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Drei Sommer in Tirol


München: .
Verlag der literarisch-artistischen Anstalt.
1846.
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Drei Sommer in Tirol


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Inhalt.


Seite
Vorarlberg1
     Reute — Lechthal — Bregenzerwald9
     Die beiden Walserthäler66
     Wallgau — Montavon — Paznaun104
     Von St. Luciensteig gegen Bregenz144
     Nachtrag178
Tirol189
     Oberinnthal — Oetzthal und Schnals203
     Von Landeck über Mals nach Meran250
     Meran und seine Umgebung292
     Passeyer und Ulten346
     Bozen — Eppan — Sarnthal370
     Gröden und Enneberg409
     Selrain — Stubei — Wippthal — Dux — Zillerthal — Ahrenthal — Brunecken 479
     Nachtrag605
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Vorwort.


Im Jahre 1842 hatte eine Buchhandlung zu Karlsruhe die Absicht, unter der Leitung des zu früh verstorbenen Professors Ludwig Bauer zu Stuttgart ein Werk unter dem Titel: Deutschland im neunzehnten Jahrhundert – herauszugeben. Dazu wurden mehrere Mitarbeiter aufgeboten, welche die ihnen zugetheilten Landschaften laut des brieflich ergangenen Programms „hinsichtlich des Lebens und der Sitten der Bewohner wie der Stufe worauf Wissenschaft, Kunst und Gewerbe daselbst stehen, in Form einer Reisebeschreibung oder in einer andern ihnen besonders zusagenden Darstellungsweise gründlich, ansprechend und in deutschem Sinne schildern sollten." Bei diesem Unternehmen wurde dem Verfasser Tirol übertragen, ein liebes Loos, denn die Alpen von Tirol sind des Bayerlands Gebirge und ihre blauen Zinnen wecken von Jugend auf unsre Sehnsucht.

Als nun der Sommer von 1842 im tirolischen Gebirge verlebt war, gab die Buchhandlung zu Karlsruhe das Unternehmen auf; der Verfasser aber brachte ein Stück von dem, was er bis dahin ausgearbeitet hatte, [VI] in der Allgemeinen Zeitung zu Tage. Nun wurde ihm von andrer Seite her die Aufforderung, in dieser Art die Aufgabe zu vollenden, und so kam denn nach abermals einer doppelten Sommerfrische und nach mancher Unterbrechung das Buch zu Stande, und wurde leider viel umfangsreicher, als es hätte werden sollen — weßwegen denn auch unter anderm die Beiträge zur historischen Ethnographie Tirols weg blieben, welche nach einer Andeutung auf Seite 191 zu Ende gesetzt werden sollten.

Im allgemeinen war die Absicht, die weniger betretenen Thäler hervorzuheben und die vielbereiste und oftbeschriebene Heerstraße von Deutschland nach Italien nicht neuerdings zu schildern. Wenn auch Wälschtirol nicht bedacht erscheint, so mag es dem Umstande zugeschrieben werden, daß um diesen Gegenden Raum zu schaffen nicht gerne eine deutsche Landschaft aufgegeben wurde. Uebrigens ist die italienische Schwesterhälfte des Landes in den meisten Stücken von dem deutschen Tirol so gründlich verschieden, daß dieses letztere wohl als ein Ganzes für sich betrachtet werden darf.

München, im Julius 1846.

Der Verfasser.

Vorarlberg.


[3]

Im Westen der Grafschaft Tirol zwischen dem Arlberg und dem jungen Rhein liegt ein kleines, bergiges Gebiet, das jetzt den Namen Vorarlberg führt. In den ältesten Zeiten war diese Landschaft frei, später mit den übrigen Alpenländern den Römern unterthan. Von den Orten, die während ihrer Herrschaft auf vorarlbergischem Boden genannt wurden, kennen wir wenigstens zwei, Brigantium nämlich und Clunia. Ersteres ist das heutige Bregenz am Ufer des Bodensees, letzteres will man bei Gösis in der Nähe von Feldkirch gefunden haben. Gewiß ist, daß damals die eingebornen Rhätier ihre angestammte Sprache aufgaben und die der Römer annahmen; daher das Romansch in Graubündten, welches jetzt zwar auf Hohenrhätien beschränkt ist, aber noch vor wenigen Jahrhunderten auch die Landessprache des südlichen Vorarlbergs war. Als das alte römische Reich den Germanen unterlag, brachen vom Bodensee herauf die Alemannen in das Land. Lange darnach unter den deutschen Kaisern that sich im Rheinthale ein alemannisches Herrengeschlecht, die von Starkenfels oder Montfort auf. Sie waren reich begütert um Werdenberg und Sargans auf der helvetischen Seite und geboten mit der Zeit in mehreren Zweigen auch fast über alles Land zwischen dem Arlberge und dem See. Von ihnen werden wir an verschiedenen Orten noch mehr zu erzählen haben. Innerer Verfall und äußere Nöthen zwangen die Montforte allmählig ihre schönen Herrschaften aufzugeben, und die habsburgischen Grafen von Tirol waren um so mehr geneigt, ihre Nachfolger zu werden, als sie über den Arlberg [4] und den Bodensee auf eigenem Grunde einen [Zugang] begehrten zu den vorderösterreichischen Gebieten in Schwaben, welche von den Herzogthümern und Grafschaften, die Kaiser Rudolphs Nachkommen im Ostreiche und im Gebirge erworben, völlig abgeschnitten waren. Von dieser Zeit an nannten die Herzoge von Oesterreich, Grafen zu Tirol, welche zu Innsbruck Hof hielten, die ehemalig montfortischen Herrschaften an der Ill und dem Rheine ihre Länder vor dem Arlberge, und dieser in Tirol entstandene Name ist dann mit der Zeit auch bei den Eingebornen in Gebrauch gekommen.

Im Jahre 1523 überließ Hugo Graf von Montfort auch die eine ihm zuletzt noch gebliebene Hälfte der Stadt Bregenz an den Erzherzog Ferdinand, den spätern Kaiser, und seit diesem Jahre hatten die Montforte kein Besitzthum mehr in Vorarlberg, das ihnen ehedem schier ganz zu eigen gewesen war. Sie haben hernach noch fast drei Jahrhunderte lang, aber ruhmlos in Schwaben gelebt.

Die vier Herrschaften vor dem Arlberge, nämlich Feldkirch, Bregenz, Sonnenberg und Bludenz wurden indessen nach ihrer Erwerbung durch die österreichischen Fürsten nicht zur Grafschaft Tirol geschlagen, sondern zu den vorderösterreichischen Ländern. Deßwegen standen sie auch nicht unter der Regierung zn Innsbruck, sondern unter jener zu Freiburg im Breisgau. Erst Kaiser Joseph II. vereinigte dieses Gebiet, jedoch unbeschadet seiner eigenen ständischen Verfassung, mit Tirol. Nach der Abtretung an Bayern kam es zum Illerkreise, dessen Hauptstadt Kempten war. Seit dem Jahre 1814 ist das Land in der Verwaltung wieder mit Tirol verbunden, steht unter dem Landesgubernium zu Innsbruck und bildet einen Kreis für sich, dessen Hauptmann seinen Sitz zu Bregenz hat. Das schöne Amt Weiler, welches ehedem zu Vorarlberg gehörte, ist in den Verträgen von besagtem Jahre der Krone Bayern verblieben. Früher schon waren dem Lande die ehemals reichsunmittelbaren Herrschaften Hohenems, Blumeneck, St. Gerold und Lustenau zugefallen.

Vorarlberg hatte bis zum Jahre 1806 oder genauer genommen bis zum 1 Mai 1808 seine eigenen Stände. Man [5] kann indessen ihr Daseyn nicht weiter hinauf nachweisen als bis zum Jahre 1518, wo Kaiser Maximilian die schwäbisch-österreichischen und vorarlbergischen Stände auf einen Landtag nach Augsburg rief. Die Herrschaften, welche damals noch in den Händen adeliger Geschlechter lagen, waren reichsfrei, wie z.B. die Grafschaft Hohenems, daher keine Adelsbank, und die Geistlichkeit gelangte ebensowenig zur Standschaft. Deßhalb traten auf den vorarlbergischen Landtagen, welche in gewöhnlichen Zeiten jährlich zu Feldkirch gehalten wurden, nur Bürger und Bauern auf – für jene, die Bürgermeister der drei Städte Feldkirch, Bregenz und Bludenz, für diese die Vertreter der einundzwanzig bäuerlichen Standesbezirke, in welche das Ländchen getheilt war, im Ganzen also vierundzwanzig Abgeordnete. In den Wirkungskreis der Stände gehörte zunächst das Steuerwesen – das landesfürstliche Postulat betrug 39,400 fl. – und die Vertheidigung des Landes. Zu letzterem Ende hatten sie bei Feindesgefahr die gesammte Landmiliz aufzubieten, welche auf 6000 Mann gestellt war. In Behauptung ihrer ständischen Rechte und in Abweisung aller Anforderungen, die ihnen unbillig und nachtheilig schienen, haben sich die vorarlbergischen Stände immer sehr zäh und hartnäckig bewiesen. König Maximilian von Bayern hat wie die tirolischen, so die vorarlbergischen Stände aufgehoben. Als das Land wieder an Oesterreich fiel, sollte nun auch wie in Tirol so in Vorarlberg die ständische Verfassung neuerdings ins Leben treten, und zwar in der nämlichen Gestalt wie sie im Jahre 1805 bestanden, abgerechnet etliche kleine Aenderungen. Man ging im Jahre 1816 sogar schon so weit die ständischen Vertreter zu wählen. Da aber die endliche Organisation noch nicht erfolgt ist, so sind sie auch bis zum heutigen Tage noch nicht zusammenberufen worden. Auf den tirolischen Landtagen waren die Vorarlberger wegen jener politischen Getrenntheit, die in ihrem Ländchen eine eigene ständische Verfassung erblühen ließ, zu keiner Zeit, vertreten.

Der Kreis Vorarlberg hat nach seinem gegenwärtigen Bestande einen Flächeninhalts von 46½ Geviertmeilen, und auf diesen wohnte im Jahre 1843 eine Bevölkerung von 101,320 [6] Menschen. Wie die Natur des Landes in seinen verschiedenen Gegenden höchst verschieden, so auch die Vertheilung der Bewohner. Gerade in der Mitte des Gebiets zwischen dem Lutzbache, der das Walserthal durchströmt, zwischen der Bregenzerache und den Rheinufern sind weite, nur mit Sennhütten besetzte Alpengegenden, welche dem Uebergreifen der Bevölkerung die Schrecken eines langen, rauhen Winters mit einem Nachdrucke entgegensetzen, der bisher alle häuslichen Niederlassungen hintertrieben hat. Dieselbe Erscheinung kehrt wieder in den Gebirgszügen, die vom Arlberge gegen das Walserthal und gegen Montavon sich ausdehnen. Andrerseits nähren die fruchtbaren Gestade des Rheins und der Gewerbsfleiß der dortigen Städte und Flecken eine zahlreiche Bevölkerung. So kommt es, daß im Landgerichte Montavon kaum 900 Seelen auf die Quadratmeile fallen, im Bludenzer Gericht wenig über 1000, während in der Gegend von Dornbirn fast 5000 Menschen auf derselben Fläche gezählt werden.

Was die Abstammung der Vorarlberger betrifft, so ist diese nicht bei allen die gleiche. Mitten durch das Land zieht sich nämlich eine ehemalige Sprachgränze, die jetzt freilich nur mehr wie jene ehemalige der Slaven im Sachsenlande an den undeutschen Ortsnamen zu erkennen ist. Sie beginnt bei Hohenems (ehemals Amades) und Götzis am Rhein, und zieht sich über Fraxern, Dafins, Laterns, Damils, Fontanella, Ragall, Marnel und Zürs gegen den Arlberg. Alle diese Dörfer und die andern, die daran gegen Mittag liegen, gehörten vordem zum ladinischen Bisthum Chur und bildeten das Capitulum Drusianum, so genannt von Val Drusana, dem romanischen Namen des Bludenzer Wallgaues, welchen dieses von Drusus, Kaiser Augusts Stiefsohn, erhalten haben soll. Hier wohnten romanisirte Rhätier, die zum Theil wie schon erwähnt noch im sechzehnten Jahrhundert dasselbe Romansch sprachen, das sich bis zur Stunde in Graubündten erhalten hat. Auf einzelne deutsche Niederlassungen, die schon in frühen Zeiten unter den besiegten Romanen gegründet wurden, werden wir an einem andern Orte aufmerksam machen.

[7]

Alles was der bezeichneten Linie nördlich liegt, wird von ungemischten Deutschen bewohnt. Von diesen gehören die Bregenzerwälder wie die Bewohner der Stadt Bregenz und des Landgerichtes Dornbirn unbestritten dem alemannischen Stamme an. Ein Anderes scheint mit den Walsern der Fall zu seyn, welche sich in den zwei Thälern angebaut, die von ihnen den Namen führen. Diese Walser hat man ehemals für Romanen gehalten, und zwar zunächst, weil man ihren Namen für gleichbedeutend mit Walen, Walchen hielt. In neuerer Zeit hat sich dagegen herausgestellt, daß Walser, Valisensis nicht einen Walen, sondern einen Ankömmling aus dem Wallis an der Rhone bedeute. Dorthin weist auch manches in der Mundart der Walser. Wenn es sich nun zur völligen Gewißheit erheben ließe daß, wie Albert Schott behauptet, die Bewohner des Wallis burgundischen Stammes seyen, so wäre dieselbe Herkunft auch für die vorarlbergischen Walser in Anspruch zu nehmen. Immerhin bleibt ihnen ihre Heimath am Rhodanus unbestritten, und dieser Umstand ist es auch, der diese kleine Völkerschaft dem Liebhaber ethnographischer Forschungen so anziehend macht. Ein Theil derselben, nämlich die Einwohner von Damils, Fontanella, Ragall u. s. w. sitzt in ehemals romanischen Dörfern und im Umfange des frühern drusischen Capitels. Etwas mehr über diese Dinge werden wir bei spätern Gelegenheiten vorbringen. Uebrigens wohnen die alemannischen Hirten des Bregenzerwaldes, die wallisischen, wahrscheinlich burgundischen Walser und die germanisirten Romanen des Montavons, alle in ihrem Wesen merklich gekennzeichnet und unterschieden, so nahe bei einander daß ein rüstiger Wanderer in einem Tage ihre drei Gebiete berühren kann. Die Einwohner der gewerbfleißigen Städte und Flecken auf dem vorarlbergischen Rheinufer haben ein allgemeiner oberschwäbisches Gepräge. An das bojoarische Tirol erinnert hier überhaupt nichts als die politische Zutheilung. Sonst zeigt das Ländchen in seiner ganzen Physiognomie fast mehr Aehnlichkeit mit einem Kanton der Schweiz, als mit einem tirolischen Kreise.

[8]

Wie dieser Landstrich nun in seinem Aeußern beschaffen, welches Ansehen seine Berge und Thäler, seine Höhen und seine Niederungen, das wird sich auf der Wanderung selbst erheben lassen. Der steile Absprung klimatischer Verhältnisse, wie er in allen Gebirgsländern vorkömmt, findet sich auch hier. Zwar ist es nicht wie im Etschlande vergönnt, in der Frühe den Wanderstab auf Gletschereis zu stoßen und ihn am Abende unter Mandelbäumen niederzulegen, aber wenigstens stehen sich Weinbau und Fernerwildnisse in gleicher Nähe wie dort. An den Hörnern des Rhätico, der die südliche Landmark bildet, zumal im Brandnerthale und hinten im Montavon in der öden Einsamkeit von Vermunt starren weite wilde Gletscher. Die Höhen des Bregenzerwaldes und der Walserthäler tragen zwar wenig ewigen Schnee, zeigen aber sonst all die großartige Natur des Hochgebirges. Unten am Rhein und am Bodensee herrscht die milde Luft von Oberschwaben und ein Klima, das zu den angenehmsten Deutschlands gezählt wird.

[9]

Reute – Lechthal – Bregenzerwald.



Vorarlberg ist auf der Heerstraße von drei Seiten her zugänglich. Wer von Deutschland kömmt, fährt über Bregenz in das Ländchen ein; die italienische Straße geht über Chur und Maienfeld nach Feldkirch; die Tiroler kommen über den Arlberg. Diese drei für Roß und Wagen geschickten Zugänge gehören ebendeßwegen zu den viel betretenen, über welche in mehr als einer Schrift gesprochen worden ist. Wir wollen daher unsre Wanderungen lieber auf einem weniger bekannten Pfade beginnen und über den Tannberg herein steigen. Um zum Tannberge zu gelangen, müssen wir aber erst das Lechthal durchwandern, und da wir von Bayern ausgehen, so können wir auch ins Lechthal nicht wohl anders kommen, als über sein Emporium, den Flecken Reute. So trifft sich’s denn, daß wir unsre vorarlbergischen Streifzüge auf tirolischem Boden eröffnen, was indessen den Leser nicht verwirren wird, da wir hier den Reiseplan unumwunden dargelegt haben, und es auch an seinem Orte deutlich aussprechen werden, wo Tirol zu Ende geht und Vorarlberg anfängt.

Wir sind also den Lechrain heraufgewandert über Steingaden, das welfische Münster, und sehen zur Rechten die Stadt Füßen liegen, gekrönt von einer ehemaligen Veste der Bischöfe von Augsburg. Zur Linken steht auf waldiger Felsenecke die Burg von Hohenschwangau, wie ein goldener Pokal auf grün geschmücktem Credenztische. Der Pilger eilt sehnsüchtig in das Schloß so voll von Wundern, wo die deutschen Sagen farbig von allen Wänden leuchten. Davor fluthet der liebliche Schwansee, wo die poetischen Vögel hochfährtig auf und abrudern, [10] und drinnen in dem düsterschönen Winkel des Gebirges glänzt der blaue Alpsee. Weiter oben im Hochwald fällt die Pöllat von rothem Felsenkamme in ihre Zauberschale, und nahe dabei ragen die Ruinen vom alten Schwangau aus dem Fichtendunkel, weithin sehend über die Ebene und auf ferne längst gebrochene Burgen. Jetzt ist aber hier nicht unsers Bleibens, und so ziehen wir nach Füßen, dem schmucken Städtchen, das mit Mauern und Thürmen eingefangen am Lechstrom liegt, eigentlich noch im Flachlande – aber gleich dahinter erheben sich in ansehnlicher Mächtigkeit die rhätischen Alpen.

Im Gastzimmer des Posthauses ist im Jahre 1745 zwischen der Königin von Ungarn und Böhmen Maria Theresia und dem Kurfürsten von Bayern der Füßner Friede abgeschlossen worden, der den österreichischen Erbfolgekrieg zu Ende brachte. Mehr als diese diplomatische Erinnerung wird den Freund der Vorzeit eine unterirdische Krypte beschäftigen, die unter dem Pflaster der Kirche von St. Mang liegt und aus den Zeiten stammt, wo dieser Glaubensbote zu Füßen wirksam war, also aus dem achten Jahrhundert. Erst vor etlichen Jahren hat Herr Hofrath Thiersch den Zugang zu diesem eigenthümlichen Bauwerke wieder entdeckt. Er war durch einen Bretterverschlag seit lange her unsichtbar gewesen, und es hatte sich alle Erinnerung verloren, daß hinter der Wand St. Magni Grabcapelle zu finden sey.

Wenige hundert Schritte oberhalb Füßen führt die Straße am Lechfall vorbei. Der junge Strom aus Tirol kommt voller Eile ganz blau daher und stürzt sich lilienweiß in den tiefen Kessel. Drunten treibt er sich hellgrün herum, und fluthet in langsamen Wirbeln wieder fort. Die Einfassung bilden zu beiden Seiten steile Felsenschöpfe. Auf dem diesseitigen steht ein eisernes Kreuz zur Erinnerung, daß hier einst St. Magnus über den tosenden Sturz gesetzt, um sich vor heidnischen Verfolgern zu retten. Denselben Sprung soll etliche Jahrhunderte früher Julius Cäsar zu Pferde gewagt haben.

Bald darauf steht man an der Gränze von Bayern und Tirol, beim weißen Haus, oder der österreichischen Zollstätte. Eine Palisadenwehr zieht von der nahen Bergwand quer herunter zum Lech und schließt das Thal ab.

[11]

Wenn man aus diesem Gehöfte tritt, fängt es schon an etwas zu älpeln. Der Lech, ungemein frisch und munter, schlingt seine blauen Arme um die zahlreichen Sandbänke, mit denen sein Bett eingelegt ist. Anfangs füllen Straße, schmaler Rain und Fluß das Thal aus, von welchem waldige Halden schroff in die Höhe steigen – allmählig aber öffnet sich ein erquickender Einblick in das innere Gelände, das uns in heiterer Bergpracht willkommen heißt. Die Kirche von Vils erhebt sich aus dem Tannengebüsche und verräth den Ort, wo das kleinste Städtchen Tirols mit kaum sechshundert Einwohnern sich geschämig verbirgt. Weite Wiesbreiten füllen den Thalgrund, heimliche gebirglerische Wohnhäuser stehen am Wege, von den Halden tönen Heerdenglocken und von den Berghöhen locken stille grüne Alpenweiden. Die blau und weißen, die gelb und schwarzen Gränzpfähle, an denen wir vorübergegangen, scheiden auch in manchen Stücken Sitte, Tracht und Sprache um so mehr, weil sie auch Gebirg und Ebene scheiden. Treten wir zu Binswang ins Wirthshaus, so ist zu vernehmen daß wir zu Füßen das letzte Bier getrunken, wenigstens das letzte gute, und uns fürderhin sicherer an den Wein halten werden. Auch ihrem Brode wissen die Binswanger schon andre Formen zu geben als die Füßner. Die Tracht zeigt sich zumal verändert an den Häuptern des Frauengeschlechts. Jetzt tritt nämlich der nordtirolische Gebrauch ein, die Haare zu scheiteln, rückwärts in zwei Zöpfe zu flechten und die Zöpfe dem Ganzen zum zierlichen Einfang über dem Vorderhaupte aufzunesteln. Diese Weise läßt sehr schön, wenn ein schöner Mädchenkopf mit schönen Flechten gesegnet ist. Auch die Sprache wird bald rauher, zumal in den Kehllauten. Schönes Wetter, und schöne Mädchen und alles was schön ist, heißt von jetzt an nicht immer schön, sondern viel lieber „fein." Fein und unfein sind Lieblingswörter der Tiroler.

Reute ist ein großer ansehnlicher Flecken, reichlich versehen mit stadtmäßigen Häusern. Seit Hohenschwangau wieder ein Wallfahrtsort geworden, ist auch Reute während der schönen Jahreszeit mit Fremden angefüllt. Die große Tour aller Hochzeitreisenden aus Schwaben geht seit mehreren Jahren über [12] München nach Salzburg und von da über Innsbruck nach Hohenschwangau. Dabei fährt man ungern am Posthause in Reute vorüber, wo es, wie weit und breit bekannt, einen trefflichen Wein und überlegene Forellen gibt. Auch solche die im Flachlande draußen alt geworden und auf ihrem Lebensgange wenigstens einmal einen Blick ins Hochland zu thun wünschen, sammeln sich gern in diesem Flecken, dessen vorgeschobene Lage den Besuch so bequem macht. Ueberdieß lockt noch die Freundlichkeit des Ortes selbst, die Trefflichkeit der Verpflegung und die Schönheit der Gegend, die in den Niederungen so mild, in der Höhe so groß erscheint. Es findet sich nicht überall das prächtige Zusammenspiel von Bergen wie der Säuling, dessen schroffe Kuppen hoch aus dem Fichtenwald ragen, der Tauern beholzt bis zur Höhe, der Tarneller mit vollgeschneiten Rissen gestriemt bis zur Hälfte herab, wie die nahen Aschauer Höhen, reich an Alpen und in vielen Spitzen emporbrechend, und in der Ferne der mächtige Stock weißer Lechthaler Hörner. Auch ist am ganzen Saum des Gebirges wohl schwerlich ein Ort zu treffen, von welchem aus schönere und bedeutsamere Lustfahrten anzustellen wären. Den Lech hinab zieht Füßen und Hohenschwangau; links im kleinen Seitenthal winkt das winzige Städtchen Vils mit dem sehenswerthen Thurm von Vilsegg, welchen schauerliche Sagen unheimlich machen, und mit der stolzen Ruine Falkenstein, die auf schwindelnd hohem Felsengrate weit hinaus ins Flachland sieht. Dicht bei Reute liegt das viel ältere Breitenwang, in dessen Kirche noch jetzt der Marktflecken emgepfarrt ist. Dieß ist das Dorf, wo im Jahre 1137 auf der Heimfahrt aus Wälschland Kaiser Lothar der Sachse starb. Noch wird das Häuschen gezeigt, in dem der hohe Herr seinen letzten Seufzer aushauchte. Jetzt ist es wieder neu gebaut, doch hat man von der alten Hütte wenigstens etliche Balkentrümmer aufbewahrt, welche die Raritätenliebhaber wohl bald als Splitter in die weite Welt verführt haben werden. Da es übrigens ein hölzerner Bau gewesen, so ist es sehr zweifelhaft, ob aus der Zeit, in welcher die Hütte historisch merkwürdig geworden, nur noch eine handbreite Diele übrig war, als sie den jetzigen Neubau aufführten. Nichtsdestoweniger [13] tritt der Wanderer gerne in die Räume wo am dritten Christmond jenes Jahres die Kaiserin Richenza, Herzog Heinrich der Stolze von Bayern, die Herzoge von Kärnthen und Franken, Erzbischof Konrad von Magdeburg und der Bischof von Regensburg sammt andern Fürsten, Herren und Aebten den sterbenden Kaiser umstanden. Auf dem Schlosse zu Hohenschwangau ist die Begebenheit in einem schönen Gemälde vergegenwärtigt.

Von Breitenwang ist eine kleine Viertelstunde zu den schönen Fällen des Stuibenbaches, der aus dem Plansee kommt, und der Plansee selbst ist ein Bild voll reizender Bergeinsamkeit. Dort findet sich am linken Gestade eine Quelle, die das Kaiserbrünnlein heißt, weil sich Ludwig der Bayer öfter daran gelabt haben soll, als er von seiner Stiftung zu Ettal aus in diesen Revieren zu jagen ging. Vom Plansee hinaus führen dann zwei Pfade, der eine nach Garmisch und dem vielbesuchten Badeort Partenkirchen, der andre nach Ammergau, wo die kunstreichen Holzschnitzler wohnen, die alle zehn Jahre ihre Passionsvorstellungen aufführen, und nach Ettal, zum aufgehobenen Stift.

Ferner führt gegen Süden eine Heerstraße ins Innthal, zuerst zur ehemals oft berannten, jetzt zerstörten Bergveste Ehrenberg, von welcher das ganze Reutener Gericht seinen Namen hat. Dieses tirolischen Vorwerks wird oft gedacht in der Geschichte des schmalkaldischen Krieges, wo es von dem Bundeshauptmann Schärtlin von Burtenbach und sechs Jahre später, 1552, von Moriz von Sachsen genommen wurde; endlich auch wieder im spanischen Erbfolgekrieg, wo es an die Bayern überging. Durch die Ehrenberger Klause geht die Straße in das Alpenthal von Leermoos, aus dem sich die riesige Wand des Wettersteins erhebt, und zuletzt über den prächtigen Fernpaß mit seinen düstern Seen und dem malerischen Gemäuer von Sigmundsburg, das jetzt so geisterhaft auf einsamem Felseneiland trauert. Der Fern ist hier die alte Landmark zwischen den Leuten in montanis, die mit der Zeit sich nach dem Hauptschlosse im Etschland Tiroler nannten, und den Bewohnern des Lechthales. Noch heutzutage sagen die Ehrenberger, [14] wenn sie über den Fern reisen: wir gehen ins Tirol, und ebenso haben die Innthaler wenigstens in frühern Zeiten von der Gegend um Reute immer so gesprochen als läge sie in Schwaben. Eine sehr alte Anerkennung des Fernberges als symbolischen Ländertrenners liegt etwa auch in einer Urkunde Herrn Hilpolts von Schwangau aus dem Jahre 1290, wo der Ritter bestimmt, wenn er dereinst jenseits des Ferns sterbe, so möchten sie ihn im innthalischen Stift zu Stams begraben; wenn aber diesseits, im Münster zu Steingaden. Gleichwohl ist der Fernpaß keine strenge Stammesscheide, denn die Oberinnthaler in den Gerichten Telfs, Silz und Imst sind wenigstens stark mit Alemannen gemischt, und die weiter oben um Landeck, im Stanzerthale und gegen Mals hinauf wohnenden scheinen vollbürtige Schwaben zu seyn, die muthmaßlich gerade über den Fern hinüber ihren Weg in jene Gegenden gefunden haben.

Eine andere Hochlandsfahrt läßt sich von Reute aus unternehmen ins Tannheimer Thal. Es ist dieß eine idyllische etwa vier Stunden lange Landschaft, voll schöner Wiesen und anmuthiger Dörfchen, auch mit einem kleinen See geziert. Die Landstraße zieht mitten durch, muß aber um in diese Höhe zu gelangen, bei der Gacht lang und mühselig emporklimmen und steigt dann, wenn das Thal zu Ende ist, gegen den bayerischen Flecken Sonthofen zu, wieder eben so tief hinab. Das Tannheimer Thal gilt in der Gegend als eine landschaftliche Liebenswürdigkeit, zu deren Besuch der Einheimische den fremden Reisenden unablässig aufzufordern pflegt. Zumal wird dann auch der Bergweg über die Aschauer Alpen mit in Vorschlag gebracht, und wenn der rüstige Wanderer darauf eingeht, so erlebt er bei gutem Wetter herrliche Augenfreuden und nebenbei auch manche kleine Unterhaltung in den Sennhütten. Bequemer ist es allerdings durch den wilden, ehedem befestigten Paß der Gacht hinaufzusteigen, durch denselben, den ich vor ein paar Jahren einmal mit etlichen Herren von Reute hinaufstieg, um ins Nesselwängle zu einer Hochzeit zu gehen. Das Nesselwängle heißt zwar auf den Karten Klein-Nesselwang; die Ehrenberger finden es aber gemüthlicher, bei solchen Namen die [15] Kleinheit durch das Deminutiv auszudrücken, und sagen daher im Nesselwängle, im Bühelbächle u. dgl. Die damalige Hochzeit im Nesselwängle wurde übrigens gefeiert zwischen einem braven Handelsmann, der lange in einem angesehenen Hause des Bregenzerwaldes gearbeitet hatte, und einer vermöglichen Tochter des Dorfes, die viel Anstand und Bildung zeigte. An Gästen fehlte es nicht – war doch selbst Herr Peter Bilgeri sammt Gattin aus dem Bregenzerwald herbeigekommen und Geistlichkeit wie Beamtenschaft des Bezirks reichlich vertreten. Der Luxus des Tafelzeugs, das Leckere der Speisen und das Feuer der Weine erlaubte nicht daran zu denken, daß man in einem Thale bei armen Hirten weile, während der fröhliche Tanz nach dem Mahle vermuthen ließ, daß man noch nicht in jenem Tirol sey, wo, wie wir hören werden, jetzt sogar bei den Hochzeiten außer Essen und Trinken jede Kurzweil abgestellt ist.

Einen weitern Gang von Reute den Lech hinauf ins Lechthal werden wir gleich antreten; vorher aber noch den Reutenern das Lob nachrufen, daß sie, an eine der Pforten ihres Vaterlandes gestellt, alles aufbieten, um dem Wanderer beim Eintritt ein schönes, tiefgesättigtes Bild von dem freundlichen Wesen der Tiroler beizubringen. Hier weiß man nichts von der deutschen Vornehmigkeit, die immer eines zweiten Menschen bedarf um mit einem dritten bekannt zu werden. Den Gebrauch sich vorstellen zu lassen, nehmen die Tiroler erst allmählig in den besuchtern Orten an, aber nur im Verkehr mit Fremden. Durchschnittlich fährt man am besten jedermann wie einen alten Bekannten zu behandeln. Am Wirthstisch mag man selbst zu reden anfangen oder zusehen bis man angesprochen wird, was nie lange auf sich warten läßt. Es ist nirgends leichter Bekanntschaften zu machen als in diesen Gebirgen. Allerdings wird das freundliche Entgegenkommen von Seite der Eingebornen zum Theil auch der Neugierde zuzuschreiben seyn, welche die gebildeten Stände ebenso kitzelt wie den Bauer. Die ersten Fragen gehen daher gewöhnlich über die Richtung der Reise, die damit verbundenen Zwecke, worauf dann die Untersuchungen der Person des Fremden immer näher rücken, die Fragen immer verfänglicher werden, bis er [16] zuletzt zum Geständniß getrieben seinen Namen und seinen Stand, allenfalls auch noch den seiner Eltern und Geschwister und nächsten Blutsverwandten einbekennt. Wer sich in längerer Erfahrung überzeugt hat, daß alle Ausflüchte nichts helfen, wird einsehen, um wie viel besser es ist, bei der ersten scharfen Frage gleich offen und redlich herauszugehen und sich mit den freundlichen Forschern ungefähr in ähnlicher Weise abzufinden, wie weiland Franklin mit seinen Landsleuten. Damit ist denn aber auch viel Bereitwilligkeit erworben, nämlich eine Bereitwilligkeit zu unterrichten, zu rathen, zu helfen, zu führen, die jede Probe aushält. In einem Lande, das von Jahr zu Jahr mehr bereist wird, ist das Streben der Einheimischen, über die Persönlichkeit des Fremden, dem man unter bestimmten Voraussetzungen zuvorkommend entgegentreten will, sich ins Klare zu setzen, gewiß ein sehr erklärliches, und es soll daher hier nur erwähnt, nicht getadelt werden. Bei den Landleuten ist’s freilich in der Regel nur ein naiver Vorwitz ohne alle Hintergedanken. In Vorarlberg läuft der Bauer, wenn er mitten im Acker arbeitet, an den Saum heraus um zu fragen: wo kommen die Herren her? und kehrt dann wenn er’s erfahren, wieder neugestärkt zu seiner Pflicht zurück. Der Nordtiroler, insonderheit der Innthaler, ist weniger untersucherisch, und gleicht darin dem bayerischen Bauern, der in seiner tiefen Gemüthsruhe durch solche Neugier sich auch nur selten aufregen läßt. Der deutsche Südtiroler dagegen steht in diesem Stücke dem Vorarlberger am nächsten. Es dürfte schwer seyn eine Unterredung mit ihm abzuschließen, ohne daß er nach eingeholtem Verlaub die Frage gestellt: wo bleiben Sie zu Haus? oder schlechtweg: wo bleiben Sie? das heißt: wo sind Sie seßhaft? wo ist Ihre Heimath? Es ist ein Uebelstand, daß diese Lieblingsfrage dem Ausländer fürs erstemal wenigstens sehr dunkel klingt, und es wird uns nur freuen, wenn wir hier etwas zur Vermittlung des Verständnisses beitragen konnten.

Nun also ins Lechthal. Nach den natürlichen Gränzen möchte man diesen Namen wohl auf all das Thalgelände legen, welches der Lech von seinem Ursprunge bis zum Sturz bei Füßen, wo er ins Flachland tritt, bespült, allein der landesübliche [17] Sprachgebrauch läßt das Lechthal nur vom Tannberg bis Weißenbach reichen, also erst auf tirolischem Boden anfangen und zwei Stunden ober Reute aufhören. Wenn man aber von den reichen Lechthalern spricht, meint man gar nur die Einwohner der zwei innern Dörfer Elbigenalp und Holzgau.

Die Gegend bis Weißenbach nimmt noch Theil an den Reizen der Landschaft von Reute. Nachher wird das Thal öde und einförmig. Der Strom rinnt zwischen hohen Bergreihen daher durch niederes Fichtengebüsch und unfruchtbares Haideland. Zwei ärmliche Dörfchen stehen in weiten Zwischenräumen am Wege. Erst bei Elmen, drei starke Stunden ober Weißenbach, wird die Thalebene offener, weiter und schöner. Von Stanzach nach Elmen gehend, sieht man rechts in ein Thal hinein, das der gemsenreiche Hochvogel schließt, 8100 Wienerfuß über das Meer emporsteigend, die höchste Spitze in den allgäuischen Bergen. Von den Stanzachern ist noch zu erwähnen daß sie, wie wenige Gemeinden im Lande, das städtische Sommerfrischwesen angenommen haben, und während der heißen Jahreszeit auf die Alpe Fallerschein im Namleser Thale ziehen, wo ihnen in lieblicher Kühle des Hochgebirges zur bequemen Aufnahme achtundvierzig Sennhütten bereitet sind. Nur einige Wächter bleiben dann unten im Dorfe zurück und etliche mit zu vielen Kindern gesegnete Weiber.

An dem Bühel ober Elmen, genannt am Hohenrain, standen, wie man sagt im Schmalkaldischen oder noch unwahrscheinlicher im Schwedenkrieg, die Mädchen des Dorfes und vertheidigten sich gegen einbrechende Soldateska, bis die Männer von den Almen herabkamen und in der Mordenau die Feinde zur Flucht trieben. Daher soll den Weibern zu Elmen das Vorrecht stammen daß sie in der Kirche beim Opfergang und bei öffentlichen Aufzügen den Männern vorangehen. Andere behaupten, die ganze Geschichte sey eine eitle Mähre – den Vortritt vor den Männern räume den Weibern die Sitte im ganzen Lechthale ein, und der angebliche Kampfplatz führe nicht den blutigen Namen Mordenau, sondern den ganz unschuldigen Martinau. Freilich steht da ein altes Schwert [18] entgegen, das man vor etlichen Jahren in diesem Felde gefunden.

Bald ober Elmen, nämlich bei Heselgehr, beginnt die Häuserpracht des Lechthals. Hier oben also in der Alpenhöhe liegen auf beiden Ufern des schnellen Baches Elbigenalp und Holzgau, von denen bis jetzt die wenigsten Touristen erzählt haben – Dörfer oder besser Städte, wo unbemerkt von der Welt, durch seltene Betriebsamkeit und seltenes Glück mährchenhafte Reichthümer zusammgebracht worden und Familien entstanden sind, die halbe Millionen besaßen. Diesen obern Lechthalern hat nämlich die Natur ein eigenes Talent für den Schnittwaarenhandel verliehen, und darauf vertrauend gingen sie dem Lauf der Wasser nach, kamen am Rhein hinunter bis Holland und schifften bis New-York, thaten sich überall hervor, errichteten überall ihre Lager, erwarben Hunderttausende, und kehrten ehemals mit den Ducatensäcken, wie die reichen Grödner und die Engadeiner, wieder ins grüne Wiesenthal zurück, um dort ihre alten Tage zu verleben und auf dem Friedhofe der Heimath bei ihren Vätern einzugehen in die ewige Ruhe. So entstanden weit hinten im Gebirge auf grünen, offenen Fluren, zu denen der Zugang durch unscheinbare Alpendörfchen führt, jene prächtigen Häuser, jene stattlichen Gassen, die dem Fremden, der da nichts mehr als Sennhütten erwartet, so überraschend entgegentreten. Nach landesüblichem Gebrauche spricht man nur von Elbigenalp und Holzgau, aber dieses sind Gesammtnamen für eine Unzahl kleinerer oder größerer Häuserhaufen, die rasch auf einanderfolgend unter den Einheimischen wieder wie die Gassen einer Stadt alle ihre eigenen Namen führen. Was man so im gewöhnlichen Verstande an Insassen zu diesen beiden Dörfern rechnet, mag etwa dritthalbtausend Seelen betragen, welche in sechshundert Häusern wohnen. In etlichen wenigen der ansehnlichern Gebäude walten noch die alten reichen Herren, die beim Abendtrunk von New-York und Baltimore erzählen, wo sie ihre Lehrjahre zugebracht, und dabei wenn’s darauf ankömmt holländisch, französisch und englisch sprechen. Sie sind ein Bild vergangener Tage, denn die Herrlichkeit der Lechthaler ist im Abnehmen. Die jüngern Söhne [19] die in den Niederlanden oder jenseits des atlantischen Oceans zu eigenem Hauswesen gekommen, haben die Gewohnheit der Wiederkehr vergessen und sind in der Heimath fast verschollen. Deßwegen wird der alte Reichthum nicht mehr aufgefrischt, und andrerseits fehlt’s auch nicht an Gelegenheiten, wo er sich zerbröckelt. Ehemals wollte nämlich ein Lechthaler nur eine Lechthalerin heirathen und umgekehrt, aber als die vom Ausland nicht mehr heimkamen, legten die Mädchen des Thales ihr Vorurtheil ab, und nun mehren sich die Fälle, wo österreichische und bayerische Beamte und praktische Aerzte die blonden Erbinnen von Elbigenalp und Holzgau, von der Liebe geführt, den Bach hinunter geleiten und den verstaubten atlantischen Schätzen ein neues Feld eröffnen. Damit wollen wir indessen nicht läugnen, daß in diesen Dörfern noch immer ein Wohlstand zu finden, der etwas Wunderliches hat und der an Feiertagen durch die Pracht der Kleider und die festlichen Mähler ebenso hervortritt, als seine Fortdauer durch die stille Arbeitsamkeit, den einfachen Aufzug und die mäßige Nahrung der Werktage verbürgt wird.

Elbigenalp also, die eine dieser zwei großen Dorfschaften, besitzt zwar die älteste Pfarre im Lechthal, ist aber deßwegen wohl nicht auch zugleich der älteste Ort. Mir klang und klingt der Name immer wie Elmener – Elmingeralp, und ich meine das Dorf sey aus Sennhütten entstanden, die vor Alters den Elmenern angehört. So sehr aber diese kurzgehaltenen Leute geneigt seyn möchten, die wohlständigen Elbigenalper für ihre glücklichern Apöken anzusehen, so wenig Lust haben diese, ihre Urväter in dem unansehnlichen Elmen zu suchen. Scheint es doch fast als sprächen sie das b in Elbigenalp gerade deßwegen so scharf und bestimmt, um alle historische Anlehnung an jenes Dörfchen auch auf sprachlichem Wege fern zu halten. Um in diesem Sinne das Ihrige beizutragen, haben die Gelehrten von Elbigenalp sogar die künstlichsten Etymologien ersonnen. Sie leiten jetzt diesen Namen unter andern von einem altdeutschen Worte El ab, welches Wasser bedeutet habe, und -bigen soll daran erinnern, daß hier der [20] Lech einmal in weitem Bogen von Elbigenalp nach Kögeln geflossen sey.

Wie sich das auch noch beim Fortschritt der lechthalischen Gelehrsamkeit entwickeln möge, so viel ist gewiß daß Elbigenalp in seinen ersten Zeiten nach St. Mang zu Füßen gehörte. Das Stift sandte dann zur Sommerszeit an Sonn- und Feiertagen einen Priester ab, der den Aelpern die Messe las und darnach wieder heimkehrte. Dieß geschah so lange bis sich ein ständiger Pfarrer hier oben niederließ, was aber gewiß schon im vierzehnten Jahrhundert geschehen war. Das Dorf ist also nicht von gestern her und hat darum auch seine Alterthümer, nämlich zwei Kirchen auf seinem Friedhofe, wovon selbst die jüngere, die jetzige Pfarrkirche, mit spitzigem rothem Kirchthurm schon ehrwürdig ist, während die andere, St. Martin geweiht, ehemals Pfarrkirche, für die älteste im Thale gilt. Sie war 1459 schon einer Ausbesserung bedürftig. Der alte Taufstein von 1411 mit seiner schwer zu enträthselnden Inschrift, der jetzt in der Hauptkirche zu sehen, stand ehedem wahrscheinlich in diesem ältern Gotteshause. Den Calvarienberg, der sich bald hinter dem Dorfe erhebt, habe ich unbesucht gelassen. Man ersieht dort, wie Staffler bemerkt, den Fallenbacher Ferner und das Fallenbacher Fenster, eine natürliche, ganz durchsichtige Oeffnung in einem nahen Gebirgsstocke.

Elbigenalp hat schon viele tüchtige Leute hervorgebracht. Wir nennen zuerst einen Bekannten, den Herrn Anton Falger, der da im vorigen Jahrhundert geboren, im Jahre 1808 nach München kam, mit dem bayerischen Heere die Feldzüge von 1813 und 1814 durchmachte und später bei der bayerischen Steuerkataster-Commission Graveur wurde. Von 1819 bis 1821 hielt er sich zu Weimar auf bei der Lithographie für das Bertuch’sche Institut beschäftigt, im Jahre 1832 aber ging er dem Brauch der Väter getreu nach Elbigenalp zurück, um dort seine Tage zu beschließen. Er hat eine stattliche Lechthalerin zur Frau genommen und besitzt in seinem Dorfe zwei schöne Häuser, wovon das eine blaßblau getünchte, welches er bewohnt, mit seiner eleganten Haltung und dem Ziergärtchen vor dem Eingange ein villenartiges Ansehen hat. Weil [21] er die Kraft seiner Jugend dem Auslande gewidmet, so will er wenigstens das Streben seiner spätern Jahre dem Vaterlande, zunächst dem Thale weihen, in dem er das Licht der Welt erblickt. Er wirkt da ungestört von aller Nebenbuhlerschaft für die ästhetische Erziehung der Lechthaler, und sein Haus selbst scheint ein Museum, eine kleine Akademie lechthalischer Künste und Wissenschaften. Herr Falger hat viele architektonische Bilder und mehrere Karten gestochen, welch letztere zwar nicht ganz angenehm ins Auge fallen, aber sich durch Genauigkeit auszeichnen. Darunter findet sich auch ein Blatt, welches das Landgericht Ehrenberg, zu dem das Lechthal gehört, in größerem Maßstabe darstellt. Als Zeichner hat er vieles aus seiner Nachbarschaft aufgenommen, und wenn eine der umliegenden Kirchen ein Gemälde braucht, so ist es Herr Anton Falger der es umsonst verfertigt. Eine Lieblingsaufgabe scheinen ihm Todtentänze für Kirchhöfe zu seyn, wenigstens habe ich deren auf der Pilgerschaft mehrere von seiner Hand gesehen. Sein theures München, in dem er so schöne unvergeßliche Tage erlebt, wird dabei gerne im Hintergrunde aufgemalt, als eine Stadt, von welcher es schwer zu scheiden, sey’s nun lebend oder todt. So habe ich zu Elmen auf dem Kirchhofe eine hübsche Bürgerstochter mit der Riegelhaube und dem silbernen Schnürmieder erblickt, welcher der tänzelnde Tod auf seiner Geige ein schauerliches Lied vorspielt, während sie ihn bittet:

Laß mich noch leben in der Stadt,

Wo man so viel Vergnügen hat.

Die Stadt aber, wo man so viel Vergnügen hat, ist gar keine andre als München an der Isar, wie es die beiden dicken Frauenthürme und die Theatiner und der Petersthum unwidersprechlich darthun.

Außerdem verwaltet Herr Falger auch die Historie seines Thales. Er hat bis jetzt in vier Heften alles zusammen getragen, was er darüber aus mündlichen und schriftlichen Quellen erheben konnte. Auf diese Sammlungen setzte er seinen Namen und schrieb mit bescheidenem Humor dazu: Früher Graveur, jetzt Bauer zu Elbigenalp. Nach seinem Tode sollen diese [22] Schriften der Gemeinde übergeben werden. Herr Falger hat bei seinen Arbeiten insbesondere viele Mühe darauf gewendet die Auswanderung aus dem Lechthal von ihren Anfängen an historisch darzustellen. Er besitzt eine Aufzählung der im Jahre 1699 in die Fremde gegangenen Maurer, welche besagt daß es deren schon damals 644 waren. Maurerei scheint also der erste Erwerbszweig der Emigration gewesen zu seyn und diese sich erst später auf feinere Geschäfte geworfen zu haben. Seit Menschengedenken war sie nun, wie schon oben bemerkt, hauptsächlich auf den Schnittwaarenhandel gerichtet, und es haben sich damit, nach Herrn Falgers Zusammenstellung, in dem Zeitraum von 1780 bis 1820 an dreihundert Personen unter 156 Firmen beschäftigt. Mehrere dieser Betriebsamen sind, wie schon erwähnt, bis nach Amerika gekommen. Christian Sprenger von Untergieblen z. B. lebt noch heutzutage als der Herr eines der größten Handlungshäuser in New-York. Ein Sohn seiner Schwester, Joseph Anton Schnöller, der mit ihm 1811 über den Ocean geschifft, ist gegenwärtig ebendaselbst Stadtpfarrer – andrer weniger hervorleuchtenden Namen ganz zu geschweigen.

Indessen haben die Lechthaler nicht allein in der neuen Welt gewirkt, sondern auch unser altes Europa hat ihnen manchen Ehrenmann zu verdanken und sogar einen künstlerischen Namen von hohem Ansehen, nämlich den Maler Joseph Koch. Dieser ist zu Obergieblen am 27 Julius 1768 – nach andern 1770 – geboren, in einem Häuschen, das ich gleichwohl nicht genau erfragen konnte, denn die Obergiebler scheinen von der spätern Berühmtheit ihres Landsmannes nur sehr spärliche, bald wieder verschollene Nachrichten eingezogen zu haben. Kochs Vater war von Leermoos gebürtig, ein armer Citronenhändler, der eines Tages auf der Wanderschaft zu Koblenz eine wohlgestalte und guterzogene Rheinländenin erheirathete. Später ließ er sich zu Obergieblen nieder und lebte da mit eilf Kindern behaftet in großer Dürftigkeit. Der junge Genius, von dem die Rede, besuchte die Schule zu Elbigenalp und fiel dem Lehrer, der ein ehemaliger Waldbruder war, bald dadurch auf, daß er alle seine Schulpapiere mit Gestalten überzog. [23] Später, als Blasius Huber, der berühmte Bauer von Perfus, das Lechthal aufnahm, wurde Joseph Koch, damals neun Jahre alt, sein emsiger Gehilfe. Freilich mußte er darnach wieder Schäfer werden, aber auch am Krabach, wo er seine Heerde hütete, fuhr er fort in Rinde und Sand zu zeichnen. 1782 brachte ihn seine Mutter nach Dillingen, um ihn dort studiren zu lassen. Von da kam er nach Augsburg, wo der Weihbischof von Umgelder sein Beschützer wurde. Er ging seiner weitern Ausbildung in Stuttgart und in Straßburg nach und erreichte endlich nach manchem Umwege das ersehnte Italien (1795). Die deutsche Luft die er später (1812) wieder in München, in Dresden, in Wien einathmete, wollte ihm nicht mehr zusagen. Er zog 1818 nach Rom zurück und hat diese Stadt nicht weiter verlassen. Er starb daselbst am 12 Jänner 1839. Ich habe die Ehre gehabt, das schwächliche, gebückte Männchen drei Jahre vor seinem Tode noch zu Rom zu sehen und mich an seiner keifenden, laugigen Weltansicht erfreuen zu dürfen. Das Ferdinandeum zu Innsbruck bewahrt zwei Bilder von ihm, vielleicht die anziehendsten dieser Sammlung. Das eine stellt die Scene vor, wo Macbeth den Hexen begegnet, das andere ist eine Allegorie auf den Tirolerkrieg von 1809, voll schlagender ursprünglicher Gedanken. Es wurde eigentlich für den Minister von Stein gemalt, aber von diesem zurückgegeben, weil er’s größer haben wollte.

Ein andrer braver Lechthaler war Joseph Anton Lumpert, Herrn Falgers Oheim, der im Jahre 1757 zu Köglen bei Elbigenalp geboren, im Jahr 1837 als wirklicher Bürgermeister der Haupt- und Residenzstadt Wien verstarb. Staffler rühmt den reichen Schatz von Kenntnissen und Erfahrungen, den hellen Verstand, den immer geraden und festen Charakter dieses Lechthalers. Ihm zu Ehren haben sich die Wiener bewogen gefunden, eine Gasse ihrer Stadt die Lumpertsgasse zu nennen. Auch noch andre Männer werden angeführt als Würdeträger in der Kirche, als Lehrer an höhern Anstalten, als Beamte; doch würde es zu weit führen, hier alle ihre Verdienste aufzuzählen.

Auf Herrn Falger zurückkommend bemerken wir noch daß er auch der Naturgeschichte vielen Fleiß widmet. Er hat ein [24] Zimmer seines Hauses für derartige Sammlungen bestimmt, und es finden sich dort Mineralien, Versteinerungen, Conchylien und andere einschlägige Gegenstände in reicher Anzahl. Nebenbei wird man auch durch eine Münzsammlung überrascht. An den Wänden hängen eine Menge Zeichnungen und Gemälde verschiedenen Inhalts. Herrn Falgers Güte verdanke ich auch die Nachricht, daß Elbigenalp 3150 Fuß über dem Meere liege. Als besteigenswerthe Höhe in der Nachbarschaft rühmte er den Wetterspitz, der im Pfafflarerthale liegt, welches ober Elmen zugänglich ist. Der Wetterspitz erhebt sich 8829 Wiener-Fuß über das Meer und bietet eine unermeßliche Aussicht. Doch bemerkt Herr Falger, der Weg sey rauh und man müsse „gut gestiefeliret" seyn, um nicht mit nackten Füßen wieder zurückzukommen. Er selbst hat den Berg schon mehreremale bestiegen.

Es ist eine sehr befriedigende Wahrnehmung, daß solche Männer wie Herr Falger, die sich, allerdings mit ungleicher Vorbildung und daher auch mit ungleichen Erfolgen, der Erforschung und Aufbewahrung heimischer Memorabilien widmen, in den tirolischen Thälern nicht selten sind. Freilich fehlt noch viel daß jedes Thal seinen Sammler hätte, aber es scheint nur an der Ueberzeugung zu gebrechen daß diese nächstliegenden Dinge erheblich genug seyen, um sich anhaltend mit ihnen zu beschäftigen. Keine Zeit hat aber den bewahrenden Griffel nothwendiger gehabt als die gegenwärtige, wo das alte Volksleben theils von selbst abstirbt, theils mit Gewalt zu Grunde gerichtet wird. Es scheint ein dunkles Bewußtseyn vorzuwalten, daß der tirolische Bauer bestimmt sey, noch im Laufe dieses Jahrhunderts als ein ganz anderer dazustehen, als er im vorigen war. Daher mag’s kommen daß die meisten dieser Thalschriftsteller in den letzten dreißig Jahren aufgestanden sind, gerade noch zur rechten Zeit, um der frühern Zustände eingedenk seyn zu können. Für Sitten und Gebräuche, Sagen und Meinungen, für das allgemeine Costüm der Lebensweise werden ihre Arbeiten in kommenden Jahren unentbehrliche Quellen seyn.

[25]

Der Weg von Elbigenalp nach Holzgau oder lechthalerisch zu reden – in die Holzgäu – zieht wechselreich an Häusern, Mühlen, Capellen, Gärten und Feldern vorüber. Hie und da öffnet sich ein Seitenthal, aus welchem weiße Gebäude glänzen und ein rauschender Bach strömt. Links und rechts stehen hohe Berge, über welche beschneite Hörner herüberblicken. Um Holzgau herum zeigt sich viel Feldbau, freilich was Getreide betrifft bei weitem nicht zureichend für den Bedarf, so wenig als anderswo im Lechthal, dessen Haupterzeugniß sonst der Flachs ist. Die schönen Häuser liegen wie zu Elbigenalp in kleinen Weilern zerstreut umher. Auch hier wie dort stehen auf dem erhabenen Friedhofe zwei Kirchen verschiedenen Alters neben einander. In der jüngern, aber größern, der jetzigen Pfarrkirche, ist ein Gemälde aufgehängt zum Andenken an die Bußpredigten, welche die Liguorianer im Jahre 1841 hier gehalten haben. Die lieblichen Lechthalerinnen, prunkend im Sonntagsstaate, sind da kniend mit Büßermienen verewigt, die ihren Reizen keinen Eintrag thun. Ein junger, bleicher, anziehender Liguorianer predigt voll heiligen Eifers den schönen Sünderinnen Bekehrung. Es scheint fast eine Schalkheit des Malers daß er gerade die Mädchen dem Jüngling gegenübergestellt. – Außerhalb an der Kirche finden sich zwei schöne Grabsteine, welche der in seinem Vaterland nicht mit Unrecht geschätzte Bildhauer Reinalter zu Bozen gemeißelt hat. Sie sind zum Andenken der Gebrüder Ignaz Anton und Franz Schueler, welche sich als Handelsleute zu Amsterdam große Reichthümer gesammelt hatten und zu Holzgau, in ihrem Geburtsorte, gestorben sind.

Neben der großen Kirche findet sich die kleine gothische St. Sebastians, welche ehemals die Pfarrkirche war, jetzt aber als Speicher für Kirchengeräthe benützt wird. Sehenswerth sind darin drei alte, vielleicht dem vierzehnten Jahrhundert entstammende Wandgemälde aus dem Martyrium des Kirchenpatrons. Die dunkeln Farben sind noch ziemlich gut erhalten, die hellen aber stark verblichen. Uebrigens werden durch Balken und Bretter, welche man sorglos an die Gemälde lehnt, auch jene bald abgekratzt seyn.

[26]

Die Holzgauer gelten für noch wohlhabender als die Elbigenalper. Vor fünf Jahren starb der reichste von ihnen, Georg Huber, dessen Vermögen mir zwar nicht genau geschätzt werden konnte, das aber nach einstimmiger Aussage mehrerer Wirthshausgäste so groß war, daß jetzt kein ähnliches mehr unter einem Haupte beisammen. Aus dem Fenster zeigte man ein schönes, etwas angewittertes Haus, das der Jungfrau Elisabeth Maldoner gehört, welche jetzt als die vermöglichste Person in Holzgau angesehen wird und mehrere hunderttausend Gulden besitzen soll.

Von Holzgau bis Steg, dem letzten Dorfe in der Ebene des Lechthales, führt der Weg durch schroffe Wände hin, die das brauchbare Erdreich sehr beengen. Schön ist der Fall des tosenden Schreiterbaches, der an einer zur Linken gelegenen steilen Halde herunterstürzt.

Zu Steg nahm ich damals von Elbigenalp kommend meine Nachtherberge in einem sehr guten Wirthshause. Man tischte mir Forellen auf, vortreffliche Forellen aus dem Lech, der vor den Fenstern brauste. Diese zarten Fischchen finden sich fast in allen tirolischen Alpenbächen, die besten aber sollen in der Talfer gefangen werden, die das Sarnthal bei Bozen durchströmt. Sie sind eine höchst dankenswerthe Gottesgabe in den unbesuchten Bergthälern, denn wenn aller Fleischvorrath aufgegangen oder wegen Mangel an Abnahme verdorben ist, so findet der müde Wanderer in der schlichtesten Herberge noch frische wohlschmeckende Forellen und genießt dabei obendrein den Vortheil, sie nicht als Leckerbissen, sondern nur als Hausmannskost bezahlen zu müssen.

Von den Lechthalern im Allgemeinen zu sprechen, so sind dieselben schwäbischer Abkunft und reden daher auch einen schwabischen Dialekt, der indessen dem bayerischen schon viel näher liegt als der allgäuische. Im Vergleich zu dem schwäbischen am Lechrain und bei Kempten klingt er ziemlich rauh und hart. Es fehlt ihm nicht an Eigenthümlichkeiten, sowohl grammatikalischen als lexikalischen. Für Vater und Mutter z. B. wird wie im Bregenzerwalde Atte und Omme gebraucht, und für gegangen, geschossen, gesessen sagt man mit unerlaubter Analogie: [27] gegangt, geschoßt, gesitzt u. s. w. Die Thalsohle am Lech weist von Reute bis Steg nur deutsche Ortsnamen, auf dem südlichen Gebirge dagegen auch undeutsche, romanische, wie Almajur (bei Steg) Alp major, noch mehr aber rhätische, wie Parseier, Parsal, Parzin, Gramais u. s. w. Bei der Zähigkeit mit welcher diese vordeutschen Namen auf Grund und Boden festhaften, ist es ein ziemlich sicherer Schluß daß da, wo jetzt keine mehr zu finden, auch in alten Zeiten keine waren. Nun kömmt aber die Erscheinung, daß die Höhen mit vordeutschen, die Niederungen dagegen mit deutschen Namen besetzt sind, noch an mehreren Stellen vor, immer aber, wie im Patznaun, im Oetzthale in Verbindung mit der Sage, daß der Thalgrund See gewesen. Wir können wohl ohne Gefahr diese Analogie auch auf das Lechthal ausdehnen, und wie an andern Orten behaupten daß die Ebene erst zugänglich geworden, als die Deutschen in das Land drangen. Daraus ergibt sich denn der Satz daß die Bewohner der am Bach gelegenen Orte auf einem Boden sich niedergelassen haben, der früher keine Ansiedler hatte, während die Hirten von Madau, Gramais, Vschlabs, Pfafflar u. s. w. in ursprünglich rhätoromanischen Dörfern sitzen.

Die Männer im Lechthale führen keine Bauerntracht mehr, sondern kleiden sich besser oder schlechter wie die Bürger in den Städten. Die Frauen haben da nicht ganz gleichen Schritt gehalten, vielmehr sich ihre eigenen Moden geschaffen, die indessen bis auf Weniges ziemlich neuen Ursprungs scheinen. Die reichern Weiber tragen wie noch manche Bürgersfrau im übrigen Tirol einen langhaarigen Männerhut, die „minderen" eine Art Bärenmütze. Der Wohlstand bricht sowohl in den kostbaren Stoffen zu Tage aus, als auch in dem reichen Geschmeide, in goldenen Brustketten, Ohrgehängen, Sackuhren, Fingerringen.

Das kleine Thal Pfafflar, zwischen Elmen und Imst, zeichnete sich, wie Staffler sagt, in ältern Zeiten durch eine ganz besondere Kleidung der Weiber aus, die in einem Anzuge von weißem Loden, einer nonnenähnlichen Verhüllung des Halses und einem Filzhute ohne Krämpen bestand. In dieser Gewandung erscheinen die Pfafflarerinnen auch auf ältern [28] Trachtenbildern, noch besonders ausgezeichnet durch lange über den Rücken hängende Zöpfe. Manchmal sieht man sie auch statt in weißen Loden, in rothe Röcke gekleidet, und diese Eigenthümlichkeit zusammen mit der modiusartigen Kopfbedeckung bildet ganz und gar die Kennzeichen der Tracht, welche noch heutigen Tages im vorarlbergischen Montavon ebräuchlich. Da die Gegend von Pfafflar nach obiger Auseinandersetzung gleichwie das Montavon früher romanisch war, so könnte man diese Tracht nicht ohne Wahrscheinlichkeit für altromanische Mode halten. Gegenwärtig tragen sich die Weiber von Pfafflar wie die Lechthalerinnen, nur viel ärmlicher und schlechter. Die letzten dreißig Jahre sind den Trachten sehr schädlich gewesen.

Die Manieren der Lechthaler schienen mir sehr lobenswerth. Ich fand auf den Wegen, in den Häusern, wo ich des öfter einfallenden Regens wegen unterstand, und in den Herbergen eine körnige Freundlichkeit, viele Freude an dem Fremden, die volle gebirglerische Neugier, im Ganzen ein höchst gefälliges Wesen. Zu diesen Bemerkungen bin ich freilich nur unter den mittlern Leuten gekommen, denn mit den lechthalischen Geldfürsten führte mich mein Stern nicht zusammen. In der Nachbarschaft sind indeß die Herren Bauern von Elbingenalp und Holzgau nicht besonders beliebt. Zumal in Reute gelten sie als spröde und geldstolz. Die Lechthaler wissen dieß auch, machen sich aber nicht viel daraus. Herr, sagte mir ein Gesprächsfreund, was kümmert uns das! Kommen wir hinab, so können wir immer noch fragen, was kostet ganz Reute? Dieses Bewußtseyn des eigenen Werthes hat die Lechthaler schon lange zu dem Wunsche geführt, sich unabhängig von Reute und ein eigenes Landgericht zu Elbigenalp zu sehen. Sie wollen dazu auch eine historische Berechtigung haben, denn bei dem Weiler Seesumpf zwischen Elbigenalp und Holzgau stand ehemals ein schloßartiges Gebäude, der Dingstuhl genannt, wo in grauer Vorzeit für das ganze Lechthal Gericht gehalten wurde.

Die Wanderzüge und Heimfahrten der Lechthaler sind also schon vor geraumer Zeit abgekommen. Da sich nun der [29] Wohlstand durch die gewinnreichen Unternehmungen im Auslande nicht mehr erhöhen läßt, so ist der Eifer, ihn durch die freilich minder ergiebigen Quellen heimischen Feldbaues und heimischer Viehzucht zu erhalten, nur desto größer. So führt denn jetzt der reiche Lechthaler ein eben so mühevolles Leben wie der arme. Er erklimmt mit seinen Fußeisen die höchsten Spitzen der Berge und bleibt Tag und Nacht auf seinen Mähdern das Futter zu sammeln, das ihm während dieser Zeit auch als erwärmende Liegerstätte dient. Dabei nährt er sich mit einem Brei von Ziegenmilch oder noch einfacher mit Käse und Brod, und trinkt frisches Bergwasser dazu. So ist derselbe Reiche auch unten im Thale vor Anbruch des Tages auf seinem Acker und bleibt bis zum späten Abend bei der Arbeit. Er düngt, säet und mäht selber. Auch im werktäglichen Haushalt zeigt sich kein Unterschied zwischen Reich und Arm. Milch und Erdäpfel, zuweilen geräuchertes Rindfleisch, ist die gleiche Speise der Wohlhabenden und der Dürftigen; von kostbarern Lebensgenüssen haben sie sich nur den Kaffee eigen gemacht.

Die unverwüstliche Heimathsliebe der alten Lechthaler ist wie die der Grödner und der Engadeiner, schon vielfach bewundert worden. Es verrieth in der That eine eigene Kraft der Entsagung, wenn der holländische Handelsmann nach langen Jahren der Abwesenheit zu Elbigenalp oder Holzgau angekommen, allen Freuden der großen Welt den Abschied gab, und ganz wieder ein Lechthaler wurde, wenn er seinen Amsterdamer Surtout von sich warf und in den häuslichen Wollkittel schlüpfte, um mit der weißen Schlafmütze auf dem Haupte und der Thonpfeife im Munde den Rest seiner Tage daheim zu verdämmern, sey’s nun am Ofen sitzend oder im angestammten Gärtchen leisen Trittes luftwandelnd und über die Stacketen auf die Fluren schauend, in denen er als Knabe gespielt. Dieses Behagen an einem stillen, idyllischen Spätherbst des Lebens entwickelt zumal für den, der es mit den Augen eines Großstädters betrachtet, seinen eigenen poetischen Reiz; die Nachbarn im Gebirge, insbesondere die Gebildeten, haben aber eine ganz verschiedene Ansicht der Sache aufgestellt. Ihnen [30] scheint es eher ein beschränktes Philisterthum, und den Lechthalern gereiche es lediglich zum Vorwurf, daß sie nach einem Leben, dessen schönster Theil auf den großen Weltmärkten dahingegangen, sich in die dumpfe Stille ihrer Dörfer zurückzogen, um dort ohne alle Anregung, ohne stärkende Geselligkeit, ohne Bildungsmittel in ruhiger Verschollenheit abzuwelken. Es ist richtig daß nicht alle, oder vielleicht die wenigsten, wie Herr Falger zu Elbigenalp sich geistige Schätze erworben hatten, die sie nützlich anlegen und mit deren Pflege sie sich würdevoll beschäftigen konnten. Indessen ist dabei zu bedenken, daß in einem Leben, während dessen sich der mitgegebene Mutterpfennig in Hunderttausende von Gulden umwandelte, auch nicht viel Zeit übrig blieb, um nebenher noch für standesgemäße geistige Erwerbungen zu sorgen. Wollen wir daher den wenigen alten müden Herren ihre Ruhe und ihren Frieden neidlos gönnen und nur Gutes reden von denen, die dahingegangen. Gerechteren Tadel möchten die jungen verdienen, wenn sie bei ihren großen Mitteln ihre Erziehung so sehr vernachlässigen würden, wie dieß der Fall seyn soll – obgleich auch gegen diese Behauptung die vielen Namen studirter und gelehrter Lechthaler, die sich da und dort hervorgethan; zu sprechen scheinen. Für die Bildung der Töchter wird nicht übel gesorgt – man gibt sie in die besten Klosterschulen oder in die naheliegenden größern Städte, und die lechthalischen Frauen, welche außer dem Thale verheirathet sind, stehen durchaus in gutem Ansehen.

Nun also wieder weiter, und heute noch in ein andres Land. Zu Steg hört mit dem ebenen Boden auch das Sträßchen auf, das sich von der Heerstraße bei Weißenbach ausbrechend durch das Lechthal heraufzieht. Von hier ins Vorarlberg und zwar in das nächstliegende Thalgelände des Bregenzerwaldes, führt nur ein Bergpfad über ein hohes Joch. Dieses Joch heißt der Tannberg.

Es wäre, um praktisch zu reden, allen Pilgern die den Bregenzerwald sehen wollen, zu rathen daß sie von Füßen das Lechthal hinauf ziehen und dann über den Alpenpaß des Tannberges in den Wald hinuntersteigen. Der Gang über den Tannberg ist aller Reize voll, und – wenn nicht etwa [31] wilde Wasser den schmalen Pfad zerrissen haben – nicht ohne Mühsal, aber ohne Gefahr. Der junge Lech rinnt unten in der Schlucht, zürnt, stürmt und bäumt sich in seinem Felsenbett, fängt sich aber dann wieder in einer Wasserstube und schlägt ruhig wirbelnd seine grünen Kreise. In der Höhe wechselt die Begleitung vielfach. Einmal geht’s über Weiden die rückwärts an steil aufspringenden Kämmen enden, durch hohen Fichtenwald, in welchen ungethüme Felsentrümmer eingesprengt sind; ein andermal kriecht der Steig an überhängenden Wänden hin, auf deren Grate einzelne Fichten in die Lüfte ragen wie Aehren, die dem Sturm zur Nachlese übrig gelassen sind. Ein Wasserfall wirft sich vom hohen Felsensöller über die rothe Wand herunter, gönnt sich kaum Zeit die Wasser wieder zu sammeln, und eilt flüchtig durchs Tannendickicht hinab in den Lech. Oft wird’s dann auch wieder frei um den Wanderer, er sieht weit hinein ins Gebirge: die beeisten Häupter glänzen so schön im Sonnenschein; stille Nebenthäler gehen ein, jedes mit seinem eigenen Bach und seinen eigenen Wasserfällen; weit drinnen, drüben über der Schlucht stehen einsame Sennhütten, aus denen Rauch aufsteigt, und ihre Fensterchen funkeln im Morgenstrahl – das ist ein wirkliches Sirenenbild! Da sitzt jetzt die junge Sennerin am Feuer, und schürt und singt dazu; ja, den Rauch sieht man wohl aufsteigen, aber der Jodler verhallt im Tosen der rauschenden Wasser. Allmählich kommt man auf die Höhe, wo die Fichten sparsamer werden, und wo jenseits der Taschenberg seinen ungeheuren grünen Mantel auseinanderschlägt Dort drüben fahren aus den breiten Halden wilde Schrofen zackig und zerrissen in die blaue Luft.

So war ich von Steg durch Wald und Weide drei Stunden aufwärts gestiegen, ohne daß mir eine menschliche Seele begegnet. Obschon der Tannberg der einzige Paß zwischen dem Lechthal und dem Bregenzerwald, zwei so dicht bevölkerten Thälern, so mag doch mancher Tag vergehen, wo Niemand über die Höhe klimmt. Im Gebirge zieht sich Alles dem Bache nach; draußen „im Lande," wo er hinfließt, draußen sind die Gerichte, die größern Orte, die Flecken und [32] Städte, die Märkte, wo die Erzeugnisse des Thales verwerthet, wo die Bedürfnisse feineren Lebensgenusses geholt werden. Dem Bache nach geht’s in die Fremde, in die weite Welt; er führt zu Verbindungen, Bekanntschaften und Verwandtschaften; ihm folgt man gern und willig. Aus dem Lechthale nach Reute, aus dem Walde nach Bregenz geht und fährt man auch bei geringem Anlasse; über die Höhen steigt Niemand als wer da muß. Den spürsüchtigen Drang nach den Reizen schwindelnder Alpensteige überläßt der Bauer im Gebirge lächelnd dem Fremden. Er hat die Ueberzeugung, daß es auch über dem nächsten Berge nicht viel anders aussehe als bei ihm, und während er oft Jahre lang durch weite Reiche bis an die Pyrenäen und das baltische Meer gewandert, hat er sich selten die Mühe genommen, übers Joch ins nächste Nachbarthal zu steigen. Deßwegen konnte es Frau Falger in Elbigenalp als eine Auszeichnung hervorheben, daß sie schon einmal über den Tannberg gegangen, und deßwegen findet man im Oetzthale, im Zillerthale und in vielen andern Thälern unter den rüstigen Männern zwanzig und dreißig, die in Innsbruck, in München, in Wien gewesen, bis man einen trifft, der über die nahen Fernerhöhen gekommen ist.

Endlich trat eine mächtige, schwarze Felsenecke an den Weg und schien ihn abzusperren. Zwei Hirtenknaben spielten davor und übten sich Steine in den Tobel hinabzuwerfen. Von ihnen erfuhr ich, daß das Alpendörfchen welches ich suchte, dicht hinter dem Schrofen zu finden sey. Dort fand ich’s auch nach wenigen Schritten ganz richtig, das Dorf Lechleiten, neun schwarze, hölzerne Häuschen mit steinbeschwerten Schindeldächern. Da und dort zeigen sich am steilen Abhange Kartoffelfeldchen. Für Getreide ist’s schon lange zu hoch, aber dafür wächst das üppigste Gras, alle Wiesen stehen voll Blumen und Alpenröschen glühen in Fülle an der Gasse.

Das Wirthshaus ist eine Hütte, außerhalb klein und schwarz wie die übrigen, aber innerhalb fand sich eine zierlich getäfelte, blank gescheuerte Stube. Sie gemahnte, daß es bald abwärts gehen würde, der Bregenzerache nach, in die reinlichen Länder am Bodensee. Es erlabte sich da ein Schweizersenne [33] aus Unterwalden, den die Bregenzerwälder zur Käsebereitung hieher gedungen hatten. Dieser schien eine gute, alte, ungefährliche Haut; aber andre junge unverdorbene Eidgenossen haben schon manchmal ansehnliches Unheil unter der vorarlbergischen Jungfrauschaft gestiftet.

Die Lechleitner – und dieß müssen wir nach unserm Versprechen deutlich hervorbeben – sind die letzten Lechthaler und haben sechzehn Stunden zu gehen bis zum Landgericht in Reute. Von Lechleiten an verlieren jene, die dem Bregenzerwald zuwandern, den fröhlichen Lech, der von Füßen an ihr Begleiter gewesen, aus den Augen. Er entspringt sechs Stunden weiter südlich auf der Alpe Fornanin.

Jenseits eines tiefen Tobels, den man keuchend auf- und abklimmen muß, liegt weit zerstreut die erste vorarlbergische Gemeinde Wart, die eine Kirche, einen Pfarrer und eine Schule hat. Beide Dörfer einander gegenüber, durch die waldige Schlucht getrennt, die schwarzen Häuschen in den grünen Matten, die grauen Hörner darüber emporragend, bieten ein sehr alpenhaftes, hirtenmäßiges Bild, wie eine große Niederlassung von Sennhütten, was sie auch ursprünglich waren ehe die Uebervölkerung der Thäler die Menschen zwang sich hier bleibend einzuherbergen. Man glaubt, dieß müßten die letzten Wohnungen seyn, die letzten vor den Schneefeldern, aber es geht noch immer höher hinauf, und nach zwei Stunden beständigen Steigens durch Wiesen und Alpenrosenhecken erreicht man Krumbach. Hier sind zwölf Hütten, nahe bei einander aufgeschlagen, wohl bei sechshalbtausend Fuß über dem Meer. Das Dörfchen steht noch ein gutes Stück über den letzten Fichten. Zur Zeit wenigstens muß der Feuerungsbedarf anderthalb Stunden weit heraufgeschleppt werden, und deßwegen heißt die kleine Niederlassung auch zum Unterschied von andern gleichen Namens Krumbach ob Holz. Sie liegt in einem rinnenförmigen Hochthale, dessen beide Kanten lange Wände verwitterter Felsenhäupter bilden. Auf diesen hält sich den ganzen Sommer über Schnee, der in langen glänzenden Wasserfäden sich löst; sie scheinen gleich zur Seite zu stehen, nicht hoch und durch die Schrunden nicht beschwerlich zu erklimmen. [34] Was sie draußen im Flachland für unersteigliche Jöcher in der Kette der Alpen anschauen, das sind hier nur die nächsten Dorfhügel, auf welche die Krumbacher Jugend zur Abendzeit hinaufklettert um die Sonne untergehen zu sehen. Der Bergstock, der zur rechten Hand sich erhebt, ist der Widderstein. Seine höchste Spitze hat eine Höhe von 8000 Fuß und eine Aussicht, die bis München reicht. Vor nicht langer Zeit sah man noch auf dieser Kuppe, wie glaubwürdige Augenzeugen versichern, einen zugehauenen Balken von beträchtlicher Größe. Wie er so hoch hinauf gekommen, wußte Niemand zu erklären, und die Volksmeinung hielt ihn daher für ein Stück von der Arche Noä. Den zu derselben gehörigen eisernen Anker will man auf einem Berge bei Telfs im Oberinnthale gefunden haben.

Ein Wirthshaus ist in Krumbach nicht zu erfragen, aber die gastfreundliche Aufnahme in den Hütten entschädigt für den Mangel. Die Einwohner leben fast allein von Milch, Butter, Käse, Schotten und schwarzem Brode; darnach ist auch die Bewirthung. In dem Häuschen, wo ich zusprach, waltete ein Mädchen von Mittelberg, das jenseits des Widdersteins tief unten im Thale liegt – eine Walserin, aus demselben merkwürdigen Stamme, der sich ferner Abkunft aus dem Wallis rühmt. Sie erschien in jener seltsamen Kleidung, die ich später zu Damils wieder sehen sollte, nur daß die Walserinnen von Mittelberg schwarze Röcke tragen und jene im innern Walserthale rothe. „Ich bin eine Walserin," sagte die Sennmaid schon im allerersten Stadium unsers Gesprächs mit Selbstgefühl, gleich als sollte dieß eine Warnung seyn, daß ich sie nicht in eine Reihe mit den andern Jungfrauen des Alpendörfchens setze, unter welche sie nur gekommen war, um die Sommerfrische zuzubringen. Alles was sie aufzubieten hatte aus den Erträgnissen ihrer Sennerei war gut gerathen, insbesondere das Schottengsig, ein gelbbrauner, fester Einsud der Molken von süßem, scharfem Geschmacke. – Außen war die Küche mit dem großen Herde, der aus mächtigen Felsblöcken erbaut, den schwarzen Käsekessel über sich hängen hatte. Innen war eine lieblich geheizte Stube, und als ich noch [35] weiter vordrang, gerieth ich in ein enges Nebenkämmerlein, worin ich ein paar Schulbänke und eine große schwarze Schreibtafel gewahrte. Hier ist die Wiege der litterarischen Bildung des Alpendorfes, denn hier wird im Winter Schule gehalten. Für die religiöse Erziehung sorgt der Curat, und der Gottesdienst ist in einer Capelle auf einem freien nahestehenden Hügel, so ausgewählt in ihrer Lage, damit ihr im Winter die Lawinen nichts anhaben können. Aber dennoch wirft es oft den Schnee in so überlegener Fülle, daß die Bewohner der nächsten Hütten einen Tag zu arbeiten haben, um den Laufgraben in die Kirche zu eröffnen.

Die rothbackige Walserin war übrigens mehr ernst als gesprächig. Ihr Auftreten hatte wegen der klappernden Holzschuhe, die sie trug, eine geräuschvolle Feierlichkeit. Für arcadisches Sommerleben schien sie vielen Sinn zu hegen. – „im Sommer ist’s so lustig auf der Alm" – dagegen wollte sie die Eingebornen von Krumbach keineswegs beneiden, daß sie da oben bleiben müßten, um den langen Winter zu vertrauern, wenn sie im Herbste hinabzog zu den warmen Kunkelstuben am Mittelberg.

Noch geht’s eine Weile auf gleicher Fläche fort bis zu einem kleinen See, von dem ein Bach in die Bregenzerache stürzt. Immer noch dieselbe stille Gegend, ohne Baum und Strauch, grüne Binsen in dem grünen See, grüne Kräuter an dem Ufer, ungeheurer hochaufgeschossener Huflattich, in dessen Dickicht sich das weidende Vieh verbirgt, darüber die eisigen Zinken und die reine ruhige feierliche Bergluft. Beim See aber bricht sich der Pfad: die grüne Au läuft plötzlich an einem Abgrund aus, und tief unten, entsetzlich tief, kaum noch erschaubar, zeigt sich durch den schwarzen Fichtenwald das weiße Kirchlein des Schreckens. Immer bergab, immer steiler und steiler fällt der Steig hinunter und jagt den Wanderer in athemlosen Sprüngen zu Thal, bis er sich endlich im Schrecken zur Ruhe setzen kann.

Ein heitrer Sommerhimmel mildert den wilden Ernst der wildesten Berglandschaft, aber dem Schrecken kann er doch nur wenig von seiner Schauerlichkeit benehmen. Es muß selbst dem [36] Aelpler diese Wildniß zu erstaunlich gewesen seyn, da er ihr ohne Rückhalt jenen Namen gab, der seinen Muth zu beschämen scheint. Ein enger steiler Bühel, auf dem die Kirche, der Pfarrhof und das Wirthshaus stehen, auf einer Landzunge zwischen lauten Bergwassern die in tiefen Tobeln rauschen, grausige Wände, die aus diesen abgeschrofft emporsteigen bis zu den Schneefeldern, die einem fast übers Haupt herein hängen; oben an den Fernern, weit über der Gemsenheimath, prächtige Wasserfälle die überstürzend ins Thal fallen, deren Donner man hören müßte, wenn ihn nicht der Lärm der nähern Bäche überschriee; in der Höhe überall Zerrissenheit und Zerklüftung, Schnee und Eis, unten in der Schlucht enge waldige Wildniß – das ist der Schrecken. Unter allen Landschaften die in den Tiroleralpen zu sehen sind, ist keine bewohnte, die es ihm an schauerlich wilder, beängstigender Schönheit gleich thut.

Wer hier im Sommer die rings aufstarrenden Bergwände betrachtet, der kann sich auch die Schrecken der Lawinen im Winter denken; viele Tausende gehen donnernd nieder und zerfließen in der Frühlingssonne ohne Gefährde für ein Menschenleben, aber zuweilen kommt eine herab die Trauer und Jammer in den Schrecken bringt. Vor fünf Jahren wurden zwei Kinder „verlauwenet" die eben auf dem Weg zur Schule waren; manches Andern Gedächtniß der unter der Lauwene*) seinen Geist aufgab, ist schon längst verklungen, aber noch erinnert man sich an den leidvollen Tag im Jahr 1636, wo dreizehn Kirchgänger vom Schneesturz gepackt, in den Abgrund geschleudert und nur leblos wieder ausgegraben wurden. Damals war noch kein Gotteshaus in dieser Wildniß, nun aber thaten sich die Leute des Schreckens zusammen und stellten eine Kirche her.

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Seit dieser Zeit ist auch ein Pfarrer hergesetzt für die weit zerstreute Gemeinde, deren letzte Hütten anderthalb Stunden weit oben an den Halden kleben. Im Winter hat der gerufene Seelsorger mit den besten Schneeschuhen und bei der genauesten Kunde der Wege oft einen halben Tag zu thun, ehe er sich durch den frischgefallenen Schnee dahinaufarbeitet.

Indessen kommt, Gott sey Dank, zuweilen auch der Schrecken zu lustigen Tagen. Der Wirth daselbst führt in seinem Keller einen fürtrefflichen und edlen Velteliner, und im Bregenzerwalde ist mehr als ein Ehrenmann zu treffen, der sich an einen fröhlichen Abend im Schrecken erinnern kann.

Von hier geht’s in erträglicher Senkung durch den Tobel abwärts auf Fußsteigen, die dem Wanderer nach dem schwindelnden Sprung von der Krumbacher Höhe herunter bequem und gemächlich erscheinen, obgleich es auch nur schmale holperige Alpenpfade sind. Der „Schrecken" verläßt uns aber doch nicht ganz; es gibt Stellen in dieser Schlucht wo er sehr lebhaft wieder ins Gedächtniß tritt. Eine davon ist gar schauerlich. Der Steig geht durch eine dunkelschattige Enge, wo die ungeheuern Blöcke eines eingebrochenen Grates noch im Wege stehen, und gigantische Fichten, die zerknickt zwischen und unter den Steinen liegen, die Verheerung bezeugen. Unten im tiefen Schacht braust die Ache, und drüben steigt, ganz nahe, ein spitziges Felsenjoch empor, an dem die Tannen wie Spieße übereinander hinaufwachsen.

Nach einer Stunde wird das Hopferebner Bad erreicht, der erste Ort des Bregenzer Hinterwaldes, einer von den ländlichen Brunnenorten, deren es in Tirol und Vorarlberg wohl über ein Hundert gibt. Es ist ein dreistöckiges hölzernes Gebäude, einsam gelegen in der waldigen Wildniß. Unter dem Wohnhaus ist ein Schoppen, in welchen die Quelle vom Berg aus durch lange Rinnen geleitet wird, und in diesem Schoppen sind die Bäder, zwei Reihen von hölzernen Wannen in einer großen Badstube. Diesseits ist’s für die Männer, jenseits für die Weiber; zwischen den feindlichen Lagern hindurch geht eine leinene Wand. Das Wasser zu Hopfereben ist schwefelhaltig und hilft gegen Hautkrankheiten, Gicht und [38] Rheumatismus. Die Nähe in der solche Bäder (Badeln heißen sie verkleinernd die Tiroler) auf einander folgen, weist ihnen ihre Kundschaft zumeist nur in der Nachbarschaft an; deßwegen sind die Gäste auch alle schon vorher mit einander bekannt und leben mit den Wirthsleuten wie zu Hause, still, ländlich und ohne große Kosten. Jetzt waren nur ein halb Duzend Frauenspersonen in der Cur, die sich am Wirthstisch leise murmelnd unterhielten. Die Zeit des Badelebens ist indessen auch im Hinterwald die Zeit der Hoffart wie bei den reichen Leuten in den Bädern am Rhein. Obgleich es Werktag war, saßen die Frauen doch alle in sonntäglichem Putze an ihrem Plaudertisch – so will’s der Badebrauch. Für die Männer ist eine Kegelbahn vor dem Hause, und auch spazieren können sie gehen den Bach abwärts oder aufwärts, allenfalls auch in die Höhe, wo es aber etwas steil wird. Lectüre bringt sich der Badegast selbst mit, denn nach Hopfereben kommt nicht einmal eine Zeitung.

Bis Schopernau hält sich die Gegend in ihrer rauhen Hochlandsart. Waldige Schluchten, steilabgerissene Felskegel, eingebrochene Halden, rauschende Wasserfälle wechseln ab oder wirken zusammen. Nun aber führt der Weg aus dem Tobel in die Wiesen hinaus. Die Berge fallen mählig ab von ihrer Höhe und tragen Waldungen bis auf den runden Rücken; die rothen Felskämme schauen in das freundliche Thal nur von ferne herein. Den Fluß, der jetzt ruhig geworden, verbirgt das Erlengebüsch, und das Dörfchen liegt in ebenen Matten um seine Kirche herum. – Hier beginnt die niedliche Bauart des Bregenzer Waldes, die gezimmerten Häuser mit den sanft anlaufenden Dächern, die auf beiden Seiten weit herausgreifen und von Säulen getragen herüben und drüben einen Porticus bilden, den man den Schopf heißt. Die eine von diesen Lauben dient zu wirthschaftlichen Zwecken als Wagendach und Holzlege, in der andern aber sind Tisch und Bänke aufgestellt. Sie ist in der schönen Jahreszeit der Sprechsaal, wo sich in freien Stunden und zum Abendtrunk die Nachbarn und Nachbarinnen zusammenfinden und gemüthlicher Unterhaltung pflegen. Diese Lauben sind ein sehr ansprechendes Stück ländlicher [39] Architektonik und an fröhlichen Feiertagen der Rahmen zu manchem idyllischen Bilde. Unter diesen Häusern des Waldes sind jene von neuerem Style größtentheils mit einem Schuppenpanzer von kleinen abgerundeten Schindeln sauber verkleidet; die ältern noch zumeist mit Brettern angethan, dunkelroth angestrichen, auch mit lehrreichen Sprüchen und mit Gemälden eines bäuerlichen Pinsels verziert. Diesem Kunstbetriebe wird aber jene schmucke glänzende Panzerrüstung, die in der Sonne wie Silber blinkt, bald für immer ein Ende gemacht haben.

Nunmehr geht’s am Ufer der Ache auf gebahnter Straße fort durch mehrere Dörfer bis ins Herz des Bregenzer Waldes. Der Bregenzer Wald – das ist ein düstrer Klang. Das scheint Laubnacht und Fichtendunkel zu bedeuten, einen schwarzen Forst durch den die Sonne nicht scheint, unwegsames Gehölze, worin ein paar weit auseinander gelegene Köhlerhütten, ein paar Jägerhäuschen, einige zerlumpte Kinder und viel wohlgenährtes Hochwild – das denkt man sich etwa, aber es trifft nicht zu. Der Bregenzer Wald hat nichts Düsteres als den Namen, und ist eines der reizendsten Gelände Süddeutschlands. Die Schriftsteller nennen es ein Alpenland, aber für dieß sein Herzblatt wohl nur passend, wenn sie die Hauptbeschäftigung der Einwohner, welche die Viehzucht ist, im Auge haben, denn im Uebrigen ist diese Landschaft ein schönes mattenreiches, von lichten Hainen durchzogenes Thal, das nur ansehnliche Hügel begränzen, an denen die einzelnen zum Theil sehr zusammengegangenen Nachkommen des alten „Waldes" hinaufwachsen. Allerdings steigt noch über Schnepfau die steile Wand der Kanisfluh bis über 6000 Fuß empor, und hinter Bezau erhebt sich die nicht viel niedrigere Winterstauden, aber die erste liegt noch weit hinten im Walde, wo er seine idyllischen Reize noch nicht so reich entfaltet, und die andere steht zur Seite und thut der milden Freundlichkeit des Bildes keinen Eintrag. Wir sprechen da hauptsächlich von dem sonnenhellen Thalspiegel zwischen Schwarzenberg, Egg und Andlisbuch, wo rechts und links der Ache, die unten in der Schlucht dahinrauscht, von ein paar schwindelnden [40] Brücken übersprungen, die reinlich aus Holz geschnitzten Häuser, die Dörfer und unzähligen Höfe stehen, die in ihrer schimmernden Rüstung aus allen Winkeln und Ecken herausglänzen. Die Hügel wogen da so freundlich in einander; es ist ein Entgegenkommen und Händereichen von allen Seiten, und an diesen runden, in einander verlaufenden Hügeln gehen die Häuschen zu sechs und sieben, zu zwei und drei aufwärts bis an die Giebel. Wälder und Auen sind schicklich vertheilt, um alle Einförmigkeit zu verhüten, aber die Kornfelder fehlen, denn im Bregenzerwald wird kein Getreide gebaut. Tiefe Stille liegt über dem grünen Thale; nur die Glocken der Heerden oder das Jauchzen der Sennen schallt zuweilen von den Bergen wieder.

Der Bregenzerwald wird nach dem volksthümlichen Sprachgebrauch, dem ein alter politischer Unterschied zu Grunde liegt, in den äußern oder vordern und den innern Wald getheilt. Zu jenem zählt man die Gegenden von Lingenau, Hüttisau und Sibratsgfäll; dieser geht vom Dorfe Egg an längs der Ache hinauf bis zum Hopferebnerbad. Was darüber liegt, gehört zum Tannberg, der ehemals sein eigenes Gericht hatte, seit der bayerischen Regierung dem Landgericht zu Bludenz zugetheilt war, letztlich aber im vorigen Jahre der Nähe wegen mit dem Bregenzerwald vereinigt wurde. Die Dialekte jener beiden Hälften unterscheiden sich kenntlich. Man will indessen auch andere Unterschiede feststellen und den Leuten des innern Waldes mehrere gute Eigenschaften zuschreiben, die jene des äußern Waldes nicht besitzen sollen. Dagegen scheint Herr Custos Bergmann zu Wien, im äußern Walde zu Hüttisau geboren, daher auch für die Sachen seiner Heimath eine tüchtige Autorität, das moralische Uebergewicht auf die Schale der Außerwälder legen zu wollen. Er nennt den Innerwälder bedächtlicher, verschlossener und feiner; den Vorderwälder offener, lauter, redseliger, barscher; letzterer werde darum von vielen dem Appenzeller verglichen. Andre theilen die Eigenschaften wieder anders aus, wie es denn überhaupt bei so zarten Nuancen an Verschiedenheit der Meinungen nicht fehlen kann.

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Der Hauptort des Gerichtes im Bregenzerwald ist Bezau; ein schönes Dorf von 700 Einwohnern, zugleich die Geburtsstätte des gelehrten Chorherrn von St. Florian, Jakob Stülz. Der Ort hat sich in einer geräumigen Abrundung gelagert, die ein Kranz von ernsten Höhen umzieht – es ist noch lange nicht das heitre Lachen der Gegend von Andelsbuch. Eine halbe Stunde aufwärts an der Ache liegt Reute, ein kleines Dorf mit einem besuchten Bade. Da, zu Reute finden wir schon eine sehr erhebliche Anstalt, ein geräumiges Gebäude, einen Garten dabei und einen graduirten Badearzt. Hier gibt es auch bereits Stände. Als wir hinkamen, waren meist Damen da – schöne Fräulein aus den Seestädten, aus Feldkirch, schöne Jüdinnen von Hohenems, freie Schweizerinnen nebst einigen Müttern. Herren fehlten und schienen allerdings vermißt zu werden – was ist ein Badeleben ohne Paladine! Außer diesen Damen der „gebildeten Stände," die sich etwas abzugränzen suchten, fand sich auch einiges Frauenzimmer vom Lande vor, das wieder unter sich zusammenhielt. Dieser Gliederung der Gesellschaft entsprechen auch die Einrichtungen der Anstalt. Es gibt für die Stadtleute einen Tisch zu einem halben Gulden und einen billigern für das Landvolk. Der Besuch hält sich durchschnittlich zwischen fünf- und sechshundert Gästen, und Reute ist daher der bedeutendste Curort in Vorarlberg. Die Landschaft ist mit waldigen Hügeln besetzt und etwas enge. Die Spaziergänge führen nach den nahen Dörfern, nach Bizau, von wo die Schnepfeck bestiegen wird, ein mit Laubwald bewachsener Hügelrücken, den eine Capelle des heiligen Wendelin schmückt, nach Mellau, wo ein schöner Wasserfall, oder über die Bezeck nach Bezau.

In dieser friedlichen Revier stehen weiter unten jenseits der Ache auf wechselnden Höhen die Häuserhaufen von Schwarzenberg, wo der Vater der Angelica Kaufmann seine Heimath hatte Sie selbst wurde bekanntlich 1741 während eines vorübergehenden Aufenthaltes ihrer Eltern zu Chur, der Vaterstadt ihrer Mutter, geboren, und verlebte nur wenige Monate auf den grünen Hügeln von Schwarzenberg. Ihr Vater zog dann für lange Zeit ins Veltelin und nach Mailand, und erst in ihrem fünfzehnten [42] Jahre sah die junge Künstlerin zum erstenmale den Wald, das Stammland ihrer Väter; dann fünfundzwanzig Jahre später wiederum, als sie auf der Höhe ihres Ruhms von England nach Italien übersiedelte, beidemale nur auf einige Wochen. Trotzdem ist Angelica noch immer die Löwin des Waldes; den Fremden erinnert man gern an die berühmte Wälderin und die Anfänge ihrer Kunst; ihre frühesten Zeichnungen und spätere Arbeiten, die in ihre Heimath gelangten, werden in der Verwandtschaft ehrfurchtsvoll aufbewahrt und dem nachfragenden Wanderer mit freudigem Stolze gezeigt. Im Schäfle, d. h. beim Lammwirth in Schwarzenberg ist eine kleine Galerie von ihren Bildern, darunter ihr Selbstconterfei als junges Mädchen in der Tracht der Wälderschmelgen. Einmal hat sie sich auch als heilige Katharina gemalt und sich, wohl mit getreuem Pinsel, eine angenehme, jugendlich schalkhafte, für die Heilige fast etwas zu weltliche Physiognomie verliehen. In der Fremde geboren, in der Heimath fast eine Fremde, blieb sie doch immer des Waldes eingedenk, und sandte 1802 aus Rom der Kirche zu Schwarzenberg ein schönes Altarblatt, das unter großen Festlichkeiten und unter Theilnahme der ganzen Landschaft aufgestellt wurde. Sie starb zu Rom im Jahre 1807. An der Seitenwand der Kirche ließen ihr die dankbaren Schwarzenberger einen Denkstein setzen, der freilich durch schreckliche Verse entstellt ist.

Peter Kaufmann, der im Jahre 1829 als Hofbildhauer zu Weimar starb, gehörte der gleichen Familie an, war aber zu Reute geboren.

Aus dem Dorfe Schwarzenberg gebürtig, war auch der Vater des französischen Generals Kleber, der 1800 in Aegypten erdolcht wurde. Der Sohn kam zu Straßburg zur Welt. Seine Kriegerlaufbahn begann er 1777 beim k. k. Infanterie-Regimente Kaunitz zu Mons in Hennegau. Im Jahre 1785 verließ er als Lieutenant diese Fahnen, um in französische Dienste zu treten.

Trotz dieser Berühmtheiten haben die Schwarzenberger für den Wald dieselbe Bedeutung, wie die ehemaligen Buchhorner für Schwaben, die Weilheimer für Bayern, die Hirschauer [43] und Schildaer für andre Gegenden. Ihnen bindet nämlich nachbarliche Schalkheit alles Alberne auf, dessen sie sich gerne selbst entledigen möchte. Die Schwarzenberger Stücklein haben daher einigen Ruf. Wer Lust hat, mag übrigens bei ihnen selbst nachfragen, warum sie sich Bsocher und Psipser nennen lassen müssen.

Weiter abwärts, im äußern Walde, an den Ufern des Subersbaches und der Bolgenach liegen theils in freundlichen Auen, theils an leichtbewaldeten Mittelgebirge noch verschiedene Gemeinden. Dort finden sich aber keine beträchtlichen Dorfschaften mehr, sondern es leben die Einwohner, wie im angränzenden bayerischen Allgau, in kleinen, nahe an einander liegenden Weilern oder in vereinzelten Höfen. In dieser Gegend und zwar zum Hof in Lingenau ist die älteste Pfarre des Waldes im Jahre 1150 gegründet, vom Kloster Mehrerau bei Bregenz, einem Stifte, das um die erste Ausrodung und Bebauung des Waldes große Verdienste hatte.

Die Höhen, welche von außen um den Bregenzerwald herumlaufen, gebieten fast alle über unendliche Fernsichten. Der mählige Abfall des Gebirges, das niedere schwäbische Hügelland, das bis an den Schwarzwald und die rauhe Alp offen daliegt, die schönen Ufer des Bodensees, der glänzende Spiegel des schwäbischen Meeres selbst, die Appenzeller Gebirge und die höhern Bündner Alpen – das alles erlaubt entweder dem Blick in der weiten, reichen Ferne zu schwelgen, oder gibt ihm in der Nähe einen großartigen Schlußstein. Die Lose zwischen Schwarzenberg und Dorenbüren, die Lorenne ober Alberschwende, jede mit einem wunderbaren Ueberblick des schönen Rheinthals, werden um so lieber und öfter begangen, als darüber abkürzende Verbindungswege aus dem Walde an die Rheingestade führen. Der Hochheteri in der Bolgenacher Gemeinde, von dessen Spitze die Städte Augsburg und Ulm zu erschauen sind, wird noch höher gerühmt.

Der Bregenzerwald hatte vor 50 Jahren noch keine fahrbare Straße, keinen fahrbaren Zugang. Es war ein abgeschlossener Park, durch welchen nur Fußpfade führten. Damals zogen die Wälder in reisigen Karawanen von dreißig [44] bis vierzig Saumpferden auf die Kornmärkte nach Bregenz, brachten Butter und Käse dahin und saumten Getreide zurück. Jetzt führt wenigstens ein guter Fahrweg durch den Schwarzachtobel bei Alberschwende ins Rheinthal hinaus und zunächst nach Bregenz.

Im Walde selbst geht dem Hauptthale nach bis Schopernau ein schmales Sträßchen, das aber etliche sehr mißliche Stellen hat. Einige Ausläufer davon verästeln sich in die Seitenthälchen. Der jetzt unternommene Bau einer neuen Straße wird mit sehr günstigen Augen betrachtet. Ueber die Richtung derselben stand der Wald vor zwei Jahren in großer Spannung, da jede Gemeinde an der neuen Straße liegen wollte. Fahrbarer als der Weg längs der Ache ist die Commerzialstraße, welche vom Schwarzachtobel aus über Lingenau und Hüttisau, also durch den äußern Wald gegen den bayerischen Flecken Staufen führt.

„Dieß Thal, sagt Sebastian Münster in seiner Kosmographie, hat schön, stark und viel volk, das rauch lebt und gleichwol nit arm ist; heißt jre meitlin und junckfrawen jrer sprach nach Schmelgen."

So scheinen die Bregenzerwälder von jeher in gutem Ruf gestanden zu seyn, und in der That sind sie ein liebenswürdiger Schlag von Leuten; die Männer verständig, bieder, gutmüthig, aber zu Schimpf und Scherz geneigt, die Mädchen und Frauen von milder freundlicher Art, frohsinnige Plauderinnen, wenn auch mit ihrem abgekappten Alemanischen, das mit hoher singender Stimme vorgetragen wird, dem Nichtwälder etwas unverständlich. Beiden Geschlechtern eigen ist ein Streben nach ehrenhafter stattlicher Häuslichkeit, und so sind sie reinlich und sparsam, ohne Abneigung gegen erlaubten Schmuck des Lebens, den der herrschende Wohlstand allerwege zuläßt. Der Hauptbetrieb des Thales ist Viehzucht und Sennerei – Beschäftigungen, denen die volle Liebe der Wälder zugewendet ist. Daher auch die seltsame, fast einzeln stehende Erscheinung, daß hier die schöne Waidmannsfarbe der Fluren nirgends mit dem Gold der Aehren abwechselt, während nahezu in allen übrigen Thälern Vorarlbergs und Tirols der Boden bis in die innersten Winkel hinein gezwungen wird Getreide zu tragen. [45] Das Vieh ist die ganze schöne Jahreszeit über auf den Alpen, im Frühjahre und im Herbst, auf den „Maisäßen,“ den niedern Höhen, die früher schneefrei werden und es länger bleiben, im Sommer auf den Hochalpen, die rückwärts gegen das Allgau und den Tannberg zu tief im Gebirge liegen, oft in vielstündiger Entfernung von den Mutterhöfen. Auf den Weiden bei Bizau war ehemals der Platz, wo die Heerden an St. Kilianstag (8 Julius) zusammengetrieben wurden, wenn es Zeit war auf die Hochalpen zu gehen, und im Herbst wenn sie wieder zurückkamen. Dann brachten auch die Saumpferde Butter und Käse, die Ausbeute des Sommers, herunter, jeder Eigenthümer nahm sich seinen Theil davon und förderte ihn und seine Heerde von hier nach Hause. Diese Uebung ist jetzt abgekommen.

Als Sennen werden zur Zeit der größern Geschicklichkeit in der Käsebereitung halber viele Schweizer eingedungen, welche beträchtliche Löhnung beziehen. Einen derselben haben wir im Wirthshäuschen zu Lechleiten gefunden. Auch sind schon Sennen aus dem Walde nach der Schweiz und selbst nach Niederdeutschland gegangen, um sich in ihrem Geschäfte zu vervollkommnen. Eine sehr schmackhafte Speise ist der weiche, streichbare Backsteinkäse, der im Walde bereitet wird.

Vor Jahren soll es mit dem Wälder Käsehandel ziemlich schlecht gestanden haben, aber jetzt geht er wieder in die Fremde hinaus und bringt viel Geld ins Land. Ein großes Verdienst an diesem segenreichen Umschwung hat Herr Peter Bilgeri, der stattlichste, hochstämmigste der Wälder, der auf den Wiesen bei Andelsbuch haushält. Peter Bilgeri hat durch Verstand und Fleiß dem Haupterzeugnisse seiner Heimath viele neue Wege zu bahnen gewußt, vielen seiner Landsleute neue Nahrungsquellen eröffnet, und sich selbst mit Ehren zu beträchtlichem Wohlstande erhoben. Sein Haus, aus Holz gezimmert und mit dem Schindelpanzer verkleidet wie die übrigen, ist eines der angesehensten im Walde und ein treffliches Muster aller der Reinlichkeit und Heimlichkeit, die in diesen niedlichen Wohnungen zu finden. Da gibt es glänzend gebohnte Tische und Thüren, helle Fenster mit feinen Vorhängen, sorgfältig [46] gescheuerte Böden und zierliche Vertäfelung der Wände, an denen schöne Bilder prangen. Die Räume sind nicht so gewaltig, wie in den großen steinernen Häusern der Tiroler, aber gerade diese Einschränkung erregt das Gefühl des Wohnlichen und Heimlichen. Im Sommer bricht die Sonne so klar durch die großen Fenster, und der grün glasirte Kachelofen verspricht die behaglichste Wärme für den Winter. Wetteifernd mit Peter Bilgeri haben sich nun auch andere Wälderhäuser auf den Käsehandel geworfen, und es sind jetzt mehrere Firmen im Walde, deren Geschäfte von Jahr zu Jahr schwunghafter betrieben werden. Da die Geschäftsverbindungen mit Italien sich immer enger knüpfen, so werden die Jungen der reichern Häuser, die zur Handelschaft bestimmt sind, gewöhnlich nach Mailand geschickt, um „wälsch" zu lernen.

Die Wälder sind übrigens nicht zur Sennerei allein aufgelegt, sondern üben auch andere Handthierung mit großer Fertigkeit. Das schöne Hausgeräth, die saubere Vertäfelung der Stuben, die Thüren mit den messingenen Schlössern werden sämmtlich von Meistern des Waldes gemacht. Es gibt hier Dilettanten in Fächern, die man dem Bereiche tändelnder Liebhaberei weit entrückt halten sollte. In einem Wirthshause zu Bezau sah ich zum Beispiel ein fertiges und sehr gut gelungenes Piano, das der Hausherr in seinen Nebenstunden als „Bästelarbeit“ hergestellt hatte. Viele von den Aermern verdienen sich durch Lodenweben einige Gulden oder schnitzen Rebhölzer für die Weingärten am Rhein. Andere ziehen als Stuccaturarbeiter ins Ausland, in die wälsche Schweiz und nach Frankreich. Die Wälderinnen bringen durch Musselinsticken manchen Groschen in den Haushalt. Dieser noch nicht sehr alte Verdienst wurde durch schweizerische Handelshäuser in Gang gebracht, und so kommt jetzt noch der Zeug mit den bereits eingezeichneten Blumen meistentheils über den Rhein, und wandert, wenn die Arbeit vollendet, wieder nach St. Gallen und Appenzell. Dieser Erwerbszweig hat sich nun über den ganzen Wald verbreitet, und selbst in der Wildniß des Schreckens wird gestickt. Die Mittelsmänner welche von Zeit zu Zeit in die Schweiz fahren, die gelieferte Arbeit [47] hinüberbringen und neue Aufträge holen, heißen die Stücklefergen, vom alten deutschen Worte: Ferge, das aus den Nibelungen bekannt ist. Gustav Schwab erzählt von einer weißen Schlafmütze, die der Bräutigam als Liebespfand gewöhnlich nicht lange vor der Ehe erhalte, und werde diese Gabe ebenfalls von der zarten Hand der Jungfrauen auf dem Tamburin gearbeitet. Die Wälderinnen wollen nichts mehr von dieser Schlafmütze wissen; aber das gestehen sie ohne Erröthen, daß dem „Buobe" hin und wieder eine von Gold- und Seidenfaden gestickte Hutbinde mit seinem Namen zugesteckt werde. Diese Binde, und nur sie ist es, die jetzt noch von der Hand der Liebe geklöppelt wird.

Die Tracht der Männer des Bregenzerwaldes hat nichts Auffallendes mehr – sie ist jene ländlich städtische, welche die Landleute des Rheinthals und der Ufer des Bodensees angenommen haben. Dagegen ist die der Mädchen und Frauen ganz eigens ausgedacht und findet wohl nirgends ihr Aehnliches. Auf dem Haupt sitzt eine hohe kegelförmige Mütze von schwarzer Wolle, Kappe genannt. Den Hals verhüllt bis unter das Kinn ein schwarzer, eng anliegender Sammtsteck, das Goller. Das Goller setzt der ebenfalls schwarzsammtene Brustfleck fort, von dem indeß nur ein Streifen sichtbar ist, auf welchem die Anfangsbuchstaben des Namens eingestickt sind. Das Hauptstück der ganzen Gewandung ist aber die eigenthümliche Juppe, ein schwarzes, leinenes, ärmelloses Hemd, das um die Hüften ein lackirter Ledergürtel zusammenhält, der ehemals in massiven Gold- oder Silberbuchstaben den Namen seiner Herrin trug, welche Aufgabe jetzt, wie bemerkt, dem Brustfleck geworden. Dieses Hemd, das etwa bis an die Knöchel reicht, ist von oben bis unten in unzählige Fältchen gebiegelt und geglättet und gewinnt dadurch einen seltsamen metallischen Glanz. So hat die volle Tracht der Wälderinnen in ihrer verhüllenden Züchtigkeit, mit dem schimmernden schwarzen Rock etwas Ernstes, Frommes, Priesterliches, das zu ihrem hohen schlanken Wuchse trefflich stimmt. Noch vestalischer muß das Gewand ehemals ausgesehen haben als die Juppen noch weiß waren. Diese weißen Juppen haben sich im dreißigjährigen [48] Krieg in denselben Zeitläufen verewigt, als die Lechthalerinnen, wenigstens nach der Sage, auf der Mortenau das Vorrecht erkämpften in der Kirche zur rechten Seite zu knieen. Einmals lagen nämlich schwedische Völker im äußern Walde und verübten vielen Frevel. Dessen zur Steuer thaten sich die Wälderinnen zusammen und zogen an den Fallenbach, den Schweden entgegen. Als aber diese der weißen Juppen von ferne ansichtig wurden, meinten sie kaiserliche Mannschaft zu gewahren und kehrten sich eilig zur Flucht. Die weißen Juppen stürzten jedoch den fliehenden Schweden in heißer Kampfbegierde nach und erschlugen sie bis auf den letzten Mann. Die Walstatt heißt noch bis auf den heutigen Tag die rothe Eck. Der Sieg ist Nachmittags um zwei Uhr erfochten worden, und daher wird in den Pfarreien von Egg, Andelsbuch und Schwarzenberg, denen die meisten der Kämpferinnen angehörten, Jahr aus Jahr ein um selbe Stunde mit der Glocke geläutet zum ewigen Angedenken.

Zur Ergänzung können wir hinterdrein auch noch des Unterrocks gedenken, und zwar um so freier, da er nicht wie das Veilchen bestimmt ist im Verborgenen zu blühen. Die Juppe wird nämlich im Gehen gerne aufgeschürzt, und dann zeigt sich jedesmal das mit brennend rothen Zwickeln eingefaßte Unterkleid. Zum vollen Anzuge gehört ferner auch ein Schnappmesser, welches an langem Riemen vom Gürtel herniederhängt und Schnaller oder Hegel genannt wird. Dieses Geschmeide bildet ein Unterscheidungszeichen zwischen den Frauen des vordern und denen des hintern Waldes; diese nämlich tragen es an der rechten, jene an der linken Seite.

Als das Kleinod ihrer Tracht sehen übrigens die Wälderinnen das Schäpele an, einen Kopfputz, den die Jungfrauen bei Bittgängen und Hochzeiten auf die vollen Haare setzen. Es ist ein Reif von schwarzem Sammet, der ein Krönlein aus Filigranarbeit trägt, ein funkelndes Krönlein von Gold, Silber und farbigen Steinen – allerdings eine sehr schmückende Hauptzierde, die indessen nicht auf den Bregenzerwald beschränkt, sondern in mehreren Gegenden Oberschwabens gebräuchlich ist. Selbst beim Festzuge, der 1842 zur [49] Feier der Vermählung des Kronprinzen von Bayern in München gehalten wurde, erschienen viele Bauernbräute und Kranzeljungfern aus altbayerischen Landschaften mit den neu hervorgesuchten Schäpelen, und wie wir aus Schmeller sehen, so ist dieser Schmuck auch am Main und Rhein bekannt und geht in seinen Anfängen zurück bis auf Tristan und Isoldens fabelhafte Zeiten.

Die Tracht die wir oben beschrieben, wird von Frauen und Mädchen auch dann nicht abgelegt, wenn sie zu einem Wohlstand oder Ansehen gelangt sind, welches sie überall anderswo veranlassen würde sich städtisch zu kleiden. Heutigen Tages hält die Frau Landammännin für ihre hochgeachtete Person noch denselben Kleiderschnitt ganz passend, in welchem das ärmste Landmädchen erscheint. Nur am Saume des Waldes gegen das Allgau hin verlieren sich, wie Bergmann erzählt, allmählig die Eigenthümlichkeiten der Tracht zugleich mit denen der Mundart. Diejenigen, die der Mode des Allgaus folgen, heißen aber zur Zeit noch fremdhäsig – von Häs, das Gewand.

Seltsam wie die Tracht der Wälderinnen ist auch ihre Sprache. Die Männer richten sich im Umgange mit Fremden mehr nach dem Deutsch der Schule; aber bei den Frauen ist noch der ächte Laut des Waldes zu hören. Der singenden Höhe ihrer Stimmen haben wir schon gedacht; dazu kommt bei aller Raschheit des Vortrags ein eigenes Wiegen und Tragen der Sylben, auf welchen der Nachdruck liegt. Der Dialekt stimmt am nächsten zu den schweizerischen und erkauft die Weichheit, wie jene, oft nur durch gewaltthätige Abstumpfungen. Nie, gie, ko für nehmen, geben, kommen klingt eben so mild als unverständlich. Wie mancher junge Deutsche würde rathlos dastehen, wenn ihm, freilich wider alles Vermuthen, eines schönen Abends die Wäldersennin zuflüsterte: Wend ir it mo ze mer ue ko? was doch nichts anders bedeutet, als: Wollt ihr nicht morgen zu mir heraufkommen? Die Studirten nennen manches im Hochdeutschen verschollene Wort aus dem Nibelungenliede, das sich in der Wäldersprache erhalten hat – es sind dieß jedoch Erbstücke, wie sich deren in allen [50] oberdeutschen Mundarten finden. Viele Wörter aber finden sich weder in den Nibelungen noch in andern oberdeutschen Mundarten; wir wollen uns indessen an kein Verzeichniß wagen, sondern nur erwähnen daß sie z. B. um Egg und Andelsbuch die Kinder Gobe, Göbel heißen, was Bergmann als Gabe (Gottes) erklärt, wogegen sie im Hinterwald Goge, im Vorderwald schlechtweg Bälg genannt werden. Eben da findet sich auch Drätt für Vater, Damm für Mutter, entstanden aus d’r Aett und d’ Amm mit festangewachsenem Artikel. Für das „Meisterstück der Schöpfung" ist auch diese Mundart reich an Namen, wie denn überhaupt in Vorarlberg und Tirol zusammen vielleicht über ein Duzend eigene Bezeichnungen dafür aufzubringen wären. Schmelge, wahrscheinlich aus ’s Mägdle entstanden, heißen die Jungfrauen wohl im ganzen Walde; im innern Theile kömmt daneben auch Mottel vor, im äußern Feel und Sputtel , welch’ letzteres nach Bergmann von der Eilfertigkeit, von sputen, nach Schmeller aber etwa gar von Spetl herkommen soll, das in der ältern Sprache eine junge Ziege bedeutet. Sehr poetisch scheint auf den ersten Blick jenes ahneweilen, welches das nächtliche Umgehen der Geister bezeichnete. Bergmann leitete es früher vom Weilen der Ahnen her, genauer betrachtet wird’s aber nur ein minder interessantes anweilen seyn. Einige Bildungen sind so richtig und brauchbar daß es gut wäre soviel Reputation zu haben um sie bleibend dem hochdeutschen Sprachschatze einverleiben zu können. Es freute uns in der That Redeweisen zu hören wie: das Wetter schlechtert; das Roß erwildet. Wie in einem abgelegenen Thälchen Tirols, in Dux nämlich, so werden auch hier die Taufnamen ohne den Artikel gebraucht, was dem Oberdeutschen sonst fremd ist. Wo ist Peter? wo ist Hans? heißt es, nicht wie sonst allenthalben; wo ist der Peter, wo ist der Hans? Der Taufnamen haben übrigens die Wälder und die Wälderinnen nach oberschwäbischer Sitte regelmäßig zwei, aus welchen aber im Sprechen nur ein Wort wird. So aus Joseph Anton, Johann Joseph, Johann Jacob – Seffanton, Hansjoseff, Hansjok; so auch aus Anna Catharina, Maria Margaretha – Annacathri, [51] Marigret. Wenn indessen bei den Taufnamen der Artikel wegbleibt, so wird er dagegen bei den Ortsnamen durchweg angewendet und man sagt z. B. im Schrecken, in der Au, in der Rüti (Reute), am Schwarzenberg, an der Egg.

Gegen alle und jegliche Titel herrscht eine entschiedene Abneigung. Die Männer heißen nicht Herren, die Weiber nicht Frauen und die Mädchen nicht einmal Jungfern – alle werden nur mit dem Taufnamen angeredet. Peter, wie geht’s? sagt der mindeste der Wälder zu Herrn Bilgeri von Andelsbuch, und der Herr Landammann heißt im ganzen Walde nicht anders als Sepple.

Die Wälder singen keine Lieder eigener Dichtung; es blüht hier keine Volkspoesie. Einzelne Gedichte, die in der Mundart des Thales vorhanden, sind von studirten Leuten gefertigt, nur als Sprachproben, als Versuche, die Wäldersprache poetisch zu verwenden. Ein derartiges „Weihnachtsgedicht" verdankt man dem Herrn Custos Bergmann, und es ist dasselbe in dem dritten Band der Beiträge zur Geschichte, Statistik, Naturkunde und Kunst von Tirol und Vorarlberg abgedruckt, als Anhang einer hier oben öfter benützten Abhandlung über die Volkssprache im äußern Bregenzerwalde. Ein anderes in 36 Strophen findet sich in K. W. Vogts Belvedere der Hochlande (Augsburg 1841). Es wird einem jetzt in Mainz lebenden vorarlbergischen Geistlichen zugeschrieben. Leider ist die Sprache desselben von solcher Beschaffenheit, daß sie selbst den Wäldern großentheils unverständlich bleibt. Dem Volke ist das eine so wenig bekannt geworden wie das andere. Es wird überhaupt nicht viel gesungen, und dann immer nur nach hochdeutschen Texten. Bei Schnepfau hörte ich freilich an einem stillen Sommerabende in dem Schopf mit leiser Stimme summen:

Am Obed han is kußt –

Es thuet mer jetz no wohl.

O, hatt’ i’s künne denka,

Es si zum letzte Mol –

     O je, o je

\>I kuß es numme meh.
[52]

Dieser melancholische Seufzer eines liebegequälten Herzens scheint indessen zuerst von der andern Seite des Rheines herüber geflötet worden zu seyn.

Der Bregenzerwald wurde nach allgemeiner Annahme viel später urbar, als seine südlichen Nachbarthäler. Ammianus Marcellinus spricht von dem Schauer düstrer Wälder, die die Ufer des Bodensees an dieser Seite unwirthlich machten. Daraus darf man wohl abnehmen, daß auch dieses Thal dazumal eine Wildniß gewesen. Weder Rhätier noch Romanen haben hier je gehaust; der Wald liegt jenseits der alten Sprachgränze, von der wir Eingangs gesprochen, und daher finden sich in ihm auch nur deutsche Ortsnamen. Die Bevölkerung ist also wohl ungemischt alemannisch, und sohin etwa das reinste deutsche Blut in Vorarlberg. Eine Fehde, welche im eilften Jahrhundert Ulrich, der Abt von St. Gallen, mit dem Grafen Marquart von Bregenz hatte, wird von Vielen als die erste Veranlassung betrachtet, welche zum Anbau dieser sichern Gegenden trieb. Damals soll nämlich Stadt und Umgebung von Bregenz auf viele Jahre hin verwüstet und die Einwohner vertrieben worden seyn. Andere führen die Verheerungen an, welche im zehnten Jahrhundert die Ungarn über die Länder am Bodensee brachten. Nemus dictum Bregenczerwalt, der Hain genannt Bregenzerwald, bis dahin Reichsland, wurde von Kaiser Rudolf 1290 dem Grafen Hugo von Montfort um 1000 Mark Silber verpfändet. Später erscheint zumal der Hinterwald als hochgehaltenes Jagdrevier, und von seinem Reichthum an Wild können die Namen der Dörfer zeugen, wie Jaghausen, Schnepfau, Hirschau, Bezau (vom ältern Bez, der Bär), Bizau (nach Bergmann aus Habichtsau entstanden). Rudolf, Graf von Montfort, der letzte Herr zu Feldkirch, verkaufte das Gebiet 1375 an die Herzoge von Oesterreich. Der äußere Wald wurde von diesen in zwei Hälften erworben; die eine 1451, die andere erst 1523.

Höchst merkwürdig sind die Freiheiten, deren sich der innere Bregenzerwald bis in die letzten Decennien des vorigen Jahrhunderts erfreute, zu solchem Maaße, daß dem Landesherrn kaum ein anderes Recht überblieb als jährlich ein bestimmtes [53] Steuerpostulat zu erheben. Das lange Bestehen dieser Eigenthümlichkeiten erklärt sich wohl zum guten Theile aus der abgeschiedenen Lage dieses Alpenlandes, und der ehrliche ordnungsliebende Waizenegger bemerkt in seiner Art ganz verständig: „In diesem entlegenen Herrschaftstheile soll ehemals das bunteste Treiben an der Tagesordnung gewesen seyn; nur eine Amtspflicht konnte den Herrschaftsvogt veranlassen sich in diese unwirthlichen Gegenden zu begeben. Man überließ das Meiste der kräftigen Natur dieses Bergvolkes, und dadurch gestaltete sich eine Bauernregierung, wie sie kaum irgendwo anzutreffen war." Hier einige bruchstückliche Mittheilungen darüber nach einer bald zu nennenden schriftlichen Quelle und nach mündlichen Angaben alter Männer des Waldes.

An der Spitze des Regiments stand der Landammann, der zugleich Abgeordneter zu den vorarlbergischen Landtagen war. Sein Gehalt bestand ehedem in 60 fl. und in der Hälfte der Strafgelder. Ein Landschreiber der zu Bezau seinen Sitz hatte und eine studirte Person seyn mußte, 30 Pfund Pfennige und die Gerichtssporteln bezog, war ihm beigegeben und besorgte Schreibereien und Archive. Der Landammann wurde in frühern Zeiten auf sieben, in spätern auf vier Jahre von „allen inländischen hausseßhaften Unterthanen" und zwar in folgender Weise gewählt: Nachdem die vier Viertel bei Ablauf einer Amtszeit unter den neuen Bewerbern vier ehrliche Männer ausgelesen, „vorgeschossen" hatten, so kam das Volk am Wahltage auf den Auen bei Andelsbuch zusammen. Dabei fand sich auch der Vogt von Feldkirch ein mit einer Sicherheitswache zum Schutz der Ordnung. Es war Herkommen, daß der Vogt im Namen des Landesherrn die Ehrung der alten Freiheiten angelobte, denn so dieß nicht geschehen wäre, hätte der neugewählte Landammann den Eid nicht in seine Hände abgelegt. Sofort wurde nun „ans Mehr" gegangen; es stellten sich die Vorgeschossenen, jeder entfernt von dem andern unter einen Baum, und auf ein gegebenes Zeichen rannten alle Wahlmänner auf den Baum zu, unter dessen Schatten sich der, dem sie ihre Stimme geben wollten, zurückgezogen hatte. Nach diesem wurden bei jedem Baum die Köpfe gezählt und nach der [54] Mehrheit der Landammann ausgerufen. Reiter mit ländlich aufgeputzten Pferden hielten an den vier Bäumen, um dem harrenden Ehegemahl des siegenden Bewerbers die Freudenbotschaft zu überbringen, ein Dienst welchen die neue Frau Landammännin mit vier Kronen belohnte. Der oft heißen Wahl folgten vierzehn frohe Festtage mit Musik, Tanz und Trinkgelagen, alles zu Ehren des neuen Landammanns, der dann auch die Zeche zu bezahlen hatte. Also wurde das Landammannamt von alten Zeiten her „mit mehrerer Hand besetzt," aber die Wahl lief nicht immer ohne Unfrieden ab, und der Landesbrauch klagt rührend, „daß vielmals große Unruhe und hochsträfliche Excesse vorbeigegangen, hiedurch der sonst so angenehme Friede gestört, das Land verschreit, aller Gehorsam und Respect vergessen und bei Seiten gesetzt worden, was nothwendig dem lieben Vaterlande den endlichen Untergang und Verlierung all der von den Eltern so theuer erworbenen Freiheiten bringen müsse." So weiß man daß im October des Jahres 1741 die Auen von Andelsbuch viel Hader und Streit, und am Ende gar die Niederlage und Flucht der störrigen Anhänger eines durchgefallenen Bewerbers sahen. Leider weiß man dazu auch daß der neue Landammann am 12 November desselben Jahrs, da er eben am Tisch saß sein Nachtmahl einzunehmen, durch das Fenster herein erschossen wurde. Ueber den Thäter ist bis heute noch nichts Sicheres bekannt worden.

Zwischen Bezau und Reute erhebt sich ein waldiger Hügelrücken, die Bezeck genannt, auf dessen Höhe jetzt noch etlich verfallenes Gemäuer zu sehen. Hier stand ehedem das Rathhaus des innern Bregenzerwaldes, ein hölzernes Gebäude auf acht Säulen ruhend; hier wurden die Volkversammlungen gehalten, und davon heißt es im Landesbrauch im allerersten Hauptstück: „Was auf der Bezeck ist gemacht und angenommen worden, selbes soll alldorten auch wiederum abgethan werden." Dieser „Landesbrauch" oder „Hauptordnung des k. k. Bregenzerhinterwaldes" enthält die alten Freiheiten und das alte Herkommen des innern Waldes. Die letzte Abfassung wurde auf der Bezeck am 3, 4 und 5 August 1744 vorgenommen, wo der Landesbrauch „neu durchgegangen, in vielen Stücken besser [55] erklärt und in ordentliche Satzung übersetzt worden ist." Diese Urkunde soll noch nicht gedruckt seyn, aber einzelne Handschriften, die sich noch hie und da in den Familien finden, werden als Andenken an die gute alte Zeit hoch in Ehren gehalten. Aus diesen geht unter andern hervor daß sich im Bregenzerwald das alte deutsche Gerichtsverfahren im Wesen und in der Form, in all seiner innern Gedrungenheit und äußern Zierlichkeit bis zum Schluß des vorigen Jahrhunderts in blühendem Leben erhalten hat, und wenn die Freunde desselben – und wer gehört jetzt nicht darunter? – mit großem Fleiß den Spuren nachgehen die davon noch nach dem dreißigjährigen Krieg in Deutschland vorkommen, wie muß es sie vergnügen, wenn sie dasselbe im Wald fast bis in unsere Zeit hereinragend finden! Es wurden alljährlich in den Hauptorten der Landesviertel, nämlich auf der Egg, zu Andelsbuch, in der Bizau und am Schwarzenberge, drei ehehafte Gerichte gehalten, als im Mai, im Herbst und zu Fastnachten. Das Gericht hatte der Pfarrer des Ortes mit zwei Mahlzeiten zu verpflegen und dem „regierenden" Landammann und dem Landschreiber die Pferde mit Heu und Haber zu füttern. Das Gericht fand im Tanzhause statt, und der Landammann als vorsitzender Richter eröffnete es, indem er den ersten Rath des Viertels anredete: „Ich frage Euch, N. N., ob Ihr gehört habt das ehehafte Gericht anschlagen, rufen und bieten, ob es auch an der Zeit, am Jahr und am Tag, daß ich wohl möge niedersitzen mit sammt einem ehrsamen Gericht und denen Leuten zu Recht helfen und richten über Liegendes und Fahrendes, über Lehen und Erbe, über Eigen und Alles, was der Reiche und der Arme, der Fremde und der Einheimische für mich und ein ehrsames Gericht zu bringen, zu berichten und zu beurtheilen hat, und dasselbige Kraft und Macht haben, wie auch ein ehehaftes, gesetztes und gebotenes Gericht es haben solle? Da frage ich des Rechten darum." Auf diese Frage gibt der angeredete Rath, die Formel widerholend, eine bejahende Antwort, worauf dann der Landammann auch die anderen Räthe, deren Zahl übrigens nach den verschiedenen Arten des Gerichts verschieden war, der Reihe nach fragt und gleiche Erwiederung erhält. Sodann fragt der [56] Landammann: „Wie soll ich das Gericht halten?" Und darauf spricht der erste Rath: „Herr Richter! So dünkt mich Recht daß Ihr Eure Knecht am Ring (am Gerichtsplatz) habt, die das Gericht schützen und schirmen, die Leute stillen und schweigen machen, und daß ein Jeder den Rechten das Vordertheil kehre, und da die andern einen Aufruhr am Gericht anfingen, also daß männiglich an seiner Rede gesaumet wurde, daß diese sollen gestrafet werden. So wird das Recht erkannt – dünkt mich jemal Recht, Herr Richter!" – Nachdem der Landammann noch gefragt: „Wie und wann soll ich das Gericht verbannen?" und darauf in herkömmlicher Weise Antwort erhalten, steht er sammt den Räthen auf, hebt den Stab in die Höhe und verbannt das Gericht mit den Worten: „So verbanne ich das ehehafte Gericht, wie ich es von Rechtswegen verbannen soll, und verbiete das Unrecht, erlaube das Recht. Dazu gebe uns Gott Glück, daß Niemanden Unrecht geschehe." Darauf traten die Rechtsuchenden vor: zuerst die Fremden, dann die Einheimischen. Klägern und Beklagten wurde nach deutschem Gebrauch ein Fürsprech gegeben, und der Landschreiber notirte in Kürze ihre Anbringen. Die Zeugen wurden sogleich mit vorgestellt und vernommen. Nach angehörter Klag, Antwort und Zeugenschaft begaben sich die Richter an einen besondern Ort. Jeder wurde um seine Meinung gefragt und nach dem Mehr der Stimmen das Urtheil gefällt. Landammann und Landschreiber zog man nach alter Uebung nur in schwierigen Fällen bei. War das Urtheil gefunden, so ging das Gericht wieder in das Tanzhaus zurück und derjenige, der des Klägers Fürsprech gewesen, verkündete unter herkömmlichen Formen das Erkenntniß. Zuletzt sprach der Landammann: „Welchem dieß recht dünkt, der hebe die Hand auf," und nun streckten alle Beistimmenden die Hände empor. So wurde die Sache, wenn nicht besondere Säumnisse eintraten, in derselben Sitzung angebracht und entschieden.

Wer sich durch die Entscheidung des Gerichts für beschwert erachtete, der mußte, wie Waizenegger behauptet, das Ohrläppchen in die rechte, einen Goldgulden in die linke Hand nehmen, das Gesicht gegen Sonnenaufgang kehren und laut ausrufen: Ich appellire. In solchem Fall ging die Sache an die [57] vorderösterreichische Regierung zu Freiburg im Breisgau. Etwas anders stellt die Sache der Landesbrauch. Nach diesem geht der Appellant, wenn die Beschwerdesumme fünfzig Gulden erreicht, in den Gerichtsring und begehrt zu appelliren. Da ihm solches erlaubt wird, muß er sich dreimal der Sonne nach umkehren und folgende Worte sprechen: „Herr Richter, ich beschwere mich des ergangenen Urtheils und appellire dasselbige ab eurem Stabe für und an die hochlöbliche vorderösterreichische Regierung gen Freiburg." Dieß hatte dann noch verschiedene weitere Fragen und Antworten zur Folge. Es ist auch zu wissen, daß der Appellant dem Herrn Landammann Gold – das ist wenigstens einen Goldgulden – und Silber, zum mindesten ein Sechserlein alsogleich pro arrha im Tanzhause erlegen mußte.

Ebenso wurde auch in alter deutscher Weise das hochnothpeinliche Gericht gehalten, denn der Bregenzerwald hatte „hoch und nieder Gericht über Leib und Blut, zu richten und abzustrafen jeden nach seinem Verbrechen." Beim hochnothpeinlichen Gericht erschienen vierundzwanzig Räthe mit Hellebarden und Seitengewehr. Der Galgen stand bei Egg an der noch jetzt sogenannten Galgenhalde.

Die civilrechtlichen Bestimmungen des Landesbrauchs gründen sich durchaus auf germanische Rechtsbegriffe, wie denn auch die Urtheilsfindung durch ungelehrte Schöffen mit der Geltung eines fremden Rechtes nicht vereinbar gewesen wäre. Unter den polizeilichen Verordnungen, die in ältern Zeiten auf der Bezeck beschlossen und verkündet wurden, finden sich manche für die Sitten des Waldes sehr charakteristische. So wurde einmal den Buben verboten, Nachts zur Stubet, zum Besuch der Liebsten zu gehen, und den Müttern und Töchtern, Spinnstuben zu halten. Das Tabakkauen wurde im Jahr 1698 dahin beschränkt, daß es wenigstens in der Kirche während des Gottesdienstes unterbleiben sollte. Auch gegen überhandnehmende Hoffart und Kleiderpracht wurden Verordnungen erlassen, und weil sich viele unterstanden vor der Obrigkeit zu sacramentiren, so wurde eine Strafe von zwei Gulden darauf gesetzt. Im Jahre 1743 ist beschlossen worden, daß man [58] denen in französischen oder andern fremden Ländern abwesenden Leuten des Hinterwaldes niemalen mehr etwas aus dem Lande verabfolgen lasse und dieselben gänzlich sollen enterbet seyn. Ferner erging auch einmal das Verbot „daß keiner so suchet Landammann zu werden, auf das Landammannamt hin zu trinken geben, werben oder werben lassen solle, bei Strafe von hundert Ducaten." Die Jagd des Schwarz- und Federwildes war frei, die des Rothwildes stand dem Grafen von Ems zu.

Diese Freiheiten und Uebungen des Bregenzerwaldes waren bis in die achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts noch dergestalt in Ehren und in Wirksamkeit und von ihrem Aufhören damals noch so wenig Ahnung, daß der Schreiber des Buches, das wir in Händen hatten und das, nebenbei gesagt, auch die Reihe der Landammänner vom Jahre 1400 an aufführt, noch 1781, in dem Jahre in welchem die Handschrift gefertigt wurde, am Schlusse mehrere Blätter leer zu lassen für gut fand, „auf daß da noch alles, was künftighin auf der Bezeck beschlossen werden möchte, säuberlich eingetragen werden könne." Indessen hat von dieser Befugniß Niemand Gebrauch gemacht. Die Freiheiten des Bregenzerwaldes wurden bald darauf, nämlich schon zu Kaiser Josephs Zeiten mannichfach beschränkt, und gingen in wenigen Decennien völlig unter. Rechtspflege und Verwaltung über innern und äußern Wald sind jetzt bei dem k. k. Landgerichte zu Bezau, und es erinnert nichts mehr an die alten Tage, als die unscheinbaren Trümmer auf der Bezeck und der Titel eines Landammanns. Ein solcher wurde 1816 nach der Wiedervereinigung mit Oesterreich, jedoch in neuern administrativen Formen, erwählt, zunächst als Abgeordneter zu den vorarlbergischen Ständen, welche indessen, wie bemerkt, noch nicht ins Leben getreten sind, und als solcher auch mit einem gewissen Antheil an der Verwaltung des Waldes ausgestattet. Der Erwählte ist Herr Joseph Metzler von Schwarzenberg, aus einem Geschlechte, das dem Walde schon mehr als einen Landammann, im sechzehnten Jahrhundert auch dem Bisthum Constanz einen Oberhirten gegeben hat.

[59]

Die längste Zeit in diesem lieben Thale habe ich in der Au, einem der größten Dörfer des Hinterwaldes, zugebracht, wo mich einfallendes Regenwetter einmal mehrere Tage festhielt. Der Ort liegt in einer gebirgigen Enge, aufwärts von einer starren Felswand beschlossen, und besteht aus mehreren Weilern, die den knappen Raum anmuthig ausschmücken. Der Kern derselben, welcher um die Kirche liegt, heißt Jaghausen, und soll diesen Namen von einem Jagdhause haben, das die Grafen von Montfort vor Zeiten hier errichtet. Man findet dort mehrere gute Gasthäuser und eine freundliche Gesellschaft aus den Herren der Umgegend, welche mir sehr unterrichtend wurde. Ich habe da noch Mehreres abgelauscht was hier erzählt werden mag.

In voller Uebung und in allen seinen Ehren ist trotz den Edicten der Bezeck unter der Jugend des Waldes noch das Stubetgehen, worunter man, wie schon oben angedeutet, ungefähr das versteht, was die Zillerthaler Fensterln, die Schweizer Chiltgang nennen. Der „Buob" kommt um Mitternacht an das Kammerfenster seines Mädchens und bittet flüsternd um Einlaß. Will die Schmelge ihn erhören, so macht sie Licht und läßt ihn in die Wohnstube. Dort sitzen sie in aller Unschuld ein paar Stunden beisammen und plaudern friedlich über den Zustand ihrer Herzen. Gewöhnlich bringt der Bube Wein mit sich, der unter solchen Umständen Visis heißt, und damit trinken sich die Liebenden Gesundheit. Diese Besuche sind so viel als erlaubt und bringen weder den Knaben, noch das Mädchen in Unehre; auch wissen meistentheils die Eltern von der Sache. Wenn der Nachbar in stiller Mitternacht auf seinem Pfühle erwacht und im nächsten Hause die Wohnstube hell erleuchtet sieht, so vermuthet er weder Krankheit, noch andere plötzliche Noth, sondern dreht sich ruhig um auf seinem Lager und denkt sich ohne Arg: Annacathri wird wohl eine Stubet haben.

Zuweilen wird der Bube während der Stubet durch verstellte Stimmen herausgerufen, und es ist dann Ehrensache dem Rufe zu folgen. Oft sind es nur neckische Freunde, die ihn „schälkelen," oft aber steht auch vor der Thüre ein [60] kampffertiger Nebenbuhler, mit dem er ringen muß. Wenn der Gerufene unterliegt, so ist’s in diesem Hause für ihn vorbei mit aller Stubet. Die eigentlichen Stubettage sind Donnerstag und Sonntag; nur wenn’s ernstlich wird, nimmt man auch den Samstag dazu.

Nicht so ganz unschuldig mögen die Stubeten vor hundert Jahren gewesen seyn; wenigstens wurde das Verhältniß dem Reisenden J. G. Keysler, der damals eine Umfahrt durch Deutschland hielt, um vieles bedenklicher dargestellt. Nach seiner Angabe hätten dazumal die jungen Bauernsöhne so lange Stubet gehalten, bis ihre Liebe eines Kindleins genesen, worauf sie freilich bei schwerer Strafe verbunden gewesen die junge Mutter zu heirathen. Diese Art Galanterie, will der Reisende wissen, heiße man „fugen," *) und die Wälder setzten einen solchen Werth darauf, daß ein Aufruhr ausgebrochen, als die Obrigkeit etliche Jahre vorher diese Freinächte abstellen wollen. In einer Versammlung, welche die Bauern der Angelegenheit wegen gehalten, sey selbst ein hochbetagter Greis aufgestanden um gegen alle Nachgiebigkeit zu sprechen und mit kurzen, aber kräftigen Worten zum Besten der Söhne und Enkel auf Erhaltung der ehrwürdigen Sitte zu dringen, die er, sein Vater und sein Großvater geübt.

Die Hochzeitsgebräuche waren ehedem viel reicher an Eigenthümlichkeiten als jetzt. Etwas davon hat sich nach und nach von selbst verloren, anderes ist durch geistliche und weltliche Obrigkeit abgeschafft worden. Zur Zeit hat es damit etwa folgende Bewandtniß: die Brautleute sind bei der ersten und zweiten Verkündung in der Kirche nicht zugegen, sondern gehen – ehemals ritten sie zu zwei auf einem Pferde – in der Nachbarschaft herum, die Einladungen zu machen und „an die Wicke (den Spinnrocken) zu betteln," d. h. Heirathsgeschenke einzuholen. Sie erhalten solche indessen nur von [61] denen, welche nicht zur Hochzeit gehen wollen, denn die andern übergeben sie am Tage selbst.

Am Hochzeitmorgen kommen die jungen Leute oder, wie sie während dieser Feierlichkeiten heißen, die Junker und die Jungfrauen, die als Ehrengäste geladen sind, zu acht Paaren im Wirthshause zusammen; dazu als Ehrenhüter der Brautführer und die Brautführerin, welche beide verheirathet seyn müssen. Da wurde nun ehemals bei nüchternem Magen von sechs Uhr an getanzt, was jetzt untersagt ist, wogegen sich die Sitte, bei dieser Zusammenkunft ein reichliches Frühstück mit Suppe, Rindfleisch und Kraut einzunehmen, erhalten hat. Ist dieß genossen, so zieht man mit den übrigen Gästen in die Kirche. Vordem schallte dabei der fröhliche Klang der Geigen und Schwegelpfeifen; diese musikalische Begleitung ist jetzt aber auch verstummt.

Die Brautführerin trägt an diesem Tage die feierliche Stauche, eine weiße Kopfverhüllung nach Art der Nonnen, die Braut ihr Schäpele und ein Jungfernkränzlein darauf; beide ferner ein schwarzes Trauermäntelchen, Löd- (Leid-) Mäntele, welches sich auf der rechten Schulter öffnet.

Nach der Trauung geht der Bräutigam bei den Junkern umher und gibt jedem die Hand, um sich damit aus ihrem Stande zu verabschieden. Darnach zieht man ins Wirthshaus, wo nun die Jugend zu tanzen anhebt und damit fortfährt bis der Tisch gedeckt ist. Wenn dieß geschehen, verschwinden Junker und Jungfrauen und die Alten setzen sich zur Tafel, deren Freuden sie aber, nachdem der erste Hunger gestillt, wieder unterbrechen, um selbst ein Tänzchen zu versuchen. Gegen Abend erscheint der Wirth und spricht in gehaltenem Tone: Jetzt ist’s fertig. Nunmehr wird der Geistliche, welcher immer beim Mahle gegenwärtig ist, eingeladen die Gäste abzudanken, was denn auch in herkömmlicher Weise geschieht. Nachdem der Priester seinen Spruch gesprochen, beginnt man zu holsen, d. h. die Brautleute setzen sich an einen eigenen Tisch – ehemals wurde er ins Freie gestellt – und die Gäste kommen nach einander heran, um ihr Geschenk darzubringen. Dieses wechselt von einem Thaler bis zu einem Napoleon; [62] dafür aber haben die Neuvermählten auch das Hochzeitmahl zu bestreiten. Als herkömmliches, nie vermißtes Gericht ist hiebei das Brutmes, Brautmuß, hervorzuheben, das vor dem Braten gereicht wird. Man bereitet es für alle zusammen in einem großen Kessel, und zwar aus Mehl, Milch, Weinbeeren, Zibeben, Mandeln u. dgl. Bei solchen Gelegenheiten pflegen die Wälder nach alter deutscher Sitte nicht immer das ziemende Maß zu halten, indessen ist’s damit in neuern Zeiten viel besser als in ältern. Auch setzte man ehemals etwas Vornehmes in die überschwängliche Anzahl der Gäste, und zumal im vordern Walde sollen oft bei zweihundert Geladene erschienen seyn; jetzt ist aber auch hierin obrigkeitliche Ermäßigung eingetreten.

Unter den Tänzen ist vor allen der offene Tanz beliebt, wo Bursch und Mädchen sich zumeist losgelöst drehen und schwingen und nur auf kurze Augenblicke sich wieder umfangen – dasselbe, was in Tirol bäurisch tanzen genannt wird. Außerdem gibt’s auch noch andere Arten, die man Doppuliren oder Trappen heißt. Das eigentlich städtische Walzen ist unbekannt.

Der Gespensterglaube ist auch im Walde mehr zum Spinnstubengespräch geworden, als daß bedächtige Leute sich ernstlich darauf einließen. Die Geister im Thale haben nicht viel zu bedeuten; man sieht deren selten und weiß kaum recht wie sie aussehen und was sie treiben. Auf den Alpen oben aber ist ganz anderes Wesen. Dort sind die Berggeister zu Hause, und es ist ziemlich sicher, daß sie, wenn die Hirten im Herbst zu Thale ziehen, von den Sennhütten Besitz ergreifen und den ganzen Winter darinnen hausen. Davon überzeugte sich wenigstens einst ein Senne, der hinaufgekommen war, um etliche Käselaibe zu holen und oben über Nacht blieb. Kaum war es nämlich dunkel geworden, so hoben sich die Geister langsam aus dem Boden heraus, senkten sich von der Decke herab und huschten zum Fenster herein. Als sie alle beisammen waren, fingen sie zu sennen an, melkten etliche Geisterkühe, rührten Butter und bereiteten Käse. Der Senne schaute ihnen etwas befangen zu, ließ sie aber gewähren. Dafür thaten [63] ihm jene auch kein Leid an, sondern halfen in aller Frühe sein Saumpferd laden und ließen ihn wohlbehalten ziehen. – Andere Geister sind, wie vor Zeiten Sisyphus, verurtheilt schwere Steine auf den Grat zu wälzen, die sich dann oben umdrehen und wieder abwärts rollen. Diese und die vorigen und andere kommen gerne auf dem Greßhorn ober der Au zusammen, wo ein runder Hexenplatz, auf dem kein Gras wächst. *) Unvorsichtig genug wagte es einst ein leichtsinniger Hirte diesen Platz zu verunreinigen, wurde aber in der Nacht von den Geistern geweckt und mußte von der Sennhütte aus einen glühenden Hammer bis an die Stelle tragen, wo er den Frevel verübt. Eine andre gefeite Stelle ist der Hexenthurm, ein freistehender Felsen, der wie ein Schornstein an der Wand der Kanisfluhe hinaufragt und oben einen grünen Büschel Gras trägt.

Das sichere Treffen der Schützen, das der Volksglaube gewöhnlich von Freikugeln abhängig macht, hat hier die Sage anders erklärt. In Mellau nämlich lebte vor Jahren ein Gemsenjäger, der so übernatürlich schoß, daß durch alle die Häute, die er zusammengebracht, wenn sie übereinander gelegt wurden, nur ein und dasselbe Loch ging. Als er aber zu sterben kam, wurden die Beängstigungen des Teufels so stark, daß er schrecklich leiden mußte, und dabei zeigte sich’s denn, daß er im Ballen der rechten Hand eine Hostie eingewachsen hatte. Unter diesen Nöthen kam ein frommer Capuciner herbei, der noch zu rechter Zeit das entweihte Heiligthum herauslöste und dem Jäger zu einem seligen Ende verhalf.

Die Wildpretfülle des Waldes hat sich übrigens im Laufe der Zeiten sehr verringert. Hirsche gibt es schon lange nicht mehr und der letzte der Wälderbären wurde vor manchem Jahre bei Sibratsgfäll von einem Stiere erstochen. Die Gemsen sind aber noch zahlreich, kommen auch zuweilen ins Thal herunter, und manchmal hat man sie sogar bei der Au durch die Ache setzen sehen.

[64]

Die Einwohner der Au müssen sich im Walde noch immer die Mährenländer heißen lassen. Dieser Name stammt aus dem sechzehnten Jahrhundert, wo sich hier heimlich die neue Lehre der Wiedertäufer ausbreitete, deren Anhänger, als sie offen hervortraten, gezwungen wurden das Land zu verlassen. So sind im Jahre 1585 zweiunddreißig Personen nach Mähren ausgewandert und noch jetzt sollen sich im Kuhländchen Geschlechtsnamen finden, wie in der Au im Bregenzerwalde. Der Verdacht der Ketzerei, der auf den Auern ruhte, verlor sich erst wieder zur Zeit des dreißigjährigen Krieges. Bis dahin merkten die Pfarrer bei den Gestorbenen im Sterbebuch sorgfältig an, ob mortuus bonus catholicus oder de fide anabaptistarum suspectus.

Was das Dörfchen in seiner damaligen Zweifelsucht an der Mutterkirche gesündigt, das hat es aber durch seine geschickten Baumeister in andrer Art wieder redlich gut zu machen gesucht. Die große Wallfahrtskirche zu Einsiedeln, das prächtige Cistercienserstift zu Salmansweiler, das berühmte Gotteshaus zu Weingarten, die Stiftskirche zu St. Gallen – all das ist von Meistern aufgeführt worden, die in der Au das Licht der Welt erblickt hatten.

Ein kleines Volksfest feiern die Auer am Peter und Paulstage, am 29 Junius. Um diese Zeit handelt es sich nämlich darum, den Sennen auf den Alpen zur Aushülfe etliche Knaben beizugeben, die man Pfisterer heißt. Da nun der Stellen immer weniger sind als der Bewerber, so wird die Vergebung durch einen Wettlauf entschieden, welcher das Bubenspringet genannt wird. Dieses findet an jenem Tage nach dem Gottesdienst statt. Die ganze Gemeinde steht am Stadium, die Knaben rennen und die siegenden Pfisterer steigen fröhlich auf die Alm.

Und nun nehmen wir Abschied vom Bregenzerwalde, dem schönen Wiesenthal mit den ansehnlichen Männern und den holdseligen Frauen. Wenn wir etwas weitläufiger geworden, als es sich für dieß Gebiet nach Verhältniß seiner Größe und Bevölkerung zu schicken scheint, so hoffen wir deßwegen leicht entschuldigt zu werden. Es wäre vielleicht [65] keine undankbare Mühe, das abgeschiedene, alemannische Alpenland in der Blüthe seiner Gegenwart und nach seinen uralten Eigenthümlichkeiten ausführlich und erschöpfend zu behandeln – um so eher wird die leichte Skizze hingenommen werden, die wir in der Absicht anlegten, den Wald, über den auch neuere Werke nur flüchtig weggehen, nach unsern Kräften in seiner volksthümlichen Bedeutung etwas mehr hervortreten zu lassen.

[66]

Die beiden Walserthäler.



Kreuzweise über dem innern Bregenzerwald, nur durch das Flußgebiet der Ache von einander geschieden, liegen die beiden Walserthäler. Das eine derselben geht an der Breitach hin, die unter dem bayerischen Marktflecken Oberstdorf mit andern Bächen vereint die Iller bildet und heißt das äußere, untere, oder kleine Walserthal; das andere läuft dem Lutzbache entlang, der im Wallgau in die Ill fällt und wird das innere, obere, oder große Walserthal genannt. Ueber Herkunft der Bewohner dieser Thäler haben wir schon oben in Kürze gesprochen; weitere Ausführung versparen wir bis die Höhe von Damils erreicht ist. Die nationale Verbindung zwischen den Ansiedlern an der Lutz und jenen an der Breitach ist durch den Schrecken, das Dorf am Tannberg hergestellt; denn die Leute des Schreckens gehören ebenfalls zu den Walsern, und „sind sich, wie Bergmann sagt, bewußt, daß sie keine Urbewohner, sondern Einwanderer sind. Im Schrecken hält sich bei weitem der größere Theil, die ausgedehntesten Geschlechter Walch und Jochum, für Abkömmlinge aus der Schweiz, aus Wallis. Betrachtet man die auffallende Aehnlichkeit, welche sie mit den obern und untern Walsern haben, in Hinsicht auf Sprache, Kleidung, Charakter, Geschlechtsnamen, Bauart ihrer Wohnungen, Beschäftigung u. s. w., so läßt sich ihre gemeinsame Abstammung mit den Walsern nicht verkennen." Wir werden nun jene beiden Thäler durchwandern, zuerst das kleine, das sich ins bayerische Allgau mündet und nur von diesem aus einen fahrbaren Zugang hat, und dann das große, das sich gegen Süden öffnet.

[67]

Es war an einem schönen Sommersonntag des Jahres 1843, als unser drei Gefährten den großen Flecken Oberstdorf, der zwischen hohen Bergen in weiten frischen Wiesen liegt, verließen und oft zurückblickend auf das billigerweise vielgerühmte Thalgelände die Höhe hinankletterten, die nach Kornau und von dort an die Walserschanze führt. Dieß ist eine kleine Mauthstation mit einem Wirthshäuschen, wo die Gäste, die des Sommers über aus dem bayerischen Schwaben in Oberstdorf und dem Tiefenbacher Bade zusammenkommen, sich gerne einfinden, um den Tirolerwein zu verkosten. Den Namen hat der Ort daher, daß hier im Jahre 1632 nach den Pfingstfeiertagen eine Schanze gegen die Schweden aufgeworfen wurde. Jetzt sieht man wenig mehr davon; das Schanzthor und der Wachtthurm sind vor Jahren wieder abgebrochen worden.

Ehe diese Labestätte erreicht wird, ist rechter Hand vom Wege eine Merkwürdigkeit mitzunehmen, nämlich die Walserklamm oder Zwing, will sagen, ein Tobel, wo der Bach zwischen senkrechten Felsenwänden in tiefem Bette dahin tost. Der Blick aus dem Tannenwalde in die Schlucht hinunter ist schauerlich, das Ganze aber für den der die Klamm bei Finkenberg im Duxerthale und jene wunderbare am Schwarzenbach bei Unken an der Salzburgischen Saale angestaunt hat, nicht besonders eindrücklich. Die Zöllner auf der Schanze sind in Oberstdorf als grimmige verschrien, deßwegen schlüpften unsre Reisenden, aller Durchsuchung feind, ohne Geräusch um den Schlagbaum und gelangten unbeschrien ins Kaiserthum Oesterreich, hatten dagegen auf den Wein im Wirthshause, der schon so viele ihrer Landsleute erquickt hat, für dießmal zu verzichten. Je mehr sie auf Riezlern, die vorderste Kirche des Thales, zukamen, desto vollkommenere Einsicht gewannen sie in die Art der Gegend. Dieser gebricht es an eigentlicher Thalsohle nahezu eben so sehr, wie dem innern Land der Walser, aber die Halden laufen hier nicht so entschieden und so eilfertig aufwärts, sondern lehnen sich bequemer an die höhern Berge, machen sich breit und verbuckeln sich allenthalben, und auf allen Büheln und in allen Mulden stehen Häuser, fast ununterbrochen vom Anfang bis zum Ende, und zwar hölzerne schuppige Häuser wie im Bregenzerwald; [68] braun mit gemalten Fensterläden, mit gastlichen Schopfen, unter denen zwei oder drei Falltische zum Abendtrunk, und mit Galerien oder deutsch zu sprechen Lauben um den obern Stock, auf denen die Walser allerlei rare Blumenstöcke ausstellen. Verschiedenes Feldgeräthe, Sensen, Rechen, Sicheln, hängt unbesorgt und gleichsam als Zierrath um die Hütten her, vor denen auch je zuweilen ein kleiner umzäunter Garten blüht. Ackerbau ist nicht zu gewahren – alles Wiesen, wie im Walde. Die drei Hauptkirchen des Thales, Riezlern, Hirscheck und Mittelberg mit ihren spitzen Thürmen stehen in perspectivischer Reihe hintereinander und um das ganze Gelände her zieht sich ein zackiger Reif von hohen Jöchern.

In Riezlern trafen wir die Gemeinde eben auf dem „Umgange." Die Kirche war leer, aber draußen wallte der Zug mit Standarten, Fahnen und Heiligenbildern langsam durch die thauigen Wiesen. Die Mädchen sangen dazu ein altes, schönes Kirchenlied, was feiertäglich über die stillen Auen hinhallte und die Schäpelen, die funkelnden Jungfernkränzchen glitzerten in der Morgensonne mit den Thautropfen in die Wette. Die Männer beteten tiefstimmig ihren Rosenkranz. Als der Umgang sich allmählig nahte, stellten wir uns an die Friedhofmauer, wo er vorbeikommen mußte und betrachteten dann mit Aufmerksamkeit die Beter von Riezlern. Die Männer grüßten theilweise sehr freundlich aus dem Zuge heraus, die Mädchen fielen aus der Andacht und kicherten uns an, wie nicht anders zu erwarten. Es zeigte sich da übrigens in den Gewändern der Leute viele Wohlhabenheit, denn die Stoffe waren meistentheils gut und fein. Die männlichen Walser haben in dieser Gegend heutzutage keine eigentliche Thaltracht mehr, das andere Geschlecht aber bringt bei aller Verfeinerung in seinen Kleidern die alte Verwandtschaft mit den Walserinnen vom Sonnentag und von Ragall noch ziemlich deutlich zur Schau. Der Schnitt ist nämlich hier und dort derselbe, nur daß der Busen etwas rücksichtsvoller behandelt wird und daß die Frauen vom Mittelberg, wahrscheinlich ihren lebhaftern Berührungen mit dem Flachland zuliebe, die rothe Leibfarbe ihrer Basen jenseits der Berge aufgegeben haben und jetzt dunkle Zeuge, [69] meistens schwarze wählen. Die Jungfrauen trugen alle das glänzende Schäpele das sie hier Kranz heißen, die Weiber kleine niedere Hütchen und über Ohr und Schläfe weit vorgreifende Spitzenscheiben, welche die Blicke der Matronen vor aller Verirrung zu schützen bestimmt schienen. Ferner hatten auch sämmtliche Weibsen, alte und junge, ungeheure seidene Halstücher umgebunden, und zwar sehr schlotterig, so daß sie nach Belieben Kinn und Mund darein verbergen konnten und verbargen.

Als der Zug in der Kirche verschwunden war, eilten wir nach der Herberge, wo die Wirthin-Mutter in der reinlichen Stube uns empfing und mit Eifer zu laben begann. Wir äußerten manches lobende Wort über ihren Wein, den sie in schöngeschliffenen Gläsern schenkte; sie jedoch wehrte der Schmeichelei und behauptete, das sey all noch nichts, aber in ihrem Keller liege ganz anderes seltsames und theures Getränke, das sie freilich nicht zu nennen wisse. Wir riethen hin und her, konnten ihr aber nicht auf den Namen helfen. Um dem Grübeln ein Ende zu machen, ging sie zuletzt hinaus und brachte eine Flasche herein, bei deren Anblick wir freilich aus der Ferne schon riefen ob sie nicht auch Champagnergläser habe. Als wir uns wunderten, wie dieß fremdländische Gewächs in den goldenen Adler zu Riezlern gerathen, erzählte die Frau, es seyen deren wohl noch mehrere dagewesen, indem man ein halbes Duzend herbeigeschafft um den Herrn Landesgouverneur, der eben zu der Zeit seinen Umritt durch Vorarlberg hielt, standesgemäß tractiren zu können; nunmehr seyen aber nur noch ihrer drei im Keller, die von jenem feierlichen Tage übergeblieben. Während sie uns viel vom gnädigen Herrn berichtete und was er alles gesagt, hatte einer der Gefährten, auf willfährige Genehmigung der anderen bauend, die Flasche vom Tische genommen und ihr die Tarnkappe abgezogen, und als die Walser von Riezlern in dicken Haufen aus der Kirche in das Wirthshaus strömten, hatten wir schon einige Toaste ausgebracht und auf verschiedener Länder Wohl getrunken. Als nun aber auch der Wirth herbeigeeilt kam von der Andacht, und unsere frische Fröhlichkeit gewahrte, und daß wir uns an sein [70] theures, aber gern vergebenes Kleinod gewagt, da wußte er gleich gar nicht was er Alles ersinnen sollte, um das Seinige zur Erhöhung unsrer Freuden beizutragen. Zuerst einmal wollte er die Thüre zuschlagen, die in die volle äußere Wirthsstube führt, Herr ** verhinderte dieß aber mit den schönen Worten: ich kann nur froh seyn unter meinem Volk – dann ließ er die Vorhänge herunter, damit man nicht von außen durch Neugier beschwerlich würde, brachte das Beste aus seinem Rauchfange, Schinken und Zungen, damit wir auch etwas zu essen hätten, und dann als das Töchterlein Ludwina endlich auch aus der Kirche gekommen, mußte sie gleich ihre Harmonika holen, einen großen Kasten, in dem allerlei Walzer und Ländler schlummerten und den sie auf dem Schooß mit zierlicher Geläufigkeit behandelte, während der rechte Fuß klappernd den Tact dazu schlug. Als aber die erste Flasche ausgestochen, waren wir schnell entschlossen und beschworen auch noch die beiden andern gebieterisch herauf aus ihrem traurigen Verließe. Mit welchen freundlichen Ausrufungen bewunderte da der Wirth nicht unsere Fertigkeit, als wir ihnen ihr silbernes Häubchen herunterrissen, ihr Drathgerüste abzogen und den Pfropfen springen ließen? Und als wir die ganze Familie eingeladen und allen von dem Wein eingeschenkt hatten von dem der Landesgouverneur genippt, da fehlte nur noch sehr wenig, so hätten wir alle zusammen förmlich Brüderschaft getrunken fürs liebe lange Leben und wären uns sämmtlich um den Hals gefallen – die Gäste vielleicht am ersten dem hübschen Töchterlein, das noch immer rastlos in unsern Enthusiasmus hineinschalmeite.

Das alles mußte aber auch ein Ende nehmen, und gegen Mittag schien’s Zeit die flackernden Dünste, die das Banket in unsre Häupter getrieben, im Freien wieder verfliegen zu lassen. So griffen wir zum Stabe, begleitet von allen Hausgenossen, beschenkt mit Blumensträußen und einer Fluth von Abschiedsworten, die uns noch weithin nachgerufen wurden, insbesondere aber angestaunt von den Trinkern, die in der großen Stube saßen und alle aufstanden und mit gezogenen Hüten Spalier bildeten, wie aus Ehrfurcht vor einem geahnten [71] hohen Incognito, während wir doch nichts anders waren als drei Zecher voll Einfalt und Menschenliebe.

Der Anfang war also ganz gut gerathen, und als wir so unter verschiedenen Gesprächen – jeder seine Flasche Champagner im Kopfe und das grüne Walserthal im Auge – der Kirche von Hirscheck näher kamen, gedachten wir einer jungen Frau, einer Wälderin, die wir Tags zuvor in der Sonne zu Oberstdorf getroffen und die uns eingeladen hatte auf Hirscheck im Adler zuzukehren, wo sie „wirthe." Deßwegen mochten wir auch diesem Hause nicht aus dem Wege gehen, oder vielmehr wir kletterten eigens zu ihm hinauf, da es eine kleine Strecke oberhalb des Sträßchens liegt. Ehe wir’s aber erreichten, hatten uns die Leute schon ersehen und sie, die frische Wälderin, und ihr Mann, der Walser – er war aber ein kleiner Kerl, hatte nur ein Bein und statt des andern einen hölzernen Stelzfuß – beide also lachten uns schon von weitem an, freuten sich über die Maßen daß wir Wort gehalten und führten uns schmeichelnd in die helle Stube, die abermals so reinlich getäfelt und so blank gescheuert war, daß man viel lieber hineinging als heraus. Auch ein Wandschrein war da zu sehen, von sehr kunstreicher Arbeit, den ein Kistler aus dem Thale gemacht hat. Als wir uns gesetzt, mußten wir zuerst sagen woher wir wären, und dann ging die Plauderei lauffeurig fort. Es ist nicht zu beschreiben, was uns die Leute alles für Ehren anthun, was sie uns alles kochen, sieden, braten, backen, rösten und richten wollten, so daß wir uns fast grämten nicht das kleinste Trümmchen Hunger mitgebracht zu haben. Hei, was hüpfte da der einhaxige *)[72] Mann lustig herum nach Messern, Gabeln, Gläsern und Flaschen, was wußte er für niedliche Reden zu setzen, wie milde flötete Anna Kathri mit dem feinen Sang ihrer Wäldersprache dazwischen, und als ich des Wirths jungfräuliche Schwester, die auch hereingekommen, näher besah, wer war es anders, als die Sennerin von Hohen-Krumbach, die mich voriges Jahr auf der Alm so gastlich bewirthet hatte und die mir nun, des Wiedersehens froh, gestand, daß sie eigentlich Seraphine heiße, welch ätherischer Name übrigens im schneidenden Gegensatze steht zu der strotzenden, rothbackigen Bauernmaid. Schade war’s, daß wir uns so bald wieder trennen mußten, wo sie uns doch so gerne ein paar Tage behalten hätten, der Einhax, Anna Kathri vom Walde und Seraphine, die Sennerin. Die Abschiedsfeierlichkeiten verschweige ich gänzlich. So viel ist gewiß: eine Halbe hatten wir getrunken und für ein Fuder waren wir gekost und gehätschelt worden, und wer sich einmal recht schön thun, recht freundlich aufnehmen, bewirthen, beabschieden lassen will, der muß zu den burgundischen Walsern ins kleine Walserthal reisen.

Es sey hier erlaubt eine allgemeine Bemerkung einzuschalten, nämlich: wenn die Wälderinnen aus dem Walde herausheirathen oder in der Fremde dienen, so ändern sie ihre Kleidung nicht, sondern behalten vielmehr die Wäldertracht zeitlebens bei; wenn aber eine Fremde in den Wald kommt, so legt sie ihre Gewänder ab und die Wäldertracht an. Denn die Sitte des Waldes hat über alles Land der Umgegend den Vorrang.

Als wir durch Mittelberg kamen, ergab es sich daß gesammte Dorfschaft beim Nachmittagsgottesdienst in der Kirche war. Um darin nicht zu stören, zogen wir stille durch den kleinen Ort, der größtentheils aus alten braunen Häusern besteht, welche rothe oder grüne Läden führen. Eines der ältesten dieser Gebäude ist vielleicht das Pfarrhaus, auf dem die Jahrzahl 1640 zu lesen war.

Eine halbe Stunde hinter Mittelberg sind des Thales letzte Häuser, im Bad genannt, mit einer kleinen Kirche und einem Seelsorger. Im Bad dachten wir ein Wirthshaus [73] zu finden, um uns zum letztenmale zu erfrischen für den Weg über die hohe Starzel, die ein sehr mühsames Joch ist und das Walserthal von dem Bregenzerwalde scheidet. Wir hörten aber bald daß das Bad eingegangen und nur der bedeutungslose Name geblieben sey. Doch zeigten sich die Leute die wir ansprachen gastlich, führten uns in das Haus und setzten uns Milch, Butter und Käse vor, von denen wir lange zu essen hatten, ehe wir ihren Wünschen Genüge gethan. Sie erzählten uns dabei allerlei Rühmliches von dem alten Daniel Müller, einem schlichten Bauern, bei dem verschiedene schöne und alterthümliche Sachen zu sehen seyen, insbesondere hundert Jahre altes Korn. Es dünkte uns ärgerlich an dem Alterthumsforscher des Thales, der seinen Hof auf den Bödmen bei Mittelberg hat, vorbeigegangen zu seyn, und da sich unterdessen die Sonne mehr und mehr gegen Abend geneigt hatte, auch etliche verdächtige Nebel auf der Starzel zusammen kamen, sogar einige Regentropfen fielen, ferner zwei Stunden auf die Höhe und zwei weitere Stunden von dort nach Schopernau in Walde angegeben waren, so schien es uns nachgerade rathsamer, in die gute Herberge von Mittelberg zurückzukehren und auf dem Wege Daniel Müller den Archäologen aufzusuchen, als heute noch den Weg übers Joch zu wagen. Daß da schon viele Menschen das Leben eingebüßt, war an unserm Entschlusse ohne alle Schuld, denn wir lasen die betreffende Stelle bei Waizenegger erst später.

So gingen wir denn durch waldigen Tobel am rauschenden Bache wieder abwärts und fragten auf den Bödmen nach Daniel Müller, wurden immer höflich gewiesen, um so mehr, da uns die Leute schon anzusehen glaubten, daß wir das uralte Korn, des Thales Wunder, beschauen wollten, fanden auch das Haus, aber die Thüre geschlossen und niemand darinnen – der Herr war mit den Seinen noch in der Kirche. So ließen wir die Falltische im Schopf herunter, setzten uns daran und verfielen in sanften Schlummer, alle drei – nach dem lustigen Vormittag in Riezlern und dem fröhlichen Mittag auf Hirscheck nicht zu verwundern. Wir haben nicht erfahren, was sich Daniel Müller gedacht, als er in seinem Schopf [74] drei landesfremde Gesellen schlafend fand, indessen wußte er sich wohl zu helfen. Er weckte uns ehrerbietig auf und fragte freundlich nach unserm Begehr. Als er’s vernommen, führte er uns, überrascht durch der drei Schläfer wachen Forschungseifer und mit der grundlosen Behauptung, daß er’s für eine große Ehre ansehe, zuerst einmal in die Wohnstube, um uns dort zu tractiren und dann, nachdem wir noch gethan was die Umstände erlaubten, in den obern Stock, wo in altfränkischen Kästen und auf altmodischen Tischen die Sammlung aufbewahrt ist. Vorher jedoch zeigte er uns noch den Scheffel mit dem mehr als hundertjährigen Korne von 1728 und einen Büschel eben so alten Heues – Schätze, die er nach seinem Stande billig als die werthvollsten seines Cabinets betrachtet, an denen wir indessen das Anziehende nicht recht abzusehen vermochten. Darauf aber brachte er uns an seine Tische und schloß seine Kästen auf, und nunmehr zeigte sich allerdings manches werthvolle Stück walserischer Merkwürdigkeiten, wie es von Ahnen und Urahnen zurückgelassen war. So nennen wir z. B. Hochzeitschuhe vom Jahre 1696, die Daniels Urgroßvater, Hans Müller, getragen, viel schmucker als die jetzigen, mit hohen Absätzen und rothen Lederlappen; andere Hochzeitschuhe der Maria Müllerin, Bernhard Müllers Tochter, vom Jahre 1767, und wieder andre vom Jahre 1775 von Daniels Mutter. Ferner einen grünen, flotten Bubenhut, den Daniel in seiner Jugend selbst getragen und darunter wahrscheinlich mancher Jungfrau Herz bethört – jetzt ist im ganzen Thale ein so kokettes Stück Filz nicht mehr zu finden – einen dreigestülpten Brauthut aus dem vorigen Jahrhundert – lederne, reichgestickte Hosenträger, verschiedene Leibbinden, darunter eine ganz durchaus mit feinen zinnernen Nägelchen beschlagen; verschiedene seltsam geschnittene Feiertagsjacken mit ledernem Brustfleck und Aermeln von Tuch in frischen, frohen Farben, roth, weiß, gelb – sogenannte Lederleibe, die jetzt kein vernünftiger Walser mehr tragen möchte, obgleich sie gewiß zur idyllischen Landschaft sehr gut paßten, und jedenfalls besser, als z. B. der rothbraune manchesterne, allenthalben herrenmäßige Hochzeitsrock des jetzigen Hofbauern. Alte Trinkgläser [75] mit Malereien und Sprüchen wurden uns auch gezeigt und in einem Fenster waren ein paar gemalte runde Scheiben zu sehen, die auf die Vermuthung führen mußten, als hätten die Walser ehemals in ihrer Ueppigkeit gar die Stubenfenster malen lassen. In der Flur hingen einige wehrhafte Hellebarden und ein treffliches Schwert mit langer Klinge und großem Korbe. Auch ein Spinnrad vom Jahre 1543 ist zu bemerken und ein paar alte Kalender aus dem Anfange vorigen Jahrhunderts, mit großer astrologischer Gelehrsamkeit geziert und genauer Angabe, welche Tage nichts nutz und welche gut zum Schröpfen, Aderlassen und Purgiren.

Nicht ohne vergnügte Neugier betrachteten wir den alten seltsamen Kram und machten mit Bedauern, die Wahrnehmung, daß einst auch im Walserthale das Leben viel reicher, farbiger und malerischer gewesen als heutzutage. Daniel Müller schenkte uns auch ein Packetchen von seinem alten Roggen und gab uns einen eigenhändig schön und orthographisch geschriebenen Zettel dazu, der die Geschichte desselben erzählt. Unser Eifer für die Sache hatte ihn übrigens so eingenommen, daß er uns nicht mehr aus dem Hause lassen, sondern über Nacht behalten wollte. Er zeigte uns mit Selbstgefühl seine schmucken Gastbetten, doch wollten wir dem alten Manne so viel Unruhe nicht ins Haus bringen, und gingen daher nach herzlichem Abschied auf das Mittelberger Wirthshaus zu, wo wir jetzt die Leute zu Hause fanden und abermals freundschaftlichst aufgenommen ein Nachtquartier bestellten. Es läßt sich nach allen vorausgehenden Beispielen von der Art der Walser denken, daß der Wirth, nachdem er erst die Frage gethan, wo wir herkämen und was wir seyen, bis zu spater Stunde keinen Augenblick abließ uns zu erheitern, von der Geschichte des Thales zu erzählen, die Weltläufte zu glossiren und die Bewirthung zu besorgen. Er ist der dritte im Kleeblatt der ausgezeichneten Wirthe des Walserthales, hatte übrigens auch, wie alle Leute, die wir den Nachmittag gesprochen, eine überschwängliche und maßlose Meinung von Daniel Müllers hundertjährigem Roggen und dessen archäologischer Bedeutsamkeit, legte dagegen sehr wenig Werth auf die historischen [76] Kittel, Brautschuhe, Trinkgläser und Fensterscheiben, die uns so sehr gefallen.

Unter den Zechern in der Trinkstube fanden wir dieselbe manierliche, wohlgezogene Art, die wir an den Wirthen schon liebgewonnen hatten, dieselbe gutmüthige menschenfreundliche Höflichkeit, welche die Mittelberger bei allen die je ihr Thal betreten, so beliebt gemacht. Zu großem Ruhme wird ihnen auch nachgesagt, daß sie das hohe Joch der Starzel, welches sie vom Bregenzerwalde trennt, in keiner Beziehung weniger belästigt, als in ihren Wallfahrten zum zuständigen Landgericht [in] Bezau, da sie bei ihrer Friedensliebe desselben nur selten bedürfen. Die äußern Walser gehen nicht wie die andern Vorarlberger in die Fremde, wissen aber gleichwohl durch Fleiß und Sparsamkeit in der Heimath einen mäßigen Wohlstand zu unterhalten. Aus Viehzucht und Käseerzeugung fließt ihr Haupterwerb; die Mädchen haben aber auch schon angefangen zu sticken. Das Getreide wird aus Bayern bezogen. In jedem Hause findet sich stets ergänzt der Vorrath für ein Jahr. Diese Sitte soll sich aus dem siebenzehnten Jahrhunderte herschreiben, wo im Allgau eine Pest wüthete, das Mittelberger Thal abgesperrt und dadurch dem Hungertode nahe gebracht wurde. Schon in manchen Fällen hat sich diese Vorsicht ersprießlich gezeigt.

Am andern Tage gingen wir also den Weg, den wir gestern ins Bad gemacht, wieder hinauf, grüßten die Leute noch einmal, die uns am Vortage aufgenommen hatten und standen eben an dem letzten Hause zur hohen Starzel emporblickend, um uns den Weg etwas auszudenken, als ein Frauenzimmer nachgeeilt kam, welche einen Gruß vom Herrn Caplan ausrichtete und sich die Erklärung erbat, ob wir nicht etwas verziehen möchten, bis ihr Herr sein Frühstück eingenommen, worauf er dann mit uns über das Joch gehen wollte. Wir, sehr erfreut einen solchen Führer und Begleiter zu gewinnen, sagten gerne zu. Hierauf ermunterte sie uns, die kurze Weile lieber im Herrnhäuschen abzuwarten als da im Freien, und so zogen wir alle zusammen in die bescheidene Hütte des Geistlichen, der uns unter der Thüre herzlich grüßend entgegentrat. [77] Die Schaffnerin hatte auch gleich einen größern Topf ans Feuer gesetzt, um uns des Frühstücks ebenfalls theilhaft werden zu lassen. Da aber noch immer einige Zeit zu warten war, so gingen wir über die Bibliothek des Caplans, und während der eine in St. Augustins sämmtlichen Werken las, nahm der andere ein handschriftliches Buch über das Walserthal von Franz Michael Feuerstein, der im Jahre 1782 Caplan im Bade war, aus dem Nahmen, neugierig was darin zu lesen seyn möchte. Das Werk führt den Titel: Vornehmste Merkwürdigkeiten des Walserthales – und das Motto: Ich habe sie ohne Arglist erlernt und theile sie ohne Mißgunst mit. Weisheit 7. 13. – ein Spruch, den wir auch auf uns beziehen wollen.

„Nichts, sagt der Verfasser am Eingang, nichts, geneigter Leser, machte mir bei meiner Ankunft die Weil länger und diese Einöde beschwerlicher, als nicht einen Buchstaben von meinen Schuldigkeiten und den Gebräuchen dieses Ortes lesen zu können. Ich mußte nur hören, und gleichwohl thun, was mir jeder Myops anzuvertrauen die Gnade hatte. Mit Suchen und Fragen wurde ich inne, was ich meinem verehrungswürdigen Nachfolger nun gutmüthig mittheile. Wenn wohl selber genatürt wie ich, so bin ich versichert, ich werde ihm angenehmeres als diese Zeilen auf der Welt nichts hinterlassen können."

Im weitern Nachblättern glaubten wir zu gewahren, daß der Fund keiner von den verächtlichsten – es kam allerlei vor, was uns ansprach, und einiges, was etwa auch andre ansprechen kann, wollen wir auszugsweise hier mittheilen:

„Das Walserthal soll seinen Namen von dem ersten Einwohner, der ein Walliser gewesen, ererbet haben. Seine erste Wohnung stand jenseits des Wassers neben den Bödmen, im Gestraüß genannt. Er war glaublich noch ein Heid und wie ganz Rhätia der römischen Botmäßigkeit unterworfen." – Diese erste Ansiedlung auf den Bödmen, wo Daniel Müller wohnt, stimmt recht gut zu der Sage selbst; denn wenn die Walser vom Schrecken herüber kamen, so war in jener Lage der erste paßliche Ort, um ein Haus zu erbauen. Nach einer von Bergmann angeführten alten Aufzeichnung, die sich in der Kirchenlade [78] zu Mittelberg findet, wäre sogar noch der Name dieses ersten Walsers gegeben, da es dort heißt: „Es ist zu wissen, das Hanns Wüstner der Alt zu dem ersten ain Anfänger und stifter gewesen ist Sant Josen Gotteshus (zu Mittelberg) und dises Tals." Diesen Hans Wüstner darf man als historische Person in die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts setzen. Bergmann zeigt auch, daß sein Geschlechtsname wenigstens vor dreihundert Jahren noch im Wallis vorkam.

Mehrere historische Kleinigkeiten aus diesen frühern Zeiten wollen wir übergehen. Einmal wird erwähnt, daß die Pest ausgebrochen, weil man einen Altar des heiligen Sebastians, des Pestpatrons, weggerissen. Auch der Schnee hat viele Unglücksfälle veranlaßt. Am 3 Junius 1778 fiel er im Bade drei Fuß hoch; 1770 ging er erst den 15 Julius weg.

Einzelne spätere Begebenheiten sind von späteren Händen beigesetzt. Eine solche belehrt uns auch, daß am Abend des 15 Septembers 1841 um 6 Uhr bei ganz schönem Wetter zwei bamherzige Schwestern in Mittelberg anlangten, welche der Priester Stephan Krißmer von Ried hieherbrachte. „Daraus entstand große Freude – jedoch nicht bei allen, denn die fleischlich gesinnten Menschen verstanden nicht, was des Geistes ist."

Manchmal verliert sich der Chronist in Betrachtungen, aus denen das Gefühl der Bergeinsamkeit nicht sehr erfreulich herausspricht. „Würden die Einkünfte verbessert, hat er sich einmal gedacht, so könnte ein Herr Beneficiat bei etwas besserm Tisch wohl bälder jenes Grausen wieder vergessen, das er etwa gefaßt, da er jene wenigen Spannen Himmel betrachtet, die er hier sehen kann; da er dem brausenden Schneegestöber hinter dem Ofen hervor traurig entgegenzublicken so lange gezwungen wird; da seinem Auge keine bessere Ergötzung vergönnt ist, als die es etwa in den Saublumen findet; da er ein paar Stunden einer priesterlichen Unterhaltung zulaufen muß und oft den Leib- und Seelenarzt, wenn es geschehen kann, mehrere Tage umsonst erwartet." Diese Gedanken sind nicht ohne Folgen geblieben. „Deßwegen, fährt der Verfasser fort, entschloß sich Herr Beneficiat (er selbst) mit einem [79] jährlichen Zusatz der Revenuen zu einem bessern Daseyn zu ermuntern, so daß er sich auf Reisen machte und an gutthätigen Beiträgen von Bischöfen, Aebten, Stiftern und Privaten 555 fl. Stiftungsgelder zusammen brachte."

Im Gegenhalt zu den Sagen von früherer Sitteneinfalt erschien dem Caplan der zunehmende Aufwand seiner Zeit in sehr düsterer Beleuchtung. Das erste Wirthshaus stand in der Gruob, „allwo der Unrath mehrerer Orten zusammen laufender Petulanten auf einander loff." Der Weingenuß soll ehemals sehr sparsam gewesen und das Getränk lange Zeit maßweise von Oberstdorf geholt worden seyn – also auch hier wie allenthalben der Glaube an saturnische Jahrhunderte voll Enthaltsamkeit und Mäßigung, während sich auf historischem Wege, wie es scheint, viel leichter erhärten ließe, daß man im Land Tirol und Vorarlberg nie weniger getrunken und geschlemmt, als gerade jetzt. „Einmal auf eine Fastnacht legte der Wirth ein ganzes Faß in den Keller, wobei jedoch ein aufrichtiger Hausvater, als er es heranfahren sah, mit schweren Seufzern ausrief: „O unser Thal muß wohl verderben, wenn so zu saufen gewohnet wird!" – Was würde der gute Alte weissagen, meint der Chronist, wenn er jetzo mehrere Fuder Wein, ganze Saumladungen Branntwein, fünf goldene Kappen (Weibermützen), hundert Gulden theure Sackuhren anschaffen und das Geld so unnöthig verschwenden sähe!" Und was würde er sagen, hat eine jüngere Hand beigefügt, wenn er von 1830–40 zweiundzwanzig goldene Kappen, zwei Braustätten, und in vier Wirthshäusern tagtäglich viele, viele Zecher sähe!

Einer der neueren Fortsetzer hat seine Klagen darüber niedergelegt, daß das sündige Tanzen so schwer zu verbannen sey. Es zeugt von Unbefangenheit, daß er dabei auch die Gründe seiner bäuerlichen Gegner nicht verheimlicht. Es geschieht mehr Böses, läßt er seine Schäflein sprechen, an solchen Tagen, wenn man nicht tanzt, als wenn man tanzt. Betagte Leute sagen: wir sind in unsrer Jugend auch lustig gewesen; wenn wir nie ärger gesündigt, als bei derlei fröhlichen Unterhaltungen, so hätten wir gut sterben. Auch wollten sie bemerken, [80] jene Jungfrauen, welche auf öffentlichen Tanzplätzen erscheinen, erhielten ihre Ehre unbefleckt und die Gefallenen seyen gerade jene, die an solchen Orten nicht zu sehen. – Wenn das alles wahr ist – und der Schreiber hat sich wenig bemüht diese Behauptungen zu entkräften, so möchte man sich wundern, warum nicht auch einmal für das Tanzen gepredigt wird, und immer nur dagegen.

Eine bedenkliche Geschichte erzählt der Caplan aus seinen eigenen Tagen. Sie führt den Titel: „Erscheinung einer Seele" und lautet ungefähr so:

Am 6 Januar 1782 starb auf dem Gänstelboden Barbara Wüstnerin im vierundvierzigsten Jahre ihres erbaulichen Lebens und hinterließ ihren Ehemann und vier Kinder, darunter ein neunjähriges Söhnlein Namens Jodocus. Dieses betete fleißig für seine verstorbene Mutter, mahnte auch seine Geschwister dazu und war beinebens ganz traurig. Am 28 Hornung aber kam der Knabe voll Erstaunen aus seinem Schlafgemach und erzählte den Seinigen mit großer Fertigkeit, wie es ihm ansonst die Natur wegen stammelnder Zunge gänzlich versagt, was er jetzt das zweitemal gesehen und gehört. Einst als ihr, sprach er zum Vater und den Geschwistern, noch am Lager der verstorbenen Mutter weintet, kam selbe zu meinem Bette, ziemlich weiß in traurigem Ansehen. Sie sagte: Kind! ich bin zum Fegfeuer verurtheilt; bet’ für mich, du bist es schuldig – ich habe dir manchen Bissen ab meinem Munde gegeben. Sobald ich erlöst bin, so will ich wieder kommen, sey indessen still davon. Heute kam sie wieder vor Tag, in schneeweißer und freudiger Gestalt, hatte doch ein kleines schwarzes Flecklein auf der Nase. Sie sprach mit frohlockender Gebärde: jetzt bin ich nächst bei der Erlösung! Johann Jacob bat durch sein Gebet mir fünf Tage, Aloys drei, Judith zwei, der Vater einen von den Fegfeuerstrafen ausgelöscht. Das Josephle ist ein böser Bub’; wegen seiner, weil ich ihm zu viel nachgesehen, mußte ich drei Tage lang leiden. Es wird in der Ewigkeit viel genauer gerechnet und Alles viel richtiger vergolten, als sich die Menschen einbilden. Man thut den Predigern unrecht, wenn man sagt, sie [81] machen das Fegfeuer heißer als es sey; denn die Hitze der Sonne ist nur ein Schein und das irdische Feuer bloßes Eis gegen die Flammen des Fegfeuers. Es geht in jener Welt mit den Strafen erschrecklich und unbeschreiblich zu. Es fallen die Seelen der Christen so schnell und häufig in das Feuer, als das Wasser durch ein Brunnenrohr. „So viel vom Jodocusle, welches ich selbst abgehört. Es lernt, faßt und redet hart. Es scheint mir eines Betruges, besonders in einer solchen Sache unfähig."

Nach diesen Denkwürdigkeiten lassen wir noch etliche Sagen folgen, zuerst eine Nachricht von dem Walsermännle, einem wahrscheinlich nur den Walsern eigenthümlichen Nationaldämon. Dasselbe meldete sich gegen Ausgang des Jahres 1772 in Straußberg der Pfarre Riezlern bei der Wittfrau Katharina Elsaßerin. Es nahm ihr die Milch im Stalle, das Mus auf dem Tische und verhinderte die Hausgenossen im Arbeiten. Sichtbar war es nur einem einzigen Sohne, mit dem es öfter scherzte, andern Leuten machte es sich vernehmlich durch Murmeln, Pfeifen, Klatschen. Christoph Bader, lange Zeit unerschrockener preußischer Soldat, hörte es auf der Straße zischen und ein anderer merkte es mit solcher Schwere auf dem Wagen liegen, daß er ihn kaum mehr von der Stelle bringen konnte. 1773 in der Fasten meldete es sich bei Victorinus Müller auf Bödmen mit Zuschlagung der Läden, langte auch durch das Fenster hinein und klopfte der Tochter des Hauses auf die Achsel, so daß es alle Anwesenden hören, doch nicht sehen konnten. Insbesondere war es einem armen Kinde aufsässig, welches in dem Hause erzogen wurde. Es schlug dasselbe, zerzauste ihm die Haare und begleitete es auf allen seinen Wegen, sprach auch ärgerliche Reden aus ihm. Nach zwei Jahren verschwand das Ungemach.

Von den Bergmännlein scheint seiner Zeit auch im Walserthale viel Rede gewesen zu seyn. Nach der Chronik kamen sie zur Fastnacht, wo niemand lustiger war als sie, mit ihren ansehnlichen Weibern vom Heuberg herunter ins öffentliche Tanzhaus, tummelten sich bis Sonnenuntergang muthig herum und zogen Abends mit Trommel und Pfeifen wieder auf [82] den Gänstelberg, wo sie dann jählings unsichtbar wurden. Sie waren Heiden, hatten ihre Wohnung in Höhlen und lebten von Wurzeln. Ihr Alter stieg wie das vieler andrer Einwohner weit über hundert Jahre. – Ein Bergmännlein wurde einmal vor Jahren zur Sommerszeit auf der Bärenweid, einer hohen Alpenrevier, sichtbar und bot sich dem Hirten als Freiwilliger zum Viehhüten an. Dem Hirten war es recht, und das Männlein bewies sich so fleißig in seinem Dienste, daß ihm der andere eines Tages, nachdem es einen Sommer gedient, als Lohn und Aufmunterung ein grünes Röckchen hinlegte[.] Das Männlein zieht das Röcklein an, besieht sich darin ganz wohlgefällig, ruft: Wenn ich gewußt, daß ich ein solcher Kerl bin, hätt’ ich nicht so lange gehütet – lauft davon und kommt nicht wieder. Auch das Nachtvolk („Striges," zu deutsch wohl: Hexen) machte großes Aufsehen im Walserthal und hatte seine Einkehr zumeist auf dem vordern Boden. Einmal stellte es daselbst am hellen Tage, an einem Apostel- oder Maria-Fest, während des Gottesdienstes einen prächtigen Schmaus an. Es nahm die schönste Kuh aus dem Stalle, machte sich viel Geschäft, sie zu schlachten, zu sieden, zu braten und verzehrte sie unter Tanzen und Springen, Singen und Jauchzen und unter dem angenehmsten Trommel- und Saitenspiel. Es gab auch den Kindern des Hauses gar niedlich zu essen, verbot ihnen aber einen Knochen zu zernagen oder zu verlieren. Endlich suchte es die Knochen sorgsam zusammen, konnte aber trotz allen Fleißes einen nicht mehr finden. Nun wickelte es die übrigen in die Haut und sagte, es müsse die Kuh gleichwohl hinken lassen, was sich auch in der That so befand; denn dieselbe stand im Stalle, so brauchbar als zuvor, nur daß sie den einen Fuß etwas nachschleppte. Ferner erzählt die Chronik: Ein Liebhaber der Musik ging dem lustigen Nachtvolk einstens auf den Brunnenberg nach, horchte seines Saitenspiels und schaute seinem Tanz und anderer Kurzweil die ganze Nacht hindurch zu. Gegen Morgen machte sich eines nach dem andern davon, aber das letzte steckte noch ein Messer, wie es dem Zuschauer bedünkte, ober die Thür der Tanzhütte; in der Wirklichkeit jedoch befand sich solches in einem Knie des [83] Fürwitzigen. Es konnte leider von Niemanden herausgezogen werden und der Unglückliche trug den Schnitzer in seinem Fuß ein ganzes Jahr, doch ohne Schmerzen herum. Als aber das Jahr vorüber war, ging er abermals auf denselben Platz, wo er die Versammlung wieder richtig fand. Es wird, wie vormals, prächtig gezecht, muthig gesprungen und bei anbrechender Morgenröthe fürsichtig abgefahren. Dabei langte der letzte noch über die Thüre, sagte: will doch mein Messer wieder mitlassen, und der Zuschauer ging von dannen, ohne den Schnitzer im Knie weiter zu gewahren. „Dergleichen Begebenheiten träumte es den guten Alten noch viele."

An einem andern Orte gedenken die Merkwürdigkeiten auch der Passionskomödie, jener bei den Gebirgsvölkern bis ins vorige Jahrhundert so beliebten Vorstellungen, deren letztes Ueberbleibsel sich in Ammergau erhalten hat. Die erste Komödie wurde angeblich 1722 gespielt, das Theatrum 1727 hergestellt. So viel aus der Chronik.

Darnach machten wir uns mit dem geistlichen Herrn auf und gingen der Starzel zu. Nach langem jähen Steigen gelangten wir auf die Höhe. Dort auf dem Grate hatten wir zur einen Seite, dem Walserthale zu, hellen Sonnenschein, gegen den Wald zu aber dicke Nebel, und als wir noch ein paar Schritte gegangen, fanden wir uns mitten drin in den feuchten Wolken. Diese begannen auch bald zu regnen und regneten immer heftiger, so daß wir triefend über die glatten Steine und an den jähen Abgründen hintrabten, sehr verdrießlich im Gemüthe, denn nach Schopernau im Walde war noch weit zu gehen. Einstweilen standen wir in einer Sennhütte unter, die Peter Bilgeri in Andelsbuch gehört und in welcher ein wälscher Senne wirthschaftete, ein sehr unwirscher Bursche, der es fast übel nahm, daß wir uns an seinem Feuer wärmten.

Allmählig verzogen sich die Wolken, und als wir aus der düstern Hütte wieder hinaustraten, hatten wir unsre Freude an der hohen Berglandschaft, die jetzt ganz grün und hell da lag, und so eilten wir mit hergestellter Laune durch Wald und Fels, vor uns im tiefen Thale die smaragdenen [84] Auen des Waldes und seine braunen Häuser, hinunter und immer eiliger hinunter bis wir die Starzel nimmer sahen, bis uns der Waldbach hinausgeleitete auf die Wiesen von Schopernau, wo eine Stimme aus dem Wirthshaus erscholl, wir möchten nicht vorbeigehen, sondern lieber einkehren. Es war ein Freund aus der Au, der viele Freude hatte als er den Pilger vom letzten Jahre wieder im Walde sah, aber kaum mehr als dieser, daß er den erinnerungsreichen Boden alten freien Volksthums wieder betrat.

Um nun auch das innere Walserthal zu befahren, steigen wir von der Au im hintern Wald nach Damils hinauf. Es geht nur ein schmaler Fußpfad durch Wald und Tobel, der oft mühselig steil wird. Der Argenbach tost unten in der Fichtenschlucht und läßt sich wenig sehen, aber desto öfter hören. Lange Zeit ist keine menschliche Wohnung mehr zu gewahren, nur auf fernen Bergwiesen etliche Heuschoppen. Dann verliert sich endlich der Forst und der Steig führt durch weiche Auen; man erschaut von weitem wieder Häuser, und einige Sennhütten zeigen sich auch schon, hoch oben auf den Bergmatten. Da wo es auf Bödmen heißt, wurde in einer solchen „Götze" Rast gehalten. Der Senne tischte seine Butter auf und stellte seine Pfleglinge vor, zwei Knaben, guter Leute Kinder aus der Au, die hieher gesetzt waren um die hypochondrischen Anfechtungen der Winterschule in sommerlicher Bergfreiheit zu verwinden. Dieß schien ihnen auch vortrefflich von der Hand zu gehen; denn durch den dicken Schmutz, der über ihren Backen lag, brach sehr deutlich die volle Röthe der Alpenjugend, und auch den hellen Glanz der Augen schrieb der Rinderhirt und Pädagog der wunderthätigen Kraft des Bergwassers zu. Er war der Ansicht, jetzt sey die schönste Zeit des Lebens für die Jungen, denn sie hätten allzumal nichts zu thun als feister zu werden. – An dieser Stelle ungefähr erschaut man auch zum erstenmal die Kirche von Damils, die aber noch weit oben im Thal auf einem grünen Berghang liegt. Erst wenn man von der Au an drei Stunden [85] aufwärts gestiegen ist, steht man am Fuß dieses Bühels, und findet sich in einer Gegend, welche zu den höchsten gehört die im Alpengebirg bewohnt werden. Die Ansicht der Landschaft ist ernst und einfach. Der Holzwuchs fängt an sich zu verlieren; Anbau ist nur in kleinen Hausgärtchen zu gewahren, wo Kartoffeln gezogen werden; Viehzucht ist die Hauptsache, und die Höfe oder „Heimathen" liegen weit zerstreut in den grünen Triften, die von vielen Zäunen eingesäumt werden. Es sind ihrer etliche sechzig mit vierhundert Einwohnern.

Es war Sonntag und der Gottesdienst eben zu Ende. Auf den Höhen herum sah man die Kirchgänger klimmen, die nach ihren Heimathen trachteten. Unten im Tobel, der sich um den Kirchbühel zieht, und herauf an seiner Halde bewegte sich ein Zug von Mädchen in der seltsamen Feiertagstracht von Damils. Diese ist in der That eine sehr wunderliche Zusammenstellung, und sieht gerade aus wie eigens erfunden um dem „ehrbaren Häs" der Wälderinnen ein höhnendes Widerspiel entgegenzusetzen. Die schwarze zuckerhutförmige Wollmütze ist zwar dieselbe hier oben auf dem Berg wie unten an der Ache, aber während die Wälderinnen aus ihrem schlanken Wuchs kein Geheimniß machen und den Ledergürtel dicht über den Hüften tragen, ist die Taille hier unzierlich bis an den Hals hinauf gerückt, so daß, was fast peinlich zu verrathen, der Busen unterhalb derselben liegt. Ferner ist dort das feierliche Schwarz die tongebende Farbe, hier aber vom Halse an abwärts alles roth: rothes Mieder, rother Rock, rothe Strümpfe, alles feurig roth wie der Abendhimmel wenn er einen goldenen Morgen verspricht. Statt des Gollers tragen sie ein leichtes Tuch um den Hals, das hinten gebunden wird, so daß die Zipfel über den Rücken fallen. Das kurze, kaum handbreite Mieder – Fürtuch heißt es – ist an den Rock angenäht, der Lona, Loden genannt, und dessen Zeug im Dorf selbst zur Hälfte aus Garn, zur Hälfte aus Schafwolle verfertigt, daher auch Walsertuch genannt wird. In solchem Aufzug also stieg ein Duzend jungfräulicher Kirchgängerinnen schäckernd die Halde hinauf, und von Zeit zu [86] Zeit drehten sie sich sämmtlich um und verwunderten sich über den Fremden, der seinerseits auch allen Grund zu haben glaubte sich über sie zu verwundern. Noch ärger war die Neugierde unter den Bauern, die in großer Anzahl im kleinen Wirthshause versammelt waren. Da zeigten sich alle Fenster mit Köpfen eingerammt zu Ehren des unbekannten Pilgers, und in der Trinkstube war kaum der Weg zum Tisch zu bahnen. Sie staunten alle, aber sie sprachen nicht.

Vor dem hölzernen Gasthöfchen zu Damils steht zwar ein lustiger Maibaum, als wenn’s da je zuweilen hoch herginge, aber innerlich ist es ein rußig schwarzes Haus, finster und, abgesehen von der Gutmüthigkeit der Leute, etwas unwirthlich. Deßwegen sind denn auch, wie in solchen selten besuchten Alpengegenden der Brauch, im Pfarrhof ein paar Gastbetten aufgeschlagen, die der Fremde in Anspruch nehmen darf. Im übrigen ist dieser Pfarrhof nichts als ein kleines hölzernes Alpenhaus, zwischen dem Wirth und der Kirche gelegen, und diese drei Gebäude bilden den Stock der Gemeinde, auf den die übrigen Heimathen weit herum von den Bergen herunterschauen. Die jetzige Kirche zu Damils ist mit Ausnahme des neueren Thurmes im Jahr 1484 gebaut, nachdem die ältere abgebrannt war. Auf diese ältere geht ein in der Kirchenlade verwahrter Brief Grafen Rudolfs von Montfort, gegeben zu Feldkirch nach Christus Geburt im 1382sten Jahr, worin er den Walsern zu Damils aufträgt ihrer Kirche, die seine Vorfahren erbauen und gestift han, die Zehenten und Gilten getreulich abzugeben. Jetzt sieht man an der äußern Wand die dem Thal zugekehrt ist hoch oben den Bindenschild von Oesterreich und die rothe Fahne der Grafen von Montfort aufgemalt. In einer Nische der Kirche ist auch die alte gothische Tafel zu sehen, die ehedem auf dem Hochaltar stand. In ihren Zellen sind vier Heilige in früherer Kunst zierlich geschnitzt und bemalt, darunter St. Theodul, der Bischof von Sitten, der hier zu Land seine eigene Bedeutung hat, die wir später hervorheben werden. Im spitzbogigen Chor der Kirche thürmt sich ein steinernes Sacramenthäuschen in leichten gothischen Schnörkeln empor. Die Decke [87] des Schiffes ist getäfelt und bemalt; da und dort sind noch andere Schnitzereien angebracht, allenthalben erblickt man die rothe Fahne der Montforte, und so ist das Ganze sehr geeignet den Wanderer zu überraschen, der wohl in solcher Schneehöhe, wo die Werke der Menschen so vergänglich sind, nicht darauf gefaßt war derlei anziehende Denkmale vergangener Tage aufzufinden. An der äußern Mauer der Vorkirche, etliche Schuhe über dem Thore ist die Jahrzahl 1776 zu lesen, ein Andenken, daß damals der Schnee bis zu jener Höhe gereicht.

Nachmittag, als an einem Feiertage, versammelten sich die Väter der Gemeinde im Wirthshause, sämmtlich bejahrte Männer von hohem hagerem Wuchs mit blauen Augen und hellen Haaren. Das waren also keine Wälder mehr wie in der Au, sondern Walser, Stammverwandte der freundlichen Leute von Riezlern, Hirscheck und Mittelberg. Jener Name muß ehemals einen besonders guten Klang gehabt haben, denn sie wiederholen ihn jetzt noch gern, und der Leser wird sich erinnern, wie ja auch Seraphine, die rothbackige Sennerin auf Hohen Krumbach, mir gleich anfangs mit Selbstgefühl eröffnete, sie sey eine Walserin.

Wer sonst von den Walsern sprach – und es geschah nicht gar zu oft – der hielt sie ihrem Namen nach für die Abkömmlinge fremdsprechender, hier also rhäto-romanischer Vorbewohner, und dachte dieser Name sprosse aus derselben Wurzel, aus der die Deutschen für alle nichtgermanischen Völker in der langen Linie vom englischen Herzogthum Wales bis in die daco-romanische Walachei die Benennung gebildet haben. Solcher Meinung waren z. B. Ildephons von Arx, der Geschichtschreiber des Kantons St. Gallen, und Weizenegger, der vorarlbergische Sammler, wogegen die bündnerischen Historiker allerdings schon seit langem die wallisische Abkunft annahmen. Es konnte diese Ansicht nur bestärken, daß es mit andern naheliegenden Namen wie Walenstad und Wallensee im Kanton St. Gallen, Churwallen in Graubünden, dem Wallgau an der Ill, Wallgau und Walchensee im bayerischen Gebirg die nämliche Bewandtniß hat. Wer sich indessen näher um du Geschichte der Walser erkundigt, [88] wird nothwendig auf eine andere Spur kommen. Einmal steht gegen jene erste Annahme daß die Walser in Bünden, wo ihrer in früherer Zeit öfter gedacht wird, immer als deutsch Redende, nie als Romanschen erscheinen, und daß auch ihre Geschlechtsnamen alle deutsch sind. Ferner berichtet ein bündnerischer Geschichtforscher, Johann Ulrich von Salis-Seewis daß im Prätigau die deutsche Sprache erst durch die Walser vom Schloß Belfort bis auf Davos und durch die Davoser selbst, die gleichfalls Walser waren, eingeführt und verbreitet worden sey. Derselbe gibt auch an daß diese Walser freie fremde Einwanderer gewesen, die sich am liebsten in höhern Alpengegenden ansiedelten und meist Viehzucht trieben, und bei Ildephons v. Arx (2.167) finden sich ein paar bisher nicht beachtete Stellen aus alten Satzungen des Klosters Pfäffers, die dasselbe urkundlich belegen. Dort heißt es nämlich, wenn ein Leibeigener des Klosters mit einem Weibe das eine eingewanderte Walserin oder sonst frei sey (cum muliere advena Walisense vel alias libera), oder wenn eine Leibeigene des Klosters cum viro Walisense vel alias libero eine Ehe eingehe, so sollen die Kinder des Klosters eigen werden, und ebendort ist auch die Rede von den Kindern die ab alienigenis Walisensibus vel alias liberis erzeugt werden. Diese Stellen gehören dem 14ten Jahrhundert an, und da die Waliser hier noch Ankömmlinge und Fremdlinge heißen, so scheint die Einwanderung nicht gar lange vorher stattgefunden zu haben. Will man nun aber den früheren Sitzen der Waliser nachgehen, so leitet ihr Name allerdings am ersten auf das schweizerische Wallis. Es ist auch eine in diesen Thälern verbreitete Meinung daß man allzusammt vor langen Zeiten aus der Schweiz gekommen sey, und was uns weiland Caplan Feuerstein im Bad berichtet, zeigt deutlich, daß diese Sage alt und ächt, und nicht wie manche andere, an welchen unbefangene Touristen einen Fund gemacht zu haben glauben, erst in unfern Tagen durch Geistliche und Schullehrer unter die Leute gebracht worden sey. Als Vorstehendes zum erstenmal veröffentlicht wurde,*)[89] wäre zu erwähnen gewesen, daß auch Albert Schott in seinen Untersuchungen über die deutschen Colonien in Piemont der Walser gedacht hat. Einerseits ist er dort den Spuren derselben neuerdings bis nach Graubünden nachgegangen, so daß ihm von Vorarlberg aus leicht die Hand zu bieten, andrerseits hat er auch durch seine sprachlichen Forschungen unter den Deutschen von Gressoney und Macugnaga ein ausgiebiges Vergleichsmaterial ans Licht gestellt. Nehmen wir dieses zur Hand, um die Sprachproben, die wir von Damils mitgebracht, daneben zu halten, so können wir uns des Glaubens nicht erwehren, daß der Zusammenhang der Waliser an der Lutz und an der Breitach mit jenen am Simplon und an der Lys auch auf sprachlichem Wege bestätigt werden könnte.

Unter andern lassen sich dafür anführen die Ueberbleibsel einer breitern Aussprache des s *), die Aussprache des neuhochdeutschen k wie ch, es Hus, mis Hus für ein Haus, mein Haus, jehen für sagen und andere Eigenthümlichkeiten, welche im übrigen Vorarlberg nicht wieder gefunden werden, dagegen aber im Wallis und bei den Sylviern vorkommen. Wenn nun Albert Schott mit seiner Ansicht, daß die Schweizer jenseits der Reus und sohin auch die Walliser burgundischen Stammes seyen, das Richtige getroffen hat, so dürfen wir auch bei den Aelplern von Damils, vom Sonnentag und von Mittelberg den Rest jener Sprache wieder erkennen, „die einst aus Chriemhildens Mund den Helden Sigfrid entzückte" **), und wenn die nächste deutsche Sprachkarte sich diese Ausscheidung will angelegen seyn lassen, so wird sie nicht anders können, als die vorarlbergischen Walser als burgundische Insassen im alemannischen Sprachland einzutragen.

Die neueste Aufhellung dieser Frage verdanken wir aber Dem Custos der Ambraser Sammlung zu Wien, Hrn. Joseph [90] Bergmann, der selbst zu Hüttisau im Bregenzerwald gebürtig, schon zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten manche schätzbare und oben öfter angeführte Nachweisungen über seine Heimath gegeben hat. Auch die Walser hat derselbe, obwohl nur kurz, schon ein paarmal in österreichischen Zeitschriften besprochen – nunmehr aber auf dieses Thema zurückkommend, in den Wiener Jahrbüchern eine gründliche und erschöpfende Abhandlung darüber niedergelegt.*)

Es ist dort mit Fleiß und Geschick nicht allein Alles zusammengestellt, was bisher über diese Völkerschaft geschrieben worden, sondern auch sehr viel Neues beigebracht aus alten Urkunden sowohl, die im Wiener Archive liegen, als aus Erhebungen der jüngsten Zeit, wozu geistliche und weltliche Gebildete in Vorarlberg und in Graubünden bereitwillige Hülfe geleistet. In dieser seiner Untersuchung greift nun Herr Custos Bergmann die Geschichte der bündnerischen und der vorarlbergischen Walser von ihrem ersten urkundlichen Erscheinen an wieder auf und führt sie den Hauptumrissen nach bis auf unsre Zeit herunter. Er bespricht nicht allein ihre Niederlassungen in den beiden Thälern, die von ihnen den Namen erhalten, sondern auch in jenen andern Gegenden, wo die Walser jetzt schon lange nicht mehr genannt werden. Dabei kommen Beschäftigung und Nahrungszweige, Kleidertracht, Wohnungen, Geschlechtsnamen und die Mundart zur Sprache, wodurch dem vergleichenden ethnographischen Studium mancher willkommene Anhaltspunkt gereicht wird. Ein bemerkenswerthes Capitel ist auch den undeutschen Ortsnamen in Vorarlberg gewidmet. Der Verfasser kämpft darin gegen Hrn. Ludwig Steub, den „Etruskomanen", für die romanische Abkunft derselben, und zwar, wie dieser selbst gerne gesteht, in vielen Fällen – nur nicht in allen – mit beneidenswerthem Glücke. Obendrein hat Hr. Oberst von Hauslab zum Besten dieser Untersuchungen ein chromolithographisches [91] Kärtchen angefertigt, so niedlich und so klar, daß man recht lebhaft wünschen muß, es möge dieses Beispiel nicht unfruchtbar bleiben.

Nach allen bis jetzt eröffneten Quellen läßt sich aber aus der Geschichte der Walser noch beibringen, daß sie zuerst im hohen Rhätien erwähnt werden, zu den Zeiten Herrn Walters von Vatz, der ums Jahr 1233 gelebt hat. Diesem freisamen und biedern Herrn meldeten einst seine Jäger, ihr Gang habe sie den Quellen des Landwassers entgegen, weiter einwärts als sonst zu einer Ebene im Walde geführt, anmuthig unterbrochen von fischreichen Seen, wo sie sich mit seinem Erlaub wohl anbauen möchten gegen bescheidenen Zins. Man hatte diese Landschaft bis dahin unter dem Namen der hintern Gegend – Davos – geringer Aufmerksamkeit werth geachtet, und so bewilligte Herr Walter gerne, daß die Entdecker, welche deutsche Oberwalliser gewesen seyn sollen, vollkommene Freiheit in ihren neuen Wohnsitzen genössen, und wie sie auch jeder der zu ihnen zöge. Nur den Blutbann, den Waffendienst und mäßige Zinsen behielt sich der Herr bevor. Zuerst sollen sich zwölf Familien hier zusammengethan haben, und unter diesen vier, welche dermaßen wohlhabend waren, daß sie sich gemauerte Häuser erbauen konnten. Diese Sage hat Bergmann nach langem Suchen bekräftigt gefunden in einem alten Buche von 1574, das Josias Simler unter dem Titel Vallesiae descriptio zu Zürich herausgab. Dort ist dieses Zuges der Walser ins Gebiet des Herrn von Vatz als einer ausgemachten Sache gedacht und dabei als wahrscheinlich angenommen, daß sie aus der Gegend von Raron weggezogen seyen.

Aus dem Jahre 1277 ist der erste Freiheitsbrief, den ein späterer Walter von Vatz ausstellte für alle homines Theotunicos residentiam habentes in Valle Rheni usque ad montem qui dicitur Vogel.*) Im Jahre 1289 wurde ein anderer ausgefertigt von Johann Donat Freiherr von Vatz. Um diese Zeit scheinen sich die Werdenberger, welche damals auch in Graubünden [92] schon begütert waren, der wallisischen Auswanderung angenommen und sie nach Vorarlberg gezogen zu haben, wo dann ihre Niederlassungen bald noch zahlreicher geworden, als in Graubünden. Jetzt ist der Name der Walser freilich nur noch in den Thälern an der Breitach und an der Lutz, dann auch auf der Höhe von Damils zu Hause; ferner ist es noch in der Erinnerung der Landleute geblieben, daß die Bauern, welche am Tannberge und im Thale von Laterns und auf dem Dünserberge bei Schnifis wohnen, des gleichen Stammes sind. In frühern Jahrhunderten aber werden die Walliser gewissermaßen als ausgeschiedene, für sich bestehende Leute noch in allerlei andern Gegenden dieser Alpen erwähnt, und in jenen Zeiten mochte ihre Verschiedenheit auch augenfälliger seyn, wenn sie mitten unter den damals noch romanisch redenden Nachbarn deutsch sprachen. Ein ziemlich vollständiges Verzeichniß der Stammangehörigen, wie sie noch im Jahr 1408 sich kennbar erhalten hatten, gibt ein Schiedsspruch Kaiser Ruprechts, den er zu dieser Zeit in Constanz that, nachdem die Appenzeller am 13 Wintermond desselben Jahres, Bregenz belagernd, von dem schwäbischen St. Jörgenbund aufs Haupt geschlagen waren und mit ihren Feinden Frieden zu machen begehrten. In dieser Urkunde erscheinen alle die an dem Kriege Theil genommen hatten und den Frieden zu halten versprachen, nicht allein Herzog Friedrich von Oesterreich, die Bischöfe von Augsburg und Constanz, Graf Eberhard von Wirtenberg und andere Herren, sondern auch die Städte St. Gallen, Feldkirch, Bludenz und Constanz, die Ammänner und Landleute im Wallgau, im Muntafun, im Bregenzerwald, im Lechthal, und mit diesen die Walliser zu Tamuls, zum Sonnentage, in Glaterns und am Tunserberge, und alle andern Walliser die „zu uns" gehören, alle Walliser zu Muntafun mit den Silbern (d. h. im Silberthal) daselbst, und alle Walliser auf Galthür. Fügt man dazu noch die Walser am Triesnerberg im Vaduzischen und jene welche in der Gegend von Sargans und unter dem Krummstabe des Abts zu Pfäfers lebten, so dürfte das Verzeichniß der wallisischen Auswanderer, die sich diesseits der Landmarken Graubündens [93] niedergelassen, vollständig seyn. Ein religiöses Band um alle diese einstigen Fremdlinge zieht die Verehrung des heiligen Theoduls – walserisch St. Joder – der fast in jeder ihrer Kirchen und Capellen als Haupt- oder Nebenpatron seine Stelle hat. Auch St. Theoduls Name weist auf das Wallis; dort wird er als Landesheiliger verehrt, obgleich Herr Custos Bergmann nicht ganz verlässig ermitteln konnte ob und wann er gelebt. Wahrscheinlich ist damit Theodor, ein Bischof von Sitten gemeint, der im Jahre 505 der Kirchweihe des vom burgundischen König Sigmund gestifteten Klosters St. Moriz beigewohnt haben soll. Wenigstens mag dieser minder zweifelhaft seyn, als jener Bischof Theodulus, den Johannes von Müller auf die Legende bauend in die Zeiten der Karlinger setzt.

Kehren wir indessen wieder nach Damils zurück, wo also die Aeltesten der Gemeinde im Wirthshaus sitzen und friedlich plaudernd ihren Branntwein trinken, während es draußen, mitten im Sommer, etwas zu schneien anhebt. Sie erzählen von den alten Landammännern und den alten Tagen wo die Damilser noch rothe Kamisole mit Haften statt der Knöpfe getragen haben. Sie wissen aber auch von Dingen zu erzählen die länger vergangen sind, denn Damils hat in allem Ernst eine Sagengeschichte der Urzeit. Als die Walser von dieser Alpenhöhe Besitz nahmen, sollen „am Brand", was auch zur Gemeinde gehört, schon Menschen gewohnt haben, aber wilde. Das waren wohl Abkömmlinge der Rhätier, der alten Ureinwohner, die auch der Gegend die Namen gaben, denn Damils, Scafells, Garsella u. dergl. was sich hier herum findet, sind rhätische Klänge, wogegen wieder andere Namen wie Fontanella, Rungal, Ragall (Roncale) etc. zeigen, daß nach dem Rhätischen hier romanisch gesprochen wurde. Sie, die fremden Ankömmlinge, hätten darauf ihre ersten Hütten „auf den Bödmen" erbaut, wo noch seit uralten Zeiten ein Schatz vergraben liegt. Dessen zum Zeichen sieht man auch in dieser Gegend öftermalen blanke Thaler sich behaglich in den Lüften wiegen, gar nicht viel höher als man mit dem Arm reichen mag, aber gerade so hoch um sie nicht erreichen zu können. Die Einwanderung ihrer Ahnen setzten die erzählenden Zecher [94] in die Zeit der Christenverfolgungen. Damals sind sie nach der Sage als Flüchtlinge auf die Wiesen von Damils gekommen und, verzagt und scheu, hielten sie sich noch lange Zeit verborgen und abgeschieden von der Welt. Eines Tages aber verfolgten zwei Grafen von Montfort das Walserthal entlang einen Hirsch, und während den einen sein Leithund auf den Tannberg führte, gelangte der andere nach Damils, wo er höchlich überrascht war, statt der Wildniß menschliche Wohnungen zu finden. Die Hirten sagten ihm sofort daß sie Flüchtlinge seyen, und auf dieß versprach er sie zu schützen. Und nachdem sie ihn so gut sie konnten bewirthet hatten, verlangte er sie sollten ihn abwärts geleiten, den Argenbach hinunter. Dieß geschah alsbald, und sie führten den Grafen in den innern Wald, an den Ort wo jetzt die Au steht, wo aber damals noch weit und breit unbewohnter Hochwald war. Die Stelle gefiel dem Herrn der Jagd wegen, und er baute sich daselbst ein Jagdhaus, wovon noch heutigen Tages, wie oben gedacht, der Häuserhaufen um die Kirche in der Au Jaghausen genannt wird. Von da an blieb Damils bei den Montforten, und die Leute haben noch allerlei von ihnen zu berichten, wie sie ihnen nämlich die Kirche gebaut und die alten Freiheiten gegeben haben. Diese wurden später von den Herzogen zu Oesterreich und ihren Nachfolgern in Tirol bestätigt. Das große pergamentene Buch der Privilegien, die Kaiser Leopold I am 17 Junius 1678 erneuert hat, ist mit mächtigem Insiegel versehen in der Kirchenlade hinterlegt. Es enthält die Abschriften der alten Freiheitsbriefe, deren ersten 1390 Raimund von Wahingen, der Landvogt zu Feldkirch, im Namen Herzog Albrechts zu Oesterreich ertheilte. Darauf folgen noch fünf andere von Herzogen, Erzherzogen und Kaisern. Angehängt sind in 36 Artikeln das Damilser Erbrecht und das Kauf-, Zug- und Abzugsrecht. In den ältern Briefen haben die Herzoge zu Oesterreich „ihren lieben und getreuen, ihren Leuten, den Walsern zu Tamüls", bestätigt daß ihnen, wenn sie mit Schild und Speer zu Kriegsdiensten aufgerufen würden, der Landesherr den Unterhalt auf seine Kosten zu reichen habe; auch sollten sie nie verpfändet werden. Die erste Anerkennung dieses alten Walserrechts wollen also die Damilser [95] auch den Grafen von Montfort zu Verdanken haben, und aus solchen Gründen stehen die ehemaligen Herren noch in frischem und gutem Angedenken. Seit dem Jahr 1390, wo Graf Rudolf von Montfort-Feldkirch starb und seine Herrschaften nach dem Kaufvertrag von 1375 an Herzog Albrecht von Oesterreich übergingen, scheint hier oben nichts mehr vorgefallen zu seyn was sich dem Gedächtniß dieser Aelpler besonders empfohlen hätte. Seit dem Todestage Grafen Rudolfs ist nun freilich bald ein halbes Jahrtausend dahingegangen, aber die alten Zecher im Wirthshause sprachen von den Montforten gerade so als wenn sie noch im vorigen Sommer hier oben auf der Gemsenjagd gewesen wären und erst vor wenigen Monden ihre Herrschaft Damils an das Erzhaus Oesterreich übergeben hätten. So kamen mir die armen Hirten vor wie ein lebendiges Mausoleum der alten rhätischen Ritter, die sie nie vergessen können, weil sie ihnen die Kirche gebaut und die Freiheiten gegeben haben. Es ist auch gut für jene daß sie noch ihrer gedenken, denn sonst singen und sagen die Bauern sehr wenig von dem untergegangenen Geschlecht. Und doch hat es eine Zeit gegeben wo all die Länder vor dem Arlberg, der Bregenzer Wald, die Walserthäler, der Wallgau, Montafun, Feldkirch und Bregenz den Montforten unterthan waren, und überdieß hatten sie noch viel schönes Gebiet über dem Rhein, wo Fortifels, ihr Stammschloß stand, und das reiche Erbe der Freiherren von Vatz in Graubündten; dann kamen auch noch die Herrschaften Heiligenberg und Tettnang an das Haus, und die Grafen von der Fahne, wie man sie von ihrem Wappen nannte, waren weit und breit geehrt unter den Herren in Rhätien, in Schwaben und im heiligen römischen Reich. Sie hatten ihren Schöppenstuhl bei dem freien kaiserlichen Landgericht auf der Wiese zu Münsinen bei Rankweil und schrieben sich Landgrafen in Rhätien. Mancher Sohn des Hauses saß zu Chur und zu Constanz als Bischof, oder als Würdenträger in der Abtei zu St. Gallen, und sogar ein Familienheiliger verherrlichte das Geschlecht, St. Johannes von Montfort nämlich, der von einer Kreuzfahrt nach Palästina heimkehrend 1176 zu Leukosia auf der Insel Cypern die frommen Augen schloß [96] und später auch als der Schutzpatron der grünen Insel im Morgenland verehrt wurde. So prächtig war der Name ausgestattet zu seiner Zeit, aber mit dem Lauf der Jahre geriethen alle Länder, die einst die Fahne besessen, entweder an die Eidgenossen oder die Herzoge von Oesterreich, und der, mit dem Schild und Helm zu Grabe ging, starb 1787 beim Pfarrer zu Mariabronn bei Tettnang in tiefer Armuth. Die Damilser haben auch nicht viel, aber zuletzt war doch jeder noch reicher als der letzte der Montforte.

Die Damilser sind wahrhaftig sehr arm und leben kümmerlich von Mehlmus und Kartoffeln, trinken auch nur am Sonntag ein Gläschen Schnaps. Ihre hölzernen Hütten sind eng und armselig, nur selten mit einem Rauchfang versehen. Wir wohnen sieben Stunden hinter Gott erbarm und der Ort heißt Elend – sagte einer der ältern Männer mit traurigem Witze. Auch ist ihnen wohl für die Zukunft nicht viel Erleichterung zu weissagen, denn nach allen Anzeichen wird das Klima immer rauher. Hat man doch vor nicht gar langer Zeit hoch über Damils auf dem Brand eine Dreschtenne abgebrochen, während jetzt nicht einmal auf den niedern Höfen irgend eine Getreideart gedeihen will; ja die zaubernde Sage verlegt sogar einen Weingarten an den hohen Tristen, der zwischen Damils und Mellau sich erhebt. Auch das Holz geht zusammen und kommt am obern Saum der Wälder nicht mehr fort.

Von diesen und ähnlichen Dingen hatten wir mit den Männern von Damils geredet, und nun sollte noch einer der ältern, der einzige unter den Bauern, der die pergamentenen Urkunden in der Kirchenlade zu lesen und zu verdeutschen wußte, ein kurzes Gespräch zum Besten geben und zwar in der alten Damilsersprache, wie sie vor fünfzig Jahren gesprochen worden. Diese soll nach Versicherung des Pfarrherrn sehr seltsam und unverständlich lauten und müßte also wohl sehr verschieden seyn von dem jetzigen ausgetragenen und vollsylbigen Dialekt der Walser, der uns im Vergleich mit dem stenographisch abgekürzten Deutsch der Wälder ganz verständlich vorkam. Unsere Neugier war sehr groß dieß Altdamilserische [97] zu hören, aber der alte Bauer und die andern die nach ihm aufgefordert wurden, thaten sehr scheu damit und wollten nichts zum Besten geben.

Seitdem ich in Damils gewesen, hat der jetzige Herr Pfarrer, der einstweilen den damaligen Seelsorger abgelöst, in einem Briefe an Herrn Custos Bergmann *) alles, was ich, wie oben zu lesen, „von der sehr seltsam und unverständlich lautenden Mundart so schön erwähnt", **) als lediglich unrichtig erklärt und sey dasselbe wahrscheinlich dem begierigen Frager nur bejahet worden, um ihm die Freude einer vermeinten Entdeckung nicht zu verkümmern. Ich will zwar nicht bestreiten, daß die Damilser Humor genug besäßen, um mir oder einem andern Gaste solche Freude zu machen – durch den Zweifel an dieser Begabtheit würden sich im Land Tirol und Vorarlberg viele aufs empfindlichste mitgetroffen fühlen – aber erstens fiel ich gewiß nicht von selbst auf die Frage, ob hier nicht eine altdamilserische Sprache gesprochen werde, und zweitens bestätigt ja der Berichtiger im Grunde doch nur was ich erzählte – nämlich „bei allem Nachforschen hierüber könne man nur so viel herausbringen, daß man früher schwerfälliger gesprochen habe – nach der alten Mode heißt man’s, wie es ja überall der Fall ist, bevor der bessere Sprachgebrauch Eingang findet." Viel mehr dürfte nach den sehr zweifelhaften Ausdrücken, in denen er von dieser alten Sprache redet, auch der erste Berichterstatter nicht gewärtigt haben – aber auch in diesem alten „Schwerfälligen" könnte für den allenfallsigen Sprachforscher manches Brauchbare zu finden seyn. Im übrigen ist’s eine Wahrnehmung, die sich allenthalben darbietet, daß in unsern Zeiten mit den Trachten auch die Nüancen der Dialekte in größeren Ganzen untergehen. Wie die Tracht zu Pfafflar von der lechthalischen verschlungen worden, wie die Riezlerinnen sich zu der des Allgaus hinneigen, so scheinen allmählich alle nordtirolischen in der unterinnthalischen unterzugehen, und durch gleiche Anziehungskraft [98] verschwinden auch die Dialekte der Nebenthäler in denen der Hauptthäler. So hat ja auch schon Bergmann berichtet, wie in Rüfensberg, der äußersten Pfarre des vordern Bregenzerwaldes, gegen Staufen hin, Kleidung und Mundart zugleich dem fremden Einflusse erliegen; so haben vor mehreren Jahrzehnten Zillerthaler und Zillerthalerinnen nicht allein sich duxerisch gekleidet, sondern gewiß auch duxerisch gesprochen u. s. w. Ueberdieß ist das Volk gar nicht so ganz ohne Eitelkeit in Bezug auf seinen Dialekt; die Hauptthäler streiten mit einander, welches die „feinere" Sprache habe, von den Nebenthälern wirft eines dem andern vor, daß es so grob, „gar so viel grob" daherrede. Deßwegen denn wohl auch ein Streben der rauhern Dialekte sich den feinern anzuschließen, welches die Schule unterstützt. Nun ist es aber nach dem Obigen mehr als wahrscheinlich daß die Damilser vor Jahren einen gröbern Dialekt geführt und diesen dann mit dem feinern jetzigen vertauscht, und insofern – freilich nur insofern – kann es immer noch erlaubt seyn, von der altdamilserischen Sprache zu reden. Allerdings bleibt dabei der Zweifel frei, ob noch Jemand vorhanden, der sie jetzt noch, ganz so wie sie gewesen, von sich geben könnte.

Auf dem Friedhof von Damils sieht der Wanderer, wenn er gegen Mitternacht schaut, eine sanft ansteigende lange Halde, baumlos, aber mit vielen Heimathen besetzt. Da wo diese grüne Fläche am Horizonte abbricht, steigt aus ihr ein Felsenkegel empor, der die Mittagsspitze oder mit einem schon oben erwähnten Namen der Tristen heißt. Der Weg bis an den Fuß desselben läßt sich in anderthalb Stunden zurücklegen und ist bequem und anmuthig; die steilen Seiten des Kofels aber, der etwa ein halbtausend Fuß hoch seyn mag – seine Höhe über dem Meere beträgt 6600 Wiener Fuß – sind pfadlos und mit schlüpfrigem Grase bewachsen. Der Erklimmer der Spitze genießt eine unermeßliche Aussicht. Es ist ein wunderherrlicher Anblick, wenn die ersten Strahlen der Morgensonne auf den Kranz von glänzenden Fernern fallen, die mit ewigem Eis und Schnee bekleidet, schroff und unnahbar, stolz und schweigend in die blauen Lüfte steigen. In der langen Runde [99] von den Gletschern des Berner Oberlandes über die Gipfel des Rhätico und die Ferner des Oetzthales bis zu den nähern Schneebergen, die aus dem Land der Walser ragen, und den höchsten Höhen des Allgaus, die klein und kindlich dastehen gegenüber den ungeheuern Vätern im rhätischen Hochlande – von der Jungfrau also bis zum Pfänder, der ober Lindau aufsteigt, keine Lücke in dieser Krone von Bergen und nur der Unterschied, daß die innern, die Schweizer und Tiroler, sämmtlich mit Silber beschlagen, die äußern, die Allgauer, mit smaragdenem Grün überlegt sind. Steil unter der Spitze liegt das Dörfchen Mellau an der Ache und an dieser hin die schmalen Thalgaue des Bregenzerwaldes, eingeschlossen von weidereichen Höhen und über den Wald hinaus liegt der Bodensee, und alle die Städte und Flecken, die das schwäbische Meer bespült, winken weiß und zierlich herauf. Auf der Schweizer Seite des Sees sind die Gebirge von Appenzell und St. Gallen mit ihren Bergstädten und drüber hin das hügelige Flachland der Eidgenossenschaft und am fernen Rande der blaue Jura zu sehen. Dagegen hebt vom deutschen Ufer die schwäbische Ebene an und breitet sich mit weißen Pünktchen durchsäet maßlos dahin bis zum Bussen und zum kaiserlichen Hohenstaufen und zum Schwarzwald, ja sogar die elsässischen Vogesen dämmern über diesem auf in der ungeheuern Ferne.

Und nun bieten wir denn auch Damils unsern Abschiedsgruß. Hieher ins uralte Walserdorf laden wir den ein, der da lernen will was man unter einem abgeschiedenen Alpenleben versteht. Da dreht sich alles um Gottesdienst und Tageswerk, und dieß selbst kennt keinen andern Wechsel als Arbeit in den Hütten und Arbeit auf den nahen Wiesen. Kriegsläufte und Zeitbegebenheiten, die ganze Reiche umstürzen, hallen nur undeutlich herauf, und das geräuschvollste Ding in der Runde ist das Meßglöcklein das im Kirchenthurm hängt. Der Lebenslauf scheidet sich in die Langweile der endlosen Schneezeit und die kargen Freuden des winterlichen Sommers. Grün und lachend sind zwar im Sonnenschein die Matten, freundlich grüßt das Jodeln der Sennen von den Höhen und [100] das kleine Kirchlein mit seinem rothkropfigen Thürmchen steht so unschuldig in den Bergmähdern wie noch einmal ein Schneeglöckchen im Maienthau, aber das alles schützt den Fremden nicht vor einem bangen Gefühl schwerer Einsamkeit, das noch geschwellt wird durch die Enge der Landschaft, die dem Blick auf allen Seiten ihre nahen Bergwände vorhängt.

Wenn man also von unserm Dorf ins Walserthal geht, gelangt man zuerst auf die wiesengrüne Wasserscheide Faschina, und dann senkt sich der Pfad abwärts in den Wald, unter dessen Schatten Fontanella liegt – wieder einer jener vielen vorarlbergischen Curorte, aber einer der unbedeutendsten, da er sich kaum auf ein Duzend Badegäste einlassen kann. Die Saison war verstrichen, und von den wenigen Besuchern nur eine rothrockige Walserin übergeblieben, die auch bald heimzuziehen gedachte. Im Herrenstübchen dagegen war heute eine zahlreiche Zusammenkunft von Pfarrern und Curaten der Umgegend, aus deren Gesprächen sich manche Aufklärung über Art und Sitte der Walser schöpfen ließ. Die Annahme daß sie aus dem Wallis gekommen, hat hier allenthalben die Zustimmung der Studirten erhalten, auch schon mehrere zu Untersuchungen angeregt, und ein aus dem kleinen Walserthal gebürtiger Caplan von Lautrach soll eigens an die Quellen der Rhone gereist seyn, um dort in den früheren Sitzen seiner Landsleute Forschungen anzustellen. Wir hoffen daß das Ergebniß alle Zweifel beseitigen werde, und auch im ungünstigsten Fall scheint sein Loos beneidenswerther als das Cörösi Csoma’s, des Ungars, der seinem historischen Triebe bis nach Tibet folgte, um auch dort nach den Ursitzen der Magyaren vergeblich zu fragen.*)

Bei Fontanella öffnet sich zu beiden Seiten das Walserthal. Links geht’s an dem Bach hinauf nach Buchboden und in die innern Schluchten des Gebiets, wo zwischen mächtigen Jöchern das vielbesuchte Bad von Rothenbrunnen liegt; zur rechten Hand führt ein Sträßchen hinaus in das Wallgau bei Bludenz und in die rebenreichen Gelände an der Ill. Auf [101] diesem letztern Gang kommt man bald zum Dorf „am Sonnentag." Auch an diesem Orte thut sich die Gewalt der Lauwenen oft in erschrecklicher Weise kund. So brachen sie im Jahre 1806 das Schiff der Kirche zusammen, und das neue Gotteshaus konnte nur durch einen aufgemauerten Wall vor künftigen Verwüstungen geschützt werden.

Uebrigens ist darin auch ein Jahrtag gestiftet für jene Kämpfer aus dieser Pfarre, die am 20 April 1499 in der unglücklichen Schlacht bei Frastenz unter dem Schwert der Eidgenossen gefallen sind. Die Namen der Gebliebenen, deren es 46 waren, wurden vordem noch alle Jahre in der Kirche verlesen. Jene Schlacht war wohl die blutigste, welche in Vorarlberg je gekämpft worden ist. Ein Verräther, Ulrich Malis aus Schan bei Vaduz, führte die Feinde, deren Hauptmann Heini Wohlleb aus Uri war, auf geheimen Wegen in den Rücken des österreichischen Heeres. Noch soll es zu Frastenz in Uebung seyn, daß am Dienstage in der Bittwoche der Umgang auf dem Schlachtfelde inne hält, für die gefallenen Landesvertheidiger laut betet, und auch vom Verräther Meldung thut, um sein Andenken auf ewige Zeiten zu schänden.

Nicht weit vom Sonnentag geht der Weg in die Höhe, an den Halden hinauf, während der Bach unten im Tobel fortschießt, allenthalben von düsterem Wald beschattet. Die Landschaft ist kaum ein Thal zu nennen – die schmale Ebene am Wasser verliert sich ganz und gar, und alles was des Menschen eigen, Auen und Wälder, Sennhütten, Höfe und Dörfer, liegt hinauf nach einander an den steilen Berghängen. So gestaltet sich eine der schönsten Alpengegenden, die man in diesem Theil des Gebirges sehen kann. Drüben ein langes tiefgrünes Bild, übersichtlich ausgespannt, in reizender Mannichfaltigkeit von Forst und Wiesen, von Felsen und Wänden, Bächen und Wasserfällen, mit Wegen und Pfaden verbrämt, überall mit idyllischen Häusern durchsäet, die friedlich und freundlich auf dem Rücken der Berge stehen, deren höchste Zacken stolz in den blauen Himmel stechen – herüben dagegen ein anmuthiger Steig, der gemächlich dahinschlendert, alle Vorsprünge der Abhänge und alle Einbrüche der Bergwasser [102] abläuft und dabei doch nicht ermüdend wird, da die Abwechselung der niedlichsten Kleinigkeiten, des üppigen Wachsthums der Büsche, des prächtigen Schattens der Bäume mit den großen Aussichten in die düstere Schlucht hinab oder auf hohe Bergfirsten und die Zinnen des Rhätico, die im Mittag aufsteigen, immer aufs neue wieder anzieht. Nicht zu vergessen sind dabei jene engen lebensvollen Gemälde, die da entgegentreten wo an den gießenden Bächen, die vom Felsen herunterfallen und ins Laubdunkel abwärts stürzen, sich die sprudelnden Mühlwerke angebaut haben, überragt von rothem Gestein, umgeben von kleinen Hausgärten, von Mauern und Zäunen, von Brücken und gefährlichen Stegen, geräuschvoll durch das Plaudern der Brunnen, das Kreischen der Sägen, das Schnurren der Mühlgänge, den Fall der Wasser, durch Kindergeschrei, Hundegebell und Hühnergackern.

Eine Stunde etwa vor dem Ausgang des Thales erhebt das Klösterlein St. Gerold sein graues Dach aus der Mitte hoher Ahornbäume, friedlich stillen Anblicks in der großen Berglandschaft. Die Abendsonne fiel auf seine Zinnen und glänzte in seinen Fenstern, und so nahm es sich gerade aus wie eine Illustration zu jener bekanntesten aller deutschen Balladen. Es hat da in den Tagen Kaiser Otto’s I ein frommer Einsiedler gelebt, Gerold mit Namen, der nach der Legende aus dem Hause der Herzoge von Sachsen und ein Verwandter des Kaisers gewesen seyn soll. Andere lassen ihn nicht so weit herkommen, sondern nur aus dem rheinthalischen Geschlecht der Herren von Sax, obgleich man zur Bekräftigung der Legende da und dort den sächsischen Rautenschild angebracht sieht. Damals hieß die Gegend wo jetzt das Kloster steht, Frasuna, und dieß Gebiet das Graf Otto von Jagdberg dem Einsiedler geschenkt hatte, vergabte dieser vor seinem Tod an die Abtei zu Einsiedeln, welche es auch als reichsfreie Herrschaft bis zum Untergang des deutschen Reichs besaß. Jetzt sind die Gebäude und die Seelsorge wieder dem Stift zurückgegeben, und dasselbe läßt hier drei Benedictiner wohnen. Die Herren „wirthen" selbst, wie die Schwaben [103] sagen, und schenken im kühlen Refectorium guten Wein aus, den sie mit anmuthigen Gesprächen würzen. In der Kirche sieht man St. Gerolds Ruhestätte, geschmückt mit einem schönen alten Grabstein; sein Haupt ist auf dem Altare zur Verehrung ausgestellt, seine Lebensgeschichte in Bildern auf die Wand gemalt.

Am Ende des Thales thut sich die Aussicht in das Wallgau auf. Rechts liegt das Dorf Thüringen, wo der Engländer Douglas eine gigantische Spinnerei errichtet hat; zur linken Hand führt ein Fußsteig schnell über die Halde hinunter nach dem Dorfe Ludesch das am Lutzbach liegt. Der Weg streift an den öden Mauern des Blumenegger Schlosses hin, welches sammt der Herrschaft einst den Werdenbergen, später der Abtei zu Weingarten bei Ravensburg gehörte. – Die Sonne war untergegangen, die Gipfel des Rhätico ragten weiß aus dem goldenen Abendroth, das sich auch rückwärts auf den nackten Bergspitzen des Walserthales spiegelte, die Dämmerung lag im Thal, und die Ruinen von Blumenegg mit ihren hohlen Fenstern standen ernst und düster über dem Pfade. So raschelten wir den langen Abhang hinab und setzten uns in Ludesch zur Nachtruhe.

[104]

Wallgau – Montavon – Paznaun.



Nicht weit von Ludesch gegen Morgen auf dem letzten Absenker des Gebirgs liegt die uralte Kirche von St. Martin, jetzt abgeschafft und verschlossen, einst Pfarrkirche und die älteste der Gegend, welche die ganze Schattenseite des Walserthales zu ihrem Sprengel zählte, während die Sonnenseite nach St. Anna zu Thüringen gehört. Der Wirth sorgte für die Schlüssel und führte uns durch die Weingärten zum Gotteshaus. Es liegt auf einem Rebenhügel, in weiter Runde umzogen von einer verfallenen Mauer, die den ehemaligen Kirchhof umschloß, dessen Gräber jetzt spurlos eingesunken sind. Unten liegen verloren in den Obstbäumen und umlaubt von Weinranken die letzten Häuser von Ludesch am Rande einer schönen Fläche, wo Wiesen und Kornfelder und Baumgruppen abwechseln. Rechts zeigt sich das Dorf das wir verlassen hatten und darüber die Mauern von Blumenegg; links eine waldige Bergnase. In der Ferne fließt die Ill und darüber ragen die Berge des Rhätico auf, die hinunter ziehen bis an den Rhein, auf dessen anderm Ufer die Berge von St. Gallen sich erheben. Wir standen mit dem Wirthe auf dem Bühel vor St. Martins Kirche und schauten in die schöne Landschaft hinein, die jetzt so völlig deutsch ist, daß unter dem Volke selbst die Erinnerung an die frühere Sprache verloren gegangen, obgleich der Bauer seine Felder wie seine Dörfer nicht in deutscher, sondern theils in romanischer, theils in rhätischer Sprache und mit Namen benennt, die zur Hälfte wohl älter sind als Augusta Vindelicorum, und Köln am Rhein [105] und Trier. So that uns auch der Wirth zu wissen, daß die Wiesen von St. Martin abwärts bis zum Ziegelstadel auf Parsenn, die Fläche daneben Quadra, die Aecker westlich vom Ziegelstadel Capetsch, andere Aecker jenseits von Capetsch Cadin, von da gegen Abend die Wiesen Parveusla, Prauentin und Taleus, das Ackerfeld in der Ebene daneben Gravis heiße, u. s. w. Er behauptete, er sey vollkommen an diese Namen gewöhnt und wunderte sich höchlich, daß wir sie auffallend fanden und zuletzt gar in unsere Brieftaschen schrieben.

Eben deßwegen weil hier die Landessprache ehemals ein Romansch war, hieß die Gegend bei den benachbarten Deutschen das Wallgau – ein Name, der ihr auch später blieb, als jene Sprache verklungen, der aber jetzt allmählich außer Uebung kommt. Im bayerischen Gebirge am Walchensee findet sich auch ein Ort des Namens Wallgau, und ist diese Benennung dort aus dem gleichen Grunde entstanden, obgleich die walsche Sprache daselbst schon vor viel längerer Zeit untergegangen als hier. Im vorarlbergischen Wallgau erstarb sie nämlich erst im sechzehnten Jahrhundert, denn Guler von Wineck, der Landammann zu Davos, sagt noch in seiner Rhätia, welche 1616 erschien: „Ich hab noch alte Leuthe im Walgöuw gekannt, die grob Rhätisch reden kunten, Sonsten ist anjetzo allein die Deutsche sprach bei ihnen breuchlich." Die jetzt gebrochene Burg Ramschwag bei Nenzing hieß ehemals wälschen Ramschwag, zum Unterschied von dem andern Schlosse dieses Namens, welches in der Schweiz liegt. Vordem nannte man auch die Gegend um Feldkirch „das vordere Wallgau", und im Jahre 1363 heißt es von einer alten jetzt verfallenen Veste bei Gözis im Rheinthale, von Neuenburg nämlich, welches die Herzoge von Oesterreich dazumal als erstes Besitzthum vor dem Arlberg erwarben, nicht anders als: Newenburg, gelegen im Rinthal ze Churwalhen.

Es soll übrigens in diesen wallgauischen Lagen von Blu- menegg abwärts über Feldkirch gegen Hohenems vor Zeiten sehr guter Wein gewachsen seyn. Man hegte vorzüglich Trauben mit kleinen, weitstehenden, rothen Beeren und die Weingärten gehörten zumeist nur edlen Familien oder reichen Bürgern, [106] die nicht auf das Maß sahen, sondern auf die Güte. Alte langhergebrachte Rebordnungen machten solche ehrenhafte Nutzung fast gesetzlich, und so kam es, daß der Wein aus den besten Lagen in Flaschen abgezogen kistenweise nach Augsburg gesandt wurde, wo man ihn dem Burgunder gleich hielt. Allmählich sind ergiebigere, aber weniger edle Trauben an die Stelle gesetzt worden, und daher hat die Menge des Erzeugnisses sehr zugenommen, aber der Ruf ist verloren gegangen, wenigstens der Ruf der Trefflichkeit, denn der der Gesundheit ist ihm geblieben. „Er macht heiter, sagt Weizenegger, und verursacht keine Kopfbeschwerden." Die Bodenweine, die in der Ebene wachsen, stehen den Bergweinen weit nach.

Endlich knarrten die rostigen Angel an der Thüre von St. Martin und wir traten aus der grünen Landschaft in die uralte Kirche mit altdeutschen Altären und Wandgemälden, fast ergriffen durch den alterthümlichen Eindruck. Alle Wände sind bis oben hinauf voll Malereien, darunter freilich auch manche, wie die des Gewölbes, aus neuerer Zeit und von schlechter Ausführung. Zur linken Seite des Hochaltars ist eine Tafel mit dem Heiland und den zwölf Aposteln, lauter Porträten, zum Theil sehr derben Gesichtern. Daneben steht ein altes Sacramenthäuschen. Auch die Kirchenstühle in ihrer ärmlichen Einfachheit verrathen eine weit zurückliegende Zeit.

Von da zogen wir auf die waldige Felsenecke zu, die in steilen Wänden an der Landstraße endet und zum hangenden Stein genannt wird, einem tafelförmigen Felsblock zu Ehren, der überhängend auf einem Schafte liegt, welcher durch Zerklüftung des Gesteins, das ihn ehemals mit dem Hauptstocke verband, zum freistehenden Pfeiler geworden ist. Wenn man diese Enge durchschritten hat, so öffnet sich das Thal von Bludenz, dessen Thürme über einem Hügelvorhang aufragen. Zur Linken liegt das große Dorf Nüziders und ober diesem sind aus Weinbergen auftauchend die braunen, grünbewachsenen Mauerreste der Burg Sonnenberg zu gewahren. Im Dorfe selbst ist die Kirche in griechischem Styl neuhergestellt worden, wie mir bedünkt, nicht zu ihrem Vortheile. [107] Bludenz, die kleinste der drei vorarlbergischen Städte, hat an der engen Hauptstraße hübsche Häuser, unter denen Bogengänge hinlaufen. Die Kirche steht über dem Städtchen auf einem Hügel mit angenehmer Aussicht in das grüne, fruchtbare und fleißig bebaute Thal der Ill, welches freilich in naher Ferne von hohen waldigen Bergen umschlossen wird. Auf dem Friedhofe sind Arkaden, wie zu Feldkirch mit Grabsteinen ausgelegt. Auf der äußern Wand des Beinhauses ist ein anziehendes Bild aus dem Anfang des sechzehnten Jahrhunderts zu sehen. An die Kirche stößt das Schloß der Freiherren von Sternbach, welches Gayenhofen heißt.

Die Geschichte weiß nicht viel Erhebliches von der Stadt Bludenz zu erzählen. Sie wird im zehnten Jahrhundert zum erstenmale genannt und gehörte später den Montforten von Werdenberg. Graf Albrecht von Werdenberg, der keinen Sohn hatte, verkaufte sie und die Herrschaft mit Vorbehalt lebenslänglichen Besitzes im Jahre 1394 an Herzog Albrecht von Oesterreich. Zwei und zwanzig Jahre später begab sich folgende Geschichte, die man in neuerer Zeit wieder in einer alten Handschrift aufgefunden hat: Herzog Friedrich, der Graf zu Tirol, kam einst in finstrer Nacht, der Haft zu Constanz entflohen, vor die Thore dieses Städtchens, welches ihm erst wenige Jahre vorher zugeschworen hatte. Der Wächter verweigerte den Einlaß, wollte ihn auch dann nicht gestatten, als sich Friedrich genannt hatte, und meinte: es seien schwer seltsame Lauf’ vorhanden; man lat jetzt nit ein jeglichen gleich in. Der Herzog berief sich auf einen Bludenzer Bürger Namens Schedler, der denn auch herbeikam und ihn erkannte. Als der Wächter sah was vorging, fiel er dem Herzog zu Füßen; dieser aber setzte sich mit den getreuen Bürgern von Bludenz zum Mahle, lud auch jenen als Gast und schenkte ihm für seine treue Burghut eine Gabe.

Bludenz ist der letzte Ort vor dem Arlberg wo Wein gebaut wird. Die Straße über diese Höhe bringt viel Leben in das kleine Städtchen, und im Posthause fehlt es zu allen Tagzeiten nicht an fremden fahrenden Leuten.

[108]

An einem Sonntage des vorletzten Sommers ging ich allein von Bludenz fort um mir Montavon und Paznaun zu besehen, zwei selten besuchte Thäler. Es hatte den ganzen Vormittag geregnet und die Nebel lagen dick und grau auf den Bergen. Das melancholische Vesperläuten aus der Pfarrkirche hallte mir noch eine Weile nach als ich auf der schmutzigen Straße dahinschritt. Ernste Montavoner gingen Bludenz zu und grüßten leise. Die Luft war kühl und feucht, die Wiesen naß, die Bäume von Regentropfen schwer – im Ganzen ein trauriger Nachmittag. Auch das alte Nonnenkloster von Sanct Peter, das eine halbe Stunde vor der Stadt liegt und seine fensterreiche Vorderseite ansehnlich entgegenhält, stand in tiefem Schweigen da und scheinbar alles Lebens ledig – nicht eine einzige Dominicanerin am Fenster zur Aufheiterung der Ansicht.

Bei St. Peter geht der Seitenweg der Ill entlang und ins Montavon hinein, während die Heerstraße dem Alfenzbache folgt. Ehe aber jener Seitenweg in die Schlucht einführt, welche sich die Ill gerissen hat, stößt man auf etliche Wirthshäuser, die den Weiler Brunnenfeld bilden. Dahinter säuselt ein schöner Hain von Nußbäumen, unter dessen Schatten im Herbste fünf Märkte gehalten werden, wo eine zahllose Menge von Vieh zum Verkaufe kömmt.

Unter dem Nußbaumhain kam ein Wirthssohn von Brunnenfeld zu mir, und mit diesem ging ich also thaleinwärts, vorerst durch die Schlucht, die von fichtendunkeln Felsen eingeschlossen wird, so enge, daß kaum der Weg daneben Raum hat. Die Berge verschieben sich dergestalt, daß von den schönen, weiten und baumreichen Thalgründen die dahinter liegen keine Ahnung aufkommen kann. Die Gegend ist starr und einförmig, nur die brausende Ill verleiht ihr etwas Leben.

Nicht weit von dem Weiler Lorüns geht aus dem Gebirge hoch herab in sanfter gleichmäßiger Senkung eine grüne mit kurzem Gebüsch bewachsene Halde bis an die Ill, die in krummer Strömung um diesen Vorschub herzieht. Oben in den Bergen, wo der lange Abhang ansetzt, steigen kahle Schroffen in die Höhe, die in Vergleich mit ihren bewaldeten Nachbarn [109] zur rechten und zur linken Hand leicht ahnen lassen, daß ihr dem Thale zugekehrtes Vordertheil eines Tages eingebrochen seyn möchte. Unten auf dem jetzt überwachsenen Schutte steht die Pfarrkirche von St. Antoni. Der Wirthssohn sagte, hier sey vor langen Jahren ein Bergsturz herabgekommen und habe die große und volkreiche Stadt Prazalanza überdeckt. Die wunderliche Mähre erhält etwas Aufklärung durch eine andre Sage, welche behauptet, daß die Kirche von St. Antoni in uralten Zeiten von Herrn Otto von Zalanz gestiftet worden. Diese Burg Zalanz ist jetzt nirgends mehr zu finden. Wahrscheinlich liegt sie verborgen und vergessen gerade unter dem Schutte und dieser heißt daher Pra de Zalanza, Prazalanza die Wiese von Zalanz. Daß aus dem Schlosse des frommen Ritters Otto in der Sage eine große Stadt geworden, ist nicht zu verwundern, aber seltsam ist was mein Gewährsmann noch beisetzte, nämlich das Andenken an die untergegangene Stadt sey im Montavonerthale gänzlich verkommen und habe kein Mensch mehr etwas davon gewußt, bis einmal – auch schon vor geraumer Zeit – wandernde Leute aus dem Thale nach Frankreich und in diesem Lande in eine Kirche gerathen seyen, wo der Priester eben zur Buße gepredigt und seinen Zuhörern in Christo als warnendes Exempel den Untergang der großen und reichen, aber in Sünden verfallenen Stadt Prazalanza im Montavon vor Augen gehalten habe. Erst aus Frankreich und aus dieser Predigt sey wieder die Wissenschaft ins Thal gekommen, daß hier eine Stadt verschüttet liege. Weizenegger erwähnt dieser Sage auch, sagt aber die gedachte Predigt sey eines Tages im Wallis gehalten worden und beziehe sich auf den Flecken Plurs bei Chiavenna, der bekanntlich im Jahre 1618 von den Trümmern des Contoberges bedeckt wurde.

Allmählich erreichte ich nun jene Gegend, wo in einer Weitung des Thales zu beiden Seiten der Ill, die hier in mehrere Arme auseinanderläuft, die zwei Hauptdörfer des Montavons, Schruns und Tschagguns liegen, Schruns, zwischen zwei Halden eingeklemmt, ein zum Theil aus Steinen gebauter, reinlich geweißter, aber eng zusammengedrängter, unebener [110] Flecken, Tschagguns ein zerstreutes Dorf, aus dessen Mitte sich eine große Kirche erhebt.

Diese liebliche Thalfläche habe ich zu zwei verschiedenenmalen betreten – das einemal zog ich aber von Tschagguns das Thal entlang, um ins Paznaun zu gehen, das andremal stieg ich von Schruns auf den Christberg, um von dort ins Klosterthal hinab und auf den Arlberg zu gelangen. Dieser Weg führt von dem Flecken gleich in die Höhe auf steilem Fußpfade, der viel Schönes zu bewundern gibt. Es zeigt sich da, daß der Flecken Schruns in einer feinen Berglandschaft liegt, deren Höhen weit hinauf mit Gebüsch und Laubwald, mit Häusern, mit Kornfeldern, Weidenschaften und Obstbäumen mit rieselnden Bächen, Brombeerhecken, Gartenmauern und Feldzäunen geziert sind, während unten an der Niederung, die reich bevölkert und fleißig bebaut ist, wie die Halden, der Fluß des Thales in geräumiger Weite silbern daherzieht. Ueber dem Flecken selbst ragt ein treffliches Horn von schönster Bergform empor. Rückwärts drohen die beschneiten Zacken des Rhätico, vor dem Wanderer steht die einsame Höhe des Christberges, der aus dem schwarzwaldigen Silberthale, so benannt von ehemaligen Bergwerken, jäh aufsteigt und ein Kirchlein trägt, das weiß und klein aus der Ferne winkt. Der ganze Zug des Hochlandes, das links ober Schruns liegt, heißt der Bartholomäusberg. Derselbe erfreut sich zweier Kirchen, von denen die eine oberhalb Schruns, die andere eine gute Stunde weiter drinnen steht, etwa auf dem halben Wege nach der Höhe des Christberges.

Spät war es ohnedem schon gewesen, als ich von Schruns emporstieg, die Landschaft hatte ich auch etwas zu lange betrachtet, und so wurd’ es eine schwierige Frage, wo das Nachtquartier zu nehmen, denn nach der Post zu Talaas, welches im Klosterthale unten am andern Fuße der Höhe liegt, schien’s zu weit, und auf dem Berge ist kein Wirthshaus. Die Leute, die in den Wiesen mähten, begrüßten mich in meiner Verspätung mit theilnehmenden Bedenklichkeiten und meinten es wäre am besten, im innern Bartholomäusberg beim Curaten zuzusprechen, der ein gastfreundlicher Herr sey und schon manchmal [111] verspätete Fremde über Nacht behalten habe. Dem Rathe folgend, ging ich, als die Kirche des innern Berges erreicht war, auf das hölzerne Haus zu, das daneben stand und trat ein. Ein Frauenzimmer in der Tracht des Thales kam mir entgegen, und fragte was ich begehre. Darauf gab ich zur Antwort: eine Nachtherberge. Sie maß mich von Fuß zu Kopf und umgekehrt, schaute mir wiederholt ins Gesicht und sagte: der Herr ist nicht daheim und hier ist auch kein Wirthshaus. Ich erwiederte darauf: es wäre nicht das erstemal, daß ich von menschenfreundlichen Geistlichen über Nacht behalten worden, wogegen sie den Bescheid gab: das ist hier nicht der Brauch; geht nur wieder eurer Wege.

Damit also ging ich auch wieder meiner Wege und zwar so rüstig als ich konnte und als es der Pfad, der immer mehr in die Höhe stieg, erlaubte. Das Kirchlein auf dem Christberg lag noch weit oben an dem Kamm in einer grünen Matte, auf welche die letzten Strahlen der Abendsonne fielen. Diesen blickte ich von jetzt an mit Besorgniß nach wie sie allmählich von der grünen Halde wegzogen und den rothen Schrofen hinauf glitten, der zur Rechten stand, bis nur mehr die oberste Spitze des Felsens feurig erglänzte, dann auch diese verglomm und zu gleicher Zeit die Abendglocke vom Christberg hernieder tönte. Jetzt kam auch die Dämmerung ungerufen aus dem Thal herauf, und als ich endlich das kleine Kirchlein, das mir so lange als Richtziel vor Augen gestanden, und das hölzerne Häuschen dabei, erreicht hatte, war es hier auf der Höhe schon mehr Zwielicht als Tag, im Thale unten aber völlige Nacht. Der Grat des Berges schien nur mehr wenige Schritte entfernt, aber jenseits mußte es bodenlos tief hinuntergehen in das Thal von Talaas – so viel war noch aus der Landkarte zu entnehmen. In finsterer Nacht da durch den Wald auf jähem Steige mutterseelenallein abwärts zu trippeln, das dünkte mir nun allerwege nicht geheuer, und so meinte ich, es wäre wohl sicherer bei dem Meßner zu bleiben. Ging also auf das Häuschen zu, schob das Fensterchen zurück und rief hinein, worauf aber Niemand antwortete, als ein schreiendes Kind. Als ich nun in die Hütte selber trat und die Thüre der [112] schon ganz finstern Kammer aufthat, kam mir aus dem schwarzen Gemach der übelriechende Qualm einer geheizten Kinderstube warnend entgegen. Die „Goben“ fingen noch heftiger zu schreien an, eine kreischende Altweiberstimme klang abwehrend dazwischen und ein schwarzer Spitz, der eine Katze verfolgte, fuhr mir ahnungsreich durch die Füße. Das war zu viel auf einmal – auf nach Talaas!

In meiner Eile und bei so später Tageszeit konnte ich auch die kleine Kirche zu St. Agatha nicht mehr besehen, die beim Volke als die älteste des Montavons gilt, im Aeußern der von St. Martin bei Ludesch ähnlich ist, und im Innern noch sehr alterthümliches Aussehen bewahrt hat. Auch der heilige Theodul ist darin aufgestellt, weil im Silberthale unten einst Walser seßhaft waren. Bald war ich oben auf dem Grate und dort erlaubte ich mir noch einmal umzublicken auf das nachtende Thal und stand staunend da, als ich mir gegenüber die blendend weißen Hörner des Rhätico erblickte, die auf der goldnen Glorie des letzten Abendlichtes in wunderbarer Herrlichkeit emporstiegen, hoch erhaben über alle Berge die man sah. Vor mir aber, und dieß war das Schauerliche, gähnte gerade hinunter ein höllenschwarzer Schlund und drüben ganz nahe drohten breitschultrige finstre Bergwände, viel höher als der Christberg. Aus der Schlucht blinzelte kein Licht herauf, kein weißer Punkt bedeutete ein Häuschen, die Waldvögel hatten ausgesungen und die Abendglocken waren auch schon lange verklungen – es war Alles stille und schwarz wie eine ungeheure Gruft, in der die Lampe ausgelöscht. Ich kam mir sehr einsam vor in meiner Höhe und dachte ziemlich übel von der spröden Montavonerin, die mich mit so schnöden Worten in die größte Gefahr gejagt, gegen Talaas hinunterstürzend, das Genick zu brechen.

In solchen Gedanken setzte ich an und verfolgte sorgsam den jähen Steig, der in unaufhörlichem Zigzag, holperig, schmal und abschüssig zu Thal führte. Je tiefer hinunter, desto finsterer, und als ich schon übersatt der Mühsal, bald „am Land“ zu seyn vermeinte, kam ich auf ein frei vortretendes Wiesplätzchen, und genoß da das wenig tröstende Vergnügen, [113] ins Thal hinab zu sehen, wo die Lichter blitzten und einige weiße Häuser flimmerten, aber noch so tief unten, als hätte ich noch gar nichts gethan und gelitten. Um diese Weile war’s auch gänzliche Nacht geworden und der Pfad kaum mehr zu sehen – und nicht allein daß schier alles Licht vergangen, sondern nun zeigten sich auch Stellen, wo die Wege wirr durcheinander liefen und zusammenkamen und sich zerstreuten, so daß ich auch ein paarmal die Fährte verlor, und es erst gewahrte, als ich an schroffen Klippen stand, wo alle Spur verschwand. Dann galt es den Weg wieder mühsam zurück zu suchen und wieder einen andern zu finden, wobei ich zu wiederholtenmalen an die Montavonerin dachte und zwar immer boshafter. Nun war’s aber bald gewonnen; ich kam aus dem Wald ins enge Thal und hörte wieder Hundebellen und sah nicht mehr ferne erleuchtete Fenster. Der Weg, noch immer steil abwärts führend, wurde etwas leidlicher; aus dem Dunkel stieg ein Bauernhaus, vor dem die Mädchen singend auf der Sommerbank saßen, dann noch ein paar Häuser, und endlich trat ich ganz durchschüttert, mit gebrochenen Knieen, schweißtriefend auf die Landstraße. Das war in der That eine Behaglichkeit des angenehmsten Eindruckes, diese halbe Viertelstunde noch auf ebenem Boden zu gehen, der mir jetzt weicher und bequemer vorkam als indische Teppiche.

In Talaas ist ein Posthaus, das dem wandernden Dulder leckere Forellen und trefflichen Wein bot. Dem Postmeister erzählte ich meine Fahrt vom Christberge herunter, lebhaft wie sie mir noch in allen Gliedern lag, und meinem guten Glauben an die Waglichkeit derselben that es keinen Eintrag, als er mir entgegenhielt, daß der Steig so ärgerlich nicht sey, sintemalen auf demselben auch Vieh getrieben werde, denn ein eingebornes Rindchen kann da am hellen Tage leicht seinen Weg finden, wo ein fremder Mensch in finsterer Nacht den Hals bricht. Doch war er so gefällig zu gestehen, er sey auf diesem Gange bei Nachtzeit auch schon ein paarmal in den Tobel gerathen und nur mit Angst und Noth wieder herausgekommen. Dabei verbot er mir übrigens von dem Priesterhause im innern Berge übel zu denken. Der Curat sey ein besonders lieber Herr, [114] und wenn er daheim gewesen, wäre gewiß Alles anders gegangen. Davon bin ich jetzt auch überzeugt, und später hat sich’s aufgeklärt, daß ich selbst von dem Frauenzimmer sicherlich andern Bescheid erhalten, wenn sie nicht Ein Umstand in Unruhe gesetzt und ihr Gemüth gewaltsam aufgeregt hätte. Damals nämlich hatte ich den Bart vier Wochen lang nicht mehr geschoren und so ein Aeußeres gewonnen, wie es im Montavon nicht gerne gesehen wird. Das Unheimliche und Verdächtige des Bartes allein hatte die Abweisung veranlaßt, was andern zur Lehre dienen mag, diesen unsocialen Zierrath im Gebirge möglichst kurz zu halten.

Von Talaas kommt man im Klosterthale fortgehend nach zwei Stunden ins Klösterle, ein Dörfchen, das diesen Namen angeblich einem geistlichen Hause zu verdanken hat, welches die Johanniter vor alten Zeiten hier gegründet, zunächst zum Besten der Knappen, die da Bergbau trieben, der jetzt ganz aufgegeben ist. Im vorigen Jahrhunderte war dieses Dörfchen manche Jahre lang das Ziel siecher Wallfahrer, die bei dem Pfarrer Johann Joseph Gassner Heil suchten. Dieser war zu Pratz zwischen Talaas und Bludenz geboren und in den Jahren 1758 bis 1774 Pfarrer im Klösterle, wo er die Wundercuren anstellte, die zu damaliger Zeit seinen Namen durch ganz Deutschland trugen. Es ist noch ein achtzigjähriger Greis im Dorfe, der ihm als Knabe ministrirte und sich erinnern will, wie in jenen Tagen oft stundenweit thalein und thalaus ein Wagen am andern stand, alle voll Fremden, die mit dem Mann der Wunder sprechen, sich von ihm heilen lassen, ihn predigen oder seine Messe hören wollten. Die Altäre in der Kirche wurden gestiftet durch die Opfer der Genesenen, der geistliche Arzt selbst nahm nie ein Entgelt. Er war sehr beliebt in seiner Pfarre, und als er endlich vom Regensburger Bischof gerufen, davon zog, boten sie, wiewohl vergeblich, Alles auf um ihn bei sich zu behalten. Er starb 1779 als Decan zu Bondorf in Niederbayern.

Zwei Stunden hinter Talaas liegt Stuben in einer wilden Schlucht am Fuße des Arlberges, der Landmarke zwischen Vorarlberg und Tirol. Die Berge sind unbewaldet, hoch, öde [115] – die Landschaft still und todt. Der Arlberg steigt gählings auf, zu kalter winterlicher Höhe, auf der St. Christoph, das ehemalige Pilgerspital steht, das in frommen Zeiten Heinrich Findelkind gründete, und zwar im Jahre 1386, nachdem am Anfang desselben Jahrhunderts der Weg durch die Grafen von Werdenberg fahrbar gemacht worden war. Die anziehende Urkunde über die Stiftung jenes Spitals ist schon öfter abgedruckt und auch die Statuten und die Geschichte der Bruderschaft sind schon mehreremale, zuletzt in Hormayr’s Chronik von Hohen Schwangau besprochen worden, weßwegen wir hier nicht darauf zurückkommen wollen. Die gegenwärtige Straße besteht seit dem Jahr 1823, breit, sanft ansteigend, kunstvoll gebahnt. Es kostet aber ungemein viel Aufwand sie im Winter schneefrei zu halten, und die anliegenden Dörfchen, sonst arm und dürftig, ziehen daraus zur schlechten Jahreszeit ein gutes Einkommen. Mehr Reiz als der Aufgang von der vorarlbergischen Seite bietet der Absteig nach Tirol durch das wildschöne Stanserthal, der Rosanna entlang, welche bei Landeck in den Inn fällt.

Kehren wir indessen von der traurigen Höhe des Arlberges wieder zurück in die freundliche, lebendige Gegend von Schruns und Tschagguns im Montavon, aus der ich eines Abends fortzog, ein Jahr nach jener Fahrt über den Christberg, die mir deutlich in die Erinnerung trat, als ich jetzt vom Thale aus den äußern Bartholomäusberg mit seiner Kirche auf kornreicher Halde und dann weiter drinnen das bescheidene Gotteshaus des innern Berges und zu fernest hinten und ganz oben die uralte Capelle wieder gewahrte, von deren Höhe aus ich voriges Jahr mit andächtigem Schauer in die Gletscher des Rhätico und hinab in die schwarze Schlucht von Talaas geblickt. Jetzt aber ging ich auf ebenem Weg, über Wiesen und durch lichte Wäldchen, an Aeckern und an Höfen vorbei, die von Kirschbäumen beschattet und von mächtigen Hanffeldern umgeben waren, bis ich lange nach dem Abendglockengeläute St. Gallenkirchen erreichte, an dessen Zugang der Suggedinbach, der aus dem Gargellenthale herab mit fürchterlicher Eile in die Ill fällt, unter den schwanken Brücken durch, übertäubend tost und wüthet, damals besonders, [116] als in dunkler Nacht, seines milchweißen Stromes wegen ein seltsamer Anblick.

Ins Mantavon gerathen wenig Reisende, nur hie und da ein Landmann, der von Landeck nach Bludenz oder umgekehrt den Weg durch Paznaun und über den Zeinis gewählt hat, eine Linie, die wunderlicherweise ziemlich allgemein für kürzer gilt als jene über den Arlberg, obgleich diese Behauptung ein Blick auf die Landkarte siegreich niederschlägt. So fand sich auch im Wirthshause zu St. Gallenkirchen kein andrer Gast außer mir, und selbst die Sonntagstrinker, die den Nachmittag da gewesen seyn mußten, waren alle schon wieder zu Hause. Am Tische saß die Mutter mit dem schwarzen Modius auf dem Haupte und las im Evangelium, die Tochter spann; – Sohn und Knecht lagen im Halbdunkel auf der Ofenbank. Der Vater war noch nicht daheim, kam aber bald darauf von einer Hochzeit zurück, fröhlichen Muthes und eines leichten Räuschchens habhaft. Er hatte sein Vergnügen an dem fremden Gaste und kam gleich mit aufgeweckten Reden zu mir heran, zur großen Beklommenheit seines Hauswesens, das diese Zutraulichkeit als respectwidrig erachtete und den aufgeräumten Hausherrn jetzt wie später durch ein allseitiges Pst, Pst in die rechte Bahn zu lenken bestrebt war. Mein Wirth aber zeigte sich als eine tüchtige Persönlichkeit, die nicht außer Fassung zu bringen war, um so weniger, da ich schnurstracks zu erkennen gab, daß ich nicht so verletzbar sey, als die andern meinten. Uebrigens war er ein hochgewachsener Mann in seinen besten Jahren und hatte ein kluges Gesicht mit einer römischen Nase. Auch sprach er gut und richtig über alles was er behandelte, und dieß war gerade nicht wenig, denn wir hatten bis gegen Mitternacht Zeit genug eine Menge wichtiger Fragen zu erörtern. Wir bewegten uns zunächst in unsrer Zeit und besprachen unbefangen und mit Liebe den Zollverein, die türkischen Zustände, die spanischen Wirren, die drohende Macht der Moskowiter und die Zukunft Deutschlands. In letzterer Beziehung war auch unsre Meinung, es sey das Beste zusammenzuhalten gegen Franzosen und Russen, und ich glaube sogar, wir haben zuletzt der deutschen [117] Einigkeit eine Gesundheit getrunken. Wie dem auch sey, wir schliefen gut und erwachten des andern Tages in angenehmer Laune, nur der Wirth mit einem leichten Kopfweh, worüber er lächelnd bemerkte: das kommt von dem zu vielen Politisiren.

In der Frühe, als ich freundlich beschienen von der Morgensonne auf dem Montavoner Sträßchen dahinwandelte, fand ich eine Jungfrau, desselben Weges, die mir nach der Landessitte ein Gelobt sey Jesus Christus zum Gruße bot, worauf ich ihr: in Ewigkeit Amen zurückgab. Uebrigens schenkte mir das Mädchen auch sonst einige Ansprache und wir kamen von jenem frommen Beginn bald in weltliches Geplauder. Sie erzählte, daß sie in ungeheurer Ferne einen Bruder habe, wollte mir aber zuerst den Namen seines Aufenthaltortes nicht mittheilen, weil ich doch nicht wissen werde wo der sey; endlich aber nannte sie Astrachan in Rußland. Dort lebe und wirke er als Zuckerbäckermeister, schreibe alle Jahre einmal nach Hause und schicke auch zuweilen etwas Geld, da es ihm daselbst sehr gut ergehe.

An dieß Mädchen läßt sich die Bemerkung knüpfen, daß die Montavonerinnen im Schnitt des Gewandes von den Frauen der beiden Walserthäler wenig abweichen und daß sie gerne rothe Röcke und rothe Strümpfe tragen, wie die Weiber im innern Walserthale und bei den Sylviern, wie ehemals die Frauen in ganz Bünden, wo diese Farbe zuletzt im Unterengadein noch gesehen wurde – eine Farbe, die vielleicht mit der Nationalität selbst zusammenhängt und den romanschen Weibern insgesammt, diesseits wie jenseits des Rhätico, eigen war und welche dann wohl erst von ihnen auf die Frauen der Walliser überging. Auf dem Kopfe trägt das andere Geschlecht im Montavon einen Hut von Filz, der aussieht wie ein Männerhut ohne Krempe oder noch besser, wie die Mütze eines griechischen Pappas. Diese Dinger heißen Mäßlen und können den ganzen Haarwuchs aufnehmen und verbergen, wenn das Weibsen nicht vorzieht die langen Zöpfe hinten hinunter hängen zu lassen, was ziemlich oft zu sehen ist. Diese Mäßlen scheinen zu ihrer Zeit über ganz Vorarlberg, Paznaun und Lechthal verbreitet gewesen zu seyn, denn früher wurden auch, [118] wie wir an seinem Orte bereits erwähnt, die Mädchen von Pfafflar im Gebirge zwischen dem Lech- und Innthal auf Trachtenbildern mit demselben Modius auf dem Haupte dargestellt.

Ferner mahnt uns der Bruder des Mädchens, der jetzt in Astrachan Pasteten bäckt, an die Wanderlust der Montavoner, die im Sommer fast ein Drittel der Thalbewohner in die Fremde führt, worunter aber nicht allein solche sind die die Armuth forttreibt, sondern auch ganz wohlhabende Leute, die es eben daheim nicht verleiden, wenn die andern im Frühling thalauswärts ziehen. Die Männer gehen in mehrerlei Gestalten ins Ausland, nämlich als Sensenhändler, als Krautschneider, als Maurer. Wer da noch ledig ist, dem tragt sein Lieb das Ränzel geleitend bis an die Gränze und er selbst trägt auf dem Hut einen künstlichen Blumenstrauß, den es ihm verehrt und den er heimkehrend wieder aufsteckt. Die Jungen ziehen, wenn sie noch zarten Alters sind, unter dem Schutze eines der Väter, wenn sie älter geworden, allein auf die großen Verdingstätten nach Ravensburg und Leutkirch in Württemberg oder nach andern Orten jener Gegenden, wo von Lichtmeß an von den Bauern weitumher die Hirtenbuben eingedungen werden und zwar je für eine Sommerszeit, so daß sie im Spätherbst mit ihrer Errungenschaft wieder ins Heimaththal zurückpilgern können. Heutzutage sind diese Kinderkarawanen im Abnehmen, weil der Verdienst in den Fabriken näher liegt, aber vor vierzig Jahren wanderten die Oberländer Buben alljährlich in zahlreichen Haufen mit ihren Vätern, z. B. nach Ravensburg, in die freie Reichsstadt, und zwar alsbald nachdem der Schnee geschmolzen. Jeder Knabe war mit einem Kühhorn und einem Bündel behängt, in welchem er grünen Käse und Haberbrod, seine Reisezehrung, trug. Die Reichsstädtler hatten sie lieb als ihre Frühlingsboten, und wenn einmal die Oberländer zum Thore hereinzogen, so wollten die Mädchen schon die Winterjacken nicht mehr anziehen. Dann stellten sich die Knaben vor dem Löwen und der Krone, den zwei Wirthshäusern, welchen das Oberland von uralten Zeiten her sein Zutrauen geschenkt hatte, jede Genossenschaft in einen Kreis, der Dinge gewärtig. Nun schlenderten auch die Unterländer [119] Bauern daher und betrachteten sich den Markt. Hatte einer der Landwirthe einen der Alpenjungen ins Auge gefaßt, so musterte er ihn von Kopf zu Füßen und that etliche Fragen an ihn, um seinen Verstand und seinen Humor zu prüfen. Konnte sich der Knabe durch seine Antworten über beides genügend ausweisen, so fragte der Bauer: was kostet der Bue? Wurde man Handels eins, so ging man nach unverbrüchlichem Herkommen in eines der genannten Wirthshäuser, wo der jetzige Dienstherr den neuen Knecht mit Stockfisch und Sauerkraut tractiren mußte. Es soll überraschend gewesen seyn, wie das Oberland dazumal im Unterland Bescheid wußte. Die Knaben waren alle schon vorher genau unterrichtet, welches ein guter Hof und welches ein schlechter Dienst sey, und einem quälerischen Bauern, der einmal im Oberlande verschrieen war, soll es oft trotz aller Mühe nicht geglückt seyn, sich einen Jungen einzustellen. Auch die Mädchen haben sich für ihre zarten Hände einen geeigneten Erwerb ausersehen, nämlich das Aehrenlesen. Da gehen sie zur Zeit der Ernte nach Schwaben hinaus, bringen den Tag auf den Feldern, die Nacht in den Heustädeln zu, lassen die gesammelten Aehren bei den Müllern mahlen und füllen das Mehl in Säcke, die sie zu diesem Zwecke mit sich bringen. Ist die Erntezeit vorüber, so sammeln sich die Jungfrauen wieder alle zu Leutkirch, miethen mehrere große Leiterwagen und fahren singend zurück ins Montavon, welches daher zu dieser Zeit um manchen Sack weißen Mehls sich reicher befindet, vielleicht aber auch um manche Jungfräulichkeit die dafür draußen geblieben, ärmer.

Etwas mühseliger macht sich den Verdienst eine andere Mädchenschaar, die zum Kornschneiden ausgeht. Auch diese nehmen ihren Lohn in Korn und fahren dann mit den Aehrenleserinnen heim. Eine gute Anzahl bleibt indeß den Winter über weg und sitzt in den stillen Bauernhöfen des Allgaus am Spinnrad. Dieses nehmen sie ebenfalls schon aus dem Montavon mit sich, um gleich überall mit vollem Werkzeug einstehen zu können. So ist denn der Montavoner unter den wanderlustigen Vorarlbergern der wanderlustigste, und von [120] den 9000 Einwohnern des Thales gehen alle Jahre durchschnittlich 2500 in die Fremde.

Und so ging es denn in der kühlen Morgensonne das Montavon entlang von St. Gallenkirchen nach Gurtibohl, von Gurtibohl nach Gaschura, von Gaschura nach Partenna, immer durch Getreidefelder, durch fette Wiesen, durch Haine von Obstbäumen, welche sich süßen Most und Kirschenbranntwein abgewinnen lassen. Das Thal bleibt allenthalben freundlich, fruchtbar, voll Abwechslung in kleinen Bildern. Rauschende Bergwässer hallen durch die stille Gegend, die von vielen Menschen bewohnt scheint. Die hölzernen Häuser stehen in kleinen Zwischenräumen an einander am Wege, auf den Wiesen zerstreut, an den Halden hinauf. Darunter möchte zwar bei näherem Einsehen manche unbewohnte Scheune zu finden seyn – allein auch so tragen sie bei dem ganzen Gelände das Ansehen eines fortlaufenden Dorfes zu geben. Von Zeit zu Zeit taucht ein Kirchthurm über den Kirschbäumen auf; die Berge sind unten mit Laubholz besäumt und steigen nicht sehr weit in Höhe, kaum bis zum Aufhören des Baumwuchses. Schrofen sind auch wenige zu sehen und die Schauer der Bergwelt treten nirgends nahe heran. Mit einem Worte, das Montavon ist ein schönes, mildes Alpenthal, wohl das mildeste und wärmste im Vorarlberg; Hanf, Gerste und Erdäpfel ist der meiste Feldwachs.

Sonstiger Merkwürdigkeiten schien uns der Weg von Tschagguns bis Partenna ganz baar und ledig zu seyn und wir finden auch in andern Büchern nichts darüber aufgezeichnet. In dieser Noth und Armuth ist vielleicht der Leser, gleich dem Pilger, den auf dürrer Haide auch ein Gänseblümchen erquickt, eher geneigt die unerhebliche Nachricht zu genehmigen, daß wir in Gaschura in die Kirche traten und dort unter der Kanzel, gewißermaßen als Träger derselben, den Wallfisch, das silberschuppige weit rachige Meerungeheuer, erblickten, das so eben den Propheten Jonas zu Tage fördert. Der Prophet scheint ein lebensfrohes Gesicht zu machen, was nicht überraschen kann, hält aber in der Hand hoch empor einen rothgesiegelten Brief, und gerade dieser Brief kam mir sehr [121] räthselhaft vor. Ist darin das Tagebuch des hebräischen Touristen, das der Vielgeprüpfte im Bauche des Haien zusammengestellt und das er nun sich freut der Oeffentlichkeit übergeben zu können – ist er also hier in derselben Lage, wie Camoens, als er schwimmend seine Lusiaden rettete? oder was hat die Depesche zu besagen? Immerhin scheint der Brief in der Symbolik der bäuerlichen Kirchenmaler seine tiefere Bedeutung zu haben. Auch in der Capelle unter der Westeck zu Riezlern sieht man auf einer Votivtafel einen Herrn aus dem vorigen Jahrhundert mit einem ehrwürdigen Haarbeutel und sorgenvollen Angesichte, der auf einem Betstuhle kniet und der heiligen Jungfrau Maria, die ober ihm in den Wolken schwebt, ein versiegeltes Schreiben hinaufreicht, und es scheint als strecke sie die Hand aus, um dasselbe gnädig entgegenzunehmen. Derlei Darstellungen findet man auch noch hie und da an andern Orten, aber sie sind alle aus älteren Zeiten, und in unsern Tagen scheint selbst die Tradition verloren zu seyn, was die gestorbenen Leute mit dem Briefe gewollt. Eine Aeußerung hörten wir zwar, die uns als verbürgte Erklärung mitgetheilt wurde, und die darauf hinausging, der Brief bedeute einen Proceß und die Insinuation desselben an die Himmelskönigin geschehe, um sie gewißermassen ad litem zu citiren. Diese Deutung mag, abgesehen von dem Briefe des Propheten Jonas in Gaschura, das Richtige seyn, aber warum werden jetzt keine solchen Briefe mehr gemalt und keine Männer dazu, die sie in den Himmel hinaufreichen? Die Verbesserung der Rechtspflege mag hierin allerdings nicht ohne Einfluß seyn, aber das gänzliche Verschwinden solcher Votivtafeln ist eine übertriebene Schmeichelei für die Gerichte; denn gibt es nicht auch jetzt noch allenthalben Rechtsspender so barsch und grob, daß der arme Bauer viel besser thut der lieben Jungfrau Maria in der Kirche mit einem Hundert Vaterunser beschwerlich zu fallen, als dem Herrn Actuar in der Kanzlei mit zehn Worten! Nur von einer ähnlichen Verlobung aus diesem Jahrhundert hab’ ich noch gehört, nämlich von einem Bauern, der 1817 auf dem Schmuggel von den Gendarmen ertappt wurde, aber durch Anrufung der Mutter Gottes beim Gerichte [122] gnädig davon kam und sich nachher ebenfalls in einer Kirche des Walserthales mit dem verhängnißvollen Packe auf dem Rücken darstellen ließ.

Partenna ist das letzte Dörfchen im Montavon und auch das armseligste. Das Sträßchen, das bis hierher geleitet, versiegt in den Wiesen, das Thal ist hier zu Ende, zu Ende auch die milde Anmuth, die Gerstenfelder und die Obstbäume. Der zackige Zeinis steigt grün und schwarz empor und blickt sehr ernst herab – rechts steht Trumenier, links Tafamont, beides ansehnliche Höhen. Alle drei zusammen bilden die Sackgasse, in welche die Thalsohle ausläuft – Trumenier, tru de miniera, zu Deutsch der Weg des Bergwerks, erinnert aber auch noch an den ehemaligen, nun versiegten Bergsegen im Montavon, das vordem außer den Silbergruben im Silberthale auch noch acht Schmelzöfen zur Verarbeitung des hier gegrabenen Eisenerzes zählte. Die Ill, die von Partenna bis Bludenz fast in gerader Linie läuft, kommt etwas hinter dem Dorfe aus einem schrägen Seitenthale heraus, ein schreiender Bach, der jetzt erst anfängt seine Zuflüsse zu sammeln und sich zu stärken. Die Luft ist kälter, reiner, alpenmäßiger – sie mahnt an die Gletscher, die nun auf keinen Fall mehr ferne seyn können, wenn auch auf den Häuptern des Zeinis nur etliche schmale Schneestreifen liegen.

Als ich nun so enthalb Partenna auf dem Wiesenpfade stand und den Zeinis betrachtete, an dem ich jetzt hinaufklettern sollte, daher auch ganz scharf an seinen Halden hinlugte, um mir den Weg von unten auf vorzuzeichnen – er schien dabei allerwege ein beträchtliches Joch und die Freude an seinem Rücken hinanzuklimmen war nicht halb so groß, als die Sehnsucht nach dem Alpenwirthshaus, das auf seinem Haupte zu finden seyn sollte – als ich so meinen Betrachtungen nachhing, nahte sich ein Bäuerlein, fragte freundlich, woher ich sey, und als wir mit Red’ und Antwort immer tiefer ins Gespräch gerathen, meinte er, für solch einen Herrn, wie ich einer – ich hatte nämlich seine Frage, ob ich die Berge zeichne, mit Ja beantwortet – für einen solchen Menschen wär’ es ganz unerläßlich, in Vermunt hineinzugehen und nicht über Zeinis. Vermunt [123] heißt aber das gabelförmige Hochthal, aus dessen einer Zinke, wie bemerkt, die Ill herausströmt, während die andere, die das Felsenbett der jungen Trisanna bildet, gegen Paznaun sich öffnet. Aeltere Landkarten und Geographen versetzen in dieses Höhenrevier, wie uns die zu St. Gallen und Bern 1838 erschienene Schilderung des Kantons Graubünden belehrt (S. 140) die „nie bestiegene oder gemessene“ Pyramide des Vermunt, dessen krystallinisches Gestein und eisenartiges Aussehen dem Centralstock den Namen Fermont (mons ferreus) sollen erworben haben. „Sonderbar, sagt die Schilderung, daß uns überall der Name Fermunt und Vermond in jener Gebirgsregion entgegentritt, ohne sich an ein Gebirgsindividuum anzuschließen, das von jeher unter dem Eigennamen Fermunt daselbst gesucht wurde.“ Dieser abgelegene Winkel scheint also von den Geographen in Gedanken schon oft begangen worden zu seyn, hatte daher auch für den damaligen Pilger etwas geheimnißvoll Lockendes, und dahinein, meinte das Bäuerlein, sey es zwar fast noch einmal so weit als über Zeinis, aber viel besser zu gehen, und wenn man erst hinten sey, so gebe es Schneefelder, Gletscher, Eisberge in Menge und nach Wahl.

Dadurch ward ich gewonnen. Ich nahm den beredten Schilderer als Führer an und um zwei Zwanziger versprach er mitzugehen bis Galthür im Paznaun.

Ehe wir wanderten, mußte aber des Bauern Söhnlein in das Dorf springen und in einem Sack Käse und Haberbrod holen, das als Mittagessen für den Vater und als Stärkung auf der Reise dienen sollte. Diese Frist warteten wir auf den Blöcken der Sägmühle ab, die die Partenner Fichten zu Brettern schneidet.

Wir wollen indeß die Rast auch dazu benützen, um über das jetzt durchwanderte Thal noch einige Worte hier niederzulegen.

Was vorerst den Namen desselben betrifft, so hat sich dieser schon verschiedenen Deutungen ausgesetzt gesehen. In älterer Zeit dachte man an Fon Fonius, einen angeblich keltischen Kriegsgott, dessen Name auf Denksteinen bei Aquileja gefunden worden, oder an Monte und Fontana. Bergmann [124] erinnert an das bündnerische Davos (de a post), das „hintere Land“ und hält Montavon für Mont d’avos, der hintere Berg. Damit scheint allerdings der richtige Weg angedeutet, aber nicht das rechte Ziel gefunden, denn wenn jenes die Entstehung des Namens wäre, so würde er wohl Montavos lauten, während für ein Montavon doch Mont d’ avont (de ab ante), der vordere Berg, weit näher liegt. Es mag dieß der ehemalige Name eines der am Eingange des Thales gelegenen Gebirge, vielleicht gerade des „vordern Bartholomäusberges“ seyn, der dann auf das ganze Thal übertragen wurde.

Immerhin scheint jene Ableitung so begründet, daß wir statt des gewöhnlichen Montafon, Muntafun mit Bergmann Montavon geschrieben haben, obgleich die gesammte deutsche Schreibung rhätoromanischer Localnamen so im Argen liegt, daß es sich kaum lohnt im Einzelnen Verbesserungen vorzunehmen.

Die Montavoner verdienen auch deßwegen einige Aufmerksamkeit, weil sie in Vorarlberg wahrscheinlich die letzten waren welche die deutsche Sprache angenommen haben. Es ist schon einmal erwähnt worden, daß Guler von Winegg noch am Ende des 16ten Jahrhunderts im Wallgau Leute gekannt habe, welche grob rhätisch, d. h. romanisch sprechen konnten. Bedenkt man nun, daß im Wallgau die Städte Bludenz und Feldkirch, die mancherlei deutschen Ritterschlösser, der große Verkehr über den Arlberg eingewirkt haben und so unsre Sprache bei weitem mehr begünstigt war als im abgeschlossenen Montavon, so wird man wohl auf die Annahme geführt, daß in dieser Berggegend das Romanische um ein Gutes länger gedauert haben möchte, als draußen in der vieldurchzogenen Thalebene. Uebrigens bewahrt das Ferdinandeum zu Innsbruck ein handschriftliches Exemplar der alten Landesordnung des Montavons, wie sie am Schlusse des sechzehnten Jahrhunderts von Hector von Ramschwag, dem österreichischen Vogt zu Bludenz und Sonnenberg revidirt, erläutert und ergänzt worden, in welcher freilich, von den Geschlechtsnamen abgesehen, sich kaum eine Spur entdecken läßt, daß die Landschaft, wie doch wahrscheinlich, damals noch romanisch [125] gesprochen habe, so sehr ist die ganze rechtliche Geschäftssprache auf das Deutsche gestellt. Indessen hat man dabei zu bedenken, daß viele Bezirke in Tirol und Vorarlberg und in Graubünden Jahrhunderte lang zweisprachig gewesen, wie es z. B. die Thäler von Gröden und Enneberg noch sind, und daß in allen diesen das Deutsche allein als Schriftsprache galt, sohin auch alle Verhältnisse, die der Schrift anvertraut zu werden pflegten, sich in deutsche Ausdrücke gehüllt hatten. So würde man, wenn etwa das Gedächtniß untergehen könnte, daß in Gröden ladinisch gesprochen wird, in etlichen Jahrhunderten aus den Archiven des k. k. Landgerichts Castelrutt wohl ebenfalls nur sehr zweifelhafte Anzeichen dieses Zustandes ziehen können, wie denn auch die tirolischen Urkunden des Mittelalters nur selten durch deutliche Angaben die Muttersprache derer bezeichnen, die sie ausfertigen ließen oder als Zeugen unterzeichneten. Ein Beweis dafür sind insbesondere ältere Urkunden aus den besagten Thälern von Gröden und Enneberg. Die zahlreichen romanischen Familien-, Hof- und Flurnamen, die sich im Montavon, wie überhaupt im drusianischen Capitel finden, bezeugen natürlich nur die ehemalige Herrschaft jener Sprache, nicht aber wie lange sie gedauert habe.

Gleichwohl dürfen wir nicht vergessen, daß im Montavon, im Silberthale nämlich, sowie in dem anstoßenden tirolischen Paznaun auch walserische, also rein deutsche Niederlassungen erwähnt werden, deren Ursprung wie der der übrigen ins 13te und 14te Jahrhundert fällt. Indessen findet sich eine Andeutung, daß schon früher einzelne Alemannen in dem Thale Sitze genommen. Es gibt nämlich ein uraltes Verzeichniß der sämmtlichen Einkünfte, Nutzungen und Gerechtigkeiten des Hochstiftes Chur, welches Freiherr v. Hormayr im zweiten Bande seiner sämmtlichen Werke S. XXIX und folgende hat abdrucken lassen und das von mehreren ins 10te Jahrhundert gesetzt wird. Dieses Verzeichniß erwähnt auch das Ministerium quod dicitur ferraires – eine Bezeichnung, die von späterer Hand auf das „Isenwerk in Muntafun, im Wallgöw" bezogen wird, mit dem Beisatze, daß jeder Mann, [126] der dort auf Eisen arbeite, den sechsten Theil als Steuer zu geben habe, extra Wanzaningam genealogiam, außer der Familie der Wanzaninger. Der deutsche Name läßt auf deutsche Abkunft schließen, denn dieses Verzeichniß, wie es in vieler Beziehung lehrreich ist, thut auch dar, daß damals die romanischen Landleute sich von den deutschen noch durch ihre lateinischen Taufnamen strenge abzeichneten. Wir finden daher in Rötis einen Valerius, Saturnus neben einem Hubertus, in Gözis einen Arnolfus neben einem Silvanus und Vigilius, in Frastenz einen Thietbertus und Onolfus neben den romanischen Bauern Florentius und Ursicinus. In Thüringen sitzt ein Eggehardus, in Sateins ein Muotolf, in Göfis ein Berchar, der Jäger, und ein Fontejanus. Sohin dürfen wir auch die Wanzaninga genealogia für ein deutsches Hauswesen ansehen, das sich etwa des Bergbaues wegen bis an die Quellen der Ill verlaufen hat. Vielleicht sind die Nachkommen dieser Leute noch zu unsern Zeiten unter den Lebenden und im Vorarlberg zu finden; sie würden jetzt wohl Wenzinger heißen.

Die Montavoner können im Aeußern ihre undeutschen Ahnen oder mindestens ihr gekreuztes Blut weniger verläugnen, als die übrigen Vorarlberger des drusianischen Capitels. Insbesondere ist das Aussehen der Weiber ziemlich fremdartig, wie es denn überhaupt die Aufgabe des andern Geschlechtes scheint, wie in der Tracht und in der Sprache, so auch in der Körperbildung die nationalen Kennzeichen treuer zu bewahren. Zwischen einer blühenden Alpenmaid deutschen Stammes und einer andern aus dem Montavon ist in der That ein merklicher Unterschied. Jene erfreut sich einer sehr weißen Hautfarbe, auf welcher dann das Roth der Wangen oft desto abstechender hervortritt; die Montavonerinnen sind dagegen durchweg tiefer gefärbt, zeigen ein stärkeres Incarnat. Dabei sind sie mittlerer Größe, fleischig, mit guter Anlage zum Embonpoint begabt. Große leuchtende Augen, volle hochgefärbte Lippen müssen auch als Merkzeichen angegeben werden. Die Haare sind nicht nothwendig dunkel, sondern sehr oft auch blond. Der ganze Typus hat auffallende Aehnlichkeit mit dem, was man auf dem Rodenegger Berg bei Brixen, in Gröden und Enneberg, [127] auch wohl in Fassa von weiblicher Schönheit sieht. Wie einerseits vom deutschen, so unterscheidet sich dieser Habitus andrerseits von dem mehr oder minder reinen italienischen, wie er auf dem Nonsberge, in der Lombardei und weiter hinab erscheint. Darum möchte vielleicht in diesen Körperformen eher als romanisch-deutsche Mischung eine Hinterlassenschaft der Urbewohner, der alten Rhätier, gefunden werden dürfen. Wir wollen uns indessen auf einem so unsichern Boden nicht lange aufhalten, sehen aber eine Entschuldigung für diese physiognomische Hypothese darin, daß man in neuern Schriften sogar schon versucht hat, in Tirol nicht allein die drei Elemente, die wir annehmen, das rhätische, romanische und deutsche, sondern auch ein viertes, das keltische, nach der Körpergestalt der Bewohner auszuscheiden. – –

Als nun des Bauern Söhnlein mit dem Proviante aus dem Dorfe zurückgekommen war, zogen wir ungesäumt unsers Wegs. Der Pfad führt aufwärts, zum Theil erträglich, zum Theil steigt er über Wurzelknorren und Felstrümmer jäh und beschwerlich in die Höhe. Die Ill tost neben dem Wege und macht manchen schönen Fall. Die Landschaft ist eng und bietet nichts Anziehendes, als eine etwas einförmige Wildheit. Weiter oben geht man über ein ausgetrocknetes Seebett, das jetzt eine Alm geworden, durch welche die Ill ganz harmlos dahinfließt. Drüben stand eine Sennhütte mit leuchtenden Fenstern – wir gingen vorüber.

Wir brauchten gute drei Stunden bis zur Galthütte auf der Bieler Höhe, die ungefähr auf der Gränze steht zwischen Vorarlberg und Tirol. An der Galthütte war auch so ziemlich Alles zu sehen, was Vermunt aufzuweisen hat. Es lag da ein weite Runde von beschneiten Bergkuppen herum, die jedoch keinen großartigen Eindruck machten. Es scheint nicht an Gletschern zu fehlen, aber sie gehen nicht ins Thal herunter und verlaufen an den Höhen hin unmalerisch ineinander. Auch waren sie nicht ausgeabert und die Schneedecke gestattete keine nähere Würdigung ihrer Schönheiten. Wer nicht der feierlichen Oede wegen hierher zieht, wird sich nicht besonders freuen können.

[128]

Wir kehrten in der Galthütte zu. Unter einer Galthütte versteht man die Herberge der Hirten, die das Galtvieh hüten, und Galtvieh nennt man alles Vieh, das keinen Milchnutzen abwirft. Auf einer Galthütte ist daher gewöhnlich nur dürftige Erquickung zu haben: etwas Brod und Käse, was aus dem Thale heraufgeschafft wird, keine Butter, Milch nur allenfalls so viel als sich die Hirten abgespart, denn meistentheils erhalten sie bloß eine Kuh mit für ihren Leibbedarf. Der Zweck der Galthütte fordert wenig innere Einrichtung – ein paar Schlafstätten und eine Feuerstelle, ein Herd fast dem Boden gleich und ein paar rohe Bänke daran, ist alles was man braucht – keine Käsekessel, keine Milchgeschirre, keine Rührkübel – nichts von dem reichen Apparate der Sennhütten.

In der Galthütte saßen zwei Partenner; der eine ältere, ein gutgekleideter Mann, hatte sich nur auf etliche Tage zum Besuche eingefunden, der jüngere war ein ächter Hirte. Beide schmauchten, wortkarg, mißmuthig – gestern hatte es geschneit und mehrere Tag lang hatte es geregnet, das Futter war schlecht, das Vieh hatte Noth sich zu nähren. Schlechtes Wetter in den Bergen verleiht den Aelplern genau dieselbe Laune, wie Windstille auf der See den Matrosen. Doch gewann der ältere der Schmaucher nach und nach so viel Geistesfrische, um sich scheltend über den bösen Sommer zu beklagen, der jüngere stierte aber fortwährend stumm und trübe in das Feuer. Weit über dem Bache drüben sah man einen andern Jungen seine Ziegenheerde über ein Schneefeld treiben, wozu er ein Berglied sang, das fast schwermüthig herüberklang. – Im Rauche der Galthütte hing ein ausgebälgtes Murmelthier, das der eine vor etlichen Tagen erlegt; aus dem Pelz eines andern hatte er sich eine schmucke Mütze machen lassen. Zu essen fand sich nichts, die Milch war ausgegangen. Der Führer gab mir etwas von seinem Käse; dazu holte er eisiges Wasser von der nahen Quelle. Nach dieser kargen Labung pilgerten wir ohne langen Abschied wieder fort.

Wer auf der Galthütte steht, hat zwei Stunden, er mag ins Montavon nach Partenna reisen oder ins Paznaun nach [129] Galthür. Wer aber von Partenna aufwärts wandert, hat, wie wir schon angegeben, über drei Stunden, vielleicht gegen vier zu gehen, denn der Weg steigt beständig in die Höhe und ist stellenweise sehr steil; nach Galthür hinab dagegen führt ein ebener Pfad d. h. was man im Gebirge eben nennt, ohne jähe Steige, in sanfter Senkung. Daraus kann man abnehmen, daß Galthür beträchtlich höher liegt als Partenna, und es ist nicht zu verwundern, daß es um letzteren Ort noch Obstbäume gibt, während der hintere Theil des Paznauns nur Wieswachs hat.

Nicht weit von der Galthütte, schon auf tirolischem Boden, öffnet sich zur rechten Hand in der Tiefe ein Thal, das im hintersten Winkel an Gletschern und Schneefeldern seinen Anfang nimmt, dann aber fächerartig zu geräumiger Weite sich ausdehnt. Die flache Sohle des Thales ist breiter Gries, daneben ein grüner Streifen Alpenweide. Im Gries rinnt die Trisanna heraus, die durch das Paznaun hinunterströmt und bei Landeck, vorher schon mit der Rosanna vereint, in den Inn fällt; ganz hinten aber in der Ecke der Eisberge, sagte der Mann von Partenna, finden sich eingestürzte Mauern und Gewölbe eines steinernen Wirthshauses, das einige der ältesten Männer der Gegend noch aufrecht stehend und ganz unversehrt gekannt haben wollen. Dieß Gebäude soll vor langen Zeiten von den Engadeinern erbaut und in seiner Umgebung, am 14 September, der große Viehmarkt gehalten worden seyn, welcher später nach Tirano im Vältelin verlegt worden – ein Beisatz, der etwas räthselhaft klingt. Auch wollen etliche noch eine Jahrzahl auf der Mauer lesen, und so viel sey ganz gewiß, daß man vor etlichen Jahren dort Wagenschienen gefunden. Ehedem sey da überhaupt, was wohl zu glauben, ein gangbarer und vielbetretener Paß ins Engadein gewesen und die Ferner hätten sich erst später geschlossen.

Die Trisanna fließt nach Galthür, dem ersten Dorfe von Paznaun, hinaus durch ein ödes Thal, das ganz spitz zulaüft und in seiner Tiefe nur für den Bach und den schmalen Fußpfad Raum läßt. Zweimal jedoch dehnt sich der Bach in einen weiten Wasserspiegel und bildet so zwei seichte Seen. [130] In einem derselben liegen mehrere Inseln; alle kahl, bis auf eine, die mit einem krausen Schopfe von Alpenrosen überwachsen ist. Einsame Landschaft – keine Menschen und keine Thiere, kein Laut, als das Fluthen des Sees. Auf dem Wege kamen wir auch wieder an dem Zeinis vorüber, dessen Ansteigung hier sehr mählig ist, während es von der Montavoner Seite so steil in die Höhe geht; oben wandert man lange Zeit eben fort. Die Montavoner und Paznauner schmeicheln sich, seitdem vor zwei Jahren der Landesgouverneur durch ihre Thäler und über den Zeinis gepilgert, es werde seinen Spuren bald die Verbindungsstraße zwischen Tirol und Vorarlberg nachfolgen, der Arlberg aufgegeben und der Heerweg über den Zeinis gelegt werden – einmal, meinen sie, schon wegen der Nähe, von der sie nicht ablassen, obgleich sie, wie oben behauptet, Unrecht haben, und dann sey Zeinis weit niedrer als der Arlberg, viel früher „aber" als dieser und ein viel milderes Bergjoch, daher auch eine Straße wohlfeiler zu pflegen.

Galthür, das 5039 Wiener Fuß über dem Meere liegt, und Vend im Oetzthale, wohin wir auch noch kommen, sollen die beiden höchstgelegenen Dörfer in Tirol seyn. Ersteres steht in einsamer Gegend, die noch kein Getreide, ja kaum einen Baum aufkommen läßt, aber schöne Wiesen darbietet. Die Häuser sind zum Theil von Stein, an der Wetterseite und auf dem Dache mit Brettern bekleidet. Die Gegend haben wir einsam genannt und sie ist’s auch – einsam und voll tiefer Ruhe. Die Berggestalten sind fast mild und freundlich, wenigstens nicht drohend, weil man nur den ersten Anlauf der Höhen gewahrt und nicht die gewaltigen Fernerjöcher, die dahinter liegen, nicht den Lareiner, den Fetschiel, den Fimba und den Jamthaler, über welche die bösen Wege in Graubünden führen. So sieht die kleine Thalfläche mit den zerstreuten Häuschen und den grünen Halbhöhen recht idyllisch aus; wenn zwischen den Wiesen mehr Bäume stünden, könnte man glauben, man sey schon draußen in den Vorbergen, im Allgäu, in der Gegend von Tegernsee oder Miesbach. Gegenüber der Landkarte ist diese Einfachheit fast [131] eine Enttäuschung. Schon um Innsbruck stehen ja die erhabensten Bergfirsten, im Oberinnthal bei Imst, bei Landeck fließt der Strom immer in gigantischem Gebirge; gegen das Stanserthal hin steigern sich die Eindrücke, und doch ist’s noch eine Tagreise bis in den innersten Winkel von Paznaun, um welchen die Mappierer einen blauen Reif von Eisbergen gemalt haben. Geht nun das Wesen in zunehmender Progression so fort, so müssen dahinten, wie man sich leichtlich einbildet, die rhätischen Chimborassos stehen mit ihren nickenden Kuppen, und Niagarafälle stürzen durch den Urwald und die Gletscher steigen unaufhaltsam hernieder und schauen bis in die Kellerlöcher der Alpenhäuser. Es hat aber hier und auch gar häufig anderswo gerade das umgekehrte Aussehen. In den Tiefen des Hochgebirges liegen nicht selten ganz prunklose Alpenthäler und die kolossalste Landschaft, die prächtigsten Staffeleibilder finden sich dafür an der Poststraße. Wo die Krone schauerlicher Erhabenheit, das Letzte und Unübertrefflichste wilder Schönheit erwartet wird, da thut sich ein grüner Wiesenplan auf mit einem stillen Alpendörfchen in der scheinbar mildesten Umgebung. Etwas anderes ist’s freilich, wenn man in dieser abgelegenen Welt auf die Höhen klimmt. Dann kommt allerdings bald der Gletscherkranz zum Auftauchen, und wenn man unten in der geräumigen Wiese, das Dörfchen vor Augen, sich denkt: das ist die Gegend von Galthür und weiter gehört nichts dazu, so sieht man oben erst die breiten Berghänge, die weiten Almen, die langen Wälder, die schrecklichen Schrofen, die ungeheuern Schneefelder und die meilenlangen Ferner. Blickt man dann hinunter in die Au, auf die farbigen Häuserpünktchen und den dünnen Wasserfaden, dann scheint das ganze Thälchen nicht viel mehr als ein bemooster Spalt im Gestein oder ein grünbewachsener Riß im Felsen.

Von Galthür bis Ischgl, dem Hauptorte des Thales, ist nicht viel zu sehen. Die Landschaft behält die gleiche Einfalt und Schmucklosigkeit, die sehr auffallend absticht von der bunten, wechselreichen Fülle des Montavons. Die Trisanna fließt fast schnurgerade dahin, und so sieht man weit entlang an den Bergen, wie an einer pfeilrechten Zierallee. Die [132] Halden fallen alle in gleicher rascher Senkung ins Thal herab und lassen wenig oder keine Fläche. Bis zur halben Höhe sind Wiesen, oben ist Wald. Hie und da reicht der Forst auch an den Steig herab. Etwas unterhalb Galthür beginnen wieder die Gerstenfelder. Der Pfad klettert links vom Bache auf und nieder und führt durch einige arme schmutzige Dörfchen. Endlich steigt Ischgl, die Paznauner Capitale, über den Fichten auf, stolz an die Halde hingebaut, mit mächtigen steinernen Häusern und ansehnlichem Dachwerk, aus dem ein gothischer grüner Kirchthurm spitzig in die Luft schießt. Hier habe ich meine leibliche Tröstung beim „Wälschen" gefunden.

In Ischgl erlebte ich auch wieder das Vergnügen eine Chronik aufzutreiben. Wer weiß, an wie vielen andern ich seit dem Fund im Mittelberger Bade vorübergegangen war. Daß ich in Galthür eine überlaufen hatte, erhellte mir schon aus der ersten Seite des Ischgler Buches, wo es mit deutlichen Worten zu lesen, daß Thomas Praun, ehedem Richter zu Galthür, auch eine Chronik verfaßt, welche in selbigem Orte bei Joseph Feuerstein zu finden. Es gibt solcher Thalgeschichtsbücher eine ziemliche Anzahl, nur sind sie nicht alle gleich zugänglich; manche bei abgelegenen Leuten verwahrt, manche selbst abgelegen und vergessen. Große Schätze für ältere Geschichte dürften nicht darin zu finden seyn – für diese Epoche beziehen sich die Chronisten gewöhnlich auf gedruckte Bücher – aber aus dem Leben der letzten Jahrhunderte enthalten sie meistentheils viele erquickende Einzelheiten, und was sie gar schätzbar macht, sie berücksichtigen auch die jetzt übel angesehenen Sagen, die alten Mähren, die Niemand mehr erzählen darf, die tausendjährige Volkspoesie, über deren Vernachlässigung wir an einem andern Orte klagen werden.

Das Ischgler Manuscript heißt: „Geschichtliche Sammlung“ und ist in den Jahren 1840 und 1841 von Johann Christian Zangerl, einem bejahrten Einwohner des Dorfes, der lange Zeit Gemeinderichter gewesen war, zusammengestellt worden. Am Eingange gibt der jetzt dahingegangene Verfasser einen allgemeinen Ueberblick der Geschichte des Paznauner Thales mit Beziehungen auf Tschudi und andre ältere und neuere Historiker, [133] dann folgen einzelne zerstreute Notizen unter verschiedenen Aufschriften, als: von Kirchen, Capellen, Bruderschaften und frommen Stiftungen, von starken, von alten Leuten, von solchen, welche die fünfzigjährige Hochzeit gehalten; von wohlfeilen und theuren Jahren, von Geistergeschichten, von Feuersbrünsten, Wasser- und Lawinenschäden u. s. w. Von diesen Nachrichten haben wir uns manche ausgezogen und lassen hier nun einige folgen. Da indessen die Chronik, seit wir sie in Händen gehabt, mit Zusätzen von Dr. Joseph Zangerl, k. k. Hofarzte in Wien, dem Sohne des Chronisten, gedruckt worden ist und zwar im zehnten Bändchen der neuen Zeitschrift des Ferdinandeums, so werden wir uns mitunter auch an den so vermehrten Text halten.

„Ischgl und Galthür und was dazwischen liegt und sonst dazu gehört, waren vor Jahrhunderten in Engadeinische Pfarren eingethan.“ Das Gedächtniß dieser kirchlichen Verbindung ist noch unter den Leuten lebendig. In Galthür erzählte mir ein weißhaariger Greis, sein Dorf, dessen Kirche die älteste im Thale, sey ehedem nach Steinsberg „pfärrig“ gewesen, was die Romanschen Ardez heißen, und bei Ischgl sagte mir ein andrer Alter, die Ischgler hätten ehemals nach Sins gehört. Galthür wurde im 14ten, Ischgl erst im 15ten Jahrhundert mit eigenem Seelsorger versehen, da der sonntägliche Kirchgang über die Gletscherwildnisse, die das Thal umschließen, in das Gotteshaus der Pfarre, das eine Tagreise entfernt war, den Leuten zu beschwerlich wurde. Ehe da eigene Kirchhöfe geweiht worden, mußten sogar die Leichen über die Gletscher getragen werden, um in heiliger Erde zur Ruhe zu kommen. Im Winter ließ man sie lediglich gefrieren und harrte bis der Paß sich wieder geöffnet – ein Verfahren, das nicht allein im Paznaun, sondern ebenso Jahrhunderte hindurch in einer großen Anzahl von Gemeinden des rhätischen Hochgebirgs üblich war. Das alte Band, das die Innerpaznauner an die Engadeiner knüpfte, war übrigens trotz der Kirchenspaltung und des Sprachwechsels noch bis ins letzte Jahrhundert zu gewahren. Noch bis dahin ging, wie wir schon gehört, ein viel betretener Handelsweg aus dem ladinischen Lande nach dem Innthale durch [134] Paznaun, und Ischgl war der Stapelplatz für die Waaren, die auf den Saumrossen über die Eisberge gekommen und deßwegen ein Ort voll lauten Verkehrs. Es steht ja noch heutigen Tages hinter Galthür in der kahlen Wildniß von Vermunt am Fuß der Gletscher jenes altergraue steinerne Gebäude, vor dessen Thoren einst die Paznauner, die Montavoner und die Engadeiner, denen aber nunmehr die Ferner den Weg verlegt haben, zusammenkamen, um in der tiefen Bergesstille die lautesten Viehmärkte zu halten. Der untere Theil des Thales war früher ein See und dort heißt noch jetzt ein Dorf „am See“, obgleich seine letzten Fluthen längst abgelaufen sind. Jene uralte Verbindung des innern Thales mit dem Engadein deutet übrigens für sich schon an, daß die ersten Einwohner über die Gletscherpässe herüberwanderten, um mit ihren Heerden von der fetten Alpenlandschaft Besitz zu nehmen, ehe die Ansiedler, die im Hauptthale des Inns saßen, es der Mühe werth erachteten, auf dem einsamen Bergsee Schiffe zu zimmern und die stillen Weiden von Ischgl und Galthür zu entdecken. Andrerseits zeigt sich aber auch daß der ehemalige Seeboden erst urbar gemacht wurde, als die Deutschen schon im Lande waren, denn alle Höfe und Fluren in dieser untern Gegend führen deutsche Namen, während oberhalb deren Mehrzahl undeutsch ist. Selbst in der Sprache der Innerpaznauner finden sich noch viele romanische Wörter erhalten. Abgesehen davon zerfällt nach der Bemerkung Dr. J. Zangerl’s die Sprache des Thales in drei verschiedene Dialekte, so daß die Galthürer die vorarlbergische, die Einwohner von Kappel und See die Oberinnthalische, die Ischgler und Mathoner aber eine besondere Mundart führen, was in einem nur acht Stunden langen Thale allerdings bemerkenswerth ist.

Heutzutage gehört Paznaun, wenigstens der obere Theil desselben, nicht zu den wohlhabenden Thälern. Viele junge Männer, die in der Heimath keinen Verdienst finden, begeben sich in die Fremde als Maurer. Ehemals fanden die Paznauner sogar ihren Weg bis nach Westphalen, wo sie als geschätzte Arbeiter galten, wenn es Teiche zu reinigen und zu graben gab. Andere gingen nach Savoyen und Frankreich um [135] in den dortigen Bergwerken zu arbeiten, und wieder andre suchten im heiligen römischen Reich Verdienst als Holzarbeiter. Arme Eltern schicken noch jetzt ihre Knaben vielfach „ins sogenannte Schwabenland" zum Viehhüten. Da gehen sie wohl, wie die Montavoner, auf die großen Knabenmärkte zu Ravensburg und Leutkirch. Von dem alten reichen Verkehr zu Ischgl soll, nach der Behauptung des Chronisten, der aber unverkennbar ein laudator temporis acti ist, zum Andenken nichts übergeblieben seyn als schöne Häuser, Hoffart und anderer Luxus, wogegen der Sohn die guten Folgen des früheren Wohlstandes gerne darin anerkennt, daß viele junge Leute zu den Studien gesandt wurden und mit verfeinerter Gesittung wieder zurückkehrten, daher auch in Ischgl einnehmende Bildung verbreiteten, welche im Bunde mit der angebornen Gutmüthigkeit die Einwohner noch immer merklich auszeichnet.

Unter den starken Leuten wird Christian Bernhard erwähnt, welcher einstens eine Kuh, die in den Bach gefallen, herausgezogen und wieder auf den Weg getragen habe. Davon soll er mit dem Namen Kuhhautchristel beehrt worden seyn. Herzog Sigismund, der an solchen Leuten seine Freude hatte, ließ ihn, als sein Ruhm nach Innsbruck gedrungen, an den Hof berufen, wo er versuchsweise den stärksten der herzoglichen Trabanten niederschlug. Dieß Zeugniß nahm aber der Herzog übel und ließ ihn wieder ziehen.

Als ein alter, jetzt abgekommener Gebrauch wird das Blockziehen erwähnt. Ehedem war’s nämlich Herkommen, daß die Burschen zu Ischgl jedes Frühjahr einen großen Lärchenstamm fällten und mit Büschen und Kränzen festlich aufzierten. Dann ward der älteste Junggeselle in phantastischem Verputz darauf gesetzt als ihr Abgott und mit Musik in das Dorf gezogen; Büchsen und Böller krachten feierlich darein. Nachdem der Festzug im Dorfe angekommen und sattsam bewundert war, wurde der Stamm verkauft und aus dem Erlöse Mahl gehalten. Dr. J. Zangerl bemerkt dazu, diese Festlichkeit sey im Jahre 1834 das letztemal gehalten worden und könne daher noch nicht als veraltet gelten, werde übrigens nur dann geübt, wenn während einer Fastnacht kein lediger Mann [136] im Dorfe geheirathet. Ohne Zweifel ist sie aus einer alten heidnischen Frühlingsfeier hervorgegangen. Dr. Zangerl hat von solchen Sitten und Gebräuchen noch Mehreres gesammelt, worüber wir jedoch auf seinen Aufsatz verweisen. Oeffentliche Belustigungen in Wirthshäusern, sagt er ebenda, mit Gesang, Musik und Tanz kommen nur zuweilen bei Hochzeiten vor und manchmal an Kirchweihen oder sonstigen außergewöhnlichen Festen. Der fromme Klerus, die Armuth und Frugalität des Volkes ließen sie nie emporkommen; daher auch die Paznauner in jenen Künsten ihren übrigen Landsleuten weit nachstehen.

Geistergeschichten werden auch behandelt, aber mit wenig Ausführlichkeit. Ehemals soll bei der Pardatscher Capelle jede Nacht ein gesatteltes Pferd gestanden seyn, auf welchem die Junggesellen durch Wind und Wetter zu ihren Liebhaberinnen, den Senninen auf den Almen reiten konnten. Ob der Gaul viel benützt worden, sagt die Chronik nicht. Bei dem Ritt ging wohl die Seele verloren, – doch schweigt die Sammlung auch hierüber.

Bei Galthür zieht sich das Jamerthal, bei Ischgl das Fimbathal rechter Hand, weit hinein in die Berge, um oben an den Gletschern zu enden. Beide, zumal letzteres, sind mit üppigen Wiesen gesegnet, mit vielen Almhütten geschmückt. Dort in der abgeschlossenen weiten Alpenwelt muß wohl manche Sage leben, mancher Alpgeist spuken. Eine Geschichte wenigstens erzählt auch die Sammlung. In Fimba ließ sich einst bei der Hirtenhütte zu Nachts Jemand mit lautem Anklopfen vernehmen, aber als man Herein gerufen, war Niemand zu sehen. Da sagte der Großhirt zu seinem jüngern Gehülfen: der Alpbutz hat sich angemeldet und will jetzt sein Quartier beziehen. Frühmorgen fahren wir nach Hause, es kommt der Schnee. Am Morgen fuhren sie nach Hause, am Abend waren alle Höhen beschneit. – Also auch hier derselbe pochende klopfende Hausgeist mit demselben Namen, unter dem er bis an die Eider hinab bekannt ist. *)

[137]

Hiemit sollen unsre Mittheilungen aus der Ischgler Handschrift geschlossen seyn. Die jetzige Kirche von Ischgl ist mit Ausnahme des alten Thurms in neuerm Style erbaut und davon nichts Sonderliches zu erwähnen. Dagegen gibt das Beinhaus wenigstens Anlaß zu der Bemerkung, daß hier die Schädel der Hingegangenen einer besondern Pflege und Acht gewürdigt werden. Den meisten ist nämlich ein schwarzes Schildchen auf die Stirnplatte gemalt und darin steht mit goldnen Buchstaben der Name des ehemaligen Besitzers und das Jahr seines Auszugs. Eine junge Dame aus der Hauptstadt, die mit mir den Gang um den Kirchhof machte, äußerte sich sehr rühmend über diesen Gebrauch, und auch von uns sey es ferne ihn zu tadeln.

Die Gegend von Ischgl abwärts hat noch auf eine gute Strecke jene einfache Gestalt, die wir an dem obern Theil des Thales hervorgehoben. Mehr und mehr zeigen sich Hanffelder und Pflanzungen von Mohn, dessen Samenkörner zum Backwerk verwendet werden. Viel schönes Vieh weidet auf den Matten und gibt sein Klingklang freigebig ab zur Ermunterung des Wanderers. Bei Kappel aber wird die Landschaft bunt, belebt, reich. Dörfer, Weiler, einzelne Höfe, Kirchen und Capellen stehen da zu Hauf. Die Halden dachen sich wechselnder ab, springen vor, treten zurück, zeigen mehr Gewürfel. Kornfelder wogen weit und breit auf den Höhen, Kirschbäume biegen sich über die Häuser und selbst der Pfad geht jetzt zwischen Hecken, oft auch unter schattigen Lauben durch und das Wachsthum vermißt sich sogar recht wuchernd zu werden. Alles zeugt von wärmerer Lage und milderen Jahreszeiten.

Ehe ich nach Kappel kam, traf es sich übrigens, daß ich einer schönen Heiligen noch einen Dienst erweisen sollte. Es stand da nämlich an grünem Abhange ein großes Kreuz, aber nicht von jenen, die ihre Arme frei in die Luft strecken, sondern eines von der andern Gattung, von den eingefaßten, wo ein offener Kasten das Bild des Heilands vor den Unbilden der Witterung schützt. Unten waren Kränze von Glockenblumen, Rosen und Vergißmeinnicht eingelegt, oben lief ein [138] Brettchen quer über dem Haupte des Gekreuzigten hin. Auf dem Brettchen standen mehrere fromme Täfelchen, vor dem Feldkreuze aber stand eine fromme Bauersfrau und neben ihr zwei Jungen. Als ich herangekommen, deutete die Bäuerin wehmüthig hinauf zu jener Leiste und machte mich aufmerksam, daß eines von den Bildchen umgefallen sey und auf dem Gesichte liege; ich möchte doch um Gotteswillen das Gemälde wieder aufstellen; die Knaben hättens schon versucht, aber sie seyen nicht groß genug und reichten nicht hinauf. Freundlich angesprochen von ihrem Zutrauen legt’ ich Stock und Wanderbündel ab und stieg in das Gehäuse empor, streckte meine Hand nach dem umgefallenen Bildniß aus und richtete es wieder geziemend auf. Und siehe da, als ich näher zusah, war es Filumena, die neue Heilige, deren Ruf vor nicht langen Jahren aufkam und die sich in kurzer Zeit so allgemein beliebt gemacht hat. Keine Capelle, kaum eine Stube, kaum ein Feldkreuz, die nicht mit Filumenen’s Bildniß geschmückt wären, ja selbst die Mädchen wenden häufig schon nach ihr getauft. Ich habe nicht versäumt mich zu gelegener Stunde genauer um diese Heilige zu erkundigen und man hat mir zur Aufklärung zwei Druckschriften mitgetheilt, von denen die eine, kleinere Anton Passy, Priester der Versammlung des heiligsten Erlösers, 1334 zu Wien herausgegeben hat, wogegen die größere, aus dem Französischen übersetzte 1836 zu Innsbruck erschienen ist. Beide beruhen auf einem Werke, das einen Priester zu Mugnano im Königreich Neapel, Don Francesco de Lucia, zum Verfasser hat und bereits verschiedene Auflagen erlebte. Wir entnehmen aus diesen Quellen, daß Don Francesco im Jahre 1805 eine Reise nach Rom machte und dort in die Schatzkammer der heiligen Reliquien Eintritt erhielt, weil er den Wunsch ausgesprochen hatte, einen heiligen Leib zu erwerben. Er wählte sich die Gebeine einer Heiligen, die ein Jahr zuvor in den Katakomben ausgegraben worden. Man hatte dabei einen Leichenstein aus den Zeiten des Kaisers Diocletian gefunden mit den Worten: Lumena Pax Te Cum Fi. aus welchen der gelehrte Partenius entnahm, daß der Name der Seligen Filumena seyn müsse, indem [139] nämlich diese Inschrift nach der damals gebräuchlichen Art βουστροφηδόν geschrieben sey. Ferner waren auf dem Steine ein Anker, mehrere Pfeile, eine Geißel und Lilien eingehauen. Don Francesco erhielt nach manchen Schwierigkeiten die sehnlichst gewünschten Gebeine und begab sich damit nach Neapel. Dort wurde das Gerippe mit einer aus gepreßtem Papier gebildeten weiblichen Gestalt überkleidet und letztere wieder in ein weißes jungfräuliches Gewand gelegt und ein purpurner Mantel unterbreitet. Jener sinnenfreundliche Gebrauch Italiens, die modernden Reste Dahingegangener in die blühende Form leiblicher Jugend zu hüllen, scheint uns der ernsten deutschen Art, welche die nackten Knochen zur Verehrung ausstellt, bei weitem vorzuziehen und erhielt auch unverzüglich Filumenens volle Billigung. Sie bediente sich nämlich gleich von Anfang an des Lärvchens, das sie ihr zu Neapel umgelegt, als ihres eigenen Gesichts, indem sie mit lieblichem Fürwitz die Augen aufschlug, bald das eine, bald das andere, bald alle beide, bald erröthete, bald lächelte oder die Stirne in düstre Falten zog. Sofort wurde die Heilige mit großer Feierlichkeit nach Mugnano gebracht und am 10 August 1805 daselbst unter Glas und Rahmen aufgestellt. Alsbald ereigneten sich auch viele Wunder und der Ruhm der „neuen Heiligen“ – unter dieser Bezeichnung gilt sie auch jetzt noch – verbreitete sich über weite Nachbarschaft. Noch geraume Zeit wußte man indessen zum allgemeinen Bedauerniß nichts von ihr, als ihren durch den gelehrten Partenius festgestellten Namen, bis sie endlich selbst der frommen Wißbegierde entgegenkam. Sie eröffnete während des Jahres 1832 in erwünschter Ausführlichkeit einer frommen Nonne zu Neapel das Wissenswürdigste aus ihrem irdischen Leben. Nach dieser Offenbarung ist ihr Name Fi-lumina, was auf lateinisch Tochter des Lichts bedeute – weßwegen es ganz irrig wäre mit griechischer Sinneinlegung Philumena zu schreiben – und sie war die Tochter eines Königs in Griechenland, der sich einst, weil ihn der römische Kaiser Diocletian mit Krieg bedrohte, nach Rom begeben hat, um den übermächtigen Gegner zu versöhnen. Diocletian versprach Frieden zu halten, wenn ihm der König [140] seine schöne Tochter zur Ehe gäbe. Der Vater war solcher Worte über alle Maßen froh und freute sich der Ehre, die seinem Hause widerfahren sollte, allein Filumena widerstand und sagte, es thue ihr zwar leid, aber sie habe bereits im eilften Jahre ihres Lebens das Gelübde der Jungfrauschaft abgelegt und ihr Bräutigam sey Jesus Christus. Darauf wurde sie gemartert, wobei der Anker, die Pfeile und die Geißel, wie sie auf dem Leichensteine abgebildet, zur Verwendung kamen und zuletzt am 10 August irgend eines Jahres, das sie nicht angab, enthauptet, gerade an dem Tage, wo man sie später nach Mugnano übertragen hat. – Der Wunder, die das Innsbrucker Buch erzählt, sind unzählige und manche von der wunderlichsten Art. Hin und wieder gewinnt es den Anschein, als wolle der Herausgeber dem hohlen Aufkläricht unsrer Tage durch garstige Zweifel selbst eine Libation bringen, aber schnell sind diese Einwürfe wieder angegriffen und ihre ganze Blöße dargelegt, zumal mit dem schlagenden Grunde, daß die Wunder Gott ja keine Anstrengung kosten. Eines nur unter hunderten wollen wir herausheben, weil es so gut hierher paßt, nämlich zu unsrer Begebenheit mit dem Feldkreuz. Ein Knabe, scheinbar zu Ancona, denn genau ist’s nicht zu entnehmen, sollte ein Bild der Heiligen, das er eben gekauft, einem Ordensgeistlichen übergeben, ließ es aber in seiner Unachtsamkeit auf den Boden fallen. Der Mönch gab ihm einen Verweis, der Knabe dagegen sah auf das Bild, das er fallen lassen, und rief: O Wunder! seht, wie die Heilige aufrecht steht. Und in der That – der Mönch sah das Bild im Gleichgewicht auf dem Boden stehen, und nachdem er es lange Zeit betrachtet, nahm er es in die Hand und ließ es, um sich besser von dem Mirakel zu überzeugen, vorsätzlich wieder mehrmal fallen, wobei sich denn zeigte, daß es nicht eine Wirkung des Zufalls, sondern ein wunderbares Spiel der göttlichen Allmacht war. Dieses nun mit dem Phänomen im Feldkreuze zusammen gehalten, ergibt sich die Moral, daß die heilige Filumena, wenn sie zu Ancona auf den Boden fällt, von selbst aufsteht, bei Kappel im Paznaun aber gerne liegen bleibt, bis sie etwa ein vorüberschlendernder [141] Pilger wieder aufrichtet. Wie dem auch sey, die Hülfe wurde ihr mit frohem Herzen geleistet, und in Anbetracht der Freudigkeit meines Diensteifers wird mir’s die Heilige auch nicht zu hoch aufnehmen, wenn ich in meinem Glauben, der talentvolle Don Francesco habe ihr mehr Gutes nachgesagt als ihr selbst lieb sey, etwa Unrecht hätte.

Nun sind wir bald am Ende oder besser am Anfang des Paznauns. Die bunten Halden von Kappel verlieren sich wieder, die Schönheit schrumpft mählich ein, die Schrofen zeigen sich immer kecker, rücken immer näher heran und zuletzt, etwa eine halbe Stunde vor dem Schloß auf Wiesberg, geht das Thal in eine enge wilde Schlucht zusammen, wo tief unten die Trisanna braust und ober dem Haupte die Felsen sich spukhaft herauslehnen. Das Sträßchen ist aus dem rothen Gestein geräumt, das darüber wie eine Wand in die Höhe läuft. Ersteres ist ziemlich verschrien und nach langen Regengüssen auch nicht ohne Gefahr zu begehen, indem sich zu solchen Zeiten bald hoch, bald nieder, Trümmer ablösen und den Steig unsicher machen. Die zwei Regentage, welche ich in Bludenz versessen, waren auch hier nicht spurlos vorüber gegangen und an manchen Stellen lagen große und kleine Felsblöcke auf dem Weg, die erst ganz vor kurzem herabgefallen. Auch hatt’ ich ein paarmale selbst die Freude, ein bißchen vor mir solche Stückchen herunter kommen zu sehen, die sich neckisch über das Sträßchen trollten und mit tändelnder Leichtigkeit in den Schlund stürzten – ein niedlicher Anblick, so lange man nicht in den Wurf kommt. Im Winter ist’s indessen noch ärger, denn da der Weg an manchen Strecken nur auf Geschiebe ruht, so mag der Bach leicht die Unterlage wegfressen und dann kollert stellenweise der ganze Bau hinunter. So kann’s kommen, daß die Verbindung mit dem Thale oft tage- und wochenlang abgeschnitten ist.

Endlich geht’s hinab zum Wasser und über eine hölzerne Brücke. Die Schrofen weichen zurück und der Weg führt tröstlich in tiefem Thale an dem Schlosse Wiesberg vorbei, dann über die Sanna und endlich hoch hinauf zur Heerstraße, die vom Arlberge herunter kömmt, aber hier noch thurmhoch [142] an der Halde hinläuft, und erst gegen Landeck hin sich zum Fluß herunterläßt.

Das Schloß Wiesberg steht also da als Warte am Eingang von Paznaun, auf steil emporragendem Kegel; der Weg führt im Tannendickicht hinauf. Unten an seinem Fuße stürzen Trisanna und Rosanna zusammen, um mit einander als Sanna dem Inn zuzulaufen. Im grauen Schlosse oben sollen nach Etlicher Behauptung verschiedene ritterliche Alterthümer gezeigt werden; ein Bauer von Fließ aber, der mit mir ging, sagte, es sey jetzt Alles verschleppt. Ich glaubt’ es ihm um so lieber, als es Abend war und gerade noch so weit nach Landeck, um mit einfallender Nacht dort anzukommen.

Wenn man oben auf der Arlberger Straße steht, sieht man das halbverfallene Gemäuer der alten Burg gerade gegenüber auf gleicher Höhe. Tief darunter aber in der schattigen Schlucht kommt das gefährliche Sträßchen, anscheinend ganz harmlos und unschuldig aus dem Felsen herausgeschlichen. Ein Jahr zuvor, als ich vom Arlberg herabfuhr, blickte ich sehr neugierig hinunter und dachte: wie muß es dort aussehen, wo der dunkle Weg da hinführt, dort hinter den Schrofen, dort drinnen am Bach, im hirtlichen Paznaun? Jetzt war die Neugier befriedigt und meine Wünsche gingen zur Zeit nicht weiter, als auf Ruhe und Labsal zu Landeck.

Von nun an führt die prächtige Landstraße bequem hinab nach diesem Dorfe. Es ist immer noch das Stanserthal, das vom Arlberg herunterläuft, aber schon mit der herrlichen Aussicht ins Innthal. Da ist alles riesig und groß in der Höhe und dabei doch alles lachend und freundlich in der Niederung. Da ziehen oben die langen himmelhohen Wände hin und unten liegen schöne Dörfer in grünen Auen, in gelben Feldern, überall Häuser und Höfe. Gleich wenn man vom Paznauner Weg heraufsteigt, stellt sich hoch oben auf einem laubreichen Bergrücken der spitze Thurm von Tobadill dar, links über dem Wege liegt die große Kirche von Grins, einem alten Orte mit gothischen Bauernhäusern; dann kömmt man ins malerische Dorf Pians, das mit zwei- und dreistöckigen schmalen Häusern, die alle an der Straße [143] stehen, fast an Italien mahnt. Mitten durchgerissen ist eine Schlucht, aus der ein Wildbach heraustost. Oberhalb des Dorfes steht das alterthümliche Kirchlein St. Margrethen und so zwischen lauter Schönheiten hindurch erreicht man kurzweilig Landeck.

[144]

Von St. Luciensteig gegen Bregenz.



Die letzte Wanderung ist ein gutes Stück über Vorarlberg hinausgegangen, da das ganze Paznaunerthal zum Land Tirol gehört. Noch bleibt uns übrig Einiges von den schönen und fruchtbaren Gegenden am Rhein zu sagen. Wir gehen daher von Chur aus durch Maienfeld, ein sehr unscheinbares städtisches Nestchen, und ziehen St. Luciensteig hinan. Das Thal von Chur bis daher hat die Zierde der Fruchtbarkeit und ist an allen Halden mit großen Dörfern und mit ausgebrannten, aber noch im Namen erinnerungsreichen Burgställen geschmückt, über denen die rühmlichsten Berghäupter aufsteigen. Weiter wollen wir diese Schönheiten nicht auseinander legen; wir sind jetzt schon auf der Luciensteig, die von St. Lucius, einem König von Schotten und Apostel der Rhätier, ihren Namen hat, beim Passe, wo eine niedere Mauer und ein kleiner Wall durch den engen Bergsattel gezogen ist, wo ein Zollhaus, ein Thorbogen und links von der Straße ein uraltes Kirchlein steht. Die andere Aussicht, in die Ferne nämlich, geht nicht sehr weit – unten ein Stück Rheinthal, darüber der Säntis. Daß da auf St. Luciensteig in der uralten Herberge eine kühle steinere Trinkstube ist, lernte der Wanderer erst zu spät von Gustav Schwab; sonst war’ er an dem heißen Tage gewiß nicht so spröd vorbeigegangen.

Von der Steig zieht man hinab und kommt zuerst an den St. Katharinenbrunnen, der unter der Straße hervorquillt. Dort liegt ein grauer Stein, der auf der Seite die gen Bünden sieht das bündnerische Wappen weist mit den ehrwürdigen Worten: Alt fry Rhätien. Dann geht’s gen Balzers, erste [145] Dorfschaft des Fürstenthums Liechtenstein, in dessen Gebiet wir nun fast fünf Stunden lang zu wandern haben. Dieses Ländchen, so sehr es wegen seiner Kleinheit verschrien ist, hat gleichwohl einen großen Flecken und ein halb Duzend schöne Dörfer, hat auch ein Hochgebirg mit ein paar unbewohnten Wildthälern und nennt den Vater Rhein seinen Landesstrom. Die Vorsehung hat ferner den Fürsten von Liechtenstein Wohlfahrt und Beseligung von 6000 katholischen Einwohnern übertragen und es ist daher nur Bescheidenheit dieses Regentenhauses, wenn es nicht wie die **schen Fürsten in Thüringen von den „seinem Scepter unterworfenen Völkern" spricht.

Von Balzers gegen den Rhein zu schaut von einem fahlen Hügel die Burg Gutenberg ins schöne Thal herab, welche, wie Guler sagt, lange Zeit die Herren von Ramschwag innegehabt im Namen des Hauses Oesterreich. Die Mauern sind noch ungebrochen, ein fester Thurm ragt noch an einer Ecke empor und der ganze Bau zeigt sich noch recht stattlich in all seiner Verödung.

Vaduz selbst, der Hauptort des Fürstenthumes Liechtenstein, das die Herren dieses Namens 1708 von den Reichsgrafen von Ems erkauften, ist ein guter Flecken in der Niederung. Dicht über seinen Häusern steigt eine Wand empor, welche reich mit Grün überwachsen das alte Schloß trägt, das ehemals zunächst den Namen Vaduz führte, nun aber von den Einwohnern des Fleckens irrthümlich Liechtenstein genannt wird. Es ist ein steiles Steigen auf diese Höhe, oben aber ein belohnender Blick ins Rheinthal. Die alten Mauern der Burg haben etwas Ungeheurliches, sind dick und schwer, als wenn die Cyclopen sie erbaut hätten. Auf diesen gewaltigen Urbau hat man in spätern Zeiten leichte Mäuerchen aufgesetzt, die gegen die Unterlage seltsam abstechen. Das Wirthshaus im Schloß gilt für einen Hort auserlesenen Landweins; in der Capelle sind etliche altdeutsche Gemälde.

Von Vaduz nach Feldkirch lauter schöne Landschaften, wie alle wissen, die einmal vom Rheinthale gehört. Weingelände und Kornfelder, große Bauernhäuser an der Straße, verfallene Burgen auf den Höhen, Obstbaumwaldungen, reiche [146] Aussicht in die Schweiz, grüne Hügel, rothe Berghörner, Alles belebt von dem Strome, der glänzend durch das Thal zieht.

Feldkirch selbst ist eine kleine Stadt mit großen Erinnerungen. In frühern, bewegteren Zeiten wegen der Nachbarschaft der Schweiz immer gehätschelt und geschont, ward dieses Gemeinwesen, nach Weizeneggers Worten, ein zweites St. Marino. Schon die Montforte zu Feldkirch, deren letzter, der öfter genannte Graf Rudolph, die Herrschaft im Jahre 1375 an Oesterreich verkaufte, hatten viel dazu gethan. Unter den neuen Herren, den Herzogen, mußten die Vögte beim Antritt ihres Amtes dem Stadtammann und dem Rath einen Eid schwören, daß sie alle guten Gewohnheiten, altes Herkommen, alle Freiheiten und Rechte aufrecht erhalten würden, und wenn zwischen dem Landesfürsten und der Bürgerschaft Streitigkeiten entstanden, so waren sie vor dem Bürgermeister und kleinem Rathe der Stadt Zürich auszutragen. Erschien der beklagte Herr nicht binnen vierzehn Tagen zu Zürich, so sollte die Stadt Feldkirch dem römischen Reiche anheimfallen, fügten sich die Bürger nicht dem Ausspruche der Schiedsrichter, so sollten ihre Freiheiten vernichtet seyn. Auf dieses Berufungsrecht hatte die Stadt zwar schon 1653 Verzicht geleistet, aber wegen des Vogteides entstanden noch 1750, als Maria Theresia die Rechtspflege und Verwaltung umgestaltete, unfreundliche Erörterungen. Eine der glänzendsten Zeiten der Stadt begann mit dem Jahre 1417, als im Unglücke Herzog Friedrichs sein Bruder Ernst die Herrschaft an den reichen und prachtliebenden Grafen Friedrich von Tokenburg verpfändete und dieser zu Feldkirch seinen Sitz nahm. „An dem Hoflager Friedrichs war, wie Johannes von Müller erzählt, ein Zusammenfluß der Großen aus den Vorlanden, aus Rhätien und Helvetien, der Verwandten des Hauses, die im Testament erwähnt seyn wollten, vieler Hauptleute und Vögte, vieler dienstsuchenden jungen Ritter, andrer, welche diesen Hof als eine Schule adeliger Sitten betrachteten; hier glänzten die von Raron, die Werdenberg, die Aarburg, die Sax, die Matsch von Kirchberg, die von Brandis, alle um den Preis der großen Kunst zu gefallen wetteifernd." Als Friedrich von [147] Tokenburg, der letzte seines Geschlechts, im Jahre 1436 gestorben war, brachte Herzog Friedrich die Herrschaft Feldkirch wieder an das Haus Oesterreich.

Die Stadt liegt in einer engen Schlucht, welche die neuen Gebäude, die außerhalb der Mauern erstehen, nach allen Seiten auszufüllen streben. Oberhalb fällt die Ill durch eine schöne Klamm herein, unterhalb zieht sie durch einen andern Bergriß wirbelnd wieder ab. Alle Höhen sind mit Tannengehölz und Laubwald oder Weinbergen bedeckt und so gewinnt das enge Berggelände ein lachend grünes Ansehen, das auch manche rauhe Felsenwand, die da und dort zu Tage steht, nicht verdirbt. In dem Bauwerke der Stadt schlägt jetzt die Gegenwart vor, an den breiten Gassen stehen hübsche neue Häuser, doch hat sich auch manches Alterthum erhalten. Eine starke Mauer, mit runden Thürmen wohlversehen, umfängt den Ort; die Pfarrkirche selbst ist ein altdeutscher Bau aus dem Jahr 1478. Auf dem Kornmarkt, der seine Lauben hat, steht ein altes finsteres schiefes Herrenhaus mit einem wappengezierten Erker, das übrigens, so hochbetagt es aussieht, wohl kaum in die Zeiten hinaufreicht, als die Montforte Herren zu Veltkilch waren, sondern nach den Inschriften, die außerhalb unter den Fenstern zu lesen sind, von den tirolischen Rittern Caspar von Welsberg und Oswald Sebner, beide in der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts lebend, erbaut worden ist. Ober der Stadt auf einem Abhange des Schrofens, den die Ill durchbrochen hat, steht das Feldkircher Schloß, die Schattenburg genannt. Die äußern Mauern sind verfallen, die innern Gebäude noch bewohnbar, aber nicht mehr in gutem Stande. Eine anmuthige Aussicht über die Stadt und ihre enge Feldmark belohnt den der hinaufgestiegen. Fast anziehender aber ist es von der hohen Brücke bei Heiligenkreuz, der Vorstadt jenseits der Ill, auf Feldkirch herüber zu sehen, das sich von da betrachtet grau und alterthümlich darstellt, auf einer Seite von den Rebenhügeln umspannt, auf der andern von jenem kühnen Felsen überragt, der die Burg trägt. Diese Veste mit ihren vier Eckthürmen tritt da recht ritterlich und stolz hervor und weckt das Andenken vergangener Zeiten nicht minder lebhaft, [148] als die alten, baufälligen Häuschen, mit den bäuerlichen Riegelwänden, die unterhalb in den Fluß hinein nicken, über den auch mancher Obstbaum seinen Schatten wirft. Ein halbes Duzend Thürme, die aus der kleinen Häuserrunde aufsteigen, thun da das Ihrige, des Städtchens Aussehen bedeutsam hervorzuheben. Dabei soll sich der beschauliche Wanderer auch erinnern, daß er auf einer Brücke steht, welche im Jahre 1799 die Landesschützen mit den Studenten und Weibern von Feldkirch heldenmüthig und siegreich gegen die Franzosen vertheidigten, die Massena gegen das Städtchen zu führen vorhatte.

Von der Brücke mag man noch jenseits der Ill einer andern schönen Stelle nachgehen. Der Weg führt zuerst in jene andre Schlucht, durch welche der Strom im tiefen schattigen Bette wieder davonzieht, um dem Rheine zuzufließen. Von da schlängelt sich ein Fußsteig bald in die Höhe zu einer Capelle und einem kleinen Häuschen, das einer Warte gleich auf der höchsten Spitze eines Felsens steht. Wer sich unten im Thalgelände beengt gefühlt, dem wird’s hier oben auf St. Margarethens Kapf wieder freier werden, denn da liegt zunächst das Tostnerfeld, reich mit Mais bebaut und mit einem alten Burgthurm ausgestattet, und der weite Wiesenplan, wo die Ill ihr Delta bildet und so fort das Rheinthal offen zu seinen Füßen, weit hinausgestreckt bis an den blauen Bodensee, in dem der Strom nach langen mühseligen Windungen endlich verschwindet. Das Thal ist mit Burgen und Flecken wohl verziert und jenseits des Rheins mit erhabenen Bergzinnen eingefaßt.

Der Weg von Feldkirch nach Altenstadt geht an dem Friedhofe vorbei, dessen Viereck, wie es fast in allen Städten des Gebirgs zu finden, mit Laubengängen versehen ist. Es sind da manche anziehende Darstellungen noch aus dem 16ten Jahrhundert erhalten.

Diese Heerstraße von Feldkirch nach Altenstadt zieht durch ein schmales, aber schönes und weinreiches Thal, dessen Abendseite der Ardetzenberg bildet, der ein Gewächs von gutem Ruf erzielen läßt, und durch das Dorf Levis, dessen Häuser, weit auseinander gebaut, den Weg langehin erheitern. Oberhalb desselben zur rechten Hand liegt das Schlößchen Amberg, [149] von dem einst ein Kind der Liebe des letzten Ritters, seinen Namen trug, Friedrich Maximilian von Amberg nämlich, der im Jahre 1511 wahrscheinlich hier oder zu Feldkirch geboren, als ein Feldobrister Kaiser Karls V zu Mailand 1553 starb. Auch Altenstadt ist wie Levis geräumig angelegt, und füllt mit großen Häusern einen weiten Raum, so auch Rankweil, das altbekannte Rankweil, nach den Römerzeiten in den Jahrhunderten der Merowinger der vornehmste Ort der Landschaft. Davon hat später das kaiserliche freie Landgericht zu Rankwyl den Namen erhalten, das, seit dem grauen Alterthume bis ins fünfzehnte Jahrhundert unter freiem Himmel auf dem grünen Hügel zu Müsinen bei Sulz rechts des Frutzbaches gehalten, dann aber wegen naher Gefahr der Schweizerkriege in benanntes Dorf verlegt wurde, immer jedoch mit Ehrung des alten Herkommens, daß das Gericht auf des Reiches freier Straße, höchstens unter einem Schutzdach mit offenen Seiten und nur im Winter in warmer Stube gehalten werde. Sein Sprengel reichte damals an den Arlberg, an den Septimer in Graubünden, an den See von Wallenstadt, bis ins Thurgau und an den Bodensee. Die mächtigsten Herren weit und breit waren ehedem seine Schöffen, und man weiß, daß die Grafen von Montfort, von Werdenberg, von Tokenburg, von Misox, die Freiherren von Aspermont, von Belmont und Räzüns und andre hochangesehene Ritter auf der Müsiner Wiese zu Gericht saßen. Später, nachdem die alten Herren untergegangen, wurden die zehn Beisitzer aus dreizehn freien Geschlechtern des Sprengels genommen. Den freien Landrichter setzte jeweils kaiserliche Majestät, im letzten Jahrhundert aber ward verordnet, daß es für alle Zeiten der Vogt von Feldkirch seyn solle. Das ganze Jahr hindurch waren zwölf bis fünfzehn Gerichtstage. Das freie Landgericht erhielt sich, freilich in kümmerlichem Daseyn, bis zur Zeit, da Vorarlberg an Bayern fiel, und in diesen Tagen verendete auch das andre kaiserliche freie Landgericht auf der Leutkircher Heide und in der Pürs in Schwaben, Jahrhunderte hindurch ein Doppelgänger des Gerichts zu Rankweil. Vor diesen Schranken stand nach der Sage im sechsten Jahrhundert, lang ehe die Geschichte [150] ihre Errichtung zugeben dürfte, St. Fridolin, der Glaubensbote aus Erin, und klagte vor dem Grafen Baldebert gegen Landolf, den Adeling, der die reichen Güter, welche sein verstorbener Bruder Ursus dem Heiligen Vermacht hatte, die Schankung läugnend, nicht herausgeben wollte. St. Fridolin war nicht lange verlegen um den Beweis und führte den todten Ursus, der zu Glarus schon im Grabe lag, in den Ring. Als Landolf dessen ansichtig ward, ging er schaudernd in sich, gab alle Ansprüche auf und schenkte als kinderlos dem Heiligen zum Bau des Klosters Seckingen am Rhein das ganze Land zu Glarus und all sein Eigen. An der Kirche auf Unser Lieben Frauen Berg zu Rankweil ist die Geschichte abgemalt und Gustav Schwab hat sie in einer Romanze besungen.

Von jener Kirche, die auf einem grünen Kegel erbaut ist, wo ehemals die Burg Hörnlingen stand, ist eine angenehme Uebersicht der Gegend zu gewinnen. Man darf aber auch an der Pfarrkirche von St. Peter, die unten in der Ebene liegt, nicht bedachtlos vorbeigehen, denn obgleich die kleinste Pfarrei im Kaiserthume, da ihr Sprengel nur etwa sechzig Seelen zählt, thut sie sich doch durch ein Alterthum hervor, das sie über tausend andere hinaushebt. Und nicht allein daß sie für die älteste im Lande gilt, sie bewahrt auch noch eine Erinnerung an merowingisches Christentum. Es muß den Pilger wundersam ansprechen wie ein tausendjähriges Wahrzeichen, wenn er etwa am dreißigsten Sommermond des Morgens in das Kirchlein tritt und ihm die stillen Beter leise zuflüstern, es werde eben Messe gelesen für die seligen Herren Dagobert und Sigebert, die weiland Könige von Austrasien gewesen. Der eine starb im Jahre 638, der andere 650 und beide stifteten sich als Seelgeräthe, in der Kirche zu Rancovilla, diesen Jahrtag, der noch gehalten wird bis auf die jetzige Zeit. Freilich können wir dabei nicht verheimlichen, daß ihn Weizenegger für eine jüngere Stiftung hält, die ihr Daseyn etwa frommen Geschichtsfreunden aus den letzten Jahrhunderten verdanken möchte.

[151]

Die neue Stadt, die der Altenstadt, welche bei Rankweil liegt, an die Seite getreten, ist übrigens Feldkirch selbst, das im zehnten Jahrhundert entstand, und die Erinnerung an St. Peter, den Patron der Gegend, der in Rankweil seine Pfarrkirche hat, lebt noch in dem Namen St. Pieder, den die Romanschen der neuen Stadt geben. Nicht weit von Rankweil streckt sich ein stiller Bergsee aus seinem hohen Umfange gegen die Ebene heraus, an dessen oberem Ende ein verfallenes Klösterlein liegt, Namens Valduna, das ehemals 1380 von dem Grafen Rudolf von Montfort für Clarisserinnen gestiftet, von Kaiser Joseph aufgehoben wurde. Es hatte trotz seiner Abgeschiedenheit von der Welt durch Krieg und Pest in frühern Jahren viel Leiden überstanden. Die klösterliche Einsamkeit des engen Thales an dem kleinen See hat ungemein viel Anmuth und die Feldkircher gehen deßwegen oft dahin spazieren. Zwischen den Dörfern Sulz und Weiler, wo das Sträßchen dicht am Abhange der Laternser Berge hinzieht, schaut von grüner Höhe St. Victorsberg hernieder, ehemals ein Minoritenkloster, aber von Kaiser Joseph aufgehoben. Dort wohnte zur Zeit Kaiser Karls des Dicken ein schottischer Einsiedler, Eusebius mit Namen, fünfzig Jahre verschlossen in seiner Klause. Er verließ die Kemenate nur selten, sondern belehrte und unterrichtete alle die zu ihm wallfahrteten, aus seinem Fensterchen. Einmal aber stieg er, Gottes Wort zu predigen, nach Prederis*) hinab, einem Oertchen das unterhalb Rankweil im Blachfelde liegt. Als er dort seinem frommen Eifer Genüge gethan, legte er sich von der Hitze des Tages ermüdet unter einer Linde zum Schlummer nieder. Zur selben Stunde kamen aber etliche heidnische Bauern des Weges, ersahen den christlichen Feind und schnitten ihm mit der Sense das Haupt ab. Diese versanken nach der Unthat in [152] die Erde, St. Eusebius aber nahm mit der Rechten sein Haupt, ging damit dreimal in die Runde und trug es dann gen St. Victorsberg hinauf. Zu seinen Lebzeiten war Kaiser Karl der Dicke sein Freund gewesen, und als solcher oft zu ihm in die Klause gekommen, wo ihm der Einsiedler viele zukünftige Dinge weissagte. Auf seine Bitte schenkte der Kaiser den Berg und seine Güter zu Röthis und die Höfe, Felder und Zehnten, die ihm in dem jetzt vergebens gesuchten Venomina gehörten, dem Stifte zu St. Gallen, das dafür auf St. Victorsberg Jahr aus Jahr ein zwölf Reisende beherbergen und verpflegen sollte.

Später kam dieß Pilgerspital an die Grafen von Montfort und das Minoritenkloster, das Kaiser Joseph aufgehoben, hat Rudolph, der letzte Graf zu Feldkirch im Jahr 1381 gegründet.

Nahe bei Weiler über grünen weinreichen Berghalden liegt als etliches kaum findbares Gemäuer die verfallene Burg Alten-Montfort, die im Jahre 1406 von den Appenzellern zerstört wurde, zu der Zeit, als die streitbaren Hirten in ihrer Fehde wider den Grafen Wilhelm von Bregenz und Herzog Friedrich von Oesterreich über den Rhein gegangen waren und siegreich, ritterlichen Burgen höchst gefährlich, bis nach Imst im Tirol streiften. Damals waren viele Anzeichen, daß sich ganz Vorarlberg zu den Bauern wenden würde, denn „es was in diesen Tagen ain Leuff in dieselben Puren kommen, daz sie all Appenzeller wottend sin und wott sich niemand gegen inen weren.“ Der Bregenzerwald hatte ihnen schon zugeschworen und den Walsern insonderheit scheint das Appenzellerwesen gefallen zu haben, denn sie schlugen sich alle auf seine Seite. Zu Imst bekamen indessen die Eidgenossen bedenkliche Zeitung aus ihren Bergen und zogen wieder heim, nachdem sie vorher in dieser Gegend ein wildes Volk bezwungen hatten, von dem man jetzt noch nicht weiß wo es hergekommen. Darnach aber im Jahre 1408 ward dem „Leuff“ ein Ende gemacht, denn nach dem großen Schaden, den sie bei Bregenz erlitten, zeigten sich auch die Appenzeller wieder [153] geschmeidiger und nahmen den Frieden an, den ihnen Kaiser Ruprecht zu Constanz gesprochen.

Jene Veste zu Alten-Montfort hatte das Geschlecht erbaut, als es sich von seinen frühern Sitzen zu Sargans und Werdenberg in Macht und Blüthe über die Gegenden im Rheinthal ausbreitete. Die älteste Burg aber, von der es den Namen trug, Montfort oder Fortifels, stand zwischen Grabs und Werdenberg und wurde von einem Grafen Rudolf von Montfort schon 1260 zerstört, oder nach Andern war es eine Veste, die vor uralten Zeiten bei Trins in Graubünden zu sehen war.

Nicht ferne von Alten-Montfort im grünen weinreichen Bergwinkel liegt das Dorf Klaus und weiter an dem Wege, der durch eine enge Thalwindung führt, die alte Kirche St. Arbogast, nach einem Bischof zu Straßburg so benannt, der in seinen letzten Tagen hier als Einsiedler gelebt haben soll. Ueber der Capelle dräuen die stolzen Trümmer von Neuen-Montfort, das die Appenzeller zur selben Zeit zerstörten, als sie das alte in Rauch aufgehen ließen.

Diese beiden Trümmerhaufen zu Alt- und Neu-Montfort erinnern uns wiederholt an die mächtigen Herren, von denen einst, wie von den Andechsern und später von andern Hausern, die Sage ging, daß sie nach Rom fahrend jeden Tag auf eigenen Burgen übernachten könnten. Nachdem bisher schon hin und wieder ihre Geschichte berührt worden, mag hier im Angesicht dieser verfallenen Schlösser auch ihrer Mythen gedacht werden. Obgleich sie überall dabei waren in den wälschen Kriegen der Kaiser und auf den Kreuzzügen im gelobten Lande, obgleich sie in manchem Turniere den Dank gewannen, so schien den Zeitgenossen all die Ehre, die sich auf den Namen häufte, doch nicht genug, und frühe schon fanden sich belesene Männer, die den Montforten rühmend nachsagten, sie seyen ein altetruskischer Königsstamm und schon ein halb Jahrtausend vor Christi Geburt mit dem Herzog Rhätus in Hohen-Rhätien eingewandert. Andre Rittergeschlechter Graubündens sind dieser fabelhaften Spur gläubig nachgegangen und ehemals wenigstens vermeinten die meisten derselben ihre [154] Urahnen zu Volaterra, Volsinii und Veji suchen zu müssen. Indeß waren die Montforte wohl so gut als die Mehrzahl der andern rhätischen Herren alemannischer Abkunft und neuerer Zeit folgt man daher eher der Meinung, daß sie von Gerold von Bussen, dem vexillifer imperatoris, der im Jahre 799 in einer Avarenschlacht gefallen, herstammen möchten, obgleich auch dieser Graf von der Fahne eine etwas mythische Färbung hat. Abgesehen von jener fabelhaften Genealogie scheinen die Montforte in ihren historischen Zeiten die Träger mancher wunderlichen Sage gewesen zu seyn. So erwähnt Freiherr von Hormayr in der Schwangauer Chronik eines Ritters von Montfort, der mit dem Böhmenkönig gegen die heidnischen Litthauer sieghaft, von dort eine gefangene wunderschöne Fürstentochter als Sklavin mitbrachte, sie bei den Dominicanerinnen zu St. Peter bei Bludenz erziehen ließ und dann, wie der Graf von Gleichen, mit zwei Frauen lebte. Ein paar andre Geschichten, mit denen man sich damals trug, hat uns ein sinniger Schreiber aufbewahrt, der, wenn man seinen scheinbar eigenen Worten trauen dürfte, ein Dienstmann der Montforte, jedenfalls ihrem Hause mit großer Verehrung zugethan war.

Vor etwa vierhundert Jahren nämlich mag zu Rankweil ein schreibkundiger Mann, Namens Thomas Lyrer, gelebt haben – wenigstens gibt es eine Schrift unter dem Titel: Alte schwäbische Geschichten, an deren Ende sich ein so Benannter als Verfasser anzeigt. Dieses kleine Buch ist im Jahre 1486, und zwar in demselben Jahre zweimal bei Conrad Dinkmut zu Ulm gedruckt worden und wurde fast drei Jahrhunderte darnach, nämlich 1761, von Licentiat Wegelin, Bürgermeister zu Lindau, neuerdings herausgegeben, „weil es so gar rar geworden, daß es selten mehr in alten Bibliotheken, geschweige in öffentlichen Buchläden und eben so wenig in einer Collection der alten Geschichtschreiber und Jahrbücher anzutreffen und dahero unter die fast gar verloren gegangenen Bücher nicht unbillig zu rechnen war.“ Uebrigens ist damit auch jedesmal als zweiter Theil eine deutsche Chronik abgedruckt worden, welche bis zum Jahre 1462 reicht, nach allen [155] Anzeichen aber einen andern Verfasser hat als die Erzählungen, an deren Schlusse sich Thomas Lyrer nennt. Dieser zweite Theil erzählt allerlei Dinge, die sich im heiligen römischen Reiche von der Zeit Karls des Großen an bis zu besagtem Jahre begeben haben, geht zwar mit der Geschichte nicht immer ganz säuberlich um, nimmt es aber damit doch ungleich genauer als der erste Theil, der nur hie und da eine Angabe bringt, welche wirklicher Historie ähnlich sieht.

Im ersten Theil, für dessen Verfasser wir also bis auf weiteres den Thomas Lyrer von Rankweil ansehen, erzählt derselbe zum Beispiele Eingangs seiner Geschichten, wie im hundert und vierten Jahre nach der Geburt unseres Herrn ein Kaiser zu Rom war, Namens Kurio, der wegen seines christlichen Glaubens, trotz der Fürsprache der Senatoren Amor und Ventrum Urseum, vertrieben wurde und mit seiner Gemahlin Docka, seinen eigenen Söhnen und den Söhnen seiner Schwester, Jürgo und Hego, über das Hochgebirg gen deutschen Landen wärts floh und auf den Plan Dalfaz in Graubünden kam. Kaiser Kurio baute darauf seinen Söhnen in Rhätien und in Schwaben verschiedene Vesten, und so wurden sie die Anherren mächtiger Geschlechter. So baute er dem ältesten die Veste Hohentrins und nannte ihn Magnus von Höwen; dem andern die Veste Gutenberg und nannte ihn Eglof von Wartau; dem dritten gab er einen Berg und errichtete darauf die Veste Starkenberg und gab ihm einen weißen Schild mit einer rothen Fahne zum Wappen, zum Zeichen, daß er die christliche Ordnung halten und darum fechten sollte, wenn es Noth thue. „Dem Deutschen nach,“ sagt Lyrer, „wird das Geschlecht geheißen: die von dem rothen Fahnen; aber darnach als sich die wälschen Kurwalhen gemehrt hatten, da ward der Namen in wälsch bekehret und geheißen: von Montfort.“ Der vierte Sohn Kaiser Kurio’s war Wilpart von Leutkirch, der fünfte aber der Patriarch Burgundus; der führte gar ein selig Leben und hatte seine Wohnung auf dem Berge Kirchberg bei dem Dorfe Ulm. Der sechste Sohn erhielt die Stadt Ravenau, die jetzt Ravensburg heißt, und wurde Herzog Rumulus von Schwaben genannt. [156] Kaiser Kurio aber baute sich selbst eine Veste, die er nach seiner Gemahlin Dockenburg (Tokenburg) nannte, und wohnte daselbst und starb nach Christi Geburt im Jahre 172 und ward begraben im Kloster Fischingen.

In solch glaubwürdiger Art erzählt Thomas Lyrer fort und fort die alten schwäbischen Geschichten. Manche Capitel enthalten nur ein buntes Durcheinander von Kriegen, Stößen, Herrentagen, Stiftungen, Hochzeiten und Geschlechtsregistern, in dem sich jedoch allenthalben deutlich ein Streben zeigt, das Haus der Grafen von Montfort nach besten Kräften zu verherrlichen und ihre Geschichte in Wahrheit und Dichtung auszuschmücken. Zuweilen erblüht aber auch aus dem krausen Wirrsal eine wundersame Mähr und aus diesen haben wir denn die Geschichte des Herrn von Montfort und der Königin von Kathay (China) und die andere des Grafen Albrecht von Werdenberg und der Königstochter von Portugal wie wir hoffen zum Vergnügen des Lesers herausgehoben.

Es folgt also nebst ihrer schönen Einleitung:

Die erste Geschichte.


Von dem Herrn von Montfort und der Königin von Kathay.

Item zu denselben Zeiten – es war eben nachdem Rom gestiftet fünfzehnhundert und drei Jahr und so lange war kein Kaiser da gewesen. Der erste Kaiser, der da ward zu Rom, hieß Julius. Der war ein deutscher Mann und war von Trier gebürtig. Denselben Kaiser aber setzte ein Herr von Schwaben mit Gewalt. Der Herzog Bremo von Schwaben nämlichen hatte ehevor gekrieget mit den Römern hundert und zehen Jahre kräftiglich und ohne Unterlaß. Er baute auch mit Gewalt vor Rom sechs Städte, so daß sie gegen deutschen Landen sahen und daß auch die Römer auf dem Lande nicht zu ihm möchten kommen. Die hießen Hohensen, Teutschensen, Bewen und Brissen, Mailand und Pavy. Und alles das Opfer, das man sollte bringen aus Lamparten und deutschen Landen in das Haus Capitolium gen Rom den Heiligen, das mußte man bringen den Heiligen gen Bern (Verona). Darzu zwang sie der Herzog von Schwaben. Zu denselben Zeiten [157] aber kam Virgilius gegen Rom, der war gebürtig von Mantua. Der machte es mit seinen Listen, wie er wohl konnte, daß alle Länder, die der Römer gewesen waren und die sie bezwungen hatten, Tribut dahin geben mußten. Also sandten, um dieß zu richten, die Römer Kaiser Julium aus mit großer Gewalt der Leute und auch mit Reichthum des Gutes, damit er gen Schwaben führe und das Land bezwänge und auch andere deutsche Lande. Und sandten ihn aus seiner Witze, Kunst und Mannheit wegen und geboten ihm auch bei ihrer Huld, daß er nicht länger aus wäre, denn zehen Jahre, und wenn er einen Tag über das Ziel ausbliebe, so hätte er ihre und des Landes Huld verloren.

Da fuhr Kaiser Julius gegen Schwaben und focht mit den Herren von Schwaben. Und sie thaten drei Feldstreite, den einen auf dem Hasenbühl ob Füssen bei dem Lech, den andern bei Mindelheim und den dritten an einem andern Orte. Und es mochte keiner dem andern obsiegen, so mächtig waren sie beide. Da wurden sie mit einander versöhnt und gerichtet und ward der von Schwaben des Kaisers Diener und der baute ihm eine Stadt, darum zu Liebe. Dieselbe Stadt ward geheißen Tharcinus, das bedeutet eine Stadt der Milden. Julius, der Kaiser, und der Herr von Schwaben, die fuhren aber mit einander in das Land zu Bayern und fochten da mit zweien Herren von Bayern. Diese zween waren Brüder und hieß der ältere Portemont, der jüngere Igrum. Und der Kaiser siegte ihnen Beiden ob und wurden die zween Herren des Kaisers Diener. Julius, der Kaiser, baute ihnen auch zu Liebe eine Stadt. Die hieß er Albach und machte ihnen da ein Markgrafenthum. Er fuhr auch mit ihnen durch das Land mit Gewalt und baute Wien und bezwang Böheimerland, Poland, Sachsen, Meißen, Osterland, Thüringen, Westphalen, Hessen, Westerreich und dazu Windischland.

Und da besetzte der Kaiser die Länder und gab dem Herzoge von Schwaben und den zweien Herzogen von Bayern Urlaub und ließ sie wieder heimfahren und er fuhr gen Rom. Nun war Kaiser Julius ein halbes Jahr länger ausgewesen, dann die zehen Jahre, wie die Römer gesetzt und geboten [158] hatten. Also versagten sie ihm Huld und wollten ihn nicht einlassen. Da erschrack der Kaiser sehr und ward von ganzem seinem Herzen betrübet, da er meinte, er sollte deß billig genießen, da er also wohl geschaffen hätte. Und er entbot es seinem Oheim, dem Herzoge von Schwaben, und klagte es ihm und bat ihn fieißiglich durch seiner Liebe willen, daß er ihm zu Hülfe käme. Der aber kam zu ihm mit einem gar großen unzählbarlichen Volk, und sie zogen vor die Römer. Da nun die Römer vernahmen, daß der gewaltige König Bremo gekommen war mit seinem großen Volk, da erschracken sie gar sehr, denn er hatte ihnen auch ehevor viel Leids gethan. Und von rechter Furcht flohen da zween von den zehen gewaltigen Herren zu Rom. Der eine war der Herzog Pompejus; derselbe entrann und floh in Egyptenland zu dem König Bartholomäus, den er ehevor dahin gesetzt hatte, und da war er sicher. Da floh auch Herr Cato, der ernsthaft Richter, und entrann mit einem großen Volk an das Meer und wollte darüber gefahren seyn. Da eilte und zog ihm Herzog Bremo nach mit seinen Leuten an das Meer und focht mit ihm und schlug ihn todt und viele seines Volkes mit ihm. Da das die Römer vernahmen, da wurden die acht Herren, die da gewaltig waren, zu Rath, daß sie Julium den Kaiser empfingen zu einem einigen Herrn und zu ihrem Gewaltigen und Kaiser. Und dieselbe Ehre und Würdigkeit, Gewalt, Kraft und Macht, die Julio, dem Kaiser, von den Römern gefestnet und gegeben und von ihm auch kräftiglich besessen ward, mit all den Rechten, die dazu gehören und gehört haben, dieselben alle, wie sie genannt sind, gab der Kaiser Julius dem Herzog Bremo um der Würdigkeit willen, die er an ihn gelegt hatte mit seiner Hülfe. Und er gab sie ihm und auch allen deutschen Herren, die dann von Geburt und von ritterlicher That wegen derselben Ehren würdig waren. Davon hat Niemand die Ehre, noch soll sie Jemand haben, dann die Schwaben und deutschen Leute, die dieser Gnaden beholfen wurden von den Römern. Und solche Gnade und Freiheit ist bestellt mit genugsamer Urkund und einem Artikel zu dem andern, als [159] man es findet in der schwäbischen Kanzlei mit Urkund und mit Briefen.

Zu denselben Zeiten also da ist gewesen ein mächtiger und edler Herr von Montfort, und der saß ob der Stadt, die hieß Cleroa, auf einem Schloß, das hieß auch Montfort, und war ein ritterlicher, frommer und mannhafter Mann. Der ist um Ehren und der Ritterschaft willen nach weiten und fernen Landen ausgezogen und gekommen an des großen Kaisers Hof, des Chans von Kathay. Daran hat er sich etwan viele Zeit so gar ritterlich und wohl gehalten. Indem da hat sich eine Sach begeben, daß die Königin des ehegenannten Kaisers von Kathay außerhalb ihres Herren und ehelichen Gemahls einen andern geliebet und auserwählt, ihre Kurzweil mit ihm zu haben. Das that einen Ritter an dem Hofe sehr übel und fast verdrießen, und die Königin ward bei dem König verklaget. Nun ist dazumal an dem Hofe und in dem Lande Sitte gewesen, daß eine jegliche, der Unehren geziehene Frau sich mit einem rittermäßigen Manne deß kämpflich gegen den Zeiher verantworten und selbes ab ihr bringen mußte, was ihr auch also von dem König aufgelegt ward. Nun war die Königin in großem schweren Leid und wußte Niemand an ihrem Hofe, um solches anzusuchen, auf den sie Trauen und Glauben setzen möchte. Und ging deß daher an den Grafen von der rothen Fahne mit hohem Ermahnen und Ersuchen, mit vielen glimpflichen, schönen und guten Worten, der Deutschen Frauendienst sehr berühmend und bittlich um aller Frauen Zucht und Ehre willen ankommend, wenn ihm je eine Gutheit oder Ehrwürdigkeit von einer Frau geschehen wäre, oder aber noch zu gegenwärtigen Zeiten geschehen möchte, solche ihre Ehre und guten Leumund gegen den mordlichen Ehrabschneider, ihren Versager, kämpflich zu entschuldigen, mit viel und gar großem Erbieten dieses bittend, wovon zu schreiben nicht Noth ist, sondern ein jeglich ritterlich Mann sich deß wohl besinnen mag. Der frumm ritterlich Graf beweist seine Mannheit, Weisheit und Herkommen und gewährt der Königin ihr Gebet. Dadurch ward alles ihr Trauern hinlässig und ihr Herz zu großen Freuden gemehrt, was sie gar zu großem dankbarlichem [160] Erkennen von ihm aufnahm. Doch muthete er ihr zu, bei ihren königlichen Treuen, in einer Frage, die er zu ihren Gnaden hätte, eine Wahrheit zu sagen, was sie auch also gelobte. Da fragte er sie bei diesem Gelübde, ob sie der That solcher Anklage schuldig wäre oder nicht. Da sagte sie ihm, ja, sie wäre deren schuldig. Da sagte er zu ihr, nicht desto minder wolle er dennoch um ihrer Ehren und seines Zusagens willen kämpfen.

Nun ward der Kampf durch den König vorgenommen und angeschlagen. Der frumm ritterlich Graf besammelte sein Gemüthe mit Anrufung des allmächtigen Gottes und seiner Mutter, bittend, um aller Frauen Ehre willen Hülf und Beistand zu thun. Und besann sich also, um kämpflich gegen den Versager der Königin in den Kreis zu treten. Und da er in den Kreis kam und sich kämpflich gegen den Ritter um der Königin Ehre wegen wehren sollte, fürchtete er der Frau Geständniß und wahre That und wich und floh eine kleine Zeit und Weile. Das verdroß den andern Ritter und er legte sich mit Scheltworten an ihn und schrie: „Ei du Bösewicht, du fliehst!“ Das ging dem Grafen zu Herzen und wollt sich deß erwehren und sprach: „Du lügst mich an und bist an dir selber; und ich will heut, so Gott will, meine Ehre und Frömmigkeit an dir rächen und dich darum mit der Hülfe Gottes zu todt schlagen.“ Und er gewann darauf den Sieg und rettete der Königin Ehre und schlug ihn zu todt.

Das kam der Königin zu großem Guten und sie sprach zu ihm, wie das nicht unbillig war, mit hohem Erbieten und Vermögen, ihm Wiedergelt zu thun und ihm große Habe und Gut zu geben, dessen er sich aber widerte und keine zeitliche Hab darum begehrte, noch auch haben wollte, da er das vorab um unser lieben Frauen und aller andern Frauen Ehre willen gethan habe. Doch aber hätte sie ein Tuch, das wäre, als unser Herr Jesu Christ von dem Stammen des Kreuzes genommen ward, unter und über ihn gelegt worden, und so bäte er ihre königliche Gnade, ihm das zu geben und nichts anderes. Das gab sie ihm mit großen Ehren, Demüthigkeit und hohem Erbieten, seine gnädige Frau zu seyn. Also kam er hinweg [161] und führte das mit sich und kam an des Herzogen Hof von Savoyen; da ist es geblieben. Und seine ritterliche That an der Königin Hof ist immer und ewig ihm und allen Deutschen zu Lob und Preis eingeschrieben, daß sich ein jeder rittermäßiger Mann wohl freuen mag und schönen Frauen desto pflichtiger hernach dienen wolle, um den Lohn zu empfahen, den sie zu geben haben.


Es folgt nun mit einigen erlaubten Abkürzungen:

Die andere Geschichte.


Von dem Grafen Albrecht von Werdenberg und der Königstochter von Portugal.

Es war einmal ein Herzog von Schwaben, der hatte einen Vogt, der hieß Walter von Wolfegg. Der fand den Herzog bei seiner Schwester und erschlug ihn. Darauf floh er gen Werdenberg zu dem Herren mit der weißen Fahne, und des Herzogen Bruder und der von Werdenberg waren deßhalb lange uneins mit einander. Endlich ward gesprochen, daß der von Wolfegg hundert Meilen aus Schwabenland sollte und nimmermehr hinein. Das that er und nahm mit ihm seiner Schwester Sohn Arbogast von Andelon *) und kam in das Land zu Portugal. Da fanden sie einen Ritter, der hieß Herr Oswald von Hatstatt und war ihr Freund und half ihnen beiden an des Königes Hof. Nun war Arbogast ein Knab von fünfzehn Jahren; den that man in das Frauenzimmer und der von Wolfegg ward des Königs Truchseß.

Nun stand ein Unglauben auf in einer Insel, die hieß Zang, und dem vermeinte der König zu wehren. Also zog er aus auf die Zänger. Die setzten sich zur Wehr und ward viel Volks erschlagen und erschossen, auch der von Wolfegg. Doch gewann der König die Insel und zwang sie zum Christenglauben [162] und gab sie in die Gewalt des Königs von Boßla, der auch kürzlich zu dem Glauben war gebracht worden.

Da kam aber die Pestilenz unter das Volk und der König der ein Wittwer war, floh mit seinen Kindern auf ein Schloß, das hieß Ampernesto. Nun hatte er eine Tochter, die war das älteste Kind und hieß Elisa, und zween Söhne, mit Namen Antonius und Franciscus. Der König zog bald wieder von dem Schlosse, hieß aber die Kinder dableiben, und als nun die Kinder dablieben, so fingen sie vor Kurzweil an zu laufen in einem Garten. Da sprach Elisa zu Arbogast: wir wollen dich wälsch lehren und lehre du uns deutsch. Er antwortete: Gnädige Frau, gern! Könnte ich nur etwas anfangen, das euern Gnaden gefällig wäre und möchte nur so viel verdienen, daß mir eure Gnade etwas hieße! Da sprach die Königin: ein jung Mann soll allweg gedenken in die Höhe; denn denkt er unter die Bank, so kommt er nimmermehr darauf. – Da sprach Argobast: wer hoch klimmt, der fällt hart und wer über sich hauet, dem fallen die Späne in die Augen. – Da sprach Elisa: gelehrten Leuten ist gut predigen und ich meine, du seyst mit ihnen gen Schul gegangen. – Da sprach Argobast: ich bin unweise und ein ganzer Thor. Gott gebe mir Barmherzigkeit und Gnade, daß ich ein Mensch überkomme, das sich über mich erbarme und sich meiner unterwinde und mich seinen Willen lehre und mich zu gebührlichen Dingen ziehe. Hierum, gnädige Frau, seyd mir gnädig und heißet mich etwas thun oder lassen zu euerm Gefallen. – Da sprach sie: du bist ein Kind und nicht Alles steht dir wohl an. – Da kam der Kammermeister und sagte, er solle an seinen Dienst gehen. Da ging er und bereitete den Tisch und ging dann zu seinem Vetter, dem Herrn Oswald von Hatstatt, und sagte ihm alle die Reden, die gethan waren. Da sandte der von Hatstatt nach einem Schneider und ließ sich und allen den seinen und auch seinem Vetter Arbogast grüne Kleider machen, übernäht mit Rauten. Als nun die Kleider gemacht waren, legten sie die an und Arbogast ging mit der Königin zur Kirchen. Da sprach sie: von wannen kömmt dir das neue Kleid? Er antwortete: mein Vetter hat es mir gegeben. – Da sprach sie: hätte ich einen Schüler, ich hieß ihn an den [163] Schatten sitzen und das Antlitz weiß behalten. Arbogast, der war jung und ward vor Scham roth und wußte nicht was er zu ihr sprechen sollte. Da sprach sie ferner: wenn aber ein Schiff über das Meer führe gegen die Heiden, so müßte er ihnen entgegenkommen und sie mit den Ruthen streichen. Da wußte Arbogast abermals nicht was er sagen sollte und sagte es seinem Vetter. Der sprach: sie meint, wenn die Heiden herschiffen, so sollst du dich mit andern in ein Schiff setzen und wider sie fechten. – Und kürzlich darnach kam die Mähre, wie daß die Heiden gekommen wären das Land zu beschädigen. Da eilte Arbogast mit andern in ein Schiff und hielt sich so ritterlich, daß sie meinten, wär’ er nicht gewesen, sie hätten den Heiden unterliegen müssen.

Das Geschrei kam an den Hof und in das Frauenzimmer und es gefiel Elisen gar wohl und sie gewann Arbogasten fast lieb. Und eines Tages sprach sie: Arbogast, hast du deine Mutter noch? Er sprach: nein, gnädige Frau, nur einen Vater, der hat eine andere Frau genommen nach meiner Mutter Tod. Da sprach sie: du sollt ohne Zweifel seyn, ich will deine Mutter werden und was dir anliegt, so komm’ zu mir. Ich will dir mit ganzen Treuen rathen und helfen wie meinem eigenen Herzen. – Das dankte ihr Arbogast so hoch, wie er es nur in seinem Herzen mochte finden, so daß sie einander sehr lieb gewannen.

Und darnach über eilf Monate so kamen die Heiden mit großer Macht. Da stand Arbogast auf und eilte mit den andern in ein Schiff und focht mit den Heiden umd da gewannen die Heiden den Sieg und nahmen Arbogast gefangen und führten ihn hinweg. Alsbald aber kamen die rhodischen Herren und warfen die Heiden nieder und nahmen ihnen alle, die sie gefangen hatten und meinten, sie wären auch wider sie gewesen und führten sie gen Rhodus. Da fragten sie Arbogast besonders, wer er wäre, und da sprach er: ich bin ein Deutscher, aber er wollte nicht sagen wie er hieße, noch von wannen er wäre. Da führten sie ihn auf ein Schloß, genannt Schönehab, und da lag er in einem Zimmer gefangen.

[164]

Unterdessen war ein Ehehalt an des Königs Hof zu Portugal, der war auch ein Deutscher und war gebürtig aus einer Stadt, die hieß Feldkirch. Sein Name war Kaspar Rumolt. Der ward ausgesandt vom König zu Portugal zu dem römischen König und zu andern Fürsten, Grafen und Herren und gemeiner Ritterschaft in deutschen Landen und ging die an und bat sie um Hülfe wider die Heiden. Und da kam er gegen Feldkirch, da fand er den Grafen auf dem Schlosse daselbst, der hieß Heinrich mit der weißen Fahne. Der hatte fünf Söhne und davon der zweite, Graf Albrecht, der rüstete sich aus dem Lande zu reiten und nahm mit ihm Marquard von Altstetten, und sie eilten in das Königreich Portugal. Und da kam Graf Albrecht gen Hof und fand da Herrn Oswald von Hatstatt. Der sagte ihm, wie einer von Wolfegg, der bei seinem Vater gewesen, drinnen gestorben wäre und hätte derselbe seiner Schwester Sohn Arbogast von Andelon mit ihm gebracht und diesen hätten die Heiden gefangen, so daß er besorge, er wäre umgekommen. Und nun bat Graf Albrecht den von Hatstatt, daß er Niemand sagte, wer er wäre und ihn sich ließe befohlen seyn und ihm des Landes und des Hofes Sitten sagte. Nun war aber Graf Albrecht ein weidlich starker Mann und was man thut zu Schimpf und zu Ernst, so wollte er allweg einer seyn. Eines Tages nun, da ging der König und beide seine Söhne und auch die Königin Elisa mit ihren Frauen und Jungfrauen in den Garten und in das Zuckerfeld spazieren und da sprach die Königin zu Graf Albrecht: ach, ihr Deutscher, daß euch Gott und allen Deutschen Heil gebe, und erseufzete gar inniglich dazu. Graf Albrecht fiel auf die Knie und dankte ihr als seiner gnädigen Frauen und wo er für sie ging und wo er sie und sie ihn ersah, so seufzte sie gar inniglich. Das nahm Graf Albrecht wahr und fügte sich einmal zu ihrer liebsten Jungfrau, die hieß Amisa, und bat sie zu erfahren ob die Königin ein Mißfallen an ihm hätte. Die Jungfrau redete darüber mit der Konigin. Sie sprach, er solle zu Abend kommen, wenn nicht viele Leute um den Weg wären und dann wollte sie ihm sagen, was ihr anliege. Graf Albrecht kam wie er geheißen [165] war. Da empfing sie ihn gar gnädiglich und sprach: was uns anliegt, das wollen wir euch sagen, als einem frommen Deutschen, um daß ihr uns helfet und rathet und hob an und sagte ihm, wie ein Deutscher bei ihr gewesen wäre und sie ihn zu guter Maß erzogen hätte. Der wäre von den Heiden gefangen und hinweggeführt worden und Niemand wüßte, ob er lebendig oder todt wäre. Dann bat sie ihn um Hülfe und Rath, daß er ihr möchte beistehen, daß sie inne würde was es um ihn für eine Gestalt hätte. Dafür wollte sie ihm geben Zehrung und was dazu gehörte, dennoch hoch dazu danken und das zu guten Gnaden nimmermehr vergessen.

So sagte ihr Graf Albert zu und bat den König, daß er ihm erlaubte, zu dem heiligen Grab zu ziehen, da er eine Fahrt dahin schuldig wäre. Also erlaubte es ihm der König und deß war der andere gar froh und sagte es der Königin. Diese gab ihm Zehrung und was ihm noth war. Dann ritt er hinweg und nahm mit ihm den von Altstetten und einen Knecht und kam gen Rhodus. Dort hatte er einen Freund, der war ein Graf von Pfirt. Zu dem kam er und sagte ihm, warum er hergekommen wäre und was es für eine Gestalt mit ihm hätte. Da sprach sein Freund: ich weiß wohl einen Gefangenen, der ist ein Deutscher, der will Niemand sagen, wer er sey und seinen Taufnamen und sein Geschlecht nicht nennen, und ist garzumal ein hübscher Knabe. Da bat er seinen Freund, daß er ihn zu dem Gefangenen ließe und das that derselbe und führte ihn zu diesem. Da bat er seinen Freund abermals, daß er ihm einen wohl kundigen Maler besenden sollte, um den Deutschen abmalen zu lassen. Das geschah und der Maler malte ihn auch eben gleich nach seiner Gestalt und nach allen Gliedmaßen. Also nahm der Graf das gemalte Tuch und machte sich mit dem von Altstetten förderlich wieder auf den Weg gegen Portugal. Und da er kam und die Königin seiner inne ward, da war sie gar froh und sandte nach ihm, daß er ohne alles Verziehen zu ihr käme. Das that er gar behend. Da sprach die Königin: seyd uns Gottwillkommen, mein lieber Freund! [166] saget uns, wie es euch ergangen sey und was ihr uns geschafft habet. Er antwortete und sprach: ich bin gesund wieder hergekommen von der Gnade Gottes; aber der von Altstetten ist gar tödtlich krank worden; doch habe ich ihn dennoch mit mir hergebracht. Da sprach sie: hat er nicht ruhig Gemach und was ihm anliege und Nothdurft sey, das wollen wir ihm genug schaffen. Und ferner, was habt ihr erfahren oder was seyd ihr inne worden? Da sprach er: gnädige Frau! ich habe euch ein Gemälde gebracht. Ist es ihm gleich, so hoffe ich gute Mähr zu bringen. Da sprach sie: zeiget her. Das that er und als sie es ansah, da ward sie vor Freuden roth und darnach bleich und sprach: wo habt ihr das Gemälde genommen oder wo ist es euch geworden? Da sagte er ihr alle Dinge, wie sie geschehen waren. Da sprach sie: ist er noch bei Leben, so wollt ich das meinige wagen und zu ihm kommen und wolltet ihr mir dazu verhelfen, so wollte ich wohl groß Gut und Kleinod mit mir hinweg nehmen. Da sprach er: gnädige Frau! was ich mit Ehren thun mag, darum will ich Leib und Gut wagen. Da sprach sie: gedenkt ihm nach und das will ich auch thun, und kommt morgen um diese Zeit wieder zu mir. Also nahm er Urlaub und ging wieder von ihr und kam zu seinem Diener, dem von Altstetten und sagte ihm die Dinge, daß ihm die Königin entbieten ließe, er solle keinen Mangel haben. Nun war Sanct Bernhards Orden erst angefangen in der Christenheit und der König hatte ein Kloster machen lassen und siebenzig Mönche darein gesetzt. Und so sprach der von Altstetten: ich weiß einen guten Weg. Ich will begehren, daß man mich in das Kloster lege in ein stilles Gemach, darinnen ich Ruhe haben möchte, und wenn das geschehen, so gehet zu der Königin und redet mit ihr und sehet, ob sie mit euch hinwegfahren wolle. Wollte sie das thun, so wüßtet ihr gar einen guten Weg, damit sie recht wohl davon möchte kommen.

Also ward der von Altstetten in das Kloster geführt und lag manchen Tag da und das Kloster lag nahe bei dem Meere. Unterdem kam aber Graf Albrecht zu der Königin, zu fragen, was ihre Wille wäre. Da sprach sie: ich habe mich bedacht, [167] daß ich mit euch hinweg will und meine Jungfrau Amisen mit mir nehmen. Nun war Amisa eines Herrn Tochter zu Portugal, der hieß Anthoni de Ponagiri. Die rüstete sich, mit ihr hinwegzukommen.

Also ging Graf Albrecht wieder zu dem von Altstetten, und fragte, wie er es anfangen wollte. Da sprach der von Altstetten: gar wohl! mein Rath ist, ihr sollet Urlaub nehmen von dem König, daß ihr nimmer sein Diener seyd und sprecht, ich sey tödtlich siech; ihr wollet mich heimführen in meine Luft, denn die Aerzte rathen es, sonst möge ich nicht genesen. Dann wollen wir ein gut Schiff bestellen, das mit Leuten wohl gefertiget sey. Dann, so es Alles zugerüstet, soll die Königin eine Weile vor Tag kommen und bringen, was sie mit ihr nehmen will, in mein Gemach. So wollen wir in das Schiff sitzen und förderlich von Statt fahren. Und ehe man dieß inne wird, so wollen wir gar einen fernen Weg seyn, daß wir wohl sicher seyen mit Gottes Hülfe. Das gefiel Graf Albrecht gar wohl und er ging zu der Königin und sagte es ihr. Da gefiel es ihr auch fast wohl und sie sprach, sie wolle es in dem Namen Gottes wagen und sagte es ihrer Jungfrau Amisen. Graf Albrecht ging von Stund an zu dem König und nahm Urlaub von ihm. Da sprach der, warum er von ihm wolle, denn er hatte ihn gar lieb und ließ ihn ungern von sich. Da sprach Graf Albrecht: gnädiger Herr! die Aerzte sagen, der von Altstetten müsse sterben, man führe ihn denn in seine Luft und wenn es sich so macht, so komme ich vielleicht wieder. Also gab ihm der König eine gute Zehrung und köstlich Tuch von Sammet und von Seide und der Graf nahm Urlaub von allem Hofgesind und den Jungfrauen und der Königin und dem von Hatstatt und sagte ihm nicht von den Dingen.

Also Morgens früh vor Tag kam die Königin mit ihrer Jungfrau und brachte unermeßlich viel Gut und viele hübsche Kleinode. Und sie saßen alle in das Schiff und fuhren. Und da die Sonne wohl aufkam und um die Zeit, als der Königin Gewohnheit war, daß sie aufstünde und Messe hörte, da kam zu Hof ihrer Diener einer und fragte, ob sie bald wolle Messe hören. Da sprachen die Jungfrauen: wir haben sie heute noch nicht [168] gehört und dürfen sie nicht wecken. Das sagte der Diener dem König. Der sprach, er solle wieder hingehen und sie wecken lassen. Das that der Diener und kam hinauf zu den Jungfrauen und hieß sie wecken, es hätte es der König geschafft. Die Jungfrauen gingen hinein und wo sie hinsahen und lugten, so sahen sie Niemand. Da erschracken sie ohne Massen und wußten nicht, was sie thun sollten und schickten nach dem Marschall des Hofes und sagten ihm, was es für eine Gestalt hätte. Der Marschall erschrack sehr und ging zu den andern Räthen allen und sie wurden überein, daß sie es dem Könige sagten. Und also gingen sie alle zu dem Könige und sagten es ihm. Da erschrack er auch ohne Massen, wie billig war und schuf, daß man alle die finge, die zu der Königin gehörten, Frauen und Männer und besonders auch alle deutsche Gäste, die an dem Hofe waren. Also ward Herr Oswald von Hatstatt auch gefangen und besonders in ein Gemach geschlossen. Denn die gemeine Rede war von Stund an, die Deutschen hätten sie hinweggeführt. Also schickte man viel Volks auf dem Wasser und auf dem Lande, ob Jemand erfahren möchte, wo sie aus wäre. Da ging man auch über alle ihre Behältnisse zu sehen, ob man nichts mangle. Da waren die besten Kleinode alle hinweg.

Die andern aber fuhren dahin und kamen in kurzen Tagen gen Rhodus. Da wurden sie von dem Grafen von Pfirt wohl empfangen. Und kürzlich darnach führte er sie auf sein Schloß, genannt zu der Schönehab, denn der von Pfirt hatte dasselbe Schloß besonders inne. Und da es Abend war, sprachen der von Pfirt und Graf Albrecht: wir wollen zu dem Gefangenen gehen und ihn fragen, wer er sey oder wie er heiße und ihm drohen, wolle er es nicht sagen, so müsse er sterben. Also gingen sie zu ihm und fragten ihn, weß Geschlechts er wäre und wie er hieße und redeten viele harte und drohliche Worte mit ihm. Da fragte er, wer sie denn wären oder wie sie hießen; er wisse doch nicht, ob er in christlichem oder heidnischem Glauben und Lande wäre. Da sprach der von Pfirt: ich heiß Graf Hans von Pfirt und dieser heißt Graf Albrecht von Werdenberg. Da ward der [169] Gefangene von Herzen froh und sprach: mein Vetter selig, von Wolfegg, dem Gott gnädig sey, hat mich in Portugal geführt und ist aus dem Lande vertrieben worden derer von Werdenberg willen. Nun schadet mir aber nicht, was ich gelitten habe, so ich zu frummen Herren gekommen bin, die meiner Gewalt haben. Und dann sprach er: ich heiß von meinem Geschlecht Andelon und mein Vater heißt Ruprecht von Andelon. Da saßen sie zusammen und redeten gar von mancherlei. Da sprach der von Pfirt: wir wollen euch eurer langen Zeit eines Theils ergötzen und euch zu schönen Frauen führen. Da sprach Arbogast: ich bin gelb und ungestalt und so ich mich auf das Schönste mache, so bin ich dennoch nicht gar wohl gestaltet zu Frauen zu gehen. Also gingen sie weg von ihm und schufen ihm einen Barbierer, der ihm Rath thäte.

Da es nun Nacht war und dunkel, da kam Graf Albrecht und führte ihn zu der Königin und er saß zu der Jungfrau. Nun war es dunkel in der Kammer und da fragte Arbogast die Frau: ob sie deutsch könnte. Da sprach sie: nicht viel. Da wollte er sie angerühret haben. Da sprach sie in ihrer Sprache, er solle die Hände bei sich behalten. Da gedachte er wohl, wie redet sie meiner Frau Elisa so gleich, und ward gar von Herzen traurig. Und da gedachte sie auch: wie redet der meinem Arbogast so gleich. Da sprach der Graf Albrecht: wohlauf, wir wollen hinweggehen. Und so gingen sie.

Als sie aber hinweg waren, sprach Amisa: Frau, wer ist der, der an euch gesessen? Sie sprach: ich weiß nicht. Wohl redet er meinem lieben Arbogast so gleich, daß mir alsbald an meinem Herzen weh ist worden. Und Arbogast sprach unterwegen zu Graf Albrechten: ach, lieber Herre, wohl redet die Frau sonst einer Frauen so gleich, daß mir alsbald an meinem Herzen weh ist worden. Da sprach Graf Albrecht: ist dir gar weh worden! Ich meinte, ich wolle dir eine lange Zeit kurz machen. Da sprach Arbogast: ich habe immer Sorge um ihrer willen, die ich meine. Da sprach Graf Albrecht: Gott ist aller Gnaden zu trauen.

Und Morgens frühe kam Graf Albrecht zu Elisa und sprach: sitzet an das Fenster und luget dort hinüber in jene [170] Bäu, und wenn ich dann zu euch komme, so sagt mir, was ihr sehet. Und dann ging er zu Arbogast und sprach zu ihm: geh’ mit mir dort ans Fenster und sieh hinüber, wie der Wirth eine schöne Frau hat. Und da sie Arbogast sah, brann er unter den Augen wie ein Feuer und sprach: wäre es möglich zu reden! es ist aber und kann nicht seyn – so wäre doch die Frau einer andern Frau so gleich, daß ich gerne einen leiblichen Tod wollte leiden, wenn ich es erfahren könnte. Da sprach Graf Albrecht: nun thu’ es um der Liebsten willen, die du hast und singe mir eine Tagweise, so du meinest, daß die Liebste habe ehedem von dir gehört. Und damit ging er von ihm und kam zu Elisa und sprach: Frau, was thut ihr? Da sprach sie: da sitz’ ich und ist mir weder wohl noch wehe. Lieber lasset uns bald hinweg, daß ich komme zu meinem Arbogast. Da hob Arbogast an zu singen und sprach Graf Albrecht: Frau, wen habt ihr gesehen? Da sprach sie: eines hübschen Mannes Bild; wenn er nicht so bleich wäre, so sähe er meinem Arbogast gleich. Und da er sang, da sprach sie: er singt ihm auch nicht ungleich. Da sprach Graf Albrecht: es ist ein Knecht in dem Haus.

Nun ging Graf Albrecht zu dem von Pfirt und sie gingen mit einander zu Arbogast und führten ihn zu der Königin. Und da sie ihn ansah, da erschrack sie von Herzen vor rechten Freuden; deßgleichen geschah ihm auch. Da hätte Elisa Arbogasten gerne zur Ehe genommen. Da sprach er aber: nein. Das wolle Gott nimmermehr, daß ich eueren Gnaden solche Unehre erzeige; aber dieser ist ein wohlgeborner Graf von Werdenberg, den sollt ihr nehmen. Und mag ich es an eueren Gnaden und an ihm gelten, so gebet mir Amisen.

Also schickte der von Pfirt von Stund an nach seinem Caplan. Der hieß Herr Hans Heberlin und derselbe gab sie zusammen. Und da fuhren sie über Meer und kamen gen Triest. Da starb Herr Marquard von Altstetten der mit Graf Albrechten gen Portugal gefahren war, und ward da begraben in der Capellen des Patriarchen, der ein Graf von Görz war und Ludwig hieß und sind allda noch heutzutage sein Helm und Schild. Nachdem zogen die anderen heraus und [171] kamen in eine Stadt, heißt Salzburg. Da ist ein Bisthum und da lagen sie still. Und Graf Albrecht schickte zu dem von Altstetten, der ein Vogt zu Werdenberg war und ein Vetter desselben, so in Triest gestorben. Diesem ließ er sagen, daß er eine Königin von Portugal brächte, die sein Gemahl wäre, und mit ihr ein großes Gut. Da sollte er zu seinen Brüdern und anderen seinen Freunden senden und ihnen zu wissen thun, daß sie ihm entgegenritten, so gut sie könnten. Auch das Schloß Werdenberg sollten sie herrichten so köstlich und gut sie könnten. Also ward ihm auch entgegengeritten wohl mit sechshundert Pferden und zwei und dreißig Frauenwagen und wohl hundert und achtzig Speisewagen. Dabei waren zween Burggrafen von Nürnberg und drei Grafen von Teck und zwei von Helfenstein und etlich von Tokenburg und Graf Wilhelm von Achalm und zween seiner Söhne und Diether von Stoffeln und sein Bruder und da waren der Herren und Knechte so viele, daß man sie nicht alle beschreiben mag.

Nun hatte Graf Albrecht einen Sohn, der war das erste Kind. Als der neun Jahre alt war, schickte er ihn in das Land gen Portugal, seinem Aehne auf Gnade. Und ließ ihm sagen, er hätte ihm den liebsten und größten Schatz gegeben, den er hätte auf dieser Erde und wenn er ihm gnädig wäre und seine Ungnade abließe und ihn hörte, so wollte er ihm sagen, was die Sache für eine Gestalt hätte und was an ihr wäre. Also da der König in Portugal das hübsche Kind ersah, da ward er sehr fröhlich und schrieb seinem Vater ein Geleit zu unter seinem heimlichen Secret, daß er zu ihm käme. Also machte sich der Graf auf und fuhr zu ihm. Und da er in die Stadt kam gen Portugal zu seinem Schwäher, da erfuhr er, daß der von Hatstatt noch in der Gefängniß liege, weil er geziehen worden, er hätte dazu gerathen und geholfen, daß die andern hinweg wären gekommen, und wäre das also, so müßte er in der Gefängniß sterben. Das lag Graf Albrecht hart an.

Des Morgens schickte der König nach ihm und da er zu ihm einging, fiel er auf die Knie und sprach: gnädiger Herr, eure Gnade vergesse eures Zornes und so will ich euch sagen, was es für eine Gestalt hat und wie es darzu gekommen ist, [172] und hob an und sagte von Anfang bis zu Ende, wie Arbogast in das Land kam und die Sache ganz aus bis zu Ende. Da ward der König versöhnt und sprach: also will ich Gnade, Freundschaft und Liebe zu euch haben und bittet, was ihr wollet, das ziemlich sey, das wollen wir euch gewähren, so ferne wir können und mögen.

Und vor Freuden gingen Graf Albrecht die Augen über und er sprach: so bitt’ ich eure Gnade, daß ihr mir wollet geben Herrn Oswald von Hatstatt ledig mit mir heimzuführen, denn er hat weder Rath noch That, noch eine Schuld an der Sache. Deß ward er gewährt. Also lag Graf Albrecht dem von Hatstatt zu Liebe dennoch XVI Wochen da still, bis er erstarkte und die Luft gewöhnte, und führte ihn dann mit ihm heim und hatte ihn auch bei sich bis an seinen Tod. Und Graf Albrecht saß im Lande und regierte es ordentlich, wie es einem frummen Herrn ziemt. Und Graf Hans, Albrechts Sohn, der zu Portugal geblieben war, ward XIII Jahre alt, da starb er und ward in St. Bernhards Kloster begraben. Und ist noch heutzutage dort ein Stein und Schild und Helm daran, wie manch Ritter und Landfahrer gesehen hat und noch sehen mag.

Item da Graf Albrechts Hochzeit eine Ende nahm und auch die Reise, da hatte Arbogast seine Hausfrau auch heimgeführt in die Stadt Bern. Da war sein Vater Landvogt und Statthalter des Stifts zu Straßburg. Und das erste Kind, das seine Frau gebar, hieß Albrecht und das zweite war eine Tochter, hieß Elisa. Und er kam in große Würdigkeit, Ehre und Gut, denn er war vernünftig, fromm und keck.

*)
Ein Arbogast von Andlow war nach Bucelin Comthur im Johanniterhause zu Feldkirch von 1569—1592.

In dieser Erzählung ist es allerdings sehr befremdlich, daß die Königstochter von Portugal nicht den heurathet, dem zu Liebe sie sich hat entführen lassen, allein es war nicht rathsam etwas zu ändern. Die Mähre macht übrigens den Schluß des ersten Theils oder der alten schwäbischen Geschichten, und am Ende derselben sind folgende Worte zu lesen:

[173]

Und ich, Thomas Lyrer, gesessen zu Rankweil, das da gehört zu dem Schloß und der Herrschaft Feldkirch, hab diese Dinge den mehrern Theil gesehen und auch viel an frummen Leuten erfragt und erfahren, an wahrhaften Herren, Rittern und Knechten, die mich deß gar wahrlich unterrichtet haben, denn ich auch meines gnädigen Herrn von Werdenberg Knecht bin gewesen und mit ihm ausgefahren gen Portugal und mit ihm wieder heimgekommen. Und ist das Buch zum ersten abgeschrieben worden, indem als man zählte von der Geburt Christi XI hundert und im XXXIII Jahre *) am Sanct Oswalds Tag.


Nahe bei dem Schlosse Neu-Montfort mündet der Seitenweg, den wir bisher verfolgt, in die Heerstraße ein, gerade da wo zwischen Obstbäumen in schöner Gegend der große Markt Gözis sich ausbreitet. Etwas oberhalb dieses Fleckens stehen auf einem grünen Hügel die alten Mauern jener Veste „zu Newenburg in Churwalhen," die wie schon gesagt das erste Besitzthum war, welches Oesterreich in Vorarlberg erwarb. Bis dahin, bis 1365 hatte sie den Thumben von Neuenburg gehört, die früher zu Neuenburg ob Untervaz in Bünden saßen.

Eine Stunde weiter abwärts liegt ein andrer großer Flecken, Hohenems, zu den Füßen eines steil aufragenden Felsens, der die großartige Ruine der alten Burg Ems trägt. In dem Flecken wohnen ein halbes Tausend Juden, darunter mehrere sehr reiche Kaufleute, die große Geschäfte nach Wälschland, ja sogar nach der Levante treiben. Diese israelitischen Familien haben sich hier zuerst im Jahre 1617 aufgethan, und Bergmann wie Weizenegger geben den Freiheitsbrief, den ihnen in jenem Jahre die Hohenemsische Kanzlei ertheilte. Er lautet sehr milde und das Drückendste was er enthält, ist, daß [174] jeder der neuen Hausväter jährlich zehn Gulden Schutz- und Schirmgeld sammt zwei gemästeten Gänsen entrichten solle. Diese Judenschaft führt übrigens eine gute Schule und einen Rabbiner, der wöchentlich in der Synagoge eine deutsche Predigt hält. Auch besteht hier ein wohlthätiger Verein, um die Kinder armer Eltern zu brauchbaren Handwerkern zu bilden und sie so dem entwürdigenden Schacher zu entziehen, der mit allen seinen schlimmen Folgen den frühern Landständen oft Anlaß zu erheblichen Beschwerden gegeben hatte. Die Jüdinnen von Hohenems stehen ihrer Leibesgestalt wegen in gutem Rufe und sind, wie schon angemerkt, liebe Gäste zu Bad Reute im Walde, wo sie gerne ihre Sommerfrische zubringen. „Daheim arbeiten sie nichts als für ihren Putz," sagt Bergmann und mag es auch verantworten. Außer den 92 Familien zu Hohenems sind in Tirol und Vorarlberg nur noch acht jüdische Haushaltungen, nämlich sieben zu Innsbruck und eine zu Bozen. Diese Zahlen dürfen nicht überschritten werden.

Was das Geschlecht der Ritter und Reichsgrafen von Hohenems betrifft, so werden sie zuerst im zehnten Jahrhundert genannt und ihr Schloß stand wohl schon zu den Zeiten Karls des Großen. Auf die Burg zu Hohenems setzte Kaiser Heinrich VI Wilhelmen, den einzigen Sohn des Königs Tancred von Sicilien, in Haft, nachdem er ihn vorher hatte blenden lassen; da mußte er in seinem Schmerze vergehen, wenn nicht eine mildere Sage Recht hat, die ihn aus dem Gefängniß über Frankreich nach Italien entkommen und später im St. Jacobsthale ob Chiavenna als Einsiedler sterben läßt. Auf dieser Burg lebte auch im dreizehnten Jahrhundert Rudolf von Ems, der Dichter, ein höchst gebildeter und sogar gelehrter Mann, der gegen die damalige Sitte lesen und schreiben konnte und außer der wälschen Sprache auch der lateinischen mächtig war. Mehrere seiner Dichtungen sind in neuerer Zeit wieder ans Licht getreten, zuletzt Barlaam und Josaphat, eine im Mittelalter sehr beliebte poetische Erzählung.

Die spätern von Ems fielen mit den Oesterreichern bei Sempach und am Stoß und waren in damaliger Zeit geachtete Herren. Einen neuen Anlauf zu Ruhm und [175] Ehre nahm aber das Geschlecht in den Tagen Kaiser Max I, wo aus dem alten Schloß ein Capitän Jacob hervorging, der zuerst 1509 mit jenem Herrn gegen Venedig zog und vor Padua als einer der tapfersten focht, später aber mit achttausend Landsknechten Ludwig XII, dem König von Frankreich, abermals in Italien diente und 1512 am Ostertage in der Schlacht bei Ravenna fiel. Das war ein auserlesener, etwas absonderlicher deutscher Degen, der, obgleich ein Kampfgenosse Gaston’s de Foix und des ritterlichen Bayards, nie französisch lernte, deßwegen auch stets einen Dolmetscher mit sich führte und sich in fremde Sprachen nicht weiter einließ, als bon jour Monseigneur zu sagen. Die Franzosen nannten ihn le bon capitaine Jacob.

Sein Neffe Marx Sittich war gleichfalls ein Kriegsheld und einer der Feldhauptleute Kaiser Maxens, wodurch er unter anderm die Auszeichnung verdiente, daß ihn die Münchner Maler 1838 im Fastnachtspiele, das Albrecht Dürers Hochzeit darstellte, im Gefolge des Kaisers erscheinen ließen. Auch für Karl V zog er oftmal zu Feld, und man erzählt, daß er es gewesen, der den 24 Hornung 1525 am Anfange der Schlacht vor Pavia den französischen Oberst Georg Langenmantel von Augsburg im Zweikampf erlegt, ein Heldenstück, das freilich von andern dem ritterlichen Georg von Freundsberg zugeschrieben wird und das weder der eine noch der andere verübt hat, wenn der Oberst von Augsburg schon durch Kugeln niedergestreckt war, ehe die Ausforderung angenommen worden. Berühmter noch als diese beiden ist Hannibal von Hohenems, der zuerst unter Karl V im schmalkaldischen Kriege auftrat, dann ein Feldobrister der römischen Kirche und ihr Gesandter am spanischen Hofe ward, darnach in Spanien, Neapel und in Afrika siegreich gegen die Mauren focht, später zweimal für König Philipp II in die Niederlande zog und wegen seiner großen Dienste den Titel eines Granden von Spanien erhielt. Schon vorher, 1560, hatte Kaiser Ferdinand I den Helden, der bis dahin ein Freiherr, zum Reichsgrafen, Erzherzog Ferdinand ihn zum Obersthauptmann der vier vorarlbergischen [176] Herrschaften ernannt. Er starb reich an Ehren auf seiner Burg zu Hohenems im Jahre 1587.

Mit diesem Hannibal, Reichsgrafen von Hohenems, Grafen zu Galerate im Herzogthum Mailand, ging der Kriegsruhm des Geschlechts zu Grabe. Dafür traten aber zwei Kirchenlichter auf – ein Hohenemser, Marx Sittich nämlich, Hannibals Bruder, war Cardinal und Bischof zu Constanz († 1595), ein anderer gleichen Namens Erzbischof von Salzburg († 1619). Der erstere von diesen hat den Bau des großen Residenzschlosses im Markte Ems begonnen, das jetzt den Grafen von Waldburg-Zeil gehört, der andere ließ zu Hellbrunn bei Salzburg die neckischen Wasserkünste errichten, die noch jetzt dort ihr Wesen treiben. Die Reichsgrafen von Hohenems starben übrigens unberühmt und schuldenvoll im Jahre 1759 aus und die reichslehenbare Grafschaft wurde von Kaiser Franz I bald darauf gnädiglich dem Erzhause Oesterreich ertheilt.

In der Pfarrkirche sind mehrere Denkmäler, auch ein Cardinalshut, der weiland dem heiligen Karl Borromäus gehörte, welcher mit den Emsern verschwägert war.

Von Hohenems geht’s durch sumpfige Gegend, die aber mit rühmlichem Fleiß fruchtbar gemacht wird, nach Dorenbüren. Dieses Dorf, das nach der Einwohner Behauptung jetzt schon zu groß ist, um noch eine Stadt werden zu wollen, zählt gegen dreizehnhundert Häuser und über siebentausend Einwohner. Es ist der Hauptsitz der vorarlbergischen Industrie, und die Fabrikgebäude, die von Bludenz an der Ill herab und von Feldkirch her in größern Zwischenräumen einzeln zu sehen sind, stehen hier zu Hauf. Es gibt da Baumwollspinnereien, Webereien, Kattundruckereien, Türkischrothfärbereien, chemische Bleich- und Appreturanstalten, Eisenschmelzen, Wetzsteinfabriken, Fourniersägen und dergleichen mehr. Deßwegen theilt auch das Dorf alle Leiden und Freuden der Fabrikstädte und hat wie diese schöne, glänzende Häuser in welchen reiche Leute wohnen, neben der Armuth und den Kümmernissen der Arbeiter. Doch hört man oftmals betheuern, die Fabrikherren in Vorarlberg und insbesondere in Dorenbüren, seyen milder und billiger als anderswo.

[177]

Die Heerstraße von Dorenbüren nach Bregenz, nach der vorarlbergischen Hauptstadt, führt auch ferner noch durch moorige Landschaft, die von vielen Canälen durchzogen ist. Sie bildet das Delta des obern Rheins und ist wohl erst seit anderthalb tausend Jahren bewohnt, denn vorher zog sich der Bodensee in weitem Busen bis gegen Hohenems hinauf. In Dorenbüren hat sich eine Ueberlieferung erhalten, welche bis in diese Zeiten zurückreicht. Man erzählt nämlich in dem Dorfe, das erste Haus der Gemeinde sey auf einer Anhöhe, der Schauinger genannt, gestanden und den Fuß des Bühels hätten die Wellen des Bodensees bespült. Von da sollen die Leute zu Schiff in die Kirche gefahren seyn.

Je mehr wir uns aber dem Bodensee nähern, desto mehr vertiefen wir uns in das Gebiet, das Gustav Schwab beschrieben hat, und wenn wir schon bisher nicht anders konnten als dem poetischen Schilderer manche Angabe zu entlehnen, so würde diese Nöthigung von jetzt an immer dringender werden. Deßwegen wollen wir lieber ganz und gar von dem fernern Umgang mit dem Wanderer, den wir bisher durch Vorarlberg geführt, abstehen und ihn hiemit feierlich der angenehmen Geleitschaft des schwäbischen Dichters überantwortet haben.

[178]

Nachtrag.



Bei unsrer Absicht zuletzt noch einiges über den Charakter der Vorarlberger zu sagen, finden wir einen willkommenen Anhaltspunkt in den Schriften des zu Bregenz gebornen und ebendaselbst im Jahre 1822 verstorbenen Priesters Franz Joseph Weizenegger. Diese sind lange nach dem Tode desselben und zwar im Jahr 1839 zu Innsbruck in drei Bänden herausgegeben worden und führen den einfachen Titel: Vorarlberg. Am Schlusse des ersten Bandes finden sich ausführliche Betrachtungen über jenes Hauptstück. Sie thun zwar deutlich dar, daß Franz Joseph Weizenegger ebenso gut wie Johann Christian Zangerl zu Ischgl im Paznaun die Zeiten seiner Jugend für unbedingt besser hielt, als jene, die er in seinem Alter sehen mußte, enthalten aber dabei viele mittheilenswerthe Wahrheiten und sollen deßwegen hier wenigstens in Kürze vorgetragen werden.

Weizenegger also preist zunächst das alte Glück seines Vaterlandes, daß Oesterreich, als es die vorarlbergischen Herrschaften eine nach der andern an sich brachte, alle Rechte und Freiheiten ehrte; daß es, zu ferne um von allen kleineren Angelegenheiten Einsehen zu nehmen, und zu sehr mit den Schweizerkriegen beschäftigt, um nicht für die günstige Stimmung des Volkes ängstlich Sorge zu tragen, den ständischen Befugnissen allen Raum gab sich kräftig zu entwickeln. Der Vorarlberger aber sey stolz gewesen auf seine Verfassung, und da Adel und Geistlichkeit keinen Einfluß auf die Landesverwaltung genossen, so habe er kriechende Unterwürfigkeit gegen Vornehmere nie gelernt, während er dem selbsterwählten Landammann [179] allen Gehorsam und alle Achtung erwiesen, die ihm gebührten. Im Priester habe er seinen Seelenhirten erkannt, den Erzieher seiner Kinder, den Tröster im Unglück und den treuen Freund in der letzten Stunde; bei unbefugter Einmischung in die Geschäfte des Gerichts oder der Gemeinde aber sey der Geweihte des Herrn gleichwohl immer mit Bescheidenheit zurückgewiesen worden.

Arbeitsliebe und Mäßigkeit haben dazumal den Vorarlberger ausgezeichnet. Alpenwirthschaft, Landbau und Holzarbeit machten die Beschäftigung, Türkenbrei, Hafermuß, Gartengemüse, Obst und Milch die Nahrung des Bauern aus. Fleisch aß er nur an Sonntagen, der Wein galt als Arznei.

Zur festtäglichen Belustigung versammelte sich die Dorfjugend in den öffentlichen Tanzlauben, die in jedem Pfarrorte unfern der Kirche errichtet waren. Das kunstlose Gebäude bestand aus vier Pfählen, die ein Wetterdach trugen und war auf allen Seiten offen, damit man dem Thun und Treiben der Tanzenden zusehen konnte. „Der Schall einer Querpfeife wirkte mit Zauberkraft auf die jungen Leute; die Eltern, bei solchen Anlässen stets gegenwärtig, dachten an ihre Jugendjahre und freuten sich des Frohsinns ihrer Kinder, selbst Greise labten sich an dem heitern Anblicke und sahen sich in ihren Enkeln wieder verjüngt aufleben.“

Wer ein schuldenfreies Anwesen besaß und ein Capital von zwei bis dreitausend Gulden zurückgelegt hatte, galt für reich und lebte im Ueberfluß, denn er hatte wenige Bedürfnisse. Gesund und stark von Geburt an, zeigte sich der Vorarlberger muthig in dem Kampfe für den väterlichen Boden, und in den ältern Kriegen meldeten sich gewöhnlich mehr Leute zur Landwehr, als man nach den geringen Geldmitteln des Landes unterhalten konnte.

Der Unterschied zwischen Bürger und Bauer gründete sich nicht auf die Landesverfassung, welche beide Stände gleichstellte, sondern höchstens auf den Umstand, daß sich dem Städter Gelegenheit bot mehr Kenntnisse zu erwerben. Ueberdieß sind die drei Städte des Ländchens in den Gewerben keineswegs [180] so unabhängig, daß nicht auch der Bürger Feldbau zu treiben Veranlassung gefunden hätte.

Die Kunst erfreute sich in dem geldarmen Lande allerdings keiner Pflege und manche schöne Anlage erstickte in dem Ringen um die nöthigsten Lebensbedürfnisse. Erst in neuern Zeiten werden etliche Künstler genannt, wie der Porträtmaler Moosbrugger in Constanz, aus der Au im Bregenzerwalde, wo vor Zeiten die geschickten Baumeister geboren wurden, und Rhomberg aus Dorenbüren zu München; ferner Gebhard Flatz, der im Jahre 1800 zu Wolffurt, Landgerichts Bregenz, geboren, sich in Rom gebildet und manche Kirche seines Vaterlandes mit manchem hübschen Altarblatte ausgeschmückt hat. Wenn aber auch der mäßige Reichthum des Landes weder Kunstgenüsse zuließ, noch große Handelsunternehmungen förderte, so wußte man doch auch in den Städten hin und wieder sich ein heiteres Fest und eine erlaubte Lustbarkeit zu verschaffen. Die Rathsherren und angesehenen Bürger hielten ihre jeweiligen Pikenike auf dem Rathhause, wobei die Musikanten nur dann fehlten, wenn die Tänze von kundigen Liebhabern aufgespielt wurden. Die geistlichen Herren waren auch dabei; man würde ihre Weigerung für beleidigend, für eine Andeutung genommen haben, daß man nicht in Ehren lustig seyn dürfe.

So blieb es bis in die zweite Hälfte des vorigen Jahrhunderts. Nun aber begannen in der benachbarten Schweiz die Baumwollenmanufacturen zu blühen und um das Jahr 1780 standen im Lande selbst Unternehmer auf. Bald übte diese neue Industrie einen durchgreifenden Einfluß und brachte eine solche Veränderung im Volkscharakter hervor, daß von dem alten Bilde kaum mehr ein Schatten blieb.

Kinder, die vorher in der freien Luft erstarkten, wurden jetzt an das Spinnrad, erwachsene Mädchen zum Stickrahmen und größere Knaben in den Webkeller gebannt. Sofort, da der Hände weniger waren, schlechtere Bestellung des Feldes, dessen Anbau allein den Eltern zufiel, weil die Jugend bessern Verdienst in den Fabriken fand. Die bisherige Hausmannskost sagte der sitzenden Lebensart nicht mehr zu und der aufreizende Kaffee bildete bald im Verein mit den Kartoffeln die vorzüglichste [181] Nahrung. Zu gleicher Zeit stieg bei Burschen und Mädchen die Lust am Putze, und jene gaben die Landestracht auf, um sich herrisch zu kleiden. Die zahlreichen Zusammenkünfte der jungen Leute in einem Hause wurden der Sittsamkeit gefährlich. Da sich ein Tanz im Freien mit der einreißenden Weichlichkeit nicht mehr vertrug, so wurden die Wirthshäuser mit immer größerm Aufwand eingerichtet und die Tanzmusik mit neuen Instrumenten vervollständigt. Nebenbei in den Familien Noth und Dürftigkeit, Schmutz und Unrath, Mangel an dem Nöthigsten, an Leib- und Bettwäsche und so weiter.

„So hätte ein alter, biederer Vorarlberger in seinem Sonntagsstaate, der in einem weißgrauen, aus Hanfgarn und Schafwolle gewobenen, mit Flanell gefütterten und bis auf die Knöchel reichenden warmen, vorn zugeknöpften Rocke, Lederhosen, Wollenstrümpfen, genagelten Bergschuhen, schwarzem Flor um den Hals, dreispitzem Hute und Fäustlingen bei der Rocktasche durchgesteckt bestand, seine Nachkommen nicht mehr erkannt und glauben müssen, sein Bergland habe sich in eine Hauptstadt verwandelt.“

Seit der Zeit, als unter der Kaiserin Maria Theresia die legislatorischen Reformen begannen, und der öffentliche Unterricht eine bessere Einrichtung erhielt, verbreiteten sich viele Kenntnisse unter dem Volke, welche früher nicht gefunden wurden. Die Vorarlberger warfen sich mit Eifer auf die neuen Gesetzsammlungen, die ihnen in die Hand gegeben wurden; doch blieben sie leider bei dem stehen, was ihnen begreiflich war oder am besten gefiel; für den Zusammenhang des Ganzen mangelte das Verständniß. Vor Gericht zog nunmehr jeder Rechtsuchende sein Gesetzbuch aus der Tasche, schlug den Artikel auf, zu dem er sein Vertrauen hatte und beharrte mit Hartnäckigkeit auf seiner Interpretation. „Streitsucht wurde so gemein wie das tägliche Brod, nährte aber nicht so gut und richtete manche Haushaltung zu Grunde.“ Die alte Ehrlichkeit war dahin und statt derselben waren Schliche und Betrügereien bekannt geworden, von denen früher Niemand etwas wußte.

[182]

Die unglücklichen Kriegsjahre von 1796 bis 1814 rüttelten gewaltig an dem neu erworbenen Wohlstande. Die Zahl der Armen und Nothleidenden nahm bedenklich zu, und als man sich wieder erholt hatte, fand man für den Verlust alter Treue, Redlichkeit, Genügsamkeit, hochherzigen Muthes in Gefahren des Vaterlandes, einer gesunden und kräftigen Jugend – nur Geld und wieder Geld.

So weit Weizenegger. Das Gemälde ist nicht sehr schmeichelhaft, aber wir wollen es den Vorarlbergern überlassen, sich gegen ihren Landsmann zu vertheidigen. Immerhin kommen wir auf die oben geäußerte Ansicht zurück, daß ein kränkliches Alter die Augen des ehrenwerthen Priesters verdüstert haben mag. Was ferner nicht außer Acht zu lassen, ist, daß Weizenegger hier nur die Zustände bespricht, wie sie sich in den Fabrikdistricten, also in den Gegenden am Rhein gestalteten, während er weniges sagt, was auch die andern Vorarlberger, die Leute im Bregenzerwald, in den Walserthälern und im Montavon auf sich beziehen könnten. Darum mag es erlaubt seyn noch einiges hinzuzusetzen und dabei auch diese Völkerschaften etwas in Betracht zu ziehen.

Was die Vorarlberger insgesammt auszeichnet, ist ein ausgebildeter Verstand, der seine Freude daran hat Alles zu würdigen und zu wägen, zu untersuchen und zu entscheiden. Daher die Streitsucht, die Weizenegger seinen Leuten vorwirft, daher aber auch viel Geschick für ein Fortkommen in der Welt, viel Gewandtheit und Selbstvertrauen. Insbesondere ist das Verhalten gegen die Obrigkeit in Vorarlberg sehr verschieden von dem tirolischen Wesen. Dort scharfe Kritik, Widerspruchsgeist, viel eigensinniges Wollen und Trachten, aber falls man auf einen Zweck hinarbeitet oder wenn bei entgegenstehenden Vorurtheilen die Belehrung durchgedrungen, treffliches, Verständniß und leichtes förderliches Zusammenwirken; in Tirol – vorzüglich in den Hochthälern – ruhige Ergebenheit in den Willen des Vorgesetzten, zumal wenn das Vertrauen gewonnen, ist, aber auch ein lässiges Streben und wenig thätiges Entgegenkommen. Die Vorarlberger sind im Allgemeinen schwerer zu gewinnen, aber es ist mehr mit ihnen auszurichten. [183] Beamte, die aus diesem Kreise etwa an die tirolischen Landgerichte versetzt werden, sind höchst angenehm überrascht über die gemächliche, wenig behelligte, sturmlose Amtirung, obgleich sie auf der andern Seite bei schwierigern Aufgaben auch wieder den Tact und das praktische Eingreifen und Mitarbeiten der Vorarlberger vermissen. Angestellte, die aus Tirol nach Vorarlberg übersiedeln, fallen dagegen leichtlich auf durch ihr Begehren, auch dort für den Untergebenen allein zu dichten und zu denken. Daraus denn manche Gereizheit, und der Vorarlberger, dem der andre das liebe Disputiren verkümmern will, sagt dann etwa mit einem Achselzucken: der Herr meint wohl, er sey noch unter seinen Tirolern! Diesem seinem bojoarischen Landsmann gegenüber hält sich jener überhaupt für den vorgeschrittenen, aufgeklärten, überlegenen, wogegen der Tiroler allerdings behauptet, vor dem Arlberge sey weniger Aufrichtigkeit zu finden als bei ihm zu Hause.

Die kritischen Neigungen des Vorarlbergers zeigen sich auch in seinem Verhalten gegen den Clerus. Das unbedingte gläubige Vertrauen, das der Tiroler seinem Seelenhirten schenkt und das diesem ein allgewaltiges Imperium sichert, ist hier nicht so augenfällig. Auch des Geistlichen Sprüche, Rathschläge und Warnungen werden hin und her überlegt, glossirt und geprüft. Ueberhaupt hat der Katholicismus in diesem Lande nicht die tiefe Färbung wie jenseits des Arlberges. Dessen ungeachtet blühen Wohlthätigkeit und praktisches Christenthum hier eben so schön wie dort.

Was in den Rheingegenden, deren Zustände Weizenegger bespricht, das Aufkommen der Fabriken, der zunehmende Wohlstand und einreißende Luxus, das städtische Leben der Reichen in ihrer Rückwirkung auf den gemeinen Mann herbeigeführt, nämlich ziemlich viel äußere Abglättung und verhältnißmäßigen Schliff der untern Classen, das hat für die Berglandschaften die Auswanderung gethan. Insbesondre eignen sich die Stuccaturer des Bregenzer Waldes leicht die feineren Manieren an, die sie in fremden Ländern kennen lernen, wobei denn freilich immer wieder die heikle Frage, ob man [184] sich an dieser Gefälligkeit des Aeußern unbedingt erfreuen, oder ob man, wie Staffler anführt, mit manchem alten Vater klagen soll, daß der Sohn nebst dem fremden Gelde auch fremde Sitte nach Hause gebracht habe, unverträglich mit der einfachen Denkweise und dem stillen Leben des heimathlichen Thales.

Eine angenehme Mahnung an die Nähe der Schweiz ist die Reinlichkeit; die saubere Haltung im Innern der vorarlbergischen Häuser. Insbesondere thut sich durch solchen Schmuck der Bregenzer Wald und das Montavon hervor. Die Gasthäuser an der Poststraße können sich in Trefflichkeit der Bewirthung fast mit den helvetischen messen und unterscheiden sich von diesen nur merklich durch billigere Zechen.

Bei der nationalen Verschiedenheit der vorarlbergischen Einwohnerschaft ist zu erwarten, daß auch in dem Charakter der einzelnen Gebiete sich Verschiedenheiten aussprechen. Nachbarlicher Scharfblick und selbstschmeichelnde Vergleichung hat sich auch längst darauf verlegt sie heraus zu spüren und die nöthigen Ausdrücke dafür zu finden. Es wäre übrigens boshaft den Vorarlbergern nachzusagen, sie hätten sich selbst sehr glücklich getroffen, wenn sie behaupten, daß die Leute des Bregenzer Waldes stolz und übermüthig, die Walser schlau und verschlagen, die Montavoner noch verschlagener und dazu auch unversöhnlich rachgierig seyen. Unbefangene Beurtheiler werden da vielleicht mildere Bezeichnungen vorziehen, die dann auch besser auf den Durchschnitt passen mögen.

Was die den Montavonern vorgeworfene Verschlagenheit betrifft, so lebt in diesen germanisirten Romanen, wie Männer versichern, die mit ihnen in Geschäften standen, allerdings eine große Gewandtheit, die für ihren Vortheil sprechenden Gründe herauszuheben, alle Bedenken aber, die entgegenstehen, mit Feinheit zu verhüllen. Auch Witz und beißende Satyre werden ihnen allgemein zugeschrieben. Der Verstand der Vorarlberger insgesammt läßt sie aber selten in der Gefahr, von den Montavonern übervortheilt zu werden, umkommen. List und Feinheit, die wohl in allen Bergvölkern schlummern, sind in einzelnen Köpfen allenthalben zum Durchbruch gekommen. [185] Auch die ehrenwerthen Männer des Bregenzer Waldes, „dieses Volk von alten Sitten, in welchem, nach Johannes von Müllers Worten, Liebe der Freiheit lebt,“ auch sie sind nicht zu hochmüthig und nicht zu bieder, um nicht zuweilen recht schlau zu seyn, und man kann z. B. noch die Geschichte hören, wie zur bayerischen Zeit die Aeltesten des innern Waldes einen Beamten, an dessen Gunst ihnen bei einem wichtigen Vorhaben gelegen war, dadurch für sich einnahmen, daß sie in hohem Spiele ihn viele hundert Gulden gewinnen ließen.

Zum Beleg montavonischer Rachgier wird noch immer eine Begebenheit aus den neunziger Jahren angeführt, wo die Montavoner den Kreishauptmann Indermauer und seine zwei Begleiter, die sich von der Nähe der Franzosen bedroht nach Tirol retten wollten, zu St. Peter bei Bludenz überfielen und sofort als Verräther grausam ermordeten. Seit Jahrzehnten hat sich indessen nichts mehr ereignet, was den alten Vorwurf hätte unterstützen können. Eher war ihre Geduld zu bewundern, als vor mehreren Jahren der Landrichter zu Schruns, der später in tiefen Wahnsinn fiel, während des Uebergangs zu dieser Krankheit sich auffallende Mißhandlungen seiner Untergebenen zu Schulden kommen ließ, welche der behaupteten Rachelust reiche Veranlassung hätten bieten können. Gleichwohl erwarteten die Montavoner in Ergebenheit den Befehl von Bregenz, daß der wahnsinnige Landrichter als solcher zu behandeln und in Verwahr zu nehmen sey.

Die Volksbildung in Vorarlberg ist, wie zum Theil schon aus dem Gesagten hervorgeht, ziemlich vorgerückt. Die Schulen sind wohl bestellt und man läßt die Kinder überall gerne zum Unterricht; auch lernen diese mehr, als man von der kurzen Schulzeit, die nur den Winter ausfüllt, erwarten sollte. Zur Zeit Kaiser Josephs zeigte sich allerdings noch der hartnäckigste Widerstand gegen die Ausdehnung des Schulwesens; aber seitdem hat der vorarlbergische Verstand zur Genüge eingesehen, daß in neuern Zeiten gute Schulbildung zum Fortkommen in der Welt ein wesentlicher Behelf sey. Einige Neigung zur Lectüre zeigt sich auch unter dem Bauernvolke. [186] Bei den wohlhabenden Industriellen findet sich manches technische Buch, das in ihr Geschäft einschlagt. In Feldkirch soll gegenwärtig eine Leihbibliothek errichtet werden. Die beiden Gelehrten, deren sich Vorarlberg in der Gegenwart rühmen kann, nämlich Joseph Bergmann und Jodok Stülz, leben außerhalb des Landes. Weizenegger ist zwar schon lange todt, aber seine Thätigkeit trat erst durch die vor wenigen Jahren veranstaltete Herausgabe seiner Schriften recht ans Licht. Er war ein eifriger, liebevoller Sammler, und hat viele schätzbare Nachrichten mitgetheilt, die, was mit Dank anerkannt wird, auch diesen Schilderungen mannichfach zu gute gekommen sind; doch fehlte ihm jene historische Kritik, wie sie die neuere Wissenschaft fordert. Den Geistlichen ist Liebe zum Studium nicht abzusprechen, doch sind sie in der Regel so ärmlich dotirt, daß sie selbst beim besten Willen die Anschaffung der nöthigen Hülfsmittel nicht erschwingen können. Auch fehlt ihren Bestrebungen das fördernde Band, ein Mittelpunkt, ja auch ein Organ. Die neuern Regungen zu Innsbruck haben die Vorarlberger noch nicht heranzuziehen vermocht, wie denn der Gesichtskreis der letztern überhaupt mehr gegen den Bodensee, gegen Schwaben hin vergirt, als gegen Tirol. In dieser Beziehung ist auch bemerkenswerth, daß eine Verschmelzung der beiderseitigen Priesterschaft noch immer nicht stattfindet, obgleich die vorarlbergischen Candidaten der Gottesgelahrtheit schon seit zwei Jahrzehnten das Seminarium zu Brixen besuchen. Nur ausnahmsweise und wenn bereits Mangel an Seelsorgern herrscht, kommen tirolische Geistliche nach Vorarlberg; kaum je aber trachtet ein vorarlbergischer nach Tirol. Zum Theil mag daran allerdings auch ein anderes Verhältniß schuld seyn. In Tirol bewohnt nämlich der Hülfspriester dasselbe Haus, mit seinem Pfarrer und ist auch dessen Tischgenosse; in Vorarlberg dagegen hat er überall seine eigene getrennte Wohnung, seine eigne Wirthschaft und erfreut sich daher in vielen Stücken größerer Unabhängigkeit und Freiheit.

Wir können diese Betrachtungen nicht schließen, ohne die Bemerkung, daß nach all dem Gesagten die Anschauung vorarlbergischen [187] Wesens eine höchst unvollständige wäre, wenn man nicht auch jene schon oft hervorgehobene schwäbische Gutmüthigkeit und freundliche Manier mit hineinzöge und ihr einen weiten Raum in dem Bilde anwiese.

Setzt man Vorarlberg in Vergleichung mit Tirol, so läßt sich nicht läugnen, daß der Mangel an alten adeligen Familien, der gleichmäßigere Stand der Volksbildung und die geringere Unterschiedenheit der Stände, die hohe Blüthe der Industrie, die allgemeinere Theilnahme an öffentlichen Angelegenheiten und noch manches andere dem Lande Vorarlberg eine Physiognomie verleihe, die um ein gutes Theil moderner aussieht, als jene des benachbarten Tirols.

[189]

Tirol.



[190][191]

Die gefürstete Grafschaft Tirol war in alten Zeiten ein Theil des Berglandes, das die Römer Rhätia nannten. Dessen erste Bewohner sollen nach längst verklungenen Sagen tuscischen Stammes und vorher in den Ebenen am Padus seßhaft gewesen, von dort aber beim Einbruch der Gallier unter ihrem Führer Rhätus in die Alpen gezogen seyn. Neuere Forscher haben diese uralte Verwandtschaft der Rhätier mit den Etruskern beglaubigt gefunden, aber der Ueberlieferung entgegen angenommen, es seyen in vorgeschichtlichen Zeiten die Etrusker aus den Alpen an die Tiber hinabgezogen, sohin die Rhätier nicht die Enkel, sondern die Ahnherren des mächtigen Volkes, das später fast alle Länder Oberitaliens beherrschte. Was sich als Zeugniß für diesen alten Zusammenhang auf rhätischem Boden noch heutzutage sammeln läßt, soll, wenn Zeit und Raum vorhanden, am Ende dieses Buchs besprochen werden.

Vierzehn Jahre vor Christi Geburt sandte Kaiser Augustus seine Stiefsöhne Drusus und Tiberius mit Heeresmacht gegen dieses Alpenland und die freien Rhätier erlagen den Römern. Damals sang Horaz jene oft angeführten Verse:

     Drusus Genaunos, implacidum genus,

          Breunosque veloces et arces

               Alpibus impositas tremendis

     Dejecit acer plus vice simplici.

          Major Neronum mox grave proelium

               Commisit, immanesque Raetos

                    Auspiciis pepulit secundis.
[192]

Nach diesem bauten die Römer ihre Straßen durch das Land, schlugen Brücken über die Ströme und besetzten die rhätischen Castelle mit ihren Kriegern. Tridentum und Veldidena, letzteres wo jetzt Kloster Wilten bei Innsbruck liegt, waren die bedeutendsten Städte. Auf dem Schlosse zu Terioli saß wenigstens unter den spätern Kaisern ein römischer Befehlshaber. Die rhätische Jugend kämpfte in den römischen Kriegen und zeigte gegen die Barbaren dieselbe Mannheit, die sie ehemals gegen August’s Stiefsöhne bewiesen. Mittlerweile lernten auch alle die Völkerschaften im Gebirge lateinisch.

Als diese Zeit zu Ende war, beherrschten nach manchem andern germanischen Einfall die Ostgothen das Land im Gebirge und Theodorich setzte an die rhätische Mark einen Herzog. Auch einer gothischen Niederlassung wird erwähnt, die er unter die Breunen sandte. Der Name Dietrichs von Bern war in tirolischen Liedern und Sagen noch ein Jahrtausend später nicht verschollen.

Nach seinem Tode ging Rhätien den Gothen verloren. Im Innthal, im Pusterthal und am Eisack geboten die bojoarischen Herzoge, an der untern Etsch die Könige der Longobarden. An der Drau hatten die erstern blutige Schlachten zu schlagen mit den kärnthnischen Slaven. Diese wurden unterjocht, aber ihre Sprache und Sitte mag sich noch lange erhalten haben.

So ging auch wohl die römische Sprache in Tirol ebenso allmählich unter, wie vor dem Arlberge. Es gibt aber hier keine dem Capitulum Drusianum ähnliche Abtheilung, die mit sicherm Striche die Gränzen bezeichnen ließe, innerhalb welcher sich das Romanenthum noch bis in dieses oder jenes Jahrhundert herein gefristet hat. Die ersten deutschen Sprachgebiete jenseits des Brenners mögen das untere Pusterthal und Passeyer mit der Gegend von Meran gewesen seyn, und durch letztere ging, wie es scheint, der deutsche bojoarische Einschuß, der sich in vielfältigen Niederlassungen bis nach Verona hinab erstreckte und noch zur Zeit in den sieben und dreizehn Gemeinden der Vicentiner und Veroneser Berge zu erkennen ist. Die Glieder dieser Kette verschwinden mehr und mehr unter dem übermächtigen [193] Romanismus, und so hat das deutsche Element von Trient abwärts immerzu verloren, während es oberhalb dieser Stadt im Laufe der Zeit sich das ganze Land am obern Inn, an der obern Etsch und am Eisack unterwarf. Nur die beiden Thäler von Gröden und Enneberg haben sich, obgleich durch ihre Lage dem deutschen Sprachgebiete unterwürfig, noch bis zum heutigen Tage ein romanisches Idiom zu bewahren gewußt.

Die mächtigsten Herren des Landes „im Gebirge,“ in montanis, wie man nun das heutige Tirol nannte, waren später die Grafen von Andechs, von der Burg am Ammersee stammend, welche zu Ambras Hof hielten und über das Inn- und Wippthal walteten. Ueber Pusterthal geboten die Grafen von Görz und auf dem alten Schloß Terioli saßen die Enkel Hunfrieds, weiland eines Markgrafen von Istrien und Churrhätien, welche in der Mitte des zwölften Jahrhunderts anfingen sich Grafen von Tirol zu nennen und über Vintschgau bis an die Brücke zu Pontalt im Engadein zu schalten hatten. Die Bischöfe von Trient und von Brixen waren Reichsfürsten und besaßen schon manche schöne Herrschaft. Im Etschlande und den anstoßenden Seitenthälern waren noch andere Geschlechter mächtig geworden, wie die welfischen Grafen von Eppan, Greifenstein, von Ulten, die Herren von Matsch und weiter hinab die von Castelbarco, von Arco und Lodron. Die Menge des minder mächtigen Adels bezeugen die Burgen, die, obwohl zumeist in Trümmern, längs der bewohnteren Thäler von allen Hügeln und Höhen herunter schauen, und überdieß ist ein guter Theil derselben nicht einmal mehr in Trümmern übrig. Die Gewalt der bayerischen Herzoge wurde im Gebirge seit der Aechtung Heinrichs des Löwen (1180) wenig mehr verspürt.

Als der letzte der Andechser in der Abtei zu Langenheim im Vogtlande begraben war (1248), fielen ihre Besitzthümer im Inn- und Wippthal erbschaftsweise an die Grafen von Tirol, so daß deren Herrschaft bis an die bayerischen Marken zu reichen anfing, und als auch Albrecht, der letzte der alten tirolischen Grafen, sechs Jahre darnach gestorben, theilten seine Schwiegersöhne, Graf Meinhard von Görz und Graf Gebhard [194] zu Hirschberg in der Stadt Meran die Erbschaft, so daß jener erhielt was die Grafen von Tirol, dieser was jene von Andechs besessen hatten. Des ersten Görzers Sohn, ein andrer Meinhard, vertrug sich darauf wieder mit seinem Bruder Albrecht, überließ diesem die görzischen Besitzungen mit dem Pusterthale bis zur Haslacher Klause und behielt für sich was sein Vater in Tirol erworben, bis zum Jahre 1284, wo er um 4000 Mark Silber auch das andere Gebiet erkaufte, das der Graf von Hirschberg in der Meraner Theilung erhalten hatte. Dieser Meinhard, muthig und schlau, in allem gewaltig, Kaiser Rudolfs Freund, Kaiser Albrechts Schwiegervater, der verwittweten Mutter des staufischen Conradins Gemahl, setzte die Macht der Grafen von Tirol über alle Herren im Gebirge, schreckte seine Freunde, brach die Burgen seiner Feinde, ängstigte die Stifter, deren Schirmvogt er war, und griff glücklich nach allen Seiten um seine Gewalt zu stärken und zu kräftigen. Der Kaiser, bei dessen Erwählung er viel vermocht, bestätigte ihm auch zur Vergeltung, daß die Grafen von Tirol nie zu eines Herzogs Ambacht gehört haben und gehören sollten. Er starb im Jahre 1295.

Einer seiner Söhne, Heinrich, der König von Böhmen genannt, weil er nach dem Tode König Wenzels als Tochtermann auf die Krone von Böheim, wie wohl vergeblich, Ansprüche machte, sonst ein schwacher Mann und schlechter Wirthschafter, war nach ihm Graf zu Tirol bis zum Jahre 1335. Seine Tochter Margaretha, die Maultasch, berüchtigten Namens, war zuerst mit Johann Heinrich von Böhmen, dem Bruder Kaiser Karls IV, vermählt, ließ sich aber 1341 von ihm scheiden und heirathete Ludwig, den Markgrafen von Brandenburg, Kaiser Ludwig des Bayern Erstgebornen, welcher der Grafschaft Tirol die erste Landesordnung gab. Aus dieser Ehe ging ein Sohn mit Namen Meinhard hervor, der aber in seinen jungen Tagen starb, 1363, zwei Jahre nach des Vaters Tod. Vierzehn Tage darauf, am St. Polycarpentage (26 Jänner) zu Bozen, übergab seine Mutter das Land an die Herzoge von Oesterreich. Herzog Rudolf war in aller Eile über den Krimler Tauern gestiegen und nahm [195] den bayerischen Vettern zum Trotze schnell in seinem und seiner Brüder Namen die Huldigung des Landes ein. Seit dieser Zeit ist es bei Oesterreich geblieben bis zum Frieden zu Preßburg. Margaretha, die Gräfin von Tirol, starb im Wittwenstande zu Wien.

Unter den österreichischen Herzogen, die im Jahre 1379 die Grafschaft Tirol mit den schwäbischen Vorlanden als gesondertes Theilungsland überkamen, ist vor allen Herzog Friedrich hervorzuheben, spottweise von der leeren Tasche zubenannt, obgleich er ein guter Haushälter war und als der reichste Fürst seiner Zeit aus dieser Welt ging. An seine Person hat sich, wie an die Heroen des Alterthums, viel Mythisches gelegt und er blieb lange Zeit hindurch der Lieblingsheld der tirolischen Bauern. Herzog Friedrich demüthigte den stolzen Adel, brach seine Burgen, schlug insbesondere den übermüthigen Rottenburger nieder, den hochmächtigen Landeshofmeister mit seinen neun und neunzig Schlössern, und hielt es weislich mit den Bürgern und mit den Landleuten; der freie, der Leibeigenschaft lose Stand der Tiroler Bauern, die Vollendung der ständischen Verfassung Tirols wird zunächst ihm zugeschrieben. Aufs wenigste hat er viel dafür gethan, wie denn auch manches schöne Privilegium und manche gute Freiheit die er gab, seinen Namen bei dem Volke beliebt gemacht hat. Als er auf dem Concil zu Constanz in Reichsacht und Bann verfallen war, verdankte er es der Treue seiner Bauern, daß er wieder zu seinen Ländern kam. Dieser Fürst war es auch, der das Hoflager der Herzoge vom Schloß Tirol und der Stadt Meran bleibend nach Innsbruck verlegte, wo er „das goldene Dachl“ erbaut hat.

Auf Friedrich mit der leeren Tasche, der nach drei und dreißigjähriger Herrschaft 1439 gestorben war, folgte sein Sohn, Herzog Sigmund, der Münzreiche, welcher nie bei Geld war, während der mit der leeren Tasche dasselbe in der spätern Zeit immer vollauf gehabt. Die tirolischen Berge erschlossen damals ihren Segen und gaben unermeßliche Schätze heraus, der Durchfuhrhandel von Venedig nach Deutschland bereicherte viele Tausende. Der tirolische Wohlstand wuchs in unerhörtem [196] Maße. Der Herzog aber, ein schlechter Rechner, verschwenderisch und üppig, fast immer übel berathen, und in viele böse Händel verwickelt, war stets in Nöthen und in verdrießlichem Hader mit seinen aufrichtigen Ständen, von denen er die härtesten Dinge zu hören bekam. Des eigenen Unwesens müde und mit ehelichen Nachkommen nicht gesegnet, übergab er seine Länder im Jahre 1496 auf dem Landtage zu Meran dem römischen König Maximilian. So wurde die Grafschaft Tirol wieder mit den andern Besitzthümern des österreichischen Hauses vereinigt.

Kaiser Max, der Gemsenjäger, freute sich dieser neuen gebirgigen Erwerbung fast mehr als dessen was er schon hatte, und brachte viele Zeit seines Lebens zu Innsbruck und auf der nahegelegenen Weierburg zu. Auch hat er das Land seinen Erben mit vielem neuen Anwuchse hinterlassen. Als Leonhard, der letzte Graf von Görz 1500 gestorben war, fiel das Pusterthal an Tirol; im Jahre 1504 sprach sich der Kaiser zu Köln die bayerischen Gerichte Kufstein, Rattenberg und Kitzbühel zu, angeblich für die Kriegsschäden, die er im Landshuter Erbfolgekrieg gehabt. Später nahm er den Venedigern Ampezzo ab, wie auch die Prätur Roveredo, die Städte Arco und Riva und die vier Vicariate Ala, Avio, Mori und Brentonico. Er war der erste, der sich gefürsteter Graf von Tirol nannte, und ging sogar damit um, das Land zu einem Kurfürstenthum zu erheben. Er richtete auch zuerst die tirolischen Landesstellen, Regiment und Kammer ein, und erließ 1511 das erste Landlibell, die Zuzugs- und Wehrordnung, die den tirolischen Landsturm einrichtete, und allen spätern Erlassen dieses Betreffes zu Grunde liegt.

Als Kaiser Karl V und Kaiser Ferdinand I gestorben waren, übernahm des letztern zweiter Sohn Erzherzog Ferdinand, der Gemahl der schönen Augsburgerin Philippine Welser, die Regierung der gefürsteten Grafschaft. Er war der Mediceer Tirols, ein hochgebildeter, prachtliebender, milder, vielgefeierter Fürst, der Gründer der berühmten Ambraser Sammlung, übrigens beständig in große Geldnöthen versunken, deßwegen auch immer in Unterhandlungen und Verträgen [197] mit seinen getreuen Ständen, die für spätere Zeiten maßgebend wurden. Nach dem Tode Erzherzog Ferdinands, der keine andern Erben hinterlassen hatte als die Söhne Philippinens, die beiden zur Erbfolge in Tirol nicht berechtigten Markgrafen von Burgau, fiel das Land abermals an die kaiserliche Linie (1595), erhielt aber im siebenzehnten Jahrhundert wieder seine eigenen Fürsten aus dem steyrischen Aste, deren letzter Franz Sigmund war, welcher 1665 durch seinen von den italienischen Höflingen bestochenen Leibarzt Agricola vergiftet wurde. Abgesehen von manchem beschwerlichen Durchzuge der Truppen der Liga, genoß Tirol in diesen Zeitläuften des großen Glückes von den Verheerungen des dreißigjährigen Krieges verschont zu bleiben; dagegen litt es zumal unter der vormundschaftlichen Regierung der übrigens hochbegabten Erzherzogin Claudia von Medicis (1632–1646) an einer zu glänzenden, die Kräfte des Berglandes übersteigenden Hofwirthschaft, an wälschen Schranzen, Sängern und Tänzern und an mancher Verkümmerung ständischer Rechte.

Nach dem Aussterben dieser letzten Seitenlinie wurde Tirol wieder von Wien aus regiert. Kaiser Leopold stiftete 1673 die Hochschule zu Innsbruck. In seine Zeit, ins Jahr 1703, fällt auch der Einbruch des Kurfürsten Maximilian Emanuel von Bayern, der, anfangs gelingend, bald durch die Tapferkeit des tirolischen Landvolks dem fremden Heere verderblich wurde. Maria Theresia, obwohl keine Freundin der tirolischen Freiheiten, that vieles für die Schulen und die Landstraßen und erließ auch sonst manche gute Verordnung. Joseph II fand in der Ausführung seiner Absichten in Tirol nicht weniger Widerstand als in seinen andern Ländern. Leopold II suchte die Verstimmung wieder zu beschwichtigen. Die Franzosenkriege unter seinem Nachfolger gaben dem Tiroler Landsturm in den Jahren 1797 und 1799 Gelegenheit seine alte Tapferkeit wenigstens versuchsweise wieder zu bethätigen. Im Luneviller Frieden gewann Oesterreich die beiden inliegenden geistlichen Reichsfürstenthümer Trient und Brixen, welche mit dem Land Tirol vereinigt wurden. Sie waren übrigens schon vorher immer in näherm Verbande zu diesem gestanden, da die Grafen von [198] Tirol ihre Schirmherren, sie aber zur tirolischen Laudesvertheidigung mit Mannschaft, und Geld verpflichtet, zur tirolischen Landschaft steuerbar und die Fürstbischöfe auf den tirolischen Landtagen mit Sitz und Stimme begabt waren.

Am Ende des Jahres 1805 fiel durch den Frieden von Preßburg Tirol mit Vorarlberg an die Krone Bayern. Im Jahre 1808 hob der König die tirolische Verfassung auf; im Jahre 1809 brach der tirolische Aufstand aus, worauf Wälschtirol und Bozen ans Königreich Italien fielen, Oberpusterthal aber an Illyrien; im Jahre 1814 wurde das Land wieder mit Oesterreich vereinigt.

Der Flächenraum der Grafschaft Tirol beträgt 480 Geviertmeilen, die Bevölkerung etwa 720,000 Einwohner, so daß das ganze tirolische Gubernium, also mit Einschluß Vorarlbergs, einen Flächeninhalt von 526½ Geviertmeilen hat und ungefähr 820,000 Einwohner. Der Sprache nach waren darunter nach der Zählung von 1837, welche eine Volksmenge von 813,000 Menschen ergab, 520,300 Deutsche, 283,100 Italiener und 9600 Ladiner, wovon 2800 im Grödnerthale und 6800 im Enneberg wohnten. Mit Ausnahme der hundert Judenfamilien bekennen sie sich, seitdem die Zillerthaler fortgezogen sind, alle zur katholischen Religion. Nach der erwähnten Volkszählung von 1837 berechnet, leben 1544 Menschen auf der Quadratmeile. Am weitesten über diesen Durchschnitt hinaus gehen die beiden wälschen Kreise von Roveredo und Trient, deren, ersterer 2563, letzterer 2538 Seelen auf jenem Raume zählt; diesen steht am nächsten Vorarlberg mit 2060. Am tiefsten darunter sinkt des vielen unwirthlichen Hochgebirges wegen das Oberinnthal mit 880. So ist also im südlichsten Landestheile, die dichteste Bevölkerung, im Norden aber, wo das Lechthal, Paznaun und das Oetzthal liegen, die dünnste. Obgleich nun das Land Tirol keineswegs zu den starkbevölkerten gehört, so sind der Einwohner doch mehr als es ernähren kann, und daher die Auswanderungen, von denen schon einmal auf dem Gang durch Vorarlberg die Rede gewesen. Die Zahl dieser jährlichen Fortzügler wird von Staffler, die vorarlbergischen dazu gerechnet, auf 33,600 angesetzt und der [199] Erwerb, den sie jedes Jahr als Lohn ihres Fleißes mit nach Hause bringen, soll sich ungefähr auf 1,060,000 Gulden belaufen. Da übrigens die unermeßlichen Hochflächen des Gebirges, so weit sie nicht ewig mit Eis und Schnee bedeckt sind, zunächst nur als Wald und Weide benützt werden können, so stehen alle größeren Ortschaften im Thale und auf den mittleren Höhen. So einsam und öde das Hochgebirge, so belebt und volkreich sind daher die mildern Thäler und etliche Hochebenen, die jenseits des Brenners liegen.

Von den Gebirgen Tirols im vorhinein viel zu reden, möchte wohl überflüssig seyn, da wir ihnen bald auf jedem Schritt und Tritt begegnen werden. Nur zur Uebersicht sey daher erwähnt, daß drei Züge durch das Land gehen, einmal die Centralkette, welche vom obern Vintschgau herstreicht, die mächtigste von allen, gleichwohl durch den niedersten aller Alpenpässe, den Brenner, durchschnitten, ausgezeichnet durch die großen Gletscherstöcke des Oetzthales und die Stubaier Ferner und in der östlichen Fortsetzung durch den langen Zug der Eisberge, welche Zillerthal von Pusterthal scheiden. Ihr Gestein ist zumeist Granit.

Der andere Bergzug läuft an der nördlichen Gränze hin und scheidet Tirol von Bayern. Es ist ein Uebergangsgebirge und besteht zunächst aus Kalk oder Thonschiefer. Derselben Art sind die südlichen Gebirgsstöcke, welche sich gegen Italien abdachen; darunter finden sich aber auch die großen plutonischen Dolomitenreiche von Enneberg und Fassa, und westlich gegen den Ortles hin im wälschen Val di Sole oder Sulzberg stehen die Sulzbergerferner, ein riesiges, aber wenig bekanntes Gletschergebiet. Die höchsten Spitzen sind im mittleren Zuge; sie steigen bis zu 12,000 Wiener Fuß auf; in der nördlichen Kette sind wenige höher als 9000; dasselbe Maß gilt für die Erhebung der südlichen Gebirge mit Ausnahme der Ferner im Sulzberge. Ebenen sind keine im Lande; selbst die Hauptthäler sind nur an wenigen Stellen eine Stunde breit.

Die Hauptströme des Landes sind der Inn im nördlichen Theile, die Etsch im südlichen. Des ersteren beträchtlichster Nebenfluß ist die Sill, des letztern der Eisack. Beide entspringen [200] wenig von einander entfernt auf dem Brenner. Manche andere Flüsse und Bäche werden wir nennen, wo wir ihnen begegnen.

Der Mangel an großen Seen ist dem Lande Tirol von vielbegehrenden Reisenden schon mehr als einmal vorgeworfen worden. Zwar werden auch der Bodensee und der Gardasee von tirolischen Geographen als vaterländisch aufgeführt, aber sie gehören allerdings zum größten Theil dem Auslande. Sonst sind der Achensee und der Plansee im Nordgebirge zu erwähnen, deren Umgebung es an Schönheit mit mancher viel gepriesenen Seelandschaft aufnehmen kann. Ein halb Duzend kleinerer Seen liegt auch in Wälschtirol.

Die große Centralkette bildet auch die große Scheidung des Klimas; auf der einen Seite der Norden, lange Winter, kühler Sommer; auf der andern der Süden und mit Ausnahme der Hochthäler milde Winter, heiße Sommer und daher auch alle Gewächse des obern Italiens. Ende des Hornungs, wo diesseits des Brenners noch alles unter tiefem Schnee liegt, blühen jenseits in dem grünen Gelände schon die Mandeln, die Pfirsiche und die Aprikosen. Gletschereis und die Goldorange im dunkeln Laub stehen da oft auf sehr engem Raume beisammen. Aus den Gärten von Partschins in der hesperischen Meranergegend kann man in wenigen Stunden zum Zielferner emporklettern. Je weiter aufwärts an der Etsch und ihren Seitenflüssen, desto mehr verliert sich allerdings diese südliche Pracht. Der Weinbau geht im Vintschgau bis Schlanders, am Eisack bis etwas über Brixen hinauf. Obgleich im Mittag der großen Wasserscheide gelegen, hat das Pusterthal der hohen Lage wegen doch sehr rauhe Lüfte und ein nordliches Klima, so zwar, daß die mittlere Temperatur der Hauptstadt Brunecken (6°) in jährlichem Durchschnitte um einen Grad unter der von Innsbruck steht. Der wärmste Ort Tirols ist Riva am Gardasee, welches nur 245 Fuß über dem Meere liegt. In seiner Umgegend bringt selbst der Oelbaum werthvolle Früchte; dort kommt auch die immergrüne Steineiche vor, die weit hinunter nach dem Süden weist.

[201]

Das Land Tirol mit Vorarlberg bildet ein Gubernium, welches zu Innsbruck seinen Sitz hat. Der Präsident dieser Stelle ist der Landesgouverneur. Unter dem Gouverneur stehen in Tirol sechs Kreisämter und das siebente ist in Vorarlberg. Jene, sechs heißen: Oberinnthal und Vintschgau mit dem Sitze zu Imst; Unterinn- und Wippthal zu Schwaz; Pusterthal und am Eisack zu Brunecken; an der Etsch zu Bozen; Trient und das Kreisamt an den italienischen Gränzen zu Roveredo. Diese Benennungen fallen zum Theil auch mit den volksthümlichen zusammen. Ober- und Unterinnthal, Wippthal, Pusterthal, Vintschgau sind allbekannte Landschaften. Die Gegenden an der Etsch von Meran an bis zum Ende der deutschen Sprache bei Salurn heißen das Etschland (Etschthal ist nicht gebräuchlich). Die beiden Kreise von Trient und Roveredo werden bei den Deutschtirolern unter dem Namen Wälschtirol verstanden. Sonst macht sich jetzt auch unter dem gebildeten Publicum die Abtheilung in Nord- und Südtirol geltend und es wird dabei der Brennerpaß als Trennungszeichen angenommen. Jeder Kreis ist übrigens wieder in kleinere Gerichtsbezirke getheilt, welche Landgerichte heißen, und es sind deren fünf und siebenzig. Die Landleute bezeichnen indessen ihre Heimath lieber nach den Thälern. Unter diesen haben die meisten ihren Namen von dem Bache, der sie durchströmt, wie z. B. das Oetzthal, Zillerthal, Lechthal; in andern hat der Bach den Namen von dem Thale, wie in Pfitsch, Gschnitz u. s. w. Die kleinern Seitenthäler werden oft nach dem Hauptort benannt; in einigen der größern hat Thal, Bach und Hauptort seine eigene Benennung, wie dieß z. B. in Ulten, Stubai und andern der Fall ist.

Sonst mag noch vorausgeschickt werden daß in Tirol neunzehn Städte gezählt werden, unter denen Trient mit 12,200 und Innsbruck mit 10,900 Einwohnern die größten, Vils und Glurns mit etwas über einem halben Tausend Seelen die kleinsten sind. Von den Städten fallen vierzehn auf den deutschen Theil, fünf auf Wälschtirol. Der Märkte sind es fünf und zwanzig, wovon der bedeutendste Schwaz im Unterinnthale mit 4500 Einwohnern. Eine besondre Zierde sind [202] dem Lande die schönen großen gutgebauten Dörfer an den Heerstraßen und in den volkreicheren Seitenthälern, welche nicht selten mehr als ein Tausend Einwohner zählen.

Nachdem dieß vorausgeschickt, können wir getrost wieder auf die Wanderschaft gehen. Wir [beginnen] bei Landeck im Oberinnthale, wohin der Leser schon von Paznaun aus geführt worden.

[203]

Oberinnthal, Oetzthal und Schnals.



Landeck ist ein Dorf, wie anderswo oft nicht die Städte sind – anderthalbtausend Einwohner, ansehnliche Häuser, an den Anhöhen malerisch aufgestaffelt, reinliche Gassen, eine schöne Brücke, eine große gothische Kirche, ein stolzes Schloß in der Höhe – dazu ein muthiger lebendiger Strom und ragende Berge. Dieses Dorf liegt zu zwei Theilen auf beiden Seiten des Inns und heißt der eine linker Hand Perfux, der andre Angedair, wunderliche Namen, deren Bedeutung Niemand weiß.

Die schöne Kirche zu Landeck steht auf einer Höhe über dem Dorfe und würde noch viel bessern Eindruck machen, wenn sie nicht in neuerer Zeit aufs albernste herabgeweißt worden wäre. Die Sage von der Gründung des ersten Gotteshauses ist vorne im Chor auf einem Gemälde dargestellt. Man erfährt daraus daß vor sechshundert Jahren oben im Gebirge auf Trambs ein bäuerliches Ehepaar gelebt, dem ein Wolf und ein Bär zwei Kinder fortgetragen. Die hülflosen Eltern stiegen eiligst herunter zu Marien „im finstern Walde," die in jener Zeit auf dieser Stelle verehrt wurde und gelobten in der Angst ihrer Seele eine Kirche daselbst zu erbauen. Und während sie beteten, trugen Wolf und Bär die Kinder im Rachen herbei und legten sie unversehrt vor den Eltern nieder. Darnach entstand da eine vielbesuchte Wallfahrt, die man seiner Zeit zu Unsrer lieben Frau im finstern Walde nannte. Die jetzige Kirche ist aber spätern Baues und wohl erst mit dem Jahre 1506 vollendet worden, wie die Jahreszahl andeutet, [204] die über dem großen Portale steht. Hinten in dem Schiffe zur rechten Hand ist ein gothischer Altar aus gleicher Zeit und daneben das Grabmal des edlen und gestrengen Oswald von Schrofenstein, der viel gethan zum Bau der jetzigen Kirche und gestorben ist 1497. Er führte einen Steinbock im Wappen, bei dem ältern alpinischen Adel ein vielbeliebtes Abzeichen. Auch im Chore der Kirche ist ein Denkschild, der jenes Ritters Gedächtniß bewahrt. Ein früherer dieses Geschlechts fiel mit Herzog Leopold bei Sempach. Schrofenstein, die Burg, liegt von Landeck aus zu sehen, auf dem andern Ufer des Inns im Bergwalde, schmales, thurmartiges Gemäuer von gelblicher Farbe, scheinbar an den Schrofen hingelehnt, in Wirklichkeit aber auf einer freistehenden Felsenstufe. Es ist schwer hinauf zu klettern; manche unternehmen aber das Wagniß dennoch, gelockt von dem vierhundertjährigen Wein, der nach der Sage noch immer im Burgkeller geschenkt wird, obgleich ihn nach Staffler die Bayern schon vor dreißig Jahren ausgetrunken. Uebrigens ist es auch der Mühe werth, der Schönschau willen hinzugehen.

Vor die Kirche zu Landeck, unter der Linde, die ehemals stand, verlegt die Ueberlieferung eine schöne Begebenheit. Herzog Friedrich nämlich, mit der leeren Tasche, war in Reichsacht von Constanz entronnen und, wie wir andern Orts erzählt, über Bludenz und den Arlberg nach dem getreuen Land Tirol gegangen. Weil aber der feindliche Bruder, Herzog Ernst, im Lande lag und Prälaten und Ritter zu ihm standen, so hielt sich Friedrich verborgen und nahm sein Versteck bei Hans von Müllinen auf der Burg Berneck im Kaunserthale und dann bei etlichen vertrauten Bauern in den Hochthälern. Aus einem solchen Orte kam er nun einmal nach Landeck herab, um die Stimmung des Volkes zu versuchen. Im Dorfe wurde damals zur Feier der Kirchweihe ein bäuerliches Reimspiel aufgeführt. Der Herzog ging als Pilgram verkleidet, selbst unter die Gaukler und sang den Landleuten im Schatten der grünen Linde eine Geschichte vor, wie ein ehrenhafter, fürstlicher Herr, der es zu allen Zeiten mit den Bauern gehalten, in Widerniß undFehde hart bedrängt, seine Herrschaft verloren habe und als [205] Flüchtling im Elend irre. Als nun der Fürst so seine Ballade sang, rührten sich die Bauern und riefen allzusammen: das ist ja die Geschichte von unserm lieben Herzog Friedel; dieser aber warf alsbald Muschelkragen und Pilgerstab von sich mit den Worten: Und euer Herzog Friedrich bin ich selber. Sofort dann mächtiges Freudengeschrei von allen Seiten und helle Begeisterung, so daß die Bauern den Herzog auf dem Schild erhoben und jubelnd durch die Gassen von Landeck trugen. Nebstdem versprachen sie mit festem Handschlag in allen Nöthen ihm beizustehen und gegen seinen Bruder, gegen geistliche und weltliche Herren zu helfen, was auch seine Richtigkeit hatte, denn die Anhänglichkeit des Landvolks hat dem Herzog die Grafschaft Tirol erhalten.

Später beim bayerischen Einfall, 1703, versammelten sich einige muthige Männer ebenda zu Landeck im Linserischen Hause und beredeten das Verderben des feindlichen Heerhaufens, der über Finstermünz ins Vintschgau ziehen sollte. Die Männer tagten, während in demselben Hause die fremden Officiere tafelten, und nach der blutigen Stunde an der Pontlatzer Brücke ging es in Erfüllung, was sie beschlossen. Kaiser Leopold schickte ihnen dafür einen goldenen Becher, der im Gerichtsarchive aufbewahrt und bei feierlichen Festmahlen auf kaiserliche Gesundheit geleert wird. Diese beiden Begebenheiten liegen auch zu Grunde, wenn das Dorf Landeck vom Freiherrn von Hormayr das tirolische Grütli genannt wird.

Das Schloß zu Landeck ist ein stolzes, aus Bruchstein aufgeführtes Gebäude, schön gelegen auf einem Felsenschopfe, der aus dem Inn aufsteigt. Rechts und links an der Vorderseite ist der Bindenschild von Oesterreich aufgemalt, derselbe, von welchem weiland Michael Behaim gesungen hat:

Der schöne edle Wurzegart,

Durchsprengt mit rothen Rosen zart,

Der sieht gar unverhölzet;

Da mitten durch hat sich geschaart

Ein weißer Bach auf schneller Fahrt,

Der sich dadurch her wälzet.

Manches Gelaß in der Burg mahnt noch an die Zeit, wo die ritterlichen Pfleger zu Landeck hier oben saßen, zumal [206] die prächtige Vorhalle erinnert an jene Tage; auch etwa, doch mißliebiger, das Burgverließ. Die Stuben des Burggesindes lassen sich noch leicht unterscheiden von den Herrenkämmerchen. Mehrere von diesen sind obwohl in späterem Geschmacke getäfelt. Einige derselben werden bewohnt und dienen armen Leuten zum Unterschlu[p]f. Die Aussicht ist besonders lobenswerth. Die schönen Straßenzeilen des Dorfes, stufenweise übereinander, der grüne Fluß und die weißen Gebäude, die auf der Höhe des andern Ufers aus Büschen und Bäumen hervor scheinen, sind ein lustiger Vorgrund – drüben jenseits des Zusammenflusses der Sanna mit dem Inn steht der Burgstall von Schrofenstein im wilden Park und daneben, schon wieder auf ganz anderm Grunde, das alte Dorf zu Stans, erhaben auf seinem Berghang, dessen reicher Fruchtwald auf dem obern Plane verhüllend über die Dächer der Häuser gewachsen ist und kaum dem Kirchthu[r]m noch die Freiheit läßt hervorzuspitzen, während von der untern Halde der grüne Rasen weggespült und so die braune Erdwand zu Tage gekommen ist. In der Höhe überall kahle Hörner mit silbernem Scheitel.

Landeck ist übrigens ein lebendiger und wohlhabender Ort. Es gehen hier drei vielbefahrene Straßen auseinander – die eine über den Arlberg, die zweite nach Innsbruck, die dritte über Finstermünz nach dem Süden. Daher viel Geschäft mit Fuhrwägen und Reisenden und deßwegen auch drei große Gasthöfe, städtisch eingerichtet und mit allen erlaubten Bequemlichkeiten versehen. Urichs Haus und das Jäger’sche gehören zu jenen tirolischen Landwirthshäusern, in welchen die Leute freundlicher, die Bedienung besser, die Einrichtung anmuthiger und die Rechnungen billiger sind als in der Stadt. Die Landecker Post aber haben die reisenden Engländer in den Fremdenbüchern weit und breit dergestalt überschrieben und schlecht gemacht, daß sie wenigstens anglomanen Deutschen nicht empfohlen werden kann. Nosse bonos libros magna pars est eruditionis, schrieb einmal ein seliger Gelehrter, und so mag man auch einen großen Theil der Kunst angenehm zu reisen auf die Kenntniß von den guten Wirthshäusern zurückführen. Die Engländer, das praktische Geschlecht, das sonst Niemanden sorgfältiger aus dem Wege geht [207] als sich selber, äußert in dieser Beziehung wieder viel Zusammenhalten und weitläufigen Sinn, und wenn sie sonst nichts miteinander reden, so besprechen sie sich doch auf den Blättern der Fremdenbücher schriftlich und geben sich in ihrer heiligen Insularsprache Rath, welche Wirthshäuser zu meiden und welche aufzusuchen seyen, nicht immer zur Freude der Besprochenen. Diesen Gebrauch des Qualificirens in den Fremdenbüchern haben jetzt übrigens auch unsre Landsleute angenommen, verwenden ihn aber ganz verkehrt. Sie schreiben nämlich in ihrer offenen biedern Weise ihre Gesinnung gleich in das Buch des Wirthes selbst, desjenigen Wirthes nämlich, bei dem sie gegessen, getrunken und die Nacht verbracht haben, der ihnen auch zuschaut, während sie ihr Geheimniß in dem Buch veröffentlichen. Es ist unter diesen Umständen nicht zu verwundern, daß sie alle mit Bewirthung und Bedienung „ausgezeichnet zufrieden“ sind. Ist ein schönes Mädchen im Haus – und in Tirol ist dieß die Regel – so wird auch dessen in Ehren gedacht. „Ausgezeichnet zufrieden, besonders mit dem schönen Maidele“ – kann man alle Fremdenbücher des Lands unter eins gefaßt – wohl mehrere duzendmale lesen. Wenn sie dann ihre ausgezeichnete Zufriedenheit gar zu lecker darstellen, hat der Hausvater sofort nichts eiliger zu thun, als den Wonneruf wieder auszukratzen. Dieß ist die Geschichte der vielen Lacunen im Fremdenbuche zu Z***.

Zur Erklärung des schönen, reinlichen und herrenmäßigen Aussehens des Dorfes Landeck wollen wir indessen noch beifügen, daß in Tirol die Städte überhaupt dünn gesäet sind und daß sich namentlich auf der langen, gegen vierzig Stunden zählenden Straßenstrecke, die von Innsbruck über Finstermünz nach Meran zieht, zwischen diesen beiden Städten, das kleine Nestchen Glurns bei Mals ausgenommen, keine dritte findet. Diesen Umstand haben sich die Dörfer und Flecken zu Nutzen gemacht und sie versehen ohne Ringmauern in Handel und Wandel die Dienste ihrer zinnengekrönten Schwestern. Deßwegen findet man denn auch, wie wir vor kurzem bemerkt, in Tirol gar so viele schöne und wohlgestaltete Dörfer. Telfs, Silz, Landeck, Prutz, Nauders, Mals und die Orte des Vintschgaues haben alle dieses stattliche Ansehen. [208] Fahren wir nun, um schneller ins Oetzthal zu gelangen, am Inn hinab nach Imst. Der Fußweg auf dem rechten Ufer, der über liebliche Berghalden nach Schönwies führt, soll zwar noch um ein Gutes anziehender seyn als die Landstraße, es ist aber nicht möglich alle schönen Steige abzulaufen, und über die Straße selbst ragt die wilde Natur des Innthales mächtig genug herein, um uns mit dem, was wir sehen, zufrieden zu stellen. Bald kommt man nach Zams, welches noch in fruchtbarer, geräumiger, mais- und obstreicher Feldmark liegt und als die älteste Pfarre in weiter Gegend bekannt ist, von der noch jetzo vieler Dörfer Seelsorgen abhängen. Links über dem Inn hinter dem Weiler Letz in einer schaurigen Felsenhöhle tost ein herrlicher Wasserfall, den man nicht wie wir vorbeigehen soll. Dann sieht man, wie sich Kronburg erhebt, eine alte Veste, die einst den Starkenbergern gehörte und von Herzog Friedrich gebrochen wurde, noch in den Trümmern stolz und herrschend auf einem Felskegel, der selbst ungemein ernst und groß aus dem Thale aufsteigt, frei von allen Seiten und im schönsten Ebenmaße vom breiten Fuße zum spitzen Haupte sich verjüngend. Lange will sich das Auge nicht von dieser Erscheinung abwenden, von dem gekrönten Berge, der wie ein Fürst in der Landschaft sitzt, drohend und Verehrung heischend. Die Gegend ist sonst hier herum wild und enge; scharfe Wände stehen am Wege, Wasserfälle schäumen herunter. Erst allmählich bildet sich wieder breiterer Thalgrund, in dem sich leider auch der Inn mehr gehen läßt und oft überfluthend viel weiter greift als er soll. In solcher fruchtbaren Fläche liegt ein freundliches Dorf, Mils benannt, und diesem gegenüber das Dörfchen Untersauers, welches, wie Staffler bemerkt, eine Colonie von Landfahrern ist, die meistens nur dort verweilen, um von ihren Zügen auf einige Zeit auszuruhen. Diese Landfahrer oder Lahninger, Dörcher, wie man sie jetzt gewöhnlich nennt, sind ein seltsamer Schlag von Leuten, und führen ein abenteurliches Leben. Sie kommen hauptsächlich im Oberinnthale, etwa von Imst aufwärts bis gegen Nauders vor. Ihr eigentliches Wesen ist, daß sie das ganze Leben in der Welt herumfahren und mit Obst, Geschirr und andern kleinen Waaren handeln. Viele [209] besitzen keinen eigenen Herd, um sich zur Ruhe zu setzen, die reichsten nur ein kleines Häuschen. Ihr Fahrzeug ist ein Karren, den sie selber ziehen, wenn nicht ein Eselchen oder eine abgejagte Mähre aushilft. Der Lahninger, der arme Mann, will aber nicht allein in der Fremde herumfahren; er sehnt sich nach einem süßen Weibe, nach einem freundlichen Augentrost, und manchmal scheint er recht glücklich zu seyn in seinem Werben, denn man sieht mitunter ganz hübsche Frauen vorgespannt. Solchen Verbindungen steht übrigens die weltliche Behörde zumeist entgegen, in Berücksichtigung der Armuth und des unsichern Erwerbsstandes der Brautleute. Da soll’s denn manchmal vorkommen, daß sie nach Rom pilgern und sich am Grabe der Apostel trauen lassen. Neu vermählt kommen sie ins Vaterland zurück, zeigen der Behörde päpstliche Briefe und Siegel vor, werden aber, da sich diese nichts darum kümmert, gleichwohl mit Gefängniß und Ruthenstreichen bestraft. So bringt das Dörcherpaar in der Haft seine Flitterwochen zu, welches Leiden sie aber nur noch fester zusammenkittet, so daß sie das ganze Leben nicht mehr von einander lassen und auf allen Heerstraßen mit vereinten Kräften an dem Karren schieben. Gewöhnlich sind sie auch reich mit Kindern gesegnet – die Säuglinge erhalten ihre Wiege unter dem Dache des Wagens, die Erwachsenen ziehen selber mit und bilden später wieder neue Dörcherfamilien. Manche davon sind am Wege hinter den Haselstauden auf die Welt gekommen. Es ist ein eigener Anblick, diese Geschlechter, oft zu sechs und acht Personen vornen und hinten ziehend und schiebend an der fahrenden Stiftshütte, ihrem Besitz, ihrem Schatzkasten und zum Theile ihrer Wohnung, etwa einmal mit sorgenvollen, trüben Blicken, hin und wieder auch, wenn die Zeiten gut sind, guter Dinge und voll frohen Muths.

Wenn man von Mils etwa eine Stunde in der schönen Niederung fortgefahren, geht’s noch einmal über einen steilen Berghang und allgemach zeigt sich dann der große Flecken Imst, Hauptort des Oberinnthales, Sitz der Behörden und andrer angesehenen Leute. Gleich rechts vom Flecken geht der prächtige Tschirgant in die Höhe, hier wie eine ungeheure [210] Pyramide anzusehen, ein höchst eindrücklicher Klotz. Zu seinen Füßen steht sehr anmuthig der schlanke Kirchthurm von Karres.

Imst ist ein gut gebauter Flecken, aber ohne erhebliche Merkwürdigkeiten. Angenehm ist ein Spaziergang auf den Calvarienberg, auf dessen vorderster Höhe ein Kirchlein des heiligen Johannes steht mit offener Aussicht über den Markt und seine bergige Umgebung.

Dieser Flecken besaß im vorigen Jahrhunderte großen Ruf als der Sitz des tirolischen Vogelhandels, der einst auf Moorfieldsquare zu London seine Niederlagen hatte und auch im Orient und zu Konstantinopel seine Sänger auf den Markt brachte. Seine Gönner in England gingen so weit die Kanarienvögel der Tiroler selbst über jene der canarischen Inseln zu erheben. Alle übrigen Kanarienvögel, behaupteten sie, sängen wie Heidelerchen, die tirolischen aber wie Nachtigallen. Letzteren allein sollte jener seelenerhebende Zug Philomelens glücken, den die Engländer jug nennen. Zur Erklärung dieses Talents nahmen die britischen Naturforscher sogar ihre Zuflucht zu der Hypothese, daß die meisten der aus Tirol eingeführten Kanarienvögel von Eltern erzogen worden seyen, deren Ahnen den Gesang bei einer Nachtigall gelernt. Uebrigens ist dabei zu bemerken, daß die wenigsten der von den Tirolern verhandelten Vögel in Tirol zur Welt gekommen waren, denn die Mehrzahl wurde erst in Schwaben angekauft, wo zu damaliger Zeit die Gärtner zum Besten der reisenden Händler große Vogelhecken unterhielten.

Die meisten Begebenheiten des Spindler’schen Vogelhändlers spielen in der Gegend von Imst. Auch die Art und Weise, wie dieser Handel betrieben wurde, ist in jenem Romane nach den Angaben alter Leute, welche bald nur mehr als Sage fortleben werden, glücklich und anziehend geschildert, der treffliche Name Tammerl aber, den der ehrenwerthe Vogelhändler, Seraphins nachmaliger Schwiegervater, führt, ist jedenfalls einer Firma in Zams entlehnt, wo eine Baumwoll- und Seidenzeugfabrik unter dem Schilde: Tammerl und Comp. zu finden ist. Früher waren überhaupt noch bessere Jahrgänge für [211] die oberinnthalische Metropole – es war da einmal auch viel Bergsegen und großer Gewerbfleiß. Jetzt ist die Kanarienzucht aufgegeben, der Bergsegen eingegangen und der Gewerbfleiß, der sich in einigen Fabriken bethätigt, ist auch nicht mehr so einträglich als zu andern Zeiten. Dazu kommt noch daß am 7 Mai 1822 der ganze Markt von 220 Häusern bis auf 14 abbrannte. Dieß hat die Imster völlig arm gemacht und es ist eine Frage, ob sie sich je wieder in die alte Blüthe hineinarbeiten werden. Sonst zeigen sie viele schöne Anlagen, insbesondere für die Kunst. Staffler macht acht Eingeborne namhaft, die als Bildhauer und Maler gelebt und sowohl inner als außerhalb ihres Vaterlandes Anerkennung gefunden haben. Darunter ist der neueste Aloys Martin Stadler, zu München, zu Neapel und Rom gebildet, wohlbekannt wegen manches schönen Altarblattes, das er in tirolische Kirchen gemalt.

Lassen wir nun den Flecken um wieder weiter zu ziehen. Man muß erst auf der Landstraße hoch hinaufsteigen, nach Karres wo die niedliche Kirche steht, deren dünner gothischer Thurm so fern ins Land hineinschaut. Von da sieht man ins Pitzthal, das weit hinten von grausem Gletscher beschlossen wird, und ebenso erschaut man den grünen Rücken des breiten Venetberges, der voll milder Alpen und schöner Forste ist und aus der Gegend von Landeck herüberreicht bis an den Pitzabach, welcher bei Karres in den Inn fällt. Unterhalb dieses Dorfes geht der Weg ins Oetzthal von der Landstraße ab. Diese selbst würde uns in fünf Stunden dem Inn entlang nach Stams führen, nach dem ansehnlichsten und reichsten, wiewohl jüngsten der tirolischen Stifter. Es ist im Jahre 1272 gegründet worden von jener Elisabeth, der Mutter Conradins, und ihrem zweiten Eheherrn, dem Grafen Meinhard von Tirol, als Gedächtnißmal zur frommen Erinnerung an den letzten Hohenstaufen, der zu Neapel enthauptet worden. Die Cistercienser- Abtei zu Stams ward, wie Freiherr von Hormayr sagt, das St. Denys der tirolischen Fürsten. Die Görzer und die früheren Habsburger, Herzog Friedrich mit der leeren Tasche und Sigmund der Münzreiche sind da begraben mit ihren Frauen und Kindern. Im Jahre 1552 wurde das Kloster [212] durch die Kriegshaufen des Herzogs von Sachsen verwüstet und selbst der Gräber nicht geschont; deßwegen ist auch an Altertümern nur wenig mehr vorhanden.

Wir gehen also von der Straße ab und gegen Roppen zu, das auf der andern Seite des Stromes liegt. Rechts steigen da bewaldete Berge auf, links steht der Tschirgant, der nunmehr, nachdem man um seine Vorderseite herumgekommen, aus einer Pyramide ein langer Bergkamm geworden, und sich am Inn hinunter langsam verläuft. Er ist öde und wild zerrissen; nackte Felsenwände wechseln mit gelben Erdfällen, die ihre Striemen von dem Joche herab bis an die Straße gezogen haben. Desto lieblicher und freundlicher hebt sich der Eingang des Oetzthales hervor – da ist alles schön bebaut, mit Hanf, Flachs, Mais und anderm Getreide, Obstbäume sind reichlich verstreut und die Dörfer Au und Sautens, die sich einander gegenüber liegen, das eine auf der Berghöhe, über welche dunkler Wald von Lärchen und Fichten hinzieht, das andere in hügeliger Niederung, zeigen manches zierliche Haus. Letzteres erfreut sich auch einer hübschen Kirche, einer der schönsten Dorfkirchen im Lande. Oetz ist ebenfalls ein stattliches Gemeinwesen und zu seinem stolzen Aussehen trägt nicht wenig bei St. Jörgens Kirche mit ihrem gothischen Thurme, die auf ragendem Felsen senkrecht über dem Dorfe prangt. Auch hier trefflicher Anbau und reicher Wachsthum, selbst von heikeln Früchten, denen die Lüfte von Oetz, die von rauhen Nordwinden durch die Lage der Berge geschützt sind, besser bekommen sollen, als irgend andre im Innthale. Deßwegen behaupten auch Manche, dieses Dorf habe das mildeste Klima in ganz Nordtirol.

Ja, was ist denn das! gar nicht einkehren heute! rief am letzten Wirthshause von Oetz mit milder Stimme die Kellnerin, die auf den Stufenplatz vor der Pforte getreten war, und lächelte so freundlich dazu, daß wir – zwei Fußgänger nämlich – obwohl nach Umhausen trachtend, doch gerne anhielten, um uns wenigstens zu entschuldigen. Sie, die pflichtgetreue Schenkin, ließ aber keine Ausrede gelten und zog uns mit sanfter Gewalt in die Zechstube. Dort setzten wir uns zu [213] einer Halben, und plauderten mit dem Mädchen, während sich draußen ein Gewitter erhob und in gräulichen Regengüssen herniederfuhr. Als dieß vorübergezogen, war’s zu spät geworden um noch weiter zu gehen, und so blieben wir in Oetz, wo wir denn auch in allen Züchten „ausgezeichnet zufrieden“ waren, „besonders mit dem schönen Maidele.“

Gleich hinter diesem Dorfe geben sich schon einzelne Züge des Oetzthales zu erkennen, der großartigen, manchmal wilden und schauerlichen, manchmal friedlichen und idyllischen, nie reizlosen, cascadenreichen, schrofenstarren Landschaft, die sich eine lange Gasse an dem Bache hinaufzieht, bis wo dieser an den Fernern entspringt. Es ist bekanntlich unter den Nebenthälern Nordtirols das berühmteste wegen seiner Schönheiten. Die beständig abwechselnden Engen und Weiten, die Schluchten, die sich in breite Dorffluren öffnen und grüne Wiesenbreiten, die sich in die Klamm verlieren, die unzähligen Wasserfälle und die ragenden Bergwände sind die Reize des äußern Thales, Gletscher und Alpenwildnisse die des innern. Auch für die Botaniker hat es bekanntlich vieles voraus, und manche Gewächse, die in den südlichen Gegenden des Landes heimisch sind, kommen diesseits der Ferner nur im Oetzthale vor, während zugleich auch die Flora der Voralpen und der Hochgebirge bis zum Fahrwege herunter reicht.*)

Oberhalb Oetz also – es war ein kühler Augustmorgen, die Luft feucht, voll jagender Frühnebel und in der Gegend knallte es lebhaft zur Feier einer Kirchweihe – oberhalb Oetz rücken die Thalwände zusammen und bilden das G’steig. Der Bach stürzt in rauschenden Fällen über Felsen und Trümmer durch die Schlucht und der Weg geht daneben hinauf durch den Lärchenwald. Aus diesem herauskommend, ersieht man das Dorf Dumpen, wo eine Brücke über die Oetz geht mit der Aussicht auf schöne Wasserfälle, die rechts und [214] links von der Höhe rauschen. Hier wird auch das Thal wieder breiter und gibt Raum für Getreidfeld und Wiesen.

Bei Dumpen gerade neben dem Wege steigt über tausend Fuß die Engelswand empor, ein schwindelnd hoher senkrecht abgeschroffter breiter Felsenstock, auf dessen oberstem Plane etliche schwer zu begehende Höfe liegen. Engelswand soll das Riff deßwegen heißen, weil einst ein spielendes Kind durch einen Jochgeyer von der Au im Thale hinweg auf diesen Grat getragen, von einem Engel aber dem Jochgeyer entrissen und der entzückten Mutter, einer Gräfin von Hirschberg, in die Arme gelegt worden. Die Geschichte ist zuerst 1825 durch Eduard von Badenfeld in einfachster Gestalt ans Licht gekommen, hat aber unter verschiedenen spätern Händen schon manche Ausschmückung erhalten und wird wahrscheinlich zuletzt eine lange Novelle werden. Uebrigens glauben die bäurischen Skeptiker im Oetzthale nicht mehr an diese Sage, sondern behaupten, die Engelswand habe ihren Namen von einem gewissen Angelus, der ein Bauer gewesen und auf der Höhe seinen Hof gehabt.

Die Oetzthaler feierten übrigens an diesem Tage, am 5 August, das abgewürdigte Fest Mariä Schnee durch Kirchenbesuch in der Frühe. Die Kirchengänger begegneten uns in zahlreichen Haufen, was ein günstiger Umstand war für Besichtigung der Thaltracht. Die Männer nicht schlank, aber gedrungenen Baues, tragen spitze Hüte, dunkle, an der Brust mit Seide ausgenähte Jacken und braune Strümpfe, sehen prunklos, aber zierlich aus. Die Weiber, und zumal die alten, haben manches Auffallende. Die spitze Haube, in Tirol Schwazerhaube genannt, ist dasselbe was im Vorarlberg Kappe heißt, nur in jedem Thale der Zeichnung nach diakritisch festgestellt; die Taille ist lang und durch ein steifes Mieder gehalten, aus welchem kurze, bauschige Aermel hervorstechen, die den obern Arm bedecken, wahrend der untere in schwarzen Handstutzen steckt. Der Rock ist kurz aber mächtig, zumal auf der Rückseite weit über das Mieder vorspringend. Die Waden endlich, was für das Wahrzeichen der Thalweiber gilt, stecken vom Knie bis an die Knöchel in den Höslen, worunter [215] man eine Art von Strümpfen versteht, die aus langen Wolllappen hergestellt werden. Diese langen Binden werden nämlich so lange sie sind und je länger desto besser um die Wade gewickelt und machen so bei den Stutzerinnen, unter die jedoch nur mehr alte Weiber zu zählen sind, einen dicken, geschwollenen Kreis um das Glied – ungefähr von dem Umfange eines mäßigen Butternapfs. Es ist dieß dieselbe Strumpfart, die allenthalben in den deutschen Alpen von Tirol und ebensowohl in den bayerischen Vorbergen, bald bei Männern und Weibern, bald nur bei diesen oder bei jenen zu finden ist, dieselbe, die Albert Schott auch bei den Frauen in den deutschen Gemeinden jenseits des Monte Rosa entdeckt hat und die dort denselben Namen Hosen (hoso) führt, der auch im bayerischen Gebirge zusammengesetzt als Beinhöslen gang und gäbe ist. Das was uns an dem Alpler als Hose erscheint, heißt er ziemlich überall das Gesäß (Gsäß).

Wir nähern uns Umhausen, das mit ragendem Spitzthurm in schöner freier Flur liegt. Die volkreiche Gegend zieht viel Nutzen aus den fruchtbaren Flachsfeldern, deren Erträgniß in guten Jahren auf fünfzehnhundert Centner steigt. Zu diesem Segen hat sie aber auch die Schrecken der Bergfälle, die von Zeit zu Zeit verwüstend herunterbrechen, geduldig hinzunehmen. Hier in der Nähe ist jener berühmte Wasserfall des Hairlachbaches, einer von den besuchtesten, da er nicht weit von der Landstraße entlegen und die Fremden ihm bis auf eine halbe Stunde entgegenfahren können. Die weißen Staubwolken, wie sie links aus dem Bergwald aufsteigen, lassen sich schon vom Dorfe aus sehr deutlich gewahren; doch sind bis an den Fuß des Falles noch immer dreiviertel Stunden zu gehen. Der Pfad zieht links über die Wiesen hin, dem Bache entlang, an welchem die Umhauser ihre bequemen Dreschmühlen haben, etliche Hämmer, die vom Rade gehoben auf die unterlegten Garben fallen, dann in einen lichten Wald und zuletzt in die Schlucht selbst, wo er alsbald durch Trümmer und Schutt ziemlich rauh und steil wird. Der Donner des Sturzes kommt immer näher, der blendend weiße Qualm bricht immer deutlicher durch das Gehölz und endlich stehen wir ihm selbst gegenüber. [216] Da kömmt er oben aus einem Felsenthor im dünnen Fichtenwald hervor und stürzt wie fließendes Silber über den ersten Absatz der kahlen Bergseite, und weil er da an einer Klippe anprallt, so wirft er sich, in seinem Zorne scheinbar ums Doppelte mächtiger geworden, in ungeheuerm Schwunge weit über die untere Wand heraus und fällt welterschütternd in die Tiefe. Unten und oben geht rauchend der Schaum auf in dem sich wechselnde Regenbogen bilden, damals besonders reich und glanzvoll, weil die heiterste Sommersonne in den Gischt schien. Wem’s zu wild und tobend wird, der mag sich dabei Trost holen in der friedlichen Aussicht, die an derselben Stelle in das Thal hinaus und auf die Wiesen von Umhausen führt.

Der Bach aber, der in seinem fünfthalbhundert Fuß hohen Sturze die Wanderer herbeizieht, erquickt sie auch mit seinen Forellen, und im Wirthshause zu Umhausen, bei Herrn Marberger, hat seit vielen Jahren jeder einkehrende Fremde seinen Teller voll zu sich genommen. Dort ist auch ein reichhaltiges Fremdenbuch mit vielem wässerigen Schnickschnack, den die Cascade den Leuten eingeflößt hat.

Bis hieher halten schroffe Wände, stolze Berge und freundliches wohlbevölkertes Thalgelände noch verträglich zusammen; hinter Umhausen aber kommen wilde, ausschließlich wilde Partien und das Zahme sucht man da für etliche Zeit vergebens. Fast eine Stunde lang dräut eine schauerliche Schlucht, eine von den vielen, wo die Berge nach Regenwetter beweglich werden, dem Wanderer an den Kopf fliegen und den Pfad verschütten. Manche Stellen gibt es, wo das lockere Gerölle so steil am Wege steht, daß es Jahr aus Jahr ein auch an den trockensten Tagen herunterbricht, wie es denn überhaupt die Natur des Thales ist, daß es wegen des Reichthums an Wässern, der feuchten Atmosphäre und des zur Verwitterung geneigten Gesteines von Felsbrüchen, Bergfällen und Muhren sehr viel zu leiden hat. Unter solchen Betrachtungen gelangt der Oetzthalfahrer an eine Stelle, wo hoffentlich auch in dem Kühnsten ein bebendes Entsetzen lebendig wird. Steile mürbe Wände von beiden Seiten stellen ihre drohende Stirne einander gegenüber und dazwischen hat sich der Bach seinen Runst [217] durchgerissen. Derselbe hat nun von Umhausen aufwärts schon allerwege rührig gebrummt und gedonnert, aber hier wird das Getöse grauenvoll. Das sieht aus wie ein Stück Weltmeer, mit dem ein brüllender Orkan sein Wesen treibt, um es in wüthender Brandung an ein Riff zu jagen – so bäumen sich die Wogen, so sieden die Wässer, so tobt alles durch einander. Dabei hört man auch noch mitten durch den Höllenlärm das dumpfe Aneinanderprallen der unsichtbaren Felsenblöcke, die der Bach in seinem Grunde daherwälzt. Wie lange mag es dauern, fragt sich der Zeuge dieses Schauers, bis das rasende Element all das Felsenwerk, wie es ihn ängstigt und wüthend macht, zusammenreißt? und wenn er sich nicht bedächte, daß das Ding vielleicht schon Jahrtausende so forttobt, möchte er ihm wohl kaum mehr eine Viertelstunde Zeit geben. Gerade wo es am fürchterlichsten tost, geht ein schwankes Brückchen über die Wässer, welche es zu allen Zeiten mit ihrem Schaum übergießen. Da wird sich der Langsamste beeilen, um schnell drüber zu huschen und vom jenseitigen festen Ufer desto behaglicher den Graus zu betrachten.

Es ist kein Wunder, daß der Volksglaube in dieser Schlucht des Schauders eine Schaar von boshaften Hexen wohnen läßt, die den Wanderer bei Nacht mit Teufelsspuk fast bis zum Wahnsinn plagen. Der Oetzthaler betet und bekreuzigt sich, wenn er nach Gebetläuten den unheimlichen Pfad zieht. Wer nicht beten und sich nicht bekreuzigen will, wird besser thun ihn gar nicht zu gehen.

Auf diese enge Wildniß folgt dann wieder die offene Gegend von Lengenfeld, lachende Fluren mit Wies und Feld, reich besetzt mit Häusern und Hütten, jetzt voll idyllischen Lebens, vor langen Zeiten, wie noch die Sagen melden, ein einsamer Bergsee. Jenseits der Oetz gewahrten wir den schönen Wasserfall des Lehnbaches, auf einer Anhöhe zeigte sich schön gestellt die Dreifaltigkeitskirche von Kropfbühel.

Lengenfeld ist ein großes, gut gebautes Dorf, das durch einen schönen Fichtenhain und einen Fernerbach in zwei Theile geschieden wird. Auf den Jöchern, die das Thal begränzen, liegen schon bedeutende Gletscher, die da und dort in aller [218] Ruhe auf die grüne Ebene herunterschauen. Aus einem solchen kömmt der Bach, dessen wir so eben gedacht und dessen ungestüme Wuth die Lengenfelder zu einem kostbaren Dammbaue genöthigt hat. Die Lengenfelder trinken lauter solches Fernerwasser – wenigstens sagten sie im Wirthshause es gebe kein anderes. Frisch ist dieß Getränke allerdings und man behauptet sogar, es solle sehr gesund seyn, aber solche die nicht daran gewöhnt, würden an der trüben, milchweißen Farbe leichtlich Anstoß nehmen.

Wer gern an die alten Zeiten deutscher Nation zurückdenkt, der nimmt’s vielleicht gut auf, wenn wir ihm sagen, daß in die stillen Gründe von Lengenfeld auch der unglückliche Conradin von Hohenstaufen zu zwei verschiedenenmalen reisig eingeritten ist, im März und im Julius 1264 nämlich, nicht gerade um wichtige Thaten zu verrichten, sondern wohl nur um sein väterliches Erbgut zu beschauen. Zwei seiner Urkunden sind zu Lengenfeld ausgestellt.*)

Im Wirthshause zu Lengenfeld fanden wir einen alten Herrn röthlichen Gesichts, schwarzer Tracht, der uns freundlich ansprach: Comment vous portez-vous, Messieurs? Ueberdieß wußte er noch zu sagen: il fait beau temps und parlez-vous français? Nachdem wir dieß alles beantwortet hatten, schlugen wir vor zur deutschen Muttersprache herunterzusteigen, was aber unser neuer Freund so lange als möglich aufhielt, da er immerzu der guten Hoffnung war, es werde ihm noch etwas Französisches einfallen. Während des deutschen Gespräches, das sich endlich doch einstellte, fragten wir Reisende auch nach den Sagen, die, wie die Bücher melden, in diesem Thale zu Hause sind. Was? Sagen? – hob aber der andre an – wir haben keine Sagen im Oetzthale! Je nun, bemerkten wir, man liest doch da und dort davon und in manchem Buche wird nicht undeutlich zu verstehen gegeben, daß gerade dieses Thal mit solchen Ueberlieferungen reich gesegnet sey. Alles nur Blendwerk! rief darauf der alte Herr – wir haben keine Sagen, sag’ ich. Wir sind aufgeklärt im Oetzthal, so aufgeklärt [219] als anderswo. Als wir zu beschwichtigen suchten, ging er in sehr derben Worten auf die dummen Bücher über und die Fremden, die ins Land hereinkämen und die erlogenen Sagen hinaustrügen und die Leute lächerlich machten. Es hätte eine sehr bedauerliche Scene werden können, wenn nicht einer von uns in seiner Geistesgegenwart: Comment vous portez-vous? gesagt hätte, worauf der Erzürnte nach kurzem Zaudern: Trèsbien erwiederte und sich wieder ganz friedlich anließ.

Es ist unzweifelhaft, daß man im Oetzthale und in einigen andern Thälern die alte Sagenpoesie mit der dortigen Aufklärung nicht verträglich findet und daher das Wenige, was davon noch übrig ist, mit allem Eifer auszurotten strebt. Die Frage nach Volkssagen wird manchmal als eine Beleidigung angesehen, als ausländischer Uebermuth der mit der tirolischen Einfalt sein Spiel treiben wolle. Nie wurden auch die Oetzthaler bei ihrem Glauben an die eigene Aufklärung so peinlich angeregt, als im Jahre 1825, wo Herr Eduard von Badenfeld im Hormayr’schen Archiv für Geschichte, Statistik, Literatur und Kunst einige Nachrichten über die Sagen dieses Thals mittheilte und der Tirolerbote sie auch im Vaterlande verbreitete. Damals verfügten sich die Aeltesten des Thales zum zuständigen Landgericht zu Silz, um sich Raths zu erholen, wie und wo sie den böswilligen Injurianten gerichtlich belangen könnten, welcher der Ehre ihrer Heimath so nahe getreten sey und sie noch mit alten Mähren höhne, welche die neu eingeführte Aufklärung schon seit mehreren Jahren ganz abgebracht habe.

Selbst literarische Hülfe blieb nicht aus. Ein „geborner Oetzthaler“ trat im Tirolerboten auf und schnarchte höchst mißmuthig über die Indiscretion dieser Touristen, die da in seiner Heimath Mährchen gefunden haben wollten. Nebenbei ärgerte ihn freilich auch, daß von Branntwein, Raufen und Stelldicheinen die Rede gewesen. „Beinahe, sagt er in seiner Bitterkeit, kam mir die Versuchung zu wähnen, es gäbe vielleicht zwei Oetzthale, eines das ich recht gut kenne und wo ich meine seligsten Tage verlebt, und ein andres, das der Herr Verfasser geschildert. Oft war mir ein mitleidiges Lächeln, zuweilen [220] aber eine Art gewiß nicht ungerechten Aergers abgedrungen, indem ich mein geliebtes heimathliches Thal so dargestellt sah, als wären wir erst seit vorgestern aus den Wäldern hervorgegangen und noch immer vom tiefsten Aberglauben umnachtet.“ Deßwegen glaubt er auch feierlich versichern zu müssen, und erbietet sich sogar zum Nachweise, daß die meisten dieser schönen Mähren „die meisten der in diesem Aufsatze vorkommenden Anekdoten entweder im ganzen Oetzthale unbekannt, oder von dem Herrn Verfasser eigentlich mährchenmäßig verstellt, oder daß sie höchstens an langen Winterabenden in der Kunkelstube erzählt worden, nicht als werde daran geglaubt, sondern um zu kurzweilen.“ Wunderlich ist die Andeutung, daß die Mährchen deßwegen nicht zur Nacherzählung geeignet seyen, weil sie nur in den Kunkelstuben erzählt werden, als wenn nicht gerade da ihr sicherstes Asyl wäre. „Denn da in der Zeit von sechs bis neun Uhr an den Winterabenden, wo die Landleute beim Span-, Kien- oder Oellicht zusammensitzen, da vorzüglich theilt eine Generation der andern ihren Schatz von Erfahrungen und Lebensansichten mit; da wird der ganze Vorrath an volksmäßigen Dichtungen, Erzählungen, Mährchen, Liedern durchgegangen und mitunter durch neue Zugaben aus der Zeitgeschichte vermehrt. Bei keiner andern Gelegenheit, selbst beim Bierkruge nicht so sehr als da, kommt das reiche Capital an natürlichem Witz in Umlauf, mit dem das Volk ausgestattet ist.“*) Uebrigens mag sich der Leser wieder beruhigen, denn ein Freund, der dazumal mit Herrn von Badenfeld im Oetzthale wanderte, hat uns versichert, daß bei Sammlung dieser Mähren alle wünschenswerthe Vorsicht und Unbefangenheit obgewaltet habe.

Die lachende Flur von Lengenfeld endet eine Stunde oberhalb des Dorfes in abermaliger Wildniß. Hier wieder schwere Berge, die eng aneinander treten und in ihrem Trachten sich nahezukommen den Bach aufs neue fürchterlich reizen. Auch der Weg muß sich oft recht ärmlich schmiegen und drücken. Zuweilen wird’s weiter, aber nicht freundlicher. Dunkler Fichtenforst, [221] starre Schrofen oder Gerölle und Geschiebe vergangener Bergfälle theilen sich in den Raum. Wer an Wasserfällen noch nicht gesättigt ist, mag sich in dieser Gegend am schönen Sturz des Atterthaibaches ergötzen; mein Gefährte behauptete indessen den ganzen Tag über sich so genug daran gesehen zu haben, daß er im Vorbeigeben die Augen zudrückte, um nicht zu viel zu bekommen. Um diese Zeit am späten Abend begegneten wir einem Fuhrmann, der einen zweirädrigen schwergepackten Karren begleitete, welcher heute noch nach Sölden kommen sollte. Es ist schwer zu beschreiben was ein Fuhrmann und sein Gaul auf solchen Wegen auszustehen hat. Gerade jetzt zog der Pfad, voller Schrunden und Risse einen steilen Steig hinan und nun schob der Mann selber mit. Auf halber Höhe aber wollte das Pferd erliegen und ging nicht weiter. Und ehe der Fuhrmann sich’s versah, machte der Karren Anstalt rückwärts zu rollen und den Gaul mit sich zu ziehen, wobei es ihm denn gerade noch gelang einen Stein vor die Räder zu werfen und das Unglück aufzuhalten. Nunmehr stand er seufzend vor dem Gespann und sagte: wie lang werd’ ich noch brauchen, ehe ich da hinauf komme. Wir hatten Erbarmen, halfen ihm zuerst einmal ein bißchen ausrasten, verkürzten ihm die Zeit durch freundliche Reden und dann schoben wir alle drei an dem Karren und wie ich glaube auch an dem Gaul, der jede Lust am Ziehen eingebüßt hatte. Nach einer langen Viertelstunde waren wir oben und trieften vor Schweiß. Dort verließen wir auch den Fuhrmann, der erst eine halbe Stunde nach uns das Dorf erreichte.

Die Gemeinde Sölden liegt aber wieder sehr anmuthig in grünen Wiesen, die geräumig auseinander laufen und mit Roggenfeldern abwechseln. Die Häuser sind idyllisch zerstreut und verstecken sich da und dort heimlich hinter kleinen Waldschöpfen. Drüben ragen abermals die weißen Ferner herein und man spürt, daß man wieder weit hinten im Gebirge ist.

In Sölden ist ein unverwerfliches Wirthshaus und ein braver Wirth, mit dem wir indeß trotz seiner Trefflichkeit nahezu in Streit gerathen wären. Es war am 5 August des Jahres 1842 als wir, wie erzählt, des Morgens in dem schönen [222] Dorfe Oetz zum Wanderstabe gegriffen hatten und nachdem wir noch den ermüdenden Gang zum Wasserfalle bei Umhausen gemacht, und zur Erquickung lediglich ein zartes Forellenpaar gekostet, nachdem wir den Tag über im heißen Sonnenbrand an den nackten Felsenwänden heraufgegangen, ohne weiteres zu essen und zuletzt noch dem Fuhrmann seinen Karren über die Steig hinauf geschoben hatten, kamen wir mit etwa zehn Stunden in den Beinen bei einbrechender Nacht sehr hungrig in Sölden an und verlangten in einfachen Worten, sie möchten uns Schweinsrippchen oder Hammelbraten oder etwas ähnliches zum Nachtmahl geben. Der Wirth entgegnete darauf, es wäre zwar Fleisch vorhanden, aber weil es Freitag sey, werde er keines zurichten lassen. Umsonst beriefen wir uns darauf, daß wir Reisende seyen, umsonst ermahnten wir, er solle die Aufklärung im Oetzthale nicht Lügen strafen – der Herbergsvater zu Sölden blieb bei seinem ersten Worte, und etliche gesottene Eier, die man uns vorsetzte, umschlossen denn auch in ihrer engen Schale alles was unsre weiten Bedürfnisse decken sollte. Wir waren damals fast ärgerlich über den Mann, jetzt aber, nachdem die Empfindlichkeit längst vergangen, scheint mir der Wirth einer Ehrenerwähnung werth, weil er festgehalten an seiner Ueberzeugung und nicht für schnödes Geld Hammelbraten und Gewissensruhe hingegeben.

Bis zur Kirche in Sölden kann man mit Karren nothdürftig fahren, aber von da an ist nur mehr Fußweg. Nachdem man noch einige Zeit durch Wiesen gegangen, ist die grüne Flur wieder zu Ende und es stellt sich ein rother mit Alpenblumen buntgefärbter Berghang entgegen, an dem ein steiler Pfad hinaufführt. Oben genießt der Wanderer einen schönen Blick ins kleine Thalgelände das er verlassen, und wenn er noch etwas vorgestiegen ist, auch einen andern in einen grausigen Schlund, wo der Weg unsicher und oft verfallen hoch über dem schäumenden Bache hinzieht, während hängende Felsen von allen Seiten hereinnicken. Da muß er nun hinunter, und wenn er so anderthalb Stunden zwischen den Wänden fortgewandelt, öffnet sich wieder ein enges Thälchen, sanft und grün, in dem die Hütten von Zwieselstein ersichtlich sind.

[223]

In Zwieselstein gehen drei Wege auseinander. Einer von diesen Steigen führt der Oetz, oder wie sie von jetzt an heißt dem Venderbache, entlang in den hintersten Ort des Thales, nach Vend. Links von diesem geht einem andern Bache nach ein anderer Weg ins Gurgelnthal. Dieser wird in neuern Zeiten von kecken Reisenden viel begangen. Wenn den Beschreibungen zu trauen, so ist schon der Pfad bis zu dem Gurgler Dörfchen einer von den schauerlichsten, und jenseits des anmuthigen Grundes von Gurgeln geht’s dann über den großen Oetzthaler Ferner ins Pfosenthal hinab, das ins Schnalserthal mündet. Der Gang über den Gletscher beträgt da ein paar Stunden und gewährt die interessantesten Schrecknisse. Noch weiter zur Linken zieht ein Bergsteig auf den Timbels, von welchem man ins Passeyer hinuntersteigt, von allen dreien der betretenste, als der kürzeste Weg aus dem Oetzthale nach Meran, der auch während des Sommers fast immer „aber“ d. h. frei ist von Schnee und Eis. Ein guter Fußgänger kann von Zwieselstein in einem Tage nach Meran gelangen. Die Oetzthaler machen übrigens in derselben Zeit auch den Weg von Lengenfeld aus.

Wir wählten uns den Weg nach Vend, der alsbald über einen Steg in die Schlucht hineinführt, aus welcher der Oetzbach hervorstürmt. Der Pfad ist schmal und unbequem und macht auf etwas Klettern und Springen Anspruch. Eine schöne Bergpyramide, die im Hintergrunde des Thales aufsteigt, bleibt immer als Wegweiser vor Augen und soll deßwegen Thalleite heißen. Nichtsdestoweniger geriethen wir einmal in schwere Zweifel ob wir nicht den Weg verfehlt hätten; denn als wir einige Zeit durch thauigen Wald gegangen waren und endlich wieder im Freien das enge Thal betrachteten, den Bach, der zwar noch sehr jung, doch schon mächtig schrie, und die langen Berghänge die oben in Schneefeldern und Fernern ausgingen, als wir dieß so betrachteten und mit den Augen in der Höhe allerlei Schönheiten zusammensuchten, gewahrten wir auch plötzlich hoch über unsern Häuptern auf senkrecht abgeschnittenem Felsenrand eine Capelle und etliche Häuser. Auf den hellgrünen Wiesensaum, der in Adlershöhe über dem Abgrund schwebte, [224] auf die weiße Capelle und in die Fensterchen der hölzernen Hütten fiel die Morgensonne und darüber stieg der blaue reine Himmel auf. Wie wir da aus der schattigen Schlucht, die noch kein Strahl erreicht hatte, hinauf blickten in jene erleuchtete Höhe, so wollte es uns bedünken als läge dort unser wahrer Weg der allein ans Ziel führe. Diese Ahnung hätte uns freilich nur betrogen, denn als wir noch auf gut Glück den rauhen Pfad im Thale etwas weiter verfolgten, sahen wir bald das ersehnte Kirchlein von Heiligkreuz vor uns, wie es sich dem Bach zur Seite freundlich winkend auf seinem grünen Hügel erhebt.

Als wir auf dem Platze waren, trat der Meßner aus dem Gotteshause und sagte uns grüßend, der Herr sey noch am Messelesen und wir möchten einstweilen auf der Bank vor dem Widdum, der Priesterwohnung ausrasten. Dieß thaten wir auch gehorsam und betrachteten die Gegend, die so schmal und still vor unsern Augen lag. Man hat erst im Jahre 1804 in diesem engen Thalschnitt eine Kirche erbaut, einfach und klein, wie sie für die hundert Aelpler, die unter die Seelsorge gehören, ausreicht. Rund herum ist auch ein kleiner Friedhof. Neben diesem liegt das Häuschen des Caplans, hölzern aber heimlich, mit einigen Blumentöpfen vor den Fenstern. Etwas weiter oben stehen vier oder fünf ärmliche Hütten, die den Hauptstock des Sprengels ausmachen. Etliche Gerstenfeldchen und ein paar Erdäpfelbeeten zeigen ungefähr, was hier noch durch Anbau dem Boden abzugewinnen ist; dagegen bringt er ungezwungen die schönsten Alpenblumen hervor und prangt auch sonst im lebhaftesten Grün. Unten in der Schlucht braust der Bach. Diesseits sind die Höhen nicht weit zu verfolgen, da die niedersten Abdachungen zu nahe liegen und den Blick auffangen; aber jenseits des Baches geht’s von diesem an schräge hinauf über Schrofen und Fichtenwald bis zu den Fernern, die weiß und reinlich auf dem Sattel ruhen. Mancher braune Felsklotz sticht trotzig aus der eisigen Decke, und besonders schön war es anzusehen wie diese stolzen Hörner, von heiterer Sonne beschienen, ihre blauen Schatten über den weißen Schnee hinwarfen. Aus den Fernern lösten sich etliche silberne Wasserfäden [225] ab und stürzten ungehört über den Berghang in die Tiefe.

Wir saßen also auf der Bank vor dem Herrenhause, schauten immer wieder aufs neue zu jenen Fernern hinauf und sagten einander: dort wohnen die Feen des Oetzthales! In solche Herrlichkeiten verlegt nämlich die Oetzthaler Sage den Wohnsitz der „saligen Fräulein," elfenhafter Jungfrauen, welche die Hirtenknaben lieben und die Gemsenjäger hassen. Von diesem Hasse und jener Liebe erzählen die Aelpler mehr als eine schöne Geschichte. Indessen haben die saligen Fräulein auch sonst bequemer gelegene Wohnungen im niedern Thalgelände, und zumal bei Lengenfeld ist durch eine Grotte der Eingang zu ihren gefeiten Hallen im Innern des Gebirges. Vor dieser Grotte saß einst im schönen Mai ein junger Hirte und kochte sein Mittagsmahl. Unversehens erscholl von Lengenfeld her die Mittagsglocke, der Knabe kniete nieder um zu beten und warf in seiner Unvorsicht den Topf um. Alsbald trat ein Fräulein aus der Grotte und gab ihm andere Speise für die welche er verschüttet. Dabei kamen die beiden, der schöne Hirtenknabe, und das schöne Fräulein, in ein freundliches Gespräch, und als der eine sich geletzt, nahm ihn die andre bei der Hand und führte ihn in ihr wunderbares Schloß. Dort wurde er mit lieben Worten aufgenommen und die Elfen sagten ihm, er möge kommen zu allen Stunden, aber Niemand dürfe davon wissen und niemals dürfe er jagen gehen auf die Gemsen, die allesammt ihre Hausthiere seyen. Dem Hirtenknaben gingen neue Tage auf, schönere als er je erlebt, bis ihm nach manchen Monden ein Wort entfuhr, das seinem Vater seine Liebe verrieth. Als er darauf wieder an den Berg kam, war dieser verschlossen und keine Bitte, keine Klage konnte ihn wieder öffnen. Der Knabe, verging fast in seiner Sehnsucht und starb schier vor Gram, aber das salige Fräulein, seine Liebe, kam nicht mehr zu Tage. Und zuletzt machte er sich auf und ging um Rache zu nehmen auf die Gemsenjagd, ersah ein Thier, verfolgte es und schoß. Aber kaum war’s gethan, so stand das salige Fräulein, das ihn einst geliebt, in all ihrer Schönheit schützend bei dem werthen Wilde, blickte den Jäger an, [226] schwermüthig aber milde, als thäte sie vergangener Tage gedenken, und der untreue Knabe stürzte von dem Blick geblendet in den Abgrund.

Als nun der Caplan aus der Kirche trat, gab er uns freundlichen Willkomm und erregte auch sonst manche angenehme Hoffnung in den beiden Pilgern; denn da gestern, wie bekannt, Fasttag gewesen und der Wirth zu Sölden jedem Manne nur ein Ei gewährt hatte, so war ihnen noch etlicher Hunger übergeblieben. Dafür wurde nun trefflich gesorgt, und ehe die Sonne im Mittag stand, stand eine kräftige Suppe und ein auserlesener Gemsziemer und eine noch mehr hervorzuhebende Gemsleber auf der Tafel. Nebenbei tranken wir vom rothen Wein des Etschlands und plauderten bis zum späten Nachmittage, festgehalten durch einen stürmischen Regenschauer, der sich urplötzlich emporgezogen hatte an dem Himmel, der noch um Mittag so heiter gewesen war.

Wer macht sich wohl im bequemen geselligen Flachlande eine richtige Anschauung von dem Leben dieser hochgebirgischen Dorfcapläne? Drei Viertheile des Jahres liegen sie unter Schnee, und in der „abern" Zeit läßt ihnen Mutter Natur kaum die Erdäpfel im Garten reif werden. Jahr aus Jahr ein leben sie da in ihrem engen Häuschen mit der nächsten Aussicht auf den Friedhof, und verlassen es nur um den Verrichtungen in der Kirche oder der Seelsorge auf den Höhen herum nachzugehen oder zu einem einsamen Spaziergang, der unveränderlich den Wiesenpfad thalein- oder auswärts verfolgen muß, denn ringsherum sind steile Wände. Wenn im Winter der Weg in die Kirche oft erst mühsam gebahnt werden muß, so läßt sich denken was für Fährlichkeiten zu bestehen, wenn etwa ein Sterbender auf entlegenem Hofe nach dem Priester begehrt und dieser in finstrer Nacht, in Sturm und Schneegestöber, dem Rufe folgen muß, auch wenn es bis dahinaufginge, wo wir heute früh auf dem sonnenhellen Bergrande das ferne Capellchen glänzen sahen. Ist dann der Weg auch gangbar, so drohen noch immer die Schneestürze, und davon weiß mau in Heiligkreuz wie im ganzen Oetzthale Schauerliches zu erzählen, als z. B. daß gleich im Jahre 1817 [227] zu Nörder auf dem Wege nach Zwieselstein siebzehn Personen verlahnet wurden, die sich alle in ein Haus geflüchtet hatten, das sie für besonders sicher hielten – ein Unglück bei welchem nur der achtzehnte, ein alter Mann, mit dem Leben davon kam. Ueberhaupt sind die Arten wie man hier zu Lande mit Tode abgehen kann, kaum zu zählen, und der lange Weg durchs Oetzthal herauf bis zum Ferner läuft oft wie durch eine Allee von Martertäfelchen, kleinen Abbildungen des Todfalls mit beigeschriebener Bitte um ein Vaterunser, welche die Hinterbliebenen am Pfade aufrichten lassen. Manche sind in Fernerklüfte gefallen, andere vom Schrofen gestürzt, andere durchs Eis in den Bach gebrochen, andere hat der Strom im Sommer fortgerissen, andere ein fallendes Felsstück erschlagen, andere ein rutschender Baum erdrückt, andere sind in der Lahne erstickt, andere im Gerölle umgekommen und so fort, nur von mörderischen Ueberfällen ist nicht die Rede. Um übrigens zu unsern Bergcaplänen zurückzukehren, so führen sie auch im Sommer kein sehr geselliges Leben, da der Nachbar oft mehrere Stunden zum Nachbar hat, auch die Gießbäche in der schönen Jahreszeit nicht selten den Pfad mit sich fortreißen und den Verkehr für mehrere Tage unterbrechen. Drum ist das enge Häuschen mit ein paar Büchern, ein paar Singvögeln und ein paar Blumentöpfen gleichsam die Cajüte, in der der einsiedlerische Priester die langen Monate durchsteuert – das enge Häuschen, welches zwar zuweilen einen guten Keller hat, in dessen Küche aber frisches Fleisch jeweils eine Zufälligkeit. Besondere Wonnen- und Freudentage die das stille Einerlei des Jahreslaufs unterbrechen, wären wohl schwer namhaft zu machen; doch hält einer oder der andere die Jagd auf „Murmenten,“ auf Murmelthiere für ein hohes Vergnügen. Gleichwohl sind die Fälle nicht gar selten daß solche Priester zehn und zwanzig Jahre bei ihren Kirchen und ihren anhänglichen Schäflein geblieben sind, obgleich es ihnen in dieser langen Zeit nicht an Gelegenheit fehlen konnte den Ort ihrer Wirksamkeit zu wechseln.

Für gesellige Naturen mag es eine Labsal seyn, daß sie Niemand hindert müden Wanderern Herberge zu geben. [228] Da findet sich doch alle vierzehn Tage einmal Anlaß etwas zu reden; man hört wieder von der Welt und in neuern Zeiten oft von fernen Ländern, von den britannischen Inseln, von Scandinavien und dem äußersten Thule. Mancher Engländer, mancher Normann bleibt durch Unwetter aufgehalten etliche Tage sitzen und erzählt zur Kürzung der Stunden von seinem Lande und seiner Vaterstadt. Davon haftet dann Vieles im Gedächtniß und man muß sich oft wundern, wie der geistliche Gastfreund, der nie über die Gränzen seines Bisthums hinausgekommen, an einem andern Ende des Welttheils ganz gut Bescheid weiß und Verhältnisse kennt, die aus Büchern gar nicht zu lernen wären. In allen Fällen wird man die Aufnahme freundlich finden und wenn sich auch der Tisch nothwendig nach dem richten muß was vorhanden ist, so wird das Lager doch überall befriedigen. Billige Rechnung ist ein Ehrenpunkt, da man’s lieber ganz umsonst thäte, wenn die Mittel ausreichten. In manchen Häusern darf sich die Köchin gar nicht in die Sache mischen, weil der Hausherr fürchtet, sie möchte zu fiscalisch dareingehen. So kommt dann der gute Wirth selbst mit der Kreide, schlägt die einzelnen Posten vor, ladet den Gast ein seine Erinnerungen zu machen, wozu freilich nie ein Grund gegeben ist, schreibt jedes Sümmchen nur nieder, wenn es vorher gebilligt worden, und so wird denn im friedlichsten Einverständniß der Betrag der mäßigen Vergütung festgesetzt.

Gegen Abend also machten wir uns, gelabt und gestärkt, wieder auf um nach Vend zu gehen. Der treffliche Caplan gab uns noch eine Strecke weit das Geleit, und dann nahmen wir herzlichen Abschied. Der Weg war in seiner Art wenig verschieden von dem den wir in der Frühe von Zwieselstein nach Heiligkreuz gegangen waren, doch eher etwas bequemer. Hie und da stehen ein paar Hütten an dem Wege – sonst große Einsamkeit und wegen der vielen Spuren von Lahnenstürzen, wegen der Steingerölle und der wilden Schrofen etwas Melancholie. Nach zwei Stunden eröffnet sich das heitere Thal von Vend, wo das letzte Dorf im Oetzthale, das höchste im Lande steht, 6048 Wiener Fuß über dem Meere, höher als [229] die Schneekoppe im Riesengebirge. Es finden sich hier fünf Bauernhöfe, und darin wohnen etliche vierzig Menschen die keine Felder mehr bauen, aber schöne Alpenweiden besitzen und durch Viehzucht einen ziemlichen Wohlstand unterhalten.

Das Thal von Vend ist ein Seitenstück zu der Landschaft von Galthür: hölzerne Alpenhäuser und eine weiße Kirche, glatte Wiesen, ein ruhigfließender Bach, niedere grüne Berge. So grauenvoll der Winter seyn mag, so harmlos und artig scheint das Gelände im Sommer. Wir haben der Ueberraschung schon einmal gedacht, die den Pilger befällt, wenn er Tage lang am tobenden Bache aufwärts gegangen, an Schrofen und dräuenden Felsen vorbei, durch grause Schluchten, über Lawinenbahnen und Steingerölle, zeitenweise die ernsten Gletscher im Auge – wenn er nun immer tiefer ins Gebirge hineinkommt und zuletzt wo der Schauer am größten seyn soll, in den grünen Wiesenplan eintritt und statt des verwüsteten Tummelplatzes dämonischer Gnomen den ebenen Tanzboden friedlicher Elfen findet. Dasselbe Gefühl kehrt auch hier wieder, und man kann es noch an vielen andern Stellen erleben.

Das Wirthshaus zu Vend ist eine sehr ärmliche Anstalt und kann vielleicht auch nicht viel besser seyn. Frisches Fleisch kommt nur bei feierlichen Gelegenheiten vor, sonst hält man zum Bedarf der Fremden geräuchertes Kuhfleisch, mager, dürr und ranzig, eine höchst unleckere Nahrung. Das Brod wird alle vierzehn Tage vom äußern Thale hereingeholt und ist also dreizehn Tage altbacken. Der Wein – in jedem Betracht das beste was zu haben – kommt im Winter auf Schlitten über Zwieselstein herein, und dazu muß als Bahn, wenn der Pfad ausgeht, auch der gefrorene Bach behülflich seyn. Die Betten waren nicht lang genug für uns, was anzudeuten scheint daß die Reisenden der Mehrzahl nach kürzer sind als wir.

Den Abend füllten wichtige Gespräche über die Fernerfahrt die wir vorhatten. Einige Bauern gaben darüber ihre Gutachten ab, die aber sehr weit auseinanderwichen. Die einen erklärten den Gang für höchst bedenklich, die andern für ein Kinderspiel, vorausgesetzt daß gut Wetter sey. Der Wirth nannte Nicodemum von Rofen als den besten Mann für Gletscherreisen. [230] Dieser würde morgen früh erscheinen um, als am Sonntag, in die Kirche zu gehen, und der würde uns führen wohin wir wollten. Unter großen Hoffnungen schlüpften wir zuletzt in die kleinen Betten und verfielen in sanften Schlaf.

Am andern Morgen, es war der des 6 August 1842, erschien Nicodemus von Rofen und erklärte sich, wie voraus gesagt war, ohne Umschweife bereit uns übers Niederjoch nach Schnals zu führen, vorher aber gedenke er noch zur Sonntagsandacht ins Amt zu gehen, welches sammt Predigt bis zehn Uhr dauern sollte. Zu gleicher Zeit lud uns auch der Wirth ein mit ihm in die Kirche zu wallen, da das Haus geschlossen werde. So gingen wir bescheiden und mit niedergeschlagenen Augen auf die Kirche zu. An der Pforte bemerkte uns sofort der Gastfreund, hier sollten wir stehen bleiben, denn die Plätze im Innern seyen alle ausgetheilt und für uns keine Unterkunft. Blieben also einige Zeit an der Thüre stehen, bis die männliche Alpenjugend immer dichter herandrängte und mit breiten Ellenbogen auch den Raum auf der Schwelle besetzte. Unter dieser Bedrängniß mußten wir wider Willen ins Freie treten. Mittlerweile fing es zu tröpfeln an und wir verehrten unsern Gott in leisem Regen, waren etwas trübselig und mischten in unser Gebet hie und da ironische Betrachtungen über die sieben Seligkeiten der Bergreisen. Dieß dauerte eine gute Weile. Endlich kam der Wirth mit den Schlüsseln und wir trachteten fröhlich der Herberge zu und versprachen uns, da vorderhand keine Hoffnung zum Aufbruch war, viele Belehrung von den Gesprächen die wir mit den Betern führen wollten, wenn sie nach dem Gottesdienste durstig ins Wirthshaus kommen würden, nahmen auch zu diesem Zwecke schon vorhinein einen guten Platz. Alsbald wälzten sich die Vender und ihre Nachbarn in dickem Haufen zur Stubenthüre herein, besetzten alle Bänke und Stühle die noch frei waren, und etliche welche nicht mehr unterkommen konnten, blickten von der Schwelle begehrlich ins Gemach. Um diese Zeit nahte der Wirth, fragte ob es uns hier nicht zu lärmend sey, und als wir mit einem vernehmlichen Nein geantwortet, drehte er seine Rede und bat uns freundlich, ja sehr freundlich, zu bedenken, daß [231] die Stube gerade für so viel Männer gebohrt sey als in die Kirche gingen, daß da an Sonn- und Feiertagen jeder seinen Platz haben wolle und daß er gar keinen Frieden genießen würde bis auch die andern auf der Schwelle noch zu sitzen kämen. Dabei stellte er uns vor, wie angenehm und ruhig unser Schlafgemach sey, und es wäre ihm sehr lieb wenn wir da hinüber gingen. Ei was? brummte da der eine von uns, wir sind ja hier wie die Parias; erst wollen sie uns nicht in der Kirche leiden, und nun nicht einmal im Wirthshause! Ach! sagte der andere, es sind gute Leute; thun wir ihnen den Gefallen. Nun nahm der Wirth vergnügt unser Trinkzeug und trug’s hinüber, und wir folgten in unser armseligstes aller Schlafgemächer. Stühle waren nicht darinnen, und so legten wir uns in nothwendiger Verkürzung auf die Betten. Leider wußten wir gar nicht was wir anfangen sollten. Lesen, Schreiben, Rechnen schien alles nicht am Platz und an der Zeit. Auch zum Reden fielen uns nur ärgerliche Bemerkungen ein, die wir lieber unterdrückten. Alle Viertelstunden aber ging einer hinunter und traf verabredetermaßen mit Nicodemus von Rofen zusammen um das Wetter zu beurtheilen, denn beim ersten sichern Anzeichen von Besserung sollte es weiter gehen.

Endlich, es war um halb zwölf Uhr und der Regen hatte schon seit einiger Zeit aufgehört, endlich sagte Nicodemus: es hebt, und mahnte zum Aufbruch. Er ließ sich noch eine fette Suppe geben, während wir einige Lebensmittel zu uns steckten und die Rechnung berichtigten. Bei letzterem Geschäfte gewannen wir übrigens die Ueberzeugung daß es in Vend zwar ziemlich schlecht, aber auch ziemlich theuer zu leben sey.

Nun hatte sich Nicodemus gestärkt, griff nach seinem Stabe und wir zogen davon. Allererst ging es eine jähe Anhöhe hinan, von wo wir rechts nach Rofen hineinsahen. Zu Vend läuft nämlich das Thal abermals in eine Gabel aus, deren eine Zinke zum Hochjoch, die andere zum Niederjoch führt. Im grünen Grunde der ersteren liegen die beiden ansehnlichen Rofner Höfe, die letzten Häuser im Oetzthale, nur noch zwei Stunden von dem vielbesprochenen Rofener Wildsee, und Nicodemus, dem der eine davon gehört, deutete mit Stolz auf [232] sein väterliches Erbe. In dieser Wildniß hat nämlich, wie alte ehrwürdige Sagen berichten, Herzog Friedrich mit der leeren Tasche eine Zuflucht gefunden als er geächtet und gebannt heimlich dem Costnitzer Concil entflohen war (1416). Dazumal, als hundert Feinde ihm nachstellten und der eigene Bruder nach der Grafschaft Tirol strebte, lebte Friedel manchen stillen Tag auf dem Rofnerhofe und die Rofnertochter soll sogar ihr Herz an ihn verloren haben. Später, als er wieder zu seinem Lande gekommen war, gedachte er dankbar dieses Asyls und verlieh dem Hofe ausgezeichnete Ehren, Steuerfreiheit nämlich und die Rechte einer Freistätte. Erstere genießt er noch, letztere ging unter Joseph II ein. Auch wurde der Hof zu einem eigenen Burgfrieden erhoben und dem Schloßhauptmann zu Tirol untergeben. Noch zur Zeit aber spricht Nicodemus von seinem Hof nicht anders als ein Ritter von seiner Burg, und es nimmt sich sehr stolz und fürnehm aus, wenn der Bauer etwa anhebt: So lange ich auf Rofen sitze u. s. w. Uebrigens gehörte auch die Gemeinde Vend bis in dieses Jahrhundert herein ins Gericht nach Castelbell im Vintschgau und ins Bisthum Chur. Jetzt steht sie sammt den Rofner Höfen unter dem Landgerichte zu Silz im Innthale und unter dem Bischofe zu Brixen.

Obengedachter Wildsee im Rofnerthale wurde in letzterer Zeit öfter besprochen; aber schon im Jahre 1773 hat er einem öffentlichen Lehrer an der Universität zu Wien, Namens Joseph Walcher, ein gutes Schriftchen entlockt: „Nachrichten von den Eisbergen in Tirol,“ wohl die ersten, die über diese entlegene Gletscherwelt unter das deutsche Publicum gebracht worden. Damals wo Niemand ohne Schauer an diese winterlichen Einöden dachte und die weißen Fernerketten nur allmählich die Augen neugieriger Naturforscher auf sich zogen, damals mag dieß Büchlein den Leser sehr überrascht haben. Wir lernen daraus unter anderm, daß zu jener Zeit noch manche der Meinung seyn konnten, es hätten die Gletscher in Tirol erst im dreizehnten Jahrhundert ihren Anfang genommen, indem damals mehrere sehr kalte Winter aufeinander gefolgt seyen und sich deßhalb auf den hohen Bergen das Eis dergestalt [233] gehäuft habe, daß die darauffolgende Sonnenhitze nicht mehr vermögend gewesen es gänzlich zu zerschmelzen. Die Bildung des Rofner Eissees wird von Joseph Walcher schon richtig so beschrieben, daß der an der linken Seitenwand des Rofnerthales gelegene Vernagtferner zeitenweise von seiner Höhe, oft aus stundenweiter Entfernung, in den Thaleinschnitt heruntersteige, diesen als quergelegter Eisdamm ausfülle und so den Bach, der aus dem Rofnerferner, dem innersten des Thales kommt und sonst ruhig abfließt, zum See aufstaue. Reißt dann mit zunehmender Sommerwärme der See den Damm durch, so ergeben sich jene verheerenden Ueberschwemmungen die alles flache Uferland, die Oasen von Vend, Sölden, Lengenfeld und Umhausen betreffen und nicht die mindeste der Plagen sind, denen der starkmüthige Oetzthaler ausgesetzt ist. Manchmal war die Wasserfluth, die sich da plötzlich löste, so mächtig, daß selbst das Innthal noch davon zu leiden hatte.

Der erste Ansatz dieses Eissees, so weit sichere Nachrichten vorhanden, fällt ins Jahr 1599. Im Jahr darauf brach er verwüstend aus. Darnach lag sein Bett lange Zeit trocken, aber 1677 fing er abermals an sich zu bilden und 1678 und 1680 zerbrach er den Damm mit großem Schaden des Oetzthales zum zweiten- und drittenmale. Als Peter Anich von Perfuß, der geniale Landmann, sein Vaterland Tirol aufnahm, um 1760, war der Seeboden wieder Weideland; er gab durch Punkte den einstigen Umfang des Wassers an und schrieb dazu: gewester (d. h. gewesener) See. Deßwegen spricht auch Friedrich Mercey, der im Jahre 1830 mit der Anich’schen Karte in der Hand Tirol durchpilgerte und das Tagebuch später zu Paris herausgab, in dieser Gegend von dem fameux lac Gewester, ein komisches Mißverständnis, das sich bei Lewald, der hier von einem Gewesteinersee erzählt, fast noch verschlimmert zeigt.

Im Jahre 1771 kam der Vernagtferner wieder an den Bach herab und zwei Jahre darauf erfolgte ein Ausbruch, der aber allmählich und daher mit weniger Zerstörung vorbeiging als die früheren. Seitdem zog der Gletscher vor- und rückwärts, erreichte jedoch die Thaltiefe lange Zeit nicht wieder. [234] Im Jahre 1840 soll er nach Stafflers Angabe zwei Stunden ober dem Bach gestanden seyn. Bald darauf fing er wieder zu wachsen an, und als wir in Vend waren, hörten wir schon, daß der Ferner nicht mehr sehr weit vom Bache entfernt sey. Im vorigen Jahre berichteten die Zeitungen, daß man die Thalsperre sicher voraussehe. Der Gletscher wuchs im August täglich um mehr als drei Wiener Fuß. Endlich am 1 Junius heurigen Jahres schob sich der Eisdamm quer über den Bach und bald war der See wieder da, eine Viertelstunde lang und zwanzig Klafter tief. Von Innsbruck kam der Landesgouverneur mit einer Gefolgschaft sachkundiger Männer nach Vend, um das Mögliche vorzukehren. Am 14 Abends brach das Wasser durch und unter fürchterlichem Drängen und Toben war in einer Stunde der See abgelaufen. In Vend waren alle Brücken, Schneidemühlen und Scheunen am Ufer niedergeworfen, in Sölden die schönen Wiesgründe zerwühlt, viele Häuser beschädigt, Kirche und Pfarrwohnung bedroht. In gleicher Art hatte die wüthende Ache auch Lengenfeld ins Mitleid gezogen, und erst bei Umhausen verminderten sich die Spuren der Verwüstung. Der Schaden wurde auf 100,000 Gulden geschätzt. Nicodemus von Rofen hatte als Führer, Rathgeber und kecker Spion in dem gefährlichen Lager des Ferners rühmliche Dienste geleistet. Ganz auf dieselbe Weise hat sich im Jahre 1716 der Gurgelsee im nächst anliegenden Gurglerthale gebildet, zum größten Entsetzen der Einwohner, die in Processionen an den Ferner wallten und den Himmel um Rettung anflehten. Da jedoch seitdem dieser See alle Jahre unschädlich abrinnt und wieder einläuft, so haben sich die Gurgler an diesen Nachbar gewöhnt und hegen zur Zeit keine Besorgnisse mehr.

Nicodemus Klotz von Rofen ist ein Vierziger, eher klein als groß, ledig, ernsthaft, aber doch kein Feind des Scherzes. Er trägt den spitzen Hut, die braune Jacke und die braunen dicken Strümpfe, die Tracht der Oetzthaler, und dabei spricht er ein alterthümelndes, wenig abgeschliffenes Deutsch, von jener scharfkantigen Art, wie es in den innersten Thälern gewöhnlich erklingt. Er rühmt sich der einzige Mann der Gemeinde [235] zu seyn, der die Gebirge und die Gletscher ringsherum alle bestiegen. Er hatte von Jugend auf seine Herzensfreude an den feierlichen Fernern und kletterte vordem mit seiner Büchse allein auf die Hörner, neugierig was da für eine Aussicht, oder nach seinen Worten: für eine „Einsicht zu fassen“ sey. Er ist daher gewiß der verlässigste Führer im Vender Thal, und geht von da aus überall mit, wohin man immer will, über den kleinen Oetzthaler Ferner und das Niederjoch oder über das Hochjoch nach Schnals, an der Wildspitz vorbei ins Pitzthal, über den Gebatschferner ins Kaunserthal oder links hinüber nach Langtaufers und ins obere Vintschgau. Da, auf letzterer Fahrt, beträgt der Gang über das Eis indessen mehrere Stunden, und dieser hatte in seiner Gefährlichkeit selbst den kecken Alpensohn etwas verdutzt gemacht. Vor kurzem waren nämlich Bergsteiger aus Albion da gewesen und hatten ihn aufgenommen sie nach Langtaufers zu führen. Als sie eine gute Weile auf dem Eise fortgegangen, wurde aber der Ferner durch Klüfte, Brüche und Schrunden so unwegsam daß gar kein Mittel mehr schien weiter zu kommen. Nicodemus schlug vor zurückzugehen; die Engländer aber wollten ihre Mühe nicht verloren haben und forderten ihn gebieterisch auf sie weiter zu geleiten. Nun gelangen zwar noch einige Uebergänge, aber an einem breiten und tiefen Gletscherspalt fiel der eine der fremden Reisenden und glischte hinunter, so daß ihn Nicodemus nur noch beim Schopfe zurückziehen konnte. Als er so vom Tode gerettet war, besah er sich von oben bis unten, sagte lachend: das war gut – und nun hatte keiner mehr etwas gegen die Umkehr einzuwenden. Nicodemus aber hatte sich das zur Warnung dienen lassen und wollte Niemand mehr nach Langtaufers führen, ehe denn er einmal wieder nachgesehen, ob sich nicht das Eis gewendet habe und der Ferner neuerdings gangbar sey.

Wir ließen also die Rofnerhöfe rechts liegen und gingen links ins Niederthal ein und darin fort, einen öden, gar nicht kurzweiligen Weg, der oft von Fernerbächen durchschnitten ist, über welche wir nicht immer ungenetzt kamen. Außerdem war aber weder Gefahr noch Unbequemlichkeit, denn der Steig ging [236] ganz mählich an der Halde hin, welche düster und mißfarbig an den Wänden von Glimmerschiefer abbrach, und nur etwa an den Ufern der stürzenden Wässer freundlichern Krautwuchs zeigte. Im Frühjahre ist das Thälchen dagegen sehr blumenreich, und da überzieht die Abhänge vor allem der duftende Speik (Primula glutinosa), die geehrteste aller Alpenblumen. Rückwärts blickend hätten wir jetzt wohl auch die prächtige Wildspitze sehen müssen, die höchste des Oetzthalerstockes, welche 11,912 Wiener Fuß über das Meer emporsteigt, aber auf den Höhen lagen noch trübe Nebel, was wir wegen der gerühmten Schönheit jener Ansicht sehr bedauerten.

So hatten wir eine gute Strecke zurückgelegt als wir zu einem Bildstöckchen kamen, auf dessen Tafel ein sitzendes Weib gemalt ist mit einem neugebornen nackten Kind im Schooß. Die Mutter Gottes schaut aus den Wolken gnädig herab. Der Rofner Bauer erzählte, hier habe sein Oheim vor Jahren in Wind und Wetter ein gebärendes Weib gefunden, und in ihren Todesängsten sie gerettet. Dessen zum Angedenken habe er die Tafel machen lassen. Sie aber, setzte er hinzu, sie war ein Lottermensch von Schnals. Mein Gott! sagte einer von uns, so gibt es also auch hier in diesen keuschen Wildnissen solche Opfer der Verführung, und sie gebären an den Fernern, um ihre Schmach den Augen der Menschen zu verbergen! Aus Sittsamkeit forschte keiner mehr nach nähern Umständen, und so erfuhren wir erst drüben im Vintschgau mit frohem Erstaunen daß ein Lottermensch nichts Unehrlicheres bedeute als ein Bettelweib, wornach sich denn die Beurtheilung des Falles wesentlich berichtigte.

Dann kamen wir auch bald zu einer kleinen schwarzgrauen Hütte, welche ungemein kunstlos aus übereinander gelegten Steinen an die Halde hingebaut war. Die Vorderseite ragte kaum mannshoch über den Boden auf; Fenster hatte sie nicht, aber eine niedere Thüre. Aus dieser trat ein Mann, anzusehen wie Robinson Crusoe, in Thierhäute gehüllt, mit verwirrten Haaren, ungewaschen vielleicht seit Monden. Er zeigte sehr viele Freude daß wir uns zu ihm heraufbemüht, und wir dann auch nicht minder daß wir so angenehmen Eindruck [237] auf ihn machten. Im ersten Augenblicke hatten wir allerdings über ihn gestutzt; indessen war er ein glänzendes Beispiel mehr daß auch unter rauhem Kittel ein edles Herz schlagen könne, denn nicht allein grüßte er sehr herzlich und mit dem heitersten Lachen, sondern bot uns auch gleich eine Schüssel voll Milch an. Dafür ließen wir ihn einen Schluck von unserm Vintschger Branntwein thun, womit er sich mehr als königlich belohnt erklärte. Auch lud er uns ein in sein Haus zu kommen; von uns aber fand es jeder zu mühsam sich so tief zu bücken. Doch warfen wir einen oberschlächtigen Blick hinein, und gewahrten in der Finsterniß etwas wie eine Schlafstelle aus Loden und Heu. Am Thürpfosten bemerkten wir auch ein geschnitztes Heiligenbild angeheftet, und vor diesem, sagte uns der edle Wilde, verrichte er seine Andachten. Nachdem wir in dieser Art von allem Wissenswerthen Notiz genommen, sprach Nicodemus: Bhüt Gott, Schnalser! und wir zogen weiter.

Der wilde Mann war übrigens ein Schafhirt aus Schnals, aus dem Thale das jenseits der Ferner liegt. Solcher Schäfer gibt es mehrere in der Revier. Die Vender verpachten nämlich ihre Weiden an die Leute von enthalb der Berge, und diese schicken ihre Heerden mit den Hirten über die Gletscher und lassen sie hier den Sommer zubringen. Deßwegen ist denn auch, wie wir noch diesen Abend in Erfahrung bringen sollten, der Ferner in Schnals ein viel geläufigeres Thema als in Vend.

Nachdem wir nun zwei Stunden im Niederthal fortgegangen waren, kamen wir endlich an den Murzollferner, der eigentlich der Ausläufer zweier andern ist die sich oben vereinigen und in dieser Spitze zu Thal gehen. Die Ansicht gewährt noch wenig von der Schönheit der Gletscherwelt, denn das Thal ist enge, der Blick bergaufwärts beschränkt, der herabziehende Ferner selbst mit Schutt und Geröll bedeckt, daher schmutzig und rußig so weit man sieht. Außen herum an den untern Kanten hat er mächtige Schuttwälle aufgeworfen. Murzoll war übrigens dieses Jahr vollkommen ausgeabert (spr. ausg’appert), und was er obenauf an Rissen und [238] Schrunden haben mochte, das lag alles klar am Tage. Um diese Zeit, wenn nämlich die Sommersonne den tückischen Schnee aufgezehrt und die Ferner „das Hemd ausgezogen haben,“ so daß sie Gestalt und Wesen ihrer Oberfläche nicht verbergen können – um diese Zeit werden sie am liebsten begangen. Dann lauern wenigstens keine heimlichen Gefahren und es locken nicht jene leichten Schneebrücken, die beim ersten Tritte einbrechen und den Wanderer wie die Fallbretter in den alten Ritterburgen hinuntersenden in die kalte Gruft zur ewigen Ruhe.

Nicodemus führte uns nun auf Murzoll – er gebrauchte die Namen seiner Ferner und Berge ohne Geschlechtswort – und wir gingen einige Zeit auf dem Eise fort, um den Pfad im Geröll, der immer mühseliger wurde, zu vermeiden. Murzoll dagegen zeigte sich zu dieser Zeit recht eben und zusammenhängend; nur hie und da zog sich ein handbreiter Spalt hindurch. Allmählich aber wurde auch Murzoll etwas unwegsam und wir suchten wieder den Fußpfad auf dem festen Lande zu gewinnen, den die Schnalserhirten durch unterlegte Felsblöcke zur bequemen Treppe erhoben hatten. Nachdem wir ungefähr drei Stunden auf dem Wege gewesen, machten wir bei einer zerfallenen Steinhütte Halt, die in den Zeiten ihres Glanzes wohl ein getreues Ebenbild der andern gewesen war, in welcher wir den Schäfer von Schnals gefunden. Hier nahmen wir etwas Brod und Käse ein und stärkten uns mit dem Vintschger, auf kahlem Boden, rings von Gletschern umsäumt, dicht ober unsern Häuptern einen wolkigen verschlossenen Himmel. Letzteres erpreßte uns manchen trüben Seufzer, denn jetzt, wenn je, standen wir an der Pforte alpinischer Erhabenheit. Neben uns auf dem braunen Felsgeschiebe, mitten zwischen ewigem Eis und Schnee war eine kleine Heerde Schafe in der Sommerfrische, die mit ihren Schellen fröhlich klingelten und zutraulich herankamen. Sie bleiben während des Hochsommers hier obdachlos im Freien und suchen bergauf und ab ihr Futter.

Indessen sollte uns doch nicht alle Freude verloren gehen und nicht alle Erwartung getäuscht werden. Die Nebel die [239] sich während unsers Aufsteigens mehr und mehr gesammelt hatten und eine Zeit lang schwer und ruhig auf die Gletscher drückten, hoben jetzt, da etwas Wind hineinzublasen begann, ein lustiges Gejaid an, zogen abwärts, zogen aufwärts, huschten wie Phantome an den Fernern hin, schlangen wilde Reigen, drehten sich wirbelnd durcheinander, und zuweilen entstanden weite Risse, durch welche die Sonnenstrahlen verklärend brachen. Einem solchen Augenblick verdankten wir einmal eine prächtige Aussicht links hinein in einen langen, langen Corridor von weißleuchtenden Fernern, Schalf, Muttmal und Fanat, zwischen denen eine breite silberne Straße glänzend dahinzog, wie eine Avenue zum Palaste des Alpenkönigs oder zu einem Bergschloß der saligen Fräulein.

Von jetzt an wurden wir allmählich des großen Schneefeldes gewahr, das den Niederjochferner deckt. Nachdem wir noch ein paarmale aushülfsweise den Gletscher betreten hatten, weil der Weg zur Seite ungangbar geworden, nachdem wir auch aus derselben Ursache ein paar kleine Schneefelder durchwatet hatten, fanden wir uns auf der Stelle wo der Pfad an den Schrofen hin ganz aufhört und der Gang über den Gletscher eigentlich seinen Anfang nimmt. Hier war zwischen die Steine ein hölzernes Windfähnchen eingeklemmt.

Jetzt geht’s über den Ferner, sagte Nicodemus mit einem feierlichen Ernste, gleichsam als wollte er in seinen Anbefohlenen die Betrachtung erwecken daß sie an einem großen Wagnisse stehen. Die Luft war feucht, aber nicht kalt. Ermüdung oder anderes Ungemach spürten wir nicht. Wir ließen in der kleinen Runde noch einmal die Flasche mit dem Vintschger kreisen, und traten dann den Weg an. Nicodemus hatte zwar Stricke mitgenommen, um uns alle drei nach Vorschrift der Sachverständigen an einander zu binden, aber nach einiger Besprechung hielten wir’s doch nicht vonnöthen, auch nicht als uns der Bauer von Rofen erzählt hatte, wie kurz vorher ein ungebundener reisender Herr in den Gletscher gesunken und wie er dann, nach mühsamer Rettung von ungeheurem Ekel an dem ganzen Wesen erfaßt, Hut und Stock von sich geworfen und in Einem Rennen, als wären ihm alle Ferner des [240] Oetzthales auf der Ferse, über Vend bis nach Heiligkreuz gelaufen sey, um dort noch immer voll Entsetzen und halbtodt vor Ermattung beim Caplan wieder zur Fassung zu kommen. So gingen wir demnach unsern Weg, jeder für sich – der Führer voran, Todtenstille ringsum – kein anderer Laut als das leise Knirschen unsrer Tritte.

Der Gletscher schien uns nicht sehr breit, etwa eine halbe Stunde, vielleicht nicht so viel. Der Weg führte etliche hundert Schritte von den Felsenwänden, die zur Rechten ihre Häupter in den Wolken verbargen, schnurgerade über das weiße Feld hinauf. Die schmutzige Spur von Menschentritten und Viehtrieb zeichnete ihn wenigstens von unten auf gesehen sehr kenntlich. Uns schien alles recht sicher und bequem, zumal da der Gletscher, seiner höhern Lage wegen, nicht ausgeabert und die Klüfte daher alle überschneit waren. Nicodemus mochte gleichwohl hie und da Gefahr wittern, denn etlichemale hielt er an und stieß mit dem Stocke bedenklichen Gesichtes in den Schnee, ohne Grund zu finden. Er pflegte dann den Kopf zu schütteln, ging aber nichtsdestoweniger bald mit einem weiten Schritte vor, uns befehlend in seine Fußstapfen zu treten, was wir denn auch folgsam thaten.

Jetzt war’s ungefähr 3 Uhr, und sehr düster auf dem Ferner – neben und über uns, vor und hinter uns dichte stockende Nebel. Nun begann aber auf einmal zur Linken das Jagen wieder. Das zog und zerrte, huschte und flog, und plötzlich riß es auseinander und aus dem bewegten Wolkenreigen stieg ein ungeheures Horn, schrecklich geschartet an den Wänden, von tiefbrauner, feuchtglänzender Farbe, und um das braune Haupt legte sich wie ein Heiligenschein eine Scheibe hellblauen Himmels, die auch mit einemmale sichtbar geworden. Nicodemus blieb stehen, drehte sich überrascht um und sagte leise: das ist Similaun – und so leise flüsterte er’s, als wenn er fürchtete durch lautes Wort das Ungethüm zu reizen. Wir aber hatten eine innige Freude über den titanischen Klotz, und diese wuchs noch immer als auch die letzten Schleier an den Flanken des Hornes verflogen, und dieses in seinem schimmernden Braun mit unbeschreiblicher Pracht vom [241] weißen Ferner sich abhob und in den blauen Himmel ragte. Das ist Similaun – wiederholten wir, um den Namen ja nicht zu vergessen – und schauten vorwärts schreitend immer wieder auf dieß stolze, stumme, trotzende Haupt mit dem niegesehenen Ausdruck von Größe und Wildheit.

Similaun, so schroff er scheint, ist dennoch schon etlichemale bestiegen worden. Er reizt dazu um so mehr als er nach der Wildspitze der höchste Grat ist im Oetzthaler Fernerstock und zwölfthalbtausend Fuß mißt. Der erste der seinen Scheitel betrat, war der Priester Thomas Kaaserer von U. L. Frau in Schnals. Es geschah im Jahre 1834. Ihm folgte der Landarzt von Algund bei Meran, Franz Rodi, der das Wagniß am 27 August 1839, aber bei sehr ungünstigem Wetter vollführte. Am 22 Junius 1840 bestieg der Nämliche die Spitze zum zweitenmale, willig gefördert und geleitet von den Schnalsern, die unten im Thale auch Böller aufstellten, und die kühnen Steiger, als sie den Gipfel erreicht hatten, mit Freudenschüssen begrüßten. Der Himmel war dießmal rein. Die Aussicht wird als unermeßlich geschildert; sie soll hinausgehen bis ins deutsche Reich und man will selbst bayerische Städte gesehen haben. Gegen Morgen zeigt sich der Großglockner, gegen Abend der Ortles und die Schweizergletscher, ja die kecken Männer behaupteten sogar der Montblanc sey ihnen erschienen. Die wimmelnden Eishäupter und Schneeköpfe in der Nähe sind gar nicht zu zählen. Uebrigens sieht man so weit oben oft viel mehr als man nachher den Leuten unten glaubbar machen kann.

So waren wir nahezu ans Ende des Ferners gekommen. Der Himmel hatte sich jetzt ganz aufgethan, die Sonne schien fast warm, und überhaupt glaubten wir zu merken daß sie in den Thälern den schönsten Tag gehabt, während wir da oben in und über den Wolken gegangen waren. Nunmehr öffnete sich auch das Land gegen Süden; nahe prächtige Ferner die sich gegen Schnals hinunterlagern, und hohe Gebirgsstöcke traten auf, lange zackige blaue Kämme, die weit und breit hinzogen nach Welschland oder zum Ortles, und unten wie in Meerestiefe lachte auch schon zu erquickender Herzensstärkung das grüne [242] Thal von Schnals. Da standen wir und schauten bald auf Similaun, den schauerlichen, so hoch über uns, bald auf das stille Paradies in der Niederung so tief unter uns, und wollten nun rasch über den letzten Auslauf des Gletschers weg. Ehe dieß aber vollbracht, hatten wir noch eine neckische Fährlichkeit zu bestehen.

Der Weg zum Ziele führt nämlich hier rechts an den zerklüfteten Wänden hin, und zwar noch immer auf dem Ferner, der da in mäßiger Breite schief abwärts hängt, bald aber ganz senkrecht in einem thurmhohen spitzen Zipfel, gleich einem gefrorenen Wasserfall, zwischen tausendzackigem Gestein ins Thal hinunter geht. Die letzte kurze Strecke, ehe wir auf festen Boden kamen, war die bedenklichste – rechts die Felsenwand, links der gefrorne Wasserfall, in der Mitte durch auf schiefem Eise der schlüpfrige Pfad. Der eine von uns legte sich nieder, um sich mittelst der Hände über die verdächtige Stelle zu schieben; der andere wollte aufrecht darüber steigen. Leider geriethen ihm nur wenige Schritte – jählings glitschte er aus, fiel zu Boden, kam ins Rutschen, packte in der Zerstreuung den andern Liegenden an einem Fuße, dieser als einer der auf der glatten Fläche keinen Halt hatte, mußte folgen und so glitten wir aneinander gekettet, der eine voraus, der andere hintennach, pfeilschnell dem Wasserfalle zu, über den wir wie zwei geflötzte Holzblöcke hinabgeschossen wären, um unten an den Felsen zu zerschellen, wenn nicht der Hinterpart trotz aller Eile den kleinen Runst eines Eisbächleins entdeckt hätte, das in derselben Richtung floß welche wir eingeschlagen hatten. In diesen stemmte er nun schleunigst seinen Vorderarm, und da das Rinnsal gewunden war, so gab es bald eine Hemmung, und der todesmuthige Convoi blieb so noch zur rechten Zeit lebensfroh auf dem Eise hängen. Nicodemus, der sorglos vorausgegangen war, weil ihm in seiner Geübtheit die offene glatte Bahn viel weniger Bedenken gemacht, als die überschneiten Fernerklüfte, Nicodemus hatte unterdessen seine Augen am grünen Thal von Schnals geweidet, kam aber jetzt auf unser Rufen herbei und führte einen nach dem andern ans Land, nicht ohne Mühe, denn da unten [243] wo wir hielten, war’s noch um ein Gutes schlüpfriger als oben wo wir abgefahren.

Die Stelle scheint überhaupt eine von denen zu seyn, wo einem gern etwas begegnet. Zwei unserer Vorgänger, Dr. Stotter u. Ludwig v. Heufler, die trefflichen Botaniker von Innsbruck, die am 18 Sept. 1839 über den Ferner gingen, wissen auch etwas davon zu erzählen. Es kam ihnen nämlich auf dem schmalen gefährlichen Wege ein Trieb von mehreren hundert Schafen entgegen, und um die furchtsamen Thiere nicht zu verscheuchen, mußten sie sich an die überhängenden Wände seitwärts vom Wege anklammern und geduldig warten bis sie alle vorübergezogen waren, was fast eine Stunde dauerte. Diese Lage konnte für solche Dauer unmöglich befriedigen, und die meisten geben wohl unserm Abenteuer den Vorzug, da es mit angenehmer Bewegung auch den Vortheil der Zeitersparniß verband.

Jetzt standen wir also auf festem Felsenboden und blickten mit noch einmal so viel Vergnügen in die freundliche grüne Tiefe. Dabei sahen wir auch auf die Uhr und brachten heraus daß wir gerade 37 Minuten auf dem Ferner gewesen waren. Im Ganzen hatten wir von Vend bis daher nicht volle fünf Stunden gebraucht und Nicodemus fand darin Grund genug, uns manches Schöne über unsern rüstigen Schritt zu sagen. Hier ließen wir auch den werthen Führer ziehen, der im Sinne hatte noch nach Rofen zurückzugehen. Wir boten ihm, da im voraus nichts bestimmt worden war, sechs Zwanziger als Führerlohn, und er meinte für das bissel Weg sey das übrig Geld genug. Auch legte er seine Zufriedenheit in einer sehr kräftigen Danksagung an den Tag, und gewiß war es ebenfalls nur zur Verlautbarung seiner stillen Freude, daß er uns, allerdings in ganz ungefährlicher Richtung, von oben herab noch etliche große Steine nachwälzte, um die Wirkung bewundern zu lassen, wie sie über das Geröll krachend in den Abgrund sprangen. Wir befanden uns mittlerweile auf einem steilen Felssteig, der mit rothbraunen Blöcken verfriedet ist, und wendeltreppenartig an dem Geschröfe abwärts zieht. Hier setzten wir unsre Bergstöcke ein und halfen uns in raschem Schusse zu [244] Thale, kamen zuerst, nachdem wir uns von der Schrofenwand losgelöst, auf magere Wiesen, die über und über mit kleinen und großen Felstrümmern, den Zeichen ungeheurer Steinmuhren beschüttet waren, und so mehr und mehr aus der Region des Schreckens in die des Grünen, zu Zirbelnüssen und Lärchenbäumen, zu Hütten und Häusern, zu Kornfeldern und in die liebliche Au von Unsrer lieben Frau zu Schnals. Ehe wir aber so weit waren, drehten wir uns noch einmal um und besahen den riesenhaften Vorhang von Eis, der aus dem Ferner herunterhängt, und so leicht hätte unsers Lebens Ziel werden können. Dann betrachteten wir auch die Felsenwand an der wir herabgeklettert, und fanden es fast wunderlich daß wir nun gar keine Spur des Steiges mehr entdeckten, der uns ins Thal geführt. All die Aussicht über die Berge des südlichen Landes hatte sich jetzt wieder verloren. Zur linken Hand zog sich die Schnalser Landschaft in eine enge Schlucht zusammen. Auf den Höhen saßen schöne Gletscher, deren klaffende Risse blau hernieder schienen. Da drinnen, zu hinterst in dem schmalen Gelände ist der Fineilhof zu suchen, berühmt in der Sage wie der Rofnerhof, weil Herzog Friedrich, als er diesen verlassen hatte und eine neue Zufluchtstätte suchend über den Ferner gegangen war, beim dortigen Bauern eine Weile unerkannt lebte und dann den Hof auf immer „von gemeiner Obrigkeit freite.“ Die Sage läßt den Fürsten hier die Schafe hüten und auch auf dieser Seite des Ferners mit einer schönen Hirtin eine Idylle spielen, was diesseits wie jenseits seine Richtigkeit haben mag, da er ein sehr wohlgebildeter Herr war. Auf einem nahen Hofe soll damals ein Bauer, Namens Forcher, Vorherr gesessen seyn, der den Flüchtling über die Ferner geführt und dafür einen Wappenbrief erhalten habe, und es ist eine durch Freiherrn v. Hormayr wieder neuerdings angeregte Thatsache, daß der königlich bayerische Baurath Vorherr in München von diesem Beschützer Herzog Friedrichs abstammt.

Wir aber glaubten wärmere Lüfte zu fühlen, das tiefe Thal schien uns grüner, lachender als was wir bisher gesehen, und so sagten wir uns, wir seyen jetzt, wenn auch noch [245] mitten im Hochgebirge, doch schon jenseits der großen Wasserscheide und eigentlich unter hesperischem Himmel. Stattliche Männer mit großrandigen spitzen Hüten und grünausgeschlagenen braunen Jacken kamen des Weges, riefen uns mit lautem Gruße an, fragten neugierig ob wir übers Joch gegangen, und freuten sich unsrer That die sie, als von landfremden Leuten vollbracht, des höchsten Lobes würdig fanden. Darüber fast etwas aufgebläht, traten wir mit stolzen Schritten ins Wirthshaus, wo zum einnehmenden Gegensatze mit der finstern Vender Herberge an den hellen Fenstern und um den großen runden Tisch sieben oder acht kräftige Zecher saßen, die bei unserm Erscheinen alle aufstanden und uns mit rüstigen Grüßen empfingen. Auch sie sagten uns nur Ehrenvolles über unser Wagstück, und erzählten dieß und jenes von verschiedenen Fernerfahrten. Ueberhaupt wird den Schnalsern nachgeredet daß sie, frisch und aufgeweckt wie ihre Art, auch sehr ehrgeizig seyen, und etwas Großes darein setzen daß so viele fremde Herren ihre Gebirge in Augenschein nehmen. Es läßt sich noch zu ihrem Ruhme beifügen daß dieß Hochgefühl kein unthätiges ist, vielmehr ist bekannt daß sie schon oft, wenn Similaun oder ein anderes Joch bestiegen werden sollte, nicht allein unentgeltlich als Führer mitgezogen, sondern mit manchem Aufwand von Zeit und Mühe durch Aussuchung und Vorbereitung der thunlichsten Gletscherwege und Wildsteige zu solchen Zwecken behülflich gewesen sind. Auch Franz Rodi preist Joseph Rafeiners und Joseph Weitthalers, seiner Führer, Uneigennützigkeit und erzählt, daß dieselben keinerlei Entgelt für ihre Mühsal angenommen, sondern sich mit der Ehre begnügt haben. Die ernsten Vender stehen ziemlich scheu zu ihren Fernern und wollen nicht viel davon wissen; die frohsinnigen Schnalser aber nehmen die ganze Revier fast wie ihr angestammtes Reich in Anspruch, um so mehr als ihre Schafe bis gegen Vend hinab auf die Weide gehen, und sie sprechen von ihren Eiswildnissen und ihrem Similaun wie regierende Alpenkönige von ihren unterthänigen Ländern. Es ist ein großer schöner Schlag von Menschen, dem diese hochfahrenden Reden sehr wohl anstehen.

[246]

Das Wirthshaus zu Unserer Lieben Frau – das untere nämlich, denn es sind deren zwei – hat unsre Erwartung weit übertroffen. Seppele, der Wirth, ist ein einundzwanzigjähriger Knabe, groß und schön mit langen krausen Haaren von dunkler Farbe, ein Musterbild von einem Schnalser, und seine etwas jüngere Schwester steht als Schnalserin eben so preiswürdig da. Beide waren überaus freundlich und dienstbeflissen und halfen zusammen um uns das Daseyn angenehm zu machen. Seppele setzte uns das Beste auf was er hatte, nämlich frischen Braten vom Fleisch des Gstrauns, worunter aber der Leser nicht etwa ein fremdartiges Thier der Alpenwelt, sondern lediglich einen Hammel verstehen wolle, der in Tirol allgemein mit diesem aus dem italienischen Castrone verstümmelten Namen belegt wird. Ueberdieß hatten wir einige andere Zuspeisen und vortrefflichen Wein. Wir betrachteten uns diesen Abend schlechtweg als eine paar rare Leute, dieweil wir, was zwar auch vielen andern vergönnt, aber doch noch ungleich mehreren versagt ist, einen Gang über die Oetzthaler Ferner gemacht hatten, freuten uns immer wieder von neuem über das schöne Gelingen, wiederholten uns alle die vorübergegangenen Ereignisse des Tages, die stille Sonntagsandacht im Regen, als uns die Vender zum Gotteshause hinausgeellenbognet hatten, den trüben Abschied vom Wirth, die Votivtafel mit dem Lottermensch, die biedere Manier Nicodemus des Rofners, den Gang durch die Wüste der Gletscher, das ragende Horn Similaun, die unterbrochene Fahrt nach dem gefrorenen Wasserfalle, die jähen Sprünge von dem Ferner herab und die hallenden Grüße der Männer von Schnals, als wir in ihr Thal traten. Daran hatten wir viel zu reden und lange Zeit redeten auch die starken Schnalser drein, und als diese am späten Abend fortgingen, blieben wir noch erinnerungsvoll über dem Glase sitzen, und dabei strömten uns, wie wir meinten, immer noch bessere Gedanken zu und frischere Ansichten von dem Reisen in der Welt. Und den der sich einmal in solcher Lage befunden, in einem gastlichen Hause, am Fuße der Ferner, auf denen er den Tag zugebracht, einen solchen, sag’ ich, wird’s nicht grämlich machen, [247] wenn er hört daß wir an diesem Abende sehr viel Wein und sehr wenig Wasser getrunken haben, und erst nach Mitternacht zu Bette gegangen sind.

Am andern Tage bereitete uns Seppele’s Schwester noch ein vortreffliches Frühstück und der Bruder machte uns dazu die Rechnung, welche nicht ganz einen Gulden betrug für die Person, daher auch eine der billigsten war, die wir im Gebirge bezahlt, obgleich nicht zu vergessen ist, daß hier das Seidel Wein nur mehr vier Kreuzer kostet, während es in Vend auf acht oder neun zu stehen kommt. „Wünsch’ wohl auf zu leben,“ sagte uns Seppele zum Abgang, und dieser Abschiedsgruß bleibt von jetzt an der übliche bis man wieder auf den Brenner kommt.

Unsere Liebe Frau von Schnals liegt also in einem grünen kesselartigen Hochthale und ist ein Dorf das zumeist aus zerstreuten Höfen besteht, welche in weitem Kreise die Kirche umlagern, die ehedem ein besuchter Wallfahrtsort war. Jedoch ist nur die Gegend um das Dorf so offen und mild, denn alsbald schließt sich das Thal wieder und nackte morsche Wände, an denen der Pfad nur mit Mühe sich hält, engen den Bach ein. Der Weg geht in der Höhe immer am Abgrunde hin, lange Zeit mit keiner andern Aussicht als auf öde, kahle Schrofen.

Hoch an dem Tobel fortziehend gelangten wir zur Carthause von Schnals, auch Allerengelsberg genannt, welche König Heinrich von Böhmen im Jahre 1326 stiftete. Der Prior der Carthauser war Hofcaplan der Grafen von Tirol und hatte Sitz und Stimme auf der Prälatenbank der tirolischen Landtage. Er lebte mit seinen Brüdern in allerdings sehr ascetischer Gegend von schmackhaften Fischen und gutem Weine. Aus dem See zu Haid ob Mals, der dem Kloster angehörig, zappelten die edelsten Flossenträger im Küchenbrunnen zu Schnals. Kaiser Joseph hob die Carthause auf und seitdem ist die königlich böhmische Stiftung in bösen Abfall gerathen. Die Zellen der frommen Mönche sind jetzt armen Leuten zur Wohnung hingegeben. Auf den alten Mauern wachsen junge Gräser.

[248]

Nach diesem blickten wir links ins grüne wilde [Pfossenthal] hinein, aus welchem jene herauskommen, welche bei Zwieselstein im Oetzthale auf Gurgel gehen und über den großen Ferner steigen. Dann sahen wir jenseits des Baches St. Katharina, eine kleine Kirche auf schauerlich schroffer Höhe. Während dessen schlängelte sich der Weg diesseits immer an kahlen Sandwänden hin und tief in der Schlucht rauschte der Bach. Nur selten stehen einsame Häuschen da oder dort in der Aussicht. Nach und nach aber erscheinen die grünen Rebengelände, die sich vom Vintschgau augenlabend hereinziehen und den Hof zu Ladurn bekränzen, der bemerkenswerth und ausgezeichnet ist, weil davon das Geschlecht der Ladurner stammt, das sich clanartig, wohl mehrere hundert Köpfe stark über Vintschgau, Etschland und ganz Tirol verbreitet und damit nicht zufrieden sogar einen Absenker nach Petersburg getrieben hat, welcher dort Schlachten malt. Zu gleicher Zeit beginnen die Berge jenseits der Etsch in die Schlucht hereinzublicken und die Burg Jufal erscheint stolz und groß auf hoher Warte, einst der Eppaner, dann der Matscher Eigenthum, von Markgraf Ludwig von Brandenburg dem Herrn Erhard von Halben vergeben, im sechzehnten Jahrhundert bei Hans Schwicker Sinkmoser, dem Kellner zu Tirol, seit 18l5 einem Bauern verkauft und dem gänzlichen Verfall entgegensehend. Unten wird die Schlucht enger und finstrer, oben hebt sich der Weg unter riesigen Kastanien und schattigen Linden immer mehr in die Höhe, je näher des Thales Ende rückt, und nahe an den Pforten des Schlosses hat er die höchste Stelle erreicht. Von da aber sieht man wieder einmal hinunter in ein Hauptthal, ins Land, das die Etsch durchströmt, ins schöne Vintschgau. Die gelben, verbrannten Berge der Sonnenseite standen den mächtigen Jöchern enthalb des Stromes zu großartigem Widerspiel entgegen; jene eine heiße, steil aufsteigende Sahara, diese voll Gras und Laub und Schatten, voll Wiesen und Wälder bis hinauf an die beschneiten Zinnen. Da sah man hinüber bis an die Suldnerferner und ich glaube sogar bis an den Ortles,

whose head in wintry grandeur towers

and whitens with eternal sleet,

[249]
while summer in a vale of flowers

is sleeping rosy at his feet.

Es ist dieß zwar vom heiligen Libanon in Syrien gesagt, aber es gilt auch hier von den weißen, ewigen Fernern, die in winterlicher Größe sich aufthürmen, während der Sommer im Vintschgau unten rosig zu ihren Füßen schläft. Und jetzt schlief er auch wirklich am heißen Sommermittage in südlicher Siesta und athmete nur leise durch die Rebenlauben, und während die Gletscher klar und unumwölkt am blauen Himmel ihre schneeigen Glieder zeichneten, lag ein weicher blauer Duft über dem Thale, aus welchem weithin die Schlösser und die Dörfer, die Weingelände, die Kornfelder und die Kastanienbäume dämmernd sich erhoben. Mitten drinnen strömte in schönem Zuge die Etsch und daneben schlenderte wie ein gelber Faden zwischen Büschen und Bäumen die Heerstraße daher. Auf dieser entdeckten wir weit draußen ein eiliges schwarzes Pünktchen, in dem wir allmählig den Stellwagen erkannten. Um mit ihm zusammenzutreffen, mußten wir gleichwohl auf die Schau der schönen Malereien verzichten, mit welchen Hans Schwicker Sinkmoser, der Kellner zu Tirol, die Burg hatte schmücken lassen, und so stiegen wir rasch die hohe, steile, rebenbekränzte Halde hinab, und nachdem wir, von schwerer Hitze bedrückt, das Dorf Staben, welches unten an der Etsch liegt, erreicht hatten, rollte auch zu gleicher Zeit der Stellwagen daher, der uns in seinen weiten Kasten aufnahm und in drei Stunden nach Meran brachte.

[250]

Von Landeck über Mals nach Meran.



Dieser Weg ins Vintschgau, ins Etschland und nach Italien heißt im Lande gewöhnlich die obere Straße, während jene über den Brenner die untere genannt wird. Eine dritte fahrbare Verbindung zwischen dem Norden Tirols und seinem Süden gibt es nicht. Jene obere Straße aber geht an manchen gefeierten Stellen vorüber, die schon vielfach gezeichnet, gemalt und besungen worden sind, und windet sich allererst am Inn dahin, ist oft in den Felsen gesprengt und mühsam herausgehauen; die Gegend eng, waldig, diesseits steil abfallend, während man auf dem andern Ufer grüne Berghänge sieht, mit Dörfchen, Feldern, Obstbaumschöpfen und reichem Buschwerke. Oben auf dem Gebirge zur linken Hand liegt Fließ, ein großes Dorf, wenig sichtbar von unten, mit Ausnahme seiner beiden Kirchen, die keck an die Bergesbrüstung herausgestellt sind, zumal die eine, die mit zwei Thürmen prangend, wie eine Kathedrale auf stolzer Höhe leuchtet. Bei Fließ steht auch die ansehnliche Burg von Pideneck und eine halbe Stunde von da schließt sich die Landschaft und bildet ein Felsenthor, durch welches der grüne Inn hereinzieht. Hier starrt Wand gegen Wand, und da herüben kein Raum mehr ist, so setzt die Landstraße aufs andere Ufer. Der Uebergang heißt die Pontlatzer Brücke, ein Name, der zu den berühmten in der Geschichte der Landesvertheidigung von Tirol gehört. Die Gegend ist schauerlich und düster, eng und unheimlich. Es ist ein gut angelegter Schauplatz für blutige Thaten, und solche sind auch nicht ausgeblieben.

[251]

So zum Beispiele als im Jahre 1703 der Kurfürst Maximilian Emanuel von Bayern zu Frankreich getreten war, zog er im Sommer nach Tirol, um sich mit dem Marschall von Vendome, der aus Italien kommen sollte, zu vereinigen. Von Innsbruck aus sandte er einen Heerhaufen von dreihundert Mann, zur Hälfte französische Dragoner, zur Hälfte bayerische Grenadiere, ins Oberinnthal. Ihr Anführer war der Marquis von Nouvion, der mit Botschaft an den französischen Befehlshaber in Wälschland beauftragt war und durch die Finstermünz nach dem Vintschgau ziehen sollte. Am ersten Julius brach dieser von Landeck auf, um gegen Prutz vorwärts zu dringen und kam auch unaufgehalten bis an die Pontlatzer Brücke. „Es hatte aber diesen Marsch, sagt eine zeitgenössische Relation, der Pfleger zu Laudeck (bei Prutz, nicht Landeck, wie gewöhnlich gedruckt wird), Herr Martin Andre Sterzinger, schon lassen auskundschaften, auch seine Unterthanen, wie nit weniger die Gerichte Pfunds und Naudersberg ermahnet, für den Kaiser und liebes Vaterland Gut und Blut aufzuopfern, welches dann alle einhellig versprochen und gehalten.“ So brachte er schnell gegen 600 Mann zusammen. Das erste was sie thaten, war, daß sie die Pontlatzer Brücke in der Stille abtrugen und an den Bergseiten Verstecke für die Schützen anlegten. Als nun der Marquis mit seiner Mannschaft in der Sommerfrühe in die Schlucht einritt, gewahrte er zu seinem Schrecken, daß kein Steig mehr über das reißende Wasser gehe. Nachdem er sofort anderthalb Büchsenschüsse vor der abgetragenen Brücke sich das Ding betrachtet und mit dem Fernrohr die aufgeworfenen Brustwehren und heimlichen Schützen ersehen hatte, rief er: Verrath und wendete sich zum Rückzug. Und wie er sich gewendet hatte, fiel ein Schuß zum Zeichen und nun regte sich plötzlich alles an den Halden und auf den Höhen, Felsentrümmer und abgehauene Bäume rasselten herunter und schlugen manchen Dragoner sammt dem Rosse in die Fluth, die Doppelhaken donnerten von der Brücke her darein, die Scharfschützen feuerten aus ihren Hinterhalten unaufhörlich unter die ausländischen Kriegsleute, deren Schüsse den unsichtbaren Feind nicht treffen konnten. Der Rückzug war [252] durch die herabgeschleuderten Blöcke erschwert, und so lag die Hälfte der Mannschaft nach kurzer Weile mit zerschmetterten Gliedern röchelnd an der Straße oder trieb leblos in den Wellen. Den andern vergingen in dem schrecklichen Krachen der rollenden Felsen und in dem gräulichen Morden, das die versteckten Feuerschlünde verübten, die Sinne; sie fielen jammernd auf die Kniee und baten mit aufgehobenen Händen um Pardon. Hernach bekannten sie, daß sie lieber vier oder fünf Feldschlachten durchgefochten hätten, als ein einzig solches Scharmützel, welches nichts anderem als dem jüngsten Tag zu vergleichen wäre.

Vierundzwanzig Mann, darunter die Anführer, waren indessen aus der donnernden, rauchenden, blutigen Schlucht glücklich herausgesprengt und über Landeck gen Zams geritten. Mittlerweile aber hatten die Landleute aus dieser Gegend die Zamserbrücke ebenso abgeworfen und den Ort mit Scharfschützen besetzt. Als nun der Marquis und der Oberstlieutenant Graf von Taufkirchen und andre Hauptleute mit verhängtem Zügel dahergeritten kamen, fanden sie auch hier keinen Ausweg, aber üblen Empfang aus verborgenen Büchsen und mußten sich ergeben. Von allen dreihundert Grenadieren und Dragonern, die am Tage vorher über die Zamser Brücke gezogen, kam keiner mehr hinüber. Die Tiroler hatten Einen Mann verloren.

Der Tag trug bittere Früchte. Es stand das ganze Oberland auf und schritt eiligst zum Angriff, nahm die Vesten und säuberte fast alles Land bis gegen Innsbruck von dem Feinde.*)

Dieß ist die merkwürdigste Geschichte in dem Feldzuge von 1703, den die Tiroler noch heutzutage den bayerischen Rummel nennen.

Nicht viel anders ging es an der Pontlatzer Brücke im Jahre 1809. Als im August dieses Jahres die Franzosen über den Brenner nicht mehr ins südliche Tirol zu gelangen vermochten, [253] schickte der Herzog von Danzig den bayerischen Oberst Freiherrn von Burscheidt und den französischen Oberstlieutenant Vassereau ins Oberinnthal ab, um mit 1400 Mann den Durchbruch über Finstermünz zu versuchen und dem Sandwirth, der bei Sterzing stand, in den Rücken zu kommen. Sie zogen ohne Widerstand zu finden über die Pontlatzer Brücke und auf das Feld vor Prutz, welches die Tullenau heißt. Zu der Zeit – es war am 8 August Nachmittag – aber fiel ein Schuß und die Prutzer Sturmglocken ertönten; aus dem Walde herunter fing es zu krachen an und die Bayern rückten eilig gegen Prutz. Nun war aber hier die Brücke abgerissen und jenseits derselben stand ein wohlversteckter Haufe unerreichbarer Schützen, welche behende zu schießen begannen. Die Bayern suchten zuerst den Ladiser Berg zu stürmen, um über Serfaus weiter zu ziehen, konnten das aber nicht erreichen, hielten bis zum Abend, zündeten dann Entbruck an, das Prutz gegenüber auf der linken Seite des Inns liegt, um dadurch der Aufmerksamkeit der Landleute ein anderes Ziel zu geben, und zogen wieder auf die Pontlatzer Brücke, um zurückzukehren. Da war nun aber oben auf den Halden wieder wie vor hundert und sechs Jahren eine Felsenbatterie errichtet und wartete ihrer. Dießmal hatte man ihre Bedienung den Weibern übertragen. Der Vortrab des Zuges war schon über der Brücke und vielleicht hätten im Dunkel der Nacht alle die Rettung gefunden, wenn nicht der Hufschlag der Pferde und das Rollen der Geschütze den reisigen Haufen verrathen hätte. So aber brach plötzlich vom Gebirge zur Linken herunter schmetterndes Gewehrfeuer und dieß galt als Losung für die Weiber, die auf der andern Halde standen und die sofort die Felsentrümmer entrollen ließen. Nunmehr dieselbe grausige Scene wie im bayerischen Rummel, nur noch die Schauer der Nacht dazu. Ein kleiner Theil der Fußgänger war nach Landeck entkommen, die andern hatten keinen Ausweg als wieder zurück in das Blachfeld der Tullenau. Es waren aber unterdessen fünf neue Compagnien Scharfschützen aus dem Vintschgau zugezogen, und so umstellten die Tiroler weit und breit alle Höhen und schossen als der Morgen anbrach mit immer treffenden Kugeln unter die Bayern [254] so daß sich diese, um zehn Uhr des Vormittags, siebenhundert Mann stark ergeben mußten. Die beiden Anführer waren bei dem kleinen Haufen, der über Landeck unter scharfem Kampfe davonzog. Nach Staffler wären die Gefangenen ohne mindeste Beleidigung abgeführt und mit Speise und Trank gelabt worden; nach Bartholdy ließ man ihnen das Nöthigste bis die Vintschgauer dazwischen traten und sie völlig ausplünderten. Solches Benehmen hat die Vintschgauer in diesem Kriegsjahre öfter ausgezeichnet; sie wurden auch damals im Volksliede durch folgende Reime dafür gezüchtigt:

Und wie jetzt die Bayern das Fahnl hab’n g’schwungen

Sind die Vintschgauer kommen ins Lager gesprungen;

Sie haben all’s ausg’raubt; es habt’s schon g’hört,

Zum Schießen ist keiner kein Heller nit werth.

Auch diese Begebenheit hatte große Folgen. Der Herzog von Danzig hätte das Land vielleicht nicht räumen müssen, wenn dem Haufen der Zug gelungen wäre.

Es war dazumal heller Sonnenschein als ich über die Pontlatzer Brücke pilgerte. Da war’s eine wilde Berglandschaft, kühn und groß gezeichnet. Schauerlicher mag es in der Nacht seyn, wenn weiße Wolken über den Mond hinjagen und sein wechselnder Schein auf die Schrofen, in das halblaut strömende Gewässer und auf den fahlen Weg fällt, wenn die bleichen Köpfe der Felsenwände aus dem schwarzen Schatten herausstarren. Da lagen in den wilden Tagen jener Jahre die röchelnden Sterbenden, die aus der bayerischen Ebene hereingeführt worden in die Schrecken des Hochgebirges, um die armen Bauern von Tirol zu bekriegen – da möchte einer leicht die Geister der Erschlagenen ansichtig werden. Im leisen Saüseln der Gräser möchte er ihr Winseln hören und im stolzen Brausen der Wälder den höhnenden Siegesruf der Tiroler: da könnten einem ossianische Bilder vor die Seele treten, auf der einsamen Brücke von Pontlatz.

Eilen wir hinaus in die Tullenau, ins freundliche Korngefilde von Prutz. Noch ist’s eine gute halbe Stunde bis ins Dorf; aber sein Kirchturm und seine großen Dächer winken schon deutlich herüber. Die Landschaft zeigt die ewige Pracht [255] des obern Innthales, riesige Berge, hier weit oben noch mit einsamen Weilern besetzt, darüber mit Schnee bekränzt. Rechts steht auf ragendem Felsenkamm sehr trotzig und herausfordernd die Burg Laudeck, früher der Sitz der landesfürstlichen Pfleger, darnach ausgebrannt, jetzt verödet und verlassen – gelbbraunes Gemäuer mit starken Zinnen. Daneben liegt das Dorf Ladis und noch eine ziemliche Höhe über diesem zeigt sich die weiße Stirnseite des neuerbauten Badehauses von Obladis, das wir auch erklettern werden.

Ehe man noch die Prutzerbrücke erreicht, steht zur rechten eine Schrofenwand an der Straße, aus der eine Quelle hervorquillt. Es war um Mittag als ich dahinkam, der Tag sehr heiß, kein Wölkchen am Himmel. Die Felsenmauer gab etwas Schatten und in seine Kühle hatten sich mehrere Landleute zurückgezogen, um auszurasten. Ein ärmlicher Knabe ging mit einem Glase unter ihnen herum und gab ihnen zu trinken, wofür er je nach Umständen einige Pfennige oder einen Kreuzer bekam. Das Wasser aber, wenn man’s versucht, ist ein angenehmer, kühlender Säuerling, sicherlich einer und derselben Quelle mit dem, der den Ruf des Bades zu Obladis begründet. Ich hatte meine stille Freude an dem prickelnden Wässerlein, das mir den Durst so liebreich löschte. Nicht gar so eingenommen dafür schien ein andrer Wanderer, welcher des Weges kam, ein ältlicher Landmann, der das Glas kopfschüttelnd zurückgab und seinen Stab weiter setzend laut vor sich hinseufzte: Ach hätt’ ich doch an deiner Statt eine gute Halbe Wein! Ich ließ mich aber nicht irre machen, sondern trank das Glas noch öfter aus und behielt den Geschmack so fest im Sinne, daß ich Abends als ich den Brunnen von Obladis verkostete, allerdings recht deutlich spüren konnte, wie viel stärker und trefflicher dieser sey als jener an der Straße, der durch den langen Gang von der Höhe herab an seiner ursprünglichen Tugend viel verloren hat. Das soll aber Niemand hindern, auch diesem, der da so bequem am Wege sprudelt, seine Ehre zu lassen. Der Ladiser Sauerbrunnen wird indessen unter dem Namen Prutzerwasser bis gegen Innsbruck hinab verführt und ist im Oberinnthale fast in allen Wirthshäusern zu haben. Man [256] schlägt den jährlichen Verbrauch auf 20,000 Flaschen an. Mit Wein und Zucker vermischt gibt er dasselbe kühlende wohlschmeckende Getränk, wie es die Pilger am Rheine mit Selterserwasser bereiten. Der Sauerbrunnen von Rabbi im wälschtirolischen Sulzthal thut’s ihm freilich an Stärke und Heilkraft noch zuvor, ist indessen fast allenthalben noch einmal so theuer.

Das Dorf Prutz hat ein sehr anständiges Aussehen, im übrigen aber keine Denkwürdigkeiten. Wer daher von der Pontlatzerbrücke herkömmt und nicht aus besondern Gründen etwas darin sucht in Prutz gewesen zu seyn, der mag gleich von der Tullenau zur rechten Hand über die Wiesen hin nach Ladis hinaufgehen, leicht und bequem, während der andere Steig von Prutz aus, wenigstens der kürzeste, ziemlich steil in die Höhe strebt. Auf diesem jähen Weg wird der Wanderer gleichwohl oft und gerne stille stehen, um die liebliche Aussicht auf die Prutzer Flur und die andere, mittelalterliche auf die Ruinen des mächtigen Schlosses zu genießen. Letzterem kommt man nun immer näher und es baut sich immer großartiger empor auf seiner nackten Klippe und schaut immer drohender herunter, bis man ihm zuletzt den Wind abgewinnt und die verlassene Veste von hinten sieht. Von dieser Seite aber sind die Wände eingestürzt und auf dem verwilderten Burghofe liegen die Mauersteine zerstreut umher. Da hat denn auch das Castell das Trutzige seines Aussehens fast völlig eingebüßt.

Auf gleicher Berghöhe nicht weit von dem Gemäuer liegt unter Obstbäumen das Dorf Ladis an einem stillen Teiche. In diesem Dorfe entspringt der Erde eine gute Schwefelquelle und das Wirthshaus ist deßwegen als Badeanstalt eingerichtet, schlecht und recht, nach der Art des Landes. Der Aufwand, um den Gästen die Langeweile zu vertreiben, ist sehr gering und daher fast zu vermuthen, sie haben keine. Als letztes Auskunftsmittel mag allenfalls eine Anstalt gelten, die hier, wie auch allenthalben in den andern Bädern vorkömmt. Es ist ein grüner Tisch auf allen Seiten mit spannehohen Wänden eingefaßt und im Innern wieder durch derlei Getäfel in verschiedene Gemächer abgetheilt, welche alle durch kleine Pförtchen wieder miteinander in Verbindung stehen. In diese Gehege [257] werden als stumme Besatzung ein Duzend Kegel gestellt, in das große Blachfeld der Mitte das Hauptgeschwader, etwa vier oder fünf, in die Nebencabinete je einer. Diese friedliche Mannschaft hat aber einen wilden Feind, einen schnurrenden Kobold, so etwas was man in Bayern schlechtweg einen Schnurrer, anderswo Kreisel nennt. Der Unhold wird nun von der Hinterwand abgelassen und fährt schwirrend in die Tafel, schlägt, je nachdem der Angriff gelingt, das Centrum nieder, stürzt siegesstolz durch die Einlaßpförtchen in die stillen Seitenzimmer, pickt auch da die ruhigen Bürger an, die an gar nichts denken, und wirft sie zu Boden, schießt wieder heraus und wo anders hinein, immer ganz aufrecht und mit einem fast lächerlichen Pathos, verbreitet so überall Schrecken und Mord, und singt immer sein wildes Lied dazu, bis er endlich kampfesmatt auf seinen kahlen Scheitel fällt, den einzigen Fuß drohend gegen Himmel streckt und auch so noch in summendem Wirbel sich schnurrend herumwälzt. Da trifft denn oft der Grimm des Sterbenden gar Manchen, den der Zorn des Lebenden verschont hatte. Zuletzt aber wenn der Held ausgewüthet, packt ihn ein anderer Badegast, um ihn zu neuem Leben zu erwecken. Es ist dieß Spiel, wenn’s nicht zu lange dauert, eine recht angenehme Unterhaltung, unschädlich für Kopf und Herz, dem Körper aber durch Stärkung des Armes eher noch förderlich. Drum hat auch dieser grüne Schnurrtisch wohl manches voraus vor den grünen Tischen in andern Bädern, und es ist nur zu beklagen, daß er letztere nicht schon längst ersetzt hat.

Die Badeleute in Ladis scheinen ebenso mild, so freundlich und so bereitwillig zu seyn, als die Wirthsleute in den übrigen Curorten des Landes. Daß der Aufenthalt nicht theuer zu stehen komme, konnte man aus der Badeliste oder dem Fremdenbuche entnehmen, wo sich neben vielen, denen man ihrem Stande nach ein gutes Auskommen wohl zutrauen konnte, auch manche fanden, die gewiß keinen Ueberfluß um sich verbreitet haben. Es waren in dieser Saison bisher 107 Gäste zugezogen und darunter erschienen nicht allein Pfarrer, Cooperatoren, Wirthinnen, Privaten, auch etliche gleichbedeutende „Brifate“, Handwerker, Bauern, sondern sogar manches dienende Menschenbild, das [258] sich ohne Stolz und Hochmuth als „Hausknecht“ oder „Magd“ eingetragen hatte. Ein bayerischer Hauptmann aus Lindau war dieß Jahr auch hierhergekommen und genoß als der angesehenste Badegast hoher Ehren. In der Sparte der Bemerkungen stand unzähligemale: sehr zufrieden, und es ist glaubwürdig, daß dieß bei allen der unverfälschte Ausdruck der Gesinnung war.

Von Ladis geht es nun weiter in die Höhe. Man erreicht bald wohlgehaltene Fußpfade, die einen Fichtenwald durchschneiden und demselben das Ansehen eines Parks verleihen. Nach einer halben Stunde ist man in Obladis, 3780 Pariser Fuß über dem Meere.

Hier ist also der einzige Sauerbrunnen in Deutschtirol, und zwar ein sehr kräftiger und heilsamer. Das Wasser soll bereits im dreizehnten Jahrhundert von einem Hirtenknaben Nikolaus Schäderle entdeckt worden seyn, „indem er wiederholt eine auffallende und zudringliche Vorliebe seiner Heerde zu dieser Quelle bemerkte.“ Kaiser Max ließ den Brunnen untersuchen und seine Doctoren brachten heraus, daß er eines der besten Curwasser in ganz Deutschland sey. Davon erwuchs ihm ein großer Ruhm und zahlreicher Besuch. Auch der fürstlichen Grafschaft Tirol Landreim vom Jahre 1558 thut der Quelle in allen Ehren Erwähnung, singend:

Vndr Trasp vnd vmb Laudegg her fliessn

Edl Sawrprünn, die dem menschn erspriessn,

Machen zu Essn angnämen Lust

Geben guet Attem, ringern die Prust.*)

Später fiel die Anstalt mittellosen Pächtern in die Hände, kam sehr herunter und fast in gänzlichen Verfall, was auch nicht zu verwundern war, da man in diesen Zeiten hier nur drei schlechte hölzerne Hütten mit sieben unheizbaren Kammern fand. Im Jahre 1833 that sich endlich eine Actiengesellschaft zusammen, brachte die Quelle und was an schlechtem Holzwerk dabeistand, an sich und errichtete das jetzige Gebäude, das Staffler einen herrlichen Bau nennt.

[259]

Und in der That, wer von der Pontlatzer Brücke gegen Prutz zufährt, der sieht, wie schon bemerkt, ein schönes weißes Haus mit doppelter Fensterreihe und Capellenthürmchen aus dem Walde herunter blinken, ein Gebäude wie ein Lustschloß, und wenn er nachfragt was das Haus bedeute, so wird ihm jeder kundige Gefährte erklären, dieß sey das neuerbaute Bad von Obladis, das schönste in Deutschtirol, wo es sehr vornehm und fein zu leben und sogar etwas theuer zu zehren sey. Er braucht sich aber durch den Ruf der Vornehmheit und Theurung weder abschrecken, noch anlocken zu lassen, da beides nur im Verhältniß und im Vergleich zu andern Bädern hiesigen Landes gemeint seyn kann. Von luxuriöser Verfeinerung ist auch in Obladis wenig zu spüren und man kann der Anstalt glücklicherweise nicht mehr nachrühmen als bürgerliche Behaglichkeit. Auf Speise und Trank halten die oft vorher schon ganz gesunden Tiroler Badegäste erstaunlich viel und fast mehr als man wohl anderswo für gut erachten würde. Deßwegen gibt’s denn sehr reichliche Mahlzeiten und der frugale Abendimbiß, den wir an diesem Tage einnahmen, war so füllsam ausgestattet, daß er auch als Mittagsmahl für den alpenhaftesten Hunger gerecht gewesen wäre. Indessen ist der Preis dafür immerhin nur mäßig und noch billiger sind die Ansätze für Zimmer und Bäder. Ob dieses Obladis bei all dem ein sehr angenehmer Aufenthalt, sollen andre entscheiden. Die beträchtliche Höhe und die Nähe der Oetzthaler Ferner verursachen, daß die Morgen- und Abendstunden empfindlich kalt werden, und die Lage an dem waldigen steilen Abhange bringt etwas Unbequemes in die Spaziergänge. Was dafür allerdings entschädigen kann, ist außer der reinen Bergluft die herrliche Aussicht.

Also gehen wir ans Fenster und betrachten uns diese. Die Burg Laudeck, die auf ihrem Grate von Prutz aus gesehen so schwindelnd emporragt, die liegt jetzt tief zu Füßen, so tief daß einem kaum mehr einfällt, wie viel es Schweiß gekostet bis man sie erreicht; neben ihr das Dorf Ladis und der blaue See. Noch tiefer im Thale erscheinen die Kirche und die weißen Häuser von Prutz, die der grüne Inn bespült [260] und die gelbe Landstraße durchzieht. Ueber diesem Dorfe öffnet sich der weite Eingang ins heerdenreiche Kaunserthal, das hinten in eine Fernerwüste ausgeht und unter seinen Bergdörfchen auch eines zählt, wo Franz Zauner geboren wurde, der Bildner jener Reiterstatue Kaiser Josephs II, welche zu Wien im Burghofe steht, später auch nach seinem Geburtsort als Edler von Valpatann geadelt. Durch den Riß zieht in breiter Windung der griesreiche verheerende Faggenbach heraus und auf einer Seite steht eine jähe Wand, auf der andern eine lange, hohe Halde, ganz bunt, braun, grün, gelb von Brachäckern, Wiesen und wallenden Kornfeldern. Auch viele Obstbäume mengen sich darunter und aus solchen sticht der rothe Kirchturm von Kauns und das graue Gemäuer des Schlosses Berneck hervor, das einst Herrn Hansens von Müllinen Besitzthum war, der seinen Freund und Herzog Friedel da schützend beherbergte, in denselben schwierigen Zeitläuften, als er auch beim Rofner Bauer und auf dem Finailhof eine Freistätte suchen mußte. Weit drinnen im Thale prangt anspruchsvoll das große Gotteshaus von Kaltenbrunn, ein hochgefeierter Wallfahrtsort zu Ehren Unsrer Lieben Frau, der kampfgerüsteten Landesvertheidigerin, die in dem Tirolerkriege den Söhnen der Berge viel Tapferkeit einhauchte, wie das Lied erzählt, wo es heißt:

Und selgesmal zu Landeck hats a sakkrisch geschnellt;

Unsre Frau von Kaltenbrunn hat’s so haben gewellt. *)
[261]

Daß sie es so haben gewellt, ging insbesondre daraus hervor, daß sie Anno Neune, während die Bayern den Ladiserberg stürmten, hoch über diesem in himmlischer Glorie sichtbar geworden ist, um den frommen Tirolern beizustehen.

Weiter hinauf auf den obern grünen Bergebenen zeigen sich viele Höfe und kleine Dorfschaften auf einsamen Fluren und darunter auch zur Rechten die alte jetzt verfallene Einsiedelei im Wiesele und zur Linken gar leicht zu erschauen und freundlich winkend die Einöde von Purschlin, am Fuße des Venets, wo man vorbeigeht, wenn man von Prutz über die Berge nach Imst steigt, auf einem reizenden Pfade voll prächtiger Einsichten in die Alpenschönheit. Den ganzen Umfang behüten aber ungeheure Gebirge, vor allen die hochaufragenden Marken des Kaunserthales, die sich immer mächtiger hineinziehen gegen die unermeßliche Wildniß des Oetzthals, auch schon weite Schneefelder tragen und da und dort in eisigen Kuppen aufstarren. Jetzt fingen sie rosenroth zu schimmern an und strahlten in ihrem Prunkgewande noch lange, als die Sonne untergegangen und die Dörfer der Niederung schon in der Dämmerung kaum mehr erspähbar verschwommen waren. Die Heerdenglocken klangen aber noch wohllautend hinein in die Abendstille.

Jetzt ist’s auch Zeit das Fenster zuzuschließen, denn es schauert ganz kalt herein. Das Abendmahl wird im großen Cursaale aufgetragen und einer von den geistlichen Herren verrichtet das Gebet. Die Sommerzeit war dahin, die Saison wegen des vielen Regens ohnedem schlecht gewesen, und so fanden sich nur noch ein Duzend Badegäste – mehrere Priester, ein paar angesehene Herren aus den Städten und ein wohlgenährter Bauer aus dem Vintschgau, ein gar manierlicher Mann, der trotz seiner rothen Weste und der grünen Hosenträger in das Gespräch der Herren sehr vernünftige Bemerkungen einflocht. Es wurde von der trefflichen Einrichtung *)[262] des Bades gesprochen, der heitern Räumlichkeiten und auch der Hauscapelle in Ehren gedacht. Dabei kam ferner zur Sprache, daß im Jahre 1825 ein lustwandelnder Curgast unweit des Sauerbrunnens auch eine sehr heilsame Schwefelquelle entdeckt habe und daß überdieß eine Tufquelle in der Nähe sey, welche die hineingelegten Gegenstände in kurzer Zeit versteinere. Alle diese Wässer sammt der süßen Trinkquelle entspringen in einem Umfange von nicht mehr als 125 Quadratklaftern. *)

Am andern Morgen in kühler Frühe, ehe noch die Sonne über die Schneeberge heraufgekommen, ging ich von Obladis über frische Wiesen hinweg dem Dorfe Fiß zu. Der Weg führt fast in gleicher Höhe fort, auf einer Hochebene, die sich zur rechten Hand an den Gebirgszug lehnt, der enthalb in das Patznaun niedergeht. All die Nachbarschaft glänzte im Morgenthau, die schneeigen Berge von Kauns ragten scharf in den goldenen Schein der aufgehenden Sonne und unten tief im Thale lag ein dünner blauer Nebel, der die Dörfer halb durchsichtig verhüllte.

Das Dorf Fiß liegt in einem Bergspalt, den ein Wildbach gerissen, einsam, ungesehen von denen, die unten an der Straße hinziehen. Es besteht aus etlichen sechzig Gebäuden, zum größten Theile unscheinbaren Hütten. Einzelne gute, fast überraschend mächtige Häuser stehen dazwischen. Sie sollen von ehemals wohlhabenden Leuten kommen, die sich durch Handel mit dem trefflichen Vieh, das hier oben auf dem Mittelgebirge gezogen wird, ein Vermögen erworben hatten.

Eine kleine halbe Stunde von Fiß, noch auf derselben grünen Hochebene, liegt ein anderes Dorf, Serfaus mit Namen. Die Pfarre dieses geräuschlosen Ortes ist ein Heiligthum der Gegend, denn sie war die erste darin und Jahrhunderte lang weit und breit die einzige. Selbst später noch gehörten nicht allein Fiß und Ladis, sondern auch die Leute vom [263] See im Patznaun in ihren Sprengel. Es fehlt auch nicht an Alterthümern, und der freundliche Pfarrherr wies mir Alles und Jedes, was zu sehen ist. Am Rande des Kirchhofes liegt einmal die alte Kirche, jetzt durch Aufwachsen der Leichenhügel tief im Boden stehend. Auf dem runden Chorbogen war früher eine uralte Jahreszahl zu gewahren, die man auf 804 deutete; die Serfauser haben sie aber zur Hebung aller Zweifel übertüncht und ein sehr sichtbares und keiner Mißdeutung fähiges 804 darauf gemalt. Auf einer Tafel oberhalb der Kirchthüre, welche die Auffindung eines Gnadenbildes vorstellt, ist indessen sogar die Jahreszahl 422 zu lesen, die begreiflicherweise noch mehrerer Bedenklichkeit unterliegt. Auf dem Hochaltar ist ein altes Marienbild, zu dem vor Zeiten gewallfahrtet wurde. Auch der Taufstein ist nicht zu übersehen; er führt die Umschrift: Hans in Walt anno Domini 1404. Die andere, neuere Kirche ist 1516 erbaut worden. Ein schöner gothischer Glockenthurm aus älterer Zeit steht frei dabei. Im Erdgeschosse des Pfarrhauses selbst ist ein kellerartiger Raum, der im grauen Alterthum auch eine Kirche gewesen seyn soll, lange vor den beiden die im Friedhofe stehen. Der Herr Pfarrer führte mich auch dahinein. Das Gewölbe ist finster und man hat Noth die Malereien wahrzunehmen, welche an einer der Wände noch sich erhalten haben und für uralt erachtet werden. Es wurde ein Licht gebracht und nun traten sie besser hervor, zwei oder drei halb verblichene Häupter und ober denselben etwas deutlicher eine Verzierung von Fruchtschnüren und Engelsköpfen, die aber gewiß nicht im grauen Alterthum, sondern in der Zeit der Renaissance gemalt worden sind.

Bei Serfaus geht die schöne Hochebene, welche die drei genannten Dörfer beleben, wieder zu Ende, und es ist an der Zeit sich dem Thale zuzuwenden. Der Fußweg führt zuerst an einer rothen lockern Sandwand hin und ist etwas bedenklich, wird aber weiter unten bequem und gefahrlos. Da steht auch das Kirchlein St. Georgen an dem Steig, ein alterthümliches Gotteshaus, in dessen Inneres aber, da die Thüre verschlossen war, nur durch ein vergilbtes Fenster geschaut werden konnte. Es kam mir vor als sey viel altes gothisches Schnitzwerk [264] darinnen. Zuletzt läuft der Fußweg mit dem Sträßchen zusammen, das auf weitem Umwege vom Thale nach Serfaus geht, und ehe dieses in die Hauptstraße einfällt, zeigen sich einige Mauerreste, ehedem wahrscheinlich bestimmt, um in stürmischen Zeiten dem Feinde den Aufgang in die Hochebene zu verwehren.

Unweit von der Stelle, wo der Serfauser Bergweg in die Heerstraße mündet, steht das Tschuppacher Wirthshaus, für mich damals sehr gut gelegen, um den Stellwagen abzuwarten. Dieser kam auch bald heran und nahm mich bereitwillig auf in seine Räume, die dießmal fast leer waren. Und also wieder mit dem Stellwagen vorwärts, trotz aller guten Vorsätze, die zu andern Zeiten verschiedenemale gefaßt waren und alle darauf hinausliefen, nie mehr im Stellwagen zu fahren. Wer nicht ins Cabriolet zu sitzen kommt, der rollt in der That mit dem Gefährte durch das Land und sieht höchstens die eine Seite der Landschaft und auch diese nur bis zur halben Berghöhe, und auch zur halben Berghöhe nur, wenn er sich den Hals ganz verrenken will. Abgesehen davon läßt sich allerdings manches Gute von diesen Fahrzeugen sagen. Die meisten sind geräumig, haben wohl gepolsterte Sitze, machen des Tages weite Strecken und fordern für die Poststation nicht mehr als 24 Kreuzer. Die Gesellschaft besteht aus Stellvertretern aller Stände des Landes; man findet Grafen und Herren, Weltpriester und Ordensleute, Benedictiner, Franciscaner, Capuciner, Bürger aus den Städten, Studenten, Bauern und ihr Gesinde, Frauen und Mädchen. Es ist die Wahrheit zu sagen ein Unglück heitere Gefährten zu treffen, denn dann geht gewöhnlich auch noch die halbe Berghöhe der einen Seite verloren, über deren beschränkte Erreichbarkeit wir oben gesprochen. Man verplaudert sich, und wenn man dann wieder in stummen Zwischenräumen auf die Landkarte blickt und nach irgend einem alten Rittersitze oder nach einem Wasserfalle oder nach einer andern Denkwürdigkeit sich erkundigt, so erwiedert die Gesellschaft mit barmherzigem Achselzucken, daß wir da schon lange verbeigefahren sind. Dießmal fuhr ein englisches Ehepaar mit, ein Stabsofficier, der in Indien gedient hatte, [265] mit Gattin, zwei Pilgrime, die sich durch wunderbare Sparsamkeit auszeichneten. Sie wollten in den Wirthshäusern nie etwas nehmen was sie nicht angeschafft, und wenn die wohlmeinende Kellnerin nach dem Mahle noch Kirschkuchen, Schweizerkäse oder andern Nachtisch brachte, so pflegten sie vom Stuhle aufzufahren, beide Hände abwehrend vorzustrecken und mit durchdringender Stimme No! zu rufen. Wenn der Gatte Kaffee trank, so sammelte die Gattin die übergebliebenen Zuckerstückchen, und bei der zweiten oder dritten Einkehr, wenn die Spardüte wieder voll war, ließen sie zum Kaffee sich keinen Zucker mehr geben, sondern zogen ihren eigenen Vorrath heraus, um ihn weise zu benützen. Derlei Listen waren den Wirthsleuten noch nie vorgekommen, und es gab manches ärgerliche Kopfschütteln.

Nun fuhren wir also in einer engen Schlucht aufwärts nach Pfunds, einem Dorfe, welches gegen vierzehnhundert Menschen zählt, die ehemals sehr schöne Privilegien genossen zum Lohne für bewiesene Treue, auch wohl zur Aufmunterung an solcher festzuhalten, woran bei der Nähe des lange Zeit feindlichen Engadeins den Landesfürsten früher viel gelegen seyn mußte. Erzherzog Sigmund überließ ihnen was sie an Weggeld einhoben, Kaiser Leopold befreite sie 1705 von aller Zollabgabe, die sie ehedem für ihr Vieh an die benachbarten Zollstätten zu entrichten hatten, dieweil sie „bei jüngst vorgewester Churbayerisch-französischer Invasion Ihre allerunterthänigste Devotion mit Hindansetzung aller Leib- und Lebensgefahr sonderbahr erwiesen.“ Der Theil des Dorfes, welcher an der Straße liegt, heißt Stuben, und darin findet sich eine alte Nebenkirche, Unsrer Lieben Frauen geweiht, mit einem sehr schönen gothischen Altar, den der kunstliebende Wanderer mit Freuden betrachten wird.

Hinter Pfunds, wo die Gegend offen und fruchtbar ist, ziehen sich die Bergwände wieder aneinander und das Thal wird abermals zur engen Schlucht. Nicht weit vom Passe Finstermünz bricht rechter Hand der Schalklbach aus ungethümer Felsenklause, hier deßwegen zu erwähnen, weil man seinem Brausen nachgehend in zwei Stunden ein abgelegenes [266] Hochthälchen erreicht, das Samnaun heißt und von romanisch sprechenden Bündnern bewohnt wird. Ehe man die Fluren der Samnauner betritt, kommt man aber noch durch ein tirolisches Dorf, Spiß mit Namen, das am selbigen Bache, eine halbe Stunde von Compatsch, dem Hauptorte der Samnauner, liegt, übrigens noch dem deutschen Sprachgebiete angehört. Man kann auf diesem Wege etwa in einem Tage von Finstermünz nach Ischgl im Paznaun gehen, der Weg führt aber über hohe Jöcher. Die junge Frau, die vorgestern in besagtem Ischgl beim Wälschen zu Abend gegessen und dann auf dem Friedhofe die Schädel der seligen Paznauner mit uns betrachtet hatte, war unterdessen, von Niemand sonst begleitet als dem Knaben des Wirthes zu Ischgl, diesen Weg gegangen, aber fast erlegen und halbtodt an die Straße gekommen.

Darnach gelangt man alsbald in die verdientermaßen so oft beschriebene und gezeichnete Schlucht von Finstermünz. Hier geht eine hölzerne bedeckte Brücke über den Inn, der seine grünen Fluthen in engem Bette aus dem Engadein herauswälzt, auf der Brücke steht ein alter Wachtthurm, jenseits derselben ein altes, am Felsen klebendes Schlößchen, von Herzog Sigmund erbaut und Sigmundseck genannt, unter diesem eine Art von Klause, die jetzt ein Wirthshaus geworden. Alles dieß erregt an und für sich kein großes Aufsehen, aber ungeheuer ist die Felswand, die über diesen Gebäuden aufsteigt, und noch schroffer und schrecklicher sind die Nachbarn, die von allen Seiten emporragen. Die ganze Schlucht mit den wilden braunen Schrofen, aus denen sparsam die Tannen aufsprießen, mit dem rauschenden Flusse tief unten und der schmalen Decke blauen Himmels oberhalb, zusammen mit den einsamen Nestchen, die sich die Menschen in diese drückende Enge hereingebaut, macht allerdings einen nicht gemeinen Eindruck.

An dem Wirthshause in der Finstermünz hängt ein Schild mit einem Bräubottich, aus welchem ein paar Gerstenähren erblühen, während zwei Bierschapfen dahinter übers Kreuz gelegt sind. Dieß bedeutet, wie jeder weiß, eine Bierbrauerei, aber der Stellwagen hält da nicht und es fehlte daher alle Muße zur Untersuchung, wie weit diese vaterländische Kunst [267] hier im schauerlichen Passe vor den Pforten romanischen Landes gediehen sey. Ein andresmal vor manchem Jahre bin ich freilich auch hier untergestanden, aber damals gab’s noch keine Brauerei in dieser Schlucht. Dafür gab es zur selben Zeit einen uralten, sonderbaren Wirth, welcher eigentlich Schuld daran war, daß wir nicht ins Engadein gingen. Damals waren wir nämlich etwa ein Halbduzend junger Leute das obere Innthal voll Erstaunen heraufgelaufen, alle ziemlich festen Vorsatzes durchs wunderliche Engadein zu wandern, bis uns in Prutz und Pfunds die Wirthe von der neuen Ortlerstraße erzählten und etliche von uns auf ihre Seite brachten, so daß diese nun nicht mehr dem Inn entlang zu den Romanschen, sondern gleich über das Stilfser Joch zu den Italiänern eilen wollten. Darum einiges Zerwürfniß in der Reisegesellschaft und schon wenigstens seit zwei Poststationen sehr lebhafte Reden für und wider. So gelangten wir nach Finstermünz, traten müde in das Wirthshaus und gewahrten den hochbejahrten Wirth, den wir für sehr weise hielten. Es schlug also einer vor, man solle ihn um sein Gutachten bitten und bei dem bleiben was er sage. Sein Gutachten aber lautete einfach: nit ins Engadein. Darauf hob einer an und fragte: warum nicht dahin, wo so schöne Dörfer und so schöne Thäler? wogegen jener ebenfalls wieder sagte: nit ins Engadein. Alle die dafür waren, brachten ihre Gründe an, er wies sie aber alle zurück mit den Worten: nit ins Engadein. Was auch gesagt und gefragt werden mochte, der greise Wirth schüttelte nur immer milde lächelnd das Haupt und sprach: ich sage nichts als: nit ins Engadein. Diese ruhigen Worte mit ihrem düstern Hintergrunde machten großen Eindruck auf die rathschlagenden Gefährten. Zuletzt wurde dem Wormserjoch der Vorzug gegeben und der Besuch des unheimlichen Engadeins auf bessere Zeiten verspart.

Das Engadein ist in dieser Gegend wirklich ein wenig verrufen. Der schlechte Zustand der Straßen und der Wirthshäuser, der ketzerische Glaube, die fremde Sprache und der verschlossene ernste Sinn der Bewohner hat den Leumund dieses Berglandes bei seinen deutschen katholischen Nachbarn so getrübt, daß [268] auch die vielen Tiroler, die sich jährlich im Sommer zur Heuernte hinein verdingen und der ehrenhaftesten Behandlung gewürdigt werden, bisher nicht viel für Herstellung seines Rufes thun konnten. Man steht kalt und ablehnend einander gegenüber. Der alte Wirth, zum Beispiel, hatte sich in seinem langen Leben noch nicht die Zeit genommen der Engadeiner „Linguaig" zu lernen, sondern wies uns, als wir darüber Auskunft suchten, an die Kellnerin. Auch diese schien ihre sprachlichen Studien nicht überjagt zu haben und wußte, obwohl ein Mädchen in ihren Zwanzigern, nicht viel mehr als die Zahlwörter. Ein ähnliches Verhältniß findet übrigens auf der ganzen Sprachgränze statt. Der Deutsche, der dem Wälschen in Körpergestalt und Stärke überlegen ist, lebt und kleidet sich auch im Durchschnitt besser und hat so schon äußerlich mehr Ansehen als jener sein Nachbar. Zwar thut sich dieser durch feinere Manieren und größere Weltläufigkeit hervor, aber seine Schlauheit nützt ihm hier zu Lande nicht wesentlich, denn wenn der deutsche Tiroler nur etwas Uebung hat, so nimmt er’s darin gern mit Jedem auf und gewisse Arten, wie z. B. die Viehhändler, werden gar bald hieb- und stichfest. Der deutsche Bauer glaubt daher genug Gründe zu finden, um mit Stolz auf den Wälschen herabzusehen und Ausländerei, Liebe zum Fremden, Geringschätzung des Vaterländischen, sonst der Fehler gesammter deutscher Nation, ist ihm gewiß nicht vorzuwerfen. Auf dem ganzen Saume, wo deutsche und romanische Sprache zusammenstößt, die große Landstraße von Bozen gen Trient abgerechnet, liegen daher die beiden Elemente streng geschieden aneinander, wobei es denn der Deutsche immer lieber dem Wälschen überläßt deutsch zu lernen, als daß er ihm darin zuvorkäme. Die ein kleineres Gebiet umfassenden ladinischen Dialekte, das Engadeinische, das Grödnerische und Ennebergische hält es schon von vornherein Niemand der Mühe werth sich eigen zu machen; schon deßwegen nicht, weil die Unterengadeiner, die Grödner und Enneberger auch alle deutsch sprechen. Was das Italiänische betrifft, so haben die Handelsverhältnisse in den Städten die Kenntniß beider Sprachen zur Nothwendigkeit gemacht, und [269] zumal in Bozen ist die Kunde dieses Idioms sehr verbreitet. Auf dem Lande aber findet sie sich wieder nur bei den Wirthen, die an den Hauptstraßen wohnen. In den deutschen Gemeinden auf dem Nonsberge, nämlich in U. L. Frau im Walde, in Proveis, im Lafreng, welche alle ins Gericht nach Fondo gehören und unter dem Einflusse italiänischer Gerichtssprache, auch im täglichen Verkehr mit den Wälschen stehen, gibt es, was überraschend ist, viele Einwohner, die kein Wort der fremden Sprache verstehen; im Nonsberge dagegen viele Landleute welche deutsch sprechen, und noch mehr solche finden sich im Fleimserthale.

Dieses nämliche Engadein, das jetzt den Tirolern so fremd geworden ist, hing übrigens in früheren Zeiten aufs engste mit dem Vintschgau zusammen. Wenn auch die Sachen dieser Gegend von Alters her, als noch Enkel der Grafen des churischen Rhätiens auf der Burg Tirol saßen und unter ihren Erben aus dem Görzischen Hause sehr verwickelt waren, so galt doch in Unterengadein bis Pontalto hinauf tirolische Herrschaft, wogegen dann wieder die Bischöfe von Chur Land und Leute hatten bis in die Gegend von Meran. Damals war auch noch in beiden Thälern romanische Sprache und wohl in den meisten Dingen gleiche Art und Sitte. Als aber im fünfzehnten Jahrhundert die Engadeiner anfingen sich zu den rhätischen Bünden zu neigen, entstanden auch alsbald mit ihren Nachbarn, die zu Oesterreich hielten, blutige Fehden, in welchen jene viel Glück hatten. Im Jahre 1478 brach der Hennenkrieg aus, so benannt, weil die Tiroler geschworen hatten keine engadeinische Henne am Leben zu lassen oder wohl eher, weil die Engadeiner den Hühnerzins verweigerten, welchen die herzoglichen Beamten für die Fastnacht forderten. Schon dieser Krieg, wo die Tiroler, die Roland von Schlandersberg führte, ins Engadein brachen, wo darauf Gebhard Wilhelm, der Stolz von Ramis, den gewaltigen Martihans von Naudersberg unter der brennenden Burg von Tschanuf im Zweikampfe erschlug, schon dieser Streit hatte günstigen Ausgang, und im Jahre 1499 als Kaiser Max, mit den Eidgenossen zerfallen, den letzten Versuch machte die wankenden oder verlorenen [270] Rechte im Engadein zu befestigen oder wieder an sich zu bringen, fuhren die Ladiner gewaltig heraus, raubten, mordeten und verbrannten Nauders, und später nach der Schlacht auf der Malser Haide sämmtliche Orte des obern Vintschgaues, in demselben Frühjahre als die Eidgenossen den Bergknappen von Schwaz und der Tiroler Landwehr die blutige Schlacht bei Frastenz abgewannen. Bald kam auch die Reformation dazu, um den Riß zwischen dem kühlen Thal am Inn und dem warmen an der Etsch noch weiter zu machen. Die Engadeiner wurden calvinisch und blieben Romansche, die Vintschgauer blieben katholisch und kehrten sich von der Zeit mehr und mehr dem deutschen Wesen zu. Die tirolischen Rechte auf die Landschaften an den Quellen des Inns wurden aufgegeben; nur Schloß und Dorf zu Trasp, das Swiker von Reichenberg schon im Jahre 1239 an den Grafen Albrecht von Tirol verkauft hatte, blieb gleichwie das Schloß Räzüns oberhalb Chur im Domleschg als Enclave dem Erzhause Oesterreich. Zu Trasp stiftete es zum Schutze der gefährdeten Rechtgläubigkeit ein kleines Kloster für Capuciner. Im Luneviller Frieden hat der Kaiser indessen auch diesen Besitzthümern entsagt und sie dem Kanton Graubünden überlassen. Das Klösterlein und die katholische Gemeinde zu Trasp hat sich aber erhalten und letztere ist der Sprache nach fast für eine deutsche anzusehen.

Etwas oberhalb des alten Passes steht in der Straßenenge, am rauschenden Stillebach, zum Theil in den Felsen eingehauen, zum Theil von Felsen überragt, die neue Veste Finstermünz, ein Gebäude von grauem Granit, das erst vor kurzem fertig geworden. Der Herr Platzcommandant, der in einem gegenüber liegenden Häuschen wohnt, ertheilte die Erlaubniß das Fort zu besehen, und ein jüngerer Officier führte uns mit einnehmender Artigkeit in demselben herum. Es ist nichts weiter als ein ungemein fest gebautes Haus voll Schießscharten, voll Kanonen, Mörser und anderem Gewehr. Der Officier erklärte uns, wohin die Stücke alle streichen, und da glaubten wir denn freilich wahrzunehmen, daß in der ganzen Gegend, so weit sie auf die Veste hernieder schaut, keine [271] Stelle zu finden sey, die sie von dem Hause aus nicht sauber zu halten vermöchten. Hinter diesem ist das Proviantmagazin in den Berg eingesprengt, eine mächtige Höhlung, die man dadurch vor Feuchtigkeit zu wahren suchte, daß man sie auf allen Seiten vom Mutterfelsen freistellte. So geht denn jetzt ringsum diesen Raum herum noch ein eigener gangbarer Stollen, lediglich bestimmt alle Verbindung zwischen ihm und dem andern Gesteine abzuschneiden und alle Nässe aufzunehmen, die sonst ihren Zug ins Magazin genommen hätte. Da in neuerer Zeit auch oberhalb Brixen eine überdieß viel mächtigere Festung erbaut worden ist, so sind die beiden einzigen Straßen, welche über die Centralkette der Alpen führen, hiemit bewacht. Diese Wehren genügen um jedem Feinde, der von Süden einbricht, den Durchzug in das nördliche Tirol unmöglich zu machen, und umgekehrt jedem Feinde der von Norden kommt, die Verbindung mit dem südlichen.

Wenn man sich aus der Finstermünzer Schlucht herausgezogen, so betritt man die freie Landschaft von Nauders. Dieses große Dorf, auf dessen Kirchhofe zum erstenmale der Ortles zu erschauen ist, liegt 4274 Fuß über dem Meere in einer grünen Hochebene, die fast anmuthig und lachend ist. Vornehm und ansehnlich erhebt sich daraus auf einem felsigen Bühel das alte Schloß Naudersberg, noch immer der Sitz des Gerichtes, dessen Sprengel jetzt allerdings beschränkter ist als vor vierhundert Jahren, wo es bis Pontalto im Engadein Recht zu sprechen hatte.

Staffler macht drei Nauderser namhaft, die ihrem Geburtsorte zur Zierde gereichen. Der erste ist der im Jahre 1830 verstorbene Gottfried Purtscher, zuletzt geistlicher Rath und Regens des bischöflichen Seminars zu Chur, ein durch seltene Geistesgaben ausgezeichneter Mann. Der zweite ist Karl Blaas, im Jahre 1815 geboren, der vor vier Jahren noch die bildenden Künste zu Rom studirte und nach seinen damaligen Arbeiten einer der ersten Maler des Landes zu werden versprach, und der dritte, der wunderlichste, ist Joseph Bartlmä Kleinhans, der blinde Bildhauer von Nauders. Er ward im Jahre 1774 einem Landmann und Bäcker geboren [272] und verlor durch die Blattern schon das Augenlicht als er kaum fünf Jahre alt war, während von dreizehn Geschwistern die er hatte, sieben an der Seuche starben. Von einem Nachbar, der ein Tischler war und die trostlose Langweile des Knaben bemitleidete, in die Werkstätte aufgenommen, machte er sich bald daran kleine Bildwerke nach betasteten Mustern zu schnitzen. Die ersten Versuche gelangen zum Erstaunen gut, und „schon im dreizehnten Jahre brachte der Blinde ein sehenswürdiges Crucifix zu Stande.“ Nun schnitzte er einen gekreuzigten Heiland, nach dem andern, und diese Beschäftigung gab seinem frommen Gefühle einen solchen Schwung, daß er, um noch auf andere Weise zur größeren Ehre Gottes beizutragen, selbst die Orgel spielen lernte. Darin brachte er es so weit, daß er einmal in der Wallfahrtskirche zu Kaltenbrunn dreiviertel Jahr hindurch zur vollen Zufriedenheit den Organistendienst versah. Mittlerweile hatte er auch von dem berühmten Bildhauer Nissel in Fügen gehört, begab sich zu ihm, lernte vierzehn Tage von dem Meister und kehrte an mancher Erfahrung reicher wieder nach Hause zurück. Seitdem hat er mit unermüdetem Fleiße und nicht immer frei von Nahrungssorgen noch manches Crucifix und manchen Heiligen geschnitzt. Ein heiliger Franciscus ist in die Ambraser Sammlung zu Wien aufgenommen worden, andere Arbeiten befinden sich im Besitz der Bischöfe von Brixen und von Chur, und wieder andere sind im Lande umher zerstreut. Ein heiliger Johannes von Nepomuk steht an der Heerstraße zu Latsch im Vintschgau.

Zu Nauders thut der Reisende gut sich auf einen langweiligen Weg gefaßt zu machen, auf die Fahrt über die Haide, oder Hoad, wie das Volk spricht, zuerst wohl nur der Name der Thalfläche, jetzt auch der eines Dorfes und mitunter auch des ganzen Straßenzuges, denn der Tiroler setzt zuweilen auch die Straße über die Hoad, sonst die obere genannt, der Straße über den Brenner entgegen. Der höchste Punkt des Weges in der Nähe von Reschen ist 4725 Wiener Fuß über dem Meere und an dieser Stelle ungefähr ist auch die Wasserscheide. Der Stillebach nämlich entspringt in den nahen westlichen Gebirgen und läuft wenige Schritte an einem andern [273] Bächlein vorbei, welches sich in den Reschensee ergießt. Jener stürzt bei Finstermünz in den Inn, mit diesem in die Donau und kommt so bei Sulina ins schwarze Meer; dieses gibt sein Wasser an die Etsch ab, die aus den drei Seen auf der Haide wegfließt, um in das Meer von Adria zu eilen.

Die drei Seen, die nun nacheinander folgen, gehören zu den unbesungenen. Sie sind klein, liegen in rauher, kalter Gegend und die lange Strecksicht über diese Wasserspiegel hinab ist nur dann anziehend, wenn sie der unbewölkte Ortles schließt. Ein Werth bleibt ihnen aber immer, nämlich der eines reichen Fischsegens. Kein Wunder, daß da die frommen Stifter ihre milde Hand auf die Wässerlein legten, und so gehörte denn die Fischenz in den beiden obern ehemals dem Cistercienser Kloster zu Stams, in dem untern aber der Carthause zu Schnals. Jetzt ist sie freilich nicht mehr in solchen Händen, sondern bei Bauersleuten, die an den Gestaden wohnen und alle Wochen mit den Fischen bis gen Meran fahren.

Am obersten dieser Seen liegt das Dorf Graun am Karlinbache. An diesem Bache hin steigt man nach Langtaufers, und von dort aus führt rechts ein beschwerlicher Weg über die Gletscher nach Rofen im Oetzthale, links ein Saumschlag ins Kaunserthal und nach Prutz. Ehe Kaiser Max den Paß über Finstermünz eröffnete, war dieser kümmerliche Pfad voll lebhaften Verkehrs, als der einzige, welcher Obervintschgau mit Oberinnthal verband. Noch erinnern die landesfürstlichen Wappen auf manchem Hause im Kaunserthale, wo vordem Amtleute und Zöllner gewohnt, an jene Zeiten. Seitdem war diese ehemalige Handelsstraße ganz verschollen, bis sie im März 1799 wieder einigermaßen ins Gedächtnis der Mitwelt gerufen wurde, als General London die der Niederlage bei Taufers entronnenen Heerestrümmer von Graun weg in die Sicherheit des Kaunserthales geleitete.

Zu Haid im Dorfe hat ums Jahr 1140 (?) Ulrich Primele von Burgeis ein Hospital zu St. Valentin gestiftet, den Reisenden zum Schutz und Obdach in den Winterstürmen, die hier mit schrecklichem Schneegestöber durch das Thal hinfahren und die Pilger verwirren, verschlagen und vereisen. [274] Seine Satzungen, d. h. wohl die spätern, nicht die ursprünglichen, waren in romanischer Sprache abgefaßt und verpflichteten, wie die der Stiftung Heinrich Findelkinds auf dem Arlberge, den Vorsteher sammt seinen Leuten an stürmischen Abenden mit Laternen, Stricken und Stangen, auch wohl versehen mit Wein und Brod, schreiend und rufend in die Haide hinauszuziehen und nach Verunglückten zu spähen. Jetzt da Häuser und Dörfer ziemlich nahe auf einander an der Straße stehen, ist diese Uebung schon lange nicht mehr nöthig und aus der alten Stiftung ist ein Krankenspital geworden – ein Wechsel, dem sich mit der Zeit auch manche andre tirolische Hospitäler unterworfen sahen, die einst in den Jahrhunderten der Kreuzzüge zum Besten der nach Jerusalem fahrenden Pilger errichtet worden. Es ist eine wohlbegründete Vermuthung Professor Albert Jägers,*) daß diese gastlichen Herbergen als Aushängschild für die müden und hungrigen Wanderer das Bild des heiligen Christophs wählten, der nach der bekannten Legende das Jesuskindlein selbst über den Strom trug und daher als Beförderer der Reisenden betrachtet wurde. Die Bruderschaft auf dem Arlberg nannte sich nach diesem Heiligen, auf die Außenwand der Spitäler wurde seine lange Gestalt gemalt, und auf andern Kirchen, bei denen keine Pilgerherberge gestiftet war, mag das alte Bild wohl auf die Gastfreundlichkeit der Seelenhirten deuten.

Die Leute, die hier oben auf der Haide wohnen, sind stark an Verstand und an Gliedmaßen, aber arm an irdischen Gütern. Der Boden ist unfruchtbar, hat in nassen Jahren von der Kälte, in trockenen von der Dürre zu leiden und liegt zu hoch, um mannichfache Bebauung zuzulassen. Drum gehen auch von hier viele ins „sogenannte“ Schwabenland und andre leben als Dörcher oder Lahninger.

Abwärts vom letzten der drei Seen, aus dem die Etsch als lärmendes Flüßchen abrinnt, beginnt die Malserhaide. An dieser liegt das große Dorf Burgeis mit dem braunen [275] Schlosse Fürstenburg, in frühern Zeiten und bis zum Jahre 1803 den Bischöfen zu Chur gehörig, jetzt der Sitz eines Rentamtes. Bei uns im Stellwagen wurde es nunmehr immer finsterer; Burgeis fuhren wir in der Dämmerung durch; die Zinnen von Fürstenburg ragten auch nicht sehr kenntlich in die Luft, doch strahlten aus den Fenstern helle Lichter. Darüber ragte am Berghange das Benedictinerstift Marienberg, weißlich durch den Nebel glimmernd. Vom Ortles her ging ein kalter Wind, und so hatte wohl jeder seine Freude, als wir in die engen Gassen von Mals, dem Marktflecken einfuhren und endlich am Wirthshaus landeten, wo die Forellen unser warteten, aber auch ein großer Lärm in der Wirthsstube. So eben hatte nämlich ein Gränzjäger den Säbel gegen seinen Corporal gezogen und war nur mit Mühe durch mehrere herbeigesprungene Gäste abgehalten worden, dem Vorgesetzten ein Leid zu thun. Ach mein Gott, sagte die Kellnerin wehmüthig, jetzt hat sich der arme Mensch in einem Augenblick um viele Jahre Freiheit gebracht! – Wir fürchteten, die Bemerkung dürfte sehr richtig gewesen seyn.

Wir gingen bald zu Bette, mehr uns freuend auf den kommenden Tag als über den vergangenen, denn außer dem Paß von Finstermünz und der Aussicht auf den Ortles hatte die Reise von Pfunds her wenig geboten was uns besonders angeregt hätte, und die nächste Sonne sollte uns im Etschland untergehen. An dem Kloster Marienberg sind wir aber jedenfalls zu schnell vorbeigefahren und wollen daher noch nachträglich in Erinnerung bringen, daß dieses Benedictinerstift im Jahre 1090 von einem Grafen Eberhard von Montfort zuerst zu Schuls im Engadein errichtet, später aber 1146 dahin verlegt wurde, wo es jetzt auf der weitsehenden Berghöhe prangt. Ulrich von Tarasp, der reiche Herr, legte aus, was der Neubau kostete und gab dem Stifte viele von seinen eigenen Gütern. Endlich als er von der Kreuzfahrt im gelobten Lande zurückgekommen, ging er selbst als Mönch in seine Stiftung und starb darin. Seine Hausfrau Uta nahm den Schleier im Frauenstift zu Münster, das hinter Taufers liegt. Am meisten hatte das Kloster zu erleiden von seinen Schirmherren, den Vögten von [276] Matsch; Ulrich von Matsch, der gegen das Ende des dreizehnten Jahrhunderts lebte, vergriff sich gewaltsam an des Klosters Besitzthum, und als Hermann von Schauenstein, der Abt, ein Mann von dreißig Jahren, schöngestalt und weise, bei Otto dem Grafen von Tirol Schutz erbeten hatte, fiel der Vogt von Matsch mit seinen Reisigen über das Stift, nahm den Abt gefangen und ließ ihn im Thale von Schlinig enthaupten. Darauf pilgerte er zum Papste nach Avignon und kam mit einer Ablaßbulle zurück, die ihm aber viel mehr Buße auflegte als er leisten mochte. So trieb er sein Sündenleben fort, bis er, wahrscheinlich auf Anstiften der heiligen Vehme, durch seinen Oheim Egeno von Matsch erstochen oder erwürgt wurde. Darnach 1311 übernahm der Landesfürst die Schirmvogtei. Der Abt des Klosters darf die Inful tragen und hat ihm dieß Recht das Concilium zu Basel verliehen; auch ist er tirolischer Landstand und Hofcaplan. Seit 1724 besetzt das Kloster auch das Gymnasium zu Meran mit Lehrern. Eine alte Celebrität des Stiftes ist der Prior Goswin, welcher ums Jahr 1390 Herzog Leopolds von Oesterreich Hofcaplan war und eine Chronik von Marienberg schrieb, die der erste Band der Beiträge für Geschichte von Tirol und Vorarlberg in deutscher Uebersetzung mittheilt.

Am andern Morgen früh war lärmendes Leben im Wirthshaushofe. Zwei Stellwagen wurden gepackt, angespannt und fertig gemacht. Der eine ging nach Landeck, der andre nach Meran; beide waren zum Erdrücken voll. Mir war noch die langweilige Bequemlichkeit von gestern zu sehr im Sinne, als daß ich wieder hätte einsteigen mögen; es schien viel angenehmer das Vintschgau hinab zu Fuße zu gehen. Bald fand sich auch Jemand der geneigt war mich zu begleiten, ein tüchtiger Professor von Dorpat, der nach Italien fuhr. Mit diesem brach ich auf am wunderschönen Morgen, der mählich zum warmen hellen Sommertage wurde.

Zuerst also gingen wir von Mals eine Viertelstunde weit nach Tartsch und stiegen auf den Tartscher Bühel, eine freistehende Höhe, die eine alte Kirche trägt und eine herrliche Rundsicht gibt. Da sahen wir hinunter auf Mals, das schon [277] von den Römern bewohnt wurde und mit zwei alten Thürmen seinen mittelalterlichen Werth belegt, mit den zwei abgekommenen Warten, welche einst aus den Burgen ritterlicher Geschlechter aufgeragt, die längst verschollen sind. Weiter oben zeigt sich Burgeis und die Fürstenburg und das Stift Marienberg, und abwärts davon am Bergsaum der weiten Wiesen, welche von Erlen beschattet die Etsch durchströmt, liegen Schleiß und Laatsch, reich durchgrünt von Obstbäumen, und das Städtchen Glurns, ehedem als Handelsort von Wichtigkeit und in seinen engen Mauern reiches Leben nährend, jetzt ein stilles Nestchen, ein „rotten borough,“ wo fast nur mehr Fußgänger zusprechen, da es außer dem Zug der Heerstraße liegt. Seine starken Zinnen erheben sich noch wehrhaft über seine Dächer, aber die Gräben hat der Friede ausgefüllt und üppige Gärten darauf angelegt. Zwischen Laatsch und Glurns geht das Thal von Taufers ein, auf dessen grüner Hochebene die alten Raubschlösser Rotund und Reichenberg, dessen Herren einst die Schenken des Bisthums Chur gewesen, und der Thurm von Helfmirgott erscheinen, letzterer so benannt, weil sich in alten Tagen von seiner Höhe mit solchem Rufe eine Jungfrau stürzte, um vor dem Reitersmann, der sie bedrängte, ihre Unschuld zu retten. Auch hat ihr Gott geholfen – sie ging unversehrt von dannen, der Verfolger aber entsetzte sich und ward ein Büßer. Dahinter geht’s ins romanische Münsterthal in Graubündten, wo das Frauenstift, das Kaiser Karl der Große gegründet haben soll.

Unter Glurns liegen die weiten Mauern von Lichtenberg und Agums mit vielbesuchter Wallfahrtskirche und Prad, der Geburtsort der beiden gelehrten Primisser, wovon der eine Cassian als Mönch zu Stams gestorben 1771, der andere Johann Baptist als Custos des Münz- und Antikencabinets und der Ambraser Sammlung zu Wien 1815. Dahinter gegen Süden über grünen Alpen und grauen Schrofen steigt schweigsam und weiß und ungeheuer, alle Nachbarn weit überragend, der Ortles empor, ein titanischer Kegel, jetzt herrlich beschienen von der milden verklärenden Morgensonne. Auf der andern [278] Seite der Etsch liegt Schluderns und das große Schloß Churburg, eine vorstehende waldige Höhe krönend.

Dort auf der wiesenreichen Fläche zwischen Glurns und Mals und hinein gegen die Höhen von Taufers war eine blutige Schlacht, als am 22 Lenzmonat im Jahr 1499 die Engadeiner durch das Münsterthal herauskamen und achttausend Tiroler mit ihren dreihundert Herren von Adel und Ulrich von Habsberg, dem ungeschickten Feldhauptmann, ihnen das Land verwehren wollten. Während die berittenen Edlen auf dem Plane von Mals ruhig zuschauten, kämpften die Tiroler Bauern heldenmüthig für ihre Mutter Erde auf der Schanze bei Laatsch, wurden aber umgangen, von allen Seiten angegriffen und zu Tausenden erschlagen. Das tirolische Landbanner, dessen Adler die Erzherzogin Catharina von Sachsen mit hohen Händen gestickt hatte und viel andres Kriegzeug ging verloren. Neunhundert Frauen sind an diesem Tage im Vintschgau und zu Meran Wittwen geworden, und bis dahin war in der gefürsteten Grafschaft eine solche Niederlage nicht erlebt. Glurns, Mals, Laatsch, Schluderns und andre Dörfer an der Etsch hinab wurden niedergebrannt, der Schrecken weithin verbreitet. Nachdem sie dieß verrichtet, zogen die Engadeiner, welche selbst viel Blut verloren hatten, wieder heimwärts in ihr Thal. Den Tirolern, die alles Unglück dem schlechten Befehlshaber auflegten, hinterblieb aber eine namenlose Wuth und ein Haufe der Entkommenen, der nach Meran geeilt, erwürgte dort dreißig Engadeiner, die als Geißeln in der Stadt lagen. Rühmlich ist dagegen, wie sich gleich in den nächsten Tagen der Landtag zu Meran erhob und mit kräftigem Entschlusse den Schaden gut und die Grafschaft wieder wehrhaft zu machen strebte. Am achten Tage nach der Niederlage kam Kaiser Max von Landeck her mit achttausend wohlgerüsteten Kriegsleuten selbst nach Glurns und ritt auf das Schlachtfeld, wo er, die unbegrabenen Leichen der treuen Tiroler gewahrend, seiner Rührung nicht wehren konnte und den Gefallenen kaiserliche Thränen weinte. Auf der Walstatt leuchten noch jetzt von Zeit zu Zeit seltsame Feuer auf, die an der Stelle, wo sie flackern, einen Halbmond ausbrennen und den Boden für ein [279] Jahr lang unfruchtbar machen. Die Geschichte dieses Krieges beschrieb Albert Jäger anziehend im vierten Bändchen der neuen Zeitschrift des Ferdinandeums. Im Jahre 1799 kamen auch die Franzosen vom Münsterthale her, warfen den österreichischen General Loundon, legten Glurns, Mals und Schluderns in Asche, verübten viele Grausamkeiten, zogen darauf wieder zurück und verschanzten sich zu Taufers.

Vom Tartscher Bühel gingen wir nach Schluderns, was abermals ein großes Dorf ist von 1000 Seelen, wie wir denn von jetzt an durchs Vintschgau hinunter wenige mehr treffen, die nicht so bevölkert sind. Ober Schluderns steht die hochansehnliche Churburg den Grafen von Trapp gehörig und ihr Sommersitz, zu der wir auch hinaufpilgerten, um den Waffensaal zu sehen, der manch merkwürdiges Rüstzeug aus frühern Jahrhunderten enthalten soll. Wir hatten schon den Steig von alten Bäumen beschattet zurückgelegt und das Hauptthor gefunden, waren auch schon eingetreten in den Burghof und der Schaffnerin ansichtig geworden, hatten auch endlich um den Schlüssel gebeten, als uns eröffnet wurde, dieser befinde sich beim Herrn Verwalter zu Mals. Wir wußten nicht, sollten wir uns ärgern, daß der Herr Verwalter in Mals den Schlüssel habe, oder daß wir dort nicht darnach gefragt hatten, ärgerten uns aber doch. Die Schaffnerin war freundlich genug uns an die Fenster ihres Wohnzimmers zu führen, wo wir eine treffliche Aussicht ins Vintschgau genossen. Das war zwar auch etwas, aber nicht das was wir gesucht hatten.

Von Schluderns gelangt man dem Saldurbache nach auf beschwerlichem Wege in das Thal von Matsch, tief zerrissen von Wildbächen, aber gesegnet mit grasreichen Alpen und manchen Kornfeldern und dabei ein Lieblingsaufenthalt der Wölfe. Es gibt kaum ein Seitenthal in Tirol, was so früh und so oft genannt wird, was durch kirchliche Weihe und Ritterthum so bedeutsam ist, als dieser enge rauhe Winkel, wo isländisch Moos sich um Zirbelbäume schlingt. Hier wurde nach der Legende im siebenten Jahrhundert St. Florinus geboren, von reisenden Engländern, die sich von einer Pilgerreise nach Rom zurückkehrend da niedergelassen hatten. [280] Florin, den Knaben, in stiller Frömmigkeit erzogen, gaben sie in Unterricht dem Pfarrer zu Ramüs im Engadein, wo er noch in jugendlichem Alter Wunder zu wirken begann. In dem Kasten aus dem er den Armen Brod gab, wuchs Getreide, und wenn er den Tischwein des Pfarrers genommen hatte, Kranke zu erquicken, so wurde aus dem frischen Quellwasser, das er dafür auf die Tafel setzte, der beste Traubensaft. Als sein Lehrer, der Pfarrer, gestorben war, wurde Florin der Seelenhirt der Gemeinde und starb jung, aber im Leben schon als Heiliger verehrt. Die Einwohner von Matsch, zu denen er nicht mehr zurückkehrte, errichteten wenigstens ein Kirchlein auf der Stelle seiner Geburt. – Geschichtlich ist, daß Kaiser Lothar in einer Urkunde vom 3 Jänner 824 dem Bischof Leo von Como seine längst erworbenen Rechte auf die Pfarren zu Burmis (Bormio) und Amatia (das war der damalige Name von Matsch) bestätigte. Daraus geht hervor, daß in dem Thale schon altes kirchliches Leben war, wie denn überhaupt in den frühesten Zeiten die großen Thäler wo jetzt die Heerstraßen ziehen, wenig belebt erscheinen gegen die abgelegenen schwer zugänglichen Höhen und Gebirgsschluchten. Serfaus, Galthür, Matsch und mehrere andre abgelegene Stellen kommen als kirchliche Vereinigungsorte viel früher vor als die benachbarten Niederungen. Es mag wohl seyn, daß zur Zeit der Völkerwanderung mancher Strich am Heerwege ganz ausgefegt und für lange menschenleer wurde, denn die geringe Zahl der bekannten Pässe über die Alpen mußte die Last des Durchzugs für die am Wege liegenden Orte nur um so drückender machen. Drum waren dazumal diese Einsamkeiten wohl reich bevölkert von ursprünglichen Bewohnern und von Flüchtlingen aus der gefährdeten Nachbarschaft, welche letztere sich vielleicht erst nach längerer Zeit wieder in die öde gelegten Hauptthäler wagten.

Fünf Jahrhunderte, nachdem Florinus, der Pfarrer von Ramüs, im Geruch der Heiligkeit gestorben, erscheinen die Herren von Matsch, gewöhnlich die Vögte von Matsch genannt, als Gebieter des Thales und weit hinab im Vintschgau und drüben im Engadein. Später kamen dazu auch noch [281] Güter am Oberrhein und in Schwaben. Ihnen gehorchte auch das Veltelin vom Comersee bis zum Wormserjoche; Dörfer und Burgen waren mit Wagenwart, Frohne und Oeffnung pflichtig, auf den Landsprachen zu Mals führte ihr Amtmann den Vorsitz. Die Leute des churischen Bisthums von Pontalt bis zur Etschbrücke bei Meran, die Klöster Marienberg und Münster, das Hochstift Chur selbst standen unter ihrer Bevogtung. Die Nonnen zu Münster mußten ihre Hunde füttern, und wenn es den Gewaltigen beikam, mit Jägern und Knechten, Rüden und Rossen auf den Jagdzügen in die Bündner Gebirge in Marienberg zu übernachten, so hatte der Abt Futter und Nahrung unentgeltlich zu schaffen.*) Lange wäre es, die Namen der Herrschaften und Güter anzuführen, die sie im Laufe der Zeiten erobert und erkauft, verloren und veräußert haben. Noch im Jahre 1471 kamen sie, aber nur auf kurze Zeit, in den Besitz eines völlig fürstlichen Besitzthums in Graubünden, zumeist aus dem tokenburgischen Erbe. Im dreizehnten, vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert ist ihr Name einer der öftest genannten in der Geschichte von Tirol, zumal auch wegen des zweihundertjährigen Zwistes, den sie mit den Bischöfen von Chur geführt haben. Ulrich der ältere und Ulrich der jüngere von Matsch waren hochbeliebt bei der minnesüchtigen Margaretha und wußten ihre Huld und Gnade gut zu nützen, insbesondere in den letzten zehn Tagen vor St. Polycarpentag 1363, wo die Gräfin von Tirol, ehe sie das Land an die Herzoge von Oesterreich übergab, den Matschern noch auf einmal die Gerichte Landeck und Naudersberg, die Propstei Eiers und das Schloß Jufal im Vintschgau schenkte, welche Güter sie freilich gegen die neuen Herren von Oesterreich nicht alle behaupten konnten. Die letzten des Geschlechtes waren Ulrich der Landeshauptmann († 1500) und Gaudenz von Matsch, Graf von Kirchberg, der 1504 zu Churburg starb und zu Marienberg begraben wurde, Herr im Prätigau und zu Davos, oberster Erbschenk des Bisthums [282] Chur, Kaiser Maxens und Herzog Sigmunds zu Tirol geheimer Rath, auch des letztern Feldhauptmann im Venediger Krieg 1487, seiner Zeit der reichste Dynast des Landes. Durch des erstern Tochter Barbara kam das ganze Erbe und mit diesem auch Churburg an Jakob von Trapp, einen steyrischen Edelmann, bei dessen Erben, die unterdessen Grafen geworden, es noch heutzutage ist. Die beiden Burgen im Matscherthale sind verödet und halbzerfallen.

Bemerkenswerth ist es, daß Guler von Wineck in seiner Rhätia, die, wie oben Seite 105 bemerkt, im Jahre 1616 erschien, die Nachricht gibt, daß das Thal von Matsch noch seiner Zeit rhätische, d. h. romanische Sprache gebraucht habe. Bekanntlich ist auch das obere Vintschgau jene Gegend des jetzigen Deutschtirols, wo sich dieses Idiom am längsten erhalten hat. Die von Freiherrn von Hormayr öfter wiederholte Behauptung, daß noch bis zur Zeit der Kaiserin Maria Theresia im obern Vintschgau und bis Schlanders und Latsch *) das Romanische in Uebung gewesen sey, dürfte sich zwar in dieser Ausdehnung kaum erwahren lassen, doch ist gewiß, daß noch vor wenigen Jahren im Tauferer Thale alte Leute gefunden wurden, welche das Ladinische noch zu sprechen wußten von ihrer Jugend her, wo es die Sprache des Thales gewesen. Auch sollen ehedem die Urkunden in den Gemeindeladen zu Graun, Matsch, Glurns nach Freiherrn von Hormayr rhätisch, will sagen romansch gewesen seyn. Ein sehr wichtiges Document wären die alten romanischen Satzungen des Spitals auf der Haide, doch ist die Angabe selbst sehr bedenklich. Andrerseits scheinen die Acten des berühmten Processes, der im Jahre 1519 vor Wilhelm von Haslingen, dem Richter zu Glurns, von Seite der Gemeinde Stilfs gegen die Feldmäuse allda geführt worden ist, **) wieder darzuthun, daß schon damals die [283] deutsche Sprache hier verbreitet gewesen, oder wenigstens zeigen die Geschlechtsnamen, daß viele deutsche Familien da seßhaft waren. Immerhin ist zu bedenken, daß das Deutsche, welches von Meran und von Landeck her getragen wurde, im Hauptthale viel früher Fuß fassen mußte als in den unwegsamen Zuthälern von Taufers und von Matsch.

Eine gute Stunde unterhalb Schluderns geht rechts die Straße ab, welche über das Wormserjoch ins Veltelin führt und erst in den zwanziger Jahren beendigt worden ist. Sie steigt da von Prad an aufwärts, anfangs im engen Thale, dann wendeltreppenartig an nackten Höhen hin, zur Linken die ungeheuren gletscherreichen Halden des Ortles, immer höher bis in die Region des ewigen Schnees, aus welcher sie stets in großartiger Gegend rasch hinunterzieht in die schönen wälschen Gelände. Es ist der höchste fahrbare Paß in Europa, 8900 Fuß über dem Meere, und in Ansehung der schwierigen Ausführung als ein Weltwunder zu betrachten. Deßwegen wurde auch schon vieles darüber geschrieben, was Grund genug ist, hier davon nicht mehr zu reden.

Nicht so schnell können wir den Ortles aus den Augen lassen, den prachtvollen Berg, der das ganze obere Vintschgau mit seiner weißen glänzenden Majestät erfüllt. Die Ortlerspitze ist im Anfange dieses Jahrhunderts zum erstenmale erstiegen worden und die Nachricht davon im dritten Bande des tirolischen Sammlers niedergelegt. Erzherzog Johann machte dazumal seine erste Reise in Tirol und war, als er zuerst des ungeheuern Kegels ansichtig wurde, der Meinung, daß dieser hohe First den höchsten Bergen von Savoyen und der Schweiz wenig nachstehen dürfte. Es war Niemand zur Hand, der diese Meinung bestätigen oder widerlegen konnte; denn noch lag auf dem erhabenen Felsrücken unbetreten der vieltausendjährige Schnee. Der Bergofficier Gebhard erhielt sofort von dem Erzherzog den Auftrag, von Mals aus alles Nöthige einzuleiten, was die Ersteigung herbeiführen könnte. Manche Nachbarsleute versuchten nun, durch die versprochene Belohnung gereizt, ihr Glück, kehrten aber beschämt von den Fernern zurück ohne etwas ausgerichtet zu haben. Jede Hoffnung schien verloren, [284] als am 26 September 1804 ein kurzgewachsener Jäger aus Passeyer, Namens Joseph Pichler, insgemein Josele geheißen, sich bereit erklärte das Wagstück zu übernehmen. Es wurden ihm zwei Zillerthaler mitgegeben und sie kamen selbdritt, der kleine verwegene Gemsenjäger an der Spitze, am 27 Sept. wirklich auf die höchste Höhe des Ortles, wo sie aber nur vier Minuten aushielten. Tags darauf fanden sie glücklich wieder heim und hatten begreiflicherweise viel zu erzählen von den Schrecknissen, die sie überstanden. Auch war ihr Aussehen ganz darnach um ihre Berichte zu unterstützen. Ungerechnet der erfrorenen Finger und Zehen waren sie mit einer Schneekruste überzogen und der Sprache beraubt, da ein heftiger Wind den losen Schnee gegen sie geblasen hatte. Im darauffolgenden Jahre stieg der kühne Gebhard selbst dreimal auf die Spitze und ließ dabei einmal, um die hartgläubigen Malser zu überzeugen, auf der Kuppe eine mit betheertem Stroh überzogene Stange zur Nachtzeit anzünden, was den bekehrten Zweiflern ein prachtvolles Schauspiel gewährte. Darnach wurde der Berg zum erstenmale wieder 1826 von Geometer Schebelka aus Wien bestiegen und zwar unter großen Beschwerden, die im Tirolerboten selben Jahres beschrieben und mitunter etwas haarsträubend sind. Endlich 1834 warf auch Professor Thurwieser zu Salzburg, der König der rhätischen und norischen Bergsteiger, sein Auge auf ihn und fand sich, wie er im dritten Bändchen der neuen Zeitschrift des Ferdinandeums erzählt, am 10 August zu Churburg ein, wo er Josele, den Passeyrer, der zum erstenmale die Ortlerspitz erklommen, noch am Leben traf. Freilich war der Jäger unterdessen siebenzig Jahre alt geworden, aber noch muthvoll, rüstig und behend. Das lakonische Zwiegespräch, das Professor Thurwieser mit dem verwitterten Gesellen führte, malt recht anschaulich sein absonderliches Wesen. Am 11 August begab sich der gelehrte Bergsteiger mit Josele und dessen Sohne Lex nach Trafoi, ins Posthaus an der neuen Straße. Dort warben sie noch einen dritten Führer und begaben sich auf das Abenteuer. Die erste Nacht blieben sie auf dem Bergl, 6327 Pariser Fuß hoch über dem Meere, im Freien über Nacht. [285] Andern Tages 36 Minuten nach zwölf Uhr war die Spitze erreicht, deren Höhe zu 12044 Pariser Fuß bestimmt wurde. Das Wetter war gut und die Aussicht unermeßlich – um so lohnender nach den Fährlichkeiten, deren Darstellung dem mit solchen Begegnissen minder vertrauten Leser manchen Schauer erregt. Man erblickt dort die Hochgebirge des größten Theils von Tirol und sieht gegen Salzburg und Kärnthen hinein noch Kuppen, welche jenseits des Großglockners stehen. Der Spiegel des adriatischen Meeres, der doch in die Aussichtsweite fällt, war gleichwohl nicht mehr zu unterscheiden; bestimmt aber traten hervor die Gletscherhöhen der Lombardei, Piemonts, wahrscheinlich auch Savoyens, die Hörner der Schweiz und über diese und die Ferner des Oetzthales hinausging der Blick bis in die Ebenen von Bayern und Schwaben. Vier Jahre später unternahm der Postmeister von Prad mit fünf Begleitern, worunter ein sechzehnjähriges Mädchen, abermals eine Besteigung, welche ebenfalls glücklich ablief, indessen nicht näher beschrieben worden ist. Dieß ist die letzte, von der wir gelesen.

An dieser Stelle, wo die Ortlerstraße abgeht, macht übrigens das Thal eine Beugung. Das kalte Hochland der Gerichte von Nauders und Glurns, der Verwaltungsbezirk des Oberinnthals ist zu Ende und es beginnt das warme untere Vintschgau, ein verdeutschtes Italien. Rechts stehen die Eisberge, die Suldnerferner, die Gespannen des Ortles, mit weißen Scheiteln und grünen bewaldeten Abhängen, links liegen die Sonnenberge des Vintschgaus, zumeist dürre, gelbe, zerbröckelte Halden. Im Thale geht die Etsch, die sich vielfach in weite Moosgründe verliert, auf welchen man die Vintschger Gäule weiden sieht.

Eyrs, das erste Dorf nach diesem Scheidepunkt, weist an seinem Ende noch die verfallenen Mauern eines längst verlassenen Schlosses, worin die Grafen von Moosburg aus Bayern seßhaft gewesen. Ueber der Etsch am steilen Berghang steht das Dorf Tschengels, mit Wallfahrtskirche und der Tschengelser Burg, ehedem den Rittern von Tschengels, dann den Grafen von Lichtenstein gehörig. Nicht weit davon ist das neue Gebäude des heilsamen Bades zu Schgums, worin mit [286] ungemeiner Billigkeit und zarter Sorge gegen die Gäste verfahren werden soll.

Das Thal nimmt nun eine milde, liebliche und doch große Art an. Um die Dörfer lag noch immer der bläuliche Duft des Morgens, den der Rauch aus den Schornsteinen kräuselnd durchbrach. Ueberall ist Raum genug für Kornfelder und für Wiesen, und die dicken Vintschger Bauern, die des Weges kommen, sind an sich schon ein gutes Zeugniß für die Fruchtbarkeit des Bodens. Die Sonnenseite bietet zwar nicht viel zu schauen, aber die Schattenseite ist gerade hier am schönsten, denn oft führt der Blick an stürzenden Wassern, an weiten Almen und über unermeßliche Forsten hinauf in die glänzenden weißen Wildnisse der Ferner.

So gelangten wir allmählich in den Grund von Kortsch und Schlanders, wo auf einmal alle Reize südlicher Landschaft aufgehen, wo an der Straße Castanien und Nußbäume ihre dichten Schatten zu werfen anfangen, rechts und links goldene Korngefilde prangen, wo an den mürben Sonnenbergen die ersten Rebengelände sich zeigen und die alten Gemäuer mächtiger Burgen sich so häufen, daß kaum mehr Zeit übrig bleibt nach ihrem Namen zu fragen. Darunter ist vor Zeiten die angesehenste gewesen jene Veste auf hohem, jähem Bergstock über Schlanders, keck hingebaut an den schwindelnden Berghang und Schlandersberg genannt – ehedem der Stammsitz eines ritterlichen Geschlechts dieses Namens, aus welchem einer mit andern fünfunddreißig Herren vom Vintschgau in der Schlacht bei Sempach fiel. Später war Heinrich von Schlandersberg als ein streitbares Haupt bei dem großen Bunde der tirolischen Ritterschaft gegen Herzog Friedel, bei jenem Bunde, den der Fürst mit Hülfe seiner Bauern zu Boden schlug und dessen Vesten er eine nach der andern brach. Damals ging auch Reichthum, Gewalt und Ansehen der Schlandersberger unter und sie kamen so lange sie dauerten nicht mehr dazu, obgleich das alte Geschlecht erst im vorigen Jahrhunderte ausstarb.

Schlanders selbst ist ein großes Dorf mit steinernen, städtisch aneinander gebauten hohen Häusern. Auf dem andern Ufer der Etsch liegt das Dörflein Göflan, in dessen [287] Bergrevier die Brüche des schönen weißen Marmors sind, der als Schlanderser Marmor bis in die Werkstätten der Bildhauer zu München verführt wird.

Eine Stunde unter Schlanders liegt links von der Straße der noch wohl erhaltene Stammsitz der Edlen von Goldrain und darüber das Schloß Annenberg, ehemals den hochangesehenen Annenbergern zugehörig, die im vierzehnten Jahrhundert zur Zeit Margarethens eine große Hand im Lande hatten, und an Macht und Reichthum es den ersten Geschlechtern des Landes gleich thaten. Anton von Annenberg, der in der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts lebte, ist im Vaterlande berühmt geworden durch den regen Fleiß mit dem er den Wissenschaften oblag und Minnegesänge und Heldenlieder aus der Zeit der Hohenstaufen wie die ersten Drucke der römischen Schriftsteller und der Kirchenväter auf seiner Burg zusammenbrachte. Die Annenberger sind jetzt auch ausgestorben; das Schloß selbst ist verkauft und sitzt jetzt ein Bauer in der alten Burg. Auf der andern Seite der Etsch liegen die Vesten Ober- und Untermontan, welche einst den Eppanern gehörten. Das erstere war auch einmal im Besitz der Annenberger, und vor mehreren Jahren hat man da zufällig noch etliche vergessene Nummern ihrer Bibliothek aufgefunden, darunter auch eine werthvolle Handschrift des Nibelungenliedes, welche nach Berlin verkauft worden ist.

Weiter zogen wir gen Latsch, aus dem die Trümmer der Burg Latsch aufragen, vor Zeiten ein Sitz der Annenberger. Heinrich von Annenberg hat auch das Spital zu Latsch gestiftet, wo ein schöner gothischer Altar und an den Wänden etliche alte Malerei. Latsch ist auch eines besondern Erzeugnisses wegen berühmt, nämlich der Vintschgerzelten wegen, die in Tirol großer Beliebtheit genießen, obgleich der Fremde allererst nicht recht absehen kann aus welchen Gründen. Es sind dünne Scheiben, braun wie Lebkuchen, oberhalb mit einer zarten weißen Lasur überzogen. Frisch werden sie selten gegessen; man hält sie erst für lecker, wenn sie ganz trocken geworden. Sie werden dann über dem Knie gebrochen oder mit dem Messer zerhauen und in kleinen Brocken aufgetragen. Uebrigens [288] sind die Zelten von Latsch nur gesuchter als das Gebäcke anderer Dörfer des Etschlandes, und das Verfahren ist überall ziemlich dasselbe. Die Landleute haben dabei den besondern Vortheil, daß sie des Jahres nur drei- oder viermal backen dürfen. Der Vorrath wird mittlerweile in langen Rahmen auf dem Speicher aufgestapelt.

Die Schnelligkeit unsers Ganges scheint uns übrigens verhindert zu haben den mongolischen Schädelbau zu bemerken, welcher dem Landvolke zwischen Laas und Latsch nach einem tirolischen Racenforscher eigen seyn soll. Es ist dieß Herr von Goldrainer, der ehemalige Besitzer von Schänna bei Meran, und die Bemerkung kömmt uns durch August Lewald, der sie auf Seite 280 seines Tirolerbuches mittheilt.

Eine halbe Stunde unter Latsch stehen auf einem großen Felsblock die Ruinen des Schlosses von Castelbell, vor nicht langer Zeit noch ein wohnlicher Rittersitz, dann durch einen Brand zu stolzen Trümmern geworden. Sie sind, obgleich ihnen die Weihe fehlt, die auf langvergangener Zerstörung ruht, doch ein schöner Schmuck der Straße, über der sie wie eine zackige Krone ruhen.

Nicht weit davon auf derselben Seite liegen schier ganz verkommen die Trümmer von Hochgalsaun, das auch einmal seinen Namen wehrhaft bekannt machte, einst ein Gut der Herren von Schlandersberg, deßwegen auch von Herzog Friedrich in Schutt gelegt. An den Fall dieser Burg knüpft die Sage dieselbe Begebenheit, welche die Lieder von Weinsberg in Schwaben singen. Es soll nämlich dazumal eine geborne von Freiberg, die Ehefrau des Herrn von Schlandersberg, den Herzog gebeten haben, daß sie mit dem, was sie selbst aus dem Schlosse tragen könnte, flüchten dürfe. Nachdem ihr dieß zugesagt worden, habe sie ihren Eheherrn auf den Rücken genommen und an dem lachenden Fürsten vorüber in die Freiheit getragen. Bekanntlich kömmt diese Sage noch an verschiedenen andern Orten vor.

Sofort erreichten wir auch das Dörflein Staben, über dem hoch oben die schöne Burg Jufal liegt, an welcher wir voriges Jahr aus dem Schnalserthale kommend vorübergingen. [289] Am Fuß des steilen Berges, der die Burg trägt, bricht durch die enge schwarze Felsenschlucht der Schnalserbach heraus. An den jähen Wänden oben geht auch, weit her aus dem Innern des Thales, eine hölzerne Wasserleitung, welche die Einwohner von Naturns, dem nächsten Dorfe, angelegt haben, um die dürren Aecker und Wiesen an der Sonnenseite zu wässern. Auf der andern Seite ist des Wassers dagegen wieder zu viel. Da befeuchtet die Etsch weites Sumpfland und erzeugt im Sommer schwierige Krankheiten. Ueber dem Dorfe wieder ein Schloß, Namens Hochnaturns; auf der andern Seite der Etsch, etwas abwärts, ein zweites in reicher Landschaft, Tarantsberg, jetzt Dornsberg, das seinen Namen von den Edlen von Tarant führt, welche schon im vierzehnten Jahrhundert ausgestorben sind. Später kam es als tirolisches Lehen an die Annenberger und jetzt ist es der Aufenthalt der Grafen von Mohr.

Die zahlreichen Burgen des Vintschgaus sind ein großer Reiz dieser Landschaft, aber es ist so viel leichter sie zu sehen und sich an ihnen zu erfreuen, als sie dem Leser durch Schilderung vor Augen zu bringen. Glücklicherweise sind sie schon alle mannichfach gezeichnet und in englischen Stahlstichen vervielfältigt worden. Auch mit ihrer Geschichte kann sich der Vorbeiziehende nicht ausgiebig beschäftigen, und wir haben es zunächst bei etlichen Namen- und Zeitangaben bewenden lassen. So viele ritterliche Liebes- und Heldenthaten ein romantisches Gemüth in die grauen Trümmer zu verlegen berechtiget ist, so sind doch die Summarien, welche mit Hülfe vergilbter Documente über ihre einstigen Schicksale hergestellt worden, sehr dürftig. Die Erbauung der meisten fällt in die graue Vorzeit, und es hindert nichts auch in ihnen etliche von denen zu sehen, welche Horatius die arces Alpibus impositas tremendis nannte. In der historischen Zeit dreht sich ihre Geschichte zumeist um aussenden, zu Lehen nehmen, um bestrittenes, erzwungenes, zugestandenes Oeffnungsrecht, um Verkauf, Abbruch, Wiederaufbau – um Nachrichten, die dem Provincialhistoriker höchst anziehend sind, die aber der unterhaltungssüchtige Leser schockweise herlassen würde für einen interessanten [290] Jahrgang aus dem Tagebuch eines mittelalterlichen Edelfräuleins. Eine belehrende und den trockenen Stoff kunstreich bewältigende Darstellung der ritterschaftlichen Verhältnisse, wie sie nicht allein im Vintschgau, sondern hinab bis gegen Trient, im dreizehnten Jahrhundert bestanden, hat Freiherr von Hormayr am Schlusse seiner Chronik der Grafen von Eppan gegeben. Als Herzog Friedrich mit der leeren Tasche lebte, waren aber fast alle diese Burgen wieder bei ganz andern Herren. Zumal hatten nun die Starkenberger, deren Stammburg nicht ferne von Imst steht, viele feste Schlösser, so im Vintschgau wie im Etschland; Schlandersberg, Naturns, Jufal, Vorst, Schänna, Eschenloh und Greifenstein waren in ihren Händen, wurden aber eben deßwegen von Herzog Friedrich gebrochen, wobei sein Büchsenmeister Abraham von Memmingen sich viel Verdienst erwarb. Auffallend ist es daß der Anblick dieser schönen Castelle, der herrlichen Landschaft und des eigenthümlichen Volks im Etschlande noch keine Walter Scott’schen Richtungen, sey’s nun unter den Tirolern oder unter fahrenden Belletristen hervorgerufen hat. Die Ufer der Etsch können was poetische Eindrücke betrifft gewiß mit denen des Rheins in Streit gehen.

Nunmehr öffnet sich auch ein Blick durch die Kluft der Töll hinunter auf die Höhen von Meran, und die schönen Hoffnungen, die bei dieser Ansicht aufgehen, müssen trösten für etwa anderthalb Stunden Wegs, die nach all dem Reichthum der Landschaft, wie sie sich von Mals herab Schritt für Schritt erschlossen hat, fast etwas Trübseliges haben. Die Straße zieht zwischen Weidenbaümen in langer Zeile hin, rechts sind bebuschte Sümpfe und unwegsame Erlenauen, zu beiden Seiten wenig bewohnte unliebliche Berge.

Und nun war’s auch nicht mehr weit bis zur Stelle, wo links im Thale, in das ein schöner Wasserfall stürzt, das kühle Partschins liegt, mancher wohlhabenden Meraner Familie Sommerfrische, rechts dagegen das neuhergerichtete vielbelobte Egart-Bad und gerade voran die Töll, die ehemalige Zollstätte, deren großes Gebäude noch jetzt an der Straße steht, hoch berühmt wegen der herrlichen Ansicht der Gefilde von [291] Meran, die da zum erstenmale in all ihrem paradiesischen Reichthum sich auseinander legen. Da sah ich sie mit Freuden wieder die Burg von Tirol und den hohen Thurm des Städtchens und alle die Schlösser und Dörfer und Höfe und Kirchen und Capellen, die auf den Bergen herum und hinauf liegen bis zu St. Katharina in der Schart und hinab bis an die Mendel, die den Boznern in die Gassen schaut, alles verbunden durch schöne Auen, durch die Bogengänge der Reben und die buschigen Obstbaumwälder, alles so feierlich angemeldet durch die Donner der Etsch, die hier weißschäumend in das tirolische Eden hinunterspringt. Und erst das laute Entzücken, in das der nordische Gefährte ausbrach, als er zum erstenmale im Leben dieser südlichen Schönheit in die Augen sah. Was war da zu sagen und zu deuten bis nur einmal das Schönste von all dem erklärt war, so wir auf Stunden hinaus im warmen Licht der Nähe, im blauen Duft der Ferne erblickten. So gingen wir heiter und frisch, plaudernd und schweigend, aber nachhaltig erstaunt und bewundernd auf der Heerstraße fort, die sich in sanfter Senkung abwärts zieht. Reichbelaubte Kastanienbäume säuselten leise ober unsern Häuptern. Allerlei malerische Häuser und Hütten stehen an dem Wege, halb verdeckt vom Laubwerke, grün umgürtet von den Weingeländen, die Herbergen schlanker Männer und schöner Mädchen, die jetzt von des Tages Arbeit heimwärts zur Ruhe zogen. Dann kamen wir auch wieder unter den Lauben durch, die mit dichten Schatten sich über die Straße wölben, von einem Rande zum andern und voll von Trauben hängen. Die höchste Ehre im niedlichen Aufputz der Landschaft muß man in der That der Rebe lassen – ihre bacchische Fruchtschnur geht überall hin, wo es etwas zu verzieren gibt, über Felsen und Bäume, an den Häusern hinauf und in die Stuben hinein und sogar um die Crucifixe schlingt sie sich und umwindet den Erlöser mit ihrem erfrischenden Laub und hängt dem leidenden Christus ihre blauen Trauben kühlend über die Brust.

[292]

Meran und seine Umgebung.



Meran ist eine kleine Stadt und hat nur eine Gasse, aber eine hübsche Gasse mit Bogengängen, hier wie in Bozen Lauben genannt, die freundlicher und offener als in der Nachbarstadt, in den heißen Stunden wie beim Regenwetter ein behagliches Lustwandeln gestatten und in der Zeit der Früchte der Sitz der liebenswürdigen Obsthändlerinnen sind, die den Pilger, der im Anfang der Saison in der beglaubigenden Reisejacke vorüberschreitet, so freudenvoll begrüßen, wie Vater Noah seine Taube, als den ersten Vorboten der schönen Zeit, die so viele Fremde bringt, welche einer schwachen Lunge sind und mit dem süßen Traubenfleisch Schlund und Brustkasten auskalfatern und die Lücken zupichen wollen, die der deutsche Winter hineingerissen hat. Besonders anziehend wird der Gast diese Lauben auch an Sonn- und Feiertagen nach dem Gottesdienste finden, wo das Landvolk, das nach altem Herkommen gern zur Predigt in die Stadt geht, hier sich plaudernd zusammenstellt und in seiner trefflichen Tracht und seiner körperlichen Schönheit eine vorzügliche Augenweide darbietet.

Die Gegend um Meran, die man später das Burggrafenamt nannte, ist das Haupt- und Stammgut der alten Grafen von Tirol gewesen und daher kommt es daß Meran, lange Zeit dieser Herren einzige Stadt, im Ansehen die erste des Landes wurde und auch Residenz blieb, als nach dem Erlöschen der Andechser die Besitzungen im Inn- und Wippthale mit den alten tirolischen Herrschaften vereinigt worden, bis endlich Friedrich mit der leeren Tasche den Grafensitz in das junge [293] Innsbruck verlegte. Von der Höhe seiner mittelalterlichen Blüthe ist das Städtchen indessen schon vor langen Jahren herabgestiegen. Als das Hoflager fortwanderte, zog viel reicher Adel aus der Gegend weg; die berühmten Jahrmärkte verwelkten an der wachsenden Bedeutung der Bozner Messen, und durch den neugeöffneten Kuntersweg am Eisack verlor der Paß über den Jaufen nach Sterzing seine meisten Kunden. Dazu kamen noch die häufigen Verheerungen der Passer, so daß oft für Menschenalter eine trübselige Verarmung herrschte in der ehemaligen Landeshauptstadt, welche gleichwohl noch in unsrer Zeit auf den Landtagen allen andern Tiroler Städten vorgeht. Auch steht heutzutage unter den Häusern der Stadt noch eines, das jetzt dem Fürsten Taxis gehört, das Kelleramt, wo vor Zeiten die Grafen von Tirol Hof gehalten, mit der Capelle in welcher Margaretha Maultasch Ludwig dem Markgrafen zu Brandenburg und zu Lausitz, des heiligen römischen Reichs oberstem Kämmerer, getraut wurde, nachdem sie Herzog Hansen von Luxemburg, dessen untüchtiger Liebe sie nicht froh werden konnte, davongejagt.

Meran wird kaum einen prächtigern Tag gesehen haben als den zehnten Hornung 1342, wo der Kaiser und der Markgraf von Brandenburg, Herzog Ludwig der Römer und Stephan von Bayern, zwei Herzoge von Teck, die Bischöfe von Augsburg, Regensburg und Freising, zwei Grafen von Schwarzburg, darunter jener Günther, der später Gegenkönig wurde, die Grafen von Görz, Werdenberg, Kirchberg, Katzenellenbogen und viele andere Ritter aus Deutschland und Wälschland, in ihrer Mitte die schöne Braut von Tirol durch die Laubengasse ritten, um sich nach der Trauung in feierlichem Zuge auf das Hauptschloß zu begeben, wo in dem grauen Thurme, der noch jetzt gezeigt wird, das fürstliche Beilager gehalten wurde. Jenes Kirchlein aber im Kelleramt und seine Sakristei schmücken wunderliche Fresken, die man einem Christoph von Meran zuschreibt, der zu Margarethens Zeit gelebt hat und als der erste namentlich bekannte Tiroler Maler gilt. „Hart daran stoßen ein paar Gemächer, ehrwürdig wie man sie selten findet, unentstellt erhalten in ihrer ältesten Art. Des [294] braunen Getäfels Fügung und Ornament, die behaglichen Wandbänke, der sonnige Erker, wie der zierlichst bemalte und gemodelte Ofen, vor allem vier Wappenbilder, meisterhaft geschnitzt, ober den Thüren deuten auf die Zeit ihrer Einrichtung, den Anfang des fünfzehnten Jahrhunderts. Der Bindenschild und die fünf Lerchen reden von einem österreichischen Herrn, der Tiroleraar bezeichnet ihn als Landesfürsten, der braunschweigische Löwe gilt als Zeichen seiner Hausfrau. Die Schilde alle bezeichnen uns Herzog Friedrich mit der leeren Tasche als den, der diese Stuben eingerichtet. Man weiß, daß er im Jahr 1414 im October zu Meran Papst Johann XXII empfing, der, seinem Geleite sich überlassend, gen Constanz zum Concilium fuhr. Damals mögen diese Gemächer den Kirchenfürsten und seinen Gonfalonier beherbergt haben. Später, als der „Getreue" seine Redlichkeit mit Acht und Bann büßte und mit dem Adel seines Landes focht, der, auf alten Landesbrauch trotzend, den Fürsten nur neben, nicht über sich dulden wollte, schirmten die stillen Stuben wohl auch den geplagten Herrn, wenn er müde heimkam mit seinem Bauernhäuflein, das ihm die Burgen brechen half.“*)

Die Meraner Pfarrkirche rühmt sich des höchsten Thurmes in Tirol und ist auch sonst ansehnlich und würdig, an den Außenwänden gleichfalls noch mit alten Gemälden geziert. Sie wurde von Margarethens Vater, jenem Könige Heinrich von Böhmen erbaut, nicht ohne daß ihm eine wohlhabende Bürgerin Vatlina Hemelin mit ihren reichen Mitteln dazu geholfen. Im hohen Thurm hängen sieben Glocken, wohlgestimmt und in klangreichem Accorde ertönend, übrigens mit beschwerlichem Dienste belegt, denn die Meraner Küster gehören zu den fleißigsten dieser Welt. Auch hat man noch nirgends in Deutschland so seltsame Glockenkünste bemerkt, wie hier, wo an den Feiertagen wunderlich wechselndes Geläute erschallt, mit spannenden Pausen, tiefernstem Solo, heitern Duetten, überraschendem Unisono und so fort. Die stolzen englischen [295] Städte, die ihre Ueberlegenheit in der schwierigen Wissenschaft des change-ringing, des Wechselläutens, so sehr zu preisen wissen, finden in Meran ihre Nebenbuhlerin, und die dortige Thurm- und Läutgesellschaft ist wohl befugt selbst dem berühmten Lancashire-bell-ringing-club den Handschuh hinzuwerfen. Das Innere der Kirche hat in der Ausschmückung nichts Alterthümliches mehr, dagegen etliche Gemälde von Martin Knoller, dem hochgefeierten, und eines, die Heiligen Sebastian, Rochus und Fabian darstellend, von Christoph Helfenrieder, einem Münchner Maler, der eine junge Frau hatte und bei ihr eines Tages im siebenzehnten Jahrhundert einen jungen Officier traf, diesen erstach, mit jener floh und sich ins stille Thal von Schnals begab, wo er bei den Karthäusern seine Kunst übte, und dann nach Meran, wo er ebenfalls malte und starb. Im Friedhof um die Pfarrkirche her liegen die seligen Meraner und mit ihnen im kühlen Grabe auch schon mancher, der der Genesung wegen aus der Ferne hiehergekommen, zu spät hieher gekommen, wie die Eingebornen sagen, denn sie behaupten, wer zur rechten Zeit komme, der müsse genesen.

Ein anderes schönes Gotteshaus steht außerhalb der Passerkirche und ist die Kirche des Spitals. Das gothische Portal zeigt oben einen besonders zierlichen Junker und eine fromme Frau, die auf beiden Seiten Gott Vaters knien, welcher den gekreuzigten Heiland in den Händen hält. Mit diesen Gestalten sollen Herzog Meinhard II und seine Gemahlin Elisabeth gemeint seyn, welche die ersten Gründer des Spitals waren. Im Innern ragen und ziehen die Pfeiler leicht und von hellem Lichte durchwebt empor in der schmucken Weise unsers alten Styls. Die schönen Glasgemälde an den Fenstern sind nicht zu übersehen und auch auf den Thürflügeln der alten Orgel sind innerhalb noch gute vorzeitliche Gemälde erhalten. Auf der rechten Seitenwand ist die traurige Chronik der Ueberschwemmungen aufgeschrieben, die aus dem Wildsee in Passeyr über Meran zerstörend hereinbrachen. Es werden vom Jahre 1419 bis zum Jahre 1774 ihrer acht besonders schädliche hervorgehoben. Deßwegen konnte auch Lertha, der Dichter von Kains, mit Recht von der Passer sagen:

[296]
Maia, Meran! dir nähr’ ich mit Holz die Flamme des Herdes;

Doch als theures Entgelt nehm’ ich die Mauern dir oft.

Vom Spitale wieder über den Bergstrom zurückschreitend, kann man linker Hand die Wassermauer betreten, ein schönes Stück Damm zur Abwehr der Wildfluthen, breit und räumlich angelegt, mit buschigen Pappeln und stillen Ruhebänken besetzt, ein angenehmer Spaziergang zumal des Abends, mit offener Aussicht auf die Maiser Schlösser und den Freiberg, auf das Thal hinab gegen Bozen und auf die Gebirge jenseits der Etsch. Das schöne Volk von Meran kommt in gewöhnlichen Zeiten lustwandelnd nicht viel weiter, als auf diese Mauer. Die Einheimischen erachten den Platz für ausreichend zu ihrer Bewegung und überlassen den Fremden gerne das zwecklose Strolchen in ihrem Paradies. Die Leute in der Nachbarschaft wissen es auch sehr wohl, daß sie nicht zu fangen sind die Städter und geben sich keine nutzlose Mühe. Daher kommt es auch daß man für die entzückenden Wanderungen in den Rebenhügeln herum wenig oder gar keinen entsprechenden Ruhepunkt findet, was jetzt, da sich die spazierlustigen Curgäste von Jahr zu Jahr mehren, allmählich ein empfindlicher Mangel wird. Es ist unsers Wissens in der ganzen Umgegend von Meran noch kein kluger Wirthskopf aufgestanden, der es versucht hätte eine schöne Laube herzurichten, Tische, Stühle und Bänke hineinzusetzen und einen lieblichen Blumengarten davor zu pflanzen, etliche Castanienbäume bequem zu stellen und das Wachsthum so aufzuräumen daß die Aussicht offen würde. Jene heiteren Feiertagspartien, wie sie sonst in Süddeutschland üblich, wo man mit gesammtem Hauswesen und guten Freunden auf reizende Lustplätze zieht, in der Rebenlaube oder unter den Linden den Abendimbiß einnimmt, nebenbei Kegel schiebt und Lieder singt – diese Verzierungen des irdischen Lebens sind hier nahezu unbekannt. Die sonstigen Ergötzlichkeiten im Jahreslauf sind auch bald zusammengezählt. Die zwei Kaffeewirthe halten jährlich im Fasching zwei oder drei Bälle, die von Masken gerne besucht werden, wie denn überhaupt die alte deutsche Lust am Mummenschanze hier noch fröhlich grünt und auch die untern Classen sich das Vergnügen, [297] einmal des Jahres in einer andern Jacke zu erscheinen, nicht versagen. Ein paarmal während dieser Zeit verschafft auch der gutgeübte und lobenswerthe Musikverein etliche Unterhaltung. Darnach wird’s wieder sehr ruhig. Abendgesellschaften kennt man nicht, wohl aber Einladungen zur Marende. Man ißt hier gewöhnlich um eilf Uhr zu Mittag und nimmt um drei Uhr ein Vesperbrod, welches man die Marende nennt. Dazu laden denn hin und wieder die Frauen ihre Freundinnen und allenfalls die Ehemänner derselben. Die Marende, wenn sie als gastlicher Imbiß auftritt, besteht aus Kaffee mit „halbgeschlegelter“ Butter, aus Wein und großen Trachten von kalten Speisen. Sonst ist die Besuchzeit Sonntag Vormittag, wo man sich nach der Messe in feiertäglichem Putze Aufwartung macht. Die Meraner Familien fühlen sich so viel man hört sehr behaglich in dieser stillen Art des Lebens, und es ist daher auch kaum räthlich ihnen mehr Vergnügen aufreden zu wollen. Am wenigsten Trieb dazu möchten die Fremden empfinden, da ihrer in neuerer Zeit immer eine solche Anzahl vorhanden ist, daß sie wohl unter einander selbst Gesellschaft und Zeitvertreib genug zu finden haben. Mancher gute Plan mißlang auch schon und gleich der Gedanke, in einem der letzten Winter nach dem Muster des Ferdinandeums in Innsbruck wissenschaftliche Vorlesungen zu geben, scheiterte an Hindernissen, die nicht in den Ringmauern der Stadt selbst zu suchen sind. Bei solchen Umständen ist es allerdings fast wunderlich, wenn Pater Albertus der Capuciner, in seinen Predigten immer wieder auf die sündlichen Weltfreuden und die vielfältigen und unausgesetzten Lustbarkeiten der Meraner strafend zurückkommt und so viel Redens davon macht, daß in dieser Zeit einmal ein hypochondrischer Curgast mit größtem Fleiß zu ihm lief, bittend er möchte ihm um Gotteswillen sagen, wo diese Unterhaltungen vorgingen, indem er nahe daran sey vor Langweile zu bersten. Jetzt hat’s der fromme Dekan auch dahin gebracht, daß an den Sonntagen die Buschen (Weinschenken) und die beiden Stadtbillarde bis vier Uhr unzugänglich sind, und der schönste Traum, den er hat, ist die baldige Abschaffung des weltlichen Tanzens bei den Jahrtagen der Handwerker. – Die jüngeren [298] Herren von Meran treffen sich Nachmittags in Herrn Paris Kaffeehause, Abends da oder dort beim Weine. Wer sie kennen gelernt, wird gefunden haben, daß sie eines fröhlichen Muthes sind, dem Fremden in allem gerne an die Hand gehen und das Mögliche thun, um ihm den Aufenthalt angenehm zu machen. Auch Herr Bürgermeister Haller hat es sich seit Jahren so sehr angelegen seyn lassen den Gästen, welche in seinem Meran Zerstreuung oder Genesung suchen, alle Freundschaftsdienste zu erweisen, daß es wohl erlaubt ist ihn als liebreichen Patron der Pilgrime geziemend zu preisen.

Unter den Gasthöfen der Stadt ist der erste die Post mit schöner Aussicht aus ihren Fenstern. In den Herbstmonaten ist das ganze Haus voll Fremder und an der Tafel sitzen oft mehr als ein halbes Hundert. Mit der Küche sind nicht allein die Deutschen zufrieden, sondern auch die Engländer, und eben wegen seiner vortrefflichen Mittagmähler, die sich durch auserlesene Fische und seltenes Wildpret hervorthun, wegen seiner Tischtücher, die dem frisch gefallenen Schnee gleichen, wird es von Henry Inglis, dem englischen Reisenden, excellent genannt, excellent in the best sense of the word.

Nachdem wir so lange mit zimmerlichen Belangen uns beschäftigt, gehen wir desto lieber vor die Thore. Vor dem Thore aber erfreut uns immer wieder diese prächtige Zusammenstellung von beschneiten Höhen, die von finstern Tannen starren und von warmen Thalgründen, in denen Wein und Südfrüchte wuchern, von der rauhen Größe nordischer Gebirge und der milden Seligkeit hesperischer Landschaften. Und darin dieser unerschöpfliche Schatz von ritterlichen Burgen, von uralten Kirchlein und malerischen Bauernhäusern im Rebengelände unter bejahrten schattigen Bäumen! Lassen wir die Augen in die Runde gehen, so nehmen sie aus dem Reichthum wohl zuerst das Schloß Tirol, die alte, römische Veste, dann das Landespalladium, das jeweils in der Hand des Herrn seyn mußte, dem die Tiroler huldigen sollten. Das Hauptschloß, wie es die Bauern heißen, blickt von seinem lockern Sandberge noch ansehnlich in das Burggrafenamt herunter, einst von Brunnenburg und Durnstein, zwei wehrhaften [299] Burgen, behütet, von denen die eine ganz, die andere schier halb verfallen ist. Das winzige Kirchlein von St. Peter steht neben ihm auf dem Rebenberg, das älteste Bethaus der Gegend, welches die Sage zu einer Zeit erbaut werden läßt, als nur erst sieben Christen in der Gegend lebten. Darunter liegt Algund, das schöne Dorf in seinem Obstbaumwald, darüber hinaus Partschins mit seinem Wasserfall, allbereits oben in dem kühlen Luftzug des Vintschgaues, der vom Ortles herniederströmt. Von dieser Seite fluthet die Etsch herein, die von der Töll ab schäumend zu Thale fällt. Dann folgt der Marlinger Berg, oben mit weißen Höfen besäet, von Kornfeldern glänzend, und mit Weinlaub umgürtet; an seinem Fuße das schwarze Gemäuer der Burg zu Vorst, das mit Epheuranken schön verkleidet ist; weiter hin die graue Kirche von Marling und das Schloß von Löwenberg, ein vieldachiges, weithin gesehenes Gebäude. Neben der schönen Schlucht, die den Eingang ins Ultenthal anzeigt, erscheint das Dorf von Lana, mit seinem hohen Thurm an der gothischen Kirche. Ferner die Ruinen von Brandis und endlich über Erlenwaldungen und dem breiten Bett der Etsch hin im blauen Duft die Thürme der herrlichen Burg zu Eppan, des Horstes der hochfährtigen welfischen Eppaner, die einst der Grafen von Tirol mächtigster Widerpart, und die rothe Mendel, die ihre hohe Nase stolz über Bozen aufzieht, und noch weiter draußen in der Ferne die weißlich blinkenden Bergfirsten von Deutschenofen und Weißenstein.

Dicht ober der Stadt dagegen steht in Weinbergen der alte Thurm, von dem Niemand mehr zu sagen weiß was er ehedem bedeutet, und nicht weit davon liegt auf hoher Klippe über der rauschenden Passer die altergraue Veste Zenoburg mit der Aussicht in die haldenreiche Schlucht des Passeyer und der Veste gegenüber Mais, das ehrwürdige Dorf auf dem eingefallenen Schutt des Ifingerberges, uralten Namens als römische Pflanzstadt. In dieser Gegend und an den Halden des Freiberges hin zwischen dem platten Grün der Wiesen und dem gekräuselten Grün der Reben ist jene vielzählige Lagerung von mittelalterlichen Schlössern vom hohen Fragsburg [300] zum stolzen Schänna, etliche zwanzig in allem, theils wohlerhalten, theils halb und ganz verfallen. Auf den Halden von Mais, zwischen Schlössern, Villen und Bauernhäusern, zwischen Weingärten und Auen, unter alter Bäume Schatten, wo Bachesrauschen und Brunnenrieseln und Vogelgesang durch das Säuseln des Laubes tönen – dort sind die schönsten Gänge für den kühlen Abend wenn die Sonne im warmerleuchteten Vintschgau untergeht. Wie viel tausend poetische Spielereien der Natur sind da anzutreffen, welche reizende Ueppigkeiten des Wachsthums, und wie zauberisch ist die grüne Heimlichkeit dieser Weingüter, unter deren Lauben in kühlem Halbdunkel der rauschende Mais aufschießt und der prahlende Kürbis schwillt. Ueber dem ganzen Burggrafenamt liegt ein mittelalterlicher Duft – aber das Gedächtniß ritterlicher Herrlichkeit erwacht nirgends so lebendig, als auf den Halden von Obermais. Sie sind ein elegischer Anblick, diese verlassenen Burgen in den Trümmern ihrer Pracht. Da finden sich marmorne Treppen, die zu morschen Thüren führen, welche Niemand mehr öffnet, byzantinische Säulengänge, wo kein Fußtritt mehr erschallt, Capellen, in denen keine Seele mehr betet, steinerne Ruhesitze unter Nußbäumen, wo kein Reisiger mehr rastet, und zackige Zinnen über die kein Pfeil mehr fliegt. Cypressen ragen schweigend über die Mauern, auf den finstern Thürmen knarren verrostete Wetterhähne in die tiefe Stille und die Abendsonne scheint vergoldend darein. Hier wären vortreffliche Plätze um Rittergeschichten auszudenken – Rittergeschichten, die in denselben Sälen spielen müßten, in denselben Säulengängen und unter den nämlichen Nußbäumen und Weinlauben, die wir jetzt noch vor Augen haben. Aber auch da hat sich leider noch Niemand daran gemacht, die Herren und Frauen, Jungherren und Fräulein, die da ehemals ihres Lebens genossen, im wechselvollen Knäuel eines historischen Romans vorübergehen zu lassen. Doch würde es nicht schaden, wenn die vergessenen Geschichten einmal wieder erzählt werden, denn hier ist, wie wir bemerkten, bei Städter und Landmann sehr wenig Erinnerung geblieben an die Zeiten, die da einst unter Fehden und Landtagen, unter Waffenspiel und Minnegesang [301] dahinrauschten. In diesen unsern Tagen sind ohnedem die meisten jener Schlösser in den Händen der Landleute, und der Bauer hält fast zu wenig auf Thürme und Warten, auf Banketsäle, Waffenkammern und Frauengemächer. Er hat sich im Kleinen eine alte Gesindestube zur Wohnung restaurirt und läßt das Uebrige der Zeit trotzen so lange es vermag, oder wo in den letzten Jahrhunderten noch Herren auf den Gütern saßen, da geht er jetzt mit seinen Eisensohlen über den empfindlichen Parketboden und wärmt seine nackten Knie an den wälschen Kaminen und schneidet sich aus den hinterlassenen Ahnenbildern seinen Ofenschirm – der Industrielle.

Dieß Alles soll indessen nur eine flüchtige Ueberschau seyn, und um die Gegend näher kennen zu lernen, müssen wir nothwendig etliche Spaziergänge machen. Der erste Gang gilt aber dem Schlosse Tirol, denn dieß ist „der graue Pathe, der das Land nach sich genannt für ewige Zeiten.“ Der nächste Weg führt aus dem Friedhofe bei der Pfarrkirche empor in steilen Stufen, ziemlich schmal und holpericht. Der Berg, an welchem der Steig lange über den Dächern und Giebeln der Stadt sich hinzieht, heißt der Küchelberg und betrachtet sich wie ein vorgeschobenes Polster, das ziemlich gleichförmig abgerundet an die Füße der höhern hintenliegenden Jöcher hingelegt ist. Man hat von dieser Höhe eine gute Aussicht über die Stadt und ihre zwischen dem Bach und dem Berge eingeklemmte Lage.

Ein anderer Weg, etwas weiter, aber auch etwas bequemer geht durch das Passeyerthor und an der Passer aufwärts in die Höhe, wo die alte Zenoburg zur Seite liegt, auf einem schwarzen Schrofen, welcher senkrecht aus dem Bette des tosenden Wildbachs aufsteigt. Die Zenoburg ist auch verfallen, wie die meisten ihrer Schwestern. Braunes Mauerwerk von dichten Epheutapeten überdeckt schließt den Ring ab. Durch ein hölzernes Pförtchen tritt man ein. Innen ist ein leerer Burghof, felsig, höckerig; alte Reste bezeichnen noch hie und da den Gang der ehemaligen Mauern. Links erhebt sich ein fester Thurm, in dem ein uraltes düsteres Baumannsstübchen. Nebenbei findet sich eine kleine Cisterne, um welche eine spätere [302] sinnige Hand etliche Trauerweiden gepflanzt; rechts gerade über dem gähnenden Schlund, durch den die Passer sich einen Weg gebrochen, steht die alte Schloßcapelle, jetzt entweiht, noch immer viel besucht und beschaut sowohl wegen des Portals mit seinen gnostischen Ungethümen, die so schwer eine Erklärung zulassen, vielleicht auch gar keiner empfänglich sind, als wegen der schönen Sammlung von allerlei Alterthümern, welche die Familie der jetzigen Burgherren, die Herren von Braitenberg, da zusammengebracht. Man findet hier verschiedene merkwürdige Kunstgegenstände, altes Hausgeräthe, alte Waffen, auch eine Truhe voll mittelalterlicher Knochen, worunter vielleicht manche landesfürstliche, nämlich gräfliche Görzer Gebeine. In einer Schublade liegen alte Pergamente zum Theil noch aus der Zeit des görzischen Meinhards, andere die von König Heinrich auf dieser selben Zenoburg gefestet worden sind. Die Wandschränke verbergen eine Sammlung von alten Handschriften, die auf die Landesgeschichte Bezug haben, und viele ältere kostbare Drucke, wie sie selten mehr in Privatbibliotheken gefunden werden. Nicht ohne Vergnügen wird man auch ein pergamentnes Stammbuch durchblättern, das sich Jakob Kolz zu Freiegg, der Enneberger, ums Jahr 1590 angelegt. Dahinein haben Bekannte und Verwandte ihre Wappen zierlich malen lassen und einen Spruch dazu geschrieben, deutsch, lateinisch, französisch oder spanisch, woraus abzunehmen, daß zu jener Zeit der tirolische Adel sich stark mit fremden Sprachen beschäftigt habe. Unter den deutschen Devisen ist manche ansprechende die man sich merken sollte, wie z. B. Gottes Will hat kein Warumb: oder was Frau Maria Wendlin, geb. Badolt, einschrieb:

Schweig, leid und lach:

Gedult überwint alle Sach.

Hier also in diesem Umfang, wo Capelle und Thurm, marmorne Thür- und Fensterpforten und zerbrochenes Gemäuer nur leise an die alte Herrlichkeit gemahnen, hier hat einst König Heinrich, der Kronansprecher von Böhmen, Hof gehalten, umringt von froher Ritterschaft, von adeligen Sängern, von blühender unehelicher Jugend und von seinem legitimen Töchterlein [303] Margarethe, die später von einem Schlosse bei Bozen den Beinamen Maultasch bekam. Dieses Mädchen, das in der Geschichte von Tirol so bedeutsam wurde, hat sich auch im Volke ein dauerndes Angedenken gestiftet. Von vielen Schlössern behaupten die anliegenden Bauern, sie seyen Margarethens Sommeraufenthalt gewesen, oder wenn sie es jetzt nicht mehr behaupten, so haben sie es wenigstens gethan, denn auch Margarethens Gedächtniß wie das Herzog Friedels ist auf dem Lande sehr erblaßt, und die schöne Gräfin von Tirol lebt fast nur mehr im Munde bücherlesender Städter. In einem Stücke darf sich die Fürstin nicht beschwert erachten, wenn man ihrer vergißt, nämlich wegen des Leumunds ihrer weiblichen Tugend. Dieser ist sehr getrübt, und leider nicht allein in der Sage, sondern auch in der Geschichte. Die Tiroler Maler pflegten sie früher oft als Wahrzeichen anzubringen, immer ganz nackt, nur mit ihren goldenen Haaren bedeckt, und das Volk nannte jedes nackte Frauenbild, das keine Eva war, eine Maultasch. Schon Kaiser Max hat laut seines Tagebuches ein solches „schandbares Gemäld“ am abgetragenen Wappenthurm zu Innsbruck übermalen lassen und ein andres am goldnen Dachl wurde noch im vorigen Jahrhundert vertüncht, weil das Volk es gerne beschaute und über die „Herzogin von Meran“ unsaubere Reden führte. Der Ruf der Gräfin unterliegt indessen gegenwärtig einiger Reinigung. Hormayr nennt zwar die schöne Fürstin noch in neuester Zeit ein verliebtes Ungethüm, aber unter den treuen Tirolern findet sich wieder mancher Kämpe, der den Handschuh für sie aufnimmt. So ist schon im Jahre 1832 ein Ungenannter in den Beiträgen für Tirol und Vorarlberg aufgetreten und hat ihr einen natürlichen Sohn, mit dem sie bereits in vielen Büchern herumgezogen, glücklich wieder abgejagt. Den Schandfleck verdankte sie ihrem Schwager, Kaiser Karl IV. indem dieser in seiner selbstverfaßten Lebensbeschreibung von einem f. naturalis seiner Schwägerin spricht, welcher 1339 eine Verschwörung gegen Johann von Luxemburg angesponnen. Nun zeigt aber Anonymus, daß Margaretha nicht, wie andre angenommen, 1307, sondern 1318 geboren und daß daher der natürliche Sohn [304] 1339 kaum fünf oder sechs Jahre hätte alt seyn können – ein Lebensalter, in dem man sich noch nicht verschwört. So ist also ein filius naturalis eine Unmöglichkeit und das f. muß als frater angesehen werden. Nach der andern Annahme, die Margarethens Geburt ins Jahr 1307 setzt, kann man das Alter dieses Sohnes allerdings auf sechzehn oder siebenzehn Jahre bringen, aber nur dadurch, daß man die Königstochter im fünfzehnten oder sechzehnten Jahre außerehelich Mutter werden läßt. „Und, sagt Anonymus, wer fühlt nicht das Unanständige und das mehr Verwegene als nur Gewagte einer solchen unerwiesenen Behauptung oder Vermuthung gegen eine so junge noch unverehlichte Prinzessin?“ Diese Sache scheint also abgethan, aber die naiven Worte auf Margarethens Becher in der Ambraser Sammlung: Langer Liebesmangel ist meines Herzens Angel – diese Worte scheinen doch keine leere Prahlerei zu seyn, und mit Petermann von Schänna scheint’s auch seine Richtigkeit zu haben, und mit vielen andern edlen Herren und Rittern auch, und wie man behauptet, soll sie die Passeyrer zu „ihren nächsten Kämmerern“ ernannt und ihnen manche schöne Freiheit gegeben haben, nicht allein als Belohnung für ihre Treue, sondern auch für ihre Liebe. Uebrigens hat die Prinzessin in ihrer Jugend auch nicht die besten Beispiele um sich gesehen, denn ihr Herr Vater, der König Heinrich, war selbst kein Tugendspiegel.

Schloß Zenoburg ist den Freunden der tirolischen Literatur auch dadurch bedeutsam geworden, daß Dr. Johann Schuler es zum Schauplatz einer Novelle gewählt, die den Titel: Liebeswahnsinn führt, eine wahre Begebenheit zur Grundlage haben soll und unter den wenigen tirolischen Novellen für die beste erachtet wird. Sie findet sich in den Alpenblumen aus Tirol, einem Taschenbuch für das Jahr 1828. Allen denen, die vorigen Herbst in Meran waren, wird die Ruine aber in süßer Erinnerung bleiben wegen des Winzerfestes, das die Bürger der Stadt, hingerissen von dankbaren Gefühlen gegen ihre fremden Gäste, diesen dort bereiteten. Die Idee war zu Meran so neu, daß sie nothwendig Anstoß finden mußte. Ein fürsichtiges Wesen aus der guten alten Zeit – jeder Zoll ein [305] Zopf – wollte, obschon es nichts darein zu reden hatte, gleichwohl die günstige Gelegenheit, sich zu blamiren, nicht vorübergehen lassen, und legte ein Verbot auf das Fest. Derlei Beehrungen der „Ausländer“ seyen in der tirolischen Landesgeschichte unerhört, und eine solche Neuerung nicht erträglich; den Fremden sey alles zuzutrauen; sie wären am Ende boshaft genug, die fünfunddreißig Bundesflaggen wehen zu lassen, Was ist des Deutschen Vaterland zu singen, Oesterreich und dessen Zukunft leben zu lassen oder einen Toast auf die deutsche Einheit auszubringen, wie ihn Erzherzog Johann am Rheine ausgebracht. Das könnte Aufsehen machen, Aufsehen zu Innsbruck, Aufsehen zu Wien, Aufsehen überall. Die Meraner Bürger aber ließen sich von ihrem Vorsatze nicht abbringen. Ob Aufsehen oder nicht, sey ihnen gleichgültig; die tirolische Landesgeschichte könne diese und manche andre Neuerung ohne Schaden aufnehmen; das Fest sey den Gästen angesagt und könne nicht unterbleiben, ohne sie zu beleidigen; sie hätten keine Gründe sie zu verletzen, aber alle Ursache sie liebreich und ehrenvoll zu behandeln; sie würden sie höchstens bitten, die Bundesflaggen und die Toaste wegzulassen, um die Schwachen nicht zu erschrecken. Die Gemüther wurden schwierig und einzelne Würdenträger mitten in der Nacht aufgeschellt, um in den Rath zu kommen. Das Fest fand aber statt.

„Die alten übriggebliebenen Mauern schienen wie freudig erstaunt, der trotzige Thurm, von dem wieder einmal eine heitere Fahne flatterte, schaute verwundert nieder in den Jubel der sich so plötzlich eingelagert unter den Büschen und Trümmern, zu denen sich sonst kaum ein verfolgtes Vöglein flüchtet oder ein Wanderer versteigt, der in Ruhe ausblicken möchte nach den Thälern der Etsch und der Passer. Sie gedachten wohl ihrer jungen Jahre als statt des Eppichs goldene Gewebe sie deckten, und in ihrem Schutze König Heinrich seiner Tiroler Grafschaft Zinsen und Gaben verschwelgte dem böhmischen Königstitel zu Ehren, und sein Töchterlein Margarethe in ihrem Schatten zu der üppigen Rose erblühte, die Reiz und Dorn gleich gut zu gebrauchen verstand. Sie meinten wohl, als sie die langen gedeckten Tafeln sahen, die Lasten [306] lockender Etschlandsfrüchte und die vollen Becher, als die schönen geputzten Frauen umherwandelten, die hellen Gesänge laut wurden, und die Trompeten schmetterten, es seyen die alten Tage rückgekehrt und der lustige Burgherr sey eingezogen mit seinem Hofhalte zum Banket, Herr Rüdeger von Rubein oder der von Sonnenburg singe maifrische Minnelieder, und das Ländlein werde immergrüne Festkränze tragen, wie damals als von den Flächen herein Frau Romanzia mit ihrem Schatzkästlein voll Liedes- und Lebenslust sich in seine Berge flüchtete. Wenn man in dem bunten Gewühl die mannichfachsten Abarten deutscher Zunge vernahm, schwäbisches Singen neben der haarscharfen reinen Redeweise des Hannovrers, das weiche Berlinische, wie das breite Münchener Deutsch und das derbe Tirolische überall daruntergemengt; wenn man dann in allen diesen Mundarten dasselbe fröhliche Thema verstand: „daß es nicht leicht auf deutschem Boden eine Stelle gebe, wo solche Stunden sich herrlicher genießen ließen“, da mochte man gern denken: hierher flüchtete sich die Lebensfreudigkeit des deutschen Volkes, hier hält sie ihre Traubenlese und jubelt keck hinein in die nahen wälschen Marken: „Wie fein ist’s hier auf meinen letzten Hufen und bei meinen letzten Söhnen!“ Es sah sich so gut mit an, wie Fremde und Einheimische wohlgemuth sich labten an den edlen Herbstgaben, und daneben lachenden Blickes auslugten in die freie Weite, wo das Sonnengold herübergrüßte von allen Höhen, blaue Schatten traulich winkten und rings die Burgen lauschten wie in den gebrochenen Hallen der Nachbarin so plötzlich die lauteste Hochzeit spuke, wie der wilde Passeirerwind die aufgepflanzten Waffenbündel klirren und die Banner tanzen machte, wie dann Abends aus allen Sträuchen gleich leuchtenden Blumen bunte Lampen aufwuchsen und rothe Feuer aus den Ruinen glühten. Spät erst irrlichtelten die Fackeln herab nach der Stadt, bei deren Schein die Geladenen mit ihren Wirthen heimzogen, alle höchlich befriedigt und in bester Laune.“*)

[307]

Von Zenoburg trachten wir also, wie oben verabredet, nach dem Schloß Tirol. Der Weg fällt in einiger Entfernung mit dem zusammen, der aus der Stadt über den Felsen hinaufgeht. Rechts hinein eröffnet sich das Passeirerthal, dessen Eingang zur einen Seite meisterlich vom Schlosse Schänna, zur andern von den Dörfern Kains und Riffian geziert wird. Das Kirchlein zu Kains mit seinem Sattelthurm sieht wie neugierig aus den Weinbergen und genießt einer herrlichen Aussicht. Es wurde ursprünglich im achten Jahrhundert, zur Zeit als noch die bayerischen Agilolfinger bis ins Etschland herein geboten, von dem heiligen Korbinian erbaut. Damals war diese Gegend von den Durchzügen der deutschen Völker, welche seit langer Zeit über den Jaufen nach Italien gegangen waren, wieder wüste geworden und nach Aussage eines Zeitgenossen, ein heimlicher Ort ohne Fußtritt eines Bewohners. Korbinian hatte die Gegend auf einer Romfahrt gesehen und fühlte seitdem einen innern Zug nach der elegischen Landschaft um das alte Castrum von Terioli, und nach dem grünen Thale bei Mais, wo St. Valentin, der Bischof und Apostel der Rhätier, begraben lag. Später als man ihm zu Freising an des Herzogs Hofe nach dem Leben strebte, ging er gerne wieder in die liebliche Einsamkeit von Cainina zurück und als er in Freising gestorben, wurde seine Leiche nach Mais gebracht und in der Kirche St. Valentins beigesetzt. Die Pfarre Kains ist bis auf unser Jahrhundert beim Hochstift Freising geblieben. Zur Zeit lebt an der kleinen Kirche der Herr Pfarrer Thaler, ein freundlicher Mann, in der tirolischen Sängerwelt unter dem Namen Lertha bekannt. Er hat vor wenigen Jahren seine Gedichte herausgegeben und ist gegenwärtig sehr emsig mit der Untersuchung der heimischen Dialekte beschäftigt.

Der Küchelberg ist an seinen Abhängen reich mit Weingärten besetzt, deren rothes Gewächse ehemals einen guten Namen hatte, aber jetzt ihn nicht mehr ganz ausnahmslos verdient, weil viele Besitzer übertriebene Wässerung anwenden, um mehr aber geringern Wein zu erzielen. Seine Lage ist allerdings die wärmste in der Gegend, so daß in den Felsenritzen [308] sogar der Cactus sich aufthut, wie zu Bozen auf den heißen Porphyrfelsen. Oben sind fette von mächtigen Obstbäumen beschattete Wiesen in wechselnder Fläche hingebreitet bis zum Dorf Tirol. Wenn der Küchelberg einst ganz mit Reben übersponnen ist, sagt das Volk, dann kommt der Antichrist und der Welt Ende ist nahe.

Das Dorf Tirol selbst ist nicht bedeutend, aber auf der offenen Höhe schön gelegen. Von den Fenstern des Wirthshauses aus eröffnet sich eine stattliche Aussicht über das Etschthal, ungefähr desselben Inhalts, wie die auf dem Schlosse Tirol. Zu diesem führt der Weg durch das Knappenloch, einen Tunnel nach Art des Urnerloches, der unter Kaiser Leopold I hergestellt worden ist. Wenn man aus dem unterirdischen Gang herauskömmt, so zeigt sich zur rechten Seite der Runst eines Wildbaches, in welchem eine Reihe von Erdpyramiden stehen. Es sind dieß dünne Sandpfeiler, die an einer brüchigen Halde über einander emporsteigen. Oben darauf liegt je ein Felsblock, der als Beschwerstein die Unterlage durch seinen Druck fester zusammenhält und ihr durch seine Fläche einen Schirm gegen das oberschlächtige Regenwasser verschafft, so daß diese bedeckten Nadeln trutzig stehen bleiben, während der obdachlose Haldensand von den Wettergüssen weggespült wird. Eine größere Sammlung von solchen Erdpyramiden findet sich auf dem Ritten ober Bozen und einzeln kommt die Erscheinung im ganzen Etschlande vor. Sie gehört wie Gletscher und Wasserfälle zu jenen Wundern, deren Bewunderung den Landleuten unausbleiblich ein Lächeln abnöthigt, und es wird wohl noch einige Zeit hergehen, ehe sie sich den städtischen Namen des Zeugs merken können.

Zur Linken über der Schlucht, aus deren Tiefe die schwarzen Trümmer von Brunnenburg melancholisch heraufschauen, zur Linken zeigt sich das Hauptschloß, fast auch nur anzusehen wie ein ausgezackter Beschwerstein auf einer riesenhaften Erdpyramide. In der That steht der hintere Theil der Burg dicht über einer thurmhohen, senkrecht abgerissenen Sandwand, die aus dem Bette des Gießbachs aufragt. Sie droht Jahr aus Jahr ein den Einsturz, hat sich aber gleichwohl seit Menschengedenken [309] nicht sichtlich verändert. Doch kann einst ein Tag kommen, wo der Sandberg einbrechen und das Hauptschloß von Tirol nachstürzen und in seinen Trümmern im Longvaller Bache liegen wird. Ein Flügel der Burg ist schon vorausgegangen – man weiß, daß vor Jahrhunderten ein Theil der Veste weggespült worden.

Daß das alte Terioli eine römische Bergveste und lange nach den Zeiten der Römer ein Sitz eigener Grafen geworden und daß auf die alten Herren von Tirol die Görzer gefolgt und ebenda gewohnt haben, dieß ist schon früher erwähnt worden. Im Volke lebt aber noch das Gedächtniß einer andern Dynastie, die freilich schon längst ausgestorben ist, ohne daß die Geschichtsforscher davon Notiz genommen. Die Nachbarn behaupten nämlich es hätten in dem alten Schlosse vor Zeiten die Riesen gewohnt und die Angabe läßt sich sogar dadurch unterstützen, daß man ehemals ledernes Rüstzeug eines ungewöhnlich großen und starken Mannes, vorgeblich des mythischen Hagene, da gezeigt hat. Jene Riesen, welche Heiden waren, lebten in stätem Hader mit den kleinen Zwergen, die bei St. Peter wohnten und sich zum Christenthume bekannten und so oft diese mit dem oft versuchten Kirchenbau zum Dachstuhl gekommen waren, langten die Riesen vom Schlosse herüber und schnellten das Gotteshäuschen mit dem Finger in das Thal hinab. Einmal aber gelang es den Zwergen in einer Nacht den Bau zu vollenden, ehe die Riesen erwachten, und da hatten sie keine Gewalt mehr darüber. Deßwegen ist auch die Kirche so klein geworden.

Als Margaretha, die Maultasche, das Land Tirol den Herzogen von Oesterreich übergeben und das Hauptschloß aufgehört hatte der Sitz der Landesfürsten zu seyn, wohnten noch etliche Zeit lang die Landeshauptleute in der Burg, bis auch diese nach Bozen zogen. Darnach stand sie leer, wurde aber immer erhalten. Auch blieb wenigstens der guten Stadt Meran noch die Auszeichnung, daß die Landeshauptleute mit großen Festlichkeiten und unter zahlreichem Zutritt des umwohnenden Adels dortselbst installirt wurden. Im Jahre 1808 hatten sie zu München den haarsträubenden Einfall die Burg [310] mit dem anderthalb tausendjährigen Namen an den Meistbietenden zu verkaufen. Der erste Käufer hatte sie zum Abbruch bestimmt und schon Hand angelegt. Um nicht von den Steinen erschlagen zu werden und Sand und Staub von seinen Weinbergen abzuhalten, nahm es der darunter wohnende Bauer jenem ab und entriß es der Zerstörung. Als Tirol wieder an Oesterreich gefallen war, brachte die Stadt Meran das alte Palladium an sich und verehrte es dem Kaiser Franz.

In den Burghof tretend erhalten wir den Gruß des Pförtners, des alten Blasius Trogmann, welcher der Fink genannt wird. Er saß früher auf einem Bauernhofe zu Mais, stand aber nebenbei schon 1797 in Gefechten und im Jahre Neun war er der Hauptmann der ersten Schützencompagnie seines Dorfes. Er hat den Sandwirth gut gekannt und weiß manches von ihm zu erzählen. In den Geschichten jener Zeit wird er als brav und tüchtig oft genannt. Der alte Held mit dem freundlichen Gesicht, den blauen Augen, weißen Löckchen und den sanften ruhigen Manieren trägt noch die braune Bauernjacke und den großen runden Hut, welche er nur bei besondern Gelegenheiten mit einer Uniform vertauscht, in welcher der treue Kämpe gewiß recht erbärmlich aussieht. Auch der gegenwärtige Schloßhauptmann, der bescheidene Herr Ilmer, hat im Jahre Neun befehligt. Die Pförtnersstelle, die jetzt der alte Fink versieht, verwaltete von 1828 an Joseph Hell, ein Bauernsohn von Vomp bei Schwaz, derselbe der die schönen Holzschnitzereien gearbeitet hat, welche im Ferdinandeum zu Innsbruck aufbewahrt werden. Er starb in großem Unglück auf Schloß Tirol im Jahre 1832.

Dieses Schloß besteht aber aus zwei Theilen, davon einer verfallen, der andere noch erhalten ist und ritterlich auf der Rebenhöhe prangt. In jenen verlegt die Sage das Gemach, wo Ludwigs und Margarethens Beilager gehalten wurde; in diesem ist, jetzt tapezirt und mit Bildnissen geschmückt, die Stube wo Kaiser Ferdinand 1838 den Andrä Erb, den Schwiegersohn des seligen Andreas Hofer, als Lehenträger für seinen Vetter, den jungen Andreas von Hofer mit dem Sandwirthshause in Passeier belehnte.

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Unten ist eine große schmucklose Halle und eine Capelle daran. Diese enthält zwar in ihrem Innern nicht viel mehr als etliche plumpe Gestalten alter Schnitzerei, aber ihre Pforte ist ein Kleinod. Sie ist mit einer steinernen Einfassung bekleidet, auf welcher ein Steinmetz der Vorzeit, etwa einer aus dem elften Jahrhundert, höchst ungeschlachte und wunderliche Basreliefs eingehauen, deren Sinn und Deutung bisher von den scharfsinnigsten Köpfen verschiedentlich beleuchtet worden. Der blöde Laye erkennt weiter nichts als oben im Halbrund der Thüre einen Christus am Kreuze und an der Seite eine Darstellung von Adam und Eva im Paradiese, voll wundersamer Affenähnlichkeit. Auch ein Centaure unter dieser Paradiesesscene scheint außer Zweifel. Mitten in der hölzernen Thüre ist ein Hufeisen aufgenagelt; es soll einst einem Schimmel der Margaretha Maultasch gehört haben.

Die Aussicht aus den Fenstern der Burg ist bezaubernd. Besonders schön gestaltet sich die perspectivische Verjüngung des Etschlandes gegen Bozen hin. Der Strom zieht in breiten Windungen durch das burgenvolle Thal. Weit unten am Schlusse stehen auf einem steilen Felsen die Thürme von Eppan, von der einst so feindlichen Veste, die aber seit Jahrhunderten den Frieden nicht mehr gestört hat.

Auf der Höhe von St. Peter sieht man gerade hinunter in den Weingärten des Thales viele zerstreute Häuser und zwei Kirchen, welche den Dörfern Gratsch und Algund angehören. Letzteres hat einen großen Umfang und zählt siebenzehnhundert Seelen. Die Algunder sind wohlhabend und zeichnen sich, wie behauptet wird, vor allen übrigen Bauersleuten der Gegend durch stolzes, selbstbewußtes Benehmen aus. Man rühmt ihnen nach, daß sie in Kriegszeiten bereitwillig zum Auszug und muthig im Gefechte seyen. Was sie in den ewigen Fehden des Mittelalters für ihre Herren gethan, ist zwar nicht besonders aufgezeichnet worden, aber in neuerer Zeit werden sie öfter genannt. Im Jahre 1703 standen sie schnell zur Landwehr auf, waren jedoch sehr betheiligt an der Meuterei, die zu Meran unter dem zugfertigen Aufgebot entstand. Sie wollten vor allem wissen, wie während des Auszugs Weiber [312] und Kinder zu Hause verpflegt würden. Sobald sie aber einmal dem Feinde gegenüber standen, thaten sie sich durch Tapferkeit hervor. Weniger Bedenklichkeiten wegen ihrer Weiber und Kinder zeigten sie Anno Neune, wo sie nach jetzigem Ausdrucke zu den eifrigsten „Rebellern“ zählten.

Am Fuße des Schloßberges, fast vergraben unter Nußbäumen und Weinguirlanden liegt also die kleine Kirche von Gratsch und daneben ein unscheinbares Bauernhaus, das wir im Vorbeigehen betreten wollen.

In der getäfelten Wohnstube steht der große Tisch fürs Mahl und zum Fenster schaut ein Feigenbaum herein. Durch sein Blätterwerk geht der Blick hinunter über lange Weingüter ins Thal der Etsch und am Flusse fort fast so weit, als man auf dem Schlosse selber schauen kann. Der bäuerliche Hausherr gilt als einer von den Schlauen, deren es in Tirol noch mehrere geben soll, als einer von den Pfiffigen, die sich in der Welt wohl auskennen gelernt haben und mit den Menschen umzugehen wissen. Er war schon Anno Neun dabei und hat zum Waffenhandwerk von jeher große Zuneigung gezeigt, so daß er zu seiner Zeit als der beste Schütze weit und breit in hohem Ruhm stand und auch jetzt noch die Schießen der Nachbarschaft nicht ohne Glück besucht. Er weiß in der rechten Laune viel zu erzählen und gibt gern ein Witzchen zum Besten. Vom Rosengarten, der in hiesiger Gegend liegt, weiß er wohl zu sagen, aber den König Laurin der darin hausen soll, kennt er nicht. Ersterer ist ein Rebengefilde in anmuthiger Lage; das Gewächs soll indeß nicht das beste seyn. Auch einige Beiträge zur Urgeschichte seiner lieben Pfarre zu St. Peter stellt er mit Vergnügen zu Diensten, nämlich daß einmal zur Zeit einer Christenverfolgung die Gläubigen des Sprengels über die unwegsamen Jöcher in das wilde Hochthal von Pfelders sich geflüchtet, so daß dadurch dieses seine Bevölkerung erhalten und nachmals, als die Verfolgung vorübergegangen, pfärrig zu St. Peter geblieben sey, wie das auch die Geschichte anerkennt, berichtend, daß die abgelegenen, zwischen Fernern eingeklemmten Wiesengründe von Pfelders erst im vorigen Jahrhundert einen eigenen Seelsorger erhielten, bis dahin aber die Hirten zu [313] Gottesdienst und zur ewigen Ruhe ins Etschland kommen mußten.

Unterdessen vereinigt sich das gesammte Hauswesen zum Abendessen. Der Bauer hat in seinem Erdenwallen sechzehn Kinder erzeugt und davon sind ihm dreizehn am Leben geblieben. Diese dreizehn also kommen allmählich hereingewandelt und mit ihnen auch die Mutter. Die Kleinen verlaufen sich schüchtern in einen Winkel und fangen an zu kichern, was der Fremde, dem es gilt, nicht übel nehmen darf, denn es ist gut gemeint. Sofort erscheinen auch die Mädchen und grüßen mit Freundlichkeit, setzen sich zusammen und lachen auch, jedoch mit einigem Rückhalt. Nun sind auch die Buben da, welche einen ernsten Willkomm sprechen und sich ebenfalls zusammen setzen, aber keine Miene verziehen. Alle zusammen bilden eine der wohlgeschlachtesten Familien, die in der Gegend zu finden ist; die Buben groß, stark und wohl gebaut, mit tüchtigen Gesichtern, die Mädchen hochgewachsen, schlank, eines natürlichen Anstandes und mit feinen ausdrucksvollen Zügen.

Da es nun Zeit zum Abendessen ist, so stellt die Tochter das Mahl auf und dann fangen alle laut zu beten an. Während sofort die Plente, die Polenta von türkisch Korn, aus der großen Schüssel zum Munde geführt und mit rothem Wein hinabgeleitet wird, sitzen wir am Fenster und freuen uns zum hundertstenmale der reichen Landschaft, die jetzt, nachdem die Sonne hinter dem Tschegat hinabgesunken, in stahlblauen Duft leicht gehüllt mehr und mehr in Dämmerung versinkt. Wenn die Bauersleute zu Nacht gegessen, ist es ungefähr Zeit nach Hause zu gehen, und während die ganze Kinderschaft sich in die Kirche begibt, um dort den abendlichen Rosenkranz zu beten, beurlauben wir uns auch von dem Hausherrn und ziehen, freundlich eingeladen zur baldigen Wiederkehr, unsers schönen und stillen Weges in die Stadt. Hie und da begegnen uns heimkehrende Landleute, mitunter Mädchen, die in großen Körben auf dem Rücken Heu nach Hause tragen, oder auch ländliche Wagen, von großen weißen Rindern gezogen und von schmucken Jungen geleitet.

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Da wir eben aus dem Bauernhause herauskommen, so wollen wir noch etwas mehr über das Landvolk im Burggrafenamte beibringen. Vor allem bemerken wir, daß es ein überaus schöner Schlag von Leuten ist. Die Männer zeigen sich als die rechten und wahren Erben der altgermanischen corpora immania, hoch ausgestreckt, breitschulterig, stattlich anzusehen. Sie tragen große Hüte, braune Lodenjacken mit rothen Aufschlägen und ein rothes Leibchen, über dem der breite, grüne Hosenträger liegt. Durch eine gewisse ernste Gesetztheit im Thun und Lassen ist die Bauernschaft dieser Gegend wohl noch eindrücklicher, als die leichter beweglichen Zillerthaler. In ihrem Feiertagsgewand sind diese großen Gesellen äußerst sorgfältig und reinlich, dabei auch streng bedacht auf gleichförmige Beibehaltung des herkömmlichen Schnittes und der herkömmlichen Farben. Wie sie am Sonntage nach dem Amte zu Meran vor dem Kirchhofe stehen zu Hunderten einer wie der andere, so dürften sie nur die Stutzen in die Hand nehmen, um schnurstracks vom Platze weg als schöngeschmückter Schlachthaufen ins Feld ziehen zu können. Nur in den Hüten ist da ewiger Unterschied zu finden. Etliche ältere Bauern tragen nämlich noch die frühere Art, welche einen niedern Kopf und eine ungeheure flache Krempe zeigt, das gesammte jüngere Volk führt aber eine jüngere Form mit höherm Kopfe und schmälerer Krempe die von den Bergen herabgekommen seyn soll, weniger eigenthümlich als jene, aber gleichwohl noch genug von der heutigen Herrenmode abweichend, um zierlich zu seyn und hübsch zu stehen. Wenn die jungen Männer an feierlichen Tagen als Schützen ausrücken, so erscheinen sie mit großen, grünen Hüten, dem festlichen Abzeichen der Junggesellenschaft, welche dann auf einer Seite um im Tragen des Stutzens nicht zu hindern, hoch aufgeschlagen, ferner mit grünen Bändern und einem aufgesteckten Blumenstrauß verziert sind. Ein andrer Strauß steckt dann auch in der Mündung des Gewehrs. Ein solcher Schützenzug, wenn er stolz dahermarschirt, mit fliegender Fahne und klingendem Spiel, wenn die Schwegelpfeifen den heimischen Schützenmarsch blasen, ist eine sehr schöne Erscheinung und weckt Erinnerung [315] an kriegerische Zeiten, denn so sind die Wehrmänner des Aufgebots an den Berg Isel und aufs Sterzinger Moos gezogen. Es ist ein anmuthiger Gebrauch, daß dabei zwei Knaben zarten Alters, ganz genau gekleidet, wie die großen Burschen, mit ebendenselben Jacken und grünen Hüten, und mit leichten Stutzen bewaffnet an der Spitze gehen, als redendes Zeichen, daß auch der Knabe schon berufen sey, ein Landesvertheidiger zu werden, oder daß Vertrautheit mit den Waffen schon von Kindesbeinen an gepflogen werden soll. Die kleinen Schützen gebärden sich sehr ernsthaft, nehmen die Sache viel wichtiger als die großen, werden auch von den Zuschauern viel neugieriger betrachtet und sind stets, die niedlichsten Kerlchen der Pfarrei, die mit ihren blauen Augen, fast kriegslustig aus den blonden Locken herausschauen. In vollem Feierstaat treten die Schützencompagnien bei dem Umgang des Frohnleichnamstages auf. Ich erinnere mich gerne an den vorjährigen zu Mais, wo die schönste Sonne schien und die Böller so sabbathmäßig knallten, während das hochwürdige Gut mit den betenden Priestern und den wehenden Fahnen und unzähligem Volke in den besten Gewändern durch die Weingärten daherzog. Da wehte ein kühler Morgenwind aus Passeier heraus und spielte mit den Fahnen und mit den Bändern der grünen Schützenhüte, und die prunkende Mannschaft bildete das Spalier und der ehrenfeste Priamibauer, der erprobte Kriegsmann, stand mit blankem Säbel als Hauptmann vor der Fronte und commandirte mit schallendem Rufe: Präsentirt’s Gewehr.

Von den Kriegern zu den Schönen, ist ein leichter Uebergang. Wir behaupten mit Vergnügen, daß die Landmädchen um Meran in ihrer Schönheit dem wohlgeschlachten Männervolk vollkommen ebenbürtig seyen. Auch ihr Wuchs ist schlank und hoch, aber außer der Leibesgestalt treten sie auch durch den feinen Gesichtsschnitt angenehm ins Auge. Während am untern Innthal, das bekanntlich an schönen Mädchen keinen Mangel hat, eine runde und volle Form vorherrscht, ist hier das Antlitz länglich und schmal, dabei eines milden Ernstes und doch der freundlichstrahlenden Augen wegen nicht ohne liebliche Gutmüthigkeit. Zartgefärbte rothwangige nordische Gesichter wechseln [316] mit bleichen südlichen ab und wie sich in diesen vielleicht ein Nachwirken alten romanischen Blutes zeigt, so wohl auch in den rabenschwarzen Haaren, die freilich minderzählig neben den hellblonden zu gewahren sind. Die Haare, blond oder schwarz, werden aber aus der Stirne rückwärts gestrichen und nach dem Nacken hin auf italienische Weise durch eine breite Nadel festgehalten, worin nach Albert Schott ein Kennzeichen alemanischer Abkunft zu Tage läge. Sonst wollen Sachverständige die Tracht nicht vortheilhaft nennen, behauptend, die schweren violbraunen Röcke seyen dem Heraustreten des schönen Wuchses nicht förderlich und verliehen der Gestalt eine unbehülfliche Hülle. Anerkannt dagegen ist die kleidsame Pracht der brennrothen Strümpfe, und die Umschlingung des seidenen Halstuches, das sich rückwärts den vollen Nacken halb enthüllend, herzförmig einsenkt, ist besonders reizend ausgedacht.

So ist’s denn eine liebe Betrachtung das körnige Bauernvolk im Burggrafenamte, wie es umgeben von einem Kranze hoher Schneeberge in der warmen grünen Tiefe lebt, unter dem heißen italienischen Himmel, in der schmalen Ebene, die wie ein Herd erscheint, um Hitze auszukochen, – jetzt nachdem die Westgothen vorlängst spanisch, die Burgunder französisch, die Longobarden italienisch geworden sind, der letzte Rest germanischer Zunge, der unter Feigen- und Mandelbäumen Haus haltet. Ja von allen andern deutschen Stämmen, die einst mit gezücktem Schwerte über die hohe Wand der Alpen und der Pyrenäen nach den europäischen Südländern stiegen, von allen, die dort zu Ehren, Macht und Ansehen gekommen, ist keiner bei seiner Sprache und seinen Sitten geblieben, aber hier im oberitalischen Paradiese an der Etsch sitzt noch die ganze Gefolgschaft hochstämmiger Recken in urkräftiger Deutschheit beisammen, immer noch abweisend und schroff gegen den wälschen Nachbar, wie vor anderthalbtausend Jahren. Dieses Häuflein war so klug, nachdem die Mauer übersprungen, im ersten Vorhofe stehen zu bleiben. Hätte es sich weiter hineingewagt in den lockenden Feengarten, so wäre es wohl auch verzaubert worden und verschollen für die Heimath. Deßwegen hat auch die Stellung des deutschen Bauern an der [317] Etsch etwas Besonderes und Ausgezeichnetes – weil er allein von hundert und hundert Tausenden seiner Stammverwandten das Land der altgermanischen Sehnsucht nicht allein gefunden, sondern sich auch nicht darin verloren hat; denn der Orangenduft und die Mandelblüthe und die süßen Feigen hindern nicht, daß der deutsche Bauer hier der nämliche mannhafte Kerl ist, wie im kühlen Norden, ehrlich fest und tapfer, still und ruhig, dabei auch sehr fromm und betlustig und ein großer Liebhaber von Feiertagen, deren es hier nach angestellter Berechnungen so viele gibt, daß sie in vier Jahren ein volles Jahr für sich ausmachen.

Ein wirklich auszeichnender Zug dieser Landleute ist ihre feierliche Ruhe, die man mit anderm Worte vielleicht auch Phlegma nennen könnte. Der stillen Gelassenheit in Gang und Schritt entspricht die Schweigsamkeit in der Rede. Was aber gesprochen wird, klingt deutlich und wird, weniger zwar als im Vintschgau, jedoch noch immer leicht auffallend gesungen. Insbesondere haben die Mädchen eine hohe Stimmlage und überlassen sich gerne dem weichen Wiegen und Trillern des Tons. Die Sprache scheint mir unter den harten Dialekten Tirols die zarteste und lieblichste, und wenn wir hie und da ein gutaufgelegtes Mädchen hörten, wie es in metallischer Stimme ihre Reden halb singend herunter flötete, so kam es uns vor, als wäre der Meranerdialekt überhaupt unter den Deutschen einer der angenehmsten und wohlklingendsten. Die angeregte Schweigsamkeit zu erproben, laden wir aber den Leser insbesondre ein, sich eines Sonntags nach dem Gottesdienst auf den Hauptplatz zu Meran zu verfügen. Dort wird er bemerken, daß alle die hundert Bauern, welche sich da scheinbar plaudernd zusammenstellen, kaum hinreichen, um ein halblautes Summen zu Stande zu bringen, und wenn einer eben aus Italien kommt, mit Ohren die noch von all dem Lärm eines italienischen Marktes gellen, so wird’s ihm desto mehr auffallen hier unter den Lauben, die so voll sind von Aprikosen, Pfirsichen, Trauben und Feigen, nur hie und da ein leise geflüstertes: Kafen’s ein! zu vernehmen. An Sonn- und Feiertagen werden wir auch an den Buschenhäusern vorüberstreifen, [318] zwar die Bänke voll Trinker gewahren, aber durch die offenen Fenster selten ein vernehmbares Wort erfassen können, so leisen Tones halten die Trinker ihre Gespräche ab. Selbst für Ja und Nein haben sie etwas ersonnen, was ihre Aussprache unnöthig macht, und Ja bezeichnen sie, indem sie leise einwärts pfeifen, Nein aber mit einem hellen Schnalzen der Zunge. Sind das die Ueberreste einer uralten Zeichensprache oder die Anfangsgründe einer neuen?

Gesang und Lieder sind unter diesem Volke wenig in Gebrauch, doch hört man hin und wieder eine Zither aus den Fensterchen klingen, die das Reblaub vergittert. Auch sagenreich ist die Gegend nicht, obgleich alte Schlösser anderswo ein guter Hort völksthümlicher Ueberlieferungen sind. Von den Bergmännlein haben sich noch einige Erzählungen erhalten, doch lassen sie sich, wie die Wirthin von Algund behauptet, nimmer sehen, seitdem man nicht mehr an sie glaubt. Sie heißen Norke, Nörkelen, im benachbarten Ultenthale Lorken – ein Name, der eine romanische Erbschaft und von un orco l’orco, dem alten Orcus abzuleiten ist, der bei den Italienern in einen Haus-, Wald- und Berggeist übergegangen. Von diesen wälschbenannten Männchen erzählt man eben dieselben Geschichten, wie von ihren deutschen Gesippten und sie sind auch ganz sicher aus der deutschen Mythologie herausgewachsen. So ist z. B. bei Vernuer ober Riffian eine Norkenhöhle und einer ihrer Bewohner kam einst täglich zu den Bauern um ihnen Korn mahlen zu helfen, verschwand aber, als man ihm zur Belohnung ein neues Röckchen hinlegte. Ebenso verschwand in einem Hause bei Algund ein Nork, der als Knecht gedient hatte, als man ihm an seine Peitsche, die er in den Stall zu hängen pflegte, ein silbernen Thaler gebunden. Diese Männlein haben also ungefähr denselben Humor wie jenes auf der Bärenweid im kleinen Walserthal. Auf der Muttspitze oben haust ein alter Nork, den ein Hirte einmal seufzen hörte: Wie bin ich so grau, wie bin ich so alt – denk den Muttkopf dreimal Wiese und dreimal Wald – eine Elegie, deren Seitenstück einst bei Münster im Unterinnthale vernommen wurde als der Geist der Tegerwiese behauptete, er habe [319] sie neunmal als Wiese und neunmal als Wald gesehen. Eine alte Nennung des Norken findet sich in Hans Vintlers, des Tirolers, Blume der Tugend, gedichtet im Jahre 1411. *) Auch selige Fräulein ließen sich früher sehen, ja eines und zwar ein recht schönes und freundliches sahen die Schulkinder noch vor wenigen Jahren in den Weingärten unterhalb der Burg Rubein. In Ulten hatte ein solches einen Bauern geheirathet und ihm dreizehn Kinder geboren, verschwand aber mit diesen als ihr Ehewirth das Geheimniß auf dem Kirchweg einem Nachbarn anvertraut. In den Bergforsten gibt es übrigens wilde Männer, die den seligen Fräulein nachstellen. Diesen zu gefallen hauen die Holzarbeiter in jeden Baumstamm der beim Holzfällen stehen bleibt, drei Kreuze; denn wenn die verfolgten Fräulein auf einen solchen Stock springen, so können ihnen die wilden Männer nichts mehr anhaben.

Weniger zu rühmen als Gestalt, Kleidung, Art und Wesen der Meraner Landleute sind ihre Wohnungen, welche zumeist von außen ein verfallenes, von innen ein schlecht gesäubertes schmutziges Ansehen haben. Die vorarlbergischen Bauernhäuser, die hölzernen Villen im Bregenzerwald, die sich mit ihren hellen Fenstern, den schöngebohnten Wänden und den reinlichen Böden so angenehm darstellen, sie sind hier nicht mehr zu finden, dagegen zerbrochene Scheiben, bröckelnde Mauern, zerrissenes Holzwerk an allen Enden und Orten. In der Sorge für häuslichen Anstand und wohnlichen Comfort steht der Bojoare überhaupt hinter dem Alemanen zurück; dazu mag im Etschlande noch die Milde des Klima’s, das Beispiel der wälschen Nachbarn und vielleicht mehr noch als beides ein dritter Umstand nachtheilig auf die Sauberkeit der Wohnungen einwirken. Der hierländische Bauer lebt nämlich, sey’s als Baumann, Pächter oder Eigenthümer, fast der Mehrzahl nach in Wohnungen, die nicht für ihn erbaut sind und diese, wie sie oft an Räumlichkeit weit über sein Bedürfniß steigen, würden [320] auch, wenn sie in wohlgefälligem Ansehen bewahrt werden sollten, viel mehr Erhaltungskosten in Anspruch nehmen als er aufzuwenden im Stande ist. Die alten Schlösser sind wie bemerkt, schon größtentheils in ländliche Hände gerathen; manche unkriegerische Landhäuser einer spätern Zeit sind denselben Weg gegangen und von vielen ehemaligen Wirthschaftsgebäuden, die für größere Verhältnisse berechnet waren, gilt das Gleiche. Namentlich sind im Etschlande die Klosterhöfe zahlreich, stattliche Weinlager, zumeist bayrischer Stifter, deren Otto der Bischof von Freisingen bereits im zwölften Jahrhundert gedenkt. Es ist zu vermuthen, daß die Mehrzahl dieser Gebäude schon nicht mehr ganz gut gehalten war, als der Bauer ihr Besitzer wurde, und ganz deutlich ist es, daß er seitdem nichts mehr hinein verwendet hat. Jetzt kann man ohne Präjudiz behaupten, die Hälfte der hiesigen Landleute wohne in Ruinen, und wenn auch die übrigen, die es besser haben könnten, an Schmutz und Gerümpel keinen Anstoß nehmen, so mag es daher kommen, daß sie am Beispiel der andern erkennen, wie wenig Reinlichkeit zu einem gemüthlichen Leben nothwendig. Vielleicht liegt auch nachbarliches Zusammenhalten zu Grunde und die Abneigung, sich durch a glossy surface vor den andern Haushaltungen der Gemeinde neiderregend auszuzeichnen.

Mühe und Arbeit des Meraner Landmanns ist neben der Viehzucht zumeist auf den Weinbau gerichtet. Art und Weise sowohl der Cultur der Rebe, als der Behandlung ihres Saftes ist aber von der sonst in Deutschland üblichen sehr verschieden. Erstgenannte, die Rebe, wird nämlich nicht an einzelnen Stöcken, sondern stets über ein hölzernes Laubengerüst gezogen unter dessen Bogen ein Mann aufrecht oder halbgebückt durchgehen mag. Dieß bildet eine höchst malerische Zuthat zu den Reizen des Etschlandes. Es ist wirklich ein herzerfreuender Anblick, in der Herbstzeit durch diese Weingüter wandelnd den Blick ins grüne Halbdunkel der perspectivischen Rebengänge hinauf und hinunter zu senden, wo vom laubgewirkten Baldachin die blauen Trauben groß und strotzend herunterhängen. Unten im Bodenraume werden andre Früchte, Mais, Kürbisse und dergleichen gebaut, und sehr gut nimmt [321] sich’s aus wenn im frühen Sommer durch den Laubengang hin die weißen Rinder den Pflug ziehen, den der Bauer rufend leitet. So zierlich und bildgerecht indeß diese Lauben sind, ein so gartenmäßiges, schmuckreiches Ansehen sie der Gegend auch verleihen, so werden sie doch und nicht mit Unrecht der großen Kosten des Holzes wegen von Vielen angefeindet und der rheinländischen Art des Baues, die auch bei Brixen gilt, obwohl bisher ohne werkthätige Folgen, der Vorzug gegeben. Sie sind wohl ein Vermächtniß der alten romanischen Weinbauern; und wie man die Güter und die Art der Bebauung von den Romanen übernommen, so hat man auch aus ihrer technischen Sprache für Rebe und Wein und was damit zusammen hängt, vieles sich angeeignet und bis auf den heutigen Tag bewahrt. Die Lauben selbst heißen in Meran von ihrer Brückenform Puntaunen (Pontone), in Bozen Bergeln (Pergola); die senkrechten Balken nennt man zwar je nach ihrer Dicke Stangen und Stecken, die obenauf liegenden Latten aber je nach der Richtung Stallein oder Marzan, von Stetone, Stengel und Marza, Propfreis. Dünne Rüthchen, die an der Seite eingesteckt werden, um junge Rebtriebe daran aufzuziehen, heißen Manail (Manuale). Für Kelter gebraucht man das am Bodensee gleichfalls übliche Torkel. Auch die Mäßerei wird mit undeutschen Ausdrücken bezeichnet; vier und eine halbe Maaß heißen eine Pazeide (Bacceda), fünfundfünfzig eine Ihrn, was ehemals auch Uern geschrieben wurde, und vom lateinischen urna herkommt. Auch die Traubengattungen haben zum Theile noch romanische Namen, wie Verseil, Vernatsch, Lagrein u. s. w. Letztere beide sind wohl nach ihrem Stammlande benannt, da Vernatsch als Veronaccia angesehen, auf Verona, Lagrein, aber als Lagarina betrachtet, auf das Lägerthal, Val Lagarina deutet, welches sich unter Roveredo der Etsch entlang an die Clausen von Verona erstreckt.

Was die Bereitung des Weins betrifft, so werden die Trauben nicht wie anderswo vom Stocke herab auf die Kelter gebracht und gepreßt, sondern zuvörderst in offene Bottiche geworfen und mit Knütteln zerquetscht. Was daraus entsteht, ein jauchenähnlicher Saft voll schwimmender Hülsen und Stengel, heißt [322] das Praschglet (graspato). Dieß wird alsbald in große, der Luft zugängliche Fässer geschüttet, wo es zu gähren beginnt. Nach vier Wochen hat sich der Wein abgeklärt, er ist licht geworden und das schwere Zeug ruht auf dem Boden. Nun wird die Flüssigkeit abgezogen und ist des Trunkes gewärtig; der Satz aber, die Trestern, auf den Torkel gebracht und ausgedrückt. Dieß gibt den Druckwein, eine untergeordnete herbere Sorte, die zumeist in häuslicher Verwendung aufgeht. Aus den gepreßten Trestern selbst wird Branntwein gebrannt; mit den ausgebrannten Trestern aber das Vieh gemästet.

Der auf diese Art erzeugte weiße Wein wird nicht immer so hell, als ihn die Trinker wünschen. Zur Erzielung größerer Klarheit dient ein besonderes Kunststück, das nicht für sehr heilsam gilt. Es wird nämlich ein eigens bereiteter, mit Schwefel und Gewürz getränkter Lappen an einem Drathe brennend in das Faß gehängt und sofort, ehe er verkohlt, wieder herausgezogen. Alsbald verspundet man das Gefäß und läßt den Qualm ein paar Tage darin sein Wesen treiben und sich ins Holz einsetzen. Hernach wird der Wein dareingeschüttet. Manchen Trinkern bekommt dieses Schwefeln mehr oder weniger unwohl; doch sind die Kellnerinnen in der Regel bedacht, den Gast zu warnen, bemerkend: der Wein habe starken Einschlag.

Eine andere, jetzt minder gewöhnliche Bereitungsart fällt mit der rheinländischen so ziemlich zusammen. Auf diese Weise entsteht ein weit haltbarerer Wein als jener, der aus dem Praschglet gewonnen wird, aber seine Tugenden stellen sich erst mit den Jahren ein. Er wird erst wohlschmeckend nach zwei, drei Herbsten, wenn der andre längst vertrunken oder versauert ist. Die Erzeugung solcher Sorten wird zunächst zu Gunsten der Vorarlberger betrieben, die sich bei ihren namhaften Bestellungen im Etschlande mit Vorzug an derartige Weine halten. Letztere Art, welche den Wein durch die Mostgährung gehen läßt, heißt die österreichische. Das Getränk, das sie liefert, nennt sich Kritzer oder Hepfwein, während die Praschgletgährung den Bergährner gibt. Diese Behandlung ist erst seit wenigen Jahrhunderten eingeführt. Was der neueren [323] Bereitungsart zunächst den Eingang erleichtert hat, ist der Umstand, daß der Wein bald trinkbar wird, daher das Capital sich schneller umkehrt und dabei große Gebäude und kostbare Geräthschaften zu längerer Aufbewahrung nicht nöthig sind.

In der Gegend von Meran und hinab gegen Bozen, um diese Stadt her und in den Gefilden von Kaltern wächst nun, zumal an den Halden – Leiten – manch gutes Getränke. Vor allen werden der Leitacher, der Siebeneichener und der Terlaner, die in der Nähe von Bozen aufkommen, und der Kälterer Seewein gerühmt. Der Meraner Küchelberger genießt, wie wir bemerkt, nicht mehr des alten Ansehens, doch scheint es fast, als sey der Löwenberger bestimmt die Ehre der Gegend zu retten. Bei vielen reichern Güterbesitzern nimmt übrigens die Ansicht überhand, der Wein, so gut er auch nach den bisher üblichen Behandlungsarten ausfallen mag, entspreche nicht überall dem trefflichen Wohlgeschmack der Trauben, und durch feinere und sorgfältigere Bereitung müßten Weine zu erzeugen seyn, die neben manchen hochgeschätzten ausländischen mit Glück würden auftreten können. So werden denn mannichfache Versuche gemacht, die zum großen Theile der Erwartung entgegen kommen. Man trinkt sogar schon etschländer Champagner, der dem bekannten schwäbischen Getränke dieses Namens an Billigkeit, vielleicht auch an Wohlgeschmack vorzuziehen ist, jedenfalls sich durch eine sehr einfache, ungekünstelte Bereitung auszeichnet. Eine schon längst geübte Praktik gibt den sogenannten Strohwein, indem man die Trauben oder gar die abgepflückten Beeren auf langen Strohlagern, Tablonen, etwas eintrocknen und dann unter den Torkel gehen läßt. Solches Getränk wird sehr süß und stark und ähnelt den geistigen Südweinen. Alle diese Extrasorten gehen übrigens in den Wirthshäusern unter dem Namen: Flaschenwein, und die Flasche steht je nach der Güte im Preise zwischen sechsunddreißig Kreuzer und einem Gulden. Wer sich über die Gaben der tirolischen Rebenhügel einige Erfahrung sammeln will, darf nicht unterlassen, in den Wirthshäusern von Zeit zu Zeit nach Flaschenwein zu fragen. Noch besser wird er sich allerdings unterrichten, wenn ihm vergönnt ist in [324] wohlhabenden Privathäusern des Etschlandes öfters einen Probetrunk zu thun.

Völlig unbekannt ist hier der Jubel der Weinlese, der am Rhein so begeisternd aufschlägt. Vermögliche Familien gehen allerdings während der Traubenzeit gern in die Weingärten, um die „Weimer“ – die Trauben – vom Stocke zu essen, ziehen dann auch wohl gute Freunde bei und geben eine nahrhafte Marende zum Besten; aber es geschieht in aller Stille, und selbst die Böller, die sonst bei den unerheblichsten Anlässen knallen, lassen sich dabei nicht hören. Die ländliche Freudenzeit in diesem Lande ist nicht die Weinlese, sondern die Zeit der Sommerfrische, die Saison der Bäder, für die Aelpler, aber insbesondere auch die lustige Heuernte auf den Hochalpen. Die Mahd auf dem Schlern und auf andern Bergwiesen, die zu beiden Seiten des Eisacks liegen, wird mit Musik und Gesang, mit mannichfachen bäuerlichen Scherzen begangen, und die Erinnerung an diese Freuden steht im Gedächtnisse der Bergjugend eben so verklärt, als anderswo die Vorstellung von der Weinlese. Freilich ist auch der Glanz dieser Jubelzeit im Erbleichen. Die Heumahd auf der Seißeralm, die wir mit eigenen Augen gewahrten, ging sehr still an uns vorüber, und auch auf andern Alpen soll die Eingezogenheit mit jedem Jahre wachsen. Manchmal mag die liebe Jugend den Ernst der Eiferer auch wohl sehr nachdrücklich herausfordern, denn die frischen, frohen Mahder stellen in ihrer Lebenslust gerne die Behauptung auf, über dem Wetterkreuz oben sey nichts mehr Sünde. – Nur in Meran wird der Fremde in ein Herbstvergnügen eingeführt, welches bacchischer Natur ist und mit der Weinlese wenigstens in naher Verbindung steht. Zur Zeit nämlich, wenn der neue Wein hell geworden und in seiner Jugendblüthe am schmackhaftesten ist, gehen die ansehnlichern Bauern zur Stadt und laden die freundlichen Herren ein den neuen Trank bei ihnen zu versuchen. Eigentlich soll dieß im Torkel geschehen und deßwegen heißt auch die lobenswerthe Uebung Törkeln; doch ist’s nicht weit gefehlt, wenn die Feier in der Stube vollzogen wird. Der Bauer, der die reinste Freude äußert, die Herren unter seinem [325] Dach zu sehen, trägt dann in großen Krügen seine besten Arten auf und schenkt unermüdlich ein; die Bäurin bringt etliche eigens aufbewahrte Trauben, volle Teller mit Kastanien, Nüssen und Aepfeln; die Kinder nahen sich allenfalls mit einem Blumenstrauße. Die Unterhaltung ist volksthümlich, heiter, lebendig. Der Bauer wird seines süßen Weines, die Bäurin ihrer schönen Kinder willen belobt; auf der andern Seite freut sich das ganze Hauswesen, daß die Herren heute so „gemein“ (herablassend) seyen. Manchmal wird’s besonders lustig und man kommt tief ins Zechen hinein, so daß um die Zeit des Törkelens viele „Affen“ nach Hause getragen werden.

Nicht unerwähnt darf hier die Figur des Saltners bleiben. Unter Saltner versteht man im Allgemeinen einen Flurschützen, auf den Alpen einen Hirten, im Weinlande aber zunächst den Traubenhüter. Der Saltner muß ein Mann des besten Leumunds seyn; er darf sich nie in verdrießliche Geschichten eingelassen, nie eine Strafe erduldet haben. Er wird jedes Jahr am 15 August eingestellt, bleibt bis die Güter abgeleert, erhält des Tages ungefähr einen Gulden, ferner verschiedene andre Reichnisse und genießt das Essen abwechselnd bei den Bauern. Nach diesen Anhaltspunkten schätzt man sein Einkommen während der drei Monate seiner Dienstzeit dem jährlichen eines wohlbestellten Knechtes gleich. Dieser zuträglichen Lage willen sind die Stellen sehr gesucht, und es findet eine förmliche Candidatur statt, indem der Aspirant zeitig genug bei den Bauern, in deren Markung ihm die Würde verliehen werden soll, umherzieht und sie mit Züchten um ihre Stimme bittet. Der Saltner hat wenigstens um Meran eine eigene wunderliche Tracht, nämlich eine lederne Jacke von besonderem Schnitt, lederne Hosen, kurze Stiefeln und einen dreispitzigen Hut, der mit Hahnenfedern, Gemsbärten und Eichhornschwänzchen verziert ist. Bei Tage führt er eine lange Ruthe, bei Nacht eine Hellebarde. Gegen die Unbill der Witterung schützt ihn eine Art von Taubenkobel, der auf vier mannshohen Stangen in das Gut gestellt wird. Der Saltner hat viel Plag und Mühsal, um seinen Dienst so zu verrichten wie das Herkommen es verlangt. Man nimmt [326] zwar an, daß er des Schlafes so gut bedürfe wie andere Menschen, welche nicht Saltner geworden sind, allein er soll sich nie schlummernd betreffen lassen – weder bei Tag noch bei Nacht. Auch des Essens wegen darf er sich aus seiner Markung nicht entfernen und überhaupt Speise und Trank nur nebenher einnehmen, stehend oder laufend, ohne Abbruch der beständigen Wache. In diesem Stücke ist der Bauer übermäßig streng, prüft den Saltner oft arglistig, und gibt die bündigsten Verweise und Drohungen, wenn der Mann eines Augenblicks nicht wachsam befunden wird. Ein Hauptziel seiner Thätigkeit ist die Beobachtung der verbotenen Wege. Von der Zeit an nämlich, wo der Saltner eingestellt wird, werden auch die Weingüter, die das übrige Jahr offen stehen und zum beliebigen Durchgang dienen, für geschlossen erklärt, und insbesondere alle getretenen Fußpfade die hindurch führen, bis auf die unentbehrlichsten als verboten ausgezeigt, was durch eine hölzerne Hand geschieht, die auf einer Stange steckt und mit Berberitzenzweigen umwunden ist. Wer solche verbotene Steige bei Tag betritt, und enthaltsam ohne Angriff auf die Trauben seines Weges wandelt, dem naht sich der Saltner mit Höflichkeit, zieht den Hut und bittet um den „Tabakkreuzer,“ eine ideelle Münze, welche gewöhnlich durch einen Groschen dargestellt wird. Wer bei Nachts in die gleiche Lage kömmt, zahlt um ein Gutes mehr und setzt sich auch unlieblichen Reden aus. Die volle Wucht saltnerischer Ahndung fällt natürlich auf jene, welche, sey’s bei Tag oder Nacht, ihrer Lüsternheit erliegen und im Weinberg naschend ergriffen werden. Freilich wird den Saltnern bei ihrer Verpflichtung vor der Obrigkeit bescheidene Höflichkeit gegen die herrischen, menschliche Milde und gesetztes Wesen gegen die mindern Leute aufs nachdrücklichste eingeschärft; doch vergeht selten ein Jahr, ohne daß man von blutigen Stößen zwischen den pflichttreuen Wächtern und naschhaften Dieben zu hören bekäme.

Ist der Saltner abgethan, so sind auch des Weins Verklärungswochen bald vorüber und man beginnt allmählich den neuen zu trinken. Wie die Knochen des Meraner Bauern fest und stark, so ist auch seine Gurgel für ihre Zwecke bewunderungswürdig [327] eingerichtet und er kann sehr aushältig zechen. Er selbst, der Herr und Meister auf dem Hofe, trinkt natürlich nach Belieben; aber auch dem Durst der Knechte ist ein sehr weiter Spielraum gesetzt. In der Regel dürfen sie sich des Tages bis auf zwei Maß hinaufnippen, bei gewissen mühseligen Arbeiten aber, wie zum Beispiel beim Wässern, mögen sie zu sich nehmen so viel sie wollen. Dieses Wässern geht in kurzen Unterbrechungen durch die ganze schöne Sommerszeit. Die Anstalten dazu sind in den letzten Jahrzehnten allenthalben sehr vervollständigt worden. Ueberall ziehen kleine Canäle, welche, sobald sie die tiefgrünen Wiesen der Ebene erreicht haben, zwischen lispelnden Alleen von Weidenbäumen dahin rieseln. Die Wässer sind unter die Flurnachbarn nach bestimmten Zeitperioden vertheilt, die man Tag- und Nachtroden heißt; denn, je nachdem es trifft, fällt das ganze Geschäft in die Nacht. Da sind denn die Fallen aufzuziehen, Rasendämme aufzuwerfen, der Gang des Wassers zu leiten, und wenn die Zeit vorüber ist, die Fallen zuzulassen, die Dämme abzuschaufeln und das Bächlein wieder wohlbehalten dem Nachbarn zu überantworten – ein Inbegriff von sehr mühsamen und austrocknenden Arbeiten. Bei diesen Wässerungen werden auch oft die Fußwege in Mitleidenschaft gezogen und mancher Lustwandler, der des Abends unbesorgt ins Freie gegangen, findet bei der Heimkehr statt des trockenen Pfades, der ihn hinaus geleitet, einen murmelnden Bach, der ihn bis an die Knöchel netzt, wenn er ihm nicht auf Umwegen entkommen kann. Wer nun nachrechnen will, wird finden, daß ein tüchtiger, mit vielen Knechten und erwachsenen Söhnen versehener Bauer das Jahr hindurch eine ziemliche Anzahl von Ihrn zum Haustrank aufwenden darf. Bei manchen soll der Verbrauch bis auf 4000 Maß steigen und in ungünstigen Jahren das ganze Ergebniß der Güter kaum hinreichen um den Bedarf der Haushaltung zu decken.

Dem reichlichen Weingenuß im Etschlande entspricht indessen auch die feste Nahrung, und es ist gewiß eine richtige Bemerkung, daß der Bauer und sein Gesinde in den wenigsten Gegenden Deutschlands so gut und viel zu essen haben, [328] wie dahier. Man setzt sich des Tages fünfmal zu Tisch, freilich nur zweimal auf längere Zeit. Man beginnt die Arbeit am Morgen mit dem Frühmuß, stärkt sich um neun Uhr mit dem Halbmittag, läßt um eilf Uhr das Mittagsmahl, und diesem um drei Uhr die Marende folgen, und ißt dann noch einmal des Abends. Plente und Milchsuppe kommen dabei allerdings mehr als einmal vor, allein wohl auch Fleisch, meist geräuchert, was in Verbindung mit dem zwiebackähnlichen Brode schon Lewald erstaunen ließ, hier in den Alpen die Lebensweise der Seeleute anzutreffen. Diese stärkende Kost mit dem süßen Weine soll, so zuträglich sie den Leibern der Landleute ist, den Gütern derselben eher nachtheilig seyn, und man will behaupten, daß die jährliche Minderung des Ertrags derselben schon seit Jahren eine Beschränkung im bäuerlichen Haushalt hätte herbeiführen sollen. Bei allem Schönen, was man vom Etschlande sagen muß, ist nämlich nicht zu verschweigen, daß der Wohlstand mählich abnimmt, daß der Bauer, schon Ehrenhalber nicht geneigt in seinem Aufwande Mäßigung eintreten zu lassen, von Jahr zu Jahr schwerer haust, und daß die Vergantungen, durch welche namentlich die nüchternen Wälschen herbeigezogen werden, von Jahr zu Jahr häufiger vorkommen. Man erzählt viel von dem hohen Leben der Bauern, mitunter auch von dem Uebermuth der zu einer gewissen Zeit als Folge schnell entstandenen Reichthums bei ihnen an den Tag getreten. Damals, geht die Sage, seyen die reichen Hofherren und ihre Ehewirthinnen an Sonntagen nur reitend zur Stadt gekommen, oft noch gefolgt von einem Geleithaufen berittener Knechte, und bei Mahl und Tanz hätten sie die harten Thaler in Menge schonungslos verzecht. Es wird dieß lustige Bauernleben in die Zeit gesetzt, wo die Ihrn Wein, die jetzt zwischen fünf und sieben Gulden steht, noch zwanzig bis fünfundzwanzig kostete, und das war jene Zeit als Meran sich eine königlich bayerische Stadt nennen mußte, insbesondere die letztern Jahre vom Frieden zu Schönbrunn bis zur glorreichen Wiederkehr des Hauses Oesterreich. Es ist bekannt, daß Napoleon nach Beendigung des Kriegs in Tirol die gefürstete Grafschaft zerstückelte, den [329] nördlichen Theil zwar bei Bayern ließ, Oberpusterthal aber mit Illyrien und Südtirol mit dem Königreich Italien vereinigte. Die Gränzen des vergangenen Königreichs Italien fielen übrigens nicht mit den Marken der italienischen Sprache in Tirol zusammen, sondern schlossen auch noch ein gutes Stück völlig deutschen Landes ein und waren so gezogen, daß sie den Eisack bei Atzwang zwei Stunden ober Bozen, die Etsch bei Nals etwa in der Mitte zwischen letzterer Stadt und Meran durchschnitten. In dieser Art war also die Gegend von Bozen und Kaltern mit all ihrem reichlichen Erzeugniß höchst genießbarer Getränke von dem bayerischen Markte ausgeschlossen und Meran hatte nahezu das Weinmonopol im Königreiche Bayern, dem damals das rebenreiche Würzburg wieder entzogen war. Daher jene hohen, jetzt kaum mehr zu erlebenden Preise und daher jenes sehnsüchtige Verlangen der Meraner Bauern nach der guten, alten Zeit – ein Verlangen, das sie in ihrer Blödigkeit nicht anders ausdrücken, als mit den Worten: wenn wir nur wieder bayerisch wären! – Ich sage das, obwohl ein Bayer, lediglich als Zeuge der Thatsache, ohne Freude oder Hoffnung, da wir alle bei dem jetzt so schön erwachten deutschen Einigkeitsgefühl nicht denken können, daß im deutschen Bund für deutsche Fürsten noch etwas zu erobern sey. Liebhaber der Unwissenheit und der politischen Erstarrung, seyen es nun Staatsmänner oder nicht, möchten aber hier ein Beispiel haben, daß die Fülle der Ignoranz und der Apathie nicht immer das sicherste Mittel sey, den Landmann in jener gewünschten unerschütterlichen Anhänglichkeit ans angestammte Fürstenhaus fest zu halten. Wäre die Bildung des Bauern so beschaffen, daß sie ihn an dem, was im deutschen Vaterlande vorgeht, Antheil zu nehmen befähigte, so würden seine Wünsche, die jetzt weit über die Zuständigkeit eines guten Unterthanen hinausgehen, sich in erlaubtem Geleise bewegen, und statt den Sinn auf eine andere Herrschaft zu richten, würde der Landmann lediglich nach Veränderung im Zollwesen sich sehnen. Wie man sich denn nun aber nicht besser zu helfen weiß, als mit der Hoffnung auf einen zweiten Preßburger Frieden, so hat man auch schon in andern Beziehungen nachgefragt und [330] die jetzige „Erhebung des religiösen Bewußtseyns“ in Bayern hat mindestens bei den Meraner Bauern aufrichtige Theilnahme gefunden. So wenig Anklang die Wiedereinführung des alten Mönchswesens im Lande selbst genießt, so lobenswerth erscheint sie den Leuten im Burggrafenamte, und ich führe diesen freundlichen Widerhall um so lieber an, als der Gewinn, den wir hier unter dem beschränkten aber gutmüthigen Volk des Etschlandes gemacht, uns wenigstens einigermaßen entschädigen kann für die Kälte und den Sarkasmus, der über jene anziehende Verjüngung in andern aufgeklärten, aber boshaften deutschen Ländern an den Tag tritt. Nachdem es jetzt so gut steht „im religiösen Fach,“ sagt man in Untermais und in Partschins, so wäre gar nichts mehr auszusetzen. Getreid herein, Wein hinaus – das ist sprüchwörtlich geworden und überall zu hören und eben so oft kommt die Betrachtung vor: was hilft der Kaiser, wenn die Länder nicht „zusammenspielen.“ Bayern und Tirol sind aber durch die Natur zum „Zusammenspiel“ geschaffen, als sich gegenseitig durch ihre Haupterzeugnisse ergänzend, während die benachbarten Erbländer weder Getreide an Tirol abgeben können, noch Wein von demselben nehmen wollen. So hat denn allerdings innerhalb eines Menschenalters ein gänzlicher Umschlag der Stimmung stattgefunden, und die Meraner, die Maiser, die Algunder, einst so eifrig bei dem Kriege, dann so wonnetrunken, als der Kaiser Franz wieder seine feurigen Arme um die tirolische Jungfrau schlang, die Meraner, die Maiser, die Algunder, die Männer im Weinland bis an die weiland italische Gränze bei Nals trauern jetzt über die Trophäen von Anno Neun und meinen die damalige Erhebung sey „lei so a Dummheit, a zochete G'schicht“ gewesen. Die Meraner nehmen es sich noch jetzt übel, daß sie dazumal bei der großen Festbeleuchtung zu Ehren der Wiedervereinigung mit dem Kaiserreiche so unendlich viele transparente „Facken“ (Schweine) ausgestellt, Schweine nämlich, welche von Gebirgsschützen und anderm bewaffneten Volke aus dem Lande getrieben wurden. Hätten’s auch nicht gethan, sagt der Bürger, wenn wir gewußt, wie gut wir sie jetzt brauchen können. [331] In der That sind die bayerischen Traubengäste nicht unwillkommen in Meran, und bis sie etwa einmal den Engländern weichen müssen, wird man diese Colonie, die zeitenweise auf dreißig und vierzig Köpfe steigt, als unverwerfliche Einkommensquelle mit offenem Wohlwollen betrachten. Stehen doch jetzt die Miethpreise der Wohnungen drei- und viermal so hoch als vor zwanzig Jahren.

Die Meraner sind wegen ihrer politischen Meinungen und Ansichten von pflichtsüchtigen Menschen schon öfter schlimm überschrieben worden, und das ist ihnen natürlich unangenehm. Darum lieben sie über alles die Gelegenheiten, wo sie ihren alttirolischen Patriotismus und die unerschütterliche Anhänglichkeit an das habsburgische Haus in festlicher Glorie darlegen dürfen. Wenn daher der Kaiser oder die Erzherzoge nach Tirol kommen, so werden sie kaum irgendwo freudiger und feierlicher empfangen, als zu Meran. Die gnädigen Fürsten erklären dann auch mit Rührung, wie sehr sie sich getäuscht, wie freundlich sie sich angesprochen fühlen von all den zahllosen Beweisen unvergänglicher Treue und Liebe. Kaum sind aber die Böller verklungen, so fällt man wieder in den alten Vergleich zurück zwischen der Zeit, wo die Ihrn fünf Gulden, und der andern, wo sie dreißig Gulden kostet. So oft man indessen von diesen Dingen reden hört, so bleibt doch noch manches Bedenken über. Der höhere Preis, den der Wein früher hatte, ist keinem Zweifel unterworfen, aber andererseits scheint es fast, als sey der vielgerühmte damalige Absatz nach Bayern lediglich eine Einbildung, und als dürfe jener hohe Preisstand dem Zusammenwirken ganz andrer Verhältnisse zugeschrieben werden. In der Schrift: Tirol unter der bayerischen Regierung,*) die von einem sehr gut unterrichteten Tiroler geschrieben ist, findet sich nichts von diesem segensreichen Verkehr mit Bayern, und es ist kaum zu glauben, daß der Verfasser davon geschwiegen hätte. Er sagt nur, daß durch die Einführung der neuern Methode die Ausfuhr des Tiroler Weines sehr abgenommen habe, keineswegs mehr bedeutend [332] sey, ja selbst vielleicht von der Einfuhr fremder Weine überstiegen werde. Dagegen kann man wieder geneigt seyn den Meranern Recht zu geben, wenn man nachliest, was Staffler über die Sache mittheilt.*) Uebrigens, und dieß wird zur Zeit allerdings mit tiefem Schweigen übergangen, ist sehr glaubwürdig, daß dazumal im bayerischen Tirol ein sehr schwunghafter Schleichhandel betrieben ward, „der, wie jener Landsmann sagt, die Städte Meran und Brixen eben so sehr bereicherte, als den Charakter der Einwohner verdarb.“

Gehen wir indessen wieder einmal spazieren und zwar am kühlen Abende nach Mais, das gerade vor dem Thore, jenseits der Passer liegt. Es ist ein weitzerstreutes Dorf, zum Theil an die Landstraße, zum Theil auf die sanfte Halde hingebaut, die gegen den Freiberg aufsteigt. Jene Hälfte heißt Untermais, diese Obermais; in jener ist das bäuerliche Aussehen vorherrschend, diese besteht fast nur aus Schlössern und Ansitzen. Beide sind nach einstimmiger Annahme der Alterthumskundigen auf dem Bergschutte erbaut, der in den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung vom Ifinger herabstürzend, das römische Majä überschüttet hat.

Also nach Untermais, dessen düstere Kirche über grüne Weidenbüsche herüberschaut und an der vordern Außenwand ein paar uralte steinerne Köpfe aufweist, aus jener Kunstschule, die sich in den Portalen auf Zenoburg und Schloß Tirol verewigt hat. Der gastfreundliche Pfarrhof von Mais, dem Stifte zu Stams im Oberinnthale gehörig, steht an der Straße und labt allabendlich ein kleines, aber auserlesenes Häuflein Meraner Herren mit der Blüthe seines Kellers. Das Wirthshaus des Dorfes entdeckte ich an einem Sonntage, als ich fremd noch und unbekannt mit Sitte und Gebrauch nach einem Orte fragte, wo etwa die Stadtleute in der Feier ihrer Sonntagslust zu betrachten wären. Man rieth mir in den Gütern von Mais herumzuschlendern, und so gerieth ich in den ansehnlichen Gasthof, wo ich zwar keine Gäste, aber sehr freundlichen Empfang fand, daher auch ein Seidel [333] trank und mir den Ort merkte. Ein paar Tage darauf kam ich wieder, denn in der Stadt hatte sich das Gerücht verbreitet, in Untermais würde eine Hochzeit seyn. Die kühle Halle des Wirthshauses war der herrschenden Hitze wegen eine sehr angenehme Warte, um die Anfänge der Begebenheit zu beobachten. Allmählich fuhren mehrere Caleschen vor, vom lustigen Posthorn angekündet und mit weidlich aufgeschmückten Gästen besetzt. Man wollte sich da gegenseitig erwarten, und so sammelte sich nach und nach eine ziemliche Anzahl von Leuten. Die Männer prangten in ihrem besten, schon erwähnten Sonntagsstaat, in braunen Jacken mit rothen Aufschlägen, rothen Leibchen, grünen Hosenträgern, schöngestickten, mit den Namensbuchstaben versehenen Gürteln, schwarzledernen Hosen, weißen Strümpfen und rothausgenähten Schuhen. Die „Buben“ trugen große grüne, die „Mander“ (Ehemänner) große schwarze Hüte, und diese wie jene und die der Postillione waren mit bunten Sträußchen verziert.

Etwas mehr vom gewöhnlichen Sonntagsputze abweichend war die Tracht der „Weiberleute.“ Sie bestand aus violetten, rotheingefaßten Spensern, dunkeln rothbeborteten Röcken, von denen die schneeweißen Schürzen kräftig abstachen, und auf den Häuptern saßen die alterthümlichen Spitzelhauben. Diese Spitzelhauben sind, wie der Name besagt, aus schwarzen Spitzen gefertigt und umgeben das Haupt wie ein leichtes durchbrochenes Dreieck, so daß zwei Strahlen von den Schläfen ausgehen und ein dritter vom Scheitel. Hinten ist eine Art Cocarde oder Blume von seidenen Bändchen angebracht, welche bei den Jungfrauen roth, bei den Frauen weiß und mit einer großen Silbernadel befestigt ist. Der ganze Anzug sieht sehr schmuck und kleidsam aus. Ehemals soll er gewöhnliche Sonntagstracht gewesen seyn, noch früher war er wohl Gewand des Werktages. Die Spitzelhaube insbesondre verräth uns manches über die Geschichte der Volkstrachten. Jetzt ist sie in Meran und Bozen nur mehr als belächelte altfränkische Erscheinung an etlichen hochbetagten Höckerinnen zu sehen, dagegen bei dem Landvolke noch als Putz für Festtage und hohe Zeiten in Gebrauch, deßwegen auch auf den Grabgemälden, [334] wo die Hingeschiedenen im besten Feiertagsstaate gemalt werden, noch ständiger Kopfputz der Frauen, und nicht allein im Etschlande, sondern auch im Pusterthal. So geht die Volkstracht vom Werktag auf den Sonntag über, vom Sonntag auf den Feiertag, und stirbt dann im Zenith ihrer Würde, um noch als Kinderspott an den Leibern etlicher alten Männchen und Weibchen nachzugeistern. Je mehr sie sich den Augen der Menge entzieht, desto höher steigt ihre Bedeutsamkeit, bis die Stufe erreicht ist, wo vom Erhabenen zum Lächerlichen nur mehr ein Schritt. Zu der Zeit, wo sie nur noch hervorgezogen wird, um die höchsten Tage des Jahres auszuzeichnen, ist sie in der Regel schon geheimer oder auch bereits öffentlicher Lächerlichkeit verfallen. Uebrigens nehmen die Volkstrachten, wie es scheint, ihren Ursprung immer in den höhern Ständen und steigen von diesen in die untern und zu den Bauern herab. Die Bauerntracht ist aber wie die Aloe, die nur alle hundert Jahre blüht – sie geräth nur nach langen Zwischenräumen in den Zustand der Empfängniß; der Bauer und die Bäurin häuten sich selten früher als nach der dritten oder vierten Generation. Vieles, was die wechselnden Moden den höhern Ständen bringen, geht wieder dahin, ohne daß von unten her ein Auge darauf geworfen wird – manche Erscheinung aber, die gerade in die Zeit fällt, wo das Landvolk wieder seinen Schooß eröffnet, hält sich auf mehrere Menschenalter hinaus. Eine der vorstechendsten Trachten Tirols war ehemals bei den Männern auf der Höhe von Castelruth in Uebung. Sie ist seit etwa dreißig Jahren untergegangen, und man sieht sie wie viele andre tirolische nur noch auf älteren Trachtenbildern. Sie bestand aus einem grauen Spitzhut, großer Halskrause, rother kurzer Joppe, gelben Hosen und weißen Strümpfen. Diese Kleidung, fast in allen Stücken das Vorbild der deutschen Hanswurstentracht, zeigt sich in genauer Uebereinstimmung bei den Kriegsleuten auf Bildern der zweiten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts. Die Jacke der Meraner Bauern ist wohl ein Erbstück aus der Zeit des dreißigjährigen Krieges. Die Spitzelhaube war nach einem Bildnisse im Braitenbergischen Hause zu Meran im [335] Jahre 1764 noch die Tracht der angesehensten Stadtfrauen. Die hohen Weiberhüte, wie sie jetzt im Unterinnthale getragen werden, bildeten nach ältern Votivtafeln, die in oberbayerischen Wallfahrtskirchen hängen, um den Anfang des vorigen Jahrhunderts die Zierde vornehmerer Damen. Die Pelzkappe, welche in unsern Tagen die vermöglichen Bäuerinnen in Oberbayern tragen, trug im Jahre 1669 die Frau Kammerräthin Mayr, deren Conterfei im Gange des Klosters Schäftlarn zu finden. Im Allgemeinen dürften wenige Trachten älter seyn als drei Jahrhunderte. Ihre Verschiedenheit aber scheint dadurch zu entstehen, daß sich in den verschiedenen Gegenden die chronische Empfänglichkeit zu verschiedenen Zeiten einstellt, wie sie denn auch bei den beiden Geschlechtern nicht immer gleichzeitig auftritt, und das eine oft eine Neuerung einführt, während das andere alles beim Alten läßt. Eine theilweise Aenderung hat in diesem Menschenalter der bayerische Bauer zwischen Isar und Lech vorgenommen und dabei, wie sich versteht, die Herrenmode mit den langen Röcken und den eingebogenen Hüten sich angeeignet, wie sie etwa vor fünfundzwanzig Jahren getragen wurden, beides freilich in etwas derberer Form. – Die Weiber dortiger Gegend aber blieben in allen Stücken beim alten Herkommen; dagegen sind die am Chiemsee und um den Tegernsee von den Keulenärmeln, die vor etwa fünfzehn Jahren das Neueste waren, hingerissen worden und haben sie mit Belassung des Uebrigen ihrem Anzug vereint. Gigotärmel und die langen Herrenröcke und eingebogenen Hüte werden in den angegebenen Gegenden wahrscheinlich unsre Enkel noch zu gewahren haben. Eine Hauptquelle für die Geschichte der Volkstrachten sind die Votivtafeln bei den Gnadenbildern. Schade, daß in den größern Wallfahrtsorten die ältern immer verworfen oder verbrannt werden, wenn wieder Platz für neue geschafft werden soll. Eine passende Auswahl aus den früheren würde manche anziehende Vergleichung gestatten.

Vom Wirthshause zog das Hochzeitspaar mit seinem Gefolge zur Kirche, in deren Wände neben jenen uralten steinernen Köpfen auch viele Grabmäler längst verstorbener Herren [336] und Frauen aus den Maiser Schlössern eingelassen sind. In den Weingärten knallten die Böller, vom Thurme herab schallten die Glocken, und die Weiber und Kinder von Mais liefen wie sie waren neugierig nach und stellten sich in dichtem Gedränge unter die hintere Kirchenpforte, gleich als sey es ungeziemend, bei solcher Feierlichkeit ohne hochzeitliches Kleid sich weiter in das Gotteshaus hineinzuwagen. Als die zarte Braut in ihrer Schüchternheit es übersah mit dem Bräutigam zur rechten Zeit vorzutreten und vom Priester herbeigewinkt werden mußte, brach das hintere Publicum in ein sehr vernehmliches Lachen aus.

Das Brautpaar hatte übrigens für gut befunden seinen Hochzeitschmaus auf der Post zu Meran zu bestellen, und als wir Mittags nach ein Uhr selbst dorthin zu Tische kamen, saßen die Hochzeitsleute schon beim Mahle und zwar an einer langen, mit Blumensträußen schön verzierten Tafel; die Frauen oben, die Männer unten, das Brautpaar in der Mitte, links und rechts zu seinen Seiten geistliche Herren. Das Essen hatte um zwölf Uhr angefangen und sollte in rascher Folge der Gerichte bis zum Abend dauern. Man saß in tiefster Ruhe beisammen und aß. Nur zuweilen ging ein leises Summen durch die Gesellschaft. Später nahmen die Weibsleute der Hitze wegen ihre Spitzelhauben ab und ließen ihre Zöpfe hängen, was sehr zierlich aussah. Als wir um fünf Uhr wieder zur Stelle kamen, fanden wir die Gesellschaft noch beisammen, etwas schweigsamer noch als vorher und ziemlich unverhohlen gähnend. Mit dem Mahle waren alle Freuden aus und die Gäste gingen in tiefer Ruhe wieder auseinander.

In dieser Art werden neuester Zeit in den meisten Gegenden des Landes die Hochzeiten begangen, und da oder dort, wo bisher noch etwas Leben, etwas Heiterkeit und Festtagsjubel gegönnt war, ist man so eben daran sie als unheilig und den guten Sitten gefährlich zu beseitigen. Die Geistlichen erklären, sie könnten bei diesen Hochzeitschmäusen nur dann erscheinen, wenn Musik und Tanz unterbliebe, da sie durch ihre Anwesenheit diesen sündhaften weltlichen Freuden nicht etwa eine stillschweigende Genehmigung verleihen dürften. [337] Nun wollen aber die Leute bei ihren „Hochgeziten“ der Priester nicht entrathen, und so erfüllt man in den meisten Gegenden die Bedingung; an einzelnen Orten, wo man noch am alten Herkommen hält, fehlt es nicht an schweren Unwettern von den Kanzeln herab. Armer Bauer in deiner Heiligkeit! eine Hochzeit ohne Musik und Tanz, ohne die schmetternden Trompeten und die gellenden Clarinette, ohne Jauchzen und das dröhnende Stampfen des Tactschlags, ohne Schwingen der erröthenden Jungfrauen und Ehrenreigen des Brautvaters – eine Hochzeit ohne alle Freude, nur mit vollem Magen und weinschwerem Kopf – was ist das für eine Erinnerung in den alten Tagen, wo man von der Jugend zehren muß!

Und nun noch einmal von den Schlössern, um dann das Meranerthal zu verlassen. In einem Lande, das überall von alten Burgen strotzt, ist es kaum zu verwundern, daß ihrer in den geräumigen schönen Gründen an der Etsch, auf den milden Weinbergen zu beiden Seiten der Stadt so viele erbaut worden sind. Die Hügel von Obermais gelten ja für die angenehmste Höhe des deutschen Südtirols. Für das feine Gefühl der Eingebornen hat nämlich diese Flur noch den Vorzug eines weichen süßen Klima’s mit lauen Lüften und warmen Sonnenstrahlen im Winter und mit frischen Winden aus dem Passerthale im Sommer. An heißen schwülen Juliustagen sehnen sich die Meraner in der Stadt nach diesen luftigen Hügeln, die ihnen über die Mauern hereinlugen, gleichsam als nach einer schönern Zone. Die andern Burgen liegen zum Theil minder günstig zur Sonne und zur Sommerkühle, aber keine ohne herrliche Aussichten aus den Fenstern. In ihrem äußern Wesen stehen sie untereinander in demselben Gegensatze wie im Kelleramte zu Meran die alten Zimmer aus der Zeit Herzog Friedrichs mit den neu eingerichteten Schreibstuben daneben. Etliche gehen über die Tage der schönen Margarethe zurück, an andern ist noch das späteste Rococo zur Verherrlichung gekommen. Die beste unter den alterthümlichen scheint mir die Burg Rubein, zwar klein und fast versunken zwischen den Weinbergen, aber ehrwürdig grau von außen und innerhalb im engen Burghof mit mancher Erinnerung [338] an altitalienische Baukunst. Außerhalb stehen ragende Cypressen um die dunklen Mauern. Die Burg in ihrer Stille und dem unversehrten, lombardischen Aussehen hat etwas Mährchenhaftes. Auch Fragsburg, die höchste in der Meraner Gegend, weithin gesehen auf dem buschigen Felsenvorsprung, ist solchen Schlages, und nicht minder das Schloß von Auer, das verborgenste von allen, hinten im heimlichen schattigen Winkel über der grausen Schlucht des Finelebaches. Es geht dahin ein sehr anmuthiger, einsamer Spaziergang über die kleine Hochebene von Tirol unter großen Obstbäumen. Neben diese feinen, wälschen Bauten stellt sich eine ungeschlachtere deutsche Art, worunter besonders Gayen hervorzuheben, das hoch ober Mais auf dem Freiberge liegt und der Stadt eine breite hohe Mauer zuwendet, über welche ein dicker Thurm aufragt. Vorst, oben an der Töll, gehört auch zu dieser deutschen Gattung. Es ist fast schwarz geworden vor lauter Alterthum. Man tritt in ein winziges Höfchen und steigt dann die steinernen Treppen auf und ab durch enge Gänge, aus denen die finstern Stuben zugänglich sind. Eine darunter, die Wohnstube der jetzigen Bestandsleute, ist mit Holz getäfelt wohl seit Jahrhunderten her. Oben an der Decke ersieht man zwei Kreuze eingeschnitten und diese bedeuten, daß darunter einst ein Ritter von Vorst seinen Bruder erstochen habe und das Blut des Ermordeten bis an die Decke gespritzt sey. Friedrich Mercey, derselbe welchem wir den fameux lac de Gewester verdanken, hat daraus eine lange, pathetische Geschichte gemacht, die er uns als dem Volke abgelauscht anvertrauen will, was um so lächerlicher, als die Sage, wie sie von den Leuten erzählt wird, in zwei Worten abgethan ist. Nach ihm aber hat der alte Herr von Vorst keinen männlichen Leibeserben, sondern nur eine Tochter. Er quält daher mehr als billig seine Frau Gertrude, welche, um diesen Drangsalen ein Ziel zu setzen, in einer nahen Höhle den dort wohnhaften berühmten Nekromanten besucht. Neun Monate darnach ertönt ein entsetzlicher Schrei im Schlosse; die Dienerschaft eilt herzu, findet die Burgfrau todt, aber neben ihr zwei neugeborne Knaben, die sogleich deutliche Zeichen eines [339] zwischen ihnen herrschenden Unfriedens von sich geben. Welcher von beiden der ältere, war nicht mehr zu ergründen, weßwegen auch der Haß der Brüder mit reifern Jahren nur immer zunahm. Dieser Haß, sagt Mercey, war bei ihnen instinctmäßig; sie haßten sich ohne Ursache, nur aus Vergnügen sich zu hassen. Zuletzt kam auch noch ein Grund dazu, da Otto und Adalbert (c’étaient les noms qu’on leur avait donnés) ein und dasselbe Edelfräulein liebten. Endlich erscheint ein frommer Priester, der Abt von Brixen, in der Gegend, hört von diesem Hasse, geht nach Vorst und nimmt beiden Brüdern das Versprechen ab, andern Tages in der Burgcapelle sich zur Versöhnung einzufinden. An diesem Morgen war viel Adel und Landvolk nach Vorst gekommen, um Zeuge der Begebenheit zu seyn. Otto und Adalbert traten auf den Wink des Priesters zum Altare und neigten sich gegen einander, wie um sich zu umarmen, aber auf einmal erschallen wieder zwei entsetzliche Schreie durch die Capelle. Blut spritzt auf und die beiden Herren von Vorst, die sich gegenseitig erdolcht, fallen röchelnd zur Erde und verscheiden unter den gräßlichsten Verwünschungen. Die Hostie, die auch von Blut befleckt worden, habe man noch lange Zeit im Schlosse gezeigt, bis sie eines Tages durch ein Wunder hinweggerückt worden. Dieses Ereigniß sey in der Gegend bekannt unter dem Namen: die Versöhnung von Vorst – der Abt von Brixen aber habe selbige Nacht einen Traum gehabt, worin ihm die heilige Jungfrau zu erkennen gegeben, er solle sich dieses Mordes wegen nicht betrüben, denn während jenes Besuches bei dem berühmten Nekromanten habe die Brüder der Teufel erzeugt und sie seyen daher nur zu ihrem Vater zurückgekehrt. – Solche verschönerte Geschichten finden sich bei Mercey mehrere; die Lieder aber, die er am Ende seines Buches in geschmackvoller Uebersetzung als tirolische mittheilt, die sind eigentlich noch viel lustiger.

Jene Burg zu Vorst und die andern genannten sind nun bäuerlichen Pächtern überlassen und für Herrenleute wohl auch nicht mehr herzustellen. Merkwürdiges ist nichts darinnen, als was eben die Architektur bietet – hie und da ein schöner [340] Säulenbogen, ein gothisches Fenster und dergleichen. Nur selten noch findet sich ein Ueberbleibsel alten Farbenschmuckes, ein ritterliches Wappenschild oder eine verblichene Malerei. Selbst die Burgcapellen sind wegen später Erneuerungen alles altertümlichen Reizes ledig. Die kräftigste Erinnerung an langvergangene Zeiten liegt wohl in den getäfelten Wohnstuben, an denen seit Jahrhunderten wenig geändert scheint. Die prüfende Vergleichung der verschiedenen Bauweisen, wie sie sich in diesen Schlössern darstellen, würde für die Kunstgeschichte des Etschlandes von Bedeutung seyn, doch hat sich noch Niemand daran gewagt. An Sagen und Geschichten waltet überraschende Armuth ob, wie wir schon einmal gesagt haben – die ganze Poesie der Landleute scheint sich in den Norkeln erschöpft zu haben. Von den alten Herren klingt kein Name mehr nach – die Ritter von Rubein, von Schänna, von Auer, von Partschins sind schon längst verschollen. Die Leute, die jetzt in ihren Horsten zu wohnen haben, sprechen von diesen mit kaltblütiger Verachtung, wie von altem, schnödem, nichtswürdigem Gemäuer.

Treten wir auf abendlichem Spaziergang in einen solchen Burghof, so rastet dort auf der steinernen Treppe der Baumann in tiefem Ernste beim Nachttrunke und raucht aus winzigem Pfeifchen seinen starken Knaster; hier am rauschenden Brunnen spinnt seine Ehewirthin und im Irrsaal ringsherum spielen die rothbackigen Kinder. Die Hausfrau lächelt, wenn wir ihr gestehen, daß wir den weiten Weg aus der Stadt gemacht um das Schloß zu sehen. S’ ist nichts als altes Winkelwerk, pflegt sie anzumerken, nimmt den Schlüssel und geht voran. Aus der Wohnstube beginnt die Wanderung durch die Trümmer der Vorwelt, durch düstre Gänge, über düstre Treppen in düstre Gemächer. Hier in der vergilbten Bankethalle ist die Speisekammer und es hängen da in schwebenden Leisten die Zwiebacke; in einer andern Prachtstube sind die Aepfel aufgeschüttet, der Mais und andre Früchte. Im trüben Gemache daneben voll Spinngeweben und Schmutz stehen ein paar schadhafte Bettstätten, worin die Dirnen schlafen; in einer andern, eben so finster und herabgekommen, hausen [341] die Knechte. Andre Räume sind ganz leer, ganz windoffen, ganz verfallen, andre mit etwas vergessenem Hausgeräthe besetzt. Da wird nichts mehr gebessert und gerichtet, und so verwittert denn eine Zinne nach der andern; die Kreuzstöcke, aus denen die Edelfräulein guckten, fallen vom Wind gelöst heraus, die Thurmtreppen, über welche die Gewappneten rasselten, brechen zusammen, die Decken der Gemächer, die einst von Liedern wiederhallten, sinken ein, und die Burg, vor Zeiten so stolz und so fest, oft um viele hundert Pfund Meraner Pfennige verpfändet, oft von hundert von Reisigen berannt, steht traurig und zerknickt vor unsern Augen, öde und ausgestorben.

Die Wahrheit zu sagen, läßt sich freilich auch an der Hand der Geschichte nicht mehr viel Leben in diese Burgställe bringen, Schloß Tirol und die Zenoburg natürlich ausgenommen. Sonst wird etwa ein Herr Eppo von Laubers genannt (1178) als Marschall der Grafen von Tirol, ein Herr Bertholdus de Ruvina (Rubein) als ihr Truchseß. Heinrich von Laubers that sich zur Zeit König Heinrichs von Böhmen hervor; Petermann von Schänna war ein Liebling seiner Tochter, der primus inter pares wie es scheint; auch Otto von Auer gehörte dazu. Von vielen andern Herren weiß man nur, daß sie gelebt haben. Als nach Margarethens Zeiten das Hoflager in Innsbruck aufgeschlagen wurde, verblich auch der politische Glanz der Meraner Gegend; die Burgengeschichte wird mit dem Anwachsen des historischen Materials reicher an Namen, nicht an Begebenheiten. Doch fällt noch ins Jahr 1423 die Belagerung von Schänna, das dazumal die Starkenberger besaßen.

Der bauernfreundliche Besucher wird sich vielleicht da und dort den Abgang historischen Schimmers durch den Verkehr mit den gegenwärtigen Einwohnern etwas ersetzen lassen. Auf Schloß Auer habe ich im Vorhofe der Burg einen ländlichen Bücherliebhaber gefunden, der alle seine Sparpfennige daran gewandt, um sich auf den Versteigerungen einen tüchtigen Kram alter Scharteken anzuschaffen. Mit ihrem Inhalt sucht er nun in allen Nebenstunden seine Wißbegierde zu [342] sättigen, die ein Faß der Danaiden scheint. In Gayen traf ich eines schönen Abends einen alten Helden, der im bayerischen Heere bei Hanau und bei Bar sur Aube gefochten. Er sprach mit Feuer von jenen Kriegsjahren und wie gerne er Soldat gewesen. Diese frohe Erinnerung an die Zeiten, wo sie mit den Söhnen bayerischer Mütter in Reih und Glied gestanden, ist keine seltene Erscheinung unter den Tiroler Bauern. Auch zu Kappel im Paznaun kam mir solch ein ehemaliger Kriegsmann vor, der seinen Cameraden vom Jahre 1813 das Beste nachsagte. Von den bayerischen Officieren meinte er zwar, so lange man daheim gewesen, hätten sie die Tiroler nicht gerne unter ihren Leuten gesehen, da vom Jahre 1809 noch zu viel Gift übergeblieben, wenn’s aber ins Feld gegangen, da hätten sie bald Gefallen daran gefunden, dieweil die Tiroler sich allwege als rechtschaffene und tapfere Kriegsleute erwiesen. Der alte Soldat von Gayen schien auch viel Sinn für die Schönheit seiner Gegend zu haben. Als ich da mit ihm am Fenster saß und die Landschaft vergnügt betrachtete und lobte, sagte er: ja, unsere Berge sind wie Altäre mit Büschen verziert.

Unter den andern Schlössern, die entweder jüngeren Baues sind oder durch spätere Wiederherstellung ihr mittelalterliches Gepräge eingebüßt haben, steht das schon öfter genannte Schänna oben an. „Schänna, die stattliche Veste, eine Wegstunde von Meran, ruht am linken Passerufer unter den Spitzen des Ifingers. Ueppige Pflanzenfülle umrankt den Weg. Eine tüchtige Anstufung des Schännaer Berges, auf dem sich die Höfe der Gemeinde weit ausgestreut lagern, trägt das Schloß und die Kirche mit dem Häuserkern des Dörfleins. In der Burg saßen in ältesten Tagen die gleichnamigen Edlen. Petermann von Schänna wird obenan genannt, wenn von den Tiroler Landherren die Rede geht, welche es verstanden, am veilchenblauen Minneseil die launige Gebieterin, Margarethe die Maultasche, zu gängeln. Ihr trotziger zweiter Gatte, der bayerische Ludwig, hat einmal mit bewehrter Hand gar unfein beim hofebaren Petermann angepocht auf Schänna und ihm grob genommen, was er fein erworben. [343] Dann kennen wir die gewaltigen Starkenberge, die Oberinnthaler, als Insassen, und da sie in der Fehde mit dem Friedl, dem mit der leeren Tasche, schon alles verspielt hatten, wehrte sich hier noch Ulrichs Hausfrau, Ursula Truchsessin von Waldburg. Erst nachdem sie des Gatten Bedrängniß erfuhr, gab sie das Banner mit den drei Kronen und die Thorschlüssel in des Feindes Hand. Später hielten hier die Lichtensteine einen verschwenderischen Hof; sie bauten auch das Schloß um in seine jetzige Gestalt. Gedehnte Saalfluchten setzten sie über die alten Gewölbe; nur noch die Treppe mit den Spitzbogen und der derbe halbrunde Brückenthurm konnten sich in wehrhafter Form retten vor der prunkhaften Renaissance. Mit dem Grafenleben, mit den verhängnißvollen „sechs Schimmeln,“ die in allen Prachterinnerungen der Landleute ihre Rolle spielen, fuhr aber auch des Schlosses beste Zeit von dannen, und dem Verfall hat es nur ein günstiger Zufall entrissen. Das reiche Urbar fesselte die unritterlichen Besitzer, und so stand doch Mauer und Dach sicher genug, ehe der neue Schloßherr als ersehnter Wiederhersteller einzog. *)

Dieser neue Schloßherr ist nun der Graf von Meran, für den sein Vater, Erzherzog Johann, voriges Jahr die Burg erworben hat. Der neue Nachbar ist in der Gegend mit Jubel begrüßt und mit sinnigen Festlichkeiten aufgenommen worden. Man erwartet viel Schönes von der Zeit, wo der Hofsitz des Grafen in Schänna wird aufgeschlagen seyn. – Mehrere andere Edelsitze, zumal auf der Halde von Obermais, sind im vorletzten oder am Anfange des letzten Jahrhunderts wieder hergerichtet worden. Dazumal traten an die Stelle der alten tirolischen Geschlechter mehrere adelige Familien aus Graubünden, die hier in den innern Unruhen ihrer Heimath ein Asyl suchten. Da erscheinen die Planta, welche die Burg Greifen stattlich umbauten; die Flugi von Aspermont erkauften Knillenberg, die vältlinischen Paravicini saßen zu Rundeck, auch die Grafen von Mohr aus dem Engadein hatten neben dem Schlosse Dornsberg im Vintschgau [344] Güter zu Mais. Dazu kamen dann etliche Familien aus Wälschtirol und Italien, wie die Herren von Ruffin, von Priami, von Rolandin und so fort. Von älteren einheimischen Geschlechtern waren wenige mehr übrig, etwa die Brandis auf dem Schloß Brandis bei Lana, die Fuchsen auf Löwenberg. Dagegen waren zwei neue Namen zu Ehren und Ansehen gekommen, nämlich Rosenberg und Knillenberg. Eckart von Rosenberg, ein natürlicher Sohn des Deutschmeisters Maximilian von Oesterreich, saß zu Winkel, einem trefflichen Ansitze nahe bei der Stadt. Sein und seiner Ehefrau Bildniß hängt dort und in der Jörgenkirche zu Mais, in letzterer auch das Fähnlein, welches er im Türkenkrieg getragen; auf dem Altare ein Bild der heiligen drei Könige mit Porträtköpfen, welche ein sehr zweideutiges Verhältniß verewigen, da der kniende Heiligedreikönig den Erzherzog, Maria Maxens Freundin, des Herrn von Rosenberg ehelich Gemahl, das Jesuskind den lieben Eckart vorstellt. Der heilige Joseph ist natürlich der Herr von Rosenberg. – Die Knillenberge stammten aus Mittenwald im bayerischen Gebirge und kamen zur Zeit Kaiser Max I durch den Kriegsdienst in die Höhe. Sie kauften später das Gut, dem sie ihren Namen beilegten. Die letzte Knillenbergin lebt noch jetzt darin. Das Schloß Labers, das in jener Zeit auch sehr schön gewesen seyn mag, ist jetzt schon lange wieder im Verfalle. In den letzten Jahren hat es der geheime Rath v. Klenze in München erworben.

So können wir uns vorstellen, daß zur Zeit des Reifrockes und etwas früher noch diese Gehöfte mit anspruchsvollen Adelsgeschlechtern reich besetzt waren. Die alte Herrlichkeit erglänzte wieder im Jahrhundert des Rococo. Daß der Meraner Adel in diesen Zeitläuften eben so liederlich gewesen als der im übrigen Europa, scheint nicht anzunehmen; nach mehrfachen Andeutungen möchte man eher auf Gottesfurcht und frommen Lebenswandel schließen. Im übrigen theilte er seinen Geschmack und davon sind die Spuren noch meistentheils unverwischt. Als Muster kann vielleicht Knillenberg gelten, wo in einem der Gemächer mythologische Darstellungen erhalten sind, Adonis als grüner Jäger mit engen, [345] ungarisch ausgenähten Hosen, Venus im Reifrocke, und wenn ich nicht irre mit Schönpflästerchen, sofort andere Gottheiten und sterbliche Menschen in analoger Darstellung. Auch ein werthvolles Archiv soll in diesem Edelsitze gewesen seyn, man hat es aber vorlängst korbweise in die Stadt geholt und Düten daraus gemacht. – Die Bündner Familien sind bis auf die Mohr zu Dornsberg alle ausgestorben oder wieder fortgezogen. Unter ihren Gliedern ist der meistgenannte Andreas Flugi von Aspermont, der sich während des bayerischen Einfalls 1703 als thätiger und kühner Mann hervorthat, voll kriegerischen Geistes, aber auch voll böser Anschläge und unerlaubter Gedanken. Er soll nicht unschuldig seyn an dem Tode Bigils von Hohenhausen, des Oberstwachtmeisters der Landmiliz, welcher damals von den aufgestandenen Bauern des Burggrafenamtes zu Saltaus in Passeyr als Verräther erschossen wurde. Auch sey er des Willens gewesen, das schöne Vintschgau seinem Vaterlande als republicanisches Angebinde darzubringen. Keinem der versetzten Bündner Herren schlugen aber die Meranerlüfte besser an als dem Freiherrn Bernhard Paravicini de Capellis. Man traut seinen Augen kaum, wenn man im Tiroler-Boten von 1825 liest, daß dieser, der am Anfang des vorigen Jahrhunderts nach Meran gekommen war und 1714 Rundeck und Rametz erkauft hatte, sich im zweiundachtzigsten Jahre zum viertenmale verehelichte und zwar mit einem jungen Freifräulein von Zinneberg, die ihm noch zweiundzwanzig Jahre den langen Spätherbst seiner Tage versüßte. In dieser glücklichen Ehe gebar die junge Freifrau zwölf Kinder, deren letztes – ein Monat nach dem Tode des Vaters zur Welt kam. Der alte Herr starb 104 Jahre alt 1770 zu Meran. Hufeland hat ihn als merkwürdiges Beispiel in seiner Makrobiotik erwähnt. – Die jüngste Erneuerung ist dem schönen Rametz auf der Maiser Halde angediehen. Dieses besitzt zur Zeit Franz Flarer, der, obwohl armer Leute Kind vom Dorf Tirol, der berühmteste Augenarzt Italiens geworden ist. Er hat zu Landshut, Wien und Pavia studirt und lebt jetzt als Professor an letzterer Universität. Jeden Herbst zieht er mit seiner anmuthigen [346] Familie aus Wälschland heraus in seine deutsche Villa. Diese bewahrt noch ein schöngetäfeltes Prunkzimmer aus den Zeiten der Planta von Wildenberg; das übrige hat der jetzige Eigner neu und schmuckvoll hergestellt, so daß es ein reizender Sommeraufenthalt geworden. Um den Hof geht nunmehr eine hohe Mauer mit zackigen Zinnen, damit der Ansitz wieder burgmäßig auf Meran herabschaue. Gegen Aufgang von diesem Landhause liegt in einem heimlichen Thälchen, in einer grünen Wiese, die von Weinbergen umgeben ist, die kleine Kirche St. Valentin. Der Heilige dieses Namens war ein Apostel der Rhätier, der auch zu Passau gepredigt haben soll. Er starb 470 zu Mais und wurde hier begraben. Auch Corbinian fand da seine Ruhestätte. Herzog Tassilo von Bayern beschloß 769 auf dem Tage zu Bozen die Uebertragung der Gebeine St. Valentins nach Passau. Bischof Aribo führte dann auch die des heiligen Corbinian nach Freising. Diesen beiden Heiligen verdankt man, daß in jenen Jahrhunderten ein hellerer Lichtstrahl auf die Gegend von Mais fällt. Aribo, der das Leben Corbinians schrieb und sein dritter Nachfolger wurde, war selbst ein Bürgerssohn aus dem Castrum Majense, und so weiß man denn nicht allein von verschiedenen Reisen der Heidenbekehrer, von Kriegszügen der Bojoaren und Longobarden, von Niederlassungen, Predigten, Sterbfällen, Leichenbegängnissen, sondern auch ein für heutige Localblätter prächtiges Unglück, nämlich daß Aribo, als Knabe, im achten Jahrhundert von der Stadtmauer hoch herab in die Passer gestürzt, aber gleichwohl unversehrt davongekommen ist.


Passeyer und Ulten.



Wenige Fremde gehen von Meran, ohne einen Ausflug nach Passeyer gemacht zu haben, zur Heimath Andreas Hofers, des Sandwirths und Obercommandanten von Tirol. Sie ist [347] zu Fuß oder zu Pferde in drei bis vier Stunden zu erreichen. Man geht an der Zenoburg vorbei über Riffian nach Saltaus, einem Edelhofe, der jetzt dem Bürgermeister von Meran gehört. Er ist zum Wirthshaus eingerichtet und der letzte Ort, wo auf dieser Seite die Rebe gezogen wird. Nachher wird der Pfad sehr schmucklos. Die wilde Passer strömt im engen unbebauten Thale; rechts und links sind hohe Berge, auf welchen spärliche Ansiedlungen.

St. Martin, das erste Dorf, das erreicht wird, erfreut sich der Wallfahrt zum rosenfarben Blut, wohin Andreas Hofer laut seines letzten Briefes seinen Seelengottesdienst verordnete. Eine Viertelstunde weiter steht die Wirthschaft „am Sand,“ ein einfaches Haus nach der Landesart, mit einer Laube versehen, mit Scheiben geschmückt und einem Schild, der eine Krone weist und die Namen: Andre von Hofer und Anna von Hofer geb. Ladurner. Neben dran steht ein hölzerner Schopfen, weiter draußen eine Capelle. Die Passer rauscht dran vorbei – mächtige Steinwehren stellen sich ihrem Andrange entgegen. Ein Brunnen sprudelt vor dem Hause, etliche Bäume umsäuseln es.

Wir betreten die Schwelle, die Kellnerin kommt und bringt den Wein, fragt allenfalls auch gesprächsweise, ob wir „des Sandwirths Sachen“ besehen wollen, und wir vertrauen uns ihrer Leitung.

Zuvörderst führt sie uns ins Gemach wo er schlief und seine Frau neben ihm. Die Bettstellen sind noch dieselben. An der Wand hängt das Bleistiftporträt seiner schönen Tochter, die ledigen Standes als Fräulein gestorben. Dort ist ferner der bekannte, auch von Lewald mitgetheilte Brief, den er vor seinem Tode von Mantua aus an den Hrn. v. Pichler schrieb. Ade mein schnede Welt, sagt der Sandwirth da – so leicht khomt mir das sterben vor das mir nit die Augen naß werden. Es ist eine gewöhnliche Bauernhandschrift ohne Zittern und ohne Correctur, ruhig und fest, wie er selbst war in der letzten Stunde seines Lebens.

Dann läßt man sich auch neben andern weniger erheblichen Merkwürdigkeiten Hofers Gewand zeigen, sein grünes [348] „Hemd,“ das ist seine Jacke, seine Hosen und seine Hosenträger, seine Sporen und seinen Hut mit den gestickten Worten: Andre Hofer, Obercommandant von Tirol – ein Werk der englischen Fräulein zu Meran; seinen Gürtel der die Anfangsbuchstaben der nämlichen Worte zeigt. Dieses Gewand hat zum letztenmale öffentlich getragen der Schwiegersohn des Sandwirths bei der Huldigung auf Schloß Tirol im Jahre 1838. Sonst hat man immer große Sorge, es vor den Engländern zu hüten, welche verschiedene Summen dafür geboten, auch verstohlener Weise schon manchen Fleck weggeschnitten haben, gleichwie sie in Italien und Griechenland von den Bildsäulen die abgeschlagenen Nasen als Andenken mitzunehmen pflegen.

Und nun öffnen wir auch das rothe in Saffian gebundene „Gedenkbuch,“ welches, laut des Titelblattes, der Familie Hofers durch das theilnehmende Wohlwollen des k. k. Obersten im Infanterie-Regimente Großherzog von Baden, Grafen v. Wimpfen, gewidmet worden ist. Man sagt, dieser elegante Denkstein sey von dem Widmer aus Paris verschrieben worden. Eine kurze Schilderung von des Sandwirths Leben und Thaten geht voran. Dieser hat Erzherzog Johann am 30 Jänner 1835 die Worte nachgesetzt:

„Vorstehende Schilderung ist die beste, welche über diesen treuen, edlen Mann voll Einfalt, Redlichkeit und seltener Uneigennützigkeit gemacht wurde. Er war der, welcher sein biederes Land so schön vertrat – er war der Blutzeuge von Tirol.“ – Es ist nicht zu verwundern, daß das Gedenkbuch fleißig benützt wird, um schöne Gedanken abzusetzen. Ich habe es lange durchblättert, gleichwohl nicht viel gefunden, was mich ansprach. Sehr zahlreich kommen darin die Engländer vor und die Tiroler Studenten. Einer von letztern gab als seine Gedanken an dieser Stelle Folgendes:

Ganz nahe an der Passer Strand

Ich Hofers kleines Häuschen fand.

Wohl, dacht’ ich mir, du großer Held,

Dich nennet schier die ganze Welt –

Doch leb’ ich lieber ungenannt,

Als wie gestorben weltbekannt.
[349]

Ein Engländer, Robert Milman, schrieb folgende Verse ein, vielleicht die besten, die darinnen zu finden:

Stranger, spare the idle sigh –

For the stream gushing by

And the wild wind rushing nigh

And the free and noble eye

Of those for whom thou didst die,

Make the fittest elegy,

Purest son of liberty!

Weiter lesend bemerkte ich aber auch eine bedeutende Verwüstung in dem Gedenkbuch. Mehrere Blätter waren herausgeschnitten und so die Einträge mehrerer Wochen verloren. Maidele erzählte auf Befragen, das sey eine trübselige Geschichte; da sey vor kurzem ein junger Mensch über Nacht geblieben und andern Tages, als er wieder fortgezogen, habe sich in dem Buche ein Gedicht gefunden, ein schönes Gedicht, das den Leuten, die darnach gekommen, sehr gefallen habe. Andere hätten dann noch allerlei eingeschrieben, was zu dem Gedicht gepaßt, aber eines Tages sey ein vornehmer Herr aufgetreten, habe den Landrichter rufen und Alles herausschneiden lassen. Ich fragte neugierig nach dem Inhalt des Gedichts. Maidele wollte anfangs nichts davon wissen, aber allmählich gestand sie mit jungfräulicher Verschämtheit, sie habe auch ihre Freude daran gehabt, und es vom oftmaligen Lesen im Kopfe behalten. Nach längerem Zureden gab sie mir dann folgende Verse an:

Eh’ du zum Tod in Mantua gegangen,

Da schriebst du: Lebe wohl, du schnöde Welt!

So wenig ist mein Herz an dir gehangen.

Daß mir für dich jetzt selbst die Thräne fehlt!

Hast du geahnt, was spätere Tage brachten?

Wie fromm dein Hoffen und wie falsch die Welt –

Wie deine Thaten sie zu Nichte machten

Und deinen Wünschen die Erfüllung fehlt?

Sie nennen dich der Freiheit kühnen Helden

Und singen viel von deiner Siege Ruhm –

Was weiß dein Volk von diesem Sieg zu melden?

O sieh dich nicht nach seinen Früchten um! –

Sie preisen dich ob deiner ächten Treue,

Mit der du starbst, wie du in ihr gelebt.

[350]
Was thaten sie, damit dein Volk sich freue

Des schönen Zieles, dem du nachgestrebt?

Sie haben dir ein Wappen angehangen,

Ein stolzes Von dem Namen beigefügt.

Der Freibrief, den dein Thun und Tod verlangen,

Sag’ alter Hofer, sag, wo der jetzt liegt?

Sie haben zu den Fürsten dich begraben,

Du darfst dereinst mit Fürsten auferstehn.

Sie wollen todt dich noch im Auge haben,

Dein Volk nicht, nur die Fürsten sollst du sehn –

Ja wohl, Ade du falsche Welt, du schnöde!

Schlaf fest, Andreas, hörst, sie lachen ja,

Sie schelten dich einfältig jetzt und blöde;

Dein Volk vergißt, was es einst that und sah –

Du bist kein Held, hast keinen spielen wollen,

Doch du warst fromm und warst dir selbst getreu:

Das ist’s, woran die Deinen denken sollen –

Und dann, Tirol, wirst du vielleicht einst frei.

Später erst hörte ich etwas mehr von dieser trübseligen Geschichte. Das Gedicht stand, vielfach bestaunt, längere Zeit in dem Gedenkbuche, bis der Herr Finanzrath * von Brixen des Weges kam und im Sandwirthshause zukehrte. Er hatte auch sein sechzehnjähriges Töchterchen bei sich, welches als gebildete Tirolerin das Gedenkbuch aufschlug und emsig darin zu lesen anfing. Mitten drinnen rief sie bewundernd aus: Ach Papa, da lies einmal, was das für ein schönes Gedicht ist? Der Herr Vater, der sinnend über dem Weinglase gesessen, nimmt das Buch zur Hand, liest und verliert fast seine ganze Seelenruhe darüber. Das Töchterchen sieht mit Befremden seine Aufregung, hört, wie er nach dem Landrichter schickt, wie sie beide die gewichtigsten Worte wechseln, dann mit rauher Scheere die schlimmen Blätter herausschneiden und einen Eilboten nach Innsbruck entsenden. Der Vater freute sich der erfüllten Pflicht, das Töchterchen aber bedauerte noch lange, daß sie ihr Vergnügen nicht bei sich behalten.

Der jetzige Wirth am Sand ist Andreas Erb, der in erster Ehe mit einer Tochter Hofers vermählt war. Sie starb [351] vor wenigen Jahren. Todt sind auch die drei andern Sandwirths-Töchter, von denen zwei im Thale verheiratet waren, die dritte zu Wien verblich. Dort lebt noch sein Sohn Johann v. Hofer, der aber, wie man im Lande sagt, nicht recht gut thut. Des Sandwirths Enkel, Andreas v. Hofer, ist im Jahre 1838 mit dem Hofe belehnt worden, den Kaiser Ferdinand angekauft und als landesfürstliches Lehen erklärt hatte. Andreas Erb sitzt jetzt als Pächter darauf.

Ueber den Nachruhm Hofers nur wenige Worte. Was er als volksthümlicher Heros zu seiner Zeit, als rächender Blutzeuge in den Befreiungskriegen gegolten, ist bekannt. Ihn in jener Glorie aufzufassen, will aber den Tirolern in der Gegenwart nur schwer gelingen, schwerer noch den Landleuten, als den Gebildeten. Einmal war sein eigenes Unternehmen fruchtlos – der Landesherr blieb nach dem Kriege derselbe – und ferner entsprach auch der Gang der Dinge nach dem Heimfall an Oesterreich nicht ganz den Hoffnungen, die gehegt worden. So seufzt der Schatten des unglücklichen Helden unter doppelter Verantwortlichkeit – erstens weil er einen Aufstand erhoben, der Gut und Blut seiner Landsleute nutzlos aufzehrte, dann weil er etwas gewollt, was, wenn es die Ereignisse herbeiführten, hinzunehmen war, was aber nicht mit Gewalt hätte erstrebt werden sollen. Die Stunden der Begeisterung sind vergangen – man berechnet jetzt nur die Erfolge. Dieser wegen glaubt man nicht, daß man ihm etwas zu danken habe. So vergißt man gerne „von seinen Tugenden zu reden, von seinem christgläubigen Sterbemuth, von vielem Guten, das an ihm war,“ *) von seiner Milde, setzen wir hinzu, die er gegen die Feinde pflog, von seiner Menschlichkeit im wüthenden Volkskriege, von seiner Redlichkeit und seiner Treue. Man hebt mehr den Sandwirth hervor, der vor Schulden sich nicht mehr anders zu helfen wußte, als eine Rebellion zu machen, der fromm und einfältig nicht bedachte, was er that, der nie einem [352] Rufe hätte folgen sollen, dem er nicht gewachsen war. Solche Ansichten sind verschiedener Fassungen fähig; wir wollen aber nicht zu den grellsten übergehen, keines von den vielen bittern Worten wiederholen, die wir hörten, wenn seines Namens gedacht wurde. Was wir andern in deutschen Schriften an Begeisterung eingesogen für das tirolische Anno Neun, das ist im Lande selbst schwer zu retten vor der kühlen Anschauung der Söhne jener Freiheitskämpfer.

Ueber den Verrath, der an dem treuen Helden verübt worden, waren die Stimmen noch manches Jahr nach seinem Tode sehr getheilt. Daß ihn ein Passeyrer, Namens Johann Raffel, auf seiner Alpenhütte ausgespürt und dann die Franzosen hinaufgeführt – dieß steht fest. Am verlässigsten erscheint jedenfalls die Erzählung seines letzten Schreibers, des Cajetan Sweth, später Staatsbuchhaltungs-Official zu Innsbruck, der mit dem Sandwirth auf der Pfandlerhütte im Drachenwald gefangen und dann mit ihm nach Mantua geführt wurde. Dieser Bericht erschien zum erstenmale veröffentlicht 1832 im österreichischen Archiv für Geschichte und wurde daraus im Tirolerboten desselben Jahres abgedruckt. Die Erzählung bei Lewald beruht auf derselben Quelle, zeigt aber einige unwesentliche Verschiedenheiten. Früher galt, zunächst nach Hormayrs Zeugniß, der Priester Donay als der Anstifter des Verrathes; Sweths Bericht aber läßt ihn aus dem Spiele, und im Lande selbst scheint sein Andenken von diesem Flecken gereinigt. Die Lebensbeschreibung, die dem Hofer-Album im Sandwirthshause vorgesetzt ist, behauptet auch, jener Raffel sey „im Zustande der Trunkenheit – wolle Gott – unfreiwilliger Verräther“ geworden. Wirklich soll er wie man hört im Wirthshause berauscht verrathen haben, daß er den Zufluchtsort des überall gesuchten Obercommandanten wisse. Der damalige Landrichter von Passeyer habe ihm dann zugeredet, diese Kunde bei sich zu behalten – doch sey die Sache ruchtbar und Raffel vermocht worden den Zug in die Alpenhütte hinauf zu führen. Später erhielt er einen kleinen Dienst bei der Mauth zu München – wie er geendet, ist mir nicht bekannt.

[353]

Gehen wir vom Sandwirthshause weiter, so erreichen wir bald St. Leonhard, den Hauptort des Thales und Sitz des Landgerichts – ein hübsches baumreiches Dorf mit vielen steinernen Häusern, von der Passer durchrauscht. Im Winkel des Thales, wo der vielbetretene Weg über den Jaufen anhebt, steht die stolze Jaufenburg, aus deren Fenstern man in die von Löwenberg bei Meran sieht. Sie war einmal der Sitz eines ansehnlichen Geschlechts, jetzt wohnt ein Bauer darin. Zur linken Seite, der Passer nach, gelangt man in die innern Schlünde des Thales, die auf den Timmels führen, von welchem man ins Oetzthal niedersteigt.

Um die beiden Dörfer her, um St. Leonhard nämlich und St. Martin sieht man auf den Halden noch mehrere Höfe, die ansehnlicher sind als gemeine Bauernhäuser, ja mitunter sogar wehrhaft und streitbar wie kleine Bergvesten. Dieß sind die Schildhöfe von Passeyer, ursprünglich eilf an der Zahl. Sie waren sämmtlich landesfürstliche Lehen, mit manchen Freiheiten begabt, wofür der jeweilige Lehensträger bei den alten Grafen zum zeitenweisen Hofdienst auf Schloß Tirol verpflichtet war. Ihr Hauptmann war der Herr von Jaufenburg. Jetzt sind die Höfe alle von Bauern bewohnt – zur Erinnerung an den alten Stand erschienen aber die ehrsamen Mannen nach langem Laufe der Zeiten wieder zum Hofdienst und zur Burgwache auf Schloß Tirol im Jahre 1838 an jenem Tage, als der Kaiser Ferdinand in der alten Veste den Enkel des Sandwirths belehnte.

Beim Stroblwirth zu St. Leonhard ist ungefähr die beste Einkehr. Der Wirth, als der Sohn eines der innigsten Vertrauten des Sandwirths, erinnert sich noch an manches Merkwürdige aus jener Zeit. Oben in dem Schlafzimmer, das uns angewiesen worden, betrachteten wir fast überrascht ein älteres Bild, ein lebendiges Schlachtengemälde, darstellend eine riesige Eiche, in deren Aesten Herrmann Balkhe, der deutsche Ordensmeister, ein hölzernes Castell erbaut hatte, welches vor unsern Augen von den heidnischen Preußen belagert, von den deutschen Rittern vertheidigt wurde. Auf derselben Stelle, wo die Eiche gestanden, soll, nach beigeschriebenem [354] Texte, die Stadt gegründet worden seyn, die noch jetzt den Namen Doorn (Thorn) führt. Das Bild ist voll naiver Einzelheiten, voll deutscher Herren, die in ihren weißen schwarzbekreuzten Kriegsmänteln, wie schmetternde Waldvögelein auf den Zweigen der Eiche sitzen und mit Schwert und Streitaxt, Pfeil und Speer die anklimmenden Heiden abwehren. Das wundersame Bild, das uns aus dem Burggrafenamte, aus dem sonnigen Gau an der Etsch, von der Wiege des tirolischen Freiheitshelden hinweg führte in das nebelige Moor- und Waldland an der mitternächtigen Bernsteinküste, von den „Rittern im Lodenhemde“ zu jenen andern im Eisenpanzer – dieses Bild hing, wie man uns sagte, früher im Pfarrhofe und der Pfarrhof gehört seit vielen Jahrhunderten dem deutschen Orden, der zumal auch in der Gegend von Bozen reiche Güter hat.

Die Passeyrer nennen ihr Thal nicht ungerne ein „warmes Ort“ und in der That wird es von den Seitenthälern des deutschen Südtirols das mindeste rauhe seyn. Die Vergleichung der Meereshöhe von Meran, welche zu 1000 Wiener Fuß anzunehmen ist und jener von St. Leonhard, welche wir zu 2192 aufgezeichnet finden, stellt heraus, daß man im Thale um mehr als 1000 Fuß höher steht, als draußen im Lande, und eben so viel beträgt das Gefäll der Passer auf dem kurzen Laufe von vier Wegstunden. Der Mais kommt hier noch gut fort und wenn er eingeerntet, wird auf demselben Felde noch Buchweizen gebaut. Schade nur, daß die tragbare Fläche so gering ist. Als gutes Obst gelten die Passeyrer Kirschen, zu Meran die Bergkirschen genannt, klein, säuerlich und gesund, welche erst auf dem Markte erscheinen, wenn die großen und ansehnlichen, welche an der Etsch wachsen, schon lange vergessen sind. Die Passeyrer Kirschen und die Erstlinge der Meraner Trauben fallen gewöhnlich in dieselbe Zeit.

Das Thal Passeyer als das nächste am Schloß Tirol, dessen Bewachung seinen Mannen übergeben war, welche nebenbei auch zu den nächsten Kämmerern der Gräfin Margaretha und ihrer Nachfolger ernannt waren, es wurde von jeher gewissermaßen als das fürnehmste des Landes angesehen. [355] Der herrliche Clan der Passeyrer, wie ihn Hormayr nennt, hat auch zu allen Zeiten diesem Ansehen zu entsprechen gewußt. Wenn Unordnung im Lande war, wie 1762 im Burggrafenamt, hielten sich diese Thälerer an Gesetz und Ordnung; wenn aber zum heiligen Kriege aufgerufen, wie 1703 und 1809, waren sie kühn und heldenmüthig vor allen. Ihrer wird von Augenzeugen aus letzterem Jahre nach oft gedacht als biederer edler Kämpen, die das Waffenhandwerk nie mißbrauchten, sondern mitten in der Wuth des Bruderkrieges schonend blieben und menschlich. So erzählt auch der bayerische General Bauer von ihrer ruhigen Ergebenheit in den Tod, und es sey kein Beispiel, daß von mehreren, die nach dem Ausspruche des Kriegsgerichtes hingerichtet wurden, einer anders gestorben sey, als mit der größten Standhaftigkeit. Ihre Heldentugend hat sie auch den Frauen theuer gemacht, und die Tirolerinnen sprechen mit Vorliebe von den Söhnen dieses Thales. In Meran habe ich noch ein betagtes Fräulein getroffen, das, so oft von Anno Neun die Rede war, mit Begeisterung zu reden begann von dem edlen und herrlichen Benehmen der Passeyrer, wenn sie auf ihren Kriegsfahrten in die Stadt kamen. Jetzt in der Friedenszeit zeigen sie sich vor allem fromm, andachtslustig, ruhig und ergeben, eher ernst als heiter, dem alten Herkommen unverbrüchlich treu, ein mildes stilles Völklein, leicht zu lenken durch seine Priester und seine Beamten, wenn es ihnen Vertrauen schenkt. Ihr Vortrag ist singend und weich – ein Ton in dem auch der Sandwirth redete – was indessen mit einer derben, gebirglerischen Ausdrucksweise gar nicht unvereinbar ist. Man hat die Passeyrer lange im Verdacht gehabt, als lebe in ihnen noch eine geheime, sonst unter den Bauern ausgestorbene Erinnerung an die alten Landesfreiheiten, eine überlieferte Kenntniß hergebrachter und vor langen Zeiten verbriefter Gerechtsame, eine volksthümliche Wissenschaft vom alttirolischen Staatsrechte, aber das ist in jetziger Zeit wohl eine grundlose Einbildung. Doch hörte ich eines Tages eine witzige Dichtung lesen „den Jahrmarkt zu Imst,“ worin alle deutsch-tirolischen Thalschaften, jede mit ihrem Dialekte, auftreten. Dabei ist [356] insbesondere der Passeyrer nicht vergessen. Das Stück spielt im Spätjahre 1830, wo Europa unruhig war, und der Dichter läßt daher die wohlunterrichteten Innsbrucker behaupten, die tirolischen Jäger müßten nach Wälschland marschiren, was eigentlich gegen die Verabredung. Deßwegen haucht der Poet in Anspielung auf jenen Zug dem Passeyrer folgende Worte ein:

Die Jager aus dem Lande ze thien –

Das möchte gegen unsre Rechte gien?

worauf denn freilich der loyale Höttinger, aus der Vorstadt von Innsbruck, nichts anders entgegnet als:

Du Dott’l, was red’st jetzt da daher!

Da wird man g’wiß enk Passeyrer fragen –

Gegen unsre Rechte ging noch mehr;

Geh’ nunter zum Kaiser und thu di beklagen!

Indessen, wie gesagt, die Passeyrer haben diese schwierige und heikle Wissenschaft nunmehr auch den „bessern Leuten“ überlassen und leben von dem dürftigen Ertrag ihrer engen Feldungen, verarmen aber immer mehr und nehmen auch alle Jahre ab an Seelenzahl. Die Noth drängt sie zu auswärtigem Erwerbe; viele gehen als Kraksenträger Jahr aus Jahr ein über den Jaufen und tragen das Meraner Obst und die Küchelberger Trauben auf den Markt zu München. Selten kehren sie dann wieder, ohne etwas bayerischen Tabak ins Vaterland zu schmuggeln. Andre sind dem Viehhandel ergeben und treiben sich speculirend in Wälschtirol herum. Dieß soll ihnen aber einen Schliff und eine weltliche Pfiffigkeit verleihen, die sie ihren Brüdern in der Heimath sehr unähnlich machen und von all den Tugenden, die man jenen beilegt, will man bei ihnen die wenigsten wieder finden. Einem jungen bildschönen Sohn des Thales begegnete ich einst in den Gassen von München und erhielt auf die Frage, was er da zu thun habe, die bescheidene Antwort: Modell stehen bei den Malern! Die schöne Gestalt der Passeyrer darf auch wirklich nicht unerwähnt bleiben, und hat noch die Anerkennung aller Reisenden gefunden. Ihre Tracht gleicht in den Hauptzügen jener der Bauern um Meran, doch fehlen die farbigen Aufschläge und die rothe Weste vertritt ein breiter, braunlederner, schön [357] ausgeschnittener Hosenträger. Die üblichen Wollhauben der Weiber sind hier kürbisförmig. Ueber die Reinlichkeit in ihren Häusern läßt sich nicht viel besseres sagen, als über die ihrer Nachbarn an der Etsch.


Und somit gehen wir wieder auf dem stillen, öden Wege an der Passer zurück und bereiten uns in Meran zu einer Fahrt ins Ultnerbad. Hiefür ist nicht schwer Gesellschaft zu finden, denn die Ultnerfreuden werden von den Meranern einmal des Jahres wenigstens gerne genossen. Die Frauen reiten auf Eseln aus, die Herren gehen nebenher. Kehrt man in Löwenberg ein, so erquickt Herr Kirchlechner mit seinen feurigen Weinen und der große Saal im Schlosse hat eine herrliche Aussicht. Ein Thurm und eine Capelle sind noch aus älterer Zeit, das übrige winkelige Bauwerk haben die Herren, später Grafen von Fuchs hergestellt, welche die Burg von den alten Rittern von Löwenberg am Anfange des sechzehnten Jahrhunderts erheiratheten und dann bis in das unsere herab besaßen. Um dieses Schloß schlich voriges Jahr im Mondscheine ein Münchener Dichter und sang darnach:

Hier wanderte ich um Mitternacht

Die Mauern entlang, die düstern;

Da hörte ich aus dem alten Gebäu

Unheimliches Rauschen und Flüstern.
Es war die Zeit, da man vom Stock

Die glühende Traube gelesen.

Ich glaube es sind die Geister, die

Weinprobe hielten, gewesen.
Denn deutlich vernahm ich Toast um Toast,

Doch keinem Lebenden galt es;

Die Todten nur ließen sie leben, zuletzt

Ihr Vaterland, ihr altes.

Hält man sich nun in der Niederung, so kömmt man in einer halben Stunde über den Valzauerbach nach Lana, einem langen, zerstreuten gartenreichen Dorfe, an dessen anderm Ende die Kirche steht, welche einen prächtigen gothischen Altar [358] bewahrt. Unter die Häuser des Dorfes sind mehrere adelige Ansitze eingeflochten, jenseits der Kirche aber stehen am Anlauf der Höhe die Trümmer des alten Schlosses der Herren von Brandis, welche in sehr frühen Zeiten von den Ufern der burgundischen Aar einen Zweig an die rhätische Etsch getrieben. Die Brandise haben in der Grafschaft Tirol zu verschiedenen Zeiten hohe Würden bekleidet; ein Graf Clemens von Brandis, um die vaterländische Historie verdient durch seine Geschichte Friedrichs mit der leeren Tasche, ist gegenwärtig Landesgouverneur. Einer seiner Ahnen, der fürstlichen Grafschaft Erbsilberkämmerer, Franz Adam, Graf von Brandis, hat des tirolischen Adlers immergrünendes Ehrenkränzel geschrieben, eine „zusammengezogene Erzählung jeniger schriftwürdigisten Geschichten, so sich in zehn nacheinander gefolgten Herrschungen der fürstlichen Grafschaft Tirol von Noe an bis auf jetzige Zeit zugetragen.“ Es ist zu Bozen im Jahre 1678 gedruckt und wäre zum Nachschlagen über die Geschichte tirolischer Herrschaften, Schlösser und Geschlechter *) nicht übel eingerichtet, wenn man sich nur mehr darauf verlassen könnte. Die Urgeschichte ist zunächst nach Aventin bearbeitet mit den bekannten fabelhaften Namen und Thaten nachsündfluthlicher Könige deutscher Nation. – Unterhalb der alten Veste steht ein junges Landhaus, Neubrandis, jetzt ein Herbstaufenthalt des Grafen Gouverneur.

Jene, welche während des Septembers in Meran verweilen, sollen nicht unterlassen am achten dieses Monats früh Morgens sich in Lana einzufinden. Es wird da große Procession zur Feier Mariä Geburt gehalten, eine Festlichkeit, welche die Ultner, die Passeyrer, die Vintschger und die Leute bis nach Eppan hin heranzieht. Der Gasthof zum Rößl, diesseits der Valzauerbrücke, ist da besonders gut gelegen für [359] diejenigen, welche nicht selbst mitgehen, sondern den Umgang nur beschauen wollen. An einem heitern Tage ist derselbe in der That ein schönes, der Erinnerung werthes Bild. Da marschiren im festlichen Sonnenschein und feierlichen Glockenklang die schönen Schützen von Lana daher mit ihrem Hauptmann, den ein großer Federhut beschattet. Dann nahen sich langsam und schweren Ganges die Kirchenfahnen, alle ungeheuer groß, eine darunter besonders mächtig und ungethüm. Von der Raae herab, die den geweihten Segel hält, laufen rothe Taue in die Hände kräftiger roth und weiß gekleideter Männer. Zwei gehen hinter drein, zwei voraus, rückwärts gewendet; alle aber betrachten sorgsamen Blickes, wie Wind und Wetter mit dem heiligen Maste spielen, um nachzugeben oder anzuziehen, je nachdem er wankt. Vor dem Rößelwirth stellen sich die Schützen auf, und nun zieht der ganze Umgang unter unsern Augen vorbei. Der geweihten Bilder, die mitgetragen werden, ist eine große Zahl. Der heilige Papst Urban, derselbe der den Tannhauser so übel angelassen, sitzt in einer schattigen Laube von frischen Trauben umspielt, als der Patron der Weinbauern. Und während mein Auge St. Urban und seinem grünen Gezelte folgte, kam die Himmelskönigin selbst daher mit Krone und Scepter, voll lieblicher Steifheit, im Reifrock von Goldbrocat und blüthenweißer Allongeperrücke, den gekrönten Sohn im Arme. Diese süße Last lag auf den Schultern schöner Jungfrauen, welche Laubkränze um die Schläfe trugen. Ferner war St. Michael erschienen und St. Sebastian, der fromme Jüngling. Den Erzengel stellte ein Kind vor, mit Helm, Fittigen und seidenem Mäntelchen geschmückt. Zwei Knaben, weiß und grün, als Schäfer gekleidet, geleiteten den Engel und mehrere Mädchen als Genien waren auch dabei. Ebenso wenig fehlten Isidor, der spanische Bauer und Nothburga, die heilige Magd aus dem Innthale, die zwei himmlischen Landleute. Als das hochwürdige Gut vorüberzog, erscholl es „zum Gebet,“ die Schützen nahmen den Hut ab und ließen sich aufs Knie nieder. Dasselbe that alles männliche Landvolk und die Frauenleute, alle weißärmelig, [360] rothstrumpfig, dunkelrockig, bloßhauptig, fielen auch zur Erde und der Segen ging unsichtbar aus über ihre blonden Scheitel.

Der Eingang des Ultnerthales ist wie der von Schnals, Gröden, Sarnthal und andern so beschaffen, daß man allererst über einen hohen Berg hinanklimmen muß. Der Bach, der das Thal durchströmt, stürzt nämlich in das Etschland heraus durch eine tiefgerissene, steile, grauenhafte Schlucht, die nicht zu begehen ist und der Weg mußte daher über den hohen Sattel gelegt werden, den der Bergstrom, aber nur für sich allein, durchrissen hat. Ist nun diese Höhe erreicht, so senkt sich der Pfad thaleinwärts wieder hinab und da das Bett des Baches seiner Seits hinansteigt, so finden sich weiter drinnen Weg und Wasser allmählich wieder zusammen.

In einiger Höhe über Lana, an den schwarzen Abgrund hingepfropft, liegt die Veste Braunsberg, noch ziemlich gut erhalten, aber sehr bescheiden in ihrem Wesen. Das scheint ein dürftiges Herrengeschlecht gewesen zu seyn – die Ritter von Braunsberg, die sich mit ein paar rauchigen, halb dunkeln Stuben und einer Stallung für ein paar Rosse begnügten, und ihre Bequemlichkeit wahrscheinlich auswärts suchten. In der Burgcapelle ist ein Gemälde, auf dem sich eine rothstrumpfige Gräfin in den Schlund der Valzauer stürzt – eine Darstellung aus einer Sage, die hier nicht wiederholt zu werden braucht, da sie in Johannes von Müllers Schweizergeschichte im vierzehnten Capitel des ersten Buches getreulich wieder gegeben; nur wird sie dort von der Gräfin Ida von Tockenburg erzählt, hier von der Frau Jutta von Braunsberg.

Wenn man die Höhe erstiegen und damit das Weinland verlassen hat, sieht man nach einiger Zeit die Trümmer von Eschenloh auf einem Bühel, dessen Halden eine Fichtenwaldung schmückt. Aus dem verfallenen Mauerwerk ragt ein bedachter Thurm auf, den die Grafen von Trapp, die Pfandherren der Burg, zu erhalten haben. Die Gegend umher ist öde und wild. Das Geschlecht der Herren von Eschenloh hält man für ein und dasselbe mit jenem, das zu Eschenloh an der Loisach im bayerischen Gebirge saß. Heinrich von Eschenloh [361] trug das Hauptbanner von Oesterreich in der Schlacht bei Sempach und fiel daselbst. Bald darnach erreicht man auch St. Pankraz den Hauptort des Thales, wenn an einem Sonntage, sehr geeignet, um viele Thälerer beisammen zu sehen und unlieb zu bemerken, daß außer den grünen Hütchen die Thaltracht in den schlichten Jacken und langen Hosen der nahen Wälschen untergegangen ist. Ultenthal galt sonst im Süden, was Zillerthal im Norden des Brenners – Lustbarkeit, Liedersang, Sagen und Mährchen, bedeutsame Volkssitten hatten hier vor Zeiten ihre süße Heimath – jetzt ist’s aber so ziemlich wie die andern, eben so andächtig und eben so freudenlos.

Von St. Pankraz geht der Weg am Bache fort, bis sich nach einer halben Stunde zur linken eine Schlucht öffnet, welche jene betreten müssen, die ins Mitterbad von Ulten wollen. Abermals nach einer halben Stunde erreicht man auf ansteigendem Wendelpfad diesen berühmten Curort. An den Geländern der Terrasse stehen schon die ältern Gäste und harren neugierig, was der Tag wieder für neuen Zulauf bringen werde.

Ultnerbad ist das besuchteste in Deutsch-Tirol und zählte zum Beispiel im Jahre 1842 gegen achtzehnhundert Gäste. Das Wasser ist eisenhaltig und oft von wunderbarer Wirkung. Des Bades Aeußeres ist sehr anspruchslos; ein einstöckiges gemauertes Gebäude, in dessen Erdgeschoße der Speisesaal; das Hinterhaus von Holz. Neben dem Badehaus steht ein andres, worin Nachmittags Kaffee getrunken, Abends getanzt wird; nicht weit davon die Capelle, fleißig besucht, belebt von Messen, Vespern und Rosenkränzen, welche die geistlichen Gäste hier abhalten. Als Spaziergang dient die kleine Terrasse vor der Anstalt, die freilich nur für die Schwachen und Siechen ausreicht. Rasche, kräftige Jugend muß sich Bewegung in den Bergen suchen, die von allen Seiten aufragen.

Es ist erstaunlich, was manche dieser Bergbäder für reizlose Lagen haben! Die des vorliegenden ist die Unschöne selbst – ein schmales Gereute in einem engen Waldtobel, keine Aussicht als auf rothe Wände, mageren Forst, unbebaute [362] Halden und einen mäßigen Fleck vom blauen Himmel. Nur weit drüben und hoch oben sieht man Kornfelder und aus schwarzen Fichten einen weißen Kirchenthurm spitzen, St. Helena, wo ein Cooperator wohnt, hoch über den Pomeranzen der Etsch, weßwegen auch, wie der Ultner Wirth witzelte, nur ein solcher hinaufgestellt wird, der diese Frucht nicht besonders liebt. So gehen die Leute aus dem Zauber des Etschlandes, aus dem freundlichen Nonsberg gleichsam auf vierzig Tage in die Wüste, um ihr Auge zu kasteien für die sündliche Lust, die es das ganze Jahr über an der Schönheit der Natur gehabt. Billigerweise lassen sie den Magen nichts daran entgelten, denn die Ultnertafel ist fast noch reichlicher besetzt, als die andern Badetische in Tirol.

Die Gesellschaft ist sehr bunt; doch halten sich die Stände genau auseinander. Im vordern Gebäude wohnen „die bessern Leute,“ im hölzernen Hinterhause „die mindern.“ Die bessern Leute deutschen Stammes betrachten die Curzeit als Landaufenthalt und erscheinen durchweg in sehr schlichter Aeußerlichkeit, abstechend von den wälschen Gästen, die in makelloser Eleganz und Vornehmheit einherziehen. Ihre Wohnungen sind hölzerne Verschläge, enger als Klosterzellen, bloß zum Schlafen eingerichtet. Um zu schreiben und zu lesen kommt ohnedem niemand ins Ultnerbad. Freilich behauptet man, der Wirth habe seiner Zeit eine ganz hübsche Bibliothek gehabt, aber die Geistlichen hätten ihm allmählich seine besten Bücher ausgeführt, weil sie sie für sündhaft erachtet. Zartes, blaustrumpfiges Theeleben mit seelenvollem Vortrag eigener Gedichte, mit geistreicher Durchhechlung fremder, Vorlesungen shakespearischer Schauspiele in Tiecks Manier, wortreiche Raisonnements über Kunst und Litteratur, derlei immer feine, doch oft sehr abtödtende Genüsse wird man in Ulten vergebens suchen – dafür findet man aber, abgesehen von den Tafelfreuden, andre sehr wesenheitliche Unterhaltungen. Es ist in der That ein wunderbars Ding, daß Fröhlichkeit und Lebenslust, die man unten im heitern Thale bei den Gesunden ganz unterbunden, abgetrieben und ausgetrocknet, daß diese da oben in dem finstern Bergloche unter den Kranken [363] und Todesnahen erhalten worden sind. Hier im Ultnerbade wird nicht allein von den böhmischen Musikanten, die alljährlich sich einfinden, Tafelmusik aufgespielt, sondern des Abends auch zum Tanze und nicht etwa auf einen Dreher oder zwei, sondern gleich bis nach Mitternacht; ja wenn unternehmende Jugend beisammen ist, geht’s oft schon wieder in der Frühe hinüber in den Ballsaal. Freilich sagt man, wie an andern Orten, so auch in Ulten: es heißt halt a nicht mehr – aber mir scheint’s noch immer ein sehr ausgiebiges Trumm von Weltlust. Wenn man übrigens in ältern Büchern nachschlägt, so findet man, daß diese Badefreuden des Sommers auch schon ein ziemliches Alter für sich anführen können. So haben wir Nachrichten über das Bad zu Maistatt im Pusterthale, wo im Jahre 1511 Kaiser Max selbst längere Zeit sich aufhielt und seine heitere Laune spielen ließ. Die Badegesellschaft nannte sich die Hanse und legte ein eigenes Hansenbuch an für ihre Namen und geistreichen Einfälle. Das Badeleben an demselben Orte zeichnete sich auch im vorigen Jahrhundert wieder durch einen früherwachten Sprachreinigungstrieb sehr vortheilhaft vor andern aus. Für jedes Wort eines Gastes, das nicht ganz „glatt und reindeutsch“ wäre, sollte nach Statut von 1733 ein Kreuzer bezahlt werden. Das Strafgeld betrug nach Ablauf der Curzeit 21 fl. 6 kr. und wurde der Capelle zugewendet. Es waren also im Maistätter-Bad während weniger Monate eintausend zweihundertundsechsundsechzig undeutsche Worte gebraucht worden. So erzählt auch Guler von Wineck am Anfange des siebzehnten Jahrhunderts vom Bade bei Worms (Bormio im Vältelin), wie dasselbe weit berühmt sey bei Holländern und Gothen, so daß bei ihnen das Sprüchwort gelte: Wormserbad heilt allen Schad – wie da frei stehe Männern und Weibern zu ihrem Gefallen zu baden, wo sie gerne wollen, doch in aller Zucht und Ehrbarkeit, eine Anmerkung, die der Zeichner des beigefügten Holzschnittes freilich übersehen zu haben scheint. Nach einer etwas anzüglichen Bemerkung über die deutschen Frauen, die dahin kommen, fährt der ehrliche Bündner fort: „Insbesondere ist das Bad gebraucht von den Etschleuten, [364] den guten Zech- und Schluckbrüdern, die von wegen des starken Trinkens durch ihre starke Weine und ungesunde Luft demnächst contract werden. Viele Leute jung und alt, Mann und Weib, die frisch und gesund sind, kommen dahin allein von gutem Luft, Kurzweil und Ergötzlichkeit wegen, da sie dann allerlei Schimpfspiel anheben und sich mit Singen, Ringen, Springen, Tanzen, Zechen und andern Belustigungen erquicken. Die Einwohner von Worms erweisen den Badleuten viel Zucht und Ehr als auch mir passirt ist, indem sie mir allerlei Gattung Wein, Zuckerwerk, ausbündige wälsche Frücht’, allerhand Wildpret und herrlich gute Fisch’ verehrt.“

Mit Ausnahme der letzterwähnten Xenien hat Guler hiemit auch das Ultner Badeleben sehr gut geschildert. Hieher kommen ebenso viele Leute, jung und alt, die frisch und gesund sind, allein von guter Luft, Kurzweil und Ergötzlichkeit wegen, nur daß mancher ältere Gast jetzt ungern die fahrenden Fräulein aus Wälschland vermißt, die noch vor wenigen Jahren ganz allein und eigens übers Gebirge stiegen, um mit den frumen Deutschen im Mitterbade der edlen Minne zu spielen. Von Singen, Springen, Tanzen, Zechen soll hier nicht weiter geredet werden, aber was sie da vordem für angenehm Schimpfspiel anhoben, läßt sich nach mancher Erzählung noch jetzt leicht erschließen; wie zum Beispiel ein noch nicht vergessener Scherz darauf beruht, daß aus den Badezellen der bessern Leute die Wannen einige Zoll in den Gang hinausreichen, um dort gefüllt zu werden und daß dieser Vorstoß mit einer Klappe versehen ist. Wer schaudert nun nicht bei dem ungeschmückten Bericht, daß die jungen Herren eines Tages Forellen in der Valzauer holten, um deren je drei den Damen die sie auszeichnen wollten, in die Wanne zu werfen, und wer kann sich nicht das plötzliche und holdselige Wirrsal denken, als die feinen Mädchen aus dem Etschlande die kleinen Haie an ihren frischen Gliedern hinschießen fühlten?

Wandern wir nun durch das mittlere Gebäude, das den Wohnort der bessern Leute mit dem der mindern verbindet, so finden wir zu ebener Erde die Gemeinbäder der letztern, wo in geräumigen Verschlägen die beiden Geschlechter getrennt [365] sind. Da geht in großer Eile und Geschäftigkeit der Chirurg von St. Pankraz umher und applicirt Aderlässe, Schröpfköpfe und Blutegel – ein eigener Badearzt ist nicht vorhanden, aber alle ärztlichen Curgäste ordiniren unentgeltlich. – Da sah ich zuerst ein Nonsberger Kindlein, das in einem winzigen Männchen lag, während die Mutter zu ihm niederkauernd italienische Wiegenlieder in seine Ohren summte, wobei die vorübergehende Bademagd murrend schalt: dem Kindlein da ist das Wasser auch viel zu stark und die Mutter gibt keine Ruhe, bis es zu Tod gebadet. – Ultnerwasser ist nämlich keines, mit dem man spielen darf. Wenn die Leute in die Wannen gestiegen, werden die Thüren der Verschläge geöffnet, und den Besuchern Zutritt gestattet. Da liegen sie dann alle reihenweise zugedeckt in ihren Särgen, während ihnen zu Häupten und zu Füßen die Befreundeten sitzen. Die deutschen Landleute benehmen sich auch in dieser Lage sehr ruhig, die italienischen Weiber verursachen dagegen großen Lärm, und wenn eine aus ihrer Wanne heraus ein kräftiges Witzwort entsendet, so erhebt sich ein sinnverwirrendes Gelächter. Es ist ziemlich dunkel in diesen Räumen. Aus den Ritzen einer Nebenkammer schimmerte ein Licht; plötzlich sprang die Thüre auf und drinnen zeigte sich, zauberhaft beleuchtet von der kleinen Lampe, ein bildschönes, halbenthülltes Landmädchen. Mir fielen die Augen zu bei diesem verbotenen Anblick – unter einem Schrei schnappte auch das Pförtchen ein und ich suchte erschreckt den Ausweg aus dem nicht geheuern Orte. Ueber diesem ist ein langer Gang, auf den die Wohnzimmer der mindern Gäste herausgehen. Auch hier sind unter Tags, da die winzigen Fensterlücken wenig Licht gewähren, die Thüren offen. Da sieht man manche arme Seele, die gewiß nicht der Sommerluft wegen sich hiehergeschleppt – etliche sitzen vor den Thüren, der frischen Luft wegen, andere liegen todtenbleich, grabgerecht in den Betten. So muß sich zuweilen ein frommer Badgast auf den Tod bereiten, während die böhmischen Walzer lebenslustig in sein Sterbekämmerlein schallen. Ein junges Mädchen aus Salurn war da schon in der sechsten Woche gliederkrank, konnte sich nicht rühren, lag aber freundlich [366] und geduldig auf ihrem Lager. Eine Bauernmaid, deren Theilnahme sie gewonnen, saß bei ihr und las aus der Legende vor. Ich machte auch meinen Krankenbesuch und stillte gerne die Neugier, wo ich denn zu Hause sey. Pater Florin, der greise, milde Capuciner aus Lana, löste mich bei ihr ab. Darauf stieg ich wieder in den lebhaften Hof hinunter. Ein alter, ärmlicher Bauersmann mit schneeweißen Haaren lag dort auf einem Sack an der Sonne, todesmüde. Er schloß die Augen – ich glaubte für immer – doch erwachte er an meinen Schritten, blickte mich an und lispelte: wo bleiben Sie? Neben dem alten Bauer saß regungslos ein junger, verwelkten Ansehens, stille Entsagung im Gesichte. Auf seinem grünen Hosenträger war ein rothes Herz eingestickt, das ein Pfeil durchbohrte. Sollte das etwas zu bedeuten haben? Solche bedauernswerthe Gestalten sah ich noch mehrere, jedenfalls genug um beizustimmen, wenn Dr. v. Hörmann in seiner Schrift über die Bäder des Etschlandes sagt: Ja, der Mensch im Gebirgslande ist keineswegs ein Riese an Kräften und Körperbau.

Diese Behauptung ließ sich weiter belegen aus den Erscheinungen hinten im hölzernen Hause, wo die mindern Leute Mittag- und Abendmahl halten und in den Zwischenzeiten etwa ein Gläschen trinken. Gleichwohl besteht auch da eine bedeutende Minderheit aus Gästen, die das Wasser nur so nebenbei gebrauchen. Hier kommen dem Belehrungslustigen unter andern jene Sprachgränzbauern in den Wurf, welche da oben über dem Grate zu Unser Lieben Frau, Laureng und Proveis sitzen, in den deutschen Dörfern, die sich am obersten Bergsaume des wälschen Nonsberges finden, alle in wenigen Stunden zu erreichen, denn was wir schon längst hätten anbringen können, alsbald jenseits des Bergzuges, der die rechte Seite des Ultnerthales bildet, fängt das italienische Val di Non an. Die Bewohner dieses Hinterhauses leben nun sehr frugal und prunklos. Es ist angenehm zu bemerken, wie ihnen in ihrem sparsamen Treiben auch von der Wirthschaft nichts in den Weg gelegt wird, wie die Preise selbst sehr billig sind und wie ihnen alle Listen nachgesehen werden, mit denen sie des [367] Wirthes Vortheil zu umgehen wissen. So bringen die meisten ihre Mundvorräthe mit und nicht allein diese, sondern auch die Geschirre, um sie zu kochen. Gleichwohl sind die Kellnerinnen die hier walten, nicht minder artig und dienstbeflissen, als die im Vorderhause, und geben den armen, kranken Leuten zu ihrer Noth manches gute Wort und manchen unbezahlten Zuspruch. Es wird hier, wie in andern tirolischen Badeorten, jeden braven Mann die Wahrnehmung erfreuen, daß der Wirth nicht an den Dürftigen reich werden will, daß alle Speculation auf den Pfennig des Armen fern gehalten ist. Betrachtet man nun auch noch das Liebevolle der Aufnahme und der Pflege, so erscheinen diese Anstalten im Lichte jener frommen alten Stiftungen, die zum Besten der leidenden Menschheit gegründet worden, und stechen so in ihrer schlichten Volksthümlichkeit recht wohlthuend ab von jenen vornehmen Luxusbädern am Rhein, wo man französische Gauner ihre grünen Tische aufschlagen läßt, um die lieben deutschen Landsleute auszuziehen.

Wenn man übrigens hört, daß in Tirol und Vorarlberg über einhundert und zwanzig Bäder *) sind, und Zuspruch finden, so darf man letzteres nicht allein den Kranken und Leidenden zuschreiben, sondern, wie schon öfter angedeutet, ebensowohl einer Sitte, die das ganze Sommerleben des Landes gestaltet, der Sitte nämlich auf ein paar Wochen oder ein paar Monate Haus und Hof zu verlassen und an einen andern Ort in die Sommerfrische zu gehen. Was das Etschland betrifft, so erzeugen allerdings die sumpfigen Niederungen am Strome Krankheiten genug, um mehr als ein Bad zu füllen, aber auf jene zeitweilige Auswanderung wirkt auch die Hitze hin, die während der schönen Jahreszeit schwül über den südtirolischen Thälern liegt. Da streben dann alle, der [368] Edelherr, der Bürger und der Bauer in die Höhe, in die kühleren Luftzüge der Alpen. Die reichen Bozner hat dieses Streben veranlaßt, auf der Hochebene des Rittens jene freundlichen Sommerstädte zu gründen, die wir auch noch besuchen werden. An andern Orten weiß man andre Freistätten, vielleicht ein eigenes Landhaus im Gebirge oder eine Unterkunft bei gastlichen Verwandten oder auch bei einem ehrlichen Bauern, der sich auf „Sommerfrischler“ eingerichtet hat. Solche Verbindungen stehen in gebührender Achtung und man wechselt nicht leichtsinnig, wen man einmal an einem bestimmten Orte eingewohnt ist. Für alle andern aber, denen es an Geld oder an Gelegenheit mangelt, in dieser Weise ihre Lust zu büßen, sind die Bäder die herkömmlichen Sommerfrischen. Da genießt der Landmann seine Ferien und wenn er einmal aus dem Hause ist, wird auch dem Knechte bald etwas fehlen, was ihn ins Bad treibt und vielleicht auch der Dirn und der Unterdirn. Deßwegen ist die Armuth in den tirolischen Bädern eben so zahlreich vertreten, als der Reichthum, und drum gibt es auch eigene Lotterbäder, nämlich Bäder für arme Leute. Ein Bäuerlein, welches aber nicht einmal den Zutritt zu diesen Anstalten erschwingen kann, verzichtet deßwegen immer noch nicht auf seine Sommerlust. Ein solches geht vielmehr in die Hochalpen, sucht die Heuschopfen auf und legt sich da ins Heu. Es vergräbt sich tief in das weiche Lager und geräth dabei in starken Schweiß, der unendlich heilsam seyn soll für bäuerliche Schäden, für Gicht und Gliederschmerzen. Vor allem andern Heu ist seiner Heilkraft wegen berühmt jenes auf dem hohen Schlern ober Bozen und wird deßwegen auch manche Wallfahrt nach diesem Berge angestellt. Man sagt von solchen Pilgern: sie gehen „ins Heu liegen.“ Als wir einmal vom Ritten aus einen Zug auf den Hornberg machten, um dort die schöne Aussicht zu genießen, begegnete uns in der kühlen Alpenhöhe, weit ober dem letzten Bauernhause eine zahlreiche Familie, Vater, Mutter, Söhne und Töchter bis herab auf die kleinsten, mit Proviantsäcken, Schüsseln und Pfannen beladen, die fröhlich bergabstiegen und uns erzählten, jetzt seyen sie acht Tage im [369] Heuliegen gewesen und hätten viel Kurzweil und Recreation gehabt.

Dieses Sommerfrischleben verbunden mit den mercantilen Wanderungen der Thälerer verleiht denn auch dem Lande Tirol in der warmen Jahreszeit einen eigenthümlich zügigen, nomadischen Charakter. Da gehen die Oberinnthaler ins sogenannte Schwabenland, die Passeyrer nach Italien oder mit Früchten nach Bayern, die Grödner durchstöbern auf allerlei Handelschaft das Land, die Zillerthaler und viele andre deßgleichen; die Wirthe aus Nordtirol fahren ins Etschland um Wein; mächtige Güterwagen wandeln in langen Reihen den Brenner auf und ab und auch die Lahninger geben einen reichen Beitrag zum bunten Straßenleben. Ferner zieht der Adel auf noch bewohnte Schlösser, der Bürger sucht seine Landlust auf den Bergen und reist mit Sack und Pack in die Höhe zu seinem hergebrachten Ruhesitze oder Curort, der Bauer verliert sich in sein „Badl,“ die Taglöhner, die Hirten gehen auf die Alpen ins Heuliegen, die frommen Seelen treiben andächtige Wallfahrt nach dem Weißenstein, nach der Mutter Gottes zu Trens, zu Absam, nach unzähligen andern Gnadenbildern. So ist ein großer Theil des Volkes auf der Wanderschaft und darum sind um diese Zeit alle Stellwagen so voll und alle Wirthshäuser. Kommen nun noch wie in neuern Jahren, die Schwärme deutscher und englischer Reisender hinzu, so erklärt sich zur Genüge, warum das stille Alpenland im Sommer ein sehr lautes und lebendiges ist.

[370]

Bozen – Eppan – Sarnthal.



O lege dich nicht wenn’s Abend wird,

Auf die Höhen im Rebenthale!

Da steiget leise der Weinduft auf,

Den Perlen gleich im Pocale.
Ich glaube, mich hat der Duft berauscht,

Daß ich zu träumen wagte,

Als wäre ein Neubruch das schöne Land,

Darüber die Freiheit tagte.

(Münchner Dichter.)
 

Nach dem langen Winter 1843 fand ich mich wieder auf einer Blumenterrasse im Etschland, in einem schönen Garten bei Bozen. Hier am Lorbeerbusch träumt Schiller im bleichen Marmor, dort erhebt sich Goethe’s gebieterisches Haupt, und in der Geisblattlaube ist der verständige Nestor aus Prinz Zerbino aufgemalt wie er im Garten der Poesie, mit den Dichtern wortwechselt – alles freundliche Wahrzeichen, daß auch um diese letzte Stadt deutscher Zunge der deutsche Genius ein geistiges Band geschlungen habe, das sie dem großen Ganzen vereint. Ringsherum wiegen sich im Morgenwinde mannichfaltige Rosen, Georginen und Azaleen, während seltsame Cactusgesträuche, Aloën und andere exotische Gewächse in unbewegter Ruhe prangen. Gegen die Höhe steigen, das liebliche Plateau umfassend, cyklopische Mauern auf, welche Weinlauben, Oelbäume, nebst manchem Belvedere tragen und sich in den grünen Buschwald verlieren, der die ungeheure Porphyrwand weich wie Sammet überkleidet. Aus den Ritzen dieser Steinlager wachsen wilde Opuntien empor, welche, so ärmlich sie herumkriechen, doch an die blauen Berge erinnern [371] die ihren Scheitel im jonischen Meere spiegeln. In der Niederung liegen Weingüter; sammt und sonders in zierlichen Bogengängen, und aus den Weingütern steht die Stadt auf, im dünnen Morgenflore, mit dem braunen feinen gothischen Pfarrthurm, der sein fleißiges Geläute erbauend herüber hallen läßt. Ueber der Stadt hinaus führt das Thal an der schlängelnden Etsch hin nach Italien, eine schmale Ebene, die sich im engen Einfange senkrechter Felsenmauern hinunterstreckt bis an die Clause von Verona. Man sieht da in viel blaues Berggeschiebe, das sich geheimnißvoll in einander drängt. Zur rechten Seite in ziemlicher Nähe schießt die rothe Wand der Mendel auf, und ihr zu Füßen dehnen sich lockend die milden Höhen von Kaltern, voll Dörfer, Höfe, Landsitze und Burgen. Dort drüben, an den Pforten der Weinkammer von Tirol, ragt die stolze Ruine von Sigmundskron, und vom steilen Berghang herab glänzt Hohen-Eppan, die glorreiche Veste, jetzt zwar gebrochen, aber noch immer bedeutsamen Ansehens, fast wie ein galiläisches Bergstädtchen in Merians Bilderbibel. Neben ihr liegen noch andere Burgen, diesseits der Etsch Haselburg und Weinegg, weiter oben Carneid, da wieder eine Veste, dort noch ein paar und wieder ein paar. – An dieser schönen Landschaft ergötzte ich mich oft stundenlang in dem Garten, dessen lieber Herr mich gastfreundlich zu sich geladen, um den Herbst mit ihm zu verleben. Da erfreute mich auch noch der Umgang einer liebenswürdigen Familie und das Labsal einer trefflichen Bibliothek, für die der Hausherr alles gesammelt hatte, was die Literatur europäischer Völker Schönes hervorgebracht. Das war ein selig stilles Musenleben, an das ich mich meiner Tage mit Dankbarkeit erinnern werde.

Gehen wir jetzt aus der heimlichen Abgeschiedenheit unsers Gartens hinunter in die lauten Gassen der Stadt, welche die reichste ist in Tirol, nach allgemeiner Annahme auch die heißeste, da der enge Bergkessel die Hitze mehr zusammen hält als die luftigern Lagen von Trient und Roveredo. Die Stadt ist ohne viele Zierlichkeiten, aber gut gebaut, voll hoher fester Häuser, mehr alterthümlich als neumodisch. Die [372] Hauptstraße, schon in der ersten Anlage auf die Hitze des Sommers berechnet, ist etwas eng und finster ausgefallen, hat aber geräumige Bogengänge, Lauben genannt, unter denen auch in der wärmsten Jahreszeit eine kellerliche Kühle duftet. Fast an allen Häusern sind Erker angebracht, zur luftigen Aussicht Straß’ auf und ab. Im Innern dieser Gebäude überraschen die großen Räume: die weite Hausflur, die mächtigen Stuben und insbesondere die eigenthümliche Lichthaube, ein mitten im Hause stehender Hof, oben mit schwebendem Dach überlegt, unten durch sprudelnde Brunnen belebt, eine nothwendige Vorrathskammer, von wo aus Kühlung und frischer Luftzug in alle Gänge und Gemächer sich ergießt. Die italienischen Landleute die auf dem Markt sitzen oder unter den Lauben rasten, die italienischen Aufschriften über deutschen Waarengewölben, das offene Leben vor den Kaffeehäusern, die zerlumpten Jungen die sich dienstfertig um den ankommenden Fremden drängen, und manches andere erinnert daß man an den Thoren von Wälschland steht.

Auch die Fauna erhebt sich mit mit geilem Schwunge bis zur Erzeugung des Scorpions. Ferner gibt es etwas tödtliche Vipern, die man hier zu Lande schlecht und recht Beißwürmer nennt. Im Pflanzenreiche kommt fast alles fort, was in Hesperien wächst. Wer die Süßigkeiten des hiesigen Herbstes gekostet, die wonnevollen Trauben, die feinen Pfirsiche und alles was mit ihnen aus den Gärten kommt, der wird immer mit Sehnsucht daran denken, wie die reisenden Matrosen von Ithaka an die Lotosfrucht. Sehenswerth sind auch die Bozner Gärten. Wenn zu den warmen Lüften noch die Kunst des Blumenwärters und der Reichthum gartenfreundlicher Familien kömmt, so muß Flora allerdings ihr ganze Pracht entfalten.

Die günstige Lage hat die Stadt schon in frühen Zeiten zu großer Wohlhabenheit geführt. Gerade hier, in die Landzunge zwischen Etsch und Eisack mündet der befahrenste Straßenzug aus Italien nach Deutschland, um sich da in zwei Arme zu theilen, von denen der eine über den Brenner nach Bayern, der andere über Finstermünz und den Arlberg nach [373] Schwaben geht. Beide Pässe, die niedersten, die über die Alpen führen, waren von jeher für Römerfahrten, für Heereszüge, für Pilgerschaft und Handelsverkehr stark benützt. Die uralten romanischen Kirchlein in der Stadt und der Umgebung, mit ihren massiven weißen Thurmhauben erinnern noch an die lombardischen Zeiten, wo die Stadt auch schon ihre Bedeutung hatte. Uralt sind auch die vier Bozner Messen, die jetzt freilich sehr herabgekommen.

So ist die Stadt, obgleich an Umfang immer klein, doch schon im frühen Mittelalter sehr wohlhabend geworden und muß immer noch dafür gelten, obgleich in dem letzten halben Jahrhundert der Reichthum eher ab- als zunahm. Die heutigen Bozner wissen auch, daß sie viel Geld besitzen und sie sollen sich sogar etwas darauf einbilden. Noch vor etlichen Jahrzehnten hat sich die Stadt nach bewährten Angaben einem sehr ungebundenen Sybaritenleben überlassen, zur Zeit aber geht ein zwiespältiger Ton durch ihre Gesellschaft; Weltlichkeit und Andacht sind sichtlich mit einander zerfallen. Bozen hat jetzt nämlich nicht ohne Grund den Ruhm der frömmsten Stadt im frommen Tirol. Eine bedeutende Anzahl von Weltpriestern und Mönchen übt großen Einfluß auf das Familienleben der bessern und unwiderstehliche Gewalt auf die mindern Leute. Man geht alle Tage zur Messe, alle Tage zum Rosenkranz, alle acht Tage zu Beicht und Abendmahl. Die Gebote der Kirche werden nicht allein ängstlich gehalten, sondern, mehr als anderswo, mit sinniger Strenge ausgelegt. So zum Beispiel weiß man vielleicht nirgends in der Welt als hier, daß das Spundloch eines Fasses, wenn auch Freitags Wein daraus gezogen werden soll, mit Schmalz vermacht seyn muß, aber nicht mit Speck, da der Wein außerdem, als mit einer Fleischspeise in Berührung, an Fasttagen nicht erlaubt wäre u. s. w. Viele Familien zeigen einen feurigen Eifer sich durch äußere Frömmigkeit hervorzuthun, und wie sich an andern Orten vornehme Damen ihr Putzzeug aus Paris verschreiben, so beziehen sie hier Fastendispensen u. dgl. unmittelbar vom päpstlichen Stuhl zu Rom und sind wahrhaft stolz auf den kräftigen Zettel, während der gemeine Pöbel [374] sich mit der ordinären Erlaubniß des Landesclerus begnügen muß. Amulete, Medaillen und derlei Haus- und Heilmittel, die man anderswo der frommen Einfalt des Landvolks überläßt, sieht man hier am Halse der Elite; auch Rosenkränze mit ausgespannten Händen und derlei starke Andachten kommen vor. Der gottselige Ausbund der Bozner hatte auch seinen guten Antheil an dem Aufkommen der Jesuiten in Tirol und das ist ihm übel notirt im Lande. Gebet- und Kochbücher bilden in manchem Hause die einzige Lectüre, denn die deutsche Literatur gilt in solchen als verdächtig, weil sie lutherisch (spr. lutt’risch) sey, und man freut sich, nichts davon zu wissen. Selbst über den lieben, freundlichen Erzvater schöner und edler Gefühle in deutscher Jugend, über den Herrn Friedrich Schiller aus Marbach in Schwaben, hat man hier seine eigenen Ansichten. Als man sein Bild in jenem Garten aufstellte, fragte zum Beispiel eine zürnende Stimme: warum diesen Mann vergänglichen Namens und nicht den heiligen Paulus? Ja es ist noch gar nicht lange her, daß einer der Geistreichen von Tirol, zwar kein Bozner, aber unter den Augen und der Inspiration einer tugendhaften Bozner Dame schreibend, in einer katholischen Zeitschrift gegen Schiller Verwahrung einlegte, und seiner Bildsäule nicht einmal einen Garten den er nicht hat, öffnen zu wollen erklärte, weil er fürchte, seine oder andrer Leute Kinder möchten ihn fragen, ob dieser Mann, dessen Bild sie umspielen, für die katholische Religion, sein höchstes Kleinod (?) gestritten in Wort und That. Nein, sagt er, wir wollen unsere Gärten unentweiht besitzen. O, über eure unentweihten Gärten mit ihren aspasischen Mysterien!! – Einige Ehrenmänner von dieser Seite, die gleichwohl eine mäßige Bekanntschaft mit Büchern als eine dem Zeitgeist gemachte Concession ansehen, behaupten, Herr Anton Passy, ein Jesuit zu Wien, der Verkünder Filumenens, sey der beste deutsche Stylist und könne für gute Christenleute insbesondere den heidnischen Goethe ganz ersetzen. Geistiges Leben und ästhetischer Bildungstrieb sind daher unter den Frommen zu Bozen jedenfalls auf ganz andern Bahnen als sonst im deutschen Vaterlande, und eine Ausgleichung scheint [375] um so weniger nahe, als man sich nicht ohne einige Eitelkeit der hohen Stellung rühmt, die man in der streng katholischen Welt verdientermaßen einzunehmen vermeint.

Anders dagegen denkt der Bozner Handelsstand, zumal die Männer. Diese verbringen ihre Jugend zu Wien, zu Triest und in den lustigen Handelsstädten Italiens, und fügen sich nach der Rückkehr ungern in das klösterliche Leben der Vaterstadt. Da aber gleichwohl eine öffentliche Trübung des städtischen Hausfriedens lieber vermieden wird, so finden auch sie sich bald in die selbstvergnügte boznerische Behaglichkeit hinein und freuen sich den Hafen gefunden zu haben, ohne ihren Weltansichten zu entsagen. Die strengen Arbeiten des Comtoirs erheischen ausgiebige Erholung und so vergeht denn des Winters viele gute Zeit im Kaffeehause und die warmen Monate nimmt die Sommerfrische hinweg. Die leibliche Erquickung ist auf diese Art so wohlbedacht, daß die geistige daneben fast zu Schaden kommt. Ein Lesecabinet, wie im Casino des reichen Bozens, findet sich in solcher Armuth gewiß in keiner andern deutschen Stadt von neuntausend Einwohnern. Freilich sagt man die Andächtigen seyen schuld an dieser Misere, da sie vieles, was die andern wünschen, als lutherisch nicht vertragen wollen. Immerhin beziehen mehrere Privatmänner anziehende Erscheinungen der deutschen Presse auf eigene Rechnung. Man sieht daraus, daß auch hier noch Leute zu finden, die etwas daran setzen mit dem Vaterlande in literarischer Verbindung zu bleiben. Im Allgemeinen aber haben es die weltlichen Bozner dahin gebracht, daß sie im ganzen Lande als klug, wohlbedacht und berechnend, aber auch als materielle Herren gelten, die sich zu sehr in ihre Kirchspielinteressen und altherkömmliches Wohlleben verloren haben. Andrerseits erkennen viele Bozner im Stillen die Gebresten ihrer Stadt wohl an und deuten mit Bitterkeit dahin, wo nach ihrer Ansicht deren Quelle ist, auf die dicke, frömmelnde Scheinheiligkeit, die über ihnen liegt und jede freiere Regung verketzert.

Da sie nun auch mit Witz und körnigem Salz wohl ausgestattet sind, so rächen sie sich heimlich an dem frommen [376] Frauenvolk und seinen männlichen Patronen durch beißende Satire und dieß um so lieber, als ihnen nicht gestattet ist, öffentlich ihre Meinung an den Tag zu legen. Von der andern Seite will man auch nichts schuldig bleiben und man hat daher beständig den schönsten Stadtklatsch. Diese Eigenthümlichkeit des Bozner Lebens wissen insbesondere die Innsbrucker hervorzuheben, die freilich den Boznern überhaupt nicht grün sind.

Wäre ich nun ein Bozner, so würde ich dich, lieber Leser, vor allem in die schöne alte Pfarrkirche, oder auf den neuerbauten preiswürdigen Friedhof mit der Pforteninschrift: Resurrecturis, dann allenfalls in den gräflich Sarntheinischen Garten führen, dann in die Privatsammlungen u. s. f., würde dabei bedacht seyn dir den bestmöglichen Begriff von hiesiger Stadt beizubringen und ihre vorragende Bedeutung im Verkehr, die angenehme Gesittung und hohe Achtung vor Kunst und Wissenschaft, so wie auch das durch den Blüthenduft feingebildeter Geselligkeit gehobene Daseyn in ihrem Schooß nach Verdienst zu rühmen haben. Dasselbe ungefähr würde ich thun müssen, wenn ich ein amtseifriger, auf das Gesetz der Reise-Handbücher verpflichteter Wandersmann wäre. Nachdem ich aber weder ein Stadtkind bin, noch auch nach dem Buchstaben der Handbücher lebe, vielmehr durch gewissenhafte Beobachtung ihrer Vorschriften zu andern Zeiten die Freiheit errungen habe, hier nach meinem Belieben schlendern zu dürfen, so führe ich dich meine eigenen Wege. Wir gehen schweigend etliche Gassen ab und verschwinden unvermerkt im Hause Meister Moosers, des Gerbers, das nahe an der Pfarrkirche in einer Seitengasse steht. Meister Mooser nimmt’s sehr freundlich auf, wenn fremde Leute bei ihm zusprechen, und er darf’s den Nordländern nicht verdenken, wenn sie sich über seinen gerühmten Garten recht herzlich verwundern. Es ist auch in der That ein wunderlieblicher Erdenwinkel, nur etwas zu eng um in horazischer Weise als wonniger Ruhesitz und süße Altersrast von Land- und Seefahrten ersehnt zu werden. In der Mitte steigt ein hoher Springbrunnen auf, ringsum sind Lauben und dichte dunkelgrüne Wände von auserlesenen [377] Gewächsen und in den Beeten hin und her die seltensten Blumen, während auf ragenden Schäften verschiedene weißblinkende Bildsäulen sich erheben, welche eine Anzahl christlicher Tugenden darstellen. Der Garten ist sehr schön zu sehen, aber in seinen vielen Reizen schwer zu beschreiben, und daher erwähnen wir schleunigst daß Meister Mooser neben der Kunst des Häutegerbens noch, wie so unendlich viele von seinen Landsleuten, ein Geheimtalent, eine Liebhaberei zur linken Hand ausübt, vielleicht schon die zweite, wenn wir seine allerdings endemische Gartenmeisterschaft als die erste gelten lassen wollen – er ist nämlich ein vortrefflicher Schnitzler und zwar im Architektonischen. So arbeitet er nun schon seit langen, langen Jahren an einer Weihnachtskrippe, welche die kunstreichste werden muß die seit Christi Geburt errichtet worden. Mit den Männchen und Weibchen die da eines Tages die biblische Geschichte in plastischen Darstellungen vorüberführen sollen, beschäftigt er sich der angegebenen Richtung nach zwar nicht selbst, sondern läßt sie herstellen von andern ausgezeichneten Händen, aber desto emsiger baut er an der Stadt Jerusalem, die den breiten Hintergrund der Krippe in nie gesehener Pracht und Herrlichkeit einnehmen wird. Sklavische Nachahmung einer ohnedem längstvergangenen schwer zu bestimmenden Wirklichkeit hat er dabei nie angestrebt – er handelt im Geist der altdeutschen Maler, die ja auch nicht gefragt wie die heilige Stadt etwa ausgesehen. Sie malten sie in ihrer Sinnigkeit gothisch, wie Köln am Rhein, und so wird auch sein Jerusalem nicht das Jerusalem von Anno 1, sondern der Inbegriff und Ausbund von allem Schönen und Großartigen was die Baukunst, so weit sie dem Meister durch Selbstsehen oder bildlich zu Gesicht gekommen, bis auf den heutigen Tag geschaffen hat. Als er das Kunstwerk begann, hatte er lauter moskowitische Ideen im Kopf, moskowitische Ideen mit stark mohammedanischem Anflug, und er schnitzte Tempel und Burgen wie im Kreml, mit wunderlichen Thürmen und birnförmigen Kuppeln, über denen der rechtgläubige Halbmond prangt, und mit Fenstern und Portalen wie an den Moscheen zu Konstantinopel. Dann befiel ihn aber eine [378] gleiche Scheu vor Moskau wie vor Stambul; er versetzte sich mit jähem Sprunge nach Italien, und schuf im Geiste Palladio’s etliche herrliche Paläste. Endlich – und dieß ist die Einkehr ins germanische Bewußtseyn und die späte, aber in unsern Zeiten unausbleibliche Manifestation seines boznerischen Deutschthums – endlich fing er an nach den Geheimnissen der altdeutschen Bauhütte zu forschen, und nun erstehen gothische Gebäude von unübertrefflicher Großartigkeit des Entwurfs und solcher Feinheit der Ausführung, daß sie ohne Wagniß selbst der kunstreichen Sammlung Hrn. Kallenbachs, die wir seiner Zeit so sehr bewundert haben, an die Seite treten dürfen. Derowegen ist die Mooser’sche Krippe gewissermaßen auch eine Monographie des localen Volksbewußtseyns im letzten Decennium, und daher sogar für den denkenden Staatsmann vielleicht nicht ohne wichtige Belehrung; sintemalen sie zeigt wie vor zehn Jahren etwa der Czaar und der Großtürke mit ihren Siebensachen noch in abenteuerlichem Wunderglanze vor dem innern Auge dieses Bozner Bürgers standen, wie dann sein Geist, zwar losgemacht von Kreml und Bosporus, doch noch immer scheu vor dem Vaterland und seiner eigenen Kunst, einen Zug nach Wälschland that, in den leichten italischen Formen gleichsam den Uebergang suchend von phantastischer Barbarei zum heitern Tiefsinn der Heimath, bis dann derselbe Geist, nach langem Irren, im Lande der Väter sich selbsten findet und durch die heimische Mutter Erde gekräftigt in urschönen Ideen schöpferisch aufschlägt. So läßt der Meister also unter den moskowitisch-türkischen Kuppelbauten und den italienischen Palästen altdeutsche Bauwerke sich erheben mit mystischen Spitzbogen, geschmückten Erkern und ragenden Mauerthürmchen, mit all dem zierlichen Ernst unsers Mittelalters, und vornehin an den Hauptplatz stellt er eine Residenz oder Königsburg, die dem Rathhause zu Brüssel oder sonstwo nachgedacht ist, in grandioser Schönheit aufsteigend, mit einem Glockenthurm, der nach meinem Augenmaß verhältnißmäßig der höchste ist in Europa. Stellen wir uns nun vor daß nicht allein für diesen, sondern auch für zwölf andere der wichtigsten Thürme die Thurmuhren schon fertig sind, [379] deren Hämmer auf tiefliegenden harmonisch gestimmten Stahlfedern für Jerusalem verkündigen werden wie viel es geschlagen hat, ungefähr so daß die letzte kaum die ganze Stunde erledigt, bis die erste schon wieder das nächste Viertel durch die Stadt hallen läßt! Und damit diese unter der glühenden Sonne Palästina’s der Kühlung nicht entbehre, so ist auch für Wasserkünste gesorgt, und der Talferbach muß seine frischesten Fluthen hergeben zu einem steigenden Springquell auf dem Residenzplatz, welcher mit einer ehernen Reiterstatue König Davids geschmückt wird, wie er zu seinen Psalmen die Harfe schlägt. Es wäre indessen Unrecht, wenn man hier allen Nachdruck nur auf die Stadt legen wollte, denn es kommen auch ländliche Darstellungen vor wie die Geburt Christi, die Hochzeit zu Cana u. dgl., wo die Erfindungslust des Meisters fast noch maßloseren Raum hat. Für solche Fälle – es versteht sich von selbst – werden dann die Gewässer der Talfer noch ausgiebiger benützt, um von dem erhabenen Hochgebirg, das hinten in sehnsuchtweckender Ferne dahinzieht, in tosenden Wasserfällen niederzustürzen, klappernde Mühlen zu treiben, rauschende Flüsse zu bilden und in den stillen mit Trauerweiden umbuschten See von Genezareth zusammenzuströmen, auf welchem ein rasches Dampfboot, mit Namen: der Fortschritt, dem Verkehr zu dienen bestimmt ist. Die Wahl möchte schwer werden, wenn einst die Krippe in vollständiger Herrlichkeit zusammengestellt ist, was vorzuziehen, eine ländliche Scene oder eine Festlichkeit in der Hauptstadt. Dort im Abendlichte der heilige Libanon, voll Schneefelder, voll Cedern und Steinböcke, das anmuthige Mittelgebirge mit den lieblichen Einzelnheiten wie sie die Alpenhöhen von Südtirol so nachahmenswerth darbieten, auf den sonnigen Auen Sennhütten, in schattigen Hainen Sommerfrischhäuser, wo das Leben zwischen Spadill und Rosenkranz sanft dahinfließt, Einsiedeleien für verkannte Seelen die dieser Welt zu fromm geworden, und unten in der biblischen Ebene eine Landschaft wie ein Park, Rosengebüsche unter uralten Bäumen, Wiesen und Wald von heimlichen Pfaden durchschnitten, Dörfer aus denen die grünen Spitzthürme himmeldeutend aufsteigen, am See die Fischerhäuser [380] und überall die rührigen Geschäfte des unschuldigen Landlebens – hier aber in der Stadt z. B. die drei Potentaten aus dem Morgenlande mit ihren Decorationen auf der Brust, König Melchior, der Weißbart, von Arabien und Nubien; König Balthasar von Godelia *) und Saba; Caspar, der Mohr, ein König von Tharsis und Egriskylla, sämmtlich auf ihren Apfelschimmeln über den Residenzplatz courbettirend, nach Bethlehem zu, wo die neue Zeit in der Wiege liegt, voran die Läufer von Madian und Epha, hinterdrein unendliches Gefolge, die Ritter auf schäumenden Rossen, das reisige Gesinde auf Kamelen, Elephanten und Nilpferden; ferner Herodes auf dem Söller der gothischen Königsburg, umgeben von dem großen Cortege und seiner Schweizergarde, von Hohenpriestern und Schriftgelehrten, Zeichendeutern, Astrologen, Wunderdoctoren, von Derwischen aller Art, Herodes, der Conservative, etwas unangenehm berührt durch den Stern der Zukunft der über dem Lande steht, gleichwohl aber die drei weisen Souveräne, welche ihm nachgehen, listig becomplimentirend – auf den Balconen der Palazzi halbmaskirte Contessen aus Judäa, welche mit der mohrischen Ritterschaft und einem hohen Adel aus Nubien kokettiren; unzähliges Volk von Jerusalem in den verschiedenen malerischen Trachten die es damals trug – dieß Alles um Mittag betrachtet, wenn die dreizehn Thurmuhren nacheinander zwölf Uhr schlagen, während die hierosolymitanische Wachparade musicirend aufzieht und der Brunnen Davids in orientalischen Cadenzen niederplätschert – das muß seyn um zu vergehen vor lauter Sehnsucht nach dem Morgenlande!

Es ist schwer einem vertrockneten Herzen den Eindruck zu schildern, den diese geschnitzelte Poesie auf ein empfängliches Gemüth macht. Wer es nicht selber erlebt, der enthalte sich wenigstens aller Bitterkeit, und wenn etwa einer mäkelt daß sich da laut Beschreibung manch Unverträgliches [381] zusammenfinde, so belächelt ihn! In der Poesie gibt’s keine Anachronismen, nur die Wirklichkeit ist voll davon; für Autoritätsmenschen haben wir sogar den Trostspruch zur Hand daß schon die größten Baulichter der Gegenwart bewundernd vor der Krippe gestanden sind.

Wohin aber jetzt, um den mächtigen Eindruck ruhig auswirken zu lassen? So großartig schön der Thalkessel von Bozen auf allen Seiten ist, so fehlt doch jene angenehme Bequemlichkeit, seine Reize lustwandelnd einzuschlürfen, und jener leichte Zugang, der die Gegend von Meran doppelt anziehend macht. Außerhalb der Stadt, jenseits der Talferbrücke ist ein kurzes Lustwäldchen, wo an Sonntagen die Jägermusik aufspielt, zu gleicher Zeit ein Sammelplatz der schönen Welt; sonst ist in der Ebene wenig zu finden. Die Weingärten sind nach italienischer Sitte mit hohen Mauern umgeben die den Ausblick hindern, und zwischen diesen Wänden gehen die Wege durch in langweiligster Begleitung. Andrerseits steigen die Porphyrwände allenthalben steil hinan, so daß sie bei der Hitze der guten Jahreszeit nur in früher Morgenstunde und am späten Abend mit erträglichem Schweiß und Herzklopfen zu erklettern sind. Der mildeste solcher Steige etwa zieht zum Calvarienberge hinauf, wo das Kirchlein zum heiligen Grabe auf mäßiger Höhe über dem Eisack liegt; beschwerlicher schon ist das Aufklimmen nach dem alten Schlosse Haselburg oder Küepach, das jetzt allmählich zerbröckelt. Von beiden geht eine herrliche Aussicht über die Stadt hin, auf die Weinhügel von Kaltern und die rothe Mendel welche darüber aufsteigt, ins Meranerthal aufwärts und gegen die blauen Anfänge von Italien abwärts. Auf dieser Seite des Eisacks führt auch ein schmaler Pfad, zwischen Wasser und Berg eng sich hinwindend, nach dem Dörfchen Campill, eine halbe Stunde weit entlegen, wo in der alten Kirche alte Wandmalereien italienischer Schule zu sehen sind, die derselben Zeit angehören wie jene welche die stille Kirche St. Johann am obern Ende der Stadt ausschmücken. So viel uns bekannt, sind diese Werke alten etschländischen Pinsels von Kunstverständigen noch nicht [382] näher besprochen worden; sie sind unsers Bedünkens nicht später als im vierzehnten Jahrhundert gemalt.

Noch einen Spaziergang haben wir zu erwähnen, den lieben, einsamen Gang über die Wassermauer, an der Talfer von der großen Brücke hinauf bis zum Schlosse Klobenstein, jetzt St. Antoni genannt. Die Wassermauern sind in Tirol ein Ding das viel Sorge und viel Geld kostet, feste dicke Wehren gegen die tückischen Wildbäche, die zu einer Zeit so unschuldig vorbeimurmeln, in andern Tagen wieder mit vollem Rasen daherstürmen, menschenfeindlich, zerstörungslustig, fast unbezähmbar. Wie die Meraner ewig mit der Passer kämpfen, so die Stadt Bozen seit sie auf Erden ist, mit der Talfer. Das Bett des Baches liegt um einige Fuß höher als die Grundfläche der Stadt, und wenn jener einmal so viel Wasser aufbrächte um die Dämme zu überfluthen, so würde sich ein See durch die Gassen ausbreiten bis hinüber zum Eisack. Man behauptet dieses Flächenverhältniß habe sich erst mit der Zeit gebildet, indem die Talfer alle Jahre neuen Schutt aus dem Gebirge herauswälze und so ihr Bett fortwährend erhöhe; gleichwohl ist schon einmal vor sechshundert Jahren Graf Meinhard von Tirol auf den Gedanken verfallen, zum Schaden des Bischofs von Trient, der die Stadt inne hatte, die Wassermauer zu durchbrechen und die Talfer in die Straßen von Bozen zu senden; wonach man annehmen möchte daß es wenigstens damals schon so gewesen wie jetzt. Wie dem auch sey, die Erhaltung der Talferdämme liegt seit alten Zeiten verschiedenen Genossenschaften anwohnender Besitzer ob, welche sich nach dem romanischen Worte liga, lega Legen nennen.

Auf der Wassermauer hinauf ist also ein stiller Spaziergang, fern vom Staub der Straßen und die Aussicht ist offen nach allen Seiten. Herüben wieder Weingärten aus denen die Häuser der Stadt sich erheben, und das Schloß Maretsch, anziehend in alterthümlicher Einfachheit, mit gethürmter Ringmauer und einem Ziegeldache, gelb und schwarz geschacht; über dem Bache der schlanke, runde Thurm der „der gescheibte“ heißt und dessen Erbauung in die Zeiten gesetzt wird, als [383] Drusus und Tiberius die Rhätier unterjochten. Weiter draußen zeigt sich Gries, die Bozner Vorstadt, mit dem ehemaligen Chorherrenstift welches in römischen Zeiten eine feste Burg gewesen seyn soll, nunmehr aber den Benedictinern von Muri übergeben ist. Auch die alte gothische Kirche der Grieser ist zu beachten. Abwärts gegen Süden liegt die Eppaner Hochebene vor Augen mit ihren Burgen und Dörfern. Wer aber über St. Antoni, das eckig, zinnenreich und wehrhaft an dem Damme steht, weiter aufwärts geht, gelangt zum Schlosse Rendelstein und dann auf schattigem Wege, an rothen Felsen hin die das frischeste Grün übertäubt, nach Rungelstein zum alten Schlosse, das in unsrer Zeit wieder berühmt worden ist wegen seiner aus dem vierzehnten Jahrhundert stammenden Malereien, über die wir übrigens, da sie schon von Andern oft besprochen worden sind, nur bemerken wollen, daß sie die Geschichte von Tristan und Isolde und Darstellungen aus dem Sagenkreise König Artus bieten. In ersteren hat eine prüde Hand erst seit drei Jahren die Liebesscenen schamhaft überschmiert.*) Die Burg steht auf schroffem Felsen über der [384] Talfer, in einer einsamen, von hohen Wänden überragten Heimlichkeit, die schauerlich wäre wenn nicht alles in der Runde, Gras und Baum und Stein so lebhafte Farben trüge, wenn nicht der Blick in das thurm- und häuserreiche Stadtgebiet die Nähe der Menschen zeigte. Innerhalb findet man ein halbwohnliches Haus das den Bauleuten zum Aufenthalte dient, und ferner sind noch etliche Kammern erhalten, dieselben nämlich in denen besagte Schildereien aufgemalt. Sonst klaffen die braunen Mauern in gräßlichen Breschen und langen Rissen von oben bis unten, gleichwohl mehr malerisch als schreckhaft, da überall und allenthalben Gewächs und Laub, Schlingpflanzen und Epheu darüber hinwachsen und aus den hohlen Fenstern neugierige Nußbäume schauen. Es ist bezaubernd aus der Burg hinaus in das warme Thal und aufwärts ins zerrissene Talferbett zu spähen, dort die Glückseligkeit des südlichen Himmels, hier der wilde Runst eines Bergbachs und die verfallenden Zeugen vergangener Jahrhunderte. Dieser Winkel sammt seinen Zugängen ist so stark besetzt mit Vesten als wäre es um die Bewachung eines unermeßlichen Horts zu thun gewesen. Maretsch, Klobenstein, Rendelstein, Rungelstein haben wir schon genannt; schauen wir nun gegen Sarnthal zu, so steht unten am Gries der Talfer das graue Schlößchen Ried und weiter hinten an der Felswand die schöne Ruine von Langeck, über dem Bache aber in schwindelnder Höhe, scharf abstechend vom blauen Himmel, erscheinen die weißen Mauern von Ravenstein, mit überlegenem Stolze herunterblickend vom erhabenen Söller, obgleich sich an den Namen keine ritterliche Erinnerung knüpft, derowegen es der Mühe werth wäre so vornehm darein zu schauen.

Zur wonnigen Zeit der Sommerfrische verlassen die Bozner gerne alle diese Schönheiten und reiten an der rothen Porphyrwand vierhundert Klafter hoch hinauf, um sich auf der kühlen Hochebene gütlich zu thun. Sie haben dort zwei größere Niederlassungen. Die eine, Oberbozen, liegt am Rande des Tafellandes, gerade ober der Stadt. Es ist eine liebliche frische Ansiedlung von Landhäusern unter großen Lindenbäumen. Die niedlichen Villen sind zierlich in ihre Gärtchen eingestellt, [385] und die Gärten selbst voll schöner Blumen. Da und dort findet man auch Lauben, beschattete Tische, anmuthige Gesellschaftsräume im Freien. Zum beliebten Bocciespiel sind glatte Bowling-greens eingerichtet und durch den nahen Wald führen ebene, bequeme Gänge. Vom Gloriett, vom Merltennen blickt der Sommerfrischler vergnügt hinunter in das heiße Thal und freut sich täglich, daß er nicht unten seyn muß. Die ständige Belustigung der Männer ist das Scheibenschießen und es knallt daher den ganzen Tag. Der Schießstand ist schon von Alters her sehr stattlich eingerichtet; er prangt mit Fähnlein und mit mancher sinnreich bemalten Scheibe, die schon bald im zweiten Jahrhundert dahängt. Von dieser Zeit her stammt auch das Schützenbuch, wo jedes „Best“ eingeschrieben ist, das seitdem die Schützen gegeben zur Feier ihrer Hochzeit, zur Geburt des ersten Buben, oder die geistlichen Herren, wenn ihnen eine neue Würde angewachsen. In demselben Raum wird auch der Ball gehalten zur Oberbozner Kirchweihe am Sonntag nach Mariä Himmelfahrt. Dazu kommen dann die Sommerfrischler vom Ritten herüber und mancher Nachzügler aus der Stadt. Da tritt auch namentlich die sommerliche Gastfreundschaft der Bozner gewinnend an den Tag. Kaum ist der Fremde angekommen, ist er auch schon bekannt, kaum bekannt auch schon eingeladen zu Dach und Fach. In Oberbozen, sagt ein witziger Schilderer dieses Sommerlebens, in Oberbozen ist man gastfrei wie nirgends in der Welt, wie selbst nicht in Bozen.*)

In einer Stunde gelangt man von Oberbozen nach Lengmoos und Klobenstein, in einer Landschaft, die der Ritten heißt. Nicht weit davon liegt auch das Wirthshaus zu Salrain, eine treffliche Herberge in dieser Höhe. Die meisten Sommerfrischhäuser finden sich zu Klobenstein, hart über dem Abgrund, der an den Eisack hinunterführt. Während die Aussicht von Oberbozen nach Süden geht, ist sie hier gegen Osten geöffnet.

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Die Gegend beherrscht der Schlern, ein Berg von höchst eigenthümlicher, prächtiger Gestaltung, welchen Lewald sehr glücklich einem ungeheuern ruhenden Wallfisch verglichen hat, der aus seinen Nüstern zwei dicke, achtausend Fuß hohe Wasserstrahlen in die Lüfte sendet. Der Schlern ist so zu sagen der Liebling der Bozner Gegend, und wird sehr häufig bestiegen. Neben ihm zeigt sich die grüne Höhe der Seiseralpe. Ueber dieser ragen die weißen Zacken der Dolomitgebirge von Gröden auf; rechts vom Schlern aber die wilden Gabeln aus den Thälern von Fleims und Fassa. Eine Reihe davon heißt der Rosengarten, was den Kennern der deutschen Sage Anlaß geben mag ihn mit dem König Laurin zu verbinden. Die schönste Ansicht dieses Gegenübers bietet das gastfreie Landhaus des Herrn Apothekers Haas, wo auch Fernröhre zur Hand sind, um die entlegenen Schönheiten näher herzuziehen. Der Ritten ist übrigens eine sehr buckelige Gegend, und die Spaziergänge sind daher bergig und mühsam. Man beschränkt sich auch gerne auf die nächste Nähe, und wenn weitere Ausflüge unternommen werden, so geschieht es meistens zu Pferde.

Eine sehr besuchte Stelle ist der Horn, eine Höhe, etwa dritthalb Stunden von Klobenstein gelegen mit einer unermeßlichen Rundsicht auf die Bergzüge, welche das Flußgebiet des Eisacks und der Etsch umzäunen. Eine Fahrt auf den Horn wird mit aller boznerischen Behaglichkeit unternommen. Die Träger schleppen schwere Lasten von Mundvorrath und Wein. Auf allen schönen Plätzen wird getafelt und die Mühsal so sorgfältig in Erholung eingehüllt, daß fast nichts von ihr zu spüren.

Die Landhäuser auf dem Ritten und zu Oberbozen sind gewöhnlich denen, die dort die Sommerfrische zubringen, eigenthümlich. Jene Stadtleute, denen ein solcher Besitz versagt ist, genießen ihre Sommerluft an Orten, wo ihnen Miethwohnungen zu Diensten stehen. Dergleichen sind Jenesien, ein lustiges Bergdorf auf der Hochebene jenseits der Talfer oder Kollern, Oberbozen gegenüber, jenseits des Eisacks. Während der ganzen Zeit kommen die Frauen selten oder nie zur Stadt, die Männer nur, wenn dringende Geschäfte sie rufen. Der [387] Verkehr wird durch die Träger unterhalten, welche täglich auf- und abgehen.

Die Landschaft von Kaltern, deren Thürme, Ansitze und Schlösser überall verschönernd in die Gegend von Bozen hereinblicken, wird trotz ihrer Reize wenig besucht. Sie ist zu warm, um als Sommerfrische zu dienen, zu ländlich, um viel Zeitvertreib aufzubringen. Gleichwohl war sie im letzten Jahrzehnt mehrere Monden lang durchwallt von vielen Tausenden, die zu Fuß und zu Wagen, allein und in Processionen mit Kreuz und Fahnen daherkamen, um ein altes Herrenhaus aufzusuchen und eine kleine Kammer, in welcher eine lebendige Heilige lag, nämlich Fräulein Maria v. Mörl. Wir werden sie auch noch sehen, aber vorher schlendern wir gemächlich aus Bozen heraus und zwischen langen Mauern durch auf der Straße nach Eppan, wie man mit einen Namen die beiden nachbarlichen Dörfer St. Paul und St. Michel nennt. So gelangen wir zur Etsch, die in rauschendem Bogen um den Felsstock herumzieht, auf dem die Veste Sigmundskron erbaut ist. Diese, das alte Schloß Formianum, Formicaria, von Erzherzog Sigmund neu hergerichtet und in wehrlichen Stand gesetzt, ist zwar jetzt abermals verfallen, aber gleichwohl noch eine sehenswerthe Ruine. Sie liegt in üppigem Buschwerk von jungen Eichen, durch welches ein angenehmer Pfad vor die Burgpforte führt. Darüber sind die Wappen von Oesterreich und Tirol ausgehauen, ersteres mit dem vielberühmten Schmuck der Pfauenfedern auf dem Helm. Im untern Theile der Veste steht an der Ringmauer ein hoher Wartthurm, jetzt als Pulverkammer benützt, im obern Theile sind die verfallenen Gebäude, die ehemals von dem Burghauptmann bewohnt waren, allenthalben zerrissen und zerspalten, voll Schutt und Mauergebröckel; gegen die Etsch hin stehen noch dicke Thürme mit Schießscharten. Es liegen jetzt ein paar Invaliden in der stillen Veste.

Weiter gegen Eppan ziehend, gelangt der Wanderer ins Paulser-Loch, eine tiefe Schlucht durch Sandhügel gebrochen, an zwei kleinen Vesten hinziehend, Wart und Altenburg, beide halb verfallen, die eine fast ganz von Epheu überwachsen. [388] Zur Rechten auf einem Bergerker sitzt die Burg von Hohen Eppan, die schon Paul Diaconus als Appianum kennt, die jetzt noch weidlich prangt auf ihrer Höhe, obgleich längst von allem ritterbürtigem Geschlecht verlassen und nur mehr der unheimliche Aufenthalt einer Baumannsfamilie. Es ist der Mühe wohl werth, den alten Horst zu erklimmen und sich der Wartenaussicht zu erfreuen, die einst die alten Eppaner dort genossen. „Ergriffen von allen Schönheiten des Geländes, sagt Freiherr von Hormayr, und dem Ehrwürdigen des Alterthums dünkt dem Wanderer, er sehe hier auf dem Luginsland einen der Burgherrn spähen und die mächtigen Vorwerke rings um das Hauptschloß gelegener Vesten seiner Lehensritter zählen: Boimond, das Stammhaus des alten Geschlechtes dieses Namens; Altenburg, Wart, Korb, Festenstein, Payrsberg, dann jenseits der Etsch, an der Stirne eines wolkennahen, frei vorragenden Felsens gleich einem Adlerneste klebend, das trotzige Greifenstein, Altenberg, Oberglanig, des Bischofs von Trident und des Grafen von Tirol seines Vogtes Mannen und Söldnern in Bozen ein gewaltiger Kappzaum. Aber zur Linken sah er auch seines Gegners nie bezwungene Veste Tirol in ungeschwächter Kraft, vor sich zur Rechten seines Erbfeindes, des Trienter Bischofs, Lieblingsburg, das gewaltige Formigar, Neuhaus und Maultasch, von dem sich hernach Margaretha benannt, Siebeneich, die Heimath treuer Dienstmannen von Tirol, aus welchen Hartmann 1168 Friedrich den Rothbart zu Susa von Meuchelmördern errettet, und von neuerm Bau die Edelsitze Freudenberg, Fuchsberg, Gandeck, Gleif, Haslach; Bozen, die emsige handelsbelebte Stadt, aus der die Kirche von Trient die Grafen nach Eppan vertrieben; im Hintergrunde das vielbestiegene Rittengebirge, Vels, Steineck, Karneid; – die Etsch hinab das fruchtbare Thal bis Salurn, eingeschlossen von den [waldigen] Bergen von Buchholz, Deutschenofen, Aldein; die Etsch hinauf die Bergfirsten von Passeyer, Algund, Lana, Mölten.“

Nach Freiherrn v. Hormayr sind die alten Eppaner welsischen Geschlechts gewesen. Ursprünglich zu Bozen seßhaft wurden sie im eilften Jahrhundert durch den Bischof Gebhard [389] von Trient daraus vertrieben und nahmen ihren Sitz auf Hohen Eppan. Ihre nächsten Nachbarn, die Grafen von Tirol und die Bischöfe von Trient, waren ihre ärgsten Feinde. Dazu weckten sie auch noch den Grimm Heinrichs des Löwen, als sie einst zwei Cardinäle, die jener nach Deutschland berufen, überfielen und auf ihrem Schlosse ins Verließ warfen. Heinrich überzog sie dafür und brach ihnen eine Burg nach der andern. Die Eppaner unterlagen und nahmen ihre Schlösser von der Kirche zu Trient zu Lehen. Dieß geschah im Jahre 1158, und damit hatte Ruhm, Größe und Ansehen der Eppaner ihre Endschaft erreicht. Einer der letzten war Bischof Egeno von Trier, der nach unruhiger Vorsteherschaft im Jahre 1273 auf der Flucht zu Padua verschied. Bald darauf, nämlich 1300, starb das Geschlecht aus.

Die Dörfer, die wir nun durchwandern, sind voll städtischer Häuser mit großen Portalen, mit Erkern und Thürmen, mit romanischen Doppelfenstern und grünen Jalousieläden, zumeist von lachenden Gärten umgeben, aus denen dunkle Cypressen aufspitzen. Die Landschaft gehört zu den schönsten in ganz Tirol – eine Höhe, die sich nur wenig über die Fläche des Etschthales erhebt, lange nicht so, daß ein merklicher Unterschied des Klima’s, eine mindere Vortrefflichkeit der Trauben und der andern Früchte zu gewahren wäre. Ehemals war der Weinhandel der Eppaner, zumal derer von Kaltern, die an ihrem See eine der beliebtesten Sorten ziehen, sehr beträchtlich, und die Menge und Ansehnlichkeit der Ansitze und der Landhäuser mag zum Theil auf die süße Frucht der Rebe gegründet seyn. Die Eppaner Flur und die sonnige Berghalde von Obermais waren von Alters her die liebsten Siedelstätten für den Adel, der sich zahlreich aus den oberdeutschen Ländern an die Etsch zog. Aus allem diesem, aus der grünen, rebenreichen Hochebene, aus den stattlichen, stadtmäßigen Dörfern, aus den unzähligen neuern Ansitzen, aus den grauen verfallenen Burgen und den hohen Porphyrfelsen, die auf einer Seite steil emporsteigen, während auf der andern dunkler Wald, aus diesem allem soll sich der Leser, den schönen blauen Himmel dazu gerechnet, das reizvolle Bild zusammenstellen, das [390] dem Pilger, der da zwischen den Dörfern von Eppan hinzieht, beständig vor Augen liegt.

In Kaltern lebte also Fräulein Maria von Mörl, das fromme, kranke Mädchen, das in den Jahren 1833 und 1834 in ihrem Vaterlande und weit darüber hinaus so viel zu sprechen machte. Da ihre Lebensverhältnisse schon mehreremale ausführlich in Druck gegeben worden sind, so wäre es überflüssig, hier weitläufiges davon zu melden. J. Görres hat ferner ihren Zustand in seiner christlichen Mystik vom übernatürlichen, Professor Ennemoser in dem Buche über den Magnetismus vom natürlichen Standpunkte aus besprochen. Görres hat dazu die Mittheilungen von Personen benützt, die dem Fräulein von Jugend auf nahe gestanden. Es sind davon mehrere in der Gegend, die in ihren Angaben wenig abweichen. Auch eine geschriebene Erzählung ihrer Lebens- und Leidensgeschichte von vertrauter Hand haben wir durchgesehen. Fräulein Maria, die im Jahre 1812 geboren ist, war ein frommes, liebenswürdiges Kind, immer mehr leidend als gesund. Schon im fünften Lebensjahre stießen ihr bedenkliche Hämorrhagien zu und bis in ihr zwanzigstes hatte sie mehr als eine lebensgefährliche Krankheit überstanden. In diesem Alter traten jene innerlichen Plagen bei ihr ein, die man die tentatio diabolica nennt. Sie wurde ohne Unterlaß durch scheußliche Gestalten gequält, die sie bei Tag und Nacht durch das Zimmer schreiten sah, arme Seelen schleppend, die sie anschrien und ihr zuriefen: du bist verworfen und verdammt. Von denselben Phantomen, schwarzen, wilden Männern, meinte sie auch körperlich geplagt, geschlagen und gemartert zu werden. Diese Gesichte verschwanden indessen, als man im Jahre 1833 ganz in der Stille den kirchlichen Exorcismus angewendet hatte. Im nämlichen Jahre zeigte sich bei ihr auch die erste Ecstase, ein Zustand psychischer und physischer Abgezogenheit von äußern Einwirkungen. Damals blieb sie sechsunddreißig Stunden lang in solcher Verzückung. Der Ruf dieser wunderhaften Erscheinung verbreitete sich schnell über Nachbarschaft und Ferne, und im Jahre darauf schon war der Zulauf ungeheuer. Von Ende Julius bis zum 15 September sollen über 40,000 Menschen [391] in dem Dorfe gewesen seyn und an manchen Tagen zogen über 3000 Gäste durch das enge Zimmer der Kranken; ja, wie wir schon gesagt, manche Gemeinden kamen in Processionen mit ihren Priestern mit Kreuz und Fahnen. Zu damaliger Zeit trat auch eine geistliche Untersuchung ihres Zustandes und ein strenges Verhör aller nahestehenden Personen ein. Der Fürstbischof Luschin von Trient, ein geistreicher und aufgeklärter Mann, war selbst gekommen, um diesen Augenschein einzunehmen. Er soll nach reiflicher Prüfung seine Meinung dahin abgegeben haben: Ihre Krankheit ist kein Wunder, aber ihre Frömmigkeit ist keine Krankheit.

Im folgenden Jahre erschienen auch jene Blutmale an den Händen, an den Füßen und an der Seite, welche man die Stigmata nennt; seit dieser Zeit aber dauert ihr Zustand, getheilt zwischen Ecstase und Wachen, ohne neue Phänomene fort.

Seit längern Jahren ist der freie Besuch nicht ohne Schmerz der Kälterer aufgehoben und der Zutritt findet nur mit großer Beschränkung statt. Nachdem die Erlaubniß erwirkt war, fand ich mich – im Mai 1844 – mit einem Bozner Freunde und einem Franciscaner-Pater vor den Pforten des Nonnenklosters, welches sich Fräulein Maria seit mehreren Jahren zum Aufenthalte ausersehen. Beim Eingange wurde uns bemerkt, daß der kleine Anbau, den wir betraten, von der Kranken auf eigene Kosten zu ihrer Wohnung aufgeführt worden sey. An der Pforte hatte sich auch eine reisende Französin zu uns gesellt, eine ältliche Dame, die so eben einschicht von Rom und Loreto kam, in einer Kreuzfahrt auf Mirakel begriffen, wie sie denn auch von Kaltern gleich wieder nach Capriana zog, um die dortige noch merkwürdigere Heilige zu besehen. Wir standen also an der Thüre, die in ein halbdunkles Zimmer führte, aus dem uns Pater Capistran, der Beichtvater, einzutreten winkte. Die Französin hatte als Dame den Vortritt, lehnte ihn aber ab, weil sie sich auf ihre Nerven nicht verlassen könne. Ging also unser einer zuerst hinein und fand sich in einem kleinen schlichten Gemach, in das durch zugezogene Jalousien nur dämmerndes [392] Licht fiel. Einfaches Hausgeräthe, etliche Bilder an den Wänden, links am Fenster ein kleiner Altar, diesem gegenüber das Bett, auf diesem und zwar auf dem untern, dem Altare zugewendeten Rande das Fräulein in weißem Gewande, selbst weiß wie Marmor, lange, schwarze Haare über den Nacken, kniend, die Hände gefaltet zum Kinn emporgehoben, die großen Augen regungslos aufwärts gerichtet, sie selbst ohne Regung und scheinbar ohne Leben. Eine stille Feierlichkeit lag über der jungfräulichen Gestalt und hielt uns Mannsbilder in bescheidener Entfernung, bis uns der Pater an das Lager führte. Wir sollten nur strenge Hinsehen, es rühre sich kein Augenlid, was wir auch richtig so befanden. Nach allen den Leiden, dem Brustweh und Halsübel, die sie in letzterer Zeit wieder dem Tode nahe gebracht, war die Verzückte eine überraschende Erscheinung, denn sie war zwar bleich, aber im Gesichte voll, was Ennemoser freilich aufgedunsen nennt. Von ihrer Stellung wird behauptet, sie berühre die Unterlage nur mit den Zehen, zwischen jener aber und den Knien könne man ein Kartenblatt leichtlich durchschieben. Nach einer Weile rief sie Pater Capistran leise beim Namen, um die Ecstase zu enden, und augenblicklich sank sie rückwärts und lag auf dem Kopfkissen, milde lächelnd, mit einem kindlichen Ausdrucke in den muntern Zügen. „Sie mag es nicht gerne leiden, sagt Görres, wenn der Ernst des Eindruckes, den die Scenen, von denen die Anwesenden Zeugen gewesen, hervorgebracht, in ihrem Ausdruck noch allzu sichtbar ist, oder wenn man ihr mit einer Art von Feierlichkeit und Verehrung naht und sucht dann durch ein ungesuchtes, fröhliches Benehmen diesen Eindruck zu verwischen.“ Seit dem Jahre, wo die erste Ecstase eingetreten, spricht das Fräulein mit Niemand mehr als mit ihrem Beichtiger und auch mit diesem nur, wenn dritte Personen nicht zugegen sind. Doch nimmt die Kranke wohl Antheil an dem was man ihr sagt. Die Fremden werden ihr vorgestellt und sie lächelt ihnen dann bewillkommnend entgegen. Wir Herren, wie es von unsrer Wohlgezogenheit nicht anders zu erwarten, hielten uns unaufdringlich, rückten nur so nahe heran, als uns die beiden Patres führten, und betrachteten mit [393] schweigender Theilnahme das kranke Mädchen – recht unbequem dagegen machte sich die wallfahrende Dame aus Frankreich. Nachdem sie einmal ihrer Nerven sicher war, trat sie keck voran, begehrte mit Ungestüm die Wundmale zu schauen und suchte die Hände des Fräuleins auseinander zu zwängen, weil sie auf der innern Fläche deutlicher sind als auf der äußern. Nach diesem zog sie kleine Bildchen heraus, wie man sie in Rom und Loreto kauft, und schenkte etliche der Kranken, worauf diese den Pater Capistran durch ein Zeichen bat, er möge ihr auch ihre Bilderschachtel geben. Darauf tauschten sie beide ihre Kupferstiche und Maria mußte alle diejenigen küssen, die die Französin behielt; auch an die Wundmalen wollte diese sie drücken, weiß aber nicht, ob es gelang. Endlich machte sie mit den beiden Fingern der rechten Hand gegen die Mönche, die kein Französisch verstanden, die Bewegung einer Scheere, um anzudeuten, daß sie etliche Haare von dem schönen Reichthum des Fräuleins abschneiden wollte. Mein Gott, sagte dagegen Pater Capistran, wenn wir dieß erlaubten, hätte sie schon lange kein Härchen mehr im Schopfe. Während wir nun allesammt etwas ärgerlich über diese Begehrlichkeiten am Bette standen, war das Fräulein wieder ecstatisch geworden und lag theilnahmslos mit starren Augen vor uns. Als die reisende Dame den Zustand bemerkte, bat sie um Erlaubniß die Verzückte küssen zu dürfen, und als ihr dieß ungern gestattet worden, drückte sie etliche schnalzende Küsse auf die bleichen Lippen, war auch nur durch entschiedenes Zurückziehen von der Fortsetzung dieser frommen Uebung abzubringen. Ich meinte, das müßte dem Fräulein lästig fallen, allein man entgegnete, sie fühle jetzt nichts und die Frau werde sie sogleich nicht wieder zu sich selber bringen. Es gelang ihr aber dennoch; auf einmal drehte sich Marie herüber, und lächelte ihr wieder anmuthig zu. Endlich als man sich zu gehen anschickte, begehrte jene noch zu bleiben und zwar allein bei ihr, so daß man zuletzt fast sanfte Gewalt anwenden mußte, um sie weiter zu treiben. Uns andern kam diese andächtige Neugier etwas roh vor, die Franciscaner aber versicherten, derlei Leute seyen schon oft dagewesen.

[394]

Wenn man sich nun erkundigt, wie das innere Leben Mariens während ihrer Verzückungen beschaffen sey, erfährt man „daß sie sich, nach Görres’ Worten, mit einer fortlaufenden innern Anschauung des Lebens und Leidens Christi, mit Anbetung des heiligen Altarsacraments und mit einem wohlgeregelten, betrachtenden Gebete nach der Ordnung des Kirchenjahres beschäftige.“ Am Donnerstage und Freitage folgt sie der Leidensgeschichte und am letztern Tage um drei Uhr tritt der ecstatische Todeskampf ein, der in der christlichen Mystik beschrieben ist. Ein fröhliches Begängniß wird der heiligen Zeit um Weihnachten zu Theil, wo Marie laut jubelt über die Geburt des Herrn und das Kindlein mit den Armen freudig wiegt; auch geht es lustig zu, wenn die Hochzeit zu Cana gefeiert wird. Dann jubilirt sie mit den Hochzeitgästen und gibt durch freudenvolle Gebärden ihre mystische Theilnahme an dem biblischen Vorgange zu erkennen.

Auffallend war, daß der Zustand des Fräuleins bald nach seiner Epiphanie endemisch zu werden drohte. Ueberall in der Runde standen Mädchen auf, die von der tentatio diabolica zu leiden haben wollten und daraus als Heilige hervorzugehen gedachten. Von den Frommen zu Bozen wurde die hysterische Legion besonders gehätschelt, als eine Gnade des Himmels, der das gottselige Etschland vor allen andern Ländern auszeichnen wolle. Man muß der Geistlichkeit die Anerkennung zollen, daß ihr diese Ehre zu groß schien. Sie trat zweifelnd dazwischen und verwies die Aspirantinnen an die Aerzte. Manche gaben dann die Sache wieder auf; andre siechen noch jetzt ohne Nimbus fort. Die bedeutendste dieser unächten Nebensonnen war die Heilige von Tscherms, einem Dörfchen bei Löwenberg. Sie war die Pflegetochter eines wohlhabenden Bauern und fühlte die Gnade zuerst im Jahre 1836. In ihrem Beichtvater, dem Curaten, fand sie endlich den Gönner, der ihren Zustand zur Kenntniß der Christenheit brachte. Im Jahre darauf zeigte sich die Gabe der Weissagung; damit wuchs auch die Berühmtheit und der Besuch. Der Geistlichkeit der Nachbarschaft mißfiel jedoch das Verhältniß der heiligen Jungfrau zu ihrem Gewissensrath. [395] Verlässige Zeugen wollten gesehen haben, wie der junge Mystagog die junge Sibylle „gebußt.“ Man entsandte daher das Mädchen zu den Klosterfrauen in Zams. Sie konnte es aber dort nicht aushalten, weil sie vom Teufel in ihrer Zelle allzuheftig bedrängt wurde. Im Sommer 1838 ging man damit um, die Prophetin zur Aufsicht in den Pfarrhof von Marling zu bringen, denn der damalige Pfarrer, der jetzige Decan zu Meran, ist ein Gegner der Wunder wie der Weltlust, und man hoffte daher viel von der geistigen Diät, die ihr bevorstand. Als der Pflegvater vorgerufen wurde, um sie zu schaffen, war indeß die Heilige fort und er wußte nicht wohin. Bald darauf wurde auch der Tschermser Curat versetzt. Man sagt, die Jungfrau lebe jetzt in der Verborgenheit in Wälschtirol. Böse Zungen sprechen auch von einem kleinen Kinde, mit dem die Prophetin niedergekommen und lassen sich’s nicht ausreden, obwohl die Unterrichteten nichts davon wissen wollen. Das verdächtige Auftreten der Tschermserin hat den Glauben an die Uebernatürlichkeit solcher Erscheinungen sehr erschüttert. Die Weltkinder zu Bozen glaubten nie daran, schon aus Pique gegen ihre frommen Mitbürger, welche darüber jubelten. Sie halten auch die Heilige von Kaltern für ein Blendwerk der Mönche, lassen diesen aber die Ehre, daß sie es verständig angegangen. Ja, sagte ein kaustischer Bozner, als davon die Rede war, ja die Heilige von Kaltern, das ist eine solide Unternehmung, aber bei der zu Tscherms ist die Dividende großer geworden, als die Aktionäre gewünscht haben.

Anstrengender als nach Kaltern, vielleicht auch nicht so genußreich, doch immerhin nicht zu widerrathen ist ein Gang von Bozen ins Sarnthal. Da muß nun zuerst das Schloß Ravenstein erstiegen werden, auf einem rauh, verrenkten Pfade, dessen Steilheit oft zum Rasten nöthigt. Bei heißer Tageszeit wird der Steiger oft sehnsüchtig in die Höhe blicken zur alten Burg, die das Ziel der Anstrengung scheint, denn dahinter, denkt er, werde sich der Weg sanft und linde ins Thal hinunter senken. Unterdessen nützt er die kurzen Rastzeiten, um den Windungen der Etsch nach unendlich [396] weit hinunterzusehen, bis in die Gegend von Salurn, wo die Bergseiten verschwimmend in einander treten, ohne kennbaren Höhepunkt bis zu dem blauen, riesenhaften Monte Gazza, der in der Gegend von Trient steht. Unten an der Talfer liegt das Schloß Rungelstein, verfallen und dachlos, von hier aus mit seinen offenen Gemächern ein gar trauriges Trümmerwerk. Auch die Mauern von Ravenstein lassen durch die leeren Fenster in den offenen Burghof schauen. Selbst der bescheidene Baumann hat in dem Schlosse keine Stelle mehr gefunden, wo er sein Haupt in ärmlicher Gemächlichkeit zur Ruhe legen konnte, und baute sich sein Häuschen, außerhalb der ungastlichen Pforten. Die Stuben, wo Marx Sittich von Wolkenstein mit der Geschichte seines Landes beschäftigt war, sind längst eingefallen. Damals, in der ersten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts, wo Mathias Burglechner, Maximilian von Mohr, die Grafen von Brandis und andere mit neuerwachtem Eifer ihre historischen Studien pflogen, waren schöne Zeiten für literarische Bestrebungen in Tirol. Die traurigen Schicksale, die lebenslängliche Kümmerlichkeit, welche die Resch und die Roschmann auf ihren Wegen begleiteten, zeigen wie sehr Geschmack an den Wissenschaften und Achtung für ihre Pfleger innerhalb eines Jahrhunderts gesunken waren.

Aber die Höhe des Schlosses, das von unten auf anzusehen so erhaben, so stolz in den blauen Himmel eingezeichnet ist, die Höhe des Schlosses ist noch lange nicht das Ende der Mühsal. Der Weg geht noch immer auf Halden, die von der Ebene aus nicht zu erschauen sind, steil und rauh hinan, so daß man zuletzt Ravenstein tief zu seinen Füßen sieht. Die Schönheit der Aussicht ist dabei immer in steigendem Wachsthum und ferne Bergreihen im Fleimserthale und auf dem Nonsberg treten mächtig auf. Und endlich, nachdem aller Schmuck der Ebene, Weingärten, Kasianienbäume und alles was mit und unter ihnen blüht und wächst, längst abgestreift, wandelt man hoch oben in nordischer Vegetation unter Eichen und Fichten, an Kornfeldern vorbei, kühl angeweht von der Sarnerluft, die im Bozner Sommer den Stadtleuten ihrer Frische wegen so willkommen ist. Unten [397] in schauerlicher Oede über dem Bache hängt die verlassene Veste Langeck. Auf den Halden ferne Höfe, Kornfelder, Wiesen, auch ein paar Dörfer, Oberrinn und Wangen. Am Sarner Wege selbst liegt in dieser Gegend der Gruber, oder Gruebar, wie die Sarner sprechen, ein einsames Wirthshäuschen, zunächst auf die Träger eingerichtet, die da regelmäßig Nachtruhe halten. Da über diese steile Höhe kein Fuhrwerk zu bringen ist, so muß alles, was das große Dorf Sarnthein tagtäglich an städtischen Erzeugnissen bedarf, auf dem Rücken hereingebracht werden. Mir waren etwa ein halbes Duzend Träger begegnet, von allen Lebensaltern, vom weißhaarigen Siebenziger bis herunter zum achtzehnjährigen Jüngling, darunter auch ein starkes, wohlgeschlachtes Mädchen von neunzehn Jahren. Alle waren schwer beladen, alle mit zwei Stöcken versehen, und alle in Schweiß gebadet. Sie steigen einen Stock nach dem andern einsetzend, langsam aufwärts und müssen wegen der schweren Belastung wohl alle hundert Schritte rasten. Es ist im heißen Sommer ein jämmerliches qualvolles Tagwerk; nicht einmal der tröstliche Aufblick in den blauen Himmel ist ihnen gegönnt, denn die Krakse geht weit über den Kopf herein und der Träger zieht gesenkten Hauptes seufzend seinen rauhen Weg.

Die Gruberin hatte für mich nur etliche Eier und erträglichen Wein. Allmählich sammelten sich die Träger um den Wirthstisch und begannen ihr Abendessen zu halten, welches Jahr aus Jahr ein in Plentenknödeln besteht. Die Sarnerleute hatten diesesmal nicht viel Lust zu plaudern. Die Betten wurden zu guter Stunde aufgesucht. Meines war sehr hart, aber reinlich.

Der Eingang in das Sarnthal bis etwa auf eine Stunde von dem Hauptorte ist ein großartiger Tobel. Der Weg führt bis dahin wohl ein paar Tausend Fuß über dem Rinnsal des Baches an rothen Porphyrwänden entlang, und nur selten fällt ein Blick hinunter in die schäumende Fluth. Auf der andern Seite sieht man die Felsenwände mächtig aufgeschoben, in schmalen Thälchen eingerissen, bald steil abfallend, bald lang hingestreckt und wohlbebaut. Auf der Seite [398] des Pfades liegt das Dorf Afing, etliche weiße Häuser und ein weißes spitzthurmiges Kirchlein. Eine Stunde hinter Afing droht am Wege das Marterloch, ein rother Felsenriß, der ohne Widerspruch sehr schauerlich ist, da das verklüftete, zerspaltene und zerschnittene Porphyrgestein in grausen Ueberhängen zu Häupten des Wanderers steht. An derselben Stelle geht über den Weg ein hölzernes, auf dicken Balken stehendes Dach, über welches ein Bach herunter kömmt, der aber nur zur Regenzeit fließt. Es mag ein grausiges Gefühl seyn, unter dem Dach durchzugehen, während der von Wettergüssen geschwellte Wildbach, polternde Steine wälzend, darüber rast. Die Sarner nennen die Stelle scherzweise die größte Denkwürdigkeit des Thales, da der Mensch hier unter dem Wasser leben könne. Allmählich führt der Weg an den Wänden niederwärts und langt zuletzt in der Thalfläche an. Damit hat denn auch die großartige Wildheit der Landschaft ihr Ende erreicht und man findet sich in einer freundlichen wohlbewohnten Gegend. Die Nähe des Hauptortes Sarnthein verkündet das prangende Schloß Reineck, während die Häuser des Dorfes, das zu seinen Füßen liegt, noch verborgen sind. Zur rechten Seite steigt die Sarnerscharte auf, ein Gebirge, das gegen 8000 Fuß Höhe mißt, hier gegen das Thal zu in grausen Wänden abfällt, rückwärts aber, wo es sich gegen die Rittener Höhen hinzieht, auf breitem langsam sinkendem Rücken weite Wiesen und Almen trägt.

Sarnthein, der Hauptort der Sarner, ist ein großes Dorf mit ansehnlichen Häusern und einer schönen Kirche, die wie jene in der Gegend von Bozen eine massiv steinerne Thurmspitze hat. In diesem Orte war einmal Aeneas Sylvius Piccolomini, später Papst Pius II, wohlbestellter Landpfarrer. Ehedem muß es hier sehr ritterlich zugegangen seyn, denn noch stehen die drei Schlösser Reineck, Kränzenstein und Kellerburg in anstandvoller Haltung als Zeugen vergangener Herrlichkeit. Kränzenstein ist jetzt zur Frohnveste herabgewürdigt, Kellerburg, ein großes Haus mit nicht sehr verlässiger Ringmauer, bewohnt der gräflich Sarntheinische Verwalter, Reineck endlich, das ritterlichste von allen, sitzt über dem [399] Dorfe auf einem waldigen Bühel und kehrt ihm eine stolze Stirnseite zu. Die schöne tiefgelbe Farbe, die sein Gestirn durch das Alter angenommen, die maßlose Dicke seiner Mauern und die romanischen Doppelfenster mit den zierlichen Mittelsäulchen geben ihm ein tiefeindrückliches Ansehen – ja die Doppelfenster, welche, obgleich in Südtirol häufig und sogar jetzt noch in Bauübung, hier mit besondrer Schönheit auftreten, erinnern an die alten Palazzi, die am Canal grande zu Venedig stehen. Das Gebäude sieht so ganz lombardisch aus, was hier in dem abgelegenen stockdeutschen Seitenthal noch mehr auffällt, und mag wohl sehr alt seyn, doch fehlen die Nachrichten über die Zeit der Erbauung, welche wahrscheinlich ein wälscher Meister geleitet. Es ist das eigentliche Sarntheiner Schloß, der Sitz der alten Ritter von Sarnthein, die übrigens nicht die Ahnen der jetzigen zu Bozen seßhaften Grafen dieses Namens sind; die alten Sarentheiner, die zuerst im zwölften Jahrhundert vorkommen, sind 1646 zu Wien ausgestorben. Der berühmteste Sprosse des Gechlechts war Cyprian von Sarenthein, Hofkanzler von Tirol, Kaiser Maxens geheimer Rath, ein nüchterner, unermüdlicher, unbestechlicher, verschlossener Mann, mit den wichtigsten Geschäften betraut und den schwierigsten gewachsen, in den Händeln damaliger Zeit vielfach thätig († 1524). Ein hoher starker Thurm steht in dem Schlosse und wird für eine römische Warte gehalten. Er hat die Aussicht nach Wangen, dem hochgelegenen Dorfe gegenüber von Afing, wo vor langer Zeit die Burg der mächtigen Herren von Wangen stand und man meint, diese Castelle seyen auf gleiche Weise in absichtlich gewählter Schauverbindung gewesen, wie man solche z. B. zwischen Rungelstein und Hohen Eppan oder Jaufenburg und Löwenberg annimmt. Auch in ein Burgverließ und an das darüber befindliche Fallbrett wird man geführt und nicht minder in die Burgcapelle, wo ein schönes altes Schnitzwerk, St. Georg und der Lindwurm und ein noch älteres, aber nicht schönes Crucifix etliche Aufmerksamkeit verdienen.

Obgleich, der Mächtigkeit der Mauern nach zu urtheilen, das Schloß von Anfang an zu einem uneinnehmbaren Trutzhort [400] bestimmt gewesen, so hat man sich doch nie die Mühe genommen, es völlig auszubauen. Es ist viel leerer Raum da, leer vom Grund bis zum Dache ohne Zwischenböden und Gebälk, daher wohl nie bewohnt, wogegen der brauchbaren Gemächer nur sehr wenige sind. In ihnen hat sich jetzt der Baumann zu recht gesetzt.

St. Vigil, des Trientner Kirchenheiligen abgewürdigter Festtag, wurde mit einer Procession gefeiert, welche Gelegenheit bot, den Leibesschlag der Sarner zu mustern. Der Stamm gehört nach allgemeiner Anerkennung zu den rein deutschen oder mindestens zu den am wenigsten gemischten in Südtirol. Die Sarner sollen ja eine Sage haben, daß sie einst aus Schwabenland kommend über Passeyer und die Möltenerhöhe in ihr Thal gewandert. Daß sie es nicht unbewohnt getroffen, zeigt der rhätische Name Sarnthein, der in den Urkunden Sarentinum lautet. Wie übrigens so viele Sagen jetzt nur mehr in den Büchern leben, so wohl auch jene von der Wanderung der Sarner; wenigstens wollte sich unter einem Duzend bejahrter Männer, die ich darnach gefragt, auch nicht einer erinnern, je etwas derartiges gehört zu haben. Die Deutschheit des Volkes erweist indessen deutlich sein Aeußeres, das dem der Passeyrer zu vergleichen ist. Die Männer sind stark und kräftig gewachsen, ziemlich hoch, in den Gesichtern durchaus von deutschem Ausdrucke. Die hellen Haare tragen sie kurzgeschoren, ziehen aber am Rande herum kleine krause Löckchen, die einen niedlichen Kranz um das Haupt bilden. Die Weiber und Mädchen von Sarnthein, wenigstens jene, die bei der Procession erschienen, sahen gesund aus, aber meines Bedünkens war keine darunter, die der Schönheit wegen eine Ehrenerwähnung verdiente. Die Tracht sowohl der Männer als der Weiber gleicht in der Hauptsache jener am Lande, zunächst der bei Meran, doch fehlt bei jenen der rothe Aufschlag an der Jacke, bei den Weibern mangeln die rothen Strümpfe, statt deren man die innthalischen Beinhöslen findet. Ehemals trugen die Sarner weite rothe Röcke; wir haben aber dieses Zeug nur mehr an ein paar Knaben bemerkt, denen, wie es schien, die letzten [401] abgetragenen Reste dieser Tracht für ihr Werktagsgewand zugeschnitten worden. Auch die Sprache scheint, abgesehen von größerer Rauhheit, von der Bozner Mundart nicht verschieden. Ein kleines Mädchen das ich gefragt, ob sie in der Schule etwas gelernt habe, antwortete mit schwäbelnder Naivität: Ja, a Fetzele (ein Bischen). Denkungsart, Sitten und Lebensweise betreffend ist zu bemerken, daß Sarnthal in eifriger Kirchlichkeit mit der Stadt Bozen wetteifert, weßwegen die Thälerer auch je nach verschiedener Ansicht von den einen die frömmsten, von den andern die bigottesten in Deutschtirol genannt werden. Auch wirft man ihnen eine über ihren Stand hinausgehende Rohheit und schwer versöhnliche Rachsucht vor; wir bekennen aber gerne, daß wir auf derartigen obenhin und allgemein ausgesprochenen Tadel nicht viel Gewicht legen. Der Lebensunterhalt wird zumeist aus Viehzucht und Ackerbau geschöpft. Getraide wird mit großem Fleiße gebaut und um Sarnthein herum wogten dazumal alle Hügel von schweren Aehren. Doch reicht das Ergebniß nicht aus und es muß alle Jahre noch eine beträchtliche Menge Korn von Bozen hereingeschleppt werden. Einen guten Namen haben die Artischocken, die um Sarnthein ganze Felder bedecken und in den Küchen zu Bozen sehr gesucht sind, wohl eben so sehr, als die Sarntheiner Forellen, welche man mitunter für die besten des Landes hält.

Nachdem ich beim Schweizerwirth zu Sarnthein mit den freundlichen Herren vom Landgericht zu Mittag gegessen, alles in hohem Maße genießbar, denn die Wirthin ist in der Kochkunst ungemein bewandert, läugnet auch selbst nicht, etwas Tüchtiges leisten zu können „wenn sie’s nur hatt“ d. h. wenn nur immer das Zeug zu bekommen wäre – nach dem Mittagessen wurde der Gesundheit halber ein Spaziergang nach Nordheim unternommen, einem Dörfchen, das eine kleine halbe Stunde weiter oben an der Talfer liegt. Auch hier war einst ein ritterliches Geschlecht wohnhaft, obgleich keine Spuren mehr von seinem Schlosse vorhanden sind. Wie uns Freiherr von Hormayr belehrt, so war indeß die Burg zu Nordheim ein Sitz der Sarentheiner, von der sie sich im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert nannten, wie Heinrich von Nordheim [402] der Sarentheiner und Johannes von Nordheim, Erzherzog Sigemunds gehaimber Secretarj und sein Wortführer auf dem Landtage von 1474 zu Bozen, der, wie ein schöner Grabstein an der Kirche zu Sarnthein besagt, 1475 gestorben und dort begraben ist. In den Fenstern des gothischen Kirchleins zu Nordheim sind etliche verblichene Glasgemälde. Ueber der Kirchenpforte zur rechten Hand hängt – in allem Ernste – ein geistliches Kartenspiel. Es sind nämlich in einem unscheinbaren Säckchen alle sechsunddreißig deutsche Karten beisammen, Schell-Aß, Herz-Aß, Eichel-Aß, Gras-Aß u. s. w. Eine jede enthält außer der Figur auch noch einen frommen Spruch, z. B. Gedenk, o Mensch, an die letzten vier Dinge und du wirst in Ewigkeit nicht sündigen – und unten die Pön: z. B. Bet’ drei Vater Unser und drei Ave Maria, jedoch wechselnd, so daß etliche ganze Rosenkränze von Vater Unsern verhängen. Aus diesem Säckchen ziehen nun die Landleute, wenn sie eines Tages nicht mit sich einig sind, wie viel sie beten sollen eine Karte, und verrichten dann die Aufgabe. Wer da, um mit den Studenten zu reden, Pech hat, der kann sich arg hineinsetzen, ein glücklicher Spieler kommt aber auch hier leicht weg, wie in jedem Hazardspiel. In etlichen Kirchen zu Bozen sollen auch noch solche Spiele zur Hand seyn – die Leute fangen aber allmählich an, sich dieser Recreation zu schämen.

Der Weg von Sarnthein nach Meran führt über das Kreuzjoch in fünf bis sieben Stunden, also ungefähr in derselben Zeit als man aufwendet, um von Sarnthein nach Bozen zu kommen. Ich verließ um vier Uhr Früh den Schweizer, um mit einem der Sarntheiner Herren, der sich zuvorkommend als Führer angeboten, aufwärts zu steigen. Die Witterung schien günstig, doch lag eine dichte Wolkenschichte auf der Sarnerscharte. Wir wanderten ziemlich steil in die Höhe durch Wiesen und Felder, getröstet durch den Rückblick ins milde Thal und kamen dabei auch in Ansicht eines im Winter abgebrannten Hofes, den die Sarnthaler dem Besitzer durch unentgeltliche Lieferung des Bauholzes, des Weines für die Arbeiter u. dgl. in gutchristlicher Weise wieder haben [403] aufbauen helfen. Etwa nach anderthalb Stunden gemeinschaftlichen Steigens nahm der Begleiter Abschied. Ich setzte meinen Weg, der vor der Hand nicht zu verfehlen war, allein fort, ging in ein kleines, von zwei niedern Büheln gebildetes Thälchen ein und kam auf eine Galthütte zu, die zur Zeit verschlossen war. Den braunen Hirten sah man fern an des Hügels Rand seinen Ochsen nachgehen. Die Gegend war baumlos und traurig, die Aussicht genommen, die Wolken lagen tief und drohten zu regnen.

Nach kurzer Rast brach ich wieder auf und kam ans Joch, an die Schneide des Ueberganges, wo eine Rinderheerde weidete. Hier bot sich eine herrliche Umschau; nur schade, daß viele Nebel auf den Höhen lagen. Ein ungeheurer Bergkranz schlang sich um mich her. Ganz nahe zur Rechten standen düstergrau und unheimlich die Zacken des Ifingers, der sich über Meran erhebt. Vor allem anziehend war das große Dolomitenreich im Osten, seiner ganzen Länge nach übersehbar, in feuchter verklärender Beleuchtung einer durch Gewitterwolken brechenden Morgensonne. Der Schlern, das breite Meerthier, wird von seinen Hinternachbarn rückwärts mächtig überragt. Die Dolomiten stehen in langen Reihen drei und vier Mann hoch über einander und strecken ihre Haifischzähne in die Wette empor, um sich gegenseitig zu ergänzen. Nichts Prächtigeres als diese über einander liegenden, aus einander sich erhebenden und in einander sich verlierenden Ungethüme, die ersten blaugrün, dann blau, dann bleich und geisterhaft und fast verschwimmend in der Luft. Die Mendel, die rothe, im tiefen Etschland überall eine bedeutende Erscheinung, ist hier ein bescheidenes Bergbuckelchen, das sich neben den mächtigen Eisbergen, die die südlichen Hintermänner sind, nur für seine Freunde und Bekannten geltend machen kann. Diese italischen Ferner, die hinter dem Sulzberg (Val di Sole) in ewig weißem Mantel aufsteigen, wenig besucht und umgangen, kaum irgendwo genannt, vielleicht nie bestiegen, unbekannte Größen selbst für die menschlichen Nachbarn, erschienen mir jeweils, so oft sie an verschiedenen Orten vor meine Augen traten, in einem mystischen Schimmer. Es ist eine Spitze darunter, die von hier besehen, obgleich weiter [404] entlegen als der Ortles, gleichwohl höher erscheint, als dieser, und ich habe eine leise, vielleicht grundfalsche Ahnung, es könnte ihm einmal da drinnen bei genauer Messung selbst ein kleiner Nebenbuhler erstehen. Das bewohnte Land von Südtirol ist auf dem Kreuzjoche nur dürftig vertreten. Kollern, die kühle Sommerfrische mit ihren weißen Häuschen, die den Boznern so hoch über dem Scheitel leuchten, zeigt sich hier in beträchtlicher Tiefe. Darüber hinaus ist Deutschenofen und die weitgesehene Wallfahrtskirche von Weißenstein, und gegen Fleims hin sind etliche andre weiße Pünktchen wahrzunehmen; tief unten aber zur Linken ein grünes Stückchen Etschland mit dem schlängelnden Strom, ein weißer Streifen – Neumarkt – ein kleiner Abschnitt von Kaltern. Zur Rechten zeigt sich unten an der Töll neben der weißschäumenden Etsch in lieblicher Schönheit das frische Partschins – Meran aber ist noch verdeckt.

So schön die Aussicht hier oben, so wird sie doch, wie man in Meran versicherte, von jener auf dem Hirzer an Umfang und Großartigkeit noch weit übertroffen. Der Hirzer liegt nicht ferne vom Kreuzjoche, leider aber wußte ich damals noch nichts von seinen Vorzügen. Hier herum zeigten sich etliche von Wind und Wetter abgeschälte Fichtenbäume, mit zerknickten und gebrochenen Armen, durch Stürme und Alter gebückt – eine traurige Schau, wie sie fast auf allen Jöchern vorkömmt, um uns zu zeigen, daß der Holzwuchs von oben herunter absterbe und daß jetzt keine Bäume mehr aufkommen, wo ehedem noch stolze Fichten die Luft zu leben fanden.

Vom Joche weg erreichte ich bald wieder eine Almhütte, wo etliche betagte Weiber walteten in schlechter Vergnügtheit über das Sommerwetter, das ihnen in den letzten vier Wochen die Alm dreimal mit Schnee belegt hatte. Gleichwohl zeigten sich die Wiesen herum im schönsten Alpenschmucke. Gelb ist die Hauptfarbe solcher blühender Bergmähder und das machen die Ranunkeln, die die Laien Todtenblumen heißen; dazwischen aber mischt sich das Weiß der Dolden, das tiefe Himmelblau der Enzianen, das lebhafte Rosa des Speiks und so entsteht jener zauberhafte Blumenteppich, der den [405] Alpenbesucher so höchlich ergötzt. Von der Hütte an ging’s immer sachte abwärts durch lichten Wald, bis ich den Weg verloren hatte. Glücklicherweise hörte ich hier etliche ferne Schläge im Gehölz. Diesen ging ich nach und kam zu einem Haufen Holzarbeiter, die einen Fichtenstamm nach dem andern zur Erde brachten. Sie wiesen mich zurecht, aber es vergab nicht viel, denn es gelang mir immer nicht, einen getretenen Pfad herauszufinden. Nach längerem Umherirren zwischen Sumpf und Alpenrosenhecken, die eine jähe Felsenwand verdecken mußten, da aus fast senkrechter Tiefe eine grüne Wiese heraufschimmerte, nach manchem vergeblichen Versuche, einen nahen Ausweg zu erspähen, gewahrte ich endlich den Runst eines lärmenden Baches, in den ich mich hinunterließ. Ich verfolgte ihn von einem trockenen Stein auf den andern springend, bis ich unter seiner Leitung ans erste Haus von Hafling kam und damit aller Fährlichkeit und allem Bangen vor Verirrung entrissen war.

Stellung und Lage dieses Dörfchens sind ungemein lieblich, und so zu sagen elegant, gebirgisch elegant. Unten in der Schlucht, die hin und wieder Düsterheit gewährt, ein rauschender Bach, begrüßt von dicken Büschen, daneben ein Häuschen, eine Mühle, vor der Thüre eine Schützenscheibe, ein steinbelegtes Dach, ein silberner Wasserguß. Ueber diesen Bildchen ein ansehnlicher Stoß Felsen, nicht ohne Bäume, nicht ohne Wasserfall. Ueber den Felsen hin und wieder ein breites Kornfeld, anmuthig umgrünt, Häuser, Obstgärten, zwischen Lärchenbäumen ein Kirchenthurm, Strohdächer, die aus schmalen Thälchen hervorragen, da und dort eine Capelle, ein Bildstöckel. Weiter oben das Geschröff, auf dem ein dunkler Schopf von würdevollen Tannen, auf den Höhen Wälder, dick und licht; überall Wege und Stege, Geländer, Brückchen, Zäune, arbeitende Landleute, wandernde Pilger – kurz alles zusammen so niedlich, reich und bunt, daß ein Süddeutscher es nicht anders nennen kann, als eine Gegend wie in der „Krippe.“

Am andern Ende des Dörfchens steht die alte Kirche St. Katharina, zubenannt „in der Scharte,“ schon 1251 von [406] Bischof Egno von Brixen eingeweiht, dicht am Abgrunde, der sich in die Thalgegend von Meran hinabsenkt. Sie erscheint, von unten auf gesehen, frei und schlank, wie in einer Waldlücke stehend, den blauen Himmel hinter sich – davon ihr Name. Mir schien sie immer wie das Wahrzeichen der Meraner Gegend, in ihrer ausgezeichneten Lage auf der ragenden Höhe mit dem röthlichen Thurm, den die Abendsonne am letzten küßt, Sehnsüchtiges Schauen für den lungenschwachen Curgast, der des Abends zu Meran auf der Wassermauer sitzt, wie die Schatten an den rothen Felsen so leicht und sicher hinansteigen und an dem Thurm hinaufklettern, zu dessen Füßen die frischen Bauernjungen von Hafling lustig spielen. There are the young barbarians all at play – aber ihr fröhliches Rufen hallt nicht ins Thal herunter – das Kirchlein steht still in abendlicher Einsamkeit am hohen Horizont.

Hier oben in der Scharte ist eine herrliche Aussicht über das Thal von Meran, von Lana aufwärts bis nach Partschins, das so sommerfrischlich herauf winkt. Die tiefgrünen Matten an der weißen Etsch, die aus dem engen Rachen des Vintschgaues heraus stürzt, die Rebenhügel auf den Halden, die Dörfer, die Häuser und die Burgen, die Stadt mit ihrem hohen Thurm, alles liegt so schön gestickt, so reinlich abgemalt, so frisch und wonnig vor dem Auge, und die hohen kalten Jöcher stehen schützend um das kleine Paradies. Der Einblick in nahe, deutliche Gartengelände trifft den Beschauer oft viel freudiger als das Erspähen kolossaler Erhabenheiten, die in blauer Ferne verschwimmen.

Im übrigen ist das Dorf wenig besucht, vielleicht weil das Wirthshaus schlecht ist, vielleicht ist auch das Wirthshaus so schlecht, weil wenig Gäste kommen. In der Bozner Gegend sind auf gleicher Höhe die früher genannten Sommerfrischen; in Hafling dagegen ist ungemischte Bäuerlichkeit ohne städtische Zuthat. Die Meraner haben für ihren Bedarf Anstalten genug im Thale. Der Menschenschlag ist stark und wohlgebaut, gleich dem im Sarnthal und dem um Meran, zwischen welchen beiden er seine Wohnungen erbaut hat.

[407]

Zu Thale steigt man auf einem Bergpfad, der im Walde steil herab führt. Ich ging auf Fragsburg zu das von Meran aus so schön sich darstellt. Ungeheure Kastanienbäume erheben sich ringsherum auf dem Bühel. Das Gebäude ist leer, seitdem es der vorige Besitzer an einen Bauern, verkauft, der die Burg nur betritt, wenn er sie einem Fremden zeigen soll, sonst aber außerhalb wohnt in seinem Bauernhause. Der frühere Besitzer war der mit einer Norddeutschen vermählte Sänger Cornet, bei welchem einst Lewald seine Sommerfrische hielt. Das Schloß hat ein malerisches Aussehen; übrigens ist des Merkwürdigen nicht viel. Etliche Familienporträte der Grafen und Gräfinnen von Manning sind noch vorhanden, an welchen Lewald jene gelungenen Wahrnehmungen über Veredlung der Race gewann, welche man ihm zu Meran noch immer übel nimmt. Auch das Zimmer wurde gezeigt, wo er, von unheimlichen Winden bedrängt, eine schlaflose Nacht zubrachte. Die Gnädige, sagte die Bäuerin, die Gnädige ist nie gerne hier gewesen; wenn Mais Braunschweig und Meran Hamburg wäre, hat sie oft gesagt, dann möchte sie’s wohl aushalten in dem alten Nest, aber so nicht. Darum hat sie auch schon lange wieder das stille Land um Meran mit dem lauten Hamburg vertauscht. Ueber das Burgleben zur selben Zeit, als diese gebildete Gesellschaft hier oben weilte, verweisen wir auf die freundliche Schilderung, die Lewald selbst davon gegeben hat.

Hinter der Fragsburg ist eine ziemlich geräumige Ebene, die hier an diesem Platze gar nicht vermuthet wird, zum Theil Wiese, zum Theile Kornfeld. Drüber hingehend erreicht man bald den Tobel, in welchen der Fragsburger Wasserfall herabstürzt – eine schöne wilde Landschaft mit wogenden Büschen und ragenden Felsen. Am Rande des Tobels fort führt der steile Steig jetzt schon wieder mit allen Reizen südlicher Vegetation verkleidet in das Thal hinab – zuerst noch an einem lieblichen Teich vorbei, der einer Muschel gleich, voll krystallklaren Wassers in kühlem Helldunkel verborgen liegt, regungslos, nur zuweilen von irrenden Sonnenstrahlen gestreift oder von einem verschlagenen Zephyr, ein [408] Platz, wie ein heidnisches Heiligthum oder wie die heimlichen Stellen, wo geschmackvolle Romanschreiber ihre Mädchen baden lassen. Von dem kleinen Teiche abwärts immer steil und schroff nach Katzenstein, einer Veste, verfallen wie die andern, dann in die Ebene und nach Mais, wo ich fast erdrückt von der Hitze, in der ich seit der Fragsburger Höhe gewandert, ins kühle Wirthshaus trat, um die trockene Kehle zu netzen und mir die Schuhe bürsten zu lassen zum anständigen Eintritt in die alte Landeshauptstadt Meran.

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Gröden und Enneberg.



Das Wildfremde dieser Thäler sowohl in ihren abenteuerlichen Berggestalten, als in der Sprache und der Art der Bewohner übt in neuerer Zeit einen mächtigen Reiz auf wißbegierige Reisende. Ehemals blickte der eilige Romfahrer, wenn er am stolzen Schlosse zu Trostburg vorüberzog, wohl gleichgültig in den engen Bergriß, aus dem der Grödnerbach herausstürzt, ohne zu ahnen, was da Anziehendes dahinter liegt; jetzt aber nimmt sich schon mancher die Mühe hineinzuklettern, um dort für Geognosie oder Ethnographie zu sammeln. Es versteht sich daher von selbst, daß wir den Leser auch dahin führen müssen.

Eines Tages im Augustmonat 1842 zog ich mit einem Gefährten vom Salrainer Wirthshause auf den Ritten fort. Wir stiegen und sprangen in genöthigter Eile den steilen Fußsteig hinunter, der von der Hochebene an der Wand herab nach Atzwang führt. Damit waren wir in einer Stunde wieder aus dem nordischen Pflanzenwuchs und dem kühlen Windzug des Rittens in das Land der Rebe und der Feigen und in die warme südliche Luft der Niederungen gekommen. Und in der That war hier im engen Thale an der Straße eine drückende Hitze und wir betrachteten mit mißgünstigen Augen den jähen Berghang, der gleich über dem Eisack emporstieg, und uns nun wieder gerade so hoch hinaufführen sollte als wir so eben heruntergekommen waren, nämlich in die Hochebene [410] von Vels und Seis, die dem Ritten in gleicher Erhabenheit gegenüber liegt.

So erfreuten wir uns also eine Zeitlang der frischen Kühle in der weiten Stube des Wirthshauses zu Atzwang und gingen dann über die Brücke und stiegen mühselig und keuchend und schweißtriefend den steinigen Bergweg hinan, zuerst noch zwischen Weinbergen, dann durch Getraidefelder und an Höfen vorüber, die zerstreut auf den schiefen Fluren lagen. Hie und da suchten wir nach Wasser, um den brennenden Durst zu löschen, aber ehe nicht die volle Höhe erreicht war, fanden sich nur laue, wenig erfrischende Brunnen. Es ist überhaupt ein Uebel in der Gegend von Bozen, daß das Wasser fast überall lau und schlecht ist. In der Stadt benützt man die Fluthen der Talfer zum Trunke; auf dem Ritten und zumal in den Dörfern an der Straße zwischen Bozen und Meran steht’s damit noch schlimmer. – Endlich standen wir auf der Höhe von Vels, den weißgrauen Schlern über uns, rechts und links Höfe und Dörfer, Wiesen und Felder, auch Wald und Dickicht, und wenn wir uns rückwärts wendeten, so sahen wir, nur durch die tiefe Schlucht des Thalweges getrennt, den weißen Villenhaufen von Klobenstein und das schöne Hochland des Rittens.

An den Ausläufern des Schlernkofels zogen wir hin und kamen in den Hauensteinerwald, aus dem die Burg dieses Namens in zerrissenen Mauern aufragt. Sie war ehedem, als die alten Hauensteiner abgegangen, der Sitz Oswalds von Wolkenstein des jetzt oft genannten ritterlichen Dichters, und hier starb er auch im Jahre 1445, des irdischen Lebens müde. Zu Neustift bei den Chorherren ward er begraben. Sein schöner Denkstein steht im Kreuzgange des Domes zu Brixen. Herr Oswald führte ein unruhiges Leben und hatte zumal viele Feindschaft mit Herzog Friederich, dem Freund der Bauern. Er war bei allen Adelsbünden gegen den Landesherrn und wäre ihm nicht unlieb gewesen, wenn Tirol wieder ans Reich gekommen wäre. Wenn’s ihm daheim zu heiß wurde, ging er auf Reisen und Kriegszüge „gen preußen, littwan, tartarey, türkey, über mer gen frankreich, lampart, yspanien,“ [411] wobei er „frantzöisch, morisch, katlonisch und kastilian, teutzsch, latein, windisch, lampertisch, reuschisch und roman, die zehn sprach“ hat gebraucht. Auch eine Kreuzfahrt ins gelobte Land und einen Zug gegen die Hussiten überstand er glücklich. Einen Lebensabriß des siegreichen Kriegsmannes gab Freiherr v. Hormayr im historischen Taschenbuche von 1824. Von seinen Liedern finden sich zwei Sammlungen, die eine aus dem Jahre 1425 zu Wien, die andre von 1432 zu München bei einem seiner Enkel. Letztere ist mit einer, freilich nicht sehr leserlichen Zuschrift von König Sigmund, dessen Rath sich Oswald nannte, an Herzog Friedrich zu Oesterreich versehen. Der Text der Lieder scheint von des Sängers eigener Hand zu seyn. Vorne ist sein gleichzeitiges Bildniß, ein rundes kräftiges Gesicht mit breitem Munde, doppeltem Kinne, einäugig, mit leisen Spuren von Narben um den Mund. Hellbraune Haare in dichtem Wulste umgeben es. Ueber seine Dichterweise und ihren Zusammenhang mit den poetischen Leistungen seiner Zeit fehlt noch eine Arbeit. Auf keinen Fall dürfte es sich herausstellen, daß es passend gewesen, ihn „den großen Geistesverwandten Homers“ zu nennen.

Nicht weit von Hauenstein liegen noch andere gebrochene Burgen, Saleck und Aichach, und ihrer Verwitterung gegenüber recht freundlich anzusehen das Dorf Seis, in weißen steinernen Häusern breit auseinander gelegt. Eine halbe Stunde aufwärts geht nunmehr ein schlängelnder Pfad zwischen Tannenwald unter den Schlernkofel hin, immer näher an seine Vorhörner auf das Bad Ratzes zu, wo wir unsre Nachtherberge nahmen.

Das Ratzeserbad liegt versteckt in einer waldigen Rinne, die der Seiserbach durchströmt. Hinter dem Bade verliert sie sich bald im Hochgebirge. Die nächste Umgebung hat auf ebenem Plane wenig Reiz, in der Höhe ist sie gewaltig und erhaben, denn der Schlern streckt seine himmelhohen Köpfe zum schwindelnden Anblick empor. Ratzes ist übrigens ein sehr besuchter Badeort und ohne Prunk mit allen angemessenen Behaglichkeiten ausgestattet. Zwei anständige Häuschen, mit vielen kleinen Kammern versehen, sind aus Stein erbaut, ein [412] drittes das dahinter steht, ist von Holz. Auch hier ist für ärmere Leute durch mäßigeren Tisch und billigere Herberge besonders gesorgt. Die reichern Gäste führen dasselbe nährende Leben wie zu Ulten, wozu wir den Abendimbiß, dem wir beiwohnten, zum Zeugen nehmen. Vorher wurde in der Badcapelle von einem Geistlichen der Abendsegen gebetet, wobei Reich und Arm erschien. Die frommen Verrichtungen des Tages, an die der Tiroler in der Heimath gewohnt ist, will er auch als Gast im Bade nicht missen. An Priestern hiefür ist selten Mangel, da auch die Geistlichen ihre Sommerfrischen am liebsten in den Bädern zubringen. Auch dießmal waren ihrer etliche sechs an der Tafel und saßen oben auf; dann kamen ein paar Familien aus Bozen, dann die beiden Herren aus Bayern, dann etliche junge Leute uns unbekannter Herkunft – in allem etwa dreißig Personen und eigentlich nur der Rest der Gesellschaft, die im vorigen Monat drei- und viermal zahlreicher gewesen. Durchschnittlich soll in guten Sommern die Gesammtzahl der bessern Leute auf 500 steigen. Der bekannteste darunter ist der Mondscheinwirth von Bozen, der hier schon viele, viele Jahre her seine Sommerfrische hält, und deßwegen auch bei seiner Ankunft mit knallenden Böllern empfangen wird, eine Ehre, um die ihm schon mancher neidig gewesen seyn soll. Nach allem was wir an andern Orten gesagt, ist es wohl überflüssig auch hier wieder von freundlichem Empfang und liebreicher Sorgfalt der Wirthsleute zu sprechen.

Auch der Tirolerbote liegt zu Ratzes auf; sogar ein Ansatz zu einer Badebibliothek ist gemacht und für dichterische Ergießungen, die nicht selten scheinen, steht das Fremdenbuch offen. In diesem fand ich auch eine Aufzeichnung der Meereshöhen verschiedener Orte der Gegend in Wiener Fußen nach Dr. Jos. Oettl. Laut dieser ist die Spitze des Schlernkofels 8720, das Ratzeserbad aber 4161 Fuß über dem mittelländischen Meere. Andere Angaben finden sich im eilften Bändchen der neuen Zeitschrift des Ferdinandeums. Nach diesen wäre der Rücken des Berges 8094, das Bad 3885 über dem Meeresspiegel.

[413]

Was das Wasser selbst betrifft, so sprudeln hier zwei Quellen. Die eine davon führt Eisen, die andere Schwefel. Erstere entspringt westwärts eine halbe Stunde ober dem Bade, die andre auf der östlichen Seite in schauerlicher Wildniß. Beide werden durch hölzerne Röhren ins Badehaus geleitet, dort getrunken und in mannichfachen Leiden zu Bädern benützt.

Am andern Morgen stiegen wir auf die Seiser-Alpe. Die Seiser Alpe ist eine ungeheure Wiesenebene, die mit dem Schlern zusammenhängt und gegen Castelruth, gegen Gröden und gegen das Fassathal sich ausstreckt, zehn Stunden im Umfange hat und in dieser Art einzig dasteht in Tirol. Sie hat einen berühmten Namen; zumal in Bozen und auf dem Ritten hörten wir viel Schönes von dieser Alm erzählen, die bei dem Gang auf den Schlern gewöhnlich mit besucht wird. Ihre Höhe ist wechselnd, doch nirgends unter fünfthalbtausend Fuß.

Von Ratzes aus führt ein gepflasterter Saumweg hinauf, angenehm zu gehen, bald durch offene Wiesen, in denen Bauernhöfe stehen, bald durch finstern Wald. In einer Stunde mag man auf der Höhe seyn.

Ehe wir noch das Blachfeld selbst betraten, zeigte sich ein kleiner Tannenschopf am Wege. Bei diesem hielt ein wälscher Knabe aus Fassa Markt, welcher zu Bozen Aprikosen und Birnen eingekauft und dann die schwere Last auf dem Rücken herauf getragen hatte, um an den Mähdern auf der Seiseralm und zufälligen Wanderern sein Gewinnstchen zu machen. Er schien sich zum Nutzen seines Handels die deutsche Sprache schon vorlängst eigen gemacht zu haben und wußte ganz gut damit umzugehen. Wir ehrten seine Betriebsamkeit dadurch, daß wir uns alle Taschen mit seiner Waare füllten, worüber er große Freude und Dankbarkeit zu erkennen gab.

Und nun traten wir auf die Alm, auf die liebliche Alm, die nach allen Seiten leicht hinan stieg, und im Frühthau glänzte stundenweit – eine schöne wellenförmige Fläche, überall [414] mit Schwaigen und Sennhütten bedeckt, hin und wieder durch einen Ansatz von Fichtenhain unterbrochen, überall von unsichtbaren Bächlein durchrieselt, jetzt als zur Zeit der Heuernte weit und breit voll Mähder und Mähderinnen, die in langen Reihen nach einander hinarbeiteten. Von nah und fern umschlossen wilde Berge die grüne Ebene, der Schlernkofel zunächst, der aber hier ein ganz anderes Ansehen hat, da die beiden Wassergüsse den Leib des Unthieres fast völlig verdecken; über das Grödnerthal hin steigen beschneite Dolomiten auf.

Die Seiseralm gehört zumeist den Bauern von Castelruth und ist für sie eine Quelle reichlichen Einkommens. Im August ziehen sie mit allem Hausgesinde herauf, um das Gras zu schneiden. Das rege Leben zu solcher Zeit so hoch oben über den Thälern ist höchst anziehend und belohnt gewiß für den ohnehin sehr bequemen Aufstieg. Wir machten bei einer der Schwaigen eine längere Rast, um dem Mittagmahl der Mähder beizuwohnen. Es fand sich der Herr, ein ansehnlicher Bauer dazu ein, und der Knechte und Mägde waren es etwa ein halbes Duzend. Darunter auch ein Wälscher, d. h. ein Grödner aus St. Christina, noch jung, um nebenher beim Mähen deutsch zu lernen. Bald ließen sich alle zum Tischgebet auf die Knie nieder. Das Essen wurde in großen Schüsseln aufgetragen und auf dem Rasen liegend eingenommen; sehr anständig und unter heiteren Tischgesprächen. Und zur selben Zeit, als sie vor unsrer Schwaige zu Tische saßen, saßen auch nah und fern mehrere hundert Mähder auf dem Rasen, um Mittag zu halten. Die Nahrung muß bei der anstrengenden Arbeit kräftig seyn und daher auch hier, wie im Etschland, fünf Mahlzeiten des Tages. Wenn die Sonne hinuntergesunken, so nimmt man das Abendmahl ein, und dann gehen alle schlafen, das Gesinde in der Dille, nämlich dem Heustadel, wo es im Heu sehr süß und warm sich ruht, der Herr in der Schwaige, wo ihm ein Bett bereitet. Der Bauer, bei dessen Mahl wir saßen, gab gerne Antwort auf unsre Fragen. Von ihm erfuhren wir mancherlei, zum Beispiel, daß der Lohn der verdingten Arbeiter ein Gulden und dreißig [415] Kreuzer ist für die Woche. Ein Hauptreiz der schönen Ernte-Zeit auf der Seiseralm war ehemals das Sonntagessen. Da mußten nämlich dem Feiertage zu Ehren vertragsmäßig verschiedene leckere Gerichte aufgesetzt und dazu nach Bedarf Wein gegeben werden. Dieß Mahl reichen indessen heutzutage nur noch drei oder vier Bauern in Natur wie vor Altem, mit Fleisch und Krapfen und Zubehör; die übrigen zahlen ihren Leuten lieber zwei Zwanziger in Geld dafür.

Nun bestiegen wir auch die Höhe von Puflatsch, am Rande der Alm, wo sie gegen Castelruth abfällt. Allda ist eine erhabene Aussicht über viele Gebiete des mittäglichen Tirols, freilich nur die Hälfte von jener, die auf der Höhe des Schlerns einzuholen ist. Aber die stolzen Nonsberger Gebirge und der Oertles, die Ferner von Oetzthal und von Stubei geben sich die Hand zu einem prächtigen Reigen um das Etschland, und in seinen Tiefen ist der Gang des Stromes weit hin zu verfolgen bis in die blauen Gegenden von Wälschland.

Von Puflatsch geht’s wieder jäh hinab im Runste eines Baches gegen Gröden. Ehe dieß aber erreicht wird, zeigen sich noch weite Feldungen und in diesen liegen am jähen Abhange zerstreut die Häuser von Pufels. Dieß ist auf dieser Seite das erste Dörfchen, wo die kauderwälsche Sprache erklingt, die auf der ganzen Erde Niemand spricht, als die dreitausend schnitzelnden Grödner. Wir hatten uns schon lange im Stillen gefreut, diese Sprache einmal in ihrer Heimath zu belauschen, in ihren eigenen Stuben und an ihrem eigenen Herde, und daher beschlossen wir auch in Pufels eine ausgiebige Rast zu machen und schleunigst noch einige linguistische Studien zu unternehmen, um nicht ganz unvorbereitet in die Hände der fremdzungigen Grödner zu fallen.

Die Häuser sind hier zumeist von Stein, aber mit hölzernen Scheunen vergesellt. Sie waren zu jetziger Jahreszeit auf allen Seiten mit Garben verkleidet, die in eigenen Gestellen an den Wänden hinauf zum Trocknen aufgesetzt waren, und so in der warmen Abendsonne eine goldene [416] Tapetenverkleidung bildeten. Im Dörfchen regierte tiefe Stille und wollte uns fast bedünken, als wenn alles fort wäre, um so mehr als wir auch im Wirthshause die Thüre verschlossen fanden. Doch gelang es uns durch die Scheune einzudringen und auf diesem Wege endlich auch die Wirthin zu erschreien, die im Speicher mit ihren Vorräthen beschäftigt war. Sie sprach deutsch, wie es die Grödnerinnen sprechen, d. h. immer mit einem wälschen Rückhalte und mit großem Anstoß am R. Es wurde ihr eröffnet, daß wir geschwind noch grödnerisch zu lernen gedächten ehe wir ins Thal hinunterstiegen und über diese Absicht, so wie über die Eilfertigkeit, mit welcher wir sie betrieben, fing sie herzlich zu lachen an. Wir blieben gleichwohl fest bei unserm Vorsatze und hielten fürs Beste uns zuerst mit ihrer Bibliothek bekannt zu machen. Wir fragten also, ob sie keine grödnerischen Bücher habe, was sie freundlich bejahte. Sie ging darauf an einen hübschen Schrank und holte ein schönes Buch heraus in schwarzen Saffian mit goldenem Schnitt gebunden. Dieß schlugen wir hastig auf, fanden aber nichts anders, als ein italienisches Gebetbuch, gedruckt zu Trient oder Bassano. Ja, habt ihr denn nicht etwa ein grödnerisches Buch, ein Buch in der Sprache von Gröden? Nein, sagte sie, anders kann man unsre Sprache nicht drucken, als so wie da – mit welchen Worten sie eigentlich ganz in ihrem Rechte war. Nachdem also auf diesem Wege nichts zu erreichen, so versuchten wir’s auf mündlichem und baten sie, uns das Vater Unser zu dictiren. Auch dieß that sie mit großer Bereitwilligkeit, aber wir hörten schon an den ersten Worten, daß hier zu Lande das Gebet des Herrn in italienischer Sprache verrichtet werde und ersparten uns die Mühe es nachzuschreiben. Dagegen fragten wir die Frau, ob sie denn nicht auch grödnerisch zu beten wisse, sie aber antwortete, das grödnerische Vater Unser sey längst abgeschafft und nur einige alte Männer führten’s noch im Munde, die andern beten es alle „klugwälsch.“ *)

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Wir sprachen so einige Zeit hin und her ohne sonderliche Ergebnisse für unsre Wißbegierde, bis ihr plötzlich ein Gedanke kam, der unserm Unternehmen sehr förderlich war. Sie lief nämlich in ein Nachbarhaus und brachte einen Jungen mit, einen gescheidt aussehenden Jungen von etwa vierzehn Jahren, mit Namen Johann N. N., den sie uns mit den Worten vorstellte: der kann euch lehren die Sprach’ von Gardena besser als ich. Und in der That war der Knabe dem Geschäfte sehr gewachsen, da er ein Pufelser von Geburt, bei Verwandten in Bozen des Schulbesuchs wegen sich aufhielt, gegenwärtig nur zur Sommerfrische im Geburtsort verweilend, der deutschen Sprache vollkommen mächtig und in grammatischen Dingen wenigstens so weit erfahren war, daß man ihm nicht zu erklären brauchte, was unter Geschlecht und Beugung, unter Gegenwart und halbvergangener Zeit zu verstehen sey. Johann N. N., unser Lehrer, setzte sich also auf einen Stuhl, dem gegenüber wir ein Seidel Wein für ihn aufstellen ließen und somit begannen die Forschungen in der Sprache von Gardena. *)

Unser ernsthaftes Geschäft wurde sehr heiter und unter vielem Lachen betrieben. Der Junge so gut als die Wirthin war Anfangs der Meinung, es liefe alles nur auf einen Spaß hinaus, da sie bis dahin noch von keinem vernünftigen Menschen gehört, der sich im Ernst mit der Grödnersprache beschäftigt hätte. Und wenn’s ihnen schon lustig vorkam, daß wir uns mit diesem Wälsch einen Spaß machen wollten, so schien es ihnen fast noch komischer, als sie sahen, daß es der bitterste Ernst sey. Auch kam es vor, daß wir zu lachen anfingen, wenn der Junge eben aufgehört hatte, denn da er nur das Deutsche schulgerecht zu behandeln wußte, aber das Grödnerische nie von dieser Seite betrachtet hatte, so dünkten [418] ihm oft die einfachsten Dinge räthselhaft und manchmal übersetzte er das, was wir ihm vorgesagt, ganz fehlerhaft, so daß wir selbst als seine Verbesserer auftreten mußten, was ihn öfter ganz verblüfft machte. Indessen kam ihm bald eine Hülfe und uns, da wir den Blick für alles Schöne offen hielten, eine angenehme Augenweide. Wir hatten, nämlich kaum eine Viertelstunde miteinander gearbeitet, als des Knaben Schwester hereintrat, ein Mädchen von sechzehn Jahren und von schöner Gestalt, mit römischem Gesichtsschnitte und feurigen Augen. Sie trug das Köpfchen unverhüllt und die reichen schwarzen Haare waren nach der Landesart in Flechten um die Stirne und Schläfe gelegt, ein zierlicher Reif um das ernste liebliche Gesicht. Ihr Eintritt unterbrach die Forschungen auf eine kleine Weile, aber da wir bemerkten, daß sie darüber roth wurde, fuhren wir wieder emsig fort. Auch dauerte es nicht lange, bis sie näher kam und sich hinter den Stuhl ihres Brudes stellte und abermals über eine kleine Weile fing sie selbst mit an sprachzuforschen. Sie war in Meran in die Schule gegangen, hatte dort etwas deutsche Bildung genossen und zeigte sich bald nicht weniger lehrreich, als ihr Bruder. Insbesondere nahm sie sich des weiblichen Geschlechtes an, das der andere bisher gar nicht berücksichtigt hatte, ja ich glaube, daß gerade diese Vernachlässigung sie gereizt und getrieben hat, sich in der Linguistik zu versuchen. Wir hatten nämlich eben gefragt: Was heißt ich bin gegangen – und darauf hatte Johann geantwortet: ie son git. In diesem Augenblicke aber öffnete sie ihren lieblichen Mund und ließ zum erstenmale ihre süße Stimme erklingen und sagte in schüchterner Weise ergänzend: Und wenn’s ein Weibsbild ischt, so sagt sie: ie son gita.

Nach ein paar Stunden schlossen wir die Untersuchungen, da es Abend werden wollte und noch etwa eine Stunde nach St. Ulrich, dem Grödner Hauptort, vor uns lag. Nachdem wir allen dreien für ihre Bemühungen herzlich Dank gesagt hatten, eilten wir bergabwärts. Oben indessen hatten wir auch gelernt, wie es auf ladinisch lautet; wenn man fragt: wie weit ist es nach St. Ulrich. Dieß heißt also: Dang longsch [419] ie’l pa da tlo fin a Urteschei. Urteschei (Urticotum) ist nämlich der grödnerische Name von St. Ulrich. Diese Phrase übten wir so lange ein, bis wir sie mit voller Geläufigkeit zu Tage bringen konnten. Wir freuten uns aufrichtig als wir alle Schwierigkeiten überwunden hatten, und nahmen uns auch gleich vor, sie bei erster Gelegenheit zu benützen.

Wir waren also kaum etliche hundert Schritte von Pufels entfernt und hatten eben eine zahlreiche Familie bemerkt, die weit drinnen im Felde mit der Gerstenernte beschäftigt war, als wir beide zu gleicher Zeit über die Stoppeln hinriefen: Dang longsch ie’l pa da tlo fin a Urteschei? Kaum waren die rauschenden Worte erklungen, als sich Vater und Mutter und die Kinder, so wie auch die Knechte und die Mägde schleunigst aufrichteten und uns sprachlos anstarrten. Hierauf wiederholten wir den Ruf; aber nunmehr, da sie gewahrt hatten daß wir landesfremde Wanderer seyen, brachen sie alle in ein schallendes Gelächter aus und schrien uns verschiedene Sachen zu, die wir sämmtlich nicht verstanden. Wir ließen uns indessen durch diese Begegnung nicht abschrecken, sondern machten vielmehr gleich wieder einen neuen Versuch. Da traf es sich nämlich, daß wir an einer jähen Halde hinschritten und unter uns im Gerstenfelde einen Mann bemerkten, der gerade langsam gegen uns herauf stieg und eine breite Garbe über dem Haupte trug, so daß er uns nicht ersehen konnte. Wir riefen also wieder: Dang longsch ie’l pa da tlo fin a Urteschei? worauf er laut und vernehmlich sprach: mezza ora. Diesen hatten wir also wirklich berückt und dadurch fanden wir uns reich belohnt für die kurze Mühe, die wir auf die Erlernung des Grödnerischen gewendet hatten; ließen uns auch nicht irre machen, als der Mann bald darauf den Steig betretend, seine Last von sich warf und uns nachrief, er wisse doch daß wir keine Grödner seyen.

Ein Jahr lang hatte ich den Spruch im Kopfe behalten, und als ich zum zweitenmale über Castelrutt ins Grödnerthal ging, und beim Weiler Rungaditsch vorüber kam, fiel er mir wieder ein. Damals sah ich im Vorbeigehen einen Knecht hinten im Heustadel stehen und rief zu deutsch: Wie weit noch [420] nach St. Ulrich? Der Knecht in seinem grödnerischen Hochmuth aber that, als verstände er nichts und arbeitete lautlos fort. Dadurch empfindlich sann ich auf Rache, und als ich noch ein paar Schritte gemacht hatte und das Stadelthor mich verdeckte, rief ich laut: Dang longsch ie’l pa tlo fin a Urteschei? worauf der Knecht wie ein angeschossener Keuler herausstürzte, weil er’s für Teufelsspuk hielt, daß der fremde Pilger, der so eben vorüber gezogen, in der Zunge von Gröden rede. Als er mich nun aber voll stummen Erstaunens betrachtete, sagte ich: Gehe nur wieder hinein, o Knecht, und da du Deutsch verstehst, so warte künftig nicht mehr, bis dich die Fremden in der Sprache von Gröden anreden, welche im gelehrten Deutschland Niemand erlernen kann, weil alle literarischen Hülfsmittel, insbesondere Grammatik und Wörterbücher vollkommen fehlen. – Da der Knecht aus dieser Rede nicht klug werden konnte, so zog er sich ohne ein Wort zu sagen wieder in seinen Heustadel zurück.

O du liebes, kleines, herziges, vielgeschmeicheltes doch unverdorbenes Thal von Gröden, was siehst du so freundlich aus im Abendsonnenstrahl! Weiße kleine Häuschen mit goldenen Fensterchen und weiße große Häuser mit goldenen Fenstern hockten so heimlich auf den grünen Halden herum und zwischen den Wiesen selbst reiften wieder goldene Kornfelder. Und zwischen Wiesen und Kornfeldern rauschte der Bach und über dem Bach, über Häusern, Wiesen und Kornfeldern dunkelte der Wald, und über dem finstern Wald und über der Freundlichkeit des Thales dräuten, obwohl jetzt rosenfarb angeschienen, deine geisterfarben gespenstischen Schrofen, die ja einmal insgesammt vor langen Tagen glühend aus der Erde gefahren seyn sollen. Jetzt sind sie zwar schon seit geraumer Zeit wieder kalt geworden und es verbrennt sich keiner mehr den Finger daran, aber noch stehen sie da wie dazumal und züngeln titanisch-keck gegen den Himmel und strecken ihre erstarrten Nadeln wie zischend in den Aether.

Also angelächelt und angeschauert zogen wir durch eine tiefe Schlucht hinab ins große Dorf der Schnitzler, an dessen ersten Häusern uns ein alter, blinder Bettler auf spanisch um [421] eine Gabe ansprach. Während wir uns darüber verwunderten, begann er englisch zu reden; als wir ihm in diese Sprache folgten, flüchtete er sich ins Französische und aus der Langued’oui ins Italienische und zuletzt sprach er holländisch und deutsch. Das hatte er alles auf seinen Fahrten gelernt, die er in bessern Jahren als Kriegsmann gethan haben wollte. Nicht alle Grödner werden reich in der Fremde und der arme Mann scheint’s nie gewesen zu seyn. Jetzt einmal saß er gerade gegenüber einem hohen Hause, das ein anderer Grödner erbaut hat, der vor einigen Jahren mit Hunderttausenden von Thalern aus Valencia, aus demselben Lande zurückgekehrt ist, in dessen Mundart der arme Lazarus am Wege von den Fremden Almosen heischt.

In St. Ulrich war indessen am Matthäustage den 21 September 1843 großer Markt und Ehehaftstheiding, welch’ letzteres sagen will, daß eine Commission vom k. k. Landgericht zu Castelrutt anwesend war, um die Geschäfte der freiwilligen Gerichtsbarkeit am Orte selbst abzuthun. Dieß Ehehaftstheiding hatte seinen Sitz im Wirthshause zum Rössel aufgeschlagen und arbeitete stets bedrängt von Bauern bis in die Nacht hinein, so daß wir gar keinen der Beamten zu Gesicht bekamen.

Der Markt hatte viele Leute zusammengeführt und im Rössel-Wirthshaus waren alle Bänke voll zechender Grödner, welche viele schweinerne Rippchen und geräucherte Schnitze aus der Küche an sich zogen, und überhaupt viel aufgehen ließen, was den jungen Wirthsleuten schöne Hoffnung für die Zukunft zu geben schien.

Die jungen Wirthsleute bestanden aus einem Grödner und einer Klausnerin, worunter man jedoch nicht etwa ein einsiedlerisches Frauenbild, sondern eine Tochter des kleinen Städtchens Klausen, welches draußen am Eisack liegt, verstehen wolle. Er war ein hübscher junger Mann, der aber seine Wanderjahre zumeist in Italien verlebt hatte und nur gebrochen deutsch sprach, sie war eine schöne Frau, die aber kein Grödnerisch verstand, auch nicht italienisch. Daher mußte auch ihr Gatte alles deutsch mit ihr verhandeln. Es mag eine wehmüthige Empfindung seyn für einen liebenden Ehewirth, [422] wenn er alle die süßen Gefühle der Flitterwochen, die so beredt in seinem Herzen liegen, seiner jungen Gattin nur radebrechend zu erkennen geben kann, so daß sie immer doppelt lächeln muß, einmal selig über den Ausdruck seines liebenden Innern und zugleich auch spöttisch über die jämmerlichen Schnitzer, die in seinen Ergießungen mit aufsprudeln. Die Anwesenden waren übrigens sämmtlich in Feiertagskleidern. Die Tracht der Männer ist nahezu städtisch; die Tracht der Mädchen wenig unterschieden von der am Lande, nur in der Fatzelhaube liegt ein Merkzeichen, denn draußen sieht sie einem Zuckerhute ähnlich, hier aber einer langgezogenen Birne. Sie ist dunkelblau und oben darauf liebäugelt ein hellblauseidenes Schleifchen. Alles sprach grödnerisch, wie sich von selbst versteht, bis auf ein paar fremde Viehhändler, die zum Markte hereingekommen waren.

Die Bildschnitzerei die in diesem stillen Thale viele Jahre lang in größter Heimlichkeit verübt wurde, ist nunmehr eine weltbekannte Sache und wer jetzt den Namen Gröden hört, denkt wohl auch unwillkürlich an geschnitzte Pudel, an liebenswürdige Puppen und fröhliche Hanswurste. Die ersten verlässigen und ausführlichen Nachrichten über die Beschaffenheit des Bergländchens und die Betriebsamkeit seiner Einwohner gab J. Steiner, der Pfleger zu Castelrutt, im zweiten Bande des Sammlers für Geschichte und Statistik von Tirol, der 1807 zu Innsbruck erschien. Diese Mittheilungen sind die Grundlage für alle Anderen geworden, die seitdem über das Grödnerthal geschrieben und nach diesem Herkommen erlauben auch wir uns daraus zu nehmen, was für unsern Zweck ersprießlich scheint.

Vor allem ist also zu wissen, daß der Urheber der Bildschnitzerei in Gröden „und so der größte Wohlthäter seines vaterländischen Thales“ Johann de Mez zu Schuaut bei St. Ulrich geboren wurde. Im Jahre 1703 fing er der Erste an, Bilderrahmen zu schnitzen, und da er mit dem Verdienst zufrieden, richtete er auch seine Söhne und andere junge Leute dazu ab. Die ersten Erzeugnisse dieses Kunstbetriebs waren einfache, halbovale Stäbe, wie sie noch an alten Kupferstichen [423] zu gewahren sind. Allmählich wurden sie etwas verfeinert und nach dem Geschmack der Zeit mit Laub und Muscheln geziert. Als endlich auch dieses Schönste, was bis dahin geleistet worden, aus der Mode kam und den Absatz verlor, begann man Figuren zu Weihnachts-Krippen, Crucifixe, Heiligenbilder und allerlei Spielzeug für Kinder zu schnitzen. Die ersten die dieß versuchten waren die Brüder Martin und Dominik Vinazer, welche zu Venedig einigen Unterricht im Zeichnen genommen hatten und nach ihrer Zurückkunft jene höhere Schnitzerei in Aufnahme brachten.

Nun gewann der Erwerb bald einen weitern Schwung und ungefähr um die Mitte des vorigen Jahrhunderts verbreitete sich die Bildschnitzerei in alle Gemeinden von Gröden. Die Zahl der Schnitzer vermehrte sich in steigender Zunahme und im Jahre 1807 zählte deren Steiner gegen dreihundert. Zu Ammergau im bayerischen Gebirge an der Straße von Partenkirchen nach Schongau, wo derselbe Erwerbzweig schon früher blühte, hörten es gleichwohl die Leute mit Schrecken, daß weit drinnen in Tirol, in einem stillen Thal bei wälschen Hirten die gleiche Liebe zur Holzbildnerei auflebte, und so machten sie sich alsbald auf den Weg und kamen ängstlich hereingewandert, kauften die fertigen Schnitzwaaren auf und machten neue Bestellungen, um sich so wenigstens den Vertrieb zu sichern. Dieß währte indessen nicht lange, denn die Kunst in Gardena verspürte bald, daß sie auf diese Art den größern Theil des Gewinns aus den Händen lasse, und unternahm daher lieber selbst den Versuch, ihre Erzeugnisse im Auslande abzusetzen. Einige, und es waren meist junge, rührige Leute, rüsteten sich und gingen nach Italien, andere zogen nach Spanien und es gelang so gut, daß fast alle diese armen Händler reiche Kaufherren wurden. Und als sie so weit waren, dünkte es sie Verzagtheit, mit ihren Puppen und Hanswursten innerhalb der Säulen des Hercules stehen zu bleiben. In den siebenziger Jahren des letzten Jahrhunderts ließ sich Peter Wellponer in Mexico nieder und später begaben sich andere sogar nach Neu-York und Philadelphia.

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Aber die Schnitzwaarenhändler hatten bei ihrer Umsicht im Laufe der Zeit ersehen, daß sich auch in andern Artikeln durch Fleiß und Betriebsamkeit viel gewinnen lasse, und so handelten sie denn bald in allem, was etwas einzubringen versprach. Anfangs hatte dieser erweiterte Verkehr wenig Einfluß auf ihre Verhältnisse zur Heimath, denn die wandernden Hausirer hielten noch lange für gut, von Zeit zu Zeit ins Thal zurückzukehren, und wenn sie im Alter von ihren Land- und Meerfahrten auszuruhen gedachten, so setzten sie sich an den häuslichen Herd auf den Fluren von Gardena und kauften dort die kleinen Landgüter, die wegen der großen Nachfrage auf ungeheure Preise stiegen. Allmählich aber, je mehr sich die Geschäfte ausbreiteten, zeigte sich diese Gewohnheit für den zusammenhängenden Verfolg ihrer Unternehmungen hinderlich und so kam es, daß sich immer mehrere im Auslande für beständig niederließen. So entstanden schon im fünften Jahrzehent des vorigen Jahrhunderts seßhafte Grödner Handlungen zu Pavia, zu Ancona, zu Perugia, zu Neapel und zu Lissabon, deren Häupter nur zuweilen noch in Gröden erschienen, etwa auch aus Eitelkeit, um den Nachbarn zu zeigen, wie sie zu großen Herren aufgeschossen. Die Anzahl dieser auswärtigen Firmen stieg aber in dem Maaße, daß in dem Jahre wo Pfleger Steiner schrieb, deren über einhundertundfünfzig gezählt wurden, die sich in Deutschland, in den Niederlanden, in Italien, Spanien, Portugal und in Amerika aufgethan hatten; ja Steiner bemerkt sogar, das Verzeichniß sey keineswegs vollständig, weil darin mehrere Häuser übergangen, die ehemals in Frankreich geblüht, aber mit dem Ausbruche der Schreckenszeit das unheimliche Land verlassen hatten. Diese Grödner Handlungen übten nun überall den löblichen Gebrauch, nur junge Leute aus der Heimath zu Gehülfen zu verwenden, die dann wieder auf eigene Rechnung sich aufthaten und abermals etliche Jünglinge von Gardena sich verschrieben. Ueberdieß galt auch die Sitte, daß ein Grödner, wo er sey, diesseits oder jenseits des atlantischen Oceans, nur eine Grödnerin heirathen dürfe, und in Anbetracht dieser Umstände äußert denn mehrerwähnter Steiner die Vermuthung, [425] daß zu seiner Zeit die Anzahl der im Heimathlande lebenden Grödner nur ein Drittel des gesammten, aus dem Thale stammenden Volkes betrage, wobei denn nicht zu übersehen, daß auch in Tirol selbst, in Städten, Märkten und Dörfern, eine beträchtliche Anzahl ursprünglich grödnerischer Firmen sich [niedergelassen] hat.

Was nun die Gegenwart betrifft, so haben sich die Verhältnisse erheblich umgestaltet und die grödnerische Propaganda ist fast ganz verkommen. Der ganze Verschleiß der Schnitzereien liegt jetzt nämlich in den Händen der wenigen Verleger, die alle handelsmäßige Vermittlung mit den auswärtigen Kunden besorgen, während die übrigen zu Hause bleiben. Etliche von diesen Verlegern sind wohlhabende Leute und gehen mit der Zeit voran; sie haben in der Jugend tüchtige Schulbildung genossen und mit den Jahren verschiedene Sprachen gelernt, stehen daher ihren Geschäften mit aller Weisheit vor und bestreben sich, sie so schwunghaft als möglich zu betreiben. Daß dadurch die ehemals freien Schnitzer zu unfreien Fabrikarbeitern heruntergesunken und ganz und gar in die Macht ihrer Brodherren verfallen sind, liegt im natürlichen Gang der Sache. Der allgemeine Wohlstand ist daher zur Zeit sehr herabgekommen, da Schnitzeln so wenig als das nebenher geübte Spitzenklöppeln mehr zu Vermögen hilft und das Grundeigenthum wegen zu großer Bevölkerung ungemein zerstückelt ist. Die Grödner fühlen das auch wohl und wünschen die alten Zeiten zurück, wo man noch in der Jugend auf eigene Faust nach Spanien und Italien wanderte und im Alter als reicher Mercatante in die Heimath zurückkam, um den Rest der Tage in mäßigem, ruhigem Wohlleben auszuschlürfen. Diese Erscheinung ist jetzt sehr selten geworden; die auswärtigen Grödner Herren, zumal jene die schon in der Fremde geboren sind, haben wie die Lechthaler, ihr einsames Thal längst vergessen. Als Ausnahme gilt es daher, daß vor mehr als zehn Jahren jener unbekannte Mann in seinen Fünfzigen aus Spanien kam, sich durch die Sprache als Grödner auswies und ein großes Haus erbaute. Er heirathete schnurstracks ein schönes Grödner Mädchen, zeugte in aller Eile noch [426] zehn Kinder und lebt jetzt als angesehener Familienvater zu Urteschei.

Käme der Fall öfter vor, so würden wohl auch die Grödner dem nicht entgehen, was man von jenen Lechthalern sagt, die aus den Seestädten zurückkehrten, um in ihrem Geburtsort das Leben zu beschließen. Ach, sagte selbst ein Grödner, als diese frühere Sitte belobt werden wollte, was soll man von diesen Menschen denken, die da in Valencia, in Granada, in Neapel, in den schönsten Gegenden der Christenheit gelebt haben und nun ins kalte langweilige Gröden zurückkehren? Ist’s nicht räthselhaft, wenn sich einer von allen lieben Gewohnheiten losmacht, von allen Freunden und Bekannten, um nach Urteschei zu gehen, wo ihn Niemand mehr kennt, um im Alter auf einem Boden, der ihm fremd geworden, traurig und öde den Tod zu erwarten?

Eine Gefahr, die der Schnitzerei von Gröden täglich drohender gegenüber tritt, ist der Mangel an brauchbarem Werkholz. Dazu wurde ehedem ausschließlich die Zirbelkiefer, Pinus cembra, verwendet, die im Grödnerthal in großen Schlägen aufwuchs. Allmählich haben aber die fleißigen Hände ganze Wälder weggeschnitzt und erst als es zu spät war, überzeugte man sich, daß unter der Gestalt dieser kleinen Pudelchen und Pferdchen, der zierlichen Puppen und spaßhaften Hanswurste weite Forste ins Ausland gewandert waren. Jetzt ist große Noth an Holz und die jungen Waldungen die man zur Abhülfe des Mangels wieder künstlich angepflanzt, können nicht recht gedeihen, weil ihnen die Weidegerechtigkeiten immer hindernd im Wege stehen, würden auch erst bei dem langsamen Wuchs des Baumes im nächsten Jahrhundert ausgiebig zu benützen seyn. Für manche Gattung von Schnitzwerk hat man daher schon angefangen, das weniger geschmeidige Fichtenholz zu bearbeiten, allein es bleiben noch immer viele Sorten, die nur aus dem feinen Zirbelholz geschnitten werden können. Dieses wird denn also mit schwerer Mühe aus dem nächstgelegenen Enneberg oder dem Villnößerthale über die Jöcher hergeholt. Schon Steiner ahnte die kommende Gefahr und rieth durch Cultur und Schonung des [427] Zirbelbaumes bei Zeiten vorzukehren, aber seine Warnungen sind unbeachtet geblieben. Auch meint er, es würde zumal dem Oberinnthaler bei der beschränkten Ertragsfähigkeit seines Bodens sehr zu Gutem kommen, wenn er, dessen Wälder so reich an Zirbelbäumen, als Nebenverdienst gleichfalls die Schnitzerei zu Handen nehmen möchte – eine Ansicht, die man nur billigen kann, wenn man betrachtet, wie gerade den Oberinnthaler vor allen Tirolern eine Anlage zu plastischen Künsten auszeichnet. Den jährlichen Ertrag berechnet Steiner in folgender Art: Wöchentlich werden fünf Kisten Schnitzwaaren versendet und der Werth jeder Kiste kann zu 150 fl. angenommen werden; es beträgt also diese jährliche Versendung 39,000 fl. Außerdem wird noch ein Werth von 5000 fl. durch Hausirer abgesetzt und das ganze jährliche Erzeugniß mag daher auf 44,000 fl. geschätzt werden. Da sich nun aber seit 1807 der Handelsbetrieb bedeutend umgestaltet hat, so dürften auch jene Zahlen nur noch annähernde Geltung haben.

Dieses Schnitzeln also beschäftigt in Gröden Mann und Weib. Außerdem hat sich das schwächere Geschlecht noch einen eigenen Verdienst erkundschaftet, nämlich das Spitzenklöppeln, welches von jungen Mädchen, von erwachsenen Frauen und von abgelebten Weibern gleichmäßig betrieben wird. Die Waare ist etwas rauher Art und schickt sich eigentlich nur für das Tiroler Landvolk. Der jährliche Reingewinn, der aus dieser Industrie fließt, wird von Steiner auf 25,000 fl. angeschlagen; möchte aber seit jener Zeit auch wohl eher ab- als zugenommen haben.

Mit den geklöppelten Spitzen nun und mit sonstigem kleinen Zeug, was sie sich unterwegs noch beilegen, insbesondere mit übergebliebenen Resten der Bozner Lager, die ihnen gerne zu mindern Preisen überlassen werden, gehen nun die frommen Grödner Mädchen mutterseelenallein über Berg und Thal im Lande Tirol herum und treiben Handelschaft. Schön wie sie sind haben sie die Männer für sich, und ihr keuscher, ehrenhafter Lebenswandel gewinnt ihnen auch das Zutrauen und die Neigung der Frauen. Dabei haben sie gerade so viele erlaubte Schlauheit, so viel liebliche Geschwätzigkeit und so viele [428] bescheidene Aufdringlichkeit, als zu ihrer Handelschaft nöthig ist. Manche sammeln sich mit der Zeit ein kleines Vermögen, ziehen in die Heimath und vermählen sich da nach ihrer Wahl; andere aber und deren Anzahl ist auch nicht gering, erreicht der Liebesgott auf dem Wege. Ja, manche junge Grödnerin hält oft plötzlich ein junger Mann vom Weiterziehen ab, indem er ihr auf die treuen Augen hin seine Hand reicht, zärtlich bittend, sie möge von ihren Irrfahrten abstehen und lieber sein häuslich Ehebett bereiten. Daher findet man denn weit zerstreut, in deutschen und wälschen Thälern die Frauen von Gröden als Wirthinnen oder Krämerinnen, fast immer in hohem Ansehen. „Sie ist eine Grödnerin“ hört man oft von Stadt- und Landleuten mit einem Ausdruck sagen, als enthalte dieses Wort alles, was sich von Treue, Ehrenhaftigkeit und löblichem Wesen einer Hausfrau berichten läßt. Nicht ganz so hoch stellt der deutsche Nachbar die Männer von Gröden. Er läßt ihnen zwar die Ehre des Fleißes, der Sparsamkeit, der Anlage für Handelschaft, behauptet aber, in allem andern, was nicht in diese einschlage, sey der Grödner beschränkten Verstandes, sein Ideenkreis sehr enge, sein Bildungstrieb sehr kümmerlich. Bei solchen Urtheilen dürfen uns vielleicht die Engländer einfallen, von denen man ja auch gesagt hat, sie seyen nicht geistreich, brächten aber zu allen Dingen die sie unternehmen gerade so viel Verstand auf, als sie dazu brauchten.

Am selbigen St. Matthäustage war also Markt, aber da es schon Abend geworden, so hatte der Handelsverkehr bereits aufgehört. Auf einem freien Platze, etwas oberhalb der großen Pfarrkirche, in welcher eine Muttergottes, angeblich von Canova, da fanden wir noch einige Krämerstände, um welche sich etlich müßiges Volk drehte. Dabei war nicht viel zu beobachten und wir suchten daher eine berühmte Schnitzlerin auf, die in einer kleinen hölzernen Hütte nicht weit vom Marktplatze wohnt. Es ist eine Frau in mittleren Jahren, mit mehreren Kindern gesegnet, wahrscheinlich eine Wittwe, denn von ihrem Manne war nicht die Rede. Auf einem schmalen Tischchen lagen ein halbes hundert Schneid- und Stemmeisen [429] und dazwischen zahllose Holzpflöckchen, wovon die einen noch ganz unbearbeitet, die andern schon vorbereitlich zugeschnitten waren. Es überraschte uns, wie da mit wenigen kühnen Zügen schon das Naturell der künftigen Bestie so trefflich angedeutet war – wie der aufwartende Pudel, der schleichende Fuchs, der kampfgierige Löwe, zwar noch roh, aber doch so lebhaft sich darstellten. Auch die Auswahl war sehr groß, denn es fanden sich fast alle weltläufigen Quadrupeden, zahme und wilde, auf dem Tischchen. Wir verlangten nun einen Hund geschnitzelt zu sehen und kaum hatten wir’s ausgesprochen, als sich die Frau niedersetzte, nach einem Blöckchen griff, in dem der treue Pudel schon leibte und lebte und nun ihre Messer arbeiten ließ, immer wechselnd zwischen großen und kleinen, spitzigen und runden. Dabei begrüßte sie das der Vollendung entgegenreifende Werk mit einem leisen Monologe und lispelte in unbewußter Sprachmengerei deutsch, italienisch und grödnerisch durcheinander. Nach einigen Minuten war der Pudel fertig und kostete einen Kreuzer.

Die Frau schien übrigens mit glücklichen Anlagen begabt zu seyn, denn sie hatte erst vor vier Jahren zu schnitzeln begonnen und war darin so weit gekommen, als irgend Jemand im Thale. Und während die andern Nachbarn Jahr aus Jahr ein das Nämliche schnitzeln, ja die meisten ihr ganzes Leben nur immer dieselbe Gattung von Figuren liefern, hat sie sich neue Bahnen gebrochen und schon verschiedene gute Ideen ausgeführt. So z. B. schnitzelt sie alle Tiroler Volkstrachten, wie sie jetzt noch in alterthümlicher Pracht bei Hochzeiten erscheinen, recht nett und zierlich; färbt sie auch sehr fleißig, so daß sie höchst niedlich in die Augen fallen. Die Figürchen haben guten Absatz und deßwegen sahen wir auch gerade nur drei Muster vorhanden, die Tracht von Pusterthal, von Zillerthal und von Gröden. Ich kaufte mir einen Pusterer in seiner würdigen schwarzen Hochzeitjacke und eine Pusterin in dem faltenreichen gelben Rock und habe sie auch beide unversehrt nach Hause gebracht. Mein Brautpaar kostete mich übrigens nicht mehr als zehn Kreuzer.

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Lieber wäre es der Künstlerin freilich gewesen, wenn wir einen von den beiden Kaisern gekauft hätten, die sie als ihr Meisterstück vorzeigt, entweder den Kaiser Ferdinand oder den Kaiser Napoleon. Diese gehörten zu jener feinern Gattung von Schnitzereien, die mit 5–10 Gulden bezahlt werden. Es sind ungefärbte Figuren, etwa einen halben Schuh hoch, in denen die Zeichnung zwar hie und da etwas mangelhaft ist, die Ausführung jedoch in den kleinen Einzelheiten ungemein viel Fleiß und Geschick verräth. Gleichwohl hatten wir billige Zweifel, ob die Schnitzlerin der Imperatoren ihre Mühe belohnt erhalten werde; denn der eigentliche Habitus war weder beim einen noch beim andern getroffen. Napoleon hatte zu viel von Ferdinand und Ferdinand zu viel von Napoleon, ja eigentlich unterschieden sie sich nur durch die Uniform, und auch da hat der Frau für den großen Corsen nicht der Mann mit dem grauen Ueberrock und dem kleinen Hütchen vor Augen geschwebt, sondern etwa der Consul Bonaparte, wie er in der Schlacht bei Marengo befehligte. Das that uns alles sehr Leid, denn die Schnitzlerin glaubte in ihren Kaisern das Höchste geleistet zu haben und hoffte, sie recht theuer an den Mann zu bringen.

Von da gingen wir in ein anderes Schnitzlerhaus, wo drei alte Leute, zwei Männer und ein Weib arbeitend beisammen saßen. Das Weib, das vierundachtzig Jahre zählte, schnitzte noch rüstig und machte sehenswerthe Hunde; die beiden andern verfertigten stereotype Hähne. Alle drei hatten vom langen Schnitzlerleben tiefe Narben an den Händen, denn bei aller Gewandtheit fährt doch mancher Stich ins Fleisch, und einer von den Greisen hatte sich in frühern Jahren sogar einen Finger weggeschnitzt. Hier wie in andern Häusern, in die wir vorübergehend Blicke warfen, waren ganze Haufen solcher Spielsachen aufgeschüttet, und wie man im Obstlande zur Herbstzeit alle Räume voll Körbe siebt, in denen die rothbackigen Aepfel und die grünen Birnen und andre süße Früchte aufgestapelt worden, so standen auch hier überall die Körbe herum mit vierfüßigen Thieren, mit Vögeln, Menschen, [431] kurz mit all den kleinen Freuden, die die Wonne unsrer Kinderstuben sind.

Endlich besuchten wir auch einen der Verleger, Herr Burger, der in einem schönen freundlichen Hause Wohnung und Schnitzwaarenlager hält. Hier sahen wir, was wir bisher nur in Körben gewahrt, in ganzen Gemächern zu vielen Tausenden aufgespeichert oder auf lange Rahmen gestellt. Wir meinten, es würde wohl einige Zeit hergehen bis dieß alles unter die Kinder dieser Welt vertheilt sey, Herr Burger aber sagte, das leere sich oft in wenigen Tagen durch ein paar Versendungen und gerade in diesem Jahre sey die Nachfrage so groß, daß aller Fleiß der Schnitzler kaum hinreiche sie zu befriedigen. In einer der Vorrathskammern standen große halbmannshohe und noch höhere Heiligengestalten, die für Kirchen und Capellen geschnitzt werden. Die Taxirung dieser Figuren ist überraschend einfach. Herr Burger legt seinen Maßstab an, nimmt die Zolle ab und sagt auf der Stelle bei Groschen und Kreuzer, was der Heilige werth ist. Sie sind ziemlich wohlfeil – um etliche Kronenthaler kann man schon einen recht anständigen Schutzpatron mit nach Hause tragen. Zu bemerken ist übrigens, daß sie unbemalt sind und die Kosten für die nachgängige Malerei und Vergoldung übertreffen die der Schnitzarbeit ums Doppelte und Dreifache.

Zuletzt zeigte man uns eine Sammlung von feinen Figuren, wie die beiden Kaiser bei der Schnitzlerin waren, von jenen künstlichen Arbeiten, die gleichsam die Cabinetsstücke der Grödner Schnitzlerei ausmachen. Die einfachen Bergleute speculiren dabei auf die Sympathien aller Nationen. Für den Landsmann gibt’s hier einen Kaiser Ferdinand und Kaiser Franz, für die Engländer eine Königin Victoria, für die Franzosen einen Napoleon und Herzog von Reichstadt; den Preußen wird ein alter Fritz geboten und den auswärtigen engern Freunden des tapfern Tirolervolks ein Andreas Hofer.

Auch Pfeifenstopfer und Nadelbüchsen werden gemacht, auf deren Kuppe sich eine liebliche Sennin oder ein herzhafter Gemsenjäger oder sonst eine hübsche Figur zeigt. Alle diese Arbeiten stehen in hohem Preise und werden bis zu eilf Gulden [432] und darüber bezahlt. Die hochbüstige Königin von England mit Talar, Krone und Scepter, gerade wie ich sie das Jahr zuvor bei Herrn Lang in Ammergau gesehen, brachte mich zu der Frage, wie diese Uebereinstimmung zu erklären sey, worauf mir der Verleger sagte, die Leute von Ammergau hätten in der Erfindung etwas Weniges voraus und das, was sie neu an den Tag gefördert, werde jeweils beschickt, um hier nachgeschnitzt zu werden. Mir schien, als wenn die Grödner hinter ihren Vorbildern an Fleiß und Schönheit der Arbeit nicht zurückblieben, obgleich sie diese Nachahmungen etwas billiger ablassen.

Die Schnitzkunst in Gröden, so gut wie die der Ammergauer und der Berchtesgadener, bewegt sich übrigens noch völlig in den Traditionen des vorigen Jahrhunderts und die Ornamentik zumal hält sich ganz im Style der Zopfzeit. Denen, die sich zuerst schönerer Formen bemeistern, seyen es nun die Grödner, die Ammergauer oder die Berchtesgadener, darf man wohl unbedenklich einen weiten Vorsprung vor ihren Nebenbuhlern weissagen. Es ist kaum ohne solche Rücksicht geschehen, daß Kaiser Franz im Jahre 1821 eine Zeichnungsschule in Gröden zu errichten beschloß. Damals wurde Jacob Sotriffer von St. Ulrich, ein begabter Jüngling, nach Wien gesandt, um sich dort in den zeichnenden Künsten auszubilden. Durch Anlage und Fleiß brachte er’s dahin, daß er im Jahre 1824 wieder ins Thal zurückkehren konnte, wornach denn auch bald die Zeichnungsschule eröffnet wurde. Das gleiche Bedürfniß hat, obwohl erst vor einigen Jahren, in Ammergau zu Eröffnung einer solchen Schule geführt. Der Einfluß dieser Anstalten wird sich aber immer nur sehr allmählich bemerklich machen, da die erwachsenen Leute alle ihre Muster schon so fest im Kopfe und alle ihre Schnitte so sicher in der Hand haben, daß sie von der alten Uebung nicht mehr abzubringen sind. Eben wegen dieses handwerksmäßigen Betriebes sind denn auch aus den Schnitzern von Gröden noch keine Meister in plastischen Künsten hervorgegangen. Eine Ausnahme macht etwa die Familie Vinazer, deren Mitglieder während des vorigen [433] Jahrhunderts in Spanien und zu Wien als Bildner rühmlich aufgetreten sind.

Die Sprache der Grödner hat schon zu mancher seltsamen Hypothese Veranlassung gegeben. Freiherr von Hormayr in der Geschichte der gefürsteten Grafschaft Tirol erwähnte zuerst ausführlicher dieses Idioms, und lieferte damals auch ein Vocabular. Doch ist der Gegenstand nur erst sehr flüchtig behandelt und die angeblich grödnerischen Wörter sind nicht aus der Sprache von Gardena, sondern aus der der Abtei genommen, welche Abtei, oder nach dem Idiome des Landes Badia, jenseits der Berge im hintern Theile von Enneberg liegt. Er meint auch, selbe Sprache habe weder mit dem Deutschen, noch mit dem Italienischen eine Aehnlichkeit, während doch die Verwandtschaft mit letzterem beim ersten Blick in die Augen springt. Anziehend ist nebenbei die Nachricht, daß der Rechtsgelehrte Bartolomei aus Pergine ein ähnliches Verzeichniß grödnerischer Wörter der berühmten etruskischen Akademie zu Cortona mitgetheilt und diese in der Sprache der Grödner die alttuskische und sogar assyrische, hebräische und was sehr begreiflich sey, griechische Stammsylben zu finden geglaubt hat.

Säuberlicher ist Pfleger Steiner mit dieser Sprache umgegangen und zwar in demselben lehrreichen Aufsatze, den wir oben schon angeführt haben. Er konnte in seiner Unbefangenheit die nahe Verwandtschaft mit dem Italienischen nicht verkennen, doch gelang es ihm andrerseits auch nicht, sich der Wiederholung jener Hypothesen zu enthalten, die den Gelehrten, welche an der Tiber und in Deutschland über den räthselhaften Schriften der alten Tusker verzweifelnd saßen, eine Fata Morgana vorspiegeln, die bei näherem Herantreten lügenhaft verschwimmt. Warum, sagt er, sollten wir nicht das Völkchen der Grödner für Abkömmlinge und Ueberbleibsel des alten Volkes der Rhätier und ihre Sprache für einen freilich nicht unverdorbenen Dialekt der rhätischen Sprache halten? In dem von jeder Heerstraße abgelegenen Gröden konnte sie sich um so leichter erhalten, als dieß Thal wahrscheinlich noch nie von fremden Kriegsvölkern überzogen worden ist.

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Dasselbe was J. Steiner, der Pfleger von Castelruth, für die Sprache seiner ladinischen Gerichtsholden gethan, unternahm später J. Th. Haller, der gewesene Landrichter zu St. Vigil, für das Idiom der Enneberger. Seine lehrreiche, obgleich ohne tiefere linguistische Einsicht geschriebene Arbeit findet sich im sechsten und siebenten Band der Beiträge zur Geschichte, Statistik, Naturkunde und Kunst von Tirol und Vorarlberg. Der Landrichter von Enneberg verfolgt die Bahn des Pflegers von Castelruth; er findet in der Abschleifung der ladinischen Mundarten das Anzeichen eines uralten Ursprungs, glaubt daß die Enneberger und Grödner, als rhätischer Herkunft und Stammgenossenschaft, sich einer Sprache zu rühmen haben, die im Wesentlichen die Sprache ihrer Urväter, der alten Rhätier, tusko-tyrrhenischen Stammes seyn und im Alterthum vor allen Sprachen lateinischen Ursprungs den Vorzug gehabt haben dürfte.

Uebrigens muß hier erwähnt werden, daß der Wahn, die alte Sprache der Tusker lebe noch im rhätischen Hochgebirge, von Graubünden ausging. Die alte Geschichte vom Heerführer Rhätus, die bei Plinius zu lesen, wie derselbe nämlich, als die Gallier in Italien einfielen, mit den Etruskern, welche an den Ufern des Padus wohnten, flüchtig in die Alpen gezogen und so dem rhätischen Volke zu einem Anfange verholfen, diese Geschichte hat in Hohen Rhätien eine freundliche Aufnahme und fruchtbaren Boden gefunden und war dort zu jeder Zeit weit volksthümlicher als in Tirol. Viele bündnerische Adelsgeschlechter versahen sich mit Stammbäumen, die in ununterbrochener Folge auf einen etruskischen Lucumo zurückgingen; man suchte die Orte aus, die mit etrurischen Städten dem Laute nach verschwistert schienen, nannte das Idiom, das die Romanschen reden, l’ antiquissm linguaig de l’ aulta Rhaetia. hielt dieß für dieselbe Sprache, worin der tuscische Augur den Flug der Vögel deutete und „die Welt von Rom Gesetze empfing.“ Derlei Ansichten ließen denn auch ernsthafte Historiker gelten und viele Zweifler mag es seiner Zeit beschwichtigt haben, als sogar Johannes von Müller offen aussprach: die Nachkommen der Rhätier erhalten seit [435] dritthalbtausend Jahren den Grundcharakter ihrer Sprache.*) Da nun die Mundarten von Gröden und Enneberg den romanischen Idiomen im Engadein und am Vorderrhein sehr ähnlich sind, so war es eine nothwendige Folge, daß von gelehrten Tirolern die Weihe ungeheuern Alterthums auch diesen Idiomen ertheilt und bei guter Gelegenheit sie eben so als ein Ueberbleibsel der alten etruskischen Sprache hervorgehoben wurden.

Je mehr sich nun in den letzten Decennien die deutschen Philologen, welche die Urgeschichte Italiens bearbeiteten, mit den etruskischen Räthseln beschäftigten, desto gespannter wurde ihre Aufmerksamkeit auf diese verschiedenen Alpensprachen, die man in langer Tradition als die Töchter, daher wohl als die Schlüssel zu jener mit sieben Schlössern verriegelten Sprache des alten Etruriens zu betrachten gewohnt war. Niebuhr ging daher, als er seine römische Geschichte schrieb, nicht achtlos an dem Ladin von Gröden vorüber, allein er bestärkte nur die alte schwindlige Ansicht. Später nahm auch Ottfried Müller mit großer Erwartung Hormayrs Geschichte Tirols zur Hand, allein die Sprache der Grödner, die er daraus kennen lernte, schien ihm nicht so fast tuskisch, als vielmehr ein französischer Jargon zu seyn. So blieb ihm nur der Wunsch, es möge die Hoffnung nicht unerfüllt bleiben, daß in irgend einem Thale Graubündens oder Tirols ein Rest der alten rhätischen Sprache entdeckt und zum Schlüssel werden könnte zur Entzifferung tuskischer Schriftdenkmäler. Bis zu seiner Zeit schien indeß noch kein Dialekt bezeichnet zu seyn, an dem man Versuche der Art mit Aussicht auf guten Erfolg anstellen dürfte. Die Hoffnung als so weit gehend ist wie uns bedünkt vernichtet; denn wenn sich auch eine kleine Anzahl jetzt noch unbestimmbarer Wörter in dem Vorrath der [436] ladinischen Mundarten findet, und wir uns daher erlauben, die Aufmerksamkeit des sprachforschenden Lesers auf das lexikalisch Fremde in jenen Idiomen zu richten, so glauben wir doch nicht, daß sich diese verlornen, vielleicht rhätischen Wasseräderchen zu einer Quelle vereinigen werden, die ein ausgiebiges Schöpfen zuließe. Andere unbekannte Idiome aber sind in den Alpen nicht mehr aufzufinden.

Weil sich die Thäler von Gröden und Enneberg gegen das deutsche Sprachgebiet hin öffnen, so wollten schon manche ihren Romanismus befremdlich finden. Wenn man für die italienischen Gegenden Südtirols das Theokritische: Δωρίσδεν δ'ἔξεστι, δοκῶ, τοῖς Δωριέεσσιν , gelten ließ, so schien man dagegen den Grödnern das Postulat zu stellen, sie hätten eigentlich von Rechtswegen deutsch zu reden und ihre Wälschheit könne also nur auf künstlichem Wege erklärt werden. Man behauptete daher, ihre Urväter seyen Flüchtlinge aus den römischen Mansionen am Eisack und im Pusterthale gewesen, die sich bei der Völkerwanderung in diese Berge gerettet, oder sie stammten von militärischen Colonien her, welche die Römer zur Verbindung jener festen Plätze in diese Thäler geführt. Uns scheint nun die eine dieser Hypothesen so unnöthig wie die andere. Als nämlich die Römer Rhätien unterjocht hatten, ließen sie sich in dem eroberten Gebirgslande in eben dem Maße nieder, wie in andern besiegten Ländern, und in wenig Jahrhunderten war ihre Sprache, wie in Spanien und Gallien, zur allgemeinen erhoben. Als die Deutschen in das Land drangen, setzten sie sich zunächst nur in der Thalsohle, an den Straßen fest, die ihre Verbindung mit Italien sichern mußten, und an diesen Heerwegen war es zuverlässig, wo auch zuerst die deutsche Sprache Wurzel faßte. Was nicht auf diesem ihrem Zuge lag, widerstand der Germanisirung gewiß noch lange Zeit, und es sind vielleicht noch keine siebenhundert Jahre, daß auf den Höhen des Brenners und an jenen die dem Eisack entlang an Brixen vorbei nach Bozen zu laufen, romanisch gesprochen wurde. Auf den Halden von Gufidaun, im Thale von Lüsen und Villnöß und an der Mündung des Grödnerthales bis hinab nach Vels geschah dieß wohl noch in bedeutend [437] jüngerer Zeit. *) Nebenbei können wir uns auch auf das beziehen, was wir im Vorarlberg, im Oberinnthal und im Vintschgau von solchen Dingen gesagt. Daraus geht denn hervor, daß zu einer Zeit, wenn nicht in allen, doch in den meisten Thälern des dicht bevölkerten Rhätiens romanisch gesprochen wurde und so haben sich also die Thäler von Gröden und Enneberg, die jetzt allerdings als die äußersten Vorposten wälscher Zunge erscheinen, in jenen Jahrhunderten nicht am Rande, sondern mitten im Herzen des romanischen Sprachgebiets befunden. Demnach waren sie also auch zu besagter Zeit in durchaus gleichen Verhältnissen mit der übrigen rhätischen Bevölkerung, standen den Römern gerade so ferne oder so nahe, als diese, und deßwegen erscheinen uns denn auch alle Voraussetzungen, die sie in eine engere ausnahmsweise Beziehung zum ehemals herrschenden Volke bringen wollen, als grundlos.

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Unsrer Meinung nach sind also die Grödner und die Enneberger wie die Romanschen in Graubünden Abkömmlinge der alten Rhätier, welche Urahnen zu ihrer Zeit lateinisch gelernt und diese Sprache zu weiterer Verarbeitung ihren Enkeln hinterlassen haben. Daß diese damit nun nicht gerade ganz aufs Italienische hinausgekommen sind, ist auch nicht schwer zu erklären. Beide Thäler sind nämlich von den angränzenden italienischen Landschaften durch hohe Jöcher geschieden, und da diese immer wälschen Herren gehorchten, so standen jene, welche deutschen Dynasten untergeben waren, auch in keiner politischen Verbindung mit Italien. Das Deutsche aber konnte wegen der specifischen Verschiedenheit des Idioms ohnedem kein bildendes Element der Sprache werden, wenigstens nicht mehr, als es, wenn die in neuerer Zeit wieder bestrittene Ansicht sich halten läßt, überhaupt auf die Gestaltung der romanischen Sprachen gewirkt hat.

Daß viele deutsche Wörter aufgenommen worden, wie denn das Wort für die Hauptbeschäftigung des Grödners selbst ein deutsches ist, nämlich snizlé, dieß ändert nichts an der Sache. Auch darf es nicht auffallen, daß sich einzelne lateinische Wörter vorfinden, welche im Italienischen untergegangen sind, denn bekanntlich haben auch die romanischen Schriftsprachen nicht mit gleicher Wachsamkeit über dem ihnen ursprünglich anvertrauten Wörtervorrath gewaltet, so daß das Spanische und Französische manche lateinische Etyma bewahrte, welche das Italienische außer Uebung kommen ließ und umgekehrt. Manche Erscheinungen, welche Ottfried Müller veranlaßten, von einem französischen Jargon zu sprechen, kommen in den oberitalienischen Dialekten ebenfalls vor und sind überhaupt der ganzen Familie der nordromanischen Idiome eigen. *)

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Wie ihre Sprache nun aber auch klingen mag, die Grödner lieben sie mit inniger Neigung. Es ist auch nicht nur *)[440] Gewohnheit, was sie ihnen werth macht, sondern die lebendige Ueberzeugung, daß sie in ihr ein großes Gut besitzen. Wir *)[441] haben oben erzählt, daß der Zug der Grödner, als sie zu wandern begannen, anfangs in romanische Länder ging, nach Italien und Spanien. In diesen Ländern war es, wo den rührigen Aelplern zuerst die Anschauung wurde, welch vorzügliches Idiom ihnen das Heimathsthal mit auf die Reise gegeben. In wenigen Wochen waren sie im Stande zu Neapel und zu Cadix sich verständlich zu machen und andre zu verstehen, und daher wurzelte denn auch die hohe Meinung von der Verwendbarkeit ihres seltsamen Jargons für den Handel. Außerdem lag in ihm noch die Möglichkeit, sich in fremden Ländern am offenen Zechtische Dinge mitzutheilen, die sonst Niemand verstehen sollte. Deßwegen haben sie auch fast etwas Stolz auf ihr „Krautwälsch" und wollen überhaupt zu Hause kaum eine andre Sprache aufkommen lassen; so daß deutschen *)[442] Frauen, welche ausnahmsweise in das Thal hinein heirathen, am Ende selbst nichts anders übrig bleibt, als mit Geduld und Ausdauer das Grödnerische zu lernen. Sie, die Grödner, machen auch gar kein Geheimniß aus dieser Vorliebe. Warum, sagte mir einer, warum sollten wir diese Sprache aufgeben und ist so gut für uns gewesen und ist noch gut, wenn wir nach Wälschland gehen und haben sie so gern! Uebrigens ist wegen der Nähe des deutschen Gebietes, durch den vielfältigen Verkehr damit, durch die geschäftlichen Beziehungen zum Landgericht in Castelruth, wo alles deutsch verhandelt wird, endlich durch die Einrichtung, daß die Kinder gewöhnlich auf ein paar Jahre zum Schulbesuche nach Klausen und Bozen geschickt werden, die erwachsenen Jungen und Mädchen aber, die bis dahin säumig gewesen, sich bei deutschen Bauern eindingen, durch all das ist unsre Sprache in dem Thale so einheimisch, daß sie besser oder schlechter fast Jedermann zu sprechen weiß, so daß vielleicht nur im innersten Orte des Thales, in St. Maria noch einzelne zu finden, die dessen unkundig sind. Wenn die Kenntniß des Deutschen ihnen die Aussicht nach Norden öffnet, so haben sie in ihrer Muttersprache den Schlüssel zum Süden und sie stehen also in der Mitte zwischen zwei fremden Gebieten zum Verständniß beider gewappnet. Allerdings machen sie sich im Italienischen bälder heimisch als im Deutschen, und daher ist es ihnen auch in der Regel geläufiger, als dieses.

Auf seltsame Weise wird in diesen Thälern der Schulunterricht betrieben. Die Kinder lernen lesen und schreiben, aber nicht ladinisch, welches ja keine Schriftsprache, sondern deutsch und italienisch. Sie werden so weit gebracht, um Texte in diesen beiden Sprachen herunterlesen und nach Angabe schreiben zu können, wissen aber nicht, was das bedeutet. Die Lehrer trachten zwar, ihnen so viel möglich von dem Verständniß beizubringen, aber wie sie selbst gestehen, hat dieß nur im Italienischen einigen Erfolg. Am meisten Sorgfalt wird billigerweise auf Verdeutlichung des Katechismus gewendet, dessen Sprache italienisch ist. Wenn nun die Jungen und Mädchen im reifern Alter in deutsches Gebiet oder nach Italien [443] wandern, so erblüht ihnen erst die Erkenntniß, warum sie so lange Jahre in der Schule gesessen. Jetzt lernen sie allmählich die Bedeutung der mannichfachen Wörter und Phrasen kennen, die ihnen etwa aus beiden Sprachen noch im Kopfe geblieben und allmählich kommen sie auch darauf, was die schönen Geschichten alle sagen wollten, die sie in den Tagen ihrer Kindheit stundenlang herunter lesen mußten.

In den Kirchen wird zumeist italienisch gepredigt; zu Zeiten aber auch deutsch. In neuerer Zeit finden sich einzelne Geistliche, welche sich bemühen, das Italienische der größern Verständlichkeit wegen zum Grödnerischen herabzuziehen oder dieses zu jenem hinaufzuheben und so predigen sie denn in einem italianisirten Gardena. Als Seelsorger werden keine deutschen Priester hier verwendet, und auch reine Italiener sind nicht ganz paßlich. Dagegen erscheinen die geistlichen Herren von Enneberg vollkommen tauglich und auch die von Buchenstein und Fassa, wo ein Dialekt gesprochen wird, der den Uebergang aus dem Ladinischen ins Italienische bildet, können sich in kurzer Zeit ganz heimisch machen. Diese vier Landschaften, Gröden, Enneberg, Buchenstein und Fassa bilden daher, so zu sagen, eine abgeschlossene geistliche Sprachprovinz, welche ihre Seelsorger ausschließlich nur aus ihren Landsleuten erhält.

Uebrigens scheint vor der besseren Einrichtung des Schulunterrichts, für welchen sich allerdings das Italienische bald als das Eingänglichere darbieten mußte, das Deutsche, wenn nicht noch mehr verbreitet, so doch diejenige Sprache gewesen zu seyn, welche man für schriftlichen Gebrauch allein anerkannte, und die Romanen in Gröden und Enneberg mögen daher ein umgekehrtes Seitenstück zu den deutschen Cimbern in den Sette Communi gebildet haben, in welch letztern, wie Schmeller sagt, sich der gemeine Mann Lesen und Schreiben nur italienisch denken kann. Es leitet zu dieser Annahme die Wahrnehmung, daß alle älteren Inschriften auf Häusern, Grabmälern etc. vom vorigen Jahrhundert an rückwärts deutsch oder lateinisch sind. Das Italienische hat sich erst in den letzten [444] Jahrzehnten gleiche Geltung errungen und eignet sich nun allmählich den Vorrang an.

Bemerken wir noch schließlich, daß jetzt die meisten Grödner Familien nicht deutsche, aber germanisirte Geschlechtsnamen führen. Nach dem ursprüglichen Gebrauch des Thales scheint man sich mittelst der Präposition de von den angestammten Höfen genannt zu haben und daher das adelige Aussehen mehrerer solcher Namen. So ist auch jener Johann de Metz, gesegneten Andenkens, der die Bildschnitzerei in Gröden eingeführt, eigentlich wohl nur ein Bauer vom Metzer Hof, und so steht’s ungefähr auch mit den de Laag, de Berto, de Suen etc. In neuerer Zeit hat man dieß vornehme de fast durchgängig aufgegeben, dafür hinten an den Namen ein deutsches er gesetzt und auch sonst noch einige Veränderungen angebracht, die dem deutschen Nachbar die Aussprache mundgerechter machen können. So sind die de Pecei (vom Tannenwald, Peceto) jetzt Pitscheider, Petscheider, Patscheider oder Bettscheider geworden, die de Larcenei (vom Lärchenwald) Lartschneider, die de Sotruf (von unter dem Bach) Sotriffen, die de Val bona (vom guten Thal) Wellponer, die al Doß (auf dem Bühel) Aldosser, und so sind auch die Peratoner, Gudauner und andere zu ihren jetzigen weltläufigen Namen gekommen.

In Enneberg ist’s so ziemlich derselbe Fall, doch machen sich die Leute daselbst auch wenig Bedenken, einen doppelten Namen zu führen, und mancher der sich in seinem Heimathsort da Saß oder da Punt nennen läßt, gibt sich, wenn er vors Landgericht kommt, für einen Steiner oder Brucker aus.

Indessen sind wir auch wieder zur Wanderschaft bereitet. Sämmtliches Rösselwirthshaus ist schon aufgestanden, ganz früh am Tage. Klausnerin und Grödner, die jungen Eheleute, machen, wie es Anfängern ziemt, bei all der guten Bedienung billige Zeche. Demnach auch wohlgewogener Abschied und auf die Bitte ein andermal, wenn man des Weges sey, wieder einzusprechen, die huldvollste Bejahung. Nach diesem greift man zum Stocke, schüttelt jede Hand, die dargeboten [445] wird und begibt sich auf den Weg ins Thal hinein über das Joch nach Kolfuschg.

Schöner, kühler Sommermorgen; thauige Mähder, freundliche Lichter in der wechselnden Thalsohle und ein Weg, der bald aufwärts, bald abwärts führt nach dem nächsten Dorf, kaum eine Stunde weit, wo aber doch wieder zugesprochen wird, um wenigstens eine flüchtige Bekanntschaft mit den Leuten von St. Christein zu machen. Im Wirthshause finden sich ein paar gesprächige Trinker, die wir aber nicht verstehen, und dann wieder eine Erscheinung wie zu Pufels auf der Höhe, nämlich die Bäckertochter von Urteschei, ein gar schönes Mädchen, hoh und hehr gewachsen wie Brunhild in den Nibelungen, mit den lieblichen Wangen von Gröden, reinlich und schmuck in dunkle Farben gekleidet. Die Jungfrau sah so gebildet und vornehm aus, als wenn sie nicht nur italienisch, sondern auch französisch sprechen könnte, trug aber einen Korb voll Brod auf dem Rücken und gebärdete sich so unschuldig und so einfach, als wenn ihr noch niemand zu wissen gethan hätte, daß sie eine grödnerische Schönheit sey. Wir richteten einige Fragen an das Mädchen, und darauf gab sie uns bescheiden und artig deutsche Antwort. Dann, nachdem die Wirthin mit dem Gelde für die Semmeln hereingekommen war und es ihr in die Hand gegeben hatte, zählte sie es nach, schob es ein und ging mit ihrem Tragkorb wieder um ein Haus weiter. Soll nach Aussage der Wirthin ein vorzügliches Mädchen seyn, brav, sittlich, gottesfürchtig und was sich sonst noch alles von einer Jungfrau rühmen läßt.

Von St. Christina gelangt man bald zum Schlosse Fischburg, das weithin scheinend in den tiefen Matten des Thales liegt. Zum Unterschied von vielen andern hat es ein sehr friedliches Aussehen, und gleicht eher einem weitläufigen Mayerhofe, als einer jener trotzigen Vesten an der Etsch. Weiter drinnen ist noch ein Dörflein, St. Maria, und links von diesem geht ein Thälchen ein zwischen himmelstürmenden Dolomiten. Darin sind an der schroffen Wand des hohen Stabiakopfes die angeklebten Trümmer der Burg von Wolkenstein zu sehen, die ehemals nur durch eine aus dem Felsen gehauene [446] Treppe zugänglich war. Hier in dem wilden verlornen Winkel des grausigen Gebirges, in dem unzugänglichen Horst steht die Burg, deren Namen so viele gefeierte Ritter und Herren trugen, und ihn im Vaterland, in deutschen und wälschen Landen bekannt machten. In ältesten Zeiten gehörte die Veste den edlen Maulrappen und von diesen ging sie im dreizehnten Jahrhundert an die Herren von Villanders über, welche ihren Namen von einem jetzt verschwundenen Schlosse ober Klausen führten. Konrad von Villanders, Burggraf zu Seben, nannte sich 1325 zuerst von Wolkenstein. Unter dieser Benennung blüht das Geschlecht noch jetzo in mehreren Zweigen. Zur Zeit Herzog Friedrichs mit der leeren Tasche hielt sich Oswald von Wolkenstein öfter selbstverbannt in dieser seiner Veste, um den Lauf der Zeiten abzuwarten. Oswald von Wolkenstein war überhaupt ein halber Grödner und im Krautwälsch erfahren wie einer, denn auf der nahen Trostburg geboren, verlebte er einen guten Theil seiner Knabenjahre unter den Bauern von Gardena. Auf seinen Ritterfahrten nach Italien, in die Provence, nach Spanien und Portugal fand er, wie es den spätern Schnitzlern ging, daß alles, was in solchen Ländern geredet werde, nichts anders sey, als ein verschieden aufgeputztes Grödnerisch. Mit dieser Sprache kam er auch in Aragonien recht gut durch und die schöne Königin scheint er gar wohl verstanden zu haben, als sie ihm mit Händlein weiß ein Ringlein in den Bart band und dazu die Worte sprach: Non may plus disligaides. *) Seine Ritterzüge lassen sich wie ein Vorbild ansehen, das [447] er den Grödnern für ihre Schnitzlerfahrten aufstellte, und wenn nicht so manches Jahrhundert verronnen wäre von der Zeit, wo er aus Wälschland zurückkam, bis zu den Tagen, wo die ersten Bilderkrämer aus seinem Thale über die Apenninen gingen, so könnte man sagen, an ihn knüpfe sich die Ueberlieferung, wie gebahnte Wege der Eingeborne von Gardena jenseits der südlichen Gebirge finde.

Der Langkofel ist ein schrecklicher Fels, der seine ungeheure Dolomitenzunge so hoch gen Himmel streckt, daß euch dabei fast ein Schauer anfällt. An seinen Wänden hängt kein Grashalm, viel weniger daß da eine Gemse klettern könnte. Auf dem Haupte trägt er eine weiße Decke. So unerklimmbar er von dieser Seite dasteht, so ist ihm aber doch von hinten beizukommen und wir haben mehr als einen Grödner gefunden, der von da oben herunter in sein liebes Thal geschaut. Bis jetzt hatten wir ihn vor uns gehabt, aber nunmehr trat er zur Seite, denn wir wanderten das Grödnerjoch hinauf, jäh und steil eine lange Zeit, bis es oben in hügeligen Wiesen endet. Dort empfingen uns wieder andre Felsgebilde, die ebenso starr und schroff den breiten Wiesgrund umstanden. Eine verlassene Sennhütte stand am Wege und in ihrer Nähe etliche junge Zirbelbäume.

Nicht weit von der Sennhütte und den Zirbelbäumen war auch die Wasserscheide, wo die Bächlein sich sondern und die einen gegen Abend rinnen ins Thal von Gröden und die andern gegen Morgen in die Abtei. Da sah ich noch einmal in die Alpenlandschaft hinunter, aus der ich heraufgestiegen war, in das bilderreiche Thal von Gardena. Freilich hatten sich jetzt die Berghalden vorgezogen, um die Dörfer am tiefen Bache zu verbergen, und nur einzelne Häuser und Hütten, die auf den Höhen herumlagen, blickten noch herüber. Unter diesen aber lagen St. Maria, St. Christina und St. Ulrich, die frommen Dörfer. Was für eine stille Kraft, dachte ich, wohnt in dem alten rhäto-romanischen Volke, das aus seinen Bäumen Millionen herausschnitzelte und seinen Namen bis in die neue Welt trug! Und doch, wie bescheiden und einfach und gutmüthig und menschenfreundlich sind diese Aelpler geblieben! [448] Und während ich dieß so in Gedanken hin und her drehte, entfuhren mir wieder die unvergeßlichen Worte: Dang longsch ie’l pa da tlo fin a Urteschei.

Wer sich nun auf die andre Seite dreht, der ist auch nach dem Schlern und dem Langkofel noch überrascht, wenn er über das Thal von Abtei hinaus die blendenden gezackten Firsten des Kreuzkofels gewahrt, der an starrer Größe, an ungethümer Zerrissenheit mit allen seinen Nachbarn wetteifert. Auch auf seinen Spitzen lag ein weißer Mantel und an seinen steilen Wänden hatten sich doch einzelne schräge Schneefäden angehängt. Unten im grünen Thale aber lagen in breiten Gerstenfeldern, Kolfuschg und Corvara, zwei niedliche Dörfer, doppelt freundlich anzusehen in der fürchterlichen Bergwildniß.

Kolfuschg, das zu deutsch Schwarzenberg heißen würde (col, fusc) blieb links zur Seite liegen. Wir schritten also gegen Corvara zu, das letzte Dorf im Enneberger Land, mit weitzerstreuten guten Häusern, mit Kirche und Wirthshaus, am Rande eines Wildbaches gelegen. Die Gegend ist voll guter Alpenweiden, liegt aber zumeist bis Georgi unter dem Schnee. In der alten Kirche ist ein gothischer Altar und ein schönes altes Bild darauf, die Enthauptung der heiligen Katharina vorstellend. Der Henker, der das blutige Geschäft verrichtet, ist ein stattlicher, schlankgewachsener Kriegsmann in höchst schmucksamer altdeutscher Kleidung mit weiten Puffen an den Aermeln und um die Hüften. Als den Meister dieses Bildes nennt man bald Tizian, bald einen unbekannten Schüler Albrecht Dürers; wenn’s aber von einem der beiden seyn muß, ist’s gewiß lieber von letzterem. Die anders Denkenden, und dazu gehören die meisten Leute des Thales, behaupten aber, der venetianische Maler sey durch schlimmes Wetter auf einer Winterreise in Corvara aufgehalten worden und habe da den Einwohnern dieses Angedenken hinterlassen. Auf dem Kirchhofe zu Corvara sind lauter neuere Inschriften in italienischer Sprache; nur eine ältere aus dem vorigen Jahrhundert ist deutsch und bezeichnet das Grab eines Herrn von Prack aus einem Geschlecht, das in frühern Zeiten in Enneberg ebenso berühmt war, als die Ritter von Wolkenstein im Gröden.

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Dem Bache nachgehend gelangten wir nach Stern, einem Weiler, der in der Landessprache la villa heißt. Es steht das Schloß Rubatsch am Wege, ein großes, festes Haus, das ehemals mit [Erkerthürmchen] gewappnet war, in einem Umfang von ungemein hohen Mauern. Die Edlen von Rubatsch sind aber schon lange weggezogen und jetzt wohnt in den ritterlichen Gemächern ein schlichter Bauersmann mit seinem fleißigen Hauswesen. Gegenüber der Burg Rubatsch, auf der linken Seite des Weges, steht ein anderes Haus, groß und stark gebaut, ehemals ein Sitz der Kolzen, deren Stammhaus übrigens zu Abtei ist, jetzt ebenfalls in den Händen eines bäuerlichen Herrn. Ein ansehnliches gothisches Portal ziert den Bau. Im Grödnerthale hat alle Maurerei den Charakter von gestern her; die Häuser scheinen alle neu und frisch; in Enneberg aber tritt das Altdeutsche überraschend hervor und der Wanderer trifft auf mächtige Thorbogen, auf spitzbogige Fenster, auf ragende Erker, die er sich sehr verwundert, hier zu finden.

Eine halbe Stunde von Stern liegt la Muda, welcher Name ein Dörfchen bezeichnet, das vordem sechs Häuser zählend hier gelegen, aber im Jahre 1821 durch einen Bergbruch zu Grunde ging, der vom östlichen Mittelgebirge sich ablösend, Saatfelder und Waldungen mit sich führend, langsam ins Thal herniedersank, einen fünfhundert Klafter breiten Schuttdamm aufwarf, sofort auch den Gaderbach anschwellte und dadurch den Sompuntersee entstehen ließ, der aber im Raume eines Decenniums wieder verlief.

Unterdessen ist schon lange der schöne spitze Kirchenthurm von St. Leonhard aufgetaucht und um ihn herum zeigen sich gute dreistöckige Häuser, auf grünen Auen zerstreut. Diese, von vielen Wasserrissen durchschnitten, ziehen in mannichfaltigen Hebungen an den Halden hinauf, die ein ehemaliger Bergbruch sind. Die Gebäude verrathen vielen Wohlstand, und wenn die Badioten arm sind, wie kaum zu läugnen, so lassen sie dieß wenigstens an ihren Häusern nicht vermerken. Allmählich hatten wir die ersten erreicht und bald setzten wir [450] uns bei Herrn Johann Franz Dapunt im Wirthshause jenseits der Kirche zur Rast.

Wir sind also in St. Leonhard oder wie man in der Thalsprache sagt Badia. Diesem wälschen Namen entspricht denn wieder auch ein deutscher, nämlich Abtei, welcher von einem ehemaligen Stifte der Templer herstammen soll. Uebrigens gilt der Name Badia im gewöhnlichen Gebrauche für das ganze innere Thal, etwa von der Pontatscher Schlucht angefangen, und die Einwohner dieser Landschaft heißen daher auch Badioten. Sie sind große Viehzüchter und die Gemeinde Abtei verkauft jährlich allein an fünfhundert Stücke Zuchtvieh. Hoch wird der Fleiß und die Aufmerksamkeit gerühmt, die der Landmann diesem Erwerbzweige schenkt. In seinen Ställen soll eine Reinlichkeit und Ordnung herrschen, wie man sie in seinen Stuben umsonst sucht, und die Sorgfalt für sein Vieh soll jene für sein menschliches Hauswesen weit überbieten. Was die andern Eigenschaften der Badioten und der Enneberger insgesammt betrifft, so zeichnen sie sich nach den Erfahrungen der Landeskundigen durch ungemeine Gutmüthigkeit, Geduld und Genügsamkeit aus. So arbeitsam und sparsam wie der Enneberger, sagt Hr. J. Th. Haller, ihr gewesener Landrichter, so duldend und zufrieden, so fromm und sittlich, so voll Zutrauen und Achtung gegen Seelsorger und Obrigkeit, so offen für Belehrung und bereit zum Gehorsame dürfte der Landmann nicht leicht anderswo wieder zu finden seyn. Freilich ist schwer zu errathen, wie damit Proceßsucht, Mißtrauen und Mangel an Gemeinsinn zu vereinigen, was ihnen doch auch in bewährten Büchern vorgeworfen wird. In den Familien waltet patriarchalisches Leben. Vater, Söhne und Schwiegertöchter mit zahlreichen Geschwistern und Kindern theilen friedlich Tisch und Wohnung. Seine heimathliche Sittlichkeit und Ordnungsliebe verläßt den Enneberger auch nicht, wenn er auswärts als Dienstbote oder im Heere dient; er ist eben so treu im Gesinde als brav im Kriegsdienste. Jenes milde, sanfte, fast süße Wesen habe ich zu allererst an dem guten Wirthe von St. Leonhard, dem genannten Herrn Dapunt, für mich abgenommen und zwar schon das einemal, als ich im Jahre [451] 1842 des Weges kam. Damals hatte er gerade einen reisigen Schuhmacher und andre Arbeit im Hause, ließ sich aber dadurch nicht hindern, recht freundlich und leutselig zu seyn, während die Wirthin und die Magd daneben mit Krapfenbacken für die Kirchweih beschäftigt waren und Topfen wie Spinat in die weichen Fladen legten. Diesesmal dagegen erschien der sanfte Wirth mit seinem singenden Vortrag sehr trübe gestimmt und als wir im Abenddunkel in die reinliche Stube getreten, begann er noch, ehe das Licht erschien, mit folgenden Worten zu sprechen: „Ach, heut bin ich so traurig! die Pusterer haben mir zwei Vettern erschlagen.“ Dieß war wenigstens zur Hälfte wahr, denn am Tage zuvor, nämlich an St. Matthäus, des Apostels Fest, hatte es im Wirthshaus zu Saalen, welches am Ende des Thales liegt, schlimme Händel gegeben zwischen den deutschen Pusterern und den wälschen Söhnen von Enneberg. Zwei der Letztern hatten vor allen den Nachbarn in Schimpf und Ernst viel zu tragen gegeben. Die Pusterer aber, nach badiotischer Angabe ihrer fünf oder sechs, liefen den beiden, als sie heimwärts gingen, den Weg ab, überfielen und schlugen sie, bis sie für todt liegen blieben. Der eine, ein hübscher fröhlicher Junge, der die Zither lieblich schlagen und dazu schöne Lieder singen konnte, der kam auch nimmer zum Leben, der andere aber erholte sich langsam wieder und wurde gerettet. Dieß ist ungefähr die Geschichte, die im Herbste des Jahres 1843 großen Eindruck im Pusterthale machte und mit verschiedenen Zusätzen und Abänderungen, je nachdem ein Deutscher oder ein Wälscher sie erzählte, vielfältig besprochen wurde. Es war leicht zu bemerken, daß sie Stammsache geworden und daß die Beurtheilung derselben von nationalen Antipathien nicht frei blieb. Die Enneberger sahen darin einen neuen Beweis des wilden feindlichen Sinnes der Pusterer, wußten nur Gutes und Treffliches von den zwei Landleuten zu sagen, und hatten keine Entschuldigung für das gräßliche Verbrechen; die deutschen Bauern an der Rienz aber meinten, es sey nicht so arg, da die beiden Ueberfallenen dieselben zwei zänkischen Wälschen gewesen, die in ihrem Uebermuthe schon so viele Händel angestiftet und überall gerne [452] mitgehalten, wo es zu Stößen gekommen. Nur die deutschen Mädchen gedachten mit Schmerz und Wehmuth des einen der Jungen, der so „fein“ gewesen, die Zither so schön zu spielen gewußt und so liebliche Lieder gesungen.

Es ist bekannt, daß sich an die gewaltigen Bergriesen der Thäler von Enneberg und Fassa jene ungestaltenden Bewegungen knüpfen, welche die Geologie in den letzten fünfzig Jahren zu einer neuen Wissenschaft gemacht. Hier pilgerte einst Leopold von Buch mit Hammer und Tasche herum und nannte seiner ungeahnten Ausbeute froh, diese Thäler den Schlüssel zur neuern Geognosie. Seitdem sind diese Wildnissen der Wallfahrtsort für alle geworden, die die Geschichte des Erdballs in seinen Gebilden studiren, und in dieser Wissenschaft sind die Thäler, die wir genannt, zu einem Ruhm und Ansehen gekommen, die ihnen kein andrer Erdenwinkel streitig machen kann. Wenn wir bei dieser Glorie nicht weiter verweilen, so geschieht es, weil denjenigen, welche sich darum kümmern, nur von Fachgelehrten etwas Neues gesagt werden kann, wir aber nicht zu den Adepten gehören. Ebenso bekannt ist es ferner, daß die Landschaft von Badia in ihren Eingeweiden außer einer Menge anderer seltener Mineralien einen Reichthum schöner kleiner Versteinerungen „von wunderbarer, allen Gesetzen der bisherigen Petrefactenkunde spottender Eigenthümlichkeit“ enthält. Es ist auch hier wieder ein wundervoller Zug der unerschöpflichen Natur des Landes, die, so wild und schauerlich sie in ihrem Zorn, doch ewig beflissen ist, den armen Menschen zu Hülfe zu kommen und ihnen neue Quellen des Wohlstandes zu öffnen, die dort, wenn der Bergsegen versiegt, Heilwasser auffinden läßt, hier statt der Zirbelbäume die Pectiniten und Ammoniten zu Ehren bringt. Es war des Wunders genug für die ungelehrten Badioten, als der Zug der Fremden ins Thal hereinbrach und nach jenen steinernen Dingerchen zu fragen begann, die sie bisher auf ihren Bergfahrten achtlos hatten am Wege gesehen, und als dann diese Fremden über solchen Tand sich des Entzückens nicht erwehren konnten und nicht anders thaten, als wenn sie diese Seltenheiten gern mit Gold hätten aufwiegen wollen, [453] falls sie ihnen nicht eher schon von den gutherzigen Aelplern geschenkt worden wären. Auch jetzt noch wissen diese sich nicht ganz in die Sache zu schicken und haben fortwährend ihre geheimen Zweifel an der Vernünftigkeit der Leute „die die Steine aufklauben und das Geld verwerfen.“ So hat sich denn im Zusammenspiele des Verdachts über den gesunden Menschenverstand der Petrefactenfänger, der nichts desto weniger aufblühenden Ahnung einer innern, mystischen, dem Auge der Eingeborenen unsichtbaren Kostbarkeit dieses scheinbaren Trödels, ferner der Voraussetzung großer Reichthümer auf Seite der wißbegierigen Pilger ein seltsamer Handelsbetrieb gebildet, der allerdings zu ungeschlacht ist, als daß er so sich lange halten könnte. Die einheimischen Sammler gehen nämlich in die Berge von Campill und St. Cassian, wo die Versteinerungen oder Curretsch, wie sie in der Thalsprache heißen, in unzählbarer Menge zu finden sind, füllen einen Zuber davon und bringen ihn mühsam nach Hause. Nun ist’s begreiflich, daß sie das kostbare Kleinod, das der Liebhaber einem Edelsteine gleich schätzt, von den alltäglichsten Erscheinungen nicht unterscheiden können, und da sie gleichwohl schon erfahren, daß nicht eines ist wie das andere, und überdieß auch schon gehört haben, daß mancher listige Reisende an den eingehandelten Schätzen in der Welt draußen das Hundertfache gewonnen, da ihnen alles dieß vor Augen steht und den Kopf verwirrt, so sind sie mit ihrem Thesaurus in großer Verlegenheit. Es ist immer die bange Furcht vorhanden, der fremde Kenner möchte ihnen die schönsten Stücke mit arglistiger Ruhe und Gleichgültigkeit herausnehmen, sie mit etlichen Groschen zufrieden stellen, und dann nichts überbleiben, als ausgesuchte, werthlose Waare. Um dieß zu verhindern und um sich also mit den guten Exemplaren auch die werthlosen bezahlen zu lassen, sind sie nun auf den Ausweg verfallen, ganze Zuber in Bausch und Bogen zum Verkaufe auszubieten, und dafür verlangen sie fünfzig bis achtzig Gulden Conventions-Münze.

Diese kunstlose Praxis hätte aber die einfachen Steinklauber von St. Leonhard leicht in sehr schlimmen Leumund bringen können, da sie dieselbe auch an Herrn A. Petzholdt, [454] dem reisenden Geognosten aus Sachsen, zu üben wagten. Es hält schwer zu sagen, schreibt er in den Beiträgen zur Geognosie von Tirol, den Gang von Picolein herauf nach St. Leonhard schildernd, was wir mehr bewunderten, ob die Größe, die Schroffheit, die wilde Zerreißung, die völlige Entblößung von aller Vegetation, oder die blendende, lichte Farbe dieser Dolomite, die von der Sonne glänzend beschienen, gegen den tiefblauen Himmel wunderbar abstachen. In ehrfurchtsvoller Scheu schritten wir voran, nicht ahnend, daß wälsche Heimtücke uns in diesen abgeschiedenen Thälern verletzend entgegentreten würde.

Aber noch am selben Tage, als man bei Herrn Dapunt wohl zwei Stunden lang anhaltend mit der Auswahl von Petrefacten beschäftigt gewesen und schon das Einpacken der ausgesuchten Dinge, die etliche Loth wiegen mochten, theilweise beendigt war, fragte man nach dem Preise und erhielt unter Lächeln die Antwort, daß man achtzig Gulden Conv. Münze bezahlen sollte und daß es gleich sey, ob man den ganzen Vorrath, oder das Wenige behalte, was ausgesucht worden. Es wurde dem Wirthe bemerkt, daß er das eher hätte sagen können, und als das Gebot von zehn Gulden Conv. Münze für das Ausgesuchte gemacht wurde (offenbar mehr als es werth war), ergriff er mit großer Ruhe die noch uneingepackten Petrefacten, schüttete sie in den Kasten zu den übrigen und mischte sie ihnen sogleich zu, mit den Händen alles sorgfältig durcheinander knetend, bei welcher [Mißhandlung] so schöner und zarter Petrefacten er den Reisenden näher ans Herz griff, als durch die höhnische Zurückweisung ihres Geldes.

Natürlich wurden alle weiteren Unterhandlungen mit ihm abgebrochen und man schied in gerechtem Zorne von ihm, während seine lächelnde Miene der Vorwürfe ungeachtet dieselbe blieb. Gleichwohl möchten wir hier weniger Böswilligkeit als jene fromme Einfalt sehen, die nicht recht weiß wie sie mit ihren Schätzen daran ist, und da Herr Petzholdt in der guten Absicht, die Nachkommenden vor der Arglist dieses wälschen Wirthes zu sichern, eine förmliche Warnung hat ergehen lassen [455] so finden wir uns gleichermaßen zur Beruhigung künftiger Reisender veranlaßt, diese Warnung wieder außer Wirksamkeit zu setzen, denn Johann Franz Dapunt hat vielleicht gerade seit jener Begegnung die ganze angeklagte Handelspolitik entschieden aufgegeben. Mein Begleiter, der sich auch um Petrefacten kümmerte, fragte nämlich alsbald darnach und da erschienen sie denn in Kasten und Mulden und auf hölzernen Tellern, und es zeigte sich, wie damals, die freundliche Bereitwilligkeit des Wirthes. Und als jener nach sorgfältiger Auswahl gerade vierundzwanzig Stücke sich gesammelt hatte – darunter vielleicht auch manches Exemplar das Herr Petzholdt erlesen – und nach dem Preise fragte, sagte der Badiote mit lächelnder Miene: Stück für Stück einen Kreuzer! und so bezahlte jener also vierundzwanzig Kreuzer Reichs-Währung für ungefähr dasselbe, wofür Dapunt damals achtzig Gulden Conventions-Münze verlangt und Herr Petzholdt und sein Reisegefährte zehn Gulden hatten geben wollen. So wird’s nunmehr mit allen gehalten; nur werden jetzt wahrscheinlich die Pilgrime nichts Besseres zu thun haben, als sich über diese anspruchlosen Preise recht kindlich zu verwundern, und dann vielleicht wird Dapunt in seinem Kopfe neuerdings irre werden und frische Tücken aussinnen, um die Petrefactenfänger recht höhnisch zu ärgern. Von der Zeit, wo er seine wälsche Praktik aufgegeben, bis zum heutigen Tag scheint er allerdings mit der Wissenschaft und ihren Vertretern im Frieden gelebt zu haben. Er weiß von vielen Herren zu erzählen, die ihm Curretsch abgekauft und behauptet, sein Gasthof gerathe in immer höhern Schwung da die Zahl der Reisenden alle Jahre zunehme. Insbesondere gedachte der Wirth mit Liebe des Herrn Professors Klippstein in Gießen, der schon manche Woche bei ihm zugebracht und ihm manchen Gulden schwer Geld zu lösen gegeben.

Uebrigens wollen wir hier nicht verheimlichen, daß der Bäcker zu St. Leonhard, der ebenfalls mit Curretsch handelt und der den genannten Reisenden nicht einmal seine Versteinerungen zeigen wollte, ehedem sie nicht den Kauf des ganzen Vorraths zugesagt, welch „dummes und brutales Ansinnen“ diese [456] sogleich zum Weggehen nöthigte, daß dieser Bäcker, wiederholen wir, noch immer auf seinem albernen Begehren besteht. Der erschien, als er im Vorbeigehen die Curretsch im Wirthshause klappern hörte, selbigesmal auch vor unserm Angesichte und meinte, seinige Versteinerungen wären erst die rechten und um die Kleinigkeit von fünfzig Gulden gebe er uns ein ganzes Faß. Auf diese sinnlosen Reden brachen wir aber rächend in ein schallendes Gelächter aus und nöthigten ihn dadurch schleunigst zum Weggehen. Wir hatten schon an unsern Reise-Hand- und Tagebüchern genug zu tragen und wußten nicht entfernt wie ein Faß in unsern Reiseranzen unterzubringen.

Ueber die Sprache von Enneberg wollen wir hier nur eine Nachlese halten. Der Enneberger scheint seinem Idiom weit weniger geneigt, als der Grödner. Unsere Sprache ist uns so hinderlich – heißt es – unsre Sprache ist uns viel entgegen; kommen wir hinaus zu den Deutschen, so verstehen wir nichts, mit den Wälschen haben wir nicht viel zu thun und auch in der Schule kann man nichts Rechtes lernen. Die Erklärung dieser Stimmung liegt in den Verhältnissen des Thales selbst. Die Enneberger haben nie wie die Grödner, große Handelsfahrten unternommen; ihr Blick in die Welt ging zu keiner Zeit weit über das Pusterthal hinaus und brach hinten kaum durch die Dolomiten, die sie von Buchenstein und Fassa scheiden. Die Nützlichkeit ihres Idioms konnten sie daher nie recht einsehen lernen, wohl aber fiel ihnen die Unverständlichkeit desselben in deutschen Landen und bei den deutschen Gerichtsverhandlungen zu St. Vigil sehr eindrücklich auf und es ist daher nicht zu verwundern, daß sie überhaupt der Meinung sind, es wäre viel besser, wenn sie alle von Kindsbeinen an deutsch sprächen. Die Männer thun dieß auch zum größten Theil, aber die Weiber sind noch lange nicht alle doppelsprachig.

Die Sprache von Enneberg ist übrigens nicht allenthalben ein und dieselbe, wie die von Gröden, sondern theilt sich wieder in verschiedene abweichende Mundarten, welche jedoch unter eine Hauptabtheilung fallen. Die örtliche Gränze bildet [457] der Maròbach, der bei Zwischenwasser in die Gader fällt. St. Vigil und Enneberg gehören daher zur einen Familie, die übrigen Orte des Thales zur andern. Der Dialekt der erstern soll der härtere, der der letztern der weichere seyn. Beide scheinen nach den Versicherungen der Eingebornen weiter auseinander zu gehen, als man es bei dem kleinen Umkreis des ladinischen Sprachgebiets und bei der gegenseitigen Nähe und den engen nachbarschaftlichen Verbindungen der Gemeinden wohl erwarten sollte. Als Schiboleth wird das Wort bezeichnet, welches lieb bedeutet (ie t’è tra dschang, ich habe dich sehr lieb – in Grödnersprache). Dieses lautet in der Abtei dschong, in St. Martin jong, in Wälschellen jang, in Enneberg jenn.

Mit der Schule und der Kirche wird es ungefähr gehalten wie in Gröden. In Untermoi, einem Bergdörfchen, das abgeschieden in einem Seitenthale liegt über welchem der gigantische Col de la Vedla aufsteigt, wird am letzten Tage des Jahres, am Sylvestertage nach altem Herkommen deutsch gepredigt, weil an diesem Tage bei Schnee und Eis eine große Kirchfahrt über die Jöcher aus dem Lüsenthale kömmt. Lüsenthal war früher auch der ladinischen Sprache zugethan und die große Kirchfahrt am Sylvestertage geht wohl in die Zeiten zurück, als noch diesseits und jenseits des Col de la Vedla das gleiche Idiom herrschte. Sonst zeigen die Enneberger Geistlichen viele Theilnahme an ihrem Krautwälsch und mancher scheint sich in Studien darüber eingelassen zu haben, die freilich bei dem Mangel der allernöthigsten Hülfsmittel immer etwas lückenhaft geblieben seyn mögen. Der Curat von Campill, einem Dörfchen, das links von St. Martin in einem Nebenthale liegt, soll ein besondrer Liebhaber des Ladins seyn und sich viele Mühe gegeben haben, es schreibbar zu machen. Dieß sey ihm auch so weit gelungen, daß einige seiner Schulkinder ganz artige Briefe und Aufsätzchen in ihrer Muttersprache verfaßt haben.*)

[458]

Das Klima von Badia und von Enneberg insgesammt ist kalt, der Winter lang, Sommerreif und frühzeitiger Herbstfrost *)[459] stellen sich gerne ein, in Folge davon Miswachs und schlechte Ernten – alles kein Wunder, wenn man bedenkt, daß St. Vigil *)[460] im Rauthal 3826, St. Leonhard sogar 4355 Wiener Fuß über dem Meere liegt. Die Landwirtschaft des Thales gehört daher nicht zu den gewinnreichen und was der schlechte Sommer und der kalte Herbst verschont, das geht jezuweilen noch durch Erd- und Bergbrüche zu Grunde. St. Leonhard selbst liegt wie es ist auf solchem von den Höhen herabgekommenen Schutte, ja es läßt sich gleich von dem ganzen Thalgebiete sagen, daß wie Unterägypten ein Geschenk des Nils, so die fruchtbare Scholle ein Geschenk der Schrofen, ein späterer Bergbruch ist. Solcher Erdabsitzungen sind noch immer viele zu befürchten und in manchen Bergrevieren ist der Boden bis auf den heutigen Tag in beständiger Unruhe, klafft und öffnet sich, wirft dicke Wülste auf, trägt ganze Felder hin und her und bedeckt mit Schuttlawinen Wald und Wiesen, so daß mehr als einem Hofe der sichere Untergang vorauszusagen ist. Die jetzigen Dörfer sind zum Theil auf Schuttablagerungen erbaut, welche die Ortschaften, die früher da standen, überdeckt haben; ja in St. Vigil erinnert nach dem Abendgeläute ein besonderer Glockenschlag die Einwohner, daß ihre Häuser in uralten Zeiten schon zweimal durch einen Abfall des nahen Kalkberges bei nächtlicher Weile begraben worden sind. Bebaut wird die Scholle übrigens mit dem größten Fleiß, und wenn auch der Landmann mit schweren Lasten überbürdet ist, so hält ihn dieß doch nicht ab, jedes Fleckchen zu benützen. Die Sümpfe werden durch gutangebrachte Wassergräben urbar gemacht, manche jäh ansteigende Berghalde mit unendlicher Mühe zum Ertrag gezwungen. Auf vielen Feldern kann kein Pflug, kein Zugthier die Arbeit des Landmannes unterstützen, und wird dann alles mit der Haue gearbeitet. Das abrollende Erdreich und selbst größere *)[461] Bergschlipfe, die zu Thal gegangen, werden in Körben oder durch Winden wieder an ihre Stelle geschafft, Futter und Garben auf dem Rücken in die Scheune gebracht.

Das Ennebergerthal ist also wild und rauh, aber für den Wanderer voll abwechselnder Ansichten, auch nur wenn er dem Bache entlang geht, obgleich er da von den mährchenhaften Ungeheuerlichkeiten, welche die Bergwildnisse zur rechten Seite in ihren Tiefen bergen, nichts gewahrt. Im hintersten Theile von Kolfuschg und Corvara bis St. Leonhard finden sich Räumlichkeiten, die sich dem Anbau gerne fügen, abwärts aber von der Abtei geht der Weg aus einem Tobel in den andern, bald am Bache hin, bald an der schwindelnden Wand. Nur hie und da tritt das Berggehänge zurück, und schließt dann den hügeligen Thalgrund ein, auf dem die freundlichen Dörfer stehen. Gleich nach St. Leonhard führt der Pfad durch die Schlucht von Pontatsch, eine waldige Enge, von nahen Bergbrüchen bedroht, die da zu Ende geht, wo der Bach aus dem Wengerthal in die Gader fließt. An dieser Stelle sieht man rechts in das schöne Thälchen hinein, das von einem Tausend wohlhabender Leute in reinlichen Höfen bewohnt und von den Nachbarn seiner sonnigen Lage, seiner ergiebigen Roggen- und Weizenernten und des schönen Mastviehs wegen fast beneidet wird. Es liegen da ferner verschiedene Häuserhäufchen am Bache und verschiedene Höfe auf den Höhen herum, rothbraune hölzerne Gebäude, die von der Morgensonne beschienen recht angenehm abstechen von den grünen Wiesen und den gelben Kornfeldern, denen sie zur Hut bestellt sind.

Nach diesem erreicht man den Weiler Preromang (Pratum romanum) und abermals am Ende einer waldigen Schlucht St. Martin, wenige aber ansehnliche Häuser auf grüner Anhöhe über dem Bache gelegen, mit großer Kirche. Auch dieses Dörfchen steht auf einem eingebrochenen Berge, der vor mehr als vierhundert Jahren die alte Niederlassung sammt ihrer Kirche begrub. Noch jetzo findet man im Boden häufig Menschengerippe und auf dem Pereswalde grub man aus dem Schutte die kleine Glocke, die nun im Kirchenthum hängt. Im [462] Wirthshause machte ich kurze Rast und begann vom Wirthe unterstützt wieder Sprachstudien zu treiben. Hier erfuhr ich, daß die Ladiner die Italiener insgesammt Lomberdsch heißen, die Lombarden. An einigen feiertäglich gekleideten Frauen die auf der Wallfahrt nach den Kreuzkofel waren und sich zur Fortsetzung derselben mit etwas Wein vorbereiteten, war abzunehmen, daß die Tracht der Weiber von der grödnerischen nicht viel verschieden ist, nur die Fatzelhaube hat wieder etwas andre Gestalt.

Oberhalb St. Martin auf grasreicher Halde liegt das Schloß Thurn an der Gader, ansehnliches zweistöckiges Haus mit wehrhaftem Thurme versehen, von kleinem Buschwerk lieblich umgrünt. Es war einmal der Sitz eines kleinen Gerichtes, das bis zum Untergange des heiligen römischen Reiches dem Bischof zu Brixen gehörte; angeblich ein übergebliebenes Stück der Schankung, welche Kaiser Heinrich III mit einer Grafschaft im Pusterthal im Jahre 1091 dem getreuen Bischof Altwin verehrte. Jetzt ist der strepitus judicii aus den alten Mauern gewichen und heutzutage sitzen zwei friedliche Bauern in dem Schlosse. Die andern Dörfer des Thales gehörten, außer Kolfuschg, das dem wolkensteinischen Gerichte Gufidaun untergeben war, dem Frauenstifte zu Sonnenburg, das draußen im Pusterthale liegt.

Das reiche Stift zu Sonnenburg entstand aber, als Ottwin, der Graf von Lurn und Pusterthal sein Gut unter seine vier Söhne vertheilt und einer davon, Volkold mit Namen, sich bedacht hatte, seine feste Suaneburc zu einem Frauenkloster nach der Regel des heiligen Benedicts zu weihen. Dieß geschah im Jahre 1018 und er schenkte nach freilich nicht ganz unbedenklichen Documenten der frommen Stiftung alles, was er im Thal von Enneberg zwischen Plaiken (Plaicha) und dem Salarpach (Salarapach) bei Kolfuschg besaß.

Die Unterthanen des Stiftes und des Bisthums hatten, wenn nicht die Milde der frommen Frauen oder der Kirchenhirten eintrat, der Lasten genug zu tragen. Grundzins, Zehenten, Kuppel- (d. i. Hunds-) Futter, Wasserprügel, Robot, [463] Jugendzins, Rauchfangzins und wie diese fröhlichen Dinger alle heißen, waren in solcher Reichlichkeit über sie ausgelegt, daß dem Bauer kaum der dritte Theil von den Früchten seines Fleißes übrig blieb und daran zehrten später nicht allein Bisthum und Stift, sondern auch andre Priesterschaft und das Ritterthum, so daß jetzt noch 171 solcher Berechtigten in dem Steuerkataster eingetragen sind. Aber auch ihr Leben war nicht allzeit in Sicherheit, denn wenn die Frauen von Sonnenburg mit dem Bischof von Brixen oder seinen Rechtsnachfolgern des Gerichts zu Thurn wegen Stöße hatten, so gingen sie meist an den gequälten Ladinern aus. So waren einmal im dreizehnten und vierzehnten Jahrhunderte die Herren von Schöneck als Lehensträger der Bischöfe im Besitze der Schlösser Thurn und Buchenstein und verfuhren mit den Unterthanen in so wilder Weise, daß die Aebtissin Dietmut, eine Landgräfin von Lienz, bei König Heinrich eine Klage erhob worin neben vielen andern Beschwerden über Räubereien an Vieh und Geld auch behauptet ward, daß Herr Paulus von Schöneck einem Mann des Gotteshauses den Fuß und seinem Schreiber die Hand abgehauen, daß Herr Nicolaus von Schöneck einen ehrlichen Unterthanen derselben Kirche gefangen, ihm Schatzung aufgelegt, und da er nichts erhalten, den Armen in siedendem Wasser verbrannt habe. Diese Klagen wurden so begründet gefunden, daß König Heinrich die ritterlichen Missethäter zu einem Schadensersatze von 16,000 Pfund Pfennige verurtheilte. Ein anderes Unheil brach im Jahre 1460 herein, als Nicolaus von Cusa, Cardinal und Bischof zu Brixen, die Stiftsfrauen von Sonnenburg mit dem Kirchenbann belegt, die Aebtissin Verena von Stuben ihrer Würden entsetzt und über alle Gilten, Gefälle und Einkünfte des Klosters die Sperre verhängt hatte, dieweil sich jene der von ihm versuchten Visitation und Klosterreform nicht unterziehen wollten. Die gebannten Stiftsfrauen thaten in diesem Jahre als wäre ihnen nicht viel am Fluche der Kirche gelegen und forderten von ihren Zinsbauern die Abgaben wie vorher. Die friedfertigen Ladiner kümmerten sich auch nicht um die Wirrniß, sondern zahlten ihren guten Gerichtsfrauen, was sie [464] sonst gezahlt hatten. Nun kam aber Herr Gabriel von Prack, des Bischofs Schloßhauptmann in Buchenstein, gen Enneberg. Auf den Knien betheuerten die armen Bauern ihre Unschuld, behaupteten nur ihre Schuldigkeit gethan und nichts Arges im Sinn gehabt zu haben, wollten gerne ins Gefängniß gehen und des Richterspruchs gewärtig seyn, aber es half nichts. Herr Gabriel schwang sein Schwert über sie, ließ sie sammt und sonders niedermetzeln und nach des Cardinals Befehl ihre Leichname den Vögeln der Luft zum Fraße aussetzen. Der Ritter von Prack gewann dadurch Ablaß seiner Sünden und einen vergoldeten Becher zum Geschenk vom hochwürdigen Kirchenfürsten. Die Aebtissin rief aber Erzherzog Sigmunden, den Landesfürsten von Tirol, zum Schutze auf und von dieser Zeit schrieb es sich her, daß die Grafen von Tirol auch von den Ennebergern die Huldigung forderten und die Hoheitsrechte über das Stift auszuüben anfingen, nicht ohne Einsprache der Fürstbischöfe von Brixen, welche die Aebtissinnen und die landesfürstlichen Commissäre in solchen Fällen noch etlichemal excommunicirten.

Es war ein altes Herkommen, daß die neuerwählte „gnädig gebietende“ Aebtissin sich von den stiftischen Zinsbauern huldigen ließ. Auf dem freien Platze zu St. Vigil vor dem Gerichtshause wurde eine Bühne aufgeschlagen und dort trat die Aebtissin, umgeben von den Frauen des Stifts und ihren Amtleuten, vor ihre Getreuen, und ließ sie schwören, ihrer „rechten und natürlichen Erbfürstin und Frau“ gehorsam und gewärtig zu seyn. Die Bauern auf der andern Seite begehrten dann von der gnädig Gebietenden Verwahrung vor neuen Lasten und Steuern und geriethen dabei, wenn die fürstliche Frau nicht mit ehrlichen Versprechungen zu Tage wollte, in großen Ungestüm, so daß seit dem Jahre 1732 die Huldigung lieber ganz unterlassen wurde. Dem Stift-Sonnenburgischen Gerichte Enneberg zu St. Vigil waren übrigens seit uralten Zeiten vier Männer mit dem Ehrentitel: Missier beigegeben, als Stellvertreter der Gemeinden Enneberg, Wengen, Abtei und Corvara und zur Besorgung der innern Verwaltung. Die Rechtshändel wurden vor die öffentliche Schranne [465] gebracht, welche nach alten Gewohnheitsrechten entschied, die im sechzehnten Jahrhunderte in die Feder verfaßt und verzeichnet worden sind. Das Verfahren, das da üblich war, mahnt an jenes, welches wir im Bregenzerwalde kennen gelernt.

Ueber dem Wasser bei St. Martin liegt der kleine Weiler Picolein, etliche zierliche Häuser, darunter zwei ehemalige adelige Ansitze und dabei eine Capelle. In dieser ist auf einem Seitenaltare dasselbe Gemälde zu sehen, wie in der Kirche zu Corvara. An den Wänden sind auf großen Tafeln die Wunder des heiligen Antonius angemalt: rechts die, welche er bei Lebzeiten, links jene, so er nach seinem Tode verrichtet hat – ein halbes Hundert recht sehenswürdiger Darstellungen. Unter den erstern ist auch die Fischpredigt nicht vergessen, und es nimmt sich sehr gut aus, wie die Geschwader der Fische, die in Reih und Glied sich aufgestellt, die naiven Häupter zum Wasser herausstrecken um das Wort Gottes zu vernehmen; unter den letztern hat mir besonders gefallen die Geschichte, wie der heilige Antonius einem bedrängten Factor aus der Noth hilft. Derselbe Factor, der seinem Herrn tausend Gulden schuldig gewesen, diese jedoch wieder bezahlt hatte, wurde nach dem Tode des erstern noch einmal darum angefordert, weil der Verstorbene vergessen hatte die Heimzahlung im Handlungsbuche zu bemerken. Der Factor rief nun in seiner Angst St. Antonium um Hülfe an, und der Heilige schaffte sie auch dadurch, daß er den todten Herrn, welcher verdammt war, vor die Pforten der Hölle beschied, um nachträglich die Quittung zu unterschreiben. Da steht nun, während die lebenden Erben im Comptoir disputiren, in der Ferne die Hölle offen und der arme, zu seinen Lebzeiten so vergeßliche Kerl, splitter nackt und rothgesotten wie ein Krebs, stellt am Eingang der Unterwelt die Urkunde aus, in Beiseyn des heiligen Antonius, des Factors und eines gluthäugigen Teufels, der mit der Feuergabel als Schildwache daneben paradirt.

Von Picolein steigt das Sträßchen in die Höhe und zieht dann oben an der steilen Halde des Plainsberges hin, so daß der stürmende Bach tief unten in der düstern Schlucht kaum mehr zu erschauen ist. Allmählich geht der Weg in schattigen [466] Lärchenwald ein und begünstigt ein träumerisches Lustwandeln, bis der Pilger auf der Höhe über Zwischenwasser, wo der Raubach in die Gader stürzt, aus dem Dunkel des Waldes hervortretend, jählings eine wundervolle Aussicht vor sich hat, zumal wenn er noch ein Stück über den Weg hinaufklettert. Da sah ich rechts ins Rauthal, wo aus fichtendunkeln Hügeln, die sich tief hinein in unbewohnte Wildniß verloren, gigantische Felsmassen, roth und blau, schier senkrecht aufstiegen, zwischen denen die Morgensonne ihre Strahlen seltsam gebrochen ins stille Alpenland hineinsandte, das noch Bären und Wölfe beherbergt. Die Häuser von St. Vigil steckten in leichtem blaulichem Duft, durch den sich die Rauchsäulen aus den Schornsteinen keck emporwanden. Ueber St. Vigil, dem Gerichtssitze, erhoben sich steile ragende Hügel, weitaus mit Korn bebaut und über sie hin zogen in geschäftigem Zug mit Roß und Pflug die ackernden Landleute bis ganz nahe an die Wälder hinauf, die ihre langen Schatten über diese Vorberge warfen. Auf einsamer Höhe liegt St. Maria, „die Pfarre,“ mit schönem gothischem Kirchthurm und ein paar bedeutsamen Häusern, wovon eines, ehedem ein adeliger Ansitz, jetzt ein Wirthshaus ist. Auf einer andern nahen Halde, auch rings umgeben [von] steilen Kornfeldern, prangt die Burg Asch, das Stammhaus der Ritter von Prack, ein dreistöckiges, hochgiebeliges Haus, mit vier Eckthürmen wohl bewehrt. Und wieder nicht weit von Asch zeigen sich auf steinichter Wand Kirche und Häuser von Plaiken. So ist die Gegend diesseits des Baches. Ueber dem allem aber, hoch oben auf dem steilen Gehänge, wo breite Ackerflächen mit finstern Wäldern abwechseln, ist die Kirche von Wälschellen hingeheftet, sammt den weitzerstreuten Häuschen, die sich am schwindelnden Berghang mühsam zu halten scheinen. Ueber diesem Hochlandsdörfchen steht roth und weiß, zerrissen und zerklüftet, steil und überhängend der Col de la Vedla, der Berg der Vettel, ein grauses dolomitisches Ungethüm, das aber dennoch vom Peitlerkofel, der hinten im schönen Seitenthälchen von Untermoi aufschießt, noch an Höhe und an Wildheit übertroffen wird. Diese beiden Hörner, der Col de la Vedla und der Puthia [467] stehen nahe beisammen und einer schaut grimmig auf den andern – es ist als ob sie so zusammengestellt seyen, damit sie sich ewig in ihrer Schauerlichkeit messen sollten. Das sind die Aussichten, die jene Berghöhe über Zwischenwasser in der Nähe bietet, eine farbenreiche Mischung, aber ihrem Zusammenscheine nach fast etwas ins Wilde schlagend, da die freundlichen Auen und Felder gegen die Schrecken der Dolomitgebilde nicht aufkommen können. Eben deßwegen ist’s eine erfreuliche Zuthat, daß der Blick auch an dem Gaderbach hinausgeleitet wird und über den rothen Thurm von Ohnach ins Hügelland des Pusterthales fällt. Und über den Hügeln des Pusterthales steigen die Berge des Pusterthales empor und über diesen tauchen in schneeweißem, eisigem Mantel die Ferner auf, die hinten im Zillerthale liegen, der Nefeser und der Zemer und andere weiße Spitzen, die gegen die Krimmlertauern ziehen. Die sanften breiten Formen dieser Schneeberge wirken beruhigend auf den Beschauer, den das Jähe, Unheimliche der Enneberger Hörner aufgeregt hat. Wenn er da mehrere Tage in Gröden oder Abtei gesessen ist, so verbindet sich damit vielleicht auch eine leise Freude wieder ins Gebirgsland zu kommen, das ihm heimathlicher ist, aus den rauhen Thälern, in welche die ladinischen Dolomiten unruhig hineinragen, in die zahmern, die die schneeigen Gipfel deutscher Berge umgürten.

Bedauerlich war es uns, daß wir nicht Zeit hatten nach Enneberg oder St. Maria hinüber zu steigen, um nach dem Tanzstadel, dem „Pajung" zu fragen, der zur Zeit, als Haller schrieb, noch vorhanden war. Es war ein uralter Gebrauch weit und breit in den rhätischen Alpen, daß sich jede Gemeinde ihr Tanzhaus erbaute, welches zugleich als Gedingstätte diente. So haben wir’s im Bregenzerwald gesehen, wo der Landammann auch im Tanzhause nieder saß, um Gericht zu halten, so ist es von vielen andern Gemeinden überliefert, und so ist’s auch da gewesen, wo jetzt keine Ueberlieferung mehr im Munde der Alten ist. Wo der Landmann sich sein Recht holte, da wollte er sich seine Freude holen und die Halle, wo sich die fröhliche Jugend und die rüstige [468] Mannheit im Ländler gedreht, schien gut genug für die ernstlichen Verhandlungen über Streit und Span. „Ein öffentlicher Tanzstadel gehörte so wesentlich zum Gemeingute der Ortschaft, wie jetzt Kirche und Schulgebäude.“ Mit älplerischer Einfachheit war er jeder andern Dreschtenne ähnlich; in der Mitte stand eine runde Säule, welche bis ans Dach reichte. Nicht nur bei Hochzeiten sondern an allen Sonn- und Feiertagen, die im Kalender stehen, zog das Volk dem Tanzboden zu, um selbst sich zu schwingen oder dem muntern Reigen zuzusehen. Unverwüstliche Alpennatur, die den armen Ladinern, welche an der Unfruchtbarkeit ihres Bodens, an Steuern, Abgaben und Frohnen fast erlagen, noch so viele Lebenslust übrig ließ, um am Sonntage sich zu freuen und der Kümmernisse der Werktage zu vergessen! Es galt als ein Ehrenvorzug, bei solchen Tänzen den ersten Reigen zu eröffnen. Ein Mann des Vertrauens, welcher der Platzmeister hieß, war der Unterhaltung vorgesetzt. Seines Amtes war, die Spielleute zu bestellen, das Volk geziemend zum Tanze zu laden und über Ordnung und Anstand zu wachen. Ein großer Hut mit ungeheuern Flügeln und winzig kleinem Kopfe, reichlich bebändert und mit Troddeln geziert, war das Zeichen seiner Würde.

„Diese Volksbelustigung, sagt unser Gewährsmann ferner, scheint sich bis in die Mitte des vorigen Jahrhunderts erhalten zu haben. Alte Männer einer jüngst vergangenen Zeit erinnerten sich noch der letzten Platzmeister. Mißbräuche und die Einwirkung geistlicher Behörden mögen zu ihrer Abstellung Grund und Veranlassung gegeben haben. Die Tanzstädel machten allmählich nützlicheren Gebäuden, Schulen und Wohnhäusern Platz und von der alten Sitte blieb endlich nichts mehr, als das Andenken und die Vorliebe für diese Unterhaltung übrig.“

Ein Nachklang der alten lärmenden Tanzlust hat sich noch bei den Hochzeiten erhalten. Verwandte und Nachbarn werden dazu in großer Anzahl geladen und es wäre sehr feindselig die Ladung auszuschlagen. Auch Seelsorger und Richter dürfen nicht fehlen, und an sie ergeht ein feierliches [469] Aufgebot zum Mahle. Die Hochzeiten werden meistens im Winter gefeiert und so gleiten die Gäste in prächtig bespannten Rennschlitten heran, mit Geschirr und Zeug, das wegen seiner Kostbarkeit als Familienkleinod vom Vater auf den Sohn vererbt wird. Nachdem die Trauung in der Kirche vorüber, geht der Zug ins Wirthshaus zum Tanze. Dort warten schon vor dem Thore die mit Kränzen und weißen Schürzen geschmückten Mädchen auf die Jungen, welche sie wählen und zum Tanze führen sollen. Gerade so wird’s bekanntlich auch in Bayern, im Gebirge wie in der Ebene gehalten und gilt nirgends als eine Versündigung gegen den Anstand. Ueberhaupt scheint der Tanzstadel in Enneberg und alles was damit zusammenhängt, ein deutsches Gewächs zu seyn, das vom Pusterthale aus in die günstige ladinische Luft hinein rankte.

Die Ritter von Prack, deren Stammburg jenes Asch bei St. Maria ist, waren seit alten Zeiten begütert im Enneberger Thal. Jenes hartherzigen Gabriels von Prack haben wir schon gedacht, wir müssen aber noch des kühnen Ritters Franz Wilhelm Prack zu Asch erwähnen, der der Nationalheld der [Enneberger] geworden ist. Sie erzählen viel von ihm, und nach ihren Mähren hatte er lebenslänglichen Unfrieden mit den Kolzen, war dabei ein trefflicher Armbrustschütze und verwegener Reiter. Einmal sah er von der Burg zu Asch aus einen der Kolzen aus dem hohen Plaieswalde heranreiten, spannte schnell den Bogen und schoß über das Thal hinüber in ungeheure Ferne gegen den Todfeind. Den traf nun zwar der Bolzen nicht, aber der Sattelknopf erklang von seinem Anprall. Ein schönes Wagstück gelang ihm einst, als er mit den Ampezzanern Fehde hatte. Damals machte er einem Fräulein den Hof, das auf dem Schloß zu Peutelstein verweilte. Eines Tags hatten nun die Ampezzaner, um ihm den Heimweg zu verlegen, die Brücke abgetragen, die über den schauerlich tiefen Abgrund der Tavernanza führt. Franz Wilhelm von Prack ritt seiner Liebe froh des besten Muthes von Peutelstein herab und kam an den Wildbach, sah aber keine Brücke mehr, sondern einen Haufen Bewaffneter, die [470] hinter ihm drein jagten. Er hatte nur die Wahl zwischen Gefangenschaft und dem ungeheuern Sprung. Da riß er sein Roß zurück, gab ihm die Sporen – das edle Thier setzte über die Schlucht, erreichte mit den Vorderfüßen den jenseitigen Felsen und arbeitete sich mit den hintern glücklich an der Wand hinauf. Als der Reiter wieder auf festem Boden war, stieg er ab, küßte dem Lebensretter die Füße und ritt im Angesichte der Ampezzaner, die rathlos auf der andern Seite standen, hohnlachend davon. Sein Leben endete am 7 Februar 1582 auf dem Felde bei Corvara, wo ihn seine Todfeinde Johann und Caspar Anton, die Kolzen, ermordeten.

Von Zwischenwasser geht das Sträßchen wieder steil in die Höhe und führt nach Pelfrad, dem Wirthshause, welches die Gränze der ladinischen Sprache ist. Der nächste Weiler ist Saalen, auch mit einem Wirthshause versehen, in welchem vor drei Jahren der Streit entstand, welcher den Tod des zitherkundigen Ennebergers zur Folge hatte. In Saalen ist alles pusterthalisch, Sprache und Art der Leute, wie auch die gelben Röcke mit dem breiten schwarzen Querbande, und die spitzigen, breitgekrämpten Hüte, welche die Weibsbilder tragen.

Von Saalen an verliert die Landschaft das Wilde und Großartige, das sie bisher an sich getragen, der Blick geht ins Weite, in die schöne Fläche des Pusterthals hinaus. Das Schloß Michelsburg, mit drei streitbaren Thürmen wehrhaft prangend, erhebt sich zur rechten Hand auf einem einzelnen Felsen, der bald steil abschießend, bald in sanften Abhängen sich ins Thal herniederläßt. Einzelne Kammern der Burg sind wohl noch bewohnt, denn es gehen reinliche, weiße Zierstreifen um die Fenster, die mit Blumenstöcken geschmückt sind, und in diesen Gemächern wird wahrscheinlich der Bestandsmann wohnen, den der Graf Künigl in dem Schlosse hält. In der Ferne erscheint das stolze Schloß von Brunecken mit seinen rothen Dächern, Stegens spitziger Kirchthurm, Dietenheim mit seinen ritterlichen Schlössern. Darüber hin öffnet sich die Schlucht des Tauferer Thales, von dessen innerer Höhe das Dorf Achornach aus einer Ferne von vier Stunden weit herunter blickt. In der Nähe verleihen mehrere bewaldete [471] Bühel der Gegend angenehme Abwechslung. Zwischen zwei solchen Anhöhen ist das verfallene Stift von Sonnenburg zu sehen, das auf ragendem Felsen über der Rienz liegt, einst stolz, reich und prächtig, jetzt, seitdem es Kaiser Joseph 1785 aufgelöst, gebrochen und zerfallen, als wenn das Verderben von Jahrhunderten darüber hingegangen wäre.

In diese Gegend kommen wir übrigens ein andermal, wenn wir vom Krimmlertauern durch das Ahrenthal herniedersteigen und in Brunecken Rasttag halten. Jetzt gehen wir wieder nach St. Leonhard zurück, um über Valparola nach Buchenstein zu wandern.

Es war ein schöner Abend, als ich von St. Leonhard dem hohen Ufer des Gaderbaches entlang zumeist über Wiesen hin nach St. Cassian ging, rechts von der langen senkrechten Wand des Kreuzkofels, der von der untergehenden Sonne beschienen, wie eine rothglühende Himmelsmauer aus den grünen Abhängen aufstarrte. Eine saubere Dirne war meines Weges, konnte mir aber sehr wenig mittheilen, da sie nur dürftig deutsch sprach. Sie suchte sich deßwegen, so gut es gehen wollte, zu entschuldigen und schien ihre Ungeübtheit in deutscher Zunge als etwas zu betrachten, was ihr bei ihrem Alter – von siebzehn Frühlingen – nicht ganz gut anstehe.

In St. Cassian fand ich sehr freundliche Aufnahme beim Curaten. Er ist ein geborner Enneberger und einer von jenen ehrenwerthen Männern, die sich mit Forschungen über ihre Muttersprache beschäftigen. Deßwegen legte ich auch mit meinen, obwohl sehr kurz gefaßten Kenntnissen im Ladin viele Ehre bei ihm ein. Das freundliche Gespräch, in das wir darüber geriethen, hielt uns bis gegen eilf Uhr beisammen.

Vom Herrn, der mich die Nacht beherbergt, hatte ich mich danksagend beurlaubt; ehe ich aber erzähle, was sich weiter begeben, muß ich noch der Sage Erwähnung thun, welche zu Wengen und St. Cassian von den vorzeitlichen Wilden erhalten ist. An beiden Orten findet sich nämlich ein Bach, den die Eingebornen Rü de gannes*) nennen, den [472] Bach der Wilden. Diese Urbewohner hielten sich laut der Ueberlieferung in Wäldern und Felsenklüften auf dem Kreuzkofel zusammen, ohne Gesittung und fast ohne Sprache. Wildpret, Kräuter und Wurzeln und was sie etwa von den christlichen Nachbarn empfingen, war ihre Nahrung. Nur bei der grimmigsten Kälte, oder wenn Hungersnoth unter ihnen eingerissen war, kamen sie zu den höchst gelegenen Häusern herab, wärmten sich am Feuer, nahmen die Gaben, um die sie nie baten, und entfernten sich eilfertig wieder, ohne je eine Nacht unter Dach zu bleiben. Sie beleidigten Niemand, rächten sich aber grausam, wenn sie beleidiget wurden. Wie sie sich verloren, weiß die Sage nicht anzugeben. Es ist interessant, sagt Dr. Staffler, daß derlei Erzählungen von wilden Menschen sich auch in andern Gegenden Tirols wiederholen. Man würde nicht übel thun, sie zu sammeln; mir ist sonst nur noch die Sage von jenen Riesen bekannt, welche auf Schloß Tirol gehaust. Da wir einmal an unheimlichen Dingen sind, so kann auch erwähnt werden, daß sich in Enneberg und zumeist in der Gemeinde Wengen ein Berggeist findet, welcher Orco genannt und nicht unbillig mit Rübezahl im Riesengebirge verglichen wird. Er ist bösartig und gefürchtet. Verschiedene Mähren von ihm sind bei Staffler nachzulesen. Ueberhaupt scheint das Sagenwesen hier noch in blühendem Zustand zu seyn.

Also von St. Cassian weiter schreitend, der Alpe Valparola zu, bewundern wir zuerst noch die schönen, gemauerten, zweistöckigen Höfe, die hier herum auf den Bergwiesen zerstreut stehen, und vertiefen uns dann immer mehr in die Alpengegend, die sich gegen den Fuß des Joches hinzieht. In einer Stunde sind wir bei den Trümmern der alten Hochöfen, die ehemals hier betrieben, aber schon vor langer Zeit aufgegeben worden sind, da man es für vortheilhafter *)[473] hielt, die Wälder abzutreiben. Demnach stehen jetzt nur noch geschwärzte Mauertrümmer einsam in dem lichten Föhrenhaine, und wo ehemals die Knechte früh und spät den Brand nährten mit geschäftiger Hand, da herrscht zur Zeit die tiefste, schweigsamste Waldeinsamkeit.

Nicht weit dahinter liegt eine Alm, wo mehrere Hirten aus dem Pusterthale ihre Sommerfrische halten. Die Hütten sind geringer Art, aus Balken kunstlos zusammengelegt. Einer der Sennen nahm mich gastlich auf, gab mir Milch und Käse und sträubte sich nach einem allmählich erlöschenden Herkommen eine Bezahlung anzunehmen. Glücklicherweise war er ein Tabakraucher, so daß ich ihm durch ein paar Cigarren meine Dankbarkeit bezeigen konnte.

Von dieser Niederlassung erhebt sich der Weg steiler aufwärts durch den Wald und dann über freie Wiesen auf das Joch, welches in einer Stunde zu erreichen ist. So leicht man auch hinauf kömmt, so ist es doch oben so jochartig als irgendwo.

Zu beiden Seiten Dolomitenwände, deren Fußgestelle mit Edelweiß bewachsen sind, und eine prächtige Aussicht. Rückwärts ins Thal der Abtei geht sie, wo die Gemeinde St. Cassian ihre schmucken Häuser über die lieblich grünen Wiesen ausgestreut hat, überragt vom Kreuzkofel, eingeschlossen von düstern Felsen, zwischen denen das Auge gleichwohl hinausfindet bis auf die Zillerthaler Schneeberge. Gegen Mittag aber breitet sich vor dem Blicke eine Dolomitenwirthschaft aus, wie sie kaum noch ärger zu finden. Wer sich hier noch vor dem letzten Schritte auf das Joch das freundliche Thalgelände von St. Cassian betrachtet, das trotz seiner wilden Umgebung so milde abgeglättet, bebaut, mit Häusern besetzt, mit seiner weißen Kirche geziert ist, um die sich die Höfe schaaren wie die Küchlein um die Henne, wer dann, das Auge voll angesogen mit dieser grünen Lieblichkeit, auf die Wasserscheide tritt und gegen Mittag schaut, der muß fast erstarren ob dieser schauerlichen Wildheit. Da ist über die ersten Flächen des Abhangs weg weit und breit kein Grün mehr zu sehen, aber überall bis in die fernste Ferne hechelmäßig [474] aufgeschossene, ragende, schroffe, senkrechte Zinken und Hörner, aus denen sich wieder andre, schwarze, ungethüme Stifte hervorschieben und sich kreuzschnabelartig über einander legen – alles anzusehen wie Masten, Planken und Latten aus dem Schiffbruch einer Welt. Von Wiesen und Feldern keine Andeutung, noch weniger von Häusern. Es vermehrt den feierlichen Ernst der Landschaft, daß sich etwas unter dem Joche auch noch die Aussicht auf ein Schneefeld einstellt, das zur Rechten aufzieht, weiß, schön und still.

Abwärts geht es zunächst durch dünnes Gehölz, das mit vielen großen und kleinen Felsstücken durchwirkt ist, dann aber eben und glatt über Wiesen, bis man zuletzt vor dem Schlosse Buchenstein steht. Dieß ist eine herrliche Burg, innerlich zwar verlassen und verfallen, aber äußerlich noch ganz in alter Würde. Sie steht neben dem Thalwege und ist auf einem vereinzelten schroffen Felsenblock seltsam hingemauert, so nämlich, daß sie gegen Norden eine schöne Fronte hat, während auf der Südseite das Gestein fast bis in die Mitte des Gebäudes hinaufreicht. Eine Ringmauer zieht sich um den Fuß desselben herum und der Zugang zu dem Hauptthor geht über einen tiefen Graben. Hat man die Burg betreten, so führt rechts eine Treppe zum Burgverließ, links die große Stiege ins Schloß. Zuerst kommt man an die Pforte der Capelle, die zwar halb verfallen ist, aber noch manches Ueberbleibsel alter Zier zu schauen gibt. Eine andere Treppe führt zu einer eisernen Thüre, hinter der eine Zugbrücke im Innern den Weg zur Wohnung des Schloßhauptmanns bildete, so daß sich ein hartnäckiger Befehlshaber noch in seinen Wohnzimmern vertheidigen konnte, wenn die Burg schon über war.

Die Herrschaft Buchenstein kam an das Bisthum Brixen im Jahre 1091. Die Bischöfe gaben sie dann verschiedenen Edeln zu Lehen und kamen erst im Jahre 1426 wieder in den unmittelbaren Besitz. Seit dieser Zeit bis zum Jahre 1803, wo das Hochstift säcularisirt wurde, zählt die Chronik in der Burg fünfundvierzig Schloßhauptleute, darunter Männer aus den vornehmsten Geschlechtern des Landes. So lange solche Insassen darin walteten, mag sie wohl sehr wohnlich eingerichtet [475] gewesen seyn. Auch die Bischöfe klopften oft in unruhigen Zeiten unerwartet an des Schlosses Pforte und überwetterten da, bis die Luft zu Brixen wieder heiter war. Seitdem aber der letzte Schloßhauptmann ausgezogen, hat man die Burg ihrer besten Geräthschaften und ihres Archivs beraubt, letzteres wie es scheint zerstört, und das Gemäuer der langsamen Vernichtung hingegeben. Bei den Eingebornen heißt es Castel d’Andraz, und es gehört jetzt der Familie Faber im nahegelegenen Cernadoi, welche das Gebäude sammt Bauerschaft unter der bayerischen Herrschaft um 18,000 fl. gekauft hat. Man versichert, sie hätte damit eine sehr gelungene Speculation gemacht, da vor ein paar Jahren 20,000 fl. allein aus verkauften Waldungen gelöst worden seyen. Es ist übrigens fast seltsam, daß die Burg, obgleich sie schon weit drinnen in Wälschland liegt, noch einen so guten deutschen Namen führt und diesen auch auf die Gegend übergetragen hat. Der Adel dieses abgelegenen, durch keinen Fahrweg erreichbaren Hochlandes scheint aber auch deutschen Ursprungs gewesen zu seyn. So wird im Jahr 1296 eine Domina Agnesa vidua Conradi de Corte de Livina longa cum filiis suis Meinle, Wilhalm et Conrad erwähnt und es erhellt aus den Taufnamen der Kinder, besonders aus jenem Meinle, der wohl dem Grafen Meinhard von Görz nachgetauft ist, daß in der Familie deutsch gesprochen wurde. Auch unter den Pfarrern waren in älteren Zeiten viele Deutsche.

Ehe nun das Dorf Andraz erreicht wird, ist es Pflicht den Leser aufmerksam zu machen, daß wir abermals in ein neues Sprachgebiet treten, und zwar ins Fodomische. Das kleine Landgericht Buchenstein wird nämlich von dreitausend Aelplern bewohnt, welche von ihren wälschen und krautwälschen Nachbarn in Fassa, Gröden, Enneberg und Ampezzo Fodomi genannt werden. Dr. Staffler behauptet nicht unwahrscheinlich, dieser Name erkläre sich aus Feud’uomini, und beziehe sich auf die Lehensverhältnisse, in welchen die Buchensteiner früher zu den Bischöfen von Brixen standen. Sie selbst nennen sich nicht mit diesem Namen, hören ihn auch nicht gerne von andern. Wenn sie weiter über die italienische Gränze gehen, [476] etwa nach Belluno oder Feltre, so müssen sie sich gerade so gut wie die Grödner und Enneberger Tedeschi nennen lassen; ein Schicksal, das auch jedes Trientiners wartet, der nach Verona kommt. Ihre Sprache bildet den Uebergang aus den ladinischen Dialekten in jene Mundarten, die man dem Italienischen zurechnet, wie z. B. den Dialekt von Fleims oder den von Belluno, und insofern steht sie in gleicher Linie mit dem Idiome von Ampezzo, das gegen Aufgang an der neuen Straße von Pusterthal nach Italien liegt.

Nach dieser Vorbereitung nähern wir uns dem Dorfe Andraz, über hügeliges, seltsam verdrehtes Land, aus dessen Feldern noch manches Felsstück aufragt, das ein Castel d'Andraz tragen könnte. Die Leute waren mit der Roggenernte beschäftigt, denn das Klima ist hier bei weitem nicht so rauh, wie enthalb des Joches in der Abtei. Das Dörfchen durchwandelnd betrachtete ich mit vielem Interesse, obgleich nur der Race wegen, die Mädchen, die an den Brunnen heute zahlreich wuschen und bemerkte darunter manches blondhaarige Köpfchen und einmal unter einer Hausthüre drei Stumpfnäschen beisammen, wie man sie nur in Deutschland zu sehen gewohnt ist. Die Wohnhäuser unterscheiden sich nicht merklich von den in deutschen Thälern üblichen und sind zum Theil von Stein, zum Theil von Holz.

Von Andraz geht der Weg hoch am Tobel hin, mit einer herrlichen Ansicht der Giuitta, eines ehrwürdigen Schrofens, der zerrissen und zerklüftet im Thale links emporsteigt, fast symmetrisch von beiden Seiten zur schöngestalteten Spitze hinaufziehend. Zu seinen Füßen liegt tief im hintersten Winkel des Thales der See von Alleghe, hellgrün hervorblitzend zwischen dunkeln Wäldern. Zur rechten Seite dagegen fängt ein Ferner an aufzutauchen und entfaltet sich bald in voller Pracht. Es ist die Marmolata, links von der Etsch der südlichste der tirolischen Gletscher. Darauf ist vor vierzig Jahren ein Geistlicher mit seinem Hündchen in eine Eisspalte gefallen und nicht wieder, weder todt noch lebendig, ans Tageslicht gekommen. Er liegt noch steif gefroren unten in der unterirdischen, eisigen, blauen Todtenkammer, und die verborgenen [477] Fernerbäche sausen noch um das erstorbene Haupt, das sie einst in den schrecklichen Tod einlullten.

Buchenstein, das Dorf, die Pieve di Livinalongo, wie die Eingebornen sagen, der Sitz des Landgerichts, liegt gebieterisch auf dem Vorsprunge eines Abhanges, gegenüber von hohen schön bewaldeten Bergen, links die Aussicht auf die Giuitta, rechts der Blick gegen Varda hin, das in lieblich grüner Schlucht liegt – mitten durch die Landschaft und gerade unter dem kleinen Dorfe vorbeiziehend eine schauerliche stundenlange Kluft, durch welche der Cordevole dahin strömt. Von ebenen Plätzen ist hier nichts zu sehen, überall steigende Felsen und schwarze Wälder. Nur die Halde um das Dorf her prangt mit Wiesen und Kornfeldern und verliert sich oben hinauf in steilen Waldhang, gegen unten in jähen Absturz zum Wildbache. In dieser Tiefe ist ein schöner Wasserfall. Die Kirche hat einen alten, mit romanischen Säulenfensterchen gezierten Thurm, welcher sieben Glocken trägt, die einen besonders schönen Klang erschallen lassen, und zwar deßwegen, weil die Weiber einst ihre Ringe von Gold und Silber in die Glockenspeise geworfen haben sollen. Das Dorf besteht aus einem Duzend Häusern, worunter drei Gasthöfe. Das besuchteste, am meisten herrenmaßige ist das des Herrn Vinazers, der ursprünglich aus Gröden eingewandert ist und die Gäste nach Kräften und sehr billig bedient. Der Wein, der hier getrunken wird, kommt von Bassano, ist von guter, starker Beschaffenheit und einer dunkeln lockenden Goldfarbe. Auf dem Platze steht ein großes, graues, alterthümliches Giebelhaus, das stattlichste des Dörfchens, mit mittelalterlichen Fenstergittern von oben bis unten; dieß ist der Ansitz der Sisti von Sisthofen. Man muß nämlich nicht glauben, daß Buchenstein, das abgelegenste Gerichtchen in ganz Tirol, nicht auch seine vornehmen Herren gehabt; denn da sind außer den Sisti von Sisthofen, den Grones von Gronsberg, den Herren von Varda und Soratroi, von Chizzeli auch die Herren von Piazza erwachsen, die jetzt Grafen von Platz heißen. Der Ort ist der steilen Lage wegen im Winter den Lahnen aufs gefährlichste ausgesetzt und daher soll er seinen Namen Livina longo, [478] den man als Lavina longa erklärt, empfangen haben. Oft ist die Verbindung auf Wochen hin abgeschnitten und man erzählt, der Actuar, der in einem nur etliche hundert Schritte entfernten Dörfchen wohnt, sey vor drei Jahren durch einen Lawinensturz dermaßen von seinem Hause abgeschnitten worden, daß er acht Tage lang nicht mehr zu seiner Familie kommen konnte. Im letzten Jahre haben die Zeitungen wieder Aehnliches berichtet.

Eine andere Merkwürdigkeit des abgelegenen Bergdörfchens ist, daß sich hier aus dem Mittelalter bis in die neuesten Zeiten eine Brüderschaft der Flagellanten erhalten hat. Die Verbrüderten haben sich wirklich, unbekümmert um den Lauf der Zeit, noch bis in dieses Jahrhundert herein gegeißelt. Erst vor etwa zwanzig Jahren hat diese fromme Uebung ein Pfarrherr eingestellt, dieweil sich Mißbräuche aufgethan und, mit Staffler zu reden, nicht immer fromme Geißelungen statt gefunden.

[479]

Selrain – Stubei – Wippthal – Dux – Zillerthal – Ahrenthal – Brunecken.



Es bleibt uns jetzt noch übrig einen längern Gang durch Nordtirol zu machen, den wir in der Nähe von Innsbruck beginnen und zu Brunecken im Pusterthale beenden.

Aus dem schönen Dorfe Axams ziehen wir bei einbrechender Dämmerung davon, um im Bade zu Selrain über Nacht zu bleiben. So dunkel es wird, so ist gleichwohl zu bemerken, daß die Gegend sehr bevölkert, denn die Häuser am Wege gehen nie aus und unten vom Tobel herauf glänzen viele freundliche Lichter, ebensowohl als von den Halden herab, auf deren Höhe das St. Krein- (St. Quirini-) Kirchlein grau verschleiert winkt. Man konnte sich während des nächtlichen Ganges auf Selrain freuen, auf die Badegäste und die gute Unterhaltung. Allerlei Manns- und Weibsbilder, die unterwegs gefragt wurden, waren der Meinung, es gebe deren noch genug, „wolter viele“ und so schien es ganz billig, sich auf einen vergnügten Abend gefaßt zu machen. Unterdessen ging der Weg in einen Wald und es wurde immer dunkler. Bald erschien ein einsames Capellchen am Pfade, von wo abwärts zu sehen war auf das Bad und seine Lichter. In größerer Nähe zeigte sich freilich, daß dieß die ewige Ampel in der Dorfkirche sey und so mußten denn wohl die erleuchteten Badefenster nach der andern Seite hinausgehen. Ich langte endlich an und war der einzige Fremde im Hause – die Badegäste waren schon alle davon, wie es scheint, ohne daß es die Selrainer bemerkt hatten – und drum waren auch alle die zweiundzwanzig [480] Zimmer unerleuchtet. Die Selrainer Gegend hängt beständig voll Tisch- und Leintücher, Hemden und dergleichen Zierrath, da ein großer Theil der Innsbrucker Haushaltungen seine Wäsche hier besorgen läßt.

Andern Morgens kam ich ins einsame Dörfchen Gries, welches am Ufer der kiesreichen Melach liegt, rings umgeben von Gerstenfeldern und steilen Jöchern, an denen sich grüne Matten hinaufziehen. Gegen Mittag bricht der Fernerkogel in die Höhe, ernsten Anblicks, scharf gespitzt, mit einzelnen Feldern ewigen Schnees bedeckt. Es ist still und klein jenes Dörfchen und macht wieder den Eindruck als wäre man an der Welt Ende, aber doch liegt noch anderthalb Stunden tiefer im Gebirge, im Grieser Thal, ein anderes Kirchdorf, St. Sigmund genannt, von dem ein vielgepriesener Alpenweg auf die Bergwiesen zu Kühetai *) und weiter am Stuibenbache fort über den Ochsengarten nach Au und Sautens am Eingange des Oetzthales führt. Er wird viel begangen, von Landleuten und Gebirgswanderern, ist aber fast eine kleine Tagreise.

Eine seltene Ueberraschung auf diesem Wege bietet oben in der Höhe von Kühetai 6347 Wiener Fuß über dem Meere ein altes landesfürstliches Jagd- und Lusthaus mitten in einem Kranze grüner Bergspitzen und nackter Schrofen. Es ist ein ächt gebirglerischer Gedanke der ehemaligen Herzoge, ihr Sanssouci, Fantaisie, Favorite, Hermitage oder wie man’s nennen will in die sammetnen Triften dieser Hochalpen zu verlegen. Einst, erzählt uns Jemand, einst zogen hier Schaaren von Jägern dahin auf schnaubenden Gäulen. Ihre farbigen Federbüsche wehten damals zwischen dichten Wäldern von Fichten, Tannen und Zirbeln, die jetzt ausgehauen sind, und der muntere Klang der Hörner wiederhallte von den grünen Halden. – In dem Bauhof, der noch erhalten ist, wohnen dermalen schlichte Hirten. Im ersten Stocke sind noch schön getäfelte Prunkzimmer. Jetzt stehen sie jedem Gaste offen, der bei den wirthlichen Aelplern zuspricht. „Das Haus bietet eine [481] angenehme Wohnung dar, die Luft ist erquickend frisch, das Wasser leicht und krystallhell; Kost und Wein über alle Erwartung gut und billig, die Betten rein gehalten, die Bedienung zuvorkommend freundlich.“ Für Bergsteiger ist’s ein herrliches Revier; der Jäger findet seine Gemsen, der Angler in zwei künstlich angelegten Seen die trefflichsten Forellen.

Ich ging indessen nicht nach Kühetai, sondern wandte mich gegen Mittag und zog an der Melach hin gegen Lisens, – einen schönen Alpenweg dem Bach entlang, der oft von hohen Wänden eingeengt in tosenden Fällen niederstürzt, oft wieder, wenn die Landschaft breiter wird, sanft und zahm durch die Wiesen läuft. Auf halbem Wege von Gries nach Lisens rieselt das Magdalenabrünnlein, von einer Bildsäule der Heiligen, die weihend daneben steht, so benannt, wo auf hölzerner Bank zu rasten und aus dem frischen Born der Durst zu löschen ist. Von da nach einer kleinen Stunde erreicht man eine sanfte Anhöhe und nun thut sich Lisens auf, eine schöne smaragdene Alm, weit und geräumig, feiner glatter Wiesboden, von dem glitzernden Bächlein durchirrt, an dessen anderm Ende, seltsam anzusehen in der stillen, menschenleeren Einöde, ein freundliches mit einem Thürmchen geziertes Haus steht, aus Steinen erbaut und reinlich geweißt, eine Sommerfrische der Herren im Stift zu Wilten. Die Landschaft hat in ihren Tiefen eine schmucke Reinlichkeit, die schmeichelnd ins Auge fällt; in den Höhen aber zeigt sie ein großartiges Wesen, das zu dem geleckten Wiesengrund und dem niedlichen Landsitz einen wundervollen Gegensatz bildet. Da steigt auch der Fernerkogel auf, der ungeschlachte Kogel, von seinem breiten Felsenfuße übersichtlich bis an die ragende Spitze, und daneben ist der Lisenser Ferner ausgebreitet und hängt kraus und wollig, wie ein Widdervließ zu Thale.

Das Sommerfrischhaus zu Lisens ist laut lateinischer Inschrift über der Thüre erbaut im Jahre 1780, nachdem der Wildbach das alte Gebäude zerrissen hatte. Nebendran ist in etlichen kleinen Gartenbeeten Gerste und Gemüse angebaut, wohl mehr zur Augenweide als zum ausgiebigen Ertrag. In dem untern Stockwerke hausen die Wirthschaftsleute, während [482] im obern einige Zimmer und eine Capelle hergerichtet sind für die Stiftsherren. Jetzt war von mehreren, die in frühern Monaten dagewesen, nur noch einer übergeblieben, Pater Lorenz, ein artiger, alter Priester, der mich gutherzig willkommen hieß und gegen billiges Entgelt an seinem Mittage Theil nehmen ließ.

Laßt uns aber auch etwas sagen von dem Fernerkogel und wie Professor Thurwieser, der Besteiger des Ortles, an ihm hinaufgeklettert ist. *) In früher Jugend schon, als er noch zu Kramsach bei Rattenberg auf den Wiesen spielte, hatte der Knabe eine Freude an dem Kogel, der obwohl so ferne, doch an schönen Sommerabenden noch glühte, während die höchsten Felsenkuppen des untern Innthals bereits in düstere Nacht verschwammen. Als nun Thurwieser groß geworden und schon manchem erhabenen Berghaupte seinen kecken Fuß auf die Scheitel gedrückt hatte, gedachte er wieder seiner Knabensehnsucht nach dem rosig glühenden Kogel und machte sich auf, seine Zinnen zu erklimmen. Am 23 August im Jahre 1836 zog er zu Lisens ein; am andern Morgen um 3 Uhr las er die heilige Messe, und um 4 Uhr bei ziemlich heiterm Himmel brach er auf. Philipp Schöpf, Jäger, und Jacob Kofler, Bauer zu Praxmar oder um es kürzer zu sagen: Lipp und Jackl waren seine Begleiter. Der erstere hatte schon vorher einmal die Spitze erstiegen. Ein Stück weit am Eise hinauf, meinten die Leute zu Lisens, würde der Professor wohl kommen, aber die Höhe des Ferners könne kein Fremder ersteigen und den Kogel schon gar nicht.

In fünf Viertelstunden kamen die Gletscherfahrer zum ersten Schnee; eine halbe Stunde darnach erreichten sie das feste Eis. Im Anfange ging alles recht gut, aber bald traten den Verwegenen die Grausen der Ferner recht abschreckend gegenüber. Da kamen Eisstiegen von mehreren, zwei drei [483] Klafter hohen, durch lange Risse getrennten Staffeln, welche Ungethüme in weitem Kreise umgangen werden mußten, dann steile glatteisige Flächen, daß man einander mit den langen Bergstöcken schieben und ziehen mußte, große, überschneite Eisspalten, Schneeflecke, in die man bis zu den Knien einsank, wilde Durchbrüche, weitklaffende Risse, bis man endlich dem Gletscherkamme nahe gekommen, der aber mit Sprüngen und Runsten, Erkern und Thürmchen einer drohenden halbverfallenen Festung glich. Um diese Zeit war die Gefahr, in die überall aufgähnenden Schlünde und Vertiefungen zu fallen am höchsten. Lippl und Jackl, die kakophonen Begleiter, der eine voran, der andre hinten, stiegen spähend und vorsichtig einher, waren aber erst aufgelegt zu plaudern, als man nach dreieinviertelstündigem Klettern die Kante des Ferners erreicht hatte. Da fand sich’s, daß man 3684 Fuß über Lisens, 8668 über dem Meere stand und neben bei hatte man das Vergnügen, durch die schauerliche Eiswüste einen Schmetterling flattern zu sehen.

Von da an wurde das Weiterkommen durch Schluchten und Brüche so sehr gehindert, daß man in der nächsten halben Stunde nur einige hundert Schritte machen konnte. Bald darauf hörten zwar die Spalten auf, allein dafür kamen andre Plagen, nämlich Hitze und Tiefe des weichen Schnees, in den die Wanderer wieder tief einsanken, bis sie endlich die rothe Wand erreichten, die, rauh und fest wie sie war, zur angenehmen Abwechselung ohne Verzug erklettert wurde. Oben liegt ein kleiner See, zugefroren und leicht überschneit, welchen Jackl zu großer Freude der Gesellschaft entdeckte und sehr labend fand man dessen Wasser. Nicht weit davon begegnete man höchlich überrascht einem andern Thalbewohner, einer Biene nämlich, die aber der nähern Berührung entwich und dem nächsten Kogel zuflog. Bald darauf, was weniger erfreulich war, brach Jackl auf dem obern Ferner, den man jetzt betreten hatte, bis an die Hüften in den Schnee und durch die Oeffnung sah man in finstern Schlund hinab. Jetzt mehrte sich das Gewölk und es fing zu tröpfeln an. Das hätte jedem andern den Spaß verdorben, [484] aber Thurwieser machte sich nichts daraus; gerade jetzt nachdem man so viel von Hitze und Schweiß ausgestanden, that die Kühle wohl. Um 1 Uhr erreichte der verwegene Professor die Spitze, etwas früher als seine Gesellen, da er eine kleine Seitenscharte, in welche diese einlenkten, durch gerades Emporklimmen umgangen hatte. Nun fand sich’s, daß sie alle drei 10,121 Fuß über dem Meere standen. Dort sahen sie auch ungeheuer weit herum auf die silbernen Spitzen der Alpenkrone, vor allem auf die Oetzthaler Häupter, unter denen die Wildspitze und unser alter Freund, Similaun, sich als die stolzesten erhoben. Darüber hinaus ging der Blick tief hinein in die Gletscherwelt der Eidgenossenschaft. Gegen Aufgang zeigte sich auch der Duxerferner und die lange winterliche Bergreihe, die das Ahrenthal vom Zillerthale trennt und der Venediger, der stille Pinzgauer Fürst, leuchtete im weiten Eismantel. Kufstein, Rattenberg und Brixlegg im Unterinnthal sah der Professor in der Ferne schimmern und auch sein Kramsach, wo er einst als Knabe so ahnungsvoll den Kogel betrachtete, den er jetzt als berühmter Bergsteiger mit dem messenden Barometer in der Tasche, mit Thermometer und Perspectiv erklommen hatte. Um 2 Uhr 37 Minuten nahm er von der lange schon werthen und jetzt noch theurer gewordenen Spitze Abschied.

Die Abfahrt wurde in anderer Richtung versucht und hatte wieder ihre andern Gefahren wegen der steilen Wände, an denen man sich, Hände und Füße in das Gestein einschlagend, hinunter lassen mußte. Um 7 Uhr kamen die Steiger endlich in der Längenthaler Alpenhütte an. Auf dem Wege von hier findet sich eine vorspringende Berghalde, Oberachsel mit Namen, deren Besuch den Reisenden empfohlen wird, welche den Lisenser Ferner und die argen Wände des ungeheuern Kogels näher betrachten wollen. Kurz vor 9 Uhr Abends erschien der Professor wieder wohlbewillkommt im Stifthause zu Lisens.

Das Lisenser Jöchel, welches nach Stubei hinüberführt, scheint keines von denen zu seyn, die man gerne besteigt. In Innsbruck war nur wenige Kunde darüber einzuziehen, doch [485] lautete diese eher günstig. Ich wollte mir daher den Weg nur beschreiben lassen und keinen Führer mitnehmen, aber Hans Krapf, der Schaffner zu Lisens, hatte die Barmherzigkeit, hievon keine Notiz zu nehmen und mich fast wider meinen Willen zu begleiten, was mir später auch keineswegs leid war.

Der erste Aufweg ging über Wiesengrund. Schön war die Ansicht des Ferners, dessen Auslauf bald zu unsern Füßen lag. Als wir etwa anderthalb Stunden gestiegen waren, wurde die Landschaft öde, hochjochartig, tauernmäßig. Wir sahen auf den fernen Grat und auf die Schneefelder, die darum herlagen. Lange Zeit traten wir auf steilangelagertes rutschendes Gerölle, auf braune Platten, die nach Umständen übereinander fortschossen, unter den Tritten aber zusammen knackten.

Nachdem der lange mühsame Gang über diese knatternden Kacheln zurückgelegt, kamen wir auf körnigen Sand, der sich in jäher Halde zum Joche hinaufzog. Diese letzte Strecke erachtete ich für das unliebste Gehen, das mir bis dahin im Gebirge zur Aufgabe geworden. Der Sand gab bei jedem Schritte nach und wer einmal ins Gleiten kam, dem war wohl schwer zu helfen. Hans Krapf sah auch meine Noth und trat vorausgehend mit Behutsamkeit die Schritte in den Sand; manchmal reichte er mir auch die Hand, und wenn’s ihm dünkte, daß von unten besser zu wirken sey, so kehrte er um und schob mich aufwärts. In dieser Art kamen wir denn doch zuletzt glücklich auf das Joch, einen schmalen, zwischen wilde Höhen eingekerbten Sattel, der so schneidig ist, daß man sich darauf setzen und die Füße beiderseits rittlings zu Thale hängen kann. Die Aussicht ist nicht zu rühmen; sie geht nicht in die Tiefen von Stubei und von der Thalebene von Lisens ist gar nichts mehr sichtbar. Das Horn, das sich in nächster Nähe nördlich erhebt, ist die Villerspitze, die vor Zeiten, als man die Berge noch mit dem Auge und nicht mit dem Barometer maß, für eine der drei höchsten im Lande galt, wie der alte Reim besagt:

[486]
Der Hager in Gschnitz

Und die Villerspitz

Und die Martinswand

Sind die höchsten im Land.

Auf der andern Seite des Joches hinabzugehen ist eine sehr einfache und ungewagte Sache. Es zeigt sich bald ein Bach, der zum Führer wird. Ueber sein Rinnsal fanden sich noch vom letzten Winter her etliche Schneebogen gespannt, blaue gothische Gewölbe, von denen die Tropfen mit hübschem Geläute herunter fielen. Nach einstündigem Gange, immer rasch zu Thale, war ich in Oberisse, einer kleinen Ansiedlung von Sennhütten. Eigentlich hatte ich den Weg verfehlt, da ich nach Alpein gewollt, um den Ferner zu sehen. Um dahin zu gelangen, wäre vom Joche aus rechts zu gehen gewesen; ich war gerade aus gegangen.

Die Sennhütten zu Oberisse sind meist gemauert und gut eingerichtet. Die Wasserkraft wird hier zum Butterrühren benutzt; ein Arm des Baches treibt kleine Räder, an welche das Butterfaß gelegt wird, so daß sich die Butter von selbsten „schlegelt.“ An andern Orten sieht man auch solche Rädchen mittelst einer Schnur die Wiege schaukeln, die drinnen in der Stube steht. Ein Wirthshaus ist nicht auf der Alm, doch findet sich eine Kaser, wo allenfalls Wein und Brod zu haben. In dieser traf ich vier Gäste, drei erwachsene Sennen und einen Knaben, dazu die Sennerin und ihren jüngern Bruder. Die Männer saßen auf der Bank, die sich um die Feuerstelle herzieht, halb im Rauch verhüllt und schmauchten plaudernd, die Sennerin ging ab und zu und redete wenig. Sie war ein sehr schönes Mädchen, fast zu schön für diese Einsamkeit. Um den Alpeiner Ferner zu erreichen und wieder bei Tage zurückzukommen, war’s zu spät, blieb also nichts übrig, als bis zum Morgen zu warten. Ich war etwas besorgt daß das Hirtenmädchen sich die Einlagerung verbitten würde, aber der eine der Gäste sprach mir Muth zu, sagte, das komme öfter vor, und die Sennerin sey überhaupt nicht so „schiech“ als sie thue. Dieß begleitete er mit einem ironischen Lächeln, was die Alpenmaid dadurch bestrafte, daß sie ohne ein Wort [487] zu sagen aufstand und floh. Bald hatten auch die Sennen ihren Branntwein ausgetrunken und gingen fort, so daß ich mit dem Mädchen und ihrem wenig sichtbaren Bruder allein blieb. Ich habe ohne Ruhm zu melden ihrem schönen Mund nicht zwanzig Worte zu entlocken gewußt, von allem andern, was die scherzhaften Reden des Sennen andeuteten, ganz zu geschweigen.

So saß ich also zumeist allein im leichten Rauch des Herdes auf der hohen Bank, trank ein paar Gläser Wein und nährte mich von Brod und Käse. Meine Augen beschäftigten sich mit Kübeln, Pfannen, Milchschüsseln, Butterfässern und einer Menge unbeschreiblichen Plunders, der ringsumher stand, lag und hing. Die Luft war kühl und das Herdfeuer daher sehr erquickend.

Die Nacht war noch nicht ganz hereingebrochen, als das Mädchen kam und mir bemerkte, es sey Zeit zur Ruhe zu gehen; sie seyen schläfrig, die Nacht vorher habe eine Kuh gekälbert und sie um allen Schlaf gebracht. Ich überließ mich ihr mit völliger Hingebung, wohin sie mich auch führen würde. Sie aber leitete mich aus der Hütte und hinten an den Heustadel hin, zu dessen Dachraum eine Leiter emporging. Hier solle ich hinaufsteigen, oben werde ich warmes Heu und eine Decke finden. Gute Nacht!

Oben unterm Dach fand ich wirklich warmes Heu genug und nach einigem Tappen auch eine wollene Decke. Ich grub mir mein Lager in das weiche Bett und nahm die Decke über mich, recht eigentlich bis an die Ohren herauf. Es war nämlich kalt im Speicher, da zwischen Dach und Seitenwand ein handbreiter offener Raum für den nöthigen Luftzug gelassen war. Obgleich es noch früh an der Zeit, so kam doch bald ein süßer Schlummer über den müden Wanderer.

Mitten in der Nacht erwachte ich. Ein langer gleißender Lichtstreif stoß über mich hin und im ersten Taumel glaubte ich, die Decke brenne. Ich fuhr auf und sah durch eine Dachspalte in den lieben Mond, der da herein seinen harmlosen Glanz ergoß. Ich öffnete die Thüre und trat hinaus an die Leiter. Unendliche, tiefe Bergeinsamkeit im verklärenden [488] Mondenschimmer! Die stillen Alpenweiden, die starren Schrofen, die hohen Jöcher mit den glänzenden Schneefeldern, alles so lautlos und feierlich! Nur der Bach, der tosende, sprach sein Wort in dieser Stille und zwar zehnmal wilder, als am hellen Tage.

Als ich in der Frühe die Decke abgeschüttelt und die Thüre geöffnet hatte, war alles neblig, um und um, die Bergspitzen sämmtlich verhüllt, selbst die niedern Weiden nicht frei. Gleichwohl hoffte ich, die Luft würde ihren Trübsinn noch zeitig lassen und machte mich auf, dem Bach entlang gegen Alpein zu gehen, da ich denn, einmal in solcher Nähe, nicht gerne wieder abziehen wollte, ohne den Ferner gesehen zu haben. Ich kam bis an den hohen Bergvorhang, wo der Steig steil aufwärts geht. Dort ist ein brüllender Wasserfall, der stäubend in ein Felsengrab springt, um sich in grauenvollen Wirbeln wieder daraus loszureißen. Als ich mit wonnevollem Grausen das Bild beschaute, begann es zu regnen. So kehrte ich zurück zu meiner lieben Sennerin.

Des Mädchens Trutzlichkeit war noch wie am Abende vorher. Ich dachte wir würden uns jetzt bei dem trüben Regen durch Gespräch die Zeit vertreiben und unsre Ideen friedfertig austauschen, allein sie hatte genug an den ihren und wollte nichts von den meinigen. Drum setzte ich mich allein ins Kämmerlein, zog meinen Bleistift heraus und schrieb an meinem Tagebuche, während der Regen draußen plätschernd von den Schindeln lief.

So wartete ich bis 10 Uhr, und da hörte zwar der Regen auf, aber die Nebel saßen noch immer fest im Thale und thaten nicht, als wenn sie sich verziehen wollten. Deßwegen schien’s mir gut, mich mit den bereits gesehenen Fernern zu trösten und den schönen von Alpein sich selbst zu überlassen. Also ging ich – und Niemand gab mir das Geleite, nicht einmal bis zur Thüre – bergabwärts, einen sehr, gangbaren Weg, kam noch durch ein Dorf von Sennhütten und dann wieder in perennirend bewohnte Gegenden, wo hübsche Häuser, steinerne und hölzerne, eines über dem andern an den Halden hinauf standen, umgeben von Gerstenfeldern, die eben gemäht [489] waren, bis herab nach Neustift, das in einem milden Thale liegt, im grünen Laub der Bäume, die sich an dem Fernerbach hinziehen, wie die Weiden an den Lechcanälen bei Augsburg.

Da man nicht gerne einen Zug verschweigt, der irgend einen mißfälligen Schatten mildern kann, so erwähne ich auch mit Vergnügen, daß mir der Wirth von Neustift anvertraut, das Mädchen auf der Alm zu Isse sey eine besonders brave und rechtschaffene Person. Aber gar so viel wenig reden thut sie – meinte ich. Ach, sagte der Andre, sie würde schon freundlicher seyn, wenn sie besser mit Ihnen bekannt wäre. Ich dankte ihm herzlich für diese Beruhigung.

Im vorigen Jahrhundert lebte zu Neustift Franz Penz, ein Priester, der aber nicht allein die Seelen auferbaute, sondern auch Kirchen und Pfarrhäuser. Er war ein Bauernsohn aus dem kleinen Thale Navis, das bei Steinach in das Wippthal ausmündet. Kaum hatte ihn der Bischof zum Priester geweiht, als er so verläßliche Zeichen seines inwohnenden Meisterthums an den Tag legte, daß ihn seine geistliche Obrigkeit immer an solche Orte als Seelsorger stellte, wo zugleich auch Bauten zu führen waren. Er löste alle diese Aufgaben zur Zufriedenheit seiner Vorgesetzten wie der betheiligten Gemeinden und erlangte so allmählich große Anerkennung. Man weiß von vierzehn Kirchen und acht Pfarrhäusern, deren Bau er geleitet. Die Kirchen, die ich von ihm gesehen, und so auch die große Kirche zu Neustift, sind helle reinliche Säle in mildem Zopfstyle gehalten, sehr aufgeklärte Räume, ohne alle Mystik der Andacht, ohne alles Helldunkel, das der deutsche Beter braucht, um mit unserm Herrgott reden zu können. Es ist landesüblich sie zu bewundern, sie werden indessen nicht jeden überraschen. Ueberdieß liegt die Vermuthung nahe, der Pfarrer Franz Penz sey auch einer von denen gewesen, welche die alten ehrwürdigen gothischen Kirchlein, statt sie zu stützen und zu erhalten, niedergerissen, um ihre eigenen Kunststücke an die Stelle zu setzen. Ihm, als Mann des vorigen Jahrhunderts, wird man das noch lieber verzeihen, als den traurigen Baumeistern, die zu dieser Zeit in den [490] Alpen handthieren und neuen Inventionen obliegen. Ich für meinen Theil, meine wähnen zu dürfen, daß den grünen Alpen nichts besser steht, als die Gothik des deutschen Mittelalters. Es ragt nichts schöner auf dem Felsenschopfe, es lockt nichts heimlicher im engen Thal, als die spitzbogigen, spitzthurmigen Kirchlein, die unsre Väter auferbaut. Bis einmal der Genius neue Bahnen gebrochen hat, möchte es drum viel gerathener seyn, dieses Alte bescheiden nachzuahmen, als erbärmliche Originale zu geben.

Vulpmes ist das größte Dorf in Stubei und das Herz des Thales. Hier sind nämlich die weltberühmten Eisenschmieden, und die ganze Ortschaft hat ein vulcanisches Gepräge. Ueber diese Industrie der Stubeier hat sich ein Aufsatz im ersten Band der Zeitschrift für Tirol und Vorarlberg sehr belehrend verbreitet. Wir entnehmen daraus vorerst, daß es nicht mehr auszumachen, in welchem Jahrhunderte zu Vulpmes jenes Gewerbe angefangen. Gewiß gaben die Eisengruben, die in der Nähe betrieben wurden, die erste Veranlassung dazu. Jetzt sind diese längst eingegangen, und nur mehr Spuren alter Betriebsgebäude vorhanden, nebst vielen verschollenen Erzanbrüchen in dem Gebirge und etlichen Urkunden aus dem fünfzehnten Jahrhundert, die sogar von Goldbergwerken in der Vulpmer Alpe sprechen. Aber die hephästische Kunst hat sich bei den Vulpmern erhalten, obgleich sie nunmehr ihr Eisen weit herauf aus Kärnthen und Steiermark beziehen müssen, da das tirolische für sie theils zu theuer, theils zu schlecht ist. Die Handelschaft der Stubeier nahm übrigens ganz denselben Verlauf, wie die der Grödner. Allererst trugen etliche Schmiede, die in der Nähe keinen Absatz fanden, ihr Geschmeide auf dem Rücken von Ort zu Ort in den heimathlichen Bergen und in der benachbarten Fremde. Dieses hausirende Geschlecht ist nach der Volkssage von fabelhafter Leibesstärke gewesen. Am Ende des siebenzehnten Jahrhunderts leuchteten darunter besonders drei Brüder, Thomas, Martin und Georg, die Tanzer von Neustift hervor. Georg Tanzer soll einmal vor dem Mauthhause zu Schaffhausen mit acht Centnern Eisen angekommen seyn, die [491] er so eben allein aus Stubei herausgetragen hatte. Der Rath zu Schaffhausen ehrte seine Tugend durch Verleihung lebenslänglicher Zollfreiheit und ließ ihn auf dem dortigen Mauthhause abmalen. Thomas, der andre Tanzer, trug acht Centner Salz von Hall nach Neustift; Martin, der Dritte, übertraf aber seine beiden Brüder noch an Stärke und konnte einen beladenen Frachtwagen heben und von einer Seite auf die andre schieben. Da er mitunter ein Viehdieb war, so nahm er ein schlechtes Ende, indem er eines Tages auf der Gallwiese bei Innsbruck von vielen Menschen und Hunden gefangen und nach gefälltem Urtheil gehängt wurde. In frühere Zeiten hinauf geht die Sage von dem Unholdshof, der zwischen Greut und Telfes liegt. Dort soll ehemals eine Familie gelebt haben, die wegen ihrer ungeheuern Leibesstärke unter dem Namen der Unholden von Stubei bekannt war.

Anfangs also gingen die Stubeier mit dem Tragkorbe, mit der Krakse, in die Welt. Aus der Krakse entstand mit der Zeit ein Wagen, dessen erste Erscheinung man ins Jahr 1680 setzt. Nach diesem fanden es einige vortheilhafter, das Schmiedehandwerk in der Heimath ganz aufzugeben und sich bloß der Handelschaft zu widmen, was dann wieder zur Errichtung von Handelsgesellschaften führte, die ihre Unternehmungen mit zusammengeschossenen Capitalien betrieben. Man hat Nachrichten, daß diese Gesellschaften in der Zeit des siebenjährigen Kriegs sich besonders vermehrten und hervorthaten.

Endlich im Anfange dieses Jahrhunderts fand man, daß der Aufwand, den die wandernden Bevollmächtigten auf ihren Reisen zu machen hatten, wegen wachsender Theurung der Lebensmittel und abnehmender Sparsamkeit von Jahr zu Jahr steige, und um diesem Nachtheil zu steuern löste man die Gesellschaften auf und errichtete in Vulpmes Waarenlager, aus denen die Abnehmer des In- und Auslandes, zumal die zahlreichen Stubeier Handlungen, die sich in Süddeutschland niedergelassen, ihren Bedarf erheben konnten. Das ganze Eisengewerbe beschäftigte im Jahr 1825 dreiundneunzig Meister mit etwa hundertunddreißig Gesellen und hundert Hülfsarbeitern aus dem Bauernstande; damals wurden jährlich ungefähr 2200 [492] Centner rohes Material verarbeitet; der Ankaufspreis desselben wurde auf 45,000 fl. geschätzt, der Bedarf an Kohlen u. s. w. auf 6000 fl., sohin die Vorauslage auf 51,000 fl., der Erlös auf 115,000 fl. Diese Ziffern sind aber seitdem um ein Gutes herabgegangen, denn der Flor von Stubei war in den letzten zwanzig Jahren in fortwährendem Sinken, wie auch die Volkszahl im ganzen Thale seit dem vorigen Jahrhundert abgenommen hat, so daß sie, die im Jahre 1763 4968 Seelen betragen, im Jahre 1840 nur mehr auf 3800 sich belief. Staffler zählt in Vulpmes noch siebenundsechzig Werkstätten und zweihundert Arbeiter. Die Eisenwaaren, welche jährlich in den Handel kommen, schätzt er dagegen auf 3500 bis 3800 Centner.

So sind denn die Stubeier Schmiede jetzt in denselben Zuständen, wie die Grödner Schnitzler und sind auch von den gleichen Anfängen ausgegangen. Ehemals zogen jährlich bei dritthalbhundert Menschen ins Ausland, die dann nach kurzer Abwesenheit wieder in die Heimath zurückkehrten. Der Gewinn, den der Handel abgeworfen, wurde auf den Ackerbau und auf Erweiterung der angestammten Feldungen verwendet; daher dann im höhern Alter ein otium cum dignitate, Ruhe und Wohlstand, daher übrigens auch wie in Gröden, ein paar Menschenalter lang ungeheuer hoher Preis des Bodens. Heirathen mit Ausländerinnen gestattete die Sitte nicht, gänzliches Aufgeben der Heimath verbot die Sehnsucht nach dem Thale. So kehrten sie von ihren Wanderungen immer sicher wieder, legten das feinere Gewand, das sie im Ausland getragen, wieder ab, und waren Thälerer wie vorher. Daher auch zu jenen Zeiten, wie in Gröden, wie im Lechthale, wie im Engadein Bauersleute genug, die mit französisch und italienisch renommiren konnten und am Sonntag nach dem Essen das Tarockspiel betrieben. Jetzt da sich die auswärtigen Eisenhandlungen alle von dem Mutterländchen abgelöst, sind diese großweltischen Züge in der Physiognomie des kleinen Thales wieder lange verwischt, wie denn auch jene Händler, die sich in der Fremde niedergelassen, alle Spuren ihrer Herkunft abgestreift haben, so daß die „halbbürgerliche [493] Kleidung, die sie im Auslande tragen, bestehend aus langem blauem Rocke, Hosen von schwarzem Manchester, grünem Hosenträger, weißen Strümpfen und grünem Hut“ wenigstens bei den Münchner Stubeiern, bei den HH. Hofer und Triendl, Pittl und Ralling schon vor langen Jahren bei Seite gelegt worden ist. Die jetzigen Verleger sind übrigens feine artige Leute, die Reisen gemacht haben und Sprachen sprechen, aber dafür auch ganz als Städter leben. Im Pfurtscheller’schen Verlage wurde ich mit vieler Freundlichkeit herumgeführt. Er enthält übrigens nur rohere Waare für den Bedarf des Kleinbürgers und des Landmannes, wie sich denn überhaupt die Stubeier auf die feinern Stahlarbeiten nicht verlegen.

Fügen wir hier noch bei, was der Verfasser jenes Aufsatzes über den Bauern in diesem Thale berichtet. Es möchte zwar bedenklich scheinen, daß diese Schilderung des Stubeier Lebens gar zu sichtlich nach dem gearbeitet ist, was Walcher in seinem Büchlein von 1773 über die Oetzthaler Bauern sagt, aber es paßt das Bild auf beide Thäler, die an Bequemlichkeit des Anbaues nichts vor einander voraus haben, ja mehr oder weniger wohl auf alle Hochthäler des Landes. Der Stubeier also ist unermüdlich und seinen Fleiß überwindet weder Schwierigkeit noch Gefahr. Jedes Plätzchen, das eine Pflege zuläßt, ist benützt; um eine Handvoll Heu klettern die Männer den Ziegen nach auf die steilsten Schrofen, nicht abgeschreckt durch Verstümmelung oder Tod, was die Stürzenden so oft erleiden. Die Mähder, die auf den jähen Bergwiesen arbeiten, binden sich mit Stricken zusammen, um sich vor dem Fall zu schützen und die Holzhauer fällen ihre Bäume unbekümmert um den tiefsten Abgrund, von dem ihren Fuß nur unsicheres Gestrüppe trennt. Um eine Spanne Raum zum Ackerbau zu gewinnen, trägt der Bauer die Erde auf dem Rücken an den steilen Anhängen hinauf; spült der Regen die Erde herab oder verführt sie der Wind, so beginnt er im Frühjahre seine Arbeit von neuem, wenn er auch weiß, daß sie der Herbst wieder zerstört. So kämpft er auch ewig mit dem Wildbache. Wenn ihm dieser seine Felder wegreißt, so hat er zwar nur das traurige Nachschauen, wenn er sie aber bloß [494] mit Sand und Felsblöcken überschüttet, so geht er ruhig an die mühevolle Arbeit des Abräumens der Gries- und Schotterlage. Diese schichtet er in Haufen, gräbt dann die darunterliegende gute Erde aus und wirft sie ebenfalls auf Haufen. In das Loch, das so entsteht, wird der Schotter versenkt und dann die Erde darauf gelegt – eine Mühewaltung, die man das Wenden heißt. Selbst Felder, die das Wasser davon getragen, sind zuweilen wieder hergestellt worden. So hatten die Hofbauern zu Auten schon vor vielen Jahren einmal ihre Aecker alle und einen guten Theil ihrer Wiesen durch eine Überschwemmung eingebüßt; nur dürrer Kiesboden war zurückgeblieben. Um diesen wieder ergrünen zu lassen, suchten die Leute an den Bergen herum so viel fruchtbare Erde zusammen, um die öde Fläche zu überdecken. Und wo der Gräuel der Verwüstung Mitleid und Trauer erregt hatte, da sproßten bald nachher wieder schöne Saaten. Die Verheerungen die der Rutzbach anstiftet, sind übrigens erschrecklich. Was er in den Jahren 1772, 1776 und 1789 gethan, steht noch in düsterm Angedenken. Der Schaden wurde damals auf 400,000 fl. berechnet. Im Jahr 1807 brach ein Unglück herein, welches zwar nur Vulpmes bedrohte, aber dieß auch mit völligem Untergang. Ein Ungewitter mit Wolkenbruch, das am 30 August vorüberzog, schmolz nämlich die Schneelawinen, die sich seit mehreren Jahren in der Schlicker Alm ober dem Dorfe angelagert hatten. So wurde das Schlicker Bächlein, sonst ein friedliches Mühlwasser, zum tobenden Strom, wüthete zwölf Tage, zerriß dreizehn Brücken und einundzwanzig Gebäude, beschädigte etliche vierzig durch die Felsenstücke, die er an ihre Mauern schleuderte und ließ einen Schaden zurück, der sich auf mehr als 100,000 fl. belief.

Vieles wird am angeführten Orte auch von der Viehzucht der Stubeier erzählt; weniger vom Ackerbau, der auch hier für den Bedarf des Thales nicht zureicht. Es kommen alle Feldfrüchte vor, wie sie in Nordtirol gebaut werden, außer Mais und Weizen. Aepfel und Birnen gibt’s nur zu Telfes am Eingange des Thales, Kirschen noch zu Neustift. Ein andres Erzeugniß des Thales ist die Stubeier Sulze, [495] welche wenigstens zu des Verfassers Zeit von Joseph Schmied zu Vulpmes aus Bergkräutern verfertiget wurde, die er selbst noch in einem Alter von fünfundachtzig Jahren auf den höchsten Alpen suchte. Sie wurde durch die prüfenden Aerzte als ein treffliches Heilmittel für Brustkrankheiten erkannt. Sonst nennt der Verfasser die Stubeier ehrlich, offen, religiös und folgsam gegen die Befehle der Obrigkeit. Schade, daß er, der so gut mit den Thälerern vertraut war, nicht auch etliche Sagen, etliche weitere Einzelnheiten über ihre Sitten und ihr Leben mitgetheilt hat.

Von Vulpmes steigt man nach Mieders hinauf, das hoch über dem Rutzbache und seinem walddunkeln Rinnsal liegt. Es ist der Sitz des Landgerichts und hat eine Badeanstalt, die von den Innsbruckern etwa eben so für die ihrige angesehen wird, wie die Bozener Ratzes als ihr Leibbad betrachten. Man findet da gemächliche und reinliche Sommerwohnung und im Wirthshaus zur Traube einen guten Tisch. Es ist in den schönen Monaten des Jahres ein sehr heitrer Aufenthalt, denn die Innsbrucker führen keinen Trübsinn aus. „Es findet selbst, sagt der Verfasser der Beschreibung von Stubei, der weichliche Städter Behagen, die Zeit seiner Ergötzung in einem Thale zu verleben, wo ihn gemilderte Sitten umgeben und mäßige Bedürfnisse die zureichende Befriedigung erhalten.“ Am 1 September 1842, als ich in der Traube zu Mieders anlangte, war die Saison freilich schon vorüber. Man wußte indeß viel zu erzählen von dem vergnügten Leben, das die Badgäste geführt, noch mehr aber von dem Feste, das Tags zuvor in der Nähe stattgefunden hatte, als Erzherzog Stephan, damals in Tirol reisend, den Grundstein legte zur Hauptbrücke an der neuen Straße, welche in den letzten Jahren erbaut worden ist, um den schlimmen Steig am Schönberg zu umgehen. Alle Ohren waren noch voll von dem schmetternden Lauffeuer, das die wälschen Arbeiter, die dabei beschäftigt, durch Verbindung einer Unzahl von Böllern zu Stande gebracht hatten.

Zu Mieders in der Kirche steht auch, so zu sagen, im Exil ein Muttergottesbild, das ehedem auf der Waldrast [496] verehrt wurde. Die Waldrast ist am Serles in der Höhe zwischen Mieders und Matrei gelegen, eine prächtige Berggegend. Den Ort hat Balde durch eine Ode gefeiert, welche von Herder übersetzt wurde. Auf dieser Stelle erhob sich vor Jahrhunderten eine Wallfahrt. Es kam nämlich vom „großen Weib im Himmel“ gesandt ein Engel auf die Waldrast, der einen hohlen Lärchenstock im Namen der Muttergottes ansprach: du stockh sollest der frauen im himmel bild fruchten, dan balt wird do ein kirchfart aufkommen. – Das Bild wuchs nun im Stocke und ward zuerst am Ostersamstag 1407 von zwei frommen Hirtenjungen erblickt, und sofort in die Kirche zu Matrei versetzt. Wie nun die Capelle auf der Waldrast gegründet worden, dieß erzählt das gleichzeitige U. L. Frauen- Protokoll in sehr naiver Weise. Der Anfang besagt, daß ainer tzü Matray ist gesessen mit Namen Christan Lusch saliger, tzü dem ist kommen ain stymm an ainer pfintztag nacht, als er an seinem pett lag, dye redt mit ihm tzü dreyn maln und sprach: slaffestu, da antwurt er und fragt: wer pistu oder was wildu? da sprach die stymm: ich bin ein stymm. – In dieser muntern Art geht es fort und wir erfahren weiter, daß dem guten Christian die Aufforderung ward, eine Kirche zu bauen und daß ihm, als er in den Wald gegangen und entschlafen war, eine hohe Frau in weißem Kleide mit einem Kinde im Arme erschien und die Stätte anzeigte, wo das Gotteshaus erbaut werden sollte. Es erschwang sich bald zu ungemeinem Ansehen, denn die Muttergottes bewies sich außerordentlich wunderthätig. Von Herzog Sigmund an begannen auch die Landesfürsten und die Glieder des Kaiserhauses sich mit besonderm Vertrauen der Wallfahrt zuzuwenden und ihr Spenden aller Art zu verehren. Drum entstand auch mit der Zeit ein Servitenkloster dort. Noch Maria Theresia hat das Bild auf der Waldrast mit Geschenken begabt, ihr Sohn dagegen 1785 das Kloster aufgehoben. Im Herbste jenes Jahrs ward das Gnadenbild nach Mieders übersetzt, aber durch seine Entfernung aus dem Orte, wo es fast vier Jahrhunderte gewirkt hatte, ging das Vertrauen des Volkes und so auch viel von dem Rufe seiner Wunderkraft [497] verloren. Fromme Gemüther zogen noch immer lieber der Waldrast zu, und beteten dort vor einer Copie des alten Gnadenbildes, ja die Opfer flossen so reichlich, daß mit Anfang dieses Jahrhunderts schon wieder an die Wiederherstellung der Wallfahrt gedacht wurde. Indessen war aber das Bild zu Absam bei Hall aufgekommen und jenes hielt die Concurrenz nicht aus; auch die Regierung war nicht zu gewinnen. So steht denn die Waldraster Muttergottes nunmehr verlassen und wenig besucht in der Kirche zu Mieders.

Von Mieders aus erreicht man die Brennerstraße bei dem Dorfe Schönberg, wo ein Posthaus ist. Hier geht der böse Weg über den Schönberg hinunter gegen Innsbruck zu, der ehemals so viel Schweiß und Mühe kostete. Hier wurden, wenn es aufwärts ging, an die schweren Frachtwagen acht und zehn Pferde vorgelegt, und wenn sie abwärts fuhren, so war es ein grausliches Ansehen, wie trotz der zwei und drei Radschuhe der Wagen so dämonisch dahinrollte, kaum aufzuhalten durch die stärksten Rosse, die, die Gefahr im Rücken ahnend, mit leuchtenden Augen und schäumendem Rachen zu zögern strebten, so viel sie vermochten, während der beängstigte Fuhrmann sie mit Drohungen und Flüchen unaufhörlich besprach. Jetzt ist die neue Straße fertig und vom 1 October 1844 an steht sie dem Verkehre offen. Sie hat die alte Richtung, die gerade über die Höhe des Schönbergs ging, ganz aufgegeben und läuft nunmehr dicht über der brausenden Sill an einer Böschung hin, in langem Zuge die „Ellenbögen“ abzeichnend, welche die Seitenwand des Berges hier bildet. Sie ist zierlich und fein gearbeitet und von italienischen Werkleuten ausgeführt worden. An der Entfernung hat man nichts gewonnen, vielmehr ist der neue Straßenzug um ein Gutes länger als der alte; doch wird dieß wieder hereingebracht durch die sanfte Senkung, welche abwärts ohne Radschuh im Trabe zu fahren erlaubt. Eine Einbuße für den Reisenden der das Land im Eilwagen durchfliegt, ist es immerhin, daß er die herrliche Schau verloren hat, welche sich von der Schönberger Höhe gegen die Stubeier Ferner öffnet. Sie war für [498] Jeden eine Augenweide und ist eine der schönsten Ferneransichten, die von einer Heerstraße aus offen stehen.

Wir sind nun mittlerweilen ins Wippthal gelangt. Diesen Namen trägt ein Landstrich, der sich von Innsbruck an der Sill aufwärts bis zum Brenner und von da am Eisack abwärts bis zum Brixener Klaesel erstreckt. Was sich nördlich vom Brenner gegen Deutschland senkt, heißt das untere, was sich südlich gegen Italien zieht, das obere Wippthal. Der Name kommt von dem alten Vipitenum, das ungefähr auf der Stelle des heutigen Sterzings lag. Im neunten Jahrhundert kommt ein Quartinus, nationis Noricorum et Pregnariorum vor, der in valle Wibitina lebte. Seit dieser Zeit ist der Name nicht mehr verschollen. Er hat, wie der des Pusterthales das Eigene, daß er über die Wasserscheide hinübergeht und zwei Flußgebiete in sich begreift, nämlich das der Sill und den obern Lauf des Eisacks, während sonst im Allgemeinen die Thalnamen nicht weiter reichen, als ihr Bach. Das Wippthal zwischen Schönberg und Matrei ist nicht sehr dicht bevölkert. Zur Linken jenseits des tiefen Schlundes, in dem die Sill sich fortwälzt, steigen schöne Halden auf. Mitten durch diese zieht für den Nichtkenner kaum bemerkbar die Ellenbögenstraße, ein wohlunterhaltener, und von den Salzfuhren fleißig benützter Verbindungsweg zwischen Matrei und Hall. Diese Straße hat ihren Namen davon, daß sie wie die neue Schönbergstraße an der steilen Absenkung des Gebirges hinzieht, so wie jene, alle vorspringenden Erker und alle eingehenden Tobel, mit Einem Worte die Ellenbögen abläuft. Die jenseitige Halde ist reich geschmückt mit Kornfeldern, Wiesen, Baumreihen, Schluchten, Häusergruppen, zu oberst mit Wald, zu unterst mit der Sill. In der Ferne über den Matreier Wald hin sieht man das Schloß von Matrei aufragen.

Matrei ist die alte Römerstation Matreium, jetzt eine lange Gasse voll Wirthshäuser, alles von ziemlich neuem und reinlichem Ansehen, da der Markt seit Jahrhunderten immer und immer durch Feuersbrünste gelitten hat. Die Stelle des alten Matreium glaubt man jenseits der Sill zu finden, [499] wo jetzt der Häuserhaufen steht, der den Namen Altstadt führt. Man thut nicht Unrecht, auch das Matreier Schloß zu besehen, das auf einem von der Sill umströmten Serpentin- Felsen erbaut ist. Diese Burg besteht aus einer Reihe niederer Gebäude, die sich an einen starken, angeblich römischen Thurm lehnen. In einer Vorstube ist ein älteres Gemälde zu sehen, die Bauernlangweil genannt. Es soll das ausgelassene Leben schildern, wie es die tirolischen Bauern nach dem dreißigjährigen Kriege geführt, und stellt auch in der That Fraß, Völlerei und Unzucht in Menge dar. Im Prunksaale sind ein paar Bildnisse aus der Familie der frühern Schloßherren. In der Burg saßen ehemals die frühverschollenen Herren von Matrei. Von diesen ging sie auf das glänzende Geschlecht der Trautsone über, die vor Zeiten den Thurm in der Pfitsch bei Sterzing inne gehabt. Die Trautsone verwalteten das Erbmarschallamt von Tirol, das auf der Burg zu Sprechenstein bei Sterzing ruht. Im Jahre 1711 wurden sie Reichsfürsten, im Jahre 1775 sind sie ausgestorben. Ihre Erben sind die Fürsten von Auersperg, jetzt die Erblandmarschälle von Tirol.

Zu Steinach an der Brennerstraße, eine Stunde oberhalb Matrei, ist Martin Knoller geboren, welchen Tirol seinen größten Maler nennt. Eine Gedächtnißtafel ziert die Thüre des Hauses wo er das Licht der Welt erblickt. „Es war der achte Tag des Novembers, sagt Herr Heinrich von Glausen, der im sechsten Bande der Zeitschrift für Tirol und Vorarlberg dem Künstler einige Seiten gewidmet hat, es war der achte Tag des Novembers 1725, der dem Dorfe Steinach durch Martin Knollers Geburt eine eigene Berühmtheit verschaffte.“ Sein Vater war ein armer Dorfmaler, der den Sohn allerdings für seine Handthierung erzog, aber auch viel anderes Häusliches, Gemeines von ihm forderte. Martin, der seinen Genius gefesselt fühlte, ging daher eines Tages aus dem Walde, wo er Brennholz holen sollte, nicht mehr zurück, sondern lief nach Innsbruck, und warf sich dort dem Hofkammerrath v. Hormayr zu Füßen, mit der Bitte, ihn die Malerei lernen zu lassen. Sofort lernte er zwei Jahre [500] bei einem Innsbrucker Maler, und kam dann wieder nach Steinach ungefähr in dieselbe peinliche Lage, die er vor zwei Jahren verlassen hatte. Als er nun eines Tages in einem der Dorfwirthshäuser Scheiter zur Küche trug und in einem freien Augenblick mit der Kohle einen Holzträger auf die Mauer zeichnete, stieg ein reisender Herr an der Schenke ab, ging in die Hausflur und fing an den zeichnenden Jüngling zu beobachten. Die Arbeit scheint ihm höchlich zu gefallen und ehe der Andere noch fertig, erklärt er, Paul Troger zu seyn, der berühmte Maler von Wien. Zugleich legt er die Absicht an den Tag, den jungen Martin mit in die Hauptstadt zu nehmen, um ihn dort in seiner Kunst zu unterrichten. Der Vater will dem Glücke des Sohnes nicht im Wege stehen, schlägt ein und Knoller fährt mit Paul Troger davon. Der junge Mann blieb bis in sein achtundzwanzigstes Jahr zu Wien, ging dann nach Rom, nach Neapel, nach Mailand, wurde befreundet mit Winckelmann und Raphael Mengs, malte in Fresco und in Oel, vieles für Italien, noch mehr für Deutschland und starb hochbejahrt 1804 unter der italienischen Republik zu Mailand. In deutschen Landen sind es besonders drei Kirchen, deren Decken er mit seiner Kunst geziert, die des ehemaligen Benedictiner-Klosters zu Ettal im bayerischen Gebirge, die des Reichsstiftes zu Neresheim und die des Chorherrenstiftes zu Gries bei Bozen. Er galt sehr viel zu seiner Zeit, war gut angesehen an den Höfen zu München und Wien, und an letzterm durfte er sogar den Kaiser Leopold malen. Heiter und liebenswürdig, fromm und bescheiden, gutherzig und wohlthätig, immer fleißig und regsam, war er ein schönes Muster tirolischen Naturells. Die Kirche zu Steinach, wo er auch durch einen Denkstein geehrt worden ist, besitzt drei Altarblätter von ihm, den heiligen Erasmus, den Kirchenpatron, die Enthauptung Johannis und St. Sebastian, welchem fromme Frauen die Pfeile aus dem Leibe ziehen. Alle drei verrathen milde, weiche Zeichnung, schwache, harmonische Färbung.

Auf dem Rosenwirthshause zu Steinach, gegenüber der Post, ist ein Zug Landsknechte mit Fahne, Trommel und [501] Pfeife, sieben Mann stark angemalt, lauter schnurrige, seltsam aufgeputzte Gesellen. Dieses Gemälde soll zum Gedächtniß seyn, daß im Jahre 1631 ein Fähnlein Steinacher in die Schweiz gezogen, um dort Krieg zu führen. Von dem ganzen Haufen seyen nur diese sieben zurückgekommen und diese erst nach sieben Jahren. Das hinten dreingehende Weibsbild hat der Mann zunächst vor ihr als sein ehelich Gemahl aus feindlichen Landen mitgebracht, betrogen durch falsche Botschaft, daß seine Frau zu Steinach gestorben. In dem Helden, der die Fahne trägt, will man den damaligen Rosenwirth erkennen. Dasselbe Haus hat im Jahre 1705 auch den Kurfürsten von Bayern beherbergt, als er den erfolglosen Zug an den Brenner unternommen. Deßwegen heißt es auch noch heutzutage beim Bayerwirth.

Dicht bei Steinach geht das Gschnitzthal ein, in dem die Beste Schneeberg steht. Es enthält zwei Gemeinden, Trins und Gschnitz, beide arm. Ich spreche deßwegen von dem Thälchen, weil ich wünschte, daß etwa ein Nachkommender eine Merkwürdigkeit erhöbe, deren ich mich, weil zu spät benachrichtet, nicht bemächtigen konnte. In Gschnitz nämlich, im hintern Dorfe, lebt nach verlässiger Kunde ein alter Jäger, alt aber rüstig, der wie die gesprächigen Greise von ehemals, wie die betagten Kinderfrauen, die jetzt am Aussterben sind, noch an Sagen und Mähren seine Freude hat, und seine Wissenschaft, wenn freundlich angegangen, gerne mittheilt. Er soll unendlich vieles zu erzählen haben von den Geheimnissen der Bergwelt, von dem eigensten Wesen der Gletscher, von den Unthieren, die in ihren Tiefen wohnen und dort unermeßliche Schätze bewachen. Nach allem, was man von ihm hört, dürfte er als einer der letzten Eingeweihten den Liebhabern tirolischer Sagen von größtem Werthe seyn.

Eine Stunde ober Steinach strömt der Bach von Schmirn in die Sill. An seinen Ufern hin führt ein angenehmer Pfad in das Dörfchen St. Jodok oder St. Jos. Ein alter Bauer kam des Weges, begrüßte und tröstete mich wegen des Wetters, das mir etwas bange gemacht hatte. Der Alte stellte sich als [502] Steinklauber vor und bot mir bald auch seine gesammelten „Imeralien“ an, von denen ich aber leider keinen Gebrauch machen konnte. Doch schieden wir im besten Frieden, und zuletzt empfahl er mir auch noch dringend das obere Wirthshaus von wegen des bessern „Gesüffes.“

Von St. Jos an verliert sich der Weg gegen Dux, den wir einschlagen, bald in einen waldigen Tobel, den der Schmirnerbach immer stürzend und tosend durchjagt. Der Pfad ist schmal und oft eingebrochen, die Zusammenwirkung von wilden Wasserstürzen und abgerissenen Tobelwänden im dunkeln Föhrenschatten manchmal schauerlich. In das Düster herein scheint zuweilen von der Höhe herab durch den Wald ein weißes Bauernhaus. Endlich führt der Steig wieder ins Freie, in eine schöne, hellgrüne Fläche, in das Thal von Schmirn, durch welches der Bach ruhig, silberglänzend dahin fließt. Weit zerstreute, steinerne Höfe stehen jenseits des Wassers und diesseits an den waldigen Halden. Die Dächer glänzten im Morgenscheine und ein bläulicher Rauch schwebte um ihre Giebel. Schöne Bergeinsamkeit! Die Aelpler sind mit der Ernte auf den Feldern beschäftigt und beleben das morgenlichte Bild.

Die Kirche steht am Ende der Thalebene, der Widdum daneben. Der Herr Curat, den ich um den Weg befragte, gab mir freundlich Bescheid, und führte mich auch in die Kirche. Dort zeigte er mir den schön gefaßten heiligen Leib, den Stolz des Thales. Er soll einem gebornen Schmirner angehört haben, der Felix geheißen und ein Krieger gewesen. Es ist zu wünschen, daß diesem Felix nichts Aehnliches zustößt, wie dem San Felice in einem Dorf bei Roveredo, der es sich schon vor hundert Jahren gefallen lassen mußte, von dem gelehrten Abbate Tartarotti durch authentische Urkunden für einen einbalsamirten Grafen von Castelbarco erklärt zu werden.

Nachdem wir heiligen Leib und Kirche besehen, begleitete mich der Geistliche noch weiter ins Thälchen hinein zur kalten Herberge, einer Wallfahrt, die sich erst in den neuesten Zeiten aufgethan. Es ist ein reinliches Kirchlein, das eine halbe Stunde vom Dorfgotteshause oben im Walde leuchtet. [503] Die vornehmste Merkwürdigkeit ist ein auf schwarzem Sammet ausgelegtes Crucifix, welches Peter Miller, ein Missionär, auf seinen Fahrten in Amerika gebraucht und in manchen Gefahren als Talisman befunden hat. Namentlich, führt der beigeschriebene Zettel an, sey er einmal im Jahre 1783 von den Wilden eingefangen und sein Tod auf den nächsten Morgen festgesetzt worden. Da habe er nun am Abende noch seine Andacht bei dem Kreuze verrichtet, Gott sein Leben anheimgestellt und nur für den Fall, daß er noch ferners in Ausbreitung seines Wortes thätig seyn könnte, um Erhaltung desselben gebeten, worauf er eingeschlafen und am andern Morgen jenseits des Meeres fern von seinen Widersachern erwacht sey.

Unten am Wege in der Tiefe des Thales erscheint der kleine Tempel als das letzte Heiligthum, von dem ein Glöcklein tönt und zur Messe ladet; weiter drinnen ist nur mehr eine stille Capelle.

Im innersten Winkel des Thalgeländes stehen noch drei steinerne Weiler, von denen der letzte Kasern heißt, zum Andenken, daß hier ursprünglich nur Sennhütten standen. Jetzt waren die Häuser zumeist geschlossen und die Einwohner standen an den Abhängen herum bei der Ernte.

Hinter dem Dorfe springt ein Wasserfall vom Felsen in beträchtlichem Wurfe in die Luft hinaus – eine Erscheinung, die von vielen sehr hoch gehalten wird. Der Weg aufs Joch zieht an zwei Feldkreuzen vorüber, dem Bache entlang, anscheinend auf einen Schneeberg zu, der das Thal in großem rundem Buckel schließt. Bald darauf ändert er aber seine Richtung und kriecht in vielen Windungen einen steilen Abhang hinauf, zur Rechten eines baumlosen Tobels, wo ein Alpenwasser an langer Felswand herabglitscht. Er ist sehr betreten und kaum zu verfehlen. Seine Anmuth auf dieser Seite ist unbedeutend; man sah als Staffage nur etliche von jenen bienenkorbförmigen Heuschobern, die den Sommer über oft auf den gefährlichsten Klippen errichtet und im Winter nach Hause gebracht werden. Höher oben erspähte man an dem steilen Gebirge, das die andre Thalseite bildet, etliche Rinderheerden auf Weiden, [504] die zunächst an der Schneegränze liegen. Ein Wanderer, den ich jetzt erreicht hatte, gab sich als Metzger zu erkennen, und machte auf diese in seine Geschäftssphäre einschlagende Erscheinung besonders aufmerksam. Einer andern schriftlichen Quelle bin ich für die Nachricht verbunden, daß einst bei einer Jagd, die Kaiser Max in diesen Bergen hielt, hundert und dreiundachtzig Gemsen erlegt wurden – eine Beute, die jetzt kaum mehr zu gewinnen wäre, auch wenn wieder ein Kaiser käme. Mein Begleiter war übrigens gebürtig bei Sterzing, in dem Dorfe Gossensaß, dessen Name (urkundlich Gozzinsazze) sein Gefährte nicht unglücklich als Gothensitz erklärt und auf die Zeit zurückgeführt hat, als die Gothen Herren über Rhätien waren. Drum studirte dieser auch lange in den Zügen des andern, ob er nicht eine ethnographische Rune, irgend ein gothisches Wahrzeichen darin entdecken möchte, bis der Metzger, des Spionirens überdrüssig, lächelnd fragte: Haben Sie denn da nichts zu schauen als mein G’fris.

Oben fast am Joche fanden wir eine Galthütte mit dem Stalle für sechs Ochsen, etliche Ziegen und eine Kuh, die hier in der Höhe weiden. Neben an rieselt eine Quelle, die ein treffliches Wasser bietet. Nahe bei der Quelle ist am Felsen ein Denkstein angebracht, zur Erinnerung an die heitre Fußreise, welche den Erzherzog Johann im Jahre 1835 auf diese Höhe geführt. Damals stieg der geliebte Prinz herüber mit den gewappneten Heerhaufen der Gebirgsschützen aus der Nachbarschaft, die ihm fröhlich das Geleit gaben.

Der Ochsenhirt war nicht in der Hütte, doch fanden wir sein Trinkgeschirr, mit dem wir alsbald aus der Quelle schöpften, nach mühsamer Reinigung, denn der einfache Aelpler hatte es augenscheinlich die ganze Saison über noch nicht ausgespült. Die Galthütten fallen überhaupt sehr störend in die gebirglerischen Illusionen der Leute von der Ebene. Dahin verläuft sich keine junge Sennerin, die dem Gast zum Abschied mit rosigen Lippen einen Kuß aufdrückt, da gibt’s keine Zither und keinen Gesang, keine Käskessel und überhaupt keine Alpenwirthschaft, wohl aber einen alten eisbärtigen Ochsner, der in seinem Schmutz erstickt und nur zu oft schlechter [505] Laune ist. Im Hüttchen hat er ein Heulager und eine Wollendecke, und daneben in einem feuergefährlichen Winkel liegt ein breiter Stein, auf dem er seine Milchsuppe kocht. Neben dem Schlafgemache steht der dürftige Stall. Der Ochsner selbst hat nichts zu thun, als etwa hin und wieder einen verirrten Ochsen auf den rechten Weg zu führen und die Kuh zu melken, die ihm mitgegeben ist, um die Milch in seine Küche zu liefern. Alle drei oder vier Tage steigt ein Knabe aus dem Thale hinauf und bringt ihm Brod, Mehl und Salz; damit fristet er sein Leben.

Also von der Galthütte wieder in die Höhe und aufs Joch. Oben an der Wasserscheide saß der greise Hirt auf einem Stein und blickte schmauchend auf seine Heerde herab. Es fror ihn und vielleicht hat’s ihn auch geschläfert, vielleicht hat er auch wie der nordische Fichtenbaum vom Morgenlande geträumt, von einer warmen Felsenwand, auf der die jungen Kamele schäkernd um ihn herspringen. Wie geht’s, rief ihn der Gossensasser an und der Andere fuhr auf aus seinem Sinnen und antwortete: Mitterla, mitterla (mittelmäßig). Es hatte Tags vorher von Morgen bis Abend geschneit und der Hirte sich kaum erwärmen können – es sey gar so ein kalter Ort. Ein Ochsner hat’s übel, meinte er, wenn das Wetter nicht fein ist. Trotz seines Trübsinns gewann sich der Hirt aber doch die Frage ab: wo bleiben Sie? Als ich zwei Jahre darauf noch einmal zur Stelle kam, hatte er’s übrigens schon wieder vergessen. Ich sagt’ es ihm abermals und bin jetzt begierig, ob er’s noch weiß, wenn ich wieder komme.

Auf dem Joch, etwas über dem Hirten, begegneten uns drei Duxer, ein Mann und zwei Weibsen, welche in ihren Kraksen Butter nach Steinach trugen. Es wird nämlich mit der Butter aus dem Duxerthale ein großer Handel getrieben, und die Einwohner beiderlei Geschlechts tragen davon jährlich mehr als dreihundert Centner über die Jöcher nach Innsbruck oder in die Orte an der Brennerstraße. Der Mann sprach uns freundlich an, die Weibsen plauderten gleich ganz gesprächig mit – und so bekam ich zum erstenmale eine Anschauung [506] von dem frischen, offenen Wesen der Duxer. Der Mann meinte, ich ginge gewiß auch das schöne Maidele von Lannersbach sehen, die schon in den Büchern gedruckt sey, und von der die Fremden alle zu reden wüßten!

Das Duxer Jöchel ist eines der bequemsten Hochjöcher, zwar etwas steil von beiden Seiten, aber nicht übermäßig hoch und ganz gefahrlos. Es wird viel begangen, weil es die reichbevölkerten Gegenden von Zillerthal und Dux mit dem Wippthal verbindet. Auf dem Joche oben sind Schneestangen eingesteckt, da der Uebergang auch im Winter viel benützt wird. Auch ein Höhenkreuz steht da und ein hölzerner Heiland hängt daran, dem die Regengüsse alle Farbe abgewaschen haben; auch die beiden Arme sind vom Rumpf abgesprungen und hängen nun trostlos neben dem Leibe herunter. Ringsherum ist eine kleine Fläche, von welcher zwei Wege ausgehen – der eine jäh abfallend zieht gerade vorwärts, der andre läuft zur Linken in ein Thal ein, das sich weit hinaus in die Runde zieht. Seine glatten, steilen Seiten sind baum- und buschlos, aber mit schönem Grün bekleidet. Durch dieses Thal geht auch ein Weg nach Hinterdux hinunter und manchem fremden Wanderer, der ohne Führer von dort heraufkam, ist es schon begegnet, daß er den stillen Pfad, der durch diese einsame Weiden hinabführt, für den Weg nach Schmirn hielt, und daher zu einiger Schadenfreude der Duxer wieder ins Thal hinunter fand, aus welchem er heraufgestiegen war.

Etwas unter dem Joche erreichten wir zwei Menschen, einen Passeyrer und ein Duxer Mädchen, welche zur Zeit in ruhiger Rast saßen. Der Passeyrer trug in seiner Krakse Branntwein zu eigenem Gebrauche, wie er sagte, da er mit andern Leuten seiner Heimath auf den Hochweiden von Hinterdux zahlreiche Schafheerden zu hüten hatte. Die Duxer nämlich, deren Viehstand die ganze Ausdehnung ihrer Almen nicht in Beschlag nimmt, verpachten diese an auswärtige Heerdenbesitzer und darunter sind mehrere Passeyrer Bauern. Das Duxer Mädchen hatte Butter nach Schmirn getragen und ging nun leer zurück. Sie rasteten also beide und als [507] wir herankamen, grüßten sie manierlich, die Duxerin nicht ohne einige Freude, daß da, von dem Rufe ihres Thales angezogen, wieder einmal ein Fremder übers Joch gestiegen sey. Der stattliche Passeyrer, ein großgewachsener, schlanker Mann mit braunem, scharfgeprägtem Gesichte, fragte zuvorkommend, ob ich nicht von seinem Schnapse versuchen wolle, und als ich mich bereit erklärt, nahm er unverweilt seine Krakse vom Rücken und schenkte mir aus einem kleinen Fäßchen ein. Vergeltung wollte er nicht haben, denn auf dem Joche müsse ein Mensch dem andern aushelfen.

Sehr artig war auch das Duxer Mädchen, obgleich nicht gar schön. Sie sang ihre Worte so lieblich hinaus und plauderte so uraltes Bayrisch, daß ich ihren Lauten mit immer wachsendem Vergnügen zuhorchte. Insbesondere überraschte die Deutlichkeit ihres Vortrages; ich und mich und sich sprach sie ganz bühnengerecht, und da sonst die bojoarischen Landleute nur i und mi und si sprechen, so klang mir das gar städtisch und vornehm. Auch mit den Vocalen der Vor- und Nachsylben ging sie sehr behutsam um und gönnte ihnen viel mehr Daseyn, als es ihre Landsleute in andern Thälern thun. Sie lud mich schmeichelnd ein, doch auch ihren Ferner zu besehen, den so viele schon mit Freuden beschaut hätten. Sie hatte den gleichen Weg zu machen auf einige Kasern hinunter, die nicht weit außerhalb des Gletschers standen. Ich ging gerne mit und wir kamen also zu den Kasern, etlichen armseligen Hütten in einer kleinen Thalrinne. Hier blieb das Mädchen zurück und ich schritt einwärts zum Ferner, oder vielmehr zum Keese, denn diesseits der Brennerstraße, in Dux, im Zillerthal, im Pusterthal und seinen Seitenthälern werden die Ferner Keese genannt. Nach wenigen Schritten bog ich um eine Ecke und stand da im Amphitheater des Gletschers, der im Sonnenschein prachtvoll aufblitzte. Rechts und links steigen riesige Hörner in die Höhe, zwischen denen sich der Ferner wie eine silberne Schleppe in die Kiesarena heruntersenkt, die seine Bäche durchströmen. Die eine Hälfte seines Eises liegt einer Muschel gleich auf dem Griese; die andre Hälfte sitzt zerbrochen, zerklüftet, in vielen Spitzen [508] aufstarrend, hellgrün und hellblau glänzend auf einem Felsstock, den sie ehedem wohl bedeckt hat, so daß dann der Ferner wie ein ausgebreiteter Fächer in der sandigen Runde lag. Oben verliert er sich in ein schrundiges Schneefeld, die gefrorne Wand, über welche sich bisher noch niemand emporgewagt. Die Scene ist ringsum abgeschlossen; rückwärts ziehen sich niedere Hügel auf, hinter denen sich höhere Berge erheben. Links weit oben glitzern etliche Wasserfälle, welche von höhern Schneefeldern herunterstürzen.

Als ich wieder zu den Kasern kam und mit dem Mädchen weiter ging, zeigte sich’s bald, daß der Ferner so zu sagen hinten in einem hohen Stockwerk liege, aus dessen vordern Stellen man das Thal erschauen kann, das aber noch tief unten liegt. Und so schauten wir denn hinunter in die idyllische Alpenlandschaft, in die grünen Auen von Hinterdux, in denen Hütte an Hütte, braun und niedlich, wie Grillenhäuschen, sich an einander fortreihten, umgeben von gelben Gerstenfeldern, durchzüngelt vom silbernen Bache, eingesäumt mit Anger und Feld von einem bergauf und ab laufenden Zaune, der das sattere Grün der Heimwiesen von dem blasseren der Alpenweiden abschnitt. Zu beiden Seiten thürmte sich mächtiges Gebirge auf, unendliche, steile, breite Halden, hie und da mit Sennhütten besetzt, welche die Warten sind für den einheimischen und auswärtigen Heerdenreichthum. Ist’s nicht fein? fragte das Duxer Mädchen in hellem Vergnügen über meine Bewunderung.

Rechts von da geht es zum Duxer Wasserfall hinunter, der wohl einen Gang verdient, aber besser vom Thale aus besucht wird, als von da hinab über die jähe schlüpfrige Keßler-Rinne, an der sich einer beim ersten Fehltritt zu Tode scheipen kann. Unter heitern Reden erreichten wir die Flur des Dörfchens, wo das Mädchen zurück blieb, wahrscheinlich damit nicht, wie einst Nausicaa befürchtete, die Zungen im Dorfe für ihren Einzug mit dem fremden Wandersmann irgend einen unvernünftigen Grund aussuchen möchten. Dafür fanden sich bald ein Knabe und ein Mädchen, zwei sehr schöne Kinder von acht oder neun Jahren, die plaudernd [509] auf dem Rasen saßen, meine Fragen anmuthig erwiederten und unaufgefordert sich erhoben, um mir den Weg zu den warmen Quellen zu zeigen, die ich wenigstens sehen wollte. Sie stießen kurz vor dem Dorfe jenseits des Baches in zwei Armen von der Halde herab. Sie sind nur wenig lau, noch nicht untersucht, und scheinen in der Gegend keines besondern Rufes zu genießen; wenigstens hörte ich nichts von ihrer Heilkraft. Sicher wohnt ihnen eine solche bei und es wäre vielleicht nicht übel, wenn sich da ein „Badel“ erheben würde. Die Duxer sind indessen zusehends zu gesund dafür und den Zufluß aus der Ferne dürfte die Abgelegenheit des Thales wohl immer sehr beschränkt halten. Später habe ich irgendwo gelesen, daß die Quellen wenigstens in ältern Zeiten mit Erfolg angewendet wurden.

Ehe ich nun die erste Hütte erreichte, kam ich noch an einem Wiesgärtchen vorbei, in dem etliche halberwachsene Jugend Kurzweil trieb. Als die Königin des Festes erschien ein schönes, wohlgekleidetes Mädchen von etwa achtzehn Frühlingen, der man es ansah, daß sie nicht in dem Thal geboren war. Ich schaute dem Spiele einige Augenblicke zu, worauf die Jungfrau das Thürchen öffnete und heraustretend in feinen Worten mich willkommen hieß zu Dux. Dabei gewahrte ich, daß sie einen städtischen Rock anhatte und ein sauberes Halsgekröse, und an den Füßchen trug sie schön lackirte Schuhe, was mir vorkam, wie ein schalkhafter Spott über die ascetische Bedürfnißlosigkeit der Duxer. Ich will’s gleich voraussagen, was ich später erfahren habe, nämlich daß das Mädchen eines reichen Müllers Tochter aus dem Zillerthale war, die ihrer Bildung wegen schon manchen Winter in der Hauptstadt verbracht hatte, nun aber als vornehmer Sommerfrischgast bei armen Verwandten in dem hölzernen Dörfchen wohnte, das neben uns lag. Deßwegen wird sich auch Niemand wundern, daß wir trotz der Ferner, die von oben recht arg herunterglotzten, trotz des Heerdengeläutes und des Bergjauchzens, das jetzt bei kommendem Abend in die Stille froh hereinklang, daß wir trotz alle dem fast eine sehr gebildete Conversation pflogen, beide nicht ohne tiefes Gefühl [510] für die Ironie des Zufalls, der hier dem Mädchen mit den lackirten Schuhen den Gegenpart zugeführt hatte, der ihre exceptionelle Stellung zu würdigen, zu bewundern und zu belächeln wußte. Sie verstand es, in Schilderungen die augenscheinlich nach Salis und Mathisson gebildet waren, die idyllische Einsamkeit ihres Sommeraufenthalts zu zeichnen und ebensowohl in meinem Wesen den schwärmerischen Zug herauszufinden, der mich durch alle Mühsal der Bergwelt hieher in die reine Luft des friedlichen Alpenthals geleitet. Nach manchem guten Gedanken und manchem witzigen Scherze von ihrer Seite, worauf ich, so gut es ging, Bescheid that, beurlaubte ich mich von der städtischen Alpenmaid, die in mir die Bemerkung zuwege brachte, daß ein schönes Mädchen überall am rechten Platze sey und daß man auch in Hinterdux nicht unangenehm berührt werde durch ein anmuthiges, feines Müller-Töchterchen, gesetzt auch sie hätte lackirte Schuhe.

Hinderdux, die Ortschaft, mit ihren hölzernen Hütten, welche neunzig Menschen beherbergen, ist vielleicht das unansehnlichste aller Alpendörfchen. In Damils und Fend sind die Häuser, obgleich von Holz, doch viel größer, in Galthür sind sie von Stein; andere Orte taugen kaum zur Vergleichung. Was aber diesem Dörfchen eigen, das ist eine fast alterthümliche Philoxenie – man kann nicht sagen: Gastfreundschaft, denn das Völkchen hat nichts anzubieten als Milch und Gerstenbrod, was es für die Herren nicht recht passend hält – aber es ist eine recht innige, herzliche Freude an den Fremden, die durch ihre Holzgehäuse durchpilgern. Als ich da den Fuß einsetzte, war es bereits Abend geworden und die Leute saßen auf den Sommerbänken vor den Thüren. Als sie mich ersahen, sprangen sie von allen Seiten auf, eilten herbei, bildeten einen Kreis, und ließen die Augen neugierig auf mir ruhen. Die ältern Männer und Weiber sprachen mich zuvorkommend an und fragten vor allem, wo ich bleibe. Als ich Bayern nannte, erinnerten mehrere, das sey ein feines Land, ganz eben und voll Getraide. Es sey zu verwundern, daß man da fortgehen möge, um ihre „schiechen“ Löcher zu betrachten. Ich hatte Mühe, mich darüber zu rechtfertigen, [511] doch schien es ihnen auch wieder nicht unstatthaft, daß ich die schöne Flur von Hinterdux recht augenfreundlich finden wollte. Uns däucht es außen fein, enk herinnen, sagte endlich ein Alter gewissermaßen als Vergleichsvorschlag und die andern wiederholten es wie eine tief empfundene Wahrheit. Die jüngern, noch schulpflichtigen aus dem „Umstand“ duzten mich, die ältern sagten Ihr und Sie. In allem was sie sprachen, war ein so freundliches Wohlwollen ausgesprochen, daß ich mich nur ungern aus der Runde losmachte, um nach Lannersbach in Vorderdux zu gehen, wo eine gute Nachtherberge zu erwarten stand, während in Hinterdux nur ein sehr kümmerliches Wirthshaus zu finden ist. Aehnliche Aeußerungen wie die der Duxer von der schiechen Natur ihres Thales hätten auch an andern Orten wiedergegeben werden können, da sie fast allenthalben zu vernehmen sind. Der Mann, der der Scholle sein knappes Leben abgewinnen muß, berechnet die Schönheit des Landes nach der Fruchtbarkeit des Bodens, nach der Bequemlichkeit und Sicherheit der Feldarbeit. Der bäuerliche Tiroler hält daher die Ebene für viel „feiner,“ als das Gebirge und seine Geburtsstätte mit den abschüssigen Halden unter Lahnen- und Muhrengefahr, mit den Felsenwänden, die alle Frühjahre donnernd in das Thal herunterpoltern, mit den Wildbächen, die jeden Lenz verwüstend losbrechen, sein eigen Mutterland nennt er am liebsten „schiech,“ ganz unbeschadet seiner Liebe zu der strengen Erzeugerin. Die volle Herrlichkeit der Bergwelt geht ihm oft erst im Heimweh auf. Landschaftsmaler, die im Gebirge bekannt sind, wissen zur Genüge, daß eine Gegend desto weniger Ausbeute gewährt, je feiner sie geschildert wird und umgekehrt, je schiecher desto voller die Mappen. Die grimmigsten Ausdrücke versprechen die erhabensten Schönheiten; ich wenigstens habe nie solche Lust verspürt, einer Empfehlung nachzugehen, als einmal auf den Wiesen von Sterzing, wo ein Bauernjunge auf die Gletscher des Ridnaunthals deutend, lustig hervorbrach: Ei ja, da sollt es hineingehen, da sind Ferner drinnen, daß es eine Schand’ ist.

Nicht weit von Hinterdux kamen mir zwei Novizen der [512] Liguorianer nach. Der eine war ein Tiroler und schwieg, der andere ein Wiener und plauderte lehrreich über Welt und Leben, insbesondere viel Aprioristisches über die Alpen, die er seit acht Tagen betreten hatte. Auf der Moosseite, wo wir miteinander vorüber kamen, steht ein Wirthshaus, vor dessen Thüre die Tochter erschien, fragend, ob denn heute gar nichts gefällig sey, kein Wein, keine frische Buttr. Während wir uns nun zur Rast anließen, versammelte sich alles Hauswesen, so weit es daheim war, drei Brüder, schöne Jungen, der älteste mit Schnurrbart und gelockten blonden Haaren, wie sie hier die Burschen haben, und die Schwester, die uns so gastfreundlich angerufen hatte. Der älteste Bruder bemerkte, es gehe ein kühler Wind im Freien und lud uns ein hinein zu kommen, da es doch viel schöner sey in dem „Gaden.“ Ich freute mich über den lieben Kerl mit seiner Nibelungensprache, ging auch hinein in den Gaden, fand es aber sehr schmutzig darinnen und die Wände neu geweißt. Die Unterredung war recht niedlich, und drehte sich abermals um die sonderbaren Herrenleute, die die schiechen Jöcher absteigen, um sich ein Plaisir zu machen.

Von da nach Lannersbach herunter führt ein anmuthiger Pfad am Bache hin. Aus tiefer Dämmerung schimmerten endlich die spitzthurmige Kirche und die hölzernen Häuser, die zwar etwas ansehnlicher sind, als jene in Hinterdux, aber ebenso schwarzbraun und rußig. Man sollte es nicht denken, daß zwischen hölzernen Häusern ein solcher Abstand seyn könnte, wie zwischen den Hütten in Dux und den Palästen im Bregenzerwald. Uebrigens ging ein sehr kühler Nachtwind, denn das Klima von Dux ist kalt und rauh. Dank der hohen Lage – 4666 Wiener Fuß über dem Meere – und der Nachbarschaft des Ferners.

Im untern Wirthshause zu Lannersbach saßen zwei Landsleute beim Weine, Gymnasiasten von München, deren einer, als leidenschaftlicher Geognost, eine Menge von Zeichnungen und stenographischen Notizen, auch einige gesammelte Felsstücke bei sich trug. Er freute sich, jetzt mehr und mehr in reichhaltige Gegenden vorzudringen, und hatte sich versprochen, den derben Hammer, den er bei sich führte, im Steinreich [513] mächtig walten zu lassen. An einem Stücke gelobten Landes war er freilich schon vorbeigegangen, denn die östlichen Nachbarthäler von Dux, die ihre Wässer in den Zillerbach ergießen, verbergen unendliche Schätze für Mineralogen wie für Botaniker. Für erstere zumal ist der Greinerberg als Fundgrube berühmt. Ich beklagte im Stillen des Scolars jungen Rücken, dem der geognostische Eifer so viel zu tragen gab über Berg und Thal, und seine Stenographie sprach mich in Dux fast ebenso seltsam an, als die lackirten Schuhe der schönen Zillerthalerin. Wir fanden uns bald in lebhaftes Gespräch hinein und es war daher sehr unwillkommen, daß ein betrunkener Hintenbauer, ziemlich jungen Alters, sich zu uns setzte, welcher die Unterhaltung jeden Augenblick durch ungeschickte Reden stören wollte und nach allem tappte, was der Geognost der Belehrung halber auf den Tisch legte, nach all den werthvollen Felsstücken, nach den mineralogischen Zeichnungen und selbst nach den stenographischen Notizen. Als wir ihn baten, er möge das unterlassen, nahm er unaufgefordert den wissenschaftlichen Hammer und hieb damit in den Tisch, daß die Gläser alle klirrend in die Höhe sprangen und selbst die Felsstücke dröhnend aufhüpften. Dabei lachte er gerade wie der Teufel, nämlich ungemein dämonisch. Wir sahen uns bedenklich an, er aber hielt eine Rede, von der wir keine Sylbe verstanden. Ich glaube auch, es ist nur ein Blendwerk des Bösewichts gewesen, lauter mystische Worte, ohne Sinn und Zusammenhang. Gleichwohl verlangte das Ungethüm, wir hätten es verstehen sollen, und als wir nach unsrer Ueberzeugung erklärten, das sey uns unmöglich gewesen, schlug er mit dem Hammer wieder in den Tisch, daß das Haus in seinen Grundfesten erbidmete. Mich nicht verstehen? rief er dann – ja freilich, ein Herr ist ja kaum ein Mensch, höchstens halbwegs. S’ ist dieß schon aller Ehren werth, wenn der Bauer ein ganzes Vieh ist, erwiederte der Geognost in schnellem Gegenschlag. Dadurch fand sich aber der idyllische Zecher übel getroffen und brummte mit steigendem Getöse an einer Antwort, welche jedenfalls sehr herbe zu werden drohet, als Jörgel, der Wirth, herantrat und ihm unter [514] schlimmen Trümpfen allen Umgang mit uns untersagte. Der Aelpler nahm darauf knurrend seinen Branntwein und begab sich an den andern Tisch. Am andern Tische und zwar in der Ofenecke saß übrigens auch, den breitrandigen Hut tief ins Gesicht gedrückt und dazu noch von dem Lichte der dünnen Kerze nur unsicher beleuchtet, das Duxer Maidele, ruhig und schweigsam, denn sie litt an einem bösen „Schinken“ (Schienbein). Sie war längst verschwunden, als wir zu Bette gingen; vorher hatten wir sie nicht angeredet.

Es war Samstag, der 3 September 1842. Die Studenten waren in der Frühe davon; ich dagegen wollte warten bis auf den Sonntag, den Kirchweihtag von Lannersbach. Die Duxer Kirchweih war in den Tagen, wo das Volk noch offen und vor aller Welt sich seines Daseyns freuen durfte, eine Musterkirchweih, wie die zu Zell am Ziller. Liebhaber des Volkslebens kamen von fern und nah in das abgelegene Thal, um die Duxer fröhlich zu sehen. Die Duxer sind nämlich so zu sagen die Schooßkinder der gefürsteten Grafschaft in Schimpf und Ernst, und ihrer Kindlichkeit gönnt man auch gerne diese Auszeichnung. Es ist kein zweites Thal im Lande, das mit dem ihrigen verglichen werden könnte. Der natürlichen Lage nach ein Zuthal des Zillerthales, welches ohnedem schon ein Seitenthal ist, hat es doch seine Sonderphysiognomie gerettet in Tracht, Sprache und Lebensweise. Die Zillerthaler, ehemals wohl in den meisten Stücken ihren Hintermännern ähnlich, haben neuerer Zeit durch bekannte Verhältnisse in der Verfeinerung solche Sprünge gemacht, daß sie jetzt für das weltläufigste, geschliffenste Bauernvolk in Tirol gelten können; die Duxer aber sind in ihrer alpenhaften Geistesjugend geblieben wie vorher, noch immer keine Fernzügler, sondern gern am heimischen Herde, unverlockt durch die abenteuernden Handelschaften der andern, ehrlich und ohne Falsch. So müssen sie sich zwar wie alle alterthümelnden Bevölkerungen manche hirtliche Naivetät nachsagen lassen, sind aber gerade deßwegen so beliebt bei den Landsleuten, die in ihnen das Bild der Väter, die ächtesten Enkel der „Thölderer“ von ehemals verehren.

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Den ganzen Samstag wartete ich also ruhig auf den Sonntag. Nachmittags ging ich etwas lustwandeln auf den Bühel jenseits des Baches. Es sind dort Preißelbeeren in Menge, aber eine sehr beschränkte Aussicht. Das Thal ist schmal und nicht lange zu verfolgen, da sich oben und unten das Gebirge bald wieder in einander schiebt. Die düstern Häuser stechen lebhaft ab von dem hellen Grün; die Kirche steht tempelhaft in der Au. Heerdengebrüll und Glöckchenklang versteht sich von selbst; ebenso daß auf den Berghängen weithin lockende Sennhütten zu sehen sind. Hinten erhebt sich ganz weiß und bedräulich die gefrorne Wand, aus welcher der Duxer Ferner zu den Kasern herabsteigt.

Als ich mich da an der Betrachtung der Lannersbacher Flur gelabt hatte, stieg ich wieder abwärts und lernte den Schulmeister kennen, von dem mir schon Abends vorher die beiden Studenten erzählt hatten, weil sie ihm auf dem Wege von Zell herein begegnet und über seine Belesenheit in Staunen gerathen waren. Es ist ein Duxer Bue von zweiunddreißig Jahren, ganz in die Thaltracht gekleidet, auch sonst in Thun und Lassen von Duxer Art, nur in der Sprache mit einem Anfluge städtischen Schliffes. Er sagte mir’, wie er von Jugend auf Lust am Lesen gehabt, wie er dann allerlei Bücher, deren er habhaft werden konnte, durchgegangen und sich besonders an Raffs Naturgeschichte und Stolbergs Geschichte der Religion Jesu erfreut habe. Nach diesem und andern Autoren hatte er einen Abriß der Weltgeschichte gemacht, in einem dicken schweinsledernen Quartband. Dieser war ursprünglich von seinem Vater, dem Meßner bestimmt worden, die Geheimnisse des Kirchendienstes aufzunehmen, aber der Alte war des Schreibens bald müde und so blieb der Quartband als ein theures Vermächtniß dem Sohne, der, als er zu seinen Tagen gekommen war, auf den leeren Seiten seine ersten schriftstellerischen Versuche anstellte. Ferner hatte er aus einem „epischen“ Gedichte die Historie des Feldzugs, welchen Herzog Theodo I von Bayern gegen die Avaren unternommen, prosaisch ausgezogen. Dieser Schulmeister, Georg Mariacher mit Namen, hat etliche dreißig Knaben unter [516] sich, wogegen die Mädchen unter einer Lehrerin stehen, welche ebenfalls ein Bauernkind von Dux. Dafür verdient er den Winter über vierundsechzig Gulden, den Sommer arbeitet er bei seinen Eltern auf dem Felde und im Hause, wie ihn denn die Münchner gerade getroffen, als er ein Last Brod für seine Mutter aus dem Zillerthale hereinschleppte. Mir machte er viel Vergnügen mit den Erzählungen aus seiner Bildungsgeschichte. Das große Reich des Wissens und die Bücherschätze, die bei glücklichen Leuten in Deutschland aufgestapelt sind, standen in träumerischer Glorie vor seinem innern Auge. Insbesondere, meinte er, müsse es eine Seligkeit seyn, Friedrich Schillers Werke zu lesen, denn, das habe er schon oft gehört, das sey gar ein schöner Autor, vielleicht der schönste in deutscher Sprache.

Solche bäuerliche Schullehrer sind in den Alpenorten überall zu finden. Die Bestallungen sind sehr dürftig und das Lehramt, das überdieß nur den Winter über geübt wird, kann also für sich seinen Mann nicht nähren. Es wird daher allenthalben von jüngern oder ältern Burschen als Nebenverdienst betrieben, da in der schlimmen Jahreszeit ohnedem auf dem Felde nichts zu thun ist. Die dazu Berufenen sind jene, welche sich schon in der Schule durch Fleiß, Anlagen und Sittsamkeit hervorgethan. Sie bereiten sich einige Zeit auf ihr Amt vor und unterziehen sich dann einer Prüfung. Wenn dieß geschehen, sind sie verfügbare Lehrer, werden von dem Pfarrer den Bauern vorgeschlagen und treten nach freiem Uebereinkommen mit den Betheiligten in den Dienst, einen Winter da, den andern dort. Wenn nämlich auf schroffem Abhange oder in einem entlegenen zur Winterszeit schwer begehbaren Zuthälchen ein halb Duzend Höfe beisammen stehen, so entschließen sich die Bauern gerne einen Schulmeister einzustellen, um ihre Kinder nicht den Gefahren eines weiten Ganges auszusetzen; sind sie dann mit seinen Leistungen nicht zufrieden, so wählen sie nächstesmal einen andern. Wie sich übrigens der Schulmeister als Bauernbursche gibt, so wird er auch als Bauernbursche genommen. Die Aktionäre weisen ihm nacheinander in der Gesindekammer neben [517] Knecht und Dirne seine Liegerstätte an und Einbrennsuppe, Plentenknödel und Türkenribel ißt er Tag für Tag abwechselnd bei den Bauern. Etwas unbequem wird die Stellung, wenn sich etwa ein halbherrischer Junge, allenfalls ein armer Bürgerssohn aus der Stadt in diese Ländlichkeit verirrt hat. Man hört dann manche stille Klage, wie schwer sich mit der Rohheit und den Vorurtheilen der Bauern abzufinden sey, wie der Schulmeister immer die Herren beim Landgericht zu vertheidigen habe, wenn sie etwas verordnen, was den Aelpler ärgert; und über menschliche Kräfte sey es gegangen, den guten Kaiser Franz zu rechtfertigen, wenn einmal die Bauern zu politisiren anhoben.

Jörgel, der Schulmeister, versprach damals auf das Octoberfest nach München zu kommen, hielt es aber nicht. Als ich im zweiten Jahre darauf wieder in Dux war und mit einem Reisegefährten in seiner bescheidenen Wohnung zusprach, erfuhr ich zwar wenig Triftiges zu seiner Entschuldigung, – ich habe stark gezweifelt, sagte er, ob ich wohl den Weg thäte finden – aber dafür erzählte er, daß er jetzt ein Krämer geworden sey. Ja, dem Schuldienst hat er nicht mehr recht vorstehen können, weil er die Orgel nicht zu spielen weiß und so haben die Duxer einen andern erwählt, der auch auf dem Chor ein Meister ist. Jörgel ist jetzt, obgleich er fünfhundert Gulden für die Krämerei ausgegeben, ziemlich wohl auf, verwendet viele Zeit auf die Wissenschaften und wünscht nur auch einen Tabaktrafik zu bekommen. Dieß ist aber trotz der heißesten Wünsche in Innsbruck nicht durchzusetzen gewesen, weil, wie die Herrn sagten, kein Bedürfniß dazu vorhanden, massen in Lannersbach schon ein anderer mit dem Tabakverschleiß betrauter Handelsmann ist. Die Leser wissen ohnedem, daß in Oesterreich der Tabak ein Monopol der Regierung ist, die den Kleinverschleiß an bestimmte Krämer abgibt, welche, glaub’ ich, vom Gulden Erlös einen Groschen Profit haben. Jörgel schlug den Zuwachs an Einkünften, der ihm jährlich dadurch zu Guten kommen würde, auf dreißig, vierzig oder fünfzig Gulden an und dieß ist in Dux allerdings eine Summe, die seine heiße Sehnsucht entschuldigt.

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Wie die Gebirgsvölker findig sind, so wußte er auch gleich etliche Fragen zu stellen zur Aufhellung, ob ich nicht etwa in Innsbruck „Connexionen“ hätte, die seine Lieblingsgedanken zur schönen Wirklichkeit werden lassen möchten. Ich hatte viele Noth, ihn genügend zu überzeugen, daß ich nichts für ihn thun könne.

Uebrigens standen wir bei dieser Unterredung um den Herd herum und suchten uns am Küchenfeuer zu wärmen. Die alte Mutter meinte nun nicht anders, als, weil wir Gäste, müßte sie uns auch etwas vorkochen. Die Vorrathskammern in Dux sind aber sehr einfach ausgerüstet und dießmal waren nur Eier vorhanden. Sie wurden indessen mit so freundlicher Aufdringlichkeit geboten und die Mutter wußte den „Koch,“ den sie daraus bereiten wollte, als so schmackhaft zu schildern, daß uns nur die Aussicht auf die nächstbevorstehende Abendtafel im Wirthshause veranlassen konnte, das Ehrengeschenk dankend abzulehnen. Doch wurden wir nicht eher entlassen, als bis wir aus einem hölzernen Weidling frisch gemolkene Milch getrunken hatten.

Als ich nun damals von der Wanderung auf dem Bühel jenseits des Baches und aus der Hütte des Schulmeisters wieder ins Wirthshaus zurückkam, fand ich es gedrängt voll, denn der alte Ruf der Duxer Kirchweih hatte auch dießmal noch gezogen und es waren manche Fremde herzugewandert, die zusammen mit den Duxer Bauern, welche den Vorabend des Festes mit etwas Branntwein begehen wollten, alle Tische füllten. Auch der Rosenwirth von Matrei war mit einem „Collegen“ durch das Thal von Navis, an der Lizumer Alm vorbei, über zwei Jöcher herüber gestiegen, um in seinem Leben auch einmal der Duxer Kirchweih anzuwohnen. Ein Viehhändler, ein weitgereister, von Schlitters im Zillerthale gebürtig, war eine Standesperson mehr. Der alte Metzger von Gossensaß, den ich auf dem Joch verlassen hatte, als ich mit dem Duxer Mädchen „Ferner schauen“ ging, ruhte träumerisch in einer Ecke, fern von mir, und nickte hin und wieder bedeutsam mit dem Haupte, ob im Schlafe oder zur Anfeuerung des Gespräches, das um ihn her zuweilen hell [519] auflärmte, das konnte ich nicht entnehmen. Einige andere außerthalische Gestalten waren da und dort zwischen die Bauern eingestreut.

Die zwei Wirthe, der weitgereiste Viehhändler und der bayerische Herr saßen beisammen und unterhielten sich geschmackvoll über verschiedene Gegenstände, bis auf einem andern Tische das Singen anhob. Dabei nahmen Theil der Wirth, das Duxer Maidele, und Ferdinand Mariacher, der Organist, des Schulmeisters Bruder, der aber erst aus dem Bette hatte geholt werden müssen.

Der Wirth von Lannersbach, Georg Stock, den die Duxer schlecht und recht Jörgel heißen, ist eigentlich ein geborner Zillerthaler und hat aus seinem Mutterländchen eine Statur hereingeheurathet, wie sie von den Duxern so hoch und ansehnlich keiner aufzuweisen hat. Dabei trägt er ein heiteres, väterliches Gesicht von erzgesunder Farbe und bewahrt immer eine ruhige, aber gute Laune. Da er auch sonst ein verständiger Mann, so kann er mit den Thälerern alles ausrichten und ist nicht ohne Grund ihr Hauptmann, der Capitän der Duxer Schützencompagnie. Bei dem Feste, welches 1822 zu Innsbruck gefeiert wurde, marschirte er an der Spitze seiner Mannschaft an den Kaisern von Oesterreich und Rußland vorüber und machte dabei aus dem Stegreife so herrliche Sprünge und ich glaube sogar Buzigagelen (Burzelbäume), daß ihn der gerührte Franz zu Tische zog. Auch dabei verursachte er den beiden Potentaten unendliches Vergnügen, und er erzählt mit Offenheit, wie sie das Lachen gar nicht mehr halten konnten, wenn er bei Tafel hin und wieder eine unhöfische Alpenmanier heraustreten ließ, oder wenn er etwas sagte, was den beiden andern nicht gescheidt genug vorkam. Kaiser Alexander drückte ihm damals den Wunsch aus, er möchte wohl auch ein halbes Tausend solcher Schneebauern haben, worauf ihm Jörgel, ich weiß nicht welches Compliment sagte. Durch seinen eigenen Werth und durch die Auszeichnungen die ihm damals die zwei Monarchen angedeihen ließen, ist Jörgel eine im ganzen Lande bekannte Person geworden und der Wirth von Lannersbach genießt durchweg [520] einer großen Popularität. Er ist gar nicht unzufrieden, daß die Fremden endlich auch einmal den Weg „ins Düx“ gefunden haben und freut sich ihres guten Zuspruchs. Nur zufällig fand ich ihn dazumal etwas gereizt gegen ein paar Reisende aus Berlin, die er nicht recht hatte verstehen können. „Ich weiß nicht, sagte er, warum diese Leute ihre Muttersprache so verläugnen mögen.“ Man ist in Dux nämlich nicht mit Unrecht stolz auf den alten, feinen, unausgeschliffenen Dialekt, der in vielen Stücken dem Schriftdeutsch um ein Gutes näher steht, als die andern Mundarten des Landes. Auch die gebildeten Tiroler erkennen seine Tugend gerne an und man hat zur Erklärung sogar schon die sonderbare Behauptung aufgestellt, der hochdeutsche Anstrich des Duxer Dialekts rühre von einem Geistlichen her, welcher der Gemeinde so viele Bücher zu lesen gegeben, daß sie zuletzt unwillkürlich sich die Büchersprache eigen gemacht.

Maidele, des Wirthes Tochter, war damals einundzwanzig Jahr alt und ein schönes Mädchen mit dunkeln Haaren, schwarzen, feurigen Augen und rosigen Wangen. Es hat der Jungfrau keine Freuden eingetragen, daß die Welt sie für Lewalds „schöne Duxerin,“ für das Mädchen hielt, das der berühmte Tourist auf der Kirchweih zu Zell einst kennen gelernt, dann im Halbdunkel eines engen Gäßchens wieder gefunden und mit ihrem Vater, dem Alten, den Gebirgspfad hinaufgeführt hat, gleich „als hätte er eine Dame von hoher Bedeutung am Arm.“ Er fühlte sich, wie er gesteht, seliger dabei! Wenn man bedenkt, wie viele Maler, Studenten und andre scherzhafte, junge Leute jährlich zu Lannersbach zukehren, so ist es allerdings nicht zu verwundern, daß die Duxer und so auch Jörgel und sein Haus von der Begebenheit in dem Halbdunkel und allem, was darauf folgt, vernommen haben. Wie es nun gekommen, daß man die Geschichte auf dieses Mädchen bezogen, ist mir unbekannt. Maidele konnte indessen auch die leiseste Anspielung darauf nicht ertragen und es war ein Glück, dies zeitig genug zu merken, ehe sie, ihr Vater, der Bruder und das ganze Hauswesen verstimmt waren. Uebrigens hatte sie auch keine Gründe, [521] sich etwas gefallen zu lassen, denn im Jahre 1834, als Lewald die schöne Duxerin kennen lernte, war die Wirthstochter von Lannersbach etwa dreizehn Jahre alt. Die wahre schöne Duxerin aber, wenn sie anders je auf Erden wandelte, soll nach der Aussage unterrichtet seyn wollender Gewährsmänner zur Zeit eine geschickte, etwas ältliche Köchin zu Innsbruck seyn.

Der Wirth also und sein Töchterlein und der Organist setzten sich zusammen und sangen anmuthige Lieder nach Art der Zillerthaler, und eben so schön wie diese konnten sie auch jodeln. Unter den Gesängen gefielen mir am besten ein Zigeunerlied und hie Frau Nachtigall, und endlich ein Alpenlied, das im Thale entstanden und mit einer sehr hübschen Melodie begabt worden ist. Als die längern Stücke vorübergegangen, erholten sich die Sänger an den Schnaderhaggen, den kleinen vierzeiligen Liedchen, die aus dem Zillerthale und dem bayerischen Gebirge allmählich in die gesammte deutsche Welt wandern. Mitunter ließ auch einer der Anwesenden eine Strophe hören. Hin und wieder trällerte Vater Jörgel sogar ein erotisches, mehr oder minder heikles „G’sangel," wobei denn Maidele den Hut etwas tiefer in die Stirne drückte, aber geschämig und folgsam accompagnirte. Es war große Heiterkeit in der Stube und die meisten Gäste gingen erst nach Mitternacht zu Bette.

Den andern Tag, an der Kirchweih, vor dem Gottesdienste kamen die Vorderduxer und die Hinterduxer alle auf dem Platze bei dem Wirthshause zusammen und der fröhliche Lärm schallte als Weckerruf in die hölzerne Prachtkammer, die mir Jörgel zum Schlafen gegeben hatte. Ich stieg also in den untern Raum des Gasthofes hinab, und gewahrte, daß der Wirth zu Lannersbach seine Vorkehrungen gut zu treffen gewußt. Maidele zwar, das Maidele war nur halb dienstfertig, aber dafür war ihr Schwester gekommen, die auf einem Bauernhofe im Thale verheirathet ist und mit ihr der Mann, ein schöner und flinker Bursche, noch jung an Jahren, und mit ihnen dasselbe schöne Mädchen mit den lackirten Schuhen, das noch vorgestern auf der Flur von Hinterdux mit der erwachsenen Jugend Kurzweil getrieben [522] hatte und dem wegemüden Wanderer mit so freundlichem Willkomm entgegengetreten war. Sie hatte sich auch bereden lassen bei der Kirchweih auszuhalten, aber nur, wenn etwa Herrenleute kommen sollten, nicht bei den Bauern. Sie trug natürlich ihren besten Putz und in ihrem fräuleinhaften Feiertagsglanze stand sie wirklich recht fremdartig da unter den Branntweintrinkern von Dux und ihren schmucklosen Töchtern; ihr literarisches Innere mochte freilich noch mehr abstechen von dem analphabeten Bewußtseyn der schlichtesten aller Hirten.

Vor dem Hause waren indessen mehrere Anstalten erstanden, von denen man des Abends zuvor nur erst schwache Andeutungen gewahrt hatte. Zu Gunsten der ständigen Kegelbahn, welche dem Wirth gehört, hingen aus den Fenstern des obern Stockes herunter zwei seidene Halstücher festlich neben einem neuen Hute und auf dem Anger stand an einen Pfahl gebunden ein schöner Widder, alles Preise des Schiebens, welche der Bestgeber, Georg Stock, ausgesetzt hatte. Aus der zierlich gefertigten Ausschreibung, die an Jörgels hölzerne Wand geklebt war, entnahm ich, daß man hier die Preise mit dem alterthümlichen Namen Kleinod benennt, was mich sehr erfreute. Neben der ständigen Bahn hatte aber Ferdinand Mariacher eine fliegende aufgeschlagen, dafür auch Halstücher und einen Hut ausgestellt, welche vom Söller des Nachbarhauses herab den Ehrgeiz der Duxer mächtig anregten. Auch er hatte ein schöngeschriebenes Proclama angeheftet, worin er die verehrlichen Gäste freundlichst zur Theilnahme an seinem Kirchweihschieben einlud. Für schlechte Liebhaber des Kegelspiels wäre hier zu bemerken, daß in Lannersbach der Laden auf beiden Seiten mit Leisten eingefaßt ist, so daß sich die Kugel wenigstens auf dem Wege nicht verirren kann. Ein alter Pfannenflicker hatte ebenfalls ein Kleinod ausgeboten, welches durch Würfel zu gewinnen war. Dann hatten zwei junge Schuster von Zell, schmucke Bursche tänzerhaften Anstandes, die offene Halle eines nahen Hauses eingenommen und dort ihre lederne Waare ausgelegt. Ferner war ein Hutmacher aus dem Zillerthal erschienen, um sein Lager auszubieten. Weiter unten gegen die Kirche zu saßen ein Duzend [523] Weiber, welche Obst und Brod verkauften. Endlich waren auch eine Menge Säue auf die Kirchweih gekommen, welche zeitenweise den Gästen vorgeführt und dann wieder in den Stall getrieben wurden. An ihnen hatte besonders der weitgereiste Viehhändler seine Freude; er ließ sie des Tages über, wenn er Langweile hatte, noch oft vor sein Angesicht kommen, bloß um die Augen an ihnen zu weiden. Zu all dem ist als nothwendiger Rahmen und Einfang immer wieder nicht zu vergessen das hölzerne schwarzbraune Dorf von Lannersbach, das grüne Gebirge zu beiden Seiten und der weiße blinkende Ferner am Ende.

Zwischen jenen Festanstalten standen nun plaudernd die Duxer und Duxerinnen jeglichen Alters und Geschlechts, die Heimer, d. h. jene, welche des Sommers über zu Hause bleiben, und die Melcher oder Senner, die von den Almen herunter gekommen zur Kirchweih. Die Tracht der Männer, die ehemals wohl auch im Zillerthale galt, ist aus den wohlfeilsten Stoffen zusammengesetzt und gewährt ein schlichtes und ernstes Ansehen. Die graue Jacke vom gröbsten Loden erreicht kaum das Knie; sie heißt das Hemd, wogegen das, was andre Leute Hemd heißen, Pfait, Pfoad genannt wird. Das G’saß ist von gleichem Zeuge oder von Leder; die Strümpfe sind blau. Eine Weste wird nicht getragen, um den Leib aber liegt ein breiter, meistens schön gestickter, lederner Gurt, Fatsche, mit dem Namen des Inhabers, oft auch noch mit einer Gemse, einem geistlichen oder weltlichen Spruch verziert. Das Haupt deckt ein rundes Hütchen mit niederm rundem Kopfe. Die Sennen erschienen zumeist in schönen Bärten, da sie sich des Sommers über nicht zu scheeren pflegen. Wegen neuer Wäsche machen sich die biedern Hirten auch wenig Noth; sie bleiben bei der Pfait, mit der sie gen Alm fahren und wechseln nie bis sie herunter kommen. So ist der Schmutz der Wäsche ein Gegenstand des Ehrgeizes geworden, denn wer das unflätigste Hemd nach Hause bringt, glaubt das beste Zeugniß mitzuführen, daß er den Umgang mit dem Vieh und seine Pflege nie vernachlässigt habe. Tabak scheint ihnen allen ein unentbehrliches Bedürfniß. Sie [524] gebrauchen ihn in dreierlei Gestalten, zum Schnupfen, zum Rauchen und zum Kauen. Als Kautabak heißt er Käutel, und ein solches Käutel findet sich fast in jedem Munde. Es ist widerlich, die Gesichter, so frisch und ausdruckvoll, durch den ekligen Knäuel in der Wange verunstaltet zu sehen, noch widerlicher aber ist die gelbe Jauche, die das Käutel im Munde erzeugt. Die Liebhaber scheinen indessen nicht davon zu leiden, denn sie scheuen sich nicht, durch dieß Medium hindurch zu essen und zu trinken. Bei der zarten Jugend ist die Pfeife mehr beliebt; man sieht sechsjährige Knäblein schmauchend mit einander spielen. Das Geld für den Tabak gibt, wie mich so ein Söhnchen unterrichtete, die Mutter her; die kleine eiserne Pfeife, welche sechs Kreuzer kostet, bringt wahrscheinlich der heilige Niklaus. In neuester Zeit ist gegen diesen überfrühen Tabakgenuß von Seite des Guberniums eingeschritten und allen Jungen unter sechzehn Jahren das Rauchen verboten worden; indessen ist der Mißstand um so schwerer zu beseitigen, je abgelegener die Thalgegend ist und je weniger die Eltern etwas Unrechtes in dem Vergnügen ihrer Kindlein zu sehen vermögen. Ehemals waren auch die tirolischen Weiber dem Tabake höchlich zugethan. Auf ältern Trachtenbildern haben die Zeichner nicht ohne Grund mancher Bauersfrau ein Pfeifchen in den Mund gegeben. Es ist aus Lewald bekannt, daß Frau Anna Maria Ladurner, verehelichte Hofer, in ihren höhern Jahren die gramstillendem Düfte der ungarischen Blätter gerne einschlürfte. Auch im Vorarlberg, wo früher auf den Feldern von Frastenz eine Fülle von Tabak gebaut wurde, hatten sich die Weiber an den Genuß gewöhnt. Auf den Wochenmärkten zu Feldkirch sah man die Landmädchen von Frastenz, Nüziders, Sateins gar häufig schmauchend bei ihren Kirschen sitzen.

Die Tracht der Weiberleute ist nicht minder einfach als die der Männer. Sie tragen dieselben grünen Hütchen, führen um den Hals ein seidenes Tuch, das durch einen Ring gezogen wird, gehen in dunkelfarbnem Rocke, einem blauen Fürtuch und grauen lodenen Ueberjacken. Die Taille ist sehr kurz, Mieder sind unbekannt und der Busen steckt in breiter [525] wulstiger Hülle. Diese Tracht der Duxerinnen war ehemals auch bei dem andern Geschlecht im Zillerthale üblich. Seit zehn Jahren ist aber die freilich viel kleidsamere Mode des Innthales, der hohe Spenser, der ragende Hut, bis Zell und Mayrhofen vorgedrungen und den alten Schnitt bewahren daselbst nur ältere Mütterchen und wenige Mädchen des ärmsten Volkes.

Sonst ist der Schlag durchaus germanischen Ansehens, der Wuchs durchschnittlich um ein Gutes niederer, als im Zillerthale, aber stark und stämmig. Die männliche Jugend, wie sie vor dem Wirthshause versammelt war, zeigte viele sehr individualisirte, schöne Köpfe, fast alle mit blonden Locken zierlich bekränzt. Etliche Knaben, gerade auf dem Uebergange ins Jünglingsalter, fielen mir besonders auf durch weiche, ideale Züge. Ein besonders schmucker Bursch ist Seppel, der Sohn des Wirthes. Die Duxer Mädchen gelten am Lande als reizend und schön, und nebenbei weiß man auch, daß sie der harten Arbeit willen sehr früh verblühen. Sie erfreuen sich einer sehr weißen Haut und hochrother Backen, sind aber meiner Beobachtung nach mit ausdruckslosen Zügen begabt und sehr klein gewachsen. So kann ich leider ihren guten Ruf nicht bestätigen, abgesehen von Jörgels Maidele, welche weitaus die schönste war.

Es war schon etlichemale in Predigt und Amt geläutet worden, und die Weibsen hatten sich bereits alle in die Kirche begeben. Auch die Männer zogen sich mehr und mehr gegen den Friedhof hin, doch blieb eine ziemliche Anzahl vor dem Wirthshause stehen und manche setzten sich sogar zusammen aufs Gras. Sie hielten sich wahrscheinlich entschuldigt, weil die kleine Dorfkirche doch nicht alle aufnehmen wollte, so daß viele außerhalb des Gotteshauses im Schatten der Kirchenwand sitzen mußten. Als endlich das feierliche Amt vorüber war, brach der graue Haufe mit vielem Gedränge heraus und strebte den beiden Wirthshäusern zu. Im unsrigen war bald die Zechstube gefüllt und noch ein großer Gaden und der Tanzsaal, den Jörgel in lustigern Zeiten, vielleicht auch für lustigere Zeiten, die wieder kommen sollen, hat erbauen lassen. Die dienenden Leute, der Wirth, die Wirthin, Seppel, Resele, [526] Resele’s Mann, die Dirne liefen geschäftig durch einander, Maidele und des Müllers Töchterlein standen am Herde. Die Bauern gingen ans Mittagessen und erlabten sich an großen Stücken Schweinfleisch und „Gsträunens“ mit weidlichem, von langen Tagen her geschärftem Appetite, denn die Duxer Küche erhebt sich nur fünfmal des Jahres zu dieser Leckerei, an der Kirchweih, an Ostern und an den drei Weihnachtstagen. Heute war sie aber im Ueberflusse vorhanden, doch fanden auch die mit Topfen gefüllten Kirchweihkrapfen günstige Aufnahme. In der Sage lebt es noch fort, daß man ehemals auf der Duxer Kirchweih stets sechs Kreuzer zahlte und dafür auf Mittag so viel essen konnte, als man vertragen mochte. Jetzt richtet sich die Zeche freilich, wie in der äußern Welt, nach der Verzehrung, aber auch so noch liebt es Jörgel, seine Gäste sehr billig zu halten.

In der vordern Stube saß indessen ein ausgezeichneter Lump, ehemaliger Jäger, Schreiber und Anderes, der schon in verschiedenen Anstalten seiner Besserung hatte obliegen müssen, eine erbärmliche, schäbige Gestalt. Jörgel hatte ihn schon gestern nur unter der Bedingung aufgenommen, daß er sich heute wieder fortbegebe. Heute aber legte er recht deutlich die Absicht dar, uns den ganzen schönen Tag auch noch zu widmen. Jörgel führte ihn anfangs etwa alle halbe Stunden einmal aus dem Hause, doch wußte er zuletzt auch seinen Eifer abzustumpfen und um Mittag saß er bereits ganz unbehelligt bei seinem Branntwein, hatte auch schon einen Rausch, den er sich kreuzerweise zusammengebettelt. So bescheiden ich auftrat, so hatte er mich doch bald erfragt und plötzlich stand er auf und rief: Vivat der König von Bayern! der hat mich angestellt! Es war Vater Max gemeint, der dem Burschen, eh’ er ein Lump geworden, einmal ein kleines Jägerdienstchen verliehen. Und eh’ ich mich’s versah, fuhr der schieche Mensch wieder in die Höhe, schwang das Glas zum zweitenmale und schrie: die Bayern sollen leben – worauf er dann noch Mehreres zum Lobe dieser Nation hinzufügte, was, wenn es von mehreren unbetrunkenen und sonst biedern Männer wiederholt würde, derselben allerdings sehr zu Ehren kommen [527] möchte. So aber war’s mir zum Ekel; ich ärgerte mich und ging hinaus, schenkte ihm auch keinen Pfennig für seine Sympathien, obgleich er wenigstens einen Groschen erwartet hatte.

Nun kam mir aber ein anderes Mißgeschick entgegen. Im hintern Gaden nämlich saß an einem Tisch voll Duxer Buben, die mir etwas minder fein erschienen als die übrigen, derselbe Bauer, der uns vorgestern durch den geognostischen Hammer so sehr beunruhigt hatte, und gefiel sich einen brüllenden Stier nachzuahmen. Das schien so seine Kirchweihfreude zu seyn und er setzte es mit kurzen Unterbrechungen bis zum Abend fort. Es gelang ihm zwar die Natur täuschend wiederzugeben, aber es war doch nicht schön, obwohl er von seinen Freunden vielen Beifall erntete. Ich ließ mir jetzt den Namen dieses Viehmalers sagen, erfuhr, daß er Brunnhäuser heiße und ging wieder meiner Wege.

Im Tanzsaale war jedoch meines Bleibens auch nicht lange. Die Tische zeigten sich so dicht besetzt, daß für einen beobachtungslustigen Gast kein Plätzchen mehr übrig war. Einige freundliche Hirten „brachten mirs,“ das heißt sie reichten mir ihr Glas um ihnen Bescheid zu thun. So viel konnte ich noch bemerken, daß weniger Wein getrunken wurde, als mir lieb war. Wenn schon im reichern Hauptthale des Inns das natürlichere Getränk dem künstlicheren weichen mußte, weil die erzielte Gemüthsstimmung durch seine Hülfe mit wenigern Kosten zu erreichen ist, so darf man sich in diesem armen Thälchen noch weniger wundern, daß Männer und Weiber dem Branntwein ergeben sind. Zuweilen wagt sich jetzt auch ein Fäßchen Bier herein, aber es ist ebenfalls zu theuer und die Nachfrage gering. Der Wein wird übrigens aller übers Joch getragen, denn es führt kein Fahrweg in das Thal. Die Träger laden eine halbe Ihrn, siebenundzwanzig Maaß, auf und erhalten dafür 1 fl. 15 kr. Traglohn. Bei all dem kostet das Seidel nicht mehr als am Lande, nämlich sechs Kreuzer.

Da also auch auf dem Tanzboden nicht viel auszurichten war, begab ich mich in die Küche und hielt mich an das Maidele und des Müllers Töchterlein. Das war auch das Beste [528] – das waren die gemüthlichsten Gemüther auf der ganzen Kirchweih und bei ihnen drohte keine Gefahr, denn sie hatten weder Lust, den hochseligen König von Bayern leben zu lassen, nach zu brüllen wie ein Stier. Dagegen waren sie bemüht, mir einen Stuhl zu schaffen und stellten ihn neben den Herd, gaben mir auch zu essen und tränkten mich mit dem besten Wein, den sie hatten. Und während ich da am Herde meine Mahlzeit hielt, waren sie freundlich und mild und gesprächig, und hatten einen guten Einfall nach dem andern. Das Sommerfrischmädchen ließ auch auf angenehme Weise seine Bildung glänzen und recitirte mehrere Strophen aus jenem Gedichte, welches da anhebt: In einem Thal bei armen Hirten.

Als wir so eine gute Weile geplaudert hatten, machte ich mich wieder auf und suchte den obern Wirth heim, um auch von diesem reden zu können. Der vielerfahrene Viehhändler von Schlitters, welcher, was ich bisher anzuführen vergessen, eine polnische reich gebänderte Jacke trug und überhaupt ein frischer Gesell war, begleitete mich auf diesem Kneipzug. Das Ergebniß ist indessen unbedeutend. Wir fanden den Wirth und sein Gesinde sehr gefällig, die ganze Anstalt aber, obgleich von Stein erbaut und ansehnlicher als der untere Gasthof, bei weitem nicht so heimlich, als Jörgels hölzerne Herberge. Beim Herausgehen fiel mir ein, dem Organisten einen Freundschaftsdienst zu erweisen und einen Zwölfer auf sein Kleinod zu verschieben. Damit legte ich große Ehre ein, trug aber keinen Gewinn davon. Die Seitenwände führen zwar die Kugel richtig bis an die Kegel, aber dann hängt’s doch wieder von Glück und Uebung ab, ob sie viel oder wenig niederreißt. Die meinigen haben wenig umgerissen. Du wirfest nicht güt, sagte der Duxer Bue, der als Kegelschreiber aufgestellt war.

Allmählich wurde es Abend. Der Tanz ist zwar verboten, jedoch ließ sich in der Dämmerung halblaut eine Fidel hören. Die Klänge hatten bald einen frischen Haufen zusammengelockt und so ging’s denn fröhlich auf den Tanzboden. Ein junger Hirte spielte einen Ländler und Jörgel, der sich seiner Jugendlust erinnerte, fing mit einem andern Landsmann [529] ländlerisch zu tanzen an, voll jugendlichen Anstandes, trotz seiner fünfundfünfzig Jahre und der schneeweißen Haare. Ach, ich habe so einen frischen Sinn, sagte der alte Tänzer, nachdem es vorüber war. Wenn ich’s Essen hätt’, fügte er mit einem humoristischen Schlage auf sein Wämschen hinzu, wenn ich’s Essen hätt’, ich wäre so viel ein freudiger Kerl! Dann sprach er noch mehreres, alles zusammen eine milde Elegie über die Wonnen dahin gegangener Tage.

Nach und nach wurde sogar mit den Weibsen getanzt. Dabei war’s ein großer Behelf, daß untertags eine schmucke Wirthstochter von Kolsaß angekommen war, die sich den Anforderungen sehr gewachsen zeigte. Nach des Müllers Tochter wurde auch umgesehen, aber diese hatte sich schon vor dem Einnachten wieder in die Weiden von Hinterdux zurückgezogen; das Maidele mußte auch zusehen, wegen des bösen Schinkens, den wir schon einmal erwähnt haben.

Das war übrigens alles nur so im Vorbeigehen, je nachdem es dem jungen Volke ankam, hatte auch wieder sein Ende, als Jörgel verkündete, es wäre Zeit etwas zu singen. Nun setzten sie sich zusammen, wie sie schon gestern beisammen gesessen waren, der Vater, die Tochter und der Organist; nur that heute auch Resele mit, welche einen schönen Discant singt, so daß die Lieder noch um ein Gutes schöner klangen. Resele hatte überhaupt einen weichen, wehmüthigen Ton in ihrer Stimme und sie selber, die verheirathete Alpenmaid, war eine lebende Elegie. Was ihr fehlte, war nicht zu erfahren; daß sie litt, aber deutlich zu entnehmen aus den klagenden Augen, dem stillen Schmerzensausdruck des Gesichtes und dem trauernden Klang der Stimme. Ich saß nicht weit von ihr, als sie die fröhlichen Almenlieder so melancholisch hinaus jodelte und dachte mir, was etwa der jungen Frau gebreste. In meinen Gedanken verglich ich sie mit einer welkenden Lilie. Derweilen kam der Viehhändler von Schlitters heran, richtete den Blick auch auf das Resele und sagte: was muß dem Weibsen seyn? schaut aus wie ein krankes Kaibel!

[530]

Die Lieder waren meist von der Art, wie sie die Rainer und die Leo durch halb Europa gesungen haben. Das Almenlied, das der Schulmeister von Finkenberg gedichtet, mit seiner schönen Weise, erfreute sich wieder der günstigsten Aufnahme, etwa fünf oder sechs Gesänge mochten gesungen seyn, als Maidele erklärte, sie werde nicht mehr fortsingen; man wisse schon, daß sie das Singen nicht leiden könne. Resele redete ihr zu, doch noch ein bischen auszuhalten; sie wollten ein lustiges singen. Die lustigen mag ich schon gar nicht, versetzte Maidele, ein trauriges muß es seyn. Resele, die schwermüthige, sang lieber die lustigen; Maidele, die lustige, hatte ihre Freude an den traurigen.

Als der Gesang zu Ende war, fielen etliche Burschen darauf, den Badertanz vorzuführen. Dieß ist eine mimische Darstellung eines Patienten, dem von einem Bader und seinem Gesellen verschiedene chirurgische Dienste geleistet werden. Zuerst nehmen sie ihm mit einem großen Küchenmesser den Bart ab, dann lassen sie ihm mit einem Beil zur Ader und so fort. Sämmtliche Operationen gehen in rhythmischen Bewegungen vor sich und richten sich im Tacte nach den Schnaderhaggen, welche die Umstehenden singen. Die improvisirte Komik der Gebärden, die albernen Gesichter des Behandelten und der beiden Andern, die lächerlichen Instrumente, welche diese zu ihrem Gewerbe verwenden, machen den Badertanz für ein bäuerliches Publicum zu einem sehr gerne gesehenen Schauspiel.

Nach dem Badertanz kam wieder ein anderes Kunststück, nämlich das Kaminkehrerlied. Dabei sitzen zwei Sänger auf niedern Schämeln einander gegenüber, jeder mit einem kurzen Besen in der Hand, singen einen Gesang, der sich auf Dichten und Trachten eines Kaminkehrers bezieht, und schlagen nach dem Tacte mit den Besen auf den Boden oder werfen sie in die Höhe, um sie rhythmisch wieder aufzufangen. Das Ding, wenn es gut eingeübt ist, ist anmuthig zu sehen und zu hören.

Somit war’s denn schon ziemlich spät. Der Gerichtsdiener von Zell, der den ganzen Tag über, wenig bemerkt, [531] vorhanden gewesen, wollte um eilf Uhr abbieten, wurde aber verhöhnt. Die ältern Gäste waren schon alle nach Hause und nur die Buben standen noch in ziemlicher Anzahl auf dem Platze. Der Aufführung nach hätte man Jörgeln für den jüngsten halten sollen, denn heute war er in der herrlichsten Laune. Zumal freute es ihn, daß sich seine Gäste so wohlgezogen benahmen und daß kein erheblicher Unfug ausbrach. Einige Ansätze zu Raufereien, die sich mitunter ergaben, wurden immer glücklich im Keime erstickt; aber das konnte nicht verhindert werden, daß der Brunnhäuser dem Metzger von Gossensaß den Hut „antrieb,“ so daß der Cylinder über Ohren und Nase hinunter fuhr, die harte Stirne des alten Gothen den Deckel sprengte und nun sein rothes Gesicht sich aus dem Hute, als aus einer Halsbinde, leuchtend erhob, wie die Herbstsonne über grauem Nebelgewölk. Der Metzger, der in der besten Absicht auf die Kirchweih gekommen, aber jetzt betrunken war, nahm die Sache nicht so gar übel. Er betrachtete wehmüthig den Deckel seines Hutes, den man ihm wieder zugestellt hatte, und legte sich dann mit lächelndem Grolle schlafen unter die Bank. Dort fand ihn noch die Morgenröthe. Die Andern zogen nunmehr still nach Hause, zumeist auf Jörgels Bemerkung, wie fein es wäre, wenn man jetzt auseinanderginge, ehe noch etwas Unfeines vorgefallen. Es war um Mitternacht und das war die Duxer Kirchweih.

Andern Tages brach ich auf nach Zell. Resele, die gute menschenfreundliche Resi, war bis zum letzten Augenblick bemüht, mir Liebes zu erweisen, und da ich gestern schon dem Organisten gesagt hatte, er solle mir das Finkenberger Alpenlied abschreiben lassen, so fragte sie, ob dieß geschehen sey und da es nicht geschehen war, so erbot sie sich selbst, es mir anzugeben, und da sie fand, daß sie keine Zeit finde, so führte sie mich bei Maidele ein, welche ihres Uebels wegen heute im Bette lag und mir willfährig zu dictiren anfing, mit hochdeutschen Anflügen, die sie in der Schule und zu Innsbruck gewonnen haben mochte, denn auch sie war ihrer Bildung willen schon etliche Monate in der Hauptstadt gewesen. Ich habe schon zweimale behauptet, daß das Lied eine schöne [532] Weise habe, Gedanken und Worte aber sind nicht mehr ganz alpenrein, zeigen vielmehr deutliche Spuren von Lectüre. Damit übrigens der Leser selber urtheilen könne, wie die Schullehrer zu Finkenberg dichten, so mögen hier etliche Strophen folgen:

Und am Morgen, wenn der Alpenvogel schreit,

Steh’ ich auf und treib’ die Kühheerd’ auf die Weid’,

Und die Heerdenglocken schallen fort und fort,

Und die Sonne glänzt am kühlen Ferner dort.

     Lustig ists auf dem Hochalmträt *)

     Wenn die Kühe so brüllen und die Sonn’ aufgeht.
Und wenn einmal der Herbst und Sanct Mlcheli kimmt,

Wo der Melcher von der Alm den Abschied nimmt,

Steck’ ich meinen Rautenstrauß auf meinen Hut,

Fahr’ durchs Thal voran, daß ’s Kling, Klang thut.

     Leb’ nun den Winter wohl, Hochalmenträt!

     Ich geh’ jetzt ge schau’n, wie’s den Heimerlen geht.
Wenn ich komme dann in meiner Heimath an,

Begegnen mir die feinen, lieben Heimer schon.

Gott grüß euch all’, ihr guten, lieben Heimer mein!

Auf der Almen oben, da war’s fein.

     Wie geht das Leben euch, seyd ihr wohl g’sund?

     Ich hab’ wohl herunter denkt schier alle Stund.

Nachdem ich das Lied aufgeschrieben hatte, nahm ich bei Maidele Abschied, wobei ich freundlich eingeladen wurde, das nächste Jahr wieder zu kommen. Auf Wiedersehen sagte sie, hat es aber nicht gehalten. Unter dessen war Resele beschäftigt gewesen, mir einen Rautenstrauß auf den Hut zu heften, und der Wirth belehrte mich, das sey das edelste und vornehmste Gewächs, welches nur mit der größten Lebensgefahr von den unersteiglichsten Schrofen könne herunter geholt und seiner besondern Eigenschaften willen müsse aufs höchste geschätzt werden. Allbereits nickte der Rautenstrauß, der sammt der Wurzel angenäht war, hoffnungsgrün vom Strohhut und nun sagte ich mein B’hüt Gott den besten Wirthsleuten schier, die ich in Tirol getroffen, und nahm Abschied von Jörgel, Seppel, Resele, so wie auch von der Mutter [533] und dem Schullehrer und seinem Bruder, bat sie alle, sie möchten mir das schwarzlackirte Müller-Töchterlein, wenn es wieder einmal in Heimgarten käme, schönstens grüßen und zog davon.

Den Rautenstrauch betreffend, so mag hier eine schöne Sitte des Hochlandes hervorgehoben werden. Wenn nämlich ein Gast sey es auch nur kurze Zeit unter fremdem Dache zugebracht und die Zuneigung der Hausleute gewonnen hat, so wird ihm zum Abschiede von der Tochter des Hauses ein Blumenstrauß überreicht. Im höhern Gebirge, wo die Gartenblumen seltener sind, wird statt derselben die Edelraute gewählt und dem Gaste auf den Hut geheftet. Es ist ein unscheinbares Kraut mit blaßgrünen Blättchen und winzigen gelben Blüthchen, dem man anfangs gar nicht ansieht, was es denn eigentlich wolle, denn auch der Geruch ist sehr schwach. Wenn die Raute aber trocken geworden, verbreitet sie einen herrlichen Duft und nun läßt man sichs gerne gefallen, daß die Aelpler sie so hoch in Ehren und für das vornehmste Gewächs auf Erden halten.

Als ich Lannersbach damals verließ, lag also das schöne Maidele im Bette und als ich zwei Jahre darauf wieder hinkam, lag sie im Grabe. Sie war, ich glaube an einer Brustentzündung, wenige Monate vorher gestorben. Es war ein kaltes Herbstwetter und der Kirchtag schon vorüber. Im Wirthshause herrschte große Stille. Jörgel war schon schlafen gegangen, denn er geht jetzt frühzeitig zur Ruhe; er singt mit seiner Tochter und dem Organisten keine schönen Lieder mehr. Am andern Morgen erschien er und sprach traurig seine Sehnsucht nach dem Maidele aus: „So viel mängeln thu’ ich das Madel!“ Wir waren zu zwei und besuchten den Kirchhof. Dort hat ihr der Vater einen Grabstein setzen lassen, den schönsten im stillen Gefilde. Im Thale erzählt noch Jung und Alt von ihr; sie hatten sie alle sehr lieb gehabt.

Von Lannersbach geht der Weg durch ein Tobelthal in zwei guten Stunden nach Finkenberg. Dies ist ein freundliches Dorf, das zwischen Obstbäumen auf einem hügeligen Gereute steht, und man hat von da aus eine liebe Aussicht [534] auf den weiten Grund von Mayrhofen, das tief unten im Zillerthale den spitzen, weißen Kirchthurm aus schönstem Wiesengrün emporhebt. Ungeheure steilaufsteigende Bergstöcke breiten oben ihre Halden aus, der Zillerbach aber strömt unten ansehnlich durch das Thalgelände und belebt eine Landschaft, die mit Recht zu den gepriesensten in den Alpen gehört.

In Finkenberg und zu Hippach im Zillerthale waren die meisten jener dissentirenden Auswanderer zu Hause, die zu Neu-Zillerthal in Schlesien eine zweite Heimath gefunden haben, über der sie freilich die alte, auf den angestammten Alpenfluren nicht vergessen können. Der Nachruf, den sie hier zurückgelassen, ist ein guter. Die Finkenberger behaupten, ihre ausgewanderten Nachbarn seyen zum größten Theile recht ordentliche, besonders wohlthätige Leute gewesen und denen, die Geld hätten, ergehe es laut eingelaufenen Briefen in Schlesien ganz erträglich und die übrigen müßten sich dort quälen, wie daheim. Man erzählt noch viel von dem traurigen Abschied zwischen Eltern und Kindern, Brüdern und Schwestern und dem noch traurigern zwischen Liebenden und Verlobten. Das Mitleid zeigt sich noch zur Zeit sehr groß und bedenklich ist, was man munkeln hört, daß die ausgewanderten Protestanten die Minderzahl und daß die mehreren zu Hause geblieben, sich fügend und wartend auf eine Aenderung der Umstände. Man ist so ziemlich allgemein der Meinung, daß die Sache zunächst durch den übertriebenen Eifer eines Priesters verdorben worden sey, der die Seelen seiner untergebenen Heerde einerseits durch seinen Fanatismus plagte, andrerseits durch rohes Benehmen ihr Zutrauen ganz einzubüßen wußte. Er war es, der einmal entrüstet auf die Kanzel stieg, entrüstet, weil die Zimmerleute vor der Kirche nach gethaner Arbeit zwei Schragen übereinandergestellt, wie dieses boshafte Geschlecht überall thut, während es doch nach seiner Meinung ein abscheulicher Frevel, da diese Stellung nothwendig unreine Gedanken erwecken müsse. Die Regierung hatte den „Inclinanten“ den Wunsch, eine protestantische Gemeinde zu bilden, abgeschlagen, dagegen erlaubt, sich an die im Kaiserreiche [535] anderswo vorhandenen anzuschließen. Dieß begehrten aber die wenigsten, die meisten zogen in die Fremde.

Das war das letzte öffentliche Auftreten des Protestantismus, der bei seinem Beginne in Tirol viel Anhänger gezählt und viele Aufregung verursacht hat. Der Ursitz war jeweils zu Schwaz, wo die reichen Silberwerke etliche Tausend Knappen beisammen hielten, während von nah’ und ferne, zumal aus den Erzgebirge, wandernde Bergleute ab- und zugingen. Auf diese Art kam die neue Lehre ins Land und von Schwaz aus verbreitete sie sich über Brixen ins Pusterthal, zumal nach Taufers und Ahren, nach Brunecken und selbst in die wälschen Gebirge von Buchenstein und Fassa. Sie wurde mit den damals gebräuchlichen Mitteln wohl bald glücklich unterdrückt, flackerte aber doch von Zeit zu Zeit wieder bedenklich auf. Ein abgedankter Soldat, Balthasar Dosser, aus dem Thale Lüsen, spann im Jahre 1558 eine wiedertäuferische Verschwörung an, wurde jedoch nach etlichen Jahren zu Brixen hingerichtet, ebenso wie seine Anhänger zu Meran und an andern Orten. — In neuerer Zeit thaten sich im Brixenthale des Unterinnthales die Mannhardtisten auf, welche den öffentlichen Gottesdienst nicht mehr besuchen wollten, weil sie die Weihe ihrer Priester nicht anerkannten. Etliche Abgesandte, die sich nach Rom begaben, wurden aber dort über ihren Irrthum belehrt und belehrten dann nach ihrer Rückkunft auch ihre übrigen Meinungsgenossen. – Ins Zillerthal kam übrigens der Protestantismus aus dem salzburgischen Pinzgau, aus demselben, das in dem letzten Jahrhunderte seinem Erzbischofe schon einmal Veranlassung zur Austreibung seiner Unterthanen gegeben. Dann begünstigten auch die Wanderungen der Handschuhhändler die Einfuhr von Bibeln und protestantischen Erbauungsbüchern. So kam es denn, daß auf die kaiserliche Verordnung vom 12 Jänner 1837 sich 126 Familienväter aus den Gemeinden Zell, Mayrhofen, Brandberg, Finkenberg und Hippach zur Auswanderung bereit erklärten. Im September desselben Jahres sind sie dann mit 288 Angehörigen (darunter 131 unmündige Kinder) nach Preußen ausgezogen, nach Nothdurft unterstützt von Seite der österreichischen [536] Regierung sowohl als der Nachbarschaft. Neun Personen übersiedelten nach Steiermark und Kärnthen. *) Indessen gibt es schon seit mehreren Menschenaltern auch im Vinschgau und in Ahren etliche widerborstige Berghöfe, welche von geistlicher und weltlicher Obrigkeit ungeschoren, sich eines stillen unbekannten Separatismus erfreuen.

Im Wirthshause hatte mich ein Metzger von Hall erreicht, der so eben das Duxerthal durchstrichen hatte, um Einkäufe zu machen. Beide wurden wir aufmerksam gemacht, daß wir nahe vor dem Dorfe ein abseits liegendes Naturwunder übersehen hatten, den Hochsteg nämlich, den jetzt der Wirth den Fremden zuliebe den Teufelssteg heißt. Sein Söhnchen übernahm es, uns dahin zu führen. Der Teufelssteg ist ein Balken, mit einem Dache und einem Geländer bekleidet, der über einer grausigen tiefen Schlucht liegt, in welcher der Duxer Bach sich ruhig fortwälzt in blauen Wirbeln oder auch, wenn er angeschwollen, tobend und schäumend dahinrast. Jenseits des Steges geht es hinauf in die grüne Flur vor Dornau, wo ein kleines Alpendörfchen beisammensteht, in traulicher Abgeschiedenheit von wilden Schrofen umgränzt, aus denen ein schauerlicher Pfad nach Mayrhofen hinunter führt. Dießmal gingen wir aber nicht auf dieser Seite, sondern der Knabe führte uns von dem Teufelssteg wieder etwas abwärts an die Klamm. Die Felsenwand jenseits ist da ganz glatt abgeschnitten, die diesseitige geht sogar einwärts, und wer sich der Länge nach niederlegt und den Kopf hinausstreckt, der hat eine schauerliche Aussicht auf die Wirbel des Baches und den Ueberhang unter sich und auf die glatten Wände gegenüber. Wer gar keinen Schwindel hat, wie der Sohn des Wirthes, der mag sich dem Abgrunde bis auf den letzten Zoll nähern und stehend hinunter schauen; auch allenfalls versuchen, ob er wie der Wirthssohn und Kaiser Max den halben Fuß über den Felsen hinausstrecken und mit dem andern einen Kreis darüber schlagen kann.

[537]

Nachdem wir den Berg herabgestiegen, waren wir im Zillerthal und kehrten in Mayrhofen ein, in seinem letzten Dorfe. In der kleinen Ebene, die es umgibt, kommen vier Bäche zusammen, aus den vier innern Thälern, in welche sich hier das Hauptthal verästet. Von Mayrhofen sind zwei [Stunden] nach Zell, ein lieblicher Weg durch freundliche Dörfer. Zell selbst ist ein stattlicher Ort mit großen steinernen Häusern, einer bedeutsamen Kirche und achthundert Einwohnern.

Es war der Dinzeltag der Schuhmacher, der Handwerksjahrtag dieser Zunft. An solchen Festen ist noch Musik und Tanz gestattet, und so gab sich erwünschte Gelegenheit, die [Zillerthaler] tanzen zu sehen, was jetzt selbst auf der Zeller Kirchweih nicht mehr möglich ist. Von dem Tanz der Zillerthaler hat Lewald eine sehr lebendige Schilderung gegeben; viele andere thaten auch das Ihrige, um die seltsame, fast außerweltliche Fröhlichkeit, die dabei walten soll, zu zeichnen. Gleichwohl scheint sich nun auch hierin mehr Ruhe und Mäßigung eingestellt zu haben, wenigstens entsprach das Groteske dieser Leibesübung an jenem Tage keineswegs den Schilderungen die davon zu lesen sind. Man spielte beim Neuwirth in zwei Stuben auf; in der untern ein Geiger und ein Zitherer, in der obern eine Geige und ein Contrabaß. Die beiden Tanzböden waren sehr ärmlich ausgestattet – wenige Kerzen mit Kloben in die Wand gesteckt, verbreiteten ein höchst zweifelhaftes Licht. In diesem Halbdunkel glaubte ich gleichwohl einige schöne Umrisse jungfräulicher Gesichter zu erkennen und ich habe kaum zu viel gesehen, denn andern Tages fand ich bei hellem Sonnenscheine alles bestätigt, was man von der Schönheit der weiblichen Thaljugend sagt. Die Balltoilette der Mädchen war ziemlich sorgfältig; die Buben stacken zumeist in schmutzigen Hemden und hatten der Bequemlichkeit wegen die Joppen abgelegt. Der Wirth that sich am meisten hervor, und wagte trotz seines Wänstchens die höchsten Sprünge. Der Neuwirth spielt noch so den alten Zillerthaler fort; nicht ohne heimliches Lächeln seiner einheimischen Vertrauten, jedennoch zum großen Vergnügen fremder Gäste, [538] welche die nur ihnen bestimmten Schnurren für seine alltägliche Laune halten.

Andern Tages auf dem Wege nach Fügen, das fast am Ende des Thales liegt, bekam ich das Gelände von Anfang bis zum Ausgang zu sehen und fand daß es sehr freundlich und mild ist, wohlbebaut und fruchtbar. Mäßig erscheinende Höhen – denn die hohen Jöcher liegen außer dem Gesichte – bis oben hinauf mit Wald bewachsen, der an vielen Stellen gelichtet ist, um Weiden und Ansiedlungen Platz zu machen, unten eine breite grüne Thalflur mit schönen Dörfern, aus denen spitze Thürme ragen, mitten durch der Zillerbach mit reichem Uferschmuck schöner Erlenauen; aber keine Wasserfälle, keine Lahnen, keine Schrofen, keine Schlösser und keine Burgruinen; nur im fernen Hintergrunde als einzige, aber sehr ernste Großartigkeit ein ragendes Gletschergebirge. So ist jeder Punkt für sich sehr schön; der ganze Zug aber von Mayrhofen bis Fügen oder Schlitters sich selbst zu ähnlich, um dem Durchwandernden nicht hin und wieder etwas einförmig vorzukommen.

Fügen ist ein großes, unregelmäßig durcheinandergestelltes Dorf von achthundert Einwohnern, mit einem stattlichen Schlosse, das ehemals den Grafen von Fügen gehörte. Als zweiter Ort im Zillerthale hat es immerhin seine landschaftliche Bedeutung, ist auch der Sitz eines Landgerichtes, doch ärgert es die Fügener, daß man den Spruch: Es gibt nur ein Fügen und ein Wien in der Welt – schon öfter gedruckt hat, und sie behaupten, ihre Eitelkeit sey nie so weit gestiegen, diese Nebeneinanderstellung im Ernste gut zu heißen. Es mag wohl damit dieselbe Bewandtniß haben, wie mit dem andern Gedächtnißverse:

Stuhlfelden ist sich selber gleich,

Mittersill gar ein Königreich –

welchen die Pinzgauer verfertiget haben, aber nur um selbst darüber zu lachen. Berühmt ist die große Aussicht auf dem Kellerjoche, das sich über Fügen erhebt und gewöhnlich von diesem Dorfe aus bestiegen wird.

[539]

Zu Fügen im Hacklthurm sitzt zur Zeit Joseph Rainer, einer der berühmten Gesellschaft, die einst mit so ungeheurem Beifall den Zillerthaler Jodler in Großbritannien erschallen ließ. Nach der Zurückkunft von seinen Kunstreisen hat er den Hacklthurm, der ehemals ein adeliger Ansitz der Herren von Hackl war, käuflich an sich gebracht und zum Gasthofe eingerichtet. Es ist ein einstöckiges Gebäude mit einem niedlichen Garten, mit Lauben und einer grünen Veranda vor dem Hause. Englische Kupferstiche, Porträte, Seeschlachten, Fuchsjagden und ähnliche Vorstellungen hängen in allen Zimmern und erinnern an das Land, wo die Rainer groß geworden. Nachdem ich mich etwas in dem gastlichen Herrensitze umgesehen, ging ich, die Kirche zu betrachten. An der Außenseite ist jener vielbeweinte Leichenzug dargestellt, welcher zu Hall am 11 August 1838 gehalten wurde. Es waren nämlich damals die Compagnien des Landsturmes aufgeboten worden, um bei der Huldigung, die der Kaiser Ferdinand von der gefürsteten Grafschaft einnehmen wollte, in Innsbruck zu erscheinen. Die Fügener zogen nach Hall und ihrer dreizehn junge, schöne Bursche fanden eine Unterkunft in dem Hause des Gilgenbräus, das des Nachts einstürzte und sie alle erschlug. Ihre Leichenmäler stehen hier und dort auf dem Kirchhofe.

Nach diesem ging ich einen stillen Pfad dem Zillerbache zu, schritt über einen schmalen Steg und stieg dann die Anhöhe hinan auf den Hartberg. Es ist dieß eine mächtige Halde, vollkommen begrünt von der Wurzel an bis zum Joche, allenthalben mit Gehöften, mit Scheunen und Schoppen übersäet, mit Feld, Wiese und Wald in schöner Abwechslung gezirt. Hart, der Mittelpunkt, ist ein kleines, aus Kirche, Widdum und zwei Wirthshäusern bestehendes Dörfchen, in dessen steilen Fluren der Vicar eben lustwandelte, um der Abendluft sich zu erfreuen. Ich sprach ihn an und fand einen freundlichen Herrn, der mir die kleinen Sehenswürdigkeiten seiner Curatie gerne zeigte. Eine niedliche Einsiedelei, am Hange eines Tobels angelegt, mit Treppchen, Bänkchen und andern kleinen Hermitage-Anhängseln, ist nicht übel zu betrachten. [540] Während wir da so herumkletterten, fielen uns zwei versprengte Fräulein in die Hände. Sie schienen zu der Herrschaft zu gehören, die Nachmittags vor dem Hacklthurm angefahren war, und man kann nicht gut stehen, ob es nicht gar die Kammerjungfern gewesen. Sie waren von Wien und liebenswürdig, machten dem Curaten wenig Mühe und dies Bischen haben sie süß vergolten. Er zeigte ihnen die Kirche und sie ahmten ein Erstaunen nach, als wenn sie zum erstenmale in St. Peters Dom zu Rom einträten. Die eine der Damen stand voll Entzücken vor einem geschundenen Bartholomäus, den ein unbekannter Bauernmaler angefertigt und betheuerte, der Eindruck werde ihr nimmermehr vergehen. Die andere fand den Rococoplafond der schnörkelreichen Dorfkirche völlig unvergleichlich. Ach, diese Verzierung, lispelte sie, ganz im allerneuesten Geschmacke! Und doch, fügte ich hinzu, und doch von einem längst dahingegangenen Künstler geformt, aber in der Ahnung, daß das Ewigschöne immer wieder Anerkennung finde. O ich bitte, entgegnete das Mädchen und schlug erröthend die Augen nieder. Alles was zu sehen war, der Altar, die Leuchter, die Fahnen und eine Menge anderer Dinge wurden für ganz superbe erklärt, und als man hinaus ging, um die Aussicht zu betrachten, brach die „Passion" von neuem aus und riß selbst den Kältern mit ins Gefühl hinein. Ja, sagten sie beim Abschied, dieser Abend und Ihre werthesten Persönlichkeiten werden uns unvergeßlich bleiben. Ich habe mich bedankt dafür, aber der Curat wußte kaum mehr was er sagen sollte, so sehr hatte ihn der Enthusiasmus der beiden Damen alterirt. Er schlug mir darauf vor, mit ihm ins Wirthshaus zu gehen, wo er sich wieder erholen wollte.

Abends erzählte mir Joseph Rainer, der Wirth im Hacklthurm, von seinen und seiner Geschwister kleinen Anfängen und spätern Großthaten; wie er selbst, ein unbekannter Viehhändler, der viel in Mecklenburg und Preußen verkehrt, zu Leipzig eine Ankündigung gelesen, die vier singende Tiroler-Kinder verheißen hatte, während diese doch nur vier tirolisch gebildete Jungen unbekannter Herkunft waren; wie er sich des Beifalls, den sie trotz ihrer schlechten Kunst gefunden, entsetzt [541] und ahnungsvoll seinen Geschwistern geschrieben, jetzt sey die Zeit gekommen, in alle Welt zu gehen und zu jodeln, und sie möchten sich aufmachen und schicklichkeitshalber etwas Leder und Handschuhe mitnehmen, damit man eine Ausrede habe, wenn es mißlinge; wie sie dann, fast beklommen, zu Freisingen an der Isar zusammengekommen und dort vor schmalem Publicum gesungen, worauf es dann immer besser gegangen, bis im Jahre des Heils Eintausend achthundert und achtundzwanzig der Großherzog zu Karlsruhe die Geschwister mit der Aufforderung überraschte im Theater zu singen, damals für sie eine nie gehoffte Auszeichnung, obwohl dann bald auf ihrer zweiten Reise, welche nach England ging, die Zeit kam, wo ihnen die besten Freunde abriethen, sich im Theater hören zu lassen, damit sie nicht die Möglichkeit vernichteten, in Fashion zu kommen. Und richtig fand man sie dieses guten Rathes willen selbst für den Hof von England nicht zu schlecht. Von dem Zuge nach Großbritannien brachten sie 56,000 Gulden nach Hause und was sie später verdienten war auch noch ansehnlich – der geistigen Schätze, darunter vor allem der gründlichen Kenntniß der englischen Sprache, ganz zu geschweigen. So wurde der Wohlstand der Familie geschaffen, die ehedem ein hölzernes Bauernhaus oben im Dorfe zu Fügen inne hatte, während jetzt Joseph Rainer im Ansitz zum Hacklthurm sitzt, Franz Rainer Wirth zur Krone, Felix Bauer in Fügen, Maria daselbst verheirathet, Anton Postmeister in Schwaz ist. Franz Rainer war damals mit jüngern Verwandten in Nordamerika, wohin er als Verstärkung berufen worden, nachdem ein Mädchen, das bei der Gesellschaft gewesen, einen Amerikaner geheirathet hatte. Jetzt sind wieder alle zurück, nur die Verheirathete ist jenseits des Oceans geblieben.

Es ist eine bekannte Thatsache, daß nach den Rainern noch viele andere Sänger aus dem Zillerthale auf Reisen gegangen sind. Am besten hat es unter den späteren den Geschwistern Leo geglückt; auch sie ersangen sich ein beträchtliches Vermögen. Viele andere, die nachher kamen, fanden kältere Aufnahme und verzehrten unterwegs wieder, was sie [542] erjodelt hatten. Die Zillerthaler reden übrigens gerne von ihren weitgereisten Landsleuten und ihre Bildnisse hängen an vielen Wänden. Man sieht sie mitunter auch dargestellt, wie sie in England vor dem Könige sangen und bemerkt, daß sie dort manches angenommen, was sich zu ihrer heimischen Einfachheit kaum recht zu schicken scheint. Die Männer tragen da einen breiten Hermelinbesatz an den Jacken, und das Mädchen, welches in der Mitte steht und die Guitarre spielt, erscheint gar in einem atlassenen Ballkleid mit nackten Schultern wie die Stadtdamen, statt in dem schönen, kurzen Röckchen der Jungfrauen von Fügen.

Uebrigens ist Herr Rainer zum Hacklthurm ein sehr billiger, freundlicher Wirth, und jetzt seit Jahren mit einer stattlichen Frau verheirathet. Er hat drei seiner Kinder, zwei Mädchen und einen Knaben, das älteste zur Jungfrau erblühend, das jüngste kaum erst schulpflichtig, bereits herangeübt, um die Gesänge zu singen, die sein Glück begründet haben, und als ich Abends allein beim Essen saß, begannen sie alle, der Vater als Bassist auch dabei, unter der Thüre eine schönes Alpenlied. Die wohlklingenden Stimmen und der gutgeübte, tactfeste Vortrag geben ein hübsches Abbild dessen, was einst die Engländer so höchlich entzückt hat.

Als ich ein andermal ins Zillerthal zog, ging ich von Schwaz herab und vorn herein. Es war in der Frühe des 8 Septembers 1844, eines Sonntags. Wir schritten unser zwei durch den Morgennebel, aus welchem Tratzberg leuchtete, am Ufer des schönströmenden Inns hinunter nach Margreten, um die Wirthstöchter zu sehen, deren Schönheit zuliebe jeder sinnige Fußwanderer gerne ein Seidel Wein trinkt. Von da kamen wir nach Rothholz, an dessen ansehnlichem Schlosse, mit Namen Thurnegg, wir vorübergingen, hinaufschauend an den Berg, wo sich eben aus dem Dufte die alten Thürme von Rottenburg losrangen – von Rottenburg, wo einst Notburga, die fromme Magd, gewaltet. Von Rothholz gingen wir nach Straß, über dem die ehemalige Einsiedelei Brettfall auf einer Felsennase sitzt, warfen einen Blick hinüber auf die herrliche Ruine von Kropfsberg und erreichten [543] Schlitters, das erste Dorf im Zillerthale. Dort haben wir etwas gerastet und schuldlosen Sinnes ein schönes Mädchen bewundert, die erste der Zillerthalerinnen, die mein Freund im Leben erschaut. Diese kamen von jetzt an sehr häufig vor, alle in stolzer Sonntagstracht, mit dem breitrandigen, hochspitzigen Hut, an dem die goldene Quaste prangt, mit dem innthalischen Spenser, der zuweilen von Sammet, mit kurzen Röcken und weißen Strümpfen. Sie nicken freundlich grüßend und der Pilger steht gern stille, um den Gestalten nachzusehen.

In Fügen sprachen wir im Hacklthurm zu und gingen dann im Dorfe spazieren. Es war heute sehr viel Leben auf den Gassen, denn man erwartete drei Prinzen, die Söhne des Erzherzogs Franz Karl, die in der Frühe nach Zell gefahren waren und jetzt bald zurückkommen sollten. Deßwegen und weil nach den Söhnen auch der Erzherzog Vater angesagt war, Triumphbogen, Inschriften und allerlei Zierrath an den Häusern. Unter anderm fanden wir auch eine schöne Jungfrau auf einer Sommerbank sitzen und ließen uns mit ihr in eines jener harmlosen Gespräche ein, wie sie zwischen Leuten üblich sind, die sich vorher nie gesehen haben. Es ging sehr leicht, denn die Mädchen sind hier liebenswürdig und fürchten nicht es zu scheinen. Während wir nun da sprachen, kam ein schmucker Zillerthaler des Wegs, im Kriegsgewande, d. h. in der Schlachtenjoppe und dem Schützenbrustfleck, wie das heute die Aufgebotenen alle trugen, auch mit einem breiten Leibgurt, worauf in Silber das großbritannische Wappen zu sehen. Es war Ludwig Rainer, der in Amerika gewesen ist und von seinem Oheim dieses Wappen ererbt hat; dem Oheim aber hatte es Georg IV als Andenken verehrt. Wir sprachen etwas englisch zusammen, was ihm ohne alle Beschwer von der Zunge lief. Später beim Einzuge der jungen Erzherzoge sahen wir ihn wieder als Posaunenbläser unter der Schützenmusik.

Bald knallten nun die Böller und wir zogen hinaus zum grünen Ehrenbogen, wo die Fügener Schützencompagnie aufgestellt war, lauter schlanke, großgewachsene Burschen. Die [544] Schützencompagnien des Landes sind allenthalben in ihre Thaltracht gekleidet, allerdings so, daß dabei noch manches schöne Gewandstück festgehalten wird, welches sonst außer Uebung gekommen ist. Im Zillerthale trägt zum Beispiele jetzt unterm Jahre kein Bursche mehr den rothen, silberbordirten Brustfleck, wie er zur Schützenuniform gehört, sondern die neuere Weste, und in Meran sieht man die grünen Hüte, die beim Ausrücken erscheinen, nur noch an den höchsten Festtagen. Die Fügener führen übrigens zur Zeit grüne spitzige Hüte, graue Lodenjoppen, wie sie im bayerischen Gebirge üblich, jenen silberumränderten Brustfleck, schwarzlederne, weißgestickte Gürtel, schwarzlederne kurze Hosen und weiße Strümpfe.

Aus den Schützenreihen wehten zwei Fahnen, eine weiß und rothe, und eine weiß und grüne. Auch führten sie Musik, völlige Militärmusik, mit Trompeten, Posaunen und vier Clarinetten, welche von Feiertagsschülern geblasen wurden, die in der Blüthe der Jugend strahlten. Neben dieser neuern Einrichtung, die man den Schullehrern verdankt, stand aber noch, als ein Denkmal vergangener Zeiten, die alte Schwegelmusik, zwei betagte Knaben von Anno Neune, die noch die alten Märsche wußten, zu denen zwei junge Knaben aus dem vorigen Jahrzehent die Trommel schlugen. Es ist zu fürchten, die Schwegler wachsen auch nicht mehr nach – sie werden nur so Ehren halber noch mitgelassen und schämen sich fast selber ihrer frohen Wissenschaft neben den sinnbethörenden Fanfaren, welche die andern Burschen zu Tage fördern. Es lohnt sich kaum noch, seine Nebenstunden auf die Querpfeife zu verwenden, und die quickenden, einförmigen Weisen zu erlernen, die ehemals der Schrecken der Feinde waren und jetzt das Gespötte der Kinder sind. Ja, mir ging ein Stich durchs Herz, als die zwei verjährten Gesellen, fromm und pflichtgetreu und voll des besten Willens, ihre Schwegeln an den Mund setzten und sämmtliche Schuljugend wie mit einem Schlag zu kichern begann. So war’s auch bald darauf zu Meran, als der Erzherzog Franz Karl gekommen war und die Partschinser und Algunder neben der Triumphsäule auf dem Sande Parade machten. Da prangten die Schützen in [545] voller Galla und standen in zwei Reihen, mit ihren Fahnen und ihren Spielleuten zumeist Partschinsern, welchen der Herr v. Goldegg die schönen Instrumente angeschafft und so durch seine Opfer eine wohlgeübte Dorfbande hergestellt hat. Etliche „Herrische“ waren auch darunter, die man an den weißen Knien erkannte, denn die Bauern haben braune. Neben allen diesen machten aber drei Männer einen absonderlichen Eindruck, drei alte verwitterte Kriegsmusikanten, zwei Schwegler und ein Trommler. Der eine der Schwegler, so ungefähr der wichtigste von den dreien, hatte die Zeit, wo er eine gute Hose besessen, schon lange hinter sich und mußte daher willkommen seyn, obgleich er eine sehr abgeschabene trug. Der Trommler, der Mayer von Verdigen, spielte auf einer französischen Trommel, die er selbst erbeutet. Wenn er anhob mit seinen zitternden Händen die Schlegel zu rühren, dann ließ er das Haupt fast bis auf das Trommelfell sinken, so daß nur der ungeheure schwarze Hut zu sehen war, unter dem er sich lauschend versteckt hielt, gleichsam abgezogen von der Mitwelt und nur begierig, die alten, seltsamen Töne in nächster Nähe einzuschlürfen. Der Dritte schmächtige stand hinter den beiden und blies verschämt, nur stellenweise sichtbar, auf seiner Schwegel. Es war ein sehr wehmüthiges Schauspiel, wenn die rauschende Blechmusik aufgehört hatte, und der hüpfende Kriegsmarsch von Anno Neune begann. Dann wendete sich der schäbige Vorschwegler aufmunternd der Trommel zu, den Fuß mit schwerem Schuhe zum Tactschlage hoch erhebend und der Andre versank träumerisch in den summenden Wirbel und der Dritte blies in schüchternem Verstecke geschäftig seine Weise. Die leichtfertige Jugend lachte zwar wie sich die drei Musikanten so abmühten und doch nichts Rechtes zu Wege brachten, aber den Alten mag es durch den Kopf gegangen seyn wie ein vergessener Traum von Kriegsgeschrei und Blut und Brand.

Die Oficiere der Schützencompagnien sind größtentheils noch lauter bewährte Männer aus den Kriegszeiten. Sie werden durch eine andre Farbe des Hutes oder durch einen Federbusch kenntlich. Manchmal sieht man sie mit ausländischen [546] Orden geziert, die sie im Krieg erbeutet haben und zur größern Auszeichnung anhängen. Die Befehlshaber der Fügener hatten große winkende Büsche auf den Hüten und bedenkliche Degen an der Seite, welche aussahen als seyen sie ehemals in fremden Diensten gestanden. Der Hauptmann ging an der Fronte auf und ab, und war sehr besorgt, daß alles ordentlich ablaufe. Wir standen gegenüber und schauten seinem Walten mit Theilnahme zu. Endlich kurz vor der Ankunft der Prinzen rief er: Wenn ich Vivat schreie, so schreit es a! Nachdem in dieser Art die kommende Begeisterung geregelt war, rollten die jungen Erzherzoge heran, stiegen aus, wurden von den Beamten empfangen, und gingen sammt ihren Hofherren an der Linie hinab. Die Schützen präsentirten und als der Hauptmann Vivat schrie, schrien sie ohne Zögern alle nach. Darnach zogen sie hinter drein und unermeßliches Volk mit ihnen. Vor dem Landgerichte sangen die Rainer und Alles, was in Fügen die Kunst des Gesanges treibt, ein prächtiges Alpenlied und darauf fuhren die Prinzen davon.

Von Fügen aufwärts, eine gute Stunde zu gehen, liegt das Dorf Ried. Hier ist im vorigen Jahrhundert Peter Prosch geboren worden, ein Bauernsohn, der von Jugend auf im Auslande herumzog, keine großen, aber viele lächerliche Begebenheiten erlebte und sie später beschrieben und herausgegeben hat. Ich wendete einmal viele Mühe daran, das Buch zu erfragen. Eine Frau, die ich auf dem Eisenhammer bei Uderns kennen lernte, wußte mir zum erstenmale etwas davon zu sagen. Sie hatte es gelesen und nach eigenem Geständnisse mehr Vergnügen darin gefunden als an der schönsten italienischen Oper und dem wohlklingendsten Concerte. Sie wies mich an die Töchter des Peter Prosch, zwei alte Weiber von denen ich die eine in Uderns fand – die andre war auf dem Felde – jedoch ohne das Buch erhalten zu können; sie hatte es einer guten Freundin in Hall geliehen. In Ried erfragte ich abermals ein Haus, aber da hatte es der Rothgärber in Fügen zu lesen. Nach Fügen wollte ich nun nicht mehr zurück und so tröstete ich mich mit der Hoffnung, daß es mir ein guter Stern vielleicht noch anderswo [547] im Lande entgegenführen würde. Und so kam mir denn auch, was ich im Zillerthale nicht gefunden, eines Tages zu Meran vor Augen und zwar unter dem Titel: Leben und Ereignisse des Peter Prosch, eines Tirolers von Ried im Zillerthale – oder das wunderbare Schicksal. Geschrieben in der Zeit der Aufklärung. München l789. Ich hatte mir eine Art spanischen Schelmenromans vorgestellt, die Abenteuer eines kecken, schlauen, überlegenen Schalks, der seine Talente unter alpenhafter Naivetät zu verbergen gewußt, aber aus der Selbstbiographie geht eher hervor, daß der Held gutmüthig und sehr furchtsam gewesen und dem hingebenden Gleichmuth mit dem er die lustigen Quälereien seiner vornehmen Gönner ertrug, bei weitem mehr zu danken hatte, als der Feinheit seines Verstandes. Er war im Jahre 1745 auf einem Söldenhäuschen zu Ried geboren, als das jüngste von eilf lebendigen Geschwistern. Im neunten Jahre verlor Peter seine Mutter – der Vater war schon lang vorher gestorben – und der älteste Bruder hatte ein böses Weib geheirathet, welches die jüngern Geschwister schnell alle aus dem Hause jagte. An einem schönen Nachmittage, erzählt die Lebensbeschreibung, um die Zeit der Weinlese, wenn die Blätter anfangen gelb zu werden und bei dem geringsten Lüftchen von den Bäumen fallen, wenn alle Getraidefelder leer sind und die Kühe in kleinen Heerden über die Berge und Felder hinweiden, kam der Knabe auf einem einsamen Fußsteige den Berg herab. Er war barfuß, aber seine schwarzbraunen Füße hatten sich ohne Verletzung über spitzige Steine hinzugehen gewöhnt. Seine Haut war durch Sonnenschein, Kälte, Regen und Winde so abgehärtet, daß ihn auch das Ritzen der Disteln und Dörner an den Wegen nicht schmerzte. Er war mit einem zerrissenen, kleinen Hemde und erbettelten alten Kleidern behangen. Den runden, vollwangigen, gelockten Kopf bedeckte ein zerfetzter, alter, grauer, großer Hut, durch dessen Spalten die hellbraunen Haare häufig herausguckten. An seiner Seite hing ein alter Brodsack und in der Hand trug er einen starken, haselnen Stock, um die Hunde damit abzuwehren.

[548]

Als er so den Fußsteig am Berge herabkam, sah er vor sich eine schöne Wiese und jenseits der Wiese einen Wald, in welchem oben auf der Höhe ein dicker Rauch empor stieg. Rechter Hand einen Steinwurf von dem Wege lag ein Rübenacker, der rundum mit einem Faden umzogen war, an welchem alte Lumpen hingen, die, vom Winde bewegt, das Wild zu verscheuen bestimmt waren.

Der arme Peter eilte hin in die Wiese an den Bach, trank und setzte sich neben einer Erlenstaude auf den Rasen. Da er hungrig war, machte er seinen Sack auf und als er nur einen schmalen Bissen trockenen Brodes fand, gingen ihm die Augen über und die Thränen begannen zu fließen über die braunen Wangen. Seufzend sagte er zu sich selbst: O meine liebe Mutter! nun hab’ ich dich nicht mehr – du hattest immer Brod und wenn ich hungerte, gabst du mir. Er guckte wieder in den Sack, ließ alle Brodsamen zusammenrieseln und letzte seinen Hunger daran. O liebe Mutter! weinte er wieder, da liegst du hinter der Mauer in dem Kirchhofe und dein armer Peter geht nun allein in der Welt betteln, wie ein armes Küchlein, das seine Gluckhenne verloren hat.

Indem er so vor sich hinjammerte, fiel ihm das Rübenfeld in die Augen, aber seine Mutter hatte ihm oft gesagt, es sey nicht erlaubt, zu stehlen.

Nunmehr kam ein Mädchen, welches eine weiße Ziege an einem Bande leitete, um sie auf der Wiese neben dem Rübenfelde zu weiden. Es war ein bildschönes Mädchen, auch beiläufig zehn Jahre alt. Der Knabe machte sich auf und trat zu ihr. Mädel, sagte er, ich möchte gerne ein paar Rüben essen. Gehören sie dir und deinen Leuten? – Ja, wo bist du her? – Lieber Gott, ich habe keine Heimath; ich bin ein armer Bue und heiße Petrus. – Schau, Petrus, sagte das Mädchen mitleidig, du darfst keine Rüben essen. Wenn dich hungert, will ich die Marende mit dir theilen.

Sie zog sodann ein doppelt geschlagenes Butterbrod aus der Tasche und reichte es dem Knaben. Aber, sagte dieser, so hast ja du nicht genug. – O, ich bin nicht hungrig und esse mich den Abend wieder satt. – Alsbald nahm sie auch [549] ein kleines Messer hervor und theilte das Butterbrod in zwei ungleiche Theile, den größern aber gab sie ihm.

Sie beide saßen beisammen und aßen vergnügt. Während ihrer vertraulichen und kindischen Gespräche begann es Abend und kühl zu werden. Peterl, sagte sie, wo wirst du diese Nacht schlafen? – Darf ich denn nicht mit dir ins Dorf gehen? – Ach nein, wir haben einen bösen Ueberreiter, der jagt dich fort. Aber siehst du den dicken Rauch dort oben am Berge aufgehen? – Dort ist ein Kohlbrenner, gar ein guter Mann. Der nimmt alle armen Leute in seine Hütte, wenn sie der Ueberreiter fortjagt; da geh du hin.

Jetzt stand der Knabe auf, nahm seinen Stock und nun faßte ihn das Mädchen um den Hals, küßte ihn und ging mit ihrer Ziege gegen das Dorf. Er aber wanderte fort und dem Kohlbrenner zu.

Als er durch das Laub daherrauschte und auf diesen zukam, fragte er: ob er ihn die Nacht beherbergen wolle. Der Kohlbrenner erkundigte sich zuerst um die Herkunft des Knaben und versprach ihm dann, was er begehrt. Er führte ihn in seine Hütte, gab ihm zu essen und zu trinken und machte ihm ein Lager zurecht, in welchem Peter sehr gut schlief. Am andern Tage bedachte sich der Knabe, und bekam einen Eckel am Bettel, so daß er ihm ganz zuwider wurde. So nahm er seine Sachen zusammen und trollte damit den Berg hinauf, um nach einem Hirtendienst umzusehen. Unterwegs rief ihm aber der alte ehrliche Kohlbrenner von der Hausthüre zu: wo gehst hin, Peterl! dieser antwortete: auf den Berg hinauf, Schafe hüten. Ei, sagte der Andere, ich kenne so viele, die ihr Brod mit einer Handelschaft außer Landes suchen; probier es auch! wer weiß, ob du nicht dein Glück finden kannst. – Wie sollt’ ich es denn machen? ich habe kein Geld; und wer wird mir etwas geben? – Ich will dir Bürge seyn, sagte der Kohlbrenner. Auf seine Worte ging der Knabe zurück und zum Bartlme Hauser, als einem Oel- und Theriakfabricanten. Dieser borgte ihm um drei Gulden neun Kreuzer solcher Waaren.

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Peter Prosch ging also im zehnten Jahre seines Alters außer Landes als herumlaufender Oelträger, errang weniger durch seine Handelschaft, als durch zarte Bitten bei den Bäuerinnen in der Küche, und kam ins Schwabenland und bis nach Dischingen. Dort hörte der Fürst Taxis auf der Jagd von dem kleinen weithosigen Tiroler und verlangte ihn zu sehen. Darauf ließ er ihn waschen, in Lauferkleider stecken und nahm ihn unser sein Hofgesinde. Er lernte dem Fürsten und der Fürstin den Rock küssen und bekam viele Teller voll Confect. Der Läufer Augustin hatte ihn in der Lehre und noch drei andre Jungen mit ihm. Sie liefen alle Tage zur Uebung vier Stunden weit spazieren nach Dillingen. Peterl war der begabteste unter den Zöglingen, lief am schnellsten und bekam daher am wenigsten Schläge. Aber in all der neuen Herrlichkeit am Hofe befiel ihn doch das Heimweh und eines schönen Morgens ging er auf die Flucht. Ein schwarzer trotziger Reiter auf einem weißen Rosse holte ihn indessen wieder ein und brachte ihn an den Hof zurück.

Im Herbste zog der Fürst nach Regensburg und Peter sah nun auch diese berühmte Stadt. Der fürstliche Rath Kirchmayr hatte eine besondere Neigung zu dem Knaben gefaßt und die Frau Räthin suchte ihm etwas Bildung beizubringen. Statt: Hoy, was willst? sollte er nunmehr sagen: Was schaffen Euer Gnaden? Dieß war aber noch zu schwer für sein zartes Alter und als er einmal beim schwarzen Elephanten Salzburger Fuhrleute erfragt hatte, ging er mit ihnen davon und kam wohlbehalten nach Hause, wo er keinen Bissen zu essen hatte.

Tausenderlei Gedanken von großen Herren, von Gnaden und Glücksgütern hatte er von der Reise mitgebracht und nun trat dazu noch auf heimischem Boden das Bild der guten Kaiserin Maria Theresia, von welcher seine Landsleute so viel erzählten. Und siehe da! als er eines Abends schlafen gegangen, träumte ihm ganz natürlich, er sey bei der guten Kaiserin mit dem Hut unterm Arm, welchen sie ihm voll Geld geschenkt und sie lasse ihm in seinem Dorfe eine Wohnung und eine Branntweinhütte bauen. Von da an kein andrer [551] Gedanke mehr, als Maria Theresia, Hut voll Geld, Branntweinhütte, Haus bauen. Und nach verschiedenen Begebenheiten und mehreren Wochen stand Peter im Audienzsaale zu Schönbrunn. Maria Theresia kommt herein, der Knabe läuft ihr entgegen, purzelt auf dem glatten Boden rücklings hin, rafft sich wieder auf, kniet nieder und erzählt der Kaiserin, die sich vor Lachen kaum verwußte, seinen Traum. Dieser ging nun nach seinem ganzen Inhalte in Erfüllung und der junge Tiroler kehrte reichbeschenkt in seine Heimath zurück. Es war an einem Sonntage und im nächsten Wirthshaus spielten Musikanten auf. Dahin ging nun Peter zum Tanze unter die Leute, die schon gehört hatten, wie glücklich er gewesen. Er war dreizehn Jahre alt und wurde als ein Wundermensch angesehen, weil noch Niemand aus dem Dorfe nach Wien gekommen war. Buben und Dirnen bewillkommten den Freund ihrer Jugend und schüttelten ihm die Hände. Unter andern war ein hübsches Mädchen da, in seinem Alter, welches ihm die Hand gab und die seinige drückte und sagte: Gehst du nicht einmal mit mir tanzen? O ja, sagte Peter und fing mit ihr den Reigen an. Unterm Tanze aber flüsterte ihm das Mädchen ins Ohr: Peterl, magst du keine Rüben und geschlagenes Butterbrod mehr essen? Es war nämlich dasselbe Dirnchen, das einst neben dem Rübenacker auf der Wiese die Ziege hütete, als der andere von dem Berge mit seinem Brodsack heruntergekommen war. Sie blieben nun beisammen und gingen nach dem Tanze miteinander. Unterwegs umarmten sie sich öfters in unschuldiger Zärtlichkeit, versprachen einander zu lieben und zu heirathen und kamen also nach Hause. Als Peter sein Häuschen ausgebaut und das sechzehnte Jahr erreicht hatte, hielt er Hochzeit und nahm zur Ehewirthin das nämliche Mädchen, welches auch keinen Vater und keine Mutter mehr hatte, wie er. Sie waren zusammen einunddreißig Jahre, sieben Monate und fünf Tage alt.

So weit diese Dorfgeschichte, ungefähr in derselben Weise wieder gegeben, wie sie Prosch niederschrieb. Vielleicht hat der vierundvierzigjährige Biograph diese Jugenderinnerung mit mancher neuen Blume ausgeschmückt; immerhin bleibt sie [552] wenigstens für sentimentale Leser das Anziehendste in der Lebensbeschreibung. Was weiter folgt, ist als Beitrag zur Memoirenlitteratur des vorigen Jahrhunderts nicht ohne Werth. Es enthält manch anmuthiges Detail aus dem Leben der kleinen Höfe in Bayern, in Franken und am Rhein, so wie des großen Kaiserhofs zu Wien. Peter Prosch setzte nämlich seine Züge fort – er rühmt sich, der erste Handschuhhändler aus dem Zillerthale zu seyn, der nach Deutschland gekommen – und machte sich durch seine heitre Laune und die geduldige Ertragung aller, mitunter sehr boshaften Hofpossen, wie sie ihm neckische Cavaliere spielten, überall sehr beliebt; insbesondre thaten der Fürstbischof von Würzburg und der Markgraf von Anspach ungemein vertraulich mit ihm. Allenthalben fand er adeliche Gönner und Gönnerinnen, die er Vater und Mutter nennen mußte. Vom Kurfürsten Maximilian III von Bayern erhielt er eine Ehrenmedaille, die er als einen Orden tragen konnte und ein Decret, wodurch ihm ein jährlicher Gnadengehalt von sechs Tausend neun Hundert und zwölf Pfennigen zugesichert wurde. In Folge dessen hielt er sich berechtigt, später nach dem Tode seiner Frau auf den Titel eines „kurbayrischen verwittweten Hoftirolers“ Anspruch zu machen. Die meiste Ausbeute für fürstlichen Spaß und cavaliermäßige Ungezogenheit gab sein furchtsames Naturell. Er dutzte zwar die Kaiser, die Kurfürsten, Fürstbischöfe und Markgrafen und hunzte sie wenn’s der Augenblick zu fordern schien, auf gut tirolisch aus, aber es scheint, als habe ihm bei diesen Naivetäten, die mit unauslöschlichem Gelächter hingenommen wurden, selbst das Herz im Leibe heftig gezittert. Es kam auch vor, daß ihn seine Gönner durch einen als Bären vermummten Hofbedienten zur Nachtzeit aus dem Bette und mutternackt über den Hof sprengten, oder daß man ihn auf ein tückisches Pferd band und halbtodt vor Angst wieder herunternahm oder daß man etliche Grenadiere auf ihn zumarschieren, ihn als Recruten aufpacken und dann den tödtlich Erschrockenen wieder frei ließ. Einmal mußte er auf des Prinzen Maximilian von Zweibrücken, des spätern Königs von Bayern, Veranstaltung zu Straßburg in das Schifflein [553] eines aufsteigenden Luftballons sitzen, was ihm auch ungemeine Beschwer verursachte, vieler andern Neckereien nicht zu gedenken. Er selbst beruhigte sich zuletzt über alles, wenn es nur den Herren Spaß gemacht hatte und klebte mit treuer Anhänglichkeit an all den großen und kleinen Potentaten, die sich an seinen Aengsten zu ergötzen liebten und ihm deren Gedächtniß durch zahlreiche Kremnitzer Ducaten zu versüßen wußten. Bei ihren Geburts- und Namenstagen unterließ er dann auch nicht einen gereimten Glückwunsch anzubringen, deren mehrere in dem Buche abgedruckt sind. So viel von Peter Prosch, der im Jahre 1804 gestorben ist. In Ried steht noch das Wirthshaus wo der Ehrsame, als er sich zur Ruhe gesetzt, Wirth gewesen.

Der oben erwähnte Handel mit Medicamenten und Oelen, der früher viele „Mithridatträger“ beschäftigte, ist zum Besten des Wohlseyns der Mitwelt schon im vorigen Jahrhundert ganz abgethan worden. Er ernährte in seiner Blüthezeit bei vierhundert Mannsbilder und zur Erzielung der Waare wurden im Zillerthale eine beträchtliche Anzahl bäuerlicher Laboratorien unterhalten. Die Landleute zogen in ihren Gärten Rosmarin und Lavendel; Salbei, Wachholder, Tannzapfen, Kienholz und derartige Stoffe boten die Wälder und die Felder. Im benachbarten Achenthale fand sich ein Gestein, aus dem sie Steinöl gewannen, welches man in Viehkrankheiten als wohlthätige Arznei befand. Die Wälschtiroler trugen lebendige Scorpionen herzu und die Zillerthaler erquetschten daraus das für den Hundsbiß gerühmte Scorpionenöl. So waren alle drei Reiche der Natur der Oelindustrie des Zillerthales dienstbar.

Nachdem wir damals in Fügen die Erzherzoge gesehen, fuhren wir mit dem Stellwagen gegen Zell herauf und hielten zu Kaltenbach, einem kleinen Weiler nächst Ried. Als wir ausstiegen, stand mit offenen Armen ein bejahrter Bauer an dem Schlage und empfing uns mit dem heitersten Gesichte, wie seine Gastfreunde von Jahrhunderten her. O du mein lieber fremder Herr, sagte er zu mir, grüß di Gott viel tausendmal und wie schien is des, daß du auch ins [554] Zillersthal hast einhi mögen. Darauf wandte er sich einem Andern zu, den er schon früher kennen gelernt, und bewillkommte auch diesen: O du mein lieber Freund von Schwaz, wie freut’s mi, daß i di wieder a mal sehen thue und was macht der alte gute Herr Vater? und endlich redete er uns alle zusammen an, wie wir ausgestiegen waren: O es lieben freundlichen Herrn! bekannt und unbekannt, grüß enk Gott viel tausendmal im Zillersthal. I moan, i soll enk alle kennen. Die Fremden sahen sich sämmtlich verwundert an, worauf denn jener Mitreisende aus Schwaz das Wort ergriff und sagte: Ja, meine Herrn, das ist der Nußbaumseppl, ein besonders guter und freundlicher Mann und es ist so seine Art.

Mir trat das Conterfei vor die Seele, welches neben dem Titelblatte von Peter Proschens Leben zu finden ist und ich meinte, im Nußbaumseppl zu Kaltenbach bei Ried das Abbild jener gutmüthigen freundlichen Züge zu sehen, die einst dem verwittweten bayerischen Hoftiroler angehört; freilich in etwas älterer Erscheinung, denn der Nußbaumseppl ist ein Sechziger und hat schöne weiße Haare, die angenehm um das gutgeröthete Gesicht spielen, welches ruhig auf einem weidlichen Kropfhals sitzt. Auch der milde, süße, singende Ton der Stimme, dachte ich mir, wird derselbe seyn, wie ihn der erste Handschuhhändler von Tirol verwendete, um sich im Auslande seine Bahnen zu brechen und bei Herren und Damen sein Glück zu machen; nur das Herz muß bei seinem zeitgenössischen Doppelgänger um ein Gutes muthiger seyn, sonst hätte er sich nicht solcher Ehren zu erfreuen, wie sie ihm, laut des Folgenden, noch heutzutage zu Theil werden.

Der Nußbaumseppl setzte sich nun aber zu uns – es war wohlgemerkt Sonntag und ihm nicht zu verargen, wenn er nebst seiner Gattin im Wirthshause saß – und erzählte, daß er mit dem rechten Namen Joseph Hellwart heiße und überm Bache drüben Haus und Hof, früher aber in der bayerischen Armee gedient und eine sonderbare Verehrung für seine ehemaligen Landsleute geschöpft habe. Mich hielt der heitere Tischgenosse zuerst für einen Mecklenburger und zwar der Mundart wegen, was nicht auffallen darf, da die Zillerthaler [555] zur selben Zeit auch einen sehr schwäbischen Maler von Constanz für einen Mecklenburger nahmen. Als ich nun meinen neuen Freund nicht ohne Mühe überzeugt hatte, daß ich die angemuthete Landsmannschaft ablehnen müsse, ließ er mir keinen Frieden bis ich ihm sagte, wo ich wirklich geboren, und dieß ist zu Aicha in Oberbayern. Darauf zeigte er, daß er in diesem Städtchen sich ausgedehnte Bekanntschaften erworben und mit Beamten und Bürgersleuten als wandernder Händler viel Verkehr gehabt habe – mich aber hieß er von jetzt an ganz freiwillig den Herrn Assessor von Aicha, womit mir Unwürdigem aber auch wieder zu viele Ehre widerfahren. Nunmehr hob es indessen erst recht an mit den Erzählungen von der Schlacht bei Hanau und der Belagerung von Hüningen und andern Schlachten in Frankreich und von seinem Leben als bayerischer Chevauleger zur schönen Kriegszeit. Und dann begann er fast in rührender Weise seine Dankbarkeit zu äußern gegen den General Hugenpoet, seinen Obersten und gegen den General Von der Mark, seinen ehemaligen Rittmeister, den er lieber habe als alles auf der Erde mit Ausnahme seines neben ihm sitzenden Weibes, der ihm des Jahres einmal und dem er des Jahres zweimal schreibe, weil der Mindere doch immer mehr zu thun habe, als der Höhere und der aus ihm, einem lesensunkundigen, rohen Burschen einen so tüchtigen Mann gemacht. Ja, mein lieber Herr Assessor! sagte der Nußbaumseppl, die Behandlung macht alles, gar alles! und mit seiner Behandlung hat mich mein lieber Herr Rittmeister zu dem gemacht, was ich jetzt bin. Dann brachte er ein munteres Hoch aus auf seine ehemaligen Vorgesetzten und auf die bayerische Armee in der Kriegszeit. Ich muß gestehen, daß mir bei so viel Aehnlichkeit im Wesen auch die Kremnitzer Ducaten einfielen, die weiland der Hoftiroler für seine süßen Sprüche zu erhalten gewohnt war, aber ich hatte mich dieses Verdachtes nur zu schämen, denn der Nußbaumseppl will sich nichts verdienen mit seinen Reden. Auch erfuhr ich gleich hernach, daß er ein wohlstehender, seiner Ehrlichkeit wegen geachteter Mann sey, dem die Nachbarn nichts zur Last legen, als daß er etwas [556] gerne plaudere. Bei der Abfahrt begleitete er seine lieben, fremden Herrn, den lieben Freund von Schwaz und den lieben Herrn Assessor von Aicha wieder an den Schlag, schüttelte uns herzlich die Hand und lud uns alle ein, andern Tags zu ihm auf seinen Hof zu kommen und seine Butter und den guten Kirschbranntwein, den er habe, zu versuchen.

Die sonntägliche Stellwagengesellschaft wurde durch diese Begegnung sehr heiter gestimmt und die Zillerthaler, die dabei waren, erzählten nun allerlei Geschichten. Ein mitfahrender Bauer, einer von den Jungen, klagte sehr bitter, daß die alte Fröhlichkeit im Zillerthale so unbarmherzig ausgerottet werde. Aehnliches hatten wir schon in Fügen vernommen und hörten es wieder zu Zell. Der Bue meinte, daß das Raufen abgekommen, sey nicht Schade, aber daß auch dem Singen und dem Tanzen nachgestellt werde, das sey zu viel. Jedennoch gehe es noch immer nicht recht mit der Traurigkeit; im Zillerthale, meinte der Kecke, sey keine Lustbarkeit eine Sünde, denn man müsse alles wieder hinausarbeiten. Auch seyen die Mädchen zu schön und zu gut und hätten die Buben zu lieb, als daß man zwischen beiden ewige Feindschaft stiften könne. Eine schöne Au, an der wir vorüber fuhren, gab ihm Anlaß, ein früheres Volksfest in Erinnerung zu bringen. Ehemals wurde da nämlich alle Jahre ein Widderstoßen abgehalten zwischen den Fügenern und den Zellern. Beide Gemeinden zogen dazu einen Widder heran und jene, deren Kämpe den Sieg errungen, hatte auch das Recht, das besiegte Thier an sich zu nehmen. Der Bursche behauptet indessen, man habe sich nicht so sehr auf das Widderstoßen gefreut, als auf das Plaisir welches gewöhnlich darauf folgte. Wenn es nämlich die Widder nicht ausmachen konnten und der Sieg, wie oft geschah, unentschieden blieb, so machte es die männliche Jugend aus und es kam dann auf der grünen Au zu einem unermeßlichen schlachtenartigen Ringkampf. Dabei trugen die Dirnen Steine zu, haranguirten die Kämpfer, brachten die Verwundeten aus dem Gefechte und schmeichelten den Muthigen und Tapfern. Dabei wurden aber auch Augen ausgedrückt, Ohren abgebissen und noch gräulichere [557] Dinge verübt. Ein paar Leichen auf dem Felde war nichts Ungewöhnliches. Das letztemal als die alte Sitte noch zum alten Unfug führte, blieb es unentschieden, wer die Sieger gewesen. Der Bursche behauptete, die Fügener hättens davon getragen, aber kaum hatte ers gesagt, als sich der Kutscher vom Cabriolet herein ins Gespräch mischte und in sehr gereiztem Tone dem Andern zurief: Ist nicht wahr, die Zeller. Die beiden Jungen fuhren hitzig gegen einander; der ehemalige Großkampf der Nachbargemeinden schien sich im Kleinen erneuern zu wollen, und wenn der Stellwagen überhaupt für pugilistische Künste eine bequemere Arena wäre, so hätten wir leicht etwas erleben können. So aber gelang es uns durch beruhigende Worte die Gemüther wieder zu beschwichtigen und der Fügener gab am Ende sogar zu, daß dem Vorkämpfer der Zeller, der die Gegner zuletzt zum Einzelkampfe herausgefordert, allerdings keiner mehr gestanden sey.

Also wieder in Zell, wo am 9 September 1844 der Erzherzog Franz Karl vom Pinzgau her seinen Einzug halten sollte. Im Dorfe war den Tag über große Bewegung; es sammelten sich die Schützen und die Zuschauer und der Braüwirth hatte alles aufgeboten, um die Stirnseite seines Gasthofes, den der hohe Reisende zur Nachtherberge ausersehen hatte, recht festlich herzurichten. Wir gingen einstweilen, da noch einige Stunden übrig waren, zur kleinen Goldhütte am Heinzenberg hinaus und besahen uns die Werke. Es wird da amalgamirt und geschlemmt, und den jährlichen Durchschnittsertrag berechnet man zu 29 Mark 11 Loth gediegenen Goldes. Zur Ansicht für den Erzherzog hatte man eine Goldrose in Bereitschaft, einen runden krausen Fladen des edelsten Metalles, wie er hervorgeht, wenn das Quecksilber wieder vom Golde ausgeschieden wird. Die Gruben, aus denen die Erze kommen, liegen gleich zur Seite.

Allmählich war es Abend geworden und als endlich die Nacht sich auf das Thal gelegt, da krachten die Böller von der Höhe des Heinzenbergs und ringsum erglommen die Bergfeuer, die kunstlosen, welche die Hirten zusammentrugen, und ein anderes mit Scharfsinn angelegtes, das den erzherzoglichen [558] Namensbuchstaben und eine Krone darüber darstellte. Zugleich erschien an der Halde des Heinzenbergs eine lange Reihe von Lichtern, die abwärts stiegen. Sie bezeichneten den Gang der Erwarteten. Nun setzten sich die Zeller in Bewegung und zogen hinaus gegen das Goldbergwerk und empfingen den Erzherzog. Böllerknallen, Musikklang, Trommelwirbel, Vivatruf scholl begeisternd in einander und von oben leuchteten die fernen Bergfeuer herein. Dann zog man fröhlichen Lärmes wieder in das Dorf. Die Schützen bildeten ein Spalier vor dem Braüwirthshause, der Erzherzog und sein Gefolge ging mit freundlichen Grüßen hindurch, die Wirthsleute riefen ein herzliches Willkommen, der kaiserliche Herr trat ein und das anhängliche Volk drängte nach, so viel es vermochte. Bei den Vorbereitungen für das Fest hatte man auch der Alpenlieder nicht vergessen und die Leo, drei Sänger und eine Sängerin, warteten oben schon im schönsten Putze, um den Erzherzog durch ihre Jodler zu vergnügen. Dieses gelang auch sehr gut und der hohe Gast sprach ihnen, nachdem der Gesang zu Ende war, in sehr freundlicher Weise seinen Dank aus, gab ihnen auch sonst noch Gelegenheit, Verschiedenes mit ihm zu reden, ja sogar etwas Weniges von ihren Reisen zu erzählen. Nachdem dieses Gespräch beendet war, begab sich der Erzherzog zu Bette und wir andern sammelten uns in den untern Stuben. Es war ein schöner Zug des edeln Reisenden, daß er uns so lustig seyn ließ, als wir wollten, und seinem Schlafe zu Liebe unsrer Unterhaltung keinen Abbruch zufügte, obgleich das Jauchzen und das Jodeln manchmal wohl sehr störend in sein Gemach hinaufhallten.

Wir suchten in die Nähe der Leonen zu kommen, da wir gehört hatten, sie würden unten noch etwas singen. Ich erhielt einen Platz neben dem Schullehrer, einem muntern Herrn, der heute die Joppe anhatte als Vorsteher der Schützenmusik, zu welcher auch Ferdinand Mariacher, der Organist aus Dux, gekommen war. Nach einiger Erquickung ließen die Sänger ihre schönen Lieder beginnen, womit sie bei allen Hörern große Ehre einlegten. Die Geschwister Leo haben freilich als Epigonen nicht jene Berühmtheit erlangt, die den [559] bahnbrechenden Rainern zufiel, sind aber doch auch weit herumgekommen in der Welt. Sie sprechen zwar nicht englisch, aber dänisch und schwedisch. In Scandinavien hat es ihnen vor allen andern Ländern am besten gefallen, in Dänemark und Schweden behaupten sie die menschenfreundlichsten Leute gefunden zu haben; aber in Belgien unter den Wallonen sey ihnen viel Unangenehmes begegnet und sie hätten Manches zu erleiden gehabt von dem Eigennutz und der Geldgier selbigen Volkes.

Andern Tages endeten die Festlichkeiten mit einer Heerschau der Zeller Schützen, welche auf dem Platze vor dem Braüwirthshause aufmarschirt waren. Darauf fuhr der Erzherzog mit seinem kleinen Gefolge davon und Zell kehrte wieder zur alltäglichen Ordnung zurück.

Ein Spaziergang in den ebenen Fluren dieses Dorfes ist zumal an einem Sonn- oder Feiertage eine angenehme Unterhaltung. Die Einwohner der zerstreuten Höfe sitzen dann auf ihren Sommerbänken vor den Thüren und plaudern – aus dem Stübchen tönt oft Zitherklang – im nächsten Hause wird gesungen, vom Berg herab erschallt das Jauchzen fröhlicher Buben. Da die Zillerthaler gar nicht schüchtern, sondern eher etwas dreist sind, so ist gut mit ihnen reden; man geräth leicht ins Gespräch, das sich in heiterm Scherze fortspinnt und endet. Als ich eines Tages nach einer solchen Wanderung wieder dem Flecken zuging, saß vor einem kleinen Hause ein Mädchen, das mich grüßend ansprach. Während wir redeten, kamen mehrere Buben des Weges, welche sich mit Freundlichkeit meinen Tabakbeutel ausbaten um ihre Pfeifen zu stopfen. Endlich erschien noch ein Mädchen, ein schönes Wesen, und nun meinten die Jungen, wäre etwa ein Gesang zu versuchen. Man unterließ nicht zu fragen, wie viel ich dafür hergeben würde, und so machte ich mich anheischig, eine Halbe Wein zu setzen. Nachdem diese Vorfrage erledigt war, sangen sie also, die beiden Mädchen und ein junger Bergknappe, nicht ohne Kunstfertigkeit. Zuerst stimmten sie das schöne Lied an: Es wohnt ein Müller an jenem Teich – dessen Fortsetzung ich mir aber aus Schamhaftigkeit verbat. Dann fielen [560] sie auf das Lied vom schwarzbraunen Engelschmiedsgesellen, den eine schneeweiße Markgräfin liebt, ein Lied, das zwar mit dem Augenmaß der Schicklichkeit betrachtet, auch nicht ganz tadelfrei, aber sonst sehr lobenswerth ist. Es erfreut sich einer weiten Verbreitung in Tirol, denn die Bauern um Meran kennen es eben so wohl, als die Bergknappen am Heinzenberg. In des Knaben Wunderhorn ist dasselbe auch aufgenommen,*) doch erscheint dort ein Zimmergesell statt des schwarzbraunen Engelschmiedsgesellen und außerdem fehlt es auch nicht an Verschiedenheiten im Texte.

Nach diesem wurden noch einige andere Gesänge vorgetragen, zumeist erotischen Inhalts, mitunter auch ziemlich schlüpfrig, was aber kaum geahnt zu werden schien, denn die Mädchen sangen sie so unbefangen heraus, wie eine tugendhafte Gnome, während mir nichts überblieb, als den Hut tiefer ins Gesicht zu drücken, wie das Maidele in Dux. Nachdem es der Lieder genug waren, fingen die Dirnen mit einander zu tanzen an, wozu der Bergknappe begleitende Schnaderhüpfel sang, und nach diesem ging ich mit leerem Tabaksbeutel, den die Jungen ausgeraucht, wieder nach Zell zurück.

Im Auslande ist man gewohnt, den Zillerthaler, den allbekannten Handschuhhändler, für den Typus des Tirolers zu nehmen, und da derselbe, wie die Rainer dargethan, liederkundig und gesanglustig ist, so gilt wohl auch ganz Tirol als ein Land wo alle Bergwände von Singen und Jodeln wiederhallen. Gleichwohl sind die meisten Thäler der Grafschaft so liederlos und gesangarm, als irgend eine Gegend in Deutschland. Gewiß war es einmal anders; zur Zeit aber findet das kecke Schnaderhüpfel nur noch im Zillerthal, im Unterinn- und Pusterthal sein ehrliches Fortkommen. Vielleicht ist ihm auch da keine Zukunft gegönnt und dann mag es nur etwa im bayerischen Gebirge, bei den Jachenauern, bei den Lenggrießern und den Schlierseeern noch fortleben. Diese kleinen Völkerschaften in den bayerischen Vorbergen haben ohnedem um die Pflege und Fortbildung des Alpengesanges [561] Verdienste, die der gerechte Mann, der einmal das zum dringenden Bedürfniß gewordene Buch über die Volkspoesie in den Alpen schreiben wird, jedenfalls zu der ihnen gebührenden Anerkennung bringen muß.

Die Zillerthaler also sangen schon lange Zeit, ehe Joseph Rainer zu Leipzig auf den Gedanken verfiel, ihre Alpenlieder in die große Welt zu tragen. Diese unermeßliche Erweiterung des Publicums blieb aber nicht ohne Rückwirkung auf den Gesang selbst. Zu der Zeit nämlich, als die Geschwister Rainer auf Reisen gingen, war der Schnaderhaggen fast die einzige Form, in welcher sich die Volkspoesie erging. Jetzt aber fand man, daß im jodelnden Kunstgesang der vierzeilige Satz nicht ausreichte – er war schlechterdings zu kurz und die Verbindung unzusammenhängender Strophen schien aus ästhetischen Gründen nicht zu rechtfertigen. Man bemühte sich nun längere Lieder zu finden, von der Art, daß sich am Schlusse jedes „Gesatzels“ ein Jodler anhängen ließ. So sind eine Anzahl Lieder in den Bereich des Alpengesanges gezogen worden, die ursprünglich kaum dafür berechnet waren oder die von studirten Volksfreunden verfaßt wurden. Hie und da versuchte auch ein Aelpler seine Gefühle in längern Gedichten auszuhauchen und den Landsleuten zu brauchbaren Texten zu verhelfen, wie wir das von dem Schullehrer zu Finkenberg wissen. So ergibt sich denn, daß das Meiste, was jetzt im Auslande gesungen wird, eigens, für diesen Zweck gemacht wurde. Das alte, einheimische Volkslied von der Bürgal, welches im zweiten Bande des Sammlers mitgetheilt ist, dasselbe, welches sich Lewald angeblich wieder von Maria, der schönen Duxerin, vorsingen ließ, ist schon längst vergessen.

Ueber die Schnaderhaggen oder Schnaderhüpfel die man im Zillerthale und in Dux schlechtweg Liedeln und G’sangeln nennt, enthält derselbe Band des Sammlers einen gutgeschriebenen Aufsatz, dessen ausgiebige Benützung wir uns wenig zu Gewissen nehmen, weil der Verfasser J. Strolz noch ein andres Zillerthal vor Augen hatte, als wir es kennen. Er erzählt uns wie diese G’sangeln zuvörderst beim öffentlichen Tanze erklangen, und um dieß recht aufzufassen, müssen wir uns [562] in eine große Wirthshausstube denken, an einem Kirchtage oder bei einer Hochzeit, wo alles wimmelt von starken Buben und blühenden Mädchen, wo die Tische voll Gläser sind und die Köpfe voll Wein. In einer Ecke steht eine große Kornkiste und auf dieser bemerken wir im Geiste Zither, Hackbrett, Schwegel, ein paar Geigen, den großen Baß, Maultrommeln u. s. w. sammt den dazu gehörigen Spielleuten, was alles zusammen die Spielleuttruhe genannt wird. Wenn’s nun von neuem angehen soll, so tritt einer der Tänzer mit seinem Mädchen zur Spielleuttruhe vor und wirft dieser sein schnödes Silber zu, bald mehr bald weniger, je nach Stand und Vermögen, oder auch nach Eitelkeit und Ehrgeiz. Dieß heißt einen Tanz anfrümen (bestellen) und im Unterinnthale wurden dazumal für einen einzigen Ländler oft mehrere Kronthaler auf die Truhe geworfen. Dafür durfte nun jenes Paar für sich allein tanzen, und die andern mußten zusehen, bis der angefrümte Ländler vorüber war. Wer sich indessen nicht so viel herausnahm, sondern sein Geschäftchen still und anspruchlos mit den andern fortmachte, der zahlte einen Groschen für den Tag und nochmal einen nach dem Ave Maria Läuten. Aus einer schätzbaren Notiz bei Peter Prosch ist zu entnehmen, daß man zu der Zeit, als dieser jung war, wenn man sich sehen lassen wollte, vier Kreuzer gab. Nachdem also ausgezahlt war, stimmte der Tänzer in einer selbstgewählten Melodie sein Schnaderhüpfel an, und die Musik fiel alsogleich begleitend ein – woraus sich denn deutlich ergibt, daß das Schnaderhüpfel der bojoarische Vertreter der romanischen Ballade ist.

„Eine andere Gelegenheit, die erwähnten Liedchen zu singen, bietet den Buben das Gasselgehen oder Anfensterln, dasselbe, was man im Bregenzerwalde die Stubet nennt. Wenn nämlich der theure Junge von einem solchen Liebesabentheuer zurückkehrt, stimmt er auf dem Heimwege sein Gassellied an und begleitet es mit einem Jauchzen, wovon die Gebirge wiederhallen. Vor dem Besuche hütet er sich gerne seine Gefühle laut werden zu lassen, besonders auf dem Gang in entferntere Orte, da die Bursch (so heißt die Gesammtheit [563] des ledigen Mannsvolkes einer Gemeinde) mit eifersüchtigen Augen die Schönen ihres Dorfes bewacht, er also Gefahr läuft, im Falle der Entdeckung von derselben geästet, gescheitert oder gewasent, d. i. mit Baumästen, Scheitern oder Wasen (Rasenstücken) geworfen zu werden.

Alte Mütterchen haben schon lange durch schreckbare Spukgeschichten, die Geistlichen durch Kanzelreden, die Beamten durch Arrest- und Geldstrafen dem Gasselgehen entgegen zu wirken gesucht, aber umsonst. Von letztern zumal wurde mancher, der anfangs als Eiferer auftrat, durch unangenehme Erfahrungen dahin gebracht, die Sache bald leichter zu nehmen. Noch jetzt ist die Sitte nicht abgekommen.

Der dritte Ort diese Gedichte zu singen und sie zu verfassen, sind die Alpen. Von aller Gesellschaft durch mehrere Monden getrennt, suchen natürlich die einzelnen Viehhirten ihre Nebenstunden so gut als möglich zu verkürzen. Sie verfertigen aus Farchen- oder Kieferholz eine Menge jener Späne, deren man sich auf dem Lande statt der Kerzen bedient, oder sie flechten aus Latschen- oder Zundelstauden eine Art Holzschuhe, Knospen, für Stall- und Bergleute überhaupt ein nothwendiges Bedürfniß. Viele wissen auch allerlei Hausgeräth, Löffel, Teller, Milchgefäße zu schnitzen. Unter diesen Handarbeiten finden sie nun Muße genug, sich ihrer daheim gelassenen Mädchen zu erinnern und auf sie, oder auch auf ihre Nebenbuhler mancherlei Liebes- und Spottgedichte zu verfassen. In jeder Alpenhütte findet sich überdieß eine Maultrommel, eine Waldflöte, eine Schwegel, eine Zither und dergleichen, so daß diese Sennen auch Gelegenheit haben, eine passende Arie auszusinnen und sich in mannichfaltiger Begleitung zu üben.

Auch auf dem Felde, in den beschwerlichen Bergmahden und bei häuslichen Beschäftigungen werden diese Liedchen, meistens von Mädchen gesungen; sie dienen ihnen zur Ermunterung und lassen sie wenigstens auf eine Zeit die Schwüle des Tages vergessen.“

Die Schnaderhüpfel sind der überwiegenden Mehrzahl nach erotisch oder satirisch; Liebesfreude oder Spott ist der Hauptinhalt; [564] erstere oft sehr zart, oft sehr unzart gemalt, letzterer immer treffend und witzig. Es geht über alles her, was im Wege liegt, über die Fehler der Buben, wie über die Schwächen der Mädchen – über diese freilich lieber, als über jene – über den Nachbar, über die Gemeinde, über die Nachbargemeinde und über das ganze Thal. Es begibt sich keine alberne Geschichte, die nicht ihre Reime erhielte. Das elegische Element, wie es in den slavischen Volksliedern lebt, tritt nur sehr selten hervor; das historische gar nie; ein heroisches nur im skoptischen Trutzlied, das den Gegner zum Raufen fordern soll. Die Grundlage des Versbaues sind dabei die vier Haupttonsylben, von denen je zwei in jeder Vershälfte stehen, wonach denn, da sie herkömmlicherweise vierzeilig geschrieben werden, auf jede Zeile eine Hebung fällt. Die Melodien nach denen sie zu singen sind, lassen sich nach Duzenden zählen, die Schnaderhüpfel selbst nach Hunderten und Tausenden. Viele haben nur ein ephemeres Daseyn; viele leben länger, verschwinden aber auch wenn ihre Zeit um ist – andere sind nur in bestimmten Dorfschaften bekannt, andere gehen durch Steiermark, Pinzgau, Zillerthal, Innthal, durchs bayerische Gebirge und wiederhallen, wie wir aus Ranks Buche ersehen, selbst im Böhmerwalde. Es sind lauter ἀδέσποτα ; man weiß auch von den beliebtesten nicht, wer sie gedichtet hat, und selbst die Frage darnach würde lächerlich scheinen. Vielen Beifall finden diese Lieder neuerer Zeit unter den gebildeten Ständen in Bayern. In München sind so viele im Umlaufe und die ganze Materie daher so alltäglich, daß man sich dort billig wundern wird, wie wir hier so viele Worte darüber machen mögen. Auch in andern Städten erlustigt man sich an diesen naiven Ausgeburten des Hochlandes. Wer immer aus Franken oder Schwaben Gelegenheit hatte, einige Zeit in den südlichen Landestheilen zuzubringen, der nimmt gerne ein paar Duzend dieser G’sangeln mit in seine Heimath, wo sie allenthalben einer sehr freundlichen Aufnahme gewiß sind. Man hat in den Städten sogar schon versucht sie nachzuahmen, aber so einfach diese Gedichte sind, so schwierig ist es für alle, die nicht bei Milch und Käsnocken aufgewachsen, den [565] rechten Ton zu treffen. Der Bereich der poetischen Anschauung, Styl und Worte der Darstellung sind so genau abgegränzt, daß es für den Sachverständigen leicht ist, ein herrisches Schnaderhüpfel von einem bäurischen zu unterscheiden. Jedennoch mag allen bojoarischen Herren und Frauen wenigstens der Versuch gestattet seyn, sich in der Dichtweise ihrer Hirten und Bauern zu ergehen, und unser trefflicher Landsmann Franz von Kobell hat darin einen Preis verdient; andersstammigen deutschen Poeten aber möchten wir dringend rathen, sich nie in dieses heikle Gebiet zu verlieren. Es kann nichts ärmlicher klingen, als ein in der Anschauung und im Ausdrucke gleich verfehltes Schnaderhüpfel, wie wir deren schon hie und da bei solchen gefunden haben.

Eine längere Reihe ächter Schnaderhüpfel zu geben ist nun nicht unsere Absicht – wir fürchten das Achselzucken süddeutscher Leser, die nicht hundertmal Gehörtes hier als Neuigkeit wieder zu finden begehren. Doch wollen wir wagen, aus den Anmerkungen welche J. Strolz seiner Sammlung beigefügt hat, einiges herauszuheben, was den Leser allenfalls anziehen könnte, wenn auch vieles davon Antiquität ist. Zu dem bekannten G’sangel:

A Büchsel zun Schießen

Und an Stoßring zun Schlagn

Und a Dienal zun Liebn

Muß a frischa Bue habn!

zu diesem auch von Immermann aufgenommenen Liedchen, welches obgleich schon 1807 gewiß nicht mehr ganz neu, noch immer gehört wird, sagt der Verfasser Folgendes:

Stoßringe oder Schlagringe sind die gewöhnlichen Waffen der Raufer, dienen aber auch dem ländlichen Mannsvolke zur Zierde. Sie bestehen aus eisernen, messingnen oder silbernen Reifen mit einem großen darauf gelötheten Knopfe von gleichem Metalle. Geprüfte Robler bedienen sich dieser Ringe höchst selten, da ihnen die geballte Faust die nämlichen Dienste leistet. – Dieses Liedchen gibt übrigens die Hauptzüge des Volkscharakters im Unterinnthale sehr deutlich zu erkennen. Ein leidenschaftlicher und gleichsam angeborner Hang zur Jagd [566] und zum Scheibenschießen ist zwar dem größten Theile der Tiroler gemein, indessen räumt man doch dem Unterinnthale allgemein ein, die meisten guten Schützen zu zählen. An jedem Sonn- oder Feiertage üben sich die jungen Leute den Sommer und Herbst hindurch sehr emsig in dieser Kunst und bringen es darin zu einer unglaublich hohen Fertigkeit. Eben so groß, als der Hang zur Jagd, ist die Raufluft der Tiroler, oder die Sitte, sich bei Beleidigungen durch einen Faustkampf auf dem Platze Genugthuung zu verschaffen. Diese Kämpfe vertreten gleichsam die Stelle der alten Ordalien und haben, wenn sie im Angesichte des versammelten Volkes geschehen, ihre eigenen Regeln und Gesetze. Werden diese von einem der Kämpfer durch Beißen, Kneipen, Augenstechen und derlei verbotene Kunstgriffe übertreten, so werfen sich alsbald einige aus der Versammlung zu Kampfrichtern auf und stehen dem Uebervortheilten bei. Solche unzulässige Hülfsmittel anwenden, heißt mit dem Kunstausdrucke schelmen. Jedes Landesviertel, jedes besondere Thal beinahe jedes einzelne Dorf nährt gegen die Nachbarschaft eine Art forterbender Antipathie, so daß ein Fest, bei welchem Leute aus verschiedenen Bezirken erscheinen, selten ohne Rauferei endet. Und doch verbindet alle bei öffentlichen Landesangelegenheiten der vollkommenste Gemeingeist. (Für Anno Sieben klingt das sehr prophetisch). Uebrigens ist das Raufen den jungen Burschen oft auch nur eine gymnastische Uebung. – Merkwürdig ist, daß die vornehmsten Raufer, die sogenannten Hagmaier, gewöhnlich die gutherzigsten Leute sind. Sie können vielen Spott mit kaltem Blut ertragen und zeigen ihre Ueberlegenheit lieber, wenn sie bei entstandenen Raufereien aufgefordert werden, die Kämpfenden auseinander zu bringen, als durch Auftreten in eigenem Namen. Reizbar sind sie nur gegen die Nebenbuhler ihres Ruhms, und wenn solche gegenwärtig sind, so unterlassen sie nie, diese durch Stichelreden und Trutzliedeln herauszufordern. Auch schicken sie an weit entfernte berüchtigte Raufbolde eigene Boten mit förmlichen Absagebriefen oder lassen sie auf einen bestimmten Platz, am liebsten einen besuchten Wallfahrtsort zum Zweikampf laden, z. B. nach [567] St. Nothburg zu Eben, auf den Hainzenberg im Zillerthale oder auf die hohe Salve im Brixenthale. Beide Streiter erscheinen unfehlbar und wenn sie sich gegenseitig geprüft haben, schließen sie meistens bei eine Kanne Branntwein ein lebenslängliches Schutz- und Trutzbündniß. – Eine mildere Art, seine Kraft zu versuchen, ist das Hackeln, was darin besteht, daß sich zwei Mannsbilder mittelst der gekrümmten Mittelfinger der rechten Hand fassen und aus der gegenseitigen Stellung zu ziehen suchen. Es ist keine kleine Ehre für den besten Hackler der Gegend erachtet zu werden und manchmal trägt’s auch etwas ein, denn es wird nicht selten um Kühe und Kälber und um beträchtliches Geld gewettet. – So lange übrigens im Gebirge gerauft wurde, und da, wo sich der Gebrauch erhalten hat, noch zur Zeit, galt und gilt die Hutzierde als das Symbol der Ansprüche, welche der Träger auf Muth, Tapferkeit und Leibesstärke macht. Ist einer zur Hand, der den Schmuck außer Verhältniß zur Mannheit des Helden findet, so fordert er ihn zum Kampfe. Unterliegt der Geforderte, so nimmt ihm der Sieger „Feder und Gamsbart“ und pflanzt sie, als Helmdecke, auf den eigenen Filz. Daher die erste Strophe, die der bayerische Hiesel singt:

I bin der bayrisch’ Hiesel

Und kein Jager hat kein Schneid,

Daß er mir Feder und Gamsbart

Vom Hütel abitheit.

„Die wachsende Schärfe der Polizeigesetze in den letztern Zeiten, sagt Strolz, und insbesondre die Verordnung, daß notorisch bekannte Raufer zum Militärdienst abgegeben werden sollen, hatte immerhin die Folge, daß Raufereien in unsern Tagen nicht mehr so häufig vorfallen, als ehedem, während in den achtziger Jahren die Robler noch häufig selbst in der Hauptstadt erschienen, um dort vor den Herrischen ihre Mannskraft zu zeigen – Auch auf die Kunst zu lieben (es spricht noch immer J. Strolz) versteht sich der Unterinnthaler und überhaupt der Tiroler so gut, als jeder andere Bewohner der Erde; nur unterliegt der erstere gewöhnlich mehr als seine übrigen Landsleute dem Fehler, dem priesterlichen Segen [568] vorzugreifen, hält aber dagegen als Ehemann unverbrüchliche Treue. Alte Jungferschaft ist hier zu Lande übrigens so wenig beneidenswerth als anderswo; alte Jungfern gehören, so will es das Sprüchwort, auf das Sterzinger Moos. Dort sieht man zur Nachtzeit die Geister dieser Unglücklichen in irrenden Flämmlein über dem Moor tanzen.“

Jenes Sprüchwort hat in den letzten neununddreißig Jahren an seiner Geltung nichts verloren. Noch heutzutage mag man Jungfrauen, die ihre Hoffnungen auf eine anständige Versorgung allmählich zerrinnen sehen, in die elegische Weissagung ausbrechen hören: I g’hear a schon bald aufs Sterzinger Moos! Der gleichen Anschauung ist gedacht in einem hübschen Liede neuern Ursprungs, das also lautet:

Schön blau is der See

Und’s Herz thut mir weh,

Und wird nimmermehr g’sund.

Bis mei Diendl nit kummt.
Und Diendl, was thätst du

Wenn treffet’ mi’s Loos?*)

Du müßtest halt wandern

Auf’s Sterzinger Moos.
Und wenn i amal g’storbn bin,

Brauch i Weichbrunn koan’n;

Mein Grab’l wird naß

Von mein Diendl sein Woan’n.

Zu einem andern Schnaderhüpfel gibt unser Gewährsmann folgende Erläuterung:

„Da die deutschen Tiroler, besonders die Zillerthaler und alle Bewohner des Unterinnthales, große Liebhaber gebrannter Getränke sind, der eigentliche Branntwein aber doch vielen zu kostbar ist, so suchen sie ihn durch Brennung beinahe aller Obstgattungen und Feldfrüchte, verschiedener Beeren und Wurzeln zu ersetzen. Es gibt Branntwein von Aepfeln, Kirschen, Birnen, Zwetschgen, Weichseln, Roggen, Erdäpfeln, Schlehen, Kranwet (Wachholder), Moosbeeren (vaccinium oxycoccus), Meisterwurzen (imperatoria ostrutium), Enzian und [569] manche andre Arten mehr. Nicht wenige Bauern haben zu ihrem Hausbedarf einen eigenen Brennofen. Im Zillerthale ist für viele Leute, wenigstens weiblichen Geschlechts, das Graben und Brennen der Meister- und Enzianwurzen ein ordentlicher Erwerbszweig. Sie bleiben den ganzen Sommer hindurch auf dem höchsten Gebirge, wo sie eigene Hütten haben. Viele ziehen in dieser Absicht ins südliche Tirol, auch nach Kärnthen, Steiermark und Schwaben. Beinahe jeder Knecht und jede Bauernmagd hat ein Fläschchen solchen Lebensgeistes in der Gewandtruhe verborgen. Es werden auch förmliche Branntweingesellschaften oder Branntweinhoangasten (Heimgarten) abgehalten, bei welchen sich die jungen Leute der Nachbarschaft, besonders in hohen Gebirgsgegenden, wo keine Wirthshäuser sind, in einem Bauernhause durch Trinken, Tanzen oder ländliche Spiele zu belustigen pflegen; gegen diese Branntweingelage sind ebenfalls schon verschiedene obrigkeitliche Maßnahmen ergangen, doch eigentlich nur für die flachen Landesgegenden; denn auf dem Gebirge, dessen Bewohner hie und da im Winter nicht einmal zu ihrer Kirche kommen können und ihre Todten in einer Kammer bis zum Anfange des Frühlings aufbewahren müssen, ist es wohl nicht ahndungswürdig, wenn sie die langen Abende durch diese einzige Unterhaltung abzukürzen suchen.“

An einem andern Orte wird die herbstliche Heimfahrt von der Alm geschildert wie folgt: Der Melcher mit einem Stocke bewaffnet, tritt langsamen Schrittes und unter wunderlichen Geberden voran; sein Stolz steht in genauem Verhältnisse mit der Anzahl der Heerde und ihrer Schönheit. Hinter ihm drein, an erster Stelle geht jene Kuh, welche das Jahr hindurch auf der Alm bei den oftmals veranstalteten Kuhgefechten die meisten Siege erfochten hat. Sie heißt die Mairkuh und unterscheidet sich von den übrigen durch ihren Kopfputz und eine am Halse hängende ungeheure Schelle, ihres dumpfen Tones wegen der Hafen genannt. Hierauf folgen die übrigen Kühe nach der Ordnung. Im Unterinnthale beläuft sich deren Anzahl bei einem einzigen Bauern manchmal auf hundert Stücke. Ein großer Theil derselben ist ebenfalls mit Schellen, Glocken, [570] Blumensträußen und gestickten Schellriemen versehen. Sie verkünden daher durch das lärmende Getöse schon weit vorher ihre Ankunft. An den Zug der Kühe schließt sich der Galterer, mit seiner Galtheerde, Kälbern und Stieren, welche statt eines Halsgeschmeides alle Ketten des Alpenviehes zu tragen haben. Dann kömmt der Gaiser mit den Ziegen, der Schafer mit den Schafen, endlich die Saudirn, welche mit ihren grunzenden Zöglingen den feierlichen Zug schließt. Bei ihrer Nachhausekunft pflegen sie an einigen Orten unter ihre Bekannten kleine, eckige, in verschiedene Figuren gemodelte und von innen ein Kügelchen süßer Butter enthaltende Käse (Alm- oder Butterkasel), auch eine Art Gebackenes (Almnüßel) auszutheilen.

Ueber die Jagd in Tirol erheben wir nachstehende, Mittheilung: „Daß es früher eine sehr große Menge Gewildes und reißender Thiere, vorzüglich Bären, Wölfe, Luchse, Gemsen und Steinböcke, Wildschweine, Hirschen, Rehe und verschiedene Arten von Federspiel, besonders Schild- und Auerhähne, Birk-, Stein- und Schneehühner gegeben, davon muß den geübten Jäger schon der bloße Anblick der verschiedenen Landesgegenden überzeugen. Die mit mannichfaltigen Holzarten, mit dem fettesten Grase und mit wohlschmeckenden Beeren und Kräutern bedeckten Gebirge, aus deren zahlreichen Quellen sich so viele Bäche, Teiche und Seen bilden, reichen dem Gewilde überflüssige Nahrung und die nackten Felsen gewähren ihm auf ihren beschneiten, von Wolken verhüllten Gipfeln sichern Schutz. Die gebirgige Lage des Landes, macht dem Tiroler die Jagd, vorzüglich jene der Gemsen, äußerst beschwerlich und gefahrvoll; viele müssen sich bequemen, im heißen Sommer bei versiegten Quellen den brennenden Durst mit dem Regenwasser zu löschen, das in den Höhlungen verdorrter Kuhfladen zurückgeblieben; andre müssen die Fußsohlen aufritzen, um sich durch das hervorsickernde, kleberichte Blut auf den schroffen Felsplatten und Eisschollen einen sichern Tritt zu verschaffen. (Diese auch in Schillers Tell berührte vielbezweifelte Uebung soll übrigens sehr selten oder gar nie vorkommen.) Hunderte fanden bei dieser Gelegenheit in den [571] Schneelawinen, in einem Waldstrome, oder im Abgrunde eines Bergschlundes ihr Grab. Es ist unnöthig, hier der Jagdgefahren des unvergeßlichen tirolischen Gemsenjägers Maximilian zu erwähnen, da Melchior Pfinzings Theuerdank ohnehin Jedermann bekannt ist. Einen weitern Beweis von der in Tirol vorhanden gewesenen Menge des Wildes geben die Jagdgesetze der alten Landesfürsten und ihr ausschließlicher Vorbehalt einiger Thiere z. B. der Wildschweine im Etschlande und Unterinnthale, von deren Daseyn in diesen Gegenden keine Spur mehr erscheint; ferners die vielen, in den Schlössern und selbst in Bauernhäusern aufgesteckten Hörner, Geweihe und Waffen von Raubthieren. Die Lichtung der Wälder und Auen, die Beurbarung der öden Plätze, die Austrocknung der Sümpfe, vorzüglich aber die allgemeine Bewaffnung des Landvolkes und die von diesem vernachlässigte Befolgung der Waidmannsregeln durften wohl die Ursachen des sehr verminderten Wildstandes in Tirol seyn.“

Diese Verminderung hat in den letzten dreißig Jahren lediglich zugenommen und das edle Waidwerk belohnt sich wenigstens in den bewohnten Gegenden nur mit sehr dürftiger Beute. Manches wunderliche Gethier, das ehemals die Jagd im Hochgebirge gefährlich und reizend machte, ist entweder ganz von der Erde weggeschossen, oder lebt nur mehr in seinen letzten Sprossen. Wir wollen an diesem wohlgelegenen Orte über den ungefähren Bestand der Gegenwart kurz zusammenstellen, was Staffler darüber mittheilt:

Die Steinböcke und die wilden Schweine sind schon seit langer Zeit vertilgt. Der letzte Eber wurde 1700 in den Reisäckern bei Kaltern erlegt. Erstere hielten sich ehedem sehr zahlreich in der Floite auf, einem Hochthal hinter Mayrhofen, das sammt dem größten Theile des Zillerthales vor der Säcularisirung dem Erzstifte Salzburg gehörte. Sie wurden dort von einigen jagdliebenden Erzbischöfen mit besondrer Sorgfalt gehegt. Man besoldete Wächter und baute ihnen Hütten auf den höchsten Bergen, man verbot sogar Ziegen und Schafe auf die hohen Weidgänge zu treiben. Auch die Kühe, die auf den niedern Alpen weideten, durften keine Glocke tragen und [572] den Melcherleuten war jeder Gesang und alles Jauchzen verboten. Diese Sorgfalt für die Thiere erbitterte aber die Menschen; im Jahre 1694 hatten die Wächter in der Floite noch einhundertneunundsiebenzig Steinböcke gezählt; im Jahre 1706 wurden die letzten zwölf getödtet. Die Hirsche zeigen sich sparsam im Vorarlberg, in einigen Gegenden des Unterinnthals, im obern Vintschgau. Die Gemse kommt in den nördlichen Gebirgen häufiger vor, als in den südlichen. Es ist dort nichts seltenes, Rudeln von achtzehn bis vierundzwanzig Stücken zu gewahren. In Südtirol nährt das Gebirge von Ampezzo die meisten. Rehe und Hasen sind selten; auf hohen Alpen kommt der kleine weiße Schneehase (Lepus variabilis) vor, der wegen des Genusses der edlern Kräuter ein sehr schmackhaftes Fleisch bietet. Außer Tirol und der Schweiz kennen ihn wenige Länder. Das Murmelthier (Marmota alpina) in gewöhnlicher Sprechweise Murmentel, hat nur in einigen Hochgebirgen des Nordens, z. B. im Kaunserthale, im Pitz- und Oetzthale, in der obern Gegend des Paznauns, in den Seitenthälern des Wippthales seinen Aufenthalt. Es hat wenig Werth und das Fleisch ist nicht allgemein beliebt.

An Federwild hegt das Land die edelsten Gattungen, als den Auerhahn (Tetrao urogallus), den Birk- oder Spielhahn (Tetrao tetrix), das Schneehuhn (Tetrao Lagopus), das Haselhuhn (Tetrao bonasia), das Steinhuhn (Tetrao sonatilis) und das Repphuhn (Tetrao perdix). Auerhahn, Spielhahn und Schneehuhn lieben das Hochgebirge, Haselhuhn, Stein- und Repphuhn wärmere Lagen. Das seltenste ist das Haselhuhn, wegen seines zarten Fleisches am höchsten geschätzt. (Für Freunde gebratenen Federwildes kein besserer Ort als das Wirthshaus zu Salrain auf dem Ritten; dort wird der Wißbegierige, der das Hochland auch von dieser schmackhaften Seite kennen lernen will, binnen acht Tagen gründlichere Studien durchmachen, als anderswo vielleicht in Monaten.)

Unter den reißenden Thieren steht obenan der Bär. Er ist in Vorarlberg ganz ausgerottet – den letzten hat ja der Stier bei Sibratsgfäll erstochen – aber in Tirol noch [573] hin und wieder zu treffen, zumeist in den Seitenthälern des Wippthales, im obern Vintschgau, ja im Hochgebirge bis Schlanders herab, im Ultenthale und seiner Umgebung, an der Mendel bei Kaltern, auf dem Nonsberg, in Fleims, selbst bei Vezzano und bei Ala. Auch im Pusterthale bei Sillian läßt er sich zuweilen sehen. Die Bären thun großen Schaden an den Feldfrüchten, vorzüglich in den Weingütern, da sie die Trauben ganz besonders lieben. Vor zwei Jahren ließ sich ein solches Unthier selbst in den Weingärten von Löwenberg spüren. In der That stieg auch ein Jagdliebhaber von Meran zum gastlichen Schlosse hinauf und kam zwar nicht mit dem Bären nach Hause, aber doch mit einem Affen. – Der Wolf ist vorzüglich im Matscher Thale, auch auf dem Nonsberge und in der Valsugana zu treffen. Die wälschen Bezirke sind überhaupt reicher an Bären und Wölfen, als die deutschen. Seltener als beide ist der Luchs; er findet sich nicht ungerne in den Gebirgen, die gegen Bayern abfallen, im Vintschgau und bei Feldkirch. Die kleinern Raubthiere, als Dachs, Fuchs, Marder, Iltiß und Wildkatze, sind allenthalben im Lande verbreitet. Unter den geflügelten Raubthieren sind der Lämmergeier und der Uhu, in Tirol Buhin genannt, hervorzuheben. Ersterer nistet in unzugänglichen Felsgebirgen, letzterer in altem Gemäuer, in den verfallenden Burgen des Tiroler Adels. – Der Wildbann ist theils landesfürstlich, theils im Besitze des Adels, der Stifte und Klöster, der Gerichtsgemeinden und Privatpersonen. Die landesfürstlichen Jagden werden in der Regel verpachtet. Die Erleger der Raubthiere erfreuen sich bestimmter Belohnungen. Für einen Bären werden 30, für eine Bärin 40 Gulden, für Wolf und Wölfin 25 und 30, für Luchs und Luchsin 20 und 25 Gulden bezahlt. Da im Durchschnitte jährlich 20 Bären, 12 Wölfe und 2 Luchse getödtet werden, so hat die Regierung ungefähr 1000 Gulden an Belohnungen (Taglien) zu entrichten. Der leidenschaftlich betriebene Vogelfang der Wälschtiroler ließe sich hier auch hereinziehen und in seinen vielen Reizen schildern; indessen sind wir schon zu lange auf einem [574] Abwege und verlassen daher das Gethier des Waldes und der Luft, um zu den Zillerthalern zurückzukehren.

Das Wesen dieses Thalvolkes schildert sich nun in seinen Schnaderhaggen mit seinen eigenen Worten recht deutlich und greifbar. Es zeigt sich darin eine derbe Sinnlichkeit, viele Freude am Leben und an der Liebe, viele Lust an der eigenen Stärke und am Kampfe, ganz nach Art des bojoarischen Stammes, in dessen Bereiche wie man schon vor sechshundert Jahren wußte:

     Von Streiten redet mehr ein Knecht, dann dreißig anderswo.

Die Heiterkeit thut’s dem Ernste bei weitem zuvor; die Satire ist viel ausgesprochener, als die Empfindsamkeit. Nach allen ältern Schilderungen dieses Thalvolkes muß man annehmen, daß sich unter ihm jenes altgermanische „Wüten,“ jene ungebändigte, kräftige Lebenslust am längsten erhalten habe. Viel mag dazu beigetragen haben, daß das Thal fast seit einem Jahrtausend dem Erzstift Salzburg unterthan gewesen und daß man sich in der fernen Hauptstadt um Sitten und Gebräuche der Zillerthaler wenig kümmerte. Manche Gewohnheit und manches Herkommmen ist jetzt verschwunden, ein Abgang, der viel Charakteristisches vernichtet hat, indessen nicht in jedem Stücke zu bedauern ist, da der Gesittung überall ein Recht über die Rohheit zusteht. Wenn man aber alle Fröhlichkeit und jede erlaubte Lebensfreude in Verruf bringen will, so wird das Volk äußerlich zwar trübseliger werden, aber nicht besser. Die Lustbarkeiten des Ziller- Kirchtages hat man abgeschafft und an die Stelle der „eitlen Weltlust“ soll allenthalben die Ascese treten; aber seitdem der Jugend die Erholung im Thale verboten ist, kommt sie desto häufiger auf den einsamen Berghöfen zusammen, wo bei einem Fäßchen Branntwein wie in der guten alten Zeit die Zither schallt, und tief in die Nacht hinein der heiße Tanz dauert.

Jene Richtung ist übrigens hier noch zu neu, um bereits wesentlich eingewirkt zu haben, und der Zillerthaler ist mit seinem Nachbar im Unterinnthale noch immer der fröhlichste der Tiroler. Seine heitere Laune hat ihn auch als Handschuhhändler allenthalben empfohlen und ist nicht der verächtlichste [575] Theil seines Capitals. Indessen wird selbst diese Anlage den Abnehmern zu Liebe kunstmäßig ausgebildet und mit dieser Ausbildung sind denn auch schrittweise die Anforderungen gestiegen, die man im deutschen Reiche, zumal in seinen nördlichen Gegenden an einen ächten Tiroler macht. Bis aber die zwanzig Tausend Duzend Handschuhe, welche diese Bursche jährlich verschleppen, in schwatzhaftem Kaufe an Mann und Frau gebracht sind, ist auch leicht zu lernen was das Ausland eigentlich prätendirt. Der Zillerthaler gibt sich daher draußen ganz anders als zu Hause, wo er sich zwar frisch, lebendig und nicht schüchtern zeigt, aber höflich, gescheid und schicklich; während er dort den naiven, den quecksilberigen Schalksnarren, den alpenhaft derben Rüpel spielt und zur Beglaubigung seiner Aechtheit auch Jedermann dutzt, was so zu sagen eine Hauptsache ist. Liebhabern solch anmuthiger Vertraulichkeit können wir die Versicherung geben, daß diese improvisirte Bruderschaft nur ein Opfer ist, welches der Handschuhhändler seinem Gewerbe bringt, und daß der Gedutzte allen Grund hat sich zugleich auch für den Gefoppten zu halten. Es ist in ganz Tirol kein Ort mehr, wo nicht schon die reifere Jugend recht gut und fertig mit dem Sie oder doch mit dem Ihr (Es) umzugehen vermöchte. Es wills weder der Curat noch der Schullehrer leiden, daß man sie unehrerbietig dutze, und die Tiroler kehren daher zu diesem primitiven Zustand nur zurück, wenn sie einmal über der Gränze sind. Jeder, der die interessante Bekanntschaft des drolligen Handschuhhändlers auf einem deutschen Markte gemacht, wird sich verwundern, wenn er ihn in seiner Heimath wieder findet, wie er da ohne Aufhebens seinen häuslichen Arbeiten nachgeht. Indessen sind die Erfahrungen, welche in der Fremde gewonnen werden, nicht für alle ganz verloren; es gibt immerhin solche gereiste Schelme, welche beim Erscheinen eines fremden Alpenfreundes sich von freien Stücken in die Airs versetzen, die, wie sie wissen, jener für national hält. Sie beginnen also im tiefsten Frieden mit den Füßen zu stampfen, mit den Fingern zu schnalzen, in die Höhe zu hüpfen, Schnaderhaggen zu singen und idyllische Albernheiten [576] zu schwatzen; sie bieten einem reisenden Gelehrten zu hackeln an oder fragen einen decorirten Hofrath: Magst nicht raufen? Die andern etwa anwesenden Bauernsöhne lachen über den Schalk, während der Fremde zur Besiegelung der neuen Freundschaft gerne eine Halbe setzt. Da nun aber das Zillerthal von allen Seitenthälern Tirols am häufigsten bereist wird, und da die meisten, welche da auftreten, sehr dringende Ansprüche auf derlei Productionen mitbringen, und die Tiroler um jeden Preis in ihrer vermeintlichen wahren Gestalt und Art zu sehen wünschen, so ist es begreiflich, daß der Zillerthaler, welcher auf seine Weltläufigkeit nie verzichtet, dem Fremden sehr gerne „die Augen auswischt,“ wenigstens sich im Stillen freut, wenn der Andre einige ihm allein geweihte Schnurren für die Blüthe sinnigen Alpenlebens ansieht. Weil man aber überdieß schon weiß, daß die Fremden ins Thal nur hereinreisen, um recht liebenswürdig zu seyn, und jede Gnade gewähren, um die man in älplerischer Treuherzigkeit zu bitten versteht, so hat sich allmählich unter Jung und Alt eine Geneigheit zu bitten und zu heischen eingestellt, in der zwar der größere Theil menschenfreundlicher Touristen nur Vertraulichkeit und idyllische Naivetät erblickt, die aber doch näher betrachtet, von der Bettelei, wie sie anderswo vorkommt, mehr durch das Local als ihrer innern Natur nach verschieden ist. Wenn man sich zum Beispiele am Sonntag Morgens etwa zu Zell eine Stelle aussucht, an der die Kirchengänger vorüber müssen, so wird man nicht allein der angenehmen Ueberschau der Andächtigen, der schönen Mädchen mit den spitzigen Hüten und der Goldquaste, der schlanken Buben und kräftigen Mander, sich erfreuen, sondern auch genug Gelegenheit finden, eine Menge von Leuten, jeden Alters und Geschlechts, zu verbinden. Zuerst kommt etwa einer, der dich um eine Pfeife Tabak anspricht und auch für seine Freunde in die Tasche schiebt, dann wird dir einer voll Einfalt anvertrauen, wie er schon das ganze Hochamt über so viel Durst ausgestanden, daß er den festen Glauben habe, der gütige Herr werde ihm ein Seidel Wein zahlen; ein frischer, blondlockiger, rothbackiger, helläugiger Junge nimmt dich bei [577] der Hand und geleitet dich lächelnd zu einer lächelnden Höckerin, wo du ihm Zibebenbrod kaufen sollst; ein anderer bittet sich Birnen aus und andre, die theilnehmend herbeigesprungen, zeigen schmeichelnd auf die schönen Aepfel oder die süßen Zwetschgen, die daneben stehen. Ueberdieß findet sich vielleicht auch ein Mädchen, das sich beim Einblick in die offene Börse erinnert, wie gut ihr eine neue Hutschnur stehen würde, oder eine andre, die ein seidenes Halstuch wünscht. Du wirst allmählich etwas vorsichtiger, und so kann es kommen, daß du einem gebückten Greise, der dich mit dringender Herzlichkeit um ein Frackele Branntwein bittet, deine Hülfe aus dem billigen Grunde versagen mußt, weil du dasselbe Begehren in der letzten Viertelstunde schon einem halben Duzend andrer abgeschlagen hast. – Man sieht indessen, daß man da mit wenig Münze viel Gutes ausrichten kann, und so wird diese zillerthalerische Beutelust allerwärts einer wohlwollenden Beurtheilung um so eher entgegensehen dürfen, als es lediglich der gutmüthige Unverstand der Reisenden ist, was sie herbeigeführt hat.

Endlich wollen wir den Wanderstab wieder weiter setzen, hinüber ins Pinzgau, in die Krimmel, um von dort über den Tauern ins Pusterthal hinabzusteigen.

Eigentlich standen noch zwei nähere Wege offen, um nach Brunecken zu kommen, entweder über die Hundskehl oder das Hörnle, Hochjöcher am Ende einsamer, zuletzt wüster Thäler. Beide zogen weniger an, als der Krimmler Wasserfall und der Tauern mit seinem mystischen, vorzeitlichen Namen, der sich zu allen Zeiten so majestätisch in mein Ohr senkte. Beim Licht betrachtet bedeutet er freilich auch nicht mehr, als ein anderes Joch, nur daß dieß Wort erst da beginnt, wo das Pinzgau anfängt.

Es hatte sich eine gute Gesellschaft zusammengefunden, die desselben Weges war, nämlich zwei sächsische Studenten und ein bayerischer. Alle vier zusammen verließen wir an einem schönen Herbstmorgen das Hauptdorf des Zillerthales und gingen der Gerlos entgegen. Die Gerlos heißt das ganze Hochthal, welches die Verbindung zwischen den Gebieten des [578] Zillers und der Salzach bildet, und hat dasselbe seinen Namen von einem Bache, der aus dem Wildgerlosthale hervorströmt, an dem Dorfe, das nach ihm benannt worden, vorüber läuft, und unter Zell in den Ziller fällt. Auch der siebenthalbtausend Fuß hohe Bergkamm, der über Zell in die Höhe steigt, heißt die Gerloswand. Sie ist berühmt wegen der Mannichfaltigkeit ihres Kräutersegens und daher viel besucht von den Freunden gebirgischer Flora.

So stiegen wir also den Heinzenberg hinan, in dessen Fersen die Goldschachte getrieben sind. Oben, wo die Wallfahrtscapelle steht, genossen wir einer lieblichen Aussicht ins Zillerthal hinunter, die noch eine Zeitlang mit uns ging. Darnach führt ein Bergsteig am Wildbache fort, an vielen einzelnen Häusern und Ställen vorbei, zuweilen in offener Gegend, mehrentheils in enger Schlucht, hinein in die Gerlos, zu dem kleinen Dorfe dieses Namens das wir etwa in der vierten Stunde erreichten. Es liegt in einer zierlichen Hochebene, wo die Wässer ruhig durch die herrlich grünen Wiesen fließen. Von der Gerlos gings durch waldige Wege in den Durlaßboden, gegen die Platte, über welche man in die Krimmel geht. Hier nicht weit von der Höhe steht auf einsamem Grunde eine Sennhütte, aus welcher uns ein fünfter Reisegefährte erwuchs, abermals ein Studiosus, der unter den vorbeischlendernden Wanderern einen Jugendfreund erkannt hatte und nun gleich mit uns ging. So setzten wir zu fünfen unsre Reise fort. Rechter Hand hatten wir jetzt die Einsicht in das öde Wildgerlosthal, aus dessen Schneefeldern die stolze Reichenspitze emporsteigt, in drei Gipfel gespalten. Diese und der Olperer Fußstein zwischen Innerschmirn und dem Zamsthal sind nach des Bergpracticanten M. V. Lipold Angabe die beiden höchsten Spitzen in der östlichen Fernerkette. Staffler legt der erstern 9340 Fuß bei; nach Lipold aber müßte sie gegen 11,000 hoch seyn.

Die Aussicht von der Platte ins Pinzgau hinunter wird viel gepriesen, wir hatten aber wenig Genuß davon, da auf den schönen Morgen ein düstrer Abend gefolgt war und der Himmel sich mit schweren Wolken überzogen hatte. Diese lagen [579] uns allen zum herben Verdruß über den Tauern, ihren Gletschern und ihrer Pracht, zogen sich weit herunter ins Thal und trübten auch seine Schönheit. Etliche Dörfer sahen wir wohl und einen schlängelnden Fluß, etliche Wäldchen und weite Auen, aber alles grau gefärbt und kümmerlich beleuchtet. Bald darnach hörten wir auch das Rauschen der Krimmler Ache und sahen eine halbe Stunde weit zur Rechten auch die drei berühmten Fälle dieses Baches; denn die Nebel hatten sich eben etwas davon zurückgezogen und Spalier gebildet, um uns zwischen durch auf die Cascade sehen zu lassen. Es war auch gut, denn wie sich später zeigen wird, so durften wir froh seyn, den Fall wenigstens von Ferne in unbewölkter Größe gesehen zu haben.

Weniger trübselig als die Gegend an diesem Abende war die Aufnahme im Wirthshause, wo wir gleich das Vergnügen hatten die liebenswürdige Traudl kennen zu lernen, ein höchst achtbares Mädchen von einem besonders glücklichen Aussehen und einer Laune so frisch und heiter, wie wir sie selbst im Zillerthale nicht gefunden. Sie ist des Wirthes Tochter und hat recht brave Eltern, welche das Kind in der Familie Gertl nennen, denn Traudl, behaupten sie, sey eigentlich zu vornehm für eine schlichte Pinzgauerin und das Töchterlein bekenne sich zu diesem Namen nur gegen gebildete Fremde. Auch eine sehr hübsche Aushelferin war zur Hand mit Namen Rosi, die diesen Abend in den fremden Ankömmlingen noch viele Rosen der Sehnsucht erblühen ließ. Aber Annel, die Dritte, legte sich wohl auch in jedem Herzen ihr eigenes Gärtchen an, denn sie war so lieblich und so fein, und wenn alle drei beisammen standen, wußten überhaupt die vier oder fünf Parise nicht, welcher sie den Apfel reichen sollten. Gertl war die geistreichste, aber die sprödeste und glich in vielen Stücken der Göttin der Weisheit, die andern beiden dagegen waren ohne Widerrede zwei Venusinnen auf einmal.

Wenn nun vier Studenten ins Pinzgau kommen und gleich im ersten Wirthshause eine Tochter und zwei Schenkmädchen kennen lernen, welche schon im ersten Augenblicke den glücklichsten Eindruck machen, so läßt sich denken, daß die [580] Freude nicht gar klein ist. Es verstand sich daher fast ohne Verabredung, daß wir den Abend mit allen Genüssen anständiger Geselligkeit auszuschmücken gedachten und den Anfang nur so lange verschoben, bis wir das Nachtmahl eingenommen hatten. Nachdem aber dieses geschehen, zeigte sichs welcher Vortheil uns der Umstand brachte, daß wir verschiedenen deutschen Völkerschaften angehörten, denn wenn die bayerischen Studenten nicht dabei gewesen, so hätten wir nicht die schönen Alpenlieder gehört, die der eine, der treffliche Jodler, mit den drei Mädchen zusammensang, unter süßer Begleitung der Zither, welche Gertl so weich, so wehmüthig und so fröhlich zu spielen wußte – und hätten wir die Sachsen nicht gehabt, so wären die Bayern wahrscheinlich nicht auf den Gedanken verfallen, von Traudl und ihren Freundinnen pinzgauerisch tanzen zu lernen, um so weniger, als sie’s schon konnten, da es nichts anderes ist, als was sonst ländlerisch oder bäuerisch genannt wird, der eigentliche Tanz der Alpen nämlich, wobei Bue und Mädel nicht, wie bei dem deutschen, den man im Casino tanzt, unauflöslich aneinander kleben, sondern meistens in gelösten Kreisen sich umschweben. Das ist so die Art des alten nationalen Tanzes im Gebirg, daß der Tänzer alsbald seine Dirne in die Freiheit läßt, diese dann milde lächelnd, mit gesenkten Augen sich um ihn her bewegt, er aber vor ihren verschämten Blicken alle die erlaubten Wahnsinnigkeiten rhythmisch ausführt, wie sie Jugendkraft, Sehnsucht und Liebesfreude einem jungen Aelpler eingeben können. Da dreht er sich also pfeifend, schnalzend oder singend wie ein Planet um seine Sonne, die aber auch ihre Wirbel zieht, stampft mit den Füßen, klopft mit den Händen im Tacte auf Knie und Fußabsätze, macht einen Burzelbaum, schlägt Räder, springt über das Mädchen hinüber, läßt sie unter seinem Arme sich durchdrehen, dreht sich unter dem ihren durch, nimmt sie aber nur selten, wenn auch feurig, in die Arme, und zuletzt, wenn es einer ist, der alte Traditionen ehrt, schwingt er sie in die Höhe, hoch über sein Haupt und läßt sie – aber wer das Ende dieser Figur erfahren will, muß in der Gegend von Miesbach nachfragen.

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Abgesehen von dieser letzten Figur, welche zu viele Uebung erfordert, als daß man sie an diesem Abende noch hätte einlernen können, wurden die übrigen Beiwerke des Bäurischen mit Fleiß und Eifer einstudirt, und es war schwer zu beurtheilen, wer am meisten Hingebung für die Aufgabe zeigte, die beiden Mädchen, die jeweils in unendlicher Zierlichkeit und voll holder Scham sich um die Burschen herumdrehten, oder die beiden bayerischen Studenten, welche den beiden sächsischen in diesen Stunden noch alle geheimen Vortheile alpenhafter Tanzkunst beibringen wollten, oder die sächsischen Musensöhne, welche sich vor Freude an diesen nationalen Eigenthümlichkeiten kaum mehr wußten, und die schwierigsten Probleme, die ihnen Lehrer und Lehrerinnen stellten, mit so viel Kühnheit und solchem Glücke durchführten, daß es mich jetzt dennoch wundert, warum man damals die letzte und heikelste Figur nicht wenigstens versuchte. Ueber alle diese Studien aber breitete die Freude ihre Segnungen aus, und ich glaube nicht, daß Unterricht je heiterer ertheilt worden ist, als damals in der Krimmel, so heiter war er und so national in allen Aeußerungen, denn auch die kleinen Küßchen, die man zuweilen zwischen den Tanzenden hin und her flattern sah, sind nicht gerade unvolksthümlich. Selbst meine eigene Melancholie, angeblich von altem Herzweh rührend, ging damals in die Brüche oder zog wenigstens die graue Lodenjoppe umgekehrt an, so daß das rosenrothe Seidenfutter, mit dem sie wirklich innerhalb besetzt ist, recht artig hervortrat, obgleich ich mich mehr peripherisch als Tanzwart und Spielmann um die Fröhlichkeit herumbewegte, zuweilen einen Stuhl zur Seite schiebend, zuweilen etliche ganz falsche Schläge auf der Guitarre verübend, oder ein entfallenes Halstuch auflesend, immer der Absicht, mich auch der kleineren Werke der Liebe gänzlich zu enthalten und namentlich jener verstohlenen Küsse im Halbdunkel, damit nichts einen Schein auf mich werfe, als sey ich solchen Dingen zugethan; sintemalen ich schon damals mit Lord Byron zu sprechen pflegte:

Yet to the beauteous form I am not blind,

Though now it moves me as it moves the wise.
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Und so setzte ich mich denn in den Ofenwinkel, allererst aufmerksam der fremden Freude zugewandt, aber allmählich in mich hineinträumend vom Tanz im Pinzgau und mit geschlossenen Augen die Zither und die weichen Mädchenstimmen in mich schlürfend und die starken Tactschläge gemildert aufnehmend und das leise Flüstern und das laute Gelächter fast auch als Musik zulassend in meine innere Welt, die immer schöner wurde, auch immer träumerischer und jedenfalls immer schläfriger, bis ich wie nach langen Zeiten und wie aus weiter Ferne das Pinzgauer Wallfahrtslied vernahm und die Wallfahrtsglocken hörte und mehr und mehr wieder zum wachen Leben zurückkehrend auch im schlaftrunkenen Blinzeln die Lichter der Wallfahrt zu sehen glaubte, und mich immer mehr überzeugte, daß es meine Freunde und Freundinnen selber waren, die unter Vortritt eines Fahnenträgers mit angezündeten Spänen durch die Stube wallten, und mit sehr ernsthaften und frommen Gesichtern Glocken von der Weide trugen und mit leiser verschwimmender Stimme sangen:

Die Pinzgauer gingen in den Dom hinein,

Die Heiligen thun schlafen, sie konnten s’ nicht derschrein –

und den Refrain gestalteten sie parodirend:

Jetzt schaut fein daß ein jeder, jeder, jeder, jeder, jeder, jeder
sein Madel bei sich hat, sein Madel bei sich hat –

Das hatt’ ich freilich nicht, dafür aber ein reines Bewußtseyn und den Stolz der Tugend. Darum sank ich mit einem leisen Seufzer wieder zurück in den Schlaf des Gerechten – es war ohnedem nicht mehr zu früh – und träumte fort und nahm nun auch noch das Wallfahrer Lied dazu, und wehende Fahnen und läutende Glocken die mich durch die ganze Christenheit über Land und See dahin begleiteten über der Runzeval – schiens mir – bis nach Compostella und zum Berge Sinai im steinigen Arabien, von wo es sehr weit ist ins Pinzgau und wo keine weise Gertl mehr die fremden Studenten durch ihre Sprödigkeit zu reizen weiß und keine Leipziger Musensöhne mehr ländlerisch tanzen und keine bayerischen mehr jodeln. Und in der Frühe mischte sich in den leisen Alpengesang der in das Morgenland mit mir gezogen war, auch der trillernde Baryton [583] des Regens, der von den Dächern lief und aus den Rinnen schoß und in breiten Bächen ins Pinzgau hinunter strömte. Ich hatte es schon ziemlich früh gemerkt, schon früh hatte ich auf meiner Pilgerfahrt im Traume immer den Regenschirm ausgespannt und allen Pinzgauern, die paarweise hinter mir drein wallten, zugerufen, sie sollten auch ihre Parapluies auseinanderthun, damit man trocken in den Orient käme und nicht die Kleider zu wechseln brauche, wo wegen des herrschenden Wassermangels die Wäsche so theuer sey. So rückte ich mit meiner Caravane immer tiefer gegen Aufgang und immer tiefer in den Tag hinein, der mir endlich auch noch die letzte Traumbinde von den Augen nahm und mir dafür eine andere vorlegte, nämlich graue, dicke Nebel, die sich dicht um uns herum gelagert hatten und so weich und wässrig anzusehen waren, wie unausgewundene Strümpfe. Ach, das plätscherte so sicher und so ruhig fort, fort und fort bis zum Mittag und wieder weiter bis zum Abend, daß wir den ganzen Tag keinen Schritt aus dem Hause thun konnten.

Ins Pinzgau verlegen nun sorgfältige Touristen gar gerne eine Liebschaft, und ein Regentag wie jener reicht wohl auch zuweilen hin um zu kommen, zu sehen und zu siegen, so daß es am Abende überflüssig ist, ein Trutzlied zu singen, wie:

Wenn d’ mi nit magst, geh’ i übern Tauern;

Hab’n a’ schöne Madeln die Kärthner Bauern.

Aber ich bin den ganzen Tag büßend auf meiner Stube gesessen und habe die Regentropfen gezählt, wie sie vom Hausdache fielen, während die Gefährten ihrer Laune nachgingen, und wenn wieder eine von den drei Huldinnen frischen Wein zutrug und frische Liebesworte sprach und das blöde Herz zu klopfen begann, wie Yoricks Staar, der in die Freiheit will, so sprach ich ihm Beschwörungen zu und bat es mit aufgehobenen Händen sich ruhig zu verhalten. Mit was wäre da nun viel zu prahlen, als mit einer milden Rede oder freundlichem Augenwinken, oder einem feinen Handschlag und dergleichen harmlosen Beigaben des menschlichen Verkehrs? Und wenn sich nun einer damit zierte und aus dem poetischen Farbenkasten [584] die ultramarinen Pinzgauer Augen und die rosenrothen Mündelein lebhaft malen und mit geringer Zuthat überhaupt etwas daraus machen wollte, so würde es Gertl, Rosi oder Annel im Boten von und für Pinzgau „berichtigen,“ wie man seit 1815 im Boten von und für Tirol alles berichtiget hat, was schwärmende Alpenfreunde von der Liebe in den Bergen erzählt, da es nicht erlaubt ist, die Herzen junger Hirtinnen anders zu nehmen, denn als ausgemordete Taubenkobel. Aber wenns nach dieser Seite fast schon zu viel wäre von Worten, Blicken und Handschlägen zu sprechen, so wäre es nach der andern wieder zu wenig. Da käme jener heißblutige Tiroler Erotiker daher voll aphrodisischen Jähzorns und würde wieder mit mänadischer Eloquenz uns anschreien: „Wir haben nichts gemein mit euch da draußen! Für uns gibt es keine Liebe ohne Genuß. Statt auf Flammentriebe und Sehnsuchtsgluthen, auf Kussesneigen, Brautgeflüster, Liebesfreuden weist ihr auf seichte Blicke und kaltes Händedrücken, statt auf die liebeskühnen Theotimen weist ihr auf die unentschiedenen Pinzgauerinnen, auf Traudel, Rosi, Annel – ja ihr wollt uns die Liebe lehren im nüchternsten, treulosesten Zuschnitt! Das charakterisirt euch hinlänglich, das scheidet uns von euch – wir wollen unsre Mädchen ungetheilt besitzen und können eurer Dienste leicht entbehren. Solche Art von Corruption ist uns noch ein Gräuel!“*) So würde dieser alpenhafte Anakreon schreien und eine Denunciation daraus machen, daß man sich zu ordentlich aufgeführt.

Endlich am zweiten Tage nach unsrer Ankunft war das Wetter so beschaffen, daß wir wieder aus unsrer Arche unter den offenen Baldachin des Himmels treten durften, obgleich die Gardinen noch an manchem Tragbalken schwer und grau herunterhingen und die ganze Landschaft noch aussah wie eine zerschossene Fahne. Also an einem kühlen, von schüchternen Sonnenstrahlen nur versuchsweise beleckten Morgen, [585] traten wir ins Freie und gingen auf den Wasserfall zu. Wenig Gunst in der Beleuchtung und daher meinerseits große Beruhigung, daß die berühmte Cascade schon von andern, farbenreichern Beschauern ihren Theil erhalten hat und bereits zu verschiedenenmalen beschrieben und gemalt worden ist. Der Fall hat drei Absätze; davon ist der unterste der regelmäßigste, der mittlere in wilder Kluft gelegene, der kleinste, der oberste, weithinstäubende, der großartigste. Vom untern war uns am wenigsten vergönnt; das Titanische, das Elementare fühlten wir wohl in seiner Nähe, den eigens geschaffenen Wind, den Gußregen von Wasserperlen, die das wilde Wehen verträgt, und den betäubenden Donner des Sturzes; aber das Malerische wurde uns nicht ganz klar, denn da lag gerade oben, wo er aus dem bebuschten Felsenbette herauskam, eine dicke Wulst zusammengeschichteter Nebelwolken, so daß die Wassersäule unten nur herausfiel wie aus einem Mühlbeutel. Zur rechten Seite oben steht auch schon ein Pavillon, über dessen innere Geschichte uns das Mädchen, welches uns führte, manches Memoirenartige erzählte. Als wir davon wieder zurückgekommen waren, trennten wir uns, wir fünf Gesellen nämlich, die vorgestern zusammen in Zell aufgestanden und über die Gerlos gegangen waren und Abends in der Krimmel jene denkwürdige Abendunterhaltung veranstaltet hatten – da trennten wir uns, wie solche die sich schwerlich je wieder im Pinzgau zusammen finden werden, herzlich und mit wackerm Händeschütteln und die einen, die zwei Leipziger, zogen sachsenwärts und die zwei andern, die Bayern gingen mit mir auf das Pusterthal los, vielmehr auf sein hinterstes Winkelthal in Ahren, von dem uns jetzt nur noch der Krimmler Tauern schied, ein einziger Berg, aber ein Berg, dessen Jochhöhe fast 9000 Fuß über dem Meere liegt.

Wir stiegen also an dem donnernden Bache aufwärts, in einem engen Thale, über Felsbrocken und Gestrüppe. Dunkelgrüner Tannenwald stand zu beiden Seiten und nickte immer heiterer, denn seine Wipfel fingen an sich stätiger zu vergolden und durch seine Düfte schien immer gleißender das Sonnenlicht, je mehr wir von der Cascade uns entfernten [586] und je weniger Lust dahin zurückzukehren bei uns vorausgesetzt werden konnte. Und als wir oben standen und Wasserfall sammt Tannenwald hinter uns lag, und alle Mühseligkeiten eines steil aufsteigenden Felsenwegs überwunden waren, als sich die Landschaft in eine spiegelebene Au öffnete, da war auch an sämmtlichem Himmel alles Gewölk und aller Nebel verschwunden – alles rings herum, der Krimmelbach, der so ruhig durch das stille Hochthal floß, die thauigen Wiesen, die fernen Sennhütten mit den kleinen Fensterlein, die nebelfeuchten Schrofen und weit vor uns die weißen Tauern, all das schimmerte voll unbeschreiblicher Zierlichkeit im Licht der Morgensonne, das war alles so heiter und hell und nur wir selbst fühlten im Busen einige Reue und Trübsal, daß wir unten im Pinzgau nicht eine Stunde länger geschlafen oder bis in den entschiedenen Sonnenschein hinein gefrühstückt hatten. Nun war’s aber zu spät; wenigstens wollte keiner der Wanderer sich aus der friedlichen Idylle wieder in die geräuschvolle Aufregung unterhalb des Wasserfalls zurück begeben.

Also setzten wir unser Lustwandeln ruhig fort, nur mit der Unterbrechung, daß einer von uns an einer sanften Biegung des Krimmelbaches, wo sich eine Tiefe gebildet hatte, schnell seine Kleider abwarf und in den Bach sprang. Ich war’s gewiß nicht – denn seit ich in den lauen Gewässern der ruhmreichen Salamis geschwommen, schaudert mir vor der Kälte unberühmter Gletscherbäche. Desto mehr konnte ich aber den Heroismus des Gefährten bewundern, der um der Erinnerung willen, die eisige Kälte der Krimmlerache ruhig hinnahm. Die Folgen waren indessen nicht einladend für die Nachgänger. Zwar wendete ein guter Gott es ab, daß der Bach für den erhitzten Tauernfahrer zum Saleph wurde, aber ein fieberhaftes Zittern blieb noch mehrere Stunden lang zurück und verlor sich erst im Schweiße, den uns die letzte Jochhöhe auftrieb.

Nach diesem gingen wir wieder rüstig weiter, das liebliche Hochthal entlang, in dem sich die Ache herunterschlängelte, während von den Seiten Wasserfälle in Unzahl zu Thale [587] stürzten. Manche Sennhütten blieben unbesucht, weil sie nicht am Wege standen, aber im vordern Tauernhause wurde eingekehrt. Dieß ist eine jener Herbergen, welche für die Pilger, die über die Tauernpässe ziehen, Unterkunft und schmale Vorräthe wenig leckerer Nahrungsmittel bereit halten. Es waltete in dieser Stiftung eine schöne Tauernhäuserin, die uns mit jener lächelnden Güte aufnahm, mit welcher die Mädchen in solcher Meereshöhe frischen Bergsteigern entgegenzukommen pflegen, zumal wenn sie, die Mädchen, nicht aus dem Stubei, sondern aus dem Pinzgau sind. In der getäfelten Stube ward Wein, Brod und Käse aufgesetzt und um die Wanderer ihrer wegemüden Füße vergessen zu machen, sang das Tauernmädchen mit ihrem jüngern Bruder, den sie herbeigerufen, auch etliche Lieder, die nur zu gut klangen. Wir hätten uns eigentlich in dem Tauernhause alle drei recht wohl gefallen und die Einladungen dazubleiben, den Nachmittag, den Abend, die Nacht, waren fast schwer von der Hand zu weisen; aber wenn wir zu dem kleinen Schubfensterchen hinaussahen und bemerkten, wie des Tages Helle allmählich wieder in den Nebeln unterzugehen drohte, die da und dort an den Halden aufstiegen, aus andern Revieren herüberstrichen, an den Hörnern im Hintergrunde sich sammelten; wenn wir bedachten, wie es denn doch nicht mit Ehren angehe, den ganzen Tag bei der schönen Tauernhäuserin zu versitzen, wie es endlich, so der Tauern heute noch überschritten werden sollte, die höchste Zeit sey, um das Joch zu erreichen, ehe das Unwetter, dessen erste Vorboten sich in den Lüften ergingen, das Fortschreiten unmöglich mache – wenn wir allen diesen Wahrnehmungen und Vemunftgründen ihr gebührendes Gewicht belassen wollten, so mußten wir uns entschließen, mit kurzem Händedruck die kurze Bekanntschaft wieder abzubrechen und unsrer Mission zu folgen. So griffen wir also wieder nach den langen Bergstöcken und schritten über die Wiesen weiter dem zweiten Tauernhause zu.

Hier drohten aber dieselben höchstbedenklichen blauen Augen und rothen Lippen, nur daß sie der innern Tauernhäuserin angehörten, welche von der äußern eine gute Stunde entfernt [588] war, und daß jetzt, da wir eine Sirene schon glücklich umschifft, Widerstandskraft und Selbstvertrauen gewachsen waren. So gewappnet standen wir unter dem bescheidenen Dache der Herberge. Unser Benehmen war voll sinnigen Ernstes – die feurigen Augen, der verwegene Blick, die leichten, scherzenden Reden, die volle Brust und die schwellenden Hüften – sie bethörten uns nicht. – Wir wollten nur fragen, ob es leicht sey, irre zu gehen, und ob es nothwendig, einen Führer mitzunehmen, und als wir gehört, daß ersteres nicht leicht und letzteres nicht nöthig sey, lösten wir uns wieder selbdritt nach einem Bhü’ Gott voll Entsagung aus dem Bann dieser tauriscischen Augen.

Das innere Tauernhaus ist eines der letzten Gebäude in dem schmalen Langthale, das man von der Höhe des Achenfalles bis in die Wildniß kahlen Hochgebirges hinein in drei Stunden durchziehen kann. In seinen hintersten Gründen geht es noch einmal gabelförmig aus einander; die eine Zinke läßt sich auf ebenen Pfaden verfolgen bis auf den nahe liegenden Ferner, rechter Hand dagegen steht eine waldige Halde auf, über welche ein Wasserfall herunter stürzt. Diesem zur Seite klimmt man mühselig empor und nachdem man um ein paar Kirchthürme höher hinaufgekommen, öffnet sich ein unbedeutendes Zuthälchen, von einem lauten Bächlein durchströmt, mit abgefallenen Blöcken reichlich durchsäet. Zu beiden Seiten ziehen kahle Höhen hin – hinten thürmt sich der Tauern auf, aber über diesem lagen die Nebel. So lieb es uns war, dem Bereiche jener Augen entrückt zu seyn, so fanden wir’s doch hier oben sehr öde, sehr trübe und eben deßwegen fast unheimlich, zumal da sich jetzt in kurzer Zeit die Nebel weit herabgelassen hatten, den Eingang des Thales schlossen und uns selbst mitunter fast auf die Hüte drückten. Einen Schweinetreiber, der über dem Bache seine Heerde vom Tauern herabführte und den wir um sein Befinden fragen wollten, konnten wir nicht erschreien, weil das Wasser zu laut dazwischen sprach und durch das wilde Wirrsal von Felsblöcken so leicht nicht hinüber zu klettern war. Was wir auch thaten, wir konnten uns nicht bemerklich machen. [589] Er zog ruhig fort und kümmerte sich um nichts – nicht um uns und nicht um seine Schweine, welche in wunderlicher, seltsamer Anordnung und Regelmäßigkeit über den schmalen Steg dahin trollten. Dieser Umstand vermehrte unser Grauen, das auch nicht kleiner wurde, als er sammt seinen Angehörigen so plötzlich im Nebel verschwand, daß wir ihn auf übernatürliche Weise hinweggenommen glaubten.

Um uns zu zerstreuen, fingen wir an von Alpenrosen zu sprechen. Die beiden Gefährten, das erstemal im Hochgebirge, hatten diese gefeierte Blume noch nie erblickt, denn in den tiefern Gegenden ist sie um diese Zeit schon verblüht. Wir sahen zwar ihre Hecken zwischen Legföhren aufsprießend, aber überall schon die Samenkapseln ausgebildet. Die krüppelhaften, Legföhren, wie sie so demüthig auf dem Boden herumkrochen, gaben uns unterdessen Anlaß zu einstweiligen Betrachtungen – zum Beispiel wie an den Thronstufen dieser Tauern, dieser wilden Despoten, kein charaktervoller Baum mehr aufkommen könne, während unten in dem Waldvolk der mittelständigen Thäler sich die trefflichsten und brauchbarsten Individualitäten ausbilden, wie selbst noch unter dem Janhagel der Ebene die stolze Agitatorengestalt der Eiche sich erhebe – oder – wem dieß nicht gefällt – wie ein anständiger Druck der Verhältnisse dem Menschen wie dem Baume so viel nicht schade, sintemal die starken Fichten oft auf sausenden Bergecken, in schlechtem Grunde gewurzelt und selten mit Veilchenduft umräuchert, daferne nur auch die liebe Wärme des Sommers zu ihnen durchdringt, am schönsten, kräftigsten und höchsten erwachsen – wie dagegen, wenn Sturm und Schnee und Eis den Menschen von Geburt an beständig bedrängen und nie der beseligende Hauch einer linden Maienzeit dazutritt, nothwendig eine Art von Legföhre daraus werden müsse – oder – wer noch etwas harmloseres will – wie die Rose der Schönheit eigentlich doch die Tugend und Würdigkeit in andern so selten zu schätzen wisse, und nun auch diese Alpenrosen sich geduldig von den verächtlichen, aber verliebten Knorrenarmen der Legföhren umhalsen lassen, statt sich um den edlen obwohl weniger sentimentalen Stamm der Eiche zu [590] legen. Indessen an der Schönheit kann jeder nergeln, aber es ist sehr schwer, ihr Feind zu seyn. Und so war uns auch bei alle dem die schöne Alpenrose nicht widerwärtig geworden, und der jüngste der Gefährten brach zuletzt in laute Klagen aus und sprach: Und so soll ich dich also auch jetzt nicht sehen, du Schönste der Berge, und bin dir doch in solche Höhe nachgegangen, und soll dich nimmer finden – denn wenn du auch hier nicht mehr blühst, so sterb’ ich etwan, ohne dich zu kennen. Als er diese Worte gesprochen, gingen wir alle drei an einem breiten, mit buntem Moose bewachsenen Felsen hin, der uns wohl um etliche Ellen überragte, und als wir ihn umschritten, traten wir in ein kleines enges Feldchen mit kurzem Gras bewachsen und von großen Steinblöcken gartenartig eingehegt. Das ist nun nicht so überraschend, aber das Wunderbare war, daß mitten drinnen ein Rhododendronstrauch sich erhob und mitten in dem Strauche auf schlankem Halse eine Alpenrose blühte – eine einzige. Unser Jüngster begrüßte die rothe Blume mit einem Jauchzen, welches hundertfach von den Tauern wiederhallte. Ich freute mich an seiner Freude mehr als an der altbekannten Blume; aber während der fröhliche Gesell das Röschen brach, dachte ich mir in meinem Sinn: Alpenrose! warum bist du nicht Georgine geworden, damit ich das schöne Lied zu dir sprechen könnte, welches Hermann von Gilm zu Brunecken gedichtet hat und das also lautet:

Warum so spät erst, Georgine?

Das Rosenmärchen ist erzählt

Und honigsatt hat sich die Biene

Das Bett zum Schlummer schon gewählt.
Sind nicht zu kalt Dir diese Nächte?

Wie lebst Du diese Tage hin?

Wenn ich Dir jetzt den Frühling brächte,

Du feuergelbe Träumerin!
Wenn ich mit Maithau dich benetzte!

Gar mild ist Julis-Sonnenlicht;

Doch ach, dann warst Du nicht die letzte,

Die stolze Einzige auch nicht!
[591]
Wie Träumerin! lock ich vergebens?

So reich’ mir schwesterlich die Hand;

Ich hab’ den Frühling dieses Lebens

Wie du den Maitag, nicht gekannt.
Und spät wie Dir, Du Feuergelbe!

Stahl sich die Liebe mir ins Herz;

Ob spät, ob früh, es ist dasselbe

Entzücken und derselbe Schmerz.

Nun hatten wir die Stelle erreicht, wo wir das Windbachthälchen verlassen sollten um steil aufwärts zu gehen über den Grat. Daß wir jetzt am Tauern standen, zeigte ein einsamer Wegweiser, ein kunstloser Obelisk, den man aus schweren Steinen aufgeschichtet hatte. In seiner Spitze steckte ein hölzerner Arm, welcher links in die Höhe deutete. So viel wußten wir aus den frühern Erkundigungen, daß diese Wegweiser in kurzen Entfernungen aufeinanderfolgen. Es war gut dieß zu wissen, denn es zu sehen, war unmöglich. Wir hatten uns allmählich so in den Nebel hineingegangen, daß schon auf zwanzig Schritte nichts mehr zu unterscheiden war. Während wir uns nun über das Mißliche dieser Lage einige schüchterne Bemerkungen mittheilten, fing es sehr laut zu hageln an. Dieß diente auch nicht unsere Geister anzufeuern, und so setzten wir uns etwas stille auf den Sockel des Wegweisers, der wie eine Rastbank hergerichtet war, den Rücken an die rauhe Wand des Obelisken lehnend, um unser Gewand wenigstens von einer Seite trocken zu erhalten. So sahen wir dem Unwetter zu, das um uns herbrauste – die Tageshelle war fast zur Nacht geworden, schrille, wilde Winde pfiffen vom Tauern herab und drangen mit eisiger Kälte durch alle Falten unsrer Kleider bis auf die Haut, der Hagel schlug uns ins Gesicht und an der Tauernhalde hörten wir ein dumpfes Kollern, als wenn sich oben etliche Felsblöcke in Bewegung setzen und zu uns herunter kommen wollten. Indem uns nun zu Muthe war, als wären wir mitten unter das wilde Gejaid gefallen, und während wir des schmetternden Hagels wegen das liebe Haupt zwischen die Knie genommen, ließ sich plötzlich eine Stimme hören: O! wäre ich doch im Tauernhause! [592] und dann eine andre erläuternde: Und bei der Tauernhäuserin! und eine dritte, welche aposiopetisch sagte: Ja, wäre ich nur allein gewesen! – da kam uns dreien bei allem Elend ein Lachen an.

Um indessen den Leib nicht sinken zu lassen, da der Geist immerhin Mühe hatte, sich aufrecht zu erhalten, so wurden die Reisetaschen geöffnet und verschiedene Nahrungsmittel herausgezogen, nämlich Brod und Käse, Schweinsrippchen, Kalbsbraten, was wir alles in der gastlichen Herberge auf der Krimmel mitgenommen hatten. Diese Stärkungen zogen unsre Augen wieder etwas ab von dem grausen Wetterwirbel um uns her, und als wir alles verzehrt hatten, hatte auch der Hagel nachgelassen und die Nebel zogen wieder ruhiger ihre Wege. So brachten wir also, um unsern unerschütterten Muth zu bezeigen, ein lautes Hurrah aus und stiegen in die Höhe.

Vor uns lag ein steiler Bergabhang, ohne Gras und Kraut, grau und öde, mit Felsgerölle und großen Blöcken bedeckt, zwischen denen der Pfad nur selten kennbar ausgetreten war. Im Anfange gingen wir der Richtung des Armes nach und bemerkten mit Freuden, wie sich aus dem Nebel allmählich das zweite Wahrzeichen herausklärte. Bis zu diesem hatten wir fünf Minuten gebraucht; auch die übrigen, deren es etwa ein Duzend sind, standen ungefähr gleich weit auseinander. Manchmal verzogen sich die Nebel so, daß wir von der einen Etappe gleich auf die andere sehen konnten; manchmal blieben wir im Zweifel, bis wir dicht vor ihr standen. Endlich als wir etwa eine Stunde rastlos gestiegen waren und alle eine Ahnung befiel, daß das Joch nicht mehr ferne seyn könne, zeigte sich noch ein Schneefeld zwischen finstere Wände eng eingeklemmt, steil aussteigend, allerwege etwas bedenklich. Die Luft war wieder ganz trübe geworden, die Nebel senkten sich in den schwarzen Krater, den wir jetzt betreten hatten, so dick und nächtlich herein, daß wir auch das Ende der weißen, gespenstigen Fläche nicht absehen konnten. Das Gestein ringsherum war auch so schrecklich, so wild und zackig, und wenn einer auf dem Schneefelde ausglitschte und [593] herunterrutschte, so schien er todt seyn zu müssen. Nun fing’s auch in dicken Flocken zu schneien an.

Wir stärkten uns wieder durch lauten Zuruf, stießen die Bergstöcke ein, schoben uns guten Muthes über die ganze Bedenklichkeit hinauf und freuten uns, als sie überwunden war. Hagel und Schnee hatten indessen die unbequemste Nässe herbeigeführt; alle Felsplatten tropften, in allen Rinnen floß es, jeder Tritt auf dem schlüpfrigen Boden wurde unsicher, die Schuhe füllten sich mit Wasser. Endlich noch eine neue Beschwerde: das Schneien hörte nämlich um diese Zeit auf und es trat dafür ein tüchtiger Regen ein, dergestalt, daß es im ganzen Gebirge zu patschen anhob. Solch’ ein Gießen hätte den ruhigsten Zeitungsleser, der tief unten in den deutschen Städten am Kaffeehausofen sitzt, verdrießlich angeregt – wie mußt’ es erst uns zu Herzen gehen, die wir fast 9000 Fuß über dem Meere kletterten, fern von allen Dächern, fern von allen Oefen und, was wir dazumal am leichtesten vermißten, noch ferner von allen Zeitungen!

Als wir von dem Schneefelde noch etwas aufwärts gekommen, tauchten aus Nebelgewölke Jesus, Maria und der heilige Johannes auf; Jesus am Kreuze hängend, Maria und Johannes ihm zur Seiten, alle drei aus Holz geschnitten und dorthin gestellt als Wahrzeichen des Joches. So waren wir also auf der Wasserscheide, auf der Höhe des Krimlertauern, hinter uns Salzburg, das Erzstift, vor uns Tirol, die Grafschaft, um uns das scheußlichste Wetter. Wie an dem Posthause auf dem Brenner die eine Dachrinne ihr Wasser ins schwarze, die andre das ihrige ins adriatische Meer versendet, so war’s jetzt auch mit der Traufe von unsern Hüten – schüttelten wir den Kopf südwärts, so rann das Gewässer in den Ahrenbach und mit diesem in die Rienz und mit dieser in die Etsch und kam dann in die Lagunen von Venedig, neigten wir aber das Haupt gegen Norden, so floß das Bächlein, das aus der Hutkrempe herabstürzte, in die Krimlerache und mit dieser in die Salzach und dann in die Donau und vereinigte sich zuletzt mit dem Pontus Euxinus. Dieses Gedankenspiel gewährte indessen wenig Trost in unsern [594] Nöthen. Mehr Herzensstärkung hätten wir vielleicht davon gehabt, wenn uns eingefallen wäre, wie einst Herzog Rudolph von Oesterreich, jünger als wir alle, kaum von einer Krankheit genesen, mitten im Winter über den Krimlertauern gestiegen, immer in rüstiger Eile, damit nicht die Vettern aus Bayern ihm zuvorkämen. Mit Händen und Füßen kletternd soll er auf dem Joch des Berges angekommen seyn. Wohl mag es ihn auch mitten im Winter erfreut haben, den Blick in die Grafschaft hinunter zu werfen, die ein halbes Jahrtausend bei seinem Hause geblieben ist. An Sanct Polycarpen Tag, am 26 Jänner 1363, war er in Bozen, wo Margaretha „mit fürsichtigem Rathe“ der Landesherren die Grafschaften Tirol und Görz den Herzogen von Oesterreich feierlich verschrieb.

Also in den Fußstapfen des ritterlichen Habsburgers stiegen wir von der Höhe hinab, so schnell als der rauhe Weg es erlaubte. Daß wir nun über den Tauern gekommen, ohne seiner recht ansichtig zu werden, daß wir noch immer in den Wolken dahin steigen mußten, kränkte uns weniger, als daß der Nebel alle Aussicht gegenüber benahm und daß wir die prächtige Fernerwelt um die ungeheure Dreiherrnspitze, die dort liegen mußte, nur ahnen konnten, aber nicht erschauen. Zuweilen ging allerdings ein Riß durch die nächsten Nebelschichten und man sah dann auf entferntere, durch welche ein weißes Gleißen, ein silbernes Leuchten der Gletscher schimmerte – aber das war auch alles. Selbst an dem Herzogsbrunnen, der zwischen der Taucrnhöhe und der ersten Alpenhütte liegt, kamen wir vorbei, ohne ihn zu gewahren, also auch ohne sein köstliches Wasser zu versuchen. Er hat den Namen noch von jenem Winter her, wo Herzog Rudolph seinen Durst allhier gelöscht.

Lange Zeit sprangen wir nun durch eitel Wildniß, über wüste Berghänge, über graue, nasse Felsblöcke, zuweilen auch an einem Wegweiser vorbei, welche indeß auf dieser Seite weniger nothwendig, da der Pfad zumeist eingefriedigt und gebahnt ist. Endlich sahen wir ein paar Sennhütten im Gewölke dämmern, hofften uns bald rings um den Käsekessel [595] am prasselnden Herde niederlassen zu können, fanden da jedoch kein Feuer, wohl aber zwei Sennen, die sich durch unsern höchst erbärmlichen Zustand keineswegs rühren ließen, sondern vielmehr deutlich zu erkennen gaben, daß ihnen nasse Tauernfahrer etwas ganz Alltägliches geworden. Von den Sennhütten setzten wir noch über ein paar steile, aber grüne, umbuschte Abhänge, und gelangten zu einem größern Haufen von Hütten, wo wir ein Wirthshaus zu treffen vermeinten. Daß auch dieses eine Täuschung, betrübte uns etwas, denn die Knie drohten einzubrechen. Nichtsdestoweniger rafften wir noch die letzte Kraft zusammen und schleppten uns vom stattlichsten Regen begleitet zu einer andern kleinen Sammlung von Bauernhäusern. Unter diesen stand eine Herberge, auf deren Schwelle wir den Fuß mit jenem Gefühle setzten, welches den beseelt, der nach einer Sturmnacht auf hohem Meere den Tritt aus dem Nachen ans Land setzt.

Was wir nun alles thaten, um uns trocken und reinlich zu machen, sey dem Leser verschwiegen, nicht aber daß die Wirthsleute liebreich beisprangen, um unsere Leiden zu beendigen. Das Feuer, welches im großen Stubenofen angezündet wurde, gab allerdings noch lange keine Wärme, aber dafür prasselte es bald lichterloh in der Küche. Um diese beseligenden Flammen uns zu setzen, holten wir Stühle herbei und stellten sie auf den Herd. Darnach ließen wir uns nieder, griffen nach den Humpen und tranken auf die Tauernfahrt und unsere Gesundheit.

Erinnert ihr euch, so ihr einmal einen oder zwei Romane gelesen, an die schreckhaften Bravos, die dem unglücklichen Opfer überall nachschleichen, ihm auf dem Rialto zu Venedig, auf dem Strande zu Neapel, auf den Wällen von Rhodos bei Tag oder Nacht begegnen und ihm zuraunen: Kennst du mich, Antonio? Der Vergleich mag nicht sehr zart seyn, aber mir kam es gleichwohl so vor – mir kam es vor wie eine hartnäckige Nachstellung, wie ein neues Stück einer alten höchst gefährlichen Intrigue, als ich plötzlich mein Auge auf unsern Jüngsten richtete und wahrnahm, daß eine blühende Pinzgauerin, von hinten hergeschlichen, den einen Arm auf [596] seine Knie legte und mit der andern Hand langsam durch seine Locken fahrend in süßem Klang die Worte lispelte: Ach, wie seyd ihr so naß geworden, lieber Herr! dazu drehte sie ihr Gesicht, das erröthende, vom Feuerschein geröthete, gegen das seinige, das tiefgefärbte, und ihre funkelnden Augen versenkten sich in die seinigen, die blitzenden. Unmächtig der schmeichelnden Gewalt zu wehren, schlang er seinen Arm um ihren Hals und küßte sie. Wir beiden Alten lächelten, wohl wissend, daß seine Kraft nicht erliegen würde. Aber diese Pinzgauerinnen! Zu was könnten sie den harmlosen, vertrauenden Pilger nicht verleiten, die nordisch frischen Gestalten mit dem südlich heißen Blut! Und wie unschuldig gab sie sich, die schmiegsame Maid, die gar nichts wollte und begehrte, als den andern „gern haben.“ Wir warteten die Ereignisse neidlos ab und als nun unser Jüngster die prüfende Hand an den vollen Arm des Mädchens legte, waren wir Zeugen ihrer ruhig ergebenen Anstelligkeit zu jenen minniglichen Zärtlichkeiten, welche die Jugend sich so gerne gestattet, und aus den lachenden Augen schien’s zu leuchten, wie ein Freibrief für alles, was da noch kommen könnte. Es war sehr störend, daß die Wirthin auf einmal in die Küche fiel und diese anziehenden Beobachtungen mit der Bitte unterbrach, wir möchten essen gehen – der Braten, für dessen schnelle Bereitung wir so sehr geeifert, stehe auf dem Tische.

Da war das Liebesspiel zu Ende – wir saßen in der Zechstube zur Tafel und erquickten uns an dem besten Gstraünenen, das die Prettau zu bieten hatte. Für ein Dörflein, das eine Tagreise von der Heerstraße, am Fuß der Tauern liegt, war die Bewirthung nur zu loben. Als wir fertig waren, fragte unser Jüngster leise nach seinem Mädchen und erfuhr, daß sie die Wirthin unterdessen zu Bette gebracht; „sie müsse früh aufstehen, um über den Tauern heimzugehen.“ Das schien uns ebenso abgeschmackt als weise. Nach einigen Reden Für und Wider gingen wir zur Ruhe, um den Tauern auszuschlafen.

Andern Tages in der Morgendämmerung beriethen wir uns über die Fortsetzung der Reise. Die beiden Gefährten, [597] von der Zeit gedrängt, bestanden darauf, am Abende in Brunecken einzuziehen, wohin wir etwa zwölf Stunden zu gehen hatten. Wir mußten also wirthschaften mit der Zeit und durften weder das nicht sehr entfernte alte Heiliggeist-Kirchlein besuchen, um dort den gothischen Flügelaltar mit noch lebhaften Gemälden zu besehen, noch konnten wir in die berühmten Kupfergruben am nahe gelegenen Rettenbach einfahren. Diese sind nach denen zu Kitzbühel, welche dem Aerar zustehen, die bedeutendsten ihrer Art in Tirol und gehören den Grafen von Tannenberg und den Freiherren von Sternbach.

Wir zogen also, ohne uns um all dieß zu kümmern, bei trübem Wetter aus dem Dorfe, und gingen immer rüstigen Schrittes mit sparsamen Unterbrechungen durch die Prettau, durch Ahren und durch Taufers – drei Bezeichnungen für verschiedene aufeinander folgende Reviere ein und desselben Thalgeländes – an vielen Häusern, Kirchen, Dörfern, an vieler Landschaft vorbei und kamen bei Sonnenuntergang in Brunecken an.

Bei solcher Schnelligkeit des Marsches wäre es unanständig, von der durchwanderten Gegend viel wissen zu wollen. Wir fassen uns daher kurz und bemerken zuvörderst, daß das Ahrenthal, obgleich 3–4000 Fuß über dem Meere, bis in seinen hintersten Winkel, bis in die Prettau und bis Kasern fleißig bebaut ist, wie denn am letztgenannten Orte noch geräumige Krautfelder stehen und luftige Mohnfeldchen für die Krapfen. Uebrigens zeigt sich die Thalsohle überall sehr schmal und an manchen Stellen schrumpft sie sogar zu einer waldigen Kluft zusammen. Abgesehen von diesen Schluchten ist das Thal sehr gut bewohnt und es steht fast ein Haus am andern. Die Gebäude sind mehrentheils von Holz, aber im Kern der größern Dörfer finden sich auch achtbare, steinerne Wohnsitze. Die Gotteshäuser stehen zumeist noch in jungem Alter, doch ist die betagte Kirche bei St. Martin ein niedliches Stückchen gothischer Arbeit. Eine besondere Schönheit des Thales ist es, daß sich zur rechten Hand fast jede [598] halbe Stunde ein neues Seitenthälchen öffnet, aus dem die Gletscher des Zillerthales ungeheuer groß hereinlugen.

Bei Arzbach, unterhalb St. Johann, steht die zum Bergwerk in der Prettau gehörige Kupferschmelze, ein Haufen von schwarzbraunen Scheunen, in denen sich viele rußige Menschen herumtreiben. Wir vertieften uns einigermaßen in die höllischen Räume, die den Hochofen umgeben, und warteten zu, bis ein Anstich erfolgen würde. Unterdessen führte uns ein Arbeiter in die Höhe vor die Mündung des Ofens, wo die Kohlen eingeworfen werden. Dort schlägt das rothe Feuer in fürchterlichen Zungen gegen den Rauchfang auf, eben so grauenvoll schön anzuschauen, als schwer zu betrachten, wegen der übertriebenen Hitze. Wieder hinuntergeführt stellten wir uns vor den Ofen, und alsbald näherte sich ein andrer schwarzer Kobold, that mit einer eisernen Stange etliche kräftige Stöße an den Spund des Ofens und unverzüglich quoll ein feuriges Brünnlein heraus, das seine kupferigen Fluten in die kleinen Rinnen ergoß, welche ihm gegraben waren. Diese führten in größere Gruben, wo sich der glühende Strom zur Ruhe setzte.

Das Schloß zu Taufers ist eine herrliche Ruine, liegt zwischen hohen Bergen auf einem jähen Bühel und blickt gebieterisch herunter in das Thal. Weitläufiges Gemäuer kriecht an dem Felsen auf und ab; daraus ragt ein mächtiger Hauptthurm, unter dem das Schloßthor sich aufthut. Mehrere andere runde Thürme stehen an den Ecken umher. Aus ein paar Fenstern winkten Blumen – immer ein freundlicher Anblick, weil ein Zeichen, daß in den schauerlichen Räumen neben den Eulen auch noch Menschen sich aufzuhalten wagen. Als Alterthum wird die kleine Schloßcapelle gerühmt.

Die Herren von Tuvers, die im zwölften Jahrhundert zum erstenmale genannt werden, sind zu großer Macht und hohem Ansehen gekommen, aber schon 1340 ausgestorben. Darnach fiel die Herrschaft an die Grafen von Tirol, die sie im Laufe der Jahrhunderte bald zu Lehen bald als Pfand in verschiedene Hände gaben. Zuletzt sind die Güter den Grafen [599] von Ferraris geblieben, das Gericht ist aber seit 1829 wieder landesfürstlich.

Hermann von Gilm, der einmal dieses Weges kam, hat der alten Ruine folgendes Gedicht verehrt:

Du altes Schloß! du scheinst wohl nur zu schweigen!

Neugierig streckt die Föhre sich empor,

Die Eulen horchen, die verschwiegenen Zeugen –

O sag mir auch ein Märchen in das Ohr.
Du steingewordner Traum! viel Thränen mochten

Auf deinen grasbewachs’nen Boden hier

Gefallen seyn! – Wie deine Männer fochten,

Wie deine Frauen liebten, sage mir.
Du schweigst? – So träume fort, wir gehen weiter –

Von deinen Mauern pflück’ ich mir den Strauß;

Denn die Natur ist ewig jung und heiter

Und schmückt mit Blumen ihre Todten aus.

Taufers, das Dorf, nicht weit unter dem Schlosse gelegen, ist groß und gut gebaut. Es sind da drei adelige Ansitze, unter denen besonders Neumelans sehr herrschaftlich aussieht. Es wurde 1582 von den Fügern, den damaligen Gerichtsherren, hergestellt, denselben, die das Schloß zu Fügen gegründet. Neumelans heißt es zum Unterschiede von Melans bei Hall. Es ist ein großes, stolzes, etwas düsteres Gebäude im Styl der Renaissance mit hohen vergitterten Fenstern, von Ringmauern wehrlich umfangen.

Von Taufers zieht eine ebene Straße in ziemlich geräumigem Thale hinaus nach Brunecken, das etwa in drei Stunden erreicht wird. Mehrere alte Burgen in der Niederung und auf der Höhe schmücken den Weg. Allmählich ersahen wir auch das rothgedeckte Schloß von Brunecken; dann zeichnete sich deutlicher und deutlicher die Stadt darunter hin, und am Abend hatten wir sie erreicht. Im Stern nahmen wir Herberge und ließen uns von den Honoratioren tüchtig ausschelten, daß wir ohne Führer über den Tauern gegangen. Ich nahm mir dieß viel weniger zu Herzen, als daß man wegen der Eilfertigkeit des Ganges so viele Alterthümer, die zur Seite des Weges liegen, unbeschaut gelassen hatte. [600] Namentlich scheinen die Kirche zu Gais und das Schloß zu Kehlburg recht sehenswerth zu seyn.

Brunecken ist ganz und gar, was man in Tirol ein feines Oertl nennt, eine nette, reinliche, obwohl kleine Stadt, bewohnt von liebenswürdigen, frohen Leuten, gelegen in einer schönen Landschaft, die zwar nicht den mannichfaltigen Reichthum etschländischer Südfrüchte, aber doch alles hervorbringt und billig liefert, was ein unverzogenes deutsches Menschenkind zu anständigem Leben bedarf. Die pusterthalische Landstraße, welche von Brixen nach Klagenfurt führt, zieht außen um die Stadt herum, eingefaßt von hübschen Häusern, die ihr zu Liebe die Rückseite zur Vorderseite gemacht und auf das Manierlichste herausgeziert haben. Eine Pappelallee, die hier auf der Stelle des ehemaligen Stadtgrabens gepflanzt worden ist, ladet die Bewohner des Abends zu angenehmem Lustwandeln ein. Ein großes Verdienst um die Reinlichkeit und die Eleganz, die jetzt den Reisenden an dem Städtchen so gefällt, ist der regsamen Verwaltung des Herrn Gubernialraths von Kern beizulegen, der eine lange Reihe von Jahren hindurch in dieser Capitale des Pusterthales als Kreishauptmann seinen Sitz hatte. Freilich ist das, was die Hauptstadt an Bequemlichkeit und feinerem Aussehen durch seine Anregung gewonnen hat, nicht in Vergleich zu stellen gegen die vielen weisen Anordnungen und Einrichtungen, die der ganze Kreis dem edlen Eifer des geistvollen Mannes verdankt. – Seit vier Jahren ist an seine Stelle der Gubernialrath Dr. Staffler getreten, derselbe fleißige Sammler und Schilderer, welcher seit dem Jahre 1839 jenes statistisch-topographische Werk über Tirol und Vorarlberg herausgibt, das wir so oft Veranlassung gefunden als unsre Quelle aufzuführen, und noch öfter benützt als genannt haben. Herr Gubernialrath Staffler ist ein freundlicher, milder Mann, umgänglich und offen, wie es tirolische Geschäftsmänner meistens sind. Obgleich stark beschäftigt in seinem Amte weiß er doch mit unermüdeter Ausdauer den Fortgang seines Werkes zu sichern und hat bisher ungefähr alle zwei Jahre einen nicht sehr schmächtigen Band erscheinen lassen. [601] Freilich wird sich nach diesem Maßstabe seine Arbeit wohl erst im nächsten Decennium als geschlossen darstellen, indessen wer die Mühsal bedenkt, der kann auch die Zeit nicht zu weit gemessen finden.

Von den Merkwürdigkeiten dieser Stadt wollen wir keine nennen als die Bildersammlung des Herrn Johann von Vintler, der einem der ältesten Geschlechter des Landes entsprossen ist und die Fremden mit tirolischer Zuvorkommenheit aufnimmt. Man sieht bei ihm manches gute altdeutsche Stück, und zumal wird jeder mit Freuden das Conterfei Herrn Georgen von Frundsberg betrachten, des tapfern Feldobristen, der mit seinen tirolischen Landsknechten so viel auf Schlachtfeldern zu thun gehabt und seinem Vaterlande wie sich selbst nur Ruhm und Ehre gemacht. Auch besitzt Herr von Vintler eine alte Reimchronik, die mit Erschaffung der Welt beginnt und bis auf Kaiser Friedrich den Zweiten fortläuft. Sie ist laut der Nachschrift gefertigt von Heinz Sentlinger von München, an der Etsch auf dem Rungelstein bei seinem Herrn, Niclas dem Vintler, und vollendet in dem Monat Junius am dreizehnten Tag des Jahres 1394. Es ist ein sehr gut erhaltener, sehr lesbarer, schön geschriebener pergamentner Codex in Großfolio. Anfangs wird gesagt, daß Landgraf Heinrich von Thüringen den Dichter aufgefordert habe, dieses Werk aus Latein ins Deutsche zu dichten, und ebenda findet sich die Erwähnung Gottfrieds von Viterbo als des ersten Verfassers. Darnach wäre der deutsche Bearbeiter jener Doppelgänger des Herrn Rudolf von Ems, von welchem Franz Pfeiffer in der Vorrede zu Barlaam und Josaphat handelt,*) ein unbekannter Dichter, der gleich diesem Ritter eine Weltchronik verfaßt. Jedenfalls ist Heinz Sentlinger nur ein Fortsetzer. Die Handschrift blieb seit Herrn Niclas des Vintlers Zeiten immer in den Händen seiner Familie. Dieser Herr Nicolaus aber ist derselbe, welchem die Anschaffung der Malereien in dem Schlosse zu Rungelstein bei Bozen zugeschrieben wird, ein kunstsinniger und mit den Wissenschaften vertrauter [602] Edelmann. Ueberdieß war er reich an Vesten und Besitzthümern, die aber in den Händeln, welche Herzog Friedrich und der Tiroler Adel mit einander auszumachen hatten, zum größten Theil verloren gingen. Diese Einbuße konnten weder er noch seine Nachkommen wieder hereinbringen.

Das Brunecker Schloß, mit gelblichen Mauern, rothen Dächern und ragendem Thurme sitzt wie ein zierliches Krönlein auf dem Hügel, der gleich hinter der Stadt ersteht. Der Gang hinauf ist ein angenehmer Lustpfad und oben überrascht eine prachtvolle Aussicht auf eine Gegend, die zu den schönsten des Landes zählt. Wenn man den Schloßthurm besteigt, so kann man unterwegs in der Wohnung des Gerichtsdieners das lebensgroße Oelbild einer Bauersfrau betrachten, die zu ihrer Zeit im Pusterthale einen großen Namen hatte. Es ist ein rüstiges, tiefgebräuntes, kerlhaftes Weibsbild mit der Büchse auf der Schulter und dem Bandelier, an welchem die Pulverfläschchen hängen von der Achsel zur Hüfte, also eine Kriegerin. Nach Aussage der Umstehenden soll dieselbe in den neunziger Jahren mit dem Tauferer Landsturm gegen die Franzosen ausgezogen seyn. Zuerst von den Auszügern zurückgewiesen, sey sie endlich als Waffenbruder nur aufgenommen worden, nachdem sie den stärksten Mann der Fahne niedergerungen. Kleidung, Bewaffnung und Malerei sind indessen ein gutes Jahrhundert alt und lassen wenigstens die Zeitangabe als Anachronismus erscheinen. Es ist daher wahrscheinlicher, daß die wilde Männin ihren Kriegszug im „bayerischen Rummel" (1703) unternommen hat. Wie dem auch sey, ihr Bildniß scheint dafür zu bürgen, daß sie einmal lebte, und so ist ihr Gedächtniß wohl fester gesichert, als das ihrer jüngern Landsmännin, des heldenmüthigen Mädchens von Spinges über Mühlbach, das im Jahre 1797, als die Franzosen dieses Bergdorf stürmten, mitten unter den kämpfenden Landleuten auf der Kirchhofmauer gestanden und mit einer Heugabel Wunder der Tapferkeit verübt haben soll. So ist wenigstens lange Zeit hindurch erzählt und geschrieben worden, jetzt aber, da gar keine Nachforschungen herausbrachten, wer das Mädchen gewesen, wie sie geheißen, wo sie her, wo sie hin gekommen, [603] jetzt sind die Meisten der Ansicht, daß die ganze Geschichte lediglich eine im Pulverdampf entstandene Mähr, das Madel von Spinges ein schöner Mythus sey. – Ferner hängen in derselben Stube etliche Tafeln, welche die europäischen Trachten in der ersten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts darstellen. Sie sind aus der Versteigerung eines Herrn von Söll auf Teißegg erworben worden und geben, obwohl die Malerei sehr kunstlos, als Modejournal der damaligen Zeit viel anschauliche Belehrung.

Die Gegend von Brunecken bewahrt noch manches Andenken an die alten bojoarischen Herzoge. Es ist wenigstens mehr als wahrscheinlich, daß die Namen Dietenheim, Tesselberg, Uttenheim (villa Uttonis) mit den agilolfingischen Namen Theodo, Thassilo, Utto zusammenhängen. Auch in dem Namen Pfalzen, welcher einem auf naher Berghöhe gelegenen Dörfchen angehört, sieht man die Erinnerung an eine uralte Hofburg festgehalten. Pusterthal, das einen so gemächlichen Uebergang aus Noricum ins Herz der rhätischen Alpen darbot, war übrigens schon von den Römern mit einer Straße bedacht worden, und von ihren Niederlassungen geben die zahlreichen Alterthümer Zeugniß, die man hier aufgefunden. Denselben Weg, den die Römer gebahnt, verfolgten am Ende des sechsten Jahrhundert die Slaven und fielen verwüstend über das Thal Pustrissa her. In einer großen Schlacht auf dem Toblacher Felde (609) besiegte ein Bojoarenherzog die Andränger, und seitdem scheint für lange Zeit der Anraserbach, vier Stunden oberhalb Lienz, die Gränze der slavischen Bevölkerung gewesen zu seyn. Die Nähe des Feindes mag die bedrohten Fürsten oft in diese Gegend gezogen haben, und die freundliche, offene Gegend von Brunecken lud vielleicht zu längerem Verweilen ein – daher jene monumentalen Namen. Später, im Mittelalter, zeigt sich die Umgebung mit zahlreichem Adel besetzt und noch zur Zeit prangen alle die Dörfer der Nachbarschaft mit Schlössern und Edelsitzen. Außerdem steht noch eine Anzahl älterer Burgen auf einsamen Hügeln da und dort im Gau.

Lange nachdem Kehlburg, Lamprechtsburg, Michaelsburg [604] und Sonnenburg gegründet waren, erbaute Bischof Bruno von Brixen um die Mitte des dreizehnten Jahrhunderts das Schloß und die Stadt Brunecken. Die Bischöfe besaßen im Umkreise viele Güter und mochten daher gerne eine verlässige Veste haben zu eigenem Aufenthalte. Den Cardinal von Cusa konnten ihre Mauern aber gleichwohl nicht schützen, sondern als das Kriegsvolk Herzog Sigmunds, mit dem er zerfallen war, am Morgen des Ostertages 1460 das Schloß erstürmt hatte, mußte er als Gefangener einen Vergleich eingehen, was der Anfang neuer Zwiste war. Ein andrer Kirchenfürst von Brixen flüchtete sich 1525 hieher, als das Bisthum durch den Bauernaufstand in die ärgste Verwirrung gestürzt war; auch Kaiser Karl dem Fünften bot das Schloß die erste sichere Ruhestätte, als er, von Herzog Moriz von Sachsen aus Innsbruck vertrieben, gichtkrank in einer Sänfte über den Brenner hatte flüchten müssen. In demselben Jahrhundert verbreiteten sich lutherische Meinungen auch nach Brunecken, wie sie denn dazumal ebenso im Taufererthale Anhänger fanden. Erst mit dem Ende dieses Zeitraums gelang es den Bischöfen der religiösen Bewegung wieder Herr zu werden. Was die neuere Zeit betrifft, so ist die Stadt Brunecken im Jahre 1809 von vielen Nöthen bedrängt worden, deren ausführliche Erzählung wir aber Dr. Staffler nicht entnehmen wollen.

Brunecken, das heitere Städtchen, zählt als Sitz des Kreisamtes, des Landgerichtes und eines Rentamtes einen bedeutenden Beamtenstand, viele gebildete Herren, Frauen und Fräulein. Man lebt sehr gefällig zusammen und es fehlt nicht an gemeinschaftlichen Spaziergängen, an Abendunterhaltungen mit Gesang, Declamation und Tanz. Hermann von Gilm, der begabteste unter den jungen Dichtern von Tirol, jetzt nach Roveredo versetzt, wird von den Bruneckern ungern vermißt, als einer der so viel gethan, die Geselligkeit in ihrem Weichbilde zu verschönern. Ferner hat man ein wohlversehenes Lesecabinet – ein Vorzug, den ich sehr gerne hervorhebe. Man fühlt sich hier in Sitte, Lebensart und Manier dem Treiben der fröhlichen Städte von Nordtirol viel näher, als dem schwülen Wesen im Etschlande.

[605]

Nachtrag.



[606][607]

– – – Die gute alte Zeit ging für Tirol etwa mit dem vorigen Jahrhundert zu Ende. Was vor diesem liegt, ist jetzt zum Ideal geworden, und es fehlt auch gewiß nicht an Zügen die sich zur Ausmalung desselben verwenden lassen. Mögen sie auch etwas anachronistisch benützt werden, die verschmelzende Hand der Zeit hat sie einmal eng an einander gerückt und der ungelehrte Bürger und Bauer denkt nicht mehr daran zu sondern.

Vor allem schmückt dieß Ehemals die Erinnerung, daß eigene Fürsten habsburgischen Geschlechtes im Lande saßen, deren Hoflager unter den Erzherzogen Ferdinand, Maximilian und Leopold zu den glänzendsten in Deutschland gehörte, deren Kunstsinn und Prachtliebe die Heimath mit manchem köstlichen Kleinod beschenkte, das noch lange hernach die Grafschaft zierte. Man weiß, daß einmal die Bergwerke einen wahrhaft fabelhaften Segen geboten, Tirol in diesem Belang zum wichtigsten Lande Europa’s gemacht, den Landesherren wenigstens zu vielsagenden Namen verholfen,*) bürgerliche Berggewerkleute zu adeligen Ehren und fürstlichen Reichthümern gebracht, und großes Vermögen unter Stadt- und Landvolk verbreitet haben. Dazumal setzten auch noch die Imster ihre Canarienvögel in Ducaten um, die Stubeier machten Gold aus ihrem Eisen die Grödner bereicherten sich mit den Reichthümern Spaniens die Tesineser versorgten zu ihrem größten Vortheile den [608] halben Welttheil mit ihren frommen Bildern, die armen Lechthaler kamen reich aus Holland zurück – es blühten viele Industriezweige, die seither ganz eingegangen sind oder doch durch den Umschwung der Verhältnisse an Einträglichkeit bedeutend verloren haben. Der Durchzughandel warf viel Gewinn ab und die Bozner-Messen, die alten Haller-Märkte trugen wenigstens örtlich bei einen ansehnlichen Wohlstand zu begründen. Die Abgaben waren gering, die Einnahmen groß – fröhlicher Lebensgenuß in Tirol zu Hause wie in seiner Urheimath. Die Stände hatten auch noch ein kräftiges Wort in öffentlichen Angelegenheiten einzureden, und man that nicht klein mit den vielen schönen Freiheiten, welche die Noth der Fürsten, die Gunst der Zeiten und dreistes Zugreifen der biedern Landleute allmählich der gefürsteten Grafschaft zu Wege gebracht. Dieß freisamere, reichere, stolzere Leben ist dem Tiroler sehr fest im Gedächtnisse hängen geblieben und wo er immer auf eine Parallele geführt wird zwischen dem was ist und dem was war, da lispelt er leise: „Es heißt halt a nicht mehr!“ Diese Worte kehren jetzt so oft wieder, als wären sie der Wahlspruch von Tirol.

Der Krieg von Anno Neune, diese energische Protestation des tirolischen Provincialismus gegen die Einschmelzung in das damalige Bayerthum, dieser Krieg hat die Tiroler zu seiner Zeit in allen Ländern verherrlicht, wo die Franzosen verhaßt waren. „Es ist eine himmlische Wohlthat Gottes, an der wir alle gesunden könnten, eine solche Revolution“ schrieb damals Bettina an Goethe, und wie sie schrieb, so dachten Millionen. Es schien eine erhebende Erinnerung begründet für alle Zukunft.

Das große Jahr endete zwar über zerknickten Hoffnungen, gebrochenen Herzen und beweinten Leichen, allein der König, dem man so wehe gethan, war milde und vergab. Man tanzte wieder bei den Friedensfesten versöhnlich zusammen, Bayern und Tiroler, und schickte sich an, die Großthaten beiderseits zu vergessen. Der Kronprinz von Bayern, als General-Commandant im Inn- und Salzachkreise, wußte sich nicht minder als seine Gemahlin große Beliebtheit zu erwerben. [609] Die Regierung, die damals über den Innkreis, wie das bayerisch gebliebene Tirol nun hieß, zu Innsbruck eingesetzt war, waltete versöhnend und suchte die scharfen Wunden zu lindern, so viel die schwere Zeit erlaubte. Ob man sich ganz aufrichtig glücklich gefühlt, ist freilich zu bezweifeln, denn der Tiroler Herz stand zu Oesterreich; aber so viel ist gewiß, daß die Verwaltung des Freiherrn von Lerchenfeld, wie sie vom Jahre 1810 bis 1814 geführt wurde, von allen Urtheilsfähigen als musterhaft betrachtet wird.

So kam das Jahr 1814 herbei und mit ihm kam Tirol wieder an Oesterreich. Auch das Jahr 1816 erschien und während desselben zeigte sich der ersehnte Kaiser Franz zu Innsbruck. Man meinte in ihm die gute alte Zeit selbst wiederkehren zu sehen und der Jubel war unermeßlich. Es gab wieder ein Land Tirol und die Tiroler huldigten feierlich, „um ihre durch alle Stürme einer verhängnißvollen Zeit unter den schwersten Prüfungen so glänzend bewährte Treue und Anhänglichkeit neu zu bekräftigen.“ Es waren Tage des hellsten Freudenrausches und in der momentanen Freiheit mochte auch die milde bayerische Spannung, der man so eben entkommen war, sehr drückend erscheinen – es fehlte nicht an Demonstrationen, die der nächsten Vergangenheit einen Charakter aufdrücken wollten, den sie, so lange sie Gegenwart gewesen, kaum gezeigt hatte.

Man war also im Jahre 1816 und sah einer rosigen Zukunft entgegen. Was vor allem beruhigte und erfreute, war, daß der religiöse Boden wieder fest stand. Die frechen Aergernisse im Bereich des Glaubens, wie sie etliche bayerische Beamte, zumal in der Zeit vor dem Aufstande verübt, die waren nicht mehr zu befürchten, und überhaupt sollte die kühle, aufgeklärte Haltung, welche die bayerische Regierung gegen die Kirche angenommen, in ein warmes Freundschaftsverhältniß übergehen, wie es der frommen Kirchlichkeit des Volkes entsprach. Und so kamen denn auch schnell die abgeschafften Feiertage zu Ehren, alle Nebenandachten wurden wieder freigegeben, Gott der Herr ward wieder mit Glocken begrüßt, wenn er in Gewittern vorüberfuhr, und die Geburt des Heilands wie früher gefeiert [610] in der heiligen Stille der Christnacht. Auch gedieh es zur großen Freude des Volkes, als die alten Abteien und Stifter, die geliebten Klöster wieder sich bevölkerten und die früheren Würden neu erhielten. Wenn es Bayern in diesem Fache besser verstanden hätte, so wäre es, wie man sagt, selbst dem theuern Oesterreich in seinem Feuereifer für die Freiheit der Völker kaum möglich gewesen, ein Anno Neun zusammen zu bringen.

Weniger Lust, den früheren Zustand wieder herbeizuführen, bezeigte man in Militärsachen. Ehemals hatte der Tiroler in Kriegszeiten keine andere Pflicht, denn als Landwehrmann auf den Sammelplätzen zu erscheinen, wenn die „Kreidenfeuer“ auf den Höhen aufloderten und die Sturmglocken erschollen. Dann diente er nur gegen den eingedrungenen Feind in seinen Bergen; von allem andern Waffendienste war er frei. Dieß war so regulirt und bestimmt worden durch das Landlibell Kaiser Maxens von 1511, und die Einrichtung hatte sich trefflich bewährt, sowohl im Jahre 1703, als auch in den Kriegen der neunziger Jahre.

Kaiser Joseph gedachte die Conscription einzuführen, allein diese Neuerung war so verhaßt, daß er 1789 den Befehl selbst wieder suspendirte. Sein Nachfolger ging von der Maßregel gänzlich ab und es verblieb nur ein Regiment, welches durch freie Werbung erhalten wurde.

Bayern kam auf die Conscription zurück, fand aber dabei große Widerspenstigkeit; ja dieser Zwang zum Kriegsdienst war auch mit eine Hauptbeschwerde der Aufständischen. Kaiser Franz konnte es gleichwohl unbehelligt wagen, die Aushebung fortdauern zu lassen. Es wurde im Jahre 1815 ein Jäger-Regiment zu fünfthalbtausend Mann errichtet, das lediglich aus eingebornen Landeskindern von Tirol und Vorarlberg gebildet und in Friedenszeiten nur im Lande vertheilt seyn sollte. Der Kaiser übernahm selbst die Inhaberschaft, und man heißt das Regiment daher die Kaiserjäger. Als besondere Vergünstigung war es anzusehen, daß der Kaiserjäger nur acht Jahre dient, während das Linienmilitär bis vor kurzer Zeit einen Dienst von vierzehn Jahren zu überstehen hatte. Durch häufigen Urlaub läßt sich auch jene Begnadigung [611] noch versüßen. Mit der Einschränkung auf die engen Gränzen von Tirol wird’s indessen nicht streng gehalten. Die italienischen Wirren haben vor längern Jahren einmal die Anwesenheit der Kaiserjäger am Po nothwendig gemacht und seit jener Zeit ist auch eine Abtheilung dort geblieben. Sie ergeht sich noch immer in den kunstreichen Städten Italiens, zu Ferrara, Rovigo, Vicenza u. s. w. Im übrigen ist der Kaiserjäger in seiner grauen, grünaufgeschlagenen Jacke und dem Federhute etwas streng gehalten und muß, wenn er’s verdient, wohl auch ausgiebige Prügelstrafen erstehen. Trotzdem hat der junge Krieger, so wenig er sich auf den Einstand gefreut, doch immerhin einen gewissen Stolz ein Kaiserjäger zu seyn, und seine Befriedigung wächst noch, wenn er die Dienstzeit zurückgelegt und damit, sofern er vorher ein ungeschlachter Mensch gewesen, auch etwas Haltung, Unterricht und Lebenserfahrung gesammelt hat. Es ist zu bezweifeln, ob Franz I den Tirolern ein angenehmes Geschenk gemacht, als er ihnen das Kaiserregiment verehrte. Wie aber auch damals die Stimmung der Entgegennehmer gewesen seyn mag, man betrachtet jetzt die Einrichtung als etwas, das sich von selbst versteht. Die Loosung das „Löseln“ wird bei den Landgerichten vorgenommen und es ist ein anziehender Anblick, bei solcher Gelegenheit die schöne, starke Jugend der Berge beisammen zu sehen. Fast allgemein ist die Uebung, daß die Loosenden ein paar Thaler, oft auch ein paar Goldstücke auf den Tisch werfen, die dann gesammelt und denjenigen übergeben werden, die das Loos bestimmt hat, aus ihrer Mitte scheiden zu müssen.

Uebrigens wird gleichwohl die allgemeine Verpflichtung zur Landesvertheidigung noch für bestehend erachtet, und die Stände sind verbunden, außer dem Jägerregimente noch 20,000 Mann bereit zu halten, welche in vier Abtheilungen – Zuzüge genannt – zu fünf-, zehn-, fünfzehn- und zwanzigtausend Mann aufgeboten werden, so wie Feindesgefahr es nöthig macht. Ist damit nichts auszurichten, so erhebt sich das Volk in Masse, und das heißt der Landsturm. Indessen sind die Zuzüge zur Zeit nicht organisirt.

[612]

Es wird von der Regierung manches gethan, um die wehrsame Geschicklichkeit der Schützen im Frieden nicht verloren gehen zu lassen. Zu Erhaltung derselben sind vorzüglich die privilegirten Schießstände bestimmt, welche vom Landesfürsten kleine aufmunternde Schießgaben erhalten zu Preisen für die besten Treffer. Es ist dem Lande Tirol dafür ein jährlicher Betrag von 1757 fl. C. M. ausgesetzt. Der privilegirten Schießstände finden sich in Tirol ohne Vorarlberg hundertzweiunddreißig, und zwar in den deutschen Kreisen hundertfünfundzwanzig, in den beiden wälschen, Trient und Noveredo, nur sieben. Außerdem ist aber das Scheibenschießen ein Nationalvergnügen und wird weniger zwar in den ärmern Hochthälern desto lebhafter aber in den wohlhabendern Gegenden am Lande betrieben. Dort steht fast neben jedem Dorfe, neben jedem Schlosse oder Ansitz eine eigene Schießstätte. Neues Leben hat diese fast einzig übergebliebene Volksbelustigung durch eine in diesem Jahre ergangene Verordnung erhalten, die mit großer Freude aufgenommen wurde.

Bis ins vorige Jahrhundert herein waren alle Zugänge Tirols mit Vesten, Klausen und Schanzen bewahrt. Mehrere bestanden nur aus einem festen Thurme mit etlichen Zugebäuden; manche waren sehr ansehnlich und müssen viel Geld gekostet haben. An der Scharniz zumal hatte die Erzherzogin Claudia († 1648) viele tausend Gulden verbaut und sie deßwegen auch mit dem Namen Porta Claudia beehrt. Kriegsläufe und geflissentliches Aufgeben haben jetzt alle diese Gränzwehren in Trümmer fallen lassen, bis auf die Veste Kufstein, an der bayerischen Gränze über dem Inn gelegen, welche noch in gutem Stande erhalten wird. Statt solcher Befestigungen an den Landesmarken hat es neuere Kriegsweisheit räthlich gefunden, im Herzen von Tirol zwei neue anzulegen und zwar die eine oberhalb Brixen auf dem Wege nach dem Brenner, die andere bei Finstermünz. Diese sperrt die obere Straße, jene die untere, und so hat man sich denn vollkommen in Stand gesetzt, jede Vereinigung feindlicher Heere, die aus Italien und von Deutschland her eine Verbindung [613] durch Tirol suchen möchten, gänzlich zu verhüten. Die neue Franzensveste bei Brixen ist besonders ein stattlicher Bau.

Die Tiroler, die nun einmal wenig von dem Fortisicationswesen verstehen, sind diesen neuen Erscheinungen, die so voll Kanonen mitten im Lande sitzen, nicht besonders geneigt. Es scheint sie das Geld zu reuen, das dafür ausgegeben worden, und sie meinen für die vielen Millionen, welche die Franzensveste aufgezehrt, hätte man nützlichere Dinge zu Stande bringen können, wie allenfalls die Regulirung der Etsch und dergleichen. Auch erinnern sie sich, daß das reguläre Militär in Tirol nie viel Glück gehabt, und sie vermuthen, vorkommenden Falls möchten sich da wieder mißliebige Begebenheiten einstellen. Man mag ihnen entgegenhalten, daß die Unternehmung nicht aus Landesmitteln durchgeführt worden sey und Tirol gar nichts dazu gegeben habe – gleichwohl kann man nicht an der Brixnerveste vorbeikommen ohne leise Seufzer zu hören über das schwere Geld, das dieser Bau gekostet.*)

Es ist bisher noch nicht gelungen, die Geschichte der tirolischen Stände bis auf ihre ersten Keime zurückzuführen. Ein oft angerufener Bundesbrief, den im Jahre 1323 am Sonntag nach Margarethen die Herren, Ritter und Knechte, Städte, Märkte, Gerichte und Thäler der Grafschaft zu Tirol und der Landschaft an der Etsch und in dem Innthale und der drei Bisthümer zu Trient, zu Chur und Brixen miteinander aufgerichtet haben sollen, wird deßwegen nicht für beweisend [614] weisend erachtet, weil er nur mehr in einer unbeglaubigten Abschrift vorliegt und an einem bedenklichen Anachronismus leidet. Sowohl unter Ludwig dem Brandenburger als auf den beiden Landtagen, welche 1361 zu Meran und 1363 bei der Uebergabe der Grafschaft an die Herzoge von Oesterreich zu Bozen abgehalten wurden, traten übrigens die nachmaligen vier Stände schon kennbar und deutlich hervor, wenn auch der Bauer erst seit Friedrich mit der leeren Tasche, der ihm so viel verdankte, seine standschaftlichen Rechte gesichert sah. Mit den Jahren entfalteten sich die Formen der ständischen Vertretung immer reichlicher, und in den letzten Zeiten vor der durch die bayerische Regierung verfügten Aufhebung hatte sie ungefähr folgenden Bestand:

Die vier Stände waren der Prälatenstand, der Herren- und Ritterstand, der Bürgerstand und der Bauernstand.

In voller Anzahl erschienen die Stände auf den offenen Landtagen, welche früher oftmals, von 1720 bis 1790 aber nicht mehr berufen wurden. Der letzte offene Landtag in seinem ganzen alterthümlichen Glanze trat im Jahre 1790 zusammen, als Kaiser Leopold den Tirolern, sintemalen sie durch die Reformen seines Vorgängers schwierig geworden, Gelegenheit geben wollte, ihre Wünsche und Beschwerden in feierlicher Versammlung darzulegen. Dazu erschienen vom Prälatenstande die Gesandten der Fürstbischöfe von Trient und Brixen, welche bis in die letzten Zeiten die Territorialhoheit Oesterreichs bestritten und sich am liebsten Conföderirte nannten; ferner die Abgeordneten dieser beiden Domcapitel, der deutsche Ordens-Commenthur an der Etsch und im Gebirge, die Pröpste der Collegiatstifte von Bozen und Innichen (ersterer für die Aebtissin des aufgehobenen Klosters Steinach bei Meran), die Pröpste der Augustinerstifte zu Wälschmichael, Grieß und Neustift, die Aebte von Wilten, Stams, Marienberg und Georgenberg (Viecht), endlich die Aebtissin des Damenstifts zu Innsbruck für das aufgehobene Kloster Sonnenburg; für den Prior der Karthause zu Schnals trat das Collegiatstift Arco ein.

[615]

Vom Herren- und Ritterstande erschienen bei offenen Landtagen alle Tiroler Landmänner, sofern sie zu ihren Tagen gekommen waren, d. h. die Jahre der Mannbarkeit erreicht hatten. Tiroler Landmann ist aber nicht jeder Adelige, sondern nur derjenige, dessen Geschlecht in die Adelsmatrikel der gefürsteten Grafschaft eingetragen ist, und es kommt dann nicht darauf an, ob er Grundbesitz habe oder nicht. Ehemals erschienen mit dem Herren- und Ritterstand auch besonders begnadigte Bauern, nämlich die Freisassen von Nauders und Goldeck, denen durch uralte Privilegien dieses Ehrenrecht verliehen war; aber die Freisassen von Nauders waren seit dem Landtage von 1633 dergestalt verschollen, daß man sie später nicht mehr zu erfragen wußte, und die Freisassen von Goldeck wurden 1790 nicht mehr unter dem Adel, sondern unter den Gerichten (den Bauern) aufgerufen. Dazumal traten also theils in Person, theils durch Bevollmächtigte nicht weniger als fünfhundertfünfzig Herren und Ritter auf.

Aus der Mitte des Adels wurde der Landeshauptmann erwählt. Das Amt des Landesmarschalls war erblich bei den Herren der Burg Sprechenstein bei Sterzing.

Der Bürgerstand schickte die Deputirten der zwölf immatriculirten alttirolischen Städte Meran, Bozen, Innsbruck, Hall, Sterzingen, Lienz, Glurns, Rattenberg, Kufstein, Kizbühel, Roveredo und Arco.

Der Bauernstand war vertreten durch die Deputirten der alttirolischen immatriculirten Gerichte. Jedes derselben besandte den Landtag mit zwei Bevollmächtigten.

Die Abgabe der Stimmen geschah curienweise, so daß jeder Stand nur eine Gesammtstimme hatte. Uebrigens war der offene Landtag ebensowenig öffentlich als die andern ständischen Versammlungen, die ihn ersetzten. Nur in ältern Zeiten wurden die zwischen den Ständen und dem Landesfürsten gewechselten Schriften gedruckt; dieß unterblieb aber seitdem die letzte Nebenlinie von Tirol ausgestorben war.

Wegen des großen Aufwandes, den diese offenen Landtage verursachten, suchte man sie schon frühzeitig durch einen Ausschuß zu ersetzen: Im Jahre 1519, nach dem Tode Kaiser [616] Maximilians, trat zum erstenmale unter dem Direktorium des Landesmarschalls der große Ausschuß zusammen, welcher aus fünfundvierzig Stimmführern, Vocalen, zusammengesetzt war und die Gewalt hatte, „alles was in jetzigem und vorigen Landtagen beschlossen worden, auch ansonsten vorfallen und nöthig seyn möchte, mit und neben der Regierung zu besorgen.“ Auch diese Anstalt blieb nicht das regelmäßige Organ der Ständegewalt, vielmehr wurde es bald der engere Ausschuß, der allmählich die volle Wirksamkeit der ehrsamen tirolischen Landschaft ausübte.

Dieser engere Ausschuß versammelte sich zum erstenmale im Jahre 1570, berufen von Erzherzog Ferdinand zur Berathschlagung über die Mittel, einer hereingebrochenen Getraidenoth zu steuern, und kam seit 1728 alle Jahre regelmäßig in Innsbruck zusammen. Er bestand aus den vier Stimmführern, von Trient und Brixen, aus vier „Erkiesenen“ des Prälatenstandes, fünf „Verordneten“ des Herren- und Ritterstandes, sechs Deputirten der Städte und sechs Deputirten des Bauernstandes.

Außer diesen ständischen Körpern bestand noch seit 1720 zu Innsbruck die perennirende Activität, zu welcher jeder Stand ein Mitglied stellte. Sie hatte die Aufgabe, die Beschlüsse des engern Ausschusses durchzuführen und die laufenden Geschäfte zu erledigen.

Das wichtigste Recht der tirolischen Stände war das der Selbstbesteuerung. Der Landesfürst hatte keine Macht, ohne Einwilligung der Stände neue Steuern zu erheben, und für jede Bewilligung stellte er einen Revers aus, daß sie den Landesfreiheiten nicht nachtheilig seyn sollte. Deßwegen hatten auch die Stände die Einhebung der Grundsteuern durch ihre Beamten zu besorgen und außerdem standen ihnen noch andere Gefälle zu. So stellte sich ihre Einnahme auf jährlich fünfmalhunderttausend Gulden, welche freilich allmählich nicht mehr zureichten, da außer dem Postulate, den Kosten der Verwaltung und einigen Beiträgen zu öffentlichen Anstalten auch die Zinsen der ständischen Schulden bestritten werden mußten, und selbige beliefen sich über dreimalhundertausend [617] Gulden. Diese Schulden aber stammten aus der Zeit Erzherzog Ferdinands, des Stifters der Ambraser Sammlung, der einmal seine treuen Stände und nicht ohne Erfolg gebeten hatte, zur Erleichterung seiner betrübten Umstände 1,600,000 fl. landesfürstliche Schulden auf ständische Rechnung zu übernehmen. Seit diesen Tagen waren sie immer lästiger angewachsen. Nebst dem Rechte der Selbstbesteuerung sprachen die Stände auch den Beirath zur Gesetzgebung in Justiz- und Polizeisachen an, hatten ihn auch zeitweise sehr kräftig geltend gemacht, aber die Regierung wollte ihnen später in diesen Dingen ebensowenig eine Mitwirkung gestatten, als sie ihre Beistimmung zu Krieg und Frieden einholte, während man auch dieses Recht aus einer Stelle des alten Landlibells und einem Vertrage mit Kaiser Max ableiten zu können vermeinte. Eine Magna Charta welche sämmtliche Rechte der Stände bestimmt hätte, bestand nicht; sie beruhten auf dem Herkommen, der Gepflogenheit, und auf landesherrlichen Reversen und Freiheitsbriefen.

Dieß war in allgemeinen Umrissen die alte ständische Verfassung von Tirol. Sie hatte sich oft sehr zweckmäßig gezeigt im Widerstand gegen landesfürstliche Geldforderungen wie gegen äußere Feinde, und viel höher war ihr in den letzten Zeiten die Aufgabe nicht gestellt. Maximilian von Bayern hat sie am 1 Mai 1808 aufgehoben, indem er dem engern Ausschuß vermelden ließ, er gedenke seinem Reiche eine neue Constitution zu geben, dabei auch eine allgemeine Nationalrepräsentation erstehen zu lassen, und demnach sey es sein Wille, daß die Provinziallandschaften aufgelöst würden. Man hat behauptet, es habe diese Verfügung in Tirol wenig Aufregung verursacht: so viel ist richtig, daß sie ein Jahr darnach desto emsiger ausgebeutet wurde. Die Krone Bayern hatte im Preßburger Frieden die gefürstete Grafschaft übernommen mit allen Freiheiten, Rechten und Titeln, wie sie der Kaiser von Deutschland und Oesterreich besessen hatte, et pas autrement, und nicht anders. Diese Worte wurden von den Leitern des Aufstandes gern und oft wiederholt.

[618]

Als das Land wieder mit Oesterreich vereiniget war, erinnerten sich die Tiroler auch gerne ihrer alten Privilegien und manche mochten vielleicht hoffen, sie würden jetzt nach einem siebenjährigen Schlummer frischer und blühender wieder auferstehen, als sie zu Schlafe gegangen. Man legt dem Kaiser Franz ein Wort in den Mund, das zu damaliger Zeit erflossen, solchen Wünschen nicht gerade günstig scheinen mochte. Die Vorstellungen, welche die Tiroler damals ihrem kaiserlichen Herrn überreichten, lassen auch fast schließen, sie hätten Gründe gehabt, wegen der Wiederherstellung ihrer Freiheiten besorgt zu seyn. Sie ergehen sich in ausführlichen Motivirungen ihrer Ansprüche, die kaum nothwendig waren, wenn die Ueberzeugung galt, daß sie auf Seiten des Landesfürsten nicht beanstandet werden würden. „Mehr als Tirol, sagt eine Vorstellung etlicher Tiroler Stimmführer, welche zu Wien am 23 Junius 1814 abgefaßt wurde, *) mehr als Tirol im Jahre 1809 für das allerhöchste Interesse Ihrer Majestät und für das ihm wiedergeschenkte Kleinod seiner alten Verfassung kann kein Land thun.“ Man erlaubte sich daher, den Monarchen an das früher so oft gegebene Kaiserwort zu erinnern und bemerkte, wie es der allerhöchsten Gnade, dem großen Vaterherzen Seiner Majestät nicht angemessen sey, daß die Spuren der unglücklichen Begebenheiten, unter denen die Völker gelitten, gerade in Tirol für alle folgenden Jahrhunderte durch den Verlust der Verfassung, an welche des Tirolers Existenz geknüpft sey, verewigt werden sollten.

Indessen zeigte Franz nach kurzer Zeit, daß es nicht seine Absicht war, den Tirolern ihre Verfassung vorzuenthalten. Er stellte sie wieder her und zwar, wie im Patent vom 24 März 1816 gesagt ist, aus Gnade, doch in voller Anerkennung der vielfältigen Verdienste und der hochherzigen Gesinnungen der biedern Bewohner des Landes Tirol; jedoch „mit denjenigen Verbesserungen, welche die veränderten Verhältnisse [619] und das Bedürfniß der Zeit erheischen.“ Nach diesen Verbesserungen ist der Bestand der tirolischen Verfassung in kurzem folgender:

Die Möglichkeit eines offenen Landtages ist vorausgesetzt, doch sind bisher die besondern Fälle nicht eingetreten, welche seine Berufung veranlassen konnten. Der engere und der größere Ausschuß sind antiquirte Formen, und statt ihrer ist allerdings zum Ersatz des letztern als regelmäßiger Repräsentationskörper der große Ausschußcongreß eingesetzt, der sich alle Jahre im Mai zu Innsbruck versammelt. Er besteht aus den vier Ständen, deren jeder dreizehn Repräsentanten aufstellt, so daß der Congreß zweiundfünfzig Mitglieder zählt. Auf der Prälatenbank sitzen die beiden Fürstbischöfe von Trient und Brixen, welche jetzt in Person erschienen, die Verordneten ihrer beiden Domcapitel und der des Damenstifts zu Innsbruck, die Aebte von Wilten und Stams, der Propst von Neustift, die Aebte von Marienberg und Viecht, endlich der Propst des Collegiatstiftes Innichen. Für die noch nicht wieder hergestellten Stifter zu Gries und Wälschmichael werden die Pröpste von Bozen und Arco als Vertreter aufgestellt.

Für den Herren- und Ritterstand wurden die Verordneten anfangs von gesammten tirolischen Landmännern gewählt; im Jahre 1838 aber ist durch landesfürstliche Entschließung den beim Congresse versammelten Repräsentanten des Adels das ausschließende Wahlrecht übertragen worden.

Die Vertretung der Städte hat eine Stimme gewonnen, da die fünf ehemals bischöflichen und auf dem Landtag nicht vertretenen Städte Trient, Riva, Brixen, Klausen und Brunecken mit ständischen Rechte zu begaben waren. Es ist daher bestimmt worden, daß Roveredo mit Arco, Trient mit Riva und die drei Brixnerischen Städte unter sich je eine Wechselstimme führen sollen. So treten denn statt der ehmaligen zwölf alttirolischen Städte jetzt dreizehn auf.

Um die gesetzliche Anzahl der Repräsentanten des Bauernstandes herzustellen, wird das Land ungefähr nach der alten Weise in dreizehn Wahlbezirke, zehn Viertel und drei Gerichte [620] geschieden, und jedem anheimgegeben, einen Vertreter abzuordnen. Die Ausschußmänner der zum Viertel gehörigen Gerichte senden zwei Deputirte nach dem Orte der Wahlconferenz, die dort unter Leitung eines hiezu ermächtigten Landrichters die Wahl des Vertreters nach Stimmenmehrheit vollziehen. Bei dem unbedingten Vertrauen, das der Tiroler Landmann zur Zeit in die höheren Einsichten seiner Obrigkeit zu setzen gewohnt ist, möchte es diesen Wählern schwer werden, sich von dem Einfluß der Landrichter immer ganz frei zu erhalten. Uebrigens hängen alle Wahlen von der landesfürstlichen Bestätigung ab, und die Wirksamkeit eines Repräsentanten endet sich regelmäßig nur mit dessen Tode. Ersteres verhütet das Eindringen unlieber Personen, letzteres dämpft den ständischen Ehrgeiz, da keine Wiedererwählung in Frage steht. Jeder Vertreter bezieht des Jahres für Präsenzgebühren und Reisegelder einen Betrag von 300 fl.

In den Congreßsitzungen hat der Landeshauptmann das Präsidium. Der Landeshauptmann als Vorsitzer der ständischen Collegien, als ihr Sprecher gegenüber Seiner kaiserlichen Majestät, war in ältern Zeiten eine sehr wichtige Person; er galt, wo immer die Stände mit der Regierung in Uneinigkeit geriethen, als der Pfeiler des Widerstandes. Es war daher in Kaiser Josephs Sinn nicht übel angelegt, als er verordnete, die Stelle des Landeshauptmanns solle künftighin mit der des Landesgouverneurs vereinigt seyn. Auf dem offenen Landtage von 1790 wurde indessen den Ständen verkündigt, daß Kaiser Leopold diese beiden Würden wieder trennen und der Landschaft gestatten wolle, dem Hofe zur Ernennung des Landeshauptmanns einen dreifachen Vorschlag zu machen. Diese Entschließung wurde unter Trompeten und Paukenschall und ungeheuerm Beifallruf verlesen. Freilich war der schon lange verhallt, als Kaiser Franz neuerdings dieselben Aemter vereinte, welche sein Vorfahrer auseinander gethan hatte. Man mag sich billig wundern über das Zutrauen dieser Zeiten, welche zwei ihrer Natur nach so verschiedene Gewalten ohne Arg in einem Haupte [nebeneinander] ruhen sehen.

[621]

Der Landeshauptmann, als Präsident der Sitzungen, bezeichnet die Gegenstände der Berathung, entscheidet bei gleichen Stimmen und eröffnet den Beschluß. Dem Landeshauptmann zur Linken sitzt der Landesmarschall, der ohne eigenes Votum über ordnungsmäßige Abgabe der Stimmen wacht. Seine Würde ist wie früher ein erbliches Mannslehen, das auf der Burg zu Sprechenstein ruht und jetzt dem Fürsten von Auersperg zusteht, der sich aber gewöhnlich vertreten läßt. Bei der Abstimmung wird zuerst ein Mitglied des Prälatenstandes, dann einer der Herren, dann ein Vertreter der Städte, zuletzt einer aus dem Bauernstande aufgerufen. Die Stimmen werden mannweise gezählt. Es ist Gepflogenheit, daß die Vertreter des Bauernstandes, auch wenn sie sonst als Herren gekleidet gehen, bei festlichen Aufzügen in der Bauerntracht ihrer Heimath erscheinen. Außerdem wurde ungefähr mit den alten Befugnissen die ständische perennirende Activität wieder hergestellt. Für Ausarbeitung und Abhaltung sämmtlicher Vorträge, sowohl in den Congreßsitzungen als in der ständischen Activität, ist, nach früherem Gebrauche, ein Generalreferent mit dem sogenannten votum informativum bestellt, der von den Ständen ernannt und vom Landesfürsten bestätiget wird.

Die Rechte der Stände können wir wohl nicht besser umschreiben, als mit Stafflers eigenen Worten. Es gehören dahin nämlich: „das schöne Vorzugsrecht, des Landes Nutzen, Wohlfahrt und Ehre in Wort und That zu fördern; dann insbesondere das Recht der eigenen Besteuerung (offenbar euphemistisch statt: Steuererhebung); das Recht auf die Dotation des ständischen Fondes aus dem Staatsschatze; die freie Wahl der Repräsentanten (vorbehaltlich der landesfürstlichen Genehmigung); die Ernennung der ständischen Beamten; die Verleihung einiger Studienstipendien; die Verwaltung des Approvisionirungsfondes;*) die Vertheilung der Marschkosten-Beitragspflicht; [622] die Anstalt zur Vergütung der Brandschäden; das Recht der adeligen Mitglieder des zweiten Standes auf eine eigene Uniform; endlich das Recht Vorschläge, Bitten und Beschwerden an den Landesfürsten zu richten.“

Das Steuerpostulat beträgt nach jetziger Festsetzung in runder Summe 543,000 fl.; es fließt aber nicht mehr wie früher in eine ständische Casse, die ehemals der Domesticalfond hieß, sondern die Landschaft ist der eigenen Verrechnung überhoben, und erhält jetzt die nöthigen Geldmittel zur Bedeckung ihrer Erfordernisse aus der landesfürstlichen Casse.

Erwägt man nun, daß das Postulat, welches aus der Grundsteuer zu decken, der Bewilligung der Stände entzogen und daß ihnen bei Festsetzung und Erhebung der übrigen Abgaben gar kein Einfluß gegönnt ist, daß ihnen ferner auch keine Mitwirkung bei der Gesetzgebung zusteht, so muß der Nachdruck bei Aufzählung ständischer Befugnisse wohl auf das Petitionsrecht fallen, was freilich immerhin noch mehr ist, als das Recht des Adels, eine Uniform zu tragen, welches neuere Bücher über Oesterreich als die einzige wirkliche Prärogative der Stände gelten lassen wollen.

In dieser Art hat Kaiser Franz den Tirolern ihre Verfassung zurecht gestellt. Er liebte das Patriarchalische, schätzte vor allem die weise, alles umfassende Fürsicht und Sorge des Einen Hauptes, und in seinem Sinne waren es gewiß Verbesserungen, was er an den alten Landesfreiheiten angebracht. Die Tiroler bei ihrer tiefgewurzelten Anhänglichkeit an das Herkommen, an die Gepflogenheit, wollten indessen diese Neuerungen nicht mit jenem Namen belegen, sondern riefen nach der alten Verfassung wie sie gewesen war und nichts anders, wie sie versprochen war im Kriege von Anno Neun. Es hat in den ersten Jahren des Gnadengeschenkes nicht an Petitionen und Vorstellungen gefehlt, welche mit altherkömmlicher Aufrichtigkeit *)[623] darzuthun suchten, daß die Wünsche des Landes mit dieser Redaction nicht erfüllt seyen; doch war’s nun zu spät, das schwere Werk wieder aufzunehmen. Eines hatten die Tiroler gewonnen – sie konnten wieder von ihren alten Freiheiten sprechen, und das geschah auch und geschieht noch zur Stunde. Die Regierung legt diesen Reden nichts in den Weg – ja vielmehr sie sind officieller Styl geworden. Sie finden sich von Zeit zu Zeit im Tiroler Boten, sie tauchen bei feierlichen Gelegenheiten in Liedern auf, sie verewigen sich in Druckschriften. Wenn der Kaiser oder die Erzherzoge in das Land kommen, so spricht man zu ihnen von den alten vielhundertjährigen Freiheiten Tirols und lobt die Treue der Habsburger, die „das köstliche Kleinod“ je und je gewahrt. Die Fürsten pflegen dann milde zu lächeln und freuen sich der Anerkennung ihres Verdienstes.

Allein die Freiheit hat hier so zu sagen nur ein amtliches Kanzleileben; der durchschnittliche Tiroler zeigt keinen Stolz darauf und nimmt auch das Wort nie in den Mund. Auf die eine Hälfte der ständischen Wirksamkeit, auf den Antheil an der Gesetzgebung, hat er freilich nicht sehr schwer verzichtet. Er hat die österreichischen Gesetze überkommen, ohne daß er darum gefragt wurde; allein sie sind ihm gerecht und bequem geworden. „Tirol und Vorarlberg wird nach den österreichischen Gesetzen verwaltet und, wie Staffler mit Wahrheit bemerkt, das Land freut sich dieses Gemeingutes mit andern Provinzen. Unverkennbar wohnt in allen Zweigen der Gesetzgebung der Geist der Ordnung, des Rechts und der Billigkeit, der überall darnach strebt, nicht nur den ruhigen Genuß der Privatrechte den einzelnen Staatsbürgern sicher zu stellen, sondern auch deren Bedürfnisse in ihrer Gesammtheit zu befriedigen, mit Einem Worte das Glück des Volkes zu gründen und zu fördern.“

Insofern die österreichischen Gesetze mit tirolischen Verhältnissen in Widerspruch kamen, wurden von jeher zweckdienliche Ausnahmen festgestellt und außerdem manche gute althergebrachte Einrichtung dem Lande wohlwollend erhalten.

Der Tiroler weiß, daß man in allen diesen Dingen nur sein Bestes wolle; daß man ihm das Alte selten genommen, ohne [624] ein besseres Neues an die Stelle zu setzen. Er ist in dieser Beziehung so zufrieden, daß er sich über die versagte Theilnahme an der Gesetzgebung allmählich ganz beruhigt hat. Je weniger er aber seine Freiheiten, Gnaden und Rechte in dieser Richtung betonen mag, desto kräftiger und lebendiger möchte er sie in der Steuerbewilligung gewahrt wissen. Das ist ein wunder Fleck, der immer innerlich zu bluten anfängt, so oft von den alten Freiheiten die Rede ist.

Die Tiroler haben diese Gesinnungen in günstigen Zeiten sehr deutlich an den Tag gelegt. Hören wir zum Beispiele, was die obenerwähnten Deputirten in der angeführten Eingabe dem Kaiser Franz zu verstehen gaben:

„Die Tiroler müssen als Ansiedler eines von der Natur stiefmütterlich behandelten Erdstriches betrachtet werden, welche bloß durch größtmögliche Befreiung von jedem Finanzdrucke und durch die allen Gebirgsbewohnern eigene Anhänglichkeit an ihr Vaterland an die Scholle gekettet sind. – Tirol ward daher von den frühern Regenten glorreichen Angedenkens nie als eine Finanzquelle betrachtet und kann um so minder für die Folge als solche betrachtet werden, da der Druck der bayerischen, illyrischen und italienischen Herrschaft, die Verwüstung des vorletzten unglücklichen und die nach der frühern Erschöpfung so empfindlichen Lasten dieses letzten glorreichen Krieges bereits viele einst wohlhabende Familien vielleicht für eine Generation contributionsunfähig gemacht, viele ganz an den Bettelstab gebracht haben. Dagegen aber war Tirol von jeher die Vormauer, der Schild des österreichischen Kaiserstaates. Als eine ungeheure Festung, Deutschland und Italien beherrschend, unüberwindlich durch seine Felsenwälle und Engpässe, durch eine eigene mannhafte Besatzung und durch die unerschütterliche Anhänglichkeit derselben an ihren Fürsten sowohl als an ihr Vaterland, ist es ein festes Bollwerk gegen jeden nach dem Innern der Monarchie eindringenden Feind, ein sicherer Stützpunkt für jede Operation nach außen. Tirol hat daher für Oesterreich keine finanzielle, wohl aber eine große strategische Wichtigkeit. Auf diesem Grundsatze nun, den die erleuchtete Staatsweisheit aller frühern Regenten und [625] Staatsmänner anerkannte, den die Geschichte so vieler Jahrhunderte und ganz vorzüglich die neueste Zeit als unwidersprechlich bewährte, beruht die alte tirolische Verfassung.“

Diesen wohlmeinenden Rathschlägen wurde indessen durch die Verhältnisse mächtig entgegengewirkt. Man erkannte zwar gerne und vollkommen an, daß Tirol eine ungeheure, unüberwindliche Festung sey, allein man konnte sich nicht entschließen ihm seine finanzielle Jungfräulichkeit zu lassen. Der Geldbedarf des Kaiserreiches war ins Ungeheure gewachsen und erlaubte ihm keineswegs die gefürstete Grafschaft in Steuersachen als einen unabhängigen Freistaat zu betrachten. Die Versprechungen früherer Proclamationen scheiterten nothwendig an der Gewalt der Umstände.

So traf sich’s denn, daß zuerst die Grundsteuer erhöht werden mußte. Man hatte seit 1784 drei Termine jährlich bezahlt (274,000 fl.), die bayerische Regierung forderte seit 1808 deren fünf; der Kaiser schrieb im Jahre 1817 zum erstenmale sechs Termine vor (543,000 fl.), wovon jedoch zwei zur Bezahlung der hochaufgelaufenen landschaftlichen Schuldzinsen verwendet wurden. Auch in andern Abgaben war’s ihm nicht möglich sich gefälliger zu zeigen. Unter der altösterreichischen Regierung waren außer der Grundsteuer noch die Zollgefälle, das Umgeld, der Malzaufschlag, der Intrinsecozoll, die Wegmauth, die gerichtlichen und politischen Taxen, dann das Salz-, Forst- und Domainengefäll erhoben worden; den Papierstempel hatte die Landschaft der Regierung einmal abgelöst, aber die dazu contrahirte Schuld ging freilich später mit den übrigen Landesschulden an die Regierung über.

Die bayerische Regierung behielt diese Auflagen bei; führte aber den Papierstempel wieder ein. Bei der neuen Einrichtung des Landes wurden die provisorischen Gefälle forterhoben, allein man sah bald, daß sie nicht so viel abwarfen, als man der Provinz überbürden zu müssen glaubte. Drum wurde zuerst im Jahre 1815 das Taxwesen neu geregelt. Das Jahr 1818 führte ein Stempelmandat heran, wobei man umsonst an die frühere baare Ablösung erinnerte; zur selben Zeit erschien eine Erwerb- nebst einer Classen- (Vermögens-) [626] und Personalsteuer. Im Jahre 1821 ward das Wegmauthgefäll neu geordnet. Das Jahr 1828 brachte die Aufhebung der freien Befugniß Tabak zu erzeugen – eine Maßregel, welche unbequem war, obgleich die Betheiligten nach gerechtem Maßstabe entschädigt wurden. Seit dieser Zeit ist der Tabak, wie in den übrigen Erbländern, Staatsmonopol. Im Jahre 1829 wurde endlich auch die allgemeine Verzehrungssteuer eingeführt, wogegen allerdings die derselben bisher entsprechenden Gefälle, so wie auch die Classen- und Personensteuer erloschen. Das Heer der Gefällaufseher, der „Finanzler,“ das tagtäglich in Kaufläden und Kellern herumwühlt, fällt höchst lästig. Dazu kamen noch schwere Gemeindeumlagen, um die in der Noth von Anno Neun entstandenen Schulden zu tilgen, und ein weiterer finanzieller Nachtheil ging wenigstens der südlichen Hälfte des Landes dadurch zu, daß an der bayerischen Gränze wieder Zollschranken auferstanden waren.

Es ist begreiflich, daß sich der Tiroler nach all diesem fragte, um wie viel er nunmehr besser daran sey als Anno Achte? Und die Antwort lautete im allgemeinen nicht günstig für seine neuen Erwerbungen. Die Wiedererlangung der alten Freiheiten schien ihm um diesen Preis jedenfalls zu theuer und er wunderte sich, warum man ihn zu den Waffen gerufen, wenn man ihm doch kein leichteres Joch zu geben gedachte, als jenes, das er abschütteln sollte.

Dieser Stimmung hat es gelingen müssen, das Gedächtniß des glorreichen Aufstandes ganz und gar zu depoetisiren. Daß man den zükunftseligen Erinnerungstaumel, wie er im Jahre Vierzehn hervorbrach, eben sowohl wegen der wünschenswerthen Beruhigung des aufgeregten Landes als wegen der Beziehungen zu dem Nachbarstaate baldmöglichst in ein harmloses, bescheidenes Angedenken hätte hinüber beschwichtigen mögen, – daß man die monumentale Erscheinung nicht als ein dauerndes Staatsfideicommiß betrachtet, sondern eher der stillen Aufbewahrung der Familien heimgegeben wissen wollte, schien durch manches angedeutet, früher schon wie später auch durch die kühle, fast bedenkliche Aufnahme, welche den drei muthigen Jäger-Officieren zu Theil wurde, die freilich ohne [627] Erlaubniß und ohne Auftrag des Sandwirths Gebeine von Mantua nach Tirol gebracht. Indessen sind die Tiroler im Laufe der Zeit noch weiter gegangen und zum großen Theile, vielleicht ohne die glückliche Mitte zu treffen, auf die Gegenseite übergesprungen.

Das Jahr Neun ist ihnen nun das Bild eines großen Unheils ohne Segen – um so überflüssiger, als Gut und Blut einer strategischen Diversion geopfert worden sind, die völlig unütz war, hinter der aber auch, wenn sie von Erfolg gewesen wäre, nur ein Zustand lauerte, der – nach jetzigen Begriffen – noch in allen Fällen früh genug kam. Man hatte so lange Jahre die alten Kriegslasten zu tragen und die neuen Steuern dazu. Das vergossene Blut war verschmerzt – die Väter, Brüder, Söhne ruhten auf den stillen Kirchhöfen und ihre Seelen waren im Himmel – die Zeit verwischte das Gedächtniß ihrer Züge, die Gewohnheit lehrte sie entbehren; aber der immer wiederkehrende Druck auf den sauern Erwerb der Hände ließ sich nicht durch die Zeit erleichtern und schien all der sanften Macht der Gewohnheit zu widerstreben. Ein böses Jahr, das Jahr Neun – sagte einst einer der grauen Helden: So viel Blut umsonst vergossen – erwiederte ein jüngerer, den Zeiten ferner Stehender. O laßt das Blut! versetzte jener – aber die Kosten!

Dadurch fällt denn auch ein eigener Wiederschein auf die Männer des blutigen Jahres, deren Namen damals durch Europa gingen, um jetzt selbst in ihrer Heimath verschollen zu seyn – auf die Männer, welche damals Freiherr von Hormayr – wie er selbst sehr gerne behauptet – inspirirte, leitete, führte und – wie sie behaupten – anführte.

Die tirolische Wirklichkeit sticht da so mächtig ab von dem, was sich begeisterte Bewunderer jener Volksbewegung vorstellen. Sie denken sich die Helden, die dem allmächtigen Kaiser trutzten, mit all der Ehrfurcht umgeben, die ihr graues Haupt verdient, die ihre Thaten, ihre Narben jedem gebieten sollten, als angesehene Häupter der Gemeinde, als die Großväter stolzer Enkel, die sich im Ruhm der Vergangenheit sonnen und dem Aeltervater mit hochklopfender Brust zuhorchen, [628] wenn er die Erzählung führt von den Bauernschlachten auf dem Sterzingermoos und auf dem Berge Isel, von den Tagen, deren Herrlichkeit damals durch die ganze Welt gefeiert wurde, so weit sie sich nach der Freiheit sehnte. Kommt ihr nach Tirol, so werdet ihr Mühe haben sie zu erfragen. Gebt ihnen aber ja keinen auszeichnenden Namen – sprecht nicht etwa von den Helden des glorreichen Jahres, sondern fragt einfach und schlicht nach „den alten Rebellern, nach den Brigandenchefs, nach den Bauernkönigen von Anno Neune,“ – denn dieß sind die Titel, die ihnen im Lauf der Jahre angewachsen. Aber auch so sind sie schwer aus ihrer Dunkelheit herauszuholen, und wenn sie ihre Erzählungen beginnen, so ist ihr Erstes zu erklären, daß sie gezwungen waren – daß keiner gefragt worden sey, ob er gehen wolle oder nicht. Es sind wenige, sehr wenige, die sich die Begeisterung, mit der sie damals in Kampf und Tod gingen, vor der Trübung späterer Zeiten rein zu halten gewußt, wenige auch, die nicht die Ehre der Selbstbestimmung, des eigenen Willens gerne hingeben um die jetzt wirksamere Entschuldigung damaliger Bethörtheit. Von allen den Häuptlingen, die zu jener Zeit in der Hofburg als Gebieter ein und ausgingen, hat kaum einer mehr frohe Tage gesehen. Speckbacher ist mißvergnügt gestorben, andre gingen, zweideutigen Nachreden zu entweichen, in die nächsten Länder Oesterreichs, andre, die vor dem Kriege schon den schweren Zeiten zu erliegen drohten, konnten sich auch nachher nicht mehr aufraffen und verloren sich in der Kümmerniß. Drum mag es wohl ein wahres Wort seyn, daß dem tugendhaften Hauptmann der Passeyrer das schönste Loos beschieden war, daß er nichts besseres thun konnte, als auf den Wällen von Mantua zu sterben. Freiherr von Hormayr bemerkt, er würde in Wien unendlich gelangweilt haben, und es wäre in der That möglich, daß man ihn am kaiserlichen Hoflager nicht recht amüsant gefunden hätte. Aber auch sein schöner Tod hat die Augen der Landsleute nicht blenden können, und sie nennen ihn jetzt etwa fromm und ehrlich, aber beschränkt und einfältig, leichtgläubig, oft schlecht gegängelt von schlimmen Vertrauten, vollkommen im Einverständniß mit dem Freiherrn, [629] der sein „Mannequin“ mit Adlerblick durchschaute und der seine Aussprüche über ihn mit voller Zustimmung geben könnte, wenn er weniger Hohn und mehr Schonung zeigte gegen die treuen Manen des ehrlichen Passeyrers.

Derartige Betrachtungen werden sich dem ergeben, der über Gegenwart und Vergangenheit beim tirolischen Landvolke die Stimmen sammelt. Die Ansicht der Städter ist anders gefärbt, aber dem Inhalte nach nicht sehr abweichend. Die gebildeten Stände, zumal der Adel, und das Landvolk befinden sich seit Jahrhunderten in einer Spannung, die allerdings in langen Friedensjahren, wenn die Anregung fehlt, nahezu einschlummert, aber bei günstiger Gelegenheit, zuvörderst wenn der Feind im Lande steht, schnell wieder hervortritt. Dann ergibt es sich, daß der Bauer nicht abgeneigt ist, den „Herrn“ für wenig ehrlich zu halten, daß er ihm vorwirft, er sey unfähig etwas zu wagen, zu furchtsam um sich auszusetzen, zu friedliebend um den Krieg zu wollen, oder am Ende auch, er halte es heimlich mit dem Feinde. Es bedarf keiner sehr angesehenen Autorität, um den Landmann argwöhnisch zu machen, und ist er’s einmal, so erschallt aus tausend Kehlen der Ruf: „Herrn derschießen, Herrn derschlagen.“ – So zerrissen im Jahre 1703 die Rittner Bauern wegen geringen Anlasses ihren Pfleger Georg Plankenstein, so schrien dazumal die Algunder, ehe man ausziehe, müsse man etlichen Herren die Häuser über dem Kopf zusammenbrennen, und als ein Opfer solcher Volkswuth fiel damals nicht minder Vigil von Hohenhausen, der Oberstwachtmeister der Landmiliz im Burggrafenamt. Auch seinem Tod war der Ruf vorausgegangen: Ihr Herren seyd alle Schelme. Als im Jahre 1762 die aberwitzigste Ausführung neuer Münzverordnungen das Burggrafenamt und das Vintschgau in einen denkwürdigen Bauernrummel versetzt hatte, hieß es abermals: Nieder mit den Stiefelherren! und die racheseligen Bauern kümmerten sich wenig, ob sie den rechten träfen. So hat auch in den Neunziger Jahren der Kreishauptmann in Vorarlberg unter den Händen der Montavoner sein Leben gelassen. Das große Jahr von Anno Neune blieb frei von diesen Gräueln, aber [630] es fehlte nicht an Gelüsten dazu. Mancher unschuldige „Herr“ entkam der Wuth der Landleute nur durch die List der Bürger oder die Fürbitten der Priester. Die nackten Arme und die winkenden Locken der schönen Frauen von Innsbruck behandelten dazumal die Passeyrer mit so rauher Ascese, daß eine der Schuldigen an zu früh eingetretenen Wehen sterben mußte. In solchen und andern Gewalthätigkeiten fand sich das ganze Herrenvolk beleidigt und da die „Handierer“ auch viele Noth mit den Bauern hatten, so waren die Städte mit weniger Ausnahme gegen die Landleute. Die Innsbrucker zum Beispiel galten das ganze Jahr lang für verdächtig. Nun haben sich zwar allerdings manche der Gebildeten über die Verstimmung der damaligen Zeit hinausgehoben und aufrichtiger Bewunderung der großen Volksbewegung zugewandt, aber in den Meisten brütet noch immer das unheimliche Gedächtniß jener „Bauernwirthschaft,“ die alles beargwohnte, was durch Geburt und Stellung, Bildung und Wissenschaft überlegen war. Drum ist auch der Bauernkrieg als literarischer Stoff fast bei Seite gelegt und wird ungern berührt. Die jungen Dichter verfehlen zwar selten, in ihrer unbewachten Erstlingsperiode etliche Reime oder eine sapphische Ode auf den „Freiheitskampf“ zu verfertigen, betrachten sich aber dann als quitt fürs ganze Leben. Auch was sonst in Prosa seit der Zeit über jenes Jahr geschrieben worden, zeichnet sich durch lobenswerthe Mäßigung aus, die zwar auch der Nüchternheit des Volkes, mehr aber noch der Betrachtung anheim zu geben ist, daß man sich durch zu großen Enthusiasmus in Zwiespalt mit der öffentlichen Meinung setzen würde. Drum konnten sich auch Immermanns Trauerspiel in Tirol und J. F. L......’s Bauernspiel in Tirol niemals zu starker Gelesenheit emporschwingen, obgleich sie beide – verboten worden sind. Jenem half weder die poetische Kraft, noch diesem genaue Localkenntniß zu inländischer Beliebtheit, welche unter andern Umständen dem Bauernspiel in Triol auch der Fehler vielleicht nicht vorenthalten hätte, daß darin mit seltsamer Vermessenheit auf ein oder zwei düstere verworfene Figuren wie auf hochherzige Heldinnen die Namen von bekannten tirolischen [631] Familien geklebt sind, welche seit Menschengedenken unter ihren Angehörigen weder einen Verbrecher noch eine Heroine gezählt.

Die Errungenschaft betreffend, so anerkennt man zwar im gebildeten Mittelstande das Glück, wieder mit der großen Monarchie unter dem angestammten Herrscherhause vereiniget zu seyn, hat aber dabei so manchen Vortheil, den man unter der vorigen Regierung genoß, noch nicht vergessen. Die größere Milde der Censur, der zwanglose literarische Verkehr mit ganz Deutschland, die Freiheit, die besten deutschen Hochschulen auch für tirolische Jünglinge benützen zu dürfen, das regere, strebsamere Leben, das sich schnell eingestellt hatte – diese und andre kleine neuere Freiheiten wünschte man herzlich gerne den großen alten einverleibt.

Während sich so diese Stimmungen langsam ausbildeten, kam der ständische Congreß alle Jahre vorschriftsmäßig zusammen, wohnte dem feierlichen Gottesdienste in der Hofkirche bei, zog in den großen Saal der Hofburg, wo das Bildniß Seiner Majestät unter einem Thronhimmel aufgestellt ist, ließ sich da mit dem Zwecke der Versammlung in schöner Rede bekannt machen, hörte das landesfürstliche Postulat ablesen und den Landmarschall in herkömmlichen Sprüchen erwiedern. Darauf begab er sich jedesmal in das Landhaus zur ersten Congreßsitzung und setzte die Sitzungen an den nächsten Tagen und mit Ausnahme der Feiertage so lange fort, bis der Gouverneur den Congreß auflöste. So verlieh er Jahre lang seine ständischen Studienstipendien, verwaltete den Approvisionirungsfond, vertheilte die Marschkosten und brachte Vorschläge, Bitten und Beschwerden an den Landesfürsten. Man hat immer weniger von ihm gehört, denn die Theilnahme verminderte sich in eben dem Grade, als das Vertrauen in seine rechtliche Pflichterfüllung wuchs. Nicht einmal bei der jedesmaligen Auflösung erregte er das öffentliche Nachsehen, denn es werden keine Lantagsabschiede ertheilt, sondern die ständischen Anbringen erhalten ihre Entgegnung in einer oft lange ausbleibenden Uebersicht von Rescripten, welche dann in Abschriften an die Vertreter gelangt, die unterdessen schon [632] vorlängst wieder an den heimischen Herd zurückgekehrt sind. Diese mögen sofort ihre Committenten von dem Inhalte unterrichten, wenn er überhaupt der Art ist, daß er sie ansprechen kann, oder daß sie etwas davon verstehen.

So war der Congreß zwanzig Jahre lang dagesessen fast „ohne Schmerz und Klage,“ bis ihn im Jahr 1836 eine Bitte an den Landesfürsten dem Publicum wieder näher brachte, nämlich die Bitte um Vertreibung der Zillerthaler. Wir haben schon früher erzählt, daß sich in den innern, weltentlegenen Dörfern des Zillerthales in den letzten Decennien über hundert Familien religiösen Bedenken hingegeben hatten, aus denen sie so allmählich ein einsweiliges, baüerlich construirtes, kunstloses Dogma herausarbeiteten, das zwar, wie sich später erwies, mit keiner der bis jetzt vorhandenen christlichen Confessionen, Secten und Häresien genau zusammen stimmte, das sie aber nach festem Vorsatze durch Aufnahme lutherischer Geistlichen an etwas Bestehendes anknüpfen wollten. Nach Maßgabe des sechzehnten Artikels der Bundesacte dürfte, wie man allgemein dafür hielt, einem solchen Vorhaben in einem deutschen Bundesstaat nichts entgegen gesetzt werden, doch entsprach der Ausgang keineswegs dieser Erwartung.

In dieser Sache war besonders thätig der Freiherr Joseph von Giovanelli zu Bozen, einer der Verordneten des Herren- und Ritterstandes, und ihm vor allen hatten die unglücklichen „Inclinanten“ ihre Deportation zu danken. Dieser Edelmann hat seit der Wiedervereinigung mit dem angestammten Herrscherhause so großen Einfluß auf die Angelegenheiten seines Vaterlandes geübt, daß es nöthig ist, ihn hier näher zu besprechen.*)

Wir sehen den Herrn von Giovanelli, damals der Junge genannt, weil sein angesehener Vater zu Bozen noch lebte, am 14 April 1809 mit dem Freiherrn von Hormayer Abends um sieben Uhr unter Trompeten- und Paukenschall und unter dem [633] Geläute aller Glocken in seine Vaterstadt einfahren und den letzteren in sein väterliches Haus aufnehmen. Von dieser Zeit an blieb er im öffentlichen Dienst beschäftigt, zumeist zu Innsbruck, und erwarb sich durch seine Gewandtheit in schriftlichen Arbeiten die volle Zufriedenheit seiner Vorgesetzten. Als die Sachen schlimmer gingen, verschwand er ins schützende Oesterreich und blieb dort bis zur Restauration. Um diese Zeit ging von ihm jene Bittschrift aus, welche für Tirols alte Verfassung und eine milde Besteuerung spricht. Bei der Wiedereinführung der Stände wurde Herr von Giovanelli, als dessen politisches Programm jene Vorstellung galt, zu einem der Verordneten des Adels gewählt, und seitdem begann sein Name im Lande zu wachsen. Sein Naturell zeigt manchen Zug, der ihn bei seinen Landsleuten empfehlen konnte – zum Beispiel einen festen, sich selbst genügenden Provincialismus, der gegen jede Erweiterung des Gesichtskreises ankämpft, und im Aeußern eine gewisse derbe Grobkörnigkeit, mit der bekanntlich der bojoarische Stamm gerne die Idee von alter deutscher Treue und Redlichkeit verbindet. Dieses Alpenhafte seines Wesens erschien von besonders großem Werthe, wenn die Herren von Wien einen Blick ins Tirol warfen. Er gab sich dann als schlichten, biederen tirolischen Landmann und erntete jederzeit herablassenden Beifall. Es schien auch nothwendig im Lande einen Mann zu wissen, dem man, ohne Höheres zu gefährden, als einem Gesammthaupte, jene Ehren und Auszeichnungen erweisen durfte, die das Volk sich verdient hatte – einen Mann, der zwischen dem Herrn, der die Krone trug, und dem ungelehrten, nicht repräsentationsfähigen Bauern, den unbevollmächtigten aber desto vertraulichern Mittler spielen konnte. Die Teimer, die Eisenstecken, die Speckbacher waren hiezu nicht geeignet – sie paßten nicht recht in die neue Zeit der alten Freiheiten. Man wünschte einen civilen Helden, und da Herr von Hormayr längst eine andre Bestimmung gefunden, so wurde Herr von Giovanelli der Universalerbe von Anno Neune. Er machte, wenn hohe Reisende zu bewillkommen waren, die conservativen Honneurs der Revolution, und um jenen Nachlaß besser verwalten zu können, [634] wurde er auch zum Freiherrn erhoben. Gut angesehen bei dem Kaiser und dem Hofe, weil man ihm großen Einfluß bei den Tirolern zutraut, ist er geachtet und gefürchtet bei den Landsleuten, weil man glaubt, er gelte viel zu Wien.

Was seine ständische Wirksamkeit betrifft, so hat er seinen tirolischen Patriotismus nie verläugnet. Darauf gestützt, wagte er zuweilen sogar zu opponiren und lästigen Anforderungen vorsichtig zu widerstehen. Für seine Verdienste genoß er den Vorzug, daß ihm wenig übel genommen wurde. Wie es nun in patriarchalisch regierten Reichen öfter geschieht, so hat sich auch in Tirol seit den Friedensjahren und seit der Wiedererlangung der alten Freiheiten viel unmännliche Herzensschwäche und viel sanfter Servilismus eingestellt. Es gibt dort, im Landhause ganz unabhängige Leute, welche, wenn sie überhaupt etwas sagen, nur etwas solches wagen, wofür schon ein Andrer die Verantwortlichkeit übernommen. Für solche Collegen galt seit langen Jahren der Brauch, das zu sagen, was der Giovanelli gesagt. Damit wußte man, daß man gut fahren werde.

Herr von Giovanelli war seiner Zeit ein strebsamer Jüngling gewesen, lebenslustig, der deutschen Literatur geneigt, mehr noch dem alten Horaz, den er auswendig weiß, selbst einmal ein Dichter, dessen Verse wenig Blödigkeit verrathen. Mit den Jahren indessen legte sich der Humor; er überließ sich jenen andächtigen Strömungen, die nun das Land überfluten, und gerieth allmählich in einen compacten Bigottismus hinein und in einen sauern Haß gegen alles was protestantisch ist. Er fing an den Knaben, auf deren Erziehung er Einfluß hatte, Schiller und Matthisson wegnehmen zu lassen und erklärte überhaupt alles „Lutt’rische“ für unnütz und verwerflich. Dabei wurde er immer strenger in seinen Anforderungen an die Kirchlichkeit seines Vaterlandes und kam zuletzt so weit, daß er, wie allgemein behauptet wird, vortrefflich charakterisirt ist in einem Sonette, das ihm in den Mund gelegt, also schließt:

[635]
Selbst Kaiser Franz war mir noch zu Josephisch,

Die Klerisei ist mir zu wenig pfäffisch,

Der Papst auch ist mir nicht genug Papist,

Und Christus selbst mir fast zu wenig Christ.

Als nun die Angelegenheit der Zillerthaler im Ständesaal zur Berathung kam, versuchte es der Bürgermeister Maurer von Innsbruck ihnen das Wort zu reden. Er sprach mit Nachdruck von der Freiheit der Gewissen, von jenem Artikel der deutschen Bundesacte, der von der Verschiedenheit des christlichen Bekenntnisses einen Unterschied im Genusse der bürgerlichen und politischen Rechte abzuleiten verbietet, von dem Geiste unsers Jahrhunderts, der eine Verfolgung um des Glaubens willen nicht gestatte. Ihm entgegen erhob sich der Freiherr von Giovanelli, voll heiligen Zornes über die neue Ketzerei. Solche Reden vor den frommen Ständen von Tirol habe man dem Weihrauch zu danken, den der Jude Lewald dem Bürgermeister von Innsbruck gespendet; das seyen die Folgen ausländischen, fremden Einflusses, der das christkatholische Land seiner alten Religion entfremden, neuen, bis dahin nie geduldeten, unerträglichen Irrlehren Zugang verschaffen wolle. Habe man nur erst eine Gemeinde dem falschen Glauben überlassen, so sey vor der Ansteckung nichts mehr zu schirmen. Besser das kranke Glied abgeschnitten als daß der ganze Leib dahinsieche; besser die Zillerthaler verjagt, als ein lutherisches Tirol. Dieses Wort übte auch hier wieder seine Kraft. Die Stände waren erschüttert bei solchem Ausblick in die Zukunft und gaben dem Redner ihren Beifall zu erkennen. Der Bürgermeister von Innsbruck, der die Sache verloren sah, schwieg. Die Stände baten den Kaiser, er möge den Zillerthalern befehlen, entweder zur Landeskirche zurückzukehren oder Tirol zu verlassen. Der Kaiser willfahrte seinen getreuen Ständen und die Zillerthaler zogen fort; bald nach ihnen auch der edle Maurer, der sich aus seinem Vaterlande wegsehnte und zu Grätz in Steiermark zum Bürgermeister ernannt wurde. Die Einwohnerschaft von Innsbruck sah den geschätzten Mann ungern ziehen, Ein schöner Nachruf [636] eines tirolischen Dichters wußte sich durch die Censur bis in den Tiroler Boten zu schleichen.

Ein Jahr, nachdem die Zillerthaler Tirol verlassen hatten, wurden die Jesuiten hereingerufen. Diese waren bald nach der Stiftung ihrer Gesellschaft in Tirol aufgenommen worden und hatten sich dort bis zu ihrer Aufhebung erhalten. Ihre damalige Aufführung war nicht schlechter und nicht besser als anderswo. Man hat nachgewiesen, daß sie durch ihre knechtende Erziehungsweise und ihre Probabilitätsmoral viel Schaden und Unsegen herbeigeführt, daß sie die Landesfreiheiten untergraben, Gleißnerei und äußerliche Kirchlichkeit gefördert, die Laster des Hofes gehätschelt, den Vorurtheilen des Adels geschmeichelt, Hexenprocesse und Aberglauben begünstigt und das Volk zur gedankenlosen Spießbürgerei herabgebracht haben. Nachdem die Gesellschaft aufgehoben war, dachten die Tiroler wohl nicht mehr daran, daß sie bei ihnen wieder lebendig werden sollte, und man kann der Wahrheit gemäß behaupten, daß sie sich auch nicht darnach sehnten. Vor mehr als einem Jahrzehnt erschienen indessen die Vorläufer der Gesellschaft Jesu, die Liguorianer oder Redemptoristen im Lande. Aber auch nach diesem Zuwachse fanden sich noch einzelne Männer, denen die zahlreiche Priesterschaft nicht ausgiebig, ihre Richtung nicht gottselig genug erschien, die nur in der Gesellschaft Jesu den letzten Schlußstein kirchlicher Zustände sahen. Der Freiherr von Giovanelli, der gewaltigste unter diesen Eiferern, benützte nun beim Landtage des Jahres 1838 eine Sitzung, wo es sich um Unterstützung der die Theresianische Ritterakademie verlassenden, mittellosen Jünglinge handelte, um eine Vorstellung zu beantragen, in welcher der Kaiser gebeten werden sollte, jene Schule, deren Leitung die Prämonstratenser von Wilten so eben aufgegeben hatten, so wie auch das Gymnasium zu Innsbruck der Gesellschaft Jesu zu überlassen. Der Antragsteller stützte sich dabei auf die Erfolge ihrer Lehranstalten in Galizien und im uechtländischen Freiburg, so wie auf die Verdienste, welche sie sich in frühern Zeiten um den tirolischen Katholicismus erworben – es dürfe sich daher keiner, der ein guter Katholik seyn wolle, der Aufnahme dieses [637] Ordens widersetzen. Die Mitglieder des Landtages waren bei diesem Vorschlage höchlich überrascht, denn in der Uebersicht der zu behandelnden Gegenstände, welche vor dem Landtage den Abgeordneten zugestellt wird, damit jene der Städte und Viertel vorerst von diesen ihre Instructionen erholen können, in der sogenannten Vortragsordnung also war nichts angezeigt von der Anrufung der Gesellschaft Jesu. Die Stände aber, als sie hörten, was in dieser Sache eines guten Katholiken Schuldigkeit sey, ließen sich den Antrag gefallen.

Kaiser Ferdinand, der im Sommer zur Huldigung nach Tirol kam, wollte in dieser festlichen Zeit den getreuen Ständen eine so harmlose Bitte nicht abschlagen. Er gab seine Genehmigung, und noch im selben Jahre erschienen zu Innsbruck fünf Mitglieder des Ordens mit ihrem Superior, Pater Lange, und übernahmen unverzüglich die Leitung der Ritterakademie und des Gymnasiums.

Nach diesem Einzuge trachteten die Freunde der Gesellschaft alsbald, ihr das Feld zu erweitern. Schon im Jahre 1840 brachte der Matrikelconseß, das ständische Collegium der Verordneten des Adels, geleitet von dem Freiherrn von Giovanelli, das Gesuch vor, man möge die Räumlichkeiten des Theresianums durch miethweise Ueberlassung eines Theils des Universitätsgebäudes angemessen erweitern, allein der damalige Landesgouverneur, Graf von Wilczek, ließ den Antrag keine Folge haben. Bald darnach trat aber sein Nachfolger Graf Clemens von Brandis an die Stelle, und da diese Veränderung für günstig galt, so brachte der Freiherr vor den Landtag des Jahres 1841 den erweiterten Antrag, durch Ausschreibung einer Steuer zum vierten Theile eines Grundsteuertermins ein Convict für die zu Innsbruck studirenden Jünglinge unter der Leitung der Jesuiten zu errichten. Die Abstimmung über diesen Vorschlag blieb jedoch weit hinter den Wünschen des Antragstellers zurück. Die Stände fanden nämlich für besser, dem Gutdünken der Privaten anheimzugeben, ob sie sich durch freiwillige Beiträge an dem Unternehmen betheiligen wollten. Ebenso genehmigte der Kaiser zwar die Errichtung des Convictes, jedoch sollte dafür weder [638] das Aerar, noch sonst ein öffentlicher Fond belastet, dagegen aber Plan und Statuten der Gesellschaft den Behörden zur Prüfung und Genehmigung vorgelegt werden.

Die Gesellschaft hielt die Zeit des nächsten Landtags für schicklich, um eine öffentliche Einladung zu freiwilligen Beiträgen für das beabsichtigte Convict ergehen zu lassen. In einer „Ankündigung,“ die zu diesem Zwecke erging, wurde an die segensvollen Wirkungen der Gesellschaft Jesu gegen die im sechzehnten Jahrhundert pestartig um sich greifenden Irrlehren erinnert und zur Errichtung des Convictes um einen Zuschuß von 68,000 fl. gebeten, wogegen dann nicht bloß die inländischen Ansprüche an diese Anstalt, sondern auch jene der übrigen Länder des österreichischen Kaiserstaates befriedigt werden sollten. Daß die Stimmung bei all diesen Erscheinungen nicht allenthalben im Lande sich gleich günstig zeigte, räumte die Ankündigung insofern ein, als sie die Freude über die Ankunft der Jesuiten nur eine „gleichsam ungetheilte“ nannte.

Indessen wollten die Jesuiten den Bau des Convictes nicht verschieben, und als im Frühjahr 1843 der päpstliche Nuntius zu Wien durch Innsbruck reiste, sollte der Beginn durch eine glänzende Feierlichkeit bezeichnet werden. Dabei ergab sich nun aber, daß jenes gleichsam, mindestens für die Hauptstadt, noch fast zu viel gewesen, denn als die bürgerlichen Stadtschützen aufgefordert wurden, bei dem Feste zu paradiren, lehnten sie das Ansinnen durch eine schriftliche Erklärung ab und erlaubten sich so eine Demonstration, wie sie die Wenigsten erwartet hatten. Der Freiherr von Giovanelli und Graf Reisach, ein andrer Freund der Jesuiten, wurden mit Gezisch empfangen, dann aber in lateinischen Reden dem Volke auseinandergesetzt, was es alles von dieser Gründung zu erwarten habe.

Immerhin flossen dem Bau durch Schenkungen und noch mehr durch Darlehen reiche Mittel zu, und im Herbste 1844 stand die Behausung für dreihundert Zöglinge und für alle Handwerker, deren sie bedurften, vollendet da. Dagegen erlebten die frommen Väter in diesem Jahre das Schicksal, daß [639] ein Benedictiner von Marienberg, Professor Albert Jäger, der Geschichtschreiber des Jahres 1703, einer der geachtetsten Männer des Landes, in einem Vortrage, den er vor dem Vereine des Ferdinandeums hielt, die Wirksamkeit des Ordens in Tirol vor seiner Aufhebung historisch beleuchtete und daraus Ergebnisse zog, die auch für seine Zukunft nur düstere Vermuthungen gestatteten. Der Eindruck dieser Begebenheit wirkte im Lande lange nach.

Nach all diesem hatten die Jesuiten nicht die freundlichste Aufnahme gefunden, suchten aber gleichwohl mit Geduld und Ausdauer ihre Fäden immer weiter zu spinnen. Die Urtheile über die Thätigkeit des Ordens sind begreiflicherweise sehr verschieden, doch scheinen auch jene, welche seine Wiedereinführung gewünscht, nicht gänzlich zufrieden gestellt. Die Gegner aber wollen in seiner Lehrweise nur die alte jesuitische Methode, wie sie vor hundert Jahren gewesen, wieder finden, behauptend: wenn die Gesellschaft auch vielleicht manches aus ihren damaligen geistigen Erübrigungen vergessen, so habe sie doch nichts Neues gelernt. Wenn sie von dem k. k. vorgeschriebenen Studienplan abweiche, so sey dieß nur, um einen noch schlechtern an die Stelle zu setzen. Man wirft ihren Lehrern vor, daß sie durch angestrengte Uebung des Gedächtnisses jedes tiefere Eingehen in den Kern der Dinge hintanzuhalten suchen, daß sie die Classiker der Sprache nach nur dürftig, dem Sinne nach gar nicht verstehen, daß sie die deutsche Sprache zu Gunsten des Lateinischen vernachlässigen, ja ihren Gebrauch den Schülern nur an Vacanztagen gestatten; in Geschichte, Geographie und dergleichen Studien aber selbst viel zu wenig unterrichtet seyen, um andre unterrichten zu können. Man will dafür kaum als Entschuldigung gelten lassen, daß die meisten der Professoren fremde, im Slavenlande erzogene Männer sind und daher die geistigen Bedürfnisse Tirols weniger zu würdigen wissen, oder daß manche von ihnen noch in zartem Mannesalter und so kümmerlicher Vorbildung sind, daß sie die für ihre Lehrkanzeln vorgeschriebenen Prüfungen allerdings nicht zu bestehen vermocht. Ferner sagt man ihnen nach, daß sie das sittliche Gefühl der Lehrlinge untergraben, [640] indem sie dieselben zu Spionen ihrer Mitschüler erziehen, daß sie vom Beichtstuhle aus das Innere der Familien erspähen und durch Entzweiung der Hausgenossen ihre Herrschaft zu sichern suchen. Namentlich soll ihre Gewalt über die Weiber groß und dieser Weg ihnen der liebste seyn zum Herzen der Männer. Was allgemein anerkannt wird, ist der rege liturgische Eifer und die fromme Erfindungsgabe des Ordens, welch ersterer alle der Gesellschaft schon früher geläufige Erbauungsmittel in Bewegung setzt, während letztere durch verschiedene originelle Neuerungen den kirchlichen Apparat noch sachdienlich zu vermehren sucht. Da gibt es prachtvolle Gottesdienste, die den halben Tag andauern, Ablässe für viele Jahrtausende, wunderthätige Medaillen und Mirakelbüchlein, für die Frauen stachlige Bußgürtel, Keuschheitsgelübde für die Jungfrauen, geistliche Exercitien für die Weltpriester. Die letztern haben am schlimmsten angeschlagen. Auf solche Art wollte sich der Weltclerus von Tirol nicht heiligen lassen, und diese mystischen Kränzchen sind daher seit mehreren Jahren wieder unterblieben. Auch im übrigen haben die Jesuiten, wenn man aufrichtig seyn will, bisher nicht viel Glück gehabt. Zwar wußten sie sich schon manches reiche Vermächtniß zufallen zu lassen, aber sie haben noch keinen häuslichen Unfrieden gestiftet, ohne als Verursacher erkannt, keinen Nachschlüssel angesteckt, ohne dabei ertappt zu werden; sie haben noch keiner Ehefrau ein Cingulum gegeben, ohne daß man es gefunden, und als einer der Novizen über den ascetischen Exercitien in Wahnsinn verfiel, kam trotz aller Vorsicht selbst dieses zur Kunde der Welt. Auch die Weigerung, bei einer Diebstahlsuntersuchung ihren Sacristan vor das weltliche Gericht zu stellen, hatte nur zur Folge, daß die kaiserliche Hofkanzlei an die Behörden den Auftrag erließ, den Anmaßungen dieses Ordens in keiner Weise nachzugeben. Daß sie eine Mutter, die aus der Ferne herbeigeeilt, um ihren todkranken Sohn zu besuchen, von der Schwelle wiesen, hat ihnen endlich auch nicht viel genützt.

Eine bekannte Art von Schaustellungen, welche die Gesellschaft mit ihren Schülern veranstaltet, sind die Concertationen. [641] Sie dauern längere Zeit des Jahres hindurch und werden mit großem Fleiße vorbereitet. Eine derselben, die im Mai 1844 stattfand, können wir hier beschreiben. Der Schauplatz war ein großer Saal, hinten mit zuhörenden Gymnasiasten besetzt, in der Mitte die Väter der Gesellschaft und einige Herren von Innsbruck, auf dem Ehrenplatze in einem Lehnstuhl der Gouverneur. Vor diesem öffnete sich die Arena, über welcher an der Wand St. Ignatius und Xaverius hingen und zwischen diesen die Mutter Gottes. Durch ein geschriebenes Programm, welches herumlief, wurden wir unterrichtet, was alles vorgehen sollte. Auf dem Kampfplatze standen sich gegenüber zwei Reihen von acht Knaben – Athener und Spartaner nannten sie sich – im Alter von eilf bis vierzehn Jahren, einer der untern Classen angehörend. Einige derselben trugen blauen Frack mit rothen Aufschlägen und einen Degen, was sie als Zöglinge der Theresianischen Ritterakademie bezeichnete. Der Streit war schon begonnen und spann sich fort wie folgt: Ein Kämpfer der einen Reihe las von einem Zettel einen deutschen, zur Uebersetzung bestimmten und daher mit einigen Schwierigkeiten versehenen Satz herab, den ein Krieger des andern Treffens lateinisch zu machen hatte. Der Herausgeforderte wiederholte den Satz, um zu zeigen, daß er ihn verstanden, und dann gab der Angreifer die lateinischen Worte, welche der andre gleichfalls wiederholte. Nun sollte der Satz lateinisch hergesagt werden. Traf es der erste nicht, so sagte der Aufgeber: Male dixisti, sequens! und so kam der Satz immer an den nächsten, bis er fehlerlos da stand. Die Leistung war keineswegs überraschend. Gewöhnlich gerieth die Aufgabe in die vierte und fünfte Hand, und den Satz: Als König Pyrrhus gehört hatte, daß einige Jünglinge schlecht von ihm geredet, erzürnte er so sehr darüber, daß er sie vor sich führen ließ – diesen Satz stellte erst der siebente fehlerfrei her. Nach diesen Ergebnissen konnte man sich unter anderm wohl fragen, warum hier das erste lateinische Lallen dieser unschuldigen Kinder dem Publicum unter einem Gepränge preisgegeben wird, das jedenfalls viel mehr verspricht [642] als man zu leisten im Stande ist? Nachdem nun diese Uebung einige Zeit gedauert, sprach einer der Väter: Satis, und es begann etwas anderes, nämlich die Recitation aus drei Lebensgeschichten des Cornelius Nepos. „Nun, sagte der leitende Lehrer zu einem Schüler, geben Sie dem und dem ein Capitel auf.“ „„Also das dritte aus Epaminondas.““ Der Genannte begann mit größter Geläufigkeit das aufgegebene Capitel herabzusagen. „Schnell ein anderes.“ „„Viertes aus Datames.““ – – – „Schnell ein anders. – Schnell ein andres.“ – Schnell ein andres.“ – Es versteht sich von selbst, daß dieser zweite Theil des Schauspiels als eine glänzende Probe des Eifers gelten sollte, mit welcher die Uebung des Gedächtnisses betrieben wird. Vielleicht geben sie auch Preise für das beste Gedächtniß, wie solche in der guten alten Zeit zu Trient an jene vertheilt wurden, welche ein ganzes Buch vor und rückwärts aufsagen konnten. Den Werth dieser Leistung zu schätzen, wollen wir den Pädagogen überlassen. Den Schluß jener Concertation bildete der Vortrag einiger deutscher Gedichte. Für die Innsbrucker scheint gleichwohl die ganze Gymnastik dieser Concertationen nichts Bestechendes gehabt zu haben. Sie beklagen es noch immer, ihre Kinder beim Mangel einer andern Anstalt den Jesuiten übergeben zu müssen. Mehrere Väter lassen ihre Söhne privatim studiren und dann im benachbarten Hall die Prüfung bestehen. Um so unlieber wird es vermerkt, daß die Gesellschaft alles aufbietet, um auch dort die Leitung des Gymnasiums zu erhalten. Solche Uebernahmen schon bestehender Schulen sind allerdings viel ausgiebiger, als die Gründung neuer; denn bis zum April dieses Jahres hatte sich zur Aufnahme im Convictsgebäude – im Knabenzwinger, wie die Innsbrucker sagen – ein Einziger gemeldet, und es schien sehr zweifelhaft, ob jene ersehnten Zehn zusammenkommen werden, mit welchen man im heurigen October die Anstalt wenigstens einmal eröffnen will. Die Glieder des Ordens haben sich indessen weidlich vermehrt. Statt der fünf Väter, die im Jahre 1838 schlechtgenährt, demüthig, anspruchslos zu Innsbruck einzogen, [643] sind es jetzt ihrer achtzig, wohlgehaltene, machtbewußte, ausgreifende Herren.*)

Nun noch einige allgemeine Betrachtungen über das tirolische [Volk].

Die innere Tüchtigkeit des tirolischen Bauernstandes ist weltbekannt. Aus gesundem Kern hervorgewachsen, durch die früheren Geschichten seines Vaterlandes gehoben, seit Jahrhunderten aller Leibeigenschaft ledig, frei auf seinem Eigen, durch den rauhen Boden und die frischen Lüfte seiner Alpen nur gekräftigt, mit trefflichen Anlagen ausgerüstet, gibt er jedem Unbefangenen vieles zu loben, manchen schönen Zug auch zu bewundern. Von seinen eigenen Thaten her ist ihm großes Selbstgefühl geblieben und eine hohe Meinung von der Ehre seines Standes, von seiner eigenen Begabung, nicht allein das Land zu schützen, sondern wohl auch mit eigener Weisheit ohne Zutritt der Herren es zu verwalten. Diese Germanismen, die ehedem vor den landschaftlichen Ständen ihre gesetzliche Verlautbarung fanden, haben sich seit dem Verwelken der Institution wieder einwärts geschlagen, sitzen aber im Bauernblute wie vorher, nur daß die Wünsche formloser, unbestimmter geworden. Legt man nun zu dieser innern bildungsfähigen Selbständigkeit ein frisches kräftiges Volksleben, mit allem ausgestattet was dazu gehört, mit sinnigen Ueberlieferungen, schönen Gebräuchen, heitern Festen, so kann man leicht der Ansicht werden, daß der Tiroler Bauernstand, wenn man zu rechter Zeit seiner vernünftigen Entwickelung ihren Weg gelassen, seine geistigen Kräfte gefördert, seinen Bildungstrieb entfaltet hätte, viele Aussicht hatte ein Musterschlag zu werden.

Aber die hohen Freunde und Gönner, die er sich durch seine Thaten erworben, scheinen seine Talente nie überschätzt, selten nur recht gewürdigt zu haben. Als die Befreiungskriege vorüber waren, legte man viel mehr Werth auf seine [644] Liebe zum Herkömmlichen, als auf jene Anlagen, die einem neuen Jahrhundert zur Ausbildung vorbehalten schienen. Ein tiefer aber seliger Schlummer des theuern Alpenvolkes, über dem das mütterliche Auge der Regierung wachte, empfahl sich als der beste Zustand. Dazu gehörte vor allem Beschwichtigung der noch nachzitternden innern Bewegung, eine hermetische Abschließung gegen außen und eine entsprechende Erziehung durch Kirche und Schule.

Bald nach der Restauration stellte sich heraus, daß auch die Priesterschaft für ihr Belange den Bauern nicht anders wünschte, als der Hof. Wie er diesem gerecht war, so paßte er auf für jene. Man konnte ihn daher vertrauensvoll ihren milden Händen überlassen, und diese nahmen den Pflegling willig auf.

Der tirolische Clerus – denn man kann nicht von den Bauern reden, ohne zugleich von ihm zu sprechen – steht nach jetziger Einrichtung unter den beiden Fürstbischöfen von Brixen und Trient; nur wenige Pfarreien gehören dem Erzstift Salzburg an, dessen Suffragane die beiden tirolischen Bischöfe sind. Die auswärtigen Kirchenhirten, die Bischöfe von Chur, Constanz, Augsburg, Freising, Chiemsee, sind im Jahre 1815 – wie schon unter Joseph II die wälschen Bischöfe von Feltre, Padua und Verona – um alle ihre Diöcesanrechte gekommen, und es zeigte sich auch bei dieser Gelegenheit wieder, wie Oesterreich in bestem Frieden durchführen konnte, was, wenn es Bayern versuchte, die Gemüther auf das tiefste verletzte. Die Zahl der Geistlichen wurde im Jahre 1837 zu zweitausendneunhundertvierundzwanzig angegeben und es traf daher auf zweihundertachtundsiebenzig Menschen ein Priester. Unter jener Zahl mögen etwa fünfhundert Mönche seyn, die in den vier Abteien der Prämonstratenser zu Wilten, der Benedictiner zu Marienberg und Viecht, der Cistercienser zu Stams, in der Augustinerpropstei zu Neustift, in ein paar andern geistlichen Stiftern, endlich in den verschiedenen Mendicantenklöstern leben, deren dreiundvierzig im Lande sind. Weibliche Klöster zählt man zwanzig, in denen über vierhundert Nonnen. Einige davon haben Erziehungsinstitute, deren Leistungen aber sehr gering angeschlagen werden.

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Der tirolische Clerus geht zum größern Theile aus dem Bauernstande hervor. Die Aussicht auf frühe Sicherung des Lebensunterhaltes läßt den Söhnen armer Eltern, falls sie studiren wollen, kaum eine andre Wahl. Sie erhalten sich am Gymnasium – als „Lotterstudenten" – durch Freitische und Wohlthaten der Stadtleute, gehen dann nach Innsbruck um an der Universität den philosophischen Cursus durchzumachen, und bleiben zuletzt vier Jahre in einem der Seminare zu Brixen und Trient. Wer die Einrichtung der österreichischen Schulen kennt – und nach dem Vielen, was man darüber veröffentlicht hat, ist dieß Urtheil nicht mehr schwierig – der wird selbst berechnen können, wie weit ihre Ausbildung auf diesem Wege gedeihen mag.

Den tiefen Zug von Gutmüthigkeit und Wohlwollen, der durch den tirolischen Charakter geht, finden wir auch in dem Priester wieder, und die Lage, in der die meisten leben, gibt ihnen auch Anlaß genug, ihre Menschenfreundlichkeit in schwerer Selbstverläugnung zu üben. Die Beschwerlichkeiten einer Seelsorge in den Bergdörfern haben wir an einem andern Orte zu schildern gesucht. Arm und einsam verlebt der Curat die schönsten Jahre seines Lebens und wird dadurch nicht weniger als durch Andacht und Gebet gelehrt, von der Welt sich abzuwenden und alle seine Hoffnungen auf ein besseres Jenseits zu stellen, dessen er sich und seine Gemeinde immer würdiger zu machen sucht. Fremdartiges, Weltliches, Zerstreuendes strebt er als Versuchung abzuwehren, und sein Vorbild ist weniger das Ringen nach wissenschaftlicher Vervollkommnung als nach stiller Erbauung und Beschaulichkeit. Um Bücher zu kaufen, fehlen alle Mittel, und so geht zuletzt auch die Schätzung ihres Werthes verloren. Von dem Daseyn einer deutschen Literatur, von der Nothwendigkeit sie zu kennen, findet man kaum eine Ahnung. Die classischen Studien werden durch das Brevier ersetzt, das ja auch lateinisch ist. Nur wohlhabende Decane lesen „Journäler,“ verstehe Sion und die Postzeitung. So kann man denn, wenn man sich nicht vor etwas scharfen Worten scheut, auf den tirolischen Clerus ungefähr dasselbe anwenden, was vor nicht langer Zeit von dem [646] französischen so gesagt wurde: „die Mehrzahl der Geistlichen besteht aus Bauernsöhnen, die gute Seelsorger werden, aber keine Theologen. Von philosophischer, historischer, staatswissenschaftlicher Bildung, von Zurechtstellung in Zeit und Zeitgeschichte, in ihren Beziehungen zum Ewigen kaum eine Spur; die strengste Sonderung von der Welt und der Gesellschaft ohne die Kraft, die Energie, die Vortheile eines durchgearbeiteten Ascetismus; daneben eine einseitige Auffassung alles dessen, was in der Zeit geschieht, als mehr und mehr vom Bösen gefärbt.“

Stellen wir nun diesen Clerus mit dem Bauern zusammen, wie er nach der Zeit war, als Tirol wieder an Oesterreich fiel, so haben wir auf der einen Seite einen frommen, der Zeit und der Welt mißtrauenden Quietismus, auf der andern einen noch sprudelnden Nationalgeist, ein Volk, das sich so eben viele Anerkennung erfochten, das seiner Ehre, seinen Ansprüchen nichts vergeben wollte, das da, lebenslustig und heiter, einer Zukunft entgegen sah, von der es noch vieles erwartete. Der Clerus fühlte, daß der Schwerpunkt auf die andre Seite fiel, wollte sich aber davon nicht imponiren lassen und fand diese Selbständigkeit belästigend. Sollten jene Richtungen noch weiter gehen, sollte das Volk durch Erziehung und Unterricht noch gehoben werden, so schien der Gehorsam und die Ergebenheit leiden zu müssen. Man fing daher an, das ganze reiche Volksleben als Verderbniß anzusehen. Mit dem Waidspruche: Ora et labora sollte sich alles abthun lassen. Die Glieder sollten frei bleiben für die Arbeit, der Mund für Gebete, aber die Ausbildung andrer Kräfte schien vom Uebel. Man kam allmählich zur Ueberzeugung, die man jetzt offen ausspricht, daß es dem Bauern nicht gut thue etwas zu wissen, daß es gefährlich sey, seine geistigen Anlagen zu entwickeln. Es gibt vielleicht auch Viele, die darin ein geschichtliches Herkommen sehen und der Meinung sind, es sey in diesem Stücke von jeher so gewesen wie jetzt.

Es ist nun zwar schon lange her, daß es anders war, aber vielleicht noch nicht zu spät, zuweilen daran zu erinnern. Wie uns jetzt durch das Verdienst der Brüder Grimm die [647] Welt des germanischen Alterthums vor Augen gelegt ist, so ergibt sich, daß unser Stamm in seiner Begabung nicht zurückstand vor irgend einem, der jemals in der Geschichte groß war. Frühere deutsche Schriftsteller wußten zwar kein besseres Zeugniß für ihre Kritik und ihre Unbefangenheit zu geben, als grelle Gemälde roher Barbarei und unmenschlicher Versunkenheit, aber dieselben alterthümlich rohen Züge finden wir auch bei den Griechen und Römern. Diese waren, wie Jacob Grimm sagt, nur duldsamer gegen ihr eigenes Alterthum, als wir gegen das unsere; sie suchten ihm geistige Triebfedern unterzulegen und es zu erheben, nicht zu erniedrigen; denn darin eben erwiesen sich die Alten großartig, daß sie die Nacktheit und das Dunkel ihrer Vorzeit gewissenhaft ehrten. – Wie die Sprache damals klangreicher, bildsamer und edler, so war auch noch die geistige Bewegung des Volkes gefügig, reich und schön. Das Leben so eng an der Natur hatte es dahin geführt, ihre Kräfte kennen zu lernen, und wenn diese auch mannichfach überschätzt wurden, wenn dem Zauber zu viel Macht beigelegt war, so erfreut doch auch in diesem Treiben wieder die dichterische Anschauung. Wie Baum, Kraut und Gras, der Berg und seine innersten Tiefen, Quell, Strom und Meer dem Deutschen durch Verknüpfung mit der Göttersage poetische Bedeutung erhielt, so auch das blaue Gewölbe und seine glänzenden Insassen über ihm. Jornandes, der Gothe, berichtet, daß seinen Landsleuten lange vor seiner Zeit außer den Planeten dreihundertundvierundvierzig Sterne bekannt gewesen. Die Milchstraße kennt ja noch Aventin unter dem Namen Euringstraße, den sie von dem mythischen Heroen Iring erhalten hat. Wenn wir nun auch diese volksthümliche Kunde der Natur und ihrer Kräfte durch die neuere Wissenschaft übertreffend vertreten seyn lassen, so ersetzt doch nichts mehr das alte deutsche Recht und die alte deutsche Poesie. Die Verkümmerung des geistigen Lebens unsers Landmannes ist mitunter auch der Einführung eines fremden Rechtes und einer Gerichtsverfassung zuzuschreiben, die ihn als Urtheilssprecher überflüssig machte, dadurch seinen offenen Sinn für die Gewährschaft des Rechtszustandes abstumpfte, die große [648] Schule der Oeffentlichkeit ihm benahm und die Gelegenheit, seinen Verstand in logischen Problemen zu üben. Die Rechtssprüche durch den Mund des Landvolkes sind, nach den Worten Grimms, ein herrliches Zeugniß der freien und edlen Art unsers eingebornen Rechts. „Es ist wahr, daß in manchen Bestimmungen eine derbe heidnische Ansicht waltet, die den gemilderten Sitten der Nachwelt Anstoß gibt, aber wir müssen eingedenk seyn, daß neben einzelnen Wildheiten, die uns beleidigen, im altdeutschen Rechte die erfreuende Reinheit, Milde und Tugend der Vorfahren leuchtet und noch unbegriffene Züge ihrer Sinnesart unser ganzes Nachdenken anregen müssen.“ Ein Säcularcursus in jener biedern Rohheit würde uns, wenn er möglich wäre, gewiß weit weniger schaden, als der Durchgang durch die servile Schlechtigkeit und die andächtelnde Heuchelei des vorigen Jahrhunderts, aus dem wir noch immer nicht recht heraus sind. – Ein Verlust, fast ebenso groß und noch weniger zu ersetzen, ist der der deutschen Volkspoesie, deren Stoffe ja bis ins älteste Heidenthum hinauf reichen und ein Stammgut aller deutschen Stämme waren von den Eisbergen Islands bis in die wälschen Gassen von Verona. Ueberall erklangen die Lieder von Sigfrid, dem Drachentödter, und der liebenden Chriemhild, von dem guten König Ezel und dem starken Dietrich von Bern. Aventin berichtet uns, daß noch zu seiner Zeit die Bauern von keinem Könige mehr erzählt, als von Dietrich von Bern, welches nämlich der alte Gothenkönig Theodorich ist. Gewiß war damals in Tirol noch reichlicher die Rede von ihm, da ja die Burg zu Bern und jene andre zu Garten fast vor Augen lagen, während König Laurin und die Mähr vom Berge zu Gloggensachsen (Gossensaß) und noch so vieles andre der deutschen Heldensage gerade auf tirolischen Boden einwurzelte. Wenn damals der Sinn des Volkes überhaupt für Ueberlieferungen noch offener war, so dürfen wir annehmen, daß auch seine eigene Historie fester haftete, und wie die Hellenen die Geschichte ihrer Heldengeschlechter viele Jahrhunderte lang mündlich fortgetragen haben, so ging wohl auch bei den Deutschen das Gedächtniß ihrer Thaten länger mit, während sich jetzt das [649] Landvolk nur mehr an den Franzosenkrieg und an die Zeit der Schweden erinnert, und was zwischen diesen beiden und über den Schwedenkrieg hinaus liegt, in kimmerischer Finsterniß ruht. Wie im Gebiete des Rechts die Zerstörung des Volksthümlichen sich dadurch rächt, daß der Bauer keine Idee mehr hat von den Gesetzen, unter denen er lebt, und jedem Schreiber anheimgegeben ist, der ihn ausbeuten will, so zeigt sich auch in der Poesie die Verwüstung darin, daß der Bauer, nachdem seine reichen Schätze versunken, statt tiefer, deutscher Volkslieder die flachen Gesänge nachleiert, die ihm fahrende Harfenistinnen hinterlassen, während die Unkenntniß vaterländischer Geschichte wieder schädlich auf seine Vaterlandsliebe wirkt. – Und so war in der alten Zeit auch jedes wiederkehrende Ereigniß des Lebens, der Muth der Männer, das weise Walten der Frauen, die holde Anmuth der Mädchen mit höhern Dingen in Bezug gesetzt, dadurch gehoben und poetisch verklärt. So gab der Deutsche auch den Jahreszeiten göttliche Ehren und ihre Ankunft feierte er mit fröhlichen Festen. Durch viele andere Gebräuche dieser Art wurde das Jahr reich an bedeutsamen Vorgängen, mit deren Verkommen wir bestimmt eingebüßt haben. Dabei überall fröhliche Lieder und Tänze und eine freudige Erhebung. Der Gesang begleitete den Tanz und dieser erhielt dadurch eine eigene Würde und sank wohl viel seltener als jetzt zu jener Ausgelassenheit herab, die unsern Polizeileuten so viel zu schaffen macht.*)

Fassen wir diese Andeutungen zusammen, so erscheint uns die Geschichte des deutschen Bauers als eine durchaus tragische, wie die eines Hauses, das von der Höhe des Reichthums und des Ansehens zu Dürftigkeit und Verachtung herabgesunken. Einst war der freie Bauer so gut wie der Edelherr der Träger der geistigen Errungenschaft der Nation, er hatte dieselben Kenntnisse und Wissenschaften, dasselbe Recht; die deutsche Vorzeit hatte einen poetischen Schatz hinterlassen, in [650] welchen sich Ritter und Bauersmann brüderlich theilen konnten, und so stand jeder auf seinen eigenen Füßen.

Wenn wir nun von diesen Besprechungen, bei denen der Blick wohl auch über die tirolischen Gränzen hinausgeworfen werden konnte, wieder auf unser Alpenland zurückkommen, so finden wir freilich, daß derlei Gedanken, Meinungen und Ansichten in dortiger Praxis gar keinen Widerhall finden. Da ist alles, was außerhalb der Kirche liegt, von gar keinem Werth, und die Sinnigkeit des Volkslebens gilt für sündhaft. Vorerst ging man aus, den Baum des alten heidnischen Aberglaubens zu fällen und dazu schien auch die vollste Berechtigung gegeben. Man hört nämlich nirgends so viel von Aufklärung sprechen, als in Tirol, und man versteht darunter nicht etwa vernünftigen Unterricht, sondern die Vertilgung alles dessen, was dem Volk von alten harmlosen Glaubensstücken, Mähren und Ueberlieferungen geblieben ist. Im Ganzen darf man diese Verfolgung nicht zu streng beurtheilen, denn wir sind ja selbst erst neuerlich belehrt worden, welcher Schatz in diesen Dingen liege, und dürfen uns nicht verwundern, daß die Kunde davon noch nicht nach Tirol gedrungen. Ueberhaupt möchte nicht jeder zu überzeugen seyn, daß der archäologische Reiz des weltlichen Aberglaubens die Pflege desselben wünschenswerth mache, wenn es auch jetzt höchst nothwendig geworden, die Reste alle zur Aufbewahrung zu sammeln. Etwas ungünstiger stellt sich die Sache, wenn die Verfolgung auch gegen die Sagen gerichtet wird, und das ist leider der Fall. Die Aufklärung sieht auch in ihnen nur ein albernes Spielzeug, das dem Volke zur Unehre gereiche, und vermag die Bedeutung derselben nicht zu ahnen. Die historischen Sagen sind fast alle längst verklungen; eine Menge, welche neuere Bücher als noch lebend anführen, können nicht mehr erfragt werden und bei näherer Erkundigung ergibt sich, daß sie nur aus älteren Handschriften und gedruckten Werken zusammengesucht sind. Auch die Natursagen, die Erzählungen von den Berggeistern, den Norkelen, den Riesen und sofort ersterben mehr und mehr. Der Bauer hat den Glauben und [651] den Gefallen daran verloren, und was da einmal vergessen und verschollen, das ist nie mehr zurückzuführen.

Sitten und Gebräuche anlangend, so wurde und wird auch da mehr und mehr alles Eigenthümliche weggekehrt, in manchen Fällen mit gefälliger Hülfeleistung der weltlichen Be­hörde, die nicht überall Unrecht daran that und thut, denn das alte Roblerwesen zum Beispiel und das Widderstoßen auf jener Au im Zillerthale wird für unsre Zeit kaum mehr haltbar erscheinen dürfen. Aber auch gegen andre, zum Theil bedeutsamere, jedenfalls unschädliche Gebräuche ist gewirkt worden, wie gegen das an der heidnischen Frau Berchte hän­gende Berchtenlaufen, das zu Lienz im Pusterthale noch bis auf unsre Zeiten in Uebung war, gegen andre alte Gebräuche in dieser Gegend, gegen das Schemenlaufen im Oberinnthale, gegen eine lange Reihe anderer, die wir hier nicht aufführen wollen. Das tirolische Volksleben hatte sich ungemein vieles von diesen Alterthümern erhalten, was jetzt noch zu erfragen ist und mit Eifer erforscht werden darf, ehe es ganz vergessen wird. Das Volk hat nicht immer gerne nachgegeben; man hört noch manchmal klagen über den Abgang dieser oder jener fröhlichen Sitte mit dem immer wiederkehrenden Refrain: Es heißt halt a nicht mehr. Es ist zwar zu bedauern, zumal gerade jetzt, wo das Verständniß aufgegangen, daß so vieles Werthvolle mit Gewalt ausgerottet wurde, aber man kann auch zugeben, daß das Wenigste davon noch eine lange Dauer versprach. Es ist unmöglich, selbst ein Alpenvolk, zu gelehr­ten Zwecken vor allem Eindringen neuerer Anschauungen abzusperren, und selbst die sorgsamste, liebreichste Pflege würde es bei seinen alten Mähren und Sagen, bei allen ehrwürdi­gen, anziehenden, aufschlußreichen Sitten und Gebräuchen nicht zu erhalten vermögen. Die stolze Eiche des alten Heidenthums ist erstorben und ihre letzten Blätter säuseln wehmüthig von den Zweigen herab. „Der Hochmuth der Prosa“ ist auch ins Volk gedrungen und seine Ueberlieferungen sind ihm so ziem­lich verleidet. Das geht zunächst die Sagen und Mährchen an; in Betreff erheblicher, eigenthümlicher Volkssitten ist aber auch die ganze Gesammtheit zurückgegangen und spröde geworden. [652] Aehnliches wird sich nicht wieder machen lassen, wie 1401, da Herzog Stephan zu München und seine Gemahlin und die Fräu­lein auf dem Markte tanzten mit den Bürgerinnen bei dem Sunnwendfeuer, oder wie l497, da zu Augsburg vor Kaiser Maximilian die schöne Susanna Neidhart das Johannisfeuer mit einer Fackel anzündete und den ersten Reigen um die Flamme that an der Hand Philipp des Schönen. Wenn da ehemals die Fürsten mit dabei waren, so läßt sich wohl denken, daß sich auch die Herren und die Bürger solcher Mitwirkung nicht zu schämen brauchten. Jetzt aber haben sich die „anständigen“ Leute schon lange von allen solchen öffentlichen Vorstellungen zurückgezogen, und so ist zuletzt die Bewahrung dieser Alterthümer dem un­tersten Volke zugefallen, was allerdings ihr letztes Stadium scheint. Immerhin wird den tirolischen Volkserziehern der Tadel bleiben, daß sie aus der Physiognomie des Landes viele schöne Züge weggestrichen haben, die sie ruhig von selbst er­löschen lassen durften.

Aber das Wesen geht noch viel weiter. Der baürische Mustermensch, wie man ihn hier heranbilden will, soll nämlich von allem Irdischem abgewendet, aller Lebensfreude entwöhnt und gelehrt werden, ganz und ausschließlich im Gebet und in der Erbauung seine Erholung zu suchen. Der „lustige Tirolersbue“ fängt an eine Fabel zu werden. Man predigt im ganzen Lande gegen das Sündhafte weltlicher Freuden, deren vorübergehender Reiz mit langen Jahren im Fegfeuer, mit höllischen Flammen und unter den Martern der Teufel abgebüßt werden müsse. So geht man denn feindlich auf alles los, was dem trübseligen Einerlei des Alltagslebens noch einigen Schmuck verleihen kann. Man verbietet der Jugend des Landes, sich an der süßen Wehmuth der Zither zu erfreuen, man sagt dem Bauern, seine Lieder, selbst die unschuldigsten, seyen dem Seelenheile gefährlich, man hat fast überall im Lande den Tanz verboten. Wenn der redliche Weizenegger sich noch im Alter an die ehemali­gen Tänze der vorarlbergischen Jugend mit Freuden erinnerte, so prahlt jetzt mancher Pfarrer in Tirol, daß man in seinem Sprengel außer der Kirche das ganze Jahr hindurch keine Geige höre. Selbst bei den Hochzeiten hat eine lautlose Völlerei die heitre [653] Fröhlichkeit von ehemals verdrängt. So wird das alte, frische, saftige Leben, Kraft, Regsamkeit und freudiges Selbstgefühl zum größten Theile dahingehen, um stumpfer Ruhe und ge­dankenloser Abspannung die Stelle zu überlassen.

Wenn nun aus diesem puritanischen Treiben gleichwohl das Streben hervorträte, den Landmann durch Unterricht und intellectuelle Erziehung zu erheben und so mit der Ascese auch eine, wenn noch so geringe geistige Bildung zu verbinden, so würde sich das mancher noch gefallen lassen, allein man hat sich auch diesen Zuschuß nicht vorbehalten. Es gibt zwar sehr viele Landschulen in Tirol und sie steigen von der Ebene hinan fast bis ans Eis der Ferner, aber man lernt nichts dar­innen, oder wenigstens die Erziehung nach der Schule ist so beschaffen, daß alles Gelernte wieder vergessen werden muß. Ma sieht’s nicht gerne, wenn der Bauer liest, außer in einem vergilbten Gebetbuche oder in neuvertheilten Andachtsblättchen, und es findet sich daher auch selten Andres vor, als etwa eine alte ungenießbare Hausscharteke. Sonstigen Bildungsmitteln wird der Eingang sehr erschwert, und man hat an einigen Orten sogar die Schriften des Verfassers der Ostereier verboten. Die früher geschilderte „Aufklärung“ gilt als Inbegriff der Volksbildung, „Meine Kinder können mir auch nicht helfen, klagte einmal ein Passeyrer Kraksenträger, Katechismus und Gebetlein wissen sie wohl prächtig herzusagen, aber wenn sie mir einen Brief schreiben oder eine Rechnung machen sollen, sind sie’s nicht im Stande.“

Zither und Tanz werden freilich die Lücke allein nicht ausfüllen, aber darum müßte die alte Wissenschaft des Volkes wie­der in ihre Heimath zurückgeleitet werden. An Verbreitung gu­ter Volkschriften denken hier die wenigsten, und doch würde ein populäres Buch etwa über tirolische Geschichte vielleicht mehr Segen stiften als die fünfundzwanzigste Auflage von Pater Kochems Höllenbildern oder ein neurevidirter Himmelschlüssel. Auf dem Wege auf dem die höhern Stände gebildet worden sind, auf demselben werden sie, in Tirol wie im übrigen Deutschland, auch das Volk zu bilden haben. Nur so wird [654] wieder ein achtbarer Bauernstand entstehen, der in den Geschicken seines Vaterlandes mitzählt, und nur in dieser Her­anziehung liegt das Geheimniß, den Landmann mit der Idee zu versöhnen, daß es auch einen Städter, einen Herrn geben darf, und jene Drohungen unschädlich zu machen, die man in Tirol vielleicht öfter hören mag als anderswo.

Fragt man nun aber, was bleibt dem Bauern, nachdem man ihm seine Sagen und Mährchen, seine Lieder, seine Musik und seinen Tanz, seine Feste und seine Freuden, seine Rechte und seine Freiheiten, seine politische Wirksamkeit genommen, während man seinen Anlagen die Entwicklung, seinem Geiste alle Anregung versagt, so lautet die Antwort: die Religion. Da ist nun freilich alles schön bestellt, an allen Hälsen hän­gen Amulette, auf allen Pfaden schallt es: Gelobt sey Jesus Christus, auf allen Straßen ziehen betende Wallfahrer und glanzreiche Processionen, auf jeder Flur steht ein Feldkreuz, auf jedem Bühel eine Capelle – überall schöne Kirchen, deren Glocken erbauend durch das Land hallen, Gotteshäuser voll bußfertigen Volkes, überall Klöster und Stifter, überall Weltpriester und Mönche, überall Andachten, Litaneien und Ge­bete, von Zeit zu Zeit auch eine „Heilige,“ durch die der Himmel dem Lande sein Wohlgefallen erzeigt. Wenn gleich­wohl der Landmann immer mehr verdumpft, verdorrt und austrocknet, wenn er von ferne nicht das ist, was er seyn sollte, so kommt man unfreiwillig zu der Ansicht, daß sich ein Volksleben, daß sich Bildung und Entwicklung durch den Kirchendienst, durch Andacht und Frömmigkeit allein nicht er­setzen lassen.

Das ist nun allerdings auch die Meinung der Einsichtigen in Tirol, allein sie hat natürlich wenig Freiheit sich zu äußern. Daß es auch viele gibt, die andrer Ansicht sind, geht indessen daraus hervor, daß man zu größerer Befestigung des schon Errungenen noch ein neues Werkzeug willig aufnahm, nämlich die „Missionen“ – dasselbe Beförderungs­mittel der Frömmigkeit, vor dem in Bayern selbst ein Erzbischof gewarnt hat, während es Hochwürden Duile, der ehemalige [655] Decan zu Innsbruck, jetzige Domherr zu Brixen, zu preisen und öffentlich zu empfehlen nicht müde wird. Es sind die Redemptoristen, denen man die Wiederaufnahme dieser alten je­suitischen Erfindung verdankt. Der Verlauf der Unternehmung aber ist ungefähr folgender:

Wenn ein Pfarrer sich bewogen gefunden hat eine Mission zu erbitten, so ergeht die Verkündigung, und alles Volk richtet sich ein, acht oder vierzehn Tage zu feiern. Die Wirthe, welche große Gönner der Missionen sind, und etliche Andächtige der Gemeinde schießen einen Zehrpfennig zusammen und überneh­men die unentgeltliche Verpflegung der geistlichen Gäste. Sind dann diese mit festlichem Gepränge empfangen, so beginnen die Uebungen, theils in der Kirche, theils auch außerhalb, wobei von einer rothausgeschlagenen Bühne herab gepredigt wird. Den Anfang bilden die Standespredigten nach vier Abtheilungen, nämlich für Junggesellen, Jungfrauen, Ehemänner und Wei­ber. Es fehlt dabei für die ledigen Leute nicht an ausführ­licher Schilderung der Gefahren der Keuschheit, und mit den verheiratheten werden weitläufig die Geheimnisse des Ehe­bunds besprochen. Alles Volk das herbeigekommen, legt nun auch die Beichte ab. In dieser werden die Bußfertigen sehr eindringlich geprüft, mit unermüdlichem Eifer, aber ungemein wenig Menschenkenntniß. Da soll die innerste Falte des Her­zens sich öffnen, und deßwegen wird insbesondre die Jugend oft nach Lastern gefragt, von denen sie sich vorher nichts träumen ließ. Folgt dann in schwarzbehängter Kirche die Buß­predigt im Großen, der Kern des Ganzen. Dazu wird gerne ein wohlgestalter junger Priester gewählt, der mit süßer Tenorstimme einzudringen weiß in die Seelen des schwachen Geschlechts, denn diesem steht die Initiative der Empfindung zu. Er ergeht sich zuerst über die Erbsünde, die Verdorben­heit der menschlichen Natur und über die Nothwendigkeit der Entsündigung durch Buße. Dann schlägt er ein öffentliches Bekenntniß der Sünden vor, und da diese Idee zunächst keinen Anklang findet, so beginnt er mit öffentlicher Selbstanklage. Er sey selbst ein unwürdiger Priester, selbst voll Sünden und voll Laster, sey nicht werth hier oben zu stehen und die priesterlichen [656] Gewänder zu tragen. Unter sprühender Declamation und kunstreichem Gebärdenspiel zieht er dann nach einander Stola, Manipel und alles, was er erübrigen kann, von seinem Leibe und wirft es unter das Volk. Dann steigt er selbst gedemüthigt, vernichtet und mit thränenschwerem Auge von der Kanzel. Der Effect dieses Stückes ist ungeheuer, ob­gleich es ganz genau in derselben Art und Weise bei jeder Mission wiederkehrt und mancher der Zuhörer sich den jungen Zeloten nicht allein auf der Kanzel vergegenwärtigen dürfte, sondern auch in seiner Stube, wie er die Rolle memorirt und vor dem Spiegel die Mimik einstudirt. „Warum ist er denn hinaufgestiegen, fragte ein Bauer seinen Nachbar, wenn er vorher wußte, daß er nicht würdig ist.“ „Sey still, ant­wortete der Andre, das gehört ja zum G’spiel.“

Durch jene Demüthigung hat indessen der Redner sich das Recht erworben, eine gleiche auch von den Zuhörern zu fordern. Das bisher Erzählte war nur das Vorspiel, um die Anwesenden mit Gewalt als selbsthandelnde Personen in dieß religiöse Schauerdrama hereinzuziehen. Er besteigt die Kanzel wieder und mahnt das Volk, sich auf die Knie zu werfen. Die im Vordergrunde stehenden Geistlichen thun dieß, die näch­sten aus dem Volke folgen, und bald liegen alle, oft mehrere tausend Menschen auf dem Boden. In diesem Augenblick läßt sich zuweilen vom Chore herab ein Bußgesang hören, um das Kommende vorzubereiten. Nun ergeht neuerdings die Aufforderung zur lauten Selbstanklage und zu diesem Ende beginnt der Prediger Fragestücke vorzulegen. Da anfangs nur Einzelne mit gepreßter Stimme antworten, so wird die Frage wiederholt und das Volk angeeifert, lauter zu sprechen. Die Antworten werden nunmehr lauter und allgemeiner unter Weinen und Schluchzen. Weinen und Schluchzen mehrt sich und geht in andauerndes Wimmern über. Der Prediger wird immer heißer, flammender, donnernder, die eingestreu­ten Bilder aus der Hölle werden immer schauderhafter, der Eindruck immer dämonischer. Durch das Gewimmer brechen einzelne Schreie und schrillendes Geheul. Sofort allgemeines Geschrei und Geheul des Entsetzens. Der Priester, der mit [657] einem Crucifix oder mit einem Todtenkopfe agirt, beginnt in die­sem Stadium die Beschwichtigung des Sturmes, und das Trauer­spiel endet mit einer Art allgemeinen Tugendgelübdes, mit der Abschwörung aller Weltfreude und dem Versprechen eines streng ascetischen Lebens. Am andern Tage ist großes Abendmahl, wozu die Junggesellen unter schallender Musik im Schützengewande aufziehen. Die Jungfrauen tragen Blumenkränze; die Gefallenen erscheinen ohne diese Zier und in dunkeln Kleidern.

Was die Folgen dieser Missionen betrifft, so sind be­reits mehrere der Zuhörer wahnsinnig geworden und das hat selbst hohen Gönnern den Gefallen an dem frommen Werke etwas verdorben. Auch von Selbstmord als Ergebniß innerer Verzweiflung wird gesprochen. Bei einigen zeigten sich die Missionen bloß als eine nutzlose Quälerei; die meisten wurden zwar nicht besser, aber finster, trübselig, zerfallen und hatten lange zu thun, das Uebel wieder aus den Gliedern zu brin­gen. Auch wollten manche Seelsorger finden, daß viele, die von diesem wälschen, dem deutschen nüchternen Volkscharakter widerstrebenden Reizmittel gekostet, durch den ruhig würdigen Vortrag des göttlichen Wortes sich nicht mehr befriedigt fühl­ten. Etliche ältere Bauern, die den höllischen Schwefelgestank nicht mehr los werden konnten, haben sich mit neuer Liebe dem calmirenden Säuferhandwerk zugewendet. Allem nach scheinen diese Missionen folgerecht fortgesetzt das beste Mittel, um den Bauern gemüthlich vollständig auszuzehren und ihm den letzten gesunden Tropfen Blutes abzuzapfen, auch oft den letzten Groschen Geldes, der nach Wälschland wandert zu Messen, die in Deutschand nicht mehr gelesen werden können.*)

Diese Weise der Bauernerziehung ist bekanntlich auch für Altbayern empfohlen worden. Wenn man bedenkt, wie der Bauer des altbayrischen Flachlandes im Laufe der Zeiten noch weiter zurückgekommen, als der des Hochlandes, wie er bei schwerfälligerem Geiste viel weniger gegen verdumpfende Einflüsse [658] reagirt als der Landmann im Gebirge, so wird man gestehen müssen, daß solche Art von Pädagogik im lieben Bayerlande alle Aussicht hat, wo möglich noch verderblicher zu wirken als anderswo. Ist der Bauer ja so schon nur mehr ein armes, ödes Menschenbild, das in die Kirche geht und Steuern bezahlt, und nicht zu verwundern, wenn er ein­geschüchtert und zaghaft in politischen Dingen zu nichts mehr brauchbar ist, als Adressen zu unterschreiben, von denen er nichts versteht.

Gehen wir nun von dem tirolischen Bauern zu den Bür­gern über. Dieser Stand ist in Tirol nicht sehr zahlreich ge­worden, da das Städteleben überhaupt nie zu großer Bedeu­tung kam. Der Gewerbsmann – hier zu Lande Handierer genannt – ist selten wohlhabend, bringt sich ehrlich fort, und befleißt sich einer großen Bescheidenheit gegen den Herrn sowohl als gegen den Bauern, der ihm zu arbeiten gibt. Der höhere Bürgerstand, zumal in Bozen und Innsbruck, fällt un­ter die Gattung der „Herren,“ von denen wir alsbald sprechen werden.*)

Eine erhebliche Mittelstufe zwischen dem Bauern und dem Bürger bilden die Dorfwirthe. Nicht selten sind dieselben wohlhabend, durch den Verkehr geschliffen, unternehmend, in weltlichen Dingen die Sprecher in der Gemeinde. Ihre Be­deutsamkeit trat zumal im Jahre Neun an den Tag, und ist daher auch von Freiherrn von Hormayr ihres Orts gehörig hervorgehoben worden.

Da der Bürgerstand in Tirol so wenig zu bedeuten hat, so mag man sagen, daß da außer dem Landvolk, mit dem der niedere Clerus gleichsam zusammengewachsen ist, nur mehr ein zweites, dem ersten eher entgegen als neben angestelltes Element zu finden sey, nämlich die „Herren.“ Darunter begreift sich, den Handierer abgerechnet, alles, was nicht Bauer ist, also Adel, Beamtenthum, der herrisch sich gebärdende Großbürger und die Gesammtheit der Geldleute. Auch schließen [659] sich diesem Stande wenigstens äußerlich die geistlichen Würdenträger und der Stadtclerus an.

Diese Theilung des Volkes in zwei Hälften geht in ferne Jahrhunderte zurück. So weit man die Geschichte erforschen kann, haben sie sich zu keiner Zeit mit überlästiger Zuneigung behelligt, vielmehr oft mit dem Schwerte, oft in unblutigem Hader die streitenden Belange so kräftig geltend gemacht, als es nur die Umstände erlaubten.

Der Tiroler Adel ist zum größten Theile deutschen Ur­sprungs, und selbst solche Geschlechter in Wälschtirol, die sich mit römischen Tribunen und Senatoren als Ahnherrn brüsten, möchten die Quelle ihres Blutes wohl viel sicherer in irgend einem longobardischen Recken suchen als unter den alten Quiriten. Die eigentliche Zeit des Burgenbaues mag die der fränkischen Gaugrafen gewesen seyn. Damals waren die Eingewanderten­ bereits heimisch genug, um an feste Ansitze zu denken, und aus ihren Thürmen heraus begannen sie bald ihre Landsleute zur Ueberzeugung zu bringen, wer die Macht habe, sey auch im Rechte. So erstanden die Vesten immer dichter neben einander, bis im zwölften Jahrhundert jenes Kämpfen und Ringen der einzelnen Gaugrafengeschlechter und der hohen Pfaffheit begann, das mit dem Fall der Herzogs­macht, mit dem Untergang der Eppaner und der Bändigung der kleineren Gesellen endigte, sofort auch dem Conglomerat von Besitzthümern an Etsch und Inn die Tiroler Grafen als Oberherren und Taufpathen zurückließ. Von da an Zeiten des Streitens und Gehorchens, des Steigens und Fallens im Adel. Es erheben sich einzelne Geschlechter durch Gunst und Macht; die ganze Kaste eint sich im Adelsgericht zu Bozen; auf allen Landtagen spielt sie mit Nachdruck ihre Rolle. Rechte und Uebergriffe der Dynasten sind ebenso nachweisbar als anderswo, wie sich denn in der Gegend von Imst noch Leibeigenschaft bis ins sechzehnte Jahrhundert erhalten hat. Eine neue Höhe seiner Macht erreichte der Adel unter König Heinrich, der sich vergeblich mühte in den Städten einen Bürger­stand wie den der Reichsstädte heranzuziehen. Jener Zustand erhielt sich auch unter seiner Tochter Margareth. In ihren [660] letzten Tagen regierten die „Landherren“ allein und schenken sich, freilich nur auf kurze Zeit, viel schönes Besitzthum. Sie fanden für zweckmäßig, die Habsburger, unten an der Donau wohnhaft, zu Landesfürsten zu erküren, dieweil sie diesen weniger als den nahen Herzogen zu Bayern die Macht zutrauten, ihnen über den Kopf zu wachsen. Aber schon Rudolf zeigte deutlich, wo er sie hingestellt wissen wolle, und seine Nachfolger ließen nicht von seinem Gedanken. Da rafften sie sich zuletzt alle auf, die Landherren mit ihren Dienstmannen, erinnerten sich, wie der Graf von Tirol einst ihres Gleichen gewesen und meinten, sie wären am besten des Rei­ches. Daher der letzte Kampf der Ritterbünde gegen Herzog Friedl, ausgehend in die große Katastrophe der Rottenburger, der Starkenberger, der Wolkensteiner. Die Bauern hatten sich fürsichtig genug dem Fürsten zur Hülfe geboten und unter den Schlägen des Landvolkes und des demokratischen Fürsten und Agitators brach die Bedeutung des Adels zugleich mit seinen Burgen. Die Oligarchie ging unter in der Monarchie. Mit dem Ende des vierzehnten Jahrhunderts und im fünfzehnten erloschen viele alte Namen, und viele Schlösser wurden zu Ruinen. Mit Max I beginnt eine Einwanderung neuer Geschlechter, denen schon früher einzelne Vorläufer unter dem Brandenburger und den Habsburgern den Weg gezeigt. Es erwuchs der Landsknecht- und Schreiberadel; geritterte Söldner­führer und Gelehrte ließen sich im schönen Etschlande nieder, und neben ihnen erhaschten die Gewerksleute an den neugefundenen Gruben, die Geldmacher, alsbald Titel und Wappen. Der Reformation waren die Herren keineswegs abgeneigt; als diese aber in den Bauernkriegen auch ihnen feindselig ent­gegenzutreten schien, wendeten sie sich wieder liebevoller dem alten Glauben zu. Sie wußten dazumal die Abschaffung des berühmten, den Bauern günstigen Landlibells von 1525 zu veranlassen und wurden von nun an eifrige Hofdiener, bemüht nach Aemtern und Diensten aller Art. Um diese Zeit be­ginnt die Luxusperiode des Tiroler Adels, die etwa bis zum Tode des letzten Landesfürsten, bis zum Jahre 1665 dauerte. Dieß ist die Zeit der „Ansitze“ und der „Prädicate,“ jener [661] wohlklingenden Beinamen von alten Burgen und neuen Schlössern. Nach diesem hören allmählich die einträglichen Dienste auf, dagegen wird der Briefadel zahlreich und die Matrikel füllt sich unglaublich. Jetzt werden auch die Freiherren und die Grafen gemacht, deren früher sehr wenige waren. Mit der Masse wächst aber der Verfall. Man hat sich all­seitig erschöpft, unter anderm auch sehr stark in geistiger Be­ziehung. Allmählich trat die Verarmung ein und das Herabkommen. Eine Menge kleinen Adels flüchtet sich in die Städte und nagt an den Schnüren der Wappenbriefe, bleibt aber dabei herrisch und sich vordrängend wie früher. Bis zum Ende des vorigen Jahrhunderts war es diesem Stande wirklich gelungen, eine Stellung zu gewinnen, so unbeliebt als je, worüber man das schon öfter gedruckte Promemoria der Landeckerbauern vom Jahre 1801 nachlesen mag. Im Kriege von 1809 beobachtete der Adel mit wenigen Ausnah­men eine standesgemäße Neutralität, immer mehr von den Bauern fürchtend, als von den Bayern. Seit der Säculari­sation war indessen auch der zahlreiche Bischofsadel in die Matrikel gekommen und die vielen tridentischen Conti di Nonanta, die ihre Titel 1790 während des Reichsvicariats hatten improvisiren lassen, verwandelten sich größtentheils in öster­reichische Cavalieri. Somit mag man wohl nirgends einen zahlreichern Kleinadel finden, als heute in Tirol. Alte Familien von Bedeutung, denen es nicht an Macht, das heißt an Geld fehlt, das Prästigium aufrecht zu erhalten, sind in­dessen wohl kein Duzend, und auch von diesen wenigen fällt die Mehrzahl auf Wälschtirol. Die übrigen benützen ihre Titel als Empfehlungen zu Beamten- und Officierstellen und zur hie und da sehr nöthigen Ritterhülfe (Unterstützung aus dem Matrikelfonde). Auch die Landtagsplätze sind ersehnte Sinecuren. Viele sitzen auf dem verbliebenen Väterboden und treiben gemüthlich ein herrisches Bauernthum, ohne große An­sprüche an das Leben, zufrieden, daß sie einst begraben werden mit dreizehn Geistlichen und ihren Wappen an der Bahre. So wenig die Glieder dieses Kleinadels zu blenden vermögen, weder durch Ansehen oder durch Vermögen, noch durch den [662] Glanz historischer Erinnerungen, so sind sie doch, einfach als tirolische Landeskinder betrachtet, aller Ehren werth. Sie leben still und fein, enthalten sich alles Hochmuths, thun mit mäßigen Opfern manches fürs allgemeine Beste, machen neue Versuche in der Landwirthschaft und treiben mitunter vaterländische Studien, zumal Geschichte. Ihre Zugänglich­keit, ihr artiges Wesen, ihre Gastfreundschaft wird auch der Fremde oft Gelegenheit haben, angenehm zu empfinden. Man spricht den Edelmann wie den Herrn im allgemeinen mit „Gnä­diger“ an und seine Gattin heißt die „Gnädige.“

Unter dem Herrenstande im weitern Sinne findet man denn auch die „Gebildeten“ in Tirol, die literarisch Streb­samen, die Gelehrten und Schriftsteller. Die wissenschaftliche Bewegung dieses Landes ist während der letzten Jahre oft genug in deutschen Zeitschriften besprochen worden und mag dahier, wo es uns zum Schlusse drängt, mit kurzer Berührung zufrieden seyn. Der Eifer für vaterländische Geschichte ist sehr groß und wird vom Grafen Landesgouverneur mit Nachdruck unterstützt. Die ferdinandeische Zeitschrift bringt von Jahr zu Jahr anziehende Monographien über Natur und Volk von Tirol. Professor Albert Jäger hat sich jetzt, nachdem er den Krieg von 1703 so rühmlich beschrieben, der Geschichte Herzog Sigmunds des Münzreichen zugewendet. An seinen Schriften sieht man auch mit Vergnügen, daß selbst die Wiener Censur einsichtiger geworden und nicht mehr des Glaubens ist, durch ihre Thaten die Geschichte beherrschen zu können. Unter den jüngern Dichtern hat insbesondre Hermann von Gilm durch seine gedankenreichen Sonette und eigenthümliche Lyrik sich Anerkennung errungen, obgleich noch nichts davon gedruckt ist. Wenn man, ohne indiscret zu seyn, von der Stimmung der tirolischen Gebildeten sprechen darf, so ist sie so ziemlich die­selbe, wie in den andern deutschen Ländern der Monarchie. Es gilt die Ansicht, daß man dem Systeme entwachsen und daß die Regierung am besten thäte, sich mit der Intelligenz der Zeit aufrichtig zu verständigen. Man erkennt die Unzu­länglichkeit der Unterrichtsanstalten, den bedauernswerthen Zu­stand der Presse, den Mangel an öffentlichem Leben. Man [663] beklagt, daß so vielen Talenten zu Kunst und Wissenschaft, die der tirolische Boden erzeugt, doch nicht die rechte Lebenslust vergönnt sey; daß es bei der bestehenden Einschnürung so un­endlich schwierig, einen Wuchs zu erreichen, der über die Mittelmäßigkeit hinausgeht; man erkennt mit Bedauern an, daß die wenigen Tiroler, die einen Namen in Deutschland erworben, ihn nicht auf vaterländischer Erde gewinnen konnten. Man belächelt die vielen Austriacismen, die noch als politisches Rococo in unsre Zeit hereinhängen, die zappelnde Aengstlichkeit vor der Verbreitung neuer Ideen, die trotz des Cor­dons jetzt in alle österreichischen Länder eingedrungen sind, die „unaufsichtliche Aufsicht,“ die über alle Regungen des öffent­lichen Geistes verhängt ist. Alles, was da von Wien aus eine Aenderung verspricht – und in neuerer Zeit hat es anerkanntermaßen nicht an Fortschritten gefehlt, – wird mit größter Befriedigung aufgenommen. Die Verhandlungen des jüngsten Landtags in Bayern, als dem nächsten Nachbarlande, sollen manche Vergleichungen herbeigeführt haben, die den alten Freiheiten nicht sehr günstig lauteten. Von dem Werthe der Ueberwucherung kirchlichen Lebens hat man aber in diesen zur nächsten Beobachtung geeigneten Kreisen so mäßige Schä­tzung, daß man die Versuche, Bayern in dieser Beziehung zu tirolisiren, nicht zu würdigen weiß. An den Vorgängen im großen germanischen Vaterlande nimmt man von Jahr zu Jahr lebhafteren Antheil, obwohl es herkömmlich ist: da draußen in Deutschland – zu sagen.

So gleicht denn Tirol sowohl für den deutschen Gast als für den einheimischen Landesfreund, der an eine Zukunft glaubt, einer großen Halle, von alten Zeiten her geschmückt mit Inseln und Krummstäben, mit Helmen und Wappen, mit schmucken Stadtbannern und insbesondere mit trophäenartig aufgerichteten Dreschflegeln und Heugabeln, Morgensternen und Büchsen, zwischen denen eroberte Fahnen prangen, – einer schönen, prunkenden, mit historischen Erbstücken reich gezierten Halle, in welcher viele denkwürdige Haupt- und Staats­actionen vorgegangen, aber es ist zu lange kein Fenster mehr geöffnet, keine frische Luft mehr hereingelassen worden, und [664] darum ist die Atmosphäre etwas dumpf und sticklich. Man sieht darin auch so ähnliche Gestalten, wie den Barbarossa im Kyffhäuser, gute, ehrliche, mitunter auch kräftige, edle, deutsche Häupter, die da in langen ständischen Reihen ruhig sitzen und schlafen, die Ritter, die Bürger, die Bauern, nicht ohne manchen guten Traum, der einmal in Erfüllung gehen kann, – während auf der Prälatenbank alles gleichsam wach ist und sich über den süßen Schlummer der Landsleute freut und eine leise, summende, wiegenliedartige Litanei über sie ergehen läßt.

Nun kommt aber vielleicht auch einmal der Tag, wo die Fenster, zumal jene gegen Deutschland hin wieder aufgethan werden, und ein frischer, angenehmer Luftzug wird wieder durch den Saal gehen und es wird wieder verschiedenes Leben geben in der alten großen Bergeshalle. Die alten Helme werden wieder neu erglänzen und die alten Wappen erblühen in frischen Farben und die Stadtbanner wieder lustig wehen in dem Saal. Auch den Inseln und den Krummstäben wird der Wohlgesinnte eine fröhliche Motion im neuen Luftzuge nicht verübeln, wenn sie auch die Dreschflegel und Heugabeln sich etwas rühren und schütteln lassen wollen. Dann aber, wenn das Belebende des frischen Nordwinds verspürt ist, dann werden auch die biderben Schlummerer erwachen und zuletzt wohl alle zusammen treten, die Geistlichkeit, die Herren, die Bürger und die Bauern, und sich freudig die Hand reichen und sich gestehen, daß das Zurückbleiben und das Hinterlegen des Geistes ins abgestorbene Herbarium, so gut es auch jeweils einem oder dem andern Stande thun möchte, gleichwohl der Gesammtheit nicht recht zuträglich und für diese nichts besser und heilsamer sey als Be­wegung, Vorwärtsstreben, Weiterkommen. Und der Kaiser, der schon lange merkt, daß es mit der mechanischen Drillung und dem chiliastischen Schlafe seiner Landeskinder doch nicht mehr gehen will, der wird milde seinen Segen dazu geben. Dann wird sich auch die wehmüthige Devise: Es heißt halt a nicht mehr – in den ermunternden Wahlspruch ändern: Es geht jetzt alm besser.

Appendix A Verbesserungen.



  • Seite 295 Zeile 17 von unten statt: Passerkirche lies: Passerbrücke.
  • Seite 299 Zeile 7 von unten statt: haldenreiche lies: heldenreiche.
  • Seite 317 Zeile 13 von unten statt: Deutschen lies: deutschen.
  • Seite 365 Zeile 7 von unten statt: Sommerlust lies: Sommerluft.
  • Seite 389 Zeile 14 von unten statt: zumal lies: und.
  • Seite 433 Zeile 9 von unten statt: faßen lies: sitzen.

In der Note Seite 439 ist statt chez (causa) zu lesen: chez (casa), statt prsechentà (in der Anekdote) preschentà; statt euer (im Stationsgebete) cuer. Auf Seite 457 wäre statt dschang und dschong besser zu lesen: tschang und tschong.

In dem Gedichte auf Seite 446 ist statt koyet – zu lesen knyet statt wey – weyss.

  • Seite 498 Zeile 6 von oben statt: Klaesel lies: Klausel.
  • Seite 540 Zeile 2 von unten statt: gebildete lies: gekleidete.
  • Seite 619 Zeile 14 von oben statt: erschienen lies: erscheinen.

An falschgedruckten Namen finden sich Seite 33 Fornanin statt Formarin; Seite 41 Jakob Stütz statt Jodek Stütz; Seite 352 Johann Raffl statt Joseph Raffl; Seite 407 Manntng statt Mamming; Seite 465 Plains statt Plaies.

Zu Seite 198 und 415 kann noch bemerkt werden, daß nach der neuesten Zählung 3450 Grödner befunden wurden.

Da das Buch ein Jahr unter der Presse war, so ist in den frühern Abschnitten statt heuriges, voriges Jahr zu verstehen: voriges, vorletztes Jahr.

Andere kleinere Verstöße werden wie gewöhnlich der Nachsicht des Lesers empfohlen.

Notes
*)
Lauwene ist das alemanische Wort, Lahne sagen die Tiroler. Auch Lavine ist ursprünglich deutsch (Albert Schott, die deutschen Colonien in Piemont S. 313 und Schmeller bayerisches Wörterbuch 2. 406) und wäre demnach Làwine zu sprechen oder wohl auch Lauène zu schreiben, da es von lau herkommt.
*)
Fugen ist nach Schmeller das schwäbische Wort für Stubet gehen, was im Fichtelgebirg schnurren, in Kärnthen brenteln, in den Vogesen schwammen heißt.
*)
Wie auf dem Dosenberge in Hessen. S. Grimms deutsche Mythologie. 2te Ausgabe, 428.
*)
Haxe, besser Hachse, althochdeutsch hahsa, poples, Fuß überhaupt, ist ein classisches oberdeutsches Wort. Da man jetzt „einsehen gelernt, daß für unsere hochdeutsche Schrift und Umgangssprache, die in ihrer künstlichen Ausbildung und Verfeinerung die ursprüngliche Zeugungskraft fast gänzlich eingebüßt hat, in den Mundarten eine unerschöpfliche Quelle der Bereicherung und Wiederbelebung fließe," so sind in diesem Buche mehrere einschlägige Wörter zeitgemäß wieder hervorgezogen worden, weßhalb man sich im vorhinein alles Halloh über Provincialismen verbittet.
*)
Allgemeine Zeitg. vom 29 Dec. 1843 in der Beilage.
*)
Bei Schott ſ. Vgl. die deutschen Colonien in Piemont S. 158 und 177 ff. mit Bergmann: Untersuchungen über die freien Walliser S. 87. Auch das innerwalserische Meike, Mädchen, stimmt ganz zu dem sylvischen Meidje (Matge).
**)
Schott a. a. O. S. 194.
*)
Im CV. bis CVIII. Bande unter dem Titel: Untersuchungen über die freien Walliser oder Walser in Graubünden und Vorarlberg. Daraus besonders abgedruckt: Wien, bei Karl Gerold, 1844 – aber nicht im Buchhandel.
*)
Mitgetheilt von Ulysses von Salis in den Fragmenten der Staatsgeschichte Veltelins 4. 54.
*)
Untersuchungen über die freien Walliser S. 55.
**)
A. Z. a. a. O.
*)
Vergl. übrigens Bergmann a. a. O. S. 63.
*)
Grimms deutsche Mythologie. Zweite Ausgabe. S. 474.
*)
Prederis aus Pra de rives, Bachwiese. Nebenbei gesagt ist das oben erwähnte Walduna gewiß nicht, wie überall angegeben, aus vallis dominarum verdorben, da es schon im Jahrhundert seiner Stiftung Valduna heißt. Der Name ist wohl rhätischen Ursprungs.
*)
Daß diese Jahrzahl falsch sey, versteht sich von selbst.
*)
S. geognostisch-botanische Bemerkungen auf einer Reise durch Oetzthal und Schnals von Dr. Michael Stotter u. Ludw. Ritter v. Heufler. N. Zeitschrift des Ferdinandeums. 6. Bändchen. 1840. Dort ist auch S. 127 ff. die Literatur über das Oetzthal aufgezählt.
*)
Hormayr’s Taschenbuch für vaterl. Gesch. 1838. S. 65.
*)
S. Schmellers bayer. Wörterbuch. 4, 56.
*)
S. P. Albert Jägers schätzenswerthe Schrift: Tirol und der bayerisch-französische Einfall im Jahre 1703. Innsbruck 1844. Die „Relation“ ist abgedruckt im Tiroler Almanach von 1803.
*)
Alm. für Tirol und Vorarlberg von Ant. Emmert. Insbr. 1836. S. 65.
*)
Wahrscheinlich wird dieselbe kriegerische Madonna, deren Verehrung hier uralt ist, angerufen in dem wohl von einem tirolischen Landsknechte Herrn Georg von Frundsberg gedichteten Liede, welches Uhland in den deutschen Volksliedern (Stuttgart und Tübingen 1844, S. 533) mittheilt. Es lautet also:
Unser liebe frawe

vom kalten brunnen

bescher uns armen landsknechten

ein warme sunnen

daß wir nit erfrieren!

wol in des wirtes haus

trag wir ein vollen seckel

und ein lären wider auß.
*)
Die Wallfahrt soll ihr erstes Aufblühen einem Edelmann verdanken, der da im dreizehnten Jahrhundert zur Sühnung eines in Mailand verübten Mordes sein Leben als Büßer beschloß.
*)
Ueber das Bad zu Ladis siehe die Monographie von Dr. J. Th. A. im ersten Band der neuen Zeitschrift des Ferdinandeums für Tirol und Vorarlberg. Innsbruck 1835.
*)
Tirolerbote 1838. S. 12.
*)
S. den Engadeiner Krieg von A. Jäger a. a. O.
*)
Verschieden von jenem Laatsch bei Mals. Nach Schmellers Bezeichnung ist dieß Làtsch, das andre bei Schlanders aber Látsch zu sprechen.
**)
Tiroler Almanach vom Jahre 1804; aus diesem in Lewalds Tirol S. 3l6.
*)
Aus dem Aufsatze J. F. Lentners: des Erzherzogs Johann letzte Reise in Tirol im Mai 1845. Morgenblatt desf. Jahres Nr. 169.
*)
Aus einer Schilderung des Festes von J. F. Leutner. Allgemeine Zeitung vom 17 October 1844.
*)
So sagt manger er hab den orken gar eben gesehen. Grimms deutsche Mythologie, 1 ste Ausgabe. Im Anhang I.III.
*)
Aarau 1816. S. 32.
*)
1. 222.
*)
Aus der Seite 294 angeführten Schilderung J. F. Lentners.
*)
S. „das Fremdenbuch im Sandwirthshause im Passeyer“ von J. F. Lentner. Morgenblatt. 1843. Nr. 169 u. ff.
*)
Mit vielem Fleiße und schönem Erfolge hat sich dem Studium ritterlicher Genealogien seines Landes der brave Lehrer Kögel in Brixen hingegeben. Ein Anfang zur Veröffentlichung seiner Forschungen ist im elften Bändchen der Zeitschrift des Ferdinandeums gemacht.
*)
Nach einer Aufzählung im Tirolerboten von 1830. Zwar sind dabei mehrere Quellen mitgezählt, bei denen sich keine Badhäuser finden, aber einige Anstalten nicht eingerechnet, die seitdem entstanden sind, auch mehrere übergangen, die damals schon im Stillen blühten.
*)
Ueber die Gelegenheit dieser und der nächstgenannten Ländereien siehe: Gustav Schwab, die Legende von den heiligen drei Königen von Johannes v. Hildesheim. Stuttgart und Tübingen, 1822. J. G. Cotta’sche Buchhandlung.
*)
In die Anmerkung wenigstens wollen wir das schöne Lied aufnehmen, das der Münchner Dichter zu Rungelstein gedichtet hat.
Am Rungelstein, auf dem alten Schloß,

Wo die Talfer rauscht im Thale,

Hält König Artus Tafelrund

Und die Ritter sitzen beim Mahle.
Die Becher kreisen, es schäumt im Pokal,

Die Zecher wollen nicht altern;

Wie könnten sie auch bei Terlanermost,

Beim feurigen Wein von Kaltern!
Sie sprechen von Kampf und Feldturney,

Die wackern, durst’gen Gesellen;

Derweilen bauen sie drunten im Thal

Wegkreuze und Feldcapellen.
Im Erkergaden, im stillen Gemach

Sitzt Tristan mit Isolden;

Er flüstert ihr leise ein Mährchen zu

Von Frauenminne, der holden.
Derweilen klinget im tiefen Thal

Die Vesper und die Hora. – –

Ihr droben! – ’s ist Zeit – nun entsaget der Welt –

Periculum est in mora!
*)
S. die Sommerfrischphantasien von J. F. Lentner im Morgenblatt 1844 Nr. 239 u. ff.
*)
Klugwälsch heißen die Grödner und Enneberger, wenn sie deutsch sprechen, das Italienische. Diesem entgegensetzt ist der deutsche
*)
Gröden ist der deutsche Name, Gardéna der italienische, Gherdeina der ladinische.
*)
Name für ihre Sprache, die sie sonst ladin nennen – krautwälsch. Das d in ladin klingt übrigens wie ein weiches englisches th oder neugriechisches δ.
*)
Joh. v. Müller, Schweiz. Geschichten 1. 5. „besser, meint er in Note 35, lasse sich das Ladin in Unterengadin und das Romansche kaum bezeichnen, als bei Livius V. 33. durch die Worte: – – Raeti: quos loca ipsa efferarunt, ne quid ex antiquo praeter sonum linguae nec eum incorruptum retinerent.
*)
Wenigstens lassen dieß die romanischen Hof- und Flurnamen jener Gegend annehmen, die denen des Grödnerthales vollkommen entsprechen. So findet sich z. B. bei Gufidaun: Pramstral, pra (prato) maestral; Moralt, mur alt; Pradefant, pra de fondo. In Lüsen: Piterschöll, petrisella; Kampfoß, camp de fossa; Gansör, camp de sura (sopra); Langerei, lung a rü; Pedritsch, petrazza. In Villnöß: Pramundt, pra de mont; Tschampleng, campo longo. Bei Layen: Parlung; pra longo; Pradlputz, pra del pozzo; Kolfoschg, col fosco. Bei Vels: Präckfall, pra de caval; Gaslid, caseletta; Funtenatsch, fontanazza; Petruß, petra rossa; Curtatsch, cortazza. Uebrigens kann man aus diesen Wörten schließen, daß z. B. in Vels und Lüsen das Deutsche älter ist, als in Layen und Villnöß, weil die Formen Kampfoß, Gansör, Präckfall, Gaslid zeigen, daß zur Zeit, als sie noch von romanischem Munde gesprochen wurden, der französirende Uebergang des ca in tscha, wie er sich jetzt in Gröden findet, in jenen Gegenden noch nicht eingetreten war, wogegen z. B. Tschampleng ln Villnöß das Gegentheil darstellt. Auch aus Urkunden bei Sinnacher ließe sich vieles hieher Gehörige anführen.
*)

Um den Leser, der am Sprachlichen keine Freude hat, nicht aufzuhalten, wollen wir nur in der Note etwas näher auf die Sache eingehen. Es ist nicht zu läugnen, daß sich diese Dialekte in vielen Erscheinungen auf einer Fährte betreffen lassen, die auch das Lateinische in Gallien eingeschlagen hat. Pater ist ihnen ebenfalls zu pere geworden, ja mit weit getriebener Analogie haben sie auch aus latro (Dieb) ein lere gemacht. Da[s]

*)

Französische nez, chef, chez (causa), sind hier durch nes, tgiè, tgiesa ersetzt, wobei jedoch zu bemerken, daß die beiden Idiome in diesem, wie in manchem andern Punkte nicht gleichen Schritt halten, sondern bald das eine dem andern, bald beide zusammen dem Französischen voraneilen, gleichwohl auch in manchen Fällen hinter diesem zurückbleiben. Der Grödner sagt tgiesa, ela (ala), mel (malum) der Enneberger tgiasa, ara (ganz dem lat. ala entsprechend, da l zwischen zwei Vocalen zu r wird wie in giarina, orontà = gallina, voluntas u. s. w.), jener dagegen frà (frater), wo dieser fre, beide miteinander aber sagen leg, lec, wo der Franzose bei lac stehen geblieben, aber auch lat, wo dieser zu lait vorgegangen ist. Die latein. Infinitive in are enden in beiden Idiomen in è (levè, arè, lat. levare, arare), was wenigstens mit der jetzigen Aussprache des Französischen zusammenfällt. Der Enneberger macht aus cor, oculus, rosa, coccinus, nox, eincör, ödl, rösa, cötsche, nött aus una, pluma, fumus, murus nach französischer Art ein üna, plüma, füm, und mür; der Grödner dagegen läßt das lateinische u in seinem Werthe und spricht dafür das o am liebsten spanisch wie ue aus, also daß ihm cor, homo, oculus, focus, coccinus, nox, ovum zu cuer, uem, uedl, fuec, cuetschung, nuet, uef werden, eine Analogie, die er auch in der Aussprache des e verfolgt, so daß herba, cervus, pretium, lectus bei ihm ierba, cierf, priesch, liet lauten. Beiden Dialekten ist gemein, daß sie das auslautende n nasaliren und daher wieder nach französischer, aber auch lombardischer Weise chrestiang, passiong, reschong (chrétien, passion, raison) sprechen; nur daß bei diesen Ladinern die Nasalirung noch durch ein schwachgehörtes g unterstützt wird. Der Uebergang des ca in tscha (tgia) entspricht ebenso dem des lateinischen ca in ein französisches cha, und wenn wir hier für campus, cavallus, canis ein champ, cheval, chien finden, so geben uns die Grödner und Enneberger gleicherweise ein tgiamp, tgiaval, tgiang. Der Enneberger ist bei der ursprünglichen Aussprache des lateinischen al geblieben, der Grödner hat sich auch hierin dem Französischen genähert und spricht altus, caldusaut, tgiaud. Aus vicinus, vox, videre, velle (volere) macht der Enneberger visching, usch, odei, orei, der Grödner usching, ousch, udei, ulei und letzteres Verbum conjugirt er im Indicativ des Präsens sehr absonderlich also: je ue, tu ues, el uel, nous ulong, vo uleis, ei uel; im Imperfectum sagt er ie ulova und das Part. Präteritum lautet:

*)

olù (voluto). Der ladinische Vocalismus, der bald an diese bald an jene der lateinischen Töchtersprachen erinnert, hat denn auch manche zu der Behauptung geführt, diese Idiome seyen aus Lateinisch, Italienisch, Französisch, Spanisch und Portugiesisch zusammengesetzt. Um hören zu lassen, wie die Sprache in fortlaufender Rede klingt, wollen wir hier eine der sechs Anekdoten mittheilen, welche Steiner ins Grödnerische übersetzt hat. Die Buchstaben ö, sch und tsch (tg) sind wie im Deutschen, ch und v wie im Italienischen auszusprechen, s im Anlaute und vor Consonanten wird wie in Wälschtirol als sch gesprochen. Die Anekdote steht am angeführten Ort Seite 46 und lautet:

Una muta schöuna, che avova vuöja de se maridè, a tschiappà da si segniöura vint toleri per se fè la dota. La segniöura a ulù udei l’ növitsch. La muta l’a prsechentà. Chest fova ung buser, curt, gross, stramb, melfatt i burt assè. Prest che la segniöura l’a udù, s’a la fatt maruöja i disch: o per l’ amor de Die! chest tu es liet ora per ti növitsch i per ti uem? Co t’ es pa pödù inamurè d’ una tel persona? O mi segniöura, respuend la muta; tsche cosa pong avei de bel per vint toleri.

Das heißt nun in italienische Worte umgesetzt:

Una ragazza (muta) giovane, che aveva voglia di si maritare, ha ricevuto (chiappato) dalla sua signora venti talleri per si fare la dote. La Signora ba voluto vedere lo sposo (novizzo). La ragazza l’ha presentato. Questo era un villanzone (buser) corto, grosso strambo, malfatto e brutto assai. Presto che la signora l’ ha veduto si ha ella fatto meraviglia e dice: O per l’ amor di Dio! Questo tu hai scelto (eletto) per tuo sposo e per tuo nomo? Como ti hai poi potuto inamorare d’una tal persona. O mia signora, risponde la ragazza, che cosa posso avere di bello per venti talleri.

Grödnerische Volksgesänge gibt es nicht. Vor einigen Jahren hat indessen jemand versucht ein Lied in dieser Sprache zusammenzubringen und dieß ist denn auch wirklich gelungen. Der Schulmeister von St. Ulrich hatte die Güte, mich eine Abschrift davon nehmen zu lassen. Es heißt: El vödl Mut, der alte Junggeselle, und spricht den Aerger aus, den ein oftmals angerannter Hagestolz über das schöne Geschlecht zu empfinden pflegt.

*)

Es ist auch nicht unversucht geblieben, in der Sprache von Gröden Gedrucktes ans Licht zu fördern. Derselbe freundliche Schulmeister hat mir ein winziges Heftchen verehrt, welches den Titel führt: La Stazions o la via della S. Crousch’che cunteng de bella cunschiderazions i urazions. Metudes dal Taliau tel Parlè de Gördeina. Bulsan stamp[à] ura Carl Guisep W – (der Name ist weggerissen); zu deutsch: die Stationen oder der Weg des heiligen Kreuzes, welcher enthält schöne Betrachtungen und Gebete. Uebersetzt aus dem Italienischen in die Sprache von Gröden. Bozen, gedruckt bei Karl Joseph W.

Es sind dieß kurze Gebete, wie sie bei Begehung der vierzehn Stationen üblich sind. Das Gebet für die fünfte Station, in welcher Simon von Cyrene dem Erlöser das Kreuz tragen hilft, theilen wir hier als Schluß dieser Sprachproben mit, wollen aber den geneigten Leser sich selbst darin zurecht finden lassen. Es lautet:

V’ adore pra chesta quinta Stazion, salvator amabl, schudà (ajutato) dal Zirene a portè la crousch; je ve preje cun fidanza d’ armè mi euer deibl c’una gran pazienza a supertè i travajes de chesta vita, per sodisfazion de mi pichiei (peccati). Amen. Wegen der Sprachproben des Ennebergischen wollen wir lieber auf den Aufsatz des Landrichters Haller verweisen, nicht nur das Vater Unser und zwei Capitel aus dem neuen Testamente in der Sprache von Enneberg, sondern auch in jenen von Buchenstein, Fassa und Ampezzo zur anziehenden Vergleichung sich gegenübergestellt sind.

*)
Non may plus disligaides, zu Deutsch: Bindet es nicht mehr los. Der Anfang des Gedichtes, welches auch Lewald S. 158 mittheilt, lautet:
Ain künigin von Arragon was schon und zart,

dafur ich koyet zu willen raicht ich ir den bart,

mit hendlein wey so band sie darein ein ringlin zart,

lieplich und sprach: non may plus disligaides!

Von ihren handen ward ich in die oren mein

gestochen durch mit einem messin nädeleln,

nach ir gewonheit sloß sy mir zwen ring dorein,

die trug ich lang und nennt man sy: raycades.
*)

Manchem Leser mag die Nachricht nicht unangenehm seyn, daß die Orte des Thales und der nächstgelegenen des deutschen

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Gebietes in beiden Sprachen fast durchgängig verschiedene Namen haben. Wir geben hievon nachstehendes Verzeichnis:

La villa heißt auf deutsch Stern; Badia, St. Leonhard oder Abtei; la val, Wengen; Lung à rü (längs dem Bach) führt bei den Pusterern einen ältern romanischen Namen, nämlich Campill. St. Vigil, wo der Sitz des Landgerichts, heißt al plang, auf der Ebene, St. Maria, was eigentlich das Dorf ist, dem die Deutschen vorzugsweise den Namen Enneberg beilegen, das aber auch „in der Pfarre“ genannt wird, heißt in der Thalsprache la pli, so viel als la pieve, plebs, die Gemeinde. Diese beiden Dörfer, St. Maria und St. Vigil, liegen in einem Seitenthale, das die Deutschen Rauthal, die Enneberger aber Val de Marò nennen. Dieser Name gilt übrigens auch für das ganze Thal, mit Ausnahme des innern Gebietes, der Abtei, und entspricht so wenigstens zum Theil dem deutschen Namen Enneberg, der wohl wie jener der enetbergischen Vogteien in der Schweiz von enet, enthalb, jenseits der Berge herrührt. Die von Marò abgeleiteten Ethnika lauten: Un Marou, ein Enneberger, una Maroura eine Ennebergerin. Außerdem nennen sich die Thalbewohner auch Ladins. Indessen haben die bescheidenen Enneberger bei ihren deutschen Landsleuten keinen der Namen durchsetzen können, auf welche sie von Rechtswegen Anspruch hätten, weder den einheimischen Marou, noch den deutschen; denn auch dieser, Enneberg, Enneberger, lebt mehr in Schriften und im Verkehr der Gebildeten, als bei den Landleuten. Diese heißen sie vielmehr die Krautwälschen und ihr Land die Krautwalsch, während doch die Einwohner von Gardena überall als Grödner bekannt sind. Die Krautwalsch gilt übrigens schon den Bauern am Eisack als ein ziemlich fern gelegenes, wenigen bekanntes Hochland, in welches sich ohne Noth niemand einläßt. In ältern lateinischen Urkunden heißt das Thal Marubium, bei den Italienern jetzo Marebbe. – Da wo der Raubach in die Gader fällt, liegt das oben erwähnte Zwischenwasser, ein Name, der nicht ganz genau dem ladinischen Lunghiega „längs dem Wasser“ nachgebildet ist. Auf der Höhe ober Zwischenwasser liegt Plaiken, welches die Thalbewohner Plüscha nennen. Jenseits des Gaderbaches, gleichfalls auf hohem Bergrücken, ist Wälschellen zerstreut, so genannt zum Unterschiede von Deutschellen, welches auf einer Hochebene links vom Ausgange des Thales zu finden ist. Dieses Wälschellen kommt in Urkunden des eilften

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Jahrhunderts als Aelina vor und aus diesem Namen stammt sein heutiger deutscher; die Enneberger haben daraus nach der schon oben erwähnten zwischen zwei Vocalen vorgehenden Umwandlung des l in r zuerst Erina und aus diesem Rina gemacht. In einem Seitenthale, dessen Bach oberhalb Zwischenwasser in die Gader fällt, liegt Antermeia, von den Deutschen Untermoi genannt. Ungefähr eine Stunde unterhalb Zwischenwasser ist die Sprachgränze. Dort steht ein einzelnes Wirthshaus, bei den Ennebergern Pera forada „am durchbrochenen Stein“ geheißen, ein Name der bei den Deutschen Pelfrad lautet. In diesem einschichten Hause wirthschaften seit langen Zeiten ladinische Leute; eine halbe Stunde weiter aber liegt ein anderes Wirthshaus, Saalen, welches als der Anfang der deutschen Sprache gilt, da dort Pusterer seßhaft sind. Dieses Saalen heißt bei den Ennebergern Sares; in ältern Urkunden wird es Susulona genannt. Beide Orte liegen auf dem rechten Ufer des Gaderbaches; auf dem linken ist der letzte ladinische Ort das genannte Wälschellen, der erste deutsche das eine Stunde davon gelegene Ohnach, auf ladinisch Ognies.

Westwärts ist der Bereich der Sprache sehr genau abgezeichnet durch die Dolomitmauer, welche sich vom Langkofel an den Thälern von Campill und Untermoi hinabzieht und auf deren linker Seite die Gebiete von Gröden und die jetzt deutschen Thäler von Villnöß, Affers und Lüsen liegen. Die östliche Gränze verliert sich im wilden Gebirge, das gegen die neue Straße von Ampezzo hin in verschiedene kleine Thäler sich einsenkt. Auf den dortigen Alpen stehen vielfältig sehr niedlich gebaute und mit heizbaren Zimmerchen versehene Sennhütten in dörflichen Haufen beisammen, unsichtbar für alle, die im Thale hinab wandern, freundliche Ueberraschung für den, der an den kahlen Wänden hinaufgestiegen und da von altherkömmlicher Gastfreundschaft Obdach und Erquickung findet. Sie sind nur den Sommer über von den Ennebergern bewohnt und werden im Herbst verlassen. – Der Dialekt von Ampezzo hat wieder manche Eigenthümlichkeiten und wird daher von vielen als in einer Linie mit dem Grödnerischen, Ennebergischen und Fassanischen stehend, nicht zum ächten Italienisch gerechnet. Zu diesen innerthalischen Namen wollen wir noch einige ladinische für die nächstgelegenen Orte im Pusterthale stellen. So heißt also Brunecken Burnec, Michaelsburg tschiastel de mür,

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Stegen San Simong, Ollang Val Daura, Taufers Düresch, Innichen San Ghiane (S. Candidus), Sillian Soriang, Lienz Lienza. Auffallend ist, daß im Innern des Thales selbst mehrere der bedeutendern Höfe deutsche Namen führen. So heißt sogar in dem entlegenen Corvara der Hof Arlara bei den Deutschen: zum Maier am Zirm.

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Genau genommen ist gannes der Name der weiblichen Wilden,
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denn die Männer heißen Salvang. Der Name ganna selbst scheint in altdeutsche Mythologie hinein zu spielen. (S. deutsche Mythologie von Jacob Grimm S. 375 und 279 und 413 in den Noten.)
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Taia, Tai heißt im Oberinnthal eine Alpenhütte.
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Siehe in der neuen Zeitschrift des Ferdinandeums, [sechstes] Bändchen 1840, Seite 44 u. ff. die Ersteigung und Messung des Fernerkogels und der Habichtspitze im Jahre 1836. Von Professor Pater Karl Thurwieser.
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Trät ist der freie Platz vor der Sennhütte.
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Staffler 1, 13t.
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2. Theil S. 236.
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Bei der Conscription.
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Wer mehreres von diesem Genre genießen will, dem ist dringend anzurathen der Artikel: Bozen in der Augsburger Postzeitung 1844. Nr. 249.
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Dichtungen des deutschen Mittelalters. Dritter Band. Leipzig 1843.
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Sigmund der Münzreiche.
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Hier wäre auch des Gerichtswesens zu denken, doch wollen wir der Kürze wegen auf Staffler verweisen und auf den öfter erwähnten Sammler für Geschichte und Statistik von Tirol, welcher eine ausführliche Statistik der frühern äußerst verwirrten und scheckigen Jurisdictionsverhältnisse gibt. Der landesfürstlichen Gerichte waren es siebenundfünfzig, der Patrimonialgerichte doppelt so viele, nämlich sechsunddreißig Pfandschaft-, siebenundvierzig Lehen- und einunddreißig Eigenthumsgerichte. Die bayerische Regierung suspendirte die Patrimonialgerichte und vereinfachte den Organismus. Oesterreich stellte jene wieder her, da sie aber allmählich sämmtlich heimgegeben wurden, so steht man jetzt so ziemlich wieder auf bayerischem Fuße.
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Siehe: Tirol unter der bayerischen Regierung S. 427. Ihre Abfassung wird S. 231 Herrn Jos. v. Giovanelli in Bozen zugeschrieben.
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Dieser Approvisionirungsfond ist bestimmt für Herbeischaffung des Getraidebedarfes sowohl in Fällen eines drückenden Mangels, als zum Behufe der Landesvertheidigung. Er bildet sich
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jetzt aus einem Aufschlag von fünf Kreuzern für jeden ins Land eingehenden halben Metzen Getraides, wird aber außer den Fällen der Noth auf Tilgung der ältern Landesdefensionsschulden verwendet.
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Seitdem dieß geschrieben, ist der Freiherr gestorben, am 14 September 1845.
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Ueber Wiedereinführung und Wirksamkeit des Ordens siehe außer mehreren Artikeln in den Grenzboten: Die Jesuiten in Tirol. Von einem Tiroler. Heidelberg bel Wilhelm Hoffmeister. 1845.
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Siehe S. XL. der schönen Vorrede zu den Sagen, Märchen und Liedern der Herzogthümer Schleswig, Holstein und Lauenburg von Karl Müllenhof. Kiel 1845.
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Bei der letzten Mission in Welsberg (Pusterthal) wurden, wie ein verlässiger Gewährsmann angibt, von den Wirthen jedem der HH. Missionäre täglich im Minimum zwei Maß Wein gereicht und an Geschenken, Kirchenopfern und Bußgeldern, 600 fl. eingenommen.
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Wer Ausführliches über die tirolische Industrie zu lesen wünscht, den verweisen wir auf Staffler 1. 342 ff.

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TextGrid Repository (2025). Steub, Ludwig. Drei Sommer in Tirol. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bp5d.0