Cardinalvenen
sich verbindet, da wo dieselben von aussen die kleine Extremitäten-
vene aufnehmen (Fig. 210). Ueber die erste Entstehung der Hohlvene
gibt Rathke an, dass dieselbe gleichsam von der Leber aus rück-
wärts auswachse. Zuerst entstehe der Stamm, dann ein Paar Aeste,
die am inneren Rande der Wolff’schen Körper rückwärts verlaufen
und Aestchen von diesen und der Niere empfangen. Darauf bilde
sich der Stamm über diese Aeste hinaus nach hinten fort und gehe
dann die erwähnte Anastomose mit den Cardinalvenen ein, während
[426]Siebenunddreissigste Vorlesung.
zugleich ein neuer Seitenast von den Wolff’schen Körpern und den
Geschlechtsorganen her sich bilde. Mit dem Schwinden der Wolff’-
schen Körper und des mittleren Theiles der Cardinalvenen erschei-
nen dann das Ende dieser (als Vena hypogastrica) und die Schenkel-
vene als Aeste der Cava, deren zwei Schenkel zu den Venae iliacae
communes
sich gestalten. Zugleich wird das vordere Ende der Cava
immer weiter und bald zum Hauptgefäss, in das dann das Ende der
Nabelvene oder der Ductus venosus als Ast einmündet, wobei jedoch
zu bemerken ist, dass selbst noch am Ende des Fötallebens die
Cava inferior eigentlich kaum stärker ist als der Ductus venosus (Fig.
208), so dass man den kurzen Stamm der Cava über der Leber auch
jetzt noch mit Recht als Ende der Umbilicalis bezeichnen könnte,
insofern wenigstens als die Lebervenen zum Bereiche der Umbilicalis
gehören.


Kreislauf
beim Fötus.
Nach Beschreibung der Entwicklung der Blutgefässe erscheint
es nun zweckmässig noch mit einigen Worten des Kreislaufes im
Fötus zu gedenken. Die Embryologie unterscheidet gewöhnlich zwei
Formen oder Stadien des Kreislaufes im Fötus, einmal den ersten
Kreislauf
oder den des Fruchthofes und Dottersackes und
dann den zweiten Kreislauf, der auch der Placentarkreis-
lauf
heisst, es ist jedoch hinreichend klar, dass zwischen diesen
beiden Endgestaltungen eine Menge Uebergänge sich finden. Es
würde uns zu weit führen und auch ziemlich nutzlos sein, woll-
ten wir diese Zwischenstufen jetzt, nachdem wir dieselben alle
ausführlich anatomisch abgehandelt, auch noch vom physiologischen
Standpuncte aus betrachten und begnüge ich mich daher, da der
erste Kreislauf schon geschildert ist (s. Vorl. XII), mit einer kurzen
Darstellung des Placentarkreislaufes, wie er vom Anfange des drit-
ten Monates an bis zum Ende des Fötallebens gefunden wird. Das
Eigenthümliche dieses Kreislaufes, verglichen mit dem Kreislaufe
der nachembryonalen Zeit, liegt darin, dass bei demselben ein zwei-
ter Kreislauf, analog dem Lungen- oder kleinen Kreislaufe, fehlt, und
dass somit alle vier Abtheilungen des Herzens für den Körperkreis-
lauf nutzbar gemacht werden. Um dieses bei der stattfindenden
gleichmässigen Ausbildung aller Abschnitte des Herzens zu ermög-
lichen, mussten Einrichtungen geschaffen werden, um erstens auch
dem linken Herzen, dem von den Lungen her eine kaum nennens-
werthe Blutmenge zukommt, eine gehörige Zufuhr zu verschaffen,
und zweitens das Blut des rechten Herzens in die Körpergefässe ab-
[427]Entwicklung des Gefässsystems.
zuleiten. Zur Verwirklichung dieser Bedingungen finden wir nun
beim Fötus 1) eine Oeffnung in der Scheidewand der Vorkammern,
das Foramen ovale, und eine solche Klappeneinrichtung an der
Cava inferior, dass dieselbe ihr Blut fast alles in den linken Vorhof
überführt, und 2) eine Verbindung der Arteria pulmonalis mit der
Aorta descendens durch den sogenannten Ductus Botalli, welcher den
Abfluss des Blutes der rechten Kammer mit Ausnahme des wenigen,
was zu den Lungen geht, in die Körperarterien und zwar der hin-

Figure 211. Fig. 211.


teren Rumpftheile gestattet (Fig. 211). Aus
diesem Verhalten der Arterie des rechten
Herzens ergibt sich nun auch, dass die
Leistungen desselben für die Gesammt-
circulation eben so gross sind, wie die der
linken Kammer, und erklärt sich so die
gleiche Muskelstärke beider Kammern beim
Fötus.


Fernere Eigenthümlichkeiten der föta-
len Circulation liegen nun in dem Um-
stande, dass der Embryo im Mutterkuchen
ein ausserhalb seines Leibes befindliches
Organ besitzt, das, man mag nun die Function der Placenta ansehen
wie man will, auf jeden Fall die Rolle eines Ernährungsorganes im
weiteren Sinne spielt. Soll der Fötus wachsen und gedeihen, so ist
eine ununterbrochene freie Verbindung mit der Placenta, eine be-
ständige Wechselwirkung des fötalen und mütterlichen Blutes in
derselben nöthig. Diese Beziehungen nun werden unterhalten durch
die zwei mächtigen Arteriae umbilicales, die das Fötalblut in die
Placenta hineinsenden und durch die Vena umbilicalis, die von der-
selben wieder in den Embryo geht. Interessant, jedoch leider noch
nicht nach allen Seiten physiologisch aufgeklärt, ist nun das Verhal-
ten dieser Vene zur Leber, indem dieselbe ihr meistes Blut in die
Leber abgibt und so gewissermaassen eine fötale Pfortader dar-
stellt, während nur ein geringerer Theil desselben durch den Ductus
venosus
direct ins Herz abfliesst. Man vermuthet mit Recht, dass
diese Einrichtung das Zustandekommen besonderer chemischer Vor-

Fig. 211. Herz eines reifen Embryo etwa um die Hälfte verkleinert, von
vorn und etwas von links her. cs Cava superior, a Anonyma, c Carotis sinistra,
s Subclavia sinistra, ao
Ende des Arcus aortae, da Ductus arteriosus Botalli,
ad Aorta thoracica, ap
linke Pulmonalis, p linke Venae pulmonales.


[428]Siebenunddreissigste Vorlesung.
gänge im Lebergewebe und im Blute der Nabelvene selbst ermöglicht
und vielleicht auch für die Blutzellenbildung von Bedeutung ist,

Figure 212. Fig. 212.


doch fehlen annoch
sichere Thatsachen,
um diese Vermuthun-
gen in bestimmtere
Worte kleiden zu
können.


Da der Fötus kein ei-
gentliches Athmungs-
organ besitzt, und
auch die Functionen
seiner Organe lange
nicht dieselben sind
wie beim Erwachse-
nen, so mangelt dem-
selben auch jene Ver-
schiedenheit des Blutes in verschiedenen Bezirken, die wir mit den
Namen arteriell und venös bezeichnen. Nichts desto weniger würde
man sehr irren, wenn man das Blut des Fötus als überall gleich be-
schaffen ansehen wollte. Die hier vorkommenden Extreme sind
einerseits das Blut der Nabelvene, das als das zur Unterhaltung des
Wachsthumes tauglichste anzusehen ist und andererseits das Blut
der Körpervenen, von welchem das entgegengesetzte zu sagen ist,
und können wir diese beiden Blutarten, ohne jedoch auf diese Be-
zeichnung ein zu grosses Gewicht zu legen, immerhin als Arterien-
und Venenblut des Embryo bezeichnen. Verfolgen wir nun, wie bei
der geschilderten Einrichtung des Herzens und der grossen Arterien
die Vertheilung der beiden Blutarten sich macht, so finden wir, dass
kein Theil des Körpers reines Arterien- oder Umbilicalvenenblut er-
hält. Denn das Blut der Nabelvene kommt nur gemengt mit dem
Venenblut der unteren Hohlvene aus der Pfortader ins Herz. Aber

Fig. 212. Leber eines reifen Fötus, 5/6 der natürlichen Grösse, von unten.
Der obere Theil des Spigel’schen Lappens, die die linke Furche begrenzenden
Theile und ein Theil des rechten Lappens sind entfernt. u Stamm der Umbili-
calis, u′
Hauptast derselben zum linken Lappen, u″ Ast derselben zum rechten
Lappen, u‴ kleinere Aeste zum linken Lappen und zum Lobus quadrangularis,
dv Ductus venosus Arantii, p Vena portae, ci Cava inferior
an der Leber, c
Stamm derselben über der Leber, h linke Lebervene, f Gallenblase.


[429]Entwicklung des Gefässsystems.
auch das so gemischte Blut kommt nicht allen Theilen des Körpers
ganz gleichmässig zu Statten, vielmehr finden wir, dass dasselbe,
weil es fast ganz in die linke Vorkammer übergeht, vorzugsweise
durch die grossen Aeste der Aorta dem Kopfe und den oberen Ex-
tremitäten zu gute kommt. Der Rumpf und die unteren Extremitäten
erhalten durch die Art. pulmonalis einmal das rein venöse Blut der
oberen Hohlvene, und dann von gemischtem Blute erstens das wenige,
was von der unteren Hohlvene nicht in die linke Kammer übergeht
und zweitens das, was durch das Ende des Bogens der Aorta vom
Blute des linken Herzens für die Aorta descendens übrig bleibt. Somit
ist die obere Körperhälfte mit Bezug auf ihre Ernährung besser dran
als die untere und erklärt man auch hieraus, dass dieselbe in den
früheren Perioden in der Entwicklung stets voran ist. Später gestal-
ten sich nun freilich die Verhältnisse allmälig etwas günstiger für
die unteren Körpertheile, dadurch, dass einmal das Foramen ovale
langsam enger wird und so immer mehr Blut der Cava inferior für
die rechte Kammer übrig bleibt, und zweitens durch Erweiterung
des Endes des eigentlichen Arcus aortae und Verengerung des Ductus
Botalli
, welche letztere mit der Zunahme der Blutzufuhr zu den Lun-
gen in Verbindung steht.


Die Umwandlung des fötalen Kreislaufes in den bleibenden ge-
schieht nach der Geburt fast mit einem Schlage. Die Umbilicalvene
und die Nabelarterien obliteriren wohl vorzüglich durch Bildung von
Blutpfröpfen in denselben, was vielleicht auch vom Ductus venosus
gilt. Was dagegen den Ductus Botalli und das Foramen ovale anlangt,
so sind es hier besondere Wachsthumsphänomene, die ich an erste-
rem Kanale als eine Wucherung der Arterienhaut nachgewiesen habe,
welche zugleich mit der Aenderung des Blutlaufes, den die Athmung
bedingt, den Verschluss herbeiführen. Der Ductus Botalli schliesst
sich übrigens viel rascher als das Foramen ovale, das, wie Ihnen be-
kannt, auch sehr häufig zeitlebens wegsam bleibt, so jedoch, dass
vermöge der Lage und Grösse der Valvula foraminis ovalis sein Offen-
stehen keinen Nachtheil bringt.


Ich sollte nun noch der Vollständigkeit halber auch von der
Entwicklung des Blutes handeln, da jedoch die Bildung der ersten
Blutzellen schon besprochen ist und dieser Gegenstand mehr ein
histologisches Interesse darbietet, so glaube ich Sie auf die Gewebe-
lehre und vor Allem auf die ausführlichen Untersuchungen verweisen
zu dürfen, welche Fahrner und ich selbst gerade über die Entste-
[430]Siebenunddreissigste Vorlesung.
hung der Blutkörperchen der Säugethiere und des Menschen ange-
stellt haben (Mikr. Anat. II. 2, Gewebel. 3. Aufl. St. 608).


Lymphgefässe.Von der Entwicklung der Lymphgefässe ist bis jetzt nur
das Wenige bekannt, was ich von den Anfängen dieser Kanäle bei
Froschlarven mitgetheilt habe (siehe Gewebelehre 3. Aufl.) und hat
auch dieses mehr histologisches als morphologisches Interesse. Von
den Lymphdrüsen weiss man, dass sie erst um die Mitte der
Fötalzeit erscheinen. Nach Brechet sind dieselben anfänglich ein-
fache Lymphgefässplexus (Le système lymphatique. Paris 1836. pag.
185) und nach Engel gehen dieselben aus sprossentreibenden und
vielfach sich windenden Lymphgefässen hervor (Prag. Viertelj. 1850.
II. pag. 111).


[[431]]

Achtunddreissigste Vorlesung.


VII. Entwicklung der Harn- und Geschlechtsorgane.


Lassen Sie uns jetzt, meine Herren, das Capitel der Entwick-
lungsgeschichte in Angriff nehmen, welches unsere Gesammtaufgabe
vollenden soll, nämlich die Harn- und Geschlechtsorgane.


Was vor Allem die Harnorgane anlangt, so wissen Sie aus frü-Entwicklung der
Harnorgane.

heren Vorlesungen, dass bei jungen Embryonen eine Drüse, der
Wolff’sche Körper oder die Urniere, sich findet, die nicht nur
im Wesentlichen den Bau der Niere besitzt, sondern auch wirklich
Harn secernirt und in die Allantois ergiesst. Diese Drüse steht jedoch
mit der bleibenden Niere durchaus in keinem genetischen Zusam-
menhange, wohl aber wandelt sich ein anderer Theil des Gebietes,
welchem dieselbe angehört, nämlich die Allantois, wenigstens mit
Einem Abschnitte in gewisse bleibende Theile des Harnapparates
um. Sie erinnern sich wohl noch an den Urachus oder den Stiel der
Allantois, durch welchen dieselbe mit der vorderen Wand des Mast-
darmes zusammenhängt (s. Fig. 47, 60, 61). Dieser Urachus oderBildung der
Harnblase.

Harngang nun erweitert sich schon im zweiten Monate in seinem
nahezu untersten Theile zu einem beiläufig spindelförmigen Behälter,
der Harnblase, die durch einen kurzen Gang mit dem Mastdarme
sich vereint und an ihrem oberen Ende mit einem anfangs noch hoh-
len Kanale, der den Namen Urachus beibehält, in den Nabelstrang
sich erstreckt und dann sich verliert. Später verengert sich dieser
Kanal und schliesst sich zuletzt in einer nicht genau zu bestimmen-
den Zeit (meist erst gegen das Ende der Fötalperiode), was dann zur
Bildung des Ligamentum vesicae medium führt, und zugleich entwickelt
sich die Harnblase zu einem immer weiteren Behälter, der jedoch
[432]Achtunddreissigste Vorlesung.
noch lange Zeit hindurch am oberen Ende die primitive Spindel-
gestalt erhält und ohne scharfe Grenze in den Urachus übergeht.


Indem wir die weiteren Formveränderungen der Harnblase bei
Seite lassen oder für die später abzuhandelnde Geschichte des Sinus
urogenitalis
aufsparen und nur das noch betonen, dass dieselbe an-
fänglich und längere Zeit hindurch einem guten Theile nach in der
Entwicklung der
Nieren.
Bauchhöhle liegt, wenden wir uns zu den bleibenden Nieren.
Von diesen ist die allererste Entwicklung bis jetzt einzig und allein
Nieren des
Hühnchens.
beim Hühnerembryo durch Remak bekannt geworden und schil-
dere ich Ihnen daher zuerst die hier sich findenden Vorgänge. Am
sechsten Tage der Bebrütung erscheinen beim Hühnchen neben und
einwärts von den Ausführungsgängen der Wolff’schen Körper an
der hinteren Wand der Kloake oder des letzten Endes des Mastdar-
mes und als unmittelbare Fortsetzungen der Wandungen
derselben
zwei hohle einfache Blindsäckchen (bei Remak Taf. VI.
Fig. 83), die aus denselben beiden Schichten, wie die ersten Anlagen
aller Darmdrüsen, nämlich einer Faserlage und einer Epithelial-
schicht bestehen, und somit auf ein Haar der frühesten Lungenform
gleichen. In der That wächst nun auch diese Anlage nach dem Typus
der Lungen und nicht nach dem der gewöhnlichen traubenförmigen
Drüsen, mit anderen Worten, es bildet sich dieselbe als Hohlgebilde
weiter und treibt dann auch später hohle Aeste, welche Remak vom
siebenten und neunten Tage zierlich dargestellt hat (l. c. Taf. VI.
Fig. 84 und 85). Bis zum zehnten Tage haben alle hohlen Endäste
der Nierenanlage noch einen geraden Verlauf, von da an aber be-
ginnen dieselben sich zu winden, womit dann der Unterschied einer
Rinden- und Marksubstanz auftritt. — Weiter hat sich Remak über
die Entwicklung der Niere des Hühnchens nicht ausgesprochen, es
scheint jedoch aus dem Angegebenen hervorzugehen, dass dieselbe
ganz und gar aus hohlen Sprossen des ursprünglichen Blindsäck-
chens sich aufbaut und niemals solide Sprossen besitzt.


Niere der
Säugethiere und
des Menschen.
Bei den Säugethieren und beim Menschen ist die erste Entwick-
lung der Niere noch gänzlich unbekannt, doch lässt sich aus der
nicht schwer zu constatirenden Thatsache, dass dieselbe anfänglich
hinter dem untersten Theile der Urnieren ihre Lage hat und später
bis zu den Seiten der Lendenwirbelsäule hinter denselben herauf-
rückt, entnehmen, dass dieselbe höchst wahrscheinlich auch hier als
eine Ausstülpung, wenn auch nicht des Mastdarmes, so doch der
Harnblase oder des früheren Urachus sich bildet. Beim menschlichen
[433]Entwicklung der Harn- und Geschlechtsorgane.
Embryo sah ich die Nieren zwischen der sechsten und siebenten
Woche als 1⅚mm grosse bohnenförmige platte Körperchen, die hin-
ter dem unteren Theile der Urnieren ihre Lage hatten. Der Ureter
war deutlich hohl und führte in der Niere zu einer gewissen nicht
näher zu bestimmenden Zahl von Ausbuchtungen, die mehr als die
innere Hälfte des Organes einnahmen. Mit diesen Ausbuchtungen
standen an beiden Flächen und am äusseren Rande überall kurze,
leicht gebogene, aus Zellen gebildete Stränge in Verbindung, die An-

Figure 213. Fig. 213.


lagen der Harnkanälchen. In der 2½mm mes-
senden Niere des acht Wochen alten Embryo
der Fig. 213, die noch hinter der grossen
Nebenniere ihre Lage hatte, zeigte die
Oberfläche des Organes eine grössere Zahl
kleiner Abtheilungen, von denen jede aus
einer ganzen Gruppe der vorhin beschriebe-
nen, nur hier etwas längeren und mehr ge-
wundenen Zellenstränge bestand. Im Innern
fanden sich wiederum am Harnleiter die Ausbuchtungen, von deren
Wandungen jene Zellenstränge ausgingen. Bei dreimonatlichen Em-
bryonen bestanden die Nieren nur aus Rindensubstanz mit gewun-
denen Harnkanälchen von 0,016—0,048‴, die zum Theil noch solid
waren, zum Theil eine deutliche Höhle besassen, jedoch alle eine
Membrana propria zeigten. Mit den letzteren Kanälchen standen schon
gut entwickelte Malpighische Körperchen in Verbindung von 0,06—
0,07‴ Grösse, während die ersteren an den Enden einfach kolbige
Anschwellungen von 0,048—0,07‴ ohne Gefässe darboten. — Aus
diesen Erfahrungen, zusammengehalten mit den früheren von Rathke,
Valentin
und J. Müller über die Nieren von Säugethieren (s. meine
Mikr. Anat. II. 2. St. 372) und den oben gemeldeten von Remak, lässt
sich nun, wie mir scheint, folgender Entwicklungsgang der Niere
ableiten. Die Niere entwickelt sich in erster Linie ähnlich wie die
Lungen als eine hohle Ausstülpung der hinteren Wand der
Harnblase, an welcher natürlich sowohl die Epithelial- als die Faser-
schicht derselben sich betheiligen, und entsteht in dieser Weise ein-

Fig. 213. Harn- und Geschlechtsorgane eines acht Wochen alten mensch-
lichen Embryo etwa 2mal vergr. nn rechte Nebenniere, w Urniere, wg Ausfüh-
rungsgang derselben, n Niere, g Geschlechtsdrüse, hier von etwas auffallender
Gestalt, m Mastdarm, gh Leistenband des Wolff’schen Körpers (Gubernaculum
Hunteri
oder Lig. uteri rotundum), b Blase, h untere Hohlvene.


Kölliker, Entwicklungsgeschichte. 28
[434]Achtunddreissigste Vorlesung.
mal der Harnleiter und zweitens eine gewisse Zahl von Ausbuch-
tungen desselben, die Anlagen der Nierenkelche, welche mit der
Faserschicht zusammen einen compacten Drüsenkörper mit glatter
Oberfläche bilden. Ist das Organ soweit gebildet, so wächst es dann
nach Analogie der traubenförmigen Drüsen zum Theil auch der Leber
weiter, d. h. es bilden sich nun vom Epithel der Kelche aus solide
Zellensprossen, welche, rasch wuchernd und sich verästelnd, bald
eine Rindenschicht um die Kelche herum erzeugen und später auch
in Läppchen sich gruppiren. In zweiter Linie werden dann diese
Anlagen der Harnkanälchen von den Kelchen aus hohl und erzeugen
zugleich nach aussen, wahrscheinlich nach Art der Cuticulae die
Membrana propria, während zugleich die kolbig verdickten Enden
derselben zu den Malpighischen Körperchen sich umwandeln durch
einen Vorgang, über welchen bis jetzt einzig die früher schon an-
geführten (St. 112) Angaben von Remak vorliegen. Ist die Niere so-
weit entwickelt, so entsteht dann zum Schlusse durch fortgesetztes
Wachsthum der Harnkanälchen auch noch die Marksubstanz, und
das Organ ist im Wesentlichen angelegt.


Ueber die äusseren Verhältnisse der Niere habe ich Ihnen nun
nur noch zu bemerken, dass dieselbe im dritten Monate unterhalb
der Nebenniere an der hinteren Bauchwand zum Vorschein kommt
(Figg. 98, 105) und von nun an rascher wächst als die Nebennieren,
die so langsam in eine mehr untergeordnete Stellung kommen. Die
so früh auftretenden Lappen ferner an der Oberfläche des Organes
bleiben während der ganzen Embryonalperiode bestehen und bilden
sich immer deutlicher aus, um dann erst nach der Geburt mit ein-
ander zu verschmelzen.


Nebennieren.Ich reihe nun hier noch Einiges über die Nebennieren an,
von denen schon früher bei Gelegenheit der Entwicklung des Sym-
pathicus
die Rede war (St. 271). Die Nebennieren entstehen im
zweiten Monate um die sechste bis siebente Woche aus einem vor
der Aorta und zwischen den Wolff’schen Körpern gelegenen Bla-
steme, das den Mittelplatten angehört, und sind allem Anscheine nach
ursprünglich mit einander verschmolzen oder bilden wenigstens mit
einem mittleren Blasteme, das dann später zu den sympathischen
Plexus wird, Eine Masse. Im zweiten Monate grösser als die Nieren
(Fig. 213), werden sie im dritten Monate denselben gleich und neh-
men von da an relativ ab, so dass nach Meckel beim sechsmonatlichen
Embryo Nebennieren und Nieren dem Gewichte nach wie 2:5, beim
[435]Entwicklung der Harn- und Geschlechtsorgane.
Neugebornen wie 1:3 und beim Erwachsenen wie 1:8 sich verhal-
ten. Bei Säugethieren sind die Nebennieren von Anbeginn an kleiner
als die Nieren (Fig. 215). Ueber die innere Entwicklung des Organes
ist nichts Wesentliches bekannt.


Die Schilderung der Entwicklung der Geschlechtsorgane,Entwicklung
der inneren
Geschlechts-
organe im
Allgemeinen.

der zweite Theil unserer Aufgabe, erheischt zwar kein Zurückgehen
auf die allerfrühesten Zustände, doch sind es auch hier wiederum
die Wolff’schen Körper, die uns als Ausgangspuncte dienen, da ge-
wisse Theile der Geschlechtsorgane im innigsten Zusammenhange
mit diesen Drüsen, ja selbst aus gewissen Theilen derselben sich
hervorbilden. Wollen Sie sich demnach aus früheren Stunden in
Erinnerung bringen, dass die Wolff’schen Körper beim Menschen
in der vierten und fünften Woche (s. Fig. 71 und 72) als zwei spin-
delförmige, mehr compacte Drüsen in der ganzen Länge der Bauch-
höhle sich erstrecken und durch ihre Ausführungsgänge, die Ur-
nierengänge oder die Wolff’schen Gänge (Thiersch), die an der
äusseren vorderen Seite der ganzen Organe herunterlaufen, in das
untere Ende der Harnblase unterhalb der Ureteren einmünden. Die
Beziehung der Wolff’schen Körper zu den Geschlechtsorganen nun
ist kurz bezeichnet folgende: An der inneren Seite der Wolff’schen
Körper und in innigem Zusammenhange mit ihnen entsteht selbstän-
dig die Geschlechtsdrüse (Hoden oder Eierstock), welche bei bei-Geschlechts-
drüse.

den Geschlechtern anfänglich vollkommen gleich beschaffen ist, und
gleichzeitig mit dieser Drüse entwickelt sich neben dem Wolff’schen
Gange noch ein zweiter Kanal, der sogenannte Müller’sche GangMüller’scher
Gang oder
Geschlechtsgang.

oder der Geschlechtsgang, der ebenfalls in das untere Ende der
Harnblase einmündet. Beim männlichen Geschlechte nun vergeht
dieser Müller’sche Gang später wieder bis auf geringe Ueberreste
(den sogenannten Uterus masculinus oder die Vesicula prostatica),
dagegen tritt die Geschlechtsdrüse mit einem Theile des Wolff’schen
Körpers in Verbindung, welcher so zum Nebenhoden sich gestaltet,
während aus dem Wolff’schen Gange der Samenleiter wird. Sie
finden somit hier eine ganz merkwürdige Betheiligung der Primor-
dialniere an der Bildung des samenableitenden Apparates; immerhin
ist zu bemerken, dass nicht die ganze Drüse mit dem Geschlechts-
apparate eine Vereinigung eingeht, vielmehr ein nicht unbeträcht-
licher Abschnitt derselben ganz vergeht oder wenigstens nur in ganz
untergeordnete und bedeutungslose Theile sich umwandelt. Beim
weiblichen Geschlechte sind nun umgekehrt der Wolff’sche Körper
28*
[436]Achtunddreissigste Vorlesung.
und sein Gang ohne allen grösseren Belang und verschwinden bis
auf den Ihnen bekannten Nebeneierstock ganz und gar, dagegen

Figure 214. Fig. 214.


treten nun hier die Müller’schen Gänge
in ihre vollen Rechte ein und erschei-
nen als das, was sie in der That in der
Anlage sind, als Geschlechtsgänge, in-
dem sie mit ihren unteren verschmol-
zenen Enden zum Uterus und zur
Scheide und mit den oberen getrennt
bleibenden Theilen zu den Eileitern
sich umbilden.


Geschlechts-
drüsen.
Nach dieser übersichtlichen Schil-
derung stelle ich Ihnen nun der Reihe
nach die einzelnen Abschnitte der
Geschlechtsorgane gesondert vor und
beginne mit den Geschlechtsdrüsen,
deren erstes Auftreten, weniger was
die Zeit als das sonstige Verhalten an-
langt, bis anhin noch in tiefes Dunkel
gehüllt ist. In der fünften, deutlicher
in der sechsten Woche gewahrt man
beim menschlichen Embryo an der
inneren Seite der Wolff’schen Körper
und denselben dicht anliegend zwei
weissliche schmale Streifen (Fig. 214),
deren weitere Verfolgung bei Embryo-

Fig. 214. Menschlicher Embryo von 35 Tagen von vorn nach Coste, 3 linker
äusserer Nasenfortsatz, 4 Oberkieferfortsatz des ersten Kiemenbogens, 5 pri-
mitiver Unterkiefer, z Zunge, b Bulbus aortae, b′ erster bleibender Aortenbo-
gen, der zur Aorta ascendens wird, b″ zweiter Aortenbogen, der den Arcus
aortae
gibt, b‴ dritter Aortenbogen oder Ductus Botalli, y die beiden Fäden
rechts und links von diesem Buchstaben sind die eben sich entwickelnden Lun-
genarterien, c′ gemeinsamer Venensinus des Herzens, c Stamm der Cava supe-
rior
und Azygos dextra, c″ Stamm der Cava sup. und Azygos sinistra, o′ linkes
Herzohr, v rechte, v′ linke Kammer, ae Lungen, e Magen, j Vena omphalo-
mesenterica sinistra, s
Fortsetzung derselben hinter dem Pylorus, die später
Stamm der Pfortader wird, x Dottergang, a Art. omphalo-mesenterica dextra,
m
Wolff’scher Körper, i Enddarm, n Arteria umbilicalis, u Vena umbilicalis,
8 Schwanz, 9 vordere, 9′ hintere Extremität. Die Leber ist entfernt. Der
weisse Streifen an der inneren Seite des linken Wolff’schen Körpers ist die
Geschlechtsdrüse und die zwei Streifen an der äusseren Seite desselben der
Müller’sche Gang und der Urnierengang.


[437]Entwicklung der Harn- und Geschlechtsorgane.
nen der siebenten und achten Woche bald zeigt, dass dieselben
nichts als die Geschlechtsdrüsen sind. Ueber die Entstehung dieser
Streifen kann ich Ihnen vom Menschen nichts mittheilen, da mir das
nöthige Material abging, um dieselben specieller zu verfolgen, und
weil die Verhältnisse auch sonst hier nicht günstige sind. Was da-
gegen die Säugethiere anlangt, so ist es wegen der längeren Persistenz
und der bedeutenden Grösse halber, welche die Urnieren bei ihnen
erreichen, leichter die Beziehungen der Geschlechtsdrüsen zu den
genannten Organen zu ermitteln. Hier zeigt sich nun auf Quer-
schnitten durch die Urnieren junger Rindsembryonen von 7—8‴,
dass dieselben zwar in Verbindung mit den Urnieren, aber doch un-
abhängig von denselben in der Schicht sich bilden, die später als
Bauchfellüberzug der Urnieren erscheint. Durch ihr rasches Wachs-
thum heben sie sich aber bald wie von den Urnieren ab, treten über
das Niveau derselben hervor und erscheinen nun schon als mehr
selbständige Streifen längs des inneren Randes derselben vor der
Cava inferior und Aorta. An Querschnitten sieht man aber auch
jetzt noch, dass der Peritonealüberzug der Urniere von dieser über
die Geschlechtsdrüse herübergeht, und dass die hintere äussere
Fläche der letzteren unmittelbar an die Urniere grenzt. Somit wäre
es also genauer bezeichnet eigentlich die subperitoneale Schicht im
Bereiche der Urniere, die die Geschlechtsdrüse erzeugt, eine Schicht,
deren ursprüngliche embryologische Bedeutung und Lagerung aus
den früher vom Hühnchen gegebenen Figg. 29, 26, 25 und 24 klar
werden wird, welche Ihnen zeigen, dass dieselbe ein Theil der so-
genannten Mittelplatten von Remak ist.


Einmal angelegt wachsen die Geschlechtsdrüsen rasch und tre-
ten ebenso wie die Wolff’schen Körper immer mehr vor, so dass sie
scheinbar in die Bauchhöhle zu liegen kommen; zugleich erhalten
beide Organe eine Art Gekröse, das ich Ihnen von den Wolff’schen
Körpern noch nicht erwähnt habe. Bei diesen letzteren Organen ist
das Gekröse bei den Säugethieren, bei denen dieselben viel grösser
werden, sehr deutlich, doch lässt es sich auch beim Menschen in
der siebenten bis achten Woche nachweisen. Bei beiden zeigt es
einige Eigenthümlichkeiten, die eine besondere Erwähnung verdie-
nen (Fig. 215). An der Drüse selbst ist dasselbe breit und niedrig,
etwa wie das Mesocolon ascendens, dagegen stellt dasselbe am oberen
Ende derselben eine kleine freie, zum Diaphragma verlaufende bo-
genförmige Falte mit zwei oder selbst drei Ausläufern dar, die ich
[438]Achtunddreissigste Vorlesung.
Zwerchfellsband
der Urniere.
das Zwerchfellsband der Urniere heisse (Fig. 215, d) und ist
auch an dem Theile des Ausführungsganges, der unterhalb der Drüse
liegt, als eine kleine senkrecht stehende Platte nachzuweisen. Fer-
ner geht vom Wolff’schen Gange genau am unteren Ende der Drüse
eine Bauchfellfalte zur Leistengegend, welche ich das Leisten-

Figure 215. Fig. 215.


Leistenband der
Urniere.
band der Urniere nenne (Fig. 215, i), ein Gebilde, das wir später
unter den Namen Gubernaculum Hunteri und Ligamentum uteri ro-
tundum
treffen werden. Was die Geschlechtsdrüsen anlangt, so be-
sitzen dieselben, sobald sie eine nur einigermaassen bedeutendere
Entwicklung erlangt haben, eine kleine Bauchfellfalte, die sie mit

Fig. 215. Geschlechts- und Harnorgane von Rindsembryonen. 1. Von
einem 1½″ langen weiblichen Embryo, einmal vergrössert. w Urniere, wg
Urnierengang mit dem Müller’schen Faden, i Leistenband der Urniere, o
Eierstock mit einer oberen und unteren Bauchfellfalte, n Niere, nn Neben-
nieren, g Geschlechtsstrang, gebildet aus den vereinigten Urnieren- und
Müller’schen Gängen. 2. Von einem 2½″ langen männlichen Embryo, nicht
ganz 3mal vergr. Der eine Hoden ist entfernt. Buchstaben wie bei I., ausser-
dem mMüller’scher Gang, m′ oberes Ende desselben, h Hoden, h′ unteres
Hodenband, h″ oberes Hodenband, d Zwerchfellsband des Wolff’schen Kör-
pers, a Nabelarterie, v Blase. 3. Von einem 2½″ langen weiblichen Embryo,
nicht ganz 3mal vergrössert. Buchstaben wie bei 1. und 2., ausserdem t Oeff-
nung am oberen Ende des Müller’schen Ganges, o′ unteres Eierstocksband,
u verdickter Theil des Müller’schen Ganges, Anlage des Uterushornes.


[439]Entwicklung der Harn- und Geschlechtsorgane.
der Urniere verbindet, die je nach dem Geschlechte Hoden- oder
Eierstockgekröse, Mesorchium oder Mesoarium heisst. Ausser-Mesorchium und
Mesoarium.

dem zieht sich von beiden Enden der Geschlechtsdrüse 1) eine obere
Falte zum Zwerchfellsbande der Urniere (Fig. 215, 2h″) und 2) ein
unteres Bauchfellband zum Urnierengange (Fig. 215, 2h′), welche
denselben gerade da trifft, wo das Leistenband von ihm abgeht.


Hoden und Eierstöcke entsprechen sich ursprünglich in der
Form genau (Fig. 215), gegen das Ende des zweiten Monates wird
jedoch beim Menschen das erste Organ breiter und verhältnissmässig
kürzer, während der Eierstock eine gestrecktere Form beibehält.
Zugleich ändert sich auch die Stellung der Geschlechtsdrüsen in der
Art, dass dieselben beim weiblichen Geschlechte mehr schief sich
lagern und ist von dieser Zeit an, d. h. in der neunten bis zehnten
Woche, auch von dieser Seite her die Diagnose gesichert. Die wei-
tere Entwicklung besprechen wir nun bei den beiden Drüsen ge-
sondert, doch finde ich mich nicht veranlasst auf die äusseren Ge-
stalt- und Grössenverhältnisse noch weiter einzugehen und will ich
Ihnen nur noch das Wenige mittheilen, was über die inneren Struc-
turverhältnisse ermittelt ist.


So lange die Geschlechtsdrüsen noch keinen besonderen TypusInnere
Entwicklung der
Hoden.

an sich tragen, ist es leicht nachzuweisen, dass sie ganz und gar aus
indifferenten kleinen Bildungszellen bestehen, mit der Ausbildung
der einen oder anderen Form treten dann aber auch zugleich innere
Verschiedenheiten auf. Bei männlichen Embryonen von neun und
zehn Wochen erkannte ich schon die Samenkanälchen als gerade,
eines neben dem andern quer durch den Hoden sich erstreckende
Stränge von 0,02—0,022‴ Durchmesser, die ganz und gar aus
grossen Zellen von 0,006—0,008‴ bestanden, keine Membrana pro-
pria
besassen und durch zarte Züge sich entwickelnden Bindegewe-
bes von einander getrennt waren. In der eilften bis zwölften Woche
waren die Stränge, die nun schon Samenkanälchen heissen konnten,
etwas schmäler (von 0,012—0,02‴) mit zarter homogener Hülle und
kleineren Zellen. Viele zeigten Theilungen, andere kurze Aestchen
wie Sprossen; alle verliefen schon etwas geschlängelt und bildeten
mit ihren Aestchen schon wie Andeutungen kleiner Lobuli. Diesem
zufolge scheinen die Samenkanälchen ihre erste Entstehung einer
besonderen Zusammenfügung gewisser Zellen der primitiven Drü-
senanlage ihre Bildung zu verdanken und einmal gebildet durch Ver-
mehrung ihrer Zellen und Sprossenbildung sich zu verlängern und
[440]Achtunddreissigste Vorlesung.
zu verästeln. Die Membrana propria scheint mir wie bei der Niere
eine Ausscheidung der Zellen der ersten Drüsenanlage zu sein, zu der
dann nachher, jedoch erst spät, eine besondere bindegewebige Hülle
von aussen dazu kommt, die noch bei Neugebornen noch wenig ent-
wickelt ist. Ueber die übrige Entwicklung der Hoden bemerke ich
Ihnen nur noch Folgendes. Die Albuginea, die aus der ursprünglichen
Drüsenanlage hervorgeht, ist schon im dritten Monate zu erkennen,
nimmt jedoch erst später eine grössere Festigkeit an. In der Mitte
des Embryonallebens treten auch die Windungen der Samenkanäl-
chen und Läppchen mehr hervor, doch wachsen die ersten nur lang-
sam in die Breite und sind noch bei Neugebornen mindestens ½mal
dünner als beim Erwachsenen.


Innere Ausbil-
dung der
Eierstöcke.
Die innere Entwicklung des Eierstocks stimmt in manchen
Beziehungen mit derjenigen des Hodens überein. Von gleichen An-
fängen aus entwickelt sich der Unterschied darin, dass im Eierstock
der Theil der Bildungszellen, der nicht zur Bildung des Stroma und
seiner Gefässe Verwendung findet, zu kleinen rundlichen Häuf-
chen sich gruppirt, welche bei Rindsembryonen mit Leichtigkeit und
in Menge nachzuweisen sind und die Anlagen der Graaf’schen Folli-
kel darstellen. Eine centrale Zelle einer solchen Anlage wird zum
Ovulum, während die übrigen Zellen eine structurlose Membran
ausscheiden und dann als Epithel des so gebildeten Follikels erschei-
nen. Später wächst die centrale Zelle mehr als die übrigen Elemente,
welche jedoch ihrerseits an Zahl zunehmen, und so entstehen bald

Figure 216. Fig. 216.


Follikel wie die in der Fig. 216 darge-
stellten, die man zu tausenden in den
Eierstöcken von älteren thierischen und
auch bei reifen menschlichen Früchten
findet. Wie diese in die fertigen Graaf’-
schen Follikel sich umbilden ist nicht
schwer zu verstehen, und bemerke ich
Ihnen in dieser Beziehung nur, dass die
Zona pellucida oder die dicke Dotterhaut
des Säugethiereies auf jeden Fall eine secundäre Bildung ist, die am
besten als Ausscheidung der ursprünglichen Eizelle aufgefasst wird.


Fig. 216. Drei Graaf’sche Follikel aus dem Eierstock eines neugebornen
Mädchens, 350mal vergr. 1. ohne, 2. mit Essigsäure. a structurlose Haut der
Follikel, b Epithel (Membrana granulosa), c Dotter, d Keimbläschen mit Fleck,
e Kerne der Epithelzellen, f Dotterhaut, sehr zart.


[441]Entwicklung der Harn- und Geschlechtsorgane.

Wir kommen nun zur Schilderung der Entwicklung der Aus-Ausführungs-
gänge der
Geschlechts-
drüsen.

führungsgänge der Geschlechtsdrüsen und haben hier vor Allem von
einem Kanale zu handeln, der einige Zeit nach der Entstehung der
Urniere in der ganzen Länge neben dem Wolff’schen Gange entsteht
und gewöhnlich der Müller’sche Gang heisst. Dieser Kanal liegt, wennMüller’scher
Gang oder
Geschlechtsgang.

vollkommen ausgebildet, an der inneren vorderen Seite des Wolff’-
schen Ganges vor der Primordialniere und erstreckt sich wie dieser
bis ans obere Ende der Drüse, wo er leicht kolbig angeschwollen
endigt (Fig. 215, m′). Am unteren Ende der Primordialniere wenden
sich die Müller’schen oder Geschlechtsgänge, wie dieselben auch
heissen können, ganz an die innere und dann an die hintere Seite
der Wolff’schen Gänge, kommen hierbei dicht nebeneinander zu
liegen und münden dicht beisammen in das untere Ende der Harn-
blase ein, das von nun an den Namen Sinus urogenitalis führt. DieSinus
urogenitalis.

Entwicklung dieser Müller’schen Gänge, die, wenn sie ganz ausge-
bildet sind, wie die Wolff’schen Gänge in der Peritonealhülle der
Wolff’schen Körper drin liegen, ohne eine abgegrenzte Faserhaut
erkennen zu lassen und von einem cylindrischen einschichtigen Epi-
thel ausgekleidet sind, ist eine sehr eigenthümliche. Wie Rathke
zuerst angegeben (Meck. Arch. 1832. St. 382), entstehen dieselben
in der ganzen Länge der Wolff’schen Gänge auf einmal
und sind zuerst ohne Höhlung,
eine Bildungsweise, die bei
Drüsenausführungsgängen, denn die fraglichen Kanäle sind nichts
anderes, auf jeden Fall sehr auffallend ist. Sie werden sich jedoch
erinnern, dass diess doch nicht das erste Mal ist, dass bei Drüsen-
hohlräumen ein ähnlicher Bildungsvorgang uns entgegen tritt, denn
gerade von den Ausführungsgängen der Urnieren selbst waren wir
im Falle nachzuweisen (s. Vorl. XVI), dass dieselben weder von dem
Hornblatte noch von dem Darmdrüsenblatte abstammen, vielmehr
als anfänglich solide Zellenstränge aus Theilen des mittleren Keim-
blattes sich anlegen und erst in zweiter Linie eine Höhlung erhalten.
Wenn Sie dann ferner bedenken wollen, dass die Drüsen, zu denen
ja die Müller’schen Gänge recht eigentlich gehören, die Hoden und
Eierstöcke nämlich, ebenfalls in der Peritonealhülle der Urnieren
entstehen und ihre Drüsenkanäle und Drüsenblasen auch ganz unab-
hängig von den beiden epithelialen Blättern des Keimes erzeugen,
so wird Ihnen noch weniger auffallen, dass derselbe Bildungsmodus
auch hier sich findet. Es ist nämlich in der That nicht zu bezwei-
feln, dass die Müller’schen Gänge anfänglich solid sind, wie diess
[442]Achtunddreissigste Vorlesung.
nach Rathke auch Bischoff (Entw. St. 370) und Thiersch (Illustr.
med. Zeitz. 1852. St. 11) angegeben haben, und ist es mir durch
Untersuchung von mikroskopischen Querschnitten derselben nicht
schwer geworden nachzuweisen, dass dieselben ebenso sich bilden,
wie die Urnierengänge, wie Ihnen diess die Fig. 217 von einem etwa

Figure 217. Fig. 217.


1½″ Rindsembryo versinn-
licht. In derselben stellt
ug den Wolff’schen Gang
dar, der ausser einem Pfla-
sterepithel auch eine jedoch
nicht scharf abgesetzte ganz
dünne Faserhülle besitzt.
Derselbe liegt in einer ziem-
lich dicken Blastemschicht,
welche als Peritonealhülle
der Urniere betrachtet werden kann, und in dieser findet sich bei
m, in einem leistenartigen Vorsprunge a, der Querschnitt des Mül-
ler
’schen Ganges, der in diesem Stadium aus einem noch fast soliden
Zellenstrange besteht. Mit anderen Worten, es hat der Gang noch
ein sehr enges Lumen, das gegen die grossen cylindrischen Zellen
desselben ganz zurücksteht. Bei älteren Embryonen weiblichen Ge-
schlechtes wird dieses Lumen immer grösser und bildet sich dann
auch noch eine besondere Faserhülle aus, während beim anderen
Geschlechte der Gang, ohne weiter sich zu entwickeln, grösstentheils
der Resorption anheimfällt. — So war bei dem männlichen Embryo
der Fig. 215 der Müller’sche Gang an der Urniere selbst nicht stär-
ker als ihn die Fig. 217 zeigt und schon ohne Lumen, während
derselbe beim weiblichen Embryo derselben Figur schon nahezu die
Stärke des Wolff’schen Ganges erreicht hatte.


Die Müller’schen Gänge nun sind offenbar eigentlich die Aus-
führungsgänge der Sexualdrüsen beider Geschlechter, um so auffal-
lender ist es, dass dieselben nur beim weiblichen Geschlechte wirk-
lich zu dieser Function sich ausbilden, während sie beim männlichen
Geschlechte fast spurlos vergehen und ihre Rolle von den Urnieren-
gängen oder den Wolff’schen Kanälen übernommen wird. Es würde

Fig. 217. Querschnitt durch den vorderen Theil der Urniere eines weib-
lichen Rindsembryo von 1½″, 100mal vergr. a Leiste in der der Müller’sche
Gang m liegt, ug Urnierengang, wc Kanälchen der Urniere (das Epithel nicht
gezeichnet), p Peritonealhülle der Urniere.


[443]Entwicklung der Harn- und Geschlechtsorgane.
uns zu weit führen, wollte ich Ihnen an der Hand der Geschichte
zeigen, wie nach und nach die Erkenntniss, dass dem wirklich so
ist, sich ausbildete und muss ich mich damit begnügen unter Nen-
nung der Namen von H. Rathke (Beitr. z. Geschichte d. Thierwelt,
3. Abh. in den n. Schriften d. Danzig. Gellsch. Bd. 1. Heft 4. 1825;
Burdach’s Physiologie an versch. Stellen; Abhandl. z. Bildungs- u.
Entw. d. Menschen und der Thiere. 1832; Meck. Arch. 1832. St.
379; Entw. d. Natter bes. St. 209) und J. Müller (Bildungsgesch.
d. Genit. Düsseldorf 1830), denen in dieser schwierigen Frage das
Hauptverdienst zuzuerkennen ist, Ihnen das, was sich am Ende als
das einzig Wahre herausgestellt hat, zu schildern.


Wir beginen mit dem männlichen Geschlechte, als dem-Ausführungs-
gänge der
Geschlechts-
drüsen
beim männlichen
Geschlechte.

jenigen, welches, wenn man so sagen darf, mit einfacherem Mate-
rial seine ausführenden Theile erzeugt. Der Müller’sche Gang ist
hier bei Thieren zur Zeit, wo die Geschlechtsöffnung schon ganz
deutlich ausgeprägt ist, anfangs noch vorhanden (Fig. 215) und er-
hält auch, wie diess zuerst Rathke bei der Natter und Bischoff bei
Säugethierembryonen nachgewiesen haben, an seinem obern leicht
angeschwollenen Ende eine spaltenförmige Oeffnung, analog
derjenigen, welche beim weiblichen Thiere zur Bildung der Abdomi-
nalöffnung der Tuba führt. Bald aber schwinden die Müller’schen
Gänge von oben nach unten und erhält sich von denselben so zu
sagen nichts als das allerunterste Stück, welches zu dem sogenannten
Uterus masculinus (der Vesicula prostatica des Menschen) sich gestal-
tet. Mit Bezug auf diesen Ueberrest der eigentlichen Geschlechts-
gänge der männlichen Geschöpfe ist zweierlei hervorzuheben und
zwar fürs erste die Verschmelzung, welche die Müller’schen Gänge
an ihrem untersten Ende erleiden, so dass sie später nur mit Einer
Oeffnung in den Sinus urogenitalis einmünden. So waren bei dem in
der Fig. 215 dargestellten männlichen Embryo die Müller’schen
Gänge unten ganz und gar zu einem Uterus masculinus verschmolzen
(Fig. 218), während der obere Theil derselben schon den Beginn der
Atrophie zeigte, welcher derselbe endlich erliegt. Der Ueberrest der
Müller’schen Gänge beim männlichen Geschlechte zeigt zweitens
eine sehr verschiedene Ausbildung bei verschiedenen Gattungen.
Während nämlich dieselben beim Menschen nur in der rudimentär-
sten Form sich zeigen, finden sie sich, wie namentlich E. H. Weber’s
Untersuchungen gelehrt haben, bei anderen Geschöpfen, wie z. B.
bei Carnivoren, Wiederkäuern u. a., als grössere am Grunde der
[444]Achtunddreissigste Vorlesung.
Blase mehr weniger weit heraufreichende Bildungen, die selbst in
der Gestalt den Theilen ähnlich sind, denen sie beim weiblichen
Thiere entsprechen, nämlich der Scheide und dem Uterus, und z. B.
mit zwei Ausläufern analog den Uterushörnern getroffen werden.
Allein auch bei der grössten Ausbildung spielen diese Reste der
Müller’schen Gänge keine wesentliche Rolle und geht der Samen-
leiter mit seinen Nebengebilden aus dem Wolff’schen Körper und
seinem Gange hervor. Es ist vor allem Rathke’s Verdienst diese ei-
genthümliche Verwendung der Urniere für den Aufbau des männlichen
Sexualapparates gegen J. Müller nachgewiesen zu haben und haben
dann später besonders H. Meckel’s Untersuchungen die Angaben
von Rathke bestätigt, während dieselben zugleich auch in den ver-
gleichend anatomischen Untersuchungen Bidder’s und Anderer über
den Zusammenhang der Nieren und Hoden bei den Batrachiern eine
Analogie fanden. Auch ich kann nach meinen Erfahrungen mich
aufs Bestimmteste für diese Verbindung zwischen der Urniere und
dem Hoden aussprechen, und habe ich selbst bei menschlichen Em-
bryonen mich von derselben zu überzeugen Gelegenheit gehabt. Bei
diesen leitet sich die Verbindung im dritten Monate ein und zwar in
der Art, dass eine gewisse Zahl der oberen Kanälchen der Urniere
sich mit dem Hoden vereinigen und zum Kopfe des Nebenhodens,
d. h. zu den Coni vasculosi gestalten, während die unteren durch
Atrophie verloren gehen, doch bilden sich diese Verhältnisse keines-
wegs rasch aus. Bei Embryonen der eilften bis zwölften Woche
nämlich enthält der Kopf des Nebenhodens nur gerade Kanäle von
0,016—0,02‴ Durchmesser, und findet sich von dem Körper und
der Cauda der Epididymis noch keine Spur, vielmehr kommt vom
Nebenhodenkopfe, gerade wie früher von der Urniere, ein gerader
Kanal von ⅕‴ Breite, der das Vas deferens und den Nebenhoden-
kanal zugleich darstellt. Um dieselbe Zeit sah ich auch noch einen
ganz deutlichen Rest der Urniere mit gefässhaltigen Malpighischen
Körperchen zwischen dem Samenleiter und Hoden, der jedoch seine
Verbindung mit dem ersteren aufgegeben hatte und auch mit dem
Hoden nicht zusammen hing. Die weiteren Veränderungen habe ich
nicht im Zusammenhange verfolgt und kann ich Ihnen nur soviel
sagen, dass im vierten und fünften Monate an den mit dem Hoden
verbundenen Kanälchen der Urniere die Windungen sich ausbilden,
durch welche dieselben zu den Coni vasculosi sich gestalten, so wie
dass in dieser Zeit auch der übrige Theil des Nebenhodens sich an-
[445]Entwicklung der Harn- und Geschlechtsorgane.
legt. Die Zahl der mit dem Hoden sich vereinigenden Kanäle der
Urniere ist übrigens sehr wechselnd, da, wie bekannt, die Zahl der
Coni vasculosi nichts weniger als beständig ist, und ebenso scheint
auch das Schicksal der übrigen Kanälchen der Urniere mannigfachen
Abänderungen ausgesetzt zu sein. Mit Recht betrachtet Kobelt (der
Nebeneierstock des Weibes. Heidelberg 1847) die Vasa aberrantia
des Nebenhodens als nicht untergegangene Kanälchen der Urniere,
die jedoch keine Verbindung mit der Geschlechtsdrüse eingegangen
sind und schreibt dieselbe Bedeutung auch gewissen nicht constan-
ten gestielten Cysten am Kopfe des Nebenhodens zu, die auch in
Gestalt von Vasa aberrantia vorkommen, mit welchen jedoch die
bekannte Morgagni’sche Cyste an derselben Stelle nicht zu verwech-
seln ist, die von demselben Autor als ein Rest des obersten Endes
des Müller’schen Ganges aufgefasst wird. Ein ganz selbständiger
Rest des Wolff’schen Körpers ist wahrscheinlich auch das Organ
von Giraldes am oberen Ende des Hodens (s. mein Handbuch der
Gewebel. 3. Aufl. St. 526).


Alles zusammen genommen ergibt sich mithin, dass der Kopf
des Nebenhodens aus der Urniere selbst, der übrige Theil des Neben-
hodens und der Samenleiter aus dem Wolff’schen Gange hervor-
gehen, während der Müller’sche Gang bis auf die Morgagni’sche
Hydatide und den Uterus masculinus schwindet.


Mit Bezug auf die Samenleiter ist nun noch ein Punct her-
vorzuheben, der bis jetzt ausser durch Thiersch (Illustr. med. Zeit-
schrift. 1852. St. 12) noch keine Berücksichtigung gefunden hat. Die
Urnierengänge, aus denen dieselben sich hervorbilden, laufen bei
männlichen Embryonen gesondert bis an den Eingang des Beckens,
hier jedoch vereinigen sich dieselben hinter der Blase zu einem ein-
zigen Strange, den man mit ThierschGenitalstrang heissen kannGenitalstrang.
und mit ihnen fliessen zugleich auch die Müller’schen Gänge zusam-
men, so dass zu einer gewissen Zeit der männliche Genitalstrang
vier Kanäle enthält. Dann verschwinden die Müller’schen Gänge
im oberen Ende des Genitalstranges und fliessen im unteren Theile
desselben zum Uterus masculinus zusammen, und während diess ge-
schieht, weiten sich die Urnierengänge, die immer getrennt bleiben,
aus und stellen nun die Vasa deferentia dar. Diese sind jedoch an-
fangs nicht getrennt, sondern stellen zwei in dem einfachen Genital-
strange enthaltene Epithelialröhren dar, wie Ihnen dies die Fig. 218,
von dem in der Fig. 215 dargestellten männlichen Rindsembryo zeigt.
[446]Achtunddreissigste Vorlesung.
Erst später mit dem stärkeren Wachsthume derselben scheiden sie
sich nach und nach in zwei Gänge, indem jedes Epithelialrohr sich

Figure 218. Fig. 218.


einen Theil des ursprünglichen Genital-
stranges aneignet. Diese Entwicklung der
Samenleiter ist desswegen bemerkens-
werth, weil sie, wie Sie später einsehen
werden, eine ursprüngliche Analogie in
dem Verhalten der Ausführungsgänge der
Urnieren und der Müller’schen Gänge bei
beiden Geschlechtern darthut, denn auch
beim weiblichen Geschlechte findet sich ein
Genitalstrang von demselben Bau, allein
hier theilt sich derselbe nur in den selten-
sten Fällen (bei Thieren mit doppeltem Uterus und doppelter Scheide)
in zwei Gänge, sondern bleibt meist einfach bestehen, so jedoch,
dass in ihm allerdings nicht die Urnierengänge, sondern gerade um-
gekehrt die Müller’schen Kanäle sich erhalten. — Die Samen-
bläschen
sind einfach Auswüchse der untersten Enden der Samen-
leiter. Dieselben bilden sich im dritten Monate und sind noch am
Ende desselben einfache birnförmige hohle Anhänge des Samenleiters
von kaum mehr als ½‴ Länge. Ihre weiteren Schicksale habe ich
nicht verfolgt, es ist jedoch auch so klar, wie aus der einfachen ur-
sprünglichen Gestalt die spätere hervorgeht. — Bei Thieren ist die
Bildung der Samenbläschen leicht zu verfolgen und sehen Sie die-
selbe in der Fig. 218 auf der allerersten Stufe, als kleine quere Aus-
sackungen der Samenleiter, die bemerkenswerther Weise anfänglich
auch ganz und gar im Genitalstrange eingeschlossen sind.


Fig. 218. Querschnitt durch den unteren Theil des Genitalstranges und
Blase des männlichen Rindsembryo der Fig. 215, etwa 18mal vergr. b Harn-
blase, bh halbmondförmiges Lumen derselben, h die zwei in einem Vorsprunge
der hinteren Blasenwand enthaltenen Harnleiter, g Genitalstrang, mMüller’-
sche Gänge verschmolzen (Uterus masculinus), wg Urnierengänge oder Samen-
leiter, s Samenblase.


[[447]]

Neununddreissigste Vorlesung.


Meine Herren! Der weibliche Geschlechtsapparat charakterisirtBildung der
Ausführungs-
gänge beim
weiblichen
Geschlechte.

sich gegenüber dem männlichen bei der Bildung der Ausführungs-
gänge dadurch, dass bei ihm die Urniere keine weitere Bedeutung
erlangt, sondern mit Ausnahme eines kleinen Restes schwindet, der
als Rosenmüller’sches Organ schon lange beim Neugebornen bekannt
ist und von Kobelt auch beim erwachsenen Weibe als beständig und
als Analogon des Nebenhodens nachgewiesen und mit dem Namen
des Nebeneierstockes bezeichnet wurde. Sehr selten erhaltenNebeneierstock.
sich beim Menschen Spuren der Urnierengänge, von denen ich übri-
gens noch bei reifen Embryonen deutliche Reste im Lig. latum fand,
wogegen dieselben bei gewissen weiblichen Säugethieren (Schwei-
nen, Wiederkäuern) vorgefunden werden und die Gartner’schenGartner’sche
Gänge.

Gänge heissen, deren Bedeutung zuerst von Jacobson (Die Oken’schen
Körper oder die Primordialnieren. Kopenhagen 1830) und später auch
von Kobelt nachgewiesen wurde. Geht so der Urniere beim weib-
lichen Geschlechte jede Beziehung zur Geschlechtssphäre ab, so tre-
ten dagegen die Müller’schen Gänge in ihr Recht ein und entwickeln
sich zur Scheide, dem Uterus und den Eileitern. Tuba wird derEileiter.
Theil dieser Gänge, der am Wolff’schen Körper seine Lage hat bis
zu dem Puncte, wo das Ligamentum uteri rotundum an den ursprüng-
lichen Urnierengang sich ansetzt, und sind die Veränderungen, die
dieser Abschnitt, abgesehen von der Grössenzunahme und den noch
zu besprechenden Lageveränderungen, erfährt, einfach die, dass nahe
am obersten Ende ein Längsschlitz sich bildet, aus welchem dann
allmälig das Ostium abdominale der Tuba hervorgeht, während das
allerletzte Ende des Müller’schen Ganges, wie Kobelt wohl mit Grund
annimmt, zur gestielten Cyste am Ende der Tuba sich gestaltet.


[448]Neununddreissigste Vorlesung.

Entwicklung des
Uterus und der
Scheide.
Ueber die Art und Weise, wie der Uterus und die Scheide sich
entwickeln, sind verschiedene Hypothesen aufgestellt worden. Nach
Rathke wächst die hintere Wand des Sinus urogenitalis, d. h. des
Theiles der primitiven Harnblase, in die die Wolff’schen und Mül-
lfr
’schen Gänge einmünden, an der Stelle der Insertion der Mül-
ler
’schen Gänge in einen blinden hohlen Fortsatz aus, an dessen
Spitze dann die genannten Gänge sich ansetzen. Die weitere Ent-
wicklung ist nach Rathke je nach der Gestalt des späteren Uterus
verschieden. Bei den Geschöpfen mit einfachem oder zweihörnigem
Uterus gestaltet sich der Auswuchs des Sinus urogenitalis zur Scheide
und zum Körper des Uterus, während der Grund dieses Organes
oder die Hörner, wo solche bestehen, aus den Enden der Müller’-
schen Gänge entstehen, die sich ausweiten und im ersteren Falle
auch verschmelzen. Ist dagegen der Uterus beim erwachsenen Thiere
gänzlich doppelt, so geht er ganz und gar aus den Enden der Mül-
ler
’schen Gänge hervor und wird der Auswuchs des Sinus urogeni-
talis
nur zur Scheide. Eine zweite Aufstellung findet sich bei Bischoff
(Entw. St. 576), doch weicht dieselbe, bei Licht betrachtet, von
der von Rathke nur darin ab, dass nach ihr die Scheide aus dem
Canalis urogenitalis entsteht. — Diese beiden Ansichten und vor
allem die von Rathke waren lange Zeit die einzig geltenden, bis im
Jahre 1852 ziemlich gleichzeitig Leuckart (Illustr. med. Zeitschr.
1852. St. 93) auf theoretischem Wege, und Thiersch (Ebend. St.
11 u. flgde.) an der Hand wirklicher Beobachtungen eine andere
Auffassung begründeten. Nach Thiersch’s Beobachtungen an Schaaf-
embryonen geschieht die Bildung von Uterus und Scheide in folgen-
der Weise. Die Ausführungsgänge der Urnieren und die Müller’schen
Gänge verbinden sich mit ihren unteren Enden von ihrer Einmün-
dung in den Sinus urogenitalis an mit einander zu einem rundlich
viereckigen Strange, dem Genitalstrange, in welchem vorn die
beiden Lumina der Urnierengänge und hinten die der Müller’schen
Kanäle sich finden. Beim weiblichen Embryo nun verschmelzen von
unten aufwärts die Müller’schen Gänge in einen einzigen Kanal und
dieser gestaltet sich dann im Laufe der Entwicklung zur Scheide
und zum Körper des Uterus, während die Hörner desselben aus den
nicht im Genitalstrange eingeschlossenen benachbarten Theilen der
Müller’schen Gänge entstehen. — Der Unterschied zwischen dieser
Ansicht von Thiersch und der von Rathke springt von selbst in die
Augen und ergeben sich nun in der That, wie Leuckart hervorge-
[449]Entwicklung der Harn- und Geschlechtsorgane.
hoben hat, schon von vorne herein einige Thatsachen, die für die
Thiersch’sche Verschmelzungstheorie sprechen, wie das Vorkommen
einer doppelten Scheide bei einigen Säugern, das pathologisch auch
beim Menschen beobachtet worden ist, und die Existenz von zwei
Oeffnungen an dem Uterus masculinus einiger Säugethiere. Allein
auch die directe Beobachtung zeigt, dass Thiersch Recht hat, und habe
ich bei Untersuchung des Genitalstranges von Rindsembryonen in
allem Wesentlichen eine Bestätigung seiner Angaben erhalten. Da

Figure 219. Fig 219.


diese Angelegenheit wichtig genug ist, so veranschauliche ich Ihnen
meine Erfahrungen durch die Fig. 219, welche Querschnitte des
Genitalstranges des weiblichen Embryo der Fig. 215 darstellt. Hier
ergab sich erstens, dass von dem Puncte aus, wo auch äusserlich
sichtbar die vier Gänge sich vereinigen, in der That eine Verschmel-
zung der äusseren Umhüllungen derselben, die jetzt noch aus sehr
unentwickeltem Fasergewebe besteht, statthat, in welcher Bezie-
hung ich Sie jedoch noch darauf aufmerksam machen will, dass
eigentlich schon vorher die beiden Gänge jeder Seite nur einen ein-
zigen Strang mit zwei Lumina und zwei Epithelialröhren darstellen.
Am obersten Ende des Genitalstranges (Fig. 219, 1) erkennt man die
sich vereinigenden Stränge der beiden Seiten noch ganz deutlich und
liegt hier auch noch der Müller’sche Gang in einem leistenförmigen

Fig. 219. Querschnitt durch den Genitalstrang des weiblichen Rindsembryo
der Fig. 215, 14mal vergr. 1. vom oberen Ende des Stranges mit etwas schief
getroffenen Gängen, 2. etwas weiter unten, 3. 4. von der Mitte des Stranges
mit verschmelzenden und verschmolzenen Müller’schen Gängen, 5 vom un-
teren Ende desselben mit doppelten Müller’schen Gängen. a vordere, p hin-
tere Seite des Genitalstranges, mMüller’scher Gang, wgWolff’scher Gang.


Rölliker, Entwicklungsgeschichte. 29
[450]Neununddreissigste Vorlesung.
Vorsprunge, weiter abwärts dagegen bildet der Genitalstrang in der
That eine einzige fast cylindrische Masse. Was die vier Kanäle im
Innern desselben anlangt, so bemerke ich Ihnen zunächst, dass die
Müller’schen Gänge durch die Dicke ihres einfachen Cylinderepithels
von den Urnierengängen sich auszeichnen, deren Zellenauskleidung
einmal dünner ist. Verfolgt man ferner die Müller’schen Gänge auf
successiven Querschnitten bis zum Sinus urogenitalis, so ergibt sich
folgendes merkwürdige Verhalten. Anfangs getrennt, nähern sie sich
bald einander, kommen zur Berührung und verschmelzen in einen
einzigen Kanal. Dieser einfache weibliche Genitalkanal bleibt nun
aber nicht bis zum Sinus urogenitalis so, wie man nach den Mitthei-
lungen von Thiersch erwarten könnte, vielmehr wird derselbe weiter
abwärts im unteren Drittheile des Genitalstranges wieder doppelt
(Fig. 219) und mündet mit zwei Oeffnungen in den Sinus urogeni-
talis
. Es findet sich demnach hier das merkwürdige Verhalten, dass
die Müller’schen Gänge in der Mitte des Genitalstran-
ges zuerst verschmelzen,
an beiden Enden desselben dagegen
noch längere Zeit doppelt bleiben, ein Verhalten, das nun auch das
Vorkommen von einem einfachen Uterus mit doppelter Scheide in
pathologischen Fällen beim Menschen, so wie von einem einfachen
Uterus masculinus mit zwei Oeffnungen (Delphin) oder mit einer
Scheidewand im unteren Theile (Esel) begreiflich macht. An einem
älteren Embryo von 3″ 4‴ fand ich die Müller’schen Gänge auch
oben und unten verschmolzen und war nun aus ihnen ein einziger
weiterer Genitalkanal hervorgegangen, der nur am letzten Ende in
einer von der hinteren Wand her vorspringenden Leiste noch eine
Andeutung der früheren Duplicität zeigte. Dieser Genitalkanal ist
nichts anderes als die Anlage der Scheide und des Körpers des Ute-
rus, und erscheint es nun ferner noch bemerkenswerth, dass der-
selbe jetzt auch die Wand des Genitalstranges sich ganz angeeignet
hat, und dass die verkümmerten ganz kleinen Epithelialröhren der
früheren Urnierengänge, die jetzt schon die Gartner’schen Kanäle
heissen können, als ganz untergeordnete Theile mitten in seiner vor-
deren Wand ihre Lage haben. An den in der Fig. 219 dargestellten
Präparaten waren übrigens die Urnierengänge noch ganz gut erhal-
ten und lagen zuerst vor, dann seitlich und endlich wieder vor den
Müller’schen Gängen. Alle vier Kanäle waren in der Mitte des Ge-
nitalstranges enger als an dessen Enden und schienen, worüber ich
jedoch nicht vollkommen ins Klare kam, dicht beisammen in den
[451]Entwicklung der Harn- und Geschlechtsorgane.
Sinus urogenitalis auszumünden, der durch das Vorkommen eines
dicken Pflasterepithels ausgezeichnet war. — Das Resultat meiner
Untersuchungen ist mithin ebenfalls das, dass Scheide und Uterus
aus den verschmelzenden Müller’schen Gängen sich hervorbilden,
ich habe jedoch den Angaben von Thiersch das beizufügen, 1) dass
die Verschmelzung in der Mitte zuerst beginnt und von da nach oben
und unten fortschreitet und 2) dass die Wand des gesammten Geni-
talstranges zur Bildung der Faserhaut von Uterus und Scheide ver-
wendet wird, so dass mithin die Urnierengänge, wenn auch nicht
mit ihrem Epithel, so doch in dieser Weise an der Gestaltung des
weiblichen Genitalkanales Antheil nehmen.


So viel von den Säugethieren. Was nun den Menschen anlangt,
so ist kein Grund zu bezweifeln, dass auch bei ihm Uterus und
Scheide wesentlich in derselben Weise aus den Müller’schen Gängen
sich hervorbilden, doch wird es allerdings der Kleinheit und Selten-
heit des Objectes wegen nicht leicht gelingen, diess thatsächlich zu
begründen. Sicher ist, dass der Grund des Uterus aus den Müller’-
schen Gängen hervorgeht, denn der Uterus ist anfänglich im dritten
Monate ein zweihörniger und wandelt sich nur ganz allmälig durch
Verschmelzung der Cornua in ein einfaches Organ um.


Die Müller’schen Gänge münden, wie wir schon früher anga-Sinus
urogenitalis
.

ben, anfänglich in den untersten Theil der Harnblase ein, und zwar
unmittelbar vor den Wolff’schen Gängen und ziemlich in einer Linie
mit denselben, während die Harnleiter höher oben sich inseriren.
Das letzte Stück der Harnblase von der Einmündung der genannten
Urnieren- und Geschlechtsgänge an, das seit J. Müller mit dem Na-
men des Sinus urogenitalis bezeichnet wird, verkürzt sich nun im
Laufe der Entwicklung immer mehr, während zugleich die angren-
zenden Theile des Harnapparates zur Urethra und die Müller’schen
Gänge zur Scheide und zum Uterus sich ausbilden und so wird es
dann zu Wege gebracht, dass am Ende Harn- und weiblicher Ge-
schlechtsapparat nur an den allerletzten Enden in dem sogenannten
Vorhofe der Scheide mit einander verbunden sind. Die besagte Ver-
kürzung ist übrigens nur als eine scheinbare aufzufassen und kommt
dadurch zu Stande, dass der ursprüngliche Sinus urogenitalis weni-
ger wächst als die übrigen Theile und so am Ende nur als ein ganz
kurzer Raum erscheint. Dass dem wirklich so ist, lässt sich für den
Menschen leicht beweisen und theile ich Ihnen hier zum Belege noch
einige Einzelnheiten mit. Bei einem dreimonatlichen menschlichen
29*
[452]Neununddreissigste Vorlesung.
Embryo (Fig. 220, 1) misst der Sinus urogenitalis 2⅓mm und erscheint
als ein weiterer, die Harnblase und Harnröhre — die übrigens jetzt
noch nicht als ein besonderer Theil zu unterscheiden ist — unmit-
telbar fortsetzender Kanal, in dessen Anfang die engere Scheide, die
sammt Uterus nur 3mm lang ist, auf einer kleinen Erhöhung aus-
mündet. Beim vier Monate alten Embryo (Fig. 220, 2) ist das Ver-

Figure 220. Fig. 220.


halten der beiden Kanäle zu einander noch ganz
dasselbe, Uterus und Scheide messen aber nun
schon 6mm, während der Sinus urogenitalis sich
kaum vergrössert hat und nicht mehr als 2½mm
beträgt. Im fünften und sechsten Monate erst
ändert sich das Verhältniss der Kanäle zu einan-
der, die Scheide wird weiter und erscheint von
nun an der Sinus urogenitalis als directe Verlän-
gerung derselben, und die Harnröhre, die mitt-
lerweile auch von der Blase sich abgegrenzt hat,
als ein in die Vagina einmündender Kanal. Im
sechsten Monate (Fig. 220, 3) beträgt der Sinus
urogenitalis
, der nun schon Vestibulum vaginae
heissen kann, nur 3½mm, während die Vagina
schon 11mm und der Uterus 7mm misst. Diese Zah-
len genügen, um zu zeigen, dass der ursprüng-
liche Sinus urogenitalis nicht nur nicht schwindet,
sondern sogar auch mit wächst, da aber die
Scheide und der untere Theil der primitiven Harnblase, die zur
Harnröhre wird, viel stärker wachsen, so erscheint derselbe später
als ein untergeordneter Theil. Da ferner die Scheide später mehr
sich ausweitet als die Harnröhre, so wird der Sinus urogenitalis, der
anfänglich die unmittelbare Fortsetzung der Harnblase war, zuletzt
wie zum Ende der Scheide, in das die Harnröhre einmündet.


Uterus und Scheide bilden, wie Ihnen aus der vorhin gegebenen
Entwicklungsgeschichte klar geworden sein wird, ursprünglich nur
Einen Kanal und sieht man beim Menschen im dritten und vierten
Monate keine Spur einer Trennung in demselben (Fig. 220, 1, 2).

Fig. 220. Sinus urogenitalis und Annexa von menschlichen Embryonen in
natürlicher Grösse. 1. von einem dreimonatlichen, 2. von einem viermonat-
lichen, 3. von einem sechs Monate alten Embryo. b Blase, h Harnröhre, u g
Sinus urogenitalis, g
Genitalkanal, Anlage von Scheide und Uterus, s Scheide,
u Uterus.


[453]Entwicklung der Harn- und Geschlechtsorgane.
Erst im fünften [und] deutlicher im sechsten Monate beginnt der Ute-
rus sich abzugrenzen, dadurch, dass an der Stelle des späteren Ori-
ficium externum
ein leichter ringförmiger Wulst entsteht (Fig. 220, 3),
der dann nach und nach in den letzten Monaten der Schwangerschaft
zur Vaginalportion sich gestaltet. Von der Scheide ist weiter nichts
zu bemerken, als dass dieselbe in der Mitte der Schwangerschaft,
um welche Zeit auch ihre Runzeln auftreten, unverhältnissmässig
weit ist, so wie dass das Hymen nichts anderes ist, als eine Umbil-
dung des ursprünglichen Wulstes, mit dem der Kanal in den Sinus
urogenitalis
einmündet. Was den Uterus anlangt, so hat derselbe
noch im fünften Monate Wände, die kaum dicker sind als die der
Scheide. Im sechsten Monate beginnen dieselben vom Cervix aus
sich zu verdicken und diese Zunahme schreitet dann bis zum Ende
der Schwangerschaft fort, so jedoch, dass, wie längst bekannt, um
diese Zeit der Cervix, der etwa ⅔ der Länge des ganzen Organes
ausmacht, viel dicker ist als der Körper und der Grund.


Bevor wir die inneren Geschlechtsorgane verlassen, haben wirDescensus
ovariorum et
testiculorum
.

nun noch eines Phänomens zu gedenken, das beim männlichen Ge-
schlechte viel ausgeprägter sich findet, als beim weiblichen, nämlich
der Lageveränderung der Geschlechtsdrüse oder des Herabsteigens
der Hoden und Eierstöcke, Descensus ovariorum et testiculorum. Ho-
den und Eierstöcke liegen anfangs in der Bauchhöhle an der vorde-
ren und inneren Seite der Urnieren neben den Lendenwirbeln (Fig.
215) und verlaufen um diese Zeit auch ihre Gefässe einfach quer von
der Aorta und der Vena cava herüber. Im weiteren Verlaufe nun
rücken die Hoden, die wir für einmal allein ins Auge fassen wollen,

Figure 221. Fig. 221.


allmälig abwärts, so dass sie im dritten Monate
schon die Stellung einnehmen, die die Fig. 221
zeigt. Für die weitere Schilderung des Descen-
sus
ist es nun nöthig zunächst von zwei beson-
deren Gebilden zu handeln, die zum Theil schon
besprochen wurden, nämlich dem Guberna-
culum Hunteri
und dem Processus vaginalis pe-

Fig. 221. Harn- und Geschlechtsorgane eines männlichen Embryo von drei
Monaten in natürlicher Grösse. n n Nebennieren, u h Cava inferior, n Niere,
h Hoden, g h Gubernaculum Hunteri, b Harnblase. Ausserdem sind der Mast-
darm, die Ureteren und Samenleiter (w g) zu sehen. Hinter dem Mastdarm und
zwischen den Nieren und Hoden ist eine längliche Masse, durch welche die
Art mesenterica inferior hervorkommt, die vielleicht zum Sympathicus gehört.


[454]Neununddreissigste Vorlesung.
ritonaei. Das Gubernaculum Hunteri ist ein Gebilde, das ursprüng-
lich dem Wolff’schen Körper angehört (s. Fig. 215) und von seinem
Ausführungsgange gerade abwärts zur Leistengegend sich erstreckt.
So wie der Hoden entstanden und etwas mehr entwickelt ist, besitzt
derselbe, wie Sie schon erfahren haben, einen Bauchfellüberzug und
ein niedriges Gekröse, Mesorchium, und von diesem aus zieht sich
dann eine Verlängerung theils aufwärts (Fig. 215), theils abwärts bis
zu der Stelle des Urnierenganges, an den sein Leistenband sich an-
heftet. Mit dem Schwinden und der Metamorphose des Wolff’schen
Körpers und dem Grösserwerden des Hodens schwinden die beiden
Falten des Hodens und kommt derselbe dicht an den Wolff’schen
Gang, jetzt das Vas deferens, zu liegen, und von diesem Momente an
erscheint das Leistenband der Urniere als ein zum männlichen Ge-
schlechtsapparate gehöriger Theil und heisst von nun an Guberna-
culum Hunteri
. Untersucht man dasselbe jetzt, im dritten sowie im
vierten und fünften Monate genauer, so ergibt sich, dass dasselbe
einmal aus einem faserigen Strange, dem eigentlichen Gubernaculum,
und zweitens aus einer dasselbe von vorn und von den Seiten her
umgebenden Bauchfellfalte besteht, für die eine besondere Bezeich-
nung nicht nöthig ist. Beide diese Theile gehen bis zur Leistengegend
herab und verlieren sich hier in dem sogenannten Scheidenfort-
Processus
vaginalis
peritonei
.
satze des Bauchfelles, Processus vaginalis peritonei. Die-
ser ist nichts anderes als eine Ausstülpung des Bauchfelles, welche
schon im Anfange des dritten Monates ganz selbständig entsteht und
allmälig zu einem die Bauchwand durchsetzenden und bis ins Scro-
tum
sich erstreckenden Peritonealkanale sich gestaltet. Durch die
Entwicklung dieser Ausstülpung des Bauchfelles wird also, wie Sie
sehen, vor dem Durchtritte des Hodens der Leistenkanal gebildet
und gleichzeitig entwickelt sich auch das scheinbar im Processus
vaginalis
, aber doch ausserhalb seiner Bauchfellauskleidung gelegene
Hunter’sche Leitband bis ins Scrotum herab, wo seine Fasern sich
verlieren. Sind die Theile so vorgebildet, so rückt nun der Hoden
mit seinem Bauchfellüberzug bis an den Eingang des Processus vagi-
nalis
, in den er früher oder später meist im siebenten Monate einzu-
treten beginnt, worauf er dann, allmälig in demselben vorrückend,
bald ganz in ihm sich verliert und endlich aus dem Leistenkanale,
in dem er zuerst seine Lage hat, ganz in das Scrotum herabsteigt.
Da nun, wie schon bemerkt, der Hoden seinen Bauchfellüberzug
schon in den Scheidenkanal mitbringt, so erscheint letzterer, sobald
[455]Entwicklung der Harn- und Geschlechtsorgane.
der Hoden im Scrotum herabgestiegen ist, in demselben Verhältnisse
zu ihm wie beim Erwachsenen die freie Lamelle der Vaginalis pro-
pria
, während die ursprüngliche Bauchfellbekleidung der Drüse die

Figure 222. Fig. 222.


Tunica adnata darstellt, wie Ihnen
aus nebenstehendem Schema Fig. 222
hinreichend deutlich werden wird.
Dasselbe lehrt zugleich auch, dass
die Höhle der Vaginalis propria un-
mittelbar nach vollendetem Descen-
sus
durch einen Kanal, der immer
noch der Scheidenkanal heissen
kann, mit der Bauchhöhle in Verbindung steht. Die Zeit der Vollen-
dung des Descensus ist eine verschiedene, doch findet man in der
Regel noch vor dem Ende des Embryonallebens beide Hoden im
Scrotum, in anderen Fällen vollendet sich der Descensus erst nach
der Geburt. Nicht selten ist es, dass beide Seiten etwelche Ver-
schiedenheiten zeigen und in Ausnahmefällen bleibt der eine oder
der andere Hoden im Leistenkanale oder selbst in der Bauchhöhle
stehen, welcher letztere Zustand als Kryptorchidie bezeichnet
wird. Sind die Hoden regelrecht herabgestiegen, so findet man bei
Neugebornen den Scheidenkanal noch offen, doch schliesst sich der-
selbe bald nach der Geburt, wobei jedoch ebenfalls sehr häufig Un-
regelmässigkeiten sich ergeben, so dass der Kanal auf grössere oder
kleinere Strecken, in seltenen Fällen selbst ganz sich offen erhält.
Schliesst sich derselbe regelrecht, so bleibt nicht selten ein Strang,
das sogenannte Ligamentum vaginale als Rest zurück.


Dem Bemerkten zufolge ist somit die Tunica vaginalis propria
ursprünglich ein Theil des Bauchfells, jedoch in ihren beiden Lamel-
len von etwas verschiedener Herkunft. Die Vaginalis communis
rührt, wie es scheint, vorzüglich von der Fascia superficialis abdominis
her, die bei der Bildung des Scheidenfortsatzes des Bauchfelles mit
sich auszieht und mit welcher auch einige Fasern der platten Bauch-
muskeln herauswuchern, die dann den Cremaster bilden. Eine Bezie-
hung des Gubernaculum Hunteri zur Bildung der letzteren Hülle, die
einige annehmen, kann ich nicht statuiren, dagegen glaube ich, dass

Fig. 222. Schema zur Erläuterung des Descensus testiculorum. 1. Der Hoden
am Eingange des Leistenkanales, 2. Der Hoden im Scrotum. h Hoden, a Peri-
tonealüberzug desselben, später Adnata testis, c v Scheidenkanal mit der Erwei-
terung v im Scrotum s, die später äussere Lamelle der Vaginalis propria wird.


[456]Neununddreissigste Vorlesung.
die von mir beschriebene sogenannte innere Muskelhaut des Hodens
zwischen Communis und Propria der Rest dieses Bandes ist, auf des-
sen physiologische Bedeutung wir noch zu reden kommen.


Descensus
ovariorum
.
Der Descensus ovariorum ist zwar viel weniger ausgeprägt als
derjenige der Hoden, aber doch für den aufmerksamen Beobachter
nicht zu übersehen. Auch die Eierstöcke liegen anfänglich an der-
selben Stelle, wo die Hoden (Fig. 215) und besitzen dieselben Be-
ziehungen zum Bauchfell. Namentlich findet sich auch hier schon
zur Blüthezeit der Wolff’schen Körper am Urnierengange ein dem
Gubernaculum Hunteri entsprechender Strang, der später zum Liga-
mentum uteri rotundum
wird. Mit dem Vergehen der Wolff’schen
Körper nun rücken die Eierstöcke ebenfalls gegen die Leistengegend

Figure 223. Fig. 223.


herab, indem sie zugleich schief sich stellen,
und wird hierbei die Bauchfellbekleidung der
Urnieren zum Lig. uteri latum oder eigentlich
zuerst nur zum Fledermausflügel, während der
vorhin erwähnte Strang vom Urnierengange, der
schwindet, an den Müller’schen Faden zu lie-
gen kommt. Hier sitzt derselbe, wie Sie be-
reits wissen, gerade an der Stelle, wo die Tuba
in den Uterus übergeht, und diess ist auch be-
kanntlich der Ort, von dem später das Ligamen-
tum uteri rotundum
ausgeht. Dieses Band zeigt
übrigens beim weiblichen Geschlechte dieselben Beziehungen zum
Leistenkanale wie beim männlichen und bildet sich bemerkenswer-
ther Weise auch hier ein Processus vaginalis (der auch der Kanal von
Nuck heisst), der dann aber später spurlos schwindet, während be-
kanntlich das Ligamentum uteri rotundum in einer Lage sich erhält,
die der ursprünglichen des Gubernaculum Hunteri vollkommen ent-
spricht. Um wieder auf die Eierstöcke zurück zu kommen, so be-
merke ich Ihnen von denselben noch, dass sie lange Zeit im Bereiche
des grossen Beckens sich erhalten und erst am Ende des Embryo-
nallebens in den des kleinen Beckens zu liegen kommen. In sehr
seltenen Fällen treten dieselben, wie die Hoden, in den Leistenkanal
und können selbst bis in die grossen Schamlippen herausrücken,

Fig. 223. Ein Theil der Baucheingeweide eines dreimonatlichen weiblichen
menschlichen Embryo, vergr. s Nebenniere, o kleines Netz, r′ Niere, l Milz,
o m grosses Netz, c Coecum, r Lig. uteri rotundum. Ausserdem sieht man Blase,
Urachus, Ovarium, Tuba, Uterusanlage, Magen, Duodenum, Colon.


[457]Entwicklung der Harn- und Geschlechtsorgane.
womit dann, da diese dem Scrotum entsprechen, eine vollkommene
Analogie beider Geschlechter hergestellt ist.


So leicht im Ganzen die einzelnen Stadien des Descensus derErklärung des
Descensus.

Geschlechtsdrüsen zu ermitteln sind, so schwierig ist es, den eigent-
lichen Factor bei demselben nachzuweisen und zeigen schon die
vielen aufgestellten Hypothesen an, dass wir uns bei einem Versuche
hierzu auf ein sehr dunkles Gebiet begeben. Von jeher ist man, wie
schon der Name besagt, geneigt gewesen, dem Hunter’schen Leitbande
eine wesentliche Rolle beim Descensus zuzuschreiben und wird es
vor Allem nöthig noch etwas genauer auf die Verhältnisse desselben
einzugehen. Nach meinen Erfahrungen, die mit denen verschiedener
anderer Beobachter übereinstimmen, besteht das Leitband ursprüng-
lich aus zelligen Elementen und später aus einem Fasergewebe, in
dem sich glatte Muskelfasern, quergestreifte von den Bauchmuskeln
abstammende Elemente und reichliche Mengen von Bindegewebs-
bündeln erkennen lassen. Die quergestreiften Muskelfasern gehen
von der Gegend des Leistenkanales theils abwärts, und diess ist der
spätere Cremaster, theils aufwärts gegen den Hoden, und diese letz-
teren Fasern finden sich auch im entsprechenden Gebilde des weib-
lichen Fötus und sind bekanntlich auch noch bei Erwachsenen im
Ligamentum uteri rotundum nachzuweisen. Da mithin im Leitbande
Muskeln vorkommen, Muskeln, welche schon ältere Beobachter ge-
sehen zu haben glaubten, so ist es begreiflich, dass man vor Allem
den Versuch gemacht hat, den Descensus durch den Zug derselben
zu erklären. Sie werden jedoch leicht einsehen, dass durch Mus-
keln, welche vom Leistenkanale her im Gubernaculum gerade zum
Hoden verlaufen, wohl eine etwelche Lageveränderung des Hodens
aber unmöglich ein vollständiger Descensus desselben bewirkt wer-
den kann, und kommen wir daher zum Schlusse, dass diese Mus-
keln, wenn sie überhaupt beim Descensus eine Rolle spielen, was
mir nichts weniger als bewiesen ist, doch keinenfalls von wesent-
licher Bedeutung sind. Aus diesem Grunde kann ich auch einer
neueren, von verschiedenen Autoren angenommenen Theorie von E.
H. Weber keinen Beifall schenken, welcher zufolge der Hoden durch
Muskelwirkungen in das von Weber als ein hohler Sack geschilderte
Gubernaculum Hunteri eingestülpt werden soll. Ich habe mich nicht
davon überzeugen können, dass das Gubernaculum ein hohler mit
Muskelfasern belegter cylindrischer Beutel ist, aber auch wenn dem
so wäre, so würde ich doch immer bei der gegebenen einfachen An-
[458]Neununddreissigste Vorlesung.
ordnung der Muskelfasern des Gubernaculum es für unstatthaft halten
müssen, den Descensus durch dieselben zu erklären. Als die ein-
fachste, rationellste Erklärung ist mir immer die vorgekommen, die
schon bei einigen Autoren, am bestimmtesten bei J. Cleland (The
mechanisme of the gubernaculum testis
. Edinburg 1856) angedeutet
ist, dass einmal verschiedene Wachsthumsverhältnisse der Theile,
ein rasches Wachsthum der einen und ein Zurückbleiben der ande-
ren, und zweitens ein Schrumpfen des Gubernaculum die Lagever-
änderung des Hodens bedingen. Welche scheinbaren Ortsverände-
rungen der bedeutendsten Art durch ein verschiedenes Wachsthum
nahe gelegener Theile erzeugt werden können, habe ich Ihnen schon
in einer früheren Stunde am Rückenmark gezeigt, welches, anfänglich
im Sacralkanale gelegen, am Ende am zweiten Lendenwirbel steht
und so gewissermaassen einen ebenso entschiedenen Ascensus zeigt,
wie die Hoden einen Descensus. Nehmen Sie nun an, dass in analo-
ger Weise die Theile unterhalb der Hoden weniger, die oberen dage-
gen rascher wachsen, so wird hierdurch eine Verschiebung eintreten
müssen, die nur um so grösser erscheinen wird, wenn Sie die Klein-
heit der Theile bei jungen Embryonen, die geringen Distanzen bei
denselben mit in Erwägung bringen. Dass aber in der That die über
den Hoden (und Eierstöcken) gelegenen Theile rascher wachsen als
die unteren, sieht man ja deutlich an den Vasa spermatica, an deren
Verlängerung durch Muskelwirkung Niemand wird denken wollen,
und deren Wachsthum eben mit der beste Beweis ist,
dass hier keine Contractionsphänomene im Spiele

sind. Andererseits ergibt eine Messung des Gubernaculum Hunteri
und des Processus vaginalis bei jüngeren und älteren Embryonen,
dass dieselben unverhältnissmässig wenig an Länge zunehmen. Wenn
nun aber auch dieses Missverhältniss im Wachsthum der über und
unter dem Hoden gelegenen Theile einen guten Theil des Descensus
testiculorum
erklärt, so genügt dasselbe doch kaum, um auch das
Durchtreten des Hodens durch den Leistenkanal und in das Scrotum
begreiflich zu machen und erscheint es als fast unumgänglich nöthig,
noch einen zweiten Factor anzunehmen, der gewissermaassen den
Hoden fixirt und leitet, vielleicht auch etwas herabzieht, und dieser
Factor scheint mir im Gubernaculum Hunteri gegeben zu sein. Das-
selbe ist einmal ein straffes Band, welches auf jeden Fall den Hoden
hält und ihm eine bestimmte Richtung der Bewegung
vorzeichnet
, und zweitens glaube ich bei demselben in der That
[459]Entwicklung der Harn- und Geschlechtsorgane.
eine Verkürzung, jedoch weniger durch Contraction als in Folge der
eigenthümlichen Entwicklung seiner Elemente annehmen zu dürfen,
eine Verkürzung, welche auch H. Meckel mit Recht derjenigen ver-
glichen hat, die junges Bindegewebe in Narben erleidet, durch welche
bekanntlich unter Umständen mächtige mechanische Wirkungen aus-
geübt werden. Beim weiblichen Embryo, bei dem der Descensus
nicht so weit geht, scheint dieses letztere Moment wegzufallen und
das Lig. rotundum später mit den übrigen Theilen im Wachsthume
gleichen Schritt zu halten.


Zum Schlusse schildere ich Ihnen nun noch die Entwicklung derEntwicklung der
äusseren
Genitalien.

äusseren Genitalien, bei welcher Gelegenheit wir auf eine sehr
frühe Periode zurückzugehen haben. In der vierten Woche (s. Fig.
77) bemerkt man nahe am hinteren Leibesende eine einfache Oeff-
nung, welche die gemeinsame Mündung des Darmes und des Urachus
oder der späteren Harnblase darstellt, in welche auch die Urnieren-
gänge einmünden und die aus diesem Grunde als Kloakenmün-Kloake.
dung
bezeichnet wird, indem der letzte Abschnitt des Darmes nach
der Vereinigung mit dem Urachus die Kloake heisst. Noch bevor
eine Trennung dieser einfachen Oeffnung in zwei, die Aftermündung
und die Harngeschlechtsöffnung, eintritt, erheben sich ungefähr in
der sechsten Woche vor derselben ein einfacher Wulst, der Ge-Geschlechts-
höcker.
Geschlechts-
falten.

schlechtshöcker
und bald auch zwei seitliche Falten, die Ge-
schlechtsfalten
. Gegen das Ende des zweiten Monates erhebt
sich der Höcker mehr und zeigt sich an seiner unteren Seite eine zur
Kloakenmündung verlaufende Furche, die Geschlechtsfurche.Geschlechts-
furche.

Im dritten Monate treten diese Theile alle deutlicher hervor und er-
scheint der Höcker nun schon deutlich als das spätere Geschlechts-
glied, und in der Mitte ungefähr dieses Monates scheidet sich
auch die Kloakenmündung in die zwei vorhin genannten Oeffnungen
durch einen Vorgang, der noch nicht genau ermittelt ist. Nach
Rathke (Abhandl. z. Entw. I. St. 57) kommt die Trennung dadurch
zu Stande, dass einmal an der Seitenwand der Kloake zwei Falten
entstehen, die immer mehr vortreten und zweitens auch die Stelle,
wo der Mastdarm und der Urachus zusammenstossen, vorwächst,
bis endlich diese drei Theile sich vereinigen und so eine Scheidewand
zwischen den betreffenden beiden Kanälen bilden. Valentin dagegen
lässt die Trennung durch ein Schwinden der Kloake sich bilden,
ohne jedoch für diese Annahme genauere Beweise vorzubringen. Sei
dem wie ihm wolle, so ist so viel sicher, dass unmittelbar nach der
[460]Neununddreissigste Vorlesung.
Trennung die beiden Kanäle noch ganz dicht beisammen liegen, bald
aber, im vierten Monate, eine dickere Zwischenwand zwischen ihnen
Männliche
äussere
Geschlechts-
theile.

Figure 224. Fig. 224.


Figure 225. Fig. 225.


sich entwickelt, womit dann
die Bildung des Dammes
gegeben ist.


Die weitere Ausbildung
der äusseren Geschlechts-
theile verfolgen wir nun bei
beiden Geschlechtern für
sich. Beim männlichen Em-
bryo wandelt sich der Geni-
talhöcker in den Penis um,
an dem noch im dritten Mo-
nate vorn eine kleine An-
schwellung, die Glans sich
bildet und in der ersten
Hälfte des vierten Monates
die Genitalfurche verwächst.
Um dieselbe Zeit vereinigen sich auch die beiden Genitalfalten zur
Bildung des Scrotum (Fig. 225). Eine Naht, die Raphe scroti et penis,
die anfänglich ungemein deutlich ist, und von der Spitze des Gliedes
bis zur Anusöffnung verläuft, deutet die Stelle der Verschliessung
der Geschlechtsfurche an und scheint mir das Vorkommen dieser
Naht am Damme besonders auch für die oben erwähnte Ansicht von
Rathke zu sprechen, deren Richtigkeit vorausgesetzt die Ränder der
Genitalfurche als Fortsetzungen der Kloakalfalten aufgefasst werden
könnten. Mit der Schliessung der Geschlechtsfurche gewinnt natür-

Fig. 224. Zur Bildung der äusseren Genitalien des Menschen nach Ecker.
1. Unteres Leibesende eines Embryo der achten Woche, 2mal vergrössert.
e Glans oder Spitze des Genitalhöckers, f Genitalfurche rückwärts zu einer
Oeffnung führend, die um diese Zeit auch die des Mastdarmes ist, mithin eine
Kloakenmündung darstellt, h l Genitalfalten, s schwanzartiges Leibesende,
n Nabelstrang. 2. Von einem 1″ 2‴ langen etwa zehn Wochen alten weiblichen
Embryo. a After, u g Oeffnung des Sinus urogenitalis, n Ränder der Genital-
furche oder Labia minora. Die übrigen Buchstaben wie bei 1.


Fig. 225. Zur Entwicklung der äusseren Genitalien nach Ecker. 1. Von
einem 1″ langen Embryo, 2mal vergr., ein Stadium darstellend, das dem
der Fig. 224, 2 vorangeht, bei dem das Geschlecht noch nicht entschieden ist.
2. Von einem männlichen Embryo von 2″ 1½‴ vom Ende des dritten Monates.
Buchstaben wie bei Fig. 224. Bei 2. ist die Genitalfurche geschlossen in der
Naht r des Penis, Scrotum und Perineum.


[461]Entwicklung der Harn- oder Geschlechtsorgane.
lich auf einmal der Sinus urogenitalis des männlichen Embryo eine
bedeutende Länge und entsteht ein Ansatz desselben, der im weib-
lichen Geschlechte seines Gleichen nicht hat. Von den weiteren Ver-
änderungen der männlichen Zeugungstheile erwähne ich Ihnen nur
noch, dass das Praeputium im vierten Monate sich bildet, sowie dass
die Corpora cavernosa penis in innigem Zusammenhange mit den Be-
ckenknochen sich hervorbilden und ursprünglich ganz doppelt sind,
dagegen hebe ich nachträglich noch hervor, dass die Prostata imProstata.
dritten Monate sich anlegt und im vierten Monate schon sehr deut-
lich ist. Dieselbe ist anfänglich nichts als eine Verdickung der Stelle,
wo Harnröhre und Genitalstrang zusammentreffen, mit anderen Wor-
ten, des Anfanges des Sinus urogenitalis, an der die ringförmige An-
ordnung der Fasern äusserst deutlich ist. Die Drüsen der Prostata
wuchern im vierten Monate vom Epithel des Kanales aus in die Fa-
sermasse hinein und bilden sich nach Analogie der Speicheldrüsen.


Die weiblichen äusseren Genitalien charakterisiren sich da-Aeussere
weibliche
Genitalien.

durch, dass bei ihnen die Geschlechtsfurche und die Geschlechts-
wülste nicht verwachsen und dadurch der Sinus urogenitalis ganz
kurz bleibt. Die Genitalwülste werden zu den grossen Schamlippen,
die Ränder der Genitalfurche zu den Labia minora, von welchen aus
dann auch eine Falte um die Glans des lange unverhältnissmässig
gross bleibenden Geschlechtsgliedes oder die Clitoris sich herum-
bildet. Eine Naht findet sich hier nur am Damme und auch diese
nicht so bestimmt, wie beim anderen Geschlechte.


Aus der ganzen Schilderung über die Entwicklung der Ge-
schlechtstheile können Sie nun noch das bemerkenswerthe Resultat
entnehmen, dass bei dem einen wie bei dem anderen Geschlechte in
der ursprünglichen Anlage Theile sich finden, welche beiden Ge-
schlechtern angehören. Auch beim männlichen Embryo findet sich
der Müller’sche Gang in seiner ganzen Länge und beim weiblichen
Fötus ist der Wolff’sche Körper und sein Ausführungsgang voll-
kommen ebenso entwickelt wie beim anderen Geschlechte. Demzu-
folge sind beim männlichen Typus Theile in der Anlage vorhanden,
aus denen möglicherweise Eileiter, Uterus und Scheide sich ent-
wickeln könnten, und ebenso besitzt der weibliche Fötus Gebilde,
die ein nebenhodenartiges Organ und einen Samenleiter liefern könn-
ten. In der That sehen wir nun auch, dass normal der Mann in sei-
nem Uterus masculinus wenigstens einen rudimentären weiblichen
Geschlechtskanal, und das Weib im Nebeneierstock ein Analogon
[462]Neununddreissigste Vorlesung.
des Nebenhodens, und gewisse Thiere in den Gartner’schen Gängen
auch Repräsentanten der Samenleiter besitzen. Noch ausgeprägter
sind diese Verhältnisse bei gewissen hermaphroditischen Bildungen
und sind unter diesen besonders jene bemerkenswerth, von denen
unsere pathologisch-anatomische Sammlung einen ausgezeichneten
von Herrn v. Franque in v. Scanzoni’s Beiträgen Bd. IV. beschrie-
benen Fall besitzt, in denen neben ausgeprägten männlichen Ge-
schlechtstheilen eine in die Pars prostatica urethrae einmündende
Scheide, ein gut ausgebildeter Uterus sammt Eileitern sich finden.
Den Daten der Entwicklungsgeschichte zufolge kann es nun auch
nicht befremden, dass es wenn schon seltene Fälle gibt, in denen
auf der einen Seite das eine, auf der anderen Seite das andere Ge-
schlecht ausgebildet ist. — Was die äusseren Geschlechtstheile be-
trifft, so ist die ursprüngliche Uebereinstimmung derselben so gross,
dass es sich leicht begreift, dass auch hier mannigfache Zwischen-
stufen vorkommen, unter denen diejenigen die häufigsten sind, bei
denen beim männlichen Typus der übrigen Theile äusserlich Spalt-
bildungen mit weiblichem Gepräge vorkommen, die so weit gehen
können, dass die Entscheidung über das Geschlecht eine äusserst
schwierige wird.


Hiermit ende ich nun diese Vorträge, die Sie in ein Gebiet führ-
ten, das, obwohl noch lange nicht in allen Theilen hinreichend auf-
geschlossen und erfasst, doch jetzt schon eine Fülle des Wichtigen
und Lehrreichen bietet. Wenn Sie aus denselben jene Aneiferung
zum Selbstudium davontragen, welche, als die Grundbedingung eines
jeden ächten Forschens und Erkennens, durch das lebendige Wort
angeregt werden soll, so ist meine Aufgabe erfüllt, obschon dieselbe
leider in die Schranken einer karg zugemessenen Zeit sich bequemen
musste. Dass Sie aber in diesem Bewusstsein meinen Vorträgen ge-
folgt sind, dafür bürgt mir die rege Theilnahme, die Sie denselben
geschenkt haben, für welche ich Ihnen zum Schlusse noch meinen
herzlichen Dank ausspreche.

Appendix A Verbesserung.


S. 57 Z. 1 von unten lies Amnion statt Amnios, eine Verbesserung, die auch
sonst überall, wo Amnios steht, zu machen ist.


[[463]]

Appendix B Register.


After, Bildung 99. 367.


Allantois 106. — Erste Bildung 107. —
beim Menschen 124. Betheiligung
derselben an der Bildung des Chorion
127. 133. 175.


Allantoisflüssigkeit 115.


Ambos 216.


Amnion, erste Spur (Kaninchen) 80.
(Huhn) 56. 100. — Bildung desselben
105—106.


Amnion des Menschen 150. 155.


Amnios. Lagen desselben 100.


Amniosfalte (Huhn) 56. (Kaninchen)
81. 103.


Anhang des Labyrinthbläschens 305.


Aquaeductus Sylvii 243.


Aortenstamm 83.


Aorta descendens 410.


Aorten, primitive 83. 410.


Aortenbogen 82. 407. — Umwandlun-
gen derselben 409.


Area germinativa 35.


Area opaca 43. 44. 76.


Area pellucida 44. 76.


Area sanguinea 89.


Area vasculosa 89.


Arteriae omphalo-mesentericae 83. 99.


Arteriae umbilicales 107. 412.


Arteriae vertebrales posteriores 83.


Arterien des Dottersackes 412.


Atlas 187. Verknöcherung dess. 188.


Aufrollung des Schwanzes 118.


Augenblase, primitive 79. 273. — Um-
wandlungen derselben 275.


Augenblase, secundäre 276. 280. —
Ihre zwei Blätter 283.


Augenlider, Entwicklung derselben 298.


Aeusseres Ohr 324.


Axenplatte 43. 76.


Balken, Bildung desselben 236. Wachs-
thum desselben 238.


Bauchfell 365.


Bauchplatten Rathke 65.


Bauchwand, Bildung derselben 50. 52.
64. 65.


Beckendarmhöhle 55 (Huhn). 80 (Ka-
ninchen).


Belegknochen des Schädels 201.


Bewegungen am Dotter 33.


Bildungsdotter 22.


Blastoderma des Vogeleies 42.


Blätter der Keimhaut 42.


Blutzellen, erste 90.


Bogenfurche 235.


Brückenkrümmung des Gehirns 228.


Brunner’sche Drüsen 369.


Brustbein, Bildung des 190. — Ver-
knöcherung 191.


Bulbus aortae 87. 396.


Calcar avis 235.


Canaliculi lacrymalis 299.


Canalis auricularis 396.


Canalis cochlearis 314.


Cauda equina 251.


Cellulae mastoideae 323.


Cerebellum 243. — Lappen dess. 248.


Chorda dorsalis 44 (Vogel). 77 (Säuge-
thiere).


Chorda dorsalis, Bau 184.


Chordareste im ausgebildeteren Schädel
206. in den Lig. intervertebralia 189.


Chorda-Scheide, äussere 62.


Chorioidea 287. — Pigmentirung 289.


Chorioidealspalte 289.


Chorion des menschlichen Eies, Ent-
wicklung desselben 171.


Chorion frondosum 139. 175. 177.


Chorion laeve 139. 175. 177.


Chorion, primitives 36. — (Carnivora)
161. — (Mensch) 122. 172.


Chorion, secundäres, des Menschen
150. 174.


Commissura anterior 238.


Commissura mollis 240.


Commissura posterior 240.


Contractilität der Allantois 190.


Contractilität des Amnios 101.


Cornea 275.


Cornu ammonis 235.


Corpora candicantia 241.


Corpus callosum 236.


Corpus striatum 235.


Cotyledonen 144. — der Ruminantia
165.


Crura posteriora fornicis 238.


Cuneus 235.


Cutis 338.


Darm, erste Bildung 46. 50. 93. 351. —
Embryonale Abschnitte dess. 351.


Darmdrüsenblatt s. Drüsenblatt.


Darmeingang, hinterer 55.


Darmeingang, vorderer 52.


Darmfaserhaut 95.


Darmfaserplatte 54. 55.


[464]Register.

Darmhäute, Entwicklung 368.


Darmpforte, vordere 52.


Darmrinne 56. 96.


Decidua reflexa 137. 142. 187. 180.


Decidua serotina 142.


Decidua vera 138. 139. 178. — Drüsen
derselben 141.


Deckknochen des Schädels 201.


Descensus ovariorum 456.


Descensus testiculorum 453.


Diaphragma 350.


Dickdarmschleimhaut 369.


Discus proligerus 24. 26.


Dotter 21.


Dotter, gelber, des Hühnereies 25.


Dotter, weisser, des Hühnereies 24. 26.


Dottergang 96. 139.


Dotterhaut 21.


Dotterhöhle 25.


Dottersack 93. — Mensch 125. 126.
139. — In der Mitte der Schwanger-
schaft 151. — Am Ende derselben
155. — Bei Wiederkäuern 167. —
Beim Kaninchen 164.


Drehung des Embryo 118.


Drüsen der Decidua vera 141.


Drüsenbläschen, primitive, der Lungen
376.


Drüsenblatt 43. 45. 71. 75. 93.


Drüsenmündungen der Decidua reflexa
178.


Ductus Cuvieri 416.


Ductus omphalo-mesentericus 96.


Ductus venosus Arantii 415.


Dünndarmschleimhaut 369.


Duodenum 361.


Ei, unbefruchtetes 22.


Ei des Huhns 24. 26.


Eier, menschliche, von Thomson be-
schrieben 122. 129. 130. — von Coste
124. 128. 131. — von Müller 127.
— von Wagner 127.


Eierstöcke, innere Entwicklung 440.


Eihüllen (s. auch Hüllen), Entwicklung
derselben 160. 178.


Eihüllen der Carnivoren 160. — der
Rodentia 163. — der Ruminantia 165.
— der Pachydermen 168. — Pferd 169.


Eileiter 447.


Embryonalanlage des Hühnchens 43.
— bei Säugethieren 76.


Eminentia papillaris d. Paukenhöhle 220.


Enddarm 367.


Erste Bildung des Embryo 46.


Epidermis 337.


Epistropheus 187. Verknöcherung 188.


Extrauterinschwangerschaft 158.


Extremität, obere, Knochen ders. 222.


Extremität, untere, Knochen ders. 224.


Extremitäten, erste Bildung ders. 58
(Huhn). 121 (Säugethiere).


Extremitäten, Entwicklung der äussern
Gestalt 221. — ihrer Hartgebilde 221.


Facialis 267.


Falx cerebri 231.


Felsenbein 204.


Filum terminale 251.


Finger 224.


Flimmerbewegung in den Urnieren 114.


Flockenstiele 247.


Flügelbeine 217.


Fornix 238.


Fossa Sylvii 234.


Fovea cardiaca 52.


Fovea rhomboidalis 227.


Fruchthof 35. — Bildung dess. 36.


Furchung des Säugethiereies 28.


Furchung, partielle 37.


Furchung, partielle, des Cephalopoden-
eies 38.


Furchung, partielle, des Vogeleies 40.


Furchungsprocess 28. 30.


Fusswurzelknochen 225.


Gallenblase 386.


Gallengänge 385.


Gallertgeschwülste im Clivus 207.


Ganglion spirale des Schneckennerven
314.


Gartner’sche Gänge 447.


Gaumen, Bildung dess. 212. 333.


Gaumenbeine 217.


Gaumenplatte 212.


Gaumenspalte 212. 213.


Gefässblatt, Bestehen eines solchen
90. — s. 9.


Gefässe, erste Spuren (Kaninchen) 81.
— erste Entwicklung 88. 90. — wei-
tere 89.


Gefässe der Allantois 107.


Gefässe des Dottersackes 99.


Gefässe des fötalen Auges 292.


Gefässhaut des Auges 287, der Linse 293.


Gehirn, Anlage des 48.


Gehirn, Entwicklung desselben 226. —
Krümmungen dess. 228. — Ursachen
dieser 229.


Gehörbläschen, primitives 84. 301. —
des Hühnchens 302. — der Säuge-
thiere 304.


Gehörknöchelchen 323.


Gehörorgan, Entwicklungsplan 300.


Gekrösplatten 56


Genitalstrang 435. 448.


Geruchsnerven 335.


Geruchsorgan, Entwicklung im Allge-
meinen 325. 335. — Meckel 325. —
Baer 326. — Entwicklung beim Hühn-
chen 327. — bei Säugethieren 331.


Geschlechtsdrüsen, 132. 435. 436.


Geschlechtsfalten 459.


Geschlechtsfurche 459.


Geschlechtshöcker 459.


[465]Register.

Geschlechtsorgane, äussere 133. 135.
459.


Geschlechtsorgane, innere, Entwick-
lung im Allgemeinen 435. — Ausfüh-
rungsgänge 441. — männliche 443.
— weibliche 447.


Gesicht, äussere Gestalt desselben 210.
s. auch 328.


Gesichtsknochen, Entwicklung 214.


Gesichtskopfbeuge 229.


Gewölbe, Bildung desselben 238.


Glaskörper, Entwicklung dess. 279. 298.


Gliederungen der Wirbelsäule 62.


Glossopharyngeus 267.


Graue Substanz des Rückenmarks 263.


Gubernaculum Hunteri 454.


Haare, Entwicklung 339. — Neubil-
dung 341.


Hahnentritt 24.


Hals, Bildung desselben 119.


Halshöhle 54.


Halsplatten 54.


Hammer 216.


Handwurzelknochen 224.


Harnblase, Bildung ders. 431.


Harnorgane, Entwicklung 431.


Harnsack s. Allantois 106.


Hasenscharte 213.


Haut, Entwicklung der äusseren 337.


Hautplatten 54. 55.


Hautplatten des Rückens 67.


Hemisphären des Gehirns, Bildung
derselben 231.


Herz 54. (Huhn) 81. 82. — (Kaninchen)
86. — Mensch 124.


Herz, erste Entwicklung 394. — weitere
Entwicklung 398. — innere Verände-
rungen 401. — Lage desselben 406.


Herzbeutel 407.


Herzhöhle 54.


Herzkammern, feinerer Bau 403.


Herzkappe 54.


Herzohren 87.


Hinterhauptsbein, Ossification 198. —
Bedeutung desselben als Wirbel 204.


Hinterhirn 227. 243.


Hinterstränge des Markes 262.


Hirnabtheilungen (Säugethiere) 77.


Hirnblase, vordere, mittlere, hintere
226. — die späteren fünf 227. — Um-
wandlungen dieser 231.


Hirnstiele 243.


Hoden, innere Entwicklung 439.


Höhlen des knöchernen Labyrinths 310.


Holoblastische Eier 22. 23.


Hornblatt 45. 71.


Hühnerembryo vom 1. Tage 47.


Hühnerembryo vom 2. Tage 55. 56.


Hühnerembryo vom 3. Tage 56. 57.


Hühnerembryo v. 5. Tage 57.


Hüllen des Herzens 407.


Hüllen des Labyrinths 308.


Hüllen, embryonale 94.


Hüllen des menschlichen Eies, Ent-
wicklung derselben 171. — in der
Mitte der Schwangerschaft 137. 150.
— in der zweiten Hälfte der Schwan-
gerschaft 153.


Hundeembryo 78. 84. 98. 104. 116. 117.


Hydroperione 138.


Hypophysis 194. 241.


Insel (des Gehirns) 234.


Jochbein 217.


Iris 289.


Kaninchenembryo 76—82. 84.


Kapsel, gefässhaltige, der Linse 293.
des Glaskörpers 298.


Kehlkopf 379.


Keilbein, hinteres, Entwicklung 199. —
Bedeutung 205.


Keilbein, vorderes, Entwicklung 201. —
Bedeutung 205.


Keilstränge des Rückenmarks 262.


Keimbläschen 24. 26.


Keimblase des Säugethiereies 34. —
des Menscheneies 122. — wird dop-
pelschichtig 35. 37.


Keimfleck 24. 26.


Keimhaut des Vogeleies 42.


Keimschicht 24.


Keimscheibe 24. 26.


Kerne der Furchungskugeln, Ursprung
derselben 32.


Kiemenbogen 84. 119.


Kiemenbogen, erster, Umwandlungen
desselben 214.


Kiemenbogen, zweiter, Umwandlungen
desselben 219.


Kiemenbogen, dritter 220.


Kiemenspalten 70. 117. — Mensch
125. 127.


Klappen, venöse, des Herzens 403.


Kloake 459.


Kniescheibe 225.


Knochenpuncte, accessorische, der
Wirbelsäule 188.


Knochensystem, Entwicklung dessel-
ben 184.


Kopfdarmhöhle 52. (Huhn) 78. (Säuge-
thiere).


Kopfkappe 102.


Kopfkrümmung, vordere 116. — hin-
tere 116.


Kopfnerven, Entwicklung ders. 267.


Kopfplatten 45.


Kopfscheide des Amnios 81. 103.


Kreislauf, erster (Kaninchen) 82. 83.


Kreislauf beim Fötus 426.


Kreuzbein 188.


Labyrinthbläschen 301. — Umwand-
lungen derselben 304.


Lanugo 341.


Rölliker, Entwicklungsgeschichte. 30
[466]Register.

Latebra 25.


Leber 350. — erste Bildung 380. —
weiteres Wachsthum 381. — innere
Veränderungen 383. — Bedeutung
der Leber beim Fötus 386.


Leberanlage 97.


Lebercylinder 384.


Leberprobe 383.


Leistenband der Urniere 438.


Ligamenta intervertebralia menschlicher
Embryonen 189.


Ligula 247.


Linse 275. 276. 297.


Linsenkapsel 297.


Linsenkapsel, gefässhaltige 293. — Be-
deutung derselben 295. — Entwick-
lung 206.


Lippenspalte 213.


Liquor amnii 105. 139. 155.


Luftröhre 380.


Lungen des Hühnchens 371. — der
Säugethiere 372. — weitere Entwick-
lung 373. — Lappenbildung 374. —
Lage derselben 374. — innere Ver-
änderungen 376.


Lymphdrüsen, -gefässe 430.


Magen 359.


Magenanlage 97.


Malpighische Körperchen der Urnieren
112. 114. der Nieren 112. 433.


Meckel’scher Knorpel 215.


Meconium 387.


Medulla oblongata 248.


Medullarplatte 45. 71. 72.


Medullarrohr 46. 47.


Meibom’sche Drüsen 299.


Membrana capsulo-pupillaris 293.


Membrana hyaloidea 298.


Membrana intermedia zwischen Amnion
und Chorion 129.


Membrana obturatoria ventriculi IV.
244. 245.


Membrana pupillaris 292.


Membrana reuniens inferior 55.


Membrana reuniens superior 61.


Menschlicher Embryo der 2. Woche 122.
— der 3. Woche 124. — der 4. Woche
129. 332. — der 5. Woche 132. —
der 6. Woche 135.


Meroblastische Eier 22. 23.


Mesenterium 58. 96.


Mesoarium 439.


Mesogastrium 360.


Mesorchium 439.


Milchdrüsen 345.


Milz 388.


Mitteldarm 359. — eigentlicher 361. —
Drehung seiner Schleife 363.


Mittelfussknochen 225.


Mittelhandknochen 224.


Mittelhirn 227. 243.


Mittelplatte 55. 56.


Mittleres Keimblatt 42. 71. (Vogel) 75.
(Säugethiere.)


Mittleres Ohr, Entwicklung 321.


Morphologie der Entwicklung der Keim-
blätter 73.


Motorisch-germinatives Blatt 45.


Müller’scher Gang 435. 441.


Mund, Bildung desselben 70. 98.


Mundhöhle, Bildung ders. 212. 332. 352.


Musculus stapedius 220.


Muskelplatte 60.


Muskelplatte, vordere 349. — hintere
349.


Muskelsystem, Entwicklung 347. —
Primitivorgane desselben 348.


Nabelstrang des menschlichen Embryo
132. 133. 152. 156. 177.


Nachgeburt 157.


Nachhirn 227. 248.


Nackenkrümmung 116.


Nackenkrümmung des Gehirns 228.


Nägel 342.


Nahrungsdotter 22.


Narbe 24.


Nase, äussere 335.


Nasenbein 218.


Nasenfortsatz, äusserer und innerer
210. 211. 329.


Nasenfurche 329.


Nasengang 331.


Nasenlöcher, innere 331.


Nasenöffnung, innere 212.


Nasenrachengang 333.


Nebendrüsen der Thyreoideo 391.


Nebeneierstock 447.


Nebenhöhlen der Nase 334.


Nebennieren 271. 434.


Nervi optici 241.


Netze 366.


Nieren, Entwicklung 432. — bei Säuge-
thieren 432.


Oberarmknochen 223.


Oberkiefer 217.


Oberkieferfortsatz des ersten Kiemen-
bogens 210. 217.


Oberschenkel 224


Obex 247.


Ohrbläschen menschl. Embryonen 128.


Ohrenschmalzdrüsen 324.


Ohrmuschel 324.


Oken’sche Körper 110. s. Urnieren.


Organes hepatiques des Amnios 154.


Ovulum des Menschen 23. 26.


Pancreas 387. — Ausführungsgang des-
selben 387.


Paukenhöhle 322.


Perinaeum 460.


Peripherische Nerven, allgemeine Bil-
dungsgesetze 264.


Peyer’sche Drüsen 369.


[467]Register.

Pharynxtonsille 358.


Placenta 154. — Sitz derselben 157. —
Pl. des Hundes 162. — des Kanin-
chens 163.


Placenta foetalis 139. 143. — feinerer
Bau 143. — Entwicklung 177.


Placenta uterina 138. 142. 144. — fei-
nerer Bau 146. — Bildung derselben
182. — Arterien derselben 146. —
Venen 147. — Blutbewegungen der-
selben 149.


Pleura 379.


Plexus chorioidei, Entwicklung 247.


Primitivrinne 44. (Huhn) 76. (Säuge-
thiere.)


Primitivstreifen 43.


Primordialnieren 110. s. Urnieren.


Primordialschädel 192. — knorpeliger
195. — Ossification desselben 198.


Processus styloideus 220.


Processus vaginalis peritonaei 454.


Prostata 461.


Rachenhaut Remak 353.


Rachenspalte 353.


Raudbogen des Gehirns 235.


Randgefäss der Placenta 147.


Recessus labyrinthi, Reissner 305.


Recessus vestibuli 306.


Reissner’sche Membran 317. 318.


Retina 291.


Riechgruben, primitive 326. — beim
Hühnchen 327.


Riechsäckchen 334.


Rippen, Bildung der 190. Verknöche-
rung 191.


Rücken, Bildung desselben 68.


Rückenfurche 46. 47. (Säugethiere) 77.
Schliessung der 47.


Rückenfurche beim Menschen 123.


Rückenmark, Entwicklung dess. im
Allgemeinen 47. 249. — innere Vor-
gänge dabei 252. — Bidder u. Kupfer
252. Remak 255. Kölliker 256. —
beim Menschen 257. — weitere Ent-
wicklung 260.


Rückenmarkshäute, Bildung ders. 263.


Rückenmarksnerven, Bildung ders. 268.


Rückenplatten v. B. 44.


Rückenwülste 47. 77. — Mensch 123.


Sacculus hemiellipticus 307.


Sacculus rotundus 307.


Samenbläschen 446.


Samenleiter 445.


Schädel, Bildung desselben (Hühnchen)
70. — Säugethiere 171. — Ossifica-
tion des knorpeligen Primordialschä-
dels 198. — Vergleichung mit der
Wirbelsäule 204. — Wachsthum des-
selben im Ganzen 208.


Schädelbalken, seitlicher 194.


Schädelfortsatz, mittlerer 194.


Schafhäutchen s. Amnion.


Schafwasser s. Liquor Amnii.


Scheide 448. 452


Scheitelbeinanlage 202.


Scheitelkrümmung des Gehirns 228.


Schichten der Keimblase 75.


Schichtung der Keimhaut 42.


Schleimbälge der Zunge 358.


Schleimdrüsen des Vorderdarmes 357.


Schlundbogen s. Kiemenbogen.


Schlundhöhle 53.


Schlundkopf 358.


Schlundplatten 53.


Schlundspaltdrüsen des Hühnchens
361.


Schlundspalten s. Kiemenspalten.


Schlüsselbein 222.


Schnecke 306. 312. — Verbindung der-
selben mit dem Vorhofe 320.


Schneckenkanal, embryonaler 313.


Schulterblatt 223.


Schwanzkappe 102.


Schwanzkrümmung 116.


Schwanzscheide des Amnios 81. 103.


Schweissdrüsen 343.


Sclera 275. 286.


Scrotum 460.


Secundäre Wirbel 63.


Sehhügelblase 240.


Sehnerv, Bildung desselben 283.


Seitenplatten 45.


Seitenscheiden des Amnios 103.


Semilunarklappen 405.


Sensorielles Blatt 45.


Septum atriorum 405.


Septum pellucidum 238.


Septum ventriculorum 402.


Seröse Hülle 104. — Mensch 127.


Siebbein 201. 205.


Sinus coronarius 424.


Sinnesblatt 45.


Sinus rhomboidalis 48. 227.


Sinus terminalis 83. 99.


Sinus urogenitalis 441. 452.


Smegma embryonum 347.


Spaltung der Wände der Kopfdarm-
höhle 53.


Spaltung der Seitenplatten 55.


Speicheldrüsen 356.


Speiseröhre 359.


Spinalganglien 62.


Steigbügel 219.


Steissbeinwirbel 166. 168.


Stirnfortsatz 125. 210. 330. 332.


Stratum proligerum 22. 24.


Streifenhügel 235.


Stria cornea 239.


Striae medullares 240.


Sulcus interventricularis des Herzens
396.


Sympathicus, Entwicklung des 269.


30*
[468]Register.

Talgdrüsen 343.


Tentorium cerebelli (mittlerer Schädel-
balken) 195. 230.


Thränenbein 218.


Thränendrüse 298.


Thränenkanal 299.


Thymus 391. — weitere Entwicklung
392.


Thyreoidea des Hühnchens 389. — der
Säugethiere 390.


Tonsillen 358.


Tractus optici 231.


Trigeminus 267.


Trommelfell 323.


Trophisches Blatt 45.


Truncus arteriosus, Theilung dess. 404.


Tuba Eustachii 323.


Tuber cinereum 241.


Umschliessung des Markes 61.


Umwachsung der Chorda 62.


Unterkiefer 217.


Unterkieferfortsatz des ersten Kiemen-
bogens 210. 215.


Unterschenkelknochen 225.


Urachus 107. 152.


Urnieren 110. — Huhn 111. — Säuge-
thiere 112. — weitere Entwicklung
113. — Function 113. 435. — Ban-
der de 438.


Urnierengänge 435.


Urwirbel 49. 60. 77. — Umwandlung
derselben 60.


Urwirbelhöhle 60.


Urwirbelplatten 45.


Uterus, Entwicklung 448. 452.


Uterus masculinus 435. 445.


Uvea 275.


Vagus 268.


Valvula Eustachii 406


Valvula foraminis ovalis 406.


Vasa umbilicalia 152.


Vela medullaria inferiora 247.


Vena azygos 425.


Vena Cava inferior 416 425.


Vena hemiazygos 425.


Vena portae 415.


Vena terminalis 83.


Vena vertebralis posterior 424.


Venae cardinales 416. 421. 422.


Venae cavae superiores 424.


Venae crurales 423.


Venae intercostales 423.


Venae jugulares 416 421. 422


Venae hepaticae advehentes 415.


Venae hepaticae revehentes 415.


Venae lumbales 423.


Venae omphalo-mesentericae 83 414. 416.


Venae subclaviae 422.


Venae umbilicales 107. 415. 420.


Venae vertebrales anteriores 422.


Venensystem, Entwicklung 414.


Verbindung zwischen Mutter u. Frucht,
Arten der 169.


Vereinigungshaut, obere 61.


Vereinigungshaut, untere 65.


Verknöcherung des Labyrinthes 320.


Vernix caseosa 347.


Vesicula prostatica 435.


Vesicula umbilicalis: Mensch 127. 139.
151. 155 s. Dottersack.


Vésicule blastodermique 34.


Visceralbogen 55 119.


Vomer 218.


Vorderarmknochen 223.


Vorderdarm 359.


Vorderhirn 227. 231.


Vorderstränge, Entwicklung 262.


Vorhof 306.


Vorkammern 87.


Whartonsche Sulze 152.


Windungen, primitive, des grossen
Gehirns 233. — bleibende 234.


Wirbelbogen, häutige 61.


Wirbelbogen, häutige u knorpelige 62.


Wirbelkernmasse Remak 60.


Wirbelsäule, Bildung der (Mensch) 184.
— Verknorpelung 185. — Verknö-
cherung 187.


Wirbelsäule, häutige, beim Hühnchen
62. — Entstehung ders. bei Säuge-
thieren u. Menschen 185.


Wolff’sche Körper 110. s. Urnieren.


Wolff’sche Gänge 435.


Wolfsrachen 213.


Wollhaare 341.


Zähne 355.


Zehen 225.


Zirbel 240.


Zona pellucida 24.


Zotten der serösen Hülle 174


Zotten, primitive 36. — (Mensch) 122.
172.


Zotten, secundäre 161.


Zuckerbildung in der Placenta 154.


Zunge 354.


Zungenbeinhorn, kleines 220. — gros-
ses 220.


Zungenbeinkörper 220.


Zwerchfellsband der Urniere 438.


Zwischenhirn 227. 240. Boden dessel-
ben 241.


Zwischenkiefer 218.


Appendix C

Druck von Breitkopf und Härtel in Leipzig.


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TextGrid Repository (2025). Collection 3. Entwicklungsgeschichte des Menschen und der höheren Thiere. Entwicklungsgeschichte des Menschen und der höheren Thiere. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bp5p.0