WAHRHEITEN
bey Orell, Geſsner, Füſsli und Compagnie.
1796.
VI.
Der selbst-regierende Fürst.
(II. Band.) A
[[4]][[5]]
Ein Herr, der nicht zu befehlen und seine Be-
fehle von jedermann respectiren zu machen
weiſs, wird immer nur halb und oft mit Scha-
den bedient werden.
Ein Herr, der es auf den eigenen guten Wil-
len seiner Ministers und Diener aussetzen mag,
ob sie seine Entschliessungen gutheissen und
befolgen wollen, wird dadurch entweder ihre
Düpe und der Knecht seiner Diener, oder er
kommt doch bey den besten Vorsätzen nie wei-
ter voran, als es dem Eigennutz und Eigensinn
anderer beliebt.
Es giebt freylich Herrn, denen Friede, Ruhe
und Eintracht unter ihren Dienern und ihre ei-
gene Ruhe und Gemächlichkeit so sehr am Her-
zen liegen, daſs sie lieber selbst anerkannte
Schlechtigkeiten geschehen lassen und gut heis-
sen, um nur Widerspruch, Zank und Streit zu
[6] vermeiden, und sich selbst neue Belästigungen
zu ersparen. Bey solchen haben die Schreyer
und die sich am dreistesten in die Brust wer-
fen können, gutes Spiel.
Ferner finden sich zuweilen Herrn von solch
groſser Herzens-Güte, welche die Menschen,
mit denen sie umgeben sind, immer nur von
der schönen Seite anzusehen sich angewöhnen;
die sich nie bereden können oder wollen, wie
oft unter dem scheinbarsten Diensteifer Nebenab-
sichten, Eigennutz, Neid, Eifersucht gegen an-
dere etc. verborgen liegen; die sich ungerne
und schwer eines andern überzeugen lassen,
und, wann sie dann endlich den Glauben in die
Hand bekommen, lieber sehen, daſs, anstatt
durchzugreifen, andere sich die Mühe geben,
durch Ueberredungen und Vorstellungen die
bessere Gesinnung einzupfropfen und die im-
mer undankbare und vergebliche Mühe, Mohren
weiſs waschen zu wollen, übernehmen.
So erzählte Luther einst von der Gedult und
Langmuth seines alten Herrn, Churfürsten Jo-
hannsen zu Sachsen, daſs er sich durch den Unge-
horsam seiner Leute nicht bewegen lassen, son-
dern allzeit gehoft und gewartet, sie würden
[7] sich bessern. „Das (sagte Luther) wäre daher
geschehen, daſs er von Predigern also gelehret
und beredet war, dann er hatte von Jugend
auf die Mönche, seine Beichtväter, gehöret,
die gaben vor: Ein Fürst solle nicht zornig,
sondern sanftmüthig, barmherzig und gedultig
seyn etc. und lehrten ihn allein, was nur ein-
zelne Personen, so nicht in Aemtern sind, an-
geht; gleich als dürfte oder gebührte einem
Fürsten nicht, daſs er zürnte, Rach übte, die
bösen Buben strafte, noch die Frommen wider
Gewalt und Unrecht schüzte und vertheidigte.
Davon kann er noch nicht lassen, weil er in
dem unterweiset ist von Kindheit auf, gleich-
wie ich auch meine Möncherey nicht gar able-
gen noch vergessen kann„.
Hinwiederum giebt es auch Herrn, welche
ihrem Dienst am besten gerathen zu seyn glau-
ben, wann ihre Ministers in beständigem Feuer
gegen einander liegen, einer dem andern wi-
derspricht und entgegen arbeitet, und in den
Conferenzen halb berathschlagt und halb gezankt
wird; die aber gleichwohl zu schwach von Ein-
sichten sind, um zwischen diesen Mund- und
Feder-Fechtereyen das Wahre der Sachen heraus-
[8] zufinden, die geheimen Absichten des einen oder
des andern zu entdecken, und für das, was
würklich recht und gut ist, zu entscheiden;
welche daher, wann die Flamme übers Haus
hinausschlägt, zu dem elenden und schädlichen
Mittel ihre Zuflucht nehmen, zu sagen: Ich
will von der ganzen Sache nichts mehr hören;
ihr Herrn, vergleicht euch. Zuweilen ge-
schiehts, und der Herr muſs den Macherlohn,
wie billig, bezahlen.
Es ist immer ein trauriger Fall, wenn ein
Fürst zu weich, zu gut und zu schwach ist,
um über seinen eigenen mit Ueberlegung ge-
gebenen Befehlen zu halten. Dagegen gilt nur
Ein Mittel: Daſs er das, was er nicht selbst
thun kann oder mag, durch seinen Coadjutor,
Helfer oder Vicarium ergänzen läſst.
Ich kannte einen Fürsten, der nicht leicht
eine Klage, ein Gesuch oder Bitte abschlagen
konnte, wenn sie ihm mündlich oder schriftlich
durch einen seiner Unter-Officiers oder Solda-
ten vorgebracht oder empfohlen wurde. So
einträglich diſs Gewerbe vor diese Leute war,
so eine reiche Quelle wurde es von tausend
[9] Unordnungen, Verwirrungen, Ungerechtigkei-
ten, Verläumdungen redlicher Diener, und un-
nöthiger Mühe vor die Collegien und den Mini-
ster. Der Fürst, überzeugt, wie sehr er miſs-
braucht und hintergangen worden, erlieſs end-
lich einen gedruckten Befehl ins Land, wodurch
aller und jeder Ueberlauf seiner Person in Sa-
chen, die ihrer Natur nach vor die Collegia
gehörten, bey zehen Gulden Strafe verboten
und zugleich geboten wurde, diese Verordnung
von den Canzeln alle vier Wochen zu verlesen.
Der Fürst war der erste, so diesen Befehl brach;
und die Unordnungen dauerten einen Weg wie
den andern fort. Da war kein anderer Rath,
als daſs der Minister die Stelle seines Herrn
vertreten, selbst über der Ordnung halten, alle
dergleichen erschlichene Resolutionen als nicht
gegeben ansehen, und die Sachen an die Colle-
gien, wohin sie gehörten, verweisen, diejeni-
ge aber, so die Güte des Herrn durch solche
Schleichwege miſsbraucht, ohne Ansehen der
Person strafen muſste. Er muſste über sich
schreyen, schimpfen, fluchen lassen; taub seyn
gegen alle Vorwürfe: Daſs der Fürst so gut,
und er so hart sey. Der Fürst war bey aller
seiner Herzens-Güte doch zu gerecht, um sei-
[10] nen Minister stecken zu lassen; und so ward
allmälig die Ordnung wieder hergestellt.
Ins Ganze zu sprechen, so hat es überall
und zu allen Zeiten nur immer wenige selbst-
regierende Herrn gegeben; und sie und ihre
Anbeter und Loblügner mögens gestehen, oder
nicht, so sind sie auch in unsern heutigen auf-
geklärten Tagen noch eben so selten, wie sonst;
vielleicht noch seltener. Büffon*) wird in
dem groſsen Wort, das er gesagt hat, nicht
nur zu unsern Zeiten, sondern noch lange nach
uns, recht behalten.
Die meisten von ihnen, selbst die guten, und
unter diesen am ersten die besten, werden ge-
führt, durch die Gemahlin, durch Maitressen,
Favoriten, Ministers, Räthe, geheime Referen-
darien und Secretarien, Cammerdiener u. d. g.
bald von einem oder etlichen derselben allein,
bald von mehreren zusammen, die sich unter
einander ablösen oder in diesem Führer-Amt
nachfolgen.
Das, wo nicht einzige, doch sichere Ver-
wahrungs-Mittel dagegen wäre, wenn die
[11] Herrn die Staats- und Landes-Geschäfte durch
die Collegien gehen lassen und sich von ihrem
Selbstdünkel so weit entkleiden könnten, um
zu glauben, daſs dann doch wohl etwa sechs,
acht oder zwölf Augen, weiter und schärfer
sehen möchten, als ihre zwey. Diese Zeiten
sind aber, wie anderswo ausgeführt worden
ist, heut zu Tage vorbey; alles wird, nach
K. Josephs Lieblings-Ausdruck, immer mehr
simplificirt; sie sehen nur allein, sie regie-
ren nur allein, und das thut dann so lange
gut, biſs es bricht.
Bey manchen andern geht es aber, wie Mon-
tesquieu sagte: „Je mehr in despotischen Staa-
ten der Fürst Völker zu regieren hat, je weni-
ger denkt er an die Regierung; je gröſser und
wichtiger die Geschäfte sind, je weniger wird
darüber berathschlagt„.
Es ist, um es kurz zusammen zu fassen, kein
Monarch, Fürst, Herr oder Herrlein, der sich
nicht in vielen groſsen und kleinen Fällen sei-
ner Regierung selbst betrügt, oder von andern
betrogen wird; und ein Regent müſste ein En-
gel, oder höheres, denn menschliches, Wesen
seyn, wenn er alle ihn umgebende, berücken-
[12] de, überlistende Ketten, Fallstricke und Fäden
bemerken und ergründen sollte. Wie wahr ist,
was in dieser Hinsicht ein redlicher und tief-
blickender Mann einem bekehrten alten Fürsten-
Hasser in den Mund *) gelegt hat.
Mag dann immerhin ein Fürst ganz oder halb
blind seyn, wenn er nur einen guten Führer
hat; mag er immerhin nur die Laterne oder
der Kronleuchter seyn, wenn er nur gute Lich-
ter hat.
Tausendmahl für einmal sind aber die Befehle
der Regenten so geartet, als wenn der Blinde
dem Sehenden vorschreiben wollte, wie er ihn
führen soll? oder wenn der Blinde verlangte,
[13] daſs er nicht dem Führer, sondern dieser ihm
folgen soll. Wenn nun aber der Blinde gegen
seinen Führer so argumentirt: Ich bezahle dich
dafür, daſs du mich führst, wie ich will, und
dieser glaubts, so wird er ihm zwar seinen
Willen thun, ihn aber, wenns dem Abgrund
zugeht, den Hals allein brechen lassen, und
am Rand weislich zurücktreten.
Das Sonderbare ist, daſs manche Herrn sich
von denen führen lassen, welche sie selbst ge-
bildet zu haben wähnen. Daher kommen die
Günstlings- und Pagen-Ministerien in- und aus-
serhalb Deutschland.
Es ist, mit Lavatern, leicht gesagt: Stehe
auf dir selbst! Versteht sich, wann der, so
stehen soll, Lebens-Kraft und Füsse zum Ste-
hen hat. Die Geschichte hat uns von solchen
Kraft-Menschen Beyspiele aufbehalten, und
sie werden nur um so einleuchtender, wenn
man die Exempel von ohnmächtigen Fürsten
dagegen hält. So sagt man: Carl der Groſse
siegelte seine Befehle mit seinem Degen-Knopf,
in welchem sein Pettschaft eingegraben war.
Da, sagte er, ist mein Befehl; und hier,
indem er auf den Degen wies das, was ihn
[14] respectiren machen wird. Doch was geht die
jeztlebenden Fürsten Carl der Groſse an? Hier
ist ein anderes Beyspiel aus dem jetzigen Jahr-
hundert.
In Spanien war unter der Regierung der lez-
tern Könige Oesterreichischen Stamms eine zwie-
fache Instanz zu Behandlung und Entscheidung
der Reichs-Angelegenheiten. Die gröſsere hieſs
die Junta, oder der Rath von Castilien. Welch
ein trauriges Ding dieser Staatsrath gewesen
seyn müsse, davon hat uns die Regierungs-Ge-
schichte *) des schwachen Königs Carls II. das
Modell aufbehalten. Alle Freytag versammelte
sich nehmlich der hohe Rath von Castilien in
dem Königlichen Thron-Zimmer; der König
trat bedeckt herein, fand die Räthe auf dem
Knie liegen, sezte sich und sprach: Steht auf!
Die Räthe stuhnden auf, und der König sprach
weiter: Sezt euch! Sie sezten sich. Bedeckt
euch! fuhr der König weiter fort; und sie be-
deckten sich; damit hatte die Conferenz ein En-
de. Als diese Mummerey dem jungen König
Philipp V. erzählt wurde, bezeugte er darüber
[15] sein äusserstes Befremden, und fragte: Ob dann
sonst gar nichts bey dieser Versammlung vor-
genommen worden? Worauf der Präsident ant-
wortete: Unter Carl II. wäre sonst weiter nichts
geschehen; unter [Philipp] IV. hätte man ihm
aber manchmahl die von dem Rath von Casti-
lien [abgefaſsten] Urthel vorgelegt. „Und was
sagte darauf Philipp IV.„? erwiederte der junge
König. „Es ist gut„, antwortete der Präsident.
„Ich werde auch so sagen„, versezte darauf
Philipp, „wenn ich es auch so finde; finde ichs
anders, so werde ich sagen: Das ist schlimm„.
Die über diese Rede erschrockenen Spanier
glaubten schon würklich, der junge Monarch
werde lernen, als Herr zu sprechen; es blieb
aber nur bey den Worten.
Zwar hatte Ludwig XIV. in Frankreich, in
der diesem seinem Enkel An. 1700. mitgegebe-
nen Instruction *) bereits gesagt: „Widmen Sie
eine groſse Aufmerksamkeit, wenn man Ihnen
von Geschäften spricht; hören Sie im Anfang
viel, ohne darüber zu entscheiden. Wenn Sie
aber mehr Kenntnisse erlangt haben, so erinnern
Sie sich, daſs Ihnen zusteht, zu entscheiden;
[16] Sie mögen aber noch so viele Erfahrung erlangt
haben, so hören Sie immer vorher die Beleh-
rungen und Urtheile von ihrem Conseil, ehe
Sie sich würklich entscheiden„. Und am Ende
dieser Schrift fügt er bey: „Ich endige mit ei-
ner der wichtigsten Belehrungen, die ich Ihnen
je geben kann: Lassen Sie sich von nie-
mand beherrschen; seyen Sie selbst Herr;
haben Sie nie weder einen Favoriten noch ei-
nen Premier-Minister. Hören Sie, berathen
Sie sich mit Ihrem geheimen Rath, aber
entscheiden Sie selbst. Gott, der Sie zum
König gemacht, wird Ihnen, so lange Sie gute
Absichten haben, auch die benöthigte Einsich-
ten geben„. Und die noch junge, aber männlich-
kluge erste Gemahlin dieses schwachen Königs
schrieb selbst im Jahr 1702. *) an ihren Groſs-
Vater Ludwig XIV. in [Frankreich]: „Ew. Ma-
jestät bitte ich unterthänigst, sich alles des An-
sehens zu bedienen, das Sie aus so vielen Grün-
den über den König, Ihren Enkel, haben, daſs
er sich gewöhne, mit einem festen Ton zu sa-
gen: Ich will! oder: Ich will nicht! mit Einem
Wort, dafs er Ihrem Beyspiel nachzufolgen su-
che„.
[17] che. Er würde ein vollkommener Fürst seyn,
wenn er es so weit bringen könnte„.
In einem kurz gedauerten Paroxysmo schien
es, der junge König wolle wenigstens in dem
sogenannten Despacho oder Rath der Depe-
schen, selbst und allein arbeiten; er zog zu
diesem Despacho den Cardinal Portocarre-
ro, dem er durch das Testament Carls III. oh-
nehin die Crone zu verdanken hatte, zugleich
aber auch, um nicht von dem Eigensinn dieses
mächtigen Spaniers allein abzuhangen, den fran-
zösischen Gesandten mit bey. Diſs that nur
eine Zeit lang gut; der Spanische Stolz empörte
sich gegen französische Mitwürkung und Ein-
fluſs. Als Philipp im Jahr 1703 nach Madrit zu-
rückkam, und der neue französische Gesandte,
Cardinal von Estrees, Mine machte, dem De-
spacho mit beyzuwohnen, weigerte sich Por-
tocarrero, in demselben zu erscheinen; die
Gährung unter den Groſsen wurde immer grös-
ser, und drohte einen förmlichen Aufruhr. An
die Zuziehung eines französischen Gesandten
war gar nicht mehr zu gedenken; ein Spani-
scher Grande drohte im öffentlichen Rath mit
Arm und Bein entzweyschlagen derer, die sich
(II. Band.) B
[18] an den französischen Minister wenden würden.
Darüber blieben alle Geschäfte liegen; die Gros-
sen rotteten sich zusammen, und liessen dem
König sagen, daſs alles zu befürchten sey, wenn
der König nicht, und zwar allein sein Despa-
cho halten wollte. Da sich nun Philipp dazu
gezwungen sah, lieſs er den Cabinets- oder Des-
pacho-Secretair, Marquis von Rivas zu sich
kommen, und sagte ihm: „Meine wenige Er-
„fahrung und Jugend erlauben mir nicht, zu
„hoffen, daſs ich keine Fehler machen werde.
„Jch halte Euch für einen ehrlichen Mann,
„sonst würde ich mich wohl gehütet haben,
„Euch zu dieser Stelle zu nehmen; ich erkläre
„Euch aber zugleich, daſs, wenn Ihr mich in
„der geringsten Sache betrügt, Ihr mit Eurem
„Kopf dafür haften müſst„. Der Secretair stand
vor Erstaunen über diese Sprache wie verstei-
nert da, und von dieser Stunde an verbreitete
er das Gerüchte: Daſs in dem jungen Monar-
chen ein fester Mann verborgen sey *). Die
junge Königin war über diesen Entschluſs so
erfreut, daſs sie ausrief: Nun endlich haben wir
einen König, der selbst regiert; er hat auch
[19] alle Fähigkeit dazu, und bedarf keiner fremden
Hülfe. Der Erfolg zeigte aber bald genug das
Gegentheil; und auf den Bericht, den der fran-
zösische Gesandte von diesen Vorgängen an
seinen Hof erstattete, folgte von Groſs-Vater
Ludwig ein donnerndes Schreiben an seinen
Enkel nach, aus dem ich nur folgende Stelle
aushebe: Il y a deux ans, que vous regnés et vous
n’avés pas encore parlé en maitre, par trop de défiance
de vous même. — A peine cependant vous arrivés à Ma-
drid, qu’on reussit à vous persuader que vous êtes ca-
pable de gouverner seul une Monarchie, dont vous
n’avés senti jusqu’ à present que le poids excessif.
Vous oubliés l’embarras de vos affaires et vous vous
applaudissés de tenir seul vos conseils. J’étois bien
eloigné de croire, qu’on vous tendit un pareil piége,
et qu’il fut possible de vous y faire tomber. — Ne
vous renfermés point dans la mollesse honteuse de
votre palais, montrés vous à vos sujets, écoutés
leurs demandes, faites leur faire justice, donnés or-
dre à la sureté de vôtre Royaume acquités vous en-
fin des devoirs, ou Dieu vous appelle en vous pla-
çant sur le trône.
In kurzem zeigte sich aber, daſs Philipp V.
schon in seiner Geburt zu einem selbst-regie-
renden Herrn verdorben war, und die intres-
[20] intressanten Memoires de l’Abbé de Mont-
gon enthalten den anschaulichsten und über-
zeugendsten Beweis, wie sehr er sich in der
Folge seiner langen Regierung von Weibern und
Günstlingen beherrschen lassen.
So ist es denn auch, nach ihm, geblieben biſs
auf den heutigen Tag.
In Frankreich erschien, nach manchen vor-
hergegangenen theils Schwach-Köpfen, theils
Tyrannen, der, in der hohen Schule der An-
fechtungen gebildete, Heinrich IV. als ein mit
Wort und That selbstregierender Herr. Nur
eine Probe davon anzuführen: Als er sich im
Jahr 1597. mit seinem Pariser-Parlament über
den den Reformirten gegebenen Freyheits-Brief
herumzankte, lieſs er eine Deputation in sein
Cabinet kommen, und sagte derselben die honig-
süssen und brennend-heissen Worte *): „Ihr
seht mich da in meinem Cabinet mit euch reden,
nicht in Königlichem Habit, in Degen und Hut,
wie meine Vorfahren, noch wie einen Fürsten,
der fremde Gesandten empfängt, sondern ange-
kleidet, wie einen Hausvater in seinem Wämms-
[21] gen, wie er mit seinen Kindern spricht. Was
ich euch zu sagen habe, ist, um euch zu bit-
ten, das Edict, das ich denen Religionairs ge-
geben habe, anzunehmen. — Ich habe es selbst
gemacht, und will, daſs es gehalten werden
soll. Mein Wille kann euch Grund genug
seyn; in einem gehorsamen Staat fordert man
von einem Fürsten nicht mehr. Ich bin Kö-
nig und spreche zu euch als König, und
will, daſs ihr gehorchet„.
Dieser gute König pflegte auch manchmahl
zu sagen: Er hoffe, Gott werde ihm in seinen
alten Tagen die Gnade thun, ihm so viel Zeit
zu lassen, daſs er wochentlich zwey biſs drey-
mahl ins Parlament und auf die Rechen-Cam-
mer gehen könne, um auf die Abkürzung der
Processe und die gute Verwaltung der Staats-
Einkünfte persönlich Acht geben zu können;
diſs sollten dann seine lezten Promenaden seyn.
Als sein Sohn und Nachfolger, der schwache
König Ludwig XIII. in Frankreich, den Lieb-
ling seiner Mutter, den Marschall von Ancre,
umbringen lassen, sagte er, wenige Augenbli-
cke hernach, dem Staats-Minister von Brien-
[22] ne *): Nun bin ich König; jezt hat keiner
mehr den Rang vor mir.
Nach des Cardinal Mazarins Tod lieſs Lud-
wig XIV. die drey Staats-Secretarien in sein
Cabinet kommen und sagte ihnen mit Ton und
Stimme eines gebietenden Herrn †): Daſs, da
er den Cardinal verlohren habe, auf welchen
er sich biſsher gänzlich verlassen habe, er von
nun an sein eigener Minister seyn wolle, und
daher von ihnen verlange, daſs sie, ohne sein
[23] Vorwissen, keinen Befehl, ja nicht einmahl ei-
nen Paſsport, ausfertigen sollten. Ein jeder
von ihnen gelobte ihm den unumschränktesten
Gehorsam; kein einiger von ihnen glaubte aber,
daſs er Wort halten werde. Es geschah aber; und
von dem Tage an hielt der König alle Tage Staats-
rath mit diesen drey Ministern, und ihren zum
Theil noch jungen, aufgeblasenen, unwissenden
und unerfahrnen Nachfolgern. Der König glaubte
selbst an seine Allweisheit *), und noch mehr an
seine Allmacht; und es glückte. Er ward von
allen seinen Unterthanen sclavisch gefürchtet
und von ganz Europa aufrichtig gehaſst. Unter
seinen Ministern hatte er weise, groſse, Män-
ner; mit unter auch harte Starrköpfe, die aber
in seine despotischen Plane nur um so besser
paſsten. Unter diesen allen ragte an Credit,
Ansehen und Gewalt der Kriegs-Minister Lou-
vois hervor. Mehr als einmal reizte er den Kö-
nig, seinen Herrn, zum Zorn: Ludwig blieb
aber am Ende doch immer seiner Meister. Auch
[24] hievon mag ein Beyspiel zur Probe dienen:
Die Erzählung von diesem sonderbaren Auftritt
ist mit den eigenen Worten des Herzogs von
St. Simon*) folgende: „Louvois hatte an
der Verheerung der Pfalz nicht genug, er wollte
auch Trier in die Asche legen lassen. Er schlug
es dem König vor und sezte hinzu: Diſs sey
noch nothwendiger, als das Verfahren mit
Worms und Speyer, weil die Feinde aus Trier
einen gefährlichen Waffenplatz machen könn-
ten. Sie geriethen in heftigen Wortwechsel
darüber, ohne daſs der König überzeugt wur-
de, oder überzeugt seyn wollte. Louvois, der
den Fehler der Starrköpfigkeit, und das Vertrauen
zu sich besaſs, alles durchsetzen zu können,
was er wollte, arbeitete einige Tage hernach,
wie gewöhnlich, mit dem Könige bey der Frau
von Maintenon. Als er fertig war, sagte er
zum Könige: Er wäre überzeugt, ein bloſser
Scrupel seye Schuld, daſs der König nicht sei-
ne Einwilligung zu einer so unumgänglichen
und für das Beste seiner Truppen wichtigen
Sache geben wolle, als die Anzündung Triers
sey; er habe daher geglaubt, ihm einen we-
[25] sentlichen Dienst zu erzeigen, wenn er ihn da-
von befreye und es allein über sich nähme;
und dem zufolge habe er, ohne ihm vorher
ein Wort zu sagen, einen Courier mit dem Be-
fehl abgeschickt, Trier gleich nach seiner An-
kunft in Brand zu stecken.
Augenblicklich gerieth der König wider sei-
ne Gewohnheit in einen so heftigen Zorn, daſs
er die Feurzange vom Camin ergriff, und dem
Louvois eins damit versetzen wollte, wenn
nicht Frau von Maintenon dazwischen gesprun-
gen wäre, und ihm zugerufen hätte: „Sire,
was wollen Sie thun„? Zugleich riſs sie ihm
die Feuerzange aus der Hand. Louvois wischte
zur Thüre hinaus; der König aber schrie ihm
nach, daſs er zurückkommen sollte, und sagte
ihm mit Augen, die von Wuth funkelten: „Fer-
tigen Sie auf der Stelle einen Kurier mit einem
Widerruf des Befehls ab, und daſs er noch zu
rechter Zeit ankommt; denn Sie sollen mir mit
ihrem Kopf dafür haften, wenn ein einziges
Haus abgebrannt wird„.
Louvois, der mehr todt als lebendig war,
eilte nach Haus, aber nicht um die Contreor-
dre auszufertigen; denn das war nicht nöthig,
weil der erste Kurier noch gar nicht abgereist
[26] war, indem er ihm befohlen hatte, damit biſs
zu seiner Zurückkunft vom Könige zu warten.
Er hatte erst sehen wollen, wie der König es
aufnehmen und ob er blos ein wenig böse seyn
würde, in welchem Fall er den Kurier würde
haben abgehen lassen. Er brauchte also nur
seine Depesche zurück zu nehmen; bey dem
König hieſs es aber immer, daſs der zweyte
Kurier dem ersten noch zu rechter Zeit nach-
gefolgt sey„.
Die Zeit [d]er tollen Regentschaft des Herzogs
von Orleans und seines noch liederlichern Mi-
nisters des Cardinals du Bois, verdient nicht
einmal, daſs sich die Geschichte mit der Wie-
derholung ihres Andenkens beflecke.
Der junge König wurde, wie die meisten Kö-
nigs-Söhne erzogen, wuchs heran und machte
zu Ministern, die sich entweder selbst auf-
schwäzten und eindrungen, oder ihm von an-
dern als die tüchtigsten empfohlen wurden.
Nach dem im Jahr 1743. erfolgten Tod des
alten Präceptors und Ministers von K. Ludwig
XV. des Cardinals von Fleuri, wünschten die
redlichen Männer in der Nation, daſs sich der
[27] König an keinen dirigirender Minister mehr ge-
wöhnen, wohl aber sich selbst den Geschäften
des Staats mehrers widmen möchte. Der eben
so staatskluge als rechtschaffene Marschall von
Noailles, welcher damals in Flandern com-
mandirte, klopfte, so zu sagen, auf den Busch,
und lieſs in ein Schreiben an den König ein-
flieſsen: Daſs er ihm wohl ein und anders, das
er auf dem Herzen habe, sagen möchte; er
würde aber sein Stillschweigen eher nicht bre-
chen, biſs es der König ausdrücklich befehlen
würde. Ludwig XV. antwortete darauf dem
biedern Mann in einem eigenhändigen Schrei-
ben: „Der verstorbene König, mein Ur-Groſs-
Vater, den ich nach aller Möglichkeit nachah-
men werde, hat mir auf seinem Todbett empfoh-
len, in allen Sachen Rath einzuholen; zu su-
chen, den besten zu erkennen, und demselben
sodann stets zu folgen. Ich werde also sehr
erfreut seyn, wenn Sie mir diesen Rath erthei-
len wollen. Ich öfne Ihnen also den Mund,
wie der Pabst den Cardinälen, und erlaube Ih-
nen, das zu sagen, was Ihr Diensteifer und
Ergebenheit vor mich und mein Reich Ihnen
eingeben wird. Ich kenne Sie genug und lang
genug, um an der Aufrichtigkeit Ihrer Gesin-
[28] nungen und Ihrer Anhänglichkeit an meine Per-
son im geringsten zu zweifeln„.
Der Marschall rückte darauf mit groſser Weis-
heit und Behutsamkeit mit seinem Text herfür,
und stellte seinem König in einem ganz vor-
treflichen Schreiben *) für, wie räthlich es sey,
[29] daſs er keinen Premier-Minister habe, und wie
nöthig dagegen, sich den Geschäften mit meh-
rerer Anstrengung zu widmen. Dieser Rath
war um so dringender, da es die wenigste Sor-
ge des Cardinals war, dem Character und der
Tugend des Königs eine eigenthümliche Stärke
zu verschaffen, und seine Seele auf die den
Königen so nöthige, unabhängige Gröſse zu
leiten, als vielmehr ihn gegen seine, des Car-
dinals, Vorschläge geschmeidig und nachgebend
zu machen. Auf diese Weise wuſste er, ohne
allen Anschein von Ehrgeiz, eine unumschränkte
Herrschaft zu behaupten. Der schüchterne, be-
scheidene, gegen sich selbst miſstrauische Kö-
nig gewöhnte sich, immer nur durch andere
Augen zu sehen, oder andere machen zu las-
sen, was sie wollten, wenn er gleich einsah,
daſs es besser gemacht werden könnte. Diesen
Gebrechen suchte der Marschall durch eine an-
dere Ordnung der Dinge abzuhelfen. Der Kö-
nig sah auch die Richtigkeit der Gründe des
Marschalls mit Ueberzeugung ein; er machte
den Anfang, selbst regieren zu wollen. Er zog
den Marschall selbst in den Staatsrath; er folgte
aber nicht seinem Rath, lieſs die andern Mini-
sters, jeden in seinem Departement, despotisi-
[30] ren, wie sie wollten, überlieſs sich seiner Träg-
heit, gerieth in die Fallstricke der Weiber und
Maitressen, welche Ministers ein- und absezten,
und vollendete so seinen Lauf mit Schmach und
Schande.
Als sein Enkel König Ludwig XVI. in Frank-
reich bald nach Antritt seiner Regierung starke
Reformen bey seinem Hofstaat vornahm, nahm
sichs der Prinz von Beauveau heraus, dem
König zu sagen: Daſs, wenn der verstorbene
König Veränderungen in seiner Hof-Oecono-
mie vorgenommen habe, er mit den Vorgesez-
ten der verschiedenen Departements vorerst dar-
über zu Rath gegangen sey, und daſs solches zu
einer beständigen Gewohnheit geworden. Der
junge entschlossene Monarch erwiederte aber
darauf: Wenn ich befehle, so frage ich nie-
mand um Rath!
Hätte der gute unglückliche König stets ver-
standen, nur zu befehlen, und hätte er desto
weniger um Rath gefragt, so würde er wahr-
scheinlich um so gewisser Leben und Krone
behalten haben.
[31]
Wenn man Fürsten Königen und Monarchen
beygesellen darf, so ist nicht zu läugnen, daſs
manche Regenten-Häuser erbliche Eigenschaf-
ten, oder, um das Kind mit seinem wahren
Nahmen zu nennen, Untugenden haben, die
sich gleich einem Fideicommiſs auf ihre Regie-
rungs-Nachfolger fortpflanzen: Zorn, Hitze,
Rechthaberey, Stolz u. d. g., die sie von allen
andern Familien gleichen Standes characteristisch
auszeichnen. So sagte schon Luther zu sei-
ner Zeit vom Landgrafen Philipp zu Hessen,
genannt den Groſsmüthigen: Er hat einen
Hessischen Kopf; welche Art Fürsten-Köpfe
also damals bereits im Ruf der Härte gestan-
den haben müssen; und eben dieser Fürst schrieb
von seinem Sohn, Landgrafen Ludwig, den 25.
Merz 1561. an Herzog Christophen zu Würtem-
berg, dem er diesen Wildfang zur Bändigung
überschickte: „Auf daſs aber E. L. seine Eigen-
schaft etlicher Maſsen wissen, so hat er einen
störrigen, zornigen Kopf, den wollen E.
L. ihm so viel mildern, als möglich ist„. Diese
Genealogie Hessischer Köpfe hat sich noch spät
in meistens unveränderter Cathegorie erhalten,
wo hingegen weder in der Geschichte, noch
im gemeinen Leben je gesagt worden: Er hat
[32] einen Sächsischen Kopf; vielmehr nannte
Dr. Luther seinen Herrn, den Churfürsten Jo-
hannes: „Einen frommen, aufrichtigen Fürsten,
der gar keine Galle hatte„; und Churfürst
Christian II. zu Sachsen, wurde wegen seiner
alles umfassenden Menschenliebe von seinen ei-
genen Unterthanen das fromme Herz genannt.
Von jenem Landgrafen Philipp zu Hessen,
erzählt Luther*) anderswo: „Im Colloquio
zu Marburg fragte er Philipp Melanchthon um
Rath in seinen Sachen und sprach: Lieber Ma-
gister Philipp! soll ichs auch leiden, daſs der
Bischof von Mainz mir meine evangelische Pre-
diger mit Gewalt austreibt? Da antwortete Phi-
lippus: Wann die Jurisdiction derselbigen Orte
dem Bischof von Mainz zustehet, so könnens
Ew. Fürstl. Gnaden ihm nicht wehren. Da ant-
wortete der Landgraf: Ich laſs euch wohl
rathen, ich thue es aber nicht. Ich, Luther,
sagte damahls seinem alten Rath dem von Boe-
melberg: Warum wehret ihr nicht eurem Herrn
und seinem Vornehmen? Da antwortete er:
„Ach, lieber Herr Doctor, unser Ver-
mahnen hilft nicht; was er vornimmt, da
läſst
[33]läſst er sich nicht von bringen„. Die lange
und harte Gefangenschaft L. Philipps nach der
Schlacht bey Wittemberg mag wohl diesen Für-
sten um etwas milder und weicher gemacht
haben; biſs zum Schmelzen aber kam es ge-
wiſs nicht.
L. Philipps Freund, Zeit- und Bunds-Genos-
se, Herzog Ulrich von Würtemberg, zeigte
sich in seinem ganzen Leben und Thaten so
sehr und ganz vor einen selbst-regierenden
Herrn, daſs er über dem Miſsbrauch und Ue-
bermaas seiner Selbst-Herrschaft von dem Kay-
ser geächtet, von Landen und Leuten gejagt
wurde, und fünfzehen lange Jahre hindurch
als ein von Land zu Land Irrender sich durch-
betteln muſste. Diſs alles gehörte aber noch
zu der Wildheit der damaligen Fehde-Zeiten,
von denen man sich heut zu Tage kaum mehr
einen Begriff zu machen vermag.
Es ist bereits anderwärts gezeigt und bewie-
sen worden, daſs die wahre Quelle der Selbst-
herrschaft- und Independenzsucht Deutscher
Reichsstände in dem Westphälischen Frieden,
und in einer übelverstandenen Nachahmung der
(II. Band.) C
[34] französischen Regierungs-Form zu suchen sey,
und man kann ohne Beleidigung sagen: Daſs
von diesem Zeitpunct an wenige Fürsten-Häu-
ser auszunehmen seyen, welche nicht Beyspiele
von mehr oder minderm, zuweilen in würkli-
che Tyranneyen ausartendem, Despotismus ih-
rer Regenten aufzuweisen hätten; wann sie es
auch nicht so arg und so weit zu treiben ver-
mocht, als in neuern Zeiten ein Herzog Carl
Leopold von Meklenburg, und einige seines
gleichen zu thun gewagt haben.
Um aber auch diese Behauptung nicht ganz
ohne Beleg zu lassen, so mag es an demjeni-
gen genug seyn, was Spittler*), der treffend-
ste Fürsten-Mahler, von Herzog Johann Fried-
rich zu Braunschweig gesagt hat: „Was wohl
der Herzog einmahl wollte, das pflegte er
stark zu wollen; wo er einmahl mit gereiztem
Argwohn eines blos eigensinnigen Widerstan-
des wollte, fuhr er mit Macht fort. — Des Her-
zogs Sinn war redlich, [aber] sein Herrschers-
Gefühl reizbar. Ich bin Kayser in meinem Lan-
de, das wars, was er geradehin erklärte; das
wars, was in hundert Entschliessungen dessel-
[35] ben, ohne daſs er es selbst wahrnahm, sicht-
bar einwürkte. — Die Freyheit des Landes ward
gegen den aufwachenden Finanzgeist kaum ge-
schüzt; und der Herzog selbst, der sich an
soldatischen Gehorsam und soldatische Schleu-
nigkeit gewöhnt hatte, fand jede freymüthigere
Vorstellung seiner Räthe, jede alttönende, land-
ständische Bitte unerträglich. — So edel und
gütig Johann Friedrich war, jeder muthvollere
Widerspruch schien ihm unerträglich; so sehr
er Groten persönlich liebte, selbst Grote durfte
es nicht wagen, seiner einmahl gefaſsten Mei-
nung mit dem feinverhülltesten Widerspruch
zu begegnen. So groſsmüthig er wich, so bil-
ligkeitsvoll er selbst zurücktrat, so bald ihn
die Wahrheit mit aller der zarten Langsamkeit,
womit gewöhnlich die Zeit würkt, allmälig
überschlich, so unerbittlich schien er zu ste-
hen, wenn die Landstände auf Recht drangen,
die alten Räthe als alte redliche Männer sprachen.
Mit Uebergehung vieler andern ähnlichen
Zeugnisse und Beyspiele führe ich nur noch an,
daſs noch im Jahr 1736. Herzog Ernst August
von Sachsen-Weimar, ein originaler Selbstherr-
scher, in einer offentlich gedruckten Verord-
nung bekannt machen lassen: „Das vielfälti-
[36] ge Raisonniren der Unterthanen wird hie-
mit bey halbjähriger Zuchthaus-Strafe
verboten, und haben die Beamte solches auf
Beschehen sogleich anzuzeigen, maſsen das
Regiment von Uns, nicht aber von den
Bauren, dependirt, und Wir keine Rai-
sonneurs zu Unterthanen haben wollen.
Und obgleich die Beamten nicht allzuhart*)
verfahren sollen, so wollen Wir doch Unsere
gnädigste Befehle jedesmahl mit der äusser-
sten Accuratezza beobachtet wissen„.
Doch diese Beyspiele von Fürsten mögen hin-
reichen, um noch etwas von selbst-regieren-
den Königen sagen zu können.
K. Friedrich Wilhelm I. in Preussen, war
der erste König, nicht nur in seinen Staaten,
sondern in ganz Europa, der zu seiner Zeit
selbst regiert hat. Er sah bey dem Umfang
und bey der zerstreuten Lage seiner Länder
die Unmöglichkeit ein, alle vorfallenden Ge-
schäfte selbst unmittelbar zu besorgen, und wie
unentbehrlich ihm dabey Minister, Collegien
[37] und Räthe seyen. Anderer Seits hatte er aus
eigenem Nachdenken und aus denen aus der
Regierungs-Geschichte seines Vaters abgezo-
genen Bemerkungen wahrgenommen, wie oft
die Minister nur nach eigenem Gutdünken und
Leidenschaften verfahren; ohne Grundsätze,
ohne Rücksicht auf das wahre Beste des Staats,
nur für ihr eigenes Ansehen und Bereicherung
sorgen, und nicht nur den Mit-Regenten, son-
dern den Meister und Herrn ihres Herrn zu
spielen suchen; das Land, so gut wie jeder
kann, drücken und aussaugen, sich selbst aber
unter einander beneiden, verläumden, verfol-
gen und endlich aufreiben. Diesen Miſsbräu-
chen nicht nur abzuhelfen, sondern sie auszu-
rotten und unmöglich zu machen, machte K.
Friedrich Wilhelm den Plan, selbst-regieren-
der Herr zu seyn, und seine Minister nur von
seiner eigenen Leitung, Stimmung und Beseh-
len abhängig zu machen. Von allen ihren Ver-
handlungen, die nicht blos laufende Sachen,
sondern von irgend einiger Wichtigkeit waren,
muſsten ihm kurze und zuverläſsige Berichte
erstattet, seine Entschliessung und eigenhändi-
ge Unterschrift darüber erwartet und mit dem
unumschränktesten Gehorsam und buchstäbli-
[38] chen Unterwerfung, ohne Verzögerung, Wider-
rede, geschweige Widerstand, befolgt werden.
„Von Recht und Unrecht (sagt zwar Zim-
mermann*) hatte Friedrich Wilhelm nicht
immer ganz helle Begriffe. Sehr oft glaubte
er recht zu handeln, wenn er vollkommen un-
gerecht war; und allerdings hat er auch zuwei-
len, wie man das nicht läugnen kann, nach
der Sitte edler deutscher Vorzeit, mit dem
Stocke regiert„; welche Corporal- und Prügel-
Regierung auch von seinen eigenen Untertha-
nen und nahmentlich von dem alten und berühm-
ten Formey†) bestätigt worden.
So freygebig dieser König mit Prügeln, Na-
[39] senstoſsen etc. gegen seine Räthe [und] Diener
war, so war ers auch in seinen schriftlichen
Resolutionen mit allgewaltigen an den Rand
hingemahlten Esels-Köpfen und Ohren, deren
ich mich von meinen Jünglings-Jahren noch
verschiedene in ihrer schönen Natur gesehen
zu haben erinnere.
Dieser König trieb die [Selbstständigkeit] seiner
Herrschermacht so weit, daſs, nach des von
Poellniz*) Bericht, keiner seiner vertraute-
sten Minister sich nicht einmahl unterstehen durf-
te, einen Befehl auszufertigen, oder auch nur
zu contrasigniren; der König unterschrieb sie,
und zwar allein, alle selbst; daher ihre Anzahl
manchmal an einem Tage in die hunderte gieng.
Als Anti-Machiavel nur noch Kron-Prinz,
noch nicht König war, träumte ihm an einem
[40] schönen Frühlings-Morgen, zu sagen: „Das
Wohl der Völker, welche ein Souverain regiert,
ist es, das er allen andern Interessen vorzie-
hen muſs. Was wird alsdann aus den Ideen,
von Eigennutz, Grofsthun, Ehrgeitz und Des-
potism? Es findet sich, daſs ein Souverain,
weit entfernt, unumschränkter Herr seiner Völ-
ker zu seyn, in der That selbst nur ihr erster
Diener ist!„
Diese Sprache lautete freylich ganz anders, da
er aus dem angeblichen Diener der erste und un-
umschränkte Herr seiner Völker wurde. That-
sache ist, daſs dieser noch gröſsere Sohn und
Thronfolger seines Vaters lediglich in dessen
Fuſsstapfen gewandelt habe.
Auch Er, Friedrich II. erschien niemahls im
Staats-Rath, um die Meinungen und Urtheile
seiner Minister zu hören *). Er regierte sein
Reich durch Cabinets-Befehle. Staats- und Lan-
des-Collegien, Minister, Generale und andere
Personen, muſsten ihm alles erhebliche, entwe-
der von selbst, oder auf seinen Befehl, und
zwar meistens mit ihrem Gutachten, berichten;
und er antwortete ihnen entweder durch eigen-
[41] händige am Rand beygesezte Resolutionen, oder
durch Cabinets-Befehle, die von den geheimen
Cabinets-Räthen und von Ihm meistens nur un-
terschrieben, oft aber auch mit eigenhändigen
Zusäzen begleitet waren. Seine eigenhändige
Resolutionen waren oft in sehr scharfen und
heftigen, auch wohl in spöttischen Worten, ab-
gefaſst; er befahl auch nicht selten den Cabi-
nets-Räthen, ihre Aufsätze also abzufassen,
insonderheit an Personen, von denen er entwe-
der überhaupt, oder zu gewissen Zeiten, nicht
viel hielt. Sie verursachten alsdann sehr schmerz-
hafte Wunden, die manchen unausstehlich wa-
ren. Wer aber in einer langen Reihe von Jah-
ren dergleichen ungnädige und unsanfte Ant-
worten und Befehle von Zeit zu Zeit zu lesen
gewohnt war, empfand ihren Schlag und Stich
nicht mehr so stark als im Anfang; und weder
Minister noch Generale trugen groſses Beden-
ken, sie einander mitzutheilen, und zu den
Acten zu legen; sie trösteten einander mit lä-
chelndem Gesicht; es rieth auch wohl einer
dem andern, daſs er die am Rande stehende
harte Antwort wegschneiden solle, weil sie für
andere und für die Nachwelt nicht bestimmt
wäre.
[42]
Auf die Briefe und Berichte, die unmittelbar
an den König abgiengen, wurde nur gesezt:
Au Roi! Weil ein jeder seiner Unterthanen
die Erlaubniſs hatte, an Ihn zu schreiben, auch
auf den Brief und die Schrift, wenn er es ent-
weder für nöthig oder doch für nützlich hielt,
sagen konnte: Zu Seiner Majestät eigenhändi-
ger Eröfnung; und weil er in diesem Fall alles
selbst eröfnete, und alles, was für ihn bestimmt
war, auf den Posten von den Cabinets-Räthen
und von seinen Domestiken angenommen, und
ihm zugeschickt und überreicht werden muſste,
so konnten diejenigen, welche entweder etwas
bey ihm angaben oder jemand verklagten, ganz
frey schreiben. Also war kein Minister, kein
General, kein Collegium u. s. w. vor Angaben
und Klagen sicher; und fand der König Grund
und Ursache zu unmittelbaren Verfügungen,
so geschahen sie mit einer solchen Lebhaftig-
keit, auch wohl Heftigkeit, das diejenigen, an
welche sie ergiengen, dadurch in starke Bewe-
gung gesezt und erschüttert wurden. Zuwei-
len litt ein Angeklagter auch wohl ohne Ver-
schulden nicht wenig; allein im Ganzen war
diese Regierungs- und Verfahrens-Art des Mo-
narchen ein vortrefliches Mittel gegen den Mi-
[43] nister-Despotismus, welcher in einem Staate
der allerunerträglichste ist, und einen jeden
Mann von Verstand und Muth berechtiget, sich
bey einem solchen König, als Friedrich II. war,
darüber zu beschweren.
„Nahm der König (schreibt Büsching fer-
ner) auch Vorschläge und Rath an? Es sind
allerdings Fälle und Beyspiele genug bekannt,
da Er einen Vorschlag und Rath entweder von
mehreren Ministern zugleich, oder von einzel-
nen, von Generalen und andern Personen, nicht
angenommen, ja mit Unwillen, Bitterkeit und
Heftigkeit verworfen hat, entweder wenn er
Ihm nicht gefiel, oder, wenn Er wider denje-
nigen, der ihn that und gab, zu der Zeit, da
es geschahe, etwas hatte. — Er hat sich aber
auch oft die Vorschläge und Räthe gefallen las-
sen, welche die Minister und andere thaten,
welches unzählige Berichte mit Anfragen, Gut-
achten und Vorschlägen, an deren Seiten Er
geschrieben, gut, bene, oder ein anderes bey-
fallendes Wort, bezeugen. — Gesezt auch,
daſs Er einem Minister, General, oder einem
andern seiner Bedienten, auf seinen Rath, in-
sonderheit wenn er unverlangt war, antworte-
te: Das versteht Er nicht, schweige Er davon
[44] stille! so vergaſs Er doch desselben, wenn es
etwas wichtiges betraf, nicht, sondern leitete
die Unterredung über einige Zeit wieder auf
die Materie, die es betraf, und trug den Rath
mit einiger Veränderung als seine eigene Ge-
danken vor. Es schien wohl in manchem Fall,
als wenn Er sich weder etwas vorschlagen,
noch widersprechen lasse; in der That aber
kam viel auf die Klugheit desjenigen an, mit
dem Er zu thun hatte und sich unterredete.
Wenn ein solcher Ihm Beyfall gab, und seine
Befehle sogleich und pünctlich auszurichten ver-
sprach, hernach aber seine Einwürfe in mögli-
che Schwierigkeiten, Hindernisse, Vorfälle u.
s. w. einkleidete, und [um] Verhaltungs-Befehle
bat, so gefielen diese kluge Wendungen dem
scharfsichtigen König, und Er bewilligte und
that, was Er entweder bey unbedachtsamer
Rathgebung, oder bey starkem Widerspruch,
abgeschlagen und verworfen haben würde„.
„Nicht alle seine Cabinets-Befehle, welche
durch Bittschriften, Klagen, Angaben und auf
andere Weise veranlaaſset wurden, waren unein-
geschränkt, sondern Er überlieſs oft etwas der
Untersuchung und dem Gutfinden seiner Mini-
ster, Staats- und Landes-Collegien, ohne ein-
[45] mahl Bericht darüber zu fordern. Dieses konnte
Er um desto zuversichtlicher thun, weil Er aus
Erfahrung wuſste, daſs seine Unterthanen nicht
unterlassen würden, sich auf alle Fälle wieder
an Ihn zu wenden„.
Friedrichs II. Zeitgenosse und Rival war Jo-
seph II. Römischer Kayser. Er war unstrei-
tig ein gebohrner Herrscher, und wenn er
an einem Friedrich nicht einen so aufmerksamen
Beobachter, wenn er einen Granvella zum
Reichs-Minister gehabt hätte; wenn er um zwei-
hundert Jahre früher zur Regierung gekommen
wäre, so wäre, (nicht zum Vortheil der Deut-
schen Reichsstände) ein anderer Carl V. aus
ihm geworden.
Ich habe es aus dem Munde des damahligen
Chur-Brandenburgischen ersten Wahl-Botschaf-
ters von Plotho, daſs ihm der zu jener Zeit noch
sehr schüchterne und miſskannte Römische Kö-
nig Joseph, bey der nach der Crönung im Jahr
1764. gehabten feyerlichen Audienz die Worte
gesagt: Ich werde mir den König, ihren
Herrn, zum Muster meiner künftigen Re-
gierung vorstellen. Der Gesandte selbst
hielt es, mit vielen andern, vor ein auswendig
[46] gelerntes Compliment. Joseph hat aber nicht
nur Wort gehalten, sondern seinen groſsen Lehr-
meister (freylich nicht auf der glücklichsten
Seite) noch übertroffen; und wenn man zur rech-
ten Zeit sterben kann, so ist Er gewiſs zur
rechten Zeit gestorben.
Ich habe dem Kaiser Joseph selbst gedient,
und diesen Monarchen in mehrfachen Verhält-
nissen persönlich, genauer als viele andere,
kennen gelernt. Eben deswegen könnte aber
mein Zeugniſs verdächtig und partheyich schei-
nen; ich lasse daher lieber einen andern scharf-
sinnigen Mann *) von ihm reden, der ihn zwar
nicht persönlich gekannt, aber desto emsiger
beobachtet hat: „Wenn Joseph (sagt er), manch-
mahl in den wichtigsten Angelegenheiten dieje-
nigen Personen und Collegia nicht fragte, die
er theils aus Achtung für diese Personen und
Collegia, theils um der reifern Ueberlegung
und der bessern Betreibung der Sachen selbst
willen hätte fragen sollen; so that er dieses,
allem Anschein nach, nicht sowohl aus despo-
tischer Eigenmacht, oder aus einer übermäſsi-
gen Schätzung seiner eigenen Kräfte und Ein-
[47] sichten, als aus übertriebenem Miſstrauen, das
ihm natürlich war, und in Regenten meistens
durch wiederholte niederschlagende Erfahrun-
gen zu sehr gereizt wird„.
„Eine Folge diefes eigenmächtigen Verfahrens
war diese, daſs viele ein Vergnügen daran fan-
den, ihren Herrn anlaufen zu lassen, und daſs
die wohlthätigsten Unternehmungen verunglück-
ten, weil sie auf eine solche Art angefangen und
ausgeführt wurden, die allgemeine Unzufrieden-
heit erregte. Manche Tadler Josephs glaub-
ten, wiewohl fälschlich, daſs er die Menschen
insgesammt entweder verabscheue, oder ver-
achte, aber doch mehr verachte als verabscheue.
Joseph konnte mit der gröſsten Ruhe Einwen-
dungen gegen seine eigene Plane anhören; nur
muſsten solche Einwendungen nicht geradezu,
oder mit einer Mine des Besserwissens gemacht
werden. Wenn man ihn auf die Schwierigkei-
ten eines Plans aufmerksam machen wollte, so
wars am sichersten, sich zu stellen, als wenn
man nicht wüſste, wie man dieses oder jenes
anfangen, diese oder jene Bedenklichkeit heben
solle; und alsdann ergriff er sogleich die Sei-
ten der Dinge, die er biſs dahin übersehen hatte.
Wollte man ihm irgend einen Vorschlag thun,
[48] so muſste man ihm blos einen einzigen, als den
beſsten vorlegen; denn alsdann war er gewöhn-
lich miſstrauisch und vermuthete Neben-Absich-
ten: Sondern man muſste ihm mehrere Vorschlä-
ge zugleich thun, und man konnte fast gewiſs
versichert seyn, daſs er den beſsten wählen wür-
de. Mündliche Vorstellungen ertrug Joseph
viel besser, als schriftliche; denn diese schickte
er nicht selten mit bittern Anmerkungen zurück.
So mächtig und oft eigenmächtig Joseph auch
war, so muſste er doch oft die herbesten Wahr-
heiten hören; und man kann ihn so gut, wie
einen jeden andern Regenten, als ein Beyspiel
anführen, wenn man beweisen will, daſs Für-
sten sich im Ganzen viel härtere Dinge sagen
und schreiben lassen müssen, als Privat-Per-
sonen nöthig haben„.
„Mit einem seltenen Scharfsinn und einem
stets gespannten Beobachtungs-Geist verband
Joseph eine beyspiellose Thätigkeit. Je näher
man dem Kayser war, und je genauer man den
Kayser kannte, desto allgemeiner und kräftiger
betheuerte man es, daſs es beynahe unmöglich
sey, ihm nachzuarbeiten, oder mit ihm gleich
zu arbeiten. Leider gieng diese feurige und
an-
[49] anhaltende Arbeitsamkeit oft in übereilende Ha-
stigkeit und Ungeduld über. Daher geschah
es, daſs biſsweilen mehrere Couriere hinter
einander fortgeschickt wurden, unter welchen
der leztere immer die Depeschen des vorher-
gehenden widerrief; daſs die Handschreiben des
Kaysers oft widersprechend waren, und daſs
jedes neue Gesetz durch viele nachfolgende
Verordnungen abgeändert und eingeschränkt
wurde. Die übereilende Hastigkeit Josephs
mit allen ihren Folgen war ein Natur-Fehler,
den die Erfahrung fast gar nicht verbesserte
und der sich in den lezten Jahren seiner Regie-
rung, wie in den ersten, äusserte. Es ist in
der That traurig, daſs durch diese Schwachheit
die groſsen Gaben und Absichten, welche Jo-
seph hatte, so oft nicht nur vereitelt, sondern
sogar nachtheilig wurden„.
„Hätte Joseph etwas mehr oder weniger
Kopf, etwas mehr oder weniger Einsichten,
etwas mehr Zutrauen gegen andere und Miſs-
trauen gegen sich selbst gehabt; so würde er
wahrscheinlich einer der glücklichsten und glor-
reichsten Regenten geworden seyn„.
(II. Band.) D
[50]
Pezzl’s*) ganz in der Nähe und nach dem
Leben genommene Zeichnung ist folgende:
„Selbstherrscher zu seyn, war Kayser Josephs
Lieblings-Idee. Sein thätiger, nicht zu ermü-
dender Geist, wollte alle Staatsgeschäfte, vom
wichtigsten biſs zum geringfügigsten, über-
schauen, leiten, entscheiden. Er gieng also
gänzlich von dem gewöhnlichen Regierungs-
Systeme der meisten Monarchen ab. Er schuf
sich ein Cabinet, das in seinen würklichen Re-
gierungs-Jahren mit fünf Secretaren und eini-
gen Kanzellisten besezt war. Zwar blieben
die Hof- und Landes-Stellen beynahe alle, wie
sie unter seiner Mutter bestanden hatten; es
wurden auch einige ganz neue errichtet. Aber
das Cabinet, das heiſst, Joseph selbst, war
die lezte Instanz von allen Geschäften ohne
Ausnahme. Jede Sache von irgend einer Wich-
tigkeit muſste erst Ihm selbst vorgetragen wer-
den, ehe sie zur Ausführung kam. Hier nun
veränderte, beschränkte, erweiterte, oder ver-
warf er die Vorträge der Stellen so oft; gab
so oft donnernde Hand-Billets an die Chefs,
an ganze Dicasterien oder an einzele Arbeiter;
[51] daſs man in den leztern Jahren, um desto siche-
rer zu gehen, ihm auch die Gegenstände von
der mindesten Bedeutung in das Cabinet schick-
te, um erst seinen Willen und eigene Verfügung
darüber zu vernehmen. — So regierte der Kay-
ser wahrhaftig durch sich selbst. Aber eben
diese, anfangs gutgemeinte, unmittelbare Theil-
nehmung an allen, auch unwichtigen und un-
ter der Würde eines so groſsen Monarchen lie-
genden, alltäglichen Dingen, überhäufte und
beschäftigte seinen Kopf allmälig so sehr, daſs
die wahren Staatsmänner wünschten, er möchte
weniger durch sich selbst regieren, und nur den
gröſsern, seiner würdigen, Gegenständen eine
solche Aufmerksamkeit weihen„.
Josephs Temperament war das cholerisch-
sanguinische; und seine Handlungen verriethen
es. Herrschen, würken, zerstören, bauen,
war ganz und unaufhörlich seine Sache. Alle
seine Fehler und Schwachheiten waren Resul-
tate seines Temperaments. Rasch und aufbrau-
send, schnell ergreifend und eben so schnell
wieder verwerfend, war seine Gemüthsart.
Rasch sein Gang, rasch seine Geberde, rasch
all sein Thun. Menschlichkeit war eine ihm un-
bekannte Sache; und Sorge und Schonung für
[52] sein Leben waren ihm lästig. — Ohne Schmei-
cheley darf man es behaupten: Josephs erste
und stärkste Leidenschaft war, herrschen, re-
gieren, arbeiten. Dieser opferte er alles übri-
ge auf. Ambition hatte Joseph ebenfalls; und
ein Monarch eines so mächtigen Staats muſs
sie haben. Zum Zorn machte ihn sein aufbrau-
sendes Temperament geneigt; und dieses er-
fuhren zu Zeiten seine Bedienten, die er über-
haupt strenge hielt, in spätern Jahren aber reich-
licher beschenkte, als ehedem„.
Es wäre wohl für die Menschheit nicht wün-
schenswürdig, wann viele Friedriche und
Josephe auf einander folgten; ob aber das
kommende Jahrhundert wieder einen ihresglei-
chen hervorbringen wird, wollen wir von de-
nen einerseits aufs äusserste gespannten, an-
dererseits biſs zum Hinsinken erschlaften Kräf-
ten der geistischen Natur gedultig erwarten.
Nun zum Beschluſs und Abwechslung nur
noch einige allgemeine Bemerkungen: Es giebt
Herrn, nach allen Nummern und Graden von
Gröſse, die ihre Allgewalt, Macht, und den
ganzen Umfang ihrer Regenten-Rechte und
[53][Pflichten] darein setzen, sich um alle Kleinig-
keiten des gemeinsten Details zu bekümmern;
die selbst-regierende Herrn zu seyn wähnen,
wenn ihnen alle Abende der Küchen- und Kel-
lermeister die Rechnung dessen vorlegen müs-
sen, was an diesem Tage am Hof verzehrt wor-
den; die ihren Küchen-Zettel selbst machen,
weil sie einmahl gehört haben, daſs der König
in Preussen eben das gethan; an deren Hof kein
Stallknecht noch Ofenheitzer ohne ihre höchste
Genehmigung angenommen werden darf; die
sich sogar, um ja nicht betrogen zu werden,
ihre Hof- und Cammer-Rechnungen selbst revi-
diren, hingegen aus einer miſsverstandenen An-
wendung des an sich wahren Satzes: Daſs alles
Groſse im Kleinen steckt, das an sich würklich
Groſse in den Geschäften ihres Hauses vernach-
läſsigen, übersehen, und sich einem kleinlichen
Geist überlassen, der nur allzubald alle Em-
pfänglichkeit vor groſse und ernste Anstrengung
erheischende Plane tödtet; diejenige aber, die
aus höhern Trieben damit erscheinen, lästig und
zulezt mit aller ihrer Treue wohl gar verhaſst
macht. Solche Herrn würden sich immer zu
guten Haushofmeistern geschickt haben; der
Fürst ist und bleibt an ihnen verdorben, und
[54] der Minister, so es bey ihnen aushalten und ih-
rer Gnade versichert bleiben will, muſs sich
vorerst aller Selbstständigkeit begeben, in stete
Verläugnung und Abhängigkeit sich hinein stu-
dieren, nichts eigenmächtig thun; über alles,
und über die geringfügigste Kleinigkeiten am
meisten, erst anfragen; alles pünktlich befol-
gen, wie, sollte es auch noch so überzwerch
seyn, es befohlen ist, und sich so befleissigen,
wo nicht ein nützlicher Staatsdiener, doch ein
guter Haus-Knecht zu werden.
Ein anderer Herr arbeitet von Sonnen-Auf-
gang biſs zu deren Untergang, wie ein Taglöh-
ner, wird seines Lebens wenig froh, läſst sich
die Geschäfte mit wahrer Treue angelegen seyn,
und meint Wunder, wie sehr er sich um sein
Land verdient gemacht, da er sich an Schlaf
und Ruhe, Gemächlichkeit und Erholung ab-
bricht, um ja nichts [zu] versäumen, und als ein
vermeinter Atlas die Last des Staats zu tragen.
Beleuchtet man aber sein Thun und Lassen ge-
nauer, so findet man die bloſse Treue eines
Zimmersgesellen, der Spähne macht. Von
dem Zusammenhang des ganzen Gebäudes, von
dem Verhältniſs und Symmetrie der Theile zum
[55] Ganzen etc. weiſs und versteht er nichts; da-
für ist der Baumeister da. Er verdient sein Brod
im Schweiſs seines Angesichts sauer und ehr-
lich; was kann er dafür, daſs sein Vater Fürst,
und nicht auch ein Zimmermann war?
Ich habe genau einen andern Fürsten gekannt,
dem wochentlich zweymahl das Cabinets-Pro-
tocoll vorgelesen, seine Entscheidung von dem
geheimen Secretair jedesmahl auf den zur Hälfte
gebrochenen Bogen beygesezt, und jede Reso-
lution, die gemeiniglich mit dem Vortrag bey-
fällig lautete, von dem Fürsten unterzeichnet
wurde. Weil gewöhnlich alles von irgend ei-
nigem Belang einberichtet werden muſste, so
war diſs Unterzeichnen keine Kleinigkeit, und
der Fürst allemahl froh, diese [Frohn]-Arbeit
vollbracht zu haben. In einem vergnügten Au-
genblick nachgetragener Last eines solchen Re-
ferats, fragte er mich: Wie vielmahl meynen
Sie wohl, daſs ich heute meinen Nahmen un-
terschrieben habe? Auf die Antwort: Doch wohl
zehen biſs zwölfmahl! erwiederte der Fürst mit
frohem Erstaunen: Was, zehen-bis zwölfmahl?
sechs und dreiſsigmahl! Diſs unterschreiben sei-
nes Nahmens war in seinem Sinn, regieren.
[56]
Ein Herr, der nur immer fragt, der nur im-
mer hört; der nur immer, wenn er auch die
beste eigene Gedanken hätte, der Mehrheit der
Stimmen seiner Geheimen Räthe und Collegien
folgt, wird nie selbst denken, nie selbst regie-
ren lernen. Er gleicht nur, wenn er auch der
beste wäre, einem Hausvater, bey dem das
Gesinde den Meister spielt.
Der Fall ist selten, da ein Herr vorsetzliche
und wissentliche Ungerechtigkeiten zuläſst, um
hernach die Schuld auf die Collegien schieben
zu können.
Auch ist davon die Rede nicht, wann es aus
Zerstreuung, Gleichgültigkeit oder Geistes-
Trägheit je zuweilen geschähe.
Der gewöhnliche Grund haftet in der Schüch-
ternheit der ersten jugendlichen Erziehung; in
dem Miſstrauen, das sie in ihre eigene Einsich-
ten und Geistes-Kräfte zu setzen gewöhnt
werden. Dieser Fall kann nur bey Fürsten
statt finden; die selten oder niemahls selbst in
den Krieg ziehen; denn da lernt sich das Befeh-
len und der blinde Gehorsam gar bald.
Endlich kann eine Ursache seyn, wenn ein
Fürst ein gebohrner Knecht, und bey aller
[57] unlaugbaren Herzens-Güte von Mutterleib her
geisteslahm ist, der ohne Krücke und Führer
keinen Schritt zu gehen vermag.
Ein Fürst von dieser Gattung sollte doch
wohl billig, als Regent seines Staats, ein Lö-
we bey den Bösen und ein Lamm bey den
Schwachen seyn. Nur allzuoft ist es aber gera-
de umgekehrt; sie sind selbst Schaafe bey den
Bösen, und nur Tiger und Bären gegen die
Guten und Schwachen.
Endlich so befiehlt mancher Herr eine und
eben dieselbe Sache wohl zehenmahl und noch
öfter, und sie geschieht doch nicht.
Woher das wohl kommen mag? Zunächst
daher, weil es einem solchen Herrn selbst an
Respect, Energie und Nachdruck fehlet;
weil ein Herr glaubt, wanns nur befohlen ist,
dann geschiehts;
weil weder er selbst, noch andere, über der
Vollstreckung des befohlenen halten;
weil schlechte, faule, nachläſsige Chefs am
Hof und in den Collegien sind;
aus allgemeiner menschlicher Gebrechlichkeit
und Vergeſslichkeit;
[58]weil es einmahl so der Ton des Hofs und
der Character der Nation ist, zehenmahl sich
eine Sache heissen zu lassen, biſs es ihr das
eilftemahl gefällig ist, es zu thun. So lieſs z.
B. die gütige Kayserin Königin Maria Theresia
einst dem verstorbenen General Fürsten Chri-
stian von Löwenstein, wegen einiger freyen
Reden, den Hof verbieten; der Fürst kam des
andern Tags gleichwohl wieder; die Kayserin
Königin lieſs ihn bey seiner Erblickung zur
Rede stellen, bekam aber die Antwort: „In
Berlin wird nur einmahl befohlen, in Wien
muſs mans einem dreymahl heissen, biſs mans
thut„; die gütige Monarchin schmählte mit ver-
bissenem Lachen über das böse Maul des Für-
sten, und damit hatte das Verbot ein Ende.
Joseph II. hat sein Volk, seine Generals, sei-
ne Minister und Diener aller Gattung anders
rechnen gelernt; doch ist’s ihm auch, bey sei-
nen zu oft und zu schnell hinter einander kom-
menden Befehlen, wiederfahren, daſs man sie
und seine Verordnungen bloſs deſswegen unbe-
folgt gelassen, um erst abzuwarten, ob er sie
nicht selbst in einigen Tagen oder Stunden wi-
derrufen würde?
[59]
Ein König und Fürst zeigt sich oft als das,
was Er Selbst ist, erst im Unglück; diſs ist
der wahre und eigentliche Prüfestein seines in-
nern Werths, seiner eigenthümlichen Kraft und
Seelenstärke; da kann er erst die Hoheit seines
Geistes und die ganze Fülle der in ihm noch
übrigen Ressourcen kenntlich und geltend ma-
chen, es sey nun durch Thun oder durch Lei-
den. Welche Reihen von beweisenden Bey-
spielen könnten aus der Geschichte älterer Jahr-
hunderte aufgeführt werden, wenn man die
Handlungen des enthaupteten Kayserlichen Prin-
zens Conradins von Schwaben, der gefangenen
Chur- und Fürsten Johann Friedrichs von Sach-
sen, Ulrichs von Würtemberg, Philipps von
Hessen etc. in ihrem tiefen Unglück entwickeln
wollte; mit welcher Gegenwart des Geistes
biſs in den lezten Augenblick seines Lebens
Carl I. *) den tödtlichen Schwerdstreich em-
pfieng, und was derer durch Leiden und Unglück
berühmt gewordenen Nahmen älterer und neue-
rer Zeiten mehrere sind; deren ehrwürdigen
[60] Reihen noch der in seinem Leben so schwach
geachtete unglükliche König Ludwig XVI. in
Frankreich beschlossen und in seinem Verhör
den 11. Dec. 1792. noch mehr aber in seinem
Todes-Gang, seine innere Stärke, Geistes-
Gegenwart, Seelen-Gröſse und wahrhaft könig-
liches Gefühl zur Erschütterung seiner eigenen
blutdürstigen Feinde in dem schönsten Licht
gezeigt, und dadurch das: Est DEUS in no-
bis, bewahrheitet hat.
[[61]]
VII.
Ueber das
LOBEN
DER
Könige und Fürsten.
An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen.
Matth. VII, 16.
[[62]][63]
Erstes Capitel.
Theorie des Lobes der Fürsten
überhaupt.
Welche Würde, welcher Vorzug, ein Fürst,
ein Regent, gebohren zu seyn! die unschäz-
bare Gnade von Gott, das himmlische Glück
die köstliche Erlaubniſs zu haben, der Wohl-
thäter eines mehr oder minder nahmhaften Theils
des ganzen Menschen-Geschlechts zu seyn;
tausenden neben und unter sich ein glückliches
oder doch leichtes und zufriedenes Leben zu be-
reiten; ihre Sorgen zu erleichtern, ihre Thränen
zu stillen; wie ein Vater unter guten Kindern zu
wohnen; ihrer Theilnehmung, Anhänglichkeit,
Verehrung und willigen Gehorsams versichert
seyn zu können; vor die Last und die Pflichten
seines Amts, oder, nach dem modernen Ausdruck,
seiner Staats-Verwaltung, mit tausendfacher Lust
und Freuden belohnt zu werden; Gehülfen zu
haben, die jede Last mittragen helfen; jeden
Kummer ihres Herrn zu ihrem eigenen, und sichs
zur Freude machen, ihm ein möglichst vergnüg-
tes und ruhiges Leben zu verschaffen.
[64]
Glückliches Volk, dem ein Herrscher zu Theil
wird, in welchem es das Ebenbild Gottes er-
kennen, den es als seinen Hirten lieben und als
seinen Vater verehren kann. Glücklich! wenn
ihm eine solche theure Gottes-Gabe auch nur
auf einige Zeit anvertrauet und, gleich nach ei-
ner langen Dürre, das nach einem milden Re-
gen schmachtende Land, durch die Erscheinung
eines solchen menschlichen Engels wieder ge-
tröstet, erquicket und neu belebet würde.
Von Seiten eines solchen Staats oder Volks
ist es daher nicht nur billig, gut und schön,
sondern auch die reinste Gerechtigkeit und höch-
ste Pflicht, ein so geartetes Geschenk der Vor-
sehung nach seinem ganzen Werth zu schätzen;
mit der empfundensten Dankbarkeit ihm entge-
gen zu kommen; durch die Bezeugung seiner
Erkenntlichkeit und Vertrauens seinen guten
Herrn zu immer löblichern Handlungen anzufeu-
ren, und ihn, je mehr er dergleichen aufzuwei-
sen hat, desto herzlicher zu lieben und um so
freudiger zu loben.
Weniger kann es nicht thun, als dieses; wohl-
feiler als mit Loben und Danken kann es nicht
davon kommen; Gott selbst ist für seine Wohl-
tha-
[65] thaten mit Lob und Dank der Menschen zufrie-
den; es ist der kleinste, aber auch der feinste
Ersatz für die Sorgen und Bemühungen eines
guten Regenten, der ihn aber eben deſswegen,
weil er gut ist, auch am meisten freuen wird.
So lieblich sieht’s sich an in der Theorie; wie
wünschenswerth wäre es, wann es eben so in der
That selbst aussähe! Allein beyde, Regenten
und Untergebene, sind nur Menschen; beyde mit
ihren guten und bösen Eigenschaften. Die Kö-
nige und Fürsten tragen schon von ihrer Ge-
burt her eine, durch ihre Erziehung noch mehr
vervielfältigte, doppelte Erb-Sünde*) mit sich
herum; dieses macht denn einen beständigen
Conflict und Contrast mit dem Verstand und
Willen anderer Menschen-Kinder; eine Ebbe und
Fluth zwischen ihren beyderseitigen Absichten,
Pflichten, Neigungen, Wünschen und Bedürfnis-
sen; so daſs immer ein Theil den andern zu
(II. Band.) E
[66] überreden, zu überschmeicheln, zu überloben
und zu überlisten sucht.
Die Könige und Fürsten sind, mit gewafnetem
Auge betrachtet, eigentlich nur die Werkzeuge
in den groſsen Planen der göttlichen Vorsehung
in seiner allgemeinen Welt-Regierung, und zu
Erziehung, Bildung und Vervollkommnung
des Menschen-Geschlechts. Wie würden die
Menschen, wie man sie im Ganzen nehmen muſs,
allmählig ausarten, und endlich gar verwildern,
wenn es lauter gute, billige, langmüthige Kö-
nige und Häupter der Völker, in einer unge-
trennten Erbfolge gäbe; wie viele herrliche Be-
weise der Geduld, Selbst-Verläugnung und so vie-
ler andern christlichen und bürgerlichen Tugenden
würden andererseits unterbleiben, wenn nicht
auch einmahl ein böser Fürst dazwischen zum Vor-
schein käme. Wie wollte Gott ein in seinem
Eigendünkel erstarktes, in seiner Eitelkeit und
Lüsten begrabenes Volk, zum Besinnen und
Nachdenken bringen, und aus dem Schlaf und Tau-
mel der Sinnlichkeit wieder erwecken, als durch
einen harten, bösen und ungerechten König,
und dessen Entschlieſs und Unternehmungen?
Wie kann ein gedrücktes, geplagtes, aus der Tie-
[67] fe seines Jammers um Rettung und Hülfe zu
Gott schreyendes, seine Verirrungen und Ab-
wege endlich beherzigendes Volk oder Land
endlich wieder erlöset, getröstet, erfreuet und
gesegnet werden, als wenn Gott auf seinen
Pharao oder Saul wieder einen Antonin und Da-
vid folgen läſst.
Dieser Wechsel ist, nach dem lauten Zeugniſs
der Geschichte, in der Erfahrung aller Jahrhun-
derte gegründet. Es hat zu allen Zeiten gute
und böse Fürsten gegeben, weil sie beyde nur
Menschen waren; und so wird es fortgehen biſs
ans Ende der Tage.
Obberührte Wahrheit hat ein groſser und wei-
ser König unserer Zeit, Friedrich II. in Preus-
sen, selbst erkannt und bekannt, da er noch
im Jahr 1778. in seinem hohen Alter an seinen
Freund d’Alembert schrieb:
„Ich betrachte mich als ein Werkzeug in der
Hand des Schicksals, welches in der Verket-
tung der Ursachen gebraucht wird, ohne daſs
es selbst den Zweck und die Folgen der Arbei-
ten kennt, zu deren Bewerkstelligung man es
anwendet. Das ist ein aufrichtiges Bekenntniſs,
so wie die Staats- und Kriegsmänner es selten
ablegen; aber es stimmt sehr mit der Wendung
[68] so mancher Unternehmungen überein, welche
von mehreren Regenten vor mir gewagt wur-
den, und deren Entwiklung die Geschichte uns
so ganz anders darstellt, als die ersten Urheber
der Plane sie gedacht hatten„.
In einer andern Stelle des von ihm noch als
Cronprinzen geschriebenen Anti-Machia-
vells*), sagte er nicht minder wahr und vor-
treflich:
„Es ist billig, daſs die Völker sich mit den
Bemühungen begnügen, welche die Fürsten an-
wenden, zur Vollkommenheit zu gelangen. Die
vollkommensten unter ihnen werden immer die-
jenigen seyn, welche am wenigsten dem von
Machiavel aufgestellten Bilde gleichen. Es ist
billig, daſs man die Fehler der Fürsten trage,
wenn sie durch Eigenschaften des Herzens und
durch gute Absichten im Gleichgewicht gehal-
ten werden. Man muſs sich unablässig erinnern,
daſs nichts vollkommenes in der Welt sey, und
daſs Irrthum und Schwachheit das allgemeine
Loos aller Menschen sey„.
Ferner lieſs er in die von ihm selbst herrüh-
rende Geschichte des Hauses Brandenburg *) das
[69] wichtige Bekenntniſs einfliessen: „Wann es
Wahrheit ist, daſs die vollkommenste Regie-
rungsform ein wohl verwaltetes Königthum ist,
so ist es nicht minder gewiſs, daſs die Repub-
liken den Zwek ihrer Verfassung viel geschwin-
der erreicht und sich dabey weit besser erhal-
ten haben, weil die guten Könige mit Tod
abgehen, weise Geseze aber unsterblich sind„.
Hingegen ist auch kein Mensch, selbst der
nicht, so unter dem Schwerdt der Gerechtig-
keit fällt, so schlecht, so tief gesunken, so
ruchlos und verworfen, an dem nicht noch Ei-
ne gute Eigenschaft zu finden, an dem nicht
noch Eine Spur zu entdecken wäre, daſs auch
Er einst nach dem Bilde Gottes, so sehr auch
immer die Züge verlöscht und verwischt wä-
ren, geschaffen sey.
Um wie viel mehr gilt dieses von denen durch
die bloſse hergebrachte Rechte der Geburt oder
durch erkünstelte Wahlbestimmten Haüptern und
Herrschern groſser und kleiner Völker.
Um die Resultate noch genauer und zusam-
menhangender darzulegen, so ist ausgemacht:
Es giebt keinen vollkommenen Menschen,
folglich auch keinen vollkommenen Fürsten.
[70]
Die Wagschaale zwischen Mensch und Fürst
bleibt immer die Regel der Beurtheilung.
Man erlaubt den Königen und Fürsten gerne,
daſs sie auch Menschen seyen, und nimmt es
bey ihnen nicht zu genau.
Der Glaube, das Vorurtheil der Völker, ist in
der Regel allemahl vor die Könige und Fürsten,
wenn sie sich durch eigene Schuld dieses Ver-
trauens nicht verlustig machen.
Die Völker haben vielmehr groſse und oft
lange Geduld mit ihren bloſsen Menschlichkei-
ten, und verzeihen ihnen vieles, was sie andern
Geringern nicht zu gut halten würden.
Es wird ihnen auf alle Weise leicht gemacht,
achtungs- und liebenswürdig zu seyn.
Je mehr einer ein vortreflicher, begabter, ta-
lentreicher Mensch ist, je ein besserer Fürst
wird er auch seyn.
Diese zwo Eigenschaften werden häufig ver-
wechselt; man legt nur allzuoft dem Fürsten
bey, was nur an dem Menschen achtungs- und
liebenswerth ist; daher kann einer ein schätzba-
rer Privat-Mann seyn, der einen sehr mittel-
mäſsigen Regenten darstellen würde.
Dagegen kann einer ein sehr fehlervoller, so
[71] gar lasterhafter Mensch, und doch ein groſser,
kluger und gerechter Fürst und König seyn.
Ein Mensch, der keinen Character hat,
taugt überhaupt nicht zu einem Regenten.
Wenn aber vollends der ganze Mensch nichts
nutz ist, so ist er es als König oder als Fürst
sicher noch weit weniger; daher kommts, daſs
man mehr mittelmäſsige und schwache als gros-
se und wahrhaft gute Fürsten findet.
Diſs mag in Ansehung der allgemeinsten Sä-
ze hinreichend genug seyn; ich wende mich nun
zu deren nähern Entwicklung.
Einen Menschen zu loben, nur weil er Fürst
ist, so wenig er sonst Lob verdient, ist baarer
Unsinn. Ehrfurcht und Gehorsam ist man ihm
schuldig, die kann Er von tragenden Amts
oder doch seiner Geburt wegen fordern; Liebe
und Lob muſs er verdienen. Mitleidige, er-
barmende Liebe kann man auch einem bösen
Fürsten angedeihen lassen, und Gott von Herzen
bitten, daſs er doch einen bessern Menschen
aus ihm machen möge; Lob aber nur alsdann,
wann, so oft und so selten, er’s verdient.
[72]
Es ist kein Fürst oder Herr so klein, daſs er
nicht seine Portion Lob verdienen kann. Ja von
manchem kann man sagen: Je kleiner, je bes-
ser; je gröſser, je schlechter.
Es ist kein Fürst so schlimm, der nicht manch-
mahl eine einzele schöne und gerechte Hand-
lung thäte. Man hat ja sogar glaubwürdige
Geschichten von groſsmüthigen Raübern.
Kein Königs- und Fürsten-Haus ist so schlecht,
daſs sich nicht unter seinen Ahnen Ein guter
fände; keines aber ist so gut, daſs es nicht un-
ter seinen Voreltern einen Narren oder Tyran-
nen aufzuweisen hätte.
Das ist jedoch betrübt, wann in Jahrhunder-
ten eine ganze Geschlechts-Reihe auf einan-
der folgt, die höchstens lauter Mittelgut sind;
unter denen sich nicht auch nur ein Einziger
als einen groſsen, guten und weisen Mann aus-
zeichnet.
Das Publicum weiſs sich aber in solchen Fäl-
len zu helfen; es sucht so lange und geht so
weit in die vorige Zeiten zurück, biſs es end-
lich Einen findet, zu dem es sich mit Ehren,
oder doch ohne Schande, bekennen kann. So
hielten’s die Franzosen, dieweil sie noch Köni-
ge hatten, mit ihrem, bey allen seinen Schwach-
[73] heiten und Untugenden, geliebten und bewun-
derten guten Heinrich IV. in Vergleichung mit
seinem einfältigen Sohn, und mehreren der seit
Ludwig XIV. nachgefolgten Könige.
So holten die Würtemberger noch immer ih-
ren schon vor ein Paar hundert Jahren verstor-
benen preiswürdigen Herzog Christoph wie-
der hervor, den sie einem neuen Regenten in
Prose und in Versen als ein Muster vormahlten.
So gieng es auch noch bey dem Herzog Lud-
wig Eugen; auf Pyramiden, Erleuchtungen,
geschriebenen, gedichteten und gesprochenen
Glükwünschen war nur Herzog Christoph als
Fürsten-Spiegel dargestellt. Von andern nach
ihm war überall ein tiefes und wohlbedächtli-
ches Stillschweigen.
Kein König und Fürst, so gerecht, gut und
weise, so groſs und mächtig, oder so klein
und unbedeutend, geliebet und gefürchtet er
immer sey, kann sich von Menschen, und am
wenigsten von seinen, mit ihm zugleich leben-
den, ihn in seiner schönen oder häſslichen Na-
tur sehenden, alle seine Gebrechen und Mutter-
mähler ausspähenden und nach Belieben ver-
gröſsernden Zeitgenossen, einen ungetheilten
[74] Beyfall versprechen. Ist er ein Mann von wah-
rer Herzens-Güte, so hört man nur allzuoft
die, zuweilen nicht ungegründete, Klage: Un-
ser Herr hat den einigen Fehler, Er ist zu gut.
Hält er an seinem Hof, in seinem Land, bey
seiner Dienerschaft über Ordnung, Gesetzen und
Pünctlichkeit, so heiſst er ein harter, strenger,
ja wohl ein schlimmer Mann. Kann’s doch
Gott, der Allerweiseste und Allergütigste, mit
seiner Regierung nicht allen Menschen recht
machen, um ihrem murrenden undankbaren Ta-
del zu entgehen!
Hingegen ist auch kein König und Fürst,
groſs oder klein, so schwach, schlecht und
bös, der nicht bey seinem Leben und in seinem
Tod seine Lobredner oder doch Rechtfertiger
und Entschuldiger findet.
Die Nachwelt ist’s allein, die mit unpartheyi-
scher Waage eines jeden wahren Werth be-
stimmt, Tugenden gegen Laster, Irrthum ge-
gen Bosheit, menschliche Schwachheiten gegen
Vorsatz, abwiegt, Temperaments-Tugenden
von erworbenen und errungenen unterscheidet,
und mit Einem Wort Jedem Gerechtigkeit wie-
derfahren läſst.
[75]
Es ist aber nicht genug, daſs der Gelobte
oder Getadelte todt sey; alle diejenigen, wel-
che ihn gelobt oder getadelt haben, müssen
auch nicht mehr vorhanden — er muſs schlech-
terdings nur noch in seinem Regenten-Leben
und Handlungen vorhanden seyn; er muſs,
wenn er auch einbalsamirt worden, so trocken
wie eine Egyptische Mumie — hingegen auch
aller Geruch der Faülniſs und Verwesung gänz-
lich an ihm verschwunden seyn; niemand, der
ihn loben oder schelten könnte, muſs ihn per-
sönlich noch gekannt haben; jeder muſs ihn
nur noch aus seinen Thaten kennen.
Manchmahl wird ein Fürst auch aus Furcht
gelobt, um wieder seine Gnade oder doch Si-
cherheit vors künftige zu gewinnen. So machte
es der berühmte Graf von Büssy, nachdem er
viele Jahre in der Bastille geschmachtet hatte, mit
seinem Könige, Ludwig XIV. So der unglück-
liche Dichter Schubart, den Herzog Carl von
Würtemberg, aus noch immer unbekannten Ur-
sachen, lange Jahre in einem engen elenden
Loch auf der Vestung Asperg einsperren lieſs,
und ihm auf viele Vorbitten die Freyheit schenkte,
ihn aber, zur lezten Strafe, zum Theater-Dich-
[76] ter machte, um sich an seinem unbarmherzigen
Wohlthäter vollends todt zu loben; anderer
Beyspiele nicht zu gedenken. Gescheute Herrn
müssen doch allemal ein solches erzwungenes
Lob, wenn es auch noch so schön gesagt wäre,
aus eigenem Bewuſstseyn innerlich verachten.
Man lobt nur allzuoft die Fürsten über Sachen,
die nur Geld kosten, aber keine Application
in Erfüllung ihrer Regenten-Pflichten, keine
Verlaügnung ihrer Lüste und Sinnlichkeiten er-
fordern. Man erhebt einen Fürsten gen Himmel
über das, was er vor Künste und Wissenschaf-
ten gethan: Daſs er eine Bilder-Gallerie, eine
Bibliothek, einen botanischen Garten, ein Na-
turalien- Mineralien- und Kunst-Cabinet etc.
angelegt, und betaübt ihn darüber mit dem fal-
schen Schluſs: Ergo sind deine Unterthanen
glücklich: Ergo ist Ordnung und Gerechtigkeit
in deinem Land; du wirst nicht von deinen ei-
genen Ministern, Beamten und Dienern betro-
gen u. s. w. Das glauben dann die Herrn; wäh-
nen, sie seyen’s, wofür man sie lobpreist; wie-
gen sich mit diesem falschen Trost ein, und be-
ruhigen sich über andere Dinge, wo der Cüraſs
[77] bey ihnen offen ist, und über Handlungen, die
ihr eigenes Gewissen als verwerflich erkläret.
Man kann und darf, oft muſs man, kundbar
böse Fürsten loben, wann sie mit unter auch ein-
mahl was Gescheutes und Gutes thun, oder doch,
welches gemeiniglich ihre einzige Tugend ist,
gerecht sind.
Gar oft kann und muſs man auch bey Fürsten
die blosse gute Absicht loben, die Folgen
der Handlung mögen hernach der davon gefaſs-
ten Erwartung entsprechen oder nicht.
Diſs war der nur allzugewöhnliche Fall bey
Kayser Joseph II. dessen guten, edlen, rühm-
lichen, für die Erleuchtung, Aufklärung und
Glück seiner Völker, (sein Monarchen-Fieber
der Eroberungssucht etc. abgerechnet), hegen-
den wahrhaft wohlthätigen Absichten man mit
voller Ueberzeugung Gerechtigkeit wiederfah-
ren lassen konnte, und nur bedauren muſste,
daſs dieser groſse, kühne, so vieles umfassende,
würkende oder doch zerstörende Geist, das ei-
nige: Eile mit Weile! nicht gelernet hatte.
So wahr ist es und kann auch auf diesen De-
spoten mit vollem Grund angewendet werden,
was längst vor seiner Zeit ein weiser Mann *)
[78] gesagt hat: „Die unersättliche Ruhmbegierde
ist Schuld daran, daſs insgemein die Vorsehung
durch die glücklichste Genies das wenigste Gute
in der Welt ausrichten kann. Sie fallen gleich
auſs Groſse, und lassen der Vorsicht nicht Zeit,
die im Verborgenen aus dem Kleinen die grös-
seste Werke nach und nach zu Stande bringt.
Ihre Hitze verderbt Alles; und sie verlassen sich
ganz und gar auf ihre Kräfte, und besteigen aus
Verwegenheit die gefährlichsten Höhen„.
Um eine gute Handlung loben zu können,
müſsten die Herren sie selbst gethan haben;
daran fehlt es aber gemeiniglich. Doch kann
man auch vor bekannt annehmen: Quod quis
per alium facit, id ipse fecisse putatur. Man
kann immer einen Fürsten loben, wenn er auch
das Gute nur geschehen läſst und nicht hindert,
wenn gleich sein besserer Minister sich Tage
und Stunden lang mit ihm herumzanken, und
schwizen muſs, biſs er ihn überzeuget, überre-
det, biſs er’s endlich errungen hat.
Sie müssen ferner die auf Lob Ansprache ma-
chen wollende Handlung, wo nicht ganz frey-
willig, doch gutwillig, wo nicht con amore,
[79] doch nicht nur aus Furcht, aus bloſsem Zwang,
gethan haben.
Doch wann endlich das Gute, ganz oder halb,
freywillig oder nicht, geschieht, so mag man
es immer noch mit wenig Lobzucker bestreuen.
Es bleibt allemahl ein groſses wahres Glük für man-
che Herrn, und ein noch grösseres für ihr Land, daſs
und wenn sie nicht können, wie sie gern wollten,
wenn sie par force weise seyn müssen; es sey
nun, wenn sie in den Nothstall einer Kayserlichen
Debit-Commission eingesperrt, oder auf andere
Weise eingeschränkt werden. Wenn sich dann
ein Herr unter dieses heilsame Joch gutartig
beugt, so muſs man seinen guten Willen,
wenn’s auch ein gezwungner Wille ist, doch
loben; ihn pflegen, wie man ein krankes Kind
pflegt; die begangenen Fehler immer in die eine
Wagschale legen, und sie durch bessere Hand-
lungen späterer Weisheit aufwiegen lassen.
Zu einem verdienten Lob gehört billig mit,
daſs die Fürsten die gute Handlung gerne ge-
than haben. Wenigstens muſs man so thun, als
ob man’s dächte und glaubte; endlich glauben’s
die Herrn selbst, und gewöhnen sich um so
ehender daran, gut zu handeln. Man muſs oft
den bloſsen noch schwachen guten Willen ehren.
[80] und man darf auch den kleinsten guten Vorsaz
loben, um sie dadurch zu schönen, edlen, grös-
sern Thaten zu ermuntern. Man muſs ihnen
Sachen in den Mund und in die Feder legen,
die zwar nicht aus ihnen selbst kommen, weil
sie nie in ihnen waren; aber um sie beym Wort
nehmen zu können, daſs sie es selbst gesagt,
versprochen und unterschrieben hätten. Man
muſs sie beym Punct der Ehre fassen, welch’
ein Aufsehen es machen, welche Schmach es
vor sie selbst seyn würde, wenn sie ihre eige-
ne Zusage zurückziehen wollten; man muſs,
mit Einem Wort, in tausend Vorfällen ihres Le-
bens, sie zu ihrem eigenen Besten und Ehre
als Unmündige behandeln; versteht sich allemal
dabey, wenn sie folgsam genug sind, um andere
in ihre Seele denken zu lassen, und nicht zu
viel Starrsinn, Eigenliebe und Hochmuth besi-
zen, um nicht das Ansehen zu haben, daſs ein
anderer sie nur hofmeistern wolle.
Endlich so muſs man jede gute Handlung ei-
nes Königs und Fürsten loben, wenn es gleich
Reichs- und Land kundig wäre daſs er sie nicht
umsonst gethan, sondern dafür, oft schwer und
reich-
[81] reichlich genug, bezahlt worden ist. Wenn
es auch nicht eine so alte, zu allen Zeiten und
Jahrhunderten gebräuchliche, aller Welt bekann-
te Sache und Sitte der Regenten wäre, so wäre
das eigene Geständniſs eines groſsen Kenners
dieser Königlichen Kunst, schon hinreichend,
welcher der Wahrheit die Ehre gab, selbst *)
zu bekennen:
Damit man aber nicht glaube, daſs dieses ei-
ne versteckte Satyre auf irgend einen geizigen
König sey, so faſst er es noch unverblümter
in dem allgemeinen Satz:
Alle Reiche Europens und insbesondere alle
Provinzen Deutschlands können hierüber ihre
Elegien singen. Bey absoluten Regierungen
geht’s freilich kürzer und geschwinder; jeder
Herr taxirt sich selbst, und nimmt, so viel er
(II. Band.) F
[82] will und kann. In Verfassungen aber, wo Land-
stände sind, sieht man erst eigentlich das Bie-
ten und Wiederbieten, die Versteigerung dieses
Fürstlichen guten Willens und wie Kaüfer und
Verkäufer sich zuweilen von einander trennen,
biſs höhere Gewalt, Noth und Betrug sie wie-
der unter sich nähern, und zulezt ein erlogenes
Lob, woran keiner von beyden Theilen glaubt,
noch in Kauf gegeben wird.
Den actenmäſsigen Beweis davon könnte
man finden wenn man aus der Geschichte der
deutschen Landtäge nur die einträglichen Arti-
kel von Wildschaden, von Lotto, von schlech-
ter Münze, vom Diensthandel u. s. w. aushe-
ben, und bey jeder Rubrik die Summen beyse-
zen wollte, wie theuer die Abschaffung dieser
Beschwerden erkauft werden, und wie viel Dank
und Lob noch dazu gelogen werden müssen.
So wahr ist es was ein kluger Mann *) jüngst
gesagt hat: Alles ist jezt so verkehrt, daſs man
nöthig hat, zu loben, was von Rechts wegen ge-
than werden muſs, weil es so selten gethan wird.
Ein Journal von lauter guten, schönen, löb-
lichen Handlungen der Fürsten würde einem
[83] Naturalien-Cabinet von lauter Papagayen, Ar-
ras, Colibrit etc. gleichen; die Schlangen Ta-
ranteln, Scorpionen und anderes Ungeziefer ge-
hören mit in die Schöpfung.
Man darf, und nach den Umständen muſs man,
jede gute Handlung eines Regenten loben, wann
auch deren Motif nicht allemal das beste, ge-
schweige das reinste, gewesen wäre; wann sie
auch nur auf vorgängige Vorstellungen, auf
wiederholtes Bitten, aus Schaam vor andern,
aus bloſser Gefälligkeit vor eine geliebte oder
geachtete Person, oder gar aus Stolz, um nicht
erst daran erinnert zu werden, geschähe. Ge-
schieht doch selbst manche gute Handlung (wie
Möser *) mit Grund sagt) aus bloſser Langer-
weile; wie viel mehr bey Fürsten?
Es ist aber nicht genug, daſs ein Herr als ein-
mahl Eine gute Handlung und dann wieder
vor- oder nachher zehen schlechte dagegen be-
geht. Eine einzele gute Handlung beweist
nichts, und das laute Lobpreisen derselben zeigt
nur ein niederträchtig und kriechend geworde-
[84] nes Volk an. So was thut man nur einem Ti-
berius, vor dem man sich fürchtet, aber ihm
nicht traut.
Wenn ein Richter gar lobt, wo er nur tadeln,
ahnden und bestrafen sollte, so ist es allemahl
widersinnig und unrecht, nach Beschaffenheit der
Umstände aber bald ärgerlich, bald lächerlich,
zuweilen beydes zugleich.
Ein sonderbarer Fall dieser Art ereignete sich
in einer bey dem Kayserlichen Reichs-Hof-Rath
erhobenen gerichtlichen Klage. In dem den 16.
Nov. 1782. ergangenen Concluso wurde diesem
Fürsten sein verübtes Unrecht und Undank mit
allem Ernst und Nachdruck des Reichs-Obrist-
Richterlichen Amts vorgehalten und bemerkt:
„Daſs samtliche oberzählte, mit Umgehung eines
„rechtlichen Verfahrens erlassene Verfügungen
„aber sich eben deſswegen in keine Weise
„rechtfertigen lieſsen etc.„ Das heiſst dann
doch wohl mit Einem Wort: Weil sie ungerecht
seyen. Ganz unmittelbar nach dieser Straf-Pre-
digt folgt weiter: „Als versähen sich Ihro Kayser-
„liche Majestät zu des Herren Fürsten bekannten
„Gemüths-Billigkeit und Gerechtigkeits-
„Liebe, es werde derselbe keinen Anstand neh-
[85] „men, dem N. N. wegen dessen verlezten Ehre
„die gebührende Genugthuung samt Ersetzung
„alles daraus entsprungenen Schadens angedey-
„hen zu laſsen„.
Wie wenig aber dieser Fürst diſs Lob verdient,
und daſs man nicht in einer und eben derselben
Sache und zu eben der Zeit zugleich gerecht
und ungerecht seyn könne, hat der Erfolg be-
wiesen.
Ein nun in seine Ruhe eingegangener Reichs-
Hof-Rath lieſs, über eine würklich rühmli-
che Handlung eines Fürsten, in den Entwurf
des an ihn zu erlassenden Rescripts ein ziem-
lich fettes Lob einfliessen. Der nun auch ver-
storbene damalige Präsident von Hagen fand
die Portion zu stark, und rügte es mit dem wei-
sen Ausspruch: Ein Kayser muſs nie zu viel
loben und zu viel schelten.
Eine von einem König oder Fürsten seinem
Land, einer Gemeine, Gesellschaft oder einem
einzelen würdigen Mann bewiesene Wohlthat
bedarf eben nicht eines so diplomatischen
Beweises, wie die Geschenke, die Friedrich II.
in Preussen verschiedenen seiner Provinzen und
[86] Communen angedeyhen lassen, wo gemeinig-
lich dem Einen Armen genommen worden, um
es einem andern noch Aermern zu geben. Es
ist hinreichend, daſs sie an sich wahr seyen,
und es die wissen, so dabey zunächst intres-
sirt sind, welche aus Dankgefühlen eben so
willig seyn und sich selbst gedrungen finden
werden, die empfangenen Wohlthaten lobzuprei-
sen, ohne daſs es einen eigenen Hof- und
Staats-Trompeter dazu bedürfte.
Das Lob muſs keine Alltags-Sachen be-
rühren, welche die gnädigste Herrn mit tausend
andern Menschen, die keine Könige, Fürsten
oder Prinzen sind, gemein haben, sondern es
müssen eigentliche Regenten-Handlungen oder
doch solche Tugenden seyn, die sich, weil man
sie nicht gewöhnlich bey andern Menschen und
noch seltener bey Fürsten antrift, auszeichnen.
Freilich ist es für einen Mann von Ehrgefühl
demüthigend, wenn er einen schlechten Herrn,
nur damit er nicht noch schlechter und schlim-
mer werde, loben, und ihm über seine Alltags-
handlungen schöne Sachen ins Gesicht sagen
soll. Im Grund betrachtet, ist es aber nicht um
Vieles beschwerlicher, als wann der Ehrenmann
[87] zu einem Höfling, den er im Herzen verachtet,
oder zu der Beyschläferin seines Fürsten, aus
hergebrachter Sitte: Unterthäniger Diener! sa-
gen, oder vor einem schmutzigen Bauer, dessen
Gruſs erwiedernd, den Hut abziehen muſs.
Der Gegenstand des Lobs muſs keine Kleinig-
keiten betreffen: Wann, zum Beyspiel, ein Kö-
nig einem armen Lieutenant ein Pferd geschenkt,
einem lahm geschossenen General mit eigener
hoher Hand den Stuhl zum Nidersitzen gerückt,
vor lieber langer Weile einem Bauren einige
Ehlen weit pflügen helfen; wann ein Fürst durch
eins seiner Landstädtgen gefahren, ein Paar Gul-
den in die Armen-Casse geschenkt hat, u. s. w.
Wann aber auch eine Handlung an sich selbst
noch so gut ist, so muſs nichts schiefes in de-
ren Bekanntmachung liegen. Ein Fürst ver-
schenkt in der besten und reinsten Absicht, aus
Gefühl seiner Vater-Pflichten, an armen Unter-
thanen etliche Scheffel Korn, einige Klafter
Holz, und die Zeitungsschreiber machen einen
Loblermen davon als wenn er seinem Volk das
ewige Leben geschenkt hätte. Der Fürst ist frei-
lich Persona publica; mithin können auch sei-
[88] ne guten Handlungen, so wenig als die schlech-
ten, nicht leicht verborgen bleiben. Wann aber
die Lehre Jesu: Seine Linke nicht wissen zu
lassen, was die Rechte thut, uns überhaupt gilt,
so verbindet sie gewiſs wenigstens eben so sehr
die Fürsten. Wie manchem sonst guten und
wohlthätigen Fürsten ist durch solches Trom-
peten-Lob, wenn er anderst davon gewuſst
und Belieben daran gefunden hat, der schöne
und höhere Lohn der Ewigkeit schon wegge-
blasen worden?
Mancher Fürst wird bloſs deſswegen gelobt,
weil er nicht die Untugenden seines Vor-
fahren hat. Herzog Carl von Zweybrücken
schafte das nach Verhältniſs seines Landes über-
mäſsige Wild ab, und es wurden deſswegen zu
seinem Lobe so gar Medaillen geprägt; hinge-
gen hatte er eine ganz unmäſsige Baulust, machte
Schulden, an denen die Enkel noch zu nagen
haben werden, hielt Maitressen etc. etc. Darauf
wurden nun freilich keine Loblügen gemünzt.
Ein anderer Fürst zerstörte auch alles Wild
in seinem Land und machte aus seinen altge-
wordenen Jägern Bettler; hingegen war er uner-
sättlich in der Menge unnützer und allzukostbar
[89] unterhaltener Soldaten. Doch es ist keine Thor-
heit, die ein König oder ein Fürst begehen
könnte, so ausschweifend, keine seiner Unge-
rechtigkeiten so groſs und so schreyend, daſs
sie nicht von einem seiner Sclaven gelobt, oder
doch entschuldiget würde.
Es giebt eine Art Lob, das in den Augen des
Kenners und Weltmanns vielmehr der feinste
Spott und wahre Persiflage ist.
So schrieb der Französische Minister, der
Herzog von Choiseuil*), nach seiner Ungnade
an seinen König, Ludwig XV: „Personne ne
doute, Sire, et moi moins que personne, que
Vôtre volonté ne soit toute puissante et
qu’elle ne puisse détruire ce que Votre bonté a
édifié„; er, der wenige Seiten vorher von der
Bêtise und Mensonge des Königs spricht, der
seinen Freund sagen läſst: „Qu’il étoit d’un Don
Quichotte, de marquer de la noblesse vis à vis
d’un Prince, qui en étoit denué absolument et
qui étoit entierement gouverné par une Catin etc.„;
er, der nicht lange vor seinem Fall die blutige
Satyre auf seinen König, unter der Masque der
[90] Comödie (würdige Beschäftigung vor den Staats-
Minister einer groſsen Monarchie) le Royau-
me d’Arlequinerie gemacht hatte, womit
sich dann die Phrase von der Königlichen All-
macht nicht zusammen reimen läſst.
Eine Hofdame der Königin Anna von Oester-
reich sagte deren Gemahl, K. Ludwig XIII.
von Frankreich, da er sich mit Perlen-Aufrei-
hen beschäftigte: Sire, Sie können Alles,
nur nicht was Sie sollten. Von wie vielen
Regenten kann man diese Art des Lobens wie-
derhohlen?
Es ist gemeiniglich miſslich, zuweilen gefähr-
lich, einen Sohn, oder einen Neffen, gegen sei-
nen regierenden Vater oder Oheim zu loben,
weil diese jene gewöhnlich als ihre Todtenwär-
ter ansehen, die kaum den frohen Augenblick
erwarten können, biſs sie das erstemahl sagen
können: Mein höchstseeliger Herr Vater. Da-
her auch der Schwachkopf K. Ludwig XIII. sich
auf seinem Sterbebett so erboste, als ihm sein
Sohn auf die einfältige Frage: Wie er heisse? ge-
antwortet: „Ludwig der Vierzehende„. „Noch
nicht„, schrie der erzürnte Vater, „noch nicht,
ich lebe noch„.
[91]
Weltbekannt ist, wie wenig K. Friedrich II.
in Preussen, genannt der Einzige, seinen Thron-
folger, den jezigen König, geliebet, wie we-
nig Regierungs-Talent er ihm zugetraut, wie
viele Spott- und Stichelreden er sich über ihn
erlaubt hat. Der alte Cammerherr von Poellniz
war unter allen der einzige, der es wagte, dem
eifersüchtigen alten König vor die Stirne hin
zu sagen: Ew. Majestät irren sich an dem Cron-
Prinzen; er ist besser, als Sie denken. Hingegen
hielt der König den von Poellniz auch nicht
vor das, was er doch war, machte sich oft über
ihn lustig, und hielt ihn nicht selten würklich zum
Besten; das dann den Eindruck wieder schwäch-
te, den es ausser dem billig hätte haben sollen.
In der Türkey soll es Mode seyn, daſs ein
Bassa den Strick küſst, mit dem er auf Befehl sei-
nes Groſs-Sultans strangulirt werden soll. So,
just so, ist es mit allem Lobpreisen monar-
chisch-militarisch-despotischer Verfas-
sungen. Man muſs in denselben gebohren und
erzogen seyn, es nicht anders wissen, nicht
besser gesehen haben; nur alsdann ist das Prah-
len mit seinen eigenen Ketten für einen sonst
verständigen Mann entschuldbar.
[92]
Man verwechselt manchmahl so wohl bey
dem Loben der Fürsten als bey den Beschuldi-
gungen des Criminis laesæ den Menschen mit
dem Fürsten, und rechnet diesem zu gut, was
nur jenen angeht.
Es ist immer gewagt, zuweilen gefährlich,
einen Fürsten wegen Tugenden zu loben, die
der, zu welchem man spricht, nicht auch —
sondern wohl gar das Gegentheil davon hat.
Er sieht ein solches Lob als einen stillschwei-
genden Vorwurf, wo nicht gar als eine vorsetz-
liche Spottrede; läſst es den lobenden unange-
nehm empfinden, und, wann er kann und darf,
rächt er sich wohl deſswegen.
Die Könige loben selten anders, als mit de-
nen Worten: Er hat als ein braver Mann seine
Schuldigkeit gethan. Sie meynen immer, sie
entziehen und vergeben sich selbst was, wenn
sie andere loben; und es ist noch immer wahr,
was vor bald hundert Jahren die Frau von
Maintenon an den Marschall von Noailles,
schrieb„: Enfin le Roi (Louis XIV.) Vous a
donné de louanges, et il n’en sort gueres de
[93] bouche des Rois„. Doch hat die Geschichte aber
auch das Andenken von Beyspielen aufbehalten,
wie Könige und Fürsten die um sie und ihr
Reich oder Land vorzüglich verdiente Männer
auch offentlich gelobt und im Leben und Tod
geehret haben. Wie herzlich war das Lob,
womit Heinrich IV. seinen Sülly pries, als
den Mann, welchen er mit Vergnügen seinen
Freunden und Feinden darstellte. Wie schön
lobte die Königin in Schweden in offentlichem
Reichs-Senat den groſsen Reichs-Canzler Oxen-
stiern. Von Kayser Joseph II. ist bekannt, mit
welchem edlen Stolz Er bey Anwesenheit des
Groſsfürsten von Ruſsland in Wien seinen Kau-
niz und Laudon selbsten präsentirte, und die
merkwürdigsten Männer der Monarchie zusam-
menberief, um mit ihnen, als dem gröſsten
Schmuck seiner Cronen, groſs zu thun.
Auch bey Fürstlichen Deutschen Haüsern sind
die offentlichen Denkmahle der Liebe und Hoch-
achtung ihrer Herrn gegen würdige Ministers,
die zu ihrem ehrenvollen Gedächtniſs geprägte
Münzen, die offentliche Aufhängung ihrer Bild-
nisse, die zu ihrem Lob errichtete Grabmahle
etc. eben nicht selten; ohngeachtet es bey man-
chem von ihnen auch geheissen haben mag:
[94] Im Leben gepeinigt und nach dem Tode cano-
nisirt *).
Um einen festen, würdigen Mann, den ein
König oder Fürst aufrichtig haſst †), ihm aber
nichts Böses nachsagen, viel weniger aus Furcht
Böses beweisen kann, mit guter Manier los
zu werden, lobt er ihn gegen einen andern
Herrn gelegenheitlich, als ein Kleinod, das er
zu besitzen das Glück habe; macht ihn über das
angebliche Glück eifersüchtig, und nach dessen
gleichmäſsigen Besitz lüstern; verdoppelt gar
seine Caressen, je mehr die Hofnung wächst,
von einander zu kommen. Jenerseits werden
geheime Unterhandlungen angestellt: Ob das
Kleinod von Mann nicht zu haben sey? Der
in der Stille längst nach seiner Erlösung seuf-
zende Mann will aber aus Dankgefühl gegen
einen ihn so freundlich behandelnden und mit
seinen Fehlern und Schwachheiten gleichwohl
immer Gedult habenden Herrn den schweren
Dienst nicht verlassen. Andererseits werden
die Anforderungen immer dringender; der Eh-
renmann sieht sich endlich in der Nothwendig-
[95] keit, sich leise verlauten zu lassen, daſs er
einen anderwärtigen Ruf habe; sein Herr nimmt
ihn gleich beym Wort: Den müssen Sie anneh-
men, denn da können Sie viel Gutes thun, und
meine Sachen sind nun, Gottlob! durch Sie in
die Ordnung *) gebracht. Hätten Sie mir doch
ehender davon gesagt; denn der Fürst von
* * ist mein bester Freund, den ich auf der
Welt habe. Ich verliere Sie zwar ungern, aber
dem * * kann ich nichts abschlagen. So ward
der feste Mann zum Dienst hinaus becompli-
mentiert.
So schwazte mit lauter Loben K. Friedrich II.
einem ihm ergebenen Reichs-Fürsten mehr als
Einen auf, der ihm, dem Allgewaltigen, durch
seinen männlichen Widerspruch ein Dorn im
Auge geworden war.
Doch glückt dieser Kunstgriff nicht bey hell-
sehenden Herrn ohne Unterschied. Ich kenne
genau einen Mann, der bey Joseph II. eines
öftern Zutritts gewürdiget war. Einst fragte
ihn der Kayser: Kennen Sie den * * in Chur-
* * schen Diensten? Er ist mir als * * Rath
vorgeschlagen worden. Antw. Ja Ihro Maje-
[96] stät. Der Kayser: Was ist an ihm? Antw. Es
ist ein sehr mittelmäſsiger Kopf. Kayser Joseph:
Dachte ich’s doch; wann er was nutz wäre,
würde man ihn nicht so gegen mich gelobt,
sondern ihn selbst behalten haben.
So betrügen die Fürsten sich selbst unter ein-
ander!
Beym Loben kommt es viel auf den Natio-
nal-Character und Regierungs-Verfas-
sung an.
Von den Franzosen, dieweil sie noch einen
König hatten, war man das unmäſsige Loben
ihrer selbst und die Verachtung anderer Natio-
nen gewohnt.
Die Preussen folgten unter ihrem groſsen, ver-
götterten und siegreichen König Friedrich II.
diesem Beyspiel nach, und seitdem ist es Na-
tional-Sitte geworden.
In Wien fragte mich einst eine Frau von ho-
hem Rang: Warum wir so genannte Reicher
die Wiener immer beschuldigen, daſs sie so
stolz seyn? Meine Antwort war: Weil der
Reichsunmittelbare Hochmuth den Landsäſsigen
Hochmuth nicht vertragen kann.
Ich
[97]
Ich kenne kein Deutsches Land, wo so vie-
les Gute gethan und so wenig davon gespro-
chen und damit geprahlet wird, als das Chur-
Braunschweigische und — — (Hier mag mei-
netwegen ein jeder noch sein eigenes Vater-
land dazu setzen).
Friedrich der Groſse machte, (nach der Er-
zählung der Anecdoten und Characterzüge) ei-
nen titelsüchtigen Trompeter zum Geheimen
Ober-Hof-Trompeter, der dann bey Ver-
richtung dieses Amts nur immer à la Sourdine
geblasen haben wird. An mehr als einem Hof
habe ich solche Geheime Cabinets-Trom-
peter angetroffen, die ihrem Herrn zum Mor-
gen- und Abend-Seegen und bey jeder andern
Gelegenheit nichts als Schmeicheleyen, Bey-
fall, Lobs-Erhebungen und Bewunderung vor-
geblasen und so nach und nach jede innere
Stimme, jede bessern Gefühle von Reue, Be-
schämung, Nachdenken und Selbst-Erkenntniſs
stumm und todt geblasen, jeden ernsten, bie-
dern wahrhaften Mann weggeblasen haben.
Ein feines Lob, wenn es von Herzen geht,
rührt allemal, zumahlen nachdem der Mann
(II. Band.) G
[98] ist, aus dessen Munde es kommt. Wie schön
lobten sich Friedrich der Groſse und sein phi-
losophischer Freund von Suhm wechselsweise!
Wie plump hingegen lobte den König der
schmeichelnde Voltaire, wie kriechend und
furchtsam sein Jordan, Argens und selbst
d’Alembert!
Ich kenne selbst einen Mann, der als Gesand-
ter eines Deutschen Hofs dem Kayser Joseph II.
nach angetretener Reichs-Regierung Glück wün-
schen sollte, und ihn bey der ersten Audienz
also anredte: Allergnädigster liebenswürdig-
ster Kayser! Der Monarch war über diese da-
mahls mit vollem Recht verdiente feine Wendung
dermaaſsen gerührt, daſs er sogleich nach der
Audienz zu seiner Frau Mutter der Kayserin-
Königin Maria Theresia eilte, und Ihr mit Freu-
den erzählte: „Ihro Majestät, ich habe heute
„einen neuen Titel gekriegt„, und auch in der
Folge diesen Mann mit ausgezeichneten Bewei-
sen seiner Huld und Vertrauens beehrte.
Eine Schmeicheley hingegen ist bald ein
einschläferndes Opium, bald ein würklich töd-
tendes Gift, eine langsam auflösende Aqua To-
fana. Alles kommt dabey auf die Stärke oder Ner-
[99] venschwäche der Fürsten-Naturen an. „Groſse
Seelen verachten die Schmeicheley; sie schmei-
cheln nie, um zu gewinnen, und lassen sich
nicht schmeicheln, um sich gewinnen zu lassen.
Sie jagen nicht nach Ruhm, aber sie erlauben
sich keine Handlung, keine Enthaltung die nicht
Ruhm verdient *)„. Weil es nun von Anbe-
ginn starke und schwache Menschen auch un-
ter Königen und Fürsten gegeben hat, weil
sich biſs ans Ende der Tage solche finden wer-
den die Ketten zersprengen, und wieder andere,
und deren noch mehrere, die sich an seidenen
Seilen führen lassen, so ward die Schmeicheley
schon vor bald zwey tausend Jahren als eine
Erbsünde, als ein altes fortgepflanztes Uebel
verschrieen **). In diesem üblen Ruf stuhnden
vorzüglich und vorlängst alle Familiaren der
Könige und Fürsten, welche auch zu Ehren
ihrer treibenden freyen Kunst Speichellecker,
Tellerlecker, Augendiener u. s. w. genennt
wurden, und über die der biedere Luther†)
[100] in dem ihm eigenen barschen Ton schon zu
seiner Zeit geeifert hat.
„Loben und schmeicheln kann endlich ein je-
der; und ist eben dieses die Quelle und vornehm-
ste Ursache des Verderbens aller Regenten, daſs
ihnen die Wahrheit so verdrieſslich, und das
Liebkosen so angenehm ist; sie möchten aber
gewiſslich glauben, daſs sie keinen gröſsern
Schatz, als gewissenhafte und wahrheitslieben-
de und redende Diener haben können„; sagte
mehr denn hundert Jahre nachher der politische
ehrwürdige Heilige, Veit von Seckendorf*);
und noch ist wahr, daſs unverdientes Lob und
Schmeicheley mehr Unheil anrichten, als der
beissendste Spott und ungerechteste Tadel,
indem, nach des Helvetius auf Erfahrung
sich gründenden Meinung, eine Schmeicheley
einen sonst wohl denkenden Fürsten unvermerkt
von dem Weg des Rechts und der Tugend ab-
†)
[101] leiten, da hingegen eine beissende Satyre einen
Tyrannen schrecken und zurechtbringen kann *).
Freilich kommt es viel darauf an: Wer auf
beeden Seiten des Lobens und Tadelns der Mann
ist, aus dessen Munde eines oder-das andere
kommt: Wie die Melodie ist, in deren beedes
vorgesungen wird; ob es ein weiser Nathan
ist, der dem empfänglichen Herzen eines sonst
rechtschaffenen Königs seinen Ehebruch unter
der sprechenden Allegorie des geraubten Schaafs
selbst fühlbar machen kann; oder der nur durch
das Horazische: Ridendo dicere verum, oder
durch sein:
dem überall verpanzerten Mann beyzukommen
vermag.
Die Regel steht fest: Je schwächer ein Fürst
ist, desto gewisser wird er durch Loben und
Schmeicheln verdorben, und noch schwächer
und schlechter gemacht. Diſs geschieht aber
nicht nur durch die Neger-Art der meisten
Hofleute und kriechender Cabinets-Würme,
sondern eben so sehr durch allzugefällige Hof-
[102] prediger, durch unverständige Beichtväter oder
eigennützige Bauchpfaffen, welche sich mit
Schmeicheleyen und Loben bey ihrem unlau-
tern Egoismus besser als bey dem Mene Te-
kel eines Daniels befinden; von welcher Men-
schenart der freymüthige Plank*) ein merk-
würdiges Beyspiel anführt.
Was für Schaden nicht nur für den also un-
würdig Gelobten entsteht, sondern welche weit
nachtheiligere Folgen für dessen Familie, Kin-
der und Nachfolger daraus entspringen, welche
sich um so leichter bey allen ihren Untugen-
[103] den und Schlechtigkeiten beruhigen, läſst sich
gar nicht berechnen; [und] es wird auch nach uns,
trotz allen Lob- und Minnesingern, von vielen
unsern Königs- und Fürsten-Söhnen noch wahr
bleiben, was Horaz gesungen hat:
Bey allen diesen gerechten Klagen sind doch
(man kann es nie zu oft wiederhohlen, die Gros-
sen weniger zu tadeln, als zu bemitleiden und
zu bedauren. Wir andern gewöhnlichen Men-
schen, wenn wir nicht in Verachtung sinken,
neben andern fort- und wohl gar oben schwim-
men wollen, müssen wohl unsere Kräfte an-
strengen, uns selbst treiben, man mag uns lo-
ben oder nicht. Bey den meisten Groſsen hin-
gegen ist das Loben ein wahres Bedürfniſs; lobt
man sie zu viel, so seegnen sie sich, nach dem
den fürstlichen Menschen vorzüglich eigenen
Egoism selbst; halten sich zu gut, was sie
an sich bessern sollten; rechnen auf die Indul-
genz ihrer Unterthanen und des Publicums ge-
gen ihre Temperaments-Fehler, Unarten und
Schwachheiten; und so gewöhnen sie sich all-
[104] mälig an eine unseelige Zufriedenheit mit sich
selbst. So lernen sie allmählig das crasseste Lob
vertragen, hingegen aber auch nicht den leise-
sten, bescheidensten Tadel leiden. Oft beleidigt
sie schon das bloſse Stillschweigen eines mit dem
schmeichelnden Augendiener nicht einstimmen-
den weisen und bedächtlichen Manns.
Wenn man sie aber gar nicht lobt, immer
wieder streichelt, und durch Beyfall und loben
stets von neuem zu guten und [löblichen] Tha-
ten ermuntert, ihre eigenen Gefühle durch den
Ruhm ihres Nahmens bey ihrem Volk und durch
den Dank der Nachwelt spornt und belebt, so
überlassen sich viele von ihnen ihrer Gemäch-
lichkeit, Geistes-Trägheit etc. biſs sie endlich
selbst vermodern, oder petrificirt werden, und
so auf eine oder die andere Weise den Roman
ihres Lebens endigen.
Woher nun dieses alles? Weil die Fürsten
selten wahre, und noch seltener weise, am al-
lerseltensten so strenge Freunde haben wie
Sülly, der den Muth hatte, aus Eifer für die
Ehre seines Königs, in dessen eigenen Gegen-
wart, ein unbedachtsames Versprechen zu zer-
reissen und sich aus Herzens-Treue lieber von
seinem Herrn einen Narrn schelten lassen, als
[105] zu einer unwürdigen Handlung behülflich seyn
wollte; weil die Clarendons, die Fürste,
die Berliner-Münchhausen, die Granvella,
die Bilfinger, und was noch ferner zu dieser
Helden-Familie gehört, immer nur Cometen an
dem politischen Himmel bleiben werden; weil
die Könige und Fürsten, je länger je mehr,
nur Jaherrn, und selbst, wo es noch gut geht,
nur treue Handlanger und Tagelöhner verlan-
gen, und, (Vergebung für diſs harte Wort!)
die mehresten von ihnen auch nichts bessers
werth sind; endlich, um auch noch diſs Wort
auszusprechen, weil die mit einem so hohen
Grad von Tugend und Weisheit begabte Män-
ner, die aus Liebe und Ueberzeugung loben
mögen und können, zugleich aber zu rechter
Zeit, am rechten Ort, nach Wichtigkeit der Sache,
mit Weisheit und Sanftmuth zu tadeln, zu war-
nen, zu widersprechen, sich zu widersetzen
verstehen, und aus treuer, auch wohl erbarmen-
der Liebe zu ihrem Herrn es thun mögen,
so selten sind, als Adepten, die sich in ihrer
Verborgenheit allzeit am glücklichsten befinden;
und allenfalls lieber mit einem stillen Marter-
thum zufrieden sind, als daſs sie sich um die
Glorie eines politischen Scheiterhaufens, dem
[106] gewöhnlichen Ende der mehresten königlichen
und fürstlichen Freundschaften, erst bewerben
sollten.
Die Groſsen sind nicht nur gegen sich selbst
sehr schonend und nachsehend, sondern haben’s
gemeiniglich auch nicht gerne, wenn man über
Personen ihres gleichen in ihrer Gegenwart rai-
sonnirt, weil sie immer heimlich fürchten, daſs
ihnen nach dem Vergeltungs-Recht mit glei-
chem Maaſs werde gemessen werden. Darum
ist es auch miſslich, in ihren Tadel und Spott
über andere Fürsten, oder in die Herabwürdi-
gung ihrer eigenen Vorfahren mit einzustim-
men, es müſste denn ihr eigenes noch gröſse-
res Lob auf eine delicate Weise darunter ver-
borgen werden *); desto geneigter aber sind
sie selbst, sich über andere lustig zu machen,
einander herumzunehmen, sich muthwillige,
[107] auch wohl beleidigende Beynahmen zu erlauben;
und es müſste eine drolligte Sammlung ausma-
chen, wenn man auch nur die bekannten in ge-
druckten Schriften zerstreuten Königlichen Tisch-
reden dieser Art zusammentragen wollte.
Alle groſse Herrn von lebhaftem Verstand und
Einbildungskraft haben schon einen natürlichen
Hang zu Spöttereyen, die, wenn sie nicht in
ihren jüngern Jahren abgewöhnt und unterdrückt,
sondern von andern Spottgeistern vielmehr noch
angefacht und genähret werden, ihnen selbst
schädlich, ja fatal werden können. Was für
Züge dieser Art hat die Französische Geschichte
von ihrem lieben und jovialischen Heinrich IV.
aufbewahrt! Wie haben sich in neuern Zeiten
König Friedrich Wilhelm I. in Preussen und
König Georg I. von Engelland wechselsweis
mit den Zunahmen: Mein Schwager, der Cor-
poral, und: Schwager, der Comödiant, beehret?
Nannte doch Friedrich der Groſse seinen eige-
nen Groſsvater, Friedrich I. in Preussen, we-
gen seines ausgewachsenen Rückens den Kö-
niglichen Aesop. Dieser König ward, nach dem
Muster seines Freunds und Lehrers Voltaire
und anderer Französischen Spottvögel, so sehr
in dieser Kunst geübt, daſs er, ohngeachtet er
[108] das Lehrgeld mit seinem eigenen Schaden eini-
gemahl theuer genug bezahlen müssen, noch
lange nach ihm als Meister vom Stuhl wird er-
kannt werden. Man kann nicht sagen, sein Ri-
val, Kayser Joseph II. habe ihn nachgeahmt.
Er war hierin zu sehr Original, und man hat
ihn noch bey seines Leibes Leben offentlich
in seiner eigenen Residenz beschuldigt: Daſs er
ehender eine ganze Provinz verlohren gehen
liesse, als daſs er einen launigten, witzigen Ein-
fall, eine Spötterey, sie mochte noch so belei-
digend seyn, hinunterschluckte; welches mit
auffallenden Beweisen belegt wurde.
Man muſs den Groſsen der Erde gleichwohl
auch die Gerechtigkeit wiederfahren lassen,
daſs sie eine Sache an andern ihres Geschlechts
loben, wenn sie dieselbe nur nicht selbst
thun dürfen. Dieses ist der gewöhnliche Fall
bey einem geizigen, seine Dienerschaft nur de-
fensive besoldenden König gegenüber einem
freygebigen; der Fall eines den erbetenen Bey-
stand des reichen Monarchen an seine armen Mi-
nister wohl bezahlenden Fürsten; oder auch
wenn bey Vergleichen, Ehepacten u. d. g. die
herkommlichen Geschenke einerseits in baarem
[109] klingendem Geld gefordert, und andererseits
mit hochangerechnetem Porcelain, wobey man
doch allemahl das Macherlohn erspart, erwiedert
werden.
Ein Fürst wird zuweilen wegen Gesetzen,
Landes-Anstalten und Verordnungen ge-
lobt, und ihnen Gründe der Weisheit, Billigkeit,
Einsicht, Menschen- und Volksliebe unterlegt,
woran kein wahres Wort ist, und die weder der
Fürst selbst, noch seine Ministers, sondern nur
die Thoren glauben. In dieser Kunst, das Volk
zu betrügen, waren die Franzosen in den Pro-
logen ihrer Finanz-Edicten vorlängst Meister.
Was für ein Freuden-Geschrey erschallte nicht
durch ganz Deutschland über K. Josephs Tole-
ranz-Anstalten, wodurch so viele Leichtgläu-
bige betrogen, und die täglich von den eigenen
Länderstellen eingeschränkt und nach Möglich-
keit untergraben wurden. Der Sitz der Toleranz
war auf der Mauth. So weit und so tief sahen
aber die Wenigsten. Eben so machte es K. Fried-
rich mit dem den Jesuiten vergönnten Schutz
und der allgemeinen Kirchlichen Freiheit; so
Ruſsland mit den Colonien der Evangelischen
Brüder-Gemeinen; so verschiedene protestan-
[110] tische Fürsten mit der andern Kirchgenossen
vergönnten Religions-Uebung etc. Eigennutz
war’s, sonst nichts; denn was fragen die Könige
und Fürsten nach der Religion, wenn sie ihnen
nichts einträgt? Welche Folgen und Würkun-
gen dem ohngeachtet, nach dem groſsen Zusam-
menhang der allerweisesten göttlichen Welt-
regierung daraus entstanden, kann nicht auf
Rechnung menschlicher Absichten und Klugheit
gesezet werden.
Wodurch ersparen sich, wenigstens bey der
Nachwelt, Könige und Fürsten ihr Lob? Ant-
wort: Wenn sie überhaupt, wie bey dem berühm-
ten Quinquennio Neronis, schlimmer werden;
wenn sie mit den zunehmenden Jahren, wie
Salomo, schlechter werden;
wenn sie die verlassenen bösen Wege wieder
betreten;
wenn sie die Trophäen ihrer vorherigen bes-
sern Regierung durch nachfolgende Handlungen
selbst wieder vernichten, und schlechter endi-
gen, als sie angefangen haben.
Sonst waren die Geschichtschreiber in den Clö-
stern verborgen, versahen aber zugleich wegen
[111] der Unwissenheit des Adels und der Layen das
Canzler- und Schreiber-Amt an den Höfen, und
hatten dadurch die tägliche Gelegenheit, die
gnädigsten Herrn in ihrer ganzen schönen Natur
kennen zu lernen, und sie hernach in Stunden
der Einsamkeit nach Muſse zu conterfeyen und
nach ihrem wahren oder geglaubten Character
zu schildern. Wenn mehrere Regenten eines
Hauses einerley Nahmen führten, so wurden
sie durch Beynahmen von einander unterschie-
den; daher entstuhnden der Carl der Groſse, Carl
der Dicke, Carl der Kahlkopf, Ludwig der
Strenge, Ludwig der Faule, Ludwig der From-
me, der Teutsche, Ludwig der Müssiggänger,
Heinrich der Vogelfänger, Friedrich der Roth-
bart; und der hatte von Glück zu sagen, der
mit einer bloſsen cörperlichen Signatur davon
kam, ohne mit einem moralischen Stempel ge-
brandmarkt zu werden. Unlaugbar ist, daſs da-
bey viele Partheylichkeit mit untergelaufen ist,
und diejenigen Herrn, welche sich gegen die
Geistlichkeit am gefälligsten und freygebigsten
erwiesen, oft mit den zierlichsten Beynahmen
geschmückt wurden.
Weil in Deutschland insbesondere jedes Land
seine Clöster und jedes Haus seine Annalisten
[112] und Chronikenschreiber hatte, so gehörte es
zum guten Ton der damaligen Zeit, jeden Re-
genten mit dem ihm vorzüglich eigenen Wahr-
zeichen zu characterisiren. Um nur einige Mu-
ster anzuführen, so hatte das Haus Oesterreich
(1310.) Friedrich den Schönen, Albert den Wei-
sen und Lahmen, Heinrich den Sanftmüthigen,
und Otto den Lustigen, (1400.) Albert ge-
nannt Mirabilia Mundi, Albert den Verschwen-
der (1440).
Das Haus Sachsen hatte seinen Conrad den
Groſsen, Otto den Reichen, Albert den Stolzen,
Dietrich den Afflictum, Heinrich den ein Theil
den Erleuchteten, andere den Hammer nennten,
Ludwig das Kind, Ludwig den Bärtigten, Lud-
wig den Springer, Ludwig den Eisernen, den
Frommen, den Heiligen, den Gütigen, Albert
den Unartigen, Friedrich mit dem gebissenen
Backen, Friedrich den Ernsthaften, den Magern,
den Strengen, den Streitbaren, den Einfältigen,
den Sanftmüthigen, den Weisen, Johannes den
Beständigen, mit welchem in dem Churhaus die
von Mönchen und Gelehrten eigenmächtig ge-
gebenen Titulaturen ihr Ende erreichten, so
wie überhaupt diese Sitte nur biſs an und in die
Zei-
[113] Zeiten der Reformation dauerte, die wenigen Fälle
ausgenommen, da man noch im vorigen Jahr-
hundert einen Ernst den Frommen von Sachsen-
Gotha, einen Bernhard den Groſsen von Sach-
sen-Weimar, und etwa noch einen und den an-
dern findet, dem seine Zeitgenossen und die
Nachwelt diese Ehrennahmen zugestanden haben.
Soll man es bedauren, daſs diese Gewohnheit
abgekommen ist? Zur Erlernung der Geschichte
wäre sie allerdings behülflich gewesen; aber
auch nur der älteren, über drey Menschen-Al-
ter reichenden hinaus näher zu unseren Zeiten
gilt nur: Loben oder Schweigen, oder doch
sich weislich und möglichst verbergen wenn
man tadeln will. Denn sonst würden zwar von
unsern Augustissimis, Potentissimis, Serenissi-
mis und Celsissimis nicht minder wahre Beynah-
men erdacht werden können, von denen aber
der Erfinder, wenn er anderst nicht ein unver-
schämter Lobhudler wäre, sich schwerlich um
das Macherlohn melden würde. Denn gegen
Eine mit Wahrheit so genannte Majesté Pacifi-
que oder Sagesse Serenissime, welchen ganz
andern und höchstcharacteristischen Cathegorien
würde man nur von unsern und unserer Väter
(II. Band.) H
[114] Tagen her begegnen, wenn man alle die Kö-
nigliche und Fürstliche Schlosser, Knopfmacher,
Geiger, Trommler, Comödianten, Geisterseher,
Goldmacher, Parforce-Jäger, Lottohändler,
Dienstverkäufer, u. d. g. in Reyhe und Glieder
stellen und eine unpartheyische Musterung pas-
siren lassen wollte.
Doch die Wahrheit behauptet auch hierinn
ihre ewig unzerstörlichen Rechte. So gewiſs es
ist, daſs das Lob des Gerechten, folglich auch
der guten Fürsten, ewiglich währet; so wahr
einst die Gerechten, mithin auch die guten Für-
sten, leuchten werden wie des Himmels Glanz,
und ihrer eine ewige Belohnung wartet; so
wahr und gewiſs ist auch keine irrdische Macht
so groſs, so fürchterlich und so unumschränkt,
welche verhindern könnte, daſs böse und schlech-
te Fürsten auch hienieden vor das, was sie sind
oder waren, auch ohne jene diplomatische Bey-
nahmen, erkannt und genannt werden.
Dieses Volks-Gericht über seine Häupter,
diese Herrschaft der allgemeinen Meynung, ist
so unerschütterlich und felsenfest gegründet,
daſs das einige Bekenntniſs des grösten, ge-
fürchtetesten und geschmeicheltetsten Königs in
[115] diesem Jahrhundert, Ludwigs des Vierzehenden
in Frankreich, eine ganze Wolke minderer Zeu-
gen aufwiegen kann. Als nehmlich in denen
unruhigen ersten Regierungs-Jahren des Kö-
nigs Philipps V. in Spanien, zwischen Paris
und Madrit eine beständige Ebbe und Fluth von
wechselsweisen Lügen, Verläumdungen und
Historienträgereyen war, und der junge Kö-
nig sich darüber bey seinem Groſsvater be-
schwerte, gab ihm dieser die aus dem Munde
eines alten Königs merkwürdige Antwort *):
„Ich wünschte, daſs man die Discurse aufhö-
ren machen könnte, worüber fich Ew. Majestät
beklagen. Es ist aber unmöglich, dem Pub-
liko die Freyheit zu reden zu nehmen. Es
hat sich solche zu allen Zeiten, in allen
Ländern und in Frankreich noch mehr,
als anderwärts, herausgenommen. Man
muſs eben suchen, der Welt nur Gelegen-
heit zu Lob und Beyfall zu geben; und ich
hoffe, Sie werden während Ihrer Regierung
häufige Veranlaaſsungen dazu finden„.
Die Arten, wie sich die Zeitgenossen eines
bösen Regenten noch bey seines Leibes Leben
[116] an ihm rächen, sind unzählige. Der unterste
und glimpflichste Grad ist wohl der, wenn
sie, nebst dem stummen Tadel, ihren erheu-
chelten öffentlichen Zusicherungen, Verheis-
sungen und Versprechen, ihren erlogenen Be-
theurungen von landesväterlicher Liebe ihrer
Unterthanen, ihrer unwahren Sorge vor das ge-
meine Beste, kurz allen ihren Worten nicht
mehr glauben.
Halb oder ganz böse Fürsten können immer
nooh von Glück sagen, wenn es nur bey diesem
Nichtglauben bleibt; wie leicht ist aber der Ue-
bergang vom Denken zum Reden und von die-
sem zum Schreiben! Wie plötzlich, wie voll-
tönigt, wie fürchterlich rächt sich oft ein ge-
drücktes Volk durch Mund und Feder seiner
Sprecher und Werkzeuge, an seinem Despoten
und Plager, heimlich und offentlich durch blu-
tende Epigrammen, durch Spott- und Strafschrif-
ten jeder Gattung, durch die anschaulichste
Darstellung ihres eigenen lasterhaften oder doch
unrühmlichen Lebens. Ein religioser, ein wah-
rer Ehren-Mann, wird sich freilich mit Beschäf-
tigungen dieser Art nie abgeben, sondern der-
gleichen Arbeiten den litterarischen Abdeckern
überlassen, und, selbst bey gereiztestem Unwil-
[117] len, die Sache d[e]m anheimstellen, der allein
recht richtet und einst einem jeglichen vergel-
ten wird nach seinen Werken; er wird so gar,
wenn sein Herr auch ein Herodes wäre, und
er Amts- und Propheten-Berufs wegen ihm
sein ärgerliches Privatleben ins Angesicht vor-
halten müſste, doch seiner von Gott zu Le-
hen tragenden persönlichen Würde möglichst
schonen; ihn in den Augen seines Volks nicht
herabwürdigen; das Gebet des Evangelii: Du
sollst dem Obersten deines Volks nicht fluchen,
sich zur strengen Vorschrift auch alsdann noch
seyn lassen, wenn er sich durch sein Leben
und Thaten schon sclbst offentlich entehrte;
sich mit der entschlossensten Nicht-Theilneh-
mung an allen Ungerechtigkeiten, Lastern und
Schlechtigkeiten begnügen; mit seinem eigenen
leuchtenden Wandel und Beyspiel bestrafen,
und sich darüber Schmach, Spott und alle Ar-
ten von Ungnade gefallen lassen. Denn vors
Kopfabhauen ist wenigstens für Deutsche Johan-
nes so lange gesorgt, als wir noch Gesetze
und einen obristen Richter im Reich haben, und
keine Gallicanisch-Republicanische Güillotinen
bekommen.
Doch so denken und handeln die Wenigsten.
[118] Vielmehr ist je eine Zeit furchtbar vor böse
Fürsten und fruchtbar an öffentlichem und ge-
heimem Tadel schlechter Regierungen, an Straf-
und Spottschriften der mannichfaltigsten Gattung
gegen böse, schlechte und schwache Regenten
gewesen, so ist es die jezige seit den Zeiten
des sogenannten siebenjährigen Kriegs, oder
seit 40. Jahren.
Man wartet heut zu Tag nicht mehr so lan-
ge, biſs sie von dem Schauplatz abgetreten und
der Todtengeruch völlig verdampft ist, man
scalpirt sie noch unter ihrem Nahmen, bey ih-
rem Leben; und wenn alle in Journalen und ano-
nymen Schriften enthaltene Satyren, Epigram-
men, alle auf schlechte Regenten und heillose
Ministers gefertigte Lieder, Kupferstiche, würk-
lich geprägte oder ausgedachte Münzen nur
von der Hälfte dieses Jahrhunderts her in Eine
Sammlung gebracht und die etwa dunkle Stel-
len behörig commentirt würden, so dürfte sie
eine noch bändereichere Bibliothek der garstigen
Wissenschaften werden, als wir bereits eine
von den schönen haben, und in Kurzem das be-
rühmte Theatrum Diabolorum an Corpulenz über-
treffen.
[119]
Noch mehr gilt alles dieses von dem un-
bestechlichen und unerbittlichen Richter, der
eigentlich so genannten Geschichte; welche
das Privat- und Regenten-Leben eines Fürsten
nicht nur oberflächlich beleuchtet, sondern mit
anatomischer Pünctlichkeit und Strenge in die
Quellen seiner Tugenden und Laster, in die
innerste Triebfedern seiner Handlungen ein-
dringt; sie so abhaütet, wie noch erst neuer-
lich König Gustaven III. in Schweden wieder-
fahren ist *), oder sie so skeletirt, als von dem
pragmatischen Brittischen Geschichtschreiber,
Bischof Burnet**), mit dem geistlosen Pedan-
ten, König Jacob I. und seinen noch schlech-
tern Nachfolgern aus dem Hause Stuart gesche-
hen ist.
[120]
Die Wahrheit dieses Satzes an sich hat zu
allen Zeiten, selbst in der Epoque der Neronen,
unerschütterlich fest gestanden und wird durch
eine solche Zeugen-Wolke bestätiget, daſs es
überflüssig wäre, nur Ein Wort weiter davon
sagen zu wollen. Dem philosophischen Geist
unserer Zeit haben wir es aber zu verdanken,
daſs wir in das Wesen der Geschichte selbst
viel tiefer eingedrungen sind *). Dem zu immer
mehrerm Licht emporstrebenden menschlichen
Geist, dem wachsenden Freyheits-Sinn unserer
Zeit, der allgemeiner werdenden Aufklärung
und Publicität haben wir die verminderte Ab-
götterey vor unsere Könige und Fürsten, und
deren gerechtere Wardirung nach ihrem innern
moralischen Werth zuzuschreiben. Der seit Vol-
tairs und seiner Gesellen Aufenthalt in Deutsch-
land epidemisch gewordene arge Spottgeist un-
serer Tage aber, verbunden mit der Gewinn-
sucht der Buchhändler und dem eigenen bösen
Beyspiel, Nachsicht und Indolenz einiger Köni-
ge und Fürsten, haben den Reiz noch mehr ver-
mehret, und das Uebel, wenn man es so nennen
kann, unheilbar, die Mittel dagegen aber immer
[121] schwerer, bedenklicher, ja beynahe unmöglich
gemacht.
Moralische Krankheiten waren immer in der
Welt, wie physische; jene haben aber auch,
wie diese, ihre Zeiten des Anfangs, ihrer Fort-
schritte, Wachsthums und allgemeinern Verbrei-
tung gehabt. Man weiſs und nennt von man-
chen Krankheiten die Zeit, die Nation, wodurch
sie zu uns gekommen, die Ursachen der Ent-
stehung und die besten Methoden der Heilung.
Wie wünschenswürdig wäre es, wenn wir der-
gleichen Haus- und Heilmittel auch gegen mo-
ralische Uebel, insbesondere gegen die, von
dem Licht und Geist der Wahrheit so himmel-
weit unterschiedene, immer, ungestümmer,
wilder, unverschämter werdende Frechheit un-
serer Tage hätten.
Die Cur wäre leicht und kurz, wenn wir
nebst bessern Menschen auch bessere Fürsten
hätten; wie bald würden sich alle Stimmen,
Hände und Herzen zu mehr als Plinianischen
Lobreden vereinigen. So wie die Sachen aber
jezo stehen, so wäre es eine Beleidigung des
menschlichen Verstandes, eine Verschuldung
gegen die Menschheit selbst, ihrem Volk Liebe
[122] und Hochachtung zuzumuthen, so lange sie
sich selbst deren nicht besser, als bisher, wür-
dig machen. Denn wie viele sind noch unter
ihnen, denen im Grund nicht gleichgültig ist,
ob man sie liebt oder haſst; ob man sie lobt
oder tadelt? Die vielmehr innerlich sich mit
dem: Oderint, dum metuant, beruhigen; die
sich daran genügen lassen, ihr Reich, Land
oder Ländgen zu haben und es nach ihren Ge-
lüsten und Phantasien geniessen zu können;
die zufrieden sind, wenn es nur hält, so lang
sie leben; die sich um die Nachkommen, die
sonst immer das zweyte Wort in den Mund
und Sinn alter guter Fürsten waren, nichts be-
kümmern; die sich über das Urtheil der Welt,
ihrer Zeitgenossen und der Geschichte, mit ei-
ner unverschämten Fühllosigkeit hinwegsetzen;
die nichts mehr rührt, als ihr Stolz, Ehrgeiz,
und unersättliche Habsucht; die, wo es noch
am erträglichsten geht, mit dem alten Fabulisten,
Reineke Fuchs, denken und sprechen:
[123]
Wie froh wollte ich mich über die Unähnlich-
keit dieses Bildes von der Wahrheit selbst lü-
gen strafen lassen; besorglich ist aber die Schil-
derung leider nur allzutreffend.
Tief zu graben und fest zu bauen ist wohl
schon lange her, in keinem Sinn, mehr eine
Sache unserer Fürsten gewesen; schnell nie-
derreissen und eben so flüchtig zu bauen, war
mehr nach ihrem Geschmack. Aber woher,
möchte man fragen, der schleunige Uebergang
der fast unbegreiflichen Fühllosigkeit und Un-
empfindlichkeit so vieler unter ihnen gegen
Lob und Tadel, gegen gute und böse Gerüchte?
Die wahre Ursache liegt ganz nahe: In ihrer
Gottes-Vergessenheit, in der Miſskennung ih-
rer Abhängigkeit und Verantwortlichkeit gegen
Gott, in der stolzen Verachtung ihres von Gott,
als seine Stellvertreter, tragenden hohen Amts
und Berufs, kurz in ihrem practischen Un-
glauben, kraft dessen sie in ihrem Herzen
sprechen: Es ist kein Gott! kraft dessen sie
lieber den Staat zu ihrem Götzen machen und
dessen Verwalter seyn, als: Von Gottes Gna-
den, Knechte Gottes, seine Statthalter auf Er-
den seyn und heissen wollen. Und dann wun-
[124] dere man sich noch, daſs Herrn, die nach Gott
nichts fragen, die selbst berühmte und öffentli-
che Spötter der Religion, und durch ihr Leben,
Reden, Grundsätze und Schriften, im Leben
und nach ihrem Tode noch Verführer und Ver-
derber ihres bessern Volks und so vieler andern
waren, daſs diese und andere durch sie [verdor-
bene] noch viel weniger, in ihrem stolzen Eigen-
dünkel, nach allen Urtheilen der Menschen
fragen.
Zu diesem theils wie eine Pest im Finstern
schleichenden, theils genug offenkundigen Un-
glauben, fehlen dann nur noch ein Paar theore-
tische Spötter, welche frech genug sind, öffent-
lich zu laügnen: Daſs alle Obrigkeit von Gott
komme, welche also die Behauptung ihrer Gött-
lichkeit vor eine altväterische scholastische Grille
erklären. Wann diſs vollends erst Volksglaube,
Glaube ihrer eigenen Legionen wird, wie mag’s
alsdann erst mit der Sicherheit der Kronen und
Thronen, wie mag’s in dem gepriesenen Reich
der Ideen aussehen?
Doch: Manum de tabula. Dixi!
Die schönste Theorie des Lobes gegen die
Groſsen, um bey dem Schluſs dieses Capitels
[125] doch noch ein milderes Wort zu sagen, ist in
den Worten enthalten, womit der weise from-
me Gellert seinen lieben Grafen Moriz von
Brühl einsegnete:
[126]
Zweytes Capitel.
Von den Graden und Gattungen
des Lobes.
Die Grade der Lobenden möchten etwann
seyn:
Es ist ein wesentlicher Unterschied, wer ei-
nen König oder Fürsten lobt; nicht nur über-
haupt: Ob es die Stimme des Volks und seines
Landes, oder nur hie und da eines einzeln Men-
schen? Ob es das Lob seiner eigenen Diener,
seiner Hofleute oder Mitesser, der von seinem
Aufwand und Wohlthaten lebenden Künstler
und Handwerker, seiner Günstlinge und Freun-
de sey? Sondern ob es von einem wahren
Menschenkenner, von einem Weisen, oder von
einem Schmeichler und Narren herrühre?
Es ist eine alte Regel: Weit davon ist gut
loben *); daher folgt natürlich im Gegensatz:
[127] Daſs, je öfter und je länger man beysammen
ist, je genauer einer den andern kennen lernt.
Daher kommt auch wohl das alte Sprüchwort:
Daſs derjenige erst ein lobenswerther Fürst
sey, der von seinem Kammerdiener gelobt wer-
de. Als Sprüchwort, als ein launigter Einfall,
mag es gelten, weiter aber nicht. Denn so
wahr es immerhin ist, daſs die Nächsten um ei-
nen König und Fürsten, es seyen nun Kammer-
diener oder Kammerherrn, die beste Gelegen-
heit haben, ihren Herrn in seinen Tugenden
und Schwachheiten am genauesten kennen zu
lernen, so bleibt ihr Zeugniſs in Lob und Ta-
del doch immer verdächtig; und gewiſs noch
mehr, wenn sie loben, als wenn sie über ih-
ren Souverain spotten und schimpfen; und das
Wort des weisen Marmontel in seinem Beli-
saire wird wohl eine ewige Wahrheit bleiben:
Daſs unter allen menschlichen Garantien dieje-
nige die unsicherste sey, womit die Höflinge
ihrem Herrn die Liebe und Ergebenheit seiner
Unterthanen und die Lobpreisungen seines Volks
verbürgen *).
[128]
Von einem eigenen lobswürdigen *), wahr-
haften, unpartheyischen Mann gelobt zu wer-
den, ist erst einem Fürsten, so wie jedem
rechtlichen Mann, wahre Ehre.
Oh! wie muſs der Beyfall, das mit Empfin-
dung ausgesprochene Lob eines gewissenhaften
verständigen Ministers das Herz eines guten
Fürsten erfreuen! Welche süſse Belohnung muſs
ihm vor alle Regenten-Sorgen und Bürden sei-
nes hohen Amts seyn, wenn er unbekannt und
unerkannt auf geheimen Reisen innerhalb seines
eigenen Landes, oder im Ausland aus unver-
dächtigem Munde, als ein weiser, gütiger, vä-
terlich gesinnter Fürst gepriesen wird! Wie kräf-
tig muſs es ihn anfeuren, diſs Lob zu allen
Zeiten zu verdienen!
Der beste Fürst ist wohl der, von welchem
persönlich am wenigsten gesprochen, der nur
in und durch seine Thaten und Handlungen ge-
lobt, und am seltensten getadelt wird. Von
dieser edlen Familie war der seelige Fürst Carl
von
*)
[129] von Nassau-Weilburg; und noch kurz vor sei-
nem Hingang schrieb mir den 17. Jan. 1784.
einer seiner vertrautesten und liebsten Diener:
„Mein Herr thut und handelt gut, nur allein
damit Gutes geschehe; niemand soll weiter da-
von sprechen. Er will seine Handlungen ohn-
bemerkt belassen wissen, und nie glaubt er,
seine Regenten-Pflichten ganz genug zu erfül-
len; er ist eben so ungerne gelobt, als geta-
delt. Dergleichen köstliche Menschen giebt es
freylich wenige auf Gottes Erdboden„.
Diese Gesinnung mag auch wohl die Ursa-
che seyn, warum in der nach dem Ableben die-
ses treflichen Fürsten aus der Feder seines Prä-
sidenten, Freiherrn von Bozheim, viele seiner
merkwürdigsten Regenten-Thaten nur berührt,
nur angedeutet, nicht detaillirt worden, wie
der Wunsch Vieler war, und noch ist.
Das beste und schönste Lob eines Königs und
Fürsten ist der Anblick seines wohl gebauten
und bevölkerten Landes, und wohl genährten,
vergnügten, zufriedenen und frölichen Volks.
Ich bat einst einen groſsen Menschenken-
ner, mir eine Schilderung von seinem Fürsten
zu entwerfen: „Er ist nicht so schlecht„, war
(II. Band.) I
[130] seine Antwort, „als ihn seine Feinde, und nicht
so gut, als ihn seine Freunde machen„.
Eine treffend-charackteristische Physiogno-
mie von der gewöhnlichen Art der meisten Kö-
nige und Fürsten.
Man muſs mit dem Loben der Könige und
Fürsten so sparsam seyn, wie sie es mit ihrem
Belohnungen des Verdiensts sind; sonst halten
sie das Loben sogar für eine Schuldigkeit.
Ein rechtschaffener Minister muſs hundert
Dinge in Einem Jahr an seinem Herrn, dessen
Frau, Kindern und Hofgesinde sehen, gesche-
hen lassen und dazu schweigen, weil Reden
nichts helfen, sondern Uebel nur ärger machen
würde. Eben so ökonomisch muſs er aber auch
mit seinem Lob seyn, über Sachen, worinn sein
Herr nur die allgemeinsten und die ersten Schul-
digkeiten seines Regenten-Amts erfüllt; nicht
gleich ein Aufhebens machen, als wenn er den
Himmel damit verdiene; sich mit einem stil-
len heitern Blick von zufriedenem Beifall be-
gnügen; gute Handlungen etwa mit zwey, drey
schönen Wörtgen einsegnen, und das eigentli-
che wahre Lob auf die Gala ausgezeichneter
edlen, groſsen, wohlthätigen Entschlüsse, Vor-
[131] sätze und Handlungen, hauptsächlich auf groſs-
müthige Verläugnungen von Lüsten, Gelüsten,
Capricen, Zorn, Rache u. d. g. versparen.
Dann wird’s helfen, dann wird’s Frucht bringen;
dann wird der Fürst sich selbst sagen: Dieſs
Lob hab ich verdient. Zweymal in meinem
Leben habe ich diese himmlische Wonne ge-
nossen, wo ich Kampf und Sieg eines Fürsten
mit sich selbst mit gerührtestem Herzen be-
loben konnte und muſste; Thränen der Freude
und eine herzliche Umarmung folgten seiner
Seits nach.
Ja! man kann einem Herrn mit reiner Treue
dienen, ihm willig in allen billigen Dingen gehor-
chen, sein Bestes mit Eifer fördern und mit
Wachsamkeit seinen Schaden verhüten; man
kann von Herzen zu Gott um seinen Seegen und
Leben beten; und doch kann der Fall eintreten,
daſs man in seinem ganzen Leben sich nicht be-
wogen und überzeugt findt, ihn zu loben.
Die Grade des Lobens möchten auf Seite
des Gelobten seyn:
Ein guter Fürst. Diſs ist das schönste, höch-
ste Lob nach seinem wahren innern Gehalt; al-
lein der unterste Grad des Lobes nach dem ver-
[132] dorbenen Gebrauch der Welt, weil gut und
schwach nur allzuoft miteinander verwechselt
werden; weil man einen Fürsten lobt, wie man
eine einfältige Frau lobt, daſs sie doch gut ge-
wachsen sey; weil es höflicher ist, von einem
Herrn zu sagen: Daſs er ein gutes, ja wohl
das beste Herz von der Welt habe, als wenn
man von ihm bekennen muſs: Daſs er ein Schwach-
kopf sey, der alles glaubt, was man ihm vor-
schwäzt und vorlügt; der alles gehen läſst, wie
es geht, wann nur Er damit nicht beunruhiget
oder belästiget wird.
Vor dem in hohem und reinem Sinn würk-
lich guten Fürsten möchte man stracks hin-
knien, und ihn, so sehr er auch noch Mensch
wäre, als einen Engel Gottes anbeten. O! möch-
ten es doch alle wissen, fühlen und glauben!
O! möchten sie doch die Vorzüge, wohl thun
zu können, zu ihrer höchsten Fürsten-Lust ma-
chen, und reichlich säen, um dereinst um so
frölicher zu erndten!
Von dieser Temperaments- oder sogenannten
Herzens-Güte ist aber die Mode-Tugend der
Artigkeit, Höflichkeit, so genannten Herablas-
sung, und wie diese Firniſs-Küuste mehr heiſsen
[133] können, wohl zu unterscheiden. Ein Fürst
kann sehr höflich, und dabey in hohem Grade
falsch seyn; so wie hinwiederum ein anderer
kalt, trocken, nichts weniger denn artig, nach
Befinden auch wohl grob, und doch nach sei-
nem innern Werth ein köstlicher, edler, gülde-
ner, in allen seinen Reden und Handlungen
wahrhafter Mann seyn kann.
Ohne ein übertriebener Laudator temporis
acti zu seyn, so kann man doch mit Wahrheits-
Grund sagen: So, wie jezt, war’s vor Zeiten
nicht! Die deutsche Treue, Biederkeit, Ehrlich-
keit war sonst das höchste Lob eines Fürsten,
war sonst eine National-Tugend, gegen über
der sonst eben so verschrieenen Gallica fide.
Wo ist sie noch zu finden?
Zwar hat der Himmel uns nicht so weit
übergeben,
Daſs von der alten Zeit nicht theure Reste
leben.
(Haller.)
Aber im Ganzen ist nicht nur der Geist von uns
gewichen, sondern die Form ist so gar verlo-
ren gegangen. Sonst tranken unsere Fürsten
miteinander, besoffen sich auch wohl in Poca-
len, machten zusammen beym Becher der Freu-
[134] de Brüderschaften und schlichteten beym Wein
ihre Händel und Streitigkeiten; jetzt trinken
Ihro Liebden meistens alle Wasser oder ein
Gläsgen Liqueur, hingegen zanken und betrü-
gen sie sich um jede Kleinigkeit. Sonst kamen
sie häufiger in Selbst-Person zusammen und
dann drückten und schüttelten sie sich einan-
der die Hände; jetzt, wenn ja diese Zusam-
menkünfte noch geschehen, wie man die neue-
ste groſse Beyspiele von K. Joseph II. im Lager
zu Neisse und zu Cherson, und von seinem
Nachfolger zu Pillniz hat, so embrassiert und
complimentirt man sich auch noch in die Wet-
te; jeder sinnt aber zugleich am ernstlichsten
darauf, wie er den andern aushohlen und spä-
ter oder früher überlisten könne? — Ich über-
gehe, was noch mehr über diesen fruchtbaren
Text gedacht werden könnte, und wiederhole
nur noch ein wahres Wort, das Waser*) sagte:
„Das Gerade, das Natürliche, das Mensch-
liche wird heut zu Tage aller Orten so sehr ins
Politische, Kleine, Herrschsüchtige und Eigen-
nützige verwickelt, daſs es im Groſsen und im
Kleinen von diesem Strickfaden erdrosselt wird,
[135] und für diesen gnädigen Tod, der ihm ange-
than wird, noch danken soll„.
Wenn man einen Fürsten gut nennt, so ist’s
nicht just beziehungsweis auf den Menschen,
sondern auf den Fürsten, unter denen, im Ver-
hältniſs gegen ihre Anzahl, noch immer so viele
schlimme, kurzsichtige, schwache und Alltags-
Menschen sind; wenn er auch nur diſs Lob ei-
nes guten Fürsten verdiente, wie ein tiefden-
kender und launigter Mann *) einen dieser Gat-
tung geschildert hat, so wenig er auch übri-
gens zum Muster angeführt werden dürfte.
[136]
Er ist, das mag das zweyte Lob seyn, ein ge-
rechter Fürst; ein erhabenes Lob, wenn man
es einem Könige oder Fürsten beilegen kann.
Um aber solches mit voller Wahrheit zu
verdienen, muſs ein Herr nicht nur gegen an-
dere, oder gegen einzele Stände, wie Friedrich
der Groſse in der Müller-Aroldischen Sache,
sondern gegen sein ganzes Volk gerecht seyn.
Es muſs eine gerechte Handlung nicht nur
in einer Anwandlung von Laune geschehen,
sondern diese Liebe zur Gerechtigkeit muſs
Ein schöner Zug, wie die grossen Initial-Buch-
staben in einer Hand- oder alten Druckschrift,
durchs ganze Regenten-Leben durch seyn. Ich
war selbst Augenzeuge, daſs ein sonst gewalt-
thätiger, jähzorniger und von vielen Seiten
böser Herr, in einem Rechtsstreit mit einem
armen Closter, gegen das zweifelnde Gutach-
ten seiner Augendiener im Geheimen Rath und
der Regierung, wider sich selbst sprach, und
nicht nur alle fernere Eigenmächtigkeiten ab-
zustellen, sondern auch allen biſsherigen Scha-
den zu ersezen befahl. Die Handlung ware
um so löblicher, da der Streit eine Waldung
betraf, deren dieser Fürst in seiner damaligen
[137] Lage gar sehr bedurfte. Diese Handlung floſs
aus einem blossen Gerechtigkeits-Gefühl, wo
nicht gar aus Fürstenstolz, weil er’s zu tief
unter sich hielt, sich mit einer Hand voll Mön-
che herum zu zanken.
Ein gerecht heissen wollender Herr muſs ei-
ne reine unpartheyische Gerechtigkeit, ohne
Ansehen der Person oder Sache, sich zur we-
sentlichen Pflicht seines hohen Amts seyn las-
sen. Es muſs stets eine ganze, nie eine halbe
oder gemischte Gerechtigkeit seyn; ohne Vor-
liebe vor begünstigte Personen, ohne Vorurtheil
vor in Schuz nehmende Meinungen und Sachen.
Die Devise: Suum cuique, muſs nicht nur
in Kupferstichen oder auf Ordens-Sternen zu
lesen seyn, sondern sie muſs in Thaten selbst
erscheinen.
So habe ich auch einmahl den traurigen Fall
unter meinen Augen und in meinen Händen
gehabt, da einem Fürsten der Muth entfallen
war, eine wissentlich begangene und ihn be-
ängstigende Ungerechtigkeit bloſs darum nicht
wieder gut zu machen, weil er sich fürchtete,
derjenige, auf dessen Anrathen und Trieb er
unrecht gethan hatte, möchte ihm dieses Zu-
[138] rückziehen durch Entziehung anderer Vortheile
entgelten lassen.
Vorzüglich muſs ein König oder Fürst, der
gerecht gepriesen seyn will, gerecht gegen
sich selbst, gegen seine Lieblings-Neigungen
und Leidenschaften, gegen seinen Stolz, Hoch-
muth, Ehrgeiz, Geldgeiz, Habsucht, Vergrös-
serungssucht, gegen die Gelüste und Versuchun-
gen seines eigenen Geistes und Cabinets-Politik
seyn. Sonst wird aus der vorgeblichen Ge-
rechtigkeit niemahls Regel, sie bleibt immer
nur Ausnahme. Die Forderung ist stark, deren
Erfüllung aber ist nicht ganz unmöglich, so
lange die Geschichte noch Beyspiele von ganz
gerechten, auch gegen sich selbst gerechten
Königen und Fürsten aufzuweisen hat, so sehr
auch, leider! das Wort allgemeiner und wahrer
ist, das ich lieber durch die Feder des Repub-
licaners Bayle*) sagen lasse, als selbst aus-
[139] spreche. Ich sage hier nur so viel: Man kann
ein groſser Mann, und doch weit gefehlt seyn,
um auch mit Grund ein gerechter Fürst heissen
zu können. Wer den Beweis dazu verlangt,
der suche ihn nur nicht auf der Landcharte von
Polen.
Eben so wahr ist es aber auch durch die laute
Beystimmung der ganzen Geschichte, daſs die
ärgsten Tyrannen, die schlimmsten Despoten, oft
die strengsten, schnellsten, wo nicht allemahl
die reinsten, Justitiarii gewesen sind; gleichfalls
ist’s wahr, daſs, wenn man einen Schwächling
von König über nichts anders mehr zu loben
sich getraute, man ihn, wie Ludwig XIII. in
Frankreich, noch Ehren und Schanden halber
Louis le Juste benannte; den Mann, unter dem
so viele würdige Patrioten, so viele unschul-
dige Männer, dem Ehrgeiz und der Rachsucht
eines Richelieu aufgeopfert wurden.
[140]
Das dritte Lob eines Königs und Fürsten
könnte seyn: Er ist weise. Was Weisheit heis-
se? wissen wir Alten noch aus den Psalmen
des längst aus der Mode gekommenen Jüdischen
Königs David, der in seiner Einfalt die Furcht
des Herrn zu der Weisheit Anfang rechnet,
und sogar zum Preis ein ewiges Lob darauf
sezet; die Jüngern aber lernen solches aus al-
len Wörterbüchern, Encyclopedien, Almana-
chen und Compendien, biſs auf Kant, den neue-
sten Fürsten der Philosophen, salvo beneficio
Ordinis der noch grössern Nachkommenden.
Was ehedem ein weiser Fürst genennt ward,
zeigt uns die Geschichte, die uns belehret, daſs,
bey allen dieses Lobes Würdigen, Herzens-Güte
mit Verstandes-Klugheit immer innig vereini-
get war.
Was man heut zu Tage unter einem weisen
Fürsten verstehen müsse und könne? weiſs ich
nicht — und nur so viel, daſs viele der jeztle-
benden an der Herz- oder Kopflosigkeit, manch-
mal an beyden zugleich, krank liegen, und da-
her, wenn dieses Uebel gar epidemisch werden
sollte, gar sehr zu besorgen sey, daſs das alte
Sprüchwort: Mundus parva sapientia regi-
[141] tur, oder nach der Vermehr- und Verbesserung
eines andern groben Gesellen: Mundus Dei sa-
pientia et hominum stultitia regitur, auch
im künftigen Jahrhundert Wahrheit bleiben werde.
Wenn man über die siebenzig Jahre hinaus ist,
so fällt es immer schwer, alter Vorurtheile und
Aberglaubens sich zu entwöhnen. Von der
Groſsmuth meiner Zeitgenossen verhoffe ich
aber mit einiger Zuversicht, daſs sie einen Greis,
wenn er auch radotirte, einige Pinselstriche ei-
nes Ideals zu gute halten werden, wornach er
sich einen weisen Fürsten, freilich nur nach
altem Schrot und Korn gedacht hat.
Ein weiser Fürst wäre nach diesen Umrissen
forderst der, der diſs unter allen Fürsten-Ehren
für die gröſste hält, Gottes Stellvertreter un-
ter den Menschen, Gottes Mitarbeiter zu ihrem
zeitlichen und ewigen Glücke zu seyn;
der sich daher, ohne sich auf seinen Verstand
allein zu verlassen, vor Gott, dem Allerhöch-
sten, demüthigen und Ihn um Weisheit bit-
ten mag;
der seinen Stand als ein ihm von Gott zu
dereinstiger Verantwortung anvertrautes Amt
und Beruf erkennt;
[142]
der die Religion mit seinem eigenen Beyspiel
ziert;
der keinen Verfolgungs-Geist,
wohl aber den Geist weiser Duldung hat;
der Bauch-Pfaffen, Miethlinge und Maul-
schwätzer von wahren Dienern des Evangelii
zu unterscheiden weiſst,
der mit dem Geist seiner Zeit in Wachsthum
der Kenntniſs jeder heilsamen Wahrheit fort-
schreitet;
der überhaupt Wahrheit, auch unangenehme,
grob gesagte, aber aus treuem Herzen fliessen-
de, Wahrheiten vertragen kann;
der mäſsig von sich selber denkt,
der auf seinen guten Nahmen hält,
der Lügner und Schmeichler haſst und flieht;
der weise Leute sucht und ehrt, und ihrem
Rath folgt;
der auf die Volksstimme achtet und sie re-
spectirt;
der zu jedem guten Zweck auch die besten
Mittel wählt;
der Verdienste sucht und belohnt, wo er sie
findet, ohne Ansehung der Stände;
der nicht nur über Recht, Gerechtigkeit und
[143] Ordnung, sondern auch über die Reinigkeit der
Sitten wacht;
der das Gleichgewicht der Stände, zwischen
Hof, Adel, Soldaten und Bürger zu erhal-
ten weiſs;
der die Wissenhaften zwar befördert; zwi-
schen bloſser Gelehrsamkeit, und nützlichen, oder
bloſs angenehmen Künsten aber den gerechten
Unterschied beobachtet;
der alle seine Unterthanen als seine Kinder,
seine Landstände aber, wenn sie es anders ver-
dienen, als seine angebohrne Freunde betrachtet;
der die Zeichen seiner Zeit bedenkt und zu
berechnen versteht;
der sich nicht in fremde Händel mengt, son-
dern um so angelegener sein Reich oder Land
wohl zu regieren sucht;
der mit seinem Stand und dem besitzenden
Grad der Gewalt, Macht und Ansehens zufrie-
den ist, und sich an der Lehre: Spartam,
quam nactus es, orna, begnügen läſst;
der daher nicht höher fliegen will, als ihm
die Federn gewachsen sind;
der sich nicht von Weibern, Favoriten und
Ministern regieren, führen und verführen läſst;
der nicht aus Eitelkeit oder aus Gewinnsucht
[144] ein grösseres Militare unterhält, als wahre Noth
und die Sicherheit seines Landes erfordert oder
dessen Kräfte gestatten;
der folglich die Unterthanen nicht wie Waaren
oder wie sein Mast- und Schlachtvieh ansieht,
um sie an den Meistbietenden zu verhandeln;
aber auch dagegen keine Pasteten-Regierung
begünstigt, weils am Ende eins ist, ob ein Land
von unnüzen Soldaten oder müssigen Junkern
aufgezehret wird;
der, um Anfang und Ende mit Einem Wort
zusammen zu fassen, lebendig in sich überzeugt
ist, daſs er ohne Gott, dem Stifter aller obrig-
keitlichen Gewalt, und ohne sein Volk, es mag
nun durch Erblichkeit oder durch Wahl gesche-
hen, Nichts ist, als jeder anderer Mensch,
vom Weibe gebohren.
Doch laſst uns billig seyn, ohne mehr zu
fordern, als was unsere Herren nach ihrer Er-
ziehung *), nach ihren Vorurtheilen und nach
dem Geist ihrer Zeit, der eben so wohl seine
Ab-
[145] Abwechslungen und Launen hat *), leisten
können und wollen, auch wie weise sie nach
ihrer Lage, Bedürfnissen und Verhältnissen mit
andern seyn dürfen. Denn, wie so Vieles an-
dere in der Welt, so ist auch die Weisheit nur
relativ; sie hat ihre Grade und Abstufungen
von Salomo dem Ersten und Zweyten an, biſs
zu dem nur mit dem ganz schlichten und ge-
meinen Menschen-Verstand grossen oder klei-
nen Herrscher. Ja Salomo †) hat ein Wort
hinterlassen, das man manchem seiner König-
lichen Nachkommen ins Herz und über sei-
ne Cabinetsthüre schreiben möchte: Sey nicht
allzuweise, daſs du nicht verderbest. Mit-
telgut, möchte man wohl sagen, ist also auch
hier das Beste.
Ich habe selbst aus dem Munde eines alten
erfahrungsreichen Ministers, der seine Verwun-
*)
(II. Band.) K
[146] derung, ja Erstaunen, gegen mir bezeugte,
wie zuweilen sein nichts weniger als für einen
weisen Mann geachteter Fürst, mitten unter den
verwickeltesten Geheimen-Raths-Berathschla-
gungen, mit seinem Einfall dazwischen gestol-
pert, und meistens allemahl den rechten Punkt
getroffen hatte. Das war, erwiederte ich, der
Sieg der hohen Einfalt über feine Klugheit.
Bey aller Gefahr, gegen den guten Ton,
gegen feinere Lebensart, ja fast gegen den
Sprachgebrauch selbst, anzustossen, kann ich
mich doch nicht erwehren, diesen des Lobens
werthen Eigenschaften die Tugend der Gedult
beyzugesellen, indem ich einen gedultigen
Fürsten für einen sehr ehrwürdigen Mann
halte.
Die Sache selbst war zu allen Zeiten da;
denn wo hat je ein Mensch auf Erden gelebt,
ohne Gedult nöthig gehabt zu haben? Nur war
sie bey Königen und Fürsten unter andern Nah-
men da, weil man sie nur vor eine gemeine
Bürger- und Bauren-Pflicht, aber nicht vor eine
Herrscher-Tugend hielt *). Daher erschien
[147] sie auch unter dem prächtiger lautenden Prädi-
cat von Herzens-Güte, Groſsmuth, Philoso-
phie, Beständigkeit, Seelen-Grösse u. d. g.
Von einem gedultigen Fürsten, ausser höchstens
bey Leichen-Predigten, sprechen zu wollen,
würde wohl hie und da vor einen Eingriff in
seine Landes-Hoheit, wo nicht gar des West-
phälischen Friedens gehalten worden seyn. Es
gieng den Fürsten mit der Ungedult, wie dem
Lord Chesterfield, der in einem Brief an seinen
Sohn Stanhope vom Jahr 1765. *) die Gicht
*)
[148] für die Krankheit eines Edelmanns ausgab. So
auch wird wohl die Ungedult nur ein Königs-
und Fürsten-Recht seyn dürfen.
O wüſsten die Götter der Erde, oder woll-
ten sie es wissen, daſs sie durch Gedult ganz
vorzüglich das Bild Gottes, ihres höchsten Ober-
herrn, als seine Repräsentanten, tragen; daſs
darinn erst die wahre Weisheit und ächte Gröſse
besteht! Denn, wenn es auch Salomo und Sy-
rach nicht so oft und so schön gesagt hätten:
Wer gedultig ist, der ist weise.
Ein Gedultiger stillet den Streit.
Ein Gedultiger ist besser, denn ein Starker,
und der seines Muths Herr ist, denn der Städte
gewinnt.
Ein gedultiger Geist ist besser, denn ein ho-
her Geist.
Es ist ein köstlich Ding, gedultig seyn und
auf die Hülfe des Herrn hoffen u. s. w.
Und wenn alle diese Schriften längst unterge-
gangen wären, so würde es doch eine durch tau-
sendfache Erfahrungen bestätigte ewige Wahr-
heit bleiben.
Welch schöner, hoher und heiliger Anblick!
einen demüthigen, nicht nur gedemüthigten,
sondern sich unter die Hand Gottes, des All-
[149] mächtigen, willig und tief beugenden Monar-
chen oder Fürsten zu sehen! Die Geschichte
hat uns das Andenken davon in verschiedenen
ältern und neuern Beyspielen aufbehalten; und
es ist zu hoffen, daſs diese Art noch nicht
ganz ausgegangen sey. Gott weiſst es am be-
sten, der das Verborgene der Herzen durch-
forscht, und die Viele der jezigen Johannes
sine terra kennt. Die Folge ihres Lebens wird
zeigen, was für Früchte sie bringen werden.
Gedult sezt aber Gottes-Kenntniſs, Selbst-
Kenntniſs, Menschen-Kenntniſs und Demuth
voraus — und daran fehlt es bey vielen Köni-
gen und Fürsten offenbar. Nach Gott fragen
sie nichts; sich selbst zu kennen sind sie zu
eitel und zu voll von Eigenliebe; Menschen
genugsam kennen zu lernen, sind sie zu faul
oder beurtheilen sie nur nach sich selbst, und
gegen Demuth straübt und empört sich ihr phi-
losophischer oder auch unphilosophischer Stolz.
Da sie von ihrer Wiege an nur allzusehr ge-
wöhnet werden, ihren eigenen Willen und we-
nige oder gar keine Gedult zu haben, und da-
her auch in dem Fortgang ihres Lebens, jeden
Anblick oder Vorstellungen menschlicher Noth
und Elends mit dem leichtsinnigen Ausspruch
[150] wegschütteln: Er muſs Gedult haben; da sie
einen, dem sie nichts Gutes erzeigen, aber auch
nichts roh’ abschlagen wollen, mit der kalten
Sentenz abfertigen: Zur Gedult verwiesen —
und dieses immer wiederholen, so oft und so
lange, biſs der Leidende durch Erlösung aus
aller Noth keine Gedult mehr nöthig hat.
Wenn ein Herr als gedultig gepriesen wer-
den soll, so muſs es keine blosse Tempera-
ments-Eigenschaft, sondern die Tugend eines
verständigen, über sich selbst wachenden, ge-
gen seine Neigungen, Leidenschaften, auch
wohl Heftigkeit und Zorn streitenden und sie
besiegenden Fürsten seyn; sonst ist es das un-
verdiente Lob einer solchen Schlafmütze, wie
K. Friedrich III. *), oder der noch unwichtigere
Ruhm von der Gelassenheit und Sanftmuth Kay-
ser Leopolds I. des gröſsten Phlegmatikers sei-
[151] ner Zeit, den weder die Spottgeissel des be-
kannten Pater Abrahams von S. Clara aus sei-
nem Seelen-Schlaf erwecken, noch die Sturm-
glocke auf St. Stephan zu Wien erschüttern
konnte.
Ueberhaupt ist, wenn man von der Gedult
der Könige und Fürsten sprechen will, von kei-
nen Leiden, Beschwerden, Ungemächlichkei-
ten, u. s. w. die Rede, die sie als Menschen
entweder selbst auszustehen, oder mit andern
Erden-Söhnen gemein haben, sondern nur von
solchen, die sie als Herrscher berühren, und
sie von wegen führenden Regenten-Amts zu tra-
gen und zu dulden haben. Wie viele, Groſse und
Kleine, würden sich zu allen Zeiten alsdann in
dem Fall befinden, dem König Friedrich II. in
Preussen das Wort nachzusprechen: Ich bin
nicht König für mein Vergnügen! Wie viele
Bände könnte man damit anfüllen, wenn man
nur aus der Geschichte des Regenten-Lebens
etlicher Könige oder Fürsten die Thatsachen ih-
rer Gedult mit würklichen Beyspielen belegen
wollte. Dieses würde eine eigene, hieher nicht
gehörige, weitläuftige Abhandlung erfordern.
Um aber doch nur mit einigen Pinselstrichen
die Wichtigkeit und Gerechtigkeit des Lobes
[152] eines gedultigen Fürsten anzudeuten, so mag
einstweilen die bloſse Skizzirung dieses Bildes
genügen.
Der erste und schwerste Fall von der Gedult
eines Regenten ist wohl das Gefühl seiner eige-
nen Schwäche und Untüchtigkeit zu würdiger
Führung seiner Regierung, wenn er entweder,
wie von dem Markgrafen Christian Ernst zu
Brandenburg-Culmbach erzählt wird, Gott mit
Thränen in seinem Gebet klagen muſs: Daſs
ihm seine Räthe zu gescheud seyen; oder, wenn
er am Ende seines Laufs, wie Pabst Adrian VI.
selbst befehlen muſs, auf seinen Sarg zu setzen:
Adrianns VI. hic situs est, qui nihil sibi
infelicius in vita duxit, quam quod impe-
raret. Doch diſs sind alles Fälle aus den vori-
gen Jahrhunderten, die in unsern erleuchteten
Tagen nicht mehr vorkommen; seitdem man
von nichts als angebohrner Weisheit, und an-
gestammten fürstlichen Tugenden weiſs, und
den Göttern der Erde die Ohren so voll schwatzt,
daſs endlich der gröſste Schwachkopf davon über-
täubt wird, an seine eigene Thorheiten glau-
ben zu müssen, und sich, je schwächer und
dummer er ist, würklich, weise zu seyn, wähnt.
Zur Ehre unserer Zeiten könnte man wohl
[153] sagen: Daſs wenigstens die Erziehung der mei-
sten Fürsten an ihrer Unwissenheit und Un-
tüchtigkeit zu ihrem künftigen Regenten-Amt
unschuldig sey. Sie wiſsen ehender zu viel
als zu wenig; und der Fall des guten Kaysers
Maximilians I. der so tief über seine Unwis-
senheit der Lateinischen Sprache trauerte, kann
unsere Tage nicht mehr treffen, da unsere gnä-
digste Herrn nur Französisch reden und schrei-
ben, und es keine Seltenheit mehr um einen
Deutschen Fürsten ist, der nicht einmahl ein
in seiner eigenen Landessprache geschriebenes
Buch zu lesen vermag, oder einen Deutschen
Brief und Aufsatz ohne Hülfe seines Deutsch-
Franzosen versteht. Wenn jedoch ein Ludwig
XVI. über seine schlechte Erziehung unter der
Leitung des Herzogs von Harcourt selbst kla-
gen muſste, so ist diſs weniger zu verwun-
dern, weil, schlecht erzogen zu werden, von
jeher ein Königliches Privilegium gewesen ist.
Wenn aber auch in der ersten Grundlage ihrer
Erziehung nichts versehen oder verabsaümet
wird, so werden sie durch die frühe Vorliebe
für den Militarstand und durch den frühzeitigen
Eintritt in denselben, vor der Zeit wieder hart.
Am schlimmsten aber ist, wenn sie sich gar
[154]Helden geworden zu seyn einbilden. Der wahre
Held allein ist geschmeidig und gedultig; nicht
so der Corporal-Fürst.
Wie unzählig mehreren Gedults-Uebungen,
denn irgend ein Privat-Mann, ist ein grosser
oder kleiner Regent durch seinen blossen hö-
hern Stand und durch die Etiquette seines Hofs
ausgesezt! Ein König in Spanien muſste halb
lebendig verbrennen, eine Königin muſste sich
bey einem Sturz vom Pferde fortschleppen las-
sen, weil die zu ihrer Rettung nach der
Rangordnung berechtigte Personen nicht gleich
zugegen waren. Ein König in Frankreich kann
seine Leib-Bedienung nicht selbst wählen, son-
dern muſs lauter eingekaufte Leute um sich
leiden; eine Königin darf nicht einmahl ein ihr
noch so angenehmes Kleid, um ihrer Hofdames
und Cammerleute willen, länger denn ein Vier-
teljahr tragen. Der philosophische Herzog von
* * reiste in seinem Land und von einem Lust-
schloſs zum andern gerne allein oder nur mit
einem kleinen Gefolge; seine Junkern stellen
ihm aber vor, daſs dieses unter seiner Würde
und wider alle Etiquette wäre, und der gute
schwache Mann glaubts, daſs eine Gröſse hin-
ter dem lange nachschleppenden Schweif ver-
[155] borgen sey, und folgt ihnen. Wie lästig ist
für einen freyen Geist überhaupt der Zwang
des Ceremoniels! Wie oft muſsten sie sich ehe-
dem, noch öfters als heut zu Tage, aber doch
bey grossen Feyerlichkeiten noch jezt, lange
und abgeschmackte Orationen vorleyren lassen;
und wie reichlich erfahren sie in tausend ähn-
lichen Gelegenheiten die Wahrheit des Sprüch-
worts: Je grösser die Würde, je schwerer die
Bürde!
Seit Friedrich Wilhelms I. Friedrichs II. und
Josephs II. Zeiten sind unsere Grossen auf das
entgegen stehende andere Ende verfallen und
haben sichs wenigstens vor ihre Personen leich-
ter und gemächlicher gemacht, wenn sie auch
zum aüssern Schein die schlecht genug besol-
dete oder gar nur betittelte vornehme Hof-Aemter
beybehalten haben. Kleinere Potentaten habens
je länger je mehr jenen Monarchen nachgeahmt;
um sich aber an ihrer Hoheit nichts zu verge-
ben, behielten sie oft bey ihrem Aufenthalt an
gröſsern Höfen, nach dem Muster sparsam rei-
sender Könige, die Maske des Incognito bey.
Auch diſs, (so schwer ist’s, die Mittelstrasse
allemahl zu treffen), ward ihnen allmählig zur
[156] Last; sie reisen jetzt lieber so schnell, und ge-
meiniglich so leicht dabey, wie ein Courier.
Wie schwer ist das gewöhnliche Loos aller
Könige und der mehresten groſsen Fürsten,
daſs sie nicht nach eigener Wahl und Neigung
heurathen können und dürfen, sondern nach
Staats-Interesse, nach dem Willen und Befehl
ihrer Väter und Vormünder, nach betrüglichen
Porträten, nach dem Gutfinden eines ehr- oder
geldgeizigen Ministers, nach geographischen
Absichten, nach Intriguen, und auf Empfehlun-
gen von andern, diſs wichtige unauflöslich seyn
sollende Band schliessen müssen. Es geräth
aber auch mit einer solchen erzwungenen oder
erkünstelten Liebe darnach, und ist noch immer
von Glück zu sagen, wenn sich nur einer von
beyden in ein solches Joch zusammen gespann-
ten Theilen zu Tode grämt. Doch sie wuſsten
sich, von beeden Seiten, zu allen Zeiten zu
helfen; und dieser Fall ihrer Gedultsübung ge-
hörte wohl von jeher unter die seltenen.
Schrecklicher und härter, zum Glück aber
auch rarer, ist derjenige Fall, wenn ein Prinz
zum Unglück gebohren und prädestinirt ist, wie
der unglückliche Iwan in Ruſsland, oder als
ein Jüngling zum Cronenträger gezwungen wird,
[157] wie Peter III. um hernach desto gewisser er-
mordet, oder wie Iwans Vater und Brüder ins
Elend geschickt zu werden; oder, wenn er bey
männlichen Jahren das Spiel fremder Mächte seyn,
mit oder ohne seinen Willen den Thron, dem er
nicht gewachsen ist, und den er doch nicht wie-
der verlassen darf, besteigen muſs, wie Carl
VII. aus Bayern und die beyden Stanislaus in
Pohlen, und am Ende, nach Noth, Sorgen und
Gram ohne Zahl, sich von seinen eigenen Bunds-
genossen verrathen, von seinem eigenen Volk
und Freunden verlassen, von Wenigen bedauert,
und von den Meisten verachtet wird; wenn er,
von der Last der Crone und seiner eigenen In-
dolenz zu Boden gedrückt, um eines ehrgeizi-
gen Weibes willen, den schon verlassenen Thron
wieder einnehmen muſs, wie Philipp V. in Spa-
nien um seiner herrschsüchtigen Farnese willen
thun muſste; oder wenn er gar ein erzwunge-
nes Testament machen und seine Staaten oder
sein Reich einer gehässigen Familie, wie Carl
III. in Spanien, überlassen, oder, wie Gaston
von Florenz, bey lebendigem Leibe seinen Tod-
tenwärter um sich sehen muſs:
Wenn ein tugendhafter Monarch, ein verstän-
diger Fürst, lauter schlechte Menschen, Ver-
[158] schwender, Thoren, Schuldenmacher, Goldma-
cher, sittenlose Religionsspötter u. s. w. zu
Vorfahren gehabt hat, und nun, wie der unglük-
liche Ludwig XVI. oder ein Deutscher Fürst,
durch eine Kayserliche Debit-Commission für
alle ihre Verschuldungen büssen muſs.
Oder, wenn der bessere Nachfolger, nach
einer einzelen, aber langen und despotischen
Regierung, sein Reich oder Land durch unge-
rechte Kriege entvölkert, sein Volk verwildert,
in seinen Grundsätzen vergiftet, in seinen Sit-
ten verdorben, gegen die Religion spottend
und kalt, mit einer pestartigen Menschen-Gat-
tung überschwemmt sehen muſs:
Oder, wenn ein grosser Mann, wie Peter I.
in Ruſsland, einen ausgearteten und irre ge-
führten Sohn zum Nachfolger hat, von dem er
vorher weiſs, daſs er alle Werke seines Gei-
stes und Fleisses wieder vernichten und zer-
trümmern werde:
Wenn ein König oder Fürst bey aller Weis-
heit seiner Absichten, bey aller innern Güte
nnd Vortreflichkeit seiner Plane, von seinem
eigenen Volk und dem Publicum verkannt,
widersprochen und getadelt wird; wenn er se-
[159] hen muſs, daſs seine besten Anschläge scheitern,
wie es Joseph II. mit der Reforme in den Ni-
derlanden und mit Verbesserung des Reichs-Ju-
stiz-Wesens ergangen ist; wenn er endlich
sieht, daſs ers nicht zwingen kann, sondern,
um nur Uebel nicht ärger zu machen und gar
Rebellionen zu erwecken, selbst nachgeben und
seine Befehle und Anstalten, wie Joseph II. in
Ungarn, wieder zurücknehmen, ja denen Wi-
dersetzlichen, um sie nur zu besänftigen, zu-
lezt noch gute Worte geben, ihre Vorwürfe
aber dulden und verschlucken muſs; wenn er
die allmählig in die ganze Verfassung eines
Reichs eingewebte und durch dessen Grund-Ge-
setze vollends sanctionirte Mängel, Gebrechen
nnd [Miſsbräuche] gerne verbessern oder gar ab-
schaffen möchte, und durch seinen Eyd, oder
durch seine eigene Reichs- und Landstände
daran gehindert wird, oder, um seiner eigenen
Ohnmacht und Unkraft willen, nicht kann und nicht
darf; überhaupt, wenn er um der Noth der Zei-
ten willen nicht nur gegen seine Neigung und
Ueberzeugung, sondern auch gegen seine son-
stige Grundsätze handeln und der höhern Ge-
walt weichen muſs.
[160]
Doch diese und andere ähnliche von aussen
her sich zudringende Gedult-Proben sind zwar
drückend und niederbeugend; vor einen feuri-
gen, raschen, kühnen und unternehmenden
Herrscher-Geist bleibt aber allemahl die schwer-
ste Lektion die Gedult, die er mit sich selbst
haben muſs: Wenn sie, um nur einige Winke
davon anzugeben, gerne zugleich säen und
erndten wollen, wie man Friedrichs des Gros-
sen Handlungs-Projeckten nicht ohne Grund
Schuld gegeben hat; wenn sie pflanzen wol-
len, ohne den Boden vorher zubereitet zu ha-
ben, oder drauf los bauen, ohne erwarten zu
wollen, biſs sich das Erdrich und die Mauern
gesezt haben; wenn sie keine Fremde in ihren
Diensten haben, sondern aus National-Stolz
mit ihren Landes-Eingebohrnen Solo spielen
wollen, ehe sie noch die Leute und Instru-
mente dazu haben; wenn sie ihre Raschheit da-
mit bedecken wollen, daſs sie so lange haben
warten müssen; an welchem Verzug doch die
menschlichen Postpferde unschuldig sind, daſs
sie nicht ehender eingespannt worden; wenn
ein solcher Herr wider Willen mit Ochsen fah-
ren muſs, weil er keine Pferde kriegen kann,
und
[161] und sich doch zu schwach fühlt, die gesammte
Staats-Equipage allein zu tragen; wenn er aus
Ungedult lieber Grund und Boden des Staats
umkehren, alle alte Bäume ausrotten und lauter
neue, eben so rasch wie er, lauter schönen
geraden Wuchses, dafür einsetzen möchte, aber
doch noch zu menschlich denkt, um so viele
Unglückliche, und es zu machen wie K. Joseph
Il. der, in Einem Jahr, 1700. alte Staatsdiener,
die sich nach seinem Sinn schon überlebt hatten,
auf Wasser und Brod jubilirt hat.
Wie sehr sind in diesem Sinn die Cron- und
Erbprinzen zu bedauren, welche die Zeit kaum
erwarten können, biſs auch ihnen die längst ge-
wünschte Schäferstunde der Nachfolge schlägt;
die sich bey Leibesleben ihres Vorfahren schlecht
behelfen, lauter ihre Reden auffangende und
alle ihre Handlungen beobachtende Spionen um
sich, ein verschuldetes oder durch Krieg und
andere Zufälle ruinirtes und entvölkertes Land
vor sich, und zweydeutige Leute von Ministers
etc. neben sich sehen müssen; die endlich in
hundert, auch guten, Sachen doch anders den-
ken, als ihre Väter und Vorfahren u. s. w.
So gewiſs alles dieses ist, so ein unlaugbares
(II. Band.) L
[162] Glück ist es vor jedes Reich, Haus und Land,
wenn die Kron- und Erb-Prinzen erst in reifen
Jahren zur Regierung kommen; erst über ihre
Amt und Pflichten nachdenken, erst warten
lernen müssen. Das Privilegium der Güldenen
Bulle, welches die Chur-Prinzen, und das gleich-
mäſsige einiger alt-fürstlichen Häuser, das die
Erb-Prinzen mit dem achtzehnden Jahr für re-
gierungsfähig erklärt, ist daher für die gesunde
Vernunft empörend und konnte nur aus dem
Gehirn eines herrschsüchtigen oder geldgeizi-
gen Reichs-Ministers kommen, da die Natur seit
Erschaffung der Welt keinen solchen Sprung ge-
than, um dem Knaben-Alter Manns-Weisheit
beyzulegen.
Wie ehrwürdig, ja Gott ähnlich, diese Tu-
gend einen Fürsten mache, zeiget sich endlich
in der Gedult, welche sie mit ihren Ministern,
Räthen und Dienern haben; wenn sie nicht nur
ihre Schwachheiten, Kränklichkeiten, Eigen-
sinn, Eigenheiten, Gemächlichkeiten, Träghei-
ten, Zerstreuungen, üble Launen u. d. g. um
ihrer übrigen guten und brauchbaren Eigenschaf-
ten willen ertragen, und sich das: Nihil hu-
mani a me alienum puto, auch in Anwen-
[163] dung auf diese gesagt seyn lassen, sondern
wenn sie in dieser Tugend so erstarken, daſs
ihnen Gedult zu haben endlich zu einer hei-
ligen Pflicht und Gewohnheit wird.
Diese schöne politische Ehestands-Tugend
erwirbt man aber nur in der Schule der Weis-
heit und langer geprüfter Erfahrung. Es wird
vielleicht bey einer andern Gelegenheit die Re-
de davon seyn können, was für Gedult wir
Untergebene unsers unterthänigen Theils mit
unsern allergnädigsten und gnädigen Herrn ha-
ben müssen; hier ist nur von Ihrer Gedult mit
uns die Frage, und da steht die Regel fest: Der
König, der Fürst, ist der Herr; und wir sind die
Frau, es sey nun pro mutuo adjutorio, oder
uns von ihm liebkosen oder plagen zu lassen.
Wann die Gedult überhaupt eine hohe Tugend
ist, so könnte man sie, in Hinsicht auf die Mi-
nisters, noch vorzüglich eine Königliche, eine
Monarchen-Tugen nennen; nicht zwar in dem
Sinn, wie der einfältige Ludwig XIII. in Frank-
reich, welcher an dem Cardinal von Richelieu
noch einen König über sich hatte, und daher
bey dessen Tod für Freuden ausrief: Gott lob!
nun bin ich wieder König. Denn gewöhnlich
wählen schwache Regenten noch schwächere
[164] Ministers, von denen sie nicht fürchten dür-
fen, übersehen zu werden, und suchen die Stär-
kern nur aus Noth; wohl aber wie sich ein
Deutscher Kayser manchmahl mit einem eigen-
sinnigen Reichs-Vice-Canzler, Reichs-Refe-
rendar, deren Ernennung nicht von ihm abhängt,
wie sich ein König in Pohlen mit seinem Con-
seil permanent, der in Schweden mit seinem
Reichs-Räthen schleppen muſste, oder wie Ca-
tharina II. in Ruſsland die ewigen Jalousien zwi-
schen ihren Generals und Ministern immer wie-
der ins Gleiche zu bringen suchen, oder ihren
treuen, aber phlegmatischen, Grafen Panin über
die wichtigsten Staatsgeschäfte fünf biſs sechs-
mahl wieder erinnern muſste; wenn er sich in
der Wahl seiner Ministers versieht, und hernach
mit Ehren, oder doch ohne Schande, Schaden
und Unbilligkeit, nicht wieder loskommen, und
am Ende gleichwohl, entweder, wie Ludwig
XIV. mit seinem Minister Arnaud*) durch-
[165] greifen, oder so lange mit ihnen wechseln muſs,
wie ein Kranker mit seinen Aerzten, biſs er
darüber stirbt; wenn er, wie in Engelland, ei-
nen Mann, den er persönlich nicht leiden kann,
gleichwohl zum Minister nehmen, und seinen
Königlichen Willen unter die Stimme des Volks
beugen muſs; wenn seine eigenen Grundsätze
mit denen seiner Ministers contrastiren; diese
ihm alles erschweren, wie dem K. Joseph II.
und er selbige doch nicht entbehren kann; wenn
er die besten Absichten hat, aber daneben Mini-
sters, denen es entweder an Stärke der Ein-
sicht und Klugheit oder an seinem eigenen Ver-
trauen fehlt; und was dieser Fälle unzählige
mehrere seyn können.
[166]
Es ist ein herzrührender Anblick, einen alten
König oder Fürsten und neben ihm seinen Grau-
kopf von Minister, einen Heinrich IV. und ihm
zur Seite seinen Sülly zu sehen; es ist erbau-
lich zu lesen, was Luther*) von einem ehe-
maligen Chur-Sächsischen Saatsdiener, der Al-
ters halben seinen Abschied forderte, erzählet.
„Friedrich von Thuna, Ritter„, sagt er, „ein
verständiger weiser Mann in Churfürst Friedrichs
zu Sachsen Diensten, verlangte endlich seinen
Abschied von seinem Herrn. Dieser antwor-
tete ihm aber: Lieber Thun, du siehest, daſs
Regieren ein schwer Ding ist, und ich bedarf
dazu geschickter Leute; ich kann deiner nicht
entbehren; wiewohl es dein Alter nicht länger
ertragen will, daſs du zu Hofe seyest, so must
du doch Gedult haben, gleichwie ich auch muſs
geduldig seyn. Denn wenn ich es nicht thun
will und du auch nicht, wer wills denn thun?
Darum kann ich dich nicht von mir lassen.
Es ist lieblich zu hören, wenn ein Fürst (wie
ich dieser Rede Zeuge bin) zu einem um sein
*)
[167] Haus und Land verdienten Minister spricht: Wir
sind alt miteinander worden; wir müssen bey-
sammen bleiben, uns kann nichts als der Tod
scheiden„. So zärtlich nahm auch K. Joseph
II. in seinen lezten Lebens-Stunden von sei-
nem Kauniz Abscheid, unter dessen weisen
Leitung Er selbst aufgewachsen war. Alles
übertrift aber an tiefer Weisheit eine Bemerkung,
die Friedrich II. in Preussen, als er noch Cron-
prinz war, in seinem Anti-Machiavell *) ge-
macht, von der man rühmen kann, daſs er der-
selben in dem langen Lauf seiner Regierung
meistens getreu verblieben sey: „Die Souve-
rains„, sagt er, „welche nicht Philosophen sind,
werden leicht ungedultig; sie ereifern sich leicht
über die Schwachheiten derer, so ihnen dienen;
sie beungnaden sie, und machen sie unglücklich.
Die Fürsten, welche tiefer nachdenken, ken-
nen die Menschen besser; sie wissen, daſs sie
alle das Gepräge der Menschlichkeit an sich
tragen; daſs nichts Vollkommenes in dieser Welt
ist, daſs grosse Eigenschaften gleichsam im
Gleichgewicht stehen mit grossen Fehlern, und
daſs ein Mann von Genie aus Allem seinen Vor-
[168] theil ziehen kann. Aus dieser Ursache behal-
ten sie, den einigen Fall von Untreue ausge-
nommen, ihre Ministers mit ihren guten und
schlechten Eigenschaften, und ziehen die, wel-
che sie einmahl haben, denen vor, welche sie
erst bekommen könnten; ungefähr so, wie ge-
schickte Musiker ein Instrument, dessen Stär-
ke und Schwäche sie einmahl kennen, lieber
spielen, als ein neues, dessen Güte ihnen noch
unbekannt ist„.
Sollte man zum Schluſs dieser Betrachtung
die Frage aufwersen: Ob die vorigen oder die
jezigen Könige und Fürsten mehr Gedult üben
müssen? so möchte die Wagschaale ziemlich
im Gleichgewicht stehen; die einigen Plagen
und Hudeleyen ausgenommen, welche vor Zei-
ten die Deutschen Könige und Fürsten, zum
Theil in schreklichem Maaſse, von den Päbsten
und der übrigen Clerisey zu erdulden gehabt
haben.
Wenn man aber die ungeheuren Lasten und
Sorgen im Ganzen überdenkt, welche alle Herr-
scher der Völker zu tragen haben, und anderer
Seits dagegen ansieht, wie leicht und gemäch-
lich sichs die meisten von ihnen machen; wie
[169] sorgenlos und lustig sie gröstentheils in den Tag
hinein leben, so wird wohl niemand so einfäl-
tig seyn, zu glauben, daſs Gott sie mit zwo
Portionen Seele begabt, oder daſs sie mit Her-
culischer Geistes-Stärke die Centner wie Lothe
wegzuschleudern wüſsten; sondern ehender
dringt sich der Gedanke auf: Daſs sie von dem
Schöpfer mit einer ausserordentlichen Unem-
pfindlichkeit, von der wir andere gewöhn-
liche Menschen nichts wissen, beschenkt seyn
müssen, und daſs würklich etwas Wahres daran
sey, was Friedrich II. in Preussen bereits im
Jahr 1741. dem ersten seiner Regierung, an sei-
nen damaligen Freund Voltaire geschrieben hat:
„Gott hat, wie mich dünkt, die Esel, die dori-
schen Säulen, und uns Könige, dazu geschaffen,
daſs wir die Lasten dieser Welt tragen sollen,
in welcher so viele andere Wesen zum Genuſs
der Güter bestimmt sind, die sie hervorbringt„.
Das letzte Lob unter allen, das man einem
König und Fürsten geben kann, ist, wegen des
dabey unterlaufenden greulichen Miſsbrauchs,
wenn man ihn groſs nennt. Es versteht sich
zwar von selbsten, daſs mit diesem Beywort
nicht die körperliche Gröſse angedeutet wer-
[170] de, indem einer ein Koloſs von Person und ein
Zwerg von Verstand seyn kann; sondern daſs
dadurch wahre und allgemein anerkannte Gei-
stes-Gröſse bezeichnet werden wolle. Da
nun Thatsache ist, daſs dergleichen Geistes-
Riesen überhaupt in der Menschheit selten sind,
und jedes Jahrhundert etwann ein Paar derglei-
chen hervorbringt, so ist eine selbstsprechende
Folge, daſs man mit dem Beynahmen: Groſs,
gegen Könige und Fürsten, zu allen Zeiten viel
zu freygebig gewesen sey.
Gröſse und Macht werden oft mit einander
verwechselt. Groſs sind alle Könige durch ih-
re Geburt oder Wahl; mächtig aber nur der,
der durch Klugheit seine innere Stärke weislich
zu benutzen weiſs. Man kann deſswegen groſs
seyn, aber nicht mächtig; hingegen kann man
auch zugleich groſs und mächtig seyn. In diese
Cathegorie gehört Alexander der Grosse, der
mit einem kleinem Heer andere noch grössere
Könige überwand; Friedrich der Grosse, der
sieben Jahre lang vielen andern mächtigern Kö-
nigen wiederstuhnd, und zulezt doch noch durch
einen rühmlichen Frieden siegte; Gustav Adolf
von Schweden, der mit einer Hand voll Leute
[171] die verbündete Oesterreichische und Spanische
Macht vor sich zittern machte.
Es giebt eine köstliche, unsichtbare, intensi-
ve, fast möchte man sagen, negative Gröſse,
wenn ein König oder Fürst über sein widriges
Schicksal sich selbst durch Gedult und Stand-
haftigkeit erhebt; in seinem Unglück durch Ge-
lassenheit und [Verläugnung] sich selbst zu be-
sitzen lernt. Es mag immerhin eine Ketzerey
seyn, getrost sage ich Hallern nach:
Wenn man zu wählen hätte, so möchte im-
mer wünschenswürdiger seyn, lieber gut als
groſs genannt zu werden; und es ist ein wah-
rer Gedanke, den der geistreiche Niemeyer
in einer seiner Schriften vorträgt: „Es ist das
Loos der Fürsten, derer wenigstens, die sich
über das Gemeine erheben, daſs meist das Zar-
te, Weiche, ihrer Empfindungen unter ihrer
Gröſse verlohren geht. Es ist vielleicht bey-
des in der Natur miteinander unverträglich, so
oft es auch in moralischen Betrachtungen, Lob-
reden und Lobgedichten, neben einander zu ste-
hen pflegt„.
[172]
Die Frau von Maintenon, die Frau, die so
lange an dem damahls glänzendsten Hof von
Europa lebte, schrieb sogar an ihren Freund,
den Herzog von Noailles*), voll Verwunde-
rung: A propos de tendresse, je ne puis oublier
la scene de Sceaux, ou nos Princes firent éclater
une si touchante les uns pour les autres; quoiqu’il
leur en ait couté, j’en ai été ravie: Je n’aurois
jamais cru, qu’on pût être Prince et sen-
sible.
Das Weiche, Zarte und Empfindsame möchte
endlich noch hingehen; man könnte es ihnen
noch gar schenken, weil ein Fürst neben sei-
ner Herzens-Güte auch fest seyn muſs, alle
Festigkeit aber an eine gewisse Härte gränzt,
wenn sie auch nicht so weit reichte, daſs er
dadurch in der Geschichte seines Hauses den
Beynahmen: Der Eiserne**), verdiente; doch
[173] daſs er noch menschlich sey, die Rechte des
Menschen kenne und in Ehren halte, seine
eigenen Pflichten übe, kein Despot, viel weni-
ger ein Tyrann, und am allerwenigsten Ver-
führer und Satan seines eigenen Volkes sey;
wenn er das Hirten-Recht, seine Schaafe zu
scheeren, nicht in die Kunst, sie zu schinden,
verwandelt; wenn er seinem Volk nicht nur,
durch Indianische Scalpier-Methoden, die Haut,
sondern auch das Blut abzieht, und so seinen
eigenen Staat, weil doch alles heut zu Tage
Staat heissen soll, zum Leichnam macht.
[174]
Den Ehren-Nahmen: Der Grosse, haben die
Könige vornehmlich den Bischöfen, den Mön-
chen und den Chroniken- und Annalen-Schrei-
bern in den Klöstern zu verdanken. Durch sie
haben wir Theodosius den Grossen, Carl den
Grossen, Otto, Constantin, und noch mehrere
andere Grosse bekommen, deren wahre Gröſse
sich aber zum Theil in einer Nuſsschale verber-
gen liesse. Je freygebiger ein König dieser
Zeit gegen die Kirche, die Klöster und Geist-
lichen war, je sicherer konnte er auf diesen
Nachruhm Ansprache machen; und konnte er
nicht just Magnus heissen, so wurde er doch
mit dem Lobspruch: Pius, beehret.
Nach ihnen folgten, oder zu ihnen gesellten
sich alle Gattungen von Schmeichlern und Lob-
lügnern. Je unverschämter, je hungriger ei-
ner war, je verschwenderischer war er mit
Austheilung seiner Lobsprüche, zumahlen bey
einem eitlen und ehrgeizigen Herrn, der sich
mit diesen Zephyrs von Lob nur um so gieri-
ger abkühlte, je mehr ihm sein inneres Bewuſst-
seyn sagte, wie wenig er es verdiene. So
fiel, um nur mit Einem Beyspiel das Gesagte
zu belegen, König Philipp dem IV. in Spa-
[175] nien, als er die Königreiche Portugall und
Catalonien nebst andern Provinzen verlohren
hatte, endlich noch ein, sich den Nahmen des
Grossen beylegen zu lassen; worüber der Her-
zog von Medina-Celi sagte: Unser Herr ist,
wie ein Loch; je mehr man davon wegnimmt,
je gröſser wird’s.
Man trift in der Geschichte ganze Reiche an,
deren Königen, so groſs sie immer waren, von
ihrem Volk dieser Ehren-Nahme doch niemahls
beygelegt worden ist; zu dessen Beweis die
neuere Englische Geschichte unter der wahr-
haft groſsen und weisen Königin Elisabeth die-
nen kann.
Noch weniger findet man Fürsten-Häuser,
denen die Stimme ihres Volks, oder die Geschich-
te, den Nahmen: Groſs, beygelegt hätten. Man
trift zwar unter ihnen häufig auf groſse Jäger,
groſse Trinker, groſse Schuldenmacher, etc.
Schwerlich würden sie selbst aber, und eben so
wenig andere, diese Gattung Lobes für eine Eh-
ren-Bezeugung aufnehmen wollen.
Die Stimme des Volks und der Geschichte
muſs einen König oder Fürsten, entweder noch
[176] bey seinem Leben, oder nach seinem Hingang
aus der Zeit, für groſs erklären.
Wer das gröſste Reich oder Land und die beste
und zahlreicheste Armee hat, ist nicht nur groſs,
sondern auch unter andern von geringern Kräf-
ten der Gröſste; deſswegen aber heiſst er noch
nicht der Groſse.
Doch ist heut zu Tag auch ein jeder Fürst,
so lang er lebt, groſs, den seine Hof-Dich-
ter, Hofleute, zuweilen auch die Hofprediger
und die Professoren auf Universitäten und Gym-
nasien dazu machen. Ist er todt, so machen
sie ihm, nach K. Josephs II. gewohntem Aus-
druck, alle aufs Grab.
Es ist ein, obgleich nur grammaticalischer,
jedoch wesentlicher Unterschied: Ob die Benen-
nung: Groſs, vor oder hinter dem Namen eines
Königs oder Fürsten steht; indem sonst ein
Miſsverstand und Doppelsinn daraus entsteht,
der sich nicht allemahl so vereinigen läſst, als
wenn man z. B. sagte: Friedrich der Grosse war
ein groſser Religions-Spötter; sondern es wür-
de daraus die Kezerey folgen: Daſs jeder von
Adel
[177]Adel gebohrner deſswegen [auch] ein edler
Mann sey, welchem Irrthum die kundbare
Erfahrung widerspricht.
Alle Könige und Fürsten haben insgemein
den Ehren-Nahmen: Groſs, nur durch Kriegs-
Ruhm, durch Kriegs-Glück, und durch persön-
liche militarische Talente erworben. Von Bey-
spielen, daſs ein Herr durch andere, noch so
wahre und glänzende, sein Volk beglückende,
Regenten-Tugenden, eine Ansprache auf diesen
Titel erlangt habe, ist mir wenigstens keins be-
kannt, noch erinnerlich.
Man kann es wohl nicht anders als einer Natio-
nal-Eifersucht zuschreiben, daſs zuweilen zween
zu gleicher Zeit lebenden Monarchen der Nahme,
der Groſse, beygelegt worden, deren Einer nach
höchstem Recht der Kleine genannt zu werden
verdient hätte. So giengs zwischen den Fran-
zosen und Oesterreichern; kaum hatten jene ihren
Ludwig XIV. als den Groſsen ausgeposaunt,
als diese mit ihrem Kayser Leopold nachfolgten,
an dem nichts Groſses nach Seel und Leib war,
als sein Phlegma und sein groſses Maul.
(II. Band.) M
[178]
Das Lobpreisen der Monarchen als Groſse ist
zulezt so gemein, so sehr miſsbraucht worden,
daſs es endlich gar keine Ehre mehr für sie
war, so genennt zu werden, und ihre Schmeich-
ler und Lobhudler auf andere Beynahmen sin-
nen muſsten, wenn sie nicht, wie gleich-
wohl von einigen geschehen ist, das Magnus
gar in Maximus verwandeln wollten. Daher
ist entstanden, daſs die Franzosen ihren Schwach-
kopf Ludwig XV. den Vielgeliebten nannten,
und aus Friedrich dem Groſsen in Preussen
Friedrich der Einzige wurde, unbeschadet
des Rangs, wenn noch ein Gröſserer, als Er,
nach Ihm käme.
Nachbarliche Gröſse erweckt Neid, Eifer-
sucht, Conflict der Macht, die sich gemeinig-
lich; und wenn nicht Klugheit oder Furcht das
Gleichgewicht der Schwerdter erhält, oder,
nach der neuesten Politik, der Gröſste und
Mächtigste den minder Groſsen und Mächtigen
bey dem groſsen Theilungs-Mahl noch mites-
sen läſst, endigt sich die Scene mit Gewalt.
So wahr bleibt noch immer, was Lessing*)
in einer andern Deutung gedichtet hat:
[179]
Oder, wie längst vor ihm Lucanus sang:
Ein mittelmäſsig groſser Mann wird den Mann
von der ersten Gröſse beneiden und verachten;
zween gleich groſse Männer werden sich beyde
Gerechtigkeit wiederfahren lassen. Dieses ha-
be ich irgendwo gelesen, ohne mich entsinnen
zu können, wo? Es ist deſswegen nicht min-
der wahr, auch von Königen und Fürsten.
In frischerm Andenken ist mir noch eine
Sentenz von Lavater*):
[180]
Mit der moralischen oder eingebildeten Titu-
lar-Gröſse geht es, wie mit der physischen
Gröſse. Sie schrumpft endlich ein. Der gröſste
Mann wird allmälig kleiner, je länger er lebt;
der Stärkste wird schwächer; ihre Empfindun-
gen, Gefühle, werden mit ihren Nerven und
Muskeln, welche bey Königen von Natur ge-
meiniglich schon hart sind, noch härter *), und
der Stolz, von aller Welt gefürchtet zu seyn,
verwandelt sich noch bey ihrem Leben in eben
so allgemeinen Haſs **); sie überleben sich
selbst, sinken von ihrer eingebildeten Gröſse
zu der Stufe gemeiner Könige herab, und endi-
gen zulezt damit, daſs sie, unter folternden
Gewissensbissen, wie Ludwig XIV. seinem
Urenkel, ihrem Nachfolger sagen müssen: Je
Vous avoue, que du côté de la guerre je ne Vous
ai pas donné de bons exemples. Ne m’imités pas.
[181] C’est la partie de ma vie et de mon gouvernement,
dont je me repens davantage†).
Der gedoppelte Mensch in einem Fürsten,
der Conflict der Moral und Politik, verdient
eine eigene und ernstliche Erwägung. Es kann
einer, versteht sich nach seiner Art, ein religio-
ser König seyn; er ist deſswegen noch kein
groſser König. Es kann einer ein frommer Bi-
schof und zugleich ein schlechter Regent seyn.
Was nun die subjectiven Eigenschaften des
Lobes betrift, so ist wohl die erste derselben:
Daſs die Sache, die man lobt, an sich wahr,
nicht nur halb oder von Einer Seite wahr sey.
Wenn also zwey Könige, die sich Jahre lang
mit aller Bitterkeit bekrieget, endlich Friede
mit einander machen und sich auf den Geist
der Eintracht, der sie wieder vereiniget und
dem Blutvergieſsen ein Ende gemacht, bezie-
hen, so ist dieses nicht wahr: Noth, Ohnmacht
und Entkräftung hat sie dazu gezwungen, ei-
nen erlogenen ewigen Frieden und erheuchelte
Freundschaft mit einander zu schlieſsen, biſs
[182] ein Theil wieder Kräfte genug gesammelt zu
haben glaubt, den andern wieder befehden,
berauben, oder doch überlisten zu können.
Wenn ein Fürst durch Jahre lange Bedrückun-
gen, und nach vergeblichen Bitten, Flehen,
Vorstellungen und Drohungen, sein an den na-
hen Abgrund des Verderbens gebrachtes Volk
endlich nöthiget, zu dem obristen Richter im
Reich und andern die Verfassung des Landes
garantirenden Mächten seine Zuflucht zu neh-
men, und er nach ebenfalls Jahre langen Kla-
gen, mühsamen Negotiationen und unermeſsli-
chen Kosten endlich gezwungen wird, sich mit
seinem Land zu vergleichen, und dieser Fürst
noch die Unverschämtheit so weit treibt, mit
seinen landesväterlichen Gesinnungen, als dem
edelsten Motif seiner Handlungen, prahlen zu
wollen, so ist es, aufs gelindeste gesagt,
nicht wahr.
Zu dieser Wahrheit gehört auch die Origina-
lität der Handlung selbst; es muſs nichts Nach-
geahmtes, von andern Copirtes, nichts Nachge-
äftes seyn.
Der Oesterreichische Fürst * * hatte die lächer-
liche Eitelkeit, alle die schönen Menschlichkei-
ten Kayser Josephs II. von denen er wuſste,
[183] in Mignatüre nachzuahmen, um es hernach in
den Zeitungen ausposaunen lassen zu können.
K. Joseph kam einst bey einer groſsen Ueber-
schwemmung der Donau den nothleidenden
Einwohnern in der Leopoldstadt, mit eigener
Gefahr, in einem Nachen mit einem Vorrath
von Brod zu Hülfe; gleich machte es sein fürst-
licher Affe auf seinem Dorfe nach; doch mit
dem Unterschied, daſs er sich wohl hütete, sein
eigenes theures Leben dabey der Gefahr aus-
zusetzen: Der nämliche Mann, der mit einem
seiner Beamten einen vieljährigen ungerechten
Prozeſs führte; den treuen Diener an den Bet-
telstab brachte, und ihn ins Armen-Recht sich
gerichtlich zu schwören nöthigte, endlich von
dem Richter selbst in mehrere tausend Gulden
Ersatz und Kosten verurtheilt wurde.
Viele dieser Lobs-Erhebungen sind bloſse
conventionelle und Canzleysprache, von wel-
cher weder die vor gute Bezahlung Räuchern-
den, noch die Beräucherten selbst, das wenigste
glauben. Von dieser Art Wind kann man sa-
gen: Er bläset, wie man will; und es mag lu-
stig zu lesen seyn, in den Fürsten-Diplomen,
die bey der Wiener-Reichs-Canzley vorher ein-
[184] zureichende sogenannte Merita eines Menzi-
kof, eines Orlow, eines Potemkins, die gräfli-
che Standes-Erhöhungen einer chur- oder fürst-
lichen Maitresse und ihrer Bastarte, die Lob-
gesänge des ihr Alter weit übertreffenden Ver-
standes in denen Volljährigkeits-Erklärungen
mancher fürstlichen Knaben, die Adelsbriefe vor
einen obscuren Ritter, dessen Voreltern, in
Ermanglung aller eigenen Verdienste, einst ge-
gen die Türken, als die Erbfeinde des christli-
chen Namens gefochten haben sollen, zu ver-
nehmen, und was dergleichen durch hergebrach-
ten Miſsbrauch privilegirte Unwahrheiten meh-
rere seyn mögen, welche nicht mehr Glauben
fordern oder verdienen, als wenn ein König
am Schluſs eines Schreibens sagt: Je prie
Dieu, qu’il vous aye dans sa sainte et
digne garde! Oder wenn ein Fürst ein Rescript,
worinnen er einen seiner. Diener abdankt, mit
der Versicherung unterschreibt: Daſs er ihm in
Gnaden gewogen bleibe; gerade so, als wenn
die Ministers eines kurzsichtigen Fürsten alles
gleichwohl seinem hocherleuchteten Ermessen
und hochvernünftigen Einsicht anheimstellen.
[185]
Das Lob muſs aber auch vernünftig, bil-
lig, gerechi und verdient seyn.
Ein so geartetes Lob erhöht bloſse Tempera-
ments-Eigenschaften nie zu Tugenden, die sich
allemahl, wenn sie dieses Namens werth seyn
wollen, auf eigene Anstrengung und erworbe-
nes Verdienst gründen müssen. So wird eines
Königs sanguinische Herzens-Güte überall ge-
priesen, welche andere ernstlichere Männer mit
eben so starken Gründen an ihm als eine groſse
Schwachheit tadeln, weil diese Güte ihn in die
Bande unwürdiger Günstlinge verschlungen und
dadurch zu manchen zweydeutigen und un-
rühmlichen Entschlüssen verleitet hat.
Man kann Temperaments-Fehler, Gebrechen
der königlichen Menschlichkeit, zumahlen wenn
man keinen Beruf dazu hat, sie aufzudecken,
verschweigen; bemänteln sollte sie ein wahr-
heitsliebender Mann nie; am allerwenigsten es
so machen, wie ein kriechender Hof-Prediger,
der bey der Taufe eines unehelichen fürstlichen
Kindes dessen zugegen gewesenem Vater das
dumme Compliment machte: Daſs Gott der All-
mächtige Ihro Hochfürstlichen Durchlaucht ho-
he Leibes-Kräfte fernerhin stärken wolle! d. h.
noch mehrere Bastarte zu erzeugen.
[186]
Zu einem vernünftigen Lob muſs auch ge-
rechnet werden, daſs es sich in die Zeiten
schicke, worinnen man lebt. Vor 200. Jahren,
wo der alte Spangenberg noch seinen Fluch-
und Sauf-Teufel schrieb; vor 150. 100. auch
noch vor 50. Jahren, wo auf das Heidelberger-
Faſs Medaillen geprägt wurden und der Sauf-
ruhm der Pfälzischen Höfe durch ganz Europa
erschallte, wo die Lehens-Becher zum Cere-
moniel und das Gesundheittrinken aus vollen
Bechern zur guten Lebensart gehörte, mochte
die Mäſsigkeit eines Fürsten ihm noch zum Lob
haben angerechnet werden können; heut zu
Tage würde man darüber lachen, denn die mei-
sten gnädigsten Herrn trinken ja alle Wasser,
höchstens ein Gläsgen ausländischer Weine oder
Liqueurs.
Sonst gehörte Fluchen und Schwören zum
guten Ton der Höfe; heut zu Tage würde man
sich dadurch verächtlich machen, und den ver-
spotten, der einen König darüber loben wollte,
daſs er nicht das beliebte Ventre saint gris
des Heinrich IV. nachahmen wollen.
Eben so verhält’s sich’s damit, wenn man ei-
nen König oder Fürsten wegen seiner Beschei-
[187] denheit in Kleidung rühmen wollte. Sonst wards
als Symbol der Vorzüge der Geburt und des
Standes geachtet, in Gold und Silber gekleidet,
gestickt und bordirt seyn; heut zu Tage geht
alle vornehme Welt entweder in militarischer
oder Hof-Uniform, oder gar in vorgeschriebe-
ner Amtstracht. Die Noth der Zeiten, die be-
ständigen Kriege, das Schuldenmachen der Gros-
sen und Kleinen, haben uns in kurzer Zeit so
kräftig simplificirt, daſs Bescheidenheit in Klei-
dung nichts mehr als nur Mode ist, und wir bald
vollends werden singen und sagen können:
Doch was ist, das bey unsern Göttern der
Erde noch mehr, als nur Mode wäre? Wahre
Tugend, wahre Grösse sind zu allen Zeiten
selten; Scheintugend, falsche Gröſse, gehören
zur gangbaren Mode. Alles ist bey uns nur
Mode, selbst die Art und Kunst zu regieren *).
[188] Die Herrn sind groſsmüthig, sind Menschen-
freunde, weils der Ton ihrer Zeit ist; ihre an-
gebliche Groſsmuth ist aber, beym Licht der
Wahrheit beleuchtet, nichts weniger als Edel-
muth, sondern Stolz und Selbstsucht. Ihre
vorgeprahlte Güte und Langmuth ist meisten-
theils Geistes-Schwäche. Ein Fürst mag im-
merhin sagen: Ich denke zu groſs, um mich
um das, was man von mir spricht, zu beküm-
mern; ich denke zu groſs, um das, was man
über mich schreibt, nicht zu verachten. Es
ist nicht wahr, wenn er so was von sich selbst
sagt. Bewuſstseyn seiner Härte, Stimme des
bösen Gewissens, Furcht vor noch mehrerer
Publicität, Furcht, das Murren eines gedrück-
ten und miſsvergnügten Volks nicht noch lau-
ter zu machen, Trotz auf seine Gewalt, Ver-
trauen auf seinen langen Arm ist es, der ihn
diese Sprache führen macht; und so lernt einer
vom andern, einer wird der Verführer des an-
dern, selbst des Guten und Bessern. So geht
dann das zarte innere Gefühl allmählig verloh-
ren, Kunst kommt an die Stelle der Natur:
[189]
und so erwächst dann die unseelige, sich alles
zu gut haltende und erlaubende, sich über al-
les hinwegsetzende jezt höfische so genannte
Zufriedenheit mit sich selbst, welche die
alten groben Theologen voriger Generationen
Fühllosigkeit, Verhärtung, Verstockung nannten.
So war es vor Zeiten nicht. Die Könige und
Fürsten hielten noch mehr auf ihren moralischen
guten Nahmen, sie fragten noch mehr nach dem
Urtheil der groſsen Welt, sie respectirten noch
die Stimme ihres eigenen Volks; sie waren we-
niger gleichgültig gegen dessen Liebe und Ach-
tung, weniger gleichgültig gegen die Meinung
und Hochschätzung ihrer Mit-Fürsten, sie
schämten sich noch. Wie hat sich noch, um
nur bey diesem einigen Beyspiel stehen zu blei-
ben, Kayser Maximilian I. über die auf ihn un-
ter dem Nahmen: Die Nachtigall, erschienene
Spottschrift gegrämt; wie hat er sichs angele-
gen seyn lassen, seinen guten Nahmen und Eh-
re vor aller Welt zu vertheidigen; mit was
für unzähliger Mühe hat er gesucht, den Ur-
heber dieser Spottschrift zu entdecken?
[190]
So wie an den Höfen, im Umgang der gros-
sen Welt, in der Politik, alles nur Mode und
Maske ist, so war es auch vorlängst mit der
Religion. Um einen so heiligen ehrwürdigen
Gegenstand nicht mit meinen profanen Worten
zu entweyhen, so sey mir vergönnt, es mit
den Worten zu sagen, welche die Frau von
Maintenon an ihren Freund, den Cardinal von
Noailles den 31. Jan. 1700. hierüber geschrie-
ben hat: La religion est peu connue à la Cour.
Au lieu de s’accommoder à elle, on veut l’accommo-
der à soi. On craint la lumiére, qui montreroit
trop de choses effraïantes. On en admet toutes les
pratiques exterieures; on en néglige l’esprit. Le
Roi ne manquera pas à une station ni à une absti-
nence; mais il ne comprendra point, qu’il
faille s’humilier, se repentir, se couvrir
du sac et du cendre, aimer Dieu plutôt que
de le craindre.
Was Wunder also, daſs auch das Lob, wie
so Vieles andere in der Welt, seine Moden
hat? Anstatt aber, daſs die Moden in der männ-
und weiblichen Kleidung immer mehr verein-
facht werden, so heiſst es bey den Lobs-Er-
hebungen, die freilich nicht so viel als ein neuer
[191] Anzug kosten, nur immer: Crescendo! Die
Obern kommen den Geringern mit ihrem Hoch-
muth, und diese jenen mit Kriechen, Schmie-
gen, Beugen und Bücken, immer auf dem hal-
ben Wege entgegen.
Die hohe Einfalt der alten Zeiten in Loben
und Wünschen, hat in meinen Augen eine natür-
liche Gröſse, und etwas sehr ehrwürdiges. Der
orientalische Gruſs: „Herr König! Gott verlei-
„he Dir langes Leben„! Wie lieblich!
Noch in spätern Zeiten ist das Meſs-Gebet:
Domine salvum fac Regem, das daraus entstande-
ne Englische Volks-Lied: God save the King,
der Ausdruck der herzlichsten und ehrerbietig-
sten Liebe.
Die aus den Römischen Schriftstellern zu uns
hergekommene Benennung: Divus, und der
aus den Münchs-Zeiten herrührende Ausdruck:
Sacra Regia Majestas ist durch den Gebrauch
so vieler Jahrhunderte so geweyhet worden,
daſs sich niemand mehr über jenes ärgert, und
bey diesem eigentlich gar nichts denkt; diejeni-
gen ausgenommen, die zunächst und unmittel-
bar dabey interessirt sind; da dann freilich man-
cher Cron- und Erbprinz von seinem in Gott
[192] ruhenden Vorfahren bey sich selbst sprechen
mag: Sit Divus, dummodo non sit vivus.
Vor zweyhundert Jahren begnügte man sich,
von einem verstorbenen Chur- und Fürsten zu
sagen: Unser lieber, oder frommer, seeliger
Herr; denn damahls waren viele von ihnen
noch lieb und fromm: Im vorigen Jahrhundert
wurden sie höchstseelig gemacht; heut zu
Tag heissen sie: Unser in Gott ruhender
Herr Vater, oder Oheim, höchstseeliger Ge-
dächtniſs, oder glorwürdigen Andenkens;
ohngeachtet alle Welt glaubt, daſs der Verstor-
bene an ganz einem anderm Ort als in Gott
ruhen mag, und sein Andenken, der Wahrheit
nach, eher schandreich als glorreich genannt
zu werden verdiente *).
Noch tief in das jezige Jahrhundert hinein
wuſste man von nichts anders, als von Für-
sten-Hut und Fürsten-Stuhl; heut zu Tag
ists Fürsten-Crone und Fürsten-Thron; kein
Wunder also, daſs die Reichsgrafen ebenfalls
nach-
[193] nachruckten und lieber Celsissimi und Er-
laucht genennt seyn wollten, und ihre Canz-
leyschreiber von dem Ländgen ihres Herrn als
von einem Staat sprechen.
Endlich ist zu unsern brodlosen und kriechen-
den Zeiten noch gar der gottesschänderische Aus-
druck: Unser angebeteter, unser Anbetungs
würdiger Fürst, dazu gekommen, und zuwei-
len an offenbar gottlose Fürsten verschwendet
worden; wie noch, bey Erzählung der Leichen-
Procession eines solchen kundbaren Despoten
in einer gewissen Zeitung geschehen ist. Am
schändlichsten und unverantwortlichsten ist,
wenn sogar ein Geistlicher, ein Diener des
Evangelii, sich zu einer solchen Abgötterey
erniedriget; in einer Leichen-Rede (wie mit
gedruckten Beweisen belegt werden könnte)
einem verstorbenen schlechten und bösen Für-
sten sein Lob noch vor die todte Füſse hinspeyt;
ihn im Angesicht des Nachfolgers, des ganzen
Hofs und einer zahlreichen Gemeine, seinen
angebeteten Fürsten nennt, ihn, der aus
Gottes Langmuth höchstens ein tolerirter
Fürst genennt werden konnte. So etwas ist
nicht nur ein Verbrechen der geschändeten
(II. Band.) N
[194]Wahrheit, sondern ein Verbrechen der be-
leidigten Nation und Menschheit, das eine
offentliche Rüge gegen einen solchen Elenden
verdient. Welche Begriffe müssen die Unter-
thanen von der Heiligkeit und Würde des Re-
genten bekommen, wenn der kundbar schlechte
und schlimme eben so, ja noch mehr gepriesen
wird, als der gerechte und gute! Welch heillo-
sen schädlichen Eindruck machen dergleichen
unwürdige Lobpreisungen bey jungen Fürsten!
Wie tief muſs aber selbst der Nachfolger, wenn
er nicht alles Gefühl von Ehre und Gewissen
verlohren hat, einen solchen niederträchtigen
Götzendiener und Speichellecker innerlich selbst
verachten! Was ist endlich von den Zuhörern
aller Stände zu halten, die einen Leichenredner,
der einen landkundigen Tyrannen wegen sei-
ner Gerechtigkeit lobt, anstatt ihn stracks von
der Canzel zu werfen, noch mit Gedult anhö-
ren mögen, wenn er auch gleich, zu Ehren sei-
nes schwarzen Rocks, nur mit tiefer Verachtung
als ein schaamloser Lügner gebrandmarkt wird?
Ein übertriebenes Lob ist, wenn nur etwas,
auch allenfalls der geringste Theil einer Hand-
lung, lobenswürdig ist. So ist es übertrieben,
[195] einen König wegen seiner Groſsmuth zu lo-
ben, der von einem feindlich überzogenen Land
nicht mehr nimmt, als es hat; der die Hälfte
der angesezten Brandschatzungen nachläſst, weil
er vorher wuſste, daſs das Land nicht Vermö-
noch Credit genug hatte, die andere Hälfte auch
noch aufzubringen. Das hieſse einen Löwen lo-
ben, der nur gebissen und nicht zerrissen und
gefressen hat. Uebertrieben wäre das Lob eines
Fürsten, ihn als ein Muster ehelicher Treue
vorstellen zu wollen, dessen Gemahlin und
Maitresse fast zu gleicher Zeit ins Kindbett ge-
kommen. Doch wer wird alle Categorien mög-
licher Uebertreibungen hererzählen? So lobte,
um auch davon Ein Beyspiel anzuführen, ein
armer Schlucker den friedfertigen König Fried-
rich I. in Schweden, als einen groſsen Helden.
Der gute König lachte des unverdienten Lobes
und sagte hernach zu seinen Hofleuten: Ich
weiſs am besten, was ich für ein Held bin; in
meinem ganzen Leben habe ich eine Bataille
bey Speyerbach geliefert, und bin tüchtig ge-
schlagen worden.
Ueberhaupt gehören dahin alle Pleonasmen
von Beywörtern des unvergänglichen Lobs
von einer oft pappedeckelnen Dauer, des un-
[196] sterblichen Nachruhms von einer ephemeri-
schen Ewigkeit, und was zu dergleichen Spin-
newebenzeug mehr gehört.
Das ungeheureste, übertriebenste Lob, das
einem Regenten im ersten Jahr seiner Regie-
rung an Kopf geworfen worden, ein Lob, das
sich nur auf unvollkommene Anfänge, unreife
Vorsätze und bloſse Hofnungen gründete, ist
das, welches Sonnenfels in der ersten acade-
mischen Vorlesung *) nach dem Tod der Kay-
serin Königin Maria Theresia, über ihren Thron-
folger auf eine Weise herausposaunte, welche
diesem alle Schmeicheleyen so aufrichtig has-
senden Monarchen und jedem billigen verstän-
digen Mann eckelhaft, ungereimt und abge-
schmackt seyn muſste. Ja, eckelhaft ist, wie
dieser mit so vielen Wohlthaten von Marien The-
resien überhaüfte und bey ihrem Leben sie ver-
götternde Mann, diese von so vielen Seiten des
unvergänglichen Lobes würdige Fürstin zu ei-
nem alten aberglaübigen Weib herabsetzt; wie
er über Fremde, denen Oesterreich so unend-
lich viel zu danken hat, loszieht, und K. Joseph
darüber in Himmel erhebt, daſs er nun blos mit
[197] seinen eigenen Ochsen pflügen wolle; wie er
Anstalten, die gleich in ihrer ersten Geburt er-
stickten, in vollendete Thaten verwandelt; wie
er, gegen das bessere Wissen von ganz Europa,
„Bescheidenheit als einen characteristischen
Zug in der Oesterreichischen sittlichen National-
Physiognomie„ herausstreicht, und, kraft eben
dieser Bescheidenheit, andere Deutsche wie
Zwergen gegen die Wiener-Riesen behandelt,
und was des Winds, den man freilich an die-
sem Mann gewohnt ist, mehr ist. Von Rezer,
Sonnenfelsens Schüler, Anbeter, und der Heraus-
geber dieser Vorlesung, fühlte das Uebertriebene
dieser Prahlereyen selbst so stark, daſs er sie
in der kleinen Vorrede dazu mit der Licenz ei-
nes Redners und Dichters bemänteln will; bil-
lig sollte aber ein solches die Jugend nur mit
Einbildung und falschem National-Stolz aufblä-
hende Gewäsche von Obrigkeits wegen verbo-
ten, und dem Redner, bey reiner Wahrheit zu
bleiben, befohlen werden; wobey Liebe, Ver-
ehrung und Dank gegen einen guten und wei-
sen Regenten immer mehr gewinnt, als wenn
man ihm Plane und Handlungen andichtet, die
er weder je gehabt, noch weniger bereits er-
füllet hat. Das Drolligste bey diesem ganzen
[198] Bombast ist, daſs sich der einbildische Mann
zulezt in die Brust wirft und sagt: „Ich wi-
derstehe nicht, mir in der Anwandlung eines
schmeichelhaften Selbstgefühls zu sagen: Du
hast diese Veränderung von der Zeit deines
angetretenen Lehramts wenigstens vorhergese-
hen; du hast von diesem Lehrstuhle — wenig-
stens mehrere Tausende vorbereitet, die nun
die Gröſse der Wohlthaten, welche der Monarch
seinen Unterthanen bestimmet, in ihrem gan-
zen Umfange zu empfinden fähig sind„. Der
Kayser mag wohl selbst nicht gewuſst haben,
einen Propheten in seiner Residenz zu besi-
tzen; und das Wenigste, was er zur Würdigung
eines solchen Manns hätte thun können, war
wohl, nach dem tödtlichen Hintritt des groſsen
Kauniz, den Professor zum Staats-Canzler
zu machen.
Ein Lob, zumahlen über gleichgültige Sachen,
oder Kleinigkeiten, muſs, wenn es nicht seinen
Werth verlieren soll, nicht zu oft erschei-
nen. Einen Fürsten zu loben, daſs Er sich
gut kleide, gut zu Pferde sitze, u. s. w. hört
auch wohl ein verständiger Herr einmahl mit
Wohlgefallen an; eine beständige Wiederhoh-
[199] lung macht lästig, und stellt den, der nichts
anders Lobwürdiges vorzubringen weiſs, als
einen Pinsel oder faden Schwätzer dar. Glei-
che Beschaffenheit hat es mit allen bloſsen cör-
perlichen Vorzügen der Schönheit, guten Mine
und Bildung *), ausserordentlichen Stärke, oder
gar, wie vom Prinzen Absalon, langen Haar-
wuchses, wodurch sich nur ein schwacher oder
eitler Egoiste geschmeichelt finden kann.
Ein Lob muſs ferner nichts Zweydeutiges
haben, keiner doppelten oder schiefen Deutung
fähig seyn.
So lobte ein nun verstorbener alter Ober-Hof-
Marschall seinen Herrn, einen geistlichen Chur-
fürsten, gegen mich, wegen seiner exemplari-
[200] schen Mäſsigkeit, mit den Worten: Er behilft
sich täglich mit sechs Maaſs Wein; welches
vielleicht noch im vorigen Jahrhundert an die-
sem Hof eine Tugend gewesen war.
Einem auf seine oberflächliche Bücher-Kennt-
niſs eingebildeten eitlen Reichsfürsten ward vor
einigen Jahren bey Besuchung der kayserlichen
Bibliothek in Wien von ihrem Aufseher das ver-
meintlich groſse Compliment gemacht: Er sey
so gelehrt, wie ein Professor! welches denen
ihn begleitenden Prinzen zu einem muthwilli-
gen Gelächter Anlaſs gab.
Ein armer hungriger Kandidat, der eine Pfar-
re suchte, überreichte dem verstorbenen Für-
sten von Waldeck, der die Parforce-Jagd lei-
denschaftlich liebte, in der besten Meinung ein
Gedicht, das sich anfieng:
und bekam, statt der gehoften Pfarre, die
Antwort:
Von dieser Art ist auch das beissende Epi-
gramm, das auf K. Friedrichs II. in Preussen
Vorliebe und Anhänglichkeit an Voltaire und die
[201] übrigen Franzosen gemacht worden, dessen An-
fang mir aber entfallen ist:
Ingleichen das spätere:
Ein erbeteltes, ein erkauftes Lob, eine
Bestechung zum Loben ist, wenn ein König
oder Fürst einen Mann, den er zu seinen Ab-
sichten dienlich findet und dessen Empfänglich-
keit nnd Reizbarkeit er im Voraus versichert ist,
mit Höflichkeiten, Distinktionen, Ehren-Bezeu-
gungen, auch wohl mit wohl ausgesonnenen
Geschenken, auszeichnet, um durch sein Or-
gan sich Freunde an seinem Hof, vornehmlich
aber durch ihn sein eigenes Lob ausposaunen
zu machen. Wie viele politische Wunderwer-
[202] ke sind auf diesem Wege durch eine zu rech-
ter Zeit und mit guter Art angebrachte Taba-
tiere, durch einen Ring, durch etliche Ellen
Band, durch einen der Frau absichtlich ver-
schaften Vorzug, durch eine höfliche Unterre-
dung und Herablassung *), ja durch einen Blu-
[203] menstrauſs schon zuwegen gebracht worden!
Und wenn man einerseits sich selbst nicht ver-
hehlen kann: Wie sich oft die gesetztesten, ge-
scheutesten Leute durch dergleichen Künste fan-
gen lassen können und mögen, so muſs man
andererseits eben so sehr darüber erstaunen:
Wie so leicht es den Göttern der Erde ist, die
Herzen der Menschen zu gewinnen!
Ludwig XIV. in Frankreich in seinem Jahr-
hundert, Friedrich II. in Preussen und Cathari-
na II. in Ruſsland, in dem ihrigen, haben in die-
sem Manövre und dessen glücklichen Gebrauch
alle Könige in Europa längst übertroffen, wo-
*)
[204] von die auffallendsten Beyspiele und deren Wür-
kungen, wenn es nicht schon allgemein be-
kannt wäre, angeführt werden könnten.
Man könnte mit gutem Grund in diese Classe
auch alles gewöhnliche Zeitungs- und Journa-
listen-Lob rechnen. Welche Encyclopedie von
Dünger würde es geben, wenn man den Lob-
Mist auch nur von einem Jahrgang beysam-
men hätte.
Was ein unverschämtes und eben dadurch
eckelhaftes Lob sey, das würde der gewe-
sene Studtgardter-Professor, Scheideman-
tel*), wenn er noch am Leben wäre, am be-
sten erklären, als welcher in einer akademi-
schen Oration den anwesenden Herzog Carl von
Würtenberg so unmäſsig lobte, und so unver-
schämt über alle groſsen Männer der vergange-
nen Zeiten hinaussetzte, daſs dieser Fürst, der
[205] doch sonst eine gute Portion Lob vertragen
konnte, in edlem Unmuth selbst ausrief: Nein!
das ist zu arg.
Vor mehr als tausend Jahren sang schon ein
Dichter:
Dummodo sit dives Barbarus ille, placet.
So wird es nach uns zu allen Zeiten bleiben;
nur daſs auch die Unverschämtheit im Loben
mehr modernisirt, vergoldet, versilbert oder
wenigstens überfirniſst wird. So hat man noch
vor Kurzem das berühmte englische Volkslied:
God save the King, in einer deutschen metri-
schen Uebersetzung auf einen deutschen Für-
sten, der sich einer solchen Beatification gewiſs
nicht vermuthen konnte, applicirt. Zum Glück
wars nur in einer Comödie; Comödianten und
Dichtern aber ist, nach dem Sprüchwort, we-
nigstens im Loben, alles erlaubt.
Geht man aber in die ältern Zeiten zurück,
so kann man sich vollends keinen Unsinn den-
ken, der nicht durch den Aberglauben der fin-
stern Jahrhunderte auf die Rechnung des Lobes
der Könige und Fürsten gesetzt worden wäre.
Dahin gehört der verjährte Wahn, daſs ein Kö-
nig von Frankreich durch das bloſse Anrühren
die Kröpfe vertreiben könne. Zum Glück wa-
[206] ren die Erfinder dieses Mährgens so gescheut,
ihre Könige dabey die Worte sprechen zu
machen: Der König rührt euch an; Gott
heile euch. Die alte National-Eifersucht zwi-
schen Frankreich und Oesterreich lieſs nicht
zu, daſs die Könige in Frankreich sich dieses
hohen Vorzugs allein zu rühmen haben sollten;
daher kam ein anderer schlauer Kopf auf die
Entdeckung: Daſs, wenn ein Erzherzog von
Oesterreich einem Kropfigten ein Glas Wasser
reiche, solcher davon genese. Der Einfall war
so schlimm nicht, wenn die Vorsicht dabey ge-
braucht worden, das Wasser über gebrennten
Schwamm filtriren zu lassen, durch welches
Hausmittel vorgeblich Kröpfe, wenigstens bey
Hunden, warum nicht auch bey leibeigenen
Bauren? geheilt werden sollen. Das Seiten-
stück von dieser Kropfcur ist die eben so wun-
dersüchtige Sage: Daſs, wenn ein Herr aus dem
Hause Oesterreich einen Stotterer küsse, ihm
die Zunge dadurch gelöst werden soll; wel-
che Gabe aber wahrscheinlich mit Erlöschung
des alten Habsburgischen Stamms gleichfalls ab-
gestorben ist.
Keine Miſsgestalt, kein Natur-Fehler ist so
groſs, so sichtbar und auffallend, daſs daher
[207] nicht Gelegenheit zu Lobserhebung der Könige
und Fürsten wäre genommen, oder doch jene
Ungeberden wären bemäntelt und entschuldiget
worden. Ein solcher Lobhudler, Nahmens
May*), hat sogar den Prinzen des Hauses Oester-
reich ihr langes Kinn und groſse Lippen als einen
Beweis ihrer Gottesfurcht, Beständigkeit und
Aufrichtigkeit angerechnet. Da nun, durch Ein-
pfropfung des Oesterreichischen auf Lothringi-
schen Stamm, die, wahrscheinlich von der
berühmten Margaretha, genannt Maultasche,
herrührenden groſsen Lippen in eine schönere und
regelmäſsigere Gesichtsform verwandelt wor-
den, welche Ungereimtheiten würden daraus
folgen, wenn man den Schluſs machen wollte,
daſs mit dem Verlust der groſsen Lippen auch
die Oesterreichische Gottesfurcht, Beständigkeit
und Redlichkeit verlohren gegangen seyen!
Ein närrisches Lob war, um nur ein Bey-
spiel davon anzuführen, als der Burgermeister
[208] eines kleinen Waldeckischen Landstädtgens Kay-
ser Carl VI. auf seiner Durchreise nach Engel-
land und Spanien, nach damaliger Zeit Sitte, mit
einer Anrede complimentiren wollte, und nach
den gewöhnlichen Titeln von: Allerdurchlauch-
tigster, Groſsmächtigster etc. mit eins aus sei-
nem Text in den christlichen Glauben kam,
und fortfuhr:
„Allmächtiger Schöpfer Himmels und der Er-
„de„. Der gütige Monarch antwortete: Zu viel,
zu viel! Und damit hatte die Oration noch vor
ihrem Anfang ein Ende.
Es giebt ein, wie man es so nennen könnte,
negatives Lob, das man Fürsten, wegen frey-
willig oder gezwungen unterlassenen Handlun-
gen beylegt; in welcher Kunst die ehemaligen
Leichen-Redner vorzügliche Meister waren.
So lobt man einen Herrn wegen seiner Spar-
samkeit und guten Wirthschaft, weil es ihm
an Geld und Credit fehlte, länger ein Ver-
schwender und Schuldenmacher zu seyn; ei-
nen andern Fürsten wegen seiner musterhaften
Keuschheit, weil die Sünde ihn wider seinen
Wunsch und Willen verlassen hat; wegen sei-
ner christlichen Gelassenheit, weil ihn seine
mächtigere Feinde von Land und Leuten gejagt
hatten; wegen seiner Unterwerfung in den
göttlichen Willen, weil er zwischen vier Mau-
ren eingesperrt war, u. s. w. Manches von
allem
[209] allem diesem kann ganz oder zum Theil wahr
seyn; es kann ein Fürst durch eigene Noth,
Schuld und Schaden, oder durch erschütternde
Beyspiele seiner Vorfahren und Agnaten wo
nicht gründlich gebessert, doch gewitzigt wor-
den seyn. Wenn man aber von jener innern
geänderten Gesinnung keine probhaltige Beweise
hat, so ist es immer am Besten, lieber gar zu
schweigen, und es Gott, dem Herzenskündiger
und eben so gerechten als barmherzigen Rich-
ter aller Menschen zu überlassen, als ein unbe-
dachtes und ungeprüftes Lob zu verschwenden.
Wie vieles wäre nun noch von der eigentli-
chen Seelen-Krankheit der Könige und Für-
sten, von ihrer Lob- und Ruhmsucht, Ehrbe-
gierde, Ehrgeiz, von ihrer Selbstliebe und Ei-
genlob zu sagen, und mit Thatsachen, mit ihren
eigenen, ungezwungen und ungekünstelten,
aus den innersten Drang und innigsten Gefüh-
len ihres Herzens geschöpften Bekenntnissen,
zu belegen und eben dadurch ganz anders zu
beweisen, als man es in denen übrigens viel
Gutes, Schönes und Wahres enthaltenden, ge-
wöhnlichen moralischen Schriften findet. Ein
verständiger Baumeister, wenn er auch plan-
mäſsig nach seinem Riſs arbeitet, läſst immer
das Fundament sich erst setzen, ehe er mit dem
Ueberbau eilt; ein weiser Arzt überladet seine
Kranken nie mit Arzneyen und ist Diener der
(II. Band.) O
[210] Natur, aber nicht ihr Stürmer. In allen Fällen
dieses Lebens, selbst auch im Dienst der Wahr-
heit, muſs man das: Modice sapere, üben
lernen, und das alte Wort: Reden hat seine Zeit,
und Schweigen hat seine Zeit, niemahls ver-
gessen.
Es mag also, besonders zu unserer jezigen
Zeit, wo sich die Könige und Fürsten selbst un-
ter einander in die Wette loben, und von andern
biſs znm Eckel blind, taub, stumm und todt
gelobt werden, an diesen Prolegomenen genug
seyn; weiter zu gehen, führte nur auf Vesu-
vischen Boden, vor dessen verschlingenden
Lava zwar manchmahlen ein zeitiges Fliehen
sichert, die heisse Asche aber schon die Fersen
des Wanderers versengen könnte.
Vom Loben der Todten, vom Loben der Ge-
lehrten, in ihren Reden, Schriften und Gedich-
ten, vom Loben der Könige und Fürsten durch
Monumente, Innschriften, Kupferstiche und
Münzen, könnte villeicht auch manches gesagt
werden, das wenigstens amüsirte, wenn es auch
nicht besserte; man muſs aber auch andern was
übrig lassen, und, nach einem alten deutschen
Sprüchwort, aufzuhören wissen, wann’s einem
am besten schmeckt; welches besonders, bey
jeziger allgemeinen Theurung, immer noch zur
practischen Lebens-Weisheit gerechnet wer-
den könnte.
[[211]]
VIII.
Vermischte Bemerkungen
über
Könige und Fürsten.
[[212]][[213]]
1.
Was der Kayser, als Richter im Reich, seyn
sollte und nicht allezeit ist.
Der Kayser sollte der Beschützer und Beschir-
mer jedes rechtschaffenen deutschen Mannes
seyn. Jeder gewissenhafte Fürstendiener, wenn
er im harten Kampf gegen unehrbare, Land
und Leuth verderbliche Zumuthungen und An-
stalten, endlich weichen, oder gar unterliegen
müssen; wenn er von der Rotte der Bösen ge-
drückt, verfolgt, miſshandelt, beschädigt wird,
sollte zu diesem Hüter der Gesetze, zu diesem
Richter der Fürsten, mit Zuversicht seine Zu-
flucht nehmen, und thätige Hülfe, Rettung,
Entschädigung verhoffen können. Diſs würde
der Sclaven weniger machen, hingegen den
Muth so mancher unter geheimen Druck und
Noth seufzender Biedermänner stärken und ent-
flammen, vor Tugend, Recht, Gesetz, Wahr-
heit und das allgemeine und besondere Vater-
[214] land mehr zu wagen, als, leider! je länger je
weniger geschieht. Statt dessen bleibt dem
gedrückten, verfolgten und leidenden Mann
nichts übrig, als mit dem Stab in der Hand und
den Acten unterm Arm nach Wien zu wandern;
um Justitz zu schreyen und zu betteln; sich
von einer Thür zur andern weisen und abwei-
sen, mit stolzem Blick anklotzen und zum Lohn
seiner Tugend mit spottendem Hohnlachen ab-
fertigen zu lassen. Klagen mag er dann, das
wird ihm freilich nicht verwehrt; das ist’s aber
auch alles, und der ganze Zuschnitt dieser Krebs-
und Schnecken-Justiz löst sich in der alten
Fabel auf: Daſs es so lange währt, biſs der
Müller, das Kind oder der Esel, stirbt. Hat
der Leidende in seinem Ministerial-Dienst vol-
lends das Unglück gehabt, sich dem Kayserli-
chen Hof miſsfällig zu machen, so kommt Kunst
der phlegmatischen Natur der Reichs-Justiz-
Pflege vollends zu Hülfe, und der Leidende mag
sich immerhin gefaſst machen, bey Ueberge-
bung seiner ersten Klagschrift sich zugleich
seine Grabstätte in Maria-Hülf oder einer andern
Vorstadt zu bestellen.
Sage man nicht: Der Richter ist nicht nur an
die Gesetze, sondern auch an die Form der Ge-
[215] richts-Verwaltung gebunden; er kann sich kei-
nen Vorwürfen, oder gar einem Recurs an den
Reichstag darüber aussetzen; kann nicht eilen,
wo er nur gehen darf; und was der leidigen
Tröstungen und vermummten Entschuldigun-
gen mehrere sind. So spricht nur ein Richter,
wenn er nicht ernstlich helfen will; die
ganze vernünftige Welt hält aber einem Arzt
nicht nur erlaubt, sondern als Pflicht, ein hi-
ziges Fieber anders, als ein Quartan-Fieber
zu heilen.
So war’s sonst nicht; hingegen war das Kay-
serliche Richteramt auch in gröſserer und würk-
samerer Verehrung und Ansehen, als jezo, und
als es je länger je weniger werden wird; und
das mit Recht. Wie kann ein Richter Respect
und Liebe fordern, der dem Guten, der zu ihm
flieht, nicht hilft, und den Bösen, der vor ihm
zittern sollte, nicht straft?
Ein Minister mag immerhin ein kundbarer Bö-
sewicht, mag immerhin das Werkzeug des Ver-
derbens seines ganzen Landes seyn; wenn’s zwi-
schen Herrn und Land zur Klage beym Reichs-
Hofrath kommt, geht er nicht nur frey aus,
sondern, wenn er die Vorsicht gehabt hat, sei-
nen Herrn in der Abhängigkeit des Kayserlichen
[216] Hofs oder vielmehr des Hauses Oesterreich zu
erhalten, kann er noch über diſs auf dessen
besondern Schutz Rechnung machen. Der
von andern Höfen zweimahl weggejagte, nichts-
würdige Würtembergische Minister, Montmar-
tin, ward nach seiner letzten Dienst-Entlas-
sung nicht nur mit dem Kayserlichen Geheimen
Raths-Character behängt, sondern noch den
Sächsischen Fürstlichen Höfen als Gesandter
aufgedrungen; hingegen mein Vater, der Wort-
führer der Landstände, bey denen über seine
grausam harte Vestungs-Gefangenschaft von
seinen Principalen am Reichshofrath geführten
Klagen, nicht nur fünf Jahre lang hülflos gelas-
sen, sondern noch von dem damaligen Reichs-
Vice-Canzler, Fürsten Colloredo, auf angebli-
chen Befehl Kayser Franzens I. nach Wezlar
geschrieben: Daſs wenn etwa von uns Kindern
an dem Reichs-Cammer-Gericht Klagen und
Schreyen um Justitz angebracht würden, sol-
che unterdrückt werden sollten. Auf ernstli-
ches und drohendes Andringen der die Wür-
tembergische Landes-Verfassung garantirenden
Königlichen Höfe, erfolgte endlich den 6. Sept.
1764. der Reichshofraths-Schluſs: Den Gefan-
genen seiner fünfjährigen Haften unverzüg-
[217] lich zu entlassen. Der in ganz Deutschland als
ein Justitz-Mäckler bekannte, längst vor ei-
nem höhern Richter stehende, damalige Referent
knüpfte aber noch die leichtfertige Clausul daran:
„Wofern sich sämtliche von den Landständen
angezeigte Umstände angebrachter Maaſsen ver-
halten sollten„; als ob man diſs nicht binnen
fünf Jahren hätte erfahren können; als ob es
nicht die erste Pflicht des Referenten gewesen
wäre, vor allem andern das Factum in allen
seinen begleitenden Umständen aufzuklären?
Wenn nun der Herzog Carl sich an den Buch-
staben der Reichs-Hofräthlichen Verordnung
gehalten hätte, würde er eine gleiſsnerische
von dem Hof-Publicisten verfaſste Paritions-
Anzeige übergeben, zu gleicher Zeit aber eine
Untersuchungs-Commission zu Erörterung
der angeblichen Klagen niedergesetzt haben,
welche dann als eine im Fürsten-Recht ge-
gründete ordnungsmäſsige Anstalt von dem ge-
wissen- und gefühllosen Referenten eben wohl
würde gebilliget, die Commission selbst aber
zehen, zwanzig oder hundert Jahre hinaus
gezerrt worden seyn, inmittelst der ehrwür-
dige Patriot in seinem Felsennest hätte schmach-
ten und verschmachten können. Der Herzog
[218] war aber gerechter, als seine Richter. Er hätte
sich auch gegen die Königliche Höfe noch lan-
ge mit allerhand Ausflüchten behelfen können;
sein Gewissen sprach aber stärker, lauter mit
ihm, als der Reichshofrath; er entlieſs, ohne
von jener Clausul Gebrauch machen zu wollen,
den Unschuldigen, und vergütete in den nach-
folgenden 20. Jahren seines langen Lebens die
ehemalige Härte durch hundertfache Beweise
von Reue, Güte, Vertrauen, Achtung, und Ihm,
und seinen im Würtembergischen angesessenen
Kindern und Kinds-Kindern, bewiesene Wohl-
thaten.
2.
Gott behüte uns vor dem Original!
[219]
3.
Fürsten-Generationen.
Adam zeugte einen Sohn nach seinem Bilde.
So gehts durch das ganze Menschen-Geschlecht;
so sind auch die Fürsten-Generationen, durch
ganze Geschlechts-Reihen hindurch. Manch-
mahl bleibt von der Art der Mütter, von ihrem
Phlegma, von ihren Capricen, von ihrer Gut-
müthigkeit, u. s. w. was hangen. Das giebt
dann Spielarten, zwischen welchen aber das
eigene des Stamms immer hervorsticht.
Als die Schwedischen Reichs-Stände im Jahr
1633. nach dem Tod ihres groſsen Königs, über
die Thronfolge der weiblichen Descendenz be-
rathschlagten und endlich eins wurden, daſs die
Tochter Gustavs, Christine, den Thron bestei-
gen sollte, fieng ein Mitglied des Bauren-Stands,
Lorenz, an, zu fragen: Was ist das vor eine
Tochter von unserm König? Wir wissen von
keiner, und haben sie nie gesehen. Die gan-
ze Versammlung fieng darüber an zu murren;
der Land-Marschall antwortete dem Zweifler
aber: Ich will sie Euch weisen, wenn Ihr sie
sehen wollt. Die Prinzessin wurde darauf her-
beygehohlt, und den Bauren, besonders aber dem
anglaubigen Lorenz gewiesen, der sie dann ge-
[220] nau betrachtete, und endlich in die Worte aus-
gebrochen: Ja sie ist es leibhaftig; das
ist die Nase, das sind die Augen, das
ist die Stirne von unserm Kônig Gustav.
Sie soll unsere Königin seyn*).
Diese genealogische Feuer-Probe dürfte man
heut zu Tage nicht überall mit gleicher Zuver-
sicht anstellen.
4.
Barometer der Fürsten-Natur.
Es heiſst fast bey allen Fürsten, die über ihre
60. Jahre hinaus sind: Initium fervet, me-
dium tepet, finis friget, und das Ende ist
gemeiniglich: Sie fahren ihren Vätern nach, und
sehen das Licht nimmermehr. Sie überleben sich
selbst, und ihr Geist vermodert bey lebendigem
Leibe. Friedrich II. war eine Ausnahme, deren
jedes Jahrhundert etwa ein Paar aufzuweisen
hat; wie viele Seelen, möchte man sagen, wohn-
ten aber in diesem Einem? Gemeiniglich ver-
modern ihre alte Diener mit ihnen; der ganze
Gang der Geschäfte erschlafet, und allmälig wird
[221] ein lebendiges Castrum doloris aus der gan-
zen Regierung.
5.
Physiognomisches Fragment von D. Luthern.
Luther speiste einst bey seinem Herrn, Chur-
fürsten Johann Friedrich zu Sachsen; und Her-
zog, nachheriger Churfürst Moriz, als ein noch
junger Herr, war mit an der Tafel. Der Chur-
fürst fragte Luthern: Was er von diesem Vet-
ter halte? Luther sah’ Morizen scharf an, und
gab hernach, aus vielleicht unbekanntem Triebe,
die Antwort: Der Churfürst soll zusehen,
daſs er nicht einen jungen Löwen aufzöge;
worauf dieser erwiederte: Ich hoffe das Be-
ste. Der Erfolg dieser Weissagung ist allge-
mein bekannt.
6.
Herzog Ludwig Eugen von Würtemberg
gestorben 1795.
Von dem in seinem 64. Lebens-Jahr, nach
einer nur anderthalbjährigen kurzen und kraftlo-
sen Landes-Regierung, plötzlich verschiedenen,
Herzog Ludwig Eugen von Würtemberg, konn-
te man mit vollem Recht das Wort des Taci-
tus wiederhohlen: Major privato visus, dum pri-
[222] vatus fuit*), et omnium consensu capax imperii,
nisi imperasset**).
Von seiner Hof- und Staats-Dienerschaft und
der dabey bewiesenen Wahl und Klugheit aber
kann man mit eben so vielem Recht das Wort des
Tacitus nachsprechen: Amicorum libertorumque
ubi in bonos incidisset, sine reprehensione patiens,
si mali forent, usque ad culpam ignarus.
7.
Ich werde mich nicht, wie mein Bruder
Carl, behandeln lassen.
Als König Jacob II. in Engelland 1685. zur Re-
gierung kam, hielt er in seinem Rath eine wohl
ausstudirte Rede, worinn er in sehr abgewoge-
nen Ausdrücken versprach, die Nation und die
Kirche bey ihren Rechten und Freiheiten zu schü-
zen. Die Geistlichen waren die ersten, die auf
ihren Canzeln das Lob derselben ausposaunten;
und einige giengen so weit, zu sagen: Die Ge-
setze selbst können uns nicht so groſse Sicher-
heit geben; denn wir haben das Versprechen
von einem König, und zwar von einem solchen
[223] König, der noch nie sein Wort gebrochen hat.
Die Universität zu Oxford versprach in ihrem
Glückwunsch-Compliment: Ihm ohne Einschrän-
kung und Vorbehalt zu gehorchen. Nur auf
diese Art zu reden, konnte man seinen Hof bey
ihm machen. Die Leute, welche sagten: Sie
zweifelten nicht, daſs er die durch die Reichs-
Gesetze festgestellte Religion aufrecht halten
würde, machten sich dadurch schon verdächtig,
der königlichen Autorität zu nahe treten zu wol-
len; und eben deſswegen empfand es der König
sehr übel, daſs die Geistlichkeit der Stadt Lon-
don in ihr Glückwunsch-Compliment einfliessen
lieſs: Daſs ihre durch die Grundgesetze befe-
stigte Religion ihnen lieber als ihr Leben sey.
Auch währte es nicht lange, daſs sich der Kö-
nig öffentlich erklärte: Daſs er sich nicht wie
sein Bruder Carl behandeln lassen würde,
und keine Personen um sich leiden wolle,
als die ihm blindlings und in Allem zu die-
nen sich entschliessen könnten*).
[224]
8.
Der würdige Fürst.
- Eine Schilderung in des Chur-Pfälzischen Kir-
chen-Raths, Herrn Kaibel, Jubel-Rede bey
dem Beschluſs der funfzig jährigen Regie-
rung Churfürstens Carl Theodor zu Pfalz-
Bayern. Den 31. Dec. 1792.
Ich denke mir in der Person eines würdigen
Fürsten einen Mann, der es sich zur heiligen Ge-
wissens- und Herrscherspflicht macht (unbescha-
det seiner eigenen Ueberzeugung, die eines jeden
Erdensohnes erstes Heiligthum bleibet, sobald
er über sich und seine Bestimmung nachdenken
kann), nicht nur der Religion, zu der sich
der gröſste Theil seiner Untergebenen bekennet,
Gerechtigkeit wiederfahren zu lassen,
und ihre Bekenner gegen jeden Eingriff auf
ihre Besitzungen, Gerechtsamen und Frei-
heiten zu schützen; sondern, der auch als
ein Beförderer der edlen Freiheit zu denken,
zugleich eine jede gröſsere oder kleinere Ge-
sellschaft duldet, die friedsam ihres Glau-
bens leben will; wenn die Glieder derselben
nur die Geschäfte und Pflichten thätiger und
ge-
[225] getreuer Bürger des Staates gewissenhaft erful-
len. Befohlne, vom Throne her begünstigte
blinde Anhängigkeit an hergebrachte Mei-
nungen, ist eine fruchtbare Mutter der Heuche-
lei und Unredlichkeit. Druck, oder gar Ver-
folgung, solcher die gern ihres Glaubens leben
möchten, erzeugt Miſsmuth und Abneigung.
Beide sind wie mich dünkt, als Fesseln des
menschlichen Geistes, für den, der sie anlegt,
und für diejenigen, welche sie tragen müssen,
gleich entehrend, und können in ihren Wirkun-
gen sehr gefährlich werden. Die wahre Reli-
gion muſs Alles auf Gottes- und Menschen-
liebe zurükführen. Hier gelten keine Zwangs-
gesetze, sondern lediglich die Stimmung der
allgemeinen Menschennatur; in deren Besitze,
der Fürst einem jeden, der denken, glauben und
empfinden kann, so lange das Recht lassen wird,
zu denken, zu glauben und zu empfinden, wie
auf den Verstand und das Herz eines jeden ge-
wirket wird, biſs er beweisen kann, daſs sein
Verstand übermenschlich sey, oder daſs er ein
mehr als menschliches Recht habe, auch da zu
gebieten, wo die Kraft des menschlichen
Geistes über jedes Gesetz erhaben ist!
(II. Band.) P
[226]
Verzeihet mir diese Anmerkung, 1. Z! die ei-
ne ganz richtige Folge deſs, wie ich glaube, eben
so richtigen Gedankens war, daſs die Verfas-
sung in der ein Fürst lebt, wenn sie anders
nicht in sich selbst nachtheilig ist, den Gang
seiner Verordnungen zum möglichsten
Wohlstande derselben leiten müsse. Es
wird mir jezt leicht den Werth der Regierung
eines solchen Mannes, in einer kurzen Schilde-
rung darzustellen.
Er wählt die einsichtvollsten, geprüfte-
sten Männer, an seiner Seite über das ge-
meine Beſste zu rathschlagen, und macht ih-
nen, so gewiſs er dasselbe will, offene Gerad-
heit und Uneigennützigkeit zur ersten ih-
rer Pflichten.
In den Aemtern seiner Herrschaft harren, von
ihm genau beobachtete Pfleger der Ge-
rechtigkeit auf genaue Vollziehung seiner
Befehle; und zählen auf seine Unterstützung
und mächtige Hilfe, so oft sie die Sicherheit
und Wohlfahrt des Landes, im Kampfe mit ei-
gensinnigem Vorurtheile, uneigennützig su-
chen. Sie wissen, ihr Gebieter schlafe nicht —
und sind bereit, sich wachend finden zu lassen,
[227] so oft er Rechenschaft von ihrem Haushalten
fodert.
Vor seinen Augen gehet das wahre Ver-
dienst nicht unbemerkt, in kleinmüthiger Ver-
borgenheit. Kaum zeigt sich ihm der Werth
desselben, und dem Verdienstvollen ist seine
Stätte bestimmt, auf welcher er leuchten und
segnen kann.
Dem niedern Landmanne zeigt er zweifache
Vaterhuld. Er kennt den Ackerbau, und des
emsigen Bauern mühvolle Arbeit, als die Grund-
lage des allgemeinen Wohlstandes und sei-
ner eignen Macht und Gröſse. Je ergiebi-
ger der Boden ist, dessen Herr er heiſst; desto
sorgfältiger sinnet er auf Anstalten, die Frucht-
barkeit desselben zu erhöhen und zu verviel-
fältigen. Er befördert den Anbau noch nicht
gekannter werthreicher Produkte, damit der
unverdroſsne Fleiſs durch zweifachen Ertrag
vergolten werde. Und damit den Pflanzer
die Hoffnug seines Pflanzens nicht trüge,
indem er arbeitmüde schläft, schaffet der für des
Landes Wohl wachsame Fürst, nicht nur die Hin-
dernisse des Gedeiens weg, die den Saaten,
wie die Pestilenz dem Menschen, im Fin-
stern, Verderben drohen; sondern er ermuntert
[228] auch von Zeit zu Zeit, den sich vorzüglich
auszeichnenden Landmann, durch ein ehrenvol-
les Denkmal seines Fleisses; damit der Belohnte
für die Menge, die mehr durch Beyspiel, als
durch Belehrung geleitet wird — ein beglü-
ckendes Muster der Nachahmung werde.
Den Segen anderer Länder, auch in dem sei-
nigen durch Umtausch einheimisch zu machen,
und zugleich den Werth der Erzeugnisse seines
Landes zu erhöhen, begünstiget der weise Fürst
die Handlung, und giebt dem Handelsmanne,
auch mit Verzicht auf eigenen Gewinn, ansehnli-
che Freiheiten. Er errichtet solche Fabriken,
durch welche die Produkte des vaterländi-
schen Bodens verarbeitet, und so mit zweifa-
chem Gewinne dem Auslande dargeboten werden.
Wenn schon das Aeussere der Wohnung,
in der des Landes Herrscher thronet, sich durch
Kunstfleiſs von der Hütte des Landmannes, von
dem Wohnhause des Bürgers unterscheiden
muſs, so ist es ihm gewiſs auch nicht gleich-
gültig, ob der Aufwand der auf diesen Pracht,
von den Schätzen seines Landes verwendet
wird, wieder auf dasselbe zurükströme — oder
Fremden zu Theil werde. Er stiftet Pflanzstät-
te der Künste, damit das Kunstgenie in der
[229] Nähe Nahrung finde; ohne sie mühselig und
mit vielem Aufwande in der Ferne suchen zu
müssen. Gedeihet ein Künstler unter den Schaa-
ren seiner Kinder, dann lohnet denselben sein
vorzüglicher Beifall; und das Innere des Fürsten-
hauses, ist des Fleissigen Stolz und Belohnung.
Er ruft die Weisheit aus der Ferne, damit
sie dem Vaterlande leuchte, und seine Kinder
ihre Wege lehre, Mit fürstlichem Aufwande,
sammelt er die Hilfsmittel zur Aufklärung, da-
mit in jedem Fache der Wissenschaften und
Kenntnisse, ihr wohlthätiges Licht alle Stän-
de seines Volkes bestrale. Ihm grauet vor ei-
nem erleuchteten Volke nicht — weil er das
Licht nicht scheuen darf.
Ohne Neid sieht er Andere, Welttheile beherr-
schen; Schaaren vor dem Schwerdte despoti-
scher Eroberer zittern. Ihm genüget seines Lan-
des Heil; seiner Kinder Freude und Liebe. Darum
sucht er den Frieden als das sicherste Mittel,
jeden Segen, den sein weises liebevolles Herz
dem Volke zugedacht hat, das ihn als Vater
ehrt, zu erhalten und dauerhaft zu machen.
[230]
9.
Der unter die Hand Gottes sich tief beu-
gende Fürst.
Herzog Friedrich Ulrichs zu Braunschweig
Regierung fiel in die Zeiten des dreyssigjähri-
gen Kriegs. Sein Land war mit kayserlichen
Truppen besetzt; am Reichs-Cammer-Gericht zu
Speyer verlohr er einen Proceſs nach dem an-
dern, und das von Kayser Ferdinand II. im Reich
publicirte und mit Gewalt der Waffen vollzo-
gene Restitutions-Edict bedrohte ihn mit dem
Verlust eines nahmhaften Theils seiner Lande.
Von seiner in dieser Lage bewiesenen Fassung
nun meldet sein Leichen-Redner: „Durch sol-
che widrige Schicksale ward das Gemüth des
Herzogs sehr gebeugt. Denn als er einsmahls
Ao. 1629. am II Sept. seinen Hofprediger Tu-
ckermann die Worte Davids 2. Samuel 15. 25. 26.
Werde ich Gnade finden vor dem Herrn,
so wird er mich wieder hohlen; spricht er
aber: Ich habe nicht Lust zu dir, siehe,
hie bin ich, er machs mit mir, wie es ihm
gefällt! abhandeln gehört, hat er alsbald nach
der Predigt an ihn geschrieben: Er hätte heut
einen solchen Trost aus seiner Predigt geschöpft,
[231] daſs, so es Gottes Wille wäre, ihm das Land,
und auch die Festung Wolfenbüttel nicht länger
zu gönnen, so wollte er wohl zufrieden seyn;
und sollte ihm das Land zur Seeligkeit schaden,
so begehre er’s nicht, sondern wolle sein Ge-
müth zum ewigen Gut setzen„.
10.
Der fragende Fürst.
Im Deutschen Museum des Jahrs 1783. I. Band
S. 482. sind etliche läppische, kindische und un-
gereimte Fragen aufgezeichnet, welche der kö-
nigliche Schwachkopf, Ludwig XV. in Frank-
reich an seinen neuen General-Controlleur Sil-
houette, an den venetianischen Botschafter, und
an den als Sieger von Port-Mahon zurück gekom-
menen Marschall von Richelieu gethan. Ich
könnte, wenn es mir anstühnde, ein Dutzend ähn-
liche Fragen von regierenden, oder doch regie-
ren sollenden, deutschen fürstlichen Schwach-
köpfen daneben stellen; es mag aber an der
wichtigen, jenen Erzählungen angehängten Leh-
re genug seyn. Sie lautet also:
„Edler Jüngling, der du einst deine Kräfte
dem Staat widmen willst, laſs dich dieses
nicht niederschlagen. Suche deinen Lohn
[232] in dir selbst und in dem Beyfall weniger wah-
ren Edlen, und mache dich stark, auch al-
lenfalls Fragen, wie diese, auszuhalten„.
11.
Der fürstliche Bier-Wirth.
Heut zu Tag fällt keinem Menschen mehr was
Arges darüber ein, wenn die fürstliche Cammern
auf den Meyereyen und Domanial-Höfen Bier
zu feilem Verkauf brauen lassen, ja wohl die
Unterthanen in gewissen Bezirken dahin gebannt
und gezwungen werden, ihre Haus-Consumtion
in dem fürstlichen Brauhaus zu hohlen. Daſs
man vor 200. Jahren noch anders darüber gedacht
und diese Bier-Wirthschaft unter der Würde
eines Fürsten gehalten habe, beweist nachfol-
gender Auszug eines von Kayser Rudolf II.
Dato Prag den 4. Aug. 1579. an Herzog Julius
zu Braunschweig erlassenen Reichs-Hofräthli-
chen Rescripts *):
„Ferners als auch unter andern deren von
Braunschweig Beschwer-Articuln nicht der we-
nigst ist, daſs Ewr. Liebden auf Deroselben
Amt-Haüsern zu feilem Kauf Bier brauen
[233] läſst: Ob dann wohl solcher Punct deswegen,
daſs ein und der ander Theil den in Anno 69.
aufgerichten Vertrag für sich angezogen, durch
die Subdelegirten nicht vergleicht werden kön-
nen, sondern zu anderer Erörterung ausge-
stellt werden; dennoch aber und dieweil Wir
aus aller Handlung und Umständen so viel ver-
merken, daſs eben dieser Artikul, nebst obbe-
rührter Land-Zolls-Beschwerung, derjenige ist,
welcher den armen Gemeinsmann und Burger-
schaft, als dem seine Nahrung durch solch
Bierbrauen merklich abgestrickt wird, am
allermeisten zu Gemüth gehet und denselben ganz
unwillig und schwürig macht, danebenst auch
erwägen, was Ewr. Liebden theils in berühr-
tem Vertrag für Erbietens geschehen, nemlich:
Daſs Dieselbig den Städten und Unterthanen zu
Verfang nicht brauen lassen wollte, und daſs da-
gegen die von Braunschweig die Rechtfertigung,
so sie solches Brauens halben gegen weiland
Ewr. Liebden Vatern angestellt gehabt, gutwillig
widerrufen und aufgehebt; so will Uns bedün-
ken, es wollte der Verstand, den Ewr. Liebden
bey beyden Handlungen aus dem Vertrag bey
dem Wort: Haushaltung, einzuführen und
zu erzwingen unterstanden, ungeachtet da die
[234] Wort: Zu feilem Kauf in Specie nicht dabey
stehen, nicht statt haben, sintemal dieselbig
dem angeregten Erbieten, auch Ewr. Liebden
selbst fürstlichem Stand und Wesen, bey de-
nen das Bierbrauen zu feilem Kauf und
dergleichen Handlungen nicht allein unge-
wöhnlich, sondern auch etwas verkleiner-
lich, ganz zuwiderlauft, auch danebenst so
viel Andeutung giebt, daſs die von Braunschweig
ihren Proceſs umsonst und vergeblich hätten fal-
len lassen. Derowegen Wir dann nicht allein für
billig, sondern auch Ewr. Liebden theils für’s
best und rühmlichst hielten, Ewr. Lieb-
den hätte, als Wir Sie dann darzu hiemit ganz
gnädiger Wohlmeinung wollen ermahnet haben,
hierinnen mehr Ihr selbst fürstlich Her-
kommen und Stand, als etwann aus berühr-
tem Bierbrauen habenden Nutzen und Er-
trag in Acht genommen: Dabey auch ange-
sehen die beschwerliche Zeiten und der armen
Leut Dürftigkeit, und zu was Ungedult und
Schwürigkeit sie daher leichtlich bewegt wer-
den möchten; und darum zu Erhaltung guten
gehorsamen Willens, und Verhütung allerley
Klagen und Weitläuftigkeit, angeregt Brauen
zu feilem Kauf eingestellt, und dem armen
[235] Burgersmann, wie von Alters herkommen, zu
Gewinnung seines täglichen Brods gutwillig ge-
lassen werde„.
12.
Der dicke Fürst.
In dem Schloſse zu Anspach befindet sich ein
Portrait, auf dessen Rückseite man folgendes
lieset: „Der Durchl. Fürst und Herr, Herr
Georg Friedrich Marggraf zu Brandenburg etc.
etc. ist in Gott hochseel. verschieden am Oster-
dienstag den 26. April 1603. ein Viertel Stund
vor 10. Uhr Vormittag, und den andern Tag
hernach aufgeschnitten worden; dessen Leber
hat gewogen 5. Pf. die Lunge 4. Pf. das Herz
1 ½. Pf. das Milz fünf Vierling. Der Magen ist 2.
Spannen und 3. Zwerchfinger lang gewesen, und
hat 6. Maas in sich gehalten. Der ganze Leib
hat 4. Centner gewogen, und ist 7. Schuh’ lang
gewesen. Scripsit den 8. May, 1603.„
Welch’ ein Landes-Vater!
13.
Die Kron- und Erb-Prinzen.
Landgraf Ernst Ludwig zu Hessen-Darmstadt
hatte noch in seinem hohen Alter die Gewohn-
[236] heit, aus dem Gebet-Buch, das er von seiner
Jugend an gebraucht, sein Morgen-Gebet mit
lauter Stimme abzulesen. Sein Sohn und Nach-
folger, Ludwig der VIII. stuhnd einst mit sei-
nem Liebling von Mümigerode an der Thüre
des Cabinets, und wartete, biſs der Herr Vater
mit seinem Morgen-Seegen fertig seyn würde.
Indem sie ihn behorchten, betete der alte 74.
jährige Fürst: Ach Herr! nimm mich nicht
weg in der Hälfte meiner Tage! Der Erb-
prinz stieſs seinen Freund an, und sagte: Hörst
du, Mümigerode, was mein Vater betet?
Ich muſs noch lange Erb-Prinz bleiben.
Ein anderer Erb-Prinz sagte: Gott weiſs,
daſs ich meines Herrn Vaters Tod nicht
wünsche; ich weiſs aber auch vor den Teu-
fel nicht, wie ein Mensch so lang leben
mag. So, just so, denkt auch sein Sohn; und
so wird’s auf den Enkel und Ur-Enkel fortgehen.
„Sein Sohn (es ist von dem Sohn eines sehr
reich gewordenen Banquier die Rede) ist ein
braver guter Mann, der unendlich mehr weiſs,
als der Vater, aber nicht, wie er, fortschreitet;
nicht die Ordnung in seiner Sache hat; nicht
zunimmt, wie er; und die Söhne von diesem
[237] thun es noch weniger. Sie sind schon gewöhnt,
nach der Weise zu leben, wie man nun in der
Welt lebt; sie sind schon gebohrne Herrn,
und ein gebohrner Herr ist meistentheils
nichts„.
Iselin*) fügt der Erzählung dieser kleinen
Geschichte die Bemerkung bey: „Dieser Ge-
danke von dem gebohrnen Herrn schien mir
sogleich überaus auffallend, und seither habe
ich ihm oft nachgedacht. Er hat mich insbe-
sondere auf eine Betrachtung geführt, die mir
für die Erziehung sehr wichtig scheint; die
zwar nicht neu ist, die aber nicht genug ge-
macht oder genützt wird. Es ist diese, daſs
die Groſsen und die Reichen alles ersinnliche
thun sollten, ihren Kindern zu verbergen, daſs
sie gebohrne Herrn sind. Nichts in der Welt
hat so viel zu dem Unglücke unzähliger Men-
schen und zu dem Umsturze der blühendsten
Häuser Anlaſs gegeben, als das frühe Bewuſst-
seyn der angebohrnen Herrschaft, und die Er-
wartung eines Wohlstandes, der nicht erwor-
ben und nicht verdient werden durfte. Mir
däucht deſshalben, es sollte einer der ersten
[238] Erziehungs-Grundsätze bey reichen und vor-
nehmen Leuten seyn, ihren Kindern alle Aus-
sichten von Reichthümern und von hohem Stan-
de verborgen zu halten„. — — Weislich setzt
er aber hinzu: „Dieses ist freilich nicht so leicht
auszuführen, als zu wollen. Allein es ist schon
ein beträchtliches erhalten, wenn man die Noth-
wendigkeit davon einsieht„.
[239]
Wann man die Jugend- und Buben-Streiche
unserer Königs- und Fürsten-Söhne mit der
Aufmerksamkeit, wie von den alten Geschicht-
schreibern geschehen, sammelte, so würde man
sich in den Weissagungen über den Character
unserer Cron- und Erb-Prinzen weniger, als
geschieht, betrügen; von dem künftigen Glück
oder Unglück ihrer Regierung richtiger prophe-
zeyen und sich manche ihrer Regenten-Hand-
lungen daraus erklären können. Ein König, in
diesem Jahrhundert gebohren, der einen sehr
gähzornigen Vater hatte, und von seiner Gou-
vernante einst gezüchtigt worden war, ver-
steckte sich in ein Camin, brachte sie und das
ganze Schloſs über den vermeinten Prinzen-
Raub in Angst und Schrecken, und fertigte, nach-
dem er endlich gefnnden und über seine Tücke
ausgeschmält war, seine Hofmeisterin damit ab:
„Papa, dir den Kopf abhauen, daſs du mich
[240] verlohren hast„. Das sagte der Knabe von vier
Jahren.
Ein anderer König, dem in seinen Jünglings-
Jahren das peinliche Recht erklärt wurde, war
immer mit einem: Kopf ab! zur Hand, lachte
und pfiff dazu.
Ein Erb-Prinz von 3. Jahren, der zween Spiel-
Cameraden zur Gesellschaft hatte, schlich sich,
wenn sie den Rücken wandten, hin und riſs
die Saiten ihrer kleinen Geigen entzwey, machte
Löcher in ihre Trommeln, und freute sich mit
schadenfroher Bosheit, wann die unschuldigen
Kinder darüber Verweise und wohl gar, nach-
dem der Muthwillen arg war, Schläge beka-
men. Dieses Kind wird im künftigen Jahrhun-
dert die Liste der kleinen Tyrannen vermehren
helfen.
Lavater*) schrieb einst an eine in ihrer
Kinder-Zucht zu ängstliche Mutter: „Der Haupt-
fehler dünkt mich immer, daſs Sie Ihre Kinder
für schwächer halten, als sie sind. Sie können
sich besser regieren, als Sie glauben; und Sie
thun in keiner Absicht wohl, wenn Sie ihnen
ihre
[241]ihre Regierung aufdringen. Eben das ewige
Zurechtsetzen, als ob sie sich selber nicht zu
rathen und zu helfen wüſsten, macht sie so-
dann trotzig und Joch abwerfend„. Ein wich-
tiges Wort, das man nicht nur allen Prinzen-
Hofmeistern empfehlen, sondern auch manchem
Minister über seinen Herrn ins Ohr sagen möchte.
14.
Er studirt, wie ein Herr.
D. Selneccer meldetin der dem löblichen Chur-
fürsten August von Sachsen Ao. 1586. gehalte-
nen Leichen-Predigt: Es redet der fromme
Churfürst dermaleins seiner Hofprediger einen
an, der bey Seiner Churf. Gnd. Sohn, Herzog
Alexandern gottseeliger Gedächtniſs, gewe-
sen und fraget ihn: Wie studiert mein Sohn?
Derselbe aber, als er geantwortet: Wol, Gott
dem Herrn ist zu danken; hält Seine Churf.
Gnd. weiter an: Ey, saget nur recht zu.
Er wiederum demüthigst gesagt: Gnädigster
Churfürst, ich danke je Gott; es läſst sich
alles wol an, ob er gleich studiert, wie
ein Herr. Darauf der hochlöbliche Churfürst
angefangen zu lachen und gesagt: Das ist ein
(II. Band.) Q
[242]gute Antwort. Wolan er soll kein groſser
Doctor werden; er soll mir aber gleichwol
ein Catechismus-Doctor werden, sonst
töchte (taugte) er nichts zum Herrn.
15.
Von dem Studio deutscher Prinzen der Lan-
des- und Staats-Geschichte ihrer Häuser *).
„Ausser der Reichs-Historie ist einem Reichs-
Fürsten auch die Landes-Historie gar sehr von-
nöthen und in der That fast unentbehrlich. Denn
gleichwie ein Fürst aus der Reichs-Historie
erlernet, wie er sich gegen dem Kayser und
Reich, dem Exempel seiner Vorfahren nach,
aufzuführen: Also giebt ihme die Landes-Ge-
schichte darinnen ein nöthiges Licht, wie er
sich bey allen vorfallenden Gelegenheiten ge-
gen seinen Landes-Ständen, Prälaten, Herren,
Rittern, Landschaft, Bürgern und Städten, und
diese gegen ihme als Landesherrn zu verhalten.
Und weil ein Landesfürst mit dergleichen Ver-
richtungen alle Tage zu thun, da hingegen die
Reichs-Sachen nur dann und wann fürkommen,
so kann auch jeder leichtlich erkennen, warum
[243] ihme diese Landes-Historie nöthiger, als die
Reichs-Historie selbsten sey. Weil aber der-
gleichen Sachen kein ordentlicher Informator
versteht, als der nur etwa die Genealogie des
Hauses und andere gemeine Dinge aus der Hi-
storie des Landes zusammenklauben und vor-
tragen lernet; so wäre wohl zu wünschen,
daſs einer von seinen ältesten und der Landes-
Sachen erfahrensten Räthen sich die Mühe gä-
be, oder von dem Herrn daraus ersehen würde,
diese Landes-Geschichten dem Prinzen selb-
sten zu erklären und beyzubringen; in mehre-
rer Erwegung, daſs hiezu die beste Hülfe aus
der täglichen langen Erfahrung und aus dem
Archiv zu nehmen. Im übrigen, so viel den
Nutzen zur Sittenlehre anbelangt, solches mag
man wohl dem gemeinen Informator lassen,
davon aber in manchen Häusern mehr böses,
als gutes angerichtet wird; indem zu dieser
Lehre auch die alte Hofleute kommen, die sich
mehr erinnern, was dieser oder jener von den
fürstlichen Vorfahren vor Maitressen gehabt;
wie viele Banquete und Gastmahle er ausge-
richtet, wie viele Humpen Weins er auf seinen
Leib genommen, wie viele Hunde er gehalten
und wie manches Wild er gefället; was er vor
[244] einen reichen Aufgang in Küchen und Keller
gehabt und was er etwann sonsten vorgenom-
men, davon sie ihrem Prinzen, ihren Passionen
nach, die Folge wünschen, als was er im Land
und Staat nützliches und löbliches ausgerichtet.
So hat man wohl aus der Erfahrung, daſs man-
chen Prinzens Gemüth durch die Historie sei-
nes Hauses mehr auf böse Thaten verleitet und
verdorben, als zu etwas Gutes gebracht worden.
Die Häuser Oesterreich und Brandenburg
haben hier etwas zum voraus, weil die allermei-
sten Herren in denselben tugendhaft gewesen„.
Dieser Predigt eines alten politischen Pädago-
gen noch ein paar historische Bemerkungen bei-
zufügen, so ist mir wissend, daſs Kayser Jo-
seph II. vorzüglich in der pragmatischen Ge-
schichte seines Hauses, besonders der neuern
Zeiten, unterwiesen werden sollte. Das Unglück
wollte, daſs diese Arbeit dem Staats-Secretario,
Baron von Bartenstein, aufgetragen wurde,
der zu dieser Zeit das ganze Vertrauen der Mo-
narchin besaſs; denn unter den Ministern war
freilich kein Seld, Granvella oder Harrach
mehr, der Zeit, Kenntnisse und Geschicke dazu
gehabt hätte. Bartenstein schrieb also einen
[245] dicken Folianten zusammen, worinnen sein Le-
ben und vermeintliche Thaten das Hauptwerk
ausmachten, dem billig noch ein zweiter Band,
so die Geschichte seiner politischen Fehltritte
enthalten hätte, von einer bessern Meisterhand
hätte nachfolgen sollen. Joseph II. muſste also
auch hierinn thun, was er in allem andern that:
sich selbst unterrichten, sich selbst bilden und
die Resultate sammlen, die ihm zwanzigjähriges
An- und Zuschauen gewährte.
Das Haus Brandenburg hat an seinem gros-
sen König Friedrich II. einen Geschichtschreiber
aufzuweisen, der so original, als der König
selbst, ist. Nun bleibt mir noch der Wunsch
übrig, daſs uns oder unsern Nachkommen die
von dem Monarchen selbst bearbeitete Staats-
Geschichte seiner langen und glorreichen Re-
gierung noch geliefert, und seinem vortreflichen
Minister von Herzberg so viel Muſse zu Theil
werde, die statistische innere Länder-Geschich-
te, wovon derselbe einige köstliche Fragmente
mitgetheilt, in ihrem weiten Umfang wenig-
stens zu entwerfen *).
[246]
Das fürstliche Haus Hessen-Cassel hat an
seinem jezigen Regenten einen aufgeklärten
und einsichtsvollen Kenner seiner Staats- und
Landes-Geschichte; und die Arbeiten, welche
Wilhelm IX. noch als Erb-Prinz und regieren-
der Graf von Hanau in diesem Fach selbst un-
ternommen, werden noch späte Denkmahle da-
von bleiben.
In dem fürstlichen Haus Hessen-Darm-
stadt hatte der jezige Herr Landgraf als Erb-
prinz in seinen Jugend-Jahren Verlangen, in
der Geschichte seines Hauses unterrichtet zu
werden, und der jezige Geschichtschreiber und
Consistorial-Rath Wenk bot sich mit Vergnügen
dazu an; der französische Hofmeister des Prin-
zen, Bellisary, lehnte es aber mit dem höh-
nenden Aussdruck ab: Une maison, comme la
vôtre, n’a point d’ histoire. Wie es nachhero ge-
gangen, weiſs ich nicht, da ich den Regierungs-
Antritt dieses Fürsten im Dienst dessen Hauses
nicht mehr erlebt habe. Auf meine Veranstal-
*)
[247] tung und Vorschlag ward gedachter Herr Wenk
zum Geschichtschreiber des Hauses bestellt; der
indessen ans Licht getretene erste und zweite
Band seines historischen Werks ist aber, wie
es auch nicht wohl anders seyn konnte, nur
noch geographisch-historische Landes-Ge-
schichte. An Scharfsinn und Einsicht zu einer
pragmatischen und vor die Prinzen dieses Hau-
ses Spiegel-Dienst leistenden Haus- und
Lebens-Geschichte seiner Regenten fehlt es
dem gelehrten und verdienten Mann gewiſs nicht,
und seine Jahre lassen auch noch Fortsez- und
Vollendung des angefangenen Werks hoffen;
wenigstens ist zu wünschen, daſs sie nicht den
unvollendeten Pendant zum Schloſs in Darm-
stadt abgeben möge. Es ist aber mit dem Spie-
gelmachen so eine eigene Sache; und, Wahrhei-
ten zu verschweigen, vor die Ruhe eines ehr-
lichen Mannes freilich sicherer, als sie zu predi-
gen und zu schreiben.
Das fürstliche Haus Baden hat durch den
groſsmüthigen Aufwand seines jezigen edlen
Fürsten, eines Kenners und Schätzers jeder nütz-
lichen Wissenschaft, von Schöpflins Meister-
hand, eine so wohl Haus-als Landes-Geschichte
erhalten; und da der Herr Markgraf, zu einem
[248] eben so seltenen als rühmlichen Beispiel, zu-
gleich der Lehrer seiner eigenen fürstlichen Söh-
nen geworden, so läſst sich gar nicht zweifeln,
daſs unter vier Augen manche belehrende, er-
munternde und warnende deutsche Note zu
Schöpflins lateinischem Text geliefert worden
seyn werde.
Von dem Haus Würtemberg sind in dem
von mir ehedem herausgegegeben patriotischen
Archiv bereits verschiedene einzele Biographien
dessen Regenten enthalten, welche ehedem zum
Dienst und Lehre des Herzog Carls von dem
Geh. Rath Renz entworfen waren; des gröſsern
Sattlerischen Werks, und was wir von dem
zum Historiker gebohrnen Herrn Hofrath und
Prof. Spittler theils bereits erhalten, theils noch
zu gewarten haben, nicht zu gedenken.
16.
Noch ein Wort, wie Fürsten-Kinder die
Geschichte ihres Hauses studiren sollten.
„Alles ruft uns zu: Willst du weise und
glücklich seyn, so hüte dich vor keinen
Sünden eifriger und sorgfältiger, als vor
denen, welche in deiner Eltern und Vorel-
tern Hause herrschten! Nun forsche ein je-
[249] der in der Geschichte seiner Familie, um die
gangbaren Laster derselben aufzufinden. Er
durchblättere aber nicht nur den öffentlichen
Theil seiner Familien-Geschichte, sondern stu-
dire noch weit mehr den geheimern verborge-
nen Theil derselben. Er selbst wird manches
davon noch wissen, seine Geschwister werden
ihm viel davon sagen können; auch werden die
vertrautesten Freunde seiner Eltern ihm noch
wichtige Entdeckungen darüber machen. Wir
forschen ja wohl eher in den Geschichten un-
serer Häuser sehr lange und begierig nach, und
lassen uns keine Mühe deshalb verdriessen;
wir lassen wohl lange Ahnen-Verzeichnisse
und groſse Stammbaüme verfertigen, die am
Ende weiter nichts darthun, als daſs wir nicht
von uns selbst sind, sondern eben so Vorfahren
gehabt haben, wie sie die ganze Welt hat. Es
würdevielzur Nutzbarkeit solcher Ahnen-
Verzeichnisse beytragen, wenn bey jedem
Ahnherrn, am Rande etwa, sein herr-
schendes Laster angeführt wäre, falls er
nehmlich ein solches hatte. Die Nachkom-
menwürden oft am sichersten sick dadurch
überzeugen können, daſs sie von ihm ab-
stammten. Wenn wir denn nun mit jener
[250] Nachforschung der Geschichte unserer Familie
fertig wären, so dürfte wohl vielen unter uns
das Herz klopfen; sie würden mit Erstaunen
gewahr werden, daſs nicht nur die Laster ihrer
Vorfahren auch würklich die ihrigen wären, son-
dern daſs sie auch viel weiter darinnen fortge-
rückt wären, als jene. O ihr, die ihr in die-
sem Falle seyd, ich bitte euch bey der Liebe
zu euch selbst, bey der Zuneigung gegen die
eurigen, und bey der Barmherzigkeit gegen die
Nachwelt, machet Halt; stehet still auf der Bahn
des Lasters, die eure Voreltern betraten, eure
Eltern giengen, und ihr ihnen bisher nachwan-
deltet. — Vielleicht, daſs wir, wenn wir die
Sünden unserer Eltern und Voreltern fliehen,
auch manches Böse dadurch wieder gut machen,
das sie vor andern gestiftet haben. Wie ver-
dient machen wir uns alsdann sogar um uns-
re Voreltern; wie werden diese uns einst bey
der allgemeinen Zusammenkunft in der zweiten
Welt dafür noch danken, daſs wir Schimpf und
Schande weggewischt haben, womit ihr Anden-
ken in der ersten Welt sich beflecket hatte.
Haben unsere Eltern und Voreltern aber schö-
ne und groſse Tugenden ausgeübt; sind diese
in unserer Familie herrschend gewesen, o diese,
[251] diese lasset uns sorgfältig beibehalten; lasset
uns sie fortsetzen und unsere Kinder wieder leh-
ren, sie noch vollkommener ausüben, als un-
sere Vorfahren sie ausübten, und sie unsern
spätesten Nachkommen noch als den schönsten
Familien-Nachlaſs empfehlen und vermachen,
so werden wir dadurch den Wohlstand, die
Ruhe und die Glückseeligkeit unserer Häuser
noch fester gründen, als wir sie schon fanden.
Fast unzerstörbar werden wir sie machen, und
wenn wir dann in die Welt der Vollendeten
übergegangen sind, so werden wir unsern Vor-
fahren zurufen können: Wir haben Unschuld
und Unsträflichkeit, Heil und Glück unsern
Nachkommen noch schöner übergeben, als ihr
sie uns übergabt! Und sie werden uns antwor-
ten: Darum giengen wir euch auch mit unserm
Beyspiele vor, und so hattet ihr gut nachfolgen
und übertreffen; Daſs ihr diſs nun aber thatet,
dafür soll auf Erden euer Lob von der Nach-
welt und hier im Himmel von der Vorwelt noch
ertönen. O welche Vorstellungen, welche Aus-
sichten *)„!
[252]
17.
So sollten alle Fürsten denken.
Churfürst August zu Sachsen (gest. 1586.)
schrieb bey einer gewissen Gelegenheit mit eige-
ner Hand: „Ich will meine Seeligkeit nicht
stellen auf Menschen, die wol irren können.
Handlen meine Theologen zu Leipzig, Witten-
berg oder anderswo, recht, so gefällt es mir
wol; handeln sie aber unrecht, und führen fal-
sche Lehre, so bin ich der erste, der ihnen
zuwider„.
18.
Welchem Fürsten ein Mann von Ehre nie-
mahls dienen sollte.
Ein Fürst, der alte, treu und bewährt erfun-
dene Freunde vergiſst und vernachlässigt; der
alte treue Diener, weil sie, ihres Werths be-
wuſst, zu stolz sind zu kriechen, zu betteln
und sich selbst ins undankbare Andenken zu
bringen, lieber schmachten und darben läſst,
hingegen Unverschämte und Unwürdige vor-
zieht, begünstiget und mästet, der thut freilich
nichts, was nicht längst vor ihm Lauf der Welt
war und es biſs ans Ende der Tage bleiben
[253] wird. Ein Mann von Ehre und Selbstgefühl
aber, der solche Beyspiele vor sich sieht, und
die Wahl in seiner Macht hat, Ja oder Nein
zu sagen, sollte einem solchen Fürsten, um
welchen Preis es immer sey, nie, nie dienen,
ihn vielmehr fliehen und mit sichtbarer Gleich-
gültigkeit strafen.
19.
Wie Gott zuweilen die Fürsten strafe?
Wie straft Gott die Fürsten, die einen treuen
würdigen Minister oder andern redlichen Die-
ner, der ihnen nicht heucheln und schmeicheln
wollte, im Dienst ermüdet und aus demselben
fortgedrückt haben? Am ersten und schwersten
damit: Daſs sie sich allein weise dünken, guten
Rath nicht verlangen, und, wenn er ihnen unge-
beten gegeben wird, verachten, und so ihrem
Eigendünkel und Eigensinn Preis gegeben wer-
den; sodann daſs sie sich Schmeichler und
Jaherrn zu ihren Vertrauten wählen oder sich
ihnen überlassen, und so zuletzt ein Blinder mit
dem andern in die Grube fällt; und endlich,
daſs andere brave Diener an jenen Beispielen
Wink und Warnung nehmen, und, wann oder
so bald sie können, aus einem Dienst, wo man
[254] nur mit Gefahr rechtschaffen seyn kann, zu
entfliehen suchen, so daſs ihnen nur die Grund-
suppe und das Lumpenvolk, das nirgend anders
wohin weiſs und dem auch Hundebrod noch
gut genug vor den Hunger ist, übrig bleiben.
20.
Ich freue mich: Nun sind Sie mein.
„Ich freue mich, daſs ich nun endlich sagen
kann: Sie sind mein! Mit der gröſsten Ungeduld
habe ich diesem Augenblick entgegen gesehen
und ich schmeichle mir, daſs Sie den gethanen
Schritt zu bereuen nie Ursache haben werden„.
Das schrieb im Jahr 1740. Friedrich der Zwey-
te, der Groſse, der Einzige, an seinen gelieb-
ten philosophischen Freund, den Chur-Säch-
sischen Gesandten zu Berlin, von Suhm; und
dieser hatte auch nicht Ursache, noch Zeit,
sich diese Wahl gereuen zu lassen, weil er
kurz hernach starb. Ein deutscher Fürst schrieb
im Jahr 1772. an einen aus dem Dienst eines
groſsen Monarchen durch langes Bitten und vie-
les Versprechen in den seinigen gelockten Mi-
nister ganz in der nehmlichen süſsen Melodie;
es folgte aber auf die Morgenröthe schöner
[255] Worte nach etlichen Jahren noch am Abend
des Lebens von beyden ein schweres Donner-
wetter und Hagelschlag nach; der dem in sei-
nen Hofnungen Betrogenen, die alte, eine Zeit-
lang vergessene, weltbekannte Warnung: Sich
niemahls verlassen auf Fürsten, wieder lebendig
fühlbar und erinnerlich machte.
21.
Stanislaus, Rex.
Der zweymahl gewählte und zweymahl ent-
thronte König Stanislaus in Pohlen schrieb sich,
da er nur noch Herzog in Lothringen war,
kraft des in den Friedensschlüssen ihm beibehal-
tenen Königlichen Titels, noch immer: Stanis-
laus Rex. Wenn er sich dabey seinem flei-
schernen, geistlosen, unthätigen, unvermögen-
den Rivalen, dem Sächsischen August, gegen-
über dachte, konnte es nicht fehlen, daſs in
der Seele des edlen, in seinem Unglück noch
mehr als im Glück groſsen Mannes, bey jeder
solchen Unterschrift der Gedanke auflebte: Ich
war König; ich war’s werth, es zu seyn; ich
bin’s noch, mehr, denn der, so die Crone
trägt, weil ich mich selbst zu besitzen geler-
net habe.
[256]
22.
Religion der Monarchen.
Wahr ist’s, die Scepter und Cronen kommen
von Gott, so wie alle übrige Dinge der Natur.
In diesem Puncte sind die Könige wenigstens
Christen; aber im übrigen sind sie Atheisten.
Denn da sie behaupten, daſs sie nur in der künf-
tigen Welt Rechenschaft schuldig seyen, ihre
Handlungen und Regierungen aber so führen,
daſs es ihnen davon Rechnung zu geben un-
möglich wäre, so ist’s deutlich, daſs sie an kei-
ne Ewigkeit glauben *).
23.
Natur-Recht der Despoten.
„Wer kann oder wird so keck seyn, zu läug-
nen, daſs dasjenige, was Licht und Recht der
Natur auch die lehret, welche das geschriebene
Wort Gottes nicht haben, die Regenten und
Landesherren gleichfalls verbinde, es seyen nun
allgemeine Pflichten aller Menschen oder be-
sondere der Obrigkeiten. Es gereichet in Wahr-
heit den Groſsen zu keiner Ehre, wenn man
erst
[257] erst durch solenne Landes-Verträge festsetzen
und sich von einem Landesherrn bedingen muſs,
er wolle niemand unschuldiger Weise strafen,
gefangen nehmen oder gar ums Leben bringen;
er wolle keinen Beklagten verdammen, ehe
er ihn mit seiner Verantwortung vernommen
habe, u. s. w. Und was ist dann erst von dem
Fall zu sagen, wenn Land-Stände oder andere
Unterthanen gerichtlich oder aussergerichtlich
klagen müssen, daſs auch sogar das gedoppelte
geheiligte Band der Natur-Rechte und der Lan-
des-Verträge sie nicht gegen die Gewaltthä-
tigkeiten ihres Landesherrn, oder eines bösen
Ministers, schützen könne„?
- Moser von der Landes-Hoheit der Teut-
schen Reichs-Stände (1773.) S. 276.
24.
Pandora der königlichen Allmacht.
„Es verhält sich mit den Königen nicht, wie
mit andern Menschen, deren Vorurtheile man
angreifen, denen man die Wahrheit zeigen, die
man nöthigen kann, sich ihr zu ergeben. Die
Allvermögenheit flöſst immer Furcht ein; und
(II. Band.) R
[258] es giebt sehr wenige Menschen, die fähig sind,
sich der Gefahr auszusetzen, kühne und nützli-
che Wahrheiten zu sagen. — Aller Orten, wo
Particular-Vortheil gegen das allgemeine Wohl
kämpft, zieht das leztere den Kürzern. Die
Fürsten müſsten unaufhörlich die ewigen Wahr-
heiten vor Augen haben, welche Fenelon mit
so vielem Muthe an einem Hof predigen durfte,
der von allen Arten der Schmeicheley trunken,
mit allen Fallstricken der Verführung umgeben,
und durch alle Arten von Eitelkeit geblendet
war. Wenn man aus seinem göttlichen Buche
das Handbuch der Könige machen könnte, so
würde die allgemeine Glückseeligkeit gewiſs
bewürkt werden. Aber Fenelon starb verwie-
sen, entfernt vom Hofe„.
- Commentar über die Denkschriften des Gr. v.
St. Germain in den Ephemeriden der Mensch-
heit 1781. 9. St. S. 302.
25.
Wie Könige Vater und Mutter ehren.
Als Ludwig XIII. in Frankreich, auf Verhe-
zung des Cardinals von Richelieu im J. 1630.
seine eigene Mutter gefangen nehmen und exi-
liren lieſs, und endlich über diese unnatürliche
[259] Behandlung das Gewissen in ihm erwachte, such-
ten ihn seine Augendiener von Casuisten damit
einzuschläfern, daſs sie diesem einfältigen König
vorstellten: Gott habe zwar befohlen, Vater
und Mutter zu ehren; er habe aber nicht befoh-
len, daſs man beständig mit ihnen leben solle.
Der König sey also, um des Beſsten willen sei-
nes Staats, wohl befugt, seine Mutter von sich
zu entfernen, ja nöthigen Falls auch des Reichs
zu verweisen *).
26.
Wie die Könige lieben.
K. Ludwig XIV. in Frankreich sezte in der
seinem Enkel, K. Philipp in Spanien, im Jahr
1700. Mitgegebenen Instruction, die in dem Mund
eines Königs fürchterlich lautende Worte **):
„Habt niemahls gegen jemand eine Vorliebe
oder Anhänglichkeit„. Ein weiser Mann machte
die Glosse darüber: „Diese Lehre braucht man
den Königen nicht erst zu geben; denn, wer
nicht nöthig hat, andern zu gefallen, liebt oh-
nehin selten„.
[260]
Wie treu und pünctlich der junge König die-
sen groſsväterlichen Rath befolgt habe, hat
sich, unter mehrern andern nachfolgenden Bey-
spielen, an der fast allmächtigen Favoritin, der
Prinzessin von Ursins, gewiesen. Diese welt-
kluge Frau bekannte in dem gröſsten Glanz ihres
Glücks in einem vertraulichen Schreiben an eine
Freundin *): Wie sehr sie überzeugt sey, daſs
die Könige im Grund niemand, als sich selbst,
lieben; und wenige Jahre darauf machte sie die
schmerzliche Erfahrung an ihrer eigenen Person
davon, da sie als ein Opfer der ehrgeizigen
Elisabeth Farnese, gleich einer Missethäterin,
bey Nacht und Nebel aus dem Reich gejagtwurde.
[261]
27.
Schriftsteller-Rache an dem Andenken böser
Fürsten.
Bischof Burnet*) erzählt eine Unterredung,
die er mit der klugen und tugendhaften Köni-
gin Maria von Engelland als damaligen Prin-
zessin von Oranien gehabt. Sie fragte ihn nem-
lich, warum wohl der König, ihr Vater, (Ja-
cob II.) gegen den Hrn. Jurieu, einen so
geistreichen und vor die Vertheidigung der Wahr-
heit so beeiferten Schriftsteller, so sehr erbit-
tert gewesen sey? Burnet antwortete: Ju-
rieu habe in seine Schriften zu viel Bitterkeit
und Galle einfliessen lassen. Unter andern Per-
sonen, deren Ehre er sehr angegriffen, sey
die Königin Maria von Schottland eine von de-
nen gewesen, die er am übelsten behandelt;
daher das verhaſste Gemählde von ihr auch ih-
ren Nachkommen zu nahe trete, und es nicht
anständig schiene, daſs solches just von einem
Geistlichen geschehen sey, der so viel Eifer
und Ergebenheit vor Ihro Königl. Hoheit be-
zeuge. Die Prinzessin antwortete aber darauf:
Herr Jurieu war berechtigt, sich aller Vor-
[262] theile zu Vertheidigung einer guten Sache zu be-
dienen; er war daher verbunden, den wahren
Charakter der Verfolger der Wahrheit darzustellen.
Wenn also das wahr ist, was er von der Königin
von Schottland gesagt, so kann man ihn nicht
darüber tadeln. Die Fürsten, welche übels
thun, müssen sich gewärtigen, daſs man
sich an ihrem Andenken räche, da man es
nicht an ihrer Person thun kann; und das,
was man sie in diesem Betracht leiden
macht, istnur sehrwenig in Vergleichung
dessen, was sie andere leiden gemacht
haben.
28.
Kopf-Beugen, anstatt Knie-Beugen.
Niemand hat sich darauf besser verstanden, als
Kayser Joseph II. Er war der angenehmste Ge-
sellschafter, der leutseligste, herablassendste,
populärste Fürst seiner Zeit, wenn, wo und so
oft er wollte; in seinen Regenten-Handlungen,
Befehlen und Verordnungen aber der strengste De-
spot. Nach der uralten Spanischen Etiquette war
bey der Erscheinung vor ihm das Kniebeugen
eingeführt; man beugte also, gemächlich genug,
das Knie, und durfte dabey raisonniren, so viel
man wollte. Die Engelländer thun’s noch vor ih-
[263] rem König und dessen Familie, und sind das freye-
ste Volk auf dem Erdboden. Joseph schaffte un-
ter dem scheinbar demüthigen Vorwand, daſs
diese Ehren-Bezeugung Gott allein gebühre, durch
ein eigenes Edict das Kniebeugen ab; hingegen
verlangte er von seinen Rathen, Dienern und Un-
terthanen einen weit unumschränktern Gehorsam,
als ihn Gott selbst von den Menschen fordert.
29.
Die politische Tugend.
Nach und nach macht sich’s, scheidet sich’s, sezt
sich’s. In unserer Jugend wuſste man nur von
Einer Tugend; und wenn man ja unterscheiden
wollte, so theilte man sie in christliche und
moralische. Die Geburt der politischen Tu-
gend haben wir erlebt; dieser Bastart wurde le-
gitimirt, und in guten Gesellschaften aufgeführt,
da er schon ziemlich herangewachsen war. Da
er vornehme Eltern und Verwandschaft hat, so
schämt er sich auch seiner Herkunft und Familie
nicht. Er hat in gute Häuser geheurathet und sich
mit reinem Blut so vermischt, daſs man nun sei-
nen Kindern die Mackel ihres Ursprungs ohne Be-
leidigung nicht mehr erinnerlich machen darf. Sie
[264] bleibt ihnen aber doch; und Kenner lassen sich
nicht taüschen, wenn auch gleich bey der Ah-
nen-Probe, der Stamm-Vater verschwiegen
wird; das ist, an Ort und Stelle, wo noch Ah-
nen-Proben verlangt werden, die freilich über-
all von selbsten aufhören, wo Concubinat, Viel-
weiberey und Miſsheurathen allgemeine Haus- und
Landes-Sitte geworden. In denen in Französi-
schem Sold gestandenen Schweizer-Regimentern
konnte nur ein gebohrner Schweizer Haupt-
mann werden. In Republiken, aber auch nicht
mehr in allen, wird nichts als politische Tu-
gend erkannt, was nicht auch ursprünglich
moralische Tugend ist.
30.
Das Commerz unter einem militarischen
Despoten.
Die Handlung in einem nach militarischen
Grundsätzen und Methoden regierten Staat stellt
sich von einer sehr seltsamen und widerlichen
Seite dar. Just so, wie der Despot mit scinen
Unterthanen und Soldaten zu Werk geht, mit ein
wenig Recht und desto mehr Gewalt, behandelt
er die Handlung in seinen Landen. Er will gleich
erndten so bald er gesäet hat, ja manchmahl,
[265] wo er auch nichts ausgestreuet hat. Mit Zwang
wird alles angefangen, mit Gewalt fortgesezt;
und Armuth, Verwirrung und Betrug ist gemei-
niglich das Ende. Die mühsame Pflege der auf-
gehenden kleinen Keime eines in seinem langsa-
men Wachsthum erst Früchte bringenden Baums
ist nur das Werk eines gedultigen Geistes; Ge-
dult ist aber nie die regierende Tugend einer mi-
litarischen Verfassung. Das groſse Wort: Frei-
heit die Seele der Handlung, hat hier eben die
Bedeutung, wornach der Soldat unter seinen Spieſs-
ruthen und Prügeln sich noch der Freyheit rüh-
men kann.
Wohl darf der Unterthan sein ganzes Haus mit
Seide überziehen, wenn er nur die Stoffe in den
einheimischen Fabriken nimmt; er darf die Kut-
schen-Riemen mit goldenen Tressen besetzen; er
dürfte die Pferde mit lauter Zucker füttern und
die Gänse aus Porcelain tränken, wenn nur das
theure Geld dafür vor innländische Waare bezahlt
wird, welche deſswegen schlecht seyn darf und
muſs, weil der Fabrikant dem Despoten den beſs-
ten Profit für die Privilegien und Monopole zum
voraus hingeben muſs.
[266]
31.
Wie die Humanität der Fürsten allmählig
verlohren geht.
Wodurch wird ein Fürst von weichgeschaffener
Seele allmälig hart? Ich begnüge mich, nur ei-
nige Ursachen zu nennen, ohne sie weiter aus-
zufuhren: Durch strenge Erziehung und üble Be-
handlung in der Jugend; durch zu lange erdulde-
ten Zwang; durch das Kriegsleben; durch lange
Gewohnheit des Befehlens und einer knechtischen
Befolgung seines Willens, durch Gefälligkeiten
der Schmeichler und Augendiener, und die dar-
aus erwachsenden verächtlichen Begriffe von dem
Menschen.
Die übrigen Gründe sind nicht minder wichtig
und mannigfaltig, wodurch die mildere, sanfte Ge-
sinnungen, die Humanität der Fürsten gegen ih-
re Diener und andere Menschen überhaupt, allmäh-
lig verlohren geht.
Nur noch bey einem Punct stehen zu bleiben,
so ist unlaugbar: Das Interesse eines Fürsten und
seiner Hof- und Staats-Diener stehen, nach dem
gewöhnlichen Lauf der Dinge, in einem bestän-
digen Conflikt, in einer steten Ebbe und Fluth
mit und gegen einander. Je mehr den Herrn Ge-
[267] horsam, Unterwerfung, Uneigennutz, Diensteifer,
und wie die schönen Worte mehr heissen, im Ernst
geleistet oder zum Schein vorgeheuchelt wird,
je gewisser, je reichlicher hoffen und erwarten
die Bescheidensten unter ihren Dienern, und je tro-
ziger und ungestümmer [fordern] die Unwürdigen
und Unverschämten Belohnung ihrer angeblichen
Treue, Anhänglichkeit, erduldenden Zwangs etc.
Je länger ein Fürst regiert, je eine gröſsere
Sammlung von Erfahrungen kann er machen, wie
oft er von solchen miſsbraucht, hintergangen,
grob oder fein belogen und betrogen worden, in
welche er just das gegründeteste Vertrauen setzen
und auf ihre Redlichkeit und Uneigenutz bauen
zu können vermeinet hat.
Wie wahr ist, was über diesen Punkt zween
unserer vorzüglichsten Schriftsteller gesagt haben.
„Fürstliche Menschen„, sagt Lavater, „sind sel-
ten ganz menschliche Menschen, in deren Atmosphä-
re man ganz frey athmen kann. Dennoch kenn’
ich Ausnahmen. Aber wir müssen auch billig
seyn, und uns in ihre Lage setzen. Sie können
sich nicht so mittheilen, wie unser einer. Alles
miſsbraucht sie, wie Alles unsere gemeine mensch-
liche Güte miſsbraucht. Sie müssen miſstrauisch
werden, wie unser einer miſstrauisch werden
[268] muſs, wenn das Ende von Allem ist: Miſs-
brauch unsers Vertrauens„.
Und Zimmermann*) schreibt in besonderer
Anwendung auf Friedrich den Groſsen: „Oft
hat man über Friedrichs schreckliche Menschen-
Verachtung geklagt. Hat man aber auch be-
dacht: Wie ganz unmöglich es seyn mag, Mo-
narch zu seyn, den Menschen recht und ganz
ins Herz zu sehen, und sie dann nicht oft samt
und sonders aus ganzem Herzen zu verachten?
Gott bewahre doch jedes reine Herz, daſs es
von Welt und Menschen nicht so viel wisse,
erfahre und kenne, was jeder scharfsinnige und
hellsehende Monarch wissen kann und erfah-
ren muſs„.
Büsching**) drückte sich hierüber weniger
unverblümt aus: „Man hat keine Ursache„,
schreibt er, „sich zu wundern, daſs der König
in vielen Fällen ein groſses Miſstrauen geaüs-
sert und wenige Menschen für ehrlich und zu-
verlässig gehalten hat: Denn er war zu häufig
und stark betrogen worden. Er klagte oft darü-
ber. — Das Miſstrauen nahm bey Ihm, so wie
bey jedem andern Menschen, mit dem Alter
[269] zu, und würde, wenn Er noch länger gelebt
hätte, vielleicht allgemein und unerträglich ge-
worden seyn„.
Dergleichen Erfahrungen machen, mit den
zunehmenden Jahren eines Regenten und bey
einem halbweg düstern Temperament, spröde,
kalt, argwöhnisch, miſstrauisch, erzeugen Men-
schen-Haſs und Verachtung; und jene gehen zu
weilen so weit, alle ihre Diener vor eigennützige
und nur dem Grad nach verschiedene grobe oder
feine Egoisten, wo nicht gar vor Betrüger zu
halten; in welchem Fall der würdigste Patriot
mit einem schlauen Schelmen in der Vorstel-
lung seines Herrn sich vermengt sehen, auch
wohl nach Zeit und Umständen so behandeln
lassen muſs, und ihm nichts übrig bleibt, als
sich in seine eigene Tugend zu verhüllen, sei-
nen Herrn zu bemitleiden, gelegenheitlich auch
ihn die innere Würde fühlen zu lassen, wo-
durch sich ein Mann von wahrer Ehre von ei-
nem bloſsen Schmeichler oder Lohndiener un-
terscheidet.
Eine solche Lage ist für einen Herrn sowohl
als für seine Diener peinlich; doch immer für
einen Regenten noch mehr, der zu bedauren
und zu beklagen ist, wenn es mit ihm so weit
[270] gekommen, ehrliche Leute von unehrlichen
nicht mehr unterscheiden zu können oder zu
wollen.
32.
Ich habe eine heile Haut; wen’s juckt, der
kratze sich.
Kayser Joseph II. pflegte über die in Wien
so häufig erschienenen und ihn selbst verhöh-
nende Spottschriften zu sagen: „Ich habe eine
heile Haut; wen’s juckt, der kratze sich„. Das
hätten Ihro Majestät billig nicht sagen sollen.
Als Mensch konnte Joseph allenfalls so sprechen;
aber als ein Gesalbter Gottes, als Staats-Ver-
walter, wie Er sich so gerne nannte, konnte
er eben so wenig über sich selbst, über die
Heiligkeit seiner Würde, disponiren, als wenig
ein seinen Oberherrn repräsentirender Botschaf-
ter sich ungeahndet beschimpfen lassen darf.
So gar eine gemeine Schildwache ist unverletz-
bar, so lange sie auf ihrem Posten steht.
33.
Beharrlichkeit im Unrecht thun.
Ein Herr fühlt oft lebendig in sich das Un-
recht, womit er einen seiner würdigen Diener
[271] behandelt. Er kann aber nicht Herr über das
werden, was man unter Fürsten-Stolz versteht:
Nicht nur sich vor seinem Diener zu demüthi-
gen, um ihm abzubitten, das verlangt dieser
nicht einmahl; sondern nur inne zu halten, still
zu stehen, allmählig umzukehren und es bes-
ser zu machen. — Durch die Beharrlichkeit sei-
nes Zorns glaubt er sich selbst zu rechtfertigen,
und den, den er drückt und verfolgt, in Tort
zu setzen, um dem Publico Staub in die Augen
zu werfen. Es gehört aber auch zum bloſsen
Stillstehen schon Groſsmuth und ein edles Herz,
weil sich immer Augendiener und Schurken
finden, die einen Herrn noch mehrers bestei-
fen, und das Feuer, anstatt es zu löschen, noch
stärker anblasen; furchtsame Hasen, die lieber
schweigen, als reden; und weil er, Fürst, kei-
nen Freund hat, der Muth und Rechtschaffen-
heit genug hat, ihm vor die Stirne zu sagen,
daſs er Unrecht thue.
34.
Das Geheimniſs einer weisen Regierung.
Das ganze Geheimniſs, der ganze Ruhm, das
ganze Glück einer Regierung besteht oft ledig-
[272] lich darinn, wann ein Herr die Kunst versteht,
jeden seiner Diener, so viel möglich, auf die
Stelle zu setzen, die sich vor ihn und er vor
den Platz sich am besten schickt. Je sorgfälti-
ger dieses beobachtet wird, je harmonischer
und zusammenhangender wird das schöne Gan-
ze seyn, und das Gegentheil einen desto bizzar-
rern Anblick gewähren. Es kann einer ein
hochverständiger Baumeister, der andere ein
erfahrner Werkmeister, der dritte ein redlicher
Bauschreiber seyn, und die Zusammenstellung
dieser einzelnen Talente und Verdienste recht-
fertigt erst die Klugkeit der Wahl. Wenn man
aber, wie zu * *, den Schieferdecker zum Bau-
meister und den Theater-Mahler zum Bau-Cas-
sier macht; wenn man, wie zu * *, einen
mittelmäſsigen Landwirth zum Staatsminister
und Haupt des geistlichen Gerichts, und einen
halbgelehrten Finanzmann *) zum Canzler einer
berühmten Universität; wenn man, wie zu * *,
einen
[273] einen lahmgeschossenen Husaren-Rittmeister
zum Mitglied der Gesetz-Commission und Prä-
sidenten vom Landes-Consistorio macht, so
kann bloſs (wie bey Fresco-Mahlereinen) die
Gröſse eines Staats dergleichen Miſsgriffe be-
decken, niemahls aber ganz entschuldigen.
35.
Manchmahlen glückt’s.
Die Herrn glauben, wenn sie einem Mann,
dem sie sonst wohl wollen und Vertrauen zu
ihm haben, ein seiner Natur nach ganz fremd-
artiges Geschäft auftragen, daſs sie ihm mit
diesem Beruf zugleich auch die Fähigkeit, Ver-
stand und Geschicklichkeit dazu mittheilen.
Manchmahlen glückts, zumahlen bey jungen
Leuthen, die wenig Nachdenken, Zweifel und
Besonnenheit, hingegen desto mehr guten Wil-
len und viel Entschlossenheit haben. So er-
zählt Comines von K. Ludwig XI. in Frank-
reich, daſs er einst den Bedienten einer seiner
Hofleute angetroffen habe, der weder eine son-
derliche Gestalt, noch gefällige Manieren aufzu-
weisen gehabt, aber viel Mutterwitz und eine
(II. Band.) S
[274] liebliche Stimme an sich finden lassen; diesen
Burschen, so sehr er sich zu entziehen suchte,
steckte der König in einen Heroldsrock und
schickte ihn nach Engelland, wo er durch sei-
ne Geschicklichkeit, zu groſser Zufriedenheit
beeder Monarchen, einen neunjährigen Waffen-
Stillstand zuwegenbrachte. Friedrich II. in
Preussen hatte in diesem Stück eine Feinheit
des Tackts und Empfindung, die ihn selten irre
gehen lieſs. So schickte er den damahls noch
jungen Grafen von Finkenstein in einem Ge-
schäft von aüsserster Wichtigkeit und Verwicke-
lung, ohne öffentlichen Character, nach Lon-
don, das dieser durch seine geschmeidige Klug-
heit so glücklich beendigte, daſs der König da-
durch bewogen wurde, ihn, so jung er noch
war, als würklichen Staats-Minister zurück
zu berufen. Eben diſs war der Fall des jetzi-
gen Fürstlich Baadischen Ministers, Freyherrn
von Edelsheim, den der König als einen noch
jungen Cammerherrn zu geheimer Behandlung
einer intressanten Angelegenheit nach London
geschickt, und jener sie so ganz zur Zufrieden-
heit des Königs vollendet hatte, daſs ihm vom
König der wichtige Gesandtschafts-Posten zu
Wien aufgetragen, und durch das Vertrauen, in
[275] welches er sich bey dem Staats-Canzler, Für-
sten von Kaunitz zu setzen gewuſst hatte, die
erste Theilung von Pohlen mit dem Haus Oe-
sterreich eingeleitet und vollendet wurde.
36.
Canzel-Publicität.
Die Publicität der Kanzel war noch zu
unserer Väter Zeiten für manchen bösen,
schlechten und verführten Fürsten eine fürch-
terliche und erschütternde Erscheinung. Es
wurde von den Pflichten der Regenten und
Obrigkeiten nicht nur oberflächlich geredt, son-
dern die herrschenden Laster der Höfe, die Miſs-
bräuche der Regierungen und Beamten öfters
laut, scharf, mit heroischen, Amt, Freyheit,
Leib und Gut dran wagenden Zeugnissen öffent-
lich gerügt; denn die Herrn respectirten noch
die Stimme ihres Volks und der öffentlichen
Meinung; sie hielten noch mehr über ihrer ei-
genen Ehre und guten Nahmen; sie schämten
sich noch mehr.
Den Landesherrn auf die Canzel zu bringen,
ist heut zu Tage nicht mehr gewöhnlich, weil
das Band zwischen Herrn und Unterthanen viel
lockerer geworden, als ehedem. Sonst waren
[276] sie und hiessen sie Landes-Väter, nun sind
sie und heissen sie nur Landes-Herrn; vor
einen Herrn interessirt man sich aber im Guten
und Schlechten nicht so, wie vor einen Vater.
37.
Der Königliche Repräsentant.
Der Marschall von Bassompierre erzählte einst
in Gegenwart seines Königs, Ludwigs XIII.
daſs er bey seiner Gesandtschaft am Spanischen
Hof auf einem elenden Maulthier seinen Einzug
zu Madrit gehalten habe. Das muſs, sagte der
König, artig ausgesehen haben: So ein dicker
Esel, wie Ihr, auf einem Maulthier. Ich
bitte um Verzeihung, Sire, erwiederte Bas-
sompierre; ich hatte die Ehre, Ew. Maje-
stät vorzustellen.
Bravo! Das war noch vor anderthalb hun-
dert Jahren von einem Edelmann gegen einen
groben König.
38.
Respectus parentelœ zwischen Fürsten
und Volk.
Wenn die Fürsten von ihren Unterthanen ver-
langen können, daſs sie nie den respectum
[277] parentelœ vergessen, und den metum reveren-
tialem nie beyseitsetzen, so kann dagegen ein
an Verstand erwachsenes Volk von seinem
Fürsten verlangen, nicht als Kinder und Buben
behandelt zu werden. Wenn die Fürsten Vä-
ter ihres Landes seyn wollen, so müssen sie
sich auch als solche bezeugen, und das Vermö-
gen ihrer Kinder nicht verprassen, verschulden,
verjagen, verjubeln, verspielen, vertrommeln
u. s. w.
39.
Geist des Zeitalters.
„Kein antidespotischeres Zeitalter, als das
unsrige, und keines, wo der Despotismus all-
gemeiner, despotischer und spottender mit der
menschlichen Freyheit herrscht„, sagt Lava-
ter*) so fest als wahr; und wer ist kühn und
dreist genug, es läugnen zu wollen?
40.
Die Töpfe und die Felsen.
„Ach Herre Gott, es ist ein ungleich Streiten,
wenn die alten Töpfe wollen mit den Felsen
streiten; denn es gerathe, wie es wolle, so
geht’s über die Töpfe. Fallen sie an die Fel-
[278] sen, so stoſsen sie sich und zerbrechen; fallen
aber die Felsen an sie, so zerschmettern sie
die Töpfe; das wahrlich den Töpfen zu ra-
then wäre, sie blieben Töpfe wie sie sind in
der Küche, und unterstühnden sich nicht, auszu-
ziehen im Felde, und wider die Berge und
Felsen zu streiten„. So sagte vor bald 300.
Jahren Luther*). Wer wohl jetzt am Ende
des XVIII. Jahrhunderts die Töpfe, und wer die
Felsen seyn mögen?.
[[279]]
ANHANG.
D. Joachims Lütkemanns,
Ersten General-Superintendentens zu Wolfen-
büttel und Abts zu Riddagshausen.
den 14. Sept. 1655. gehaltene
Regenten-Predigt.
Nebst einigen Worten und Winken
über die
Publicitæt der Kanzel.
[[280]][[281]]
Dr. Joachim Lütkemann war im Jahr 1608.
in der Vor-Pommerischen Stadt Demmin geboh-
ren, und wurde 1643. auf der Universität zu Ro-
stock Professor der Physik und Metaphysik. In
einer im Jahr 1649 gehaltenen Disputation behaup-
tete er die sonderbare Meinung: Daſs Christus die
drey Tage über, die er im Grab gelegen, nicht
wahrer Mensch gewesen sey. Darüber fieng
ein dortiger Professor der Theologie Feuer, und
trug auf das Verbot und Confiscation der Dispu-
tation an. Lütkemann wandte ein: Diſs wären
philosophische Fragen, in welche sich die Theo-
logen nicht mischen möchten. Die Disputation
gieng also zwar vor sich; damit fieng aber der
Lerm erst an. Die Sache ward an Hof berich-
tet, und der orthodoxe Herzog Adolph Friedrich
darüber so entrüstet, daſs er, biſs zu näherer Un-
tersuchung des Handels, den Professor Lütke-
mann seines Amts entsezte und von allen Geistli-
chen des ganzen Landes über diese scholastische
[282] Spizfündigkeit ein theologisches Bedenken erfor-
dern lieſs. Lütkemann hatte vorhin schon mit
Zeugnissen anderer Gelehrten belegt, daſs er nicht
der erste noch einige sey, der jene Meynung
behaupte. Zum Glück vor ihn nahm der ganze
academische Senat, und insbesondere die theologi-
sche Facultät, mit Ausnahme des Urhebers dieses
Streits, sich ihres Collegen an; bewiesen, daſs
man sich bey dessen gegebenen Erklärung gar
wohl beruhigen könne, und baten den Herzog, die
übereilte Amts-Entsetzung aufzuheben; mit wel-
cher Bitte sich auch die Gemeine, bey welcher
Lütkemann Prediger war, dahin vereinigte, damit
diesem ihrem treuen und geliebten Seelsorger die
Canzel wieder geöfnet würde.
Der Herzog fühlte das Unrecht und die Ueber-
eilung seines Verfahrens, wollte aber doch, nach
Art der Fürsten, nicht gefehlt haben, und wollte
also die Entsetzung von Catheder und Canzel
nicht anders und eher wieder aufheben, als wenn
Lütkemann einen verfänglichen Revers unter-
schrieben würde. Der feste Mann weigerte sich
aber dessen standhaft und erbat sich, ihm zu
seiner Vertheidigung den Weg Rechtens zu eröf-
nen, in welchem Gesuch ihn der academische Se-
nat selbst bey dem Herzog unterstützte. Darauf
[283] wurde von Hof ein anderer und glimpflicherer nur
in der Gestalt einer Erklärung gefaſster Entwurf
eines Reverses nach Rostock übersandt. Der stand-
hafte Mann beharrte aber bey dem Entschluſs,
seine Erklärung nicht anders als öffentlich ab-
zulegen.
Der eben so gelehrte als religiose Herzog Au-
gust von Braunschweig-Wolfenbüttel machte, auf
erhaltene Nachricht, dieser sich immer mehr
verwickelnden Fehde dadurch ein kurzes Ende,
daſs er im August noch eben dieses 1649. Jahres
dem gedrückten Manne den Ruf als erster General-
Superintendent nach Wolfenbüttel zugehen lieſs.
Seine Gemeine flehte nun um so eifriger um sei-
ne Beybehaltung; der Herzog von Mecklenburg
aber wurde seiner Seits so erbittert, daſs er den
harten Befehl an die Universität erlieſs: Daſs,
wenn D. Lütkemann die ihm abgeforderte Erklä-
rung nicht unterschreiben würde, er binnen acht
Tagen Stadt und Land, und zwar ohne sicheres
Geleit, raümen sollte.
Von unterschreiben konnte bey diesen Umstän-
den keine Rede mehr seyn; Lütkemann zog un-
ter dem Seegen und häufigen Thränen der ihn
biſs vor die Stadt begleitenden Zuhörer und Freun-
de von Rostock ab, denen er noch über die Wor-
[284] te Josephs, I. B. Mose L. 20: „Ihr gedachtet’s
böse mit mir zu machen, aber Gott gedachte es
gut zu machen„, predigte.
Der würdige Mann trat sofort, mittelst öffent-
licher Vorträge in der Stadt- und Schloſs-Kirche,
sein neues Amt an, und wurde, in Gegenwart des
Herzogs Augusts und seines Erbprinzen Rudolph
Augusts, denen versammelten General- und Spe-
cial-Superintendenten als ihr Generalissimus
vorgestellt, von dem Canzler in Pflichten genom-
men, und, dem Herrn Vetter zu Mecklenburg zu
schuldigen Ehren, an die fürstliche Tafel gezogen.
Je mehr der Herzog August den stattlichen Mann
kennen lernte, je lieber gewann er ihn, so daſs
er sich in einem eigenen an seinen vorigen Herrn
erlassenen Schreiben vor diesen werthen Mann
bedankt, mit Bitte wann Ihro Liebden mehr sol-
che Männer hätten, sie selbige ihm nur wollten
zukommen lassen.
Die Hochachtung und Liebe gegen den in sei-
ner ganzen Amtsführung erprobten Mann bewog
Herzog Augusten, ihn im Jahr 1653. zum Abt
des Closters Riddagshausen zu ernennen, und ihm
dadurch neue Gelegenheit zu verschaffen, seine
vorzügliche Talente und Einsichten geltend zu
machen.
[285]
Am 14. Sept. 1655. lieſs Herzog August zum
Angedenken der an diesem Tage vor zwölf Jah-
ren von den Kayserlichen wieder eingeraümten
Stadt und Vestung Wolfenbüttel, ein Dankfest
feyern; welche Gelegenheit dann Dr. Lütkemann
ergriff, diejenige merkwürdige so benahmte Re-
genten-Predigt zu halten, wovon hier ein er-
neuerter Abdruck erscheint *).
Die Predigt muſs in der Stadtkirche gehalten
worden und von der fürstlichen Familie niemand
dabey gegenwärtig gewesen seyn. Desto ge-
schäftiger aber war die Stimme des Neides und
der Verlaümdung, dem alten Fürsten zu hinterbrin-
gen, welch’ eine anzügliche und fürstenschände-
rische Predigt sein Generalissimus gehalten; wie
er sich an dem ganzen Regenten-Stand nicht nur
gröblich verschuldet, sondern auf welch’ bedenkliche
Weise er solchen in den Augen des Volks, durch die
schmälige Benennung eines Regenten-Thiers,
herabgewürdigt habe. Zum Glück vor den Doc-
tor hatte er es mit einem Fürsten zu thun, der
[286] seine 80. Jahre bereits erreicht hatte; dessen Puls
sanfter schlug, als des jüngern Herzogs von
Mecklenburg; der mit eigenen Augen zu sehen,
auch derbe trockene Wahrheiten anzuhören ge-
wohnt war, und es unter der Würde eines ge-
rechten Fürsten hielt, jemand, und am allerwe-
nigsten einen von ihm geliebten und geschäzten
Zeugen der Wahrheit ungehört zu verdammen.
Das erste, was Herzog August that, war, daſs
er Lütkemannen den schriftlichen Auſsatz seiner
Predigt abforderte, dem der schöne Erfolg ent-
sprach: Daſs der Wahrheit liebende Fürst den
ganzen Vortrag nicht nur vollkommen billigte,
sondern auch dem Hof- und Staats-Propheten
Schutz gegen alle ungegründete Angeber versprach,
ja ihn aufforderte, mit fernern dergleichen Straf-
Predigten getrost fortzufahren.
So gedeckt und getröstet der freymüthige Mann
durch seinen biedern Fürsten war, so muſs ihn
doch der giftige Zahn des beleidigten Regenten-
Thiers hart verwundet haben. Am 14. Sept.
hielt Lütkemann seine Predigt; die Anschwär-
zung seiner Hasser, des Fürsten Abforderung des
Entwurfs, Lütkemanns Vertheidigung und darauf
erfolgte Rechtfertigung, können immer auch einige
Tage hinweggenommen haben. Ein Mann, der so
[287] kühn und derb von der Canzel spricht, hat ge-
wöhnlich kein kühles Blut; die Hetzereyen mö-
gen es noch mehr entzündet haben; er bekam ein
hitziges Fieber, und den 18. Oct. eben dieses Jahrs
war er eine Leiche. Predigt und Tod waren all-
zunahe beysammen, als daſs man nicht von je-
ner auf diesen schliessen dürfte.
Diese persönliche Umstände sind aus einer weit-
laüftigen Lebensbeschreibung des seeligen Manns
zusammengezogen, welche der bekannte Braun-
schweigische Geschichtschreiber Rethmayer ei-
ner neuen Auflage des von dem seel. Lütke-
mann, unter dem Titel: Der Vorschmack gött-
licher Güte, herausgegebenen, zu seiner Zeit
beliebten Erbauungs-Buches, im Jahr 1720. bey-
gefüget hat.
Die Predigt selbst lautet also:
Text: Aus dem 37. Psalm v. 34.
- Harre auf den Herrn, und halte seinen Weg, so
wird Er dich erhöhen, daſs du das Land erbest.
Die Biene ist ein kleines Thier; doch hat die
Natur in demselbigen gar artig abgebildet die
[288] Policey unter den Menschen-Kindern. Die
Bienen halten sich zusammen; also werden die
Menschen von Natur getrieben, daſs sie nicht
zerstreuet hin und her lauffen, wie das Wild,
sondern daſs sie in einer Gemeinschaft leben.
Die Bienen sind arbeitsame Thierlein, daſs man
auch ihre kunstreiche Arbeit und Fleiſs mit
Verwunderung ansehen muſs. Sie bauen ihnen
reine wolformirte Häuſslein, und in dieselbige
sammlen sie ihre Güter. Was faul ist und nicht
arbeiten will, leiden sie nicht unter sich. Also
stehet es auch fein in einer Policey, wenn die
Leute nicht den Müssiggang lieben, sondern zur
Arbeit gehalten werden, daſs sie etwas Nützli-
ches schaffen, ein jeglicher nach seinem Beruff:
Bey den Bienen mercket man auch eine Einträch-
tigkeit; sie halten sich zusammen, sie stehen
vor Einen Mann; kommt man ihnen zu nahe, so
setzen sie sich alle zur Wehre. Wannn also
auch in einer Gemeine die Gemüther zusammen
halten, das ist ein Zeichen einer glückseligen
Policey: Friede ernehret, Unfriede ver-
zehret. So lange die Menschen-Kinder bey
dem Bau des Babylonischen Thurms einig wa-
ren, und sich unter einander wol verstehen
kun-
[289] kunten, so lange gieng der Bau von statten;
so bald aber die Verwirrung unter sie kam,
muste der Bau auffhören. Wenn die Gemüther
in der Policey unter sich eins sind, und unter
sich ein gutes Vertrauen haben, da hilfft eine
Arbeit der andern; da kann man bauen. Wann
aber einer den andern nicht verstehen will, wird
man mit dem Bau nicht können fortkommen.
Bey den Bienen findet man auch die Ordnung,
daſs eine regieret, und die andern gehorsam
seyn. Sie haben ihren König; denselben ver-
sorgen sie, und demselben folgen sie; wo der
König hinziehet, da folgt der Schwarm. Wann
bey den Menschen kein Regiment ist, oder die
Regenten bey den Unterthanen keinen Respect
oder Gehorsam finden, da ist es unmüglich, daſs
es wohl zugehen könne; und ist nothwendig,
daſs unter dem Hauffen der Menschen etliche
sind die regieren, etliche die gehorchen und
folgen. Wenn nun, die zum Regiment gesetzt
seyn, wol regieren, und die, so folgen sollen,
gehorsamlich folgen, da gehet es wohl zu.
Wenn denn das Policeywesen unter den Men-
schen-Kindern so artig in dem Regiment der
Bienen von Gott abgebildet ist, sollen wir ge-
(II. Band.) T
[290] dencken, daſs es auch Gottes Werck ist, wenn
gut Regiment unter den Menschen gehalten wird.
Zu mercken ist es bey den Bienen, daſs die Na-
tur den König von den andern Hauffen mercklich
unterschieden hat, weil seine Gestalt gröſser
und ansehnlicher ist, als der andern. Also hat
auch die göttliche Vorsichtigkeit die Regenten
unter den Menschen-Kindern mit sonderlichem
Ansehen bekleidet. Der Natur nach ist ein
Mensch nicht besser, als der ander. Wir sind
alle Eines Fleisches und Eines Geblühtes. Doch
ziehet Gott unter viel Tausenden einen herfür,
und giebt Ihm ein solches Ansehen, daſs die
andern alle Ihn fürchten müssen. Gott hat mit
seinen Gebothen sie also umzeunet und verwah-
ret, daſs die Unterthanen sie, als Gottes Ord-
nung, ehren und fürchten müssen; damit bewei-
set Gott Gnade und Güte, beydes den Regen-
ten und Unterthanen. Die Regenten haben Got-
tes Güte zu preisen, darumb daſs sie der Natur
nach nicht besser sind als andere, dennoch von
Gottes Gnade herür gezogen worden, und
über viel Tausend andere Menschen gesetzt seyn,
und vor andern mit Ehr und Reichthum bega-
bet worden. Unterthanen erkennen auch darin-
nen Gottes Güte, daſs sie Schutz finden. Je
[291] mächtiger der Regente, je mehr sich dessen
das Volck zu erfreuen hat. Also haben beydes
Obrigkeit und Unterthanen Uhrsach Gott zu
dancken, daſs Gott ein gut Regiment gibt und
erhalte.
An diesem Orth thun wir solches ordentlich
auff diesen Tag, und erinnern uns, daſs an
demselbigen nun vor zwölff Jahren diese
Stadt und Vestung ihrem rechtmäſsigen
Erb-Herrn übergeben, und auſs der Hand
gewaltsamer und frembder Regierung ge-
hoben ist. Dem höchsten Gott sey Preiſs und
Ehre, daſs Er uns Christliche Obrigkeit gege-
ben, und biſs daher in grossen Gnaden erhalten
hat. Diſs ist Gottes Werck, das wir mit dank-
barem Hertzen erkennen; und eben damit, daſs
verlesenes Pünctlein aus dem sieben und dreis-
sigsten Psalm zu einem ordinaren Text auff
gegenwärtiges Danckfest verordnet, bekennet
Christliche Obrigkeit, daſs sie ihre Regierung
von Gott hat, und daſs Gottseligkeit zur glück-
lichen Regierung viel helffe. Harre auf den
Herrn, und halte seinen Weg, so wird Er dich
erhören, daſs du das Land erbest. Nehmlich,
wenn man den Weg des Herrn hält, so wird
man im Lande erhöhet werden. Es ist aber
[292] nicht undienlich nachzudencken, was doch die
[Gottesfurcht] bey der Regierung thue. Wenn
man einen Fürsten lobet, daſs Er klug und ver-
schmitzet, daſs Er tapffer, groſsmühtig, und
behertzet, das lässet sich hören.
Wenn man aber saget: Das ist ein frommer
Herr, das klinget eben nicht so herrlich in der
Welt. So wollen wir ein wenig nachsinnen,
wie sich mit einem Regenten die [Gottes-
furcht] reime.
Gott gebe uns den Geist dər Weiſsheit und
Sanfftmuth, daſs wir es wol und christlich er-
wegen, Amen.
Die Gottesfurcht ist zu allen Dingen nütze
und gut, diſs bezeuget die Schrifft. So solte
die Gottesfurcht ja auch zur Regierung gut
seyn. Gleichwohl stellen wir die Frage an, was
Gottesfurcht zur Regierung helffe? Oder, wie
die Gottesfurcht zur Regierung helffe? Oder
wie die Gottesfurcht sich mit einem Regenten
reime? Sollen wir davon etwas sagen, so müs-
sen wir voraus wissen, was ein Regent sey?
Ein Regente solte ja billich seyn eine Creatur,
die über ein Land gesetzt und über das gemei-
ne Beste wachen solte. Das gemeine Beste heist
[293] man jetzo auf Latein: Ratio Status. Wenn
man weiſs, was Ratio Status ist, so kann
man allhand wissen, was nach der heutigen
Statisten Beschreibung ein Regent ist. Es ist
aber Ratio Status ein solch Ding, welches
die Einfalt nicht wol verstehen kann. Damit
ich einfältiglich damit umbgehe, so vergleiche
ich es dem Adam in seiner Unschuld. Adam
war vom Anfang erschaffen nach dem Bilde
Gottes, und hatte ein schönes, trefliches und
göttliches Ansehen.
Wann Gott Adam ansahe, so sahe Er sein
Bild, und war der Mensch wie ein kleiner Gott
in der Welt. Es kam aber der Teuffel darzu,
und verkehrete solches herrliche Bild gantz in
den Grund, also daſs der Mensch, der vorher
Gott ähnlich war, itzt dem grausamen Teuffel
gleich, und ein junger Teuffel in der Welt ward.
Ratio Status ist ihrem Ursprung nach ein herr-
lich, treflich und göttlich Ding. Daſs einer wär’
über das gemeine Beste, daſs man die Unschuld
schützte, dem Bösen wehrete, und alles in gu-
ter Ordnung halte, das ist ein göttlich Ding.
Eine Obrigkeit ist Gottes Dienerin und Fürbil-
de. Ein Fürst ist wie ein Gott in der Welt.
Aber was kan der Teuffel nicht thun? Der hat
[294] sich auch zu Ratio Status gesellet, und die-
selbe also verkehret, daſs sie nun nichts mehr,
als die gröste Schelmerey von der Welt ist:
Daſs ein Regent, der Ratio Status in acht
nimt, unter desselben Namen frey thun mag,
alles was ihm gelustet; und kann ich nicht an-
ders sagen, als daſs das herrliche Bild Gottes
im Regiment in ein schändlich Bild des Satans
verwandelt sey. Wir wollen solches absonder-
lich in etlichen gewissen Stücken besehen.
Zum ersten ist ein solcher Regent ein re-
giersüchtiges Thier. Es will sich mit einer
Regierung nicht begnügen lassen; je mehr Lan-
des er hat, je mehr Landes er suchet. Als der
regiersüchtige Alexander gefraget ward, was
er thun wolte, wenn er Persien eingenommen,
hat er zur Antwort geben, er wolte weiter
gehen in Indien hinein. Er wird gefraget,
wenn er nun alles hätte, und nicht weiter ge-
hen könnte, was er dann thun wolte? Darauf er
geantwortet, denn wolte er geruhig regieren,
und ihm gute Tage thun. Darauf ist Ihm recht
zu Gemüthe geführet, wenn er denn itzt, da
er so viel Land und Leute nicht hätte, eben
so wol geruhig leben könnte, warumb er ihm
so groſse Unruhe machte, und das suchete, was
[295] andern Leuten gehörete? Ja gewiſslich, viel
Regenten möchten still und geruhig leben,
wenn sie sich mit dem könnten begnügen
lassen, das ihnen Gott gegeben hat. Aber
wenn sie im Frieden solten besitzen allein,
was sie haben, das achten sie vor groſsen
Schaden.
Zum andern ist ein Regent, nach der heutigen
Beschreibung, ein ruhmsüchtlg Thier, das
begehret in aller Welt und bey den Nachkom-
men einen groſsen Namen zu haben. Bey den
Römern waren zweyerley Mittel, Ruhm und
einen groſsen Namen zu erjagen, die Feder
und das Schwerdt; entweder daſs man schrei-
be, was lesens werth ist, oder daſs man thue,
was schreibens werth ist. Wenn denn die Re-
genten nicht groſs drauf geben, sich mit der
Feder berühmt zu machen, so greiffen sie zum
Schwerdt, und gedenken sich damit berühmt
zu machen, damit auch die Nachwelt weiſs,
daſs sie Regenten gewesen seyn.
Zum dritten ist auch ein Regent ein geld-
süchtiges Thier. Wenn einer ein Fündlein
erdenken kann, groſs Geld aufzubringen, der
ist ihm der beste Diener. Je mehr sie bekom-
men, je mehr sie suchen. Und nicht ohne
[296] Ursache. Denn man erfähret es, daſs sie bey
ihrem groſsen Einkommen die ärmesten Leute
seyn. Je mehr Länder sie bekommen, je armer
sie werden, daſs auch niemand mehr Schulden
hinter sich lässet, als die mächtigsten Potenta-
ten. Also erwecket der Mangel die Begierde,
und die Begierde häuffet den Mangel.
Zum vierten ist ein statistischer Regent ein
räuberisch unrechtfertiges Thier. Wenn
einer schon geitzig ist, so ist er forth noch
nicht unrechtfertig. Aber ein Regent, der sich
nach Ratio Status richtet, muſs nicht allein
geitzig, sondern auch unrechtfertig seyn. Er
muſs an sich ziehen alles, was er nur kann,
es geschehe durch Recht oder durch Un-
recht; es gereichet alles zu dem gemeinen
Besten. Solte wol jener Seeräuber nicht recht
gesaget haben: Er, der Seeräuber, were nur
ein kleiner Räuber; aber der groſse Alexander
were ein groſser Räuber, welcher zu Wasser
und Lande die ganze Welt beraubete?
Zum fünften ist ein Regent, wie er von uns
verstanden wird, ein listiges Thier. Es
weiſs wol, daſs es nicht alles recht ist,
was es thut; es weiſs aber auch seinen We-
[297] sen eine solche Farbe zu geben, daſs man
meinen muſs, es thue recht. Und in dem
Fall vergleiche ich sie einem Mörder. Ein Mör-
der saſs mit einem Wandersmann in der Her-
berge, und merkte, daſs der Wandersmann Geld
bey sich hatte. Er war aber so verständig,
daſs er wohl wuste, es were unrecht, einem
das seine zu nehmen, und ihn noch dazu töd-
ten. So gedachte er, eine Ursache zu suchen,
daſs er mit Recht an den Wandersmann kommen
könnte. Bringet derowegen so viel auf die
Bahn, daſs sie beyde mit Worten aneinander
gerathen. Darauf stehet der Mörder auf und
spricht: Ich will dir das gedenken, es soll dir
nicht geschenket seyn. Damit gehet er davon,
und wartet dem unschuldigen Wandersmann
auf den Dienst, und so bald er ihn ertappet,
greifft er ihn an mit solchen Worten: Weist du
wohl, wie wir mit einander stehen? Ueberwäl-
tiget ihn also, schlägt ihn zu Tode, und nimt
ihm all das seinige. Was dünket euch, sollte
das wohl nicht ein gerechter Räuber und Mör-
der seyn? Er hat ja Ursach gehabt, seinen
Feind anzugreiffen. Es ist kein Potentat,
der den andern angreifft, und unrecht ha-
ben will. Da muſs ein offentliches Manifest in
[298] die Welt; daſs muſs beweisen, daſs sie nicht
ohne Uhrsach Blut vergiessen und rauben.
Zum sechsten ist ein Regent nach der stati-
stischen Beschreibung ein grausam unbarm-
herzig Thier. Das beweisen die grausamen
Auflagen, damit das arme Volk, die Kinder
des lebendigen Gottes, gedränget werden.
Wenn schon ein armer Mann mit seinen Kindern
nicht sollte ein Biſslein Brods vor sich behalten,
das bewegt sie nicht. Es beweiset’s die un-
menschliche Begierde, Krieg zu führen.
Die Alten haben dafür gehalten, wenn man
Krieg nenne, so nenne man alles Unglück.
Denn wer kann auch erzehlen alle den Jammer,
so man im vorigen Teutschen Kriege an Men-
schen und Viehe gesehen? Noch haben unsere
Herren Lust dazu, und vergiessen Blut; ja
Menschen-Blut, ja Christen Blut häuffiger Wei-
se, umb Sand und Land, umb ein geringes Wort,
umb eigene Ehre, umb ein geringe Personal-
Jnjuria. Eines einigen Christen Blut ist von
Gott theurer geachtet, als ein ganz Königreich.
Aber diesen Leuten grauet nicht, Christen Blut
zu vergiessen ohne Maaſs, umb eines einigen
Dorfs, oder einer einigen Stadt willen; sondern
[299] rüsten Menschen wider Menschen, Christen
wider Christen, und geben ihnen mördliche
Waffen in die Hand, sich einander bey Hun-
derten und Tausenden aufzureiben; da nicht
allein der Leib getödtet, sondern auch manch
Tausend Seelen zur ewigen Verdamnüſs gefüh-
ret wird. Noch haben unsere Herren Lust dar-
zu, richten ihren Stat auch also an, daſs Her-
ren nicht können Herren bleiben, wo sie nicht
andern ins Land fallen, rauben, stehlen, und
Blutvergiessen; ist das nicht zu erbarmen? Sie-
he, das ist die Gestalt eines Regenten, wie
ihn die Statisten haben wollen. In Summa, es
ist ein solches Thier, dem fast alle Laster an-
stehen. Da bey einem gemeinen Mann ge-
lobet wird, auffrichtig sein Wort halten,
so schämen sich Regenten nicht, etwa zu
versprechen, und verschreiben, und da-
von zu halten, so viel als ihnen beliebet.
Dahero auch ein Regent dem andern
nicht trauet: Denn sie kennen sich unter
einander, und wissen, was Ratio Status
ist; nehmlich, ein Ding, dem nicht zu trauen
stehet. Hurerey und Ehebruch wird an dem
gemeinen Mann von ihnen gestrafft; bey ihnen
[300] selbst wird es nicht geachtet. Diebe lassen sie
henken; Ihnen stehet jedermans Beutel offen.
Mörder werden getödtet; Sie selbst haben
Lust, unshuldig Blut zu vergiessen. Da sie
das Land von Mördern und Dieben reinigen sol-
ten, erfüllen sie es damit, daſs auch der weise
König von ihnen gesagt Proverb. 28. „Ein Gott-
loser, der über ein arm Volk regieret, das ist
ein brüllender Leu, und gieriger Bär„. Wenn
denn auff solche Art ein Regent muſs angese-
hen werden, ist leicht zu erachten, wie mit
solchen Regenten die Gottesfurcht sich reime.
Ich solte hie wohl die Gottesfurcht beschreiben,
wie ich oben die Regenten nach ihrem Staat be-
schrieben habe; aber der Mühe kan ich überha-
ben seyn. Denn wenn man von der Gottes-
furcht nicht mehr weiſs, als daſs sie solche
Augen erfordere, die auf Gott sehen, und daran
gedencken, daſs sie ihres Thuns Rechenschafft
dermaleins müssen für Gott ablegen, so hat man
hier genug. Denn wer siehet nicht, daſs bey
einer solchen Creatur, die alles richtet zu ih-
rer eigenen Hoheit, als zu dem vornehmsten
Zweck; daſs sie groſse Macht, groſsen Ruhm,
groſsen Reichthum in der Welt erlange; die
unrechtfertig, listig und blutdürstig ist:
[301]
Wer siehet nicht, sag ich, das bey einer sol-
chen Creatur die Gottesfurcht keinen Platz habe?
Aber vielleicht mögen wir solches zu sagen zu
einfältig seyn, und die Sache nicht recht verste-
hen; denn ein ander möchte sagen, die Gottes-
furcht schickte sich gar fein bey einem Regenten,
so er anders nach statistischer Art sich halten
wolle. Denn die solche Regenten unterweisen,
schreiben ihnen diese Regul für, daſs er sich der
Gottesfurcht annehme, sich zur Kirchen fleissig
halte, von Gottes Wort gerne rede, über die Re-
ligion eyfere. Denn sie wissen, daſs kein Teuffel
so böse ist, er kann sich in einen Engel des
Liechts verstellen. Was vorhin von den Regen-
ten gesaget, taugte im Grunde nicht. Damit es
aber den Schein gewinne, als sey es so böse nicht
gemeinet, so müssen sie sich der Gottseligkeit
annehmen. Da muſs denn niemand mercken. daſs
diſs so ein böses Thier sey. Da heist es denn
eine Christliche Obrigkeit, eben wie der
Teuffel ein heiliger Teuffel ist. Also reimet
sich ja die Gottesfurcht im Regenten-Stand gar
wol, aber als ein Deckel ihrer fleischlichen Be-
gierde. Es trifft ihnen, was der weise König
sagt, Prov. 20. „Viel Menschen werden fromm
gerühmet; aber wer wil einen finden, der recht-
[302] schaffen fromm sey„. Man sehe nur an, was gros-
se Potentaten thun, wenn sie Krieg führen.
Können sie es dahin bringen, daſs die
Welt meine, es gehe die Religion an, so
haben sie schon halb gewonnen. Ich habe
meinem Vorhaben ein Gnügen gethan; denn ich
mir vorgenommen zu sagen, wie sich die Got-
tesfurcht reime mit einem Regenten, der nach der
heutigen statistschen Art sein Regiment führet, und
Ratio Status wohl beobachten kann. Das habe
ich nun gethan, und habe gezeiget, es reime mit
solchen Regenten die Gottesfurcht sich nicht an-
ders, als so ferne sie ist ein Deckel der fleischli-
chen Lüste und Bosheit. Ich will dennoch, den
Regenten zu gefallen, dieses hinzuthun, was
doch endlich ein solcher Regent wird gewinnen
und davon bringen? Kürzlich: Ich besorge, es
werde ein strenges Gericht über sie ergehen.
Denn dieweil sie andere gerichtet haben, sich
aber selbsten nicht haben richten wollen, so wird
der höchste Richter aufstehen, und über sie das
Gerichte halten. Wem viel vertrauet ist,
von dem wird [auch] viel gefordert werden.
Wem ist aber mehr vertrauet als Regen-
ten? So viele Menschen, derer Leib und Seel,
deren Haab und Guth, Ehr und Wohlfahrt! Von
[303] wem wird nun mehr gefodert werden, als von
Regenten? Daher spricht Jacobus im andern Cap.
seiner Epistel: „Es wird ein unbarmherzig Gerichte
über den ergehen, der nicht Barmherzigkeit ge-
than hat. Und Sap. 6. stehet: Die Gewaltigen wer-
den gewaltiglich gestraffet werden. Es ist wohl
werth, daſs es von Regenten gelesen, [und] mit
rechtem Nachsinnen betrachtet werde, was da-
selbst die Weisheit redet: „Höret, (ruffet sie,)
höret ihr Könige; merket, lernet ihr Richter auf
Erden; nehmet zu Ohren, die ihr über viel herr-
schet; denn euch ist die Obrigkeit [gegeben] vom
Herrn, und die Gewalt vom Höchsten. Darum
wird Er fragen, wie Ihr handelt, und forschen,
was ihr ordnet; denn ihr seid seines Reichs Ampt-
leute. (Ihr seid nicht eure eigene Herrn. Ihr habt
das Ampt von Gott; Ihr seid seines Reichs Ampt-
leute). Aber Ihr führet Euer Amt nicht fein, und
haltet kein Recht, und thut nicht, was der Herr
geordnet hat. Er wird gar greulich und kurz über
Euch kommen, und es wird gar ein scharf Ge-
richt gehen über die Oberherrn; die Gewaltigen
werden gewaltig gestrafft werden„.
Wenn ich nur gedenke an den Proceſs des Jüng-
sten Gerichts, wie ihn Christus selbst offenbahret
hat, so nimmt mich Wunder, wie Regenten kön-
[304] nen ohne Furcht leben. wenn sie solches hören.
Denn so wird der Richter sagen: „Ich bin hunge-
rig gewesen, und Ihr habt mich nicht gespeiset;
ich bin durstig gewesen, und ihr habt mich nicht
geträncket; ich bin nacket gewesen, und Ihr habt
mich nicht bekleidet„. O groſser Gott, was wer-
den dir antworten dieselbe, die nicht allein deine
arme Brüder nicht gespeiset und bekleidet. son-
dern selbst viel Tausend armer Leute gemacht
haben; und das haben sie gethan an deinen Brü-
dern, und an deinen Schwestern. Einer wird
daselbst auftreten und sagen: Ich habe noch ein
Biſslein Brodt gehabt für mich und meine Kinder,
aber die Regenten haben mir es aus dem Maule
gezogen. Die Regenten, die Regenten haben
mich drumb bracht! Ein anderer wird sagen:
Ich hatte noch ein einziges Kühlein, das mit sei-
ner Milch mich und meine Kinder erlabete. Ich
habe sie aber müssen verkauffen, und das Geld
den Regenten geben; die Regenten haben mich
drumb bracht. Der dritte wird sagen: Ich hat
te noch eine Decke, damit ich meinen nakten
Leib bedecken konnte; ich habe sie aber müssen
dahin geben, die Regenten haben mich drumb
bracht. O das schwere Gericht, das darauf fol-
gen
[305] gen wird! Es wird ein unbarmhertzig Gericht ge-
hen über den, der nicht Barmhertzigkeit gethan
hat. Man möchte sagen: Ey, die Regenten sind
gleichwohl so unbarmhertzig nicht, daſs sie sich
der Armen nicht solten annehmen; sie wenden
ja groſs Geld an die liebe Armuth. Ich gebe es
zu; aber was ists? Wenn einer den armen Leu-
ten viel tausend Thaler abgedrungen hat, und
wendet hernach etwan zehen oder zwantzig Tha-
ler an die Armen. Ich fürchte gar zu sehr, die
Gewaltigen werden gewaltig gestrafft werden.
Viel unter Euch werden vielleicht itzt sagen, du
bist ein Majestät-Schänder! Wer pfleget so von
den Majestäten zu reden? Aber thut gemach, lie-
ben Herren! mit nichten schände ich die Ma-
jestäten.
Fürs erste halte ich die Obrigkeit für eine herr-
liche heilsame Ordnung Gottes, und ehre dieselbe,
als Gottes Diener, denen Gott selbst das Schwerdt
und die Macht in die Hände gegeben hat. Ich
bin ihr auch gehorsam und unterthan. Zum zwey-
ten zweiffele ich nicht, daſs unter den Regenten
viel seyn, die wol wissen und bedencken, daſs
sie unter Gott seyn und deſs wegen ihr Gewissen
in der Regierung wohl in acht nehmen. Solche
(II. Band.) U
[306] gottselige Regenten achte ich sehr hoch, die man
billig rühmet, wie Syrach Cap. 49. v. 42. den Kö-
nig Josias. Der Nahme Josias ist wie ein edel
Räuchwerk aus der Apotecken; er ist süsse wie
Honig im Munde, und wie ein Seitenspiel beym
Wein. Gewiſs ist es, daſs ein gottseeliger Re-
gent nicht genung kan gepreiset werden. Was
ich aber zum dritten geprediget habe, gehet die
gewissenlosen Statisten an, und deren Rathgeber,
von welchem ich gesagt habe und noch sage,
die Gottesfurcht reimet sich mit ihnen nicht an-
ders, als so fern sie ist ein Deckel der fleischli-
chen Boſsheit und Lüste.
So möchte man weiter fragen, wenn diſs allein
die gewissenlosen Regenten angehet was bedeut
es, daſs du davon predigest? Sind denn solche
Regenten vorhanden? Wohl ist es gut, daſs Ihr
darnach fraget, wozu diese Predigt nütze ist? Ich
wil es euch sagen. Zum ersten dienet sie den
Regenten und allen die mit dem Regiment zu thun
haben; und zwar dienet es ihnen zur Warnung,
damit sie sich prüfen und wohl fürsehen. Ver-
ständige und gottselige Regenten wissen selbst
wol, wie ungleich es im Regiment daher gehet,
und können es mit billigen. Es gedencket aber
ein jeder, daſs er Fleisch und Blut an sich habe.
[307]Leichte ist es geschehen, daſs derselbe,
der groſse Gewalt hat, seine Gewalt miſs-
brauche. Da erforsche sich nun ein jeglicher,
der mit den Regenten zu thun hat, wie er sein
Gewissen in acht genommen? Findet ihr Freu-
digkeit in euren Gewissen, so dancket Gott und
freuet euch, denn euer Lohn wird im Himmel
groſs seyn; saget euch aber euer eigen Gewis-
sen, daſs ihr eure Macht miſsbraucht, auch un-
billiche unchristliche Dinge mit Rath und That
befördert, so macht euch nur nicht rein. Ihr
habt nicht mit Menschen, sonder mit Gott zu
thun. Nehmet euch vielmehr vor, was vorhin
versehen, ins künfftige zu bessern. Gedencket
ihr aber, das nicht zu thun, wolan, so habt ihr
auch nichts anders zu gewarten, als was gesagt
ist: Die Gewaltigen werden gewaltiglich ge-
straffet werden.
Insonderheit ermahne ich euch Herren-Die-
ner! Sehet euch wol für! Gedenckt nicht,
daſs ihr alsdenn eures Herrn bestes ge-
sucht habt, wenn ihr es suchet mit der
Unterthanen Verderben. Unser gnädigster
Landes-Fürst und Herr ist von der hohen Ma-
jestät Gottes über seine Unterthanen gesetzt,
als ein Hirte über die Schaafe; als ein Vater
[308] über die Kinder des lebendigen Gottes, daſs S.
Fürstl. Gn. dieselbigen schütze, und ihr Bestes
suche. Meinet ihr denn, ihr habt eurem Herrn
in der Regierung wohl gedienet, wenn ihr sei-
ne Unterthanen verderbet? Man muſs beken-
nen, daſs an Herren-Höfen der Diener viel ge-
funden werden, die ihres Herrn Nutzen, Ho-
heit und Ratio Status also wissen in acht zu
nehmen, daſs allerley Ungerechtigkeit und Un-
barmhertzigkeit geübet, und der armen Leute
Schweiſs und Blut heraus gepresset wird; und,
wenn sie das gethan, sind sie nach ihrer
Meinung getreue Diener. Ich rahte aber,
hütet euch, und fasset diese Regul: Ein
Amptmann und Herrn-Diener ist schul-
dig, so wohl der Unterthanen Bestes, als
ihrer Herrn, zu befördern.
Hernach dienet es auch, was ich geprediget
habe, den Unterthanen ingesampt; und erstlich
dazu, daſs sie wissen weiſs und schwarz zu
unterscheiden, und einen Unterscheid zu ma-
chen zwischen der herrlichen Ordnung Gottes,
und dem Miſsbrauch, so solcher, Ordnung an-
hanget, und daſs Sie umb deſs Miſsbrauchs
willen die Ordnung selbst nicht verwerffen und
verlästern. Der Regenten-Stand ist und blei-
[309] bet ein heilsamer göttlicher Stand. Geschichts
aber, daſs Regenten ihres Standes miſsbrauchen,
so soltihr darumb die Ordnung Gottes nichtschän-
den. Müsset ihr schon etwas unbilliges leiden,
werdet ihr zu hart gepresset, und müſset in eurem
guten Recht niederfällig seyn: So solt ihr doch
umb des Gewissens willen das Uebel vertragen,
und nichts desto weniger die Obrigkeit lieben
und ehren; und hütet euch ja, daſs ihr umb
eurer Ungelegenheit willen euer Hertz nicht
zu einem Sathan wider einen Gesalbeten des
Herrn machet.
Zum andern dienet auch vorgehabte Betrach-
tung dazu, daſs ihr den erbärmlichen Zustand
der Christen verstehen und klagen könnet.
Wenn ihr von unbillicher unbarmhertziger Ge-
walt der Regenten höret, so gedencket, daſs
es eine Straffe von Gott sey, und habt Mitlei-
den mit denselben, die von solcher unbillichen
Gewalt gedrücket werden; wie ihr denn er-
mahnet werdet ad Hebræos 13. Gedencket de-
rer die Trübsal leiden, als die ihr auch noch
im Leibe lebet. Christen sind Glieder eines
Leibes. Was dem einem wehe thut, soll auch
der ander fühlen, und einer soll dem andern
[310] in seiner Last zu Hälfe kommen, mit Seufzen
und mit Beten.
Endlich zum dritten dienet es dazu, daſs wir
Gott dem Herrn dancken, wenn uns Gott eine
gewissenhaffte recht christlishe Obrigkeit be-
scheret, und daſs wir desto mehr und hefftiger
für dieselbige zu Gott beten. Das wollen wir
nun auch auff diſsmahl thun:
Groſser Gott, du Herr aller Herren, der Du
Fürsten, als deines Reichs Amptleute, über dein
Volck gesetzet hast, und befohlen, daſs sie, als
deine Stadthalter, für ihre Unterthanen sorgen
und Schutz halten sollen: Wir dancken dir für
solche deine heilsame Ordnung. Nun Vater,
diese unsere Fürsten sind, als Menschen, viel
zu schwach, solchen Stand recht zu führen;
darumb bitten wir demütig, sey du ein Regierer
der Regenten, ein Schild und Gewalt der Ge-
waltigen. Laſs Fürsten fürstliche Gedancken
haben, und darüber halten. So sie aber ihre
Gewalt miſsbrauchen, so schone ihrer gnädig-
lich, und gib ihnen ein ander Hertz; denn das
kanst du. O du gewaltiger Gott, Du hast die
Hertzen aller Herren in deinen Händen, und
lenckest sie wie Du wilt. Insonderheit befehlen
[311] wir Dir in deinen Gnadenschutz Unsern gnä-
digen Landes Vater und Herrn, sampt dem gan-
tzen Fürstenthumb; stärcke ihn in seinem ho-
hen Alter, und führe ihn in deiner Furcht; si-
tze mit ihm im Rath, und gib ihm gesunde
Räthe und treue Amptleute, die auch in deiner
Furcht wandeln, und das Böse hassen sampt
dem Geitz. Schaffe, daſs sie allesampt richten
nach Recht und Gerechtigkeit; in aller Noth
sey ihre starcke Hülffe, auff daſs wir in Ruhe
und Friede deinem heiligen Nahmen dienen
mögen, Amen.
So herzlich und geistreich, wie Lütkemann,
würden auch Spener und Franke zu Ende
des vorigen Jahrhunderts gebetet — eine solche
Predigt aber würden, um hundert Jahre weiter
hin, weder Mosheim noch Jerusalem in
Braunschweig gehalten haben; und eben so
gewiſs ist, daſs, wenn in unsern Tagen ein
Geistlicher irgend eines Landes und Standes,
eine Canzel-Rede in diesem Ton und Melodie
zu halten sich ermächtigte, er als ein Fürsten-
Schänder und Volks-Aufwiegler, zu unausbleib-
licher Verantwortung und Strafe würde gezogen
werden.
[312]
Die Wahrheit war zu allen Zeiten nur Eine.
Der Kampf zwischen Licht und Finsterniſs, zwi-
schen Tugend und Laster, Glauben und Aber-
glauben, Wahrheit und Irrthum, war der Streit
aller Jahrhunderte. Sind die Kämpfer matt und
verzagt, sind die Waffen der Wahrheit stumpf
und unbrauchbar worden; oder welches sind
die Ursachen, daſs man aus dem Munde christ-
licher Religions-Lehrer immer seltener solche
kühne, getroste, heroische, ohne Ansehen der
Person durchgreifende Zeugnisse, wie ehedes-
sen, zu vernehmen hat? Ist dieser Zeugen-Geist
mit der Zeit ganz verraucht und in Verwesung
übergegangen; oder ist die Kraft und der Muth
geblieben und nur in der Anwendung anders
modificirt und verfeinert worden? Wie verhal-
ten sich Menschen und Sachen der vergangenen
Zeiten hierinn gegen die jezige? Was ist an je-
nen oder diesen zu loben oder zu tadeln; und
was ist vor’s Gegenwärtige und Künftige zu
fürchten oder zu hoffen?
Diese Fragen und Betrachtungen sind doch
wohl einer nähern Prüfung und Untersuchung
werth. Publicität ist das groſse Losungswost
[313] unserer Tage; warum solte nicht die Publici-
tät der Canzel eine besondere [Beleuchtung]
verdienen?
Indem ich aber von dieser besondern Gattung
Publicität spreche, so verstehe ich darunter
diejenige offentliche und mündliche Zeugnisse
der Wahrheit, welche vor einer versammelten
christlichen Gemeine zur Rüge von Lastern,
[Miſsbräuchen], Irrthümern und Gebrechen, ent-
weder, ganzer Stände oder einzeler bedeuten-
der Personen, deren Beyspiele von schädlichen
Folgen für andere seyn können, abgeleget
werden.
Durch diese Einschränkung sind also bloſse,
obgleich in der nehmlichen Absicht und zu
gleichem Zweck verfaſste Schriften, den öffent-
lichen Canzel-Vortrag ausgenommen, von
selbsten ausgeschlossen.
Ich würde es selbst um so unbedenklicher
wagen, dieser Beschäftigung einige Stunden
meiner glücklichen Einsamkeit zu widmen, als
Gott lob! die Zeiten vorbey sind, da es einem
deutschen Staatsmann als eine ungeziemende
Allotrioepiscopie gedeutet, oder wohl gar zum
Verbrechen angerechnet wurde, wann er sich,
[314] ausser denen ihm vermeintlich angewiesenen
Gränzen, einen Schritt in das Gebiet der Theo-
logie und Kirchen-Geschichte erlaubte. Das
Recht, zu prüfen und das Gute zu behalten, ist
nicht nur ein allgemeines und unveräusserliches
Menschen-Recht, sondern auch das edelste der
protestantischen Kirchen-Rechte, und hängt mit
der Pflicht eines diese Vorzüge nach Würden
schätzenden gewiſsenhaften Staatsmanns unzer-
trennlich zusammen.
Diese Stimmung und Anforderung wurde in
mir noch lebendiger, da ich in der Lesung des
von dem vortreflichen, eben so gelehrten als
erfahrnen Veit Ludwig von Seckendorf be-
reits im Jahr 1685. geschriebenen Christen-
Staats*) auf folgende merkwürdige Stelle
stieſs: „Die Betrachtung des Standes der Obrig-
keit ist eine schwere und gefährliche Materie;
theils daſs niemand, nach menschlicher ange-
bohrner Unart, unlieber die Wahrheit höret,
als wer Macht hat dieselbe zu verwerfen, und
denjenigen zu beleidigen der sie fürbringet;
theils weil man auf der andern Seite sich ver-
sehen muſs, daſs aus offenbarer, obwohl treu-
[315] herziger und gegründeter, Anzeige der obrig-
keitlichen Mängel, wann gleich christliche hohe
Personen solche mit Gütigkeit und Dank auf-
nehmen, dennoch bey dem unverständigen Hau-
fen der Unterthanen ein widriger [und] böser
Effect, nehmlich Haſs und Verachtung gegen
die Obrigkeit, oder gar Aufstand und Empörung
veranlaſset werden möchte. Allermaſsen das
Exempel des unglückseeligen Bauren-Kriegs
ausweiset, da die Leute nicht allein durch vor-
setzliche Verführer und Aufwiegler zur Aufruhr
erreget, sondern auch wohl nur aus Anhörung
der Predigten, da guter Meinung vom Amt der
Obrigkeit gelehret worden, sich geärgert, und
weil sie zugleich von Mängeln der Obrigkeit
gehört, denenselben mit gänzlicher Aufhebung
solchen Standes abhelfen wollen. Dahero ist
überaus nöthig, eine solche Behutsamkeit zu
gebrauchen, daſs nicht Ursach zum Miſsbrauch
gegeben werde. Wäre also besser, daſs die
Seelsorger und Beichtväter, wie etliche christ-
lich und löblich thun, aller Orten zuforderst
den Muth fasseten, dasjenige münd- und schrift-
lich denen Obrigkeiten absonderlich vorzuhalten
was sie auf der Canzel, oft in Abwesenheit de-
rer, die es eigentlich treffen soll, oder da sie
[316] gegenwärtig sind, mit ihrer groſsen Beschim-
pfung vor den Gemeinden, fürbringen. Ferner,
wann ihre bescheidenliche und auf genugsame
Erwegung und Erkundigung der Sache und
nicht auf ungewiſs Geschwätze und Muthmaas-
sung gegründete Erinnerung nichts verfienge,
daſs sie alsdann das öffentliche Uebel zwar nicht
unangezeigt liessen, sondern nach Gottes Wort
straften, dabey aber allezeit genugsamen Re-
spect gegen das hohe Amt der Obrigkeit brauch-
ten, und die heilsame Vermahnung anhiengen,
daſs die Unterthanen, welche solche Gebrechen
der Obrigkeit merken und offentlich taxiren hö-
ren, nicht etwa einen Kützel daraus empfinden,
oder über des Predigers Freymüthigkeit sich
verwundern sollten; sondern daſs sie zusorderst
in sich selbst gehen, und daher Ursach neh-
men sollten, Gott täglich auzurufen, daſs er
die Obrigkeit mit seinem guten Geist regieren,
sie zu seinem und ihrer selbst Erkenntniſs brin-
gen oder darinn erhalten und sie für Ungerech-
tigkeit und andern schädlichen Händeln in dero
hohen Amt behüten, ihnen auch fromme und
gewiſsenhafte Räthe und Diener verleihen wolle,
die mit zusammengesezter Treue die Mängel
erinnerten, und, weil jeder Rath verpflichtet
[317] wird, seines Herrn Bestes zu befördern, daſs
sie solches auch auf die nothwendige geziemen-
de Erinnerung in Gewissens-Sachen verstünden,
und nicht meyneten, der Beichtvater sey allein
dazu bestellet. — Gewiſs ist, daſs der Unmuth,
das Murren, das Austragen und Durchhecheln
der Obrigkeiten, welches fast aller Orten von
Unterthanen getrieben wird, das Mittel so we-
nig seye, wodurch die Besserung zu erhalten
wäre, als das unbedachte Schreyen auf den
Canzeln„.
So wahr und gegründet dieses in Ansehung
des Betragens und der Gesinnungen der Unter-
thanen auch noch zu unsern Tagen ist, wie
unendlich ist dagegen der Unterschied, wenn
man das Reden, oder, nach dem bidern Secken-
dorf, das Schreyen und Poltern der Prediger
vom Jahr 1685. dem Schweigen, Achseltragen
oder Leisetreten unserer modernen Canzelredner
vom Jahr 1795. gegen über stellt. Man mag
jenes tadeln und dieses entschuldigen, wie und
so viel man will, so ist doch nicht zu laügnen,
daſs, wenn man zu jener Zeit zu viel gethan,
man heut zu Tage ehender zu wenig thue.
[318] Es ist dahero ein zur rechten Zeit gesagtes Wort,
wenn der ehrwürdige Leſs*) diesen Theil der
Pflicht eines sein Amt mit ganzer Treue ver-
waltenden Predigers auf’s neue, mit der ihm
eigenen Herzlichkeit und Würde, einschärfet:
„Erinnerung (sagt er) der Irrenden, Sündigen-
den und Lasterhaften; mit der Wahrheit und
Gründlichkeit, welche die überlegenen Kennt-
nisse eines erleuchteten und exemplarischen
Lehrers verschaffen; in dem Geiste der Klng-
heit, Demuth und Sanftmuth, den die christliche
Moral lehret und einflöſst; mit dem Muthe und
der Entschlossenheit, zu welchem Evangelische
Tugend erhebt: Solche Erinnerungen, be-
sonders den Reichen und Vornehmen, den
Mächtigen und Gewaltigen der Erde ge-
geben, sind unstreitig wesentliche Geschäfte
des christlichen Lehr-Amts; die ehedem oft
überspannt worden, jezt aber noch öfter
vernachlässiget, wohl gar, als Fürwitz
und Eingriff in die Rechte anderer, verur-
theilet werden. Wer wird und soll diesen
unaussprechlich wichtigen Dienst einzelnen Per-
[319] sonen und der ganzen Gesellschaft leisten, wenn
es nicht der thut, der für die Seelen der Men-
schen zu wachen von Gott bestellet und be-
rufen worden? Wer wird es wagen, sich Obrig-
keiten und Fürsten darzustellen, an ihnen die-
ses Geschäfte so ehrerbietig als unerschro-
cken zu verrichten, und dabey Gemächlichkeit
und irrdischen Wohlstand in Gefahr zu setzen,
wenn der Prediger, zu dessen Gemeine sie ge-
hören, furchtsam schweigen will? Unaussprech-
lich sind die Vortheile, welche dergleichen
Erinnerungen, nach der christlichen Moral Vor-
schriften eingerichtet, stiften. Tausend Perso-
nen, Familien und Geschlechter können dadurch
vom Untergange errettet, tausend gute Cha-
ractere gebildet und Millionen wohlthätiger
Handlungen hervorgebracht werden. Selbst un-
gerechte Urtheils-Sprüche und grausame Krie-
ge verhindern, Einrichtungen aber und Unter-
nehmungen, die ganzen Städten und Ländern
Heil bringen, befördern kann der christliche
Prediger durch gute Verwaltung dieses Theils
seines Amts„.
Um diese ganze Materie von dem sonst so
genannten Elencho, Straf-Amt, Amt der
[320] Schlüssel, oder, wie ich mir den modernen
Ausdruck erlaube, von der Publicität der
Canzel in einem richtigen Ueberblick zusam-
men zu fassen, ist wohl deren Betrachtung in
einer historischen Zeitfolge am natürlichsten und
bequemsten, weil die Geschichte Thatsachen
liefert, aus welchen die Beurtheilung von selb-
sten folget, oder doch, wann sie von jenen
unterstützt wird, nicht so leicht abgewiesen
und widersprochen werden kann.
So hatte ich bereits angefangen, diesen Ge-
genstand zu durchdenken und nach Anleitung
der allgemeinen und besondern Provincial-Kir-
chen-Geschichte zu bearbeiten; nur allzubald
muſste ich aber wahrnehmen, wie weit mich
solches führen, und daſs, statt einiger Betrach-
tungen ein ganzes Buch daraus werden wür-
de, dessen Schicksal bey der bekannten Huma-
nität unserer heutigen Theologischen Journa-
listen, Annalisten etc. gar leicht vorher zu se-
hen war.
Ich liebe leidenschaftlich die Wahrheit, so
weit deren Licht mir scheinet, aber auch in
meinen Jahren Frieden und Ruhe, und entsage
also
[321] also ohne Reue meinem entworfenen Plan, wel-
chen ich denjenigen, die mehrere Einsicht und
Muth genug haben, zu beliebigem Nachdenken
und Ausführung überlasse.
Wer es nun auch sey, halb oder ganz geist-
lich oder weltlich, der sich diesen Erörterun-
gen zu unterziehen einst bewogen finden möch-
te, dem werden sich wohl die drey Haupt-
Puncte vor Augen stellen:
Wie viel der Geist der Zeit und die von den
vorigen so sehr verschiedene Beschaffenheit
der christlichen Religions-Vorträge überhaupt
auf die Canzel-Publicität gewürkt habe?
Welchen Einfluſs seit hundert Jahren die
Grundsätze der Protestantischen Fürsten, ihrer
Minister, Hofleute, Publicisten, Consistorien
und Collegien, ihre Religiosität oder Unglaube,
und die ganze Denkungs- und Lebens-Art der
verschiedenen Stände von Adel, Bürger und
Bauer darinn hervorgebracht, noch haben, und
je länger je mehr haben werden.
Wie viel die Achtung oder Geringschätzung
des geistlichen Standes überhaupt, die Bild- und
(II. Band.) X
[322] Erziehung der Religions-Lehrer, ihr Leben,
Lehre und Aufführung, im Amt und im gemei-
nen Leben, dazu beytrage? Welches von alle
diesem die allgemeinen und besondern Ursachen,
und vors Künftige die erfreulichen oder trauri-
gen Aussichten seyen?
[]
Appendix A Inhalt
des zweyten Bändchens.
- VI. Der selbst-regierende Fürst. 3
- VII. Ueber das Loben der Könige und
Fürsten. 61 - VIII. Vermischte Bemerkungen über
Könige und Fürsten. 211 - ANHANG.
D. Lütkemanns Ao. 1655. zu Wolfenbüttel
gehaltene Regenten-Predigt. Nebst
einigen Worten und Winken über die
Publicität der Kanzel. 279
[][][][]
natur. de Mr. de Buffon, T. VII. p. 16.
„Mir dünkte, die Könige und Herrn seyen allerseits
die schlimmsten Gesellen, und ich hielt dafür, es sey
doch gleichwohl nichts leichter, als ein Fürst, und
eben darum der beste Sterbliche zu seyn. Aber die
Augen sind mir geöffnet. Es ist, wie ich nun finde,
unendlich schwerer, ein Fürst und doch gut zu seyn,
als ein Nicht-Fürst und zugleich ein braver Mann.
Daſs unsere Fürsten eben darum nicht Tyrannen sind,
weil sie Fürsten sind, ist mir der stärkste Beweis,
daſs die meisten unter ihnen die allerbravsten See-
len auf Gottes Erdboden seyn müssen; dann sie haben
doch allerseits mindestens eben so viel Recht und noch
viel leichtere Mittel, als ihre Tadler„.
Cardinal de Richelieu avoit détruit les ennemis de sa gran-
deur, et s’étoit rendu l’arbitre des voloutés de Louis XIII.
qui voyoit dans les derniers tems de sa vie et sans presque
oser se plaindre, que ses bons sujets le quittoient, pour
s’attacher au Cardinal. Le Serviteur ôtoit au Maitre ce
qu’il lui plaisoit. Il semble, que Louis XIII. voulut se-
couer ce rude joug, un peu avant la mort du Cardinal; [du]
moins les memoires de son regne l’insinuent. — Quoi qu’il en
soit, le Cardinal se fit craindre jusqu’au bout, et Louis fut
toujours obeissant; après un peu de resistance il en falloit
venir là pour avoir la paix. — Ce Prince foible connoissoit
bien, que le Ministre usurpoit l’autorité de Maitre. Il vit
avec assés de froideur son favori agonisant, et quand il aprit
la nouvelle de su mort, il s’écria: Je suis donc Roi
maintenant. Il se trompoit le bon Roi; il n’avoit pas
assés de courage, pour l’être jamais. Memoir. du C. de
Brienne, T. II. p. 159.
besoin sous lui que d’un commis laborieux, et non d’un Mi-
nistre éclairé, qui pensât de lui-même, et qui trouvât de
bons expediens dans les affaires difficiles. Annal. polit.
de M. de St. Pierre, T. I. p. 363.
Pardonnés, Sire, à la generosité de la nation, la noble fierté,
qui ne sauroit lui permettre d’obéir à d’autres, qu’à ses Rois,
et qui, [même] sous leur nom, ne souffrent qu’impatiem-
ment, que quelqu’autre lui commande. Le profond respect
et la haute estime des [François] pour leurs Rois, qu’ils
regardent comme incapables de vouloir autre chose, que la
justice et la raison, quand ils gouvernent par eux-[mê-
me], font ce qui forme dans leurs cœurs le prémiers nœuds
de ce fidéle attachement. Fortifiés, Sire, et reserrés des
nœuds si forts et si précieux. Le gouvernement d’un Pré-
mier-Ministre ne peut que les affoiblir et les relâcher, si
le Ministre n’est pas lui-même assés entreprenant, pour
essayer de les rompre. Memoir. de Noailles, T. IV.
p. 288. Die traurige Ursache, warum alle diese from-
men Wünsche scheiterten, sind in einem Schreiben
eben dieses biedern Marschalls an den Cardinal von
Tençin unverblümt angegeben: Je serois, (schrieb
er), bien [tranquille] à tous égards, si le Roi connoissoit
toujours la verité. Il l’aime; jamais Prince n’a eu des
intentions plus pures, ni plus droites. Dieu lui a donné
le discernement, qui est la qualité des Rois; mais la faus-
seté l’environne, et il peut être surpris. Je crains d’ail-
leurs, qu’il ne se défie trop de lui-même; et je voudrois
pour lui et pour le bien de son état, qu’il s’écoutat plus,
et qu’il écoutât quelquefois un peu moins les autres.
295. u. 306.
ruhr komme.
Le Roi Fréderic Guillaume étoit sans doute sévére, dur
et poussoit quelquefois la dureté au delà de ses justes bor-
nes; mais on se plait à le représenter comme le Prince le
plus féroce, le plus barbare, dont on puisse se former
l’idée. — Il n’épargnoit pas en général les coups de bâton,
mais cela ne lui est pas particulier; il en avoit des exem-
ples dans ses prédécesseurs, et ils ont été imités plus d’une
fois par son successeur. — Le Roi, mécontent de quelque
sentence portée par une chambre de justice, fit ordonner
à tous les membres de se rendre chés lui à une heure mar-
quée. Ils comparurent; et à mesure qu’il en entroit un,
le Roi le ross[o]it vigoureusement, en lui reprochant son
iniquité.
381. Tout ce qui appartenoit au gouvernement, devoit pas-
ser sous ses yeux et par ses mains. Ses ministres n’osoient
point, comme ils le font ailleurs, appliquer sa signature
d’àucun acte. Ils signoit lui-même, sans s’en rapporter
à eux, quelque confiance qu’il eut en leur discretion et
probité. Les ordres, qu’il addressoit aux officiers tant ci-
vils que militaires, et qu’il signoit de sa main, alloient
quelquefois à plusieurs centaines dans un jour.
schen Magazin, VI. B. S. 730.
vit à l’observation, que l’on a souvent faîte de toute
la Famille de Stuarts, qu’ils supportent mieux l’adver-
sité que la prosperité. Burnet Hist. d’Anglet. T. I. p. 91.
dieses alte verhaſste Wort zu gebrauchen. Sie mögen
immerhin sagen: Der Mensch sey gut gebohren; [wie]
andere gemeine Layen, die wir aber öfter um die Göt-
ter der Erde sind und mehr mit ihnen zu thun haben,
wissen’s besser.
zu werden.
weniger Schmeicheley seyn sollte als an Höfen, da sie
jezund am meisten ist. Denn, so der Fürst verführt
terthanen. Es ist auch nichts schädlichers in einem
Lande, als ein Schmeichler am Hofe. Wir dürfen nicht
klagen über Krieg, Schwerdt und Waffen; denn eines
Schmeichlers Zunge ist ärger als alle Schwerdter. Darum
sollte man solche Tellerlecker weit von Hofe wegjagen
und ernstlich ſtrafen„. T. IV. Lips. p. 79.
seinen Theologen als Vertheidiger der Sache Gottes und
als Bekenner des Evangelii gerühmt zu werden; nicht,
weil es seiner Eitelkeit schmeichelte, denn diese Lei-
denschaft beunruhigte ihn wenig; sondern weil er das
Bewuſstseyn einer guten That nöthig hatte, um sich
bey seinem Gewissen wegen so mancher andern entschul-
digen zu können, die er aus Trägheit unterlieſs, und
wegen so mancher Fehler entschuldigen zu können,
die er wohl an sich erkannte, aber zu verbessern wei-
ter nicht eilte. Der ehrliche Johannes glaubte sich ge-
troster gewisse Lieblings-Schwachheiten übersehen,
sich zum Beyspiel ruhiger des Mittags betrinken zu
dürfen, wenn er sich sagen oder sagen lassen konnte,
daſs er des Morgens etwas für das Evangelium gethan
habe; deſswegen zeigte er sich so bereitwillig alles zu
thun, wozu Luther oder sein Hofprediger ihn auffor-
derte„. Geschichte der Entstehung etc. des Protestanti-
schen Lehrbegriffs II. B. S. 340.
sailles sagte: Daſs das Louvre doch seinen Vorfahren
zur Wohnung groſs genug gewesen sey; und darauf
von ejnem feinen Hofmann erwiedert wurde: Da spre-
chen Ew. Majestät aber auch von possirlichen Königen,
(des plaisans Rois); um ihm dem Weyhrauch ins Ge-
sicht zu blasen; Wie können jene nur eine Vergleichung
aushalten?
de la Reine Elisabeth, qui l’avoient rendue l’astre de son
siecle, et l’arbitre de la Chretientè, fut si prodigieusement
terni, pour ne pas dire si parfaitement effacé, que le
Successeur de cette incomparable Reine étoit regardè com-
me l’opprobre de son tems. On l’encensoit à tour de bras,
et mille plusieurs affamés le flattoient à toute outrance dans
les lieux, ou il étoit maitre; mais toute l’Europe le mé-
prisoit comme un pédant sans jugement, un Roi sans cou-
ruge et sans fermeté, esclave de ses fav[o]ris et vendu à
l’Espagne.
über den Werth der Geschichte, Berlin 1783.
l’amour des peuples et rende solemnel cet hommage des
cœurs, quel Prince osera se fiatter, qu’il est sincére et
qui lui répond de ses courtisans?
Fürts * * am Jagdschnupfen. Er klagte über Stock-
schnupfen, gieng doch auf die Jagd und gab den zwey-
ten Tag seinen Geift auf. Das heiſs ich einen gewal-
tigen Jäger! Doch Friede ſeiner Aſche! Er war ein bra-
ver Mann und jagte, wenn er gleich indessen etwas
viel Gescheuteres hätte thun können, eben doch nur
Wölfe, Schweine und Hirsche, seinem Volk zum Be-
sten. Hätt’s freilich durch seine Jäger eben so gut thun
lassen können; aber er wollt’s halt selber thun. Da
sagt nun keiner von allen Zeitungs-Trompetern: Fürst
* * war ein guter Mann. Hätt’ er Menschenjagd ge-
trieben, so würden die kleinen Kerls alle, die so gern
vom groſsen Mann reden, getrompetet haben: Fürst * *
war ein groſser Mann. Warum denn das, ihr kleinen
Männlein? Weil er euch Zeitungs-Artickel lieferte? So!
toient les plus beaux discours du monde, que les siens. En-
tendant dire qu’une certaine chose etoit agreable au grand
Roi (de Perse): Par où est-il plus grand Roi que
moi, s’il n’est plus juste? demanda-t. il. Voila une
belle Theorie; mais la Pratique n’y repondoit pas, lors qu’il
s’agissoit de son Roiaume. Je veux croire, que pour des
interêts particuliers il n’auroit pas facilement contrevenu
l’Esprit et la Religion d’un Souverain. Com-
bien y a-t-il des Rois et des Princes zélés pour leur
religion, équitables et honnêtes de leur personne? Mais s’a-
git-il de nuire à leurs ennemis, ils suivent tous, ou pres-
que tous, les maximes de Lacedemone. Ce seroit, je crois,
un livre de bon debit, [que] celui de la Religion du
Souverain; il feroit oublier celui de la Religion
du Medecin. Diction. v. Agesilaus.
Maintenon im Jahr 1699. ihrem vertrauten Freund, dem
Cardinal von Noailles, ſchrieb: Le Roi ne veut point
les trois mots, sous les quels j’ai tirè une ligne; c’est une
suite de la naissance et de l’education, qui se derobe
se Gleichgültigkeit gegen das Glück ihres Volks; die
unsrigen durch die Voreiligkeit mit der sie pflanzen
wollen, statt den Boden zu bereiten. Von Ungern-
Sternberg Blicke in die moralische Welt. S. 188.
les choses en n’en parlant pas.
einem grossen, wohl geprüften König herrührendes,
ob sie von Gicht oder Flüssen herrühren das weiſs Gott.
Mich deucht aber, beyde fehlen miteinander, ohne daſs
sich der Streit für eins von beyden erkläret. Ich woll-
te nur, die Gicht gäbe sich zu erkennen, denn sie ist
die Krankheit eines Edelmanns; hingegen Flüsse sind die
Krankheit eines Miethkutschers oder Sänftenträgers,
die genöthigt sind, sich zu allen Stunden bey allerley
Witterung herauszumachen„. In seinen Briefen VI.
Band. S. 87.
da Friedrich II. in Preussen im Jahr 1768. an seinen
philosophischen Freund d’Alembert schrieb: „Der Für-
sten Gedult muſs eben so wohl geprüft werden, als
die Gedult des Privat-Mannes, weil sie aus einerley
Leimen geknetet sind„. Und ſchon einige Jahre vor-
her 1762. an seinen vertrauten d’Argens: „Kurz, ich glau-
be, von Ewigkeit her dazu bestimmt zu seyn, daſs ich
in meinen alten Tagen meine Gedult auf alle mögli-
che Art geprüft sehen soll. Herr! dein Wille geschehe„!
gen den Nachreden und Schmachworten, so ihm in das
Angesicht oder sonst heimlich sind zugefügt worden,
also mildsam und sanftmüthig gewesen, daſs, ob auch einer
die Kayserlich Majestät verlezt darum er den Hals ver-
fallen wäre, er nichts anders gehandelt, dann gesagt:
Die Zungen wären von Natur gefreyet; man möcht [sie]
auch frey nutzen und brauchen, sie wären auch mit
keiner Ketten der Gesetz gebunden„.
Hand von ihm machte, lautet freilich nicht günstig:
„Im Jahr 1671. besetzte ich die erledigte Stelle eines
Staats-Sekretairs mit einem Mann, den ich nur aus
seinen lange und mit meiner Zufriedenheit bekleideten
Gesandtschaften kannte. Es fand sich aber bald, daſs
die ihm übertragene Stelle zu groſs und zu viel umfas-
Schwachheiten, Eigensinn und Mangel von Arbeitsam-
keit gelitten. Es hat mir beträchtlichen Schaden ge-
than, und ich muſste vielen Vortheilen entsagen, die ich
sonst hatte haben können; und diſs alles aus Gefälligkeit
und Gutheit für ihn. Endlich muſste ich ihm doch be-
fehlen, seinen Abschied zu nehmen, weil alles, was
durch seine Hände gieng, an der Gröſse und dem Nach-
druck verlohr, die sich vor die Befehle eines Königs
in Frankreich geziemen, der nicht unglücklich ist.
Hätte ich ihn eher von meiner Seite geschaft, so hätte
ich manche mir begegnete Unfälle vermieden, und würde
mir nicht vorzuwerfen haben, daſs ich durch meine Ge-
S. 205.
Memoir. de Noailles T. VI. p. 271.
Teufel S. 307. von einem unbekannt reisenden und
bey einem Schmied seines Landes einkehrenden Land-
grafen von Hessen erzählt, welcher des Morgens sei-
nem mit einem grossen Hammer das Eisen zusammen
schlagenden Wirth zusahe, als dieser auf einmahl mit
Fluchen sagte: „Werde hart! Wollte Gott, daſs der
sage ich, du unseeliger Landgraf, und laſs dein wei-
ches Gemuth fahren; denn wie willst du sonst deinen
Unterthanen nützen? Siehst du nicht, wie deine Räthe
die Unterthanen drücken und aussaugen? Der und
der (er nannte sie alle mit Nahmen) wird von dem
Deinen reich, und Du wirst zum Bettler; der und der
handelt mit dem Deinigen wie er will, beraubt den
Unterthanen„, etc. Er rügte darauf ferner, daſs, wenn
man auch dem Herrn es klagen wolle, niemand vor
ihn kommen könne u. s. w. und fluchte den Landgra-
fen in die Hölle hinein. Der über diese Buſspredigt
geruhrte Fürst ritt des Morgens davon; nahm, wie
die Legende sagt, alles zu Herzen; fieng von der
Zeit an, gegen seine Schelmen und Diebe härter zu
werden, und sich dadurch, wahrscheinlich von diesen
Blutigeln selbst, den Titel, des Eisernen, zu ver-
dienen.
me. Ils font un art de leur tyrannie; et loin de sentir
toute horreur de leur conduite, ils s’en applaudissent, et
croient devoir une partie de leur gloire imaginaire à la
duretè de leur cœur et à leur peu de sensibilité pour les
hommes. Lettres Juives T. I. p. 201.
craindre, sans faire reflexion, que, qui se fait craindre, se
fait haïr. Annal. polit. de St. Pierre p. 343.
main, c’est de vouloir toujours, que le peuple, qui leur
est soumis, soit beureux, ou plus beureux, comme ils
disent, à leur mode. Quand il ne faut que vouloir
pour être obéïs, on s’egare dans un labyrintbe de contra-
nances de Joseph II. et de tous ses frères les Despotes.
Doutes sur la libertè de l’Escaut par le C. de
Mirabeau p. 159.
Formular-Büchern des sechszehenden Jahrhunderts und
aus den zu Ende des vorigen Säculi erschienenen zween
Folianten von Spatens Deutschen Secretariat-Kunst zur
Genüge überzeugen.
ten von Italien. S. 363. ein illüstres Beyspiel von dem
jetzigen Pabst Pius VI. mit den Worten anführt: „Es
ist bekannt, daſs er sich gerne loben hört. Man spricht
ihn entweder gar nicht, oder man erhält nur, was man
sucht, indem man ihm schmeichelt; allein von allem
Lobe, welches er so gefällig hinnimmt, berauscht ihn
am meisten, was den edlen Anstand seines Ganges und
die Schönheit seiner Figur angeht. Vielleicht ist diese
Art Eitelkeit nie weiter getrieben worden, als bey ihm.
Eine Menge Leute ohne Talent und Verdienst haben
dadurch, daſs sie ihn mit diesem Weyhrauche einräu-
cherten, Würden und Stellen erhalten.
führt ein solches Beyspiel der Unterredung von Lud-
wig XIV. und dem berühmten Banquier Bernard an, das
um seiner Originalität und wunderthätigen Würkung
willen verdient, mit seinen eigenen Worten wiederholt
zu werden: Le Controleur general l’amena aussi à une com-
plaisance, qui fait contraste avec sa hauteur ordinaire.
Il y avoit à Paris un fameux Banquier, nommé Samuel
Bernard, l’homme le plus riche de l’Europe, dont le crédit
fort étendu pouvoit être de la plus grande ressource, s’il
consentoit à le preter au Roi; mais comme il lui devoit beau-
coup et qu’on lui avoit souvent manqué de parole, il ne vou-
loit donner ni fonds, ni papiers. — Il sentoit ses forces,
et la necessité faisoit, qu’on le traitoit avec des grands
ménagemens et beaucoup de distinctions. En vain Desma-
réts lui representoit l’excés des besoins les plus preſsants et
l’énormité des gains, qu’il avoit fait avec le Roi. Bernard
restoit inébranlable. Cependant, disoit le Ministre au Mo-
narque, il n’y a que lui qui nous puisse aider. Je connois
ses affaires. Il est en êtat. Il n’est question, que de vain-
cre sa volonté et l’opiniatreté insolente qu’il montre. C’est
un bomme fou de vanitè et capable d’ouvrir sa bourse, si
Votre Majeste daigne le flatter. Le Roi y consentit, et
pour tenter ce secours avec moins d’indecence, il fut cou-
venu, que Desmarêts inviteroit Bernard à venir travail-
ler et diner avec lui à Marly. Il le presenta au Roi au
distingué, et après quelques mots obligeans lui dit: Vous
êtes bien bomme à n’avoir jamuis vû Marly. Venés avec
moi, je vous le montrerai et aprés cela je vous rendrai
à Desmarêts. Bernard suit. Pendant toute la prome-
nade le Roi n’adresse la parole, qu’ à lui, le consulte, lui
montre, lui explique toutes les beautés avec les graces qu’il
saveit si bien employer, quand il vouloit combler les gens.
Le Banquier, revenu chès le Controleur General, ne peut
trouver assés d’expressions pour louer un Prince si grand,
si doux, si affable. Dans ses transports de tendresse, il dit:
Qu’l aimeroit mieux risquer de se ruiner, que de le laisser
dans Dembarras. Desmarêts saisit l’occasion, et en tire
plus, qu’il n’esperoit. Ainsi le malbeur bumanise les Princes.
Louis XIV. voyoit alors les borreurs de la misére autour
de lui.
haſsten und an sich selbst so verwerflichen Diensthan-
del des Herzogs Carl in einer Schutzschrift so plump
und ungeschickt vertheidigte, daſs ihm anstatt der ver-
hoften Belohnung vielmehr die Unterdrückung dieser
vermeinten Apologie anbefohlen wurde.
des graces de Dieu et de la nature; de la nature,
en ce qu’ils ont tous le menton long et les levres grosses,
ce qui témoigne leur pieté, constance et integrité. V.
l’Etat de l’Empire, p. 67.
Prüfstein, im Deutschen Museum 1783. Nov. S. 388.
T. I. p. 23.
deutschen Museum 1780. Jan. S. 3.
S. 345.
Bulle II. B. S. 1475.
durch die Ausgabe dessen hinterlassener Werke in der
französischen Ursprache und deren deutschen Ueberse-
aus Abgötterey und Mangel an Delicatesse sogar ver-
gessen hat, was man der Ehre und Andenken des gros-
sen Manns und seiner eigenen Nation schuldig war,
um Scandale und Possen allerhand Art mit einzurücken.
jamais d’attachement pour personne.
du 16. Dec. 1701. Ma faveur augmente tous les jours
auprès de la Reine, et je ne sais presque plus, qui de leurs
Majestés me fait l’honneur de m’aimer d’avantage. Cela
me flatteroit beaucoup, si je pouvois m’ôter de la tête, que
les Rois sont faits pour êtres aimés, mais que dans le
fond ils n’aiment jamais rien. Ces grands Prin-
ces seroient malheureux, si Dieu les avoit fait autrement.
Nous sommes au désespoir, quand nous perdons un ami;
quelle vie méneroient-ils, si, perdant tous les jours une
infinité de sujets pleins de zéle pour leur service, ils
étoient aussi sensibles que nous? Il faut donc se contenter
qu’ils n’oublient pas le nom des gens, qui leur deviennent
inutiles, et croire qu’on leur est fort obligé, quand on
obtient d’eux des graces a force de les demander.
tik über das neue Berliner Ober-Schul-Collegium im
deutschen Zuschauer VII. Band S. 160.)„ daſs es kein
gutes Vorurtheil bey Ausländern und der Nach welt er-
wecken kann, wenn der Canzler einer so berühmten
Universität nicht einmahl orthographisch schreibt„.
des verdienten und gelehrten Herrn Predigers und Pro-
fessors Waldau zu Nürnberg zu verdanken habe, ist
zu Halle in Sachsen im Jahr 1667. wieder neu aufge-
legt worden.
Fuhrung, Göttingen 1790. S. 146.
- Rechtsinhaber*in
- Kolimo+
- Zitationsvorschlag für dieses Objekt
- TextGrid Repository (2025). Collection 3. Politische Wahrheiten. Politische Wahrheiten. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bp5m.0