[][][][][][][[I]]
GERBER’S GRUNDZÜGE DES STAATSRECHTS.

[[II]][[III]]
GRUNDZÜGE
EINES SYSTEMS
DES
DEUTSCHEN STAATSRECHTS


VERLAG VON BERNHARD TAUCHNITZ
LEIPZIG: 1865.

[[IV]][[V]]

HERRN
WILHELM EDUARD ALBRECHT
ALS ZEICHEN
INNIGER VEREHRUNG UND FREUNDSCHAFT
ZUGEEIGNET.


[[VI]][[VII]]

Vorrede.


Die Literatur des deutschen Staatsrechts hat eine
Reihe von Werken aufzuzeigen, welchen nach verschie-
denen Richtungen volle Anerkennung gebührt. Wenn
ich gleichwohl der Ansicht bin, dass die wissenschaft-
liche Dogmatik dieser Lehre noch einer weiteren Aus-
bildung fähig und bedürftig sei, so glaube ich mit dieser
Ansicht keineswegs vereinzelt zu sein. Ich denke mir,
dass eine Förderung besonders nach folgenden Gesichts-
punkten möglich ist. Zunächst besteht unläugbar das
Bedürfniss einer schärferen und correcteren Präcisirung
der dogmatischen Grundbegriffe. Ein Theil unserer
Schriftsteller scheint die Aufgabe der rechtlichen Be-
stimmung der durch unsere modernen Verfassungen ge-
gebenen Begriffe nicht sowohl als eine juristische, denn
als eine staatsphilosophische oder politische anzusehen;
Andere lassen sich — in der entgegengesetzten Richtung
— zu sehr von den Grundsätzen des älteren deutschen
[VIII]Vorrede.
Staatsrechts beherrschen, gleich als ob das Recht unserer
neuen Verfassungsgesetze die letzte Frucht des alten
Reichsterritorialrechts wäre. Sodann aber scheint mir,
was freilich mit jenem ersten Punkte aufs Innigste zu-
sammenhängt, ein dringendes Bedürfniss die Aufstellung
eines wissenschaftlichen Systems zu sein, in welchem
sich die einzelnen Gestaltungen als die Entwickelung
eines einheitlichen Grundgedankens darstellen. Erst
durch Begründung eines solchen Systems, welches das
eigenthümliche Wesen unseres modernen Verfassungs-
staats zum anschaulichen Gesammtausdrucke brächte
und die rechtlichen Verbindungen aller einzelnen Er-
scheinungen klar stellte, würde nach meinem Dafür-
halten das deutsche Staatsrecht seine wissenschaftliche
Selbständigkeit erlangen und die Grundlage sicherer
juristischer Deduction gegeben sein.


Schon seit Jahren war ich lebhaft von diesem Ge-
danken ergriffen, und der Plan, meine Vorstellungen
über ein solches System in einer umfassenden Erörte-
rung darzulegen, hat mich im letzten Jahrzehnt vielfach
beschäftigt. Als ich von Neuem an seiner Ausführung ar-
beitete, trat mir aber die Idee entgegen, dass es nützlich
und zweckmässig sei, jene Arbeit auch sogleich praktisch
zu erproben und diese Probe voranzuschicken. So ist
dieses kleine Buch entstanden, das nicht den Anspruch
stellt, als eine ausgeführte Darstellung des gesammten
deutschen Staatsrechts zu gelten, sondern nur als eine
Revision seiner Grundbegriffe in der knappen Fassung
[IX]Vorrede.
von Grundlinien eines dogmatischen Systems. Ueberall
da, wo dieser Zweck fehlte, namentlich also bezüglich
der Erzählung geschichtlicher Thatsachen, der Be-
schreibung factischer Verhältnisse, sowie der statistischen
Nachweisungen, war lediglich eine kurze Skizzirung mit
Verweisungen auf bekannte Werke beabsichtigt. Die
Darstellung des Bundesrechts lag ausserhalb meines
Plans.


Die Eigenthümlichkeiten meines Systems werden
dem Kenner beim ersten Blicke entgegentreten. Möch-
ten sie auch als gerechtfertigt erscheinen! Nur das
Eine drängt es mich schon hier hervorzuheben, dass ich
den Umfang des eigentlichen Staatsrechts enger be-
gränze, als gewöhnlich geschieht. Ich scheide den
grössten Theil des Stoffs, den man unter dem Namen
„Verwaltungsrecht“ zu begreifen pflegt, aus, indem er
nach meiner Ueberzeugung mit dem Staatsrechte in
keinem engeren Zusammenhange steht, als das Straf-
und Processrecht. Seine Verbindung und Vermischung
mit dem Staatsrechte kann nur zu einer Trübung des
dem letzteren eigenthümlichen wissenschaftlichen Prin-
cips führen.


Wer sich nur dann zum Schreiben aufgefordert
fühlt, wenn er hoffen kann, etwas auf eigenem Denken
Beruhendes zu geben, der wird sich, wenn er sich end-
lich zur Mittheilung entschlossen hat, begreiflich in
einer weit unsichereren Stimmung als Derjenige be-
finden, der nur zurückgiebt, was er aus der allge-
[X]Vorrede.
meinen literärischen oder politischen Atmosphäre seiner
Zeit in sich aufgenommen hat. Am wenigsten wird
der Verfasser bei der vorliegenden Aufgabe der Ver-
sicherung bedürfen, dass er über die Erreichung seiner
Ziele ungewiss ist.


Leipzig, den 30. März 1865.


[[XI]]

Inhalt.


  • Einleitung.
  • Seite
  • Der Staat §. 1 1
  • Das Staatsrecht §. 2—4 2
  • Deutsches Staatsrecht §. 5 8
  • Entstehung staatsrechtlicher Rechtssätze, Rechtsinstitute und
    Rechte §. 6 12
  • Erster Abschnitt.
    Die Staatsgewalt.
  • 1. Allgemeiner Character der Staatsgewalt §. 7 19
  • 2. Character der Staatsgewalt in den deutschen Staaten §. 8. 23
  • 3. Die verschiedenen Arten der Wirksamkeit der Staatsge-
    walt §. 9 25
  • 4. Gränzen der Staatsgewalt.
  • a) Allgemeine Gränzbestimmung §. 10 29
  • b) Besondere Abgränzungen §. 11—13 31
  • c) Bundesrechtliche Schranken §. 14 40
  • 5. Die Staatsgewalt in der Beziehung zu den Objecten ihrer
    Herrschaft.
  • Allgemeines §. 15 41
  • A. Das Recht des Staats an der Person des Staatsbürgers.
  • a) Allgemeine Ansicht §. 16 42
  • b) Inhalt dieses Rechts §. 17 44
  • c) Modificationen §. 18 47
  • d) Entstehung und Beendigung §. 19 52
  • B. Das Recht des Staats an den Gemeinden §. 20. 21 54
  • C. Das Recht des Staats am Staatsgebiete §. 22 60
  • 6. Die materiellen Richtungen der Staatsgewalt §. 23 64
  • Zweiter Abschnitt.
    Die Organe des Staats.
  • Allgemeines §. 24 70
  • Erstes Capitel: Der Monarch.
  • 1. Inhalt des Monarechenrechts.
  • a) Die monarchische Institution §. 25 71
  • b) Rechtsstellung der Person des Monarchen §. 26 74
  • c) Rechtsstellung des Regentenhauses §. 27 76
  • d) Allgemeine rechtliche Characteristik §. 28 81
  • 2. Erwerb des Monarchenrechts (Thronfolge).
  • a) Berufung zur Thronfolge §. 29 82
  • Seite
  • b) Allgemeine Voraussetzungen §. 30 86
  • c) Der Regierungsantritt und seine rechtlichen Wirkungen
    §. 31 90
  • 3. Verlust des Monarchenrechts §. 32 92
  • 4. Ausübung des Monarchenrechts.
  • a) Persönliche Ausübung durch den Monarchen §. 33 94
  • b) Ausübung durch einen Regenten (Reichsverweser) §. 34. 98
  • 5. Gehülfen des Monarchen, Staatsdiener.
  • a) Begriff des Staatsdienstes §. 35 104
  • b) Inhalt und rechtliche Natur des Staatsdienstverhält-
    nisses §. 36 109
  • c) Begründung §. 37 114
  • d) Beendigung §. 38 116
  • Zweites Capitel: Die Landstände.
  • 1. Allgemeine Characteristik der landständischen Institution
    §. 39 118
  • 2. Inhalt des Rechts der Landstände §. 40 123
  • 3. Die äussere Gestaltung der Ständeversammlung §. 41 126
  • 4. Die Formen des Geschäftslebens der Landstände §. 42 130
  • 5. Besondere Rechte der Mitglieder der Ständeversamm-
    lung §. 43 133
  • Dritter Abschnitt.
    Die Formen der Willensäusserung des Staats.
  • Allgemeines §. 44 134
  • 1. Die Gesetzgebung.
  • a) Verschiedenheit der Gesetze §. 45 137
  • b) Die Form der Entstehung der Gesetze §. 46. 47 140
  • c) Die Verordnungen §. 48 146
  • d) Formwidrige Gesetze §. 49 149
  • e) Das Finanzgesetz §. 50. 51. 52 154
  • 2. Die Verwaltung §. 53. 54 161
  • 3. Die richterliche Thätigkeit §. 55 168
  • Competenzkreis der Justiz §. 56 171
  • Vierter Abschnitt.
    Rechtsschutz im Gebiete des Staatsrechts.
  • Allgemeines §. 57 180
  • 1. Der Rechtsschutz des Grundgesetzes durch das Institut
    der Ministeranklage §. 58 184
  • 2. Rechtsschutz des Staats und seiner Organe §. 59 188
  • 3. Rechtsschutz staatsrechtlicher Individualrechte §. 60. 61. 191
  • 4. Allgemeiner Rechtsschutz der Staatsbürger gegen die
    Staatsgewalt §. 62. 63 197
[[1]]

EINLEITUNG.


Der Staat.


§. 1.


Im Staate erhält ein Volk die rechtliche Ordnung
seines Gemeinlebens. In ihm kommt es als sittlich ge-
eintes Ganze zur Anerkennung und rechtlichen Geltung.
In ihm sucht und findet es die wesentlichsten Mittel zum
Schutz und zur Förderung seiner Gesammtinteressen.
In ihm erhält es eine Gliederung, welche die Verwerthung
aller seiner sittlichen Kräfte für das Gemeinwohl er-
möglicht. Er ist die Rechtsform für das Gesammtleben
eines Volks, und diese gehört zu den ursprünglichen und
ewigen Typen der sittlichen Ordnung der Menschheit.


Die natürliche Betrachtung des im Staate geein-
ten Volks erzeugt den Eindruck eines Organismus, d. h.
einer Gliederung, welche jedem Theile seine eigenthüm-
liche Stellung zur Mitwirkung für den Gesammtzweck
anweist. Die juristische Betrachtung des Staats aber
ergreift zunächst die Thatsache, dass das Volk in ihm
zum rechtlichen Gesammtbewusstsein und zur Willens-
fähigkeit erhoben wird, m. a. W. dass das Volk in ihm
zur rechtlichen Persönlichkeit gelangt. Der Staat als Be-
v. Gerber, Staatsrecht. 1
[2]Einleitung.
wahrer und Offenbarer aller auf die sittliche Vollendung
des Gemeinlebens gerichteten Volkskräfte ist die höchste
rechtliche Persönlichkeit, welche die Rechtsordnung
kennt; ihre Willensfähigkeit hat die reichste Ausstat-
tung erfahren, welche das Recht zu geben vermag.1
[3]§. 2. Das Staatsrecht.
Die Willensmacht des Staats ist die Macht zu herr-
schen;
2 sie heisst Staatsgewalt.


Das Staatsrecht.


§. 2.


Das Staatsrecht als wissenschaftliche Lehre hat
zum Gegenstande die Entwickelung des dem Staate
als solchem zustehenden Rechts
.1 Die Willens-
macht des Staats, die Staatsgewalt, ist das Recht des
Staats. Das Staatsrecht ist also die Lehre von der
Staatsgewalt, und beantwortet die Fragen: was kann
der Staat als solcher wollen? (Inhalt und Umfang der
Staatsgewalt), durch welche Organe und in welchen
Formen kann und soll sich sein Wille äussern? In der
Persönlichkeit des Staats liegt der Ausgangs- und
Mittelpunkt des Staatsrechts; mit der Anknüpfung an
1*
[4]Einleitung.
sie ist zugleich die Möglichkeit und Richtung eines wis-
senschaftlichen, d. h. durch einen einheitlichen Gedanken
beherrschten Systems gegeben.


Ist hiernach das Staatsrecht die Lehre von der recht-
lichen Bestimmung des staatlichen Lebensorganismus,
so gehört dahin auch nur die Entwickelung derjenigen
Rechtssätze und Rechtsinstitute, welche sich unmittelbar
auf die Lebens- und Willenskraft des Staats beziehen.2
Der Umstand allein, dass eine rechtliche Ordnung von
der Staatsgewalt ausgegangen und von ihr im öffent-
lichen Interesse geschaffen worden ist, kann demnach
noch kein Grund dafür sein, dass ihr Inhalt in das Bereich
des Staatsrechts gezogen werde. Das Strafgesetzbuch,
die verschiedenen Processordnungen, ferner die mannich-
fachen Ordnungen und Einrichtungen, welche man unter
dem Namen des Verwaltungsrechts zusammen zu fassen
pflegt, sind zwar Producte der wirkenden Staatsgewalt,
[5]§. 3. Das Staatsrecht.
aber ihre wissenschaftliche Darstellung hat den Einheits-
punkt nicht in letzterer, sondern in der eigenen Zweck-
bestimmung derselben zu suchen. Hierin kann auch
dadurch Nichts geändert werden, dass in solchen Ord-
nungen der Staatsgewalt selbst ein Gebiet unmittelbaren
Handelns und Eingreifens vorbehalten ist; denn die
Grundsätze darüber erscheinen als völlig abgelöst von
der allgemeinen Lehre über die Willensmacht des Staats,
und werden durch die Anziehungskraft des wissenschaft-
lichen Princips beherrscht, welches die von jenen Ord-
nungen ergriffenen Lebenskreise darbieten.3


§. 3.


Der so bestimmte Rechtsstoff des Staatsrechts stellt
sich nun zunächst als eine Summe von Rechtssätzen und
[6]Einleitung.
Rechtsinstituten dar. Die Staatsgewalt kann aber nicht
bloss mit abstracten Sätzen des Rechts im objectiven
Sinne des Worts umschrieben werden; denn sie bedarf
in ihrer concreten Gestaltung eine je nach der Art der
Verfassung bald grössere bald kleinere Zahl persönlicher
Vertreter, in deren Rechte sich ihre Lebensäusserung
vollzieht.1 Unter diesen treten als die bedeutendsten die-
jenigen hervor, welchen als eigenes Recht die Befugniss
zusteht, ein unmittelbares Organ der Staatsgewalt in mehr
oder weniger umfassender Weise zu sein, oder an der
Bildung eines solchen Theil zu nehmen. Wenn solche
staatliche Individualrechte als constitutionelle Rechtsver-
hältnisse in das Verfassungsrecht eines Staats aufge-
nommen sind, wie diess namentlich in den Monarchieen
Deutschlands der Fall ist, so gesellt sich zu dem objec-
tiven Rechtsstoffe des Staatsrechts ein weiterer in einer
Anzahl von Rechten im subjectiven Sinne hinzu. Die
Staatsgewalt selbst wird durch das Vorhandensein dieser
[7]§. 4. Das Staatsrecht.
staatlichen Individualrechte in ihrem Wesen als Wille des
persönlich gedachten Staats nicht verändert, sondern es
handelt sich nur um eine eigenthümliche Art ihrer con-
creten Verwirklichung.2 Daher ist die Ausübung solcher
Rechte nicht der individuellen Willkühr preis gegeben,
sondern steht unter der höheren Fügung des organischen
Zusammenhangs, in welchem und für welchen sie zur
Lösung einer bestimmten Aufgabe berufen sind.3


§. 4.


Das Staatsrecht, wie es so eben begränzt worden
ist, unterscheidet sich von allen anderen Rechtsordnungen,
welche im Staate bestehen und unter seinem Schutze
gehandhabt werden, durch eine wesentliche Character-
eigenthümlichkeit. Allen sonstigen Rechtsordnungen
gegenüber erscheint es als eine Ordnung höherer Art.
In soweit sonst der Staat bei der Begründung und
Handhabung rechtlicher Einrichtungen betheiligt ist, tritt
er nur in seinen regelmässigen und feststehenden Func-
tionen in Wirksamkeit; das Recht aber, welches die
Regel dieser Functionen selbst, welches den Grundbau
des staatlichen Organismus als willensfähiger Macht fest-
stellt, ist überall die höhere Voraussetzung.1 Alles andere
Recht mag dem veränderlichen Bedürfnisse des Volks-
lebens preis gegeben, aber das Recht, nach welchem
[8]Einleitung.
überhaupt der sittliche Volksgeist zur rechtlichen Ge-
sammtäusserung gelangen kann, das Staatsrecht, muss
fest gefügt und dem wechselnden Einflusse des Tages
entzogen sein. Es ist nur ein eigenthümlicher Aus-
druck dieser Wahrheit, wenn die gesetzlichen Feststel-
lungen des Staatsrechts den Namen „Grundgesetz,“2
führen, wenn sich bei seiner Errichtung auch die bisher
absolute monarchische Gewalt gedrängt fühlt, das Volk
in seinen Vertretern zur Mitwirkung herbei zu ziehen,3
wenn ihm eine besondere Weihe beigelegt, seiner Ver-
änderung gewisse Hemmnisse entgegengestellt4 und sei-
ner Integrität besondere Garantieen5 verliehen werden.


Deutsches Staatsrecht.


§. 5.


Das Staatsrecht kann seiner Natur nach nur das
Recht eines bestimmten Staats sein, da es eine concrete,
[9]§. 5. Deutsches Staatsrecht.
geschichtlich realisirte staatliche Willensmacht voraus-
setzt. Sonach könnte für Deutschland nur von einem
Staatsrechte jedes einzelnen der souverainen Staaten die
Rede sein, welche innerhalb der deutschen Volksverbin-
dung neben einander bestehen. Und in der That kann
nur von der Darstellung eines solchen Einzelstaatsrechts
eine bis in das Specielle gehende Ausführung und volle
Bestimmtheit erwartet werden.


Da sich indessen die deutschen Staaten aus der frü-
heren Reichseinheit des deutschen Volks unter dem Ein-
flusse gleichartiger politischer Ereignisse heraus entwickelt
haben, auch bei ihrer Bildung der seiner Einheit sich
immer bewusste deutsche Volksgeist einen unverkenn-
baren Antheil gehabt hat und noch fortwährend hat, so
ist es gekommen, dass die Grundprincipien der einzelnen
deutschen Verfassungen in einer keineswegs zufälligen
Uebereinstimmung stehen. In diesem geschichtlichen
und geistigen Zusammenhange liegen die elementaren
Züge der Individualität des deutschen Staatswesens,
wie sie sich im particulären Staatsrechte auch jetzt
noch kund geben, obschon die Mehrzahl der deutschen
Staaten mit völligem Abbruch älterer Zustände in die-
sem Jahrhundert eine gänzliche Neubildung im Sinne
des organischen Volksstaats vollzogen hat.1 Die deut-
[10]Einleitung.
sche Wissenschaft betrachtet diese Grundzüge noch
gegenwärtig, weil sie ein Product der sittlichen Kraft
des deutschen Volks sind, als einen der selbständigen
wissenschaftlichen Auffassung würdigen Gegenstand. In
ihrer Darstellung kann sie zwar grösstentheils nicht das
Ziel verfolgen, imperative Sätze von unmittelbar ver-
bindlicher Kraft zu gewinnen, aber sie kann den histo-
risch-sittlichen Gehalt der einzelnen, in jedem Particu-
larstaatsrechte wiederkehrenden Rechtssätze und Rechts-
institute in einer Weise herausstellen, in der diess eine
nur dem Letzteren gewidmete Betrachtung nicht zu
leisten vermöchte.2 Vom Standpunkte des praktischen
1
[11]§. 5. Deutsches Staatsrecht.
Nutzens aus angesehen erscheint mithin die Wissen-
schaft des deutschen Staatsrechts als eine Einleitung zu
allen einzelnen deutschen Staatsrechten, in welcher die
substantiellen Ideen für letztere in rechtswissenschaft-
licher Entwickelung niedergelegt sind.


Das deutsche Bundesrecht hat einen Bestand-
theil, welcher ganz und gar zum Inhalte des deutschen
Staatsrechts gehört. Ein anderer Theil desselben bildet
einen davon völlig unabhängigen selbständigen Rechts-
stoff.


Literatur des heutigen deutschen Staatsrechts.
Die vollständigste Uebersicht ist enthalten in dem Werke
von R. v. Mohl, die Geschichte und Literatur der Staats-
wissenschaften, 2. Band (1856) S. 286 flg. Als die be-
deutendsten der das gegenwärtige deutsche Staatsrecht be-
treffenden Werke sind zu nennen: Klüber, öffentliches
Recht des deutschen Bundes und der Bundesstaaten, 4.
Aufl. 1840. Maurenbrecher, Grundsätze des heutigen
deutschen Staatsrechts, 2. Aufl. 1843. Weiss, System
des deutschen Staatsrechts 1843. Zöpfl, Grundsätze des
2
[12]Einleitung.
allgemeinen und deutschen Staatsrechts, 4. Aufl. 2 Bände
1855 (5. Aufl. 1863). Zachariä, deutsches Staats- und
Bundesrecht, 2. Aufl. 2 Bände 1853 und 1854. Held,
System des Verfassungsrechts der monarchischen Staaten
Deutschlands, 2 Bände 1856 und 1857. Grotefend,
System des deutschen Staatsrechts I., 1863. Als beste
Quellensammlung ist zu bezeichnen die von Zachariä,
die deutschen Verfassungsgesetze der Gegenwart, 1855
(mit 2 Fortsetzungen). Sodann für die Bundesgesetze:
v. Meyer u. Zöpfl, vollständige Sammlung der Grund-
gesetze des Bundes u. der normativen Beschlüsse der hohen
deutschen Bundesversammlung, 2 Bde. 1859. Noch sind
als einleitende Schriften hervorzuheben: Mejer, Einleitung
in das deutsche Staatsrecht 1861 und v. Kaltenborn,
Einleitung in das constitutionelle Verfassungsrecht 1863.


Entstehung staatsrechtlicher Rechtssätze,
Rechtsinstitute und Rechte.


§. 6.


Die Bedeutung des Staatsrechts als fundamentaler
Rechtsordnung lässt es als natürlich und wünschenswerth
erscheinen, dass wenigstens seine Hauptsätze die Form
des geschriebenen Rechts erhalten, damit sie der Sicher-
heit, Festigkeit und allgemeinen Erkennbarkeit theilhaf-
tig werden, welche dem Gesetzesrechte vorzugsweise
eigen ist. So haben denn auch wirklich fast alle deut-
schen Staaten, in denen sich die Umwandlung des älte-
ren deutschen Staatsrechts in das Recht des organischen
Volksstaats vollzogen hat, in ihren Grundgesetzen
oder Verfassungsurkunden eine mehr oder weniger
umfassende Gesammtcodification des öffentlichen Rechts
[13]§. 6. Entstehung staatsrechtlicher Rechtssätze etc.
erhalten.1 In ihrer Ertheilung, Abänderung,2 Ergän-
zung3 hat sich die Staatsgewalt selbst zum Gegenstande.


Aber auch in der Form gewohnheitsrechtlicher Bil-
dung können staatsrechtliche Sätze entstehen.4 Diese
[14]Einleitung.
Möglichkeit wird durch das Vorhandensein einer Ver-
fassungsurkunde nicht ausgeschlossen; sie kann durch
Gewohnheitsrecht ergänzt, selbst abgeändert werden,5
insoweit es sich nicht um jene höchsten Principien han-
delt, welche dem Einflusse der fortschreitenden Rechts-
bildung im Staate überhaupt entrückt sein sollen.6 Die
Uebung staatsrechtlicher Sätze, in der sich die entschei-
dende Rechtsüberzeugung ausprägt, kann in einem wei-
teren und engeren Kreise hervortreten; sie wird vorzugs-
weise in Handlungen desjenigen Personenkreises bestehen,
4
[15]§. 6. Entstehung staatsrechtlicher Rechtssätze etc.
der in der Sphäre des fraglichen Rechtssatzes ausschliess-
lich oder hauptsächlich zur Thätigkeit berufen ist.7 Im-
[16]Einleitung.
mer aber wird dem staatsrechtlichen Gewohnheitsrechte da
nur ein geringer Raum übrig bleiben, wo einestheils sich
die gesetzgebende Gewalt in reicher und geregelter Pro-
ductivität äussert, anderntheils die Ueberzeugung obwal-
tet, dass eine ängstliche, stets beobachtete Aufrechter-
haltung auch des Buchstabens der Verfassung zu den
wichtigsten Interessen des Volks gehöre.


Die subjectiven öffentlichen Rechte, welche zu den
organischen Bestandtheilen eines concreten Staats gehören,
können althergebrachte Befugnisse sein, welche das neue
Verfassungsrecht in sich aufnimmt, wiederholt anerkennt
und regelt;8 sie können auch durch die Verfassungsur-
kunde oder durch ein anderes Gesetz erstmals begründet
werden, und zwar entweder so, dass sie der individuell
berechtigten Person unmittelbar verliehen werden,9 oder
so, dass nur die rechtliche Ordnung festgesetzt wird,
nach der sie für den Einzelnen entstehen sollen oder dür-
fen.10 Noch andere werden durch specielle Verleihung
Seitens der Staatsgewalt (Privilegium) begründet.11
[17]§. 6. Entstehung staatsrechtlicher Rechtssätze etc.
Die Annahme einer Entstehung öffentlicher Rechte
durch Ersitzung würde dem Wesen des heutigen Staats-
rechts widersprechen; 12 denn die Zulässigkeit, die Zahl
und der Inhalt öffentlicher Rechte steht im organischen
Staate unter der Fügung absoluter Normen, welche
diese Form der Localisirung staatlicher Kräfte gemäss
dem Zusammenhange des gesammten Staatsinteresses
reguliren. Sonach kann weder die Zahl noch die Ge-
staltung des Inhalts dieser Rechte einer Erwerbsfreiheit
preis gegeben sein, welche jede Regel willkührlich durch-
brechen würde, da sie ihren Grund13 in dem völlig un-
11
v. Gerber, Staatsrecht. 2
[18]Einleitung.
berechenbaren Momente des thatsächlichen Innehabens
fände.



[[19]]

ERSTER ABSCHNITT.
Die Staatsgewalt.


1. Allgemeiner Character der Staatsgewalt.1


§. 7.


Die Staatsgewalt ist die Willensmacht eines persön-
lich gedachten sittlichen Organismus. Sie ist nicht eine
2*
[20]Erster Abschnitt.
künstliche und mechanische Zusammenfassung vieler
Einzelwillen, sondern die sittliche Gesammtkraft des
selbstbewussten Volks. Ihre Existenz und Natur beruht
1
[21]§. 7. Allgem. Character der Staatsgewalt.
nicht auf einer willkührlichen Bestimmung und überleg-
ten Schöpfung, sondern sie ist eine Naturkraft, welche
im Staate, als der wichtigsten Socialform der Mensch-
heit, ursprünglich enthalten ist.2 Die rechtliche Aeus-
serung der Staatsgewalt ist das Herrschen. Diess be-
deutet eine für die Aufgaben der staatlichen Verbindung
wirksame Willensmacht, welcher das ganze Volk in allen
seinen Gliedern unterworfen ist.3 Ihr Erfolg, auch dem
innerlich Widerstrebenden gegenüber, beruht darauf,
1
[22]Erster Abschnitt.
dass sie die höchste Macht im Volke und dass allge-
mein die Ueberzeugung von ihrer Unwiderstehlichkeit
begründet ist.4 Soll sie aber ganz ihrer Idee entspre-
chen, d. h. den sittlichen Gesammtwillen eines Volks in
voller Wahrheit darstellen, so muss sie so geartet sein,
dass sie die Motive ihres Handelns nicht von einer aus-
ser ihr stehenden höheren Macht empfängt, sondern le-
diglich in sich findet, sie muss m. a. W. souverain
sein.5 Auf ihrer Bedeutung als seelischer Kraft der
Staatspersönlichkeit eines Volks beruht ihre Eigenschaft
der Untheilbarkeit.6


[23]§. 8. Character der Staatsgewalt.

2. Character der Staatsgewalt in den deutschen Staaten.


§. 8.


Die Staatsgewalt in den deutschen Staaten ist sou-
verain. Als solche ist sie nach Auflösung des deutschen
Reichsverbands bei der Stiftung des Rheinbundes und
nach dessen Auflösung bei der Stiftung des deutschen
Bundes anerkannt worden.1 Auch sind alle damit un-
vereinbaren, aus der Reichszeit stammenden staatsrecht-
lichen Abhängigkeitsverhältnisse theils durch den Art. 34.
der Rheinbundsacte, theils später beseitigt worden.2


Die deutschen Staaten stehen jedoch nicht isolirt
neben einander. Sie sind die einzelnen politischen Or-
ganismen in einem Volke, das in einem nahezu tausend-
jährigen Reichsverbande geeinigt war und auf die Fort-
dauer seiner Einigung ein unverbrüchliches Recht hat.
Diesem höheren Rechte hat sich die Selbständigkeit
der einzelnen deutschen Staaten unterzuordnen. Seinen
[24]Erster Abschnitt.
gegenwärtigen Ausdruck findet es in dem Bestehen des
Deutschen Bundes. Dieser ist aber nicht selbst eine
Staatsgewalt, welche kraft eigener Hoheit regiert und
den Einzelstaaten das Recht der staatlichen Selbstbe-
stimmung nur jenseits des Umfangs des eigenen Macht-
kreises offen lässt, sondern ein zwar immerwährender,
aber doch nur völkerrechtlicher Verband, dessen Einfluss
auf die Bundesglieder, soweit er nicht durch die Grund-
gesetze des Deutschen Bundes schon ein für allemal be-
stimmt ist, jederzeit die freie Vereinbarung derselben
voraussetzt; er tritt mithin nicht als Act einer unmittel-
bar wirkenden regierenden Gewalt, sondern nur als die
Folge einer vertragsmässigen Verpflichtung der im Bunde
begriffenen Regierungen hervor.3 Der Deutsche Bund
ist m. a. W. kein Bundesstaat, sondern ein Staatenbund,
in welchem der rechtliche Begriff der Souverainetät der
einzelnen Bundesstaaten gewahrt bleibt.4 Indessen ent-
[25]§. 9. Arten der Wirksamkeit der Staatsgewalt.
halten die Grundgesetze des Deutschen Bundes neben
den auf diess Vertragsverhältniss und die Bildung der
ihm entsprechenden Vertragsorgane bezüglichen Fest-
setzungen zugleich eine Reihe von Bestimmungen, wel-
che das innere Staatsrecht der Bundesstaaten betreffen,5
und somit einen unter höhere Garantieen gestellten Be-
standtheil dieses letzteren selbst ausmachen.


3. Die verschiedenen Arten der Wirksamkeit der Staatsgewalt.


§. 9.


Die Staatsgewalt herrscht, indem sie eine den ver-
schiedenen Ansprüchen ihrer Bestimmung entsprechende
Thätigkeit äussert. Alle einzelnen Arten dieser Thätig-
keit umfasst man in dem Gesammtworte „Regierung.“
Gegenüber den mannichfachen Aufgaben des Staats-
lebens kann sie aber nicht immer die gleiche sein. Das
Volksleben bietet zunächst Interessen dar, deren Regu-
1
4
[26]Erster Abschnitt.
lirung ausschliesslich oder doch zweckmässig nur durch
abstracte Ordnungen, durch feste und dauernde allge-
meine Normen geschehen kann;2 indem nun die Staats-
gewalt diese Art der Regulirung unternimmt, wirkt sie
gesetzgebend, und man nennt sie in dieser besonderen
1
[27]§. 9. Arten der Wirksamkeit der Staatsgewalt.
Form ihrer Wirksamkeit die gesetzgebende Gewalt. Da-
neben giebt es eine unübersehbare Menge von Interes-
sen, welche ihre Befriedigung von der Staatsgewalt nicht
durch abstracte Normirung, sondern durch Anordnungen,
Entscheidungen, Befehle der verschiedensten Art, also
durch Handlungen erwarten, deren Zweck in ihrer
Wirksamkeit für ein concretets Verhältniss erschöpft ist.
Der grösste Theil solcher Handlungen der Staatsgewalt
stellt sich dar als die Anwendung einzelner Gesetze auf
den einzelnen Fall; manche derselben bewegen sich
auch in der Sphäre freier, durch die Gesetzgebung
oder sonstiges Recht nicht im Voraus bestimmter Ent-
schliessungen. Von jeher ist es nun als eine Aufgabe
der Staatswissenschaft betrachtet worden, auch diese
verschiedenen Arten der Staatsthätigkeit, deren Gemein-
sames zunächst nur in dem Gegensatze zur gesetz-
geberischen Function der Staatsgewalt besteht, zu classi-
ficiren. Die grosse Verschiedenheit der hierüber auf-
gestellten Ansichten erklärt sich zum Theil daraus, dass
es mehrfache Interessen giebt, welche das Bedürfniss
einer solchen Eintheilung hervorrufen, und dass, je
nach der Besonderheit des Zwecks und Gesichtspunkts,
eine Verschiedenheit der Gruppirung möglich und be-
rechtigt ist.


Für das rein juristische Interesse nun genügt
es, die nicht gesetzgeberische Thätigkeit der Staats-
gewalt in zwei Classen zu scheiden, nämlich in die
richterliche und die verwaltende Thätigkeit. Denn
die Thätigkeit des Richtens, d. h. der Feststellung dessen,
was im einzelnen Falle Recht ist, schliesst sich sowohl
[28]Erster Abschnitt.
wegen der eigenthümlichen Grundsätze,3 nach denen sie
erfolgt, als auch wegen der besonderen, die Organisation
und Rechtsstellung der richtenden Behörden betreffenden
Rechtssätze gegenüber der verwaltenden Thätigkeit der
Staatsgewalt auf das Bestimmteste ab. Von einer be-
sonderen oberaufsehenden und vollziehenden Ge-
walt in dem Sinne zu reden, dass damit Thätigkeits-
formen bezeichnet würden, welche an selbständiger Be-
deutung den eben hervorgehobenen zwei Grundformen
gleich kämen, ist wenigstens vom Standpunkte der recht-
lichen Betrachtung aus nicht gerechtfertigt, indem die
Ueberwachung aller Interessen des Staatslebens4 ebenso
wie die Vollziehung des in Gesetzen oder sonst ausge-
sprochenen Staatswillens, als eine alle Handlungen der
Staatsgewalt begleitende mithin für sich nicht selbstän-
[29]§. 10. Gränzen der Staatsgewalt.
dige Function,5 dem allgemeinen Rechtsprincipe der
Verwaltung untergeordnet ist.


4. Gränzen der Staatsgewalt.


a) Allgemeine Gränzbestimmung.


§. 10.

Die Staatsgewalt ist keine absolute Willensmacht.
Sie soll nur dem Zwecke des Staats dienen, nur für ihn
bestehen. In ihm sind mithin die natürlichen Gränzen
des Gebiets ihrer Wirksamkeit enthalten.1 Eine theo-
retische
Bestimmung des Staatszwecks2 kann sich aber
immer nur in sehr allgemeinen Vorstellungen bewegen,
und nur sehr unbestimmt die Gränze andeuten, bei der
sich das Gebiet des auf die Vollendung des sittlichen
[30]Erster Abschnitt.
Gemeinlebens gerichteten Staatswillens von dem Ge-
biete der individuellen Freiheit scheidet. Auch ist nicht
zu verkennen, dass verschiedene Völker ein verschie-
denes Mass der Ansprüche an die Leistungen der
Staatsgewalt haben, je nachdem ihre sittliche Anlage
mehr oder weniger dazu drängt und befähigt, gewisse
Interessen des Volkslebens ohne Mitwirkung des Staats
in freier Selbstbestimmung zu befriedigen.3 Indessen
bedarf es in einem lebensvollen Staate auch nur selten
des Rückgriffs auf die allgemeine theoretische Ansicht
vom Staatszwecke, um die Gränzen der Staatsgewalt
im einzelnen Falle zu bestimmen, da die Vorstellung
eines Volks darüber bereits in der Gesetzgebung selbst
ihren praktischen Ausdruck gefunden hat und fort und
fort findet. Ein grosser Theil der Staatsgesetze, welches
auch immer im Uebrigen ihr Gegenstand sein möge,
lässt sich von dem Gesichtspunkte aus betrachten, dass
darin zugleich das Mass der Einwirkung der Staats-
gewalt rechtlich festgestellt wird.4


[31]§. 11. Gränzen der Staatsgewalt.

b) Besondere Abgränzungen.


§. 11.

Es giebt nun aber eine Reihe von Interessen des
Volkslebens, denen gegenüber die Abgränzung der Staats-
gewalt von ganz besonderer Wichtigkeit ist. Es handelt
sich dabei um Lebensäusserungen und Zustände, bei
denen ein bevormundendes und zwingendes Eingreifen
der Staatsgewalt als eine Verletzung der sittlichen
Würde des Volks, oder überhaupt als ein Hemmniss
seiner freien Entwickelung empfunden wird. Zugleich
handelt es sich um Interessen, welche früher in ausser-
ordentlicher Weise unter dem Drucke staatlicher Be-
schränkungen zu leiden hatten, so dass die Befreiung
hiervon als ein hoch geachtetes Ergebniss der neueren
Staatsentwickelung geschätzt wird. Daher kommt es,
dass jetzt in vielen Staaten die Rechtssätze, welche
diese das Volksleben befreienden Beschränkungen der
Staatsgewalt feststellen, als Bestandtheile des Grund-
gesetzes selbst aufgefasst und den fundamentalen Ord-
nungen des Staatsrechts einverleibt werden.1 Man
4
[32]Erster Abschnitt.
pflegt diese Sätze wohl als „Volksrechte“ zu bezeichnen,
um damit anzudeuten, dass jedes Mitglied des Volks
an der Wohlthat der nun erweiterten und gewähr-
leisteten Freiheit der Bewegung Theil nimmt; aber
keinenfalls darf dieser Ausdruck zu der Annahme ver-
leiten, dass es sich dabei um Rechte im subjectiven
Sinne handele, da sie vielmehr durchweg als Rechts-
sätze, d. h. Sätze des objectiven Rechts erscheinen.2
Es sind in der Hauptsache folgende:


1. Der Staat soll nicht die religiöse Ueberzeugung
seiner Volksglieder beherrschen (Gewissensfreiheit). Er
kann daher ein bestimmtes religiöses Bekenntniss und
seine Uebung weder gebieten noch verbieten, und auch
nicht indirect auf die Wahl desselben durch Vorent-
1
[33]§. 11. Gränzen der Staatsgewalt.
haltung der allgemeinen bürgerlichen Rechte einwirken.
Dagegen liegt in diesem Satze nicht auch der, dass die
Berufung auf ein bestimmtes Bekenntniss von der Pflicht
zur Beobachtung einer gesetzlichen Ordnung befreien
müsse, oder dass der Staat in Gesetzgebung und Ver-
waltung seinen Character als Gemeinwesen eines christ-
lichen Volks zu verläugnen habe.3


2. Der Staat soll nicht die wissenschaftlichen
Ueberzeugungen seiner Volksglieder beherrschen wollen.
Darin liegt aber nicht auch der Satz, dass die Berufung auf
eine wissenschaftliche Ueberzeugung von der Pflicht zur
Beobachtung einer gesetzlichen Ordnung befreien müsse.


3. Der Staat kann die freie Meinungsäusserung
durch die Presse nicht von seiner vorhergehenden
Genehmigung, Censur, abhängig machen (Pressfreiheit).
Darin liegt jedoch nicht, dass er nicht befugt wäre,
unbeschadet dieses Satzes einzelne Zweige der Presse,
insbesondere die s. g. Tagespresse, besonderen Ordnun-
gen zu unterwerfen.4 Ebenso verwehrt er Niemandem,
eine auf öffentliche Angelegenheiten bezügliche Bitte
v. Gerber, Staatsrecht. 3
[34]Erster Abschnitt.
beim Monarchen, den Ständen oder einer Behörde vor-
zutragen (Petitionsrecht). Wenn dabei vorgeschrieben
wird, dass die Bitte in passender Form, nicht durch
ungeordnete Massen, bei den Ständen nicht persönlich
überreicht werden solle, dass sich das Heer nicht zum
Zwecke der Petition versammeln dürfe, dass Bitten von
Corporationsvorständen nur dann als Corporationsange-
legenheiten gelten, wenn sie sich auf die im Lebenskreise
der Corporation befindlichen Gegenstände beziehen, so
sind diess keine das s. g. Petitionsrecht beschränkenden
Bestimmungen, sondern Rechtssätze, welche anderswo
ihren Anknüpfungspunkt haben.


4. Der Staat kann nicht das Mass oder die Art
der Ausbildung seiner einzelnen Volksglieder, oder
die Berufswahl derselben bestimmen wollen.


5. Der Staat muss die richterliche Thätigkeit
völlig unabhängig stellen; auch kann er die Handhabung
der Gerechtigkeit nicht durch besondere gesellschaft-
liche Verhältnisse der Volksglieder bedingen lassen,5
und Niemandem den Zugang zu seinem ordentlichen
Richter versagen.


6. Der Staat kann Niemanden hindern, Versamm-
lungen
zu veranstalten und Vereine zu gründen, oder
4
[35]§. 12. Gränzen der Staatsgewalt.
sich an solchen zu betheiligen. Er ist aber befugt,
darüber Ordnungen festzusetzen, welche die äusseren
Bedingungen solcher Versammlungen und Vereine re-
geln und Missbräuchen derselben vorbeugen.6


7. Der Staat kann einen Staatsbürger nicht hindern,
auszuwandern, sofern er nicht die Absicht hat, sich
durch die Auswanderung einer bereits begründeten
staatsbürgerlichen Pflicht zu entziehen.


8. Der Staat kann keine Massregel verfügen,
welche mit der durch die Rechtsordnung gewährleiste-
ten individuellen Freiheit der Person7 im Wider-
spruche stände (keine Strafe ohne einen Strafrechtssatz,
keine Verhaftung, Haussuchung, Verletzung des Brief-
geheimnisses ohne Beobachtung der vorgeschriebenen
Bedingungen).


Alle diese Rechtssätze wollen unbedingt als Schran-
ken der Staatsgewalt in ihrer verwaltenden Thätigkeit
gelten, aber auch als Schranken der gesetzgebenden
Gewalt des Staats insofern, als eine Beseitigung der-
selben nur durch verfassungsmässige Aufhebung eines
Theiles des Grundgesetzes zulässig wäre.


§. 12.

Eine bedeutungsvolle Schranke der Staatsgewalt
liegt sodann in dem Satze, dass sie wohlerworbene
3*
[36]Erster Abschnitt.
Rechte schonen soll.1 — Die Staatsgewalt, indem
sie ihren Beruf als höchste Ordnerin des Gemeinwesens
vollzieht, ist genöthigt, die verschiedensten Interessen
des Volkslebens zu berühren und in dieselben einzu-
greifen, Verpflichtungen der mannichfachsten Art in
Ge- und Verboten aufzulegen, neue Ordnungen ein-
zuführen und alte zu beseitigen. Insoweit sie hierbei
nur auf Verhältnisse stösst, welche nichts weiter sind,
als die nach Massgabe der bisherigen Gesetze geregel-
ten thatsächlichen Gestaltungen, steht ihrem Vorschreiten
ein rechtliches Hemmniss nicht im Wege. Wohl aber
ist diess der Fall, wenn sie bei ihren Massregeln
auf ein wohlerworbenes Recht in der Weise trifft,
dass es beseitigt oder dem Berechtigten die Ausübung
desselben abgeschnitten werden soll. Wollte die Staats-
gewalt auch gegenüber erworbenen Rechten eine rück-
sichtslose Freiheit des Handelns in Anspruch nehmen,
so würde sie mit ihrer eigenen principalen Mission, der
höchste Schutz der Rechtsordnung zu sein, in unauf-
löslichen Widerspruch treten, indem sie gegenüber sich
selbst die Bedeutung der Rechte verneinte, deren An-
erkennung sie von allen Anderen in Anspruch nimmt.
Somit erscheint der Satz der Unverletzlichkeit erwor-
bener Rechte als ein aus dem Begriffe des Rechts und
seiner Anerkennung im Staate von selbst folgender, und
es ist nur eine besonders feierliche Bestätigung desselben,
wenn ihn die Grundgesetze aufnehmen und ausdrücklich
[37]§. 12. Gränzen der Staatsgewalt.
gewährleisten. Zu den wohlerworbenen Rechten gehört
aber nicht die blosse Befugniss des freien Handelns in
einem Gebiete, in welchem die bisherige Gesetzgebung
keine Beschränkung auflegte, überhaupt nicht das Recht
jedes Einzelnen, an den Vortheilen Theil zu nehmen,
welche eine gesetzliche Anordnung gewährt, die nur als
abstracte Norm wirken will; vielmehr sind darunter
allein diejenigen Befugnisse zu verstehen, in denen eine
im objectiven Rechte enthaltene Willensmöglichkeit
durch irgend einen Vorgang, sei dieser ein Rechtsge-
schäft, eine sonstige rechtsbegründende Thatsache oder
ein Gesetz, als concret bestimmte Rechtszuständigkeit
eines individuellen Subjects realisirt worden ist.2


Der Grundsatz der Achtung wohlerworbener Rechte
enthält zunächst eine unbedingte Schranke für die Staats-
gewalt in ihrer verwaltenden Thätigkeit; aber auch als
[38]Erster Abschnitt.
gesetzgebende Gewalt ist sie insofern daran gebunden,
als eine ohne dringenden Grund und ohne Vermögens-
entschädigung des Betheiligten3 geschehene Aufhebung
von erworbenen Rechten, welche noch jetzt ein nach all-
gemeinem Massstabe anerkennungswerthes Interesse be-
friedigen, — zwar nicht als formell unwirksam, — aber
jederzeit als eine rechtsverletzende und sonach miss-
bräuchliche4 Verwendung des Rechts der Gesetzgebung
gelten wird. Und Niemand wird diess für bedeutungs-
los halten, wenn er die Macht des sittlichen Urtheils
erwägt, der sich auch die Staatsgewalt nicht zu ent-
ziehen vermag.


Wohlerworbene Rechte indessen, deren Inhalt das
Recht auf Ausübung einer organischen Function im
Staate ist, können gegenüber einer auf Aenderung der
Verfassung gerichteten Gesetzgebung auch nicht einmal
diese Widerstandskraft immer in Anspruch nehmen, da
sich ihr rechtlicher Bestand von ihrem Zusammenhange
mit der Verfassung gar nicht trennen lässt.5


[39]§. 13. Gränzen der Staatsgewalt.
§. 13.

Aber selbst in ihrer verwaltenden Thätigkeit ist die
Staatsgewalt nicht immer im Stande, diese Schranken
einzuhalten. Im Interesse des öffentlichen Wohls, oder
um ihrer Selbsterhaltung willen kann sie unter der Vor-
aussetzung nöthigender thatsächlicher Verhältnisse nicht
nur berechtigt, sondern auch verpflichtet sein, ausnahms-
weise über ihre normalen Gränzen hinauszuschreiten.
Ein solches Ausschreiten ist indessen nur insoweit und
nur so lange berechtigt, als diess die Wahrung des
öffentlichen Interesses oder das Bedürfniss der Besei-
tigung eines Nothstands fordert. Auf diesem Gesichts-
punkte beruht zunächst das Expropriationsrecht des
Staats, d. h. die Befugniss, den Einzelnen gegen volle
Entschädigung zu einer Preisgebung seines Eigenthums
zu nöthigen, wenn das öffentliche Interesse nicht anders
als durch dieses Opfer befriedigt werden kann.1 Ein
noch weitergehendes und principiell noch weniger be-
stimmbares Recht der Staatsgewalt, in das Vermögen
der Einzelnen einzugreifen, kann sodann durch einen
eigentlichen Nothstand begründet werden, der zum rück-
sichtslosen Handeln für das Bedürfniss des Augenblicks
nöthigt. Ein solcher Nothstand kann auch nach Um-
ständen ein Eingreifen in die persönliche Freiheit und
eine ausserordentliche Beschränkung derselben in ver-
[40]Erster Abschnitt.
schiedenen Richtungen rechtfertigen, wie z. B. durch
Verhängung des Belagerungszustandes und Verkün-
digung des Standrechts.2


c) Bundesrechtliche Schranken.


§. 14.

Die Staatsgewalt der deutschen Bundesstaaten ist
endlich beschränkt durch Bestimmungen der Grund-
gesetze des deutschen Bundes, welche ein der Ver-
fügung der einzelnen Staaten unzugängliches höheres
Recht festsetzen wollen. Dahin gehören zunächst die
Bestimmungen, welche sich auf den rechtlichen Cha-
racter der Staatsverfassungen selbst beziehen,1 sodann
diejenigen, welche die freie Bewegung der einzelnen
Staatsgewalten bezüglich ihrer äusseren Verhältnisse
beschränken,2 ferner diejenigen, in welchen einzelne
das innere Staatsrecht betreffende Grundsätze festge-
stellt werden,3 endlich diejenigen, durch welche den
Mitgliedern einiger Standesclassen ein besonderer Rechts-
zustand gesichert wird.4 Ob und inwieweit die in ein-
[41]§. 15. Objecte der Staatsgewalt.
zelnen Beschlüssen der Bundesversammlung enthaltenen
Festsetzungen als wirkliche Schranken der Staatsgewalt
der Bundesstaaten aufgefasst werden müssen, kann
nicht allgemein, sondern nur nach Massgabe ihres be-
sonderen Characters bestimmt werden. 5


5. Die Staatsgewalt in der Beziehung zu den Objecten
ihrer Herrschaft.


§. 15.
Allgemeines.


Staatsbürger, Gemeinden und das Staatsgebiet sind
die natürlichen Gegenstände der Staatsgewalt, in deren
Beherrschung sie ihr eigenthümliches Wesen offenbar
macht. Wie unendlich mannichfaltig auch sonst die
Dinge und Verhältnisse sein mögen, welche sie in der
Verfolgung des Staatszwecks durch ihre Verfügungen
berührt, — in allen ihren Handlungen wird eine Be-
ziehung derselben als herrschenden Subjects zu diesen
ihrer Gewalt unterworfenen Gegenständen hervortreten.
Die Herrschaft des Staats ist wesentlich die Ausübung
seines Gewaltrechts an Staatsbürgern und Gemeinden
innerhalb seines örtlichen Machtgebiets.


[42]Erster Abschnitt.
A. Das Recht des Staats an der Person des Staatsbürgers.

a) Allgemeine Ansicht.

§. 16.

Die Stellung des Volks zum Staate gewährt der
wissenschaftlichen Betrachtung mehrfache Seiten. Vor
Allem ist das Volk die natürliche Grundlage des Staats,
d. h. sein Gemeinwesen ist es, für dessen Schutz und
Entwickelung der Staat besteht. Sodann ist es der
sittliche Geist des Volks, aus welchem die materiellen
Motive für das Handeln der Staatsgewalt hervorgehen.
Nicht minder ist es das Volk, aus dem der Staat die
persönlichen Kräfte zur Ausführung der Aufgaben der
Staatsgewalt erwartet. Alle diese Beziehungen zwischen
Volk und Staat sind nicht bloss überhaupt, sondern
auch rechtlich bedeutend. Aber keine ist für die recht-
liche Stellung des Volks im Systeme des Staatsrechts
so entscheidend, als die, dass das Volk Gegenstand
der Staatsherrschaft ist. 1 Diese Beziehung bedeutet
diess, dass alle einzelnen Volksglieder durch den Staats-
willen rechtlich gebunden sind; diess ist der Inhalt des
Rechts des Staats an der Person der Staatsbürger.
Es enthält dieses Recht eins jener organischen Gewalt-
verhältnisse, deren das Rechtssystem mehrere, freilich
sehr verschiedene sittliche Thatbestände angehende und
daher mit sehr verschiedenem Inhalte ausgestattete an-
erkennt. 2 Wie bei allen diesen, so beruht auch bei
[43]§. 16. Die Staatsbürger.
dem Verhältnisse der Staatsbürger zum Staate das ver-
bindende Element nicht auf einer obligatorischen, son-
2
[44]Erster Abschnitt.
dern auf einer organisch - sittlichen Grundlage. Und
auch darin stimmt das Gewaltrecht des Staats an den
Staatsbürgern mit jenen übrigen Gewaltrechten überein,
dass für die Personen, welche die Gegenstände desselben
sind, daraus gleichzeitig Gegenrechte an dem Subjecte
der herrschenden Gewalt erwachsen; jedoch erscheinen
diese nur als die Reflexwirkungen des Gewaltrechts und
können daher systematisch nicht als die entscheidenden
Momente in Anrechnung gebracht werden. 3


Während nun das Volk in seinen sonstigen Bezie-
hungen zum Staate als eine geistige Einheit erscheint,
bei der das einzelne Glied nicht isolirt, sondern nur als
mitwirkender Krafttheil eines grossen, Vergangenheit
und Gegenwart einschliessenden sittlichen Gesammt-
individuums hervortritt, wendet sich die juristische
Construction des Gewaltrechts an den einzelnen Staats-
bürger als solchen. Daraus ergiebt sich der Plan der
folgenden Darstellung, welche den Inhalt des Rechts
des Staats an den Staatsbürgern überhaupt, sodann
den Inhalt dieses Rechts gegenüber besonderen Classen
derselben und die Begründung und Beendigung dessel-
ben zu entwickeln hat.


b) Inhalt dieses Rechts.

§. 17.

Vermöge seines Herrschaftsrechts fordert der Staat,
dass der Staatsbürger sich der Fügung des Staats-
[45]§. 17. Die Staatsbürger.
willens in jeder Form seiner rechtmässigen Kundgebung
unterordne und gehorsam erweise, sowie dass er dem
Staate seine persönlichen und öconomischen Kräfte in-
soweit zur Verfügung stelle, als das Bedürfniss ihrer
Verwendung besteht. Er fordert mithin eine allgemeine
Hingebung der Persönlichkeit,1 und die einzelnen An-
sprüche, wie die Auflegung von Steuern und Militär-
diensten, sind nur die wichtigsten Anwendungsfälle
seines Gewaltrechts. 2 Selbstverständlich aber ist es,
dass dieses Gewaltrecht nur innerhalb der Schranken
besteht, welche für die Staatsgewalt überhaupt gelten,
und dass es auch nur in den Formen ausgeübt werden
darf, welche das Recht hierfür feststellt. 3


[46]Erster Abschnitt.

Es ist aber die eigenthümliche Natur dieses Gewalt-
verhältnisses, dass die Unterwerfung nicht als eine Min-
derung des Rechts, sondern als eine Wohlthat empfun-
den wird; denn der ganze Zweck desselben ist die Ge-
währleistung einer gedeihlichen Existenz in der Volks-
gemeinschaft. Durch ihr Herrschaftsrecht ist die Staats-
gewalt in die Lage gesetzt, alle die Satzungen, Anord-
nungen und Einrichtungen zu treffen, von denen der
Rechtsschutz und die Culturentwickelung aller Staats-
angehörigen bedingt ist. Den Genuss dieser Vortheile
bietet sie den ihrer Gewalt Unterworfenen als Gegen-
gabe. Die s. g. allgemeinen bürgerlichen Rechte,
d. h. das jedem Staatsbürger zustehende Recht der
Theilnahme an den auch für den Einzelnen aus der Ar-
beit der Staatsgewalt hervorfliessenden Vortheilen, sind
die Gegenwirkung des staatlichen Gewaltrechts. 4


Eine fernere Eigenthümlichkeit dieses Rechts ist
sodann die, dass seine Ausübung nicht als die Geltend-
machung eines ausser dem Volke stehenden fremden
Willens erscheinen soll. Daher gewährt der Staat den
[47]§. 18. Die Staatsbürger.
Staatsbürgern selbst ein Recht der Mitbestimmung bei
der Ausübung seiner Herrschaft, indem er einem Theile
derselben durch die politischen Wahlrechte eine Ein-
wirkung auf die Richtungen verstattet, welche der
Staatswille nehmen soll. 5 So reflectirt das Gewalt-
recht des Staats für die Unterworfenen, sofern sie den
dafür bestehenden besonderen Voraussetzungen6 ent-
sprechen, eine zweite Gruppe von Gegenrechten, welche
man gewöhnlich mit dem Namen politische Rechte
kennzeichnet.


c) Modificationen.

§. 18.

Das Gewaltrecht des Staats besteht gleichmässig
über alle Staatsbürger. Das heutige Staatsrecht kennt
keine Verschiedenheit der rechtlichen Unterwerfung
unter die oberste Gewalt, es kennt nicht, wie das ältere
[48]Erster Abschnitt.
deutsche Staatsrecht, eine verschiedene Staatsherrschaft
gegenüber den vollständig und gegenüber den weniger
vollständig unterworfenen Gruppen der Unterthanen.
Seine Staatsgewalt ist gegenüber allen Staatsbürgern
dasselbe organische Machtrecht, sie ist nirgends mehr
jene unentwickelte des älteren deutschen Staatsrechts,
welche zum Theil nur auf vertragsartigen Verbindungen
beruhte. Durch die Abstreifung aller privatrechtlichen
Elemente und die Ergreifung der ganzen sittlichen
Macht, welche in dem Begriffe der Staatshoheit ent-
halten ist, hat der Staat den rechtlichen Begriff der
Staatsgewalt nunmehr vollendet, sowie andererseits da-
durch auch der Begriff des Volks als der Gesammtheit
der staatlich Beherrschten seine einheitliche Rechtsbe-
stimmung erhalten hat. 1


Nicht im Widerspruche hiermit steht es aber, dass
die dem Gewaltrechte des Staats entsprechenden poli-
[49]§. 18. Die Staatsbürger.
tischen Gegenrechte für einzelne Classen der Staats-
bürger in einem höheren Grade entwickelt und in um-
fassenderer Weise gewährt sind, als für die Uebrigen.
Es giebt Stände, deren Mitglieder durch besondere
öffentliche Rechte ausgezeichnet sind. 2 Der Mittelpunkt
derselben ist immer das selbständige Recht auf Theil-
nahme an der politischen Vertretung des Volks; aber
es kommt hierzu in der Regel noch eine weitere mehr
oder weniger umfassende Ausstattung mit anderweiten
öffentlichen Befugnissen. Von besonderer Bedeutung
unter diesen Ständen sind diejenigen, deren Rechts-
zustand durch das Bundesrecht selbst garantirt ist,
nämlich 1. die deutschen Standesherren, d. h. die
Häupter der Familien des deutschen hohen Adels.
Darunter sind zu verstehen die Familien der ehemaligen
reichsständischen Landesherren über reichsunmittelbare
Territorien, welche seit dem Jahre 1806 der Hoheit
eines souverainen deutschen Staats unterworfen (mediati-
sirt) worden sind,3 sowie diejenigen Familien, welche in
Rücksicht auf ihre Standesstellung zur Zeit des deutschen
Reichs kraft ausdrücklicher Anerkennung der Bundes-
versammlung dem hohen Adel beigezählt worden sind. 4
v. Gerber, Staatsrecht. 4
[50]Erster Abschnitt.
Die ihnen durch den Artikel 14. der Deutschen Bundes-
acte5 garantirten Rechte sind theils solche, welche nur
[51]§. 18. Die Staatsbürger.
den Häuptern dieser Familien zukommen, theils solche,
welche allen Gliedern derselben zustehen; sodann unter-
scheiden sie sich darin, dass einige den Mitgliedern
des hohen Adels persönlich, andere denselben nur als
Besitzern ihrer Standesherrschaften6 gebühren. Eine
analoge Stellung in Rücksicht auf besondere Theil-
nahmsrechte an der Landesvertretung räumen die Ver-
fassungen auch den Agnaten der heutigen Regenten-
familien ein, deren gesammte Rechtsstellung freilich von
einem anderen Gesichtspunkte beherrscht wird. 2. Die
Grundherren
, d. h. die Mitglieder der ehemals reichs-
unmittelbaren Ritterschaft. Auch ihnen ist im Art. 14. der
Deutschen Bundesacte eine besondere Rechtsstellung7
5
4*
[52]Erster Abschnitt.
gewährleistet, welche dadurch nicht aufgehoben wird, dass
sie in mehreren Staaten mit der landsässigen Ritterschaft
zu einem gemeinsamen Körper verschmolzen sind.8


Auf der anderen Seite giebt es auch Staatsbürger,
denen gar keine oder nur geringere politische Gegenrechte
zugestanden werden. Dahin gehören nach dem Rechte
mehrerer deutschen Staaten noch jetzt die Juden.9


d) Entstehung und Endigung.

§. 19.

Das Gewaltrecht des Staats wird begründet an
Allen, welche in den Verband seiner Staatsbürger (In-
digenat) eintreten.1 Diess geschieht 1. durch Geburt,
7
[53]§. 19. Die Staatsbürger.
wenn die Eltern (bei Unehelichen wenn die Mutter) zur
Zeit der Geburt das Staatsbürgerrecht hatten. 2. Durch
Aufnahme (Naturalisation), welche bei der Staatsregie-
rung nachgesucht werden muss, und in der Regel an
die Voraussetzung geknüpft ist, dass der Aufzuneh-
mende aus seinem bisherigen staatsbürgerlichen Verhält-
nisse entlassen ist und die Zusicherung der Aufnahme
in eine diesseitige Gemeinde erlangt hat.2 3. Durch
Verheirathung einer Ausländerin mit einem Inländer.
4. Durch Uebertragung eines Staatsamtes an einen Aus-
länder.3 5. Durch Zuweisung eines Heimathlosen.4 Be-
endigt wird das Gewaltrecht des Staats durch Ausschei-
den des ihm Unterworfenen aus dem staatsbürgerlichen
Verbande, was insbesondere eintritt bei der Auswan-
derung,5 der Uebernahme eines fremden Staatsdienstes
1
[54]Erster Abschnitt.
ohne Vorbehalt des bisherigen Indigenats (wo solcher
zulässig ist), und nach Particularrechten auch bei länger
dauernder Abwesenheit, wenn dabei die Absicht besteht,
im Auslande bleibend zu wohnen.6


B. Das Recht des Staats an den Gemeinden.

§. 20.

Das Verhältniss der uralten Gemeindeverbindungen
zu der Gesammtverbindung des Volks im Staate ist
nicht immer dasselbe gewesen. Während im Mittel-
alter, bei einem sehr geringen Bedürfnisse völkerschaft-
licher Existenz, die Gemeinde grösstentheils den Staat
ersetzte und der unentwickelten Territorialgewalt eine
fast unbeschränkte autonome Selbständigkeit gegenüber-
stellte, hat sich seit dem Ende des siebzehnten Jahr-
hunderts umgekehrt der Staat, indem er in rücksichts-
loser Energie dem erkannten Ziele seiner Machtent-
wickelung zustrebte, die Gemeinden meist so vollständig
unterworfen, dass sie ihr eigenes Leben einbüssten und
zu der Bedeutung blosser Verwaltungsbezirke herab-
sanken. Es ist nun eine der wichtigsten Thatsachen
5
[55]§. 20. Die Gemeinden.
auf dem Gebiete des deutschen Staatslebens, dass diese
Gegensätze in unserer Zeit ihre Versöhnung gefunden
haben.


Die Gemeinde ist eine corporative Verbindung von
selbständigem Lebensinhalte; sie will die Interessen be-
friedigen, welche das nachbarschaftliche auf örtlicher
Ansiedelung beruhende Leben hervorbringt. Das von
den Vorfahren überkommene Corporationsvermögen er-
scheint als ein gestiftetes und der Zukunft zu bewahren-
des Gut, aus dessen Ertrage in Verbindung mit anderen
Einkünften (insbesondere den Gemeindesteuern) die Be-
dürfnisse des örtlichen Zusammenlebens in Rücksicht auf
äussere Ordnung, Cultur und öffentliche Wohlthätigkeit
bestritten werden sollen. In der Pflege und der ge-
deihlichen Förderung der hieraus hervorgehenden Ein-
richtungen und Anstalten und der Vermittelung des
hiervon abhängigen Wohlbefindens der einzelnen Ge-
meindeglieder beruht die wesentliche Aufgabe der Ge-
meindeverbindung.1


Es lässt sich nun nicht verkennen, dass die Arbeit
des Staats für das ganze Volk in mancher Beziehung
ähnlich ist und zum Theil mit derjenigen zusammen-
fällt, welche die Gemeinde in ihrem engeren Kreise zu
[56]Erster Abschnitt.
leisten hat; aber der Staat kann die ihm gestellte all-
gemeine Aufgabe nicht lösen, wenn er nicht darauf
rechnen darf, dass die Gemeinden ihre besondere Auf-
gabe erfüllen. So betrachtet er sie als seine natürliche
Ergänzung, durch welche er erst in die Lage versetzt
wird, seinen, das Volk als Ganzes ergreifenden Beruf
zu erfüllen; so kommt es, dass er seine eigene Lebens-
fähigkeit wesentlich auf ihr Bestehen und ihr dem Gan-
zen fördersames Wirken stützt;2 und so erklärt es sich,
warum er auch sie in den Kreis der Personen und
Sachen erhebt, an welche sich unmittelbar sein staat-
liches Herrschaftsrecht anknüpft. Daher kann er auch
ihre innere Organisation und Entwickelung nicht der
individuellen Willkühr preis geben, sondern macht die
Gemeindeordnung selbst zu einer der wichtigsten An-
gelegenheiten der Staatsgesetzgebung,3 und sorgt, in-
[57]§. 20. Die Gemeinden.
dem er die Verwaltung der Gemeinden seiner Aufsicht
unterwirft, dass sie in einem dem Gesammtinteresse
entsprechenden Sinne geführt werde.4


Daneben aber stellt der Staat noch mancherlei an-
dere Ansprüche an die Gemeinden. Allerdings be-
trachtet er sie auch jetzt noch als die natürlichen Ab-
theilungen und Gruppirungen des Volks; an sie und
ihre Vertreter und nicht an die gestaltlose Masse wen-
det sich vielfach seine Regierung zum Zwecke der
Durchführung allgemeiner Massregeln.5 Zugleich be-
traut er zweckmässig den Gemeindevorstand mit einer
Reihe staatlicher Functionen, insbesondere der örtlichen
Polizei, in deren Ausführung dieser unmittelbar im
Dienste des Staats handelt.6



[58]Erster Abschnitt.

Aus allem Diesem ergiebt sich der Inhalt des Rechts,
welches dem Staate an den Gemeinden zusteht. Sie
sind selbständige öffentliche Corporationen7 mit eigenem
Lebensberufe, aber sie gehören zu den unmittelbaren
Objecten der staatlichen Herrschaft; auch auf sie er-
streckt sich constitutionell das Gewaltrecht des Staats.


§. 21.

An der Spitze der Stadtgemeinde stehen Bürger-
meister und Rath, welche in collegialischer Form über
alle Gemeindeangelegenheiten berathen und beschliessen,
das Gemeindevermögen verwalten, auch die Gemeinde
in jeder Beziehung rechtlich vertreten. Diesem Ge-
meindevorstande gegenüber steht als Vertreter der Bür-
gerschaft ein s. g. Bürgerausschuss, auch Collegium der
Stadtverordneten genannt; sein Verhältniss zum Rathe
ist diess, dass er bei manchen Angelegenheiten zu gut-
achtlicher Aeusserung, bei anderen zur Einwilligung, bei
einzelnen wohl auch zum Mithandeln angegangen wer-
6
[59]§. 21. Die Gemeinden.
den muss. Die Stadtverordneten werden auf bestimmte
Jahre von der Bürgerschaft, der Bürgermeister und
Rath (auf Lebenszeit oder auf bestimmte Jahre) in der
Regel von den Stadtverordneten gewählt. Die Wahlen
bedürfen meist der Bestätigung durch die Regierung.


An der Spitze der Landgemeinden steht ein
Schultheiss (Dorfrichter), der die Gemeindeangelegen-
heiten mit einigen Gehülfen (jedoch nicht in collegiali-
scher Form) besorgt. In manchen Fällen muss auch
die Gesammtheit der Gemeindebürger1 befragt werden,
welche hier in der Regel nicht durch einen ständigen
Ausschuss vertreten ist (oder wenigstens nicht durch
einen so umfassenden, als die Stadtgemeinde). In man-
chen Ländern steht noch jetzt dem Gutsherrn ein be-
sonderer Einfluss auf die Besetzung der Vorstände der
Landgemeinden zu.


Jede Gemeinde hat ihre Gemarkung als örtliche
Basis ihrer Existenz. Mitglieder der Gemeinde sind die
Gemeindebürger. Von denen, welche das volle Bürger-
recht (d. h. auch die Gemeindewahlrechte und die Fähig-
keit zur Uebernahme von Gemeindeämtern)2 haben,
unterscheiden sich die blossen Beisitzer oder Schutz-
verwandten, denen nur das in manchen Ländern s. g.
Heimathsrecht in der Gemeinde3 zusteht. Die Aus-
[60]Erster Abschnitt.
übung der Befugnisse des vollen Bürgerrechts steht aber
nur den in der Gemeinde anwesenden Bürgern zu. Das
Bürgerrecht wird erworben durch Aufnahme gegen Ent-
richtung des Bürgergeldes; aber der Gemeindevorstand
darf sie nicht versagen, wenn der Aufzunehmende die
Erfüllung gewisser gesetzlicher Bedingungen nachweist.
Auch die geborenen Gemeindebürger haben particular-
rechtlich noch eine besondere Aufnahmegebühr zu er-
legen. In manchen Fällen, z. B. beim Erwerbe von
Grundeigenthum in der Gemarkung, muss die Auf-
nahme in das Bürgerrecht nachgesucht werden. Den
Rechten der Gemeindebürger stehen gegenüber die
Pflichten derselben, welche sich auf die Uebernahme
von Gemeindeämtern, Leistung der Gemeindeabgaben
und Dienste beziehen.4


C. Das Recht des Staats am Staatsgebiete.

§. 22.

Das Staatsgebiet ist das sachliche Object der
Staatsherrschaft. Sie bedarf der Consolidirung auf
einem fest begränzten Territorium, dessen Umfang,
Lage und Reichthum die wesentlichsten Elemente zur
Characteristik ihrer Macht und Entwickelungsfähigkeit
darbieten. Für das Volk ist das Staatsgebiet Heimath
und Vaterland; auf ihm ist die ganze Culturarbeit der
Vorfahren in sichtbaren Merkmalen ausgeprägt, welche
die wirkungsvollste Verbindung zwischen dem Lande
und dem Volksgeiste verkünden.


[61]§. 22. Das Staatsgebiet.

Der Inhalt des Rechts des Staats am Staatsgebiete
ist nun allein der, dass der Staat auf ihm Staat
sein darf, dass das Territorium die örtliche Aus-
dehnung der Wirkung seiner Staatsgewalt dar-
stellt, und dass er die Anerkennung desselben
als örtlichen Machtgebiets in Anspruch nehmen
kann.
1 Die Zugehörigkeit des Territoriums zum Staate
als berechtigtem Subjecte ist also der Inhalt eines durch-
aus staatsrechtlichen Sachenrechts.2 Diese Characteristik
des Rechts am Staatsgebiete, welche darin nur das all-
gemeine und formelle Moment der Oertlichkeit in der
rechtlichen Bestimmung des Staatsrechts erblickt, ist
aber erschöpfend; es würde unrichtig sein, den Begriff
dieses Rechts mit einem eigenthümlichen materiellen In-
halte ausstatten und etwa durch einzelne Massregeln der
Staatsgewalt bestimmen zu wollen, welche den Grund
und Boden zum praktischen Objecte haben, wie die An-
legung von Strassen, die Verfügung über öffentliche
Gewässer, die Aufstellung von Regalien, oder durch
Massregeln, welche sich auf die Eintheilung des Staats
in Kreise oder Provinzen, oder auf die Behandlung
[62]Erster Abschnitt.
Fremder im Staatsgebiete beziehen.3 Denn alles Diess
sind nicht specifische Ausflüsse der Gebietshoheit, son-
dern Acte der Staatsgewalt überhaupt, für deren Cha-
racteristik die zufällige Berührung mit Verhältnissen der
Oertlichkeit nicht entscheidend ist.


Das Territorium, welches nach dem eben bezeich-
neten Rechte Gegenstand der Staatsgewalt ist, hat aber
zugleich die Bedeutung des am meisten characteristischen
Attributs seines Staats. In seinem Landgebiete hat
der Staat seine körperliche Qualificirung, in ihm wird er
real individualisirt. Daher werden beide, Staat und
Territorium, als untrennbare Dinge gedacht und das
Recht an dem bestimmten Staatsgebiete zu einem Mo-
mente in der Bestimmung eines individuellen Staats-
organismus erhoben. Ueberall aber, wo die Bedeutung
des Staats als eines persönlichen Organismus zur recht-
lichen Anerkennung gekommen und das Territorium
in diese Verbindung mit ihm getreten ist, muss folge-
weise das Letztere an der ganzen Rechtsstellung Theil
nehmen, welche jenen characterisirt. Sowie daher der
Staat selbst, weil eine Persönlichkeit, untheilbar ist, so
[63]§. 22. Das Staatsgebiet.
ist es auch sein Territorium. Eine Theilung des Terri-
toriums4 wäre, wenn sie der Staat vornähme, eine
Selbstvernichtung. Aber auch einem Dritten kann
gegenüber einem rechtlich bestehenden Staatsorganismus
nicht ein Recht auf dessen Zerstörung durch Zer-
stückelung seines Staatsgebiets zustehen.5 Das ist es,
was die Verfassungen aussprechen wollen, wenn sie die
Untheilbarkeit des Staatsgebiets an die Spitze aller
Grundgesetze stellen.6


Von dieser Rechtsstellung des Staatsgebiets ganz
verschieden war die des Territoriums im älteren deut-
schen Staatsrechte. In ihm erschien es als das Object
eines im Ganzen privatrechtsartigen Rechts seines Lan-
desherrn. In dem Besitzrechte des Landesfürsten lag
der wesentliche Grund seines Zusammenhangs; denn
die einzelnen Theile desselben waren in der Regel auf
Grund sehr verschiedener Erwerbstitel zusammenge-
bracht worden, und bewahrten auch in der Hand ihres
Erwerbers die mannichfachsten rechtlichen Verschie-
[64]Erster Abschnitt.
denheiten. Das Schicksal des Territoriums, — ob es
zusammen bleiben oder getheilt, ob es vermehrt oder
gekürzt werden sollte, — war in der Hauptsache eine
Frage des fürstlichen Vermögensrechts. Erst die grossen
politischen Umgestaltungen dieses Jahrhunderts, aus de-
nen für die meisten deutschen Staaten der völlige Neu-
bau im Sinne des staatlichen Organismus hervorging,
haben das Territorium seiner Stellung als Object indivi-
dueller Befugnisse des Immobiliarsachenrechts entrückt
und mit gänzlicher Veränderung seines rechtlichen Cha-
racters in jene oben geschilderte Fügung hineingebracht.7
Ob dieser Process organischer Assimilirung im einzelnen
deutschen Staate vollständig durchgeführt sei, so dass
die sich daran knüpfenden Rechtsfolgen in ihrem ganzen
Umfange einzutreten haben, oder ob diess nicht der
Fall sei, ist eine hochwichtige Frage des particulären
Staatsrechts.8


6. Die materiellen Richtungen der Staatsgewalt.


§. 23.


Was die Staatsgewalt in der Verfolgung ihrer Ge-
sammtaufgabe gesetzgebend und regierend im Einzelnen
erstrebt, schafft und anordnet, soll im Folgenden in
übersichtlicher Skizze zusammengestellt werden.1


[65]§. 23. Richtungen der Staatsgewalt.

1. Die Staatsgewalt sorgt vor Allem für die Be-
gründung und Erhaltung der bürgerlichen Rechtsord-
nung.
Daher wirkt sie gesetzgebend für das Civilrecht,
das Strafrecht und das gerichtliche Verfahren; daher
setzt sie in Gemässheit der bestehenden Gerichtsver-
fassung ordentliche Gerichte ein, welchen die Rechts-
pflege als selbständiger Beruf anvertraut ist. Sie sorgt
für die erforderlichen Instanzen. Sie überwacht die
pflichtmässige Thätigkeit der Richter, ohne sie jedoch
bei ihrer Rechtssprechung irgendwie zu beeinflussen.
Sie gewährt den Richtern eine besonders gesicherte
rechtliche Stellung. Auch sorgt sie für die zur Aus-
führung und Ergänzung der Justizpflege erforderlichen
Einrichtungen und Anstalten.


2. Ein ausserordentlich umfangreiches Gebiet innerer
Thätigkeit der Staatsgewalt wird mit dem Namen der
Polizei bezeichnet. Man pflegt sie in Wohlfahrts- und
Sicherheitspolizei zu theilen. Jene umfasst die Sorge
für die geistige Cultur des Volks (Schulwesen), für seine
1
v. Gerber, Staatsrecht. 5
[66]Erster Abschnitt.
öconomische und industrielle Entwickelung (Gewerbe-
ordnung, Einrichtungen mannichfachster Art für Handel,
Industrie, Landwirthschaft, Communicationsmittel, Stras-
sen), für Aufrechterhaltung und Schutz der Sittlichkeit,
Gesundheit, Abhaltung von Gefahren, Fürsorge für das
Armenwesen. Zur Durchführung dieser Massregeln
dienen allerhand Strafbestimmungen; in der Regel ist
den Polizeibehörden sogar eine wirklich strafrichterliche
Gewalt zur Ahndung geringerer Vergehen gegen die
öffentliche Ordnung anvertraut.


3. Die Staatsgewalt eröffnet die Finanzquellen
des Staats, verwaltet die daraus hervorgehenden Mittel,
und verfügt über sie im Interesse des Staatszwecks.
Der Staat hat eigenes Vermögen; als Inhaber desselben
ist er eine privatrechtliche juristische Person, Fiscus,
und geniesst besondere Privilegien. Das Vermögen des
Staats besteht in dem Eigenthume an Grundstücken
(Gütern, Wäldern, Gewässern, Häusern u. s. w.), dem
Eigenthume an beweglichen Sachen, dem Rechte auf Ge-
fälle der verschiedensten Art, in sonstigen Forderungs-
rechten, Regalien und fiskalischen Gewerben. Zu dem Ver-
mögen des Staats gehören sodann auch die Staatsschul-
den. Ein grosser Theil des unbeweglichen Staatsguts war
ehedem fürstliches Hausvermögen, welches nunmehr in
manchen Ländern dem Staate übergeben worden ist; in
anderen ist dem Staate nur die Verwaltung und Frucht-
ziehung überlassen worden, während das Eigenthum
daran dem fürstlichen Hause verblieben ist. Zu den
aus diesem Vermögen des Staats hervorgehenden Mitteln
tritt ferner als regelmässiges Einkommen der Ertrag
[67]§. 23. Richtungen der Staatsgewalt.
der Steuern, Zölle, Strafgelder und mannichfacher Ge-
bühren. Der Staat kann verlangen, dass ihm zur Be-
streitung der Mittel für die Erfüllung seiner Aufgaben
jeder Staatsbürger aus seinem Vermögen beisteuere.


4. Der Staat fordert von seinen Staatsbürgern die
Leistung persönlicher Militärdienste. Er regulirt die
Militärpflicht und die Einquartirungslast durch allge-
meine Ordnungen, und sorgt für alle Anstalten, welche
zum Schutze gegen äussere und innere Feinde dienen
können. Der Minimalumfang des von jedem deutschen
Staate aufzustellenden Kriegsheers wird durch die
Bundeskriegsverfassung bestimmt.


5. Der Staat verleiht Privilegien, selbstverständ-
lich insoweit die Verfassung diess zulässt und Rechte
Dritter nicht verletzt werden. Dahin gehört auch die
Verleihung von Ehren und Standesauszeichnungen.


6. Der Staat tritt anderen Staaten gegenüber
als selbständige Persönlichkeit handelnd auf. Er schliesst
Verträge und Bündnisse, insoweit solche mit dem Bun-
desrechte vereinbarlich sind. Die Staatsverträge können
sich auf alle möglichen Interessen beziehen, welche bei
der Berührung eines Staats mit dem anderen hervor-
treten, insbesondere die Jurisdictionsverhältnisse, das
Zollwesen, den Handel. Er lässt sich dauernd durch
Gesandte vertreten, sowie er auch selbst auswärtige
Gesandte annimmt.


7. Ein grosses Gebiet der Staatsthätigkeit eröffnet
das Verhältniss des Staats zur Kirche. Die Kirche
bildet einen Lebenskreis, welcher nicht mit dem der poli-
5*
[68]Erster Abschnitt.
tischen Verbindung zusammenfällt. Auch sie ist eine
organisirte Gemeinschaft mit einer ihre Interessen leiten-
den und bestimmenden Gewalt. Der Staat unterwirft
sie nicht seiner Herrschaft, sondern anerkennt sie als
selbstberechtigtes Gemeinwesen und gestattet die freie
Entfaltung ihres inneren und äusseren Lebens. Er ver-
leiht ihr seinen Schutz; auch steht er mit allen oder
einer der drei reichsberechtigten christlichen Kirchen in
einem Vertrauensverhältnisse, indem er ihren Dienern
einzelne staatliche Functionen anvertraut, öffentliche
Autorität und staatliche Würden verleiht, indem er sie
unterstützt, ihren Feiertagen allgemeine Beachtung sichert
und in seiner Gesetzgebung die sittlichen Anforderungen
derselben beachtet. In denjenigen seiner Herrschaft
zuständigen Gebieten, welche auch die Kirche für ihren
Einflusss in Anspruch nimmt, handelt er zwar kraft
eigener sittlicher Autorität, aber er bemüht sich, mög-
lichst im Einverständnisse mit letzterer zu bleiben. Ueber
alle Kirchen übt er ein Recht der Oberaufsicht aus,
durch welches er sich versichert, dass sie die Gränzen
ihrer Aufgaben einhalten, die Lebenskreise anderer
Kirchen nicht verletzen und in keine Missbräuche ver-
fallen. Die Gesammtheit dieser Rechte nennt man
Kirchenhoheit (jus majestaticum circa sacra). Das
dem Staate sonst zugeschriebene s. g. Reformationsrecht
besteht nach dem Art. 16. der Bundesacte gegenüber
den drei christlichen Hauptconfessionen nicht mehr; aber
auch gegenüber anderen christlichen oder sonstigen Re-
ligionsgesellschaften besteht davon nach den meisten
Verfassungen nur noch das Recht der Verleihung oder
[69]§. 23. Richtungen der Staatsgewalt.
Versagung der Rechte öffentlicher Corporationen und
der Duldung oder Nichtduldung öffentlicher Religions-
übung.2


[[70]]

ZWEITER ABSCHNITT.
Die Organe des Staats.


Allgemeines.


§. 24.


Wenn in dem Bisherigen das Wesen und der Um-
fang der Staatsgewalt in ihrer abstracten Existenz be-
stimmt wurde, so bedarf es nunmehr der Entwickelung
des Rechts der Mittel, durch welche sie in die concrete
Erscheinung gesetzt wird. Schon in der Vorstellung
des Staats als eines Organismus liegt der Gedanke, dass
ihm gewisse Organe1 angeschaffen sein müssen, in deren
[71]§. 25. Der Monarch.
Handeln sich der Wille seiner Persönlichkeit verwirk-
licht. In den monarchischen Staaten2 Deutschlands sind
diess der Monarch und die Stände. Die Art und der
Umfang, in welchem Beide als Organe des Staats wir-
ken, ist ganz verschieden; aber beiden Organen gemein-
schaftlich ist die Eigenschaft, dass der in ihrem Wesen
enthaltene Beruf rechtlichen Handelns ihren Berechtigten
als eigener und ursprünglicher zukommt.3 Daher ist die
Festsetzung ihres Rechts eine der hauptsächlichsten Auf-
gaben des Grundgesetzes. Nicht zu den Organen des
Staats gehören die Staatsdiener; ihr Recht ist kein
ursprüngliches Recht zur Kundgebung des Staatswillens,
sondern ein abgeleitetes, sie sind nur die rechtlichen
Gehülfen des Monarchen.


ERSTES CAPITEL.
Der Monarch.


1. Inhalt des Monarchenrechts.


a) Die monarchische Institution.

§. 25.

Der Monarch ist das oberste Willensorgan des
Staats. Sein Wille soll als allgemeiner Wille, als Wille
des Staats gelten. In dem Monarchen wird die abstracte
Persönlichkeit der Staatsgewalt verkörpert. Und zwar
[72]Zweiter Abschnitt.
soll sich nach dem deutschen Bundesrechte1 wie nach
dem Rechte der einzelnen Verfassungen2 die Vertretung
des Staatswillens in dem Willen des Monarchen auf den
ganzen und ungetheilten Umfang der Staatsgewalt er-
strecken. Was also der Potenz nach die Staatsgewalt
selbst rechtlich vermag, das ist auch der Inhalt des
Willensrechts des Monarchen, und gelangt in seinem
Willen zur wirklichen Erscheinung; sowie das Herr-
schaftsrecht des Staats sich in seiner Hand zum persön-
lichen Herrschaftsrechte gestaltet, so wird die Pflicht
der Staatsbürger gegen den Staat zur persönlichen
Treuverpflichtung gegen den Monarchen. Diese Ver-
[73]§. 25. Der Monarch.
körperung des Staats in der Person des Monarchen wirkt
ebensowohl nach Innen als nach Aussen, gegenüber
anderen Staaten.3


Aber dieses Willensrecht des Monarchen ist nicht
ein Recht der individuellen menschlichen Persönlichkeit,4
sondern ist durch die Fügung des institutionellen Cha-
racters der monarchischen Organschaft gebunden, wie
ihn die Grundgesetze der deutschen Staaten feststellen.
Der monarchische Wille ist ein rechtlicher nur insoweit,
als er sich innerhalb der Schranken äussert, mit wel-
chen das Verfassungsrecht die Lebenskraft seines ober-
sten Organs umschreibt. Wo daher insbesondere der
monarchische Wille von der Voraussetzung ständischer
Zustimmung bedingt ist, gilt er als solcher rechtlich
erst dann, wenn er diese Zustimmung in sich aufge-
nommen hat. Aber nicht bloss hierauf, sondern auch
auf die Art und Weise der Ausübung des Monarchen-
rechts5 beziehen sich die beschränkenden Bestimmungen
der Verfassungsgesetze.


[74]Zweiter Abschnitt.
b) Rechtsstellung der Person des Monarchen.

§. 26.

Die Person des Monarchen, als des Inhabers des
höchsten öffentlichen Rechts im Staate, ist durch eine
Rechtsstellung ausgezeichnet, in welcher sich die Er-
habenheit des Berufs und der Würde des Staatsober-
haupts ausprägt.


Der Monarch ist keiner rechtlichen Verantwortung
und keiner Gerichtsgewalt unterworfen.1 Dagegen ist
die Integrität seiner Person durch besondere Strafgesetze
geschützt.2 Ihm gebühren ferner die Majestätsrechte
und die höchsten Ehren; er hat einen Hofstaat, das
Recht auf Kirchengebet und Landestrauer. Nicht min-
der hat er den Anspruch, dass ihn der Staat in einer
der Majestät würdigen Weise öconomisch ausstatte.
Diess geschieht durch Gewährung einer ein für allemal
oder bei jedem Thronwechsel gesetzlich festzustellenden
Civilliste,3 und durch Ueberweisung des Genusses der
s. g. Krondotation, d. h. eines in Schlössern und ihrem
Inventar sowie in dem Kronschatze bestehenden Staats-
[75]§. 26. Der Monarch.
vermögens. In den Ländern jedoch, in denen der Mo-
narch noch das Eigenthum des fürstlichen Kammerguts
bewahrt hat, dem der Character eines Familienfidei-
commisses des regierenden Hauses zukommt,4 hat sein
Jahreseinkommen die Natur einer Eigenthumsrente; da
aber auf dem fürstlichen Kammergute von jeher zu-
gleich die Last einer wesentlichen Beisteuer zu den
[76]Zweiter Abschnitt.
Kosten der Staatsverwaltung geruht hat, so ist es in
mehreren deutschen Ländern dem Staate selbst zur
Verwaltung und Nutzniessung übergeben und der Be-
trag der davon dem Staatsoberhaupte und der fürst-
lichen Familie zu gewährenden Rente vertragsmässig
vereinbart worden. Einzelne regierende Häuser haben
daneben noch besondere vom Staate mehr oder weniger
unabhängige Stiftungen und Familienfideicommisse mit
der Bestimmung, zur Ausstattung des Monarchen zu
dienen.5


Tritt der Monarch in den gewöhnlichen Privat-
rechtsverkehr ein, so steht er im Ganzen unter der
Herrschaft des allgemeinen Privatrechts und nimmt
auch in der Regel von den Landesgerichten Recht.6


c) Rechtsstellung des Regentenhauses.

§. 27.

Aber die erhabene Stellung des Monarchen wirkt
auch auf die sämmtlichen Glieder seines Familien- und
[77]§. 27. Der Monarch.
Verwandtenkreises, welche zum regierenden Hause
gehören. Die Mitglieder des Regentenhauses bilden
eine mit eigenthümlichen Rechten ausgestattete, durch
die Hausgewalt des Monarchen formirte Personenge-
meinschaft;1 sie können nicht dem Begriffe irgend einer
anderen Classe von Staatsbürgern unterstellt, sondern
müssen als eine eigene, selbständige Classe für sich auf-
gefasst werden.2 Es gehören dazu die Gemahlin des
Monarchen, alle als ebenbürtig anerkannten Prinzen
(s. g. Agnaten) mit ihren ebenbürtigen Gemahlinnen,
und die Prinzessinnen bis zu ihrer Verheirathung.3


Das Recht, auf welchem der specifische Character
der Stellung der Mitglieder des Regentenhauses be-
ruht, ist das eventuelle Thronfolgerecht derselben nach
Massgabe der bestehenden Successionsordnung, sowie
das Recht, zur Regentschaft berufen zu werden, wenn
[78]Zweiter Abschnitt.
der Fall einer solchen eintritt. Hieran schliessen die
Verfassungen noch mancherlei andere öffentliche Rechte
der fürstlichen Agnaten, insbesondere ein Recht der
Mitwirkung bei der Entscheidung der Frage, ob eine
Regentschaft einzutreten oder aufzuhören habe,4 ferner
ein Recht der Theilnahme am Familienrathe, sofern ein
solcher besteht, und Sitz und Stimme in der ersten
Kammer.5 Ein Recht, an der Regierung selbst Theil
zu nehmen oder bei gewissen Regierungshandlungen
zur Mitwirkung berufen zu werden,6 besteht dagegen
für die fürstlichen Agnaten ebensowenig, als eine Ge-
richtsbarkeit derselben über den Monarchen.7


[79]§. 27. Der Monarch.

Dieser ausgezeichneten öffentlichen Stellung der
Mitglieder des Regentenhauses entspricht nun eine Reihe
weiterer eigenthümlicher Befugnisse. Auch ihnen ge-
bühren hohe Ehrenrechte (Titulaturen, Hofstaat, Ein-
schluss in das Kirchengebet, Landestrauer), sowie nicht
minder ein besonderer strafrechtlicher Schutz ihrer Inte-
grität; auch ihnen gewährt der Staat eine angemessene
öconomische Ausstattung, sofern sie nicht schon aus den
Erträgnissen des fürstlichen Kammerguts gegeben wird
(Apanagen, Deputate, Sustentationsgelder, Aussteuern,
Witthum).8 Diese Rechte kommen jedoch nicht allen
Mitgliedern des regierenden Hauses gleichmässig zu,
sondern mehren oder mindern sich je nach der Nähe oder
Ferne des Einzelnen zum Throne, weshalb sie unter den
Agnaten dem Kronprinzen im grössten Umfange zustehen.



[80]Zweiter Abschnitt.

Auf der anderen Seite aber unterliegen diese Per-
sonen vermöge ihrer besonderen Rechtsstellung auch
eigenthümlichen Beschränkungen. Sie sind der Haus-
gewalt des Monarchen unterworfen. Daher können sie
keine Ehe ohne dessen Zustimmung eingehen,9 bedürfen
sie bei der Wahl ihres Aufenthalts, dem Eintritte in
fremde Dienste, der Bildung ihres Hofstaats dessen Ge-
nehmigung. Auch ist in der Hausgewalt des Monarchen
ein allgemeines Aufsichts- und Disciplinarrecht, bis-
weilen selbst eine wirkliche Gerichtsgewalt über die
Mitglieder seines Hauses enthalten.


Insoweit diese Verhältnisse nicht durch die Ver-
fassung selbst bestimmt sind, haben sie häufig durch
besondere s. g. Hausgesetze10 ihre Regulirung erhalten.


[81]§. 28. Der Monarch.
d) Allgemeine rechtliche Characteristik.

§. 28.

Das Recht, im einzelnen deutschen Staate Monarch
zu sein, ist das angestammte, nicht erst von aussen
angetragene Recht der deutschen Fürsten: es ist ein
Recht, dessen Ursprung in dem Erwerbskreise der
fürstlichen Dynastie liegt, und lediglich durch Ent-
wickelung der im ehemaligen fürstlichen Patrimonial-
rechte enthaltenen Keime zu seiner heutigen Gestaltung
gelangt ist. Die ältere deutsche Landeshoheit war eine
Summe einzelner Herrschaftsrechte, in deren Inne-
habung der Fürst im Ganzen als das Subject einer
eigenthümlichen in Land und Leuten bestehenden Ver-
mögensmacht hervortrat; Land und Leute waren in der
Rechtssphäre ihres Landesfürsten localisirt. Diess hat
sich in einem zuerst allmählichen, dann in diesem Jahr-
hunderte beschleunigten Entwickelungsprocesse völlig
verändert. Land und Leute sind aus der Vermögens-
sphäre des Fürsten herausgetreten, die Unterthanen
sind zu dem Begriffe des geeinten Volks mit nationalem
Bewusstsein erwachsen, aus ihm ist in den neueren Ver-
fassungsgesetzen der Staat als selbständiger persönlicher
Organismus hervorgegangen, und der Landesherr hat
seine ehemalige Stellung als eines ausserhalb des
Volks stehenden Rechtssubjects mit der Stellung des
obersten Willensorgans in ihm vertauscht.1 So gross
und bedeutend jedoch auch diese Veränderung am In-
v. Gerber, Staatsrecht. 6
[82]Zweiter Abschnitt.
halte des Rechts der deutschen Fürsten ist, so hat es
doch damit die Festigkeit eines historischen Individual-
rechts nicht verloren; ein ursprüngliches eigenes Recht
hat, der politischen Entwickelung des Volks, mit der es
verbunden ist, folgend, eine tief greifende Veränderung
an sich selbst vollziehen lassen, aber es hat damit den
Rechtsgrund seiner Existenz nicht aufgegeben.2 Auch
innerhalb des neuen Staatswesens bewahrt das Recht
der deutschen Monarchen die Weihe und Ehrwürdigkeit
altangestammten Fürstenrechts.3


2. Erwerb des Monarchenrechts (Thronfolge).


a) Berufung zur Thronfolge.

§. 29.

Die deutschen monarchischen Staaten sind Erb-
monarchieen, d. h. solche, bei welchen die Thronfolge
in den Formen des Erbrechts vermittelt wird.1 Da aber
der zum rechtlichen Organismus consolidirte Staat ein
untheilbares Ganze mit einer monarchischen Institution
bildet, so kann auch die Thronfolgeordnung nur so ge-
[83]§. 29. Der Monarch.
artet sein, dass sie von mehreren neben einander Be-
rechtigten des Herrschergeschlechts immer nur Einen
zum Eintritt als Monarch beruft. Diese Aufgabe er-
füllt die jetzt in allen deutschen Staaten als Thronfolge-
ordnung geltende Primogeniturordnung.2 Ihr Be-
stehen beruht mithin nicht mehr allein auf einem Satze
des fürstlichen Hausrechts, sondern auf der Verfas-
sung
selbst, welche in ihr recht eigentlich ihren Abschluss
findet. Ihre verfassungsrechtliche Bedeutung prägt sich
in den beiden Sätzen aus: 1. dass unter den mehreren
Anwärtern immer nur Einer als Monarch eintreten kann,
und, 2. dass dieser, so lange es sich um die Folge der
Descendenten eines schon unter der Fügung des Primo-
geniturrechts lebenden Herrschers handelt, immer nur der
durch Erstgeburtsordnung Berufene sein kann.3


Es kann aber der Fall eintreten, dass der Kreis
aller durch die bestehende Primogeniturordnung Be-
rufenen erschöpft ist, und die Reihe nunmehr an
6 *
[84]Zweiter Abschnitt.
Agnaten des fürstlichen Hauses oder sonstige Berech-
tigte kommt, deren Recht vor der Einführung der Erst-
geburtsordnung begründet war und auch bei deren spä-
terer Einführung ausserhalb des Kreises ihrer Herrschaft
geblieben ist. Auch hier äussert nun zwar das Ver-
fassungsrecht den Einfluss, dass nur Einer und dieser
wieder mit sofortiger Unterwerfung unter das Primo-
geniturrecht eintreten kann; auf die Entscheidung der
Frage aber, wer dieser Eine sei, will die Erstgeburts-
ordnung nicht rückwirkend einwirken, vielmehr kann
diese nur nach Massgabe des zur Zeit der Entstehung
des Anspruchs herrschenden Rechts oder des Haus-
rechts überhaupt beantwortet werden.4 Darüber lässt
sich freilich etwas Allgemeines nicht aufstellen.5 Geben
die Dispositionen des Hauses (fürstliche Testamente,
Theilungsverträge, Vergleiche, Verzichte, sonstige Ord-
nungen), oder seine Observanz, oder die ältere Landes-
verfassung keine Entscheidung, so kann von Bedeutung
werden die Lehnsfolgeordnung des gemeinen und be-
sonders des Reichsrechts, der Einfluss der gesammten
Hand, unter Umständen auch die Erbfolgeordnung bei
allodialen Stammgütern, — alles diess beurtheilt nach
Massgabe des älteren deutschen Fürstenrechts.6 Wenn
[85]§. 29. Der Monarch.
Erbverbrüderung, oder lehnsherrliches Heimfallsrecht,
oder kaiserliche Eventualbelehnung, oder Belehnung zu
gesammter Hand den Rechtstitel der Thronfolge bilden,
so werden häufig die constituirenden Acte selbst für die
Frage der Ordnung des Anfalls von Bedeutung sein.


Welches aber auch der Grund eines aus der Ab-
stammung vom erwerbenden Ahnherrn abgeleiteten An-
rechts auf die Thronfolge sei, immer ist es in der Person
des Berechtigten ein ursprünglich eigenes, und jeder
willkührlichen Verfügung7 des Monarchen wie der Staats-
6
[86]Zweiter Abschnitt.
gewalt entzogen, — ein Satz, in welchem das ältere
Hausrecht und das heutige Verfassungsrecht, beide aus
selbständigen Gründen, zusammenstimmen.8


b) Allgemeine Voraussetzungen.

§. 30.

Für jeden Anspruch auf ein Thronfolgerecht, wel-
cher auf die Abstammung von einem höheren Erwerber
[87]§. 30. Der Monarch.
gestützt wird, bestehen aber weiter folgende allgemeine
Voraussetzungen. 1. Das Descendenzverhältniss muss
ein eheliches sein, d. h. jedes Mitglied der Ahnenlinie
bis auf den Prätendenten herab muss in einer bürgerlich
gültigen Ehe erzeugt sein;1 daher Uneheliche, Legiti-
mirte,2 sowie auch Adoptirte weder die Anwartschaft
fortleiten, noch auch selbst das Thronfolgerecht erwerben.
2. Die Ehen müssen ebenbürtige gewesen sein. Eben-
bürtig ist nach deutschem Staatsrechte immer die Ehe
eines Prinzen mit einer Frau, welche einem deutschen
regierenden Fürstenhause, oder dem Hause einer Familie
des deutschen hohen Adels, oder einem ausländischen
christlichen Regentenhause angehört und in ihrem Hause
für ebenbürtig gilt. Eine Erstreckung der Ebenbürtig-
keit auf andere Personen kann durch ausdrückliche oder
observanzmässige Festsetzung des Hausrechts gültig er-
folgen, muss aber als besonderes Recht gegenüber dem
allgemeinen betrachtet werden. Einer Missheirath wer-
[88]Zweiter Abschnitt.
den durch Anerkennung aller rechtlich interessirten
Agnaten die Wirkungen einer ebenbürtigen Ehe beige-
legt.3 3. Die neueren Hausgesetze bestimmen, dass
nur durch solche Ehen, welche mit Zustimmung des
Monarchen als des Oberhauptes des fürstlichen Hauses
eingegangen sind, das Thronfolgerecht fortgepflanzt
wird.4 4. Nur auf Männer, welche durch Männer von
dem entscheidenden Ahnherrn abstammen (s. g. Agnaten),
wird in Deutschland das Thronfolgerecht übertragen.
Für den Fall des gänzlichen Erlöschens des Manns-
stammes berufen einzelne Verfassungsurkunden even-
tuell auch die Cognaten, in deren Hand sich sodann,
wenn der Anfall einmal geschehen ist, das agnatische
Princip sofort wieder erneuert; aber weder über die
Ordnung, nach welcher der Anfall erfolgt, noch auch
darüber, ob beim Eintritte der Cognatensuccession auch
eine Frau Monarch werden kann, lassen sich allgemein
geltende Rechtssätze aufstellen.5 In manchen Staaten
[89]§. 30. Der Monarch.
wird diese Cognatensuccession noch durch den Vorzug
Erbverbrüderter oder aus Eventual- und Gesammtbe-
lehnungen oder lehnsherrlichen Heimfallsrechten Be-
rechtigter zurückgedrängt. 6 5. Derjenige, welcher hier-
nach zum Eintritte in das Monarchenrecht im concreten
Falle wirklich berufen ist, muss aber, um wirklich
Monarch werden zu können, zur Uebernahme des
Monarchenberufs befähigt sein.7 Ist er wegen geistiger
oder körperlicher Gebrechen hierzu unfähig, so sollte
er bei der Thronfolge übergangen werden; fast alle
neueren Verfassungsgesetze jedoch schliessen ihn nicht
aus, sondern ordnen in diesem Falle nur eine Regent-
schaft an.8


[90]Zweiter Abschnitt.
c) Der Regierungsantritt und seine rechtlichen Wirkungen.

§. 31.

Mit dem Ausscheiden des bisherigen Monarchen
ist auch das Monarchenrecht des durch die Thronfolge-
ordung zunächst Berufenen sofort eingetreten; dieser
Eintritt erfolgt von Rechtswegen, und nicht erst auf
Grund einer besonderen Erklärung des Thronfolgers.
Denn das ist die Bedeutung der Thronfolgeordnung für
den Staat, dass nicht bloss jeder Zweifel über die Per-
son des Thronfolgers beseitigt, sondern auch jede Mög-
lichkeit einer Unterbrechung des Staatslebens ausge-
schlossen werde.1 Nun pflegt zwar der neue Monarch
seinen Regierungsantritt durch mancherlei Acte zu so-
lennisiren: er erlässt ein Manifest, verspricht in beson-
derer Urkunde oder den Ständen gegenüber die Auf-
rechterhaltung der Verfassung, empfängt dann die Hul-
digung der Stände; aber diese Acte beruhen auf keiner
staatsrechtlichen Nothwendigkeit, indem weder die fort-
dauernde Geltung des Verfassungsrechts, noch der An-
fang der staatsbürgerlichen Pflichten gegen das Staats-
oberhaupt durch sie bedingt ist.2 Die allgemeine Vor-
[91]§. 31. Der Monarch.
aussetzung dafür, dass der neue Monarch die in seinem
Berufe liegenden Rechte auch persönlich ausübe, ist die,
dass er das Alter der Thronmündigkeit erreicht habe,
welches jetzt meistens auf die Vollendung des acht-
zehnten Lebensjahrs bestimmt ist.3


Die rechtliche Bedeutung der Thronfolge besteht
darin, dass das monarchische Organ des Staats nunmehr
einen neuen persönlichen Träger erhalten hat. Der
Staat selbst und sein Recht wird durch diesen Personen-
wechsel nicht berührt.4 Daher ist gar kein Grund vor-
handen, aus Anlass dieses Ereignisses die Frage auf-
zuwerfen, ob das, was bisher rechtmässig bestanden
hat, auch ferner als zu recht bestehend gelten müsse,
oder, wie man sich gewöhnlich ausdrückt, ob der
Regierungsnachfolger die Regierungshandlungen seines
Vorgängers anerkennen müsse. Schon die Erhebung
einer solchen Frage im heutigen Staatsrechte würde
einen Grundirrthum voraussetzen; nur im älteren deut-
schen Staatsrechte erschien sie möglich, weil man sich
die Stellung des Landesfürsten damals mehr als die
des Subjectes eines Vermögenskreises dachte, welche auf
2
[92]Zweiter Abschnitt.
den Thronfolger wie auf einen Erben übertragen würde.5
Jetzt ist von einer erbrechtlichen Verbindung des alten
und des neuen Monarchen nicht mehr die Rede. Der
Thronfolger empfängt in dem Monarchenrechte nicht
ein in der Vermögenssphäre des früheren Monarchen
enthaltenes Gut, eine „Staatsverlassenschaft,“ sondern
er übernimmt nach ihm die Ausübung eines Berufs, des-
sen Existenz und Machtfülle durch das objective Recht
des Staats bestimmt wird.6 Die Thronfolgeordnung
ist mithin nur die rechtliche Bestimmung der Personen,
welche in zeitlicher Succession im Staate als Inhaber
seines höchsten Willensorgans hervorzutreten haben.7


3) Verlust des Monarchenrechts.


§. 32.

Das Monarchenrecht kann von seinem Inhaber je-
derzeit durch Thronentsagung (Abdication) kraft per-
[93]§. 32. Der Monarch.
sönlichen Entschlusses aufgegeben werden. Die Wir-
kung eines solchen Verzichts ist immer die, dass nun
der nach der Thronfolgeordnung Nächstberufene eintritt.
Eine Entsagung zu Gunsten eines überhaupt nicht, oder
doch zunächst nicht berufenen Dritten ist unstatthaft,
da die Thronfolgeordnung nur zu dem Rechte, Monarch
zu sein, berufen, nicht aber auch zu einer Verfügung
über dieses Recht ermächtigen will.1 Ebensowenig
kann eine Entsagung gültig auf Zeit oder unter Be-
dingungen geschehen, welche den Inhalt des Monarchen-
rechts für den Nachfolger beschränken würden; denn
der verfassungsrechtliche Character des Monarchenrechts
schliesst jede auf individueller Disposition beruhende
zeitliche und andere Beschränkung seines Inhalts aus.2
[94]Zweiter Abschnitt.
Der Vorbehalt eines Rückfalls an den Entsagenden
muss überhaupt als unzulässig betrachtet werden, da die
Thronfolgeordnung jetzt eine absolute Ordnung sein
will, welche keinerlei willkührliche Modification ge-
stattet.


Andere rechtliche Verlustgründe3 des Monarchen-
rechts kennt das heutige deutsche Staatsrecht nicht.


4. Ausübung des Monarchenrechts.


a) Persönliche Ausübung durch den Monarchen.

§. 33.

In der Natur der Sache liegt es, dass der Monarch
sich bei der Ausübung seiner Herrscherrechte auf die
oberste Leitung des Staatswesens beschränken muss.
Die Ausführung im Einzelnen überlässt er seinen Ge-
hülfen, den Staatsdienern. Ueber das Mass seiner per-
sönlichen Theilnahme an der Arbeit der Staatsverwaltung
hat er allein zu entscheiden, indem es, abgesehen von
jenen höchsten und wichtigsten Herrscherhandlungen,
bei denen die persönliche That des Monarchen erwartet
wird,1 seinem Ermessen anheimgestellt ist, in welchem
2
[95]§. 33. Der Monarch.
Umfange er insbesondere die Minister zum selbständigen
Handeln ermächtigen will. Auf der anderen Seite aber
unterliegt der Wille des Monarchen, persönlich zu
regieren, mehrfachen Beschränkungen. Zuvörderst ist
die Ausübung der richterlichen Gewalt der persönlichen
Einwirkung des Monarchen völlig entzogen. Sodann
fordert die Verfassung oder das sonstige Recht, dass
gewisse Regierungshandlungen nur unter Mitwirkung
bestimmter Behörden (z. B. des Staatsraths) oder nur
unter Beobachtung einer bestimmten Instanzenfolge vor-
genommen werden. Eine ganz allgemeine Schranke aber
ist die, dass keine Verfügung des Monarchen in Regie-
rungsangelegenheiten2 anders als mit der Gegenzeich-
1
[96]Zweiter Abschnitt.
nung wenigstens eines3 verantwortlichen Ministers gültig
erlassen werden kann.


Unter den Beweggründen, welche den Monarchen
bestimmen können, die Minister vorübergehend zu einer
mehr als gewöhnlichen Selbständigkeit in der Erledigung
der obersten Regierungsgeschäfte zu ermächtigen, nimmt
eine hervorragende Stelle die Verhinderung eigenen per-
sönlichen Handelns in Fällen der Abwesenheit oder
Krankheit ein. Wirken aber diese Verhinderungsgründe
so stark, dass der Monarch auch diejenigen Handlungen,
welche er sich vorzugsweise zu persönlicher Ausführung
vorbehielt, fremder Erledigung überlassen muss, so
mag er wohl für die Zeit seiner Verhinderung einen
Stellvertreter durch öffentliche Erklärung bestellen,4
2
[97]§. 33. Der Monarch.
der zur auftragsmässigen Vornahme gewisser Geschäfte
oder gewisser Arten derselben Namens des Monarchen
von ihm berufen wird; dabei ist auch der Monarch
weder in der Wahl der Person, 5 noch bezüglich des
Umfangs der ertheilten Vollmacht im Allgemeinen be-
schränkt. 6 Diese Aushülfe durch Stellvertretung soll
freilich nur für Verhinderungsfälle von kürzerer Dauer
gestattet sein. Ist die Verhinderung eine immerwährende
oder auch nur voraussichtlich langdauernde, 7 so fordern
die Verfassungen die Vertretung des Monarchen durch
einen Regenten. 8



v. Gerber, Staatsrecht. 7

[98]Zweiter Abschnitt.
b) Ausübung durch einen Regenten (Reichsverweser).

§. 34.

Ist der Monarch minderjährig, 1 oder wegen Ge-
brechen 2 regierungsunfähig, oder auf so lange an der
Führung der Regierung verhindert, 3 dass eine Fürsorge
durch blosse Stellvertretung unzulässig ist, so tritt der
Fall der Regentschaft ein. Diese ist eine unvollkommene
Art der Thronfolge; der Regent hat die Befugnisse,
welche das Monarchenrecht gewährt, und zwar als eigene,
nicht als aus fremdem Willen abgeleitete, — aber er
hat sie in fremdem Namen und nur auf so lange auszu-
8
[99]§. 34. Der Monarch.
üben, als das Bedürfniss der Regentschaft dauert. 4 Die
Nothwendigkeit einer Regentschaft ergiebt sich im Falle
der Minderjährigkeit des Monarchen von selbst; im
Falle der Regierungsunfähigkeit aber setzt sie ein be-
sonderes Gesetz voraus, welches entweder vorsorglich
durch den Monarchen, der damit bezüglich des schon
jetzt als unfähig erkannten zukünftigen Thronfolgers
sorgen will, oder, wenn die Unfähigkeit des Monarchen
während seiner Regierung eintritt, durch einen unter
Mitwirkung der höchsten Staatsstellen gefassten Be-
schluss der volljährigen Agnaten veranlasst wird;5 im
Falle der Verhinderung des Monarchen durch längere
7 *
[100]Zweiter Abschnitt.
Krankheit oder Abwesenheit mag die Einsetzung einer
Regentschaft auch durch seine eigene Erklärung bewirkt
werden. 6 Durch blosse Willkühr des Monarchen, also
abgesehen von einem verfassungsmässigen Grunde,
kann die Bestellung einer Regentschaft nicht herbei-
geführt werden. 7


Aus dem Begriffe der Regentschaft als einer un-
vollkommenen Art der Thronfolge ergiebt sich, dass
das Recht, als Regent berufen zu werden, denselben
Personen zustehen muss, welchen die Thronfolge über-
haupt gebührt, und zwar auch nach Massgabe der
bestehenden Thronfolgeordnung; 8 eine besondere Be-
5
[101]§. 34. Der Monarch.
dingung des Eintritts des hiernach Berechtigten ist
jedoch, dass er zur Zeit des Anfalls thronmündig sei. 9
Selbstverständlich ist es, dass nur ein regierungsfähiger
Agnat Regent sein kann. Nicht alle Verfassungen haben
jedoch diesen Standpunkt festgehalten, indem manche
unter dem Einflusse des unrichtigen Princips der Vor-
mundschaft 10 dazu geführt worden sind, jene recht-
liche Ordnung durch Dazwischenschieben eines Rechts
der Mutter oder Gemahlin zu stören, oder sie gar
[102]Zweiter Abschnitt.
einem willkührlichen Bestimmungsrechte des früheren
Monarchen preis zu geben. 11


Der Regent hat alle Rechte auszuüben, welche den
Inhalt des Monarchenrechts bilden, 12 sofern nicht die
Verfassung einzelne derselben ausnimmt. So bestimmen
manche, dass er keine Aenderung der Verfassung vor-
nehmen dürfe, oder dass eine solche nur auf die Dauer
der Regentschaft gelte, noch andere binden ihn bei
manchen Handlungen an die Zustimmung eines Fami-
lienraths, und fordern, dass er in gewissen Fällen das
Gutachten des Regentschaftsraths vernehme. 13 Der
Monarch, in dessen Namen der Regent herrscht, hat
weder ein Recht, selbst Regierungshandlungen vorzu-
nehmen, noch einen Einfluss auf die Entschliessungen
[103]§. 34. Der Monarch.
des Regenten zu fordern. Auch die Eigenschaft der
Nichtverantwortlichkeit kommt dem Regenten als sol-
chem zu. 14


Die Regentschaft erlischt von selbst, 15 wenn der
Monarch die Thronmündigkeit erreicht, wenn er wieder
in das Land zurückkehrt, aufhört krank zu sein, und,
falls die Regentschaft wegen Regierungsunfähigkeit des
Monarchen durch ein Gesetz bestellt war, sobald ein
neues Gesetz die Regentschaft wegen eingetretener Re-
gierungsfähigkeit des Monarchen für beendigt erklärt. 16


[104]Zweiter Abschnitt.

5. Gehülfen des Monarchen, Staatsdiener.


a) Begriff des Staatsdienstes. 1

§. 35.

Die Ausführung der Staatsverwaltung, deren oberste
Leitung durch den Willen des Monarchen geschieht,
erfordert die Mitwirkung einer Menge einzelner Kräfte,
welche sich an der zur Erfüllung der mannichfachen
Aufgaben des Staats nothwendigen Arbeit betheiligen.
In einem allmählichen Entwickelungsprocesse hat sich
in den einzelnen deutschen Staaten eine kunstvolle Or-
ganisation der Staatsarbeit herausgebildet, welche auf
einer Sonderung der verschiedenen materiellen Richtun-
gen der letzteren beruht, 2 und die einzelnen Arbeits-
aufgaben auf eine Reihe von Aemtern vertheilt. Das
Bestehen dieser Aemter mit ihrem planvollen Zusammen-
wirken ist eine der wesentlichsten Voraussetzungen ord-
nungsmässiger Ausübung der Staatsgewalt, sowie über-
haupt auf ihm ein grosser Theil der Erfolge beruht,
welche der deutsche Staat für die Cultur des Volks er-
rungen hat. Zugleich enthält diese Organisation mit
[105]§. 35. Die Staatsdiener.
ihren mannichfachen controlirenden Instanzen eine der
wichtigsten Bürgschaften für die Rechtmässigkeit des
staatlichen Wirkens. 3 Jedes einzelne dieser Aemter be-
darf nun seine Vertretung durch eine oder mehrere Per-
sonen, 4 welche die Ausführung der mit demselben ver-
2
[106]Zweiter Abschnitt.
bundenen Functionen als ihre besondere Pflicht überneh-
men. Sie sind Diener und Gehülfen des Monar-
chen als solchen;
5 sie entlehnen die Motive ihres
amtlichen Handelns aus seinem Willen, insofern er sich
nach ordnungsmässiger Verkündigung und Mittheilung
als Gesetz, Verordnung oder Instruction, als Wille des
Staats darstellt. 6 Dieser letztere Gesichtspunkt ist es,
welcher in ihrer Bezeichnung als Staatsdiener her-
vortritt.


Bei dieser Bedeutung der Staatsdiener erscheint die
Regulirung ihrer rechtlichen Stellung, welche sie dem
Einflusse willkührlicher Bestimmung entzieht, 7 als eine
für das ganze Staatsleben wichtige Angelegenheit. Und
wirklich enthalten nicht nur die Verfassungsurkunden
einzelne hierauf bezügliche Festsetzungen, 8 sondern es
sind auch in den meisten deutschen Staaten ausführliche
[107]§. 35. Die Staatsdiener.
Gesetze darüber erlassen worden. 9 Als Staatsdiener im
Sinne des hieraus gebildeten Rechts werden aber nur
solche Personen betrachtet, welche vom Monarchen
zu dauernder Ausübung der in einem bestimm-
ten Staatsamte regulirten Thätigkeit berufen
sind.
Hieraus ergiebt sich von selbst, dass weder die
Staatsbürger in der Ausübung ihrer staatsbürgerlichen
Rechte und Erfüllung ihrer staatsbürgerlichen Pflichten,
noch die Mitglieder der Ständeversammlung als Staats-
diener betrachtet werden können; ebensowenig gehören
dahin die Aerzte und Advocaten, obschon die Ausübung
ihres wissenschaftlichen Gewerbes obrigkeitliche Auto-
risirung voraussetzt. 10 Auch werden mit Recht Die-
jenigen nicht zu den Staatsdienern gezählt, welche nur
[108]Zweiter Abschnitt.
zu untergeordneten factischen Dienstleistungen für eine
Staatsbehörde bestellt sind.11


Die Verschiedenheit der Aemter, für welche die
Staatsdiener berufen werden, gestattet eine Scheidung
derselben nach Classen, an welche sich mancherlei recht-
liche Besonderheiten anknüpfen. Man unterscheidet die
Staatsdiener, welche die eigentlich obrigkeitlichen Aemter
inne haben, von denjenigen, welchen eine nichtobrigkeit-
liche Function für den Staat zugewiesen ist,12 und unter
jenen treten die Justizbeamten vermöge ihrer beson-
deren Rechte hervor. Auch die rechtliche Stellung der
Minister ist in mancher Beziehung eine andere als die
der übrigen Staatsdiener.13 Nach ganz eigenthümlichen
Gesichtspunkten endlich werden die Verhältnisse der
Militärbeamten beurtheilt.



[109]§. 36. Die Staatsdiener.
b) Inhalt und rechtliche Natur des Staatsdienstverhältnisses.

§. 36.

Wer in das Verhältniss eines Staatsdieners eintritt,
widmet seine ganze Kraft der Arbeit für den Staat und
erklärt diese für den Beruf seines Lebens. Er über-
nimmt nicht die Verpflichtung zu einer Summe einzelner
Leistungen, sondern unterstellt für Zwecke des Amts
seine ganze Persönlichkeit der Verfügung des Staats-
oberhaupts und seiner berufenen Vertreter. Daher ist
seine Rechtsstellung nicht die eines vertragsmässig Obli-
girten, sondern eines solchen, der in einem organischen
Pflichtverbande unter dem Gewaltrechte eines obersten
Dienstherrn steht.1


[110]Zweiter Abschnitt.

Hiernach ist er verpflichtet, alle Obliegenheiten
seines Amts mit der grössten Gewissenhaftigkeit, Sorg-
falt und sittlichen Reinheit zu erfüllen,2 und auch die-
jenigen seiner Stellung angemessenen Dienste zu über-
nehmen, welche ihm ausserdem für den Staat übertragen
werden. Besondere Pflichten sind die der Amtsver-
schwiegenheit und einer seiner Ehrenstellung entspre-
chenden sittlichen und gesellschaftlichen Führung.3 Er
ist einer eigenen Disciplinargewalt unterworfen.4 Dem
Monarchen ist er Treue5 und den Anordnungen seiner
[111]§. 36. Die Staatsdiener.
Vorgesetzten Gehorsam schuldig; jedoch ist er von der
eigenen Verantwortlichkeit für die Vollziehung wider-
rechtlicher Befehle nur dann befreit, wenn er ihre Zu-
rücknahme vergebens zu erwirken versucht hat.6 Nur
5
[112]Zweiter Abschnitt.
die richterlichen Beamten sind in Ausübung ihrer richter-
lichen Thätigkeit von jeder höheren Weisung unabhängig.
Das amtliche Handeln, zu welchem der Monarch den
Staatsdiener durch die Anstellung mit dem Anspruche
auf öffentliches Vertrauen und auf Anerkennung als
staatliche Autorität7 ermächtigt hat, soll der Verfassung
und den Gesetzen gemäss sein, weshalb in den von ihm
zu leistenden Diensteid zugleich das Versprechen der
Beobachtung der Verfassung aufgenommen wird. Auf
die Fortdauer seiner amtlichen Dienste überhaupt, oder
dieser bestimmten Dienste hat er jedoch kein Recht;
seine Bestellung zur Vertretung eines Amts kann vom
Monarchen jederzeit widerrufen8 und nicht minder sein
6
[113]§. 36. Die Staatsdiener.
bisheriges Amt mit einem anderen angemessenen ver-
tauscht werden.9


Das Staatsdienstverhältniss hat nun neben diesem
seinem hauptsächlichen Inhalte noch einen anderen, wel-
cher sich auf die persönliche Stellung des Beamten be-
zieht. Als Gegenwirkung10 seines Pflichtverhältnisses tritt
zunächst der Anspruch des Staatsdieners auf die seinem
Amte entsprechende Dienstehre (Titel und Rang) her-
vor. Sodann hat er ein Recht auf die damit verbundene
Besoldung. Diese ist eine gesetzlich oder vertrags-
mässig bestimmte Rente zur Bestreitung seines standes-
mässigen Unterhalts,11 welche auch nach seiner Ent-
hebung vom Amte als Pension12 fortdauert. Diese
v. Gerber, Staatsrecht. 8
[114]Zweiter Abschnitt.
Befugnisse, welche dem Staatsdiener auf die Lebens-
dauer13 zukommen, haben den Character wohlerwor-
bener Rechte.


c) Begründung.

§. 37.

Das Staatsdienstverhältniss wird begründet durch
eine Verfügung des Monarchen, welche die Anstellung
für ein Staatsamt bestimmt und die ganze damit ver-
bundene Rechtsstellung auf den Angestellten überträgt.
Ihrem allgemeinen Character nach gehört eine solche
Verfügung in die Classe der Privilegien. Hat der An-
zustellende seine Bereitwilligkeit zum Eintritte in den
Staatsdienst schon dadurch, dass er als Candidat auf-
getreten ist, zu erkennen gegeben, so bedarf es nur der
Einhändigung eines Anstellungsdecrets, welches aus
dem allgemeinen Staatsdienerrechte zu ergänzen ist; ist
jenes nicht der Fall, so pflegen der Anstellung Verhand-
lungen voranzugehen, deren Ergebniss nach Umstän-
den in das Decret aufgenommen wird.1



[115]§. 37. Die Staatsdiener.

Die Wahl der Anzustellenden ist ein Recht des
Monarchen. Indessen verlangen die Gesetze, dass regel-
mässig nur Inländer und dass nur solche Personen ge-
wählt werden, welche sich durch Erstehung der vorge-
schriebenen Prüfungen als qualificirt ausgewiesen haben;
auch ist particularrechtlich den Collegien ein Vorschlags-
recht, bisweilen auch den Ständen ein Präsentationsrecht
bei der Besetzung gewisser Aemter eingeräumt. Ein
Recht, zum Staatsdiener gewählt zu werden, lässt sich
ebensowenig begründen,2 als eine allgemeine staats-
bürgerliche Pflicht zum Eintritte in das Staatsdienstver-
hältniss.3


Die Rechte des Angestellten auf Titel, Rang und
Gehalt beginnen im Zweifel mit dem Datum des De-
crets,4 seine amtlichen Functionen mit der Einweisung
in das Amt, und seine Anerkennung als amtliche Auto-
1
8*
[116]Zweiter Abschnitt.
rität Seitens des Publicums mit der öffentlichen Bekannt-
machung der Anstellung. Der Angestellt bekräftigt
seine rechtlichen Verpflichtungen durch einen Diensteid.


d) Beendigung.

§. 38.

Der Staatsdiener hat das Recht, freiwillig aus
dem Dienstverhältnisse auszuscheiden. Er kann um seine
Entlassung bitten, welche ihm gewährt werden muss,
sofern sie nicht unzeitig verlangt wird.1 Der freiwillig
Ausscheidende tritt nicht nur aus seinen Pflichten, son-
dern auch aus allen damit verbundenen Rechten heraus.
Nur wenn der Grund des Ausscheidens in dem Eintritte
der Dienstuntüchtigkeit oder höheren Lebensalters liegt,
darf er mit Beibehaltung von Titel, Rang und einer für
diesen Fall gesetzlich bestimmten Pension ausscheiden;
den Ministern wird dieses Recht in der Regel auch ohne
die erwähnten Voraussetzungen beigelegt.2


Der Monarch hat das Recht, einen Staatsdiener für
immer oder nur vorübergehend3 unter Gewährung der
4
[117]§. 38. Die Staatsdiener.
gesetzlichen Pension und unter Fortdauer von Titel und
Rang in den Ruhestand zu versetzen, zu pensioniren.
Particulargesetze knüpfen bisweilen dieses Recht des
Monarchen im Interesse des Fiscus an bestimmte Voraus-
setzungen.4 Der Pensionirte tritt jedoch nicht ganz aus
dem Kreise seiner Pflichten heraus; er muss sich unter
Umständen5 die Wiederberufung zur Uebernahme eines
entsprechenden Staatsamts gefallen lassen; auch ist sein
Recht auf die Fortdauer der Pension kein absolutes,
sondern von mancherlei persönlichen Voraussetzungen
abhängig.6


Ein Staatsdiener kann seines Dienstes mit Verlust
von Titel und Rang und ohne Anspruch auf Pension
entlassen werden. Bei richterlichen Beamten setzt
diess ein richterliches Urtheil voraus. Bei anderen
Staatsdienern kann die Entlassung auch durch eine ad-
ministrative Verfügung als Folge eines Dienstvergehens
oder einer sonstigen mit der Würde und Stellung des
3
[118]Zweiter Abschnitt.
Staatsdieners unvereinbaren Handlung erfolgen. Die
Gesetze schreiben dafür ein eigenes Verfahren und
schützende Formen vor.7


Dienstentsetzung (Cassation), eine besonders
schimpfliche Art der Entlassung, findet nur als Folge
eines Urtheils des Strafgerichts statt.


ZWEITES CAPITEL.
Die Landstände
.1


1. Allgemeine Characteristik der landständischen Institution.


§. 39.

Im Monarchen hat der Staat den persönlichen Ver-
treter seines Willens. Aber diese Vertretung soll so be-
schaffen sein, dass sie den wirklichen Inhalt des Staats-
willens zur Erscheinung bringt. Die nächste Garantie
hierfür liegt in der Verpflichtung, nach Massgabe des
bestehenden Rechts zu regieren. Nicht alle Regierungs-
handlungen indessen sind Gesetzanwendungen, da die
Staatsgewalt durch die stetige Entwickelung des Volks-
lebens zu immer fortschreitender Arbeit in der För-
derung und Sicherung der allgemeinen Interessen ge-
führt wird. Bei der Schaffung neuer Ordnungen und
Gesetze, welche das Bedürfniss des Volks verlangt, soll
[119]§. 39. Die Landstände.
eine Sicherheit dafür bestehen, dass der persönliche
Wille des Monarchen mit der sittlichen Ueberzeugung
des Volks zusammentreffe. Denn von dem sittlichen
Bewusstsein des letzteren sollen die materiellen Motive
des Staatswillens ausgehen. Sonach bedarf der Staat
noch ein besonderes Organ, welches die beiden Auf-
gaben erfüllt, die Rechtmässigkeit des Regierens zu
sichern und die sittlichen Ueberzeugungen des Volks
zum unmittelbaren und wirksamen Ausdrucke zu bringen.
Dieses Organ sind die Landstände; ihre Aufgabe ist
nicht: zu herrschen, sondern beschränkend zu dem
herrschenden Willen des Monarchen hinzuzutreten, so
dass dieser erst zu rechtlicher Existenz gelangt, wenn
er da, wo es die Verfassung fordert, den Willen der
Landstände in sich aufgenommen hat. 2


Landstände sind von jeher ein Element der deut-
schen Landesverfassung gewesen. Aber die älteren
deutschen Territorialstände können nur in Verbindung
mit den allgemeinen staatsrechtlichen Verhältnissen ihrer
Zeit begriffen werden, mit deren Untergang sie als eine
ihr angehörende Gestaltung verschwunden sind; die
Stände der Gegenwart sind als ein neues Institut aus
dem Boden eines völlig veränderten Staatsrechts hervor-
gewachsen. 3 Die älteren deutschen Stände, Prälaten,
[120]Zweiter Abschnitt.
Ritterschaft und Städte, sahen sich einer Landeshoheit
gegenüber, welche von einer das ganze Volk und Land
gleichmässig beherrschenden Staatsgewalt noch weit ent-
fernt war; 4 sie betrachteten die erstrebte Entwickelung
der landesherrlichen Patrimonialrechte zur Staatsherr-
schaft als Angriff auf ihre individuelle Rechtsstellung
und fanden ihr ständisches Recht in der Verbriefung
ihrer Freiheit von staatlicher Unterwerfung; sie wollten
dem Landesherrn gegenüber als einzelberechtigte, bloss
„zugewandte“ Individuen gelten, daher ihre persönlich
oder durch Bevollmächtigte geführten Verhandlungen
den Character privatrechtlicher Vergleiche hatten. 5 Als
3
[121]§. 39. Die Landstände.
aber die Landeshoheit sich zur wirklichen Staatsgewalt
ausgebildet hatte, fristeten sie nur noch hie und da
eine machtlose Existenz, bis sie allmählich ganz ver-
schwanden. Ganz anders die Landstände, welche seit
der Gründung des deutschen Bundes 6 in der Mehrzahl der
deutschen Staaten durch die neuen Verfassungsgesetze
geschaffen worden sind. 7 Ihre Stellung beruht auf der
5
[122]Zweiter Abschnitt.
Thatsache, dass das Volk in allen seinen Gliedern zu
einem einheitlichen politischen Ganzen verschmolzen ist,
welches von einer und derselben Staatsgewalt gleich-
mässig beherrscht wird, und dass auf der Grundlage des
so geeinten Volks, in welchem isolirte staatsfeindliche
Existenzen nicht geduldet werden, der Staat selbst als
rechtlicher Gesammtorganismus erwachsen ist. Die heu-
tigen Landstände sind ein Glied dieses Organismus,
welchem eine seiner wichtigsten Lebensfunctionen ver-
traut ist. 8 Ihre Aufgabe ist, unter dem Herrscherwillen
des Monarchen den Antheil des Volks an der Bestim-
7
[123]§. 40. Die Landstände.
mung des Staatswillens zur Geltung zu bringen; daher
verhandeln sie mit dem Monarchen nicht als individuell
Berechtigte, nicht in Vollmacht einzelner Personen, Ge-
meinden, Bezirke, sondern als Vertreter aller Interessen
des Volks nach Massgabe der verfassungsmässigen
Autorisation; 9 daher wollen sie nichts weniger als eine
Beschränkung der Staatsgewalt selbst, sondern nur eine
Mitwirkung bei deren Vertretung durch die Person des
Monarchen.


2. Inhalt des Rechts der Landstände.


§. 40.

Nach der Bestimmung der Verfassungsurkunden ist
der Wirkungskreis der Landstände im Allgemeinen
folgender. Sie haben ein Recht der Mitwirkung bei
der Gesetzgebung, und zwar so, dass ein Gesetz ohne
ihre Zustimmung nicht entstehen kann; sie haben ein
Recht der Mitwirkung zur Feststellung des Staatshaus-
halts, insbesondere bedarf die Auflegung von Steuern
ihrer Zustimmung; zur Begründung von Staatsschulden,
zur Veräusserung von Staatsgütern ist ihre Geneh-
migung erforderlich; ausserdem haben sie ein allgemei-
nes Beschwerde-, Antrags- und Petitionsrecht, welches
[124]Zweiter Abschnitt.
sich auf alle Theile der Staatsverwaltung erstreckt, sowie
nicht minder das Recht der Ministeranklage; hierzu
kommen dann noch besondere Befugnisse aus Anlass
eines Thronwechsels, des Eintritts einer Regentschaft
und anderer ausserordentlicher, das Staatsinteresse be-
rührender Ereignisse. 1


Die Gesammtheit aller dieser Rechte soll aber nach
Art. 57. der Wiener Schlussacte so geartet sein, dass
dadurch die Vereinigung der ganzen Staatsgewalt in der
Hand des Monarchen nicht gestört wird, vielmehr soll
sie nur die Bedeutung haben, dass das Staatsoberhaupt
in der Ausübung bestimmter Rechte an die Zustim-
mung der Stände gebunden ist. 2 Aber Nichts erscheint
[125]§. 40. Die Landstände.
schwerer, als eine Sicherung der Befriedigung dieser
Forderung im Leben. Es ist unmöglich, die Gränzen
der landständischen Rechte im Voraus für alle einzelnen
Fälle so genau und scharf zu ziehen, dass jedem Zwei-
fel über den Umfang derselben vorgebeugt wäre, sowie
denn auch eine zu grosse Aengstlichkeit dieser Gränz-
bestimmung ein Princip des Misstrauens sanctioniren
würde, das nirgends weniger als hier könnte ertragen
werden. In Folge davon wird in den Grundgesetzen
der Umfang der landständischen Befugnisse, namentlich
in Rücksicht auf die Ordnung des Staatshaushalts in
der Regel so allgemein bezeichnet, dass Landstände,
welche die hieraus deducirten Consequenzen masslos
ausbeuten wollen, leicht das verfassungsmässige Ver-
hältniss der beiden Organe zu verrücken, oder doch
einen das innerste Leben des Staats erschütternden
Conflict hervorzurufen vermögen. Eine Lösung dieser
Schwierigkeit könnte nur von einer weisen Mässigung
beider Theile erwartet werden, welche in einzelnen
Fällen einen Vergleich der schroffen Behauptung ein-
genommener Standpunkte vorzuziehen heisst, und daran
erinnert, dass Verbindungen, welche auf fortgesetztes
Vertragen hinweisen, nicht bestehen können, wenn ein
Theil oder beide Theile alles und jedes Recht, das ihnen
irgendwie zustehen möchte, auch jederzeit ausüben zu
müssen vermeinen. 3 Muss aber ein Conflict über die
2
[126]Zweiter Abschnitt.
verfassungsmässigen Gränzen der beiden Organe durch
rechtliche Entscheidung gelöst werden, so hat es als ein
Satz des deutschen Staatsrechts zu gelten, 4 dass im
wirklichen Zweifelsfalle die Vermuthung für das Recht
des Monarchen ist.


3. Die äussere Gestaltung der Ständeversammlung.


§. 41.

Die Landstände handeln nicht als Einzelne, sondern
als Gesammtheit in der Gestalt öffentlicher Collegien,
welche sich bei jedem Landtage von Neuem constituiren;
Corporationen sind sie jetzt nicht mehr. 1 In den meisten
3
[127]§. 41. Die Landstände.
deutschen Staaten bestehen zwei landständische Collegien,
die erste und die zweite Kammer, 2 welche selbständig
neben einander verhandeln. 3 Erst ein übereinstimmen-
der Beschluss beider Kammern gilt als Beschluss der
Landstände. Indessen giebt es einzelne Angelegenheiten,
welche jede Kammer für sich zu erledigen hat, 4 und
andere, bei deren Entscheidung der zweiten Kammer
ein umfassenderes Recht, als der ersten Kammer zu-
getheilt wird. 5


Ueber die Bildung der beiden Kammern bestehen
keine gemeinrechtlichen Sätze, sondern nur particular-
rechtliche Bestimmungen. Hiernach erscheinen als Mit-
glieder der ersten Kammer in der Regel die Prinzen
des regierenden Hauses, die Häupter der standesherr-
lichen Familien, sodann Diejenigen, welchen der Monarch
die Standschaft erblich oder nur lebenslänglich verliehen
hat, ferner Personen, welche von grösseren Städten oder
anderen Corporationen hierzu gewählt sind, endlich
Solche, welchen die Mitgliedschaft vermöge ihres Staats-
oder kirchlichen Amts zusteht. Die Mitglieder der
zweiten Kammer sind in der Regel durchweg gewählte
1
[128]Zweiter Abschnitt.
Landstände. Aber die Principien der Wahlgesetze der
einzelnen deutschen Staaten sind im höchsten Grade
verschieden; während einige von dem Gesichtspunkte
ausgehen, dass das Volk nicht eine nur nach der Kopf-
zahl zu begreifende Menge, sondern ein nach mannich-
fachen Gesellschaftsgruppen und Interessen gegliederter
Körper sei, und dass auch die Volksvertretung dieser
Natur des Volks als Ganzen entsprechend beschaffen
sein müsse, verläugnen andere den geistigen Character
des Volks, indem sie der unterschiedslosen oder höchstens
nach Steuermassstaben getheilten Masse in der Wahl-
einrichtung einen rein mechanischen Apparat zur Be-
stimmung der Abgeordneten darbieten. 6 Auch darüber
besteht keine Uebereinstimmung, ob die Wahl unmittel-
bar oder mittelbar (durch Wahlmänner) zu vollziehen
sei, ob der zu Wählende dem Kreise der Wähler ange-
hören müsse, oder nicht, und welche Eigenschaften bei
ihm überhaupt vorausgesetzt werden; nur die Forderung
der Unbescholtenheit, persönlichen Unabhängigkeit und
der Erreichung eines gewissen Lebensalters wird allge-
mein gestellt. 7 Das Recht des Gewählten besteht nur
[129]§. 41. Die Landstände.
auf eine gewisse Reihe von Jahren, oder für die Dauer
der Landtagsperiode. 8 Zwischen den Wählern und dem
7
v. Gerber, Staatsrecht. 9
[130]Zweiter Abschnitt.
Gewählten findet kein rechtlicher Zusammenhang statt;
die Aufgabe der Wähler ist mit der vollzogenen Wahl
beendigt, und es steht ihnen ein rechtlicher Einfluss auf
den Gewählten nicht zu, der allein nach eigener Ueber-
zeugung auf Grund seiner verfassungsmässigen Ver-
pflichtung und nicht aus ihrem Willen heraus zu han-
deln hat.9


4. Die Formen des Geschäftslebens der Landstände.


§. 42.

Die Landstände können sich nicht kraft eigenen
Entschlusses zu öffentlicher Wirksamkeit versammeln,1
sondern nur in Folge einer Berufung des Monarchen,
welche aber in periodisch bestimmten Zeiten und aus
Anlass besonderer Ereignisse statt finden muss.2 Jede
8
[131]§. 42. Die Landstände.
Kammer entscheidet, sobald die Ständeversammlung
ordnungsmässig eröffnet ist,3 über die Legitimation ihrer
Mitglieder, und wählt ihren Präsidenten,4 welcher auf
Grund einer Geschäftsordnung die Verhandlungen leitet
und das Disciplinarrecht des Collegiums über die Mit-
glieder der Kammer ausübt.5 Ein geschäftlicher Ver-
kehr steht den Landständen nur zu mit den Vertretern
des Monarchen, welche zu diesem Behufe an den
Sitzungen der Kammern Theil nehmen.6 Die Regierung
2
9*
[132]Zweiter Abschnitt.
hat meistens freie Wahl, an welche der beiden Kam-
mern sie sich behufs der Anregung einer zur Ver-
abschiedung zu bringenden Frage zuerst wenden will.
Für die Geschäftsbehandlung gilt es als allgemeine
Regel, dass die zu erledigenden Angelegenheiten von
Commissionen vorberathen werden, auf deren Bericht
sodann die allgemeine Berathung und Beschlussfassung
statt findet. Dabei entscheidet die Stimmenmehrheit,
nur ausnahmsweise wird eine grössere Majorität ver-
langt.7


Der Monarch hat das Recht, die Thätigkeit eines
Landtags durch Vertagung zu unterbrechen; nach
Ablauf der Vertagungszeit setzen dann die Landstände
als dieselben Collegien ihre unterbrochenen Arbeiten
fort.8 Der Landtag wird vom Monarchen geschlossen,
wenn die den Landständen zur Erledigung obliegenden
Geschäfte beendigt sind; werden dann dieselben Stände
zu einem neuen Landtage berufen, so treten sie als ein
neu constituirtes Collegium auf.9 Der Monarch hat
aber auch das Recht, die Ständeversammlung aufzu-
6
[133]§. 43. Die Landstände.
lösen;10 alsdann muss innerhalb einer bestimmten Frist
eine neue Wahl der Wahlmitglieder angeordnet werden.
Ausserdem erlischt das Recht einer Ständeversammlung
durch Ablauf der Landtagsperiode.


Einige Verfassungen kennen auch das Institut eines
ständischen Ausschusses,11 welcher in der Zeit, in
welcher die Ständeversammlung nicht in Thätigkeit ist,
die Rechte derselben wahrt und Anträge für den künf-
tigen Landtag vorbereitet.


5. Besondere Rechte der Mitglieder der Ständeversammlung.


§. 43.

Das Recht und die Pflicht1 jedes Mitglieds der
Ständeversammlung ist die Kundgebung seiner wahren
Ueberzeugung durch Rede und Abstimmung im stän-
dischen Collegium. Aus der Existenz dieses Rechts
folgt die Nothwendigkeit seiner Sicherung nach ver-
schiedenen Seiten. Eine solche liegt zunächst schon in
dem Satze, dass wegen des verfassungsmässigen Wirkens
der Landstände in der Kundgebung von Ueberzeugungen
und in Abstimmungen als solchen dem Monarchen
[134]Zweiter Abschnitt.
nicht das Recht zusteht, durch eine richterliche oder
sonstige Staatsbehörde Rechenschaft und Verantwortung
zu fordern; dagegen verlangt jene Sicherung nicht, dass
die Landstände in der Ausübung ihres Berufs von der
Unterwerfung unter die allgemeinen Strafgesetze dis-
pensirt seien.2 Sodann ist es eine angemessene Vor-
schrift einzelner Verfassungsurkunden, dass die Thätig-
keit der Volksvertreter nicht durch den Antrag von
Gläubigern auf Verhängung der Schuldhaft gestört
werden dürfe.3 Auch beruht es ferner auf einer rich-
tigen Würdigung der Bedeutung der Volksvertretung,
wenn die gerichtliche Verhaftung eines Mitglieds der
zum Landtage anwesenden Ständeversammlung oder
die Fortdauer einer solchen von der Genehmigung der
Kammer, welcher der Verhaftete angehört, abhängig
gemacht wird;4 wobei es freilich als selbstverständlich
[135]§. 43. Die Landstände.
vorausgesetzt wird, dass diese Genehmigung nie ver-
sagt werde, wenn aus der Angabe der Veranlassung
der Verhaftung erhellt, dass ein Grund der Besorgniss
einer tendenziösen Verfolgung überall nicht vorliege,
wie denn in der That die Verhaftung des unmittelbar
bei der Begehung eines Verbrechens Ergriffenen in der
Regel ohne jene Genehmigung geschehen und fortdauern
darf. Aber die Formulirung dieser Sätze in den ein-
zelnen deutschen Grundgesetzen ist keineswegs überein-
stimmend, indem einige die der Volksvertretung gebüh-
rende Rücksicht bis zu einer allgemeinen Exemtion
der Landstände auszudehnen scheinen.5


Die Mitglieder der Ständeversammlung erhalten
Reisekostenentschädigung und Diäten.



[[136]]

DRITTER ABSCHNITT.
Die Formen der Willensäusserung des Staats.


Allgemeines.


§. 44.


Der Wille des Staats kommt durch die Wirk-
samkeit seiner beiden Organe zur Erscheinung. Der
Rechtskreis jedes dieser Organe und ihr Verhältniss zu
einander ist bisher im Allgemeinen dargestellt worden.
Es bestehen nun aber besondere Rechtssätze darüber,
für welche Aeusserungen des Staatswillens das Zusam-
menwirken derselben erforderlich ist, und für welche
umgekehrt die alleinige Vertretung des Staats durch das
monarchische Organ genügt, sowie darüber, wie im
ersteren Falle dieses Zusammenwirken und im zweiten
dieses Alleinhandeln beschaffen sein müsse. Diese
Sätze, welche sich nach ihrem allgemeinen Character
als Sätze über die Form der rechtlichen Willensäusserung
des Staats darstellen, sollen im Folgenden an den ein-
zelnen Arten der Thätigkeit der Staatsgewalt entwickelt
werden.


[137]§. 45. Die Gesetzgebung.

1. Die Gesetzgebung.


a) Verschiedenheit der Gesetze.


§. 45.

Als Gesetzgeber offenbart der Staat seinen Willen
in der Form abstracter Normen.1 Das Bedürfniss sol-
cher Normen besteht für sehr verschiedenartige Interes-
sen des Staatslebens. Vor Allem bedarf es einer festen
gesetzlichen Bestimmung des Staatsrechts selbst —
Grundgesetze, Verfassungsgesetze, Gesetze über den
Staatsdienst, Gemeindeordnungen u. s. w.; sodann for-
dert das öffentliche Interesse, dass die wichtigsten Zweige
der Verwaltung in der Form der Gesetzgebung re-
gulirt und gemäss der fortschreitenden Entwickelung
socialer und öconomischer Verhältnisse immer von Neuem
[138]Dritter Abschnitt.
gesetzlich revidirt werden — Gewerbeordnungen, polizei-
liche Ordnungen der mannichfaltigsten Art, Militärge-
setze, Schulgesetze u. s. w.; nicht minder bedarf die Er-
haltung und Förderung der Rechtsordnung einer fort-
dauernden gesetzgeberischen Thätigkeit — Justizgesetze
für alle Zweige des Rechts; endlich wird auch der für
eine bestimmte Finanzperiode geltende Plan des Staats-
haushalts
in der Form eines s. g. Finanzgesetzes fest-
gestellt. Es ist nun nicht zu verkennen, dass die Be-
deutung der Gesetzesform nicht bei allen diesen ver-
schiedenen Arten von Gesetzen gleich, dass vielmehr
die Kraft und Wirksamkeit derselben sehr wesentlich
von dem Einflusse ihres Inhalts bedingt ist. Den Ver-
fassungs- und Verwaltungsgesetzen gemeinsam ist es,
dass sie grösstentheils unmittelbare Regulatoren der
Staatsgewalt selbst sein wollen; aber während jene als
immerwährende und womöglich unangreifbare Normen
gedacht werden, unterliegen diese den wandelbaren
Ansprüchen wirthschaftlicher, socialer und politischer
Interessen. Eine eigenthümliche Stabilität kommt den
Justiz-, insbesondere den Privatrechtsgesetzen zu; denn
die Regulirung der Privatrechtsverhältnisse wird von der
Strömung der grossen Tagesinteressen nur wenig berührt
und kann, wenn sie einmal zweckmässig geschehen ist,
im Ganzen dem fortbildenden Einflusse der Jurisprudenz
und des Rechtslebens überlassen werden.2 Die geringste
[139]§. 45. Die Gesetzgebung.
Congruenz zwischen der Natur des Gesetzes und seinem
Gegenstande findet bei dem s. g. Finanzgesetze statt,
das dem grössten Theile seines Inhalts nach nur schein-
bar ein Gesetz, in Wirklichkeit bloss eine Constatirung
der über gewisse Finanzsätze erzielten Uebereinstimmung
zwischen Regierung und Ständen ist.3 Aber so gross
auch diese inneren Verschiedenheiten der Gesetze sind,
so sind doch die Grundsätze über die Form ihrer Ent-
stehung im Ganzen dieselben, und nur für das Zustande-
kommen von Verfassungs-4 und Finanzgesetzen bestehen
besondere Rechtssätze, in welchen die Eigenthümlichkeit
ihres Wesens Berücksichtigung findet.


Noch weniger haben die sonstigen Verschiedenheiten
der Gesetze den Einfluss, dass hiernach die staatsrecht-
lichen Grundsätze über die Form ihrer Entstehung modi-
2
[140]Dritter Abschnitt.
ficirt würden. Insbesondere ist es hierfür gleichgültig,
ob das Gesetz ganz neue Bestimmungen schafft, oder ob
es bestehende Normen abändert, aufhebt, oder authen-
tisch interpretirt, ferner ob es für das ganze Land oder
nur für einen einzelnen Bezirk, ob es für alle Staats-
bürger oder nur für einzelne Classen derselben gelten
soll.5 Nur Gesetze kirchlichen Inhalts setzen unter
Umständen eine Behandlung voraus, welche neben der
Erfüllung der staatsrechtlichen Erfordernisse auch den
Antheil der Kirche zur Geltung bringt.6


b) Die Form der Entstehung der Gesetze.


§. 46.

Das Recht der Gesetzgebung steht dem Monarchen
unter Mitwirkung der Stände zu. Seine Befugniss ist
es, ausgeführte Gesetzentwürfe vorzuschlagen (die s. g.
Initiative); die Stände haben, dafern die Verfassung
nicht auch ihnen die Initiative verleiht, nur das Recht,
den Monarchen um Vorlage eines Gesetzentwurfs zu
bitten.1 Der Monarch kann den Entwurf bei der ersten
oder der zweiten Kammer nach freier Wahl zuerst ein-
[141]§. 46. Die Gesetzgebung.
bringen;2 nur das Finanzgesetz muss nach der Bestim-
mung mehrerer Verfassungen zunächst der zweiten Kam-
mer vorgelegt werden.3 Jede Kammer hat den Gesetz-
entwurf zu prüfen und über dessen Annahme oder Nicht-
annahme zu berathen und zu beschliessen; sie hat nicht
das Recht, das Eintreten in die Berathung überhaupt
abzulehnen.4 Die Berathung und Abstimmung kann
mehr oder weniger ins Einzelne gehen, es kann auch,
nach stattgehabter allgemeiner Verhandlung, ein Ent-
wurf im Ganzen angenommen oder abgelehnt werden;
dagegen kann eine Kammer nicht auf ihr Recht der
Zustimmung völlig verzichten.5 Bei der Berathung kann
die Kammer Verbesserungen beschliessen, welche sich
als Modificationen oder Ergänzungen des Entwurfs dar-
stellen.6 Hat eine Kammer die Berathung beendigt und
[142]Dritter Abschnitt.
den Entwurf nicht völlig abgelehnt, so beginnt über die
Vorlage der Regierung und die hierzu von der früheren
Kammer beantragten Veränderungen die Berathung der
anderen Kammer; beide Kammern treten sodann in
Wechselverkehr, bis eine vollständige Einigung der-
selben und damit ein Beschluss der Stände erzielt ist.7
Dem Monarchen steht es jederzeit frei, den eingebrachten
Gesetzentwurf zurückzuziehen; er würde hieran selbst
durch die unveränderte Annahme desselben von Seiten
der Stände nicht gehindert sein.8 Erst wenn die stän-
dische Berathung und Beschlussfassung beendigt ist, hat
er sich frei darüber zu entschliessen, ob er den Entwurf
in seiner nunmehrigen Gestalt durch seine Sanction
zum Gesetze erheben will.9 Er thut diess, indem er
[143]§. 47. Die Gesetzgebung.
ihn unter ausdrücklicher Erwähnung der ständischen
Zustimmung10 in ordnungsmässiger Weise als Gesetz
verkündigt.


Bei allen diesen Beschlussfassungen der Stände
entscheidet die regelmässige Majorität. Nur wenn es
sich um Beschlüsse über einen Gesetzentwurf handelt,
durch welchen die Verfassung abgeändert oder er-
gänzt werden soll, wird eine stärkere Majorität, oder
doch eine mehrmalige Beschlussfassung der Stände er-
fordert.11


§. 47.

Der Satz, dass der Monarch ein Gesetz nur er-
lassen könne, wenn er vorher die Zustimmung der
Stände hierzu erlangt hat, leidet aber eine Ausnahme
in den Fällen der s. g. Nothgesetzgebung. Wenn
nämlich ein dringendes Interesse des Staats die sofortige
Ertheilung eines Gesetzes fordert,1 aber die Stände
9
[144]Dritter Abschnitt.
augenblicklich nicht versammelt sind, auch ihre zeitige
Zusammenberufung unthunlich erscheint,2 so hat der
Monarch kraft einer durch die Verfassung ertheilten
Autorisation das Recht, provisorisch das Gesetz selbst,
d. h. vorläufig ohne ständische Zustimmung zu erlassen,
muss sich jedoch hierbei. auf den jene Ermächtigung
enthaltenden Artikel des Grundgesetzes ausdrücklich
berufen. Ein solches Gesetz kann alles Dasjenige zum
Inhalte haben, was überhaupt durch Gesetze bestimmt
zu werden vermag,3 nur nicht eine Abänderung der
Grundgesetze und der Verfassung, da jene Autorisation
überhaupt nicht anders als innerhalb des Rahmens und
auf dem Boden der letzteren stehend vorhanden ist.
Sobald aber die Ständeversammlung wieder zusammen-
1
[145]§. 47. Die Gesetzgebung.
getreten ist, hat sie sich in der gewöhnlichen Ge-
schäftsform darüber zu erklären,4 ob sie dem provi-
sorisch erlassenen Gesetze nachträglich zustimme oder
nicht. Ist letzteres der Fall,5 so verliert das Noth-
gesetz seine Gesetzeskraft von selbst, ohne dass es
einer besonderen Aufhebung desselben bedürfte. Denn
indem das Gesetz ausdrücklich auf den die provisorische
Gesetzgebung bestimmenden Artikel gestützt worden
ist, hat es vom Gesetzgeber überhaupt nur eine mit
Resolutivcharacter verbundene Lebenskraft erhalten.6
v. Gerber, Staatsrecht. 10
[146]Dritter Abschnitt.
Bis zum Eintritte dieser Auflösung aber hat das provi-
sorische Gesetz als ein wirkliches Gesetz bestanden; die
Auflösung hat keine rückwirkende Kraft.7


c) Die Verordnungen.


§. 48.

Es giebt einzelne Verfassungsurkunden,1 welche
den formellen Begriff des Gesetzes, als einer nur unter
Mitwirkung der Stände zu erzeugenden Norm, auf ein
engeres nach Gegenständen bestimmtes Gebiet beschrän-
ken, indem sie z. B. festsetzen, dass eine die Freiheit
oder das Eigenthum der Personen betreffende allgemeine
Bestimmung nicht anders als im Wege dieser Gesetz-
gebung ertheilt werden soll. Nach diesen Verfassungen
[147]§. 48. Die Verordnungen.
wird ein bedeutender Theil der Gesetzgebung, d. h. der
staatlichen Festsetzung allgemeiner Normen von der
Nothwendigkeit ständischer Zustimmung ausgenommen,
so dass man dann Gesetze unterscheiden muss, welche
der Monarch nur mit, und Gesetze, welche er ohne Zu-
stimmung der Stände ertheilen kann. Die letzteren
kann man zum Unterschiede von jenen Verordnungen
nennen, aber sie sind ihrer inneren Kraft nach nicht
weniger wirkliche und wahre Gesetze.


Wo eine solche Beschränkung nicht ausgesprochen
ist, ist es unmöglich, das Gebiet des Gesetzes im for-
mellen Sinne des Worts durch eine aus der Natur der
Gegenstände genommene Gränze zu umschreiben; viel-
mehr wird die staatliche Aufstellung jedes selbständigen
Rechtssatzes über irgend welche der Staatsgewalt unter-
worfene Angelegenheiten in das Bereich des Gesetzes
zu stellen sein.2 Aber auch bei einer so umfassenden
Bestimmung des Gesetzesbegriffs wird eine Art von
Normirungen nicht mit ergriffen, welche ebenfalls nur
10*
[148]Dritter Abschnitt.
in der Form allgemeiner Vorschriften gegeben werden
kann. Sie betreffen die Ausführung des als Gesetz
oder sonst bestehenden Rechts durch Instruction an die
Behörden, welche mit seiner Vollziehung betraut sind,
durch Bestimmung der geeigneten Mittel seiner Durch-
führung sowie des dabei zu beobachtenden Verfahrens,
und durch erläuternde Vorschriften über die Anwendung
der allgemeinen Grundsätze des Gesetzes im Einzelnen.
Keine dieser Vorschriften will selbst neue Rechtssätze
schaffen; sie setzen vielmehr immer das Dasein solcher
voraus und wollen nur die constante und ordnungsmäs-
sige Anwendung derselben in einer allgemein wirksamen
Weise sichern.3 Auch diese Festsetzungen nennt man
technisch Verordnungen. Das Recht, sie zu er-
lassen, legen die Verfassungsurkunden dem Monarchen
allein, ohne Mitwirkung der Stände, bei. Sie werden
von ihm mit der Contrasignatur des Ministers in der-
selben Weise, wie Gesetze, publicirt.


Wenn hiernach auch die Organisation und Instruc-
tion der Behörden im Allgemeinen unter das Verord-
nungsrecht des Monarchen zu rechnen ist, so leidet diess
doch eine Ausnahme bezüglich der principiellen Orga-
nisation4 sowie der Bestimmung der Competenz und
[149]§. 49. Formwidrige Gesetze.
des Verfahrens der richterlichen Behörden, welche nur
auf dem Wege des Gesetzes festgestellt oder abgeändert
werden kann.


d) Formwidrige Gesetze.


§. 49.

Es ist möglich, dass den hier entwickelten Sätzen
über die Form der Entstehung der Gesetze zuwider ge-
handelt wird, indem ein Gesetz als Verordnung erlassen
wird, dessen Inhalt ständische Verabschiedung gefordert
hätte, oder ein Nothgesetz gegeben wird, ohne dass die
dafür vorgeschriebene Form und die dafür bestehenden
Voraussetzungen gewahrt sind, oder ein Gesetz mit der
Angabe verkündigt wird, dass die verfassungsmässige
Mitwirkung der Stände stattgefunden habe, während diess
gar nicht, oder doch nicht in genügender Weise der Fall
war.1 Da nun die Bedeutung jener Formvorschriften die
ist, dass nur mit Beobachtung derselben ein wirklicher
Act der gesetzgebenden Gewalt entstehen kann, so unter-
liegt es an und für sich keinem Zweifel, dass einer im
Widerspruche mit ihnen stehenden Publication eine rechts-
verbindliche Wirksamkeit nicht zukommt.2 Indessen kön-
4
[150]Dritter Abschnitt.
nen mancherlei Umstände die schroffe Geltendmachung
solcher Nichtigkeiten auf dem Gebiete des Staatsrechts
zurückdrängen. Vor Allem kann es bei der sehr un-
bestimmten Gränze zwischen Gesetz und Verordnung
im einzelnen Falle nicht ganz unzweifelhaft und nicht
allgemein anerkannt sein, dass die ständische Verab-
schiedung rechtswidrig unterlassen worden sei; selbst
die behauptete Formwidrigkeit bei der Verabschiedung
kann zweifelhaft sein. Dabei wird es besonders auf das
zukünftige Verhalten der Ständeversammlung, als des
vorzugsweise betheiligten und zur Entscheidung beru-
fenen Organs ankommen; die Ständeversammlung kann
unter Umständen durch nachträgliche, ausdrücklich oder
stillschweigend ertheilte Anerkennung auch einen heilen-
den Einfluss ausüben.3 Die Frage über das Verhalten
2
[151]§. 49. Formwidrige Gesetze.
gegenüber einer solchen Publication kann für den Ein-
zelnen, wie für die mit der Ausführung derselben be-
trauten Behörden schwierig und bedenklich sein; aber
nur für den Richter, der nicht nach subjectiven Er-
wägungen, auch nicht nach höherer Anweisung, sondern
allein nach Rechtsgrundsätzen zu handeln hat, bedarf
sie einer Beantwortung in bestimmten Regeln.4



[152]Dritter Abschnitt.

Der Richter hat nur wirkliches Recht zur Anwen-
dung zu bringen. Er ist daher verpflichtet, zu prüfen,
ob die angezogene Verordnung eine verfassungsgemässe
und ob das angezogene Gesetz ein wirkliches Gesetz,
oder nur eine mit dem falschen Scheine eines solchen
bekleidete Publication sei.5 Bei dieser Prüfung aber ist
ihm die vom Staatsoberhaupte und dem verantwortlichen
Ministerium ausgehende Beglaubigung der Legalität die
zunächst zu respectirende Autorität. Der Richter em-
pfängt das Gesetz durch Verfügung des Monarchen;
der Monarch bezeugt ihm in der Publicationsformel,
dass die verfassungsmässige Mitwirkung der Stände
stattgefunden habe, dass der Fall einer Nothgesetzge-
bung oder einer königlichen Verordnung gegeben sei, —
dieses Zeugniss des höchsten staatlichen Organs hat
der Richter zunächst zu beachten, er hat weder das
Recht noch die Pflicht, unter Beiseitelegung desselben
sich wegen individueller Zweifel auf den Standpunkt
rücksichtsloser Kritik zu stellen.6 Aber die Wirksam-
[153]§. 49. Formwidrige Gesetze.
keit dieser Beglaubigung hat ihre Gränze. Wenn die
Ständeversammlung geltend macht, dass die behauptete
ständische Mitwirkung nicht, oder nicht ordnungsmässig
stattgefunden hat, oder wenn sie bestreitet, dass die
Verordnung ohne Verabschiedung hätte erlassen werden
können, so ist für den Richter die autoritative Wirkung
des königlichen Zeugnisses durch die Gegenautorität des
anderen staatlichen Organs aufgehoben, und er nun-
mehr
auf die eigene Kritik verwiesen.7 Es bedarf so-
gar nicht immer erst der Gegenautorität der Stände, um
für ihn die Bedeutung jenes Legalitätszeugnisses zu ent-
kräften; findet er, dass es mit notorischen und entschei-
denden Thatsachen8 oder unzweifelhaften Rechtssätzen9
6
[154]Dritter Abschnitt.
im Widerspruche steht, so tritt auch hier der Fall selb-
ständiger Prüfung ein, zu welcher er nicht nur berech-
tigt, sondern vermöge seiner Verantwortlichkeit auch
verpflichtet ist.


e) Das Finanzgesetz.


§. 50.

Der Staat bedarf zur Erfüllung seiner Aufgaben
und zur Erhaltung aller Einrichtungen und Kräfte, auf
deren Zusammenwirken das Staatsleben beruht, der
umfassendsten Geldmittel. Diese findet er zunächst in
den Revenuen seiner Domainen, Forsten, Berg- und
Hüttenwerke, überhaupt der fiscalischen Gewerbe und
Regalien, des Post- und Eisenbahnbetriebs, wozu dann
Einkünfte der verschiedensten Art, als Strafgelder, Spor-
teln u. s. w., hinzutreten; insoweit diese Einnahmen aber
nicht ausreichen,1 tritt die allgemeine Steuerpflicht der
Staatsbürger ergänzend ein, welche sich als eine der her-
vorragendsten Wirkungen ihres staatlichen Subjections-
verhältnisses darstellt.2 Ueber alle diese finanziellen
[155]§. 50. Das Finanzgesetz.
Mittel zu gebieten, sie herbeizuschaffen, zu verwalten
und für Staatszwecke zu verwenden, ist ein Recht der
Staatsgewalt; rücksichtlich der Besteuerung (sowohl
durch Auflegung directer als indirecter3 Steuern) kann
sie diess Recht aber nur im Zusammenwirken beider
Organe, des Monarchen und der Stände, ausüben.4


Für die Art und Weise, in welcher der Staat seine
Finanzgewalt ausübt, besteht nun eine bestimmte Ord-
nung. Auf die Dauer gewisser Finanzperioden, die in
den Verfassungen auf ein Jahr, auch drei und mehr
Jahre5 festgesetzt sind, werden genaue, ins Detail
2
[156]Dritter Abschnitt.
gehende Voranschläge über sämmtliche in Aussicht
stehende Ausgaben und Einnahmen entworfen, aus de-
nen sich dann die Grösse der Summe ergiebt, welche
durch Steuern erhoben werden muss. An sich würde die
Anfertigung dieses Etats eine gewöhnliche Angelegenheit
der Verwaltung sein; denn weder das Recht, jene Staats-
einnahmen (mit Ausnahme der Steuern) zu erheben,
noch auch das Recht, sie zu Zwecken des Staats zu
verwenden, würde einer Ermächtigung durch ein beson-
deres Gesetz bedürfen.6 Da aber die Besteuerung nur
durch ein Steuergesetz geschehen kann, und die Grösse
der Steuer sich allein aus dem Zusammenhange des
ganzen Etats ergiebt, so ist die Gesetzesform auch auf
diesen ausgedehnt und das Steuerbewilligungsrecht der
Stände zu einem Rechte der Zustimmung bei der Fest-
stellung des gesammten Staatshaushalts entwickelt wor-
den, welcher nun als s. g. Finanzgesetz verabschiedet
zu werden pflegt. Durch diese Ausdehnung ihres Mit-
wirkungsrechts ist den Ständen zugleich ein weit über
das finanzielle Interesse hinaus reichender, zwar indi-
recter, aber ausserordentlich wirksamer und bestimmen-
der Einfluss auf alle Zweige der ganzen Staatsverwal-
tung eingeräumt worden.



[157]§. 51. Das Finanzgesetz.
§. 51.

Betrachtet man nun den für eine bestimmte Finanz-
periode verabschiedeten Etat vom Gesichtspunkte des
Gesetzbegriffs, so treten sofort die erheblichsten Unter-
schiede des s. g. Finanzgesetzes von allen übrigen Ge-
setzen hervor.1 Abgesehen davon, dass seine Wirksam-
keit immer nur eine temporäre ist, erscheint ein Theil
seines Inhalts gar nicht als die Aufstellung von Rechts-
sätzen, sondern (wie z. B. bei den Einnahmeposten)
als eine blosse Constatirung der ständischen Aner-
kennung der von der Regierung gemachten Ansätze.
Sodann will ein grosser Theil des Finanzgesetzes keine
absolute, sondern nur eine relativ wirkende Norm geben;
die Regierung soll, wenn sich die bei der Verabschiedung
angenommenen Voraussetzungen als irrig erweisen, da-
durch nicht gehindert sein, die grössere Revenue ein-
zunehmen, die grössere Ausgabe, welche sich in Folge
veränderter thatsächlicher Verhältnisse als nothwendig
herausstellt, zu machen, und andrerseits nicht berechtigt
sein, eine durch die Umstände ermöglichte Ersparniss nur
deshalb zu unterlassen, weil das Budget einen höheren
Ansatz in Aussicht genommen hat.2 Zwar bedarf es
bei jeder Etatsüberschreitung der Regierung einer nach-
[158]Dritter Abschnitt.
träglichen Rechtfertigung vor den Ständen, aber die
Anerkennung derselben durch die Letztere ist, wenn
jene vollständig erbracht wird, nicht eine willkührliche,
sondern nothwendige.3


Der hauptsächlichste Unterschied des Finanzge-
setzes aber von sonstigen Gesetzen liegt darin, dass,
während sonst das Nichtzustandekommen eines Gesetzes
überhaupt oder doch zeitweilig ertragen werden kann,
das Nichtzustandekommen des Finanzgesetzes unerträg-
lich ist; es muss ins Leben treten, weil der Staat nicht
ohne dasselbe bestehen kann. Daraus ergiebt sich mit
Nothwendigkeit, dass die Regel des Zusammenwirkens
der beiden Organe hier eine andere als bei der Verab-
schiedung sonstiger Gesetze sein muss, dass insbeson-
dere das Bewilligungsrecht der Stände hier kein abso-
lutes und subjectiv freies sein kann.4 Diese Regel ist
folgende. Die Stände müssen alle diejenigen Ausgaben
[159]§. 51. Das Finanzgesetz.
genehmigen, welche auf einer Rechtspflicht beruhen oder
für die Fortführung des Staatslebens nothwendig sind;
darauf, ob das eine oder andere bei jedem Ausgabesatze
der Fall sei, ist ihr Prüfungsrecht gerichtet. Eben-
so müssen sie diejenigen Steuern bewilligen, welche
sich hiernach als eine unentbehrliche Ergänzung der
sonstigen Einnahmen darstellen; darauf, ob die Noth-
wendigkeit dieser Ergänzung durch Steuern bestehe,
und ob sie gerade durch diese Steuergattung zweck-
mässig erfolge, ist hierbei ihr Prüfungsrecht gerichtet.
Ob über die Gränze dieser nothwendigen Ausgaben und
Steuern hinaus Bewilligungen für nützliche Zwecke des
Staats stattfinden sollen, dürfen sie nach subjectivem
Ermessen entscheiden.


Hieraus ergiebt sich aber sofort die nahe Möglich-
keit eines Conflicts zwischen den beiden Organen des
Staats, wenn unter ihnen ein Zwiespalt über die Frage der
Nothwendigkeit besteht.5 Einzelne Verfassungen suchen
der lähmenden Wirkung desselben durch die Bestim-
mung aufschiebend zu begegnen, dass, im Falle das
Finanzgesetz nicht zu Stande komme, die bisherigen
Steuern noch eine längere Zeit, etwa ein Jahr lang,
forterhoben werden dürfen;6 andere wollen den Conflict
[160]Dritter Abschnitt.
vor einer höheren Instanz zum Austrage bringen.7 Wo
solche Sätze nicht bestehen, bleibt allein der Weg fort-
gesetzter Einigungsversuche8 übrig.


§. 52.

Das Finanzgesetz hat nach der Bestimmung einiger
Verfassungen1 seine besondere Verabschiedungsform.
Der Etat wird nebst allen Rechnungen über die vorige
Finanzperiode zunächst bei der zweiten Kammer ein-
gebracht. Diese hat ihn durch einzelne Commissionen
prüfen zu lassen, welche über die Ergebnisse ihrer Prü-
fung Bericht erstatten. Hierauf erfolgt die Berathung
und Beschlussfassung der Kammer selbst, welche in
einzelnen Staaten in die kleinste Specialität eingeht, in
andern dagegen eine allgemeinere Haltung hat.2 Auch
hier werden Amendements gestellt und beschlossen;
Ausgaben, welche die Regierung nicht vorgeschlagen
hat, können die Stände da, wo ihnen die Initiative nicht
[161]§. 53. Die Verwaltung.
zusteht, nicht als verwilligt einsetzen, sondern deshalb
nur um Vorlage einer nachträglichen Exigenz bitten.
Ist die Berathung der zweiten Kammer zu Ende, so
wird der Etat in der Gestalt, welche derselbe durch die
Beschlüsse derselben empfangen hat, an die erste Kam-
mer gebracht. Diese ist zwar nicht verhindert, eben-
falls in eine Detailberathung einzugehen, aber sie hat
nach der Vorschrift einzelner Verfassungen nicht das
Recht, wiederum über die einzelnen Punkte der Re-
gierungsvorlage Beschlüsse zu fassen, welche die zweite
Kammer zu erneuter Rücksichtnahme nöthigen würden;
vielmehr hat sie sich allein darüber schlüssig zu machen,
ob sie den von der zweiten Kammer amendirten Etat
im Ganzen annehmen oder verwerfen will.3 — In an-
deren Staaten bestehen solche besondere Formen für die
Verabschiedung des Finanzgesetzes nicht. Dagegen ist
hie und da zur Ausgleichung von Differenzen zwischen
den beiden Kammern ein besonderes Vereinigungsver-
fahren vorgesehen.


2. Die Verwaltung.


§. 53.


In Bezug auf den Gesichtspunkt, welcher diesen
ganzen Abschnitt beherrscht, nämlich die Bestimmung
der rechtlichen Form der Willensäusserung des Staats,
erscheint es zulässig, die kaum übersehbare Menge von
v. Gerber, Staatsrecht. 11
[162]Dritter Abschnitt.
Regierungshandlungen, welche keine Gesetze sind, zu-
sammenzufassen, mit Ausnahme der Acte der richter-
lichen Gewalt. Man kann sie übersichtlich in folgender
Weise gruppiren.


Zunächst tritt die auf die Organisation und Leistung
der Staatsbehörden gerichtete Thätigkeit hervor. Für alle
einzelnen Branchen der Staatsthätigkeit werden Aemter
eingerichtet, an welche die verschiedenen Staatsarbeiten
vertheilt werden. Sie bilden einander über-, resp. unter-
geordnete Instanzen, deren Competenzkreis unter ein-
ander und gegenüber den Behörden anderer Departe-
ments zu bestimmen ist.1 Die Anstellung der für diese
Aemter erforderlichen Beamten, die stete Beaufsichtigung
derselben, sowie die fortgesetzte Leitung ihrer Thätigkeit
durch Instructionen und Weisungen der verschiedensten
Art bildet einen hauptsächlichen Theil der Verwaltung.


Die durch diese Behörden vorzunehmenden Ver-
waltungshandlungen sind sehr verschiedener Art. Der
grösste Theil derselben characterisirt sich als Aus-
führung der Gesetze, deren Anwendung auf einzelne
Fälle, und andererseits die Dispensation von ihrer Ein-
wirkung;2 hieran schliessen sich die eigentlichen Voll-
[163]§. 53. Die Verwaltung
ziehungshandlungen im engeren Sinne, insbesondere die
zwangsweise Execution durch die Vollzugsbeamten und
unter Umständen durch die bewaffnete Macht. Ein
anderer Theil der Verwaltungsthätigkeit ist nicht gerade
durch ausdrückliche Gesetze vorgesehen, wie z. B. viele
Handlungen der Oberaufsicht über alle Erscheinungen
des Staatslebens und der freien Förderung gemein-
nütziger Unternehmungen.


Ihrer materiellen Richtung nach gehören die Ver-
waltungshandlungen entweder dem Gebiete der Polizei,3
der allgemeinen Culturpflege, der Justiz-, Militär- oder
Finanzverwaltung,4 oder dem Gebiete der Vertretung
2
11*
[164]Dritter Abschnitt.
des Staats nach Aussen an, wie sie oben §. 23. über-
sichtlich dargestellt worden sind; auch die Ertheilung
von Privilegien gehört zu den Verwaltungshandlungen.5


Bald treten sie hervor als unmittelbare Befehle und
Anordnungen für einzelne concrete thatsächliche Ver-
hältnisse, bald als Weisungen, welche nicht bloss für
einen einzelnen Fall berechnet sind; bald wollen sie
sich auf bestimmte Individuen, bald auf das gesammte
Publicum beziehen; bald werden sie daher nur dem
4
[165]§. 54. Die Verwaltung.
Betheiligten schriftlich oder mündlich eröffnet, bald be-
dürfen sie zur Erreichung ihres Zwecks einer öffentlichen
Bekanntmachung. Einen Theil der Verwaltungsange-
legenheiten behält sich der Monarch selbst zur Erle-
digung unter Mitwirkung der verantwortlichen Minister
vor; andere werden allein von den höchsten Staats-
stellen geordnet, — ohne dass diese Competenzbestim-
mungen in der Regel durch eine staatsrechtliche Noth-
wendigkeit beherrscht würden.


§. 54.


Den Ständen steht zwar auch auf die Verwaltung
ein indirecter Einfluss durch ihr Recht der Ausgaben-
bewilligung sowie durch ihr allgemeines Beschwerde-
und Petitionsrecht zu,1 aber ein Recht unmittelbarer
Mitwirkung oder Zustimmung zur Vornahme von Ver-
waltungshandlungen haben sie im Allgemeinen nicht.
Eine Ausnahme hiervon findet statt 1. bezüglich der
vom Monarchen abgeschlossenen Staatsverträge, durch
welche dem Staate oder den Staatsbürgern Lasten auf-
gelegt, Theile des Staatsgebiets abgetreten, oder Gegen-
stände normirt werden, welche nur auf dem Wege der
Gesetzgebung bestimmt werden können. Zur staats-
rechtlichen Wirksamkeit solcher Verträge bedarf es der
Zustimmung der Stände.2 Nur bei Friedensverträgen
[166]Dritter Abschnitt.
ist diese Zustimmung nicht erforderlich. 2. Die Geneh-
migung der Stände ist ferner nothwendig zur Begrün-
2
[167]§. 54. Die Verwaltung.
dung einer Staatsschuld durch Aufnahme eines Staats-
anlehens, oder Uebernahme von Garantieen für Schulden
Anderer. Ein ohne Genehmigung der Stände abge-
schlossenes Geschäft dieser Art ist nichtig.3 Jedoch
geben einzelne Verfassungen der Regierung die Ermäch-
tigung, im Nothfalle Anlehen (bis auf einen gewissen
Betrag) allein aufzunehmen; diese Ermächtigung wird
bald so ertheilt, dass das aufgenommene Anlehen defi-
nitiv zu Recht besteht, ohne dass der Ausfall der später
darüber stattfindenden ständischen Beschlüsse hierauf
von Einfluss ist,4 bald so, dass die Rechtsbeständigkeit
2
[168]Dritter Abschnitt.
von der nachträglichen Genehmigung der Stände bedingt
ist.5 3. Endlich kann kein Theil des dem Staate ge-
hörenden Grundvermögens anders als mit Zustimmung
der Stände veräussert werden; eine ständisch nicht ge-
nehmigte Veräusserung ist nichtig.6


3. Die richterliche Thätigkeit.


§. 55.


Die Aufgabe der Staatsgewalt, den Rechtszustand
unter den ihr Unterworfenen durch Rechtssprechung
aufrecht zu erhalten, theilt sich sofort in zwei beson-
dere Aufgaben, 1. die Fürsorge dafür, dass demjenigen,
welcher die Grundlagen der Rechtsordnung überhaupt
durch ein Verbrechen verletzt hat, sein Recht durch
[169]§. 55. Die richterliche Thätigkeit.
Zuerkennung der rechtmässigen Strafe zu Theil werde
(strafrichterliche Thätigkeit), 2. die Fürsorge, dass
Demjenigen, welcher in seiner individuellen Rechts-
sphäre verletzt ist, die Anerkennung und Wiederher-
stellung seines Rechts gesichert werde (civilrichter-
liche
Thätigkeit).1


Der Staat erfüllt diese Aufgaben dadurch, dass er
nach Massgabe einer gesetzlichen Gerichtsordnung wohl
besetzte Gerichte2 aufstellt, welche innerhalb ihrer
Sprengel im Namen des Monarchen Recht sprechen.
Das Verfahren vor diesen Gerichten ist durch das Pro-
cessrecht geordnet. Zugleich ist durch die Einrichtung
höherer und höchster Gerichtshöfe die Möglichkeit der
processrechtlich zulässigen Berufungen gesichert.3 Die
Rechtssprechung selbst geschieht allein nach den Regeln,
welche die Rechtswissenschaft über die Findung des
Rechts aufstellt; der Richter hat nie ein ihm von aussen
gewiesenes, sondern immer nur das von ihm selbst er-
kannte Recht auszusprechen, und hat, sowie er keiner
von einer fremden Autorität ihm zukommenden Weisung
bei der Urtheilsfällung nachgeben darf, auch innerlich
[170]Dritter Abschnitt.
sich von dem Einflusse jeder der Constatirung des Rechts
fremdartigen Rücksicht frei zu halten. Seine Thätigkeit
des Rechtfindens und Rechtsprechens ist eine Operation
der juristischen Kunst, und sein Arbeitsgebiet ist gegen-
über den sonstigen Gebieten der Wirksamkeit der Staats-
kräfte ein völlig neutrales Feld. Zur äusseren Verstär-
kung dieser Unabhängigkeit dient die besondere recht-
liche Sicherung der Staatsdienstverhältnisse der richter-
lichen Personen.4 Die von den Gerichten gesprochenen
rechtskräftigen Erkenntnisse werden von der Staatsgewalt
vollzogen. Sie bedürfen, abgesehen von den auf Todes-
strafe oder andere Strafen der höchsten Art lautenden
Erkenntnissen, keiner Bestätigung des Monarchen. Dem
Monarchen steht in Strafsachen nur das Recht zu, durch
Abolition der verbrecherischen Handlung die Thätig-
keit der Criminalgerichte zu hemmen, sowie das Recht,
die erkannte Strafe mit ihren Folgen durch Begnadi-
gung ganz oder theilweise aufzuheben. Diesem Rechte
entspricht in Civilsachen die Befugniss des Monarchen,
einem Schuldner Moratorien zu verleihen, welche aber
[171]§. 56. Competenz der Justiz.
nicht mehr von allen deutschen Verfassungen anerkannt
wird.5


Competenzkreis der Justiz.


§. 56.


Die Thätigkeit der Staatsgewalt, welche in der
Rechtssprechung durch die Gerichte besteht, characte-
risirt sich dadurch, dass sie auf Geltendmachung des
absoluten Rechts gerichtet ist. Nach diesem Mass-
stabe allein erledigt sie den ihr zur Entscheidung vor-
gelegten rechtlichen Thatbestand. Das zu entschei-
dende Verhältnisss will nicht nach relativen Gesichts-
punkten, etwa nach Rücksichten auf das allgemeine
Wohl, Rücksichten der Zweckmässigkeit, der Moral be-
urtheilt sein, sondern in völliger Isolirung allein nach
den Principien des Rechts. Es fragt sich nun, welches
das Gebiet dieser Art der Staatsthätigkeit, m. a. W. der
Competenz der Justiz sei?1


[172]Dritter Abschnitt.

Zunächst das Gebiet des Strafrechts; dass die
Bestimmung der einer verbrecherischen Handlung fol-
1
[173]§. 56. Competenz der Justiz.
genden Strafe nur nach dem Massstabe der Gerechtig-
keit, mit Ausschluss aller subjectiven und aus anderen
Interessenkreisen entlehnten Motive zu geschehen habe,
ist ein Satz, der nicht bloss als unentbehrliche Garantie
der staatsbürgerlichen Freiheit besteht, sondern auch die
nothwendige Voraussetzung der Rechtfertigung der Straf-
gewalt des Staats selbst bildet, welche auf kein anderes
Fundament als auf das der Gerechtigkeit gestützt wer-
den kann.2 — Sodann das Gebiet des Privatrechts.
Denn die privatrechtlichen Rechtsverhältnisse stehen
ausserhalb des Staatszusammenhangs; sie gehören der
individuellen, nichtstaatlichen Persönlichkeit der Ein-
1
[174]Dritter Abschnitt.
zelnen an.3 Auf solche Verhältnisse hat die Staatsgewalt
an sich keinen unmittelbaren Einfluss; es steht ihr hier
im Allgemeinen nicht zu, ordnend einzugreifen und dem
Einzelnen das sittlich wünschenswerthe oder das zweck-
mässige Handeln aufzunöthigen. Was von der Staats-
gewalt erwartet und angenommen wird, ist ein Minimum
[175]§. 56. Competenz der Justiz.
der Einwirkung, nämlich die Feststellung und Durch-
führung des absoluten Rechts. Diess ist der einzige
Einfluss der Staatsgewalt, den die privatrechtliche Frei-
heit des Einzelnen (abgesehen von besonderen Aus-
nahmszuständen) duldet. Hieran sollte auch der Um-
stand, dass ein Privatrecht eine Beziehung zu öffent-
lichen Interessen hat,4 oder dass ein solches auf der
Grundlage eines Thatbestands des öffentlichen Rechts
entstanden ist,5 Nichts ändern. Noch weniger kann
es von Einfluss sein, dass eine der in einem privat-
rechtlichen Streite befangenen Parteien zugleich eine
besondere Stellung im Staate hat, wie Gemeinden oder
andere Corporationen, indem ja auch der Staat als
Fiscus Processpartei sein kann.


[176]Dritter Abschnitt.

Einen ganz anderen Einfluss hat der Staat auf Ver-
hältnisse, welche ihren Sitz innerhalb der Staatsordnung
selbst haben, Verhältnisse, welche nicht der isolirten
Persönlichkeit angehören, sondern den Einzelnen als
Glied des gesammten Staatsverbands angehen,6 und
unter der Herrschaft allgemeiner Ordnungen stehen.
Diese Verhältnisse sind nicht Gegenstand individueller
Freiheit, sondern unterliegen der vollen Einwirkung der
Staatsherrschaft. Auch sie erwarten, wenn sie unklar
oder bestritten sind, ihre Lösung durch eine Entscheidung
der Staatsgewalt; aber diese beschränkt sich hier nicht
darauf, den Thatbestand in abgeschlossener Betrachtung
nach den Regeln eines absoluten Rechts zu behandeln,
sondern sie bringt auch die Rücksicht auf das allgemeine
Wohl zur Geltung und hat zugleich das im öffentlichen
Interesse Nützliche und Zweckmässige durchzusetzen.
Indem sie den Einzelnen nöthigt, sich nach diesen rela-
tiven Gesichtspunkten behandeln zu lassen, verfährt sie
[177]§. 56. Competenz der Justiz.
jedoch keineswegs nach Willkühr oder Laune; denn
auch für die Geltendmachung jener über den Massstab
des absoluten Rechts hinausgehenden Motive bestehen
Gesetze, Verordnungen und deducirbare Grundsätze.7
Diess ist das Gebiet der Verwaltung. Innerhalb der
Sphäre derselben nehmen die für ihre einzelnen Zweige
bestellten Vertreter volle Selbständigkeit und die An-
erkennung als eigene rechtliche Autoritäten in An-
spruch. — Nur da, wo die Staatsgewalt ein öffent-
liches Recht als wohlerworbenes individuelles Recht
vorfindet oder hat entstehen lassen, sollte sie sich
trotz des Zusammenhangs dieses Rechts mit dem ge-
sammten staatlichen Organismus keine andere Ein-
wirkung gestatten, als diejenige, welche die isolirte
Behandlung nach Massgabe des absoluten Rechts dar-
bietet, und mithin die Entscheidung darüber den Ge-
richten überlassen. Denn sie muss es anerkennen, dass
hier eine Substanz des öffentlichen Rechts privatrechts-
artig in dem Rechtskreise eines Individuums localisirt
und damit der freien Einwirkung der Staatsgewalt ent-
zogen worden ist. Indessen ist auch hier der Rechts-
weg aus besonderen Gründen mehrfach unzugänglich
(vergl. §. 59.).


Das Verfahren über streitige Verhältnisse, zu deren
Beurtheilung die Verwaltungsbehörden zuständig sind,
v. Gerber, Staatsrecht. 12
[178]Dritter Abschnitt.
ist in der Mehrzahl der deutschen Staaten in der
Weise geregelt, dass die Parteien ähnlich wie im
Civilverfahren zum geordneten rechtlichen Gehöre ge-
langen, dass ihnen der Rechtskraft fähige Erkennt-
nisse eröffnet werden, gegen welche sie innerhalb ge-
setzlicher Fristen an höhere Instanzen recurriren kön-
nen. Man pflegt daher diesen Theil der Thätigkeit
der Verwaltungsbehörden die Verwaltungsjustiz zu
nennen.8 Die Einrichtung einer solchen ist, sofern
ihre Competenz nicht willkührlich über das Gebiet
der Verwaltung hinaus in ungerechtfertigter Verküm-
merung des Gebiets der Justiz erstreckt ist, und so-
fern sie die Bürgschaft ordnungsmässiger und unpar-
teiischer Erledigung darbietet, nicht zu tadeln, son-
dern anzuerkennen, indem sie auch für diejenigen
Streitigkeiten, welche der Beurtheilung der Gerichte
nicht unterworfen sind, die Wohlthat einer richter-
lichen Instanz darbietet.9 Eine Fortbildung dieser Ein-
richtung könnte zur Aufstellung selbständiger Gerichts-
höfe des öffentlichen Rechts führen, durch welche
[179]§. 56. Competenz der Justiz.
manche Lücke unseres modernen Staatsrechts geschlos-
sen würde.10


Die Entscheidung von Competenzconflicten zwischen
den Justiz- und Verwaltungsbehörden11 ist häufig den
Gerichten entzogen, und entweder dem Monarchen
selbst vorbehalten, oder einer besonderen hierzu be-
rufenen Behörde anheim gegeben.12



[[180]]

VIERTER ABSCHNITT.
Rechtsschutz im Gebiete des Staatsrechts.


Allgemeines.


§. 57.


Das System des Staatsrechts zeigt, wie aus der
bisherigen Darstellung hervorgeht, eine Verbindung sehr
mannichfaltiger Rechte, deren Integrität zum Theil die
Voraussetzung der Lebensfähigkeit des Staats ist. So-
nach drängt sich von selbst die Frage auf, in welcher
Form und durch welche Mittel diese Integrität, wenn sie
bedroht oder verletzt ist, geschützt werde.1 Es kann
sein, dass die Existenz des Staats selbst und seiner
verfassungsmässigen Rechte angegriffen wird; sodann
können die Organe des Staats genöthigt sein, für die
Erhaltung ihrer Befugnisse zu streiten; nicht minder
kann der Schutz eines öffentlichen Individualrechts in
Frage kommen; endlich kann der Staatsbürger in die
Lage versetzt sein, sich gegen die Uebergriffe der Staats-
gewalt zu schützen.


[181]§. 57. Der Rechtsschutz.

Dass nicht in allen diesen Fällen derjenige Rechts-
schutz entsprechend oder genügend sein kann, den die
gewöhnlichen Gerichte in ihrer bisherigen Stellung zu
gewähren vermögen, leuchtet sofort ein. Die Gerichte
haben ihre Function im Staate und nach Massgabe der
ihnen durch die Staatsgewalt verliehenen Vollmachten
auszuüben; die Staatsgewalt vollzieht durch sie einen
Theil der in ihrem Herrschaftsrechte enthaltenen Auf-
gaben. So haben sie innerhalb des gesammten Staats-
organismus ihre bestimmte, locale Wirkungssphäre (§. 56.).
Wollte man nun das ganze Recht der Staatsgewalt und
ihrer Organe selbst der Entscheidung derselben unter-
werfen, so würde man die Gerichte aus ihrer Stellung im
Organismus herausnehmen und ihnen eine selbständige
Stellung ausserhalb desselben einräumen; man würde
die Macht, auf welcher ihre Autorität beruht, und der
sie zu dienen berufen sind, in ein Object ihrer Ge-
walt verwandeln. Schon hieraus ergiebt sich, dass die
Gerichte das Bedürfniss des Rechtsschutzes im Gebiete
des Staatsrechts nicht allgemein, sondern nur insoweit
befriedigen können, als es sich um einen in ihre specielle
Competenz fallenden Thatbestand handelt.2


Ueberhaupt aber würde die Vorstellung unrichtig
sein, welche den Rechtsschutz nur in der Form von
Urtheilen der Gerichte für möglich hielte. Zunächst
[182]Vierter Abschnitt.
kann das Bedürfniss richterlicher Entscheidungen selbst
durch Einrichtungen gemindert sein, welche schon an
sich eine grosse Sicherung der Anerkennung des Rechts
gewähren. Diess ist im Staatsrechte in besonders
hohem Grade der Fall, indem hier durch die ganze
Anlage des Gesammtorganismus und die Stellung der
Organe, in denen die Lebensäusserungen des Staats
hervortreten, dafür gesorgt ist, dass Rechtsstörungen
in gegenseitigem Verhandeln und Vertragen ihre Aus-
gleichung finden. Monarch und Stände sind auf gegen-
seitige Verständigung angewiesen, die Regierung unter-
liegt der unbeschränkten Kritik der periodisch wieder-
kehrenden Ständeversammlung und kann nur dann
auf Behauptung ihrer Autorität rechnen, wenn sie jener
Kritik den Nachweis des rechtmässigen Handelns ent-
gegenstellen kann. Aber auch darin liegt eine be-
deutende Sicherung der Aufrechterhaltung des Rechts,
dass die Verwaltung an eine Menge wohl bestellter
Aemter vertheilt ist, welche durch ihre Abstufung
nach höheren und niederen Instanzkreisen die Mög-
lichkeit einer ausreichenden Controle darbieten. Als
eine weitere Garantie der Anerkennung des öffent-
lichen Rechts3 kann endlich die Macht der öffentlichen
Meinung angeführt werden, welche auf keinem anderen
[183]§. 57. Der Rechtsschutz.
Gebiete wirksamer ist, als auf dem des öffentlichen
Rechts.


Aber selbst da, wo der staatsrechtliche Rechtsschutz
eine wirkliche Richterthätigkeit fordert, darf nicht die
Form des Civilprocesses und das Urtheil des gewöhn-
lichen Civilrichters als das ausschliessliche Muster des
Rechtswegs betrachtet werden. Auch anderen Aemtern
als den Gerichten kann ein richterlicher Beruf übertra-
gen sein. In einer Reihe von staatsrechtlichen Fragen
wird von Verwaltungsbehörden, in anderen von den
Kammern Recht gesprochen, — und es stimmen hierin
bis auf einen gewissen Grad die Einrichtungen aller
deutschen Staaten überein.


Endlich müssen auch die Mittel des Rechtsschutzes
im Staatsrechte zum Theil andere sein, als im Privat-
rechte, da der Rechtsstreit in jenem Gebiete nicht immer
wie in diesem die Gestalt eines Streits gleichartiger sich
gegenüberstehender Parteien hat. Insbesondere ist es
dem Staatsrechte eigenthümlich, dass der Schutz ge-
wisser Rechte direct durch einen Strafrechtssatz gegeben,
und dass bisweilen auch die Geltung von Sätzen des
objectiven Verfassungsrechts durch die Ahndung ihrer
Verletzung an den handelnden Personen aufrecht er-
halten wird. Auf diesem letzteren Gedanken beruht
insbesondere dasjenige Schutzmittel, welchem die allge-
meinste staatsrechtliche Wirkung, nämlich der Schutz
des Grundgesetzes selbst, zugeschrieben wird, — das
Institut der Ministeranklage.


[184]Vierter Abschnitt.

1. Der Rechtsschutz des Grundgesetzes durch das Institut
der Ministeranklage.1


§. 58.


Eine der grössten Garantieen für die unverrückte
Aufrechterhaltung des Grundgesetzes liegt in dem Rechts-
satze, dass keine Verfügung des Monarchen in Regie-
rungsangelegenheiten zur staatsrechtlichen Wirksamkeit
gelangt, wenn sie nicht mit der Contrasignatur des
verantwortlichen Ministers versehen ist. Dadurch wird
bewirkt, dass das verfassungsmässige Handeln nicht
bloss ein abstractes Gebot bleibt, sondern in dem Kreise
derer, welche zur unmittelbaren Beihülfe des Monarchen
in der Ausübung der Regierung berufen sind, immer
auch zur Frage einer persönlichen Verantwortlichkeit
wird. Der Minister ist wegen jeder Verletzung der
Verfassung verantwortlich, welche unter seiner Mit-
wirkung stattgefunden hat. Damit diese Verantwortung
eintrete, ist nicht nothwendig, dass durch die Verfügung
[185]§. 58. Die Ministeranklage.
irgend ein individueller Rechtskreis beschädigt werde,
sondern es genügt die Verletzung des Grundgesetzes
an sich. Es ist gleichgültig, ob die Verletzung einen
mehr oder weniger wichtigen Punkt des Letzteren be-
troffen hat, ob sie in einem positiven Entgegenhandeln
oder in der Unterlassung einer durch die Verfassung be-
stimmt gebotenen Handlung besteht.2 Die Verantwor-
tung tritt ein bei jeder Handlung, welche der Minister
mit dem Bewusstsein ihrer Verfassungswidrigkeit vor-
genommen hat.3


Diese Verantwortlichkeit besteht nun hauptsächlich
gegenüber den Landständen, da ein Haupttheil ihres
politischen Berufs die Controle der Verfassungsmässig-
keit des Regiments ist. Damit sie aber eine Wahrheit
werde, genügen offenbar die der Ständeversammlung zu-
stehenden gewöhnlichen parlamentarischen Mittel nicht.4
Es ist ein besonderer Gerichtshof nothwendig, durch
[186]Vierter Abschnitt.
dessen Urtheil die Verantwortlichkeit realisirt und so-
mit zugleich die Integrität des Grundgesetzes gegen-
über der stattgefundenen Verletzung wieder hergestellt
wird. Zu diesem Zwecke ist durch die Verfassungs-
gesetze einzelner Staaten ein Staatsgerichtshof geschaffen
worden, welcher über die von den Ständen angebrachten
Ministeranklagen entscheidet. Die Einrichtung dieses
Gerichtshofs ist verschieden; bald besteht er in einem
besonderen Collegium, dessen Mitglieder theils vom
Monarchen, theils von den Ständen5 ernannt, oder
nach Art der Geschwornen6 berufen werden; bald
wird der oberste Gerichtshof des Landes zugleich zum
Staatsgerichtshofe erklärt.7 Zur Anklage legitimirt sind
die Stände,8 und zwar nach einigen Verfassungen jede
Kammer für sich,9 nach anderen nur die gesammte
Ständeversammlung in übereinstimmendem Beschlusse
beider Kammern.10 Das Urtheil des Staatsgerichtshofs
geht entweder auf Entbindung und Lossprechung des
Angeklagten, oder auf Verurtheilung desselben, d. h.
[187]§. 58. Die Ministeranklage.
darauf, dass eine absichtliche Verfassungsverletzung vor-
liege; die Entfernung des Schuldigen von seinem Amte
und seine Unfähigkeit zur Wiederanstellung sind dann
die gesetzlichen Folgen eines solchen Urtheils.11 Als
Rechtsmittel wird höchstens der Antrag auf Revision
zugelassen. Der Monarch kann bezüglich einer die
Ministeranklage veranlassenden Handlung weder das
Recht der Abolition noch das der Begnadigung ausüben.
Ist die That des angeklagten Ministers von der Art,
dass sie zugleich in das Bereich der Strafgewalt der
gewöhnlichen Gerichte fällt, so wird dem Einschreiten
und Verfahren der Letzteren durch die Verhandlung
vor dem Staatsgerichtshofe und seine Urtheilsprechung
in keiner Weise präjudicirt.


In einzelnen deutschen Verfassungsurkunden hat je-
doch dieses Institut eine Ausbildung erhalten, welche
der eigentlichen Idee desselben nicht mehr durchaus
entspricht. Insbesondere hat man häufig die Compe-
tenz des Staatsgerichtshofs unter Verdunkelung seines
speciellen Zwecks dahin erweitert, dass er nicht mehr
[188]Vierter Abschnitt.
bloss als höchstes politisches Gericht, sondern zugleich
als ein allgemeines Strafgericht über Staatsdiener er-
scheint. Daraus erklären sich auch einzelne über den
Zweck des Instituts hinausgreifende Bestimmungen, ins-
besondere der Satz, dass nicht bloss Minister und De-
partementschefs, sondern alle Staatsdiener, und zwar
nicht nur wegen Verletzungen der Verfassung, sondern
auch wegen Verletzung sonstiger Gesetze dort angeklagt
werden können; ferner, dass nicht bloss die Stände,
sondern auch der Monarch (namentlich auch gegen die
Stände) Anklagen beim Staatsgerichtshofe erheben kann,
und dass die Strafgewalt des Gerichtshofs auch auf die
Befugniss, Geld- oder Gefängnissstrafen zu erkennen,
ausgedehnt ist, wodurch die eigentliche Idee desselben,
ein Schutz der Integrität des Grundgesetzes zu sein,
einigermassen getrübt wird.12


2. Rechtsschutz des Staats und seiner Organe.


§. 59.


Wird der Staat angegriffen oder in seiner Existenz
bedroht, so hilft er sich selbst in Anwendung seiner
Staatsmacht. Da die Angriffshandlungen vom Straf-
gesetze zu Verbrechen (Majestätsverbrechen, insbeson-
dere Hochverrath) erklärt werden, so erscheint die
Rechtssprechung der Criminalgerichte als die regel-
mässige Art, in der sich seine Selbsthülfe vollzieht.
[189]§. 59. Rechtsschutz des Staats.
Ebenso wird die Thätigkeit der Beamten in Ausübung
obrigkeitlicher Functionen gegen Widersetzlichkeiten
durch das Strafgesetz geschützt.


Eine wirksame Bestreitung des Rechts eines Organs
des Staats wird in der Regel nur dann stattfinden, wenn
die Ständeversammlung und die Regierung unter ein-
ander über die Gränzen ihrer Rechtskreise uneins sind.
Beide Organe stehen sich dann als streitende Parteien
gegenüber und benutzen wohl ihre allgemeine Macht-
stellung, um ihre Ansprüche zur Geltung zu bringen.
Ein solcher Streit ist das empfindlichste Leiden, welches
den Staat treffen kann, da die Harmonie der Organe
die Grundbedingung seines Gedeihens ist. Und doch
giebt es für die meisten Staaten keine richterliche In-
stanz, vor welcher solche Streitigkeiten durch Urtheil-
spruch ihre definitive Lösung fänden, da sich das Bun-
desschiedsgericht1 die ihm bei seiner Stiftung zugedachte
Bedeutung nicht zu erwerben vermocht hat. Wo das
[190]Vierter Abschnitt.
Institut der Ministeranklage durch Bildung eines be-
sonderen Staatsgerichtshofs entwickelt ist, kann unter
Umständen dieser den Streitpunkt erledigen; denn wenn
der Streit in der Form einer Ministeranklage auftritt,
so urtheilt er bei der Entscheidung dieser zugleich über
das allgemeine Recht selbst. Auch haben manche
Staaten die Competenz dieses politischen Gerichtshofs
dahin erweitert, dass er überhaupt veranlasst werden
dürfe, über den bestrittenen Sinn des Verfassungsrechts
zu urtheilen.2 Abgesehen hiervon giebt es für den
Fall, dass sich die beiden Organe als streitende Par-
teien gegenüber stehen, keinen anderen Weg rechtmäs-
siger Lösung, als den der Verständigung.3


Ein ähnliches Verhältniss findet statt, wenn sich die
beiden Kammern als Parteien gegenüber stehen, indem
sie über die gegenseitigen Beziehungen ihrer verfassungs-
mässigen Rechtsstellung streiten. Nur werden solche
Streitigkeiten leichter ihre thatsächliche Erledigung fin-
den, da hier die Regierung durch die Art ihres Ver-
haltens wesentlich dazu beitragen kann.


[191]§. 60. Individualrechte.

3. Rechtsschutz staatsrechtlicher Individualrechte.


§. 60.


Staatsrechtliche Individualrechte sind Rechte staats-
rechtlichen Inhalts, welche einem individuellen Subjecte
mit dem Character erworbener Rechte zustehen, — im
Gegensatze des bloss aus der Anwendung allgemeiner
Gesetze abgeleiteten Rechtszustands einer Person. Es
leuchtet ein, dass es diesen Rechten an einem beson-
deren Rechtsschutze nicht fehlen darf, aber eine allge-
meine Theorie darüber lässt sich nicht aufstellen; viel-
mehr sind die einzelnen Arten solcher Rechte rücksicht-
lich der Frage des Rechtsschutzes besonders zu behan-
deln. Die wichtigsten sind folgende.


1. Das Recht des Monarchen findet im inneren
Staatsleben seinen Schutz in der Gesammtheit der Mit-
tel, welche dem Staatsoberhaupte zu Gebote stehen,
um dem Inhalte der Verfassung Anerkennung zu ver-
schaffen. Für den Schutz der persönlichen Majestäts-
rechte ist durch besondere Strafrechtssätze gesorgt.


2. Der Anspruch einer fürstlichen Person auf Zu-
lassung zur Thronfolge ist als ein Parteistreit gegen-
über einem oder mehreren anderen Prätendenten, dann
aber auch als ein Streit zwischen dem Prätendenten und
den Ständen eines Landes denkbar. So sehr nun derartige
Ansprüche vermöge ihres Characters als individualisirter
subjectiver Rechte eine Behandlung in der Form des civil-
processualischen Verfahrens zu fordern scheinen, so fehlt
es doch in Deutschland an einem ordentlichen Gerichte,
welches zu erkennen berufen wäre. Die Landesgerichte
[192]Vierter Abschnitt.
können sich nicht für competent erklären, über das Recht
der Person zu entscheiden, von welcher sie ihre eigene
Gerichtsgewalt abzuleiten haben, und ein den ehemaligen
Reichsgerichten analoges Bundesgericht besteht nicht.
Der deutsche Bund könnte nur indirect, insbesondere
wegen seiner Prüfung der Legitimation, zur Entschei-
dung berechtigt sein, und die Competenz der Bundes-
austrägalinstanz würde nur durch besondere thatsäch-
liche Umstände begründet werden können.1


3. Nimmt eine Familie die Eigenschaft des hohen
Adels
in Anspruch, so kommt es bezüglich der Be-
stimmung des Rechtswegs auf die besondere Richtung
an, in welcher jener Anspruch geltend gemacht wird.
Handelt es sich darum, die Anerkennung der Mitglied-
schaft des im Art. 14. der Bundesacte privilegirten
Standes überhaupt zu erwirken, so ist ein desfallsiger
Antrag zunächst bei der eigenen Staatsregierung zu
begründen, welche, wenn sie von dem Rechte des Pe-
tenten überzeugt ist, die Zustimmung der deutschen
Bundesversammlung befürwortet; lehnt die Landesre-
gierung die verlangte Anerkennung ab, so steht dem
Petenten der Recurs an die Bundesversammlung zu.2
[193]§. 60. Individualrechte.
Bildet dagegen die Mitgliedschaft des hohen Adels eine
incidente Präjudicialfrage bei einem vor den gewöhn-
lichen Landesgerichten anhängigen Processe, so haben
diese auch über jene Frage mit zu entscheiden.3 Han-
delt es sich sodann um eine Weigerung der Landes-
regierung, die im Artikel 14. verliehenen Privilegien
einzuräumen, oder um eine Verletzung derselben durch
die Landesgesetzgebung, so steht dem Verletzten nach
Art. 63. der Wiener Schlussacte der Weg der Be-
schwerde bei der Bundesversammlung und nach Um-
ständen die Anrufung eines Bundesschiedsgerichts offen.4
Ist endlich die Frage zu entscheiden, ob ein Mitglied
des hohen Adels auch die Bedingungen erfüllt habe,
von welchen das Recht der Theilnahme an der Stände-
versammlung abhängt, so hat darüber als über eine
Legitimationsfrage die Kammer, zu welcher der Zutritt
2
v. Gerber, Staatsrecht. 13
[194]Vierter Abschnitt.
begehrt wird, zu erkennen.5 Aehnlich verhält es sich
mit dem Rechtswege des Anspruchs auf Anerkennung
als Mitglied der ehemaligen Reichsritterschaft.


§. 61.


4. Ueber den Anspruch, als Mitglied der Stände-
versammlung
zu gelten, wird allein von der Kammer,
zu welcher der Zutritt verlangt wird, Recht gesprochen,
einerlei, ob der Anspruch auf eine stattgehabte Wahl,
oder auf königliche Ernennung, auf Innehabung eines
Amtes, oder auf eine besondere Standesstellung ge-
stützt wird. Ueber diese Legitimationsfragen entscheidet
die Kammer definitiv; gegen ihr Urtheil findet keine
Appellation statt. Ihr selbst aber muss es frei stehen,
die bereits ausgesprochene Legitimation einer erneuten
Prüfung zu unterwerfen, wenn neue entscheidende und
fortwirkende Thatsachen bekannt werden.1


5. Das Indigenat, d. h. das Zugehören zu einem
bestimmten Staatsverbande vermöge Eintritts in das
4
[195]§. 61. Individualrechte.
Recht einer bestimmten Staatsgewalt, ist ein erworbenes
öffentliches Individualrecht; analog ist das Gemeinde-
bürgerrecht und das Recht, Mitglied der politisch be-
rechtigten Adelscorporation eines Landes oder einer
Provinz zu sein. In allen den Fällen, in welchen die
Anerkennung solcher Rechte von der Regierung selbst
verlangt wird, wäre principiell die Competenz der Ge-
richte nicht undenkbar, sofern es nur überhaupt möglich
wäre, die Regierung als Processpartei darzustellen.2 In-
dessen sind solche Streitigkeiten fast überall in Deutsch-
land der Entscheidung der Verwaltungsbehörden anheim
gegeben. Wenn sie dagegen in einem anhängigen Civil-
processe als incidente Präjudicialpunkte auftauchen, so
haben die Gerichte allerdings auch darüber zu erkennen.


6. Oeffentliche Rechte, welche im Allgemeinen den
Character von Privilegien haben, z. B. Steuerfreiheit,
Militär-, Einquartirungsfreiheit, Patrimonialgerichtsbar-
keit, Patronatrecht3 u. s. w., enthalten, gemäss ihrer
Natur als wohlerworbene Rechte, Nichts, wodurch die
Ausschliessung der Competenz der Gerichte zur Ent-
scheidung über ihre Existenz und Wirkungen zur Noth-
13*
[196]Vierter Abschnitt.
wendigkeit gemacht würde. Werden sie freilich gegen-
über der Staatsregierung geltend gemacht, so wiederholt
sich auch hier die Schwierigkeit, letztere als Process-
partei darzustellen.4


7. Oeffentliche Rechte des Beamten. Das In-
teresse, ein bestimmtes Amt zu behalten, nicht auf ein
anderes gleichartiges Amt versetzt, nicht pensionirt zu
werden, wird regelmässig nicht als ein wirkliches Recht
des Beamten anerkannt; ebensowenig das Interesse, in
eine höhere Stelle aufzurücken.5 Wenn aber auch diese
Interessen unter gewissen Voraussetzungen particular-
rechtlich als Rechte bestehen, so ist die Entscheidung
darüber doch heutzutage den Gerichten meistens ent-
zogen und den höheren Verwaltungsbehörden, oder
einem Disciplinarhofe oder einer sonst hierzu eingerich-
teten Behörde übertragen. Das öffentliche Recht des
Beamten, vom Publicum als amtliche Autorität respectirt
zu werden, wird durch Strafgesetze geschützt. Keinem
Zweifel sollte es aber unterliegen, dass die aus dem
Beamtenverhältnisse hervorgehenden privatrechtlichen
Ansprüche auf Gehalt, Pension, Wittwenpension, Ent-
schädigung für dienstliche Auslagen, immer durch die
gewöhnlichen Gerichte geschützt werden müssten, einerlei
ob jene Ansprüche auf Gesetz oder auf besonderem
Vertrage beruhen.


[197]§. 62. Rechtsschutz der Staatsbürger.

4. Allgemeiner Rechtsschutz der Staatsbürger gegen
die Staatsgewalt.


§. 62.


Eine Verletzung Einzelner durch Acte der Staats-
gewalt kann in sehr verschiedener Weise stattfinden.
Es ist 1) möglich, dass Jemand durch einen Act der
Gesetzgebung verletzt wird.1 Aber selbst wenn es
sich dabei nicht um eine blosse Beeinträchtigung von
Interessen, sondern um eine wirkliche Vernichtung er-
worbener Rechte handelt, steht dem Verletzten kein
Rechtsmittel gegen die Staatsgewalt zu, welche, wenn
sie als Ausdruck des allgemeinen Willens gesetzgebend
wirkt, immer definitiv und absolut entscheidend ist.
Auch eine Entschädigungsforderung für das entzogene
Recht gebührt dem Verletzten nur insoweit, als die
Gesetzgebung eine solche ausdrücklich gewährt.2 Eine
Verletzung kann 2) durch die Verwaltung bewirkt
werden. Auch hier kann es sich um eine Verletzung von
Interessen und von Rechten handeln. Die verletzende
Verwaltungshandlung kann anfechtbar erscheinen, weil
sie im Widerspruche mit der Verfassung, mit einem
sonstigen Rechtssatze, oder mit den aus der Natur der
Sache hervorgehenden Grundsätzen einer richtigen Ver-
waltung steht. In diesem Falle steht dem Verletzten
als eigenthümliches Rechtsmittel die Beschwerde zu.
Mit dieser wendet er sich an die zunächst vorgesetzte
[198]Vierter Abschnitt.
Verwaltungsbehörde und kann sie durch alle Instanzen
bis zum Monarchen verfolgen, auch schliesslich bei den
Ständen um Vertretung seiner Angelegenheit nach-
suchen. Im Falle einer Justizverweigerung kann, wenn
alle inländischen Instanzen erschöpft sind, auch der
deutsche Bund um Abhülfe angegangen werden.3 Die
Beschwerde ist in der Regel an keine Fristen gebunden.
Der Gedanke der Beschwerde ist der, dass die Behörde,
gegen deren Verfahren das Rechtsmittel erhoben wird,
nicht in Uebereinstimmung mit dem wahren Willen der
Regierung gehandelt habe, welchen die obere Behörde
in der Aufhebung der angefochtenen Verfügung zur
Geltung bringen werde. Es kann endlich auch 3) eine
Verletzung durch Ausübung der richterlichen Gewalt
stattfinden. Der Rechtsschutz hiergegen liegt in den ver-
schiedenen processualischen Rechtsmitteln, mit welchen
das höhere und schliesslich das höchste Gericht ange-
gangen werden kann. Sie beruhen auf dem Gedanken,
dass das angefochtene Erkenntniss nicht dem wahren
Inhalte des objectiven Rechts entspreche, den die obere
Instanz reformirend herstellen werde. Zu dieser Gattung
von Rechtsmitteln gehört auch der s. g. Recurs gegen
Strafverfügungen von Verwaltungsbehörden; auch bei
diesem findet, wie bei der Appellation, eine Begränzung
der Instanzen und die Nothwendigkeit der Einhaltung
von Nothfristen statt. Nicht minder ist hierher der
[199]§. 63. Rechtsschutz der Staatsbürger.
Recurs gegen Entscheidungen der Administrativjustiz-
behörden zu rechnen, welcher den im Civilprocesse zu-
lässigen Rechtsmitteln analog zu behandeln ist.


Selbsthülfe in der Form des activen Wider-
stands
gegen obrigkeitliche Verfügungen ist, abgesehen
von dem Falle berechtigter Nothwehr, unstatthaft und
straf bar; s. g. passiver Widerstand dagegen, d. h.
einfache Nichtbefolgung des obrigkeitlichen Befehls,
wird deshalb, weil er zum Zwecke der Opposition gegen
unrechtmässige Verwaltungshandlungen stattfindet, nicht
einer besonderen Ahndung unterworfen, sondern wie
jeder andere Ungehorsam beurtheilt.4


§. 63.


Aber es fragt sich, ob dem Verletzten nicht auch
das Recht zusteht, gegen Verfügungen der Verwaltungs-
behörden unmittelbar bei den Civilgerichten Schutz
zu suchen?


Von vornherein muss hier der Gedanke abgelehnt
werden, dass in Fällen, in welchen die Competenz der
Verwaltung überhaupt begründet ist, die Gerichte auf
Vornahme von Verwaltungshandlungen oder auf Sisti-
[200]Vierter Abschnitt.
rung, Zurücknahme oder Aenderung solcher zu erkennen
berufen seien.1 Die Staatsgewalt, indem sie als höchste
ordnende Macht die Aufgaben des Staats vollzieht, kann
als solche niemals zu der Stellung einer Processpartei
[201]§. 63. Rechtsschutz der Staatsbürger.
herabgedrückt werden. Auch ist es unzulässig, diese
Annahme dadurch vorzubereiten, dass man jene ihrer
organischen Natur entkleidet und auf den Massstab
des privatrechtlichen Gesellschaftsrechts zurückzuführen
versucht. In ihrer eigenen inneren Organisation hat sie
die Garantieen der Rechtmässigkeit ihres Handelns, oder
der Remedur ungesetzlichen Handelns durch einen ihrer
Vertreter, und das Beschwerderecht, unterstützt durch
die schliesslichen Rechtsmittel der Ständeversammlung,
muss nebst dem Recursrechte in Verwaltungsstreitsachen
nach menschlichem Ermessen als ausreichende Bürg-
schaft für die Gesetzmässigkeit des Waltens der Staats-
gewalt gelten. Diese Garantieen mögen einer weiteren
Entwickelung und Stärkung in sich und durch Her-
stellung eines besonderen öffentlichen Gerichtshofs fähig
und bedürftig sein, aber die Unterstellung der Ver-
waltung unter eine ganz allgemeine Kritik der gewöhn-
lichen Civilgerichte würde zu einer völligen Verkehrung
der naturgemässen Verhältnisse und zu einer verderb-
lichen Lähmung der Staatsgewalt führen.


Wohl aber kann das rechtswidrige Verfahren eines
Vertreters der Staatsverwaltung die Wirkung haben,
dass dadurch ein der gerichtlichen Verfolgung fähiger
1
[202]Vierter Abschnitt.
Thatbestand geschaffen wird. Es ist denkbar, dass
durch eine Verwaltungshandlung ein erworbenes Recht2
verletzt wird, oder dass der unrechtmässige Act einer
Administrativbehörde einen privatrechtlichen Ersatzan-
spruch des Verletzten oder ein Rückforderungsrecht3
begründet. Hier sondert sich aus der Beziehung des
Staatsbürgers zur Staatsgewalt ein privatrechtlich indi-
vidualisirter Thatbestand ab, der unter dem Rechts-
schutze der Civilgerichte steht. Diese haben auf An-
erkennung des verletzten Rechts, sowie auf Ent-
schädigung zu erkennen. Auch erstreckt sich ihre
Prüfung auf die Frage der Rechtswidrigkeit der Ver-
waltungshandlung, insofern sie die thatsächliche Grund-
lage des Entschädigungsanspruchs bildet, sofern nicht
die Landesgesetze diesen Theil des Streitmaterials allein
der Entscheidung der höheren Verwaltungsbehörde vor-
behalten,4 welche alsdann das Gericht (und zwar nicht
bloss wie ein Gutachten Sachverständiger) anzuerkennen
verbunden ist. Die beklagte Partei ist nach Umständen
der handelnde Beamte persönlich, nach Umständen der
Fiscus. Insbesondere kann der Fiscus immer belangt
[203]§. 63. Rechtsschutz der Staatsbürger.
werden, wenn die Klage gegen den schuldigen Beamten
wegen Mangels an Zahlungsmitteln erfolglos geblieben
ist; denn in der Aufstellung eines mit öffentlicher
Auctorität bekleideten Beamten und der Nöthigung des
Publicums, mit ihm als Vertreter der Obrigkeit zu ver-
kehren, liegt die stillschweigende Uebernahme einer
subsidiären Garantie für die durch pflichtwidrige Aus-
übung der ihm anvertrauten Amtsbefugnisse oder Ver-
nachlässigung seiner amtlichen Pflichten entstandenen
Forderungen.5 In allen Fällen, in welchen hiernach ein
[204]Vierter Abschnitt.
Klagerecht besteht, hat der Verletzte zugleich das Recht
der Beschwerde; er kann den Weg der Beschwerde un-
beschadet seines Klagerechts vor oder während der
Klage betreten, sowie er ihm auch nach erfolglos be-
endigtem Processe noch offen steht.


[[205]]

Appendix A Register.


Die Zahlen zeigen auf die Seiten, die in Klammern befindlichen
auf die Anmerkungen.


Abdication 92.
Abgeordnete 127.
Abolition 170.
Adel, hoher 49. 192.
Administrativ-Justiz 178.
Adoptirte 87.
Advocaten 107.
Agnaten 78. 88.
Allgemeine bürgerliche Rechte
46.
Amendement 141 (6).
Aemter 104.
Anstellung 114.
Apanagen 79.
Aerzte 107.
Auflösung der Ständeversamm-
lung 132.
Ausschuss 133.
Austritt aus dem Dienst 116.
Auswärtige Hoheit 67. 165.
Autonomie 51 (5). 56 (3). 137 (1).
Beamte 196. 203.
Begnadigung 171.
Beschwerderecht 197.
Besitzstand 18.
Budget 155.
Bundesrechtliche Schranken 40.
Bundesschiedsgericht 189.
Bundesstaat 24.
Bureaukratie 105.
Cassation 118.
Centralisation 104 (2).
Cession des Thronfolgerechts
86 (8).
Civilliste 74.
Cognatensuccession 88.
Commissionen 132.
Competenz der Administration
176.
— der Justiz 171.
Competenzconflicte 179.
Contrasignatur 95 (2).
Deutscher Bund 23.
Deutsches Staatsrecht 9.
Dienstehre 113.
Dienstentlassung 117.
[206]Register.
Dienstentsetzung 118.
Dienstvertrag 114 (1).
Disciplinargewalt 110.
— der Ständeversammlung 131.
Dispensationsrecht 162 (2).
Domainen 75.
Ebenbürtigkeit 87.
Entsagung des Monarchen 92.
Entschädigungsforderungen 202.
Erübrigungen 154 (1).
Etat 155.
Etatsüberschreitung 157 flg.
Expropriationsrecht 39.
Feudalstände 119 flg.
Finanzgesetz 154.
Finanzhoheit 66.
Finanzperiode 155.
Fiscus 2 (1). 21 (3). 66. 175. 202.
Formwidrige Gesetze 149.
Garantieen 8.
Gebrechtlichkeit 89.
Gehalt 113 (11).
Gemeinden 54.
Genossenschaft 2.
Gesetze, ungültige 149.
Gesetzgebung 26. 137 flg. 142 (8).
Gewalten 25.
Gewaltrecht des Staats 44.
Gewissensfreiheit 32.
Gewohnheitsrecht 13.
Gränzen der Staatsgewalt 28.
Grundgesetze 8. 12.
Grundherren 51.
Haftung des Staats 203.
Hausgesetze 80 (10).
Herrenhaus 127.
Herrschen 3. 4. 21.
Hochverrath 188.
Hofdiener 107 (10).
Hoheitsrechte 25.
Indigenat 52. 194.
Initiative 124 (2). 140.
Instructionen der Abgeordneten
120 (5). 130 (9).
Juden 52.
Juristische Persönlichkeit des
Staats 2.
Justizbeamte 108. 117.
Justizgesetze 138 (2).
Justizhoheit 65. 170 (4).
Justizorganisation 148.
Kammergut 75. 168 (6).
Kammern 127.
Kirchengesetze 140.
Kirchenhoheit 67.
Landgemeinden 59.
Landstände 118.
Landtagsperiode 130 (2). 133.
Legitimation der Landstände
131. 194.
Legitimirte 87.
Literatur 11.
Majestätsverbrechen 188.
Majorität 132. 143 (11).
Militärhoheit 67.
Minister 108. 116.
Ministeranklage 184.
Ministerverantwortlichkeit 184.
Missheirath 87.
Monarchenrecht 71.
Moratorien 171.
Naturalisation 53.
Nothgesetzgebung 143.
Nothrecht 39.
Oberaufsicht 28.
Oeffentliche Rechte 6. 16.
Organe des Staats 70.
Organismus 1.
Parlamentarische Regierung
124 (2).
Pension 113. 117.
Pensionirung 116.
[207]Register.
Petitionsrecht 34.
Politische Rechte 47.
Polizeihoheit 65.
Polizeiverordnungen 163.
Präsidenten der Kammern 131.
Pressfreiheit 33.
Primogenitur 83.
Privilegien 67. 140 (5). 164 (5).
194.
Provinzialverband 57 (5). 122.
Provisorische Gesetze 144.
Prüfungsrecht des Richters 151.
Publication der Gesetze 143.
Rang 113.
Rechtsschutz 180 flg.
Recurs 198 flg.
Regalien 25 (1).
Regent 97 (8). 98.
Regentenhaus 67.
Regierung 25.
Regierungsantritt 90.
Regierungshandlungen des Vor-
gängers 91.
Regierungsvormundschaft 101
(10).
Reichsritterschaft 51. 194.
Reichsverweser 98.
Richterliche Gewalt 27.
— Thätigkeit 168.
Sanction der Gesetze 142.
Schluss des Landtags 132.
Schuldhaft der Landstände 134.
Souverainetät 22. 24 (4).
Staatenbund 24.
Staatsanlehen 154 (1). 167.
Staatsbürger 42. 52 flg. 194.
Staatsdiener 104 flg. 128 (7). 196.
Staatsgebiet 60.
Staatsgerichtshof 186.
Staatsgewalt 19.
Staatsgut 168.
Staatsrecht 3.
Staatsschuld 167.
Staatsverträge 165 (2).
Staatszweck 29.
Stadtgemeinden 58.
Stände 118 flg.
Ständeclassen 49.
Standesherren 49. 192.
Stellvertretung des Monarchen
96.
Stellvertretungskosten 129 (7).
Steuerbewilligungsrecht 158.
Steuerpflicht 154 (2).
System 3. 19.
Tarife 163 (4).
Taxen 163 (4).
Territorium 62.
Thatsachen als Rechtsquelle 18
Theilung der Gewalten 124 (2).
Thronfolge 84. 191.
Thronfolgeordnung 84.
Thronmündigkeit 91.
Thronverzicht 92.
Titel 113.
Uneheliche 87.
Untheilbarkeit der Staatsgewalt
22.
Urlaub 128 (7). 131 (5).
Verantwortlichkeit der Staats-
diener 111.
Veräusserung der Staatsgüter
154 (1). 168.
Verfassung 8 (2). 11. 31 (4). 121.
Verfassungsgesetze 143.
Verhaftung der Landstände 134.
Verjährung 17.
Verlust des Monarchenrechts 92.
Verordnungen 146.
Versammlungsrecht 34.
Versetzung 112.
— in den Ruhestand 116.
[208]Register.
Vertagung 132.
Vertrag 8 (3). 13 (2).
Verwaltung 161. 176.
Verwaltungsjustiz 178.
Verwaltungsrecht 4.
Verzicht der Agnaten 86 (8).
Volksrechte 32.
Volljährigkeit 91.
Vollziehung 28.
Wahlen 128.
Wähler 130.
Wahlmänner 128.
Widerstand, activer 199.
— passiver 199.
Wohlerworbene Rechte 35.
Zölle 155 (3).
Zwischenherrscher 92 (6).


Appendix B

Officin der Verlagshandlung.


[][][]
Notes
1.
Die Auffassung des Staats als eines persönlichen Wesens
ist die Voraussetzung jeder juristischen Construction des Staats-
rechts. Der rechtliche Begriff der Staatspersönlichkeit ist aber
ein ursprünglicher, und will in seiner Eigenthümlichkeit erfasst
werden. Es beruht auf einem Verkennen der Stellung des Staats
im Zusammenhange der ethischen Ordnungen der Menschheit, wenn
man die rechtliche Persönlichkeit des Volks im Staate als einen
abgeleiteten Begriff behandelt, und die Gattung desselben in den
juristischen Personen des Privatrechts sucht, indem man den Staat
in die Scala der letzteren einreiht. Entweder ist man dann genö-
thigt, das privatrechtliche Institut mit einer Reihe von Elementen
auszustatten, die seinem Zwecke ganz fremd sind, oder den Staat
seiner specifischen Art zu entkleiden, bis er sich in die Reihe der
Corporationen einfügen lässt. Es ist vielmehr wiederholt hervor-
zuheben, dass die Jurisprudenz in ihrem vollen Rechte war, wenn
sie zwischen dem Staate in seiner eigentlichen Function und dem
Staate in seiner Stellung als Fiscus unterschied, und nur für letz-
teren die privatrechtliche juristische Person in Anspruch nahm.
In besonders hohem Grade gilt diess Alles von dem in der neu-
sten Zeit (Bähr, der Rechtsstaat 1864) wieder aufgetretenen Ver-
suche, den Staat aus dem „Genossenschaftsrechte“ zu construiren,
und ihn so an das Ende einer Gliederreihe zu stellen, welche
wesentlich im Privatrechte ihren Ausgangspunkt und Sitz hat.
Solche Irrthümer können sehr erheblich sein, wenn ihre Conse-
quenzen mit Rücksichtslosigkeit gezogen werden, sie können frei-
lich auch praktisch bedeutungslos bleiben, wenn das Letztere
nicht geschieht; aber auch dann bleibt noch der Schaden, der
unter allen Umständen daraus hervorgeht, dass die geistige In-
dividualität des fundamentalsten Instituts unserer ganzen Rechts-
ordnung verkannt wird. Die praktischen Spitzen dieser Polemik
werden jedoch erst in der Ausführung des Einzelnen hervortre-
ten. — In dieser meiner Auffassung bekenne ich mich zu einer
theilweisen Aenderung der von mir früher in meiner Schrift über
öffentliche Rechte 1852 ausgeführten Ansicht.
2.
Das Wort und den Begriff „Herrschen“ nehme ich als
einen specifisch dem Staatsrechte angehörenden in Anspruch. Er
bezeichnet den eigenthümlichen Willensinhalt der Staatspersön-
lichkeit. Nur noch für die Kirche kann eine ähnliche Auffassung
berechtigt erscheinen.
1.
Dass ein Staat sei, dass in ihm das Volk diese bestimmte
Gliederung habe, dass sein gesellschaftliches Leben sich in ihm
nach dieser bestimmten Richtung entwickele, dass die Staats-
gewalt diese besonderen Erfolge zur Förderung der sittlichen,
geistigen und öconomischen Cultur erstrebe, — sind Erscheinungen,
deren Bedeutung weit über die Umfassungslinien des Rechtsgebiets
hinausgeht. Das Recht begnügt sich damit, einen Theil dieses
grossen Culturstoffs seiner Bestimmung zu unterwerfen, der frei-
lich intensiv höchst bedeutend ist, da er die Lebensbedingungen
des Staats enthält. Es ist das gleiche Verhältniss, das auch sonst
zwischen dem Rechte und den organischen Verbindungen des sitt-
lichen Lebens, wie z. B. der Familie, Ehe, besteht, und wie über-
haupt, so ist es auch hier von der grössten Wichtigkeit, sich der
Schranken der Function des Rechts bewusst zu sein.
2.
Das System des Privatrechts ist ein System von Willens-
möglichkeiten, welche durchweg an die Willensmacht der indivi-
duellen menschlichen (oder ihr nachgebildeten) Persönlichkeit an-
geknüpft sind. Auch das Staatsrecht ist ein System von Willens-
möglichkeiten, aber angeknüpft an die mit Persönlichkeit beklei-
dete Macht des politisch geeinten Volks. Sein Ausgangspunkt ist
mithin nicht wie die menschliche Persönlichkeit eine nach allen
Richtungen freie Willensmacht, sondern eine solche, die sich nur
innerhalb des Rahmens ihrer Zweckbestimmung bewegen kann.
Ihr rechtlicher Wille ist das Herrschen, d. h. rechtliches Han-
deln im Interesse des Staatszwecks mit einer das ganze Volk ver-
pflichtenden Wirkung. Man kann also auch sagen: das Staats-
recht ist die Lehre vom Staatswillen. — Die weitere Rechtfertigung
und Begründung dieses Systems, wird aus der Darstellung des
Einzelnen hervorgehen. Angedeutet findet sich der Gedanke des-
selben wohl auch schon früher, aber nirgends in seiner eigent-
lichen Bedeutung gewürdigt und durchgeführt.
3.
Dem Systeme des Staatsrechts gehört von allen diesen Ord-
nungen nur soviel an, als erforderlich ist, um das Willensbereich
des Staats im Allgemeinen zu characterisiren. Die selbstän-
dige wissenschaftliche Darstellung der in ihnen enthaltenen Grund-
sätze aber verfolgt ihre eigenen Zwecke, hat ihren eigenen prin-
cipiellen Mittelpunkt, und kann nicht von dem für diesen Zweck
nebensächlichen Gesichtspunkte beherrscht werden, dass dabei
immer auch die Staatsgewalt eine Rolle spielt. So hat sich das
Processrecht, das Strafrecht zu einer eigenen vom Staatsrechte ge-
trennten Wissenschaft erhoben, und ganz das Gleiche muss statt
finden bezüglich des Polizei-, Gerwerbe- und Finanzverwaltungs-
rechts u. s. w. Die Systematisirung des Staatsrechts nach den
Rubriken: „Verfassungs-“ und „Verwaltungsrecht“ ist daher
wissenschaftlich nicht zu rechtfertigen. Unterstützt wird diese
Auffassung durch den Umstand, dass unsere Verfassungsurkunden,
welche recht eigentlich die Quellen des Staatsrechts sein wollen,
fast durchweg bezüglich der Stoffbeschränkung dem hier geltend
gemachten Gesichtspunkte folgen, indem sie vom Verwaltungs-
rechte in der Regel nur die allgemeinen Principien feststellen und
damit andeuten wollen, dass ihre selbständige Durchführung ei-
ner anderen Sphäre rechtlicher Ordnungen angehört.
1.
Oeffentliche Individualrechte kommen im Staate in sehr
verschiedener Weise vor. Im Systeme des Staatsrechts können
aber nur diejenigen in Betracht kommen, durch welche die an
sich abstracte Staatsgewalt die persönlichen Organe ihrer Willens-
äusserung findet. Aber auch hier ist eine grosse Verschiedenheit
je nach der Art der Verfassung. In manchen Staaten, wie z. B.
in den meisten Republiken, besteht über das Recht, Organ zu sein,
selbst eine objective Rechtsordnung (Gesetz über die Wahl des
Präsidenten, des Senats u. s. w.), in andern, wie z. B. in den monar-
chischen, ist es (Recht des Monarchen, Recht der erblichen Reichs-
räthe) wenigstens zum Theil ein für immer in der Rechtssphäre
von Individuen localisirtes Recht. Sodann giebt es auch abgeleitete
öffentliche Rechte, wie z. B. das Recht der Staatsdiener und Be-
amten, deren Recht erst auf der Vollmacht eines anderen staatlich
Berechtigten ruht. Eine Theorie dieser politischen Individualbefug-
nisse versuchte ich in meiner Schrift über öffentliche Rechte.
2.
Am meisten wird dieser Zusammenhang versteckt im mo-
narchischen Staate, der in dem Monarchen ein Organ besitzt,
welches den gesammten Inhalt der Staatsgewalt deckt. Vergl.
aber §. 7. Note 1.
3.
Gerber, über öffentliche Rechte, S. 31 flg.
1.
Daher ist es auch grösstentheils absolutes Recht, das
keiner Privatdisposition unterworfen ist.
2.
Ein anderer Name ist „Verfassungsurkunde.“ Verfassung
ist der Inhalt der Grundgesetze in seiner Gesammterscheinung.
In Bezug auf den Umfang, in welchem der Stoff dieser höheren
grundgesetzlichen Ordnung in den Verfassungsurkunden genom-
men wird, besteht freilich keine volle Uebereinstimmung. Manche
gehen mehr, andere weniger in das Einzelne.
3.
Ganz unrichtig aber wäre es, darin ein Moment des Ver-
tragsbegriffes im juristischen Sinne des Wortes finden zu wollen.
Auch die „vertragenen,“ s. g. pactirten Grundgesetze sind wahre
Gesetze, und keineswegs Verträge. Gerber, a. a. O. S. 39.
4.
Nothwendigkeit einer grösseren Majorität der zur Abände-
rung zustimmenden Ständemitglieder, oder mehrfache Wieder-
holung der Abstimmung.
5.
Beschwören des Grundgesetzes durch den Monarchen, die
Stände, Staatsdiener, Staatsbürger, Erstreckung der Competenz
des Staatsgerichtshofs auf den Schutz jedes einzelnen Punktes
der Verfassungsurkunde u. s. w.
1.
Die Wahrnehmung dieses Satzes ist nach m. A. die Grund-
bedingung einer richtigen Construction des heutigen Staatsrechts.
Mit der Neugründung der deutschen Staaten in diesem Jahrhun-
derte sind, man darf sagen, alle staatsrechtlichen Begriffe ver-
ändert und in einen anderen principiellen Zusammenhang gebracht
worden. Es ist eine grosse Täuschung, wenn man es ein histori-
sches und daher rechtswissenschaftliches Verfahren nennt, die
2.
Diese Auffassung des Begriffs eines gemeinen deutschen
Staatsrechts ist ähnlich derjenigen, welche ich für das deutsche
Privatrecht nachgewiesen habe (System §. 6.). Ein Unterschied
möchte nur insofern bestehen, als die hier in Anspruch genom-
1.
modernen Institute unmittelbar an die gleichnamigen Erscheinun-
gen des älteren Patrimonial- oder wenn man lieber will Feudal-
staatsrechts anzuknüpfen, und als deren natürliche Fortsetzung
zu behandeln. Selbst die einzelnen Elemente, welche aus dieser
Periode in die Gegenwart ohne Aenderung ihres äusseren Wesens
verpflanzt worden sind, haben im Zusammenhange des modernen
Staatsrechts eine ganz andere Bedeutung gewonnen. Würde sich
Eichhorn, der das Staatsrecht zu einer noch weniger entschiede-
nen Zeit nach jenem Verfahren behandelte, jetzt zu erklären ha-
ben, so würde auch er wahrscheinlich von einem anderen Gesichts-
punkte ausgehen, nachdem alle deutsche Staaten mit sehr wenigen
Ausnahmen (Mecklenburg, Lauenburg) in die neue Ordnung ein-
getreten sind. — Keinem Zweifel aber kann es unterliegen, dass
der organische Staat der constitutionellen Monarchie als der Inhalt
der gegenwärtig bestehenden allgemeinen Rechtsüberzeugung des
deutschen Volks angesehen werden muss, weshalb eine zunächst
nur auf diese und nicht auf eine Statistik gerichtete Darstellung
von dem Staatsrechte der wenigen ausnahmsweise auf einer frühe-
ren Stufe stehen gebliebenen Staaten ebenso absehen darf, als
von dem Staatsrechte der vier Municipalrepubliken.
2.
mene materielle Einheit beim Privatrechte in noch entschiedene-
rem Masse vorhanden ist, indem die fortwährende Einwirkung des
gemeinsamen nationalen Geistes auf die Erzeugung des Privat-
rechts weit weniger durch die staatliche Vielheit gekreuzt wird,
als diess bei der Production des staatsrechtlichen Stoffs der Fall
ist; denn diese dient ja recht eigentlich dem Ausbau der particu-
lären Selbständigkeit. Etwas zu scharf ist diess indessen hervor-
gehoben in meiner Schrift über öffentliche Rechte S. 11 flg. Eine
Anomalie bleibt es freilich immer, dass die deutsche Wissenschaft
genöthigt wird, aus den Particularrechten einen Rechtsstoff künst-
lich auszuscheiden, um ihn ohne imperative Bedeutung, also ohne
die naturgemässe Spitze jeder juristischen Darstellung, zu ent-
wickeln. Es ist ein Zwiespalt, der genau dem Umstande ent-
spricht, dass sich der Begriff des deutschen Volks und seine staat-
liche Organisation nicht decken.
1.
Man hat diese Art der gesetzlichen Feststellung des ge-
sammten Staatsrechts oft genug getadelt und auf die Länder hin-
gewiesen, in denen die Verfassung nicht mit einer Gesammtur-
kunde gegeben, sondern allmählich und organisch aus dem Volks-
leben hervorgewachsen ist. Jene „papiernen Constitutionen“
verwehe der Wind, wie Alles, was keine Wurzeln habe. Das ist
allerdings oft genug eine Wahrheit geworden. Da man aber in
Deutschland mitvollem Bewusstsein aus einem alten in einen neuen
Zustand übergehen wollte, und dieser Uebergang nur durch eine
Gesammteodification bewirkt werden konnte, so hatte man keine
Zeit, das organische Wachsen abzuwarten, sondern musste han-
deln,
der Hoffnung lebend, dass das rationell und bewusst Ge-
machte im Laufe der Zeit von einem gesunden und sittlichen Volks-
geiste ergriffen und in ihm wirklich zum Leben gebracht werde.
Seltsam ist es aber, wenn Manche diese Nothwendigkeit einsehen,
aber doch wenigstens in der äusseren Form der Verfassungs-
urkunde den Schein des Organischen retten wollen, wie man wohl
auch Häuser mit unregelmässiger Architektur baut, damit sie den
Eindruck des allmählich Gewordenen gleich mitbringen. So na-
mentlich Stahl, Philosophie des Rechts, 3. Aufl. 3. Bd. S. 280.
2.
Ueber die Formen, in denen die gesetzgebende Gewalt die
Verfassung selbst abändern darf, wird unten im dritten Abschnitte
gehandelt werden. — Die Ansicht, dass auch der Vertrag noch
gegenwärtig Quelle staatsrechtlicher Rechtssätze sei, wobei
man an das Zusammenwirken der Regierung und Stände bei der
gesetzgeberischen Thätigkeit denkt, bedarf keiner wissenschaft-
lichen Widerlegung.
3.
Manche Verfassungen bestimmen bezüglich einer Reihe
wichtiger Gegenstände des Staatsrechts, z. B. des Wahlrechts,
der Stellung der Staatsdiener, der Gemeindeordnung, nur die
leitenden Gesichtspunkte, und überlassen ihre Ausführung der
gewöhnlichen Gesetzgebung.
4.
Nach meiner Ueberzeugung ist das Beste und Richtigste,
was über diesen Gegenstand geschrieben worden ist, die Aus-
führung Puchta’s, Gewohnheitsrecht, 2. Bd. S. 225 flg. Die Wege,
5.
Gegen die oft gehörten Einwendungen, der Verfassungseid
stehe mit der Möglichkeit der Entstehung abändernder Gewohn-
heiten im Widerspruche und die von der Verfassung selbst vor-
geschriebene Form der zulässigen Veränderungen hindere diese
Art der Rechtsbildung, vergl. Puchta a. a. O. Diesen Einwen-
dungen liegt immer der Irrthum zu Grunde, dass die Bildung
eines Gewohnheitsrechts ein bewusster, beabsichtigter Vorgang
sei, eine Vorstellung, welche ihren Ausdruck u. a. in der Ansicht
Mohl’s erhält, der (Württembergisches Staatsrecht, Bd. 1. 1846,
S. 81 flg.) die Möglichkeit der Entstehung eines die Verfassung
berührenden Gewohnheitsrechts unter der Voraussetzung zugiebt,
dass Regierung, Geheimerrath und ⅔ der Ständemitglieder still-
schweigend zugestimmt haben. Müsste man diess nicht durch die
Vorstellung ergänzen, die Stände hätten sich vor der Sitzung
darüber verständigt, dass heute mit stummer Geberde ein Ge-
wohnheitsrecht „gemacht“ werden solle?
6.
Welches diese höchsten Principien sind, lässt sich freilich
nicht allgemein, oft nicht einmal vom Standpunkte einer bestimm-
ten Verfassung aus sagen. Die Extreme werden nach beiden Rich-
tungen hin immer klar sein, während eine Reihe von Mittelpunkten
zweifelhaft bleibt.
4.
welche der Wissenschaft in den Schriften von Meier (die Rechts-
bildung in Staat und Kirche 1861) und Lüders (das Gewohnheits-
recht auf dem Gebiete der Verwaltung 1863) empfohlen werden,
indem jener wieder die unter der Leitung des Staats wirksame
Autonomie, dieser das Handeln des Einzelnen zur Quelle des Ge-
wohnheitsrechts macht, — werden wohl schwerlich betreten werden.
7.
Hier werden demnach namentlich Uebungshandlungen des
Monarchen, der Stände und der Vertreter der Regierung, nach
Umständen auch gewöhnlicher Behörden in Frage kommen. Nur
dürfen diese Handlungen nie anders denn als die (allerdings be-
festigenden) Symptome einer über ihnen stehenden Rechtsüber-
zeugung angesehen werden, also niemals so, als wären sie selbst
die rechtserzeugenden Momente. Ebenso dürfen jene Behörden
und Stände nicht so aufgefasst werden, als wäre das „Recht-
machen“ in diesen Handlungen ihr amtlicher Beruf; es tritt nur
an und in letzteren die nationale Rechtsüberzeugung zu Tage.
Vor Allem aber sind diejenigen Handlungen auszuscheiden, wel-
che den Character einer bewussten, wenn auch stillschweigenden
Connivenz haben, z. B. wenn zwei Kammern stillschweigend über-
einkommen, auf die bezüglich ihres gegenseitigen Verhältnisses
durch die Verfassung gegebenen Ansprüche (z. B. die Forderung
eines Zusammentritts beider Kammern in gewissen Fällen) zu ver-
zichten. Endlich gehört auch nicht hierher die Entscheidung
(das Präjudiz) einer Behörde, wo der Grund derselben die eigen-
thümliche Auffassung eines bestehenden Gesetzes ist, die Ent-
scheidung also sofort sich ändern würde, wenn ein Bewusstsein
der Irrthümlichkeit dieser Auffassung einträte. Freilich kann
hieraus ein Gewohnheitsrecht werden, d. h. der Inhalt der Ent-
scheidung in die Volksüberzeugung übergehen und damit ein ganz
neues Fundament gewinnen. So war z. B. der Satz des (früheren)
Württembergischen Staatsrechts zu beurtheilen, dass die Ab-
setzung der Kirchendiener nach Analogie der Bestimmung über
die Absetzung der Staatsdiener behandelt werde, ein Satz, der
ursprünglich auf eine Auslegung des §. 47. der Württembergischen
Verfassungsurkunde gestützt wurde („Beamten der Gemeinden
und anderer Corporationen“). Als Beispiel eines staatsrecht-
lichen Gewohnheitsrechts mag noch folgendes angeführt werden,
dass hie und da der Monarch Rechtssätze, welche einen herkömm-
lichen Bestandtheil gewisser Privilegien bilden (z. B. der Schutz
der Leihhäuser gegen die Vindication) für bestimmte Berechtigte
ohne Concurrenz der Stände festsetzen darf. Ein besonders
reiches Gebiet von Gewohnheitsrechtssätzen, welche in der Ue-
bung der Stände hervortreten, sind die die Wählbarkeit und Le-
gitimation der Ständemitglieder betreffenden Sätze.
8.
Dahin gehört vor Allem das Recht der angestammten fürst-
lichen Dynastie, dann die Rechte von Standesherren, ritter-
schaftlichen Corporationen, der Inhaber der Patrimonialgerichts-
barkeit u. s. w.
9.
Manche unserer Verfassungsurkunden nennen direct ge-
wisse Familien, denen ein Recht der Theilnahme an der Stände-
versammlung zustehen soll.
10.
Dahin gehört insbesondere die Wahlordnung, welche die
Art der rechtlichen Begründung des Rechts eines Abgeordneten zur
Ständeversammlung feststellt. Noch andere öffentliche Rechte im
subjectiven Sinne des Worts werden unmittelbar, obschon in ab-
stracter Allgemeinheit gegeben, wie z. B. das politische Wahlrecht.
11.
Z. B. das Recht eines Mitglieds des Herrenhauses, die recht-
liche Stellung des Inhabers eines öffentlichen Amts. — Vertrag
12.
Eine Berufung auf unvordenkliche Zeit ist aber auch hier
zulässig, da sie ja nur die Vermuthung begründet, dass ein Zu-
stand rechtsgültig (hier: staatsrechtlich gültig) entstanden sei.
Ortloff, juristische Abhandlungen und Rechtsfälle, 2. Bd. 1857
S. 112. — Aus den gleichen Gründen, aus denen die Ersitzung
öffentlicher Rechte im heutigen Staatsrechte keinen Raum findet,
kann auch von der erlöschenden Verjährung von Ansprüchen aus
öffentlichen Rechten jetzt nicht mehr die Rede sein. — Ganz an-
ders das ältere deutsche Staatsrecht, welches die Ersitzung öffent-
licher Rechte für zulässig erklärte, weil statt des Gedankens eines
organischen Staats sowohl im Reiche als in den Territorien eine
Verbindung von Befugnissen wesentlich privatrechtlicher Art be-
stand. Vergl. die Citate bei Zachariä, deutsches Staats- und
Bundesrecht, §. 63. No. 6—8.
13.
Alles Vorstehende bezieht sich auf einen Rechtserwerb,
durch welchen ein öffentliches Recht selbst substantiell begründet
werden soll. Eine andere Behandlung erfordert die Frage über
den Erwerb des Rechts auf ein öffentliches Recht, welches (wie das
Institut des Monarchenrechts) schon an sich, oder angeknüpft an
eine privatrechtliche Voraussetzung (wie z. B. den Besitz eines
11.
wird dabei im modernen Staatsrechte immer nur als ein vorberei-
tendes Element in Frage kommen können, sofern es sich nicht etwa
um die Bestimmung von Rechten handelt, welche der freien Ver-
fügung der Staatsgewalt nicht unterliegen, wie z. B. die Rechte
der Standesherren.
13.
Grundstücks) besteht. Hier kann dem Privatrechte allerdings
ein vorbereitender Einfluss zukommen. Auch kann hier von einer
dem Staatsrechte sonst fremden Rechtswirkung des factischen
Besitzstands die Rede sein, wie denn nach Umständen die Usur-
pation des Monarchenrechts staatsrechtliche Wirkungen äussert.
Diess hat aber seine besonderen, auf der Stellung der monarchi-
schen Institution zum Staate beruhenden Gründe. Es ist ganz
falsch, wie oft geschieht, daraus eine allgemeine Theorie über das
Factum (oder den s. g. Besitzstand) als Quelle des Staatsrechts zu
bilden, welche, wenn sie wahr wäre, das Staatsrecht seines Rechts-
characters völlig entkleiden würde; seine ganze Geltung wäre
dann eine relative, durch die Fortdauer thatsächlicher Machtver-
hältnisse bedingte. Nur das ist richtig, dass Staatshandlungen,
welche an sich nicht rechtsbeständig sein würden, durch spätere
Anerkennung des Volks unter Umständen sanirt werden können.
In der Unterwerfung des Volks im Ganzen (besonders durch seine
Vertreter) unter einen solchen Act, geschehe sie ausdrücklich oder
stillschweigend, liegt allerdings ein allgemeines Heilmittel, dessen
Bedeutung und Tragweite jedoch nur nach Massgabe des einzel-
nen Falls geschätzt werden kann.
1.
Die Systematik, nach welcher hier die Staatsgewalt an sich,
ohne Rücksicht auf ihre concrete Erscheinung im Monarchenrechte
behandelt wird, bedarf einer besonderen Rechtfertigung, und
zwar um so mehr, als ich selbst früher (öffentliche Rechte S. 52.)
Bedenken gegen ihre Zulässigkeit erhoben habe. Die Schrift-
steller, welche hiergegen polemisiren, thun diess aus so verschie-
denen Gesichtspunkten, dass ein specielles Eingehen auf die Ein-
wendungen der Einzelnen nur in Verbindung mit einer durch-
gehenden Beleuchtung ihrer Grundansichten möglich wäre. Ich
nenne beispielsweise Maurenbrecher, die deutschen regieren-
den Fürsten und ihre Souveränetät 1839, und Zöpfl, Grundsätze
des allgemeinen und deutschen Staatsrechts, 1. Band §. 54. Meine
Gedanken darüber sind folgende. Es ist wahr, dass die Staats-
gewalt nicht als abstracte Macht, sondern zumeist erst in dem
Rechte des herrschenden Subjects, also hier des Monarchen, zur
praktischen Erscheinung kommt, dass das Recht des Letzteren in
der Regel alle Zweige der Staatsgewalt deckt, und sonach der
Monarch die Persönlichkeit des Staats formell in seine Persön-
lichkeit aufnimmt. Aber diese Wahrheit führt keineswegs zu der
Annahme, dass der Staat selbst nur im Monarchen vorhanden sei.
1.
Er besteht vielmehr für sich, und zwar nicht als eine bloss be-
griffliche Erscheinung, sondern als ein auf natürlicher Grundlage,
nämlich dem Volke, beruhendes Wesen; es wird ihm nicht künst-
lich ein fremdartiger Wille anfingirt, sondern er hat seinen eige-
nen Willensinhalt in dem sittlichen, auf das staatliche Leben ge-
richteten Geiste seines Volks. Diese Willensmacht ist etwas an
und für sich Existirendes, ist eine Realität, und daher der wissen-
schaftlichen Bestimmung zugänglich. Sie ist auch nicht bloss eine
geistige Substanz, welche auf die Entschlüsse des Monarchen be-
stimmend einwirkt, sondern die ganze Staatsverfassung mit allen
ihren Institutionen ist darauf berechnet, ihr eine allseitige Lebens-
äusserung zu sichern. Unter diesen Institutionen ist nun eine,
welche vor Allem die Aufgabe hat, ihre praktische Erscheinung
zu vermitteln: das Recht des Monarchen, in dessen persönlicher
That die Staatsgewalt selbst als handelnd gedacht wird. Hieraus
ergiebt sich von selbst die Aufeinanderfolge der Stoffe, welche
die Wissenschaft in systematischem Fortschritte zu ergreifen hat.
An die Darstellung der dynamischen Existenz der Staatsgewalt
an sich schliesst sich die Darstellung der Grundsätze über die Art
ihres concreten Hervortretens im Monarchen. Das Monarchen-
recht ist hiernach ein Recht der Organschaft für den Staat; es
setzt die Existenz des Staats voraus, hat in ihm seine Stätte.
Ohne diese Construction verliert das Monarchenrecht seine eigent-
liche Unterlage und seinen geistigen Zusammenhang; es wird zu
einer Figur, die man aus dem Bilde herausgeschnitten und seines
Hintergrunds beraubt hat. Ohne diese Auffassung wird es nicht
möglich, die wichtigen Fragen über die rechtliche Continuität des
staatlichen Rechts bei der Thronfolge, beim Eintritt eines Zwischen-
herrschers, je die wahre Natur der Thronfolge selbst zu begreifen.
Und keine der erhobenen Einwendungen ist in Wahrheit irgend-
wie entscheidend; dem wenig wiegenden Einwande, es würden da-
mit zwei Staatsgewalten, eine des Staats und eine des Monarchen,
aufgestellt, wird durch die hier gegebene Darlegung des gegen-
seitigen Verhältnisses beider Begriffe begegnet; die Ansicht, dass
diese Auffassung auf dem Principe der Volkssouverainetät beruhe,
ist ebenso falsch, als es die Ansicht sein würde, dass die ent-
gegengesetzte Auffassung zu dem Principe des Despotismus führe;
2.
Richtig Stahl, Rechts- u. Staatslehre, 2. Abth. S. 143. Es liegt
nicht in der Aufgabe der juristischen Betrachtung des Staats,
die gesammte Physiologie desselben zu entwickeln. Diese Aufgabe
fällt der philosophischen Ethik anheim und ihre Lösung wird hier
als gegeben vorausgesetzt. Uebrigens kann es nach dem Texte nicht
zweifelhaft sein, welcher der vielen Theorieen über den Ursprung
und Rechtsgrund der Staatsgewalt der Verfasser beitritt. Zum Aus-
gangspunkte der rechtlichen Betrachtung genügt es, zu sagen, die
Staatsgewalt ist der Allgemeinwille des Volks als ethischen Ganzen
für die Zwecke des Staats, in den Mitteln und Formen des Staats.
3.
Die Willenskraft des Staats ist nicht wie die privatrecht-
liche absolut und voraussetzungslos, sondern erhält ihre Richtung
und Gränze durch den ethischen Grund ihres Daseins. Daraus
erklärt sich denn auch die besondere Art der staatlichen Willens-
wirkung, das Herrschen, welchem eine Unterwerfung im Sinne
eines Gehorsams gegen die allgemeine Rechtsordnung entspricht.
Jedoch ist dem Staate deshalb das Gebiet des privatrechtlichen Wol-
lens nicht verschlossen, und es kann diess gar nicht sein, weil er
zu seiner materiellen Ausstattung des Eintritts in den privatrecht-
lichen Verkehr bedarf. Aber es darf nie vergessen werden, dass
der Staat in dieser Beziehung, nämlich als Fiscus, nicht in seiner
characteristischen Wesenheit auftritt, sondern nur in einer Neben-
eigenschaft, welche er zur Unterstützung seiner principalen Le-
bensaufgabe bedarf.
1.
die Ansicht endlich, dass unsere Auffassung den Monarchen zum
„Beamten“ degradire, oder unter den Begriff des gewöhnlichen
Repräsentanten einer Corporation bringe, wird unten durch die
Fassung des Monarchenrechts ihre Widerlegung erhalten.
4.
Es pflegt wohl hier ein ganzes Register anderer s. g. Eigen-
schaften der Staatsgewalt aufgeführt zu werden, welche aber ent-
weder gar kein rechtliches Moment bezeichnen (z. B. die s. g.
Heiligkeit), oder nicht hierher, sondern zur Characteristik des
Staats gehören (z. B. die s. g. Ewigkeit). So z. B. Mauren-
brecher,
Staatsrecht §. 30, Held, System des Verfassungsrechts
1. Band §. 138. Ihre Eigenschaft als höchste Macht im Staate
begreift übrigens auch die Eigenschaft der Ausschliesslichkeit.
5.
Nach meiner Ansicht ist diess der eigentliche, auch ge-
schichtlich allein zu rechtfertigende Sinn des freilich in so vieler-
lei Bedeutungen gebrauchten Wortes Souverainetät: Unabhängig-
keit einer Staatsgewalt von einer ausser ihr stehenden höheren
Staatsgewalt. Souverainetät ist also nicht selbst Staatsgewalt,
sondern bezeichnet nur eine Eigenschaft der vollkommenen Staats-
gewalt. Die Ausdrücke „Fürstensouverainetät, Volkssouveraine-
tät, Nationalsouverainetät“ sind nur Stichworte für verschiedene
politische Bestrebungen. Mit dem Begriffe des Monarchenrechts
im engeren Sinne steht der Begriff Souverainetät an sich in gar
keiner Relation; und doch wird Souverainetät und monarchisches
Princip so oft verwechselt (diess thut selbst der Artikel 57. der
Wiener Schlussacte).
6.
Es bedarf hier keiner erneuten Widerlegung des wenigstens
wissenschaftlich längst überwundenen s. g. Princips der Theilung
der Gewalten.
1.
Rheinbundsacte Art. 4, Deutsche Bundesacte Art. 1, Eingang.
2.
Rheinbundsacte Art. 34: „Les — — princes confédérés re-
noncent, chacun d’eux pour soi, ses héritiers et successeurs, à tout
droit actuel, qu’il pourrait avoir ou prétendre sur les possessions
des autres membres de la confédération telles qu’elles sont et
telles qu’elles doivent être, en conséquence du présent traité; les
droits éventuels de succession demeurant seuls réservés, et pour
le cas seulement, ou viendrait à s’éteindre la maison ou la branche
qui possède maintenant, ou doit, en vertu du présent traité, pos-
séder en souveraineté les territoires, domaines et biens, sur les-
quels les susdits droits peuvent s’étendre.“ Die richtige Aus-
legung dieses Artikels siehe u. A. bei Zachariä, deutsches
Staats- und Bundesrecht, §. 36. Gegen die Statthaftigkeit eines
vasallitischen Verhältnisses eines deutschen Souverains als solchen
zu einem anderen Souverain spricht sich besonders aus der Bundes-
beschluss vom 20. Januar 1848; damit ist aber keineswegs auch
die Fortdauer des in der Lehnsherrlichkeit enthaltenen eventuellen
Successionsrechts verneint. Zöpfl, Staatsrecht, §. 259.
3.
Hiermit ist der am meisten characteristische Gegensatz
zwischen Bundesstaat und Staatenbund gekennzeichnet. Jener
ist eine zwar auf einen gewissen Kreis beschränkte, innerhalb
desselben aber wirkliche Staatsgewalt mit unmittelbarer Beherr-
schung des Volks; dieser enthält nur eine Verbindung zum Zwecke
der Ermöglichung einer fortgesetzten vertragsmässigen Einigung
der verbundenen Regierungen, deren Resultat zunächst nur die
Letzteren bindet, das Volk erst durch hinzutretende besondere
Sanction seiner eigenen Staatsgewalt. Die Competenz des Ver-
tragsorgans des Staatenbundes wird sich der Natur der Sache nach
vorzugsweise auf die Erhaltung der äusseren und inneren Sicher-
heit der Bundesstaaten beziehen, aber es ist nicht wesentlich, dass
sie sich hierauf beschränke und nicht auch einzelne Gebiete des
inneren Staatslebens berühre. Diess Letztere ist beim deutschen
Bunde der Fall.
4.
Rechtlich sind hiernach alle deutsche Staaten, unter Vor-
aussetzung der Wahrung ihrer Bundespflichten, souverain. Aber
5.
Siehe unten §. 14.
1.
Es ist hier von den s. g. Hoheitsrechten die Rede. Es ver-
dient bemerkt zu werden, dass man in einem Theile der Literatur
der ganz unrichtigen Vorstellung begegnet, als wären diess er-
worbene Rechte, welche dem daneben noch selbständig gedach-
ten Staate als ihrem Rechtssubjecte zukämen. Dahin deutet es
auch, wenn man von „wesentlichen“ und „unveräusserlichen“
Hoheitsrechten spricht, und sie in eine begriffliche Relation mit
den s. g. „unwesentlichen“ und „veräusserlichen“ Hoheitsrech-
ten, insbesondere den Regalien stellt. Diese Vorstellung ist ganz
aufzugeben. Die hier behandelten s. g. Hoheitsrechte sind gar
4.
die Souverainetät ist kein Begriff, der bloss auf der Basis des
Rechts beruht, er setzt zugleich, um zur vollen Wahrheit zu
werden, eine entsprechende Macht voraus. Daher ist die Sou-
verainetät der einzelnen deutschen Staaten, obschon rechtlich die-
selbe, doch thatsächlich ausserordentlich verschieden.
2.
In der Erkenntniss der Gränze der Berechtigung der ge-
setzgeberischen Thätigkeit des Staats ist nach meiner Ansicht eine
überaus wichtige Voraussetzung richtiger innerer Politik enthal-
ten. Eine unruhige Gesetzfabrikation, welche sich auch auf die
wandelbarsten Erscheinungen des Lebens erstreckt, und daher
das kaum Festgestellte alsbald wieder der Veränderung unterwer-
fen muss, wird immer dem Ansehen des Gesetzes Eintrag thun.
Es scheint, als wenn von zwei Standpunkten aus das aus jener Er-
kenntniss sich ergebende Mass bestritten werde. Einmal wünscht
eine politische Partei die möglichste Ausdehnung des Gesetz-
gebungsgebiets, um dadurch den Umfang des Einflusses der
Ständeversammlung zu vergrössern; sodann wird dieser Wunsch
von Anderen deshalb gehegt, weil sie eine gerechte und gedeih-
liche Verwaltung sich nur unter der Voraussetzung denken kön-
nen, dass der Regierung kein Raum freien Entschliessens übrig
bleibe, sondern das ganze Staatsleben, selbst in seinen vorüber-
gehenden Erscheinungen, in die Form von Gesetzen gebracht sei.
Würde man diesem Gedanken unter dem Einflusse eines Princips
des Misstrauens rücksichtslos Raum geben, so würde er zuletzt
dazu führen, dass fast die gesammte Staatsthätigkeit in der Pro-
duction von Gesetzen und ihrer stetigen Umformung aufginge,
und dass die Staatsverwaltung sich nur noch als eine mechanische
Paragraphenanwendung darstellte; dann möchte aber die ge-
fürchtete Frische des persönlichen Handelns durch ein weit be-
denklicheres Automatenthum ersetzt sein.
1.
keine „Rechte“ des Staats, sondern sind die Staatsgewalt selbst,
deren verschiedene Thätigkeitsformen nur in jenen Begriffen
systematisirt werden. Damit ergiebt sich von selbst die Ueber-
flüssigkeit, aber freilich auch die Unrichtigkeit der Attribute
„wesentlich“ und „unveräusserlich,“ und jeder classificirenden
Verbindung der Thätigkeitsformen der Staatsgewalt mit den Re-
galien, die weder etwas Gleichartiges noch etwas Gegensätzliches
sind, indem sie gegenüber jenen Begriffen ausser allem logischen
Zusammenhange stehen.
3.
Das Princip der absoluten Herrschaft der Gerechtigkeit bei
der Beurtheilung des Rechtsverkehrs macht es möglich, dass die
auf richterliche Entscheidung gerichtete Staatsthätigkeit von allen
übrigen hoheitlichen Functionen abgesondert und als ein isolirtes
Gebiet hingestellt wird, in welchem eine von keinem sonstigen
öffentlichen Interesse beeinflusste Autorität lediglich nach Mass-
gabe der technischen Kunstregeln des juristischen Denkens waltet.
Darin liegt der Gegensatz gegen die verwaltende Thätigkeit, als
die unmittelbare Ausführung der hoheitlichen Beherrschung vom
Gesichtspunkte der Gesammtinteressen aus. Eine Gesetzanwendung
kann die verwaltende Thätigkeit auch sein; aber sie kann auch,
sofern das bestehende Recht diess nachlässt, auf freier vom Gesetze
nicht vorher bestimmter Entschliessung beruhen. Auch in diesem
letzteren Falle ist sie nicht weniger eine rechtmässige. Die richter-
liche Thätigkeit ist immer nur Anwendung bestehenden Rechts.
4.
Auch da, wo die Staatsgewalt irgend ein dem Staatsleben
gar nicht angehörendes Verhältniss, eine fremde Lebenserschei-
nung, ohne die besondere Absicht eines sich daran anknüpfenden
Eingreifens überwacht, erscheint diess als ein Act der verwalten-
den Thätigkeit, z. B. die Aufsicht über die Kirche.
5.
Diese Eintheilungen, mit denen sich die staatsrechtliche und
politische Literatur seit alter Zeit beschäftigt, werden so verschie-
den bestimmt, dass es kaum möglich wäre, die einzelnen Ansichten
vollständig aufzuzählen. Man findet fast in jedem Buche über
allgemeines Staatsrecht oder Rechtsphilosophie eine Zusammen-
stellung (z. B. Schilling, Naturrecht, 2. Abth. 1863. S. 123 flg.).
Der hier hervorgehobene Grundgegensatz der gesetzgebenden und
nicht gesetzgebenden Thätigkeit ist auch von Anderen schon rich-
tig erkannt worden.
1.
Darin liegt, dass jede Erstreckung der Staatsgewalt über
ihren sittlichen Zweck und über das ihr angehörende Gebiet hin-
aus ein Missbrauch derselben ist. Die Staatsgewalt ist zwar dy-
namisch die höchste Gewalt im Volke, aber rechtlich besteht sie
nur innerhalb der Sphäre ihrer Zweckbestimmung, oder m. a. W.,
nur innerhalb des Kreises ihrer rechtlichen Existenz steht der
Staatsgewalt die höchste Macht zur Verfügung. Das Verhältniss
dieser beiden Begriffsmomente wird missverstanden von Wipper-
mann,
„über die Natur des Staats“ 1844, S. 66 flg.
2.
Siehe z. B. die Zusammenstellung einer Reihe von Ansichten
bei Schilling, Naturrecht, a. a. O. S. 5., und Stahl, Staats-
lehre, S. 147 flg. u. 152.
3.
Die Art, wie ein Volk sein Verhältniss zum Staate ansieht,
wie es insbesondere den Umfang der Selbstverwaltung seiner An-
gelegenheiten bestimmt und ein Uebermass des Eindringens der
Staatsthätigkeit abwehrt, beruht nur zum kleineren Theile auf
rationeller Ueberlegung, ist grösstentheils das unmittelbare Pro-
duct seiner sittlichen Characteranlage und seiner Befähigung zu
bürgerlicher Selbständigkeit. Das theoretische Anpreisen der
Vorzüge eines Systems der Selbstverwaltung mag als erziehen-
des Mittel einzelne Erfolge haben, aber im Ganzen wird es gegen-
über einem Volke, dem jene Anlage abgeht, nur selten eine
grundsätzliche Aenderung hervorbringen.
4.
Die gesammte Gesetzgebung eines Volks ist der praktische
Niederschlag seiner derzeitigen Vorstellung vom Staatszwecke und
von der Bestimmung der Stellung seiner Staatsgewalt gegenüber
1.
Bundesacte Art. 18. (Ganz eigen der Feststellung dieser
Sätze gewidmet waren die s. g. Grundrechte des deutschen Volks,
4.
dem individuellen, dem gesellschaftlichen, gewerblichen Leben der
Bürger, der Familie, der Gemeinde, der Kirche und der Sphäre
der geistigen Cultur. Diese Bedeutung wird der Gesetzgebung in
um so höherem Grade zukommen, je mehr nach der Verfassung
des einzelnen Staats dem Volke selbst eine Einwirkung darauf zu-
steht. — Die Verfassung des Staats im engeren Sinne, d. h. die
Ordnung seiner Organe und rechtmässigen Lebensäusserung kann
man eigentlich nicht eine Schranke der Staatsgewalt nennen; es
würde darin die unrichtige Vorstellung liegen, als wenn Letztere et-
was ausser der Verfassung Selbständiges wäre, das durch diese wie
durch einen äusserlich angelegten Zwangsapparat gebändigt würde.
2.
Die Verfassungsurkunden selbst geben zu dieser sehr all-
gemein verbreiteten irrthümlichen Auffassung Veranlassung, in-
dem sie in der Regel diese Rechtssätze als „Rechte der Staats-
bürger“ in eine Reihe mit dem Indigenate u. s. w. stellen. Man
kann nur sagen, dass jeder Staatsbürger in dem Genusse der Frei-
heit des Handelns an den Vortheilen betheiligt ist, welche für je-
den Einzelnen aus der Existenz solcher Sätze hervorgehen, sowie,
dass die concreten Rechtsverhältnisse, welche auf Grund dieser
Rechtssätze entstehen, als rechtmässige anerkannt und geschützt
werden. Aber der Gesammtinhalt solcher allgemeinen Gesetze,
z. B. die Einrichtung der Pressfreiheit, der Gewissensfreiheit,
kann nicht als Inhalt eines subjectiven Rechts in der Rechtssphäre
des Individuums localisirt erscheinen. Siehe Gerber, öffentliche
Rechte, S. 77 flg.
1.
wie solche von der deutschen Nationalversammlung festgestellt
waren.) Preussische Verfassungsurkunde, Art. 4—42, Bayerische
IV. §. 5 flg., Sächsische §. 26—40, Hannoverische §. 28 flg., Würt-
tembergische §. 21 flg. Badische §. 7. flg., Kurhessische §. 20 flg.,
Grossherzogl. Hessische §. 18 flg., Altenburgische §. 44 flg., Gothai-
sche §. 29 flg., Braunschweigische §. 29 flg., Oldenburgische §. 31 flg.,
Schwarzburg-Sondershausensche §. 10 flg., Reussische §. 6 flg.
3.
Bundesacte Art. 16. (bezieht sich freilich nach der Absicht
der Constituenten nur auf die drei christlichen Religionsparteien).
Ueber seine Auslegung siehe Zachariä §. 87., und in Aegidi’s
Zeitschrift für deutsches Staatsrecht, I. S. 25 flg. Die seit 1848 er-
theilten Verfassungen oder Verfassungsnachträge gehen weiter,
als die früheren. Jedenfalls liegt in dieser Gewissensfreiheit
auch die Gestattung mindestens des geringsten Grades der Reli-
gionsübung. Dieser Punkt wird jedoch richtiger dem Systeme
des Kirchenrechts überlassen. — Uebrigens werden in einzelnen
Staaten gewissen Confessionen rücksichtlich der staatsbürger-
lichen Pflichten Concessionen gemacht.
4.
Bundesacte Art. 18 d. Sodann das s. g. Bundespressgesetz
vom 20. September 1819, aufgehoben durch Bundesbeschluss vom
5.
Die s. g. Gleichheit vor dem Gesetze.
4.
3. März 1848. Neues Bundesgesetz v. 6. Juli 1854. Dazu mancher-
lei Pressgesetze in den Einzelstaaten. — Eine ausführliche Ab-
handlung über das sogen. Petitionsrecht giebt Mohl in seinem
Werke „Staatsrecht, Völkerrecht u. Politik 1860“ Bd. I. S. 222 flg.
In dieser Ausführung scheint mir das Wesen des s. g. Petitions-
rechts verkannt zu sein. „Bitten“ ist keine Rechtshandlung.
Vergleiche meine Schrift über öffentliche Rechte, S. 79. Note 1.
6.
Bundesbeschluss vom 13. Juli 1854. Dazu mancherlei par-
ticuläre Vereinsgesetze.
7.
Noch manches Andere wird in den Verfassungsurkunden
hinzugerechnet, z. B. Verbannung des Begriffs der Leibeigen-
schaft, Aufhebung der Strafe des bürgerlichen Todes, der Ver-
mögensconfiscation u. s. w.
1.
Oft wird diess Princip unter dem Gesichtspunkte der „Frei-
heit des Eigenthums“ aufgestellt, dazu aber Manches hinzugefügt,
was streng genommen nicht dahin gehört.
2.
Die verhältnissmässig beste Untersuchung über diesen Ge-
genstand giebt Christiansen „über erworbene Rechte“ 1856
(nur geht er in dem S. 64. gegebenen allgemeinen Gesichtspunkte
für die Behandlung wohlerworbener Rechte zu weit). Häufige
Irrthümer sind, dass nur ein s. g. Privatrechtstitel, also nicht auch
Gesetz und Privilegium wohlerworbene Rechte begründen, oder
dass aus Rechtssätzen, welche die Rechte eines ganzen Standes
bestimmen, keine wohlerworbenen Rechte des Einzelnen hervor-
gehen könnten. Oft betont die Gesetzgebung den Umstand, dass
ein Recht aus der Hand des Staats oneros erworben sei, und sie
hat von ihrem Standpunkte aus Recht, diesen Punkt für besonders
bedeutsam zu halten. — Auch die Frage über das Recht des Staats,
einem Gesetze rückwirkende Kraft zu geben, kann in den Kreis
dieser Betrachtung gezogen werden, doch nur insofern, als die Be-
fugniss in Frage steht, einem Gesetze in rückwärts gehender Wir-
kung mit vollem Bewusstsein Rechtsverhältnisse zu unterwerfen,
welche ihm nach den allgemeinen Grundsätzen über das zeitliche
Anwendungsgebiet der Gesetze nicht unterworfen sein würden.
3.
Diese muss aber im Gesetze ausdrücklich festgesetzt sein.
Richtig Stahl, Staats- u. Rechtslehre, II. S. 630. Eine weitere, als
eine Vermögensentschädigung wird nicht erwartet werden können.
4.
Als eine Rechtsverletzung. Nicht jeder Rechtsanspruch
kann mit gerichtlicher Klage geltend gemacht werden, aber seine
Verletzung kann sich durch eine Erschütterung des öffentlichen
Vertrauens in einer weit fühlbareren und allgemeineren Weise
rächen. Daher ist es schief, wenn Bähr, der Rechtsstaat 1864
S. 50., nur von einer „moralischen Schranke“ spricht.
5.
Richtig Christiansen S. 47. Nur irrt er, wenn er die Ein-
kleidung eines öffentlich rechtlichen Inhalts in die Form einer
selbständigen Einzelberechtigung für einen Widerspruch hält, und
ich darf mich dagegen wohl auf meine Schriften über öffentliche
Rechte 1852 berufen.
1.
Mehrere Verfassungsurkunden bestimmen das Expropria-
tionsrecht rücksichtlich seiner Gründe und des dabei zu beobach-
tenden Verfahrens. Andere verweisen auf besondere Gesetze, wie
solche denn auch in einzelnen Staaten erlassen sind. Siehe mein
Deutsches Privatrecht §. 174b.
2.
S. g. Staatsnothrecht, jus eminens des Staats. Eine Zu-
sammenstellung alles darauf Bezüglichen, die aber in formeller
und sachlicher Hinsicht zu nicht geringem Bedenken und oft
zu directem Widerspruche auffordert, enthält die Schrift von
Bischof, das Nothrecht der Staatsgewalt 1860. — Preussische
Verfassungsurkunde Art. 111. Oldenburgische Art. 54.
1.
Diess sind der Art. 13. der Bundesacte und die entsprechen-
den Art. 54—58. der Wiener Schlussacte (Landständische Verfas-
sung und monarchisches Princip).
2.
Bundesacte Art. 11. und Wiener Schlussacte Art. 36.
3.
Bundesacte Art. 12. 16. 18.
4.
Bundesacte Art. 14., in gewisser Beziehung auch Art. 15.
und 17.
5.
Denn ein gewöhnlicher, aus freier Entschliessung der
Bundesstaaten hervorgegangener Bundesbeschluss, der nicht die
Ausführung einer Bestimmung der Bundesgrundgesetze ist, kann
an und für sich ebensowenig als allgemeine Schranke der Staats-
gewalt aufgefasst werden, als jeder andere Staatsvertrag, der
selbst ein Product des freien Willens des Staats ist. Staatsver-
träge heben die Selbständigkeit der Staaten principiell sowenig
auf, als einzelne Privatrechtsverträge die allgemeine Handlungs-
fähigkeit der Personen.
1.
Siehe meine Schrift über öffentliche Rechte, 1852, S. 76.
2.
Es ist damit an die Gewaltverhältnisse des Familienrechts
gedacht. Die Analogie beruht ganz besonders darauf, dass bei
diesen wie bei dem Gewaltrechte des Staats das begründende
Moment nicht in der Willkühr des privatrechtlichen Willens, son-
2.
dern in höheren sittlichen Naturgrundlagen des Rechts zu suchen
ist. Ein anderes Gewaltverhältniss im Staatsrechte ist dasjenige,
in welchem die Staatsdiener stehen; aber abgesehen von son-
stigen Verschiedenheiten ist hier das berechtigte Subject nicht
der Staat (und mithin der Monarch nur mittelbar), sondern un-
mittelbar die Person des Monarchen. — Es ist allerdings möglich,
auch in der Stellung des Individuums als Mitglieds privatrecht-
licher Genossenschaften zu der Fügung, welche aus der Unter-
werfung unter den Genossenschaftszweck und die demselben
dienenden Befugnisse der Genossenschaftsorgane hervorgeht,
Aehnlichkeiten mit der Stellung eines Staatsbürgers zu seiner
Staatsgewalt herauszufinden; wer aber in solchen Aehnlichkeiten
die Veranlassung zu einer inneren Gleichstellung findet, vergisst,
dass diese nur in peripherischen Momenten bestehen, nicht aber
in dem centralen Principe, aus dem sie hervorgehen. Und doch
kommt bei der Bestimmung von Rechtsverhältnissen Alles auf
die Erfassung dieses Centrums an. Aus ihm allein sind die wahren
inneren Momente zur richtigen Beurtheilung der einzelnen Wir-
kungen zu gewinnen. Es möge verstattet sein, auf ein Beispiel
aus der Lehre vom ehelichen Güterrechte hinzuweisen. Man kann
die Consequenzen des ehemännlichen Rechts am Frauengute, wie
es in gewissen Statuten ausgebildet ist, so zusammenstellen, dass
sie täuschend ähnlich dem Bilde sind, welches aus der Zusammen-
stellung der Wirkungen eines wirklichen Eigenthums hervorgeht;
und doch würde es ein nicht bloss doctrinärer Irrthum sein, wenn
man deshalb schlechtweg von einem Eigenthume des Mannes
reden wollte. — Diess Alles ist vorzugsweise gegen die Schrift
von Bähr, der Rechtsstaat 1864, gerichtet, der in dem Versuche,
das Staatsrecht als Genossenschaftsrecht zu entwickeln, einen
Fortschritt der Staatsrechtswissenschaft angebahnt zu haben
glaubt. Er kommt zuletzt S. 42. dahin, zwischen der staatsrecht-
lichen und privatrechtlichen Genossenschaft nur noch eine Ver-
schiedenheit „in der legitimatio ad causam für die Ausübung der
genossenschaftlichen Rechte“ zu erblicken. Nach meiner Ansicht
geht bei dieser Auffassung das eigenthümliche Wesen der Staats-
gewalt verloren, und ich finde, dass sie sich wissenschaftlich nicht
über alle älteren Versuche, das Staatsrecht in Privatrechtsver-
hältnisse einzugränzen, erhebt.
3.
Diese Reflexwirkungen sind es, welche in der vulgären An-
schauung den Gesichtspunkt des Staatsbürgerrechts in den Vorder-
grund treten lassen. So z. B. bei v. Rönne, Staatsrecht der
Preussischen Monarchie, 2. Auflage 1. Band §. 86. Note 2.
1.
Darin liegt auch der Grund, weshalb ein staatsbürgerliches
Verhältniss nur einem Staate gegenüber statt finden kann.
Das Gegentheil ist eine Anomalie, welche nur bei Standes- und
Grundherrn statuirt wird, deren Gebiete bei ihrer Mediatisirung
unter die Hoheit verschiedener Staaten gefallen sind. Verträglich
mit jenem Principe ist es dagegen, dass ein früheres Staatsbürger-
recht beim Eintritt in einen neuen Staatsverband vorbehalten wird,
da hier kein Nebeneinander mehrerer Staatsbürgerrechte statt
findet. Von einem Bundesindigenate kann, da der deutsche Bund
kein Staat ist, nicht gesprochen werden; Alles, was man (auch ab-
gesehen vom Art. 18. der Bundesacte) darauf bezieht, läuft nur
darauf hinaus, dass die deutschen Bundesstaaten die Verkehrs-
verbindungen der Deutschen möglichst befördern.
2.
Also sind die Verpflichtungen, Steuern zu zahlen und Militär-
dienste zu leisten, nicht Verbindlichkeiten, welche auf individu-
ellen Obligationsgründen beruhen, sondern sind nur verschiedene
Aeusserungen eines organischen Subjectionsverhältnisses.
3.
Ueber die Frage, wie sich der Staatsbürger gegenüber
einer unrechtmässigen Ausübung der Staatsgewalt (in Handlungen
oder Unterlassungen) zu verhalten habe, namentlich über den
s. g. passiven Widerstand, wird im vierten Abschnitte die Rede
sein.
4.
Die rechtliche Natur dieser bürgerlichen Rechte lässt sich
allgemein nicht bestimmen; namentlich ist ihre Construction als
genossenschaftliche Forderungsrechte unrichtig. Ein grosser
Theil derselben besteht lediglich in der Befriedigung des In-
teresses, das jeder Einzelne an dem Bestehen objectiver Rechts-
ordnungen hat, auf deren Grund ein rechtlich gesichertes Handeln
und die Begründung rechtlicher Befugnisse möglich ist. Der all-
gemeinen und durch die mannichfachsten staatsrechtlichen Garan-
tieen gesicherten Verpflichtung der Staatsgewalt, nach Massgabe
der Gesetze rechtmässig zu handeln, lässt sich nicht ein Recht des
einzelnen Staatsbürgers gegenüber stellen, welches die ganze
Substanz dieser Gesetze in der Form eines subjectiven Rechts auf-
genommen hätte. Siehe oben §. 11. Note 2.
5.
Die Gemeindewahlrechte gehören streng genommen nicht
zu den politischen Rechten der Staatsbürger; aber sie werden
häufig dazu gezählt und nach gleichem Gesichtspunkte behandelt.
Bisweilen wird zu den politischen Rechten auch das Recht auf
Theilnahme an anderen staatlichen Functionen, z. B. am Amte
eines Geschwornen gerechnet, was aber mehr unter den Gesichts-
punkt einer staatsbürgerlichen Pflicht fallen dürfte; wenn aber
oft auch die Fähigkeit zur Uebernahme von Staatsämtern hierher
gezogen wird, so ist der Werth eines so allgemeinen Attributs
doch zu problematisch, als dass er den positiven Inhalt eines Rechts
abgeben könnte, zumal wenn das Bayrische Staatsrecht das Recht
des Indigenats auch noch mit der Perspective der Erlangung der
Kron- und Oberhofämter ausschmückt. Ein Verhältniss, welches
das Indigenat als Bedingung voraussetzt, ist darum noch nicht
ein Ausfluss desselben.
6.
Z. B. männliches Geschlecht, bestimmtes Alter, eine ge-
wisse Vermögenslage, Ehrenhaftigkeit, längerer Aufenthalt im
Lande, Theilnahme an gewissen Ständen u. s. w.
1.
Die ältere deutsche Landeshoheit hatte um die gesellschaft-
lichen Kräfte des Mittelalters, die Ritterschaft, Prälaten und
Städte, nur ein lockeres Band zu knüpfen gewusst. Die landes-
herrliche Gewalt war eine andere gegenüber den Rittern, die sich
in Schwaben der Landeshoheit nur „zugewendet“ erklärten, eine
andere gegenüber den Städten, eine andere gegenüber den Bauern.
Moser (von der deutschen Reichsstände Landen, S. 840) sagt:
„Hingegen seynd die Landstände privilegirte und solche Unter-
thanen, welche der Landesherr nicht mit dem Pöbel zu vermengen
hat.“ Gerade darin, dass jetzt die Staatsgewalt gegenüber jedem
Staatsbürger, welcher gesellschaftlichen Classe er auch angehöre,
dieselbe ist, liegt die Wahrheit des so oft missverstandenen Satzes:
alle Staatsbürger sind gleich vor dem Gesetze. Auch der andere
Satz „Gleichheit der staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten“
ist, wenn er richtig verstanden wird, berechtigt, sofern nämlich
nicht an eine arithmetische oder mechanische, sondern an eine
Gleichheit nach Massgabe dynamischer Verhältnisse gedacht wird.
2.
Ueber die Art und Weise, in der die natürliche und gesell-
schaftliche Gliederung des Volks auf die Gestaltung des politi-
schen Wahlrechts einwirkt, wobei bisweilen auch den Resten der
alten geschichtlichen Stände eine Rolle eingeräumt wird, wird im
zweiten Abschnitte die Rede sein.
3.
Ueber die Geschichte und Literatur genügt es, auf Za-
chariä
, deutsches Staats- u. Bundesrecht, §. 93 flg. zu verweisen.
Dort ist auch die Literatur über die viel bestrittenen Requisite des
Begriffs des hohen Adels angegeben.
4.
Z. B. die Häuser Schönburg, Bentinck, Giech.
5.
Bundesacte Artikel 14.: „Um den im Jahre 1806 und seit-
dem mittelbar gewordenen ehemaligen Reichsständen und Reichs-
angehörigen in Gemässheit der gegenwärtigen Verhältnisse in
allen Bundesstaaten einen gleichförmig bleibenden Rechtszustand
zu verschaffen, so vereinigen die Bundesstaaten sich dahin: a) dass
diese fürstlichen und gräflichen Häuser fortan nichtsdestoweniger
zu dem hohen Adel in Deutschland gerechnet werden, und ihnen
das Recht der Ebenbürtigkeit in dem bisher damit verbundenen
Begriffe verbleibt. b) Sind die Häupter dieser Häuser die ersten
Standesherren in dem Staate, zu dem sie gehören. Sie und ihre
Familien bilden die privilegirteste Classe in demselben, insbeson-
dere in Ansehung der Besteuerung. c) Es sollen ihnen überhaupt
in Rücksicht ihrer Personen, Familien und Besitzungen alle die-
jenigen Rechte und Vorzüge zugesichert werden und bleiben,
welche aus ihrem Eigenthume und dessen ungestörtem Genusse
herrühren, und nicht zu der Staatsgewalt und den höheren Re-
gierungsrechten gehören. — Unter vorerwähnten Rechten sind
besonders und namentlich begriffen: 1. Die unbeschränkte Frei-
heit, ihren Aufenthalt in jedem zu dem Bunde gehörenden oder
mit demselben im Frieden lebenden Staate zu nehmen. 2. Wer-
den nach den Grundsätzen der früheren deutschen Verfassung die
noch bestehenden Familienverträge aufrecht erhalten, und ihnen
die Befugniss zugesichert, über ihre Güter und Familienverhält-
nisse verbindliche Verfügungen zu treffen, welche jedoch dem
Souverain vorgelegt und bei den höchsten Landesstellen zur all-
gemeinen Kenntniss und Nachachtung gebracht werden müssen.
Alle bisher dagegen erlassenen Verordnungen sollen für künftige
Fälle nicht weiter anwendbar sein. 3. Privilegirter Gerichtsstand
und Befreiung von aller Militärpflichtigkeit für sich und ihre
Familien. 4. Die Ausübung der bürgerlichen und peinlichen
Gerechtigkeitspflege in erster, und, wo die Besitzung gross genug
ist, in zweiter Instanz, der Forstgerichtsbarkeit, Ortspolizei und
Aufsicht in Kirchen- und Schulsachen, auch über milde Stiftungen,
jedoch nach Vorschrift der Landesgesetze, welchen sie, sowie der
Militärverfassung und der Oberaufsicht der Regierungen über jene
Zuständigkeiten unterworfen bleiben. — Bei der näheren Bestim-
mung der angeführten Befugnisse sowohl, wie überhaupt in allen
übrigen Punkten wird zur weiteren Begründung und Feststellung
6.
Siehe mein System des deutschen Privatrechts, 8. Auflage,
§. 79. Note 12.
7.
Der Artikel 14. der Bundesacte ist in mehrfacher Hinsicht
fehlerhaft redigirt. Insbesondere ist sein Sprachgebrauch noch
5.
eines in allen deutschen Bundesstaaten übereinstimmenden Rechts-
zustands der mittelbar gewordenen Fürsten, Grafen und Herren
die in dem Betreff erlassene Königlich Bayerische Verordnung
vom Jahre 1807 als Basis und Norm untergelegt werden.“ (Hierzu
kommt der ergänzende Art. 63. der Wiener Schlussacte.) — Ueber
die weitere Ausführung dieser Bestimmungen in den einzelnen
Staaten sind besonders Mohl, Württembergisches Staatsrecht I.
S. 455 flg., Pözl, Bayerisches Verfassungsrecht, 3. Aufl. S. 188 flg.
und v. Rönne, Preussisches Staatsrecht, 2. Aufl. S. 191 flg. zu
vergleichen. — Noch bemerke man: Die Bestimmung unter c)
enthält nach richtiger Ansicht keineswegs eine Exemtion der
Standesherren von der das Eigenthum betreffenden Gesetzgebung
der einzelnen Bundesstaaten, also z. B. der Ablösungsgesetze,
sondern will nur das Princip der Ausscheidung bei der Mediati-
sirung feststellen. Ueber die unter No. 2. gewährte s. g. Auto-
nomie vergl. mein System des deutschen Privatrechts §. 29. (Der
Bedeutung meiner Ansicht über die Autonomie wird es kaum Ein-
trag thun, dass Schulze in seinem eben erschienenen Systeme
des Staatsrechts S. 15. Note 5. sie für „widerlegt“ erklärt.)
8.
Art. 14. der Bundesacte: „— dem ehemaligen Reichsadel
werden die sub No. 1 und 2 angeführten Rechte, Antheil der Be-
güterten an der Landstandschaft, Patrimonial- und Forstgerichts-
barkeit, Ortspolizei, Kirchenpatronat und der privilegirte Ge-
richtsstand zugesichert. Diese Rechte werden jedoch nur nach
der Vorschrift der Landesgesetze ausgeübt.“
9.
Die im Art. 16. der Bundesacte gegebene Zusicherung ist
nicht erfüllt worden. Dagegen ist in den einzelnen Staaten theils
auf Grund vollständiger s. g. Judengesetze, theils solcher Gesetze,
welche sich nur auf einzelne Punkte beziehen, eine den Juden
sehr günstige Behandlung ihrer staatsrechtlichen Verhältnisse ein-
getreten. Hierbei haben theilweise die „Grundrechte des deut-
schen Volks“ eine besondere Rolle gespielt. Uebrigens ist der
Rechtszustand in den einzelnen Staaten sehr verschieden.
1.
Aber auch solchen Personen, welche keine Staatsbürger
sind, sondern sich nur in unserem Staatsgebiete zeitweilig auf-
7.
ganz in der Technik des Reichsrechts befangen. Diesem Um-
stande ist es zuzuschreiben, dass die Mitglieder der souverain ge-
wordenen Regentenfamilien in der Redewendung des Satzes a)
noch als hoher Adel aufgefasst werden. Diess ist nach meiner
Ueberzeugung falsch. Eine schiefe Redaction, die kein disponi-
rendes Moment enthält, kann aber keinen gesetzlichen Zwang
ausüben. Siehe §. 27.
2.
Diese kann aber unter Umständen von der Gemeinde nicht
versagt werden.
3.
In der Verleihung des Staatsamts an einen Ausländer liegt
zugleich die Aufnahme in das Staatsbürgerrecht (in Württemberg
nur auf die Dauer des Dienstverhältnisses); anders in Bayern, wo
das Indigenat noch besonders erworben werden muss.
4.
Gothaer Uebereinkunft deutscher Regierungen vom 15. Juli
1851. — Eine Ersitzung des Staatsbürgerrechts ist nur sehr ver-
einzelt anerkannt worden (Zöpfl, Staatsrecht, §. 295. Note 7).
5.
Bald wird das Ueberschreiten der Landesgränze, bald die
erhaltene Entlassung, bald schon die der Staatsregierung abge-
gebene Erklärung der Auswanderungsabsicht als der Moment des
1.
halten, gewährt unser Staat seinen Rechtsschutz. Eigenthümliche
Behandlung der Forensen in manchen Staaten, wo sie als theil-
weise Unterthanen angesehen werden. Pözl, Bayerisches Ver-
fassungsrecht §. 24. — Der in den meisten Staaten sowohl für die
neu aufgenommenen als für die gebornen Staatsbürger vorge-
schriebene Huldigungseid ist nur eine Gewissensbestärkung des
schon an und für sich rechtlich Bestehenden.
6.
Blosser Zeitablauf bei längerer Abwesenheit (z. B. zehn
Jahre) gilt particulär auch als Verlustgrund, z. B. in Preussen
(Rönne §. 88.).
5.
Verlusts des Indigenats angesehen. Als eine Art der Auswan-
derung ist auch der Erwerb eines anderen Indigenats, oder die
Verheirathung einer Inländerin an einen Ausländer zu betrachten.
— Zur Strafe kann das Indigenat nicht verwirkt werden, wo die
Strafe der Landesverweisung aufgehoben ist. Eine Verwirkung
der politischen Rechte wird hie und da, wie z. B. in Bayern, eine
Verwirkung des Staatsbürgerrechts genannt; diess beruht auf der
Terminologie, welche die politischen Rechte unter dem Namen
„Staatsbürgerrecht“ dem allgemeinen Indigenate entgegenstellt.
1.
Bekanntlich gebührt das Verdienst der erstmaligen Auf-
stellung und Durchführung des richtigen Gesichtspunkts der
preussischen Städteordnung vom 19. November 1808. Wieder-
belebung des ganz erschlafften Bürgersinns! — Fast in allen
Staaten sind hierauf Gemeindeordnungen gegeben worden, welche
mehr oder weniger als Nachbildungen derselben erscheinen. Aber
doch weichen sie gar sehr von einander ab. Nicht einmal darüber
herrscht Uebereinstimmung, ob Stadt und Land getrennt oder
einer Ordnung unterstellt sein soll.
2.
Manche Verfassungsurkunden drücken diess durch den Satz
aus: die Gemeinden sind die Grundlage des Staats. Württem-
bergische Verfassungsurkunde §. 62. Damit dieser Satz, der
eigentlich kein Rechtssatz, sondern eine politische Ansicht ist,
praktische Bedeutung erlange, ist aus ihm wohl in zu formalisti-
scher Anschauung die Consequenz gezogen worden, dass es im
Staate keinen Menschen geben könne, der nicht irgend einer Ge-
meinde, wenn auch nur dem Namen nach, angehöre, und kein
Grundstück, das nicht Bestandtheil einer Gemeindemarkung sei.
Man ist dann wohl soweit gegangen, auch den Staatswald in die
kleinen Dorfmarkungen einzuzwängen, welche durch Anweisung
abgeholzter Stellen zur Ansiedelung von Holzarbeitern entstan-
den sind.
3.
Die Gemeindeordnung ist Sache der Staatsgesetzgebung.
Es steht ihr heutzutage kein Recht der Autonomie zu. Gerber,
System des deutschen Privatrechts, §. 29. und seine dort ange-
führten Abhandlungen. Auch wenn die Gemeindeordnung manche
Punkte offen lässt und die Gemeinden gesetzlich bevollmächtigt,
darüber in s. g. Localstatuten ergänzende Bestimmungen zu
4.
In welchem Umfange diese Staatsaufsicht geübt werden soll,
— das ist der Hauptpunkt der Verschiedenheit der particulären
Gemeindeordnungen. Bisweilen erscheint das Mass der Ver-
waltungsfreiheit abhängig von dem Masse der in der Ordnung
der Wahl der Gemeindebeamten enthaltenen Garantieen, so dass,
je unbegränzter das Wahlrecht, um so ausgedehnter die Staats-
aufsicht ist.
5.
Ausser den Gemeinden giebt es wohl noch andere Gruppi-
rungen der Staatsbürger, welche als eigenthümlich ausgestattete
politische Körper auftreten, z. B. Kreis- oder Provinzialverbände,
in Württemberg die Amtscorporationen. Es ist nun eine Frage des
Particularrechts, ob solche Erscheinungen mehr der Stellung der
Gemeinden oder mehr der Stellung der Landstände analog zu
beurtheilen sind.
6.
Sowohl die Gerichtsbarkeit, als die Polizei gehören nach
jetzigem deutschen Staatsrechte dem Staate, und werden, wenn
sie local der Gemeinde anvertraut sind, von dieser nicht als eigenes
Recht, sondern als Recht des Staats ausgeübt. Es ist diess nicht
3.
treffen, wird den Gemeinden damit keine gesetzgebende Gewalt
verliehen. Die Natur der hierdurch nachgelassenen Dispositionen
kann jedoch nur im Einzelnen bestimmt werden.
7.
Von der privatrechtlichen Stellung der Gemeindecorpora-
tion ist hier nicht zu handeln.
6.
zu beklagen, sondern als die natürliche Entwickelung der Staats-
gewalt anzuerkennen, welche jetzt ebensowenig duldet, dass
ihre Functionen in die privatrechtliche Sphäre Einzelner als in die
Sphäre der Gemeinden versetzt werden. Dem Rufe nach „Auto-
nomie der Gemeinden“ liegt nicht selten eine ganze Reihe der
grössten Missverständnisse zu Grunde. — Andere Aufgaben,
welche die Gemeinde nach Aufforderung des Staats in vielen
Ländern erfüllen muss, sind insbesondere folgende: sie hat die
locale Armenversorgung zu leisten, für die Publication gewisser
Staatsgesetze zu sorgen, die Staatssteuern einzusammeln, die
Militäreinquartirung auszuführen, die Volksschule zu unterhal-
ten, für Anlegung und Erhaltung von Vicinalstrassen Sorge zu
tragen u. s. w.
1.
Ob bloss die Hofbesitzer oder auch alle anderen in der Ge-
meinde Wohnenden, ist particularrechtlich verschieden.
2.
Wozu auch das privatrechtliche Interesse des Antheils am
s. g. Gemeindenutzen hinzukommt (besonders der Antheil an der
Gemeindeweide und dem Gemeindeholz).
3.
Seine Bedeutung ist hauptsächlich in dem Rechte auf Ar-
menversorgung enthalten.
4.
Ausgenommen sind die Ehrenbürger, welche von den Ge-
meindepflichten ganz oder grösstentheils befreit sind.
1.
Darin liegt, dass der Staat jede Herrschaftshandlung eines
fremden Staats auf seinem Gebiete als rechtswidrig zurückweisen
kann. Er ist in seinem Gebiete, insoweit nicht Staatsservituten
bestehen, ausschliesslich hoheitsberechtigt. Durch die grossen
Staatsseparationen seit dem Rheinbunde (Art. 34.) sind die älteren
Territorialverquickungen des deutschen Reichs grösstentheils be-
seitigt worden.
2.
Es bedarf jetzt kaum noch der Bemerkung, dass dieses
staatsrechtliche Recht an der Sache auch nicht die geringste Ver-
wandtschaft mit privatrechtlichen Sachenrechten hat, wie Eigen-
thum oder Obereigenthum.
3.
Diess ist der regelmässige Fehler der Schriftsteller. Die
Gebietshoheit wird wie ein besonderes Recht der Staatsgewalt
behandelt, mit welchem alle diejenigen Herrschaftsacte in Ver-
bindung zu bringen seien, welche sich auf den Grund und Boden
oder die örtliche Berührung der Territorialgränzen beziehen. So
will v. Rönne in seinem Staatsrechte der preussischen Monarchie
§. 34. auch noch das Passwesen, das Expropriationsrecht und das
Recht des Staats auf herrenlose Sachen auf die Gebietshoheit zu-
rückführen. Zum Theil sind diese Anschauungen noch die Reste
jener alten privatisirenden Vorstellungen vom dominium terrae,
auf welche man die Regalientheorie gründete.
4.
Ganz das Gleiche gilt von Veräusserungen von Territorial-
theilen; die Begriffe Theilung und Veräusserung fallen für die
hier in Frage stehende Beziehung zusammen. — Eine Ausnahme
von dem Principe des Textes kann nur für unbedeutende und durch
Gegenerwerb ausgeglichene Abtretungen zum Zwecke der Gränz-
regulirung zugegeben werden.
5.
Ueber diesen sehr bestrittenen Punkt vergl. meine Ab-
handlung in Aegidi’s Zeitschrift für deutsches Staatsrecht, 1. Bd.
(1865) S. 5 flg.
6.
Preussische Verfassungsurkunde Art. 1 und 2. Bayerische
Verfassungsurkunde Tit. 3. §. 1. Sächsische Verfassungsurkunde
§. 1. und 2. Hannoversche Verfassungsurkunde §. 1. Württem-
bergische Verfassungsurkunde §. 1. u. s. w. Aus dem deutschen
Bundesrechte ist für diese Frage Nichts zu entnehmen.
7.
Vergl. meine angeführte Abhandlung S. 16 flg.
8.
Diese Untersuchung wird namentlich darauf zu richten sein,
ob die einzelnen Theile des Gebiets zu einem einheitlichen staats-
rechtlichen Ganzen verwachsen, einer Verfassung unterstellt
sind, durch völlige Incorporation ihre staatsrechtliche Sonder-
stellung verloren haben u. s. w.
1.
Der grösste Theil des Inhalts dieses Paragraphen ist der
Stoff des Verwaltungsrechts, welches nach den von uns angenom-
1.
menen Gränzen des Systems als nicht in das Bereich des Staats-
rechts gehörig zu betrachten ist. Es handelt sich demnach hier
nur um eine Uebersicht der Wirksamkeitsgebiete der Staats-
gewalt. Bemerkenswerth ist es, dass man sich in der Literatur
daran gewöhnt hat, die auf ein bestimmtes Gebiet bezügliche
Thätigkeit des Staats unter dem Titel einer besonderen Staats-
hoheit darzustellen, weshalb man von der Justiz-, Polizei-, Finanz-,
Militär-, Privilegien-, Kirchen- und auswärtigen Hoheit zu sprechen
pflegt. Diese Bezeichnung ist an sich nicht zu verwerfen, sofern
man dabei nur das Missverständniss fern hält, jene einzelnen Ho-
heiten seien rechtlich unverbundene besondere Specialrechte des
Staats; vielmehr handelt es sich bei allen diesen Hoheiten immer
um die eine Staatsgewalt, welche nur vom Gesichtspunkte eines
besonderen Thätigkeitskreises aus angeschaut wird.
2.
Die Lehre von der Kirchenhoheit sollte im Kirchenrechte
ihre Darstellung finden, da ihre geschichtliche Entwickelung und
schliessliche Gestaltung untrennbar mit der Geschichte der Kirche
verbunden ist.
1.
Das Wort Organ wird hier nicht als eine spielende Bezeich-
nung, sondern als das Wort für einen ernstlich gedachten Be-
griff gebraucht. Daher anerkenne ich nur die zwei im Texte ge-
nannten Organe des Staats. Viele Schriftsteller denken, wie es
scheint, über die Gränzen der Zulässigkeit dieses Begriffs wenig
nach, so dass ihnen die Worte „organisch“, „Organ“ im bedenk-
lichsten Grade geläufig werden. Was wird da nicht alles als
„Organ“ bezeichnet! Nicht nur der Monarch und die Ständever-
sammlung, sondern auch die Familie des Landesherrn, die Staats-
ämter, die einzelnen Mitglieder der Ständeversammlung, die ein-
zelnen Beamten, ja wohl gar auch jeder Staatsbürger. Dabei
büsst freilich der Begriff „Organ“ seine ganze wissenschaftliche,
insbesondere juristische Bedeutung ein und wird zu einer werth-
losen Phrase.
2.
Der Republik fehlt ein solches persönliches Gesammtorgan,
wie der Monarch. Der Inhalt der Rechtsstellung ihres Präsiden-
ten ist ein abgeleiteter.
3.
Ihr öffentliches Recht (Organ des Staats zu sein) ist eige-
nes
, nicht aus dem Rechte eines Anderen (Volk, Wähler, Cor-
poration) abgeleitetes Recht.
1.
Wiener Schlussacte Art. 57.: „Da der deutsche Bund, mit
Ausnahme der freien Städte, aus souverainen Fürsten besteht, so
muss, dem hierdurch (?) gegebenen Grundbegriffe zufolge, die
gesammte Staatsgewalt in dem Oberhaupte des Staats vereinigt
bleiben, und der Souverain kann durch eine landständische Ver-
fassung nur in der Ausübung bestimmter Rechte an die Mitwir-
kung der Stände gebunden werden.“ Also keine Theilung der Ge-
walten, und keine Mitherrschaft des Parlaments! Die deutsche
Monarchie soll also eine Wahrheit sein; diess bleibt sie in der con-
stitutionellen Monarchie, so lange darunter nicht ein politisches
System verstanden wird, das die constitutionellen Institute zu
einem Apparate ausbildet, bei dem der Monarch zu einer parla-
mentarischen Figur herabsinkt.
2.
Bayerische Verfassungsurkunde II. §. 1.: „Der König ist
das Oberhaupt des Staats, vereinigt in sich alle Rechte der Staats-
gewalt, und übt sie unter den von ihm gegebenen, in der — Ver-
fassungsurkunde festgesetzten Bestimmungen aus.“ Sächsische
Verfassungsurkunde §. 4. Hannoversche Verfassungsurkunde §. 5.
Württembergische Verfassungsurkunde §. 4. Abweichend scheint
die Preussische Verfassungsurkunde, welche §. 45. dem Könige
nur die vollziehende Gewalt zuschreibt und ihm im §. 62. bei der
gesetzgebenden Gewalt nur einen Antheil neben den Kammern
gewährt. Siehe aber v. Rönne, Preussisches Staatsrecht I.
Seite 118.
3.
Der Monarch ist zur Vertretung des Staats nach Aussen
legitimirt (s. g. Repräsentativgewalt).
4.
Man unterscheide also den Inhalt des Monarchenrechts als
Institution, und das Recht auf Innehabung des Monarchenrechts;
nur das letztere ist ein sich unmittelbar an die individuelle Per-
sönlichkeit anschliessendes Recht. — Schon in dem Begriffe des
Monarchenrechts als eines und zwar des obersten öffentlichen
Rechts liegt, dass es zugleich eine dem Rechte entsprechende
Pflicht einschliesst, mit anderen Worten, dass es ein Beruf ist.
Als besonderen Bestandtheil dieser Pflicht heben manche Ver-
fassungsgesetze hervor, dass der Monarch im Lande selbst seinen
bleibenden Aufenthalt haben müsse, und dass er nicht auch
Monarch noch eines anderen Staats sein könne.
5.
Siehe unten §. 33.
1.
In dem Prädicate „heilig,“ welches manche Verfassungs-
urkunden (z. B. Sächsische §. 4., Württembergische §. 4., Badische
§. 5.) dem Monarchen beilegen, ist kein rechtliches Attribut
enthalten.
2.
Strafdrohungen gegen Majestätsbeleidigung und andere
Angriffe gegen die Person des Monarchen.
3.
In Bayern und Württemberg, wo das Kammergut vollstän-
diges Staatseigenthum geworden ist, ist der Begriff der Civilliste
rein zur Ausführung gekommen (welche übrigens in Württemberg
auf das Kammergut als erste Last radicirt ist). Eine gute Zusam-
menstellung dieser Verhältnisse in den einzelnen Staaten siehe bei
Held, System des Verfassungsrechts II., S. 187. Note 1.
4.
Die Frage, wem (abgesehen von den Verfügungen der
neueren Zeit) das Eigenthum an den Domainen, d. h. dem ehe-
maligen Kammergute, zustehe, kann natürlich nicht durch einen
Rechtssatz beantwortet werden, sondern nur durch das Ergebniss
einer geschichtlichen Untersuchung concreter Specialverhältnisse.
Dabei kehren freilich gewisse Erscheinungen in allen Fürsten-
häusern wieder. In der Regel stellt sich danach heraus, dass das
Kammergut das alte auf sehr verschiedenen Erwerbstiteln be-
ruhende Stammvermögen der fürstlichen Familie ist, aus welchem
freilich nicht bloss der Aufwand des herrschaftlichen Hofhalts,
sondern theilweise auch die Bedürfnisse der Landesregierung be-
stritten wurden. Dass der letztere Umstand, aus welchem man-
nichfache rechtliche Verbindungen des Kammerguts mit dem
Lande hervorgingen, mit dem privatrechtlichen Character des
fürstlichen Rechts daran in keinem Widerspruche steht, kann
überhaupt, besonders aber vom Gesichtspunkte des älteren Reichs-
und Fürstenrechts, mit Grund nicht beweifelt werden. Nun ist
zwar aus der älteren Landesherrschaft der moderne Staat er-
wachsen, welcher das alte Verhältniss des Landes zum fürstlichen
Kammergute festhält und die Beitragspflicht aus den Erträgnissen
desselben nicht weniger in Anspruch nimmt, aber es ist nicht abzu-
sehen, warum durch das Bestehen einer solchen Belastung die alte
Eigenthumszuständigkeit verändert worden sein sollte. Ich be-
kenne mich demnach in dieser schon so oft verhandelten Frage im
Allgemeinen zu den Ansichten, welche insbesondere von Za-
chariä
früher und neuerdings in seiner Schrift ausgeführt worden
sind: das rechtliche Verhältniss des fürstlichen Kammerguts, ins-
besondere im Herzogthume Sachsen-Meiningen 1861 (vergl. auch
dessen Schrift: das Eigenthumsrecht am deutschen Kammergute
1864). — Ueber Preussen siehe Rönne, Preussisches Staats-
recht §. 80.
5.
Ueber das Königlich Sächsische Hausfideicommiss siehe
Verfassungsurkunde §. 20., das Württembergische Hofdomainen-
kammergut, Verfassungsurkunde §. 108.
6.
Das reine Privatvermögen des Monarchen heisst technisch
„Schatullgut.“ — Dass der Monarch in der Sphäre des Privatrechts
vor den Civilgerichten Recht nehmen muss, ist u. A. auch Preussi-
sches Recht; siehe v. Rönne, Preussisches Staatsrecht I., S. 150.
Ueber Württemberg siehe Mohl, Württemberg. Staatsrecht I.,
S. 189. Vergleiche auch die Deduction Zachariä’s, Deutsches
Staats- u. Bundesrecht II., §. 276. (aber auch Wetzell, System
des Civilprocesses, §. 39. Note 12). Eine Execution kann freilich
gegen den Monarchen nicht verhängt werden. Ueberhaupt pflegt
in solchen Fällen nicht der Monarch selbst, sondern seine Hofcasse
belangt zu werden.
1.
Ueber die rechtliche Auffassung solcher Personenkreise
siehe mein System des deutschen Privatrechts, §. 37. und §. 221.
Note 1.
2.
Sie gehören zu den der Staatsgewalt, mithin dem Monarchen
unterworfenen Staatsbürgern, bilden aber eine Classe für sich,
deren besondere Rechtsstellung allein auf der Zugehörigkeit zu
der Person des Monarchen und ihrem Verhältnisse zur Thronfolge
beruht. Folglich sind sie aus ihrer ehemaligen Genossenschaft
mit dem hohen Adel zur Zeit des deutschen Reichs herausgetreten
(das Gegentheil kann nicht aus der Fassung des Art. 14. der Bun-
desacte geschlossen werden; vergl. N. 7. des §. 18.). Der Monarch
selbst tritt als Staatsoberhaupt aus jeder staatsbürgerlichen Ge-
nossenschaft heraus; auch seine Stellung als Oberhaupt seines
Hauses muss jetzt als ein Bestandtheil seines Monarchenrechts
aufgefasst werden.
3.
Bei nicht standesmässiger Verheirathung behalten sich die
Prinzessinnen wohl ihre Standesstellung und Mitgliedschaft des
Regentenhauses vor.
4.
Siehe unten §. 34.
5.
Zu den Auszeichnungen der Mitglieder des Regentenhauses
gehört in der Regel auch ein besonderer Volljährigkeitstermin;
ferner privilegirter Gerichtsstand, bisweilen noch die herkömm-
lichen Familienausträge.
6.
Nur zur Wahrung ihrer agnatischen Rechte, namentlich
ihrer Successions- und privatrechtlichen Domanialrechte steht
ihnen ein selbständiges Recht der Mitbestimmung zu, nicht aber
bei der Ausübung der Staatsoberhauptschaft. Es würde eine
völlige Verkennung des Wesens der heutigen Monarchie voraus-
setzen, wenn man etwa den Uebergang der absoluten Monarchie
in eine constitutionelle als eine Substanzminderung des agnati-
schen Patrimonium auffassen wollte, welche nicht ohne Zustim-
mung der Agnaten erfolgen könne. Ueber die eigenthümlichen
Verhältnisse von Lippe siehe Protocolle der deutschen Bundes-
verfassung von 1819 S. 636 flg., und v. Campe, Lehre von den
Landständen, 2. Aufl. 1864, S. 281. Note 2.
7.
So richtig Zachariä, deutsches Staats- u. Bundesrecht I.,
§. 84. Note 10., wo auch die das Entgegengesetzte behauptende
Hannöverische Denkschrift bei Gelegenheit der Absetzung des Her-
zogs Carl von Braunschweig angeführt wird (als Rechtsgrund wird
daselbst geltend gemacht, dass die Souverainetät in Deutschland
den fürstlichen Familien (!) zustehe). A. A. Zöpfl, Staatsrecht,
der das Entsetzungsrecht der Agnaten für ein „fundamental her-
8.
Das ältere deutsche Fürstenrecht betrachtete die Apanagen,
durch welche die älteren Paragien verdrängt worden waren, als
eine Entschädigung für die Entziehung des Mitregierungsrechts
durch Einführung der Primogenitur. Dieser Gesichtspunkt ist
jetzt, da das öffentliche Recht aus dem Rahmen des Privatfürsten-
rechts herausgetreten ist, nicht mehr der richtige; es handelt sich
jetzt nur noch um die Gewährung einer der hohen Würde der
fürstlichen Agnaten entsprechenden standesmässigen Ausstattung.
Die Ausführung im Einzelnen fällt dem Particularstaatsrechte
anheim; vergl. die Zusammenstellung bei Zachariä a. a. O. §. 94.
7.
kömmliches“ erklärt. Ganz unberechtigt ist auch, was freilich
kaum der Bemerkung bedürfen sollte, eine Argumentation, welche
aus dem Rechte der Agnaten, eine wegen körperlicher oder
geistiger Gebrechen vorhandene Regierungsunfähigkeit behufs
Einsetzung einer Regentschaft zu constatiren, — auf ein Recht
der Agnaten schliesst, einen regierungsfähigen Monarchen
wegen schlechter Regierung abzusetzen; oder eine Argumen-
tation, welche den Agnaten das Recht giebt, den Monarchen zu
entsetzen, weil seine Regierung für die Erhaltung des Throns und
somit ihres eigenen Rechts bedenklich sei!
9.
Das Präjudiz ist nicht überall das gleiche; bald soll eine
ohne Genehmigung des Oberhaupts eingegangene Ehe nichtig
sein, bald nur dem Nachtheile unterliegen, dass die Kinder von
der Succession und nebst der Mutter von der Mitgliedschaft des
Regentenhauses ausgeschlossen sind.
10.
Der rechtliche Character der Hausgesetze läst sich nicht
allgemein bestimmen. Manche Theile derselben enthalten ge-
wöhnliche privatrechtliche Verfügungen; andere enthalten Stif-
tungen und Dispositionen der besonderen Art, wie sie namentlich
der hohe Adel vorzunehmen pflegt (siehe meine Abhandlung in
Gerber und Jhering’s Jahrb. 3. S. 433 flg.); noch andere enthal-
ten Bestimmungen, zu deren einseitiger Erlassung der Monarch
vermöge seiner Verordnungsgewalt befugt ist; noch andere be-
dürfen der Promulgation als gewöhnliche oder gar als Verfassungs-
gesetze. Der §. 26. der Hannöverschen Verfassungsurkunde be-
hält dem Könige das Recht der Hausgesetzgebung allgemein vor.
Eine Zustimmung der Agnaten würde nur erforderlich sein, inso-
weit es sich um Aufhebung oder Beschränkung bereits erworbener
Rechte handelt; im Uebrigen haben sie sich der Hausgewalt ihres
Oberhaupts zu unterwerfen. — Eine Sammlung der deutschen
fürstlichen Hausgesetze hat Schulze zu veranstalten begonnen
(1. Bd. Jena 1862).
1.
Siehe meine Abhandlung in Aegidi’s Zeitschrift für deut-
sches Staatsrecht, 1. Bd. S. 11 flg.
2.
Das Monarchenrecht ist also nicht erst eine Schöpfung der
neueren Verfassungen. Die Bedeutung dieser Wahrheit hat na-
mentlich Stahl (z. B. Rechts- und Staatslehre 2. Abth. S. 278) mit
Recht geltend gemacht.
3.
Damit ist gesagt, dass, wenn auch der Inhalt des Monarchen-
rechts an der Entwickelung des Staatswesens Theil nimmt und
sich mit ihr verändert, seine Existenz selbst doch niemals unter
dem Vorwande einer staatlichen Fortbildung rechtlich in Frage
kommen kann.
1.
Das ältere deutsche Staatsrecht kannte noch die Wahl als
Erwerbsgrund des Monarchenrechts; dann die kaiserliche Ver-
leihung und die privatrechtlichen Erwerbsgeschäfte jener Zeit.
2.
Wie das ältere fürstliche Successionsrecht im Wesentlichen
nur ein privatrechtliches Lehns- und Stammgutserbrecht war, bei
welchem auch das gemeinrechtliche Princip der Simultansucces-
sion galt; wie dann allmählich das Hausinteresse zur Einführung
der Individualsuccession in der Primogeniturordnung drängte,
wie es aber erst nach Ueberwindung vieler Schwierigkeiten und
Zwischenstufen gelang, das alte Theilungsrecht zu beseitigen, —
ist allbekannt. Vergl. Schulze, das Recht der Erstgeburt in
den deutschen Fürstenhäusern u. s. w. 1851. Held in Aegidi’s Zeit-
schrift I., pag. 41 flg.
3.
Die Verschiedenheit der bloss hausrechtlichen Be-
deutung der Primogeniturordnung und der verfassungsrecht-
lichen
ist ausgeführt in meiner Abhandlung in Aegidi’s Zeit-
schrift für deutsches Staatsrecht I., S. 16 flg. Die Geltung des
Primogeniturrechts wird übrigens von allen deutschen Verfas-
sungsurkunden unter die Grundgesetze aufgenommen.
4.
Siehe meine angeführte Abhandlung S. 19 flg.
5.
Die vollständigste neuere Darstellung des fürstlichen Suc-
cessionsrechts und seiner Ordnung hat Pfeiffer (über die Ord-
nung der Regierungsnachfolge in den monarchischen Staaten des
deutschen Bundes 1826, 2 Bände) geliefert. Indessen bin ich
namentlich mit der Ansicht nicht einverstanden, welche darin über
den Geltungsumfang des Primogeniturrechts vorgetragen wird.
6.
Es ist hier nicht der Ort, die Grundsätze über diese Succes-
sionsordnungen des deutschen Landrechts und des Lehnrechts zu
7.
Das ältere deutsche Fürstenrecht leitete diesen Satz aus
dem Principe der successio ex pacto et providentia majorum ab,
wie denn in der That das Anwartschaftsrecht auf den Thron in
dem eventuellen Lehnsfolgerechte der Agnaten seine juristische
Analogie hat. Im heutigen Verfassungsrechte gilt aber jener
Satz, weil es eine der ersten Forderungen des modernen Staats ist,
dass die Ordnung der Thronfolge jeder Willkühr entrückt sei; auf
diesen letzteren Grund ist jetzt in den neuen Verfassungsstaaten
der aus dem älteren Fürstenrechte äusserlich entlehnte und nun
verfassungsrechtlich gewordene Satz zurückzuführen. Von der
Möglichkeit einer Disposition des Monarchen über die Thronfolge
durch Testament, Vertrag u. s. w. zum Nachtheile eines durch die
Successionsordnung Berufenen kann daher nicht die Rede sein. —
Für den Fall, dass der ganze Kreis der zur Succession Berechtig-
ten erschöpft wäre, müsste der neue Monarch durch ein Verfas-
sungsgesetz bestimmt werden, welches die bisherige Verfassung
in dieser Richtung ergänzte. Auch eine neue Erbverbrüderung
könnte jetzt nur als Verfassungsgesetz zu Stande kommen.
6.
entwickeln, da sie hier nur als abgeleitete angezogen werden. Es
genügt daher, auf die Schriften über deutsches Erbrecht und
Lehnrecht zu verweisen. Ueberdiess aber wird eine Darstellung
dieser Sätze an diesem Orte niemals der Aufgabe einer vollstän-
digen Entwickelung des älteren fürstlichen Successionsrechts ent-
sprechen können, da jeder Fall unter dem Einflusse besonderer
und ganz eigenthümlicher Thatsachen steht. Als die zur nächsten
Orientirung wichtigste Schrift muss noch immer Moser’s Fami-
lienstaatsrecht der deutschen Reichsstände, 2 Bände 1775, gelten.
8.
Jeder einzelne zur Thronfolge Berechtigte kann übrigens
auf dieses Recht der Anwartschaft verzichten. Die Wirkung ist
dann die, dass er beim Anfalle als nicht vorhanden angesehen wird.
Ist ein Agnat auf diese Weise aus der Reihe der Thronberechtig-
ten ausgetreten, so wirkt diess auch auf seine später erzeugten
Descendenten (denn als sie ins Leben traten, war die Kette, welche
sie mit dem stiftenden Ahnherrn verbinden muss, schon zer-
brochen); die schon Erzeugten müssen dagegen selbständig ein-
willigen, wenn auch sie in dem Verzichte einbegriffen sein sollen.
Ein Recht, seine Anwartschaft auf Andere (selbst innerhalb des
Agnatenkreises) zu übertragen, also ein Recht der Cession des
Thronfolgerechts, kann im heutigen Rechte nicht als bestehend
betrachtet werden. Denn die verfassungsmässige Thronfolge-
ordnung will keine Verfügung über das Thronfolgerecht ge-
währen, sie will nur berufen; kann oder will der Berufene nicht
folgen, so ist sie es, die bereits über die Nachfolge verfügt hat.
Bei dem absoluten Character der verfassungsmässigen Thronfolge-
ordnung nach Erstgeburtsrecht dürfte daher auch der Vorbehalt
eines Rückfalls der Thronfolge an die verzichtende Linie jetzt
nicht mehr bloss durch ein hausrechtliches Rechtsgeschäft, sondern
nur noch auf dem Wege einer verfassungsgesetzlichen Ergänzung
der Primogeniturordnung (vorausgesetzt auch die Zustimmung der
hierbei etwa betheiligten Agnaten) mit rechtlicher Wirksamkeit
ausführbar erscheinen. Für das ältere Fürstenrecht mit seiner
mehr privatrechtlichen Dispositionsgewalt über die Landesherr-
schaft gelten allerdings andere Grundsätze; und diese mögen auch
für diejenigen noch jetzt zur Anwendung kommen, welche mit
ihren Eventualrechten noch ausserhalb des durch die verfassungs-
mässige Primogeniturordnung bereits beherrschten Agnatenkreises
stehen. Aber auch hier verstand sich der Vorbehalt des Rückfalls
des cedirten Rechts nicht von selbst.
1.
Wo die Erfordernisse der Kirche bezüglich der Gültigkeit
der Ehe nicht zugleich die des bürgerlichen Rechts sind, müssen
die letzteren hier als massgebend betrachtet werden. Ueber die
s. g. Gewissensehe siehe Zachariä, deutsches Staats- u. Bundes-
recht, §. 67. Note 8.
2.
In der Sphäre des hohen Adels hat die Gleichstellung der
legitimirten Kinder mit den ehelichen keine Aufnahme gefunden,
eine Ansicht, welche freilich bekanntlich in hohem Masse be-
stritten ist. S. die Literatur bei Zachariä, a. a. O. A. A. Zöpfl,
Staatsrecht, §. 253. Jedenfalls liegt in dem Begriffe der Thron-
folgeordnung eines souverainen Staats die Anforderung, dass
alle auf die Thronfolge erhobenen Ansprüche auf völlig correcten
thatsächlichen Grundlagen beruhen müssen, wozu vor Allem ge-
hört, dass die behauptete Ehelichkeit eine Wahrheit und nicht
eine blosse rechtliche Fiction sei.
3.
Diess ist meine wissenschaftliche Ueberzeugung in dieser
viel bestrittenen Lehre. Siehe die Literatur in meinem deutschen
Privatrechte, §. 224.
4.
Die Frage, ob bei einer ohne diesen Consens eingegangenen
Ehe der nachträglich ertheilte Consens rückwirkende Kraft habe,
ist wohl richtiger zu verneinen. Pözl, Bayerisches Verfassungs-
recht, S. 328.
5.
Würde das gemeine Recht zu entscheiden haben, so würde
die viel bestrittene Lehre des Lehnrechts über die Ordnung des
Cognatenanfalls (Gerber, Privatrecht, §. 271.) und die Lehre von
der Erbtochter (Gerber, a. a. O. §. 264.) herbeizuziehen sein.
Manche Verfassungsurkunden (wie z. B. die Württembergische §. 7.,
Sächsische §. 7., Hannoversche §. 12.) haben eine ausdrückliche
Bestimmung darüber; andere (wie z. B. die Preussische Art. 53.,
v. Rönne, Preussisches Staatsrecht, §. 36.) schweigen.
6.
So in den Sächsischen Staaten. Siehe auch Bayerische
Verfassungsurkunde II. 5.
7.
Diess Erforderniss ergiebt sich aus der staatsrechtlichen
Natur des heutigen Monarchenrechts, und es besteht weder ein
Bedürfniss, noch eine Berechtigung, hierfür die Grundsätze der
Lehnsfolgefähigkeit oder die über die Eigenschaften der Kur-
fürsten handelnden Bestimmungen der goldenen Bulle heranzu-
ziehen. Dass aber nur wirkliche Unfähigkeit ein Grund des Aus-
schlusses sein könne, und nicht schon geminderte Fähigkeit, ist
ein Satz, den das Erforderniss der Sicherheit des Thronfolgerechts
zu verlangen scheint. Alles wird nur darauf ankommen, wie und
durch wen die Unfähigkeit constatirt werden müsse. Im Zweifel
muss hier die Analogie der Grundsätze über die Constatirung der
Nothwendigkeit einer Regentschaft entscheiden.
8.
So Württembergische Verfassungsurkunde §. 11—13. Säch-
sische Verfassungsurkunde §. 9. Bayerische Verfassungsurkunde
II., 9. 11. Grossherzoglich Hessische Verfassungsurkunde §. 5.
Kurhessische Verfassungsurkunde §. 9. Preussische Verfassungs-
urkunde §. 56. Ueber die Hannoversche Verfassungsurkunde
§. 17. siehe Zachariä a. a. O., §. 70. Note 9.
1.
Dieser Satz ist also jetzt nicht mehr auf das Princip der
successio ex pacto et providentia majorum zurückzuführen.
2.
Die Oldenburgische Verfassungsurkunde von 1852 Art. 197.
§. 3. und das Coburg-Gothaer Staatsgrundgesetz von 1852 §. 159.
knüpfen an die Verweigerung des Angelöbnisses der Haltung der
Verfassung das Präjudiz, dass inzwischen das Staatsministerium
regiert. Gegen die seltsame Auffassung des Satzes der Württem-
bergischen Verfassungsurkunde §. 10. bei Mohl, Württembergi-
sches Staatsrecht I., S. 172. flg. (welcher den König vorher nicht
als König behandelt wissen will, ohne sagen zu können, was er
denn eigentlich sei, da er sicher auch nicht mehr Kronprinz ist),
3.
Siehe die Nachweise bei Zachariä a. a. O. S. 366 flg. und
Kraut, die Vormundschaft, 3. Bd. S. 156. Schon die goldene
Bulle VII. 4. hatte das 18. Jahr. Einzelne Verfassungsurkunden
haben das 21. Jahr. Fehlt es an einer Bestimmung, so wird der
allgemeine landesgesetzliche Volljährigkeitstermin auch für die
Regierungsmündigkeit gelten müssen.
4.
Meine Schrift über öffentliche Rechte, S. 68., und meine
Abhandlung in Aegidi’s Zeitschrift für deutsches Staatsrecht,
Bd. 1. S. 11 flg.
2.
siehe richtig Held, System des Verfassungsrechts II., S. 272.
Note 2. und S. 295. Note 1.
5.
Ueber die seltsamen Mittel, mit denen sich das ältere Staats-
recht behalf, das den Thronfolger bald als heres, bald als successor
singularis behandeln wollte, siehe Zachariä a. a. O. S. 353 flg.
Wenn man auch jetzt noch bisweilen der Ansicht begegnet, der
Thronfolger sei als successor singularis zu behandeln, so ist auch
diese Bezeichnung als eine unrichtige zu verwerfen, da sie eben-
falls auf privatrechtlichem Gesichtspunkte beruht. Zwischen dem
ausgeschiedenen und dem neuen Monarchen besteht nur das Ver-
hältniss eines zeitlichen Nacheinander.
6.
Nur von diesem Standpunkte aus ist auch eine richtige Be-
urtheilung der Frage möglich, ob die Regierungshandlungen
eines s. g. Zwischenherrschers nach stattgehabter Restaura-
tion des legitimen Fürstenhauses als rechtsbeständig betrachtet
werden müssen. Zachariä a. a. O. §. 78.
7.
Dass zwischen dem Thronfolger und dem verstorbenen
Monarchen auch privatrechtliche Erbschaftsverbindungen statt-
finden können, versteht sich von selbst. Diese sind aber völlig
unabhängig von der Thronfolge.
1.
Der Monarch hat nur die Macht, sein eigenes Recht, Monarch
zu sein, durch Entsagung hinwegzuschaffen; wer dann, nach
seinem Wegfalle, Monarch sein wird, ist bereits durch die Thron-
folgeordnung unabänderlich bestimmt (vergl. oben §. 29., 7.).
Uebrigens genügt zur Thronentsagung der einseitige Entschluss
des Monarchen, der damit in die Reihe der Unterthanen zurück-
tritt, wenn ihm auch mancherlei Ehrenrechte seiner früheren
Würde verbleiben.
2.
Die Verfassung verlangt einen wirklichen Monarchen, der
alles das vermag, was sie als Inhalt des Monarchenrechts hinstellt
(das ältere deutsche Fürstenrecht mag auch in diesen Beziehungen
zu anderen Principien geführt haben). Die Frage übrigens, ob
ein unter solchen Einschränkungen und Bedingungen geschehener
Thronverzicht nichtig sei, oder ob nur der Zusatz für nicht ge-
geben gelten müsse, ist nach denselben Grundsätzen zu entschei-
den, nach welchen im Privatrechte die Wirkung der Hinzufügung
unmöglicher Bedingungen u. s. w. zu nicht erbrechtlichen Rechts-
handlungen beurtheilt wird. — Daher ist nach den neueren Ver-
fassungen die Annahme eines Mitregenten in dem Sinne, dass der
bisherige Monarch sein Recht theilweise aufgebe und den Nach-
folger zur Gemeinschaft im Monarchenrechte berufe, so dass in
3.
Etwa Thronentsetzung durch Agnaten oder Stände.
1.
Welches diese Geschäfte sind, lässt sich nicht mit sicherer
Abgränzung bestimmen, da hierbei immer sehr viel auf subjective
2.
Wahrheit das letztere zwei Inhabern zusammen zustehen soll (wie
in Sachsen 1830, in Kurhessen 1831, in Anhalt-Bernburg 1855),
rechtlich nicht mehr statthaft. In der Regel ist dabei freilich
mehr an eine bequemere Form der Abdication gedacht, indem
meist der Mitregent in Wirklichkeit der Monarch sein soll, der
bisherige Monarch sich aber den Glanz der Majestätsrechte be-
wahren will. Ueber eine andere Auffassung dieses Verhältnisses
siehe §. 34. Note 7.
2.
Dieser Satz ist bekanntlich ein Fundamentalsatz im politi-
schen Zusammenhange des constitutionellen Staatsrechts, welches
für jeden Regierungsact die Verantwortlichkeit bestimmter Per-
sonen fordert, die Person des Monarchen selbst aber jeder Ver-
antwortung entzieht. Die staatsrechtliche Bedeutung dieses
Satzes wird namentlich im §. 58. hervortreten. — Einige Ausnah-
men von der Nothwendigkeit der Contrasignatur werden sich aber
doch rechtfertigen lassen. So ist z. B. in manchen Staaten die-
selbe nicht üblich bei der Verleihung von Orden und anderen
Ehren, obschon auch sie zu den Regierungshandlungen gehört.
Auch die Ernennung von Ministern muss ohne Contrasignatur
zulässig sein, indem sonst der Monarch, wenn nämlich das abtre-
tende bisherige Ministerium die Mitwirkung bei der Berufung
1.
Anschauung ankommen wird. In der Regel wird dahin gehören
die Ausübung des Begnadigungsrechts, die Bestätigung der To-
desurtheile, die Anstellung der höheren Beamten. Vor Allem
gehört ferner dahin die Solennisirung von Gesetzen, die Berufung
und Auflösung der Ständeversammlung. Ferner die Ertheilung
wichtigerer Privilegien, Dispensationen, Standeserhöhungen,
Staatsauszeichnungen; sodann die Repräsentation des Staats nach
Aussen, Absendung und Empfang von Gesandten, Entscheidung
über Krieg und Frieden, Abschluss von Staatsverträgen und
Bündnissen.
3.
Dass der contrasignirende Minister derjenige sei, in dessen
Geschäftskreis die fragliche Verfügung fällt, ist zwar natürlich und
der Ordnung entsprechend; aber dem rechtlichen Erfordernisse
der Contrasignatur würde doch schon durch die Gegenzeichnung
irgend eines Ministers genügt sein, wenn nicht die Verfassung
ausdrücklich etwas Anderes vorschreibt. Das Letztere ist z. B.
der Fall in dem Bayerischen Gesetze vom 4. Juni 1848 §. 4., dem
Hannoverischen Gesetze vom 5. September 1848 §. 102. und in ge-
wisser Beziehung auch der Sächsischen Verfassungsurkunde §. 43.
4.
Eine verständige Besprechung dieses Gegenstandes giebt
Mittnacht in der deutschen Vierteljahrsschrift von 1864, 2. Heft
2.
neuer Minister versagte, leicht in die Unmöglichkeit versetzt wer-
den könnte, Minister zu berufen. Dass der Monarch als oberster
Befehlshaber des Kriegsheers und in Ausübung seiner protestanti-
schen Episcopalrechte die Contrasignatur nicht bedarf, ist nicht
als eine Ausnahme obigen Grundsatzes zu betrachten. Offenbar
aber ist es eine Uebertreibung, wenn man diesen Satz häufig so
auffasst, dass dadurch der Monarch auch bei jeder persönlichen
Kundgebung, welche nicht ein Regierungsact ist, z. B. einer An-
sprache an die Stände, an die Mitwirkung der Minister gebunden
sei. Deutsches Verfassungsrecht ist diess sicher nicht.
5.
Die Hannoverische Verfassungsurkunde §. 16. (vgl. mit §. 18.)
verlangt, dass der König, wenn er eine einzelne Person zum Stell-
vertreter bestelle, einen der zur Regentschaft befähigten Agnaten
wähle (oder ein Mitglied eines anderen deutschen Regentenhauses).
6.
Manche Verfassungen sprechen ausdrücklich aus, was auch
ohnediess anerkannt werden müsste, dass der Umfang einer solchen
Vollmacht nicht grösser sein kann, als der, welchen das Ver-
fassungsrecht dem Regenten zubilligt. Denn die Begränzung der
höchsten Vertretungsgewalt, welche das Gesetz kennt, soll natür-
lich auch für alle geringeren Vertretungen des Monarchen gelten.
7.
Der Begriff „längere Dauer“ ist freilich sehr unbestimmt.
Zu weit geht aber Rönne, Preussisches Staatsrecht §. 85., wenn er
bei jeder Verhinderung, während welcher nicht durch das Staats-
ministerium die Geschäfte ohne Stockung fortgeführt werden
könnten, sofort die Regentschaft eintreten lassen will.
8.
Der rechtliche Unterschied des Stellvertreters vom Regenten
besteht hauptsächlich in Folgendem. Der Stellvertreter ist kraft
4.
S. 222 flg. Siehe auch Mohl, Staatsrecht, Völkerrecht u. Politik,
1. Bd. (1860) S. 156 flg. Einzelne Verfassungen schweigen darüber,
andere sprechen ausdrücklich das Recht des Monarchen aus, in
Verhinderungsfällen das Erforderliche vorzukehren, z. B. Bayeri-
sche Verfassungsurkunde II., §. 9. 11., Sächsische §. 9., Kurhessische
§. 7., Hannoverische §. 16., Oldenburgische Art. 16. 1. — Mit Recht
fordert Mittnacht S. 240 flg., abgesehen von der gehörigen
officiellen Bekanntmachung der Aufstellung einer Stellvertretung,
auch die Contrasignatur der Minister bei einer solchen Verfügung.
1.
Ein weiterer, in der Verfassung nicht besonders aufgeführ-
ter, aber selbstverständlicher Fall der Regentschaft ist der, wenn
der Monarch stirbt und eine schwangere Wittwe vorhanden ist,
deren Kinde, vorausgesetzt in der Regel, dass es ein Prinz wäre,
die Thronfolge zustehen würde.
2.
Körperliche Gebrechen können nicht minder als geistige
regierungsunfähig machen. Die Beschränkung auf geistige Ge-
brechen in der Hannoverischen Verfassungsurkunde §. 17. erklärt
sich, wie manche andere hierher bezügliche eigenthümliche Sätze,
aus besonderen Verhältnissen, welche zur Zeit der Erlassung dieser
Bestimmung in Hannover vorlagen.
3.
Hier ist an den Fall längerer Krankheit oder Abwesenheit
gedacht.
8.
Auftrags des Monarchen, der Regent unmittelbar durch das Gesetz
berufen; beide handeln Namens des Monarchen, aber jener nur
auftragsmässig, d. h. nach dem ausdrücklichen oder vermutheten
Willen des Auftraggebers, dieser dagegen aus seiner eigenen
freien Entschliessung; der Stellvertreter ist, wenn seine Vollmacht
auch noch so umfassend ist, immer nur zu einer Menge einzelner
Handlungen ermächtigt, während das Gesetz dem Regenten (ab-
gesehen von einigen Beschränkungen) den gesamten Inhalt des
Monarchenrechts als ein rechtliches Ganze überträgt; endlich ist
der Stellvertreter für die Ausführung des übernommenen Auftrags
dem Auftraggeber selbst und dem Lande verantwortlich, während
dem Regenten die Nichtverantwortlichkeit des Monarchen zukommt.
4.
Der Gesichtspunkt, dass die Regentschaft eine Art der
Thronfolge sei, scheint mir für die ganze juristische Behandlung
des Instituts entscheidend zu sein. Der Fall des Eintritts der
Regentschaft ist ein unvollkommener Fall der Thronerledigung.
Es ist zwar ein Monarch vorhanden, aber ein solcher, der das
Monarchenrecht nicht ausüben kann; insoweit ist der Thron leer.
— Auch das Recht, in dieser beschränkteren Weise Inhaber des
Monarchenrechts zu sein, ist in dem Thronfolgerechte enthalten.
5.
Die Nothwendigkeit eines Gesetzes, oder doch die Zustim-
mung der Stände zur Constatirung dieses ausserordentlichen
Falles der Regentschaft ergiebt sich aus der Erwägung, dass kein
Einzelner, auch keine Behörde die Verantwortlichkeit einer
solchen Bestimmung zu tragen und in einer so schwierigen Situa-
tion eine Entscheidung zu geben vermöchte, welche auf allge-
meine Anerkennung rechnen könnte. Daher wird sie auch über-
all in den Verfassungen vorgeschrieben; siehe z. B. Preussische
Art. 56., Bayerische II., 11., Sächsische §. 11., Hannoverische §. 20.,
Württembergische §. 13. Die Mitwirkung der Agnaten (wobei
häufig der zur Regentschaft zunächst Berufene ausgeschlossen
wird) rechtfertigt sich bei dieser Angelegenheit nicht bloss aus
uraltem Herkommen, sondern durch die Natur der Sache; sie sind
es, welche am besten über die geistige und körperliche Beschaffen-
heit des Monarchen zu urtheilen vermögen und von ihnen darf
vorzugsweise erwartet werden, dass sie die Verantwortung einer
6.
In diesem Falle würde es nach allgemeiner juristischer
Betrachtung eines Gesetzes nicht bedürfen, sondern nur der Mit-
theilung
des Monarchen an die Stände.
7.
Der Monarch hat das Recht und die Pflicht, zu regieren.
Will er diess nicht, so kann er dem Throne entsagen. Kann er
diess nicht, so tritt eine Regentschaft ein. Diess sind die gege-
benen Möglichkeiten. Daher kann auch nach den neueren Ver-
fassungen die Annahme eines Mitregenten, wenn darunter nur eine
willkührlich herbei geführte Regentschaft verstanden sein sollte,
nicht mehr als zulässig betrachtet werden. Jede Regentschaft
muss als etwas Ausserordentliches, als ein Nothbehelf angesehen
werden, der nur ertragen zu werden braucht, wenn eine gegrün-
dete Veranlassung dazu vorliegt.
8.
In dem Verzichte eines Agnaten auf die Führung der Regent-
schaft würde noch nicht ein Verzicht auf die Thronfolge liegen.
5.
Initiative übernehmen. Nach Preussischem Rechte (Verf. 56.) hat
der zur Regentschaft berufene Agnat nicht erst das Gesetz abzu-
warten, sondern übernimmt sofort die Regierung und erwirkt nach-
träglich den Beschluss der Stände. Uebrigens ist das Verfahren
in dieser Angelegenheit particularrechtlich verschieden. Immer
aber wird dabei anderen Personen als dem Monarchen (dem
nächsten Agnaten oder dem Staatsministerium) eine ausserordent-
liche Ermächtigung zur Berufung der Stände durch das Gesetz
beigelegt.
9.
Daher behauptet Mohl (Württembergisches Staatsrecht I.,
§. 61. Note 4.), dass ein Regent beim Eintritte der Thronmündigkeit
des wegen unzureichenden Alters anfangs übersprungenen nähe-
ren Agnaten die Regentschaft an diesen wieder abgeben müsse.
Diese Ansicht ist schwerlich haltbar. Denn abgesehen davon, dass
mit dem Wesen der Staatsoberhauptschaft ein Satz schwer ver-
einbar sein möchte, der einen gar zu häufigen Wechsel zur Folge
haben würde, so ist dieselbe auch juristisch gar nicht begründet.
Es kann im Allgemeinen keineswegs als selbstverständlich be-
trachtet werden, dass die für den Erwerb eines Rechts bestehen-
den Voraussetzungen immer auch fortdauernde Bedingungen
seiner Innehabung sind. Vielmehr muss im Zweifel ihre Erfüllung
im Momente des Erwerbs genügen.
10.
Dieser Gesichtspunkt, dass die Regentschaft eine Art Vor-
mundschaft sei (daher „Regierungsvormundschaft“), beherrscht
auch die ältere Literatur. Es ist hier einer der Punkte, wo die
Wissenschaft die besondere Aufgabe hat, das neuere Verfas-
sungsrecht von dem älteren fürstlichen Hausrechte zu scheiden.
Noch die ganze Darstellung Kraut’s (Vormundschaft III. 1859,
S. 111 flg.) bewegt sich in dem Rahmen des alten Hausrechts;
daher verbindet er durchweg die Lehre von der Regentschaft mit
der Lehre von der Vormundschaft in standesherrlichen Häusern;
daher giebt es nach ihm über den Reichsregenten eines souverai-
nen Staats nur deshalb keine Obervormundschaft mehr, weil nach
Auflösung des deutschen Reichs keine Behörde mehr dafür existirt;
daher behandelt er (S. 242.) ganz ernsthaft die Frage, ob auch der
Regierungsvormund ein vormundschaftliches Honorar fordern
könne u. s. w.
11.
Eine Zusammenstellung des Rechts der verschiedenen Ver-
fassungen giebt Zöpfl, Staatsrecht, §. 239. Ganz correet sind
nur die Bestimmungen der Preussischen, Sächsichen und Württem-
bergischen Verfassung. (Siehe auch das Raisonnement Mohl’s in
der §. 33. Note 4. angeführten Schrift S. 144 flg.)
12.
Denn er ist dem Staate gegenüber der wirkliche Monarch,
was Maurenbrecher, die deutschen regierenden Fürsten, S. 141.
Note 1, völlig verkennt. Im Zweifel müssen ihm übrigens auch im
fürstlichen Hause die Rechte eines Oberhauptes zuerkannt werden.
Ausserdem wird dem Regenten wohl auch noch ein besonderer
Einfluss auf die Erziehung des unmündigen Monarchen gegeben.
— Auch über den Antritt seiner Regierung müssen dieselben
Grundsätze gelten, welche bezüglich des Regierungsantritts eines
wirklichen Monarchen bestehen.
13.
Bayerische Verfassungsurkunde II., 18., Sächsische §. 12.,
Hannoverische §. 23., Württembergische §. 15. Bei diesen und
anderen Beschränkungen ist einseitig das persönliche Interesse
des Monarchen, aber weniger das Interesse des Staats ins Auge
gefasst worden, der das Bedürfniss hat, dass seine monarchische
Institution stets mit ihrer ganzen Ausstattung in Wirksamkeit sei.
14.
Der Grund dieses Satzes ist: da die Unverantwortlichkeit ein
wesentliches Element der monarchischen Institution ist, so muss
sie auch dem Regenten zustehen, welcher das Monarchenrecht inne
hat. Manche knüpfen hieran den gewiss unrichtigen Satz, dass
der Regent aber dann, wenn er nach Beendigung der Regentschaft
wieder in den Privatstand zurückgetreten sei, wegen seiner Re-
gentenhandlungen zur Rechenschaft gezogen werden könne; mit
demselben Rechte würde auch behauptet werden können, dass
der Monarch, wenn er abdicirt hat, wegen seiner Handlungen als
Staatsoberhaupt zur Verantwortung gezogen werden dürfe. — Die
eigentlichen Majestätsehren gebühren dem Regenten nicht. Wohl
aber geniesst auch er einen höheren strafrechtlichen Schutz der
Integrität seiner Person. Dagegen hat er Anspruch auf eine
besondere Dotation aus der Staatscasse; passend wird ihm in
manchen Verfassungen ein Antheil an der Civilliste gewährt.
15.
Sie erlischt auch von selbst, wenn der Monarch stirbt und
nun die wirkliche Thronfolge eintritt.
16.
Auch hier handelt es sich wieder um die Constatirung der
Thatsache, wie oben Note 5. Im Zweifel muss für die Beendigung
des Verhältnisses dasselbe Verfahren gelten, als für die Begrün-
dung. — Die Frage über die Anerkennung der Regierungshand-
lungen des Regenten durch den eintretenden Monarchen ent-
scheidet sich nach dem hier angenommenen Principe ganz von
selbst.
1.
Aus der neueren Literatur über die Lehre vom Staatsdienste
sind folgende Schriften hervorzuheben: Gönner, der Staatsdienst
aus dem Gesichtspunkte des Rechts und der Nationalöconomie
betrachtet 1808. Heffter, Beiträge zum deutschen Staats- und
Fürstenrechte, 1829. S. 106 flg. Perthes, der Staatsdienst in
Preussen, ein Beitrag zum deutschen Staatsrechte 1838. Ferner
die Darstellung bei Zachariä, deutsches Staats- und Bundes-
recht, 2. S. 17 flg.
2.
Ueber die geschichtliche Entwickelung dieser Organisation
siehe Zachariä a. a. O. S. 3 flg. — Das Princip, auf welchem
die heutige Einrichtung des Staatsdienstes überall beruht, ist das
der Centralisation. Die ganze Staatsarbeit wird nach Mass-
3.
Es ist ein Act der Gerechtigkeit, zu constatiren, dass die
unermessliche Entwickelung der Cultur des deutschen Volks in
öconomischer und politischer Hinsicht seit den letzten funfzig
Jahren zum grossen Theile auf der Arbeit des Staatsdienstes
beruht.
4.
Manche Aemter werden durch Collegien, andere durch Ein-
zelbeamte vertreten.
2.
gabe der materiellen Verschiedenheit ihrer Richtungen auf be-
sondere Departements vertheilt (Justiz, Inneres, Aeusseres, Fi-
nanzen, Cultus, Krieg, — vielleicht auch noch Handel und Acker-
bau); an der Spitze jedes Departements steht ein verantwortlicher
Minister, welchem alle Diener dieses Departements untergeben
sind. Diese Centralisation, durch welche allein eine wahrhaft
einheitliche Wirksamkeit der Staatsgewalt möglich ist, verdient
nicht Tadel, sondern nur volle Anerkennung. Eine andere Art
der Centralisation dagegen verdient zum Theil die viel gehörten
Vorwürfe; sie besteht darin, dass die Entscheidung aller, auch der
geringsten Angelegenheiten des Staats, den Ministerien vorbehal-
ten wird, während die Provinzial- und Localbeamten aller Selb-
ständigkeit beraubt werden. Nicht zu verwechseln mit diesem
Vorwurfe ist der, dass in manchen Ländern der Staat die selbstän-
digen Kräfte der Gemeinden, Corporationen und Einzelnen für die
Arbeit zum öffentlichen Wohle des Volks unberücksichtigt lässt,
dass er da, wo diese letzteren zu naturgemässer Mitwirkung herbei-
gezogen werden sollten, nur Beamte thätig sein lässt, und das
ganze Volksleben in den Rahmen eines Schreibermechanismus
hineinzwängt. Diesem letzteren Uebelstande gelten in der Regel
auch die Klagen über „Bureaukratie“ und das übergrosse „Be-
amtenheer.“ Es ist mit Zuversicht zu erwarten, dass die Um-
bildung, in welcher unser Staatswesen und unser Volksthum jetzt
überall begriffen ist, diese Uebelstände allmählich beseitigen wird;
es handelt sich um eine Krankheit, welche nur durch innere Ge-
sundung und Kräftigung des politischen Characters des Volks
gehoben werden kann. Siehe oben §. 10, 3.
5.
Ihre öffentliche Stellung entspringt nicht aus der Eigen-
schaft eines unmittelbaren Organs des Staats, sondern aus der
Autorisation durch den Monarchen.
6.
Sehr ansprechend entwickelt diess Perthes a. a. O. S. 32 flg.
Der Staatsdiener, sagt dieser, „soll nicht handeln, wie er handeln
würde, wenn er Souverain wäre, sondern wie der Souverain handeln
würde, wenn derselbe sich an des Staatsdieners Stelle befände.“
7.
Die ältere Jurisprudenz versuchte das Staatsdienstverhält-
niss auf privatrechtliche Gesichtspunkte zurückzuführen (Mandat,
Dienstmiethe, Precarium, Dienstvertrag), und gelangte so zu Re-
sultaten, welche die Stellung des Staatsdieners der Willkühr des
Dienstherrn fast völlig preis geben. Eine Uebersicht über die
älteren Theorien giebt Zachariä a. a. O. S. 26 flg. Der Gesetz-
gebung dieses Jahrhunderts gebührt mehr als der Literatur das
Verdienst, die richtigen Gesichtspunkte festgestellt zu haben.
8.
Preussische Verfassungsurkunde §. 86 flg. 98. Sächsische
§. 41 flg. Hannoverische §. 168 flg. Württemb. §. 43 flg. u. s. w.
9.
Für Preussen gab schon das Preussische Landrecht II., 10.
eine Codification des Staatsdienstrechts. Besonders wichtig war
aber die Bayerische Pragmatik vom 1. Januar 1805, dann das
Edict vom 26. Mai 1818 (als Beilage IX. der Verfassungsurkunde).
Ferner die Württembergische Dienstpragmatik vom 28. Juni 1821,
die Badische vom 22. Juni 1819 und das Königlich Sächsische
Staatsdienergesetz vom 7. März 1835, — denen dann in den meisten
Staaten ähnliche nachgebildet worden sind. Siehe die Nachweise
bei Zachariä a. a. O., §. 133. Note 15. Particularrechtsdarstel-
lungen geben: v. Rönne, Preussisches Staatsrecht II., S. 296 flg.
Pözl, Bayerisches Verfassungsrecht, S. 428 flg. Mohl, Württem-
bergisches Staatsrecht II., S. 81 flg. Milhauser, Sächsisches
Staatsrecht, S. 203 flg.
10.
Particularrechtlich ist diess anders. — Dass die Diener der
Kirche und der Gemeinden, obschon auch sie mit einzelnen staat-
lichen Functionen betraut werden können und betraut zu werden
pflegen, nicht zu den Staatsdienern zu rechnen seien, sollte keinem
Zweifel unterliegen. Ebenso sind die Hofdiener des Monarchen,
welche aus der Civilliste besoldet werden, richtiger als Privat-
diener zu betrachten, da der Gesichtspunkt, dass auch der Glanz
der Majestät, welchem der Hofstaat dienen soll, ein staatliches
11.
Die Particulargesetze bestimmen diese Gränze in der Regel
mit namentlicher Hervorhebung der Kategorieen. Das Rechts-
verhältniss der Subalterndiener beruht dann in der Regel auf
einem kündbaren Dienstvertrage.
12.
Dahin gehören besonders die öffentlichen Lehrer. Aber
immerhin ist auch das vom Staate autorisirte Lehramt ein wirk-
liches Amt.
13.
Sie sind die nächsten Vertrauenspersonen des Monarchen,
weshalb derselbe rücksichtlich ihrer Anstellung wie ihrer Ent-
lassung völlig unbeschränkt sein muss. Auf der anderen Seite
darf auch der Rücktritt des Ministers wegen der auf ihm ruhen-
den Verantwortlichkeit durch keine Rücksichten erschwert sein.
Daraus ergiebt sich die Nothwendigkeit der Einrichtung eines
besonderen, von dem allgemeinen abweichenden Pensionsrechts
der Minister.
10.
Moment enthält, nicht entscheidend sein kann. — Dass bloss für
einzelne Geschäfte beauftragte Commissäre keine Staatsdiener
sind, ergiebt sich aus dem angegebenen Begriffe des Staats-
dienstes.
1.
Der Inhalt des Staatsdienstverhältnisses ist also kein solcher,
welcher dem Bereiche des Obligationenrechts angehört, sondern
schliesst sich an jene Classe organischer Rechtsverhältnisse an, von
denen das Privatrecht in dem Familienrechte (Rechte an Personen)
ein hervorragendes Beispiel hat, und unter welche oben (siehe bes.
§. 16. Note 2.) schon das Unterthanenverhältniss überhaupt gestellt
wurde. Dass aber das Recht des Staats am Staatsbürger trotz
der Gemeinschaft des Gattungsbegriffs nicht ein und dasselbe sei
mit dem Gewaltrechte des Monarchen am Staatsdiener, dass dieses
insbesondere nicht etwa nur als eine Steigerung des ersteren an-
gesehen werden dürfe, ist von denen verkannt worden, welche die
Leistung des Staatsdienstes nur als eine besondere Art der Er-
füllung der staatsbürgerlichen Pflichten haben auffassen wollen.
Es sollte kaum als nothwendig erscheinen, die Verschiedenheit der
Stellung des Staatsbürgers, von dem der Staat (abgesehen von der
Militärpflicht und dem Geschwornendienste) in der Regel gar keine
active Thätigkeit für Staatszwecke in Anspruch nimmt, zu der
Stellung des Staatsdieners hervorzuheben, der in einen seine ganze
geistige Kraft erschöpfenden Arbeitskreis eintritt und sich einer
Reihe von Pflichten und Beschränkungen unterwirft, wie sie nur
ein persönliches Abhängigkeitsverhältniss mit sich bringt. Ein
in mancher Beziehung analoges Verhältniss war die persönliche
Verbindung des Lehnsherrn und Vasallen.
2.
Er hat, so oft es verlangt wird, Rechenschaft abzulegen.
3.
Dahin gehört, dass er kein Gewerbe treiben, zur Eingehung
einer Ehe die Genehmigung seiner Vorgesetzten haben muss
u. A. m. Auf der anderen Seite ist er freilich in der Regel auch
von manchen allgemeinen Pflichten, z. B. zur Uebernahme von
Vormundschaften und Gemeindeämtern, befreit.
4.
Die verschiedenen Disciplinarmittel, welche seine vorgesetzte
Disciplinarbehörde verfügen darf, sind: Warnung, Verweis, Geld-
strafen, Suspension, Strafversetzung, Zurücksetzung, Entlassung.
5.
Von dieser Verpflichtung zu treuer Hingebung an die Per-
son des Staatsoberhaupts wusste man früher keine Ausnahme
aufzustellen. Seit der Entwickelung des constitutionellen Lebens
in seiner neuesten Gestalt ist diess aber anders geworden. Der
Staatsdiener ist zugleich Staatsbürger und nimmt die verfassungs-
mässigen Rechte eines solchen mit allen Consequenzen in An-
spruch. Als Wähler und Abgeordneter betheiligt er sich bei einer
organisirten Partei, tritt wohl dem Monarchen und seiner Regie-
rung feindselig entgegen, und sowie sich formell hiergegen kein
Einwand erheben lässt, so glaubt er diess mit seiner Staatsdiener-
stellung auch materiell durch die Erwägung vereinbaren zu
können, dass es etwas ganz Anderes sei, wenn er als Staatsdiener,
und wenn er als Staatsbürger handle, oder dass er nur gegen das
gerade am Ruder befindliche Ministerium, nicht aber gegen den
Monarchen wirke (mit dieser Theorie beruhigt sich v. Rönne,
Preuss. Staatsrecht, §. 295. Note 2). Dass eine solche abstracte
Scheidung verschiedener Rollen zu einem Punkte führen kann,
auf dem sie mit der vollen Hingabe der Persönlichkeit, wie sie der
6.
Die ganze Idee der Aemterorganisation beruht auf der
Voraussetzung, dass der untere Beamte den ordnungsmässig ver-
kündeten Befehlen seiner competenten Oberbehörde Gehorsam
leiste und seine Nachachtung nicht von dem Ausfalle einer eigenen
Kritik abhängig mache. Allerdings aber ist er nicht bloss be-
rechtigt, sondern auch verpflichtet, zu remonstriren, wenn er sich
von ihrer Rechtswidrigkeit oder sonstigen Unzulässigkeit über-
5.
Staatsdienst verlangt, nicht wohl vereinbar ist, bedarf für die-
jenigen, welche zum Wesen der Compatibilität etwas mehr als die
blosse Straflosigkeit eines Verhaltens verlangen, keines Beweises.
Es ist viel Wahrheit in der Ansicht, dass ein Staatsdiener, wenn
er kraft willkührlichen Entschlusses den Beruf eines Abgeord-
neten ergreifen und als solcher der Regierung in feindseliger
Parteistellung gegenüber treten will, diess in loyaler Weise nur
nach dem Austritte aus seinem Dienstverhältnisse thun könne; er
könne einer Regierung, als deren offener Gegner er sich darstellt,
nicht zumuthen, dass sie ihn gleichzeitig als Vertrauensperson
betrachte. Nicht weniger wäre aber ein Abgeordneter zu ver-
werfen, der seine Ueberzeugungen aus Rücksicht auf die Er-
haltung seiner Staatsdienststelle modificiren würde. Dieser Punkt
wird für die künftige Entwickelung des deutschen Staatsdienst-
rechts entscheidend sein. Wollen wir unseren bisherigen deutschen
Staatsdienst mit allen seinen Vorzügen als rechtlich gesicherten
Lebensberuf festhalten, so werden wir auf die Forderung der Zu-
lassung einer solchen Doppelrolle verzichten müssen, deren innerer
Zwiespalt nur zufällig bei Personen von besonderer Mässigung
verdeckt wird; anderenfalls scheint es mir unvermeidlich, dass
unser deutsches Institut allmählich durch das Princip der eng-
lischen Parteiwirthschaft verdrängt wird. Dieser Entwickelungs-
process wird sich zunächst in den deutschen Grossstaaten voll-
ziehen. Denn in den kleineren Staaten, in denen man den Eintritt
der Staatsdiener in die Kammern wegen Mangels genügender un-
abhängiger Capacitäten wohl gar begünstigt, nehmen solche
Fragen nicht leicht eine Dimension an, welche zur principiellen
Entscheidung hindrängt.
7.
Eine Folge davon ist der besondere strafrechtliche Schutz
gegen Amtsehrenbeleidigung.
8.
Diess wird allgemein anerkannt, und wenn die Particular-
gesetze Beschränkungen aussprechen, so geschieht diess nicht, um
dem Staatsdiener ein unangreifbares Recht auf das Amt zu geben,
sondern um einer Ueberlastung des Pensionsfiscus vorzubeugen.
6.
zeugt. Bleibt seine Vorstellung fruchtlos, so ist er nicht bloss von
der Verantwortung befreit, wenn er den wiederholten Befehl nun-
mehr ausführt, sondern er ist dienstlich hierzu auch verpflichtet.
Ob er aber nicht in Fällen absoluter Rechtswidrigkeit des Be-
fehls hoffen darf, einen fortgesetzten Ungehorsam doch noch
schliesslich auch mit Festhaltung seines Dienstes durchzuführen
und zu rechtfertigen, liegt ausserhalb der regelmässigen Er-
wägung. Es ist hier übrigens bloss von der dienstlichen Ver-
antwortlichkeit gegenüber dem Dienstherrn die Rede; die Frage,
ob ein Staatsdiener sich durch Berufung auf den Befehl seines
Vorgesetzten auch von der straf- und civilrechtlichen Verantwort-
lichkeit befreien könne, ist eine ganz selbständige, welche zum
Theil nach anderen Grundsätzen zu beurtheilen ist. — In den par-
ticulären Bestimmungen besteht über alle diese Punkte eine sehr
erhebliche Verschiedenheit, indem manche den Beamten selbstän-
diger, andere ihn unselbständiger stellen. Siehe die Zusammen-
stellung bei Zachariä, Staatsrecht II., §. 137. Note 14.
9.
Eine Versetzung muss sich aus Gründen des öffentlichen
Interesses jeder Staatsdiener gefallen lassen, sofern sie auf eine
seiner bisherigen Stellung nach Art der Thätigkeit, Rang und
Diensteinkommen entsprechende Stelle geschieht. Bisweilen wer-
den die richterlichen Beamten ausgenommen. Dabei sollte der
ohne seine Schuld versetzte Staatsdiener immer Anspruch auf Um-
zugsentschädigung haben; aber er wird nicht allgemein aner-
kannt (oft wenigstens dann nicht, wenn die Versetzung eine Be-
förderung ist).
10.
Wie bei allen Gewaltverhältnissen dem Unterworfenen
Gegenrechte zustehen, welche als Reflexwirkungen des Gewalt-
rechts erscheinen, so auch hier.
11.
Also nicht eine taxirte Bezahlung seiner Dienste! Das
Wesen des deutschen Staatsdienstes besteht darin, dass er ein
Lebensberuf ist, in welchen man nur nach langer Vorbereitung
und mit Verzicht auf jede andere gewerbliche Nahrung eintritt,
bei dem man aber vom Staate die Leistung standesmässigen Un-
terhalts erwartet. Das Recht auf die Besoldung ist ein privat-
rechtliches Rentenrecht, welches gegen den Fiscus auch mit ge-
richtlicher Klage verfolgt werden kann. Es geniesst zu einem
bestimmten Theile ein Competenz- und Arrestprivilegium.
12.
In einem mehr oder weniger geminderten Betrage. —
Hieran schliesst sich in der Regel auch noch ein Recht auf eine
13.
Der Staatsdiener darf ausserdem auch noch Ersatz seines
besonderen Aufwands für den Dienst in Anspruch nehmen, und
dieser ist bisweilen in runder Summe fixirt (Entschädigung für
Dienstpferde, Repräsentationsgelder, Canzleiaufwand). Aber Be-
züge dieser Art dauern nur so lange, als die wirkliche Amtsaus-
übung besteht.
1.
Die Bedeutung, welche der Vertrag bei der Begründung des
Staatsdienstverhältnisses hat, ist ähnlich derjenigen, welche dem
Vertrage bei der Eingehung einer Ehe zukommt. Er bereitet
den Eintritt des Rechtsverhältnisses vor, aber der Inhalt dieses
letzteren selbst besteht dann nicht als ein vertragsmässiger, son-
12.
Wittwen- und Waisenpension, welches ebenfalls auf der Conse-
quenz der in der Note 11. entwickelten Gesichtspunkte beruht.
2.
Auch regelmässig nicht ein Recht auf Vorrücken nach Mass-
gabe der Anciennetät.
3.
Diess ist zwar bestritten, aber es folgt mit Nothwendigkeit
aus dem in der Note 1. zum §. 36. Bemerkten. Auch wird es da-
durch bestätigt, dass die Gesetze allgemein die Befugniss des
Staatsdieners anerkennen, jederzeit seine Entlassung zu begehren.
Denn eine Staatsbürgerpflicht, ein Amt anzunehmen, müsste
auch die Pflicht einschliessen, es zu behalten.
4.
Es ist für diese Interessen ganz gleichgültig, ob die An-
stellung nur eine provisorische oder eine definitive war; denn diese
Unterscheidung bezieht sich in der Regel nur auf die Begründung
von Pensionsrechten, welche erst mit der definitiven Anstellung
1.
dern ruht auf einer durch das Wesen des Instituts gegebenen
Grundlage. Daher ist auch die Ansicht unrichtig, dass die recht-
liche Natur eines durch besonderen Vertrag eingeleiteten Dienst-
verhältnisses eine andere sei, als die eines Dienstes, welcher durch
landesherrliches Decret unter einfacher Verweisung auf das allge-
meine Staatsdienstrecht begründet worden ist.
1.
Der Staat kann vorher Rechenschaftsablegung, nach Be-
dürfniss auch Cautionsstellung fordern. Das Dienstverhältniss
kann übrigens natürlich nicht einseitig gelöst werden, daher die
Dienstpflicht erst mit der Ertheilung der Entlassung aufhört.
2.
Sie sollen Vertrauenspersonen sowohl des Monarchen als
des Volks sein; wenn sie fühlen, dass sie diess nicht mehr sind,
mögen sie zurücktreten, ohne dabei ihre bürgerliche Existenz zum
Opfer bringen zu müssen. Siehe §. 35. Note 13.
3.
Eine vorübergehende Pensionirung (auch wohl Quiescirung
im engeren Sinne, Stellung zur Disposition, auf Wartegeld, ge-
4.
einzutreten pflegen. In den meisten deutschen Staaten sind die
Anstellungen nichtrichterlicher Beamten erst einige Jahre hin-
durch provisorische in diesem Sinne.
4.
Höheres Lebensalter, Dienstuntüchtigkeit wegen körper-
licher oder geistiger Gebrechen u. s. w.
5.
Z. B. im Falle der Wiederherstellung seiner Gesundheit.
6.
Vergehen und Verbrechen, welche den Verlust des Amtes
zur Folge haben würden, werden in der Regel auch als Verlust-
gründe der Pension betrachtet. Ausserdem wird die Pension
durch Eintritt in fremde Staatsdienste verloren. — Particularrecht-
lich wird das Recht eines definitiv Pensionirten (wie z. B. die Pen-
sion als s. g. Standesgehalt in Bayern, siehe Pözl, S. 453 flg.)
zum Theil anders behandelt.
3.
nannt) findet namentlich statt, wenn ein Staatsdiener wegen einer
Veränderung der Aemterorganisation zeitweilig ausser Thätigkeit
gesetzt wird. Ein in dieser Weise Quiescirter muss jedes seiner
bisherigen Dienststelle entsprechende Amt oder Geschäft über-
nehmen, welches ihm angetragen wird.
7.
Siehe z. B. v. Rönne, Preussisches Staatsrecht, §. 297.,
v. Mohl, Württembergisches Staatsrecht II., S. 125 flg. Blosse
Suspension (mit und ohne Entziehung des Gehalts) kommt sowohl
als Disciplinarstrafe, wie als provisorische Massregel bei der Ein-
leitung einer Untersuchung vor.
1.
v. Campe, die Lehre von den Landständen nach gemeinem
deutschen Staatsrechte, 2. Aufl. 1864.
2.
So und nicht anders fasst das deutsche Staatsrecht die
Stellung der Landstände auf.
3.
Die Ansicht, dass die heutigen Stände eine unmittelbare
Fortsetzung der älteren Stände seien, etwa nur modificirt nach dem
Bedürfnisse der Gegenwart, ist gewiss unrichtig. Diess selbst für
diejenigen Länder, welche in die neue Verfassung einzelne Ele-
mente der älteren ständischen Verfassung aufgenommen haben.
4.
Eine sehr eigenthümliche Stellung nahm unter den älteren
ständischen Verfassungen die Württembergische ein. In Württem-
berg fehlte das Grundelement der Stände in den übrigen deutschen
Staaten, nämlich die Ritterschaft, da sich die schwäbischen Ritter
seit dem 16. Jahrhunderte von der Landeshoheit völlig befreit und
als reichsunmittelbar constituirt hatten. Hierdurch erhielt die
ständische Verfassung mit ihren Bürgermeistern und protestanti-
schen Prälaten einen rein bürgerlichen und damit auch allerdings
mehr staatsbürgerlichen Character. Dennoch aber wäre es ganz
unrichtig, wenn man deshalb in der Württembergischen Verfas-
sung schon eine der modernen Repräsentativverfassung gleich-
artige Erscheinung erblicken wollte.
5.
Damit hängen folgende weitere Eigenthümlichkeiten zusam-
men. Die Stände erschienen persönlich; sie konnten aber auch
Vertreter schicken, welche dann an Instructionen gebunden
waren. Die ständischen Ausschüsse waren regelmässige Manda-
tare der Stände. So weit und umfassend die Rechte der Stände
waren, welche sich auf die ständischen Privilegien bezogen, so
3.
Das Richtige ist vielmehr, dass die heutigen Stände in allen Haupt-
punkten einen directen Gegensatz zu den alten Ständen bilden.
Die Aehnlichkeiten beider Institute sind ganz äusserlicher Art.
Als einen durchgehenden historischen Satz kann man nur den
negativen hinstellen, dass das deutsche Recht kein absolutes
Monarchenrecht gestatten will.
6.
Bundesacte Art. 13.: „in allen Bundesstaaten wird eine land-
ständische Verfassung stattfinden.“ Hierzu die Wiener Schluss-
acte Art. 54—61. Ueber die Auslegung des sehr unbestimmten
Art. 13. wurde früher viel gestritten; siehe v. Campe a. a. O.
S. 234 flg.
7.
Man kann die neuen landständischen Verfassungen in ver-
schiedene Gruppen theilen: in solche, welche vor dem Jahre 1830,
wesentlich nach dem Vorbilde der französischen Charte von 1814
geschaffen worden sind; in solche, welche seit 1830 durch den
Anstoss der Ideen der Julirevolution, und in solche, welche unter
dem Einflusse des Jahres 1848 entstanden oder modificirt worden
sind. Der ständische Apparat ist meist dem des englischen Par-
laments, jedoch mehr in der Form nachgebildet worden, in welche
derselbe in Frankreich nach der Restauration oder unter dem
Julikönigthume gefasst worden war. Der Character einer land-
ständischen Institution liegt freilich nicht allein in dem Apparate,
auch nicht einmal allein in der Bestimmung der Rechte des Land-
tags, sondern vor Allem in der Art der Personen, denen die
Ausübung der landständischen Befugnisse anvertraut ist. Wenn
die Rechte des Landtags in zwei Staaten wörtlich gleich bestimmt
sind, aber die Landstände sind in dem einen Staate die Mitglieder
einer politischen Aristokratie, im anderen voraussetzungslos ge-
wählte Abgeordnete, so sind das in der That zwei gänzlich ver-
schiedene Verfassungen. Eine Aenderung des Wahlgesetzes ist
die wichtigste Aenderung der Verfassung selbst. In Deutschland,
5.
unentwickelt und unbestimmt war ihre Stellung zu den wirklich
grossen Angelegenheiten des inneren Staatslebens, z. B. der
Rechtsgesetzgebung, welche ihren individuellen Rechtskreis nicht
unmittelbar berührte. Der fast absolute Character ihres Steuer-
verwilligungsrechts muss privatrechtlich, nicht staatsrechtlich auf-
gefasst werden.
8.
Eine wahrhaft organische Stellung würde die Ständever-
sammlung freilich erst dann haben, wenn sie nicht als ein isolirtes
Volksinstitut bestände, sondern von einer Reihe anderer auf volks-
thümlicher Selbstverwaltung beruhender Einrichtungen umgeben
wäre, als deren Centrum sie sich gewissermassen darstellte. In
Deutschland sind die Landstände ohne Weiteres in ein Staats-
wesen aufgenommen worden, das sich durch ein ausgebildetes
Beamtenthum characterisirt, und haben ihr rechtes Verhältniss
hierzu noch nicht gefunden; die Institute der in manchen Ländern
vorkommenden Provinzialstände, des Bayerischen Landraths, der
Württembergischen Amtscorporation haben bis jetzt ihren Beruf
der Ergänzung und Ausgleichung noch nicht genügend erfüllen
können. In den kleineren Staaten treten die Missverhältnisse
dieser Situation weniger schroff hervor, sowie diese überhaupt
nicht der Platz sind, auf welchem die Frage über die Ausführ-
barkeit principieller Gestaltungen zum Austrage zu kommen pflegt.
Den grossen deutschen Staaten dagegen, in denen das neue
Princip in seiner vollen Wucht und ungehemmten Wirksamkeit in
Geltung tritt, werden die Krisen nicht erspart bleiben, welche sich
an jenes Verhältniss anknüpfen und neue, die Zukunft des consti-
tutionellen Systems bestimmende Entwickelungen hervorrufen
werden.
7.
wo nicht eine, sondern gegen dreissig Volksvertretungen herzu-
stellen waren, hat man diesen Punkt sehr unterschätzt, und sich
daran gewöhnt, Abänderungen des Wahlrechts verhältnissmässig
leicht zu nehmen.
9.
Vertreter des gesammten Volks in allen seinen Interessen
sind nicht etwa nur die gewählten Abgeordneten, sondern auch
die kraft ihres Amts oder kraft erblicher Berechtigung der Stände-
versammlung Angehörenden. Die entgegengesetzte Ansicht geht
wohl so weit, dass sie auch von den Wahlabgeordneten nur die
vom allgemeinen Volke und nicht die von engeren Kreisen und
Corporationen Gewählten zu den wahrhaft constitutionellen Stän-
den rechnet. Ein schwerer und nach verschiedenen Rücksichten
beklagenswerther Irrthum!
1.
Nebenrechte sind noch die den Ständen in manchen Ver-
fassungen beigelegten besonderen Befugnisse bezüglich der Ver-
waltung der Staatsschuld, der Ernennung der Beamten der Staats-
schuldenverwaltung u. s. w.
2.
Daher haben die Stände selbst keinerlei Art unmittelbarer
Regierungsacte vorzunehmen und keinen Theil der Staatsgewalt
zu eigener Ausübung überkommen. Auch ihr Antheil an der
Ausübung der gesetzgebenden Gewalt ist nicht der, dass sie die
Gesetzgeber oder Mitgesetzgeber wären, während dem Monarchen
etwa nur ein Veto zustände. Ihr Recht besteht allein darin, dass
der Monarch die in der Verfassung bestimmten Regierungshand-
lungen nicht anders als mit ihrer Genehmigung vornehmen kann.
— Von diesem Gesichtspunkte aus erscheint die seit 1848 mehrfach
geschehene Verleihung des Rechts der Initiative an die Stände, so
wenig fruchtbar es auch sein mag, principiell bedenklich (siehe
die richtige Würdigung dieses Punkts bei Zöpfl, Staatsrecht,
§. 372., Held, Verfassungsrecht II., S. 486 flg., Mohl, Staats-
recht, Völkerrecht, Politik, Bd. 2. S. 518 flg.). Obschon die Fest-
setzung des Art. 57. der Wiener Schlussaete das Princip der Thei-
lung der Gewalten und der parlamentarischen Regierung grund-
sätzlich verneint, so haben, wie nicht zu verkennen ist, einzelne
seit dem Jahre 1848 entstandene oder veränderte Verfassungen
3.
Nichts characterisirt das Wesen der constitutionellen Ver-
fassung mehr, als das im Texte dargestellte Verhältniss. Wie in
den übrigen organischen Rechtsverhältnissen — z. B. der Ehe —,
2.
doch diesen Standpunkt zum Theil verlassen. Auch der Art. 62. der
Preuss. Verfassung scheint damit im Widerspruche zu stehen.
4.
Auf Grund des zur Note 2. Ausgeführten.
1.
Die Corporationseigenschaft der älteren deutschen Stände
war ein Moment ihrer ganzen privatrechtlichen Stellung. Heut-
zutage könnte sie höchstens in der Bedeutung eines zufälligen
3.
so wird auch hier die gegenseitige Abgränzung nicht mit scrupu-
löser Aengstlichkeit gezogen; die Folge davon ist, dass man oft auf
ein non liquet stösst, dessen Erledigung von der vertrauensvollen
Gesinnung erwartet wird, welche man bei beiden Theilen voraus-
setzte. Aber auch darin ist eine Analogie des Verhältnisses der
beiden Staatsorgane zu den übrigen organischen Rechtsverhält-
nissen nicht zu verkennen, dass gemeinschaftlich für sie die
Voraussetzung besteht, die Ausübung der wirklich zustehenden
Rechte werde nur nach Massgabe sittlicher Selbstbeschränkung
erfolgen. Ein Ehegatte kann sich mit den sittlichen Grundlagen
der Ehe im schroffsten Widerspruche befinden, und doch kann
man ihm nicht nachweisen, dass seine Handlungen andere als
rechtmässige seien; „er gebraucht nur sein Recht!“ So kann eine
Regierung durch rücksichtslose Ausübung ihrer Rechte die Volks-
vertretung nahezu illusorisch machen, wie nicht minder eine rück-
sichtslose Volksvertretung die Regierung lahm legen und willenlos
zu machen vermag. Und beide gebrauchen „nur ihr Recht.“ Es
ist ein weit verbreiteter thörichter Irrthum, zu glauben, dass man
stets gerechtfertigt sei, wenn man zu sagen vermag: „ich habe ja
nur mein Recht ausgeübt.“
2.
Die erste Kammer heisst auch „Herrenhaus,“ „Kammer der
Reichsräthe,“ „der Standesherrn.“
3.
Nur in einigen besonderen Fällen findet nach den Verfas-
sungen ein Zusammentritt beider Kammern zu einer Kammer statt.
4.
Dahin gehört meistens die Stellung von Anträgen, Erhebung
von Beschwerden, Abfassung von Adressen, in einigen wenigen
Staaten auch die Ministeranklage. Ueberall freilich, wo eine Re-
gierungshandlung die Genehmigung der Stände bedarf, hat schon
die Ablehnung in einer Kammer die volle negative Wirkung.
5.
Diess ist bezüglich der Festsetzung des Finanzetats der Fall.
1.
Nebenattributs bestehen, welches mit dem inneren Wesen der
Stände gar keinen Zusammenhang hat.
6.
Der Nachweis im Einzelnen gehört in das Particularrecht.
Nur nebenbei mag die Bemerkung einfliessen, dass ich den ver-
schiedenen künstlichen Versuchen, das Wahlgesetz zu einem Ap-
parate zu gestalten, durch welchen die treue Wiedergabe des
ganzen Volks in der Ständeversammlung gewissermassen mecha-
nisch gesichert werde, einen sehr zweifelhaften Werth beimesse.
7.
Eine der vielen Fragen, welche sich hier aufdrängen, ist die,
ob Staatsdiener zur Annahme einer auf sie fallenden Wahl die
vorhergehende Genehmigung ihrer vorgesetzten Behörde bedürfen.
Wenn das Gesetz darüber schweigt, so kann die Entscheidung
rechtlich nicht wohl anders ausfallen, als dahin, dass diese Geneh-
migung allerdings eingeholt werden muss. Es folgt diess mit
8.
Eine Pflicht, die Wahl anzunehmen, kann gemeinrechtlich
nicht nachgewiesen werden; die Gründe dafür sind ähnlich den
7.
Nothwendigkeit aus der Natur des Dienstverhältnisses, nämlich
aus dem unbestreitbaren Satze, dass sich der Staatsdiener nicht
willkührlich seiner Dienstpflicht entziehen kann. Ob der Zweck
dieser Entziehung ein erlaubter oder nicht erlaubter sei, kann hier
begreiflich keinen Unterschied machen; auch die Berufung auf die
allgemeinen Staatsbürgerrechte vermag keinen Einwand zu be-
gründen, denn diese sind eben durch den Eintritt in das Staats-
dienstverhältniss in mehrfacher Hinsicht modificirt worden. Wenn
aber die Verfassung den Staatsdienern die Annahme einer solchen
Wahl ohne die Nothwendigkeit der Urlaubseinholung frei giebt,
so entsteht die Frage, ob der gewählte Staatsdiener für die Zeit
seiner durch die Theilnahme am Landtage veranlassten Abwesen-
heit von seinem Amte die Stellvertretungskosten zu erstatten habe.
An und für sich sollte die Entscheidung nicht von dem Umstande,
ob Urlaub nothwendig ist oder nicht, abhängen. Die Erlangung
eines Urlaubs und die allgemeine gesetzliche Dispensation von
allem Urlaube bewirken gleichmässig, dass eine Abwesenheit des
Staatsdieners dienstlich erlaubt ist. Damit ist aber noch Nichts
entschieden über die Folgen einer dienstlich erlaubten Abwesen-
heit. Diese sind aus anderen Sätzen zu entnehmen. Besteht z. B.
in der betreffenden Dienstpragmatik der allgemeine Satz, dass
jede willkührliche, obschon erlaubte Abwesenheit die Ersatzpflicht
der Stellvertretungskosten zur Folge habe, so ist kein Grund vor-
handen, diesen Satz nicht auch auf obigen Fall anzuwenden. Nur
dann würde diess nicht zulässig sein, wenn sich aus dem bestehen-
den Rechte etwa ergäbe, dass die von einem Staatsdiener als
Abgeordnetem geleisteten Dienste gewissermassen als Surrogat
seiner gewöhnlichen dienstlichen Arbeiten gelten sollten, obschon
sie keine vom Dienstherrn aufgetragenen und in seinem Namen
geleisteten Dienste wären. Wenn dagegen nach der betreffenden
Dienstpragmatik dem erlaubt abwesenden Staatsdiener niemals
Stellvertretungskosten aufgelegt werden, so versteht sich von
selbst, dass diess auch nicht der Fall sein kann, wenn die Abwesen-
heit durch den Eintritt in die Ständeversammlung veranlasst wird.
(v. Rönne, Preussisches Staatsrecht, §. 116., will Alles aus der
Freiheit vom Urlaube deduciren.)
9.
Sie sind also nicht Mandatare der Wähler, nicht an In-
structionen gebunden, keiner Kündigung unterworfen.
1.
Nur in einigen Verfassungen ist den Ständen in gewissen
Fällen das Recht gegeben, sich selbst zu versammeln, z. B. im
Falle eines Thronwechsels, sofern sie nicht innerhalb einer be-
stimmten Frist berufen werden.
2.
Die Landtage, welche in regelmässigen Perioden, meist
zusammenfallend mit den Budgetperioden, eintreten, heissen
8.
Gründen, aus welchen oben die Pflicht der Uebernahme eines
Staatsamts verneint wurde. Ebenso muss angenommen werden,
dass der Austritt aus der Kammer freisteht (nach der Sächsischen
Verfassung §. 66. nur aus besonderen Gründen). Andere Verlust-
gründe der Eigenschaft eines Volksvertreters sind: Ablauf der
Wahlperiode, oder Ausloosung; Verlust der Eigenschaften, welche
fortdauernd vorausgesetzt werden; particularrechtlich die Er-
langung eines Staats- oder Hofamts oder Aufrücken in einem
solchen; Auflösung der Ständeversammlung; particularrechtlich
der Ausschluss durch Kammerbeschluss. — Ueber die Nothwendig-
keit oder das Recht der Wahl eines Stellvertreters sind die Ver-
fassungen nicht übereinstimmend.
3.
Die Eröffnung geschieht durch den Monarchen persönlich,
oder durch einen Bevollmächtigten.
4.
Der Präsident (und Vicepräsident) wird für die ganze Wahl-
periode, oder nur für einen Landtag, oder nur für eine bestimmte
Zeit gewählt. Er muss vom Landesherrn bestätigt werden, oder
wird direct von der Kammer ernannt. Darüber gehen die Par-
ticularrechte auseinander. — Es werden ferner die Secretäre ge-
wählt, welche mit dem Präsidenten das s. g. Bureau bilden.
5.
Das hauptsächlichste Disciplinarmittel ist Ordnungsruf; nach
einzelnen Verfassungen kann die Kammer auch Ausschliessung aus
der Ständeversammlung aussprechen. Ohne positive Bestimmung
kann ein solches Ausschliessungsrecht nicht angenommen werden,
da es nicht bloss gegen die einzelne Person, sondern auch gegen
den Wahlbezirk wirkt. — Gegen eine Disciplinarmassregel des
Präsidenten kann in der Regel an die Kammer selbst appellirt
werden. — Der Präsident verfügt auch auf Urlaubsgesuche für
kürzere Zeit; einen grösseren Urlaub ertheilt die Kammer.
6.
Sie bleiben aber ausserhalb des Collegiums der Kammer,
sind ihrer Disciplinargewalt nicht unterworfen und stehen in der-
selben kraft der vom Monarchen ertheilten Autorisation. — Ein
unmittelbarer Verkehr mit anderen Staatsbehörden steht daher
der Ständeversammlung nicht zu. (Für die Untersuchungscom-
missionen der Kammern in Preussen nimmt das Gegentheil an
Rönne, Staatsrecht, §. 126.) Ebensowenig ist ihr in der Regel
2.
ordentliche, die anderen ausserordentliche. Aber auch die letz-
teren haben im Zweifel die Rechtsstellung wirklicher Landtage,
und sind mithin nicht etwa nur zur Erledigung der von der Regie-
rung gemachten Vorlagen berechtigt.
7.
Allgemeine Voraussetzung ist, dass die Kammer in beschluss-
fähiger Anzahl der Mitglieder versammelt sei.
8.
Es bleiben dieselben Ständemitglieder, dieselben Commis-
sionen, Commissionsberichte, Vorlagen, Anträge, meist auch Prä-
sidenten und Secretäre.
9.
Dieselben Landstände, aber ein neues Collegium mit neuen
Vorlagen, Commissionen u. s. w. Auch die internen Beschlüsse
eines Landtags gelten in der Regel nur für diesen.
6.
gestattet, Deputationen zu empfangen. Wohl aber darf sie
schriftliche Eingaben Einzelner, sowie gemeinschaftliche Einga-
ben Vieler, welche Petitionen oder Beschwerden enthalten, zur
Berathung und Beschlussfassung annehmen.
10.
Auch das Recht des Monarchen, eine nicht anwesende
Ständeversammlung aufzulösen, kann nicht bezweifelt werden. —
Nach einer Auflösung tritt nicht bloss ein neuer Landtag, sondern
eine ganz neue Ständeversammlung ein. Alle diese Schicksale
wirken gemeinsam für beide Kammern.
11.
Ganz besonders entwickelt ist diess Institut in der Württem-
bergischen Verfassung.
1.
Ein Mitglied der Ständeversammlung ist verpflichtet, in den
Sitzungen zu erscheinen, sich allen Arbeiten zu unterziehen, und
der Geschäftsordnung gemäss zu handeln. Das Präjudiz der
Contravention ist aber nicht überall das gleiche.
2.
Es ist klar, dass die Tribune nicht eine Stätte sein kann, an
der Ehrenkränkungen, Verläumdungen und andere Verbrechen
ungestraft begangen werden dürfen, und kein Vernünftiger kann
behaupten, dass die freie Ausübung des landständischen Berufs
durch eine Dispensation vom Strafgesetze bedingt sei. Aber selbst-
verständlich ist es, dass bei der Beurtheilung der Frage, ob das
von einem Ständemitgliede in der Sitzung Gethane ein Verbrechen
sei, der Einfluss seines öffentlichen Berufs in Betracht gezogen
werden muss; von diesem Gesichtspunkte aus wird manche
Aeusserung als erlaubt erscheinen müssen, welche sonst eine In-
jurie wäre. Die Hannoverische Verfassungsurkunde §. 53. lässt
gesetzlich immer die günstigste Auslegung Platz greifen. — Die
blosse Kammerdisciplin kann begreiflich die strafrichterliche
Ahndung nicht ersetzen.
3.
Deutsche Wechselordnung Art. 2. (Nürnberger Novelle).
Aber nicht alle Staaten haben diese Bestimmung, z. B. nicht die
Sächsische §. 84.
4.
Keine Genehmigung bedarf demnach die Fortdauer einer
5.
Ueber die Bedeutung und den Ursprung der Redewendung
„persönliche Unverletzlichkeit der Landstände,“ sowie über-
haupt über die in diesem Paragraphen behandelten Fragen, siehe
die gründliche und im Ganzen richtige Schrift: die sogenannte
Unverletzlichkeit der Landtagsabgeordneten u. s. w. Giessen 1853,
S. 14 fl. Am Weitesten geht die Preussische Verfassungsurkunde
Art. 84.
4.
erkannten Freiheitsstrafe; ebensowenig die Einleitung einer Un-
tersuchung, bei welcher eine Verhaftung nicht stattfindet.
1.
Heutzutage, da der Staat nach Ueberwindung seiner privat-
rechtlichen Periode in Deutschland zur vollen politischen Existenz
gelangt ist, kann das Recht der Gesetzgebung als der mächtigsten
Form staatlicher Herrschaft nur noch ihm und keinem Berechtig-
ten unter ihm zustehen. Ein Gesetzgebungsrecht von Gemeinden,
Corporationen und Einzelnen ist nur denkbar in einer Zeit, in der
der Staatsbegriff noch nicht zu seiner vollen Entwickelung gekom-
men ist, in welcher die einzelnen Elemente des Volks noch in einem
sehr lockeren Verbande stehen und die unausgebildete Landes-
hoheit die Erfüllung eines Theils der Staatsaufgaben noch den nur
halb ihrer Herrschaft unterworfenen Körpern überlassen muss. Das
Recht der Corporationen und Einzelnen, ihre inneren Verhältnisse
sachgemäss durch feste und dauernde Bestimmungen zu regeln,
besteht nun zwar auch heutzutage, aber es wird nicht mehr in der
Form der Gesetzgebung, sondern in der Form des Rechts-
geschäfts
vollzogen, das sich lediglich in der Anwendung be-
stehender Rechtsinstitute und Rechtssätze darstellt. Nur diesen
Begriff der Autonomie vermag ich für das heutige Recht anzuer-
kennen, und glaube diess in meinen Abhandlungen darüber be-
gründet zu haben. Siehe die Jahrbücher für die Dogmatik des
römischen und deutschen Rechts III., pag. 447.
2.
Justiz-, insbesondere Privatrechtsgesetze stehen auf einem
politisch neutralen Boden. Während die Verfassungs- und Ver-
waltungsgesetze, welche sich auf die Bewegung eines concreten
Staatsorganismus beziehen, mit diesem stehen und fallen, sehen
wir die Justizgesetze oft nicht nur ihr Jahrhundert, sondern auch
3.
Siehe unter §. 51.
4.
Von ganz entgegengesetzten politischen Parteien geht
freilich gleichmässig das Bestreben aus, das Verfassungsgesetz
„flüssig“ zu machen und der Veränderlichkeit gewöhnlicher Ge-
setze in so lange zu unterwerfen, bis ihre Vorstellung einer
Musterverfassung hergestellt sei. Wo solche Bestrebungen zur
Herrschaft kommen, wird mit der Erschütterung des Glaubens an
die Festigkeit des höheren Rechts der Verfassung zugleich das
Vertrauen auf die Beständigkeit der ganzen Rechtsordnung er-
schüttert.
2.
die Staatsgewalt selbst überdauern, von der sie geschaffen worden
sind. Sie erhalten, wenn sie längere Zeit bestanden haben, neben
der Staatsgewalt, von der sie ausgegangen sind, noch eine neue
Stütze in dem Rechtsbewusstsein des Volks, das sich ihren Inhalt
selbständig aneignet. Als ein frappantes Beispiel dieser Wahrheit
stellt sich die übereinstimmende Auslegung dar, welche der so
ganz allgemein lautende Art. 2. der Rheinbundsacte gefunden hat,
indem sie die verschiedenen Arten der Reichsgesetze unterscheidet
und die Wirksamkeit des Artikels auf die mit der Verfassung des
Reichs untrennbar verbundenen Gesetze beschränkt.
5.
Als eine Art der „Gesetze“ werden in der Regel auch die Pri-
vilegien
aufgefasst (lex specialis). Mit Unrecht. Siehe §. 53. Note 4.
6.
Hierbei wird es bedeutend, in welchem Masse der Gegen-
stand des Gesetzes zugleich der Competenz der Kirche angehört,
und ob die letztere eine geordnete Vertretung hat.
1.
Siehe oben §. 40. Note 2. Für das logische Moment des Ver-
hältnisses des Monarchenrechts zum Rechte der Stände finden
sich auch in anderen Rechtstheilen Parallelen, — auf der einen
Seite ein Recht in principieller Totalität, auf der anderen Seite
ein beschränkendes Specialrecht (so das Recht des Eigenthümers,
des Erben, das kirchliche Regimen plenum, gegenüber der Ser-
vitut, dem Legat, dem Regimen minus plenum).
2.
Auch bei beiden Kammern gleichzeitig. Die entgegenge-
setzte Argumentation v. Rönne’s, Preussisches Staatsrecht I.,
S. 161, scheint mir nicht genügend zu sein.
3.
Ein in mehrere deutsche Verfassungsurkunden (Preussen
Art. 62., Bayern VI. §. 18., Sachsen §. 122., Württemberg §. 178.,
Grossherzogthum Hessen §. 67., Baden §. 60.) aufgenommener,
dem englischen Staatsrechte entlehnter Satz. Siehe §. 52.
4.
Eine Kammer kann nicht beschliessen, über die Regierungs-
vorlage einfach zur Tagesordnung überzugehen.
5.
Sie kann also nicht dem Monarchen die einseitige Festsetzung
des Gesetzes überlassen. Dagegen kann sie diess wohl in proviso-
rischer Weise mit Vorbehalt nachträglicher Genehmigung thun.
6.
Sie hat das Recht der Amendements zum Entwurfe der Re-
gierung und zwar auch da, wo den Kammern das Recht der Initia-
tive nicht zusteht. Dieses Recht begründet nicht eine Gleich-
artigkeit der Stellung der Stände mit der des Monarchen, etwa als
ob sie damit zu Mitinhabern der gesetzgebenden Gewalt gemacht
würden, sondern es erscheint juristisch als das Recht der Stände,
ihre Zustimmung an einzelne den Entwurf betreffende Bedingungen
zu knüpfen.
7.
Manche Verfassungsurkunden haben ein besonderes Ver-
einigungsverfahren eingerichtet. — Die Redaction der gefassten
Beschlüsse wird in den meisten Staaten der Regierung überlassen.
Siehe aber die Bemerkungen Mohl’s, Staatsrecht, Völkerrecht,
Politik, Bd. 2. S. 563 flg.
8.
Die entgegengesetzte Ansicht könnte nur von der völlig
unrichtigen Vorstellung ausgehen, als wenn die Vorlage eines
Gesetzentwurfs wie eine privatrechtliche Vertragsofferte des Mo-
narchen aufzufassen sei, welche durch Acceptation der Stände
zum fertigen Vertrage würde.
9.
Für die Frage, bis zu welcher Zeit die Entschliessung des
Monarchen geschehen müsse, damit die ständische Zustimmung
noch als bestehend gelte, enthalten nur einzelne Gesetze eine
Vorschrift, z. B. verlangt das Bayerische Gesetz vom 25. Juli
1850 Art. 40., dass die Entscheidung des Königs spätestens beim
Schlusse der Ständeversammlung im Landtagsabschiede erfolge.
(Siehe auch Sächsische Verfassungsurkunde §. 113.) v. Rönne
a. a. O. S. 177 behauptet, dass die Sanction bis zum Zusammentritte
der nächsten Ständeversammlung geschehen müsse, und stützt sich
dafür auf die Discontinuität der Kammern. Dieser Grund ist
jedenfalls unrichtig, da aus dieser Discontinuität keineswegs folgt,
10.
Natürlich auch unter Contrasignatur des oder der Minister.
11.
Bayerische Verfassungsurkunde Tit. X. §. 7. Württem-
bergische §. 176. Sächsische §. 152. Grossherzogthum Hessen
§. 110. Kurhessen (von 1831) §. 153. Preussische Verfassungs-
urkunde Art. 107. Hierbei wird stets vorauszusetzen sein, dass
die Ständeversammlung die Abänderung mit vollem Bewusstsein
vorgenommen habe: es soll nicht genügen, dass die erschwerenden
Formen in unbewusster Zufälligkeit beobachtet worden sind (z. B.
bei unbewussten Abänderungen der Verfassung aus Anlass der
Berathung eines Strafgesetzbuchs).
1.
Es genügt nicht die blosse Nützlichkeit der Massregel,
um die Nothgesetzgebung zu rechtfertigen. Die Preussische Ver-
fassungsurkunde Art. 63. nennt „Aufrechterhaltung der öffent-
9.
dass alle von einer Kammer gefassten Beschlüsse beim Eintritte
einer neuen Ständeversammlung für erloschen gelten. Indessen
lässt sich vom politischen Standpunkte aus sehr Vieles dafür sagen.
2.
Vielleicht ist die Angelegenheit viel zu unbedeutend, um
den Aufwand einer Ständeversammlung zu rechtfertigen.
3.
Darin, dass die Verfassungsurkunde ausspricht, ein gewisser
Gegenstand solle durch die Gesetzgebung regulirt werden, liegt
sicherlich keine Exemtion von der Nothgesetzgebung. Denn jene
Zusicherung will nur dahin verstanden sein, dass der fragliche
Gegenstand fortan nicht bloss der Entscheidung der Verwaltungs-
behörden anheim gegeben sein, sondern durch festes Gesetz nor-
mirt werden solle. A. A. v. Rönne a. a. O. S. 172 flg.
1.
lichen Sicherheit oder Beseitigung eines ungewöhnlichen Noth-
stands.“ Die Sächsische Verfassungsurkunde Art. 88. spricht von
„durch das Staatswohl dringend gebotenen Verordnungen, deren
vorübergehender Zweck durch Verzögerung vereitelt werden
würde.“ (Nach der Bad. Verfassungsurkunde Art. 66.) Ebenso
das Hannoverische Verfassungsgesetz vom 5. Sept. 1848 Art. 72.
Die Württembergische Verfassungsurkunde Art. 89. spricht von
der „Vorkehrung des Nöthigen zur Sicherheit des Staats in drin-
genden Fällen.“ Ebenso Grossherzoglich Hessische Verfassungs-
urkunde §. 73. Die contrasignirenden Minister haben sich auf
dem nächsten Landtage über die Octroyirung zu rechtfertigen
und das Vorhandensein einer legalen Veranlassung nachzuweisen.
4.
Es wird die Pflicht der Regierung sein, das octroyirte Gesetz
sofort zur Verabschiedung zu bringen; thut sie diess nicht, so kann
es keinem Zweifel unterliegen, dass die Ständeversammlung befugt
ist, aus eigenem Antriebe darüber zu beschliessen, selbst wenn ihr
die Initiative nicht zusteht. Denn es steht Nichts im Wege, dass
sie einen solchen Beschluss zum Inhalte einer Adresse an die Krone
macht.
5.
Und zwar schon, wenn auch nur eine Kammer ablehnend
beschliesst.
6.
A. A. Zachariä, Deutsches Staatsrecht, §. 160. Note 13.
Nicht entscheidend für die im Texte entwickelte Ansicht ist der
politische Grund, dass sonst die Regierung es in der Hand hätte,
ganz willkührlich die Geltung ihrer Octroyirungen zu perpetuiren;
ebensowenig der Grund v. Rönne’s (a. a. O. S. 174 flg.), dass ein
Nothgesetz nur gelte, weil die künftige Zustimmung der Stände
gesetzlich vermuthet werde. Wohl aber ist entscheidend der
Grund, dass der Gesetzgeber selbst den Resolutivcharacter ge-
wollt
hat, und nur diesen hat wollen können; es bedarf mithin
nicht mehr einer besonderen Aufhebung, wenn das resolvirende
Ereigniss eingetreten ist. (Wünschenswerth ist es freilich immer,
dass die Regierung, um Ungewissheiten vorzubeugen, die auf-
hebende Thatsache öffentlich constatirt.) Das Recht der Noth-
gesetzgebung darf nicht so aufgefasst werden, als ob es eine Aus-
nahme von dem allgemeinen Satze der Nothwendigkeit ständischer
Verabschiedung der Gesetze enthielte; dieser Satz bleibt vielmehr
ganz unberührt und die Ausnahme betrifft nur den Grundsatz der
Nothwendigkeit des Vorausgehens der ständischen Zustimmung.
7.
Eine rückwirkende Kraft der Auflösung, wie sie eine privat-
rechtliche Anschauung der Sache ergeben möchte, würde mit dem
Wesen staatsrechtlicher Acte dieser Art unvereinbar sein. Denn
wenn die Verfassung den Monarchen zu einer provisorischen Ge-
setzgebung einmal ermächtigt, so kann sie diess, ohne die Rechts-
sicherheit des ganzen Staatslebens in Frage zu stellen, nur in dem
Sinne gewollt haben, dass das provisorische Gesetz in so lange, als
es besteht, definitiv gelten soll, so dass die darauf gegründeten
Rechtsverhältnisse durch seine Aufhebung nicht hinfällig werden.
1.
Bayerische Verfassungsurkunde VII., 2. Badische §. 65.
Altenburgisches Grundgesetz §. 201. u. s. w. Die Kurhessische
Verfassungsurkunde von 1852 sagt §. 75.: „Ohne Beistimmung der
Stände kann kein die Privatrechte, die Steuern oder die Rechts-
pflege änderndes Gesetz gegeben oder authentisch erläutert wer-
den.“ Das angeführte Altenburgische Grundgesetz will Art. 210.
diejenigen Gesetze, welche die Zustimmung der Stände nicht
bedürfen, doch ihrer Begutachtung unterworfen wissen. Es
bedarf übrigens keiner Bemerkung, dass die Gebietsabgränzung
durch die Worte „Freiheit der Personen und Eigenthum“ völlig
vag ist, zumal das Wort „Eigenthum“ in der politischen Sprache
in der weitesten Ausdehnung genommen zu werden pflegt.
2.
Es können alle möglichen Interessen in der Gesetzesform
bestimmt werden. Sobald ein Bedürfniss vorhanden ist, über eine
Angelegenheit in einer allgemein verbindlichen Weise dauernde
Regeln aufzustellen, ist der Gebrauch dieser Form zulässig, voraus-
gesetzt, dass diese Regeln sich nicht schon aus anderen bestehen-
den Normen ableiten lassen, sondern selbständig und neu sind.
Es können auch Angelegenheiten, welche seither durch einseitige
Verfügung des Monarchen erledigt, d. h. als Verwaltungssache
betrachtet wurden, durch die spätere Entwickelung des Staats-
lebens in die Sphäre des Gesetzes geschoben werden, z. B. Militär-
organisationen. Was aber einmal in Gesetzesform bestimmt
worden ist, gehört nun dieser Form für die Zukunft an. Darin
liegt bei der oft so schwierigen Gränzbestimmung zwischen Gesetz
und Verordnung bisweilen der zuverlässigste Anhaltepunkt.
3.
Man muss diese Verordnungen, welche im Allgemeinen unter
die Classe der Gesetze fallen, unterscheiden von den Anordnungen
des Monarchen und der Behörden in der Form von Rescripten,
Erlassen u. s. w., von welchen unten §. 53. die Rede sein wird.
Die letzteren sollte man nicht „Verordnungen“ nennen, um sie
auch äusserlich von der hier behandelten Classe auszuscheiden.
4.
Z. B. ob Schwurgerichte, oder nicht; ob Collegialgerichte,
oder Einzelrichter; ob Cassationshöfe, Staatsanwälte u. s. w.
Denn solche Punkte hängen mit dem Processrechte untrennbar
1.
Ich setze in allen diesen Fällen voraus, dass eine gehörige
Publication im Gesetzesblatte stattgefunden hat. Denn von einer
Geltung nicht publicirter Gesetze, welche (wie diess im vorigen
Jahrhunderte noch geschah) etwa nur den Behörden schriftlich
und heimlich mitgetheilt wurden, kann begreiflich nicht mehr die
Rede sein.
2.
Mit dem einfachen Satze, dass jede Formwidrigkeit Nichtig-
keit zur Folge habe, ist die Sache freilich nicht abgethan. Es giebt
4.
zusammen. Aber auch bei diesem Principe bleibt noch ein be-
schränktes Organisationsrecht des Monarchen in der Justiz übrig.
3.
Es ist überhaupt zu bedenken, dass sich das Staatsleben
nicht immer in der Richtung einfacher Linien bewegt, dass Stö-
rungen desselben vorkommen, die durch späteres Zusammenwir-
ken der Organe wieder ausgeglichen werden. Die Definitivent-
scheidung über den Erfolg staatsrechtlicher Handlungen ist oft
nicht sofort möglich; bisweilen erscheint die Bedeutung eines
solchen Thatbestands als schwebend, durch die Möglichkeit einer
Correctur bedingt. Darin liegt ein bemerkenswerther Gegensatz
2.
Formwidrigkeiten, bei denen ohne Zweifel Nichtigkeit angenom-
men werden muss; aber es giebt auch Mängel von untergeordneter
Bedeutung, denen eine solche Wirkung nicht beigemessen werden
kann. Manche der Letzteren, z. B. unrichtige Handhabungen der
Geschäftsordnung, ungenügende Legitimation einzelner Abge-
ordneten, werden nach Umständen das Gesammtresultat einer
Thätigkeit der Ständeversammlung nicht alteriren, sondern ihre
Erledigung als interne Reclamationsfälle finden. In jedem ein-
zelnen Falle würde also vor Allem der Umfang der Wirkung eines
Formmangels genau zu bestimmen sein. Vortreffliche Winke in
dieser Hinsicht enthält die Entwickelung Jhering’s, Geist des
römischen Rechts III., 1. S. 213 flg.
4.
Bekanntlich hat diese Frage eine so reiche Literatur, wie
wenige andere. Siehe die Nachweisung der zahlreichen Schriften
bei Zachariä, Deutsches Staats- und Bundesrecht II., §. 175.
Note 11. und v. Rönne, Preussisches Staatsrecht I., S. 185 Note 3.
Bei der grossen Verschiedenheit der Ansichten und ihrer Begrün-
dungen hat eine Polemik wenig wissenschaftliches Interesse. —
Einzelne Verfassungsurkunden sprechen sich über diese Frage
ausdrücklich aus, aber in sehr verschiedenem Sinne. Die Kur-
hessische Verfassungsurkunde von 1831 §. 95. schien das rück-
sichtslose Prüfungsrecht der Richter festzustellen, wogegen das
Hannoverische Staatsgrundgesetz §. 89. nur die Stände für be-
rechtigt erklärt, wegen Verfassungswidrigkeit der Gesetze zu
reclamiren, und ebenso die Preussische Verfassungsurkunde §. 106.
Manche hierher gehörende Bestimmungen finden sich auch in den
Staatsdienstgesetzen und Strafgesetzbüchern.
3.
zur Behandlung privatrechtlicher Verhältnisse, die in der Regel
eine absolute Beurtheilung zulassen. — Wenn v. Wächter (Würt-
tembergisches Privatrecht II. S. 27) ausführt, dass bei einem
rechtswidrig als Verordnung publicirten Gesetze die Publication
nicht schon durch die spätere Zustimmung der Stände gültig
werde, weil es immer noch an der gehörigen Verkündigung der
ständischen Einwilligung fehle, — so erscheint damit doch die
rechtliche Möglichkeit heilender Einwirkungen der Stände über-
haupt nicht ganz widerlegt. Denn zunächst trifft diese Bemerkung
nicht die Fälle, in denen die Publicationsform der ständischen
Zustimmung gedenkt, diese auch wirklich, obschon nicht ganz
formrichtig stattgefunden hat; ferner nicht die Fälle, in denen die
Frage: ob Verabschiedung oder nicht, äusserst zweifelhaft ist, und
in dem Verhalten der Stände nicht eine nachträgliche Verab-
schiedung, sondern die Anerkennung liegt, dass die Regierung
innerhalb ihres Verordnungsgebiets gehandelt habe.
5.
Selbstverständlich ist es, dass der Richter diese Frage nur
aus Anlass der Anwendung eines Satzes des angeblichen Gesetzes
auf einen einzelnen Fall und nur insoweit, als dieser Anlass reicht,
zu beantworten hat.
6.
Dieser Punkt, der ein unentbehrliches Bindeglied in der
Theorie dieses Gegenstands bildet, wird fast immer übersehen.
Er ist so wichtig, dass eigentlich Alles auf ihn und die Beant-
wortung der Frage ankommt: wie weit ist der Richter verpflichtet,
die autoritative Wirkung des officiellen Legalitätszeugnisses gelten
zu lassen, und wann beginnt seine Verpflichtung und sein Recht
der eigenen Prüfung, d. h. wann muss er jene Beglaubigung für
entkräftet halten. Die Nothwendigkeit der Respectirung dieser
Beglaubigung bis auf einen gewissen Grad steht mit der Unab-
hängigkeit der Gerichte nicht im Widerspruche; aber ihre Ab-
7.
Er hat also den Beschluss der Kammer nicht in dem Sinne
auf sich wirken zu lassen, dass er seinen Inhalt nun ohne Weiteres
hinnehmen müsste, sondern in dem Sinne, dass nun seine Pflicht
eigener Prüfung beginnt.
8.
Z. B. wenn nicht die allgemeine Ständeversammlung, son-
dern etwa nur Provinzialstände gefragt wurden.
9.
Z. B. wenn im Verordnungswege ein Artikel der Verfassung,
des Strafgesetzbuchs, des Hypothekengesetzes u. s. w. abgeändert
werden soll.
6.
läugnung würde die Gerichte völlig aus der organischen Ver-
bindung mit den übrigen Gliedern des Staats herausziehen und sie
ausserhalb alles Zusammenhangs mit ihnen stellen. Aus diesem
Gedankengange heraus
erscheint es nun nicht nur nicht
unwissenschaftlich, sondern innerlich völlig gerechtfertigt, wenn
man, wie das Sächsische Civilstaatsdienergesetz von 1835 §. 7. thut,
Fälle der blossen Zweifelhaftigkeit der Gesetzmässigkeit
entgegensetzt den Fällen, in denen, wie sich das Strafgesetzbuch
von 1855 §. 94. bei einem ähnlichen Anlasse ausdrückt, die Gesetz-
widrigkeit „sofort in die Augen fällt.“ (Siehe Milhauser,
Staatsrecht des Königreichs Sachsen I., S. 215 Note a.) — Dass der
Richter im Falle eines Nothgesetzes niemals über die Frage, ob
wirklich ein Nothfall vorhanden war, zu urtheilen habe, wird wohl
allgemein anerkannt.
1.
Eine Ergänzung durch Staatsanlehen oder Veräusse-
rung
von Staatsgütern findet natürlich nur statt für besondere,
ausserordentliche Zwecke. Auch hierzu bedarf es der Zustimmung
der Stände. Aber durch dieses Erforderniss wird die Aufnahme
von Staatsanlehen und die Veräusserung von Staatsgütern nicht
zu einem Acte der Gesetzgebung, sondern bleibt eine Verwaltungs-
handlung. — Erübrigungen aus früheren Finanzperioden er-
scheinen, wie jetzt allgemein anerkannt wird, als Steuervorschüsse,
über deren Verwendung ebenfalls nur im Finanzgesetze verfügt
werden kann.
2.
Die staatsbürgerliche Steuerpflicht im heutigen organischen
Staate ist eine andere, als diejenige des älteren deutschen Patri-
monialstaats. Jetzt ist sie eine ganz allgemeine, lediglich durch
3.
Nur ist in der Mehrzahl der deutschen Staaten die Auflegung
von Zöllen der ständischen Mitwirkung dadurch entzogen, dass sie
als gemeinsame Angelegenheit des Zollvereins besteht.
4.
Diess ist das in allen Verfassungen als eines der Fundamen-
talrechte aufgestellte Steuerbewilligungsrecht der Stände. Da
der Inhalt dieses Rechts nur auf der Basis des jetzt bestehenden
Rechts über die staatsbürgerliche Steuerpflicht (Note 2.) construirt
werden kann, so ergiebt sich alsbald seine völlige innere Gegen-
sätzlichkeit zu dem gleichnamigen Rechte der älteren Stände.
5.
Einjährige Finanzperiode in Preussen, Verfassungsurkunde
Art. 99.; zweijährige in Baden, Verfassungsurkunde §. 54.; drei-
jährige in Sachsen, Württemberg, Hessen und anderen Staaten;
in einigen auch eine vierjährige, in Bayern jetzt eine zweijährige,
früher (Verfassungsurkunde VII. §. 5 b.) aber eine sechsjährige.
So oft die Nothwendigkeit einer Etatsberathung eintritt, hat diese
mit derjenigen Kammer zu geschehen, welche gerade besteht,
auch wenn ihre Wahlperiode nicht mit den Finanzperioden zusam-
menfallen sollte. Uebrigens steht nichts im Wege, dass Regierung
und Stände im einzelnen Falle übereinkommen, einen Etat auch
2.
den Umfang des Staatsbedürfnisses begränzte, und folgt von selbst
aus dem Wesen der rechtlichen Verbindung des Staatsbürgers mit
dem Staate (siehe oben §. 17.); die Steuerpflicht des älteren Rechts
beruhte auf speciellen privatrechtsartigen Titeln, jenseits welcher
ein Steuerbeitrag nicht gefordert, sondern nur erbeten werden
konnte.
6.
Sowie denn auch die in das Rechtsgebiet der Verwaltung
fallenden Handlungen grösstentheils nicht deshalb in den Etat
aufgenommen werden, weil die Zustimmung der Stände zu ihrer
Rechtsgültigkeit nothwendig wäre, sondern allein deshalb, weil
ihre Ausführung die Verfügung über Geldmittel erfordert.
5.
für einen kürzeren Zeitraum zu verabschieden; eine Verlänge-
rung
desselben über die verfassungsmässige Finanzperiode da-
gegen ist nicht als zulässig zu betrachten.
1.
Eine vorzügliche Analyse dieser Punkte giebt die Abhand-
lung von Fricker in der Tübinger Zeitschrift für Staatswissen-
schaft Bd. 17. S. 636 flg. Diese Anerkennung gebührt dieser
Arbeit auch dann, wenn man bezüglich ihrer praktischen Conse-
quenzen mit dem Verfasser nicht ganz übereinstimmen kann.
2.
Diess namentlich dann, wenn die Finanzperiode von längerer
Dauer ist, wobei sich nicht alle Eventualitäten, namentlich der
Stand der Getreidepreise, im Voraus bestimmen lassen.
3.
Uebrigens kann als die Wirkung der Versagung nachträg-
licher Anerkennung weder ohne Weiteres und ganz allgemein die
civilrechtliche Nichtigkeit, respective Anfechtbarkeit der frag-
lichen Ausgabe, noch die persönliche Ersatzpflicht des bezüglichen
Ministers angenommen werden. Diese Wirkungen treten nur ein,
wenn zugleich ihre privatrechtlichen Voraussetzungen vor-
handen sind. Aber auch dann würden nicht die Stände zur Klage
legitimirt sein, sondern nur indirect auf die Klagerhebung durch
die Regierung wirken können. Ueber die sonstigen Wirkungen
jener Versagung lässt sich nur in Bezug auf concrete Fälle
sprechen. Siehe Zachariä, Staatsrecht II., S. 517 flg.
4.
Die Verfassungen wollen diess in der Regel durch den Satz
ausdrücken, dass die Stände ihre Finanzbewilligungen nicht an
fremdartige Bedingungen anknüpfen dürfen, — ein praktisch er-
folgloser Satz, da das Anknüpfen an Bedingungen stillschweigend
geschehen kann. Für die principielle Auffassung des ständi-
schen Rechts ist jener Satz jedoch immerhin wichtig.
5.
„Da, wo (ich setze hinzu: in der Hauptsache) eine Bejahung
nothwendig ist, wird ein Weg gewählt, der principiell auch eine
Verneinung in sich schliesst“ (Fricker a. a. O.).
6.
In Preussen (Art. 109.) gilt die Fortdauer der Steuerpflicht
unbeschränkt. In Sachsen, Verfassungsurkunde §. 103. und Ge-
setz vom 5. Mai 1851, ein Jahr, in anderen 6 Monate. Siehe die
Zusammenstellung bei Zöpfl, Staatsrecht §. 400. Diese Pro-
longirung gilt natürlich auch für den Fall, dass die Verabschiedung
des Etats nicht zeitig genug erfolgen konnte.
7.
Staatsgerichtshof, Bundesschiedsgericht.
8.
Wobei die parlamentarischen Mittel der Kammerauflösung,
der Aenderung des Ministeriums u. s. w. ihre Rolle spielen. — Der
einzige Weg einer praktischen Lösung scheint mir in einer Gesetz-
gebung zu liegen, welche darauf ausgeht, die Möglichkeit solcher
Conflicte in einem engeren Gebiete abzugränzen; diess würde
durch gesetzliche Feststellung eines ein für allemal geltenden
Ordinariums erreicht werden, neben welchem nur die Abände-
rungen zur jedesmaligen Verabschiedung übrig blieben.
1.
Preussische Verfassungsurkunde Art. 62, 3. Württember-
gische §. 181. Grossherzogthum Hessen §. 67. Baden §. 60.
2.
Von dem Grade der Specialität hängt es auch ab, ob die
Verwaltung eines Departements innerhalb der ihr bewilligten Ge-
sammtsumme freiere Hand hat, oder nicht, ob sie insbesondere
das hier Ersparte dort verwenden darf.
3.
Ob diess auch in Preussen so sei, ist bestritten. Vergleiche
v. Rönne, Preussisches Staatsrecht I., §. 65. Siehe überhaupt
v. Mohl, Württembergisches Staatsrecht I., S. 663 flg. Aus
Württemberg ist für den Fall der Verwerfung der Modus des
Durchzählens bemerkenswerth.
1.
Schon oben wurde bemerkt, dass die Organisation und Com-
petenzbestimmung der Gerichte nicht in den Kreis der Ver-
waltung gehört, sondern auf dem Wege der Gesetzgebung fest-
zustellen ist.
2.
Vom älteren deutschen Staatsrechte war eine Beschränkung
des Dispensationsrechts nicht zu erwarten. Die Rechtssätze,
welche (wie im Eherechte) für gewisse Fälle die Dispensation aus-
schliessen, waren ganz vereinzelt. Die neueren Verfassungen
schweigen darüber grösstentheils. Man wird daher im Zweifel
den Satz (siehe Coburgische Verfassung §. 128.) als geltend an-
3.
Polizeiverordnungen mit Strafandrohungen bis zu einer ge-
wissen Höhe für Contraventionsfälle zu erlassen, wird allgemein
als in der Competenz der Verwaltungsbehörden liegend angesehen.
Indessen strebt man jetzt in mehreren Ländern danach, auch
dieses Gebiet wenigstens theilweise in Polizeistrafgesetzbüchern
zu codificiren.
4.
Dahin gehören insbesondere die zahllosen Geschäfte, welche
sich auf die Verwaltung des Staatsguts, des fiscalischen Vermö-
gens überhaupt, insbesondere auch der Regale und Staatsgewerbe
beziehen. Auch die Feststellung der Preise für Leistungen der
Staatsgewerbe, z. B. Postgeldtarife, Telegraphentaxe u. s. w.,
gehört in das Gebiet der Verwaltung. Denn der Umstand, dass
der Staat dabei noch einen Gewinn macht, rückt diese Einnahme
noch keineswegs unter den Gesichtspunkt der Steuer. Noch
2.
sehen müssen, dass das Dispensationsrecht insoweit zusteht, als es
nicht durch besondere gesetzliche Bestimmungen ausgeschlossen
ist. Dass das Verfassungsgesetz und wohlerworbene Rechte
Dritter nicht durch Dispensationen berührt werden können, ist
die selbstverständliche Folge allgemeiner höherer Principien. In-
dessen lässt sich nicht läugnen, dass im Geiste unseres modernen
Staatsrechts mehr der umgekehrte Satz liegen würde (wie ihn die
ältere Kurhessische Verfassungsurkunde §. 96. ausspricht), dass
eine Dispensation von Gesetzen nur da zulässig sei, wo diess das
Gesetz ausdrücklich gestattet.
5.
Privilegien in dem Sinne der unmittelbaren Begründung
subjectiver Rechte für individuelle Personen durch Specialver-
fügung der Staatsgewalt sind nicht Gesetze, d. h. staatlich aufge-
stellte Rechtsnormen. Die entgegengesetzte Ansicht beruht
entweder auf dem Principe der Theilung der Gewalten, welches
die gesetzgebende Gewalt als die materiell selbständige alleinige
Bewahrerin rechtsbegründender Kräfte voraussetzt, oder auf der
Vorstellung, dass das Gesetz die allein denkbare Form staatlicher
Rechtsschaffung sei. — Uebrigens ist das Privilegienrecht des
Monarchen jetzt sehr beschränkt. Zunächst durch die Verfassung,
indem kein mit einem Satze derselben (z. B. der allgemeinen
Steuer- und Militärpflicht) im Widerspruche stehendes Privilegium
mehr gegeben werden kann, auch mehrfach ausdrücklich die
Ertheilung von ausschliesslichen Handels- und Gewerberechten
an die Zustimmung der Stände geknüpft wird (Patente sollen
wenigstens nur auf bestimmte Jahre gegeben werden). Sodann
durch die sonstige Gesetzgebung, welche immer mehr auf Her-
stellung eines gleichmässigen, alle Exemtionen ausschliessenden
Rechtszustands hinzielt. Bald werden ausser den genannten und
den im Privatrechte bestimmten Fällen solcher Privilegien nur
noch Standeserhöhungen, die Verleihung von Aemtern, Orden,
Würden und Corporationsrechten vorkommen. In gewissem Sinne
gehören hierher auch die Begnadigungen und Moratorien.
4.
weniger könnte für die Nothwendigkeit gesetzlicher Regulirung
das Moment der Regalität angeführt werden; denn diess bedeutet
nur, dass der Staat als solcher ausschliesslich zum Betriebe befugt
ist, aber es hat auf die rechtliche Beurtheilung der Betriebsge-
schäfte selbst nicht den mindesten Einfluss.
1.
Sodann durch ihr Recht, von den Ministern Verantwortung
zu fordern und unter Umständen Anklage derselben zu erheben.
2.
Der Monarch repräsentirt völkerrechtlich den Staat nach
aussen; er ist, wie man sich ausdrückt, legitimirt, mit anderen
Staaten für den Staat berechtigend und verpflichtend zu handeln;
insbesondere kann er Staatsverträge rechtsgültig abschliessen.
2.
Diess entscheidet aber nicht über die innere staatsrechtliche Be-
deutung seines Handelns. In dieser Beziehung wirken die Rechts-
sätze, welche über Abänderung des bestehenden Rechts, Auf-
legung neuer Lasten und Verpflichtungen der Staatsbürger gelten,
auch auf Bestimmungen dieses Inhalts, welche durch einen mit
anderen Staaten abgeschlossenen Vertrag veranlasst werden; denn
die innere Geltung eines Staatsvertrags beginnt erst mit seiner
Publicirung durch den Monarchen, also einer Verfügung, welche
sich im Staate gefallen lassen muss, nach dem Massstabe des Ge-
setzgebungs- und Verordnungsrechts gemessen zu werden. Sehr
bestimmt sagt diess z. B. die Württembergische Verfassungs-
urkunde §. 85.: „der König vertritt den Staat in allen seinen
Verhältnissen gegen auswärtige Staaten. Es kann jedoch ohne
Einwilligung der Stände durch Verträge mit Auswärtigen kein
Theil des Staatsgebiets und Staatseigenthums veräussert, keine
neue Last auf das Königreich und dessen Angehörige übernom-
men, und kein Landesgesetz abgeändert oder aufgehoben, keine
Verpflichtung, welche den Rechten der Staatsbürger Eintrag
thun würde, eingegangen, namentlich auch kein Handelsvertrag,
welcher eine neue gesetzliche Einrichtung zur Folge hätte, und
kein Subsidienvertrag über Verwendung der königlichen Truppen
in einem Deutschland nicht betreffenden Kriege, geschlossen wer-
den.“ Darin liegt (wie diess z. B. die Oldenburgische Verfassung
von 1852 Art. 6. direct ausspricht), dass der König dasjenige, was
er überhaupt nicht ohne ständische Bewilligung vermag, auch
dann nicht ohne letztere thun kann, wenn sein Handeln in der
Form der Publication eines Staatsvertrags hervortritt. So auch
die Preussische Verfassungsurkunde Art. 48. Wird die ständische
Zustimmung da, wo sie nothwendig ist, verweigert, so hat diess
nach Aussen die Wirkung, dass der an sich rechtsgültig abge-
schlossene Staatsvertrag unausführbar wird. — Da übrigens ein
Staatsvertrag gleich in seiner ursprünglichen Fassung so gestaltet
sein kann, dass er der Form einer ge- oder verbietenden Norm der
Staatsgewalt entspricht, so ist es für die Erreichung seines Zwecks
nicht immer erforderlich, ihn erst in die Form eigentlicher Gesetze
umzugiessen. Von diesem Gesichtspunkte aus könnte man dazu
gelangen, in der Bestimmung des Hannoverischen Verfassungs-
gesetzes §. 11., dass die ständische Zustimmung nicht zu der
3.
Bayerische Verfassungsurkunde VII., §. 11, 2. Baden §. 57.
Sachsen, Gesetz vom 5. Mai 1851 §. 5. und Verfassungsurkunde
§. 105. Preussen Art. 103. Hannover, Gesetz vom 5. September
1848 §. 97. u. s. w. Ob und inwieweit das auf Grund eines solchen
Geschäfts Gegebene vom Fiscus condicirt werden kann, ist ganz
nach privatrechtlichen Grundsätzen zu beurtheilen.
4.
So das in der vorigen Note angeführte Hannov. Gesetz.
2.
Geltung des Staatsvertrags selbst, sondern nur der durch ihn ver-
anlassten Gesetze und Exigenzen erforderlich sei, eine sehr be-
deutende Verschiedenheit der Auffassung zu erblicken; es scheint
aber, als wenn es sich nur um eine Verschiedenheit des Ausdrucks
handele. — Wenn man diese Grundsätze auf das Verhältniss der
deutschen Staaten zum deutschen Bunde anwendet, so werden sich
folgende beiden Sätze begründen lassen: 1) Eine vorhergehende
oder nachfolgende Zustimmung der Stände findet überall da nicht
statt, wo die Bundesversammlung nur ihre in den Bundesgrund-
gesetzen festgestellten Aufgaben erfüllt; 2) Beschlüsse dagegen,
welche darüber hinausgehen, sollten sie auch die in den Grund-
gesetzen vorgesehenen gemeinnützigen Anordnungen betreffen,
werden rücksichtlich der ständischen Zustimmung ganz wie andere
auswärtige Staatsverträge behandelt. Indessen haben mehrere
Verfassungen (Sächsische §. 89., Württembergische §. 3., Hanno-
verische §. 2., Badensche §. 2.) den Satz, dass alle Bundesbeschlüsse
sofort nach ihrer Publication im Lande gesetzliche Kraft haben,
— der aber in neuerer Zeit keineswegs mehr in seiner vollen
Strenge anerkannt zu werden scheint.
5.
So muss man wohl das in der Note 3. angeführte Sächsische
Gesetz auslegen, in welchem es heisst: — „es sind aber die ge-
troffenen Massregeln sobald als irgend möglich der Ständever-
sammlung — — vorzulegen, um deren verfassungsmässige
Genehmigung zu bewirken.“
6.
Bayerische Verfassungsurkunde III., 1. Sächsische Ver-
fassungsurkunde §. 18. (hiernach sind von dem Veräusserungsver-
bote ausgenommen „Veränderungen, welche bei einzelnen Par-
cellen zur Beförderung der Landescultur oder zur Entfernung
wahrgenommener Nachtheile durch Verkauf, Austausch oder Ab-
lösung, sowie in Folge eines gerichtlichen Urtheils, oder zur Be-
richtigung zweifelhafter Gränzen nöthig oder für gut befunden
werden sollten.“ Jedoch sollen die Kaufgelder alsbald wieder zur
Erwerbung von Grundeigenthum angewandt werden). Württem-
bergische Verfassungsurkunde §. 107. Badensche §. 58. u. s. w.
Die Zustimmung der Stände ist ohne Zweifel auch zu dinglichen
Belastungen erforderlich. — Uebrigens gelten diese Sätze in der
Regel nicht bloss vom reinen Staatsgute, sondern auch vom fürst-
lichen Kammergute, wo es seinen ehemaligen Character als solches
bewahrt hat. Siehe die Zusammenstellung bei v. Campe, Lehre
von den Landständen, S. 436 flg.
1.
Eine sehr ansprechende Darlegung des inneren Zusammen-
hangs der Criminal- und Civilgerichtsbarkeit giebt Regelsberger
in Pözl’s kritischer Vierteljahrschrift 4. Bd. (1862) S. 67 flg. Doch
aber betont er für seinen Zweck zu sehr, dass auch die Straf-
rechtsverhältnisse sich nicht unmittelbar auf den Staat, sondern
vielmehr auf die allgemeinen Grundlagen der sittlichen Lebens-
ordnung beziehen.
2.
Diese Gerichte können nach ihrer inneren und äusseren
Organisation sehr verschiedenartig sein. Eine Uebersicht siehe
bei Wetzell, System des Civilprocesses §. 36. und 37.
3.
Diese Sicherung fordert insbesondere auch die Bundesacte
Art. 12.
4.
Siehe die Zusammenstellung von Belegen der Verf. bei
Zöpfl, Staatsrecht, §. 449. Note 5. Selbstverständlich ist, dass
das in der Gerichtsherrlichkeit des Staats enthaltene Recht der
Oberaufsicht auf das dienstliche Verhalten der Justizbeamten
und das Recht derselben, gegen Säumniss, Nachlässigkeit und
Ordnungswidrigkeiten einzuschreiten, hiermit nicht im Geringsten
im Widerspruche steht. Eine noch weiter gehende Einwirkung
auf die Justiz giebt der Regierung das freilich nicht überall gleich
bestimmte moderne Institut der Staatsanwaltschaft. Die s. g.
freiwillige Gerichtsbarkeit wird bei strengerer Begränzung der
Justizthätigkeit auf das Gebiet des Rechtssprechens mehr und
mehr den Gerichten abgenommen und besonderen Behörden der
Rechtspolizei übertragen.
5.
Zachariä, deutsches Staats- und Bundesrecht §. 174. Ver-
gleiche Sächsische Verfassungsurkunde §. 54. Oldenburgisches
Grundgesetz Art. 114. Kurhessische Verfassungsurkunde §. 129.
(von 1852 §. 99.). Siehe auch das Hannoverische Landesverfas-
sungsgesetz von 1840 §. 9.
1.
Die Frage über die Gränzen der Civiljustiz und der Ver-
waltung, beziehendlich Verwaltungsjustiz, gehört bekanntlich zu
denen, mit welchen sich die staatsrechtliche Literatur seit Jahr-
zehnten vorzugsweise beschäftigt hat. Abgesehen von den älteren
Ausführungen Pfeiffer’s, Mittermaier’s, v. Weiller’s, Pfizer’s u. A.
verdienen aus neuerer Zeit folgende Schriften hervorgehoben zu
werden: Funke, die Verwaltung in ihrem Verhältnisse zur Justiz
u. s. w. 1838; (Kuhn) die Trennung der Justiz und Administration,
1840; Stahl, Rechts- und Staatslehre, S. 607 flg.; Bluntschli,
allgemeines Staatsrecht, 2. Bd. S. 235 flg., Regelsberger in
Pözl’s kritischer Vierteljahrschrift, 4. Bd. (1862) S. 52 flg.; Pöhl-
1.
mann, über das Wesen der s. g. administrativ-contentiösen Sachen
mit besonderer Rücksicht auf Bayern, 1853; endlich Bähr, der
Rechtsstaat, eine publicistische Skizze, 1864. Alle diese Schriften
stehen (mit Ausnahme der letzten) auf einem verwandten Stand-
punkte, obschon sie den entscheidenden Gesichtspunkt verschie-
denartig formuliren, auch im Einzelnen mehrfach auseinander
gehen. Nur Bähr scheint in seiner Schrift wieder eine fast un-
begränzte Erweiterung der Civiljustiz anzustreben, indem er den
Staat in die Sphäre seines s. g. Genossenschaftsrechts versetzen,
und die Rechtmässigkeit seiner Bewegung der allgemeinen
Kritik der Gerichte unterstellen will; aber doch befreundet er sich
S. 71 flg. mit der Einrichtung anderer, als der gewöhnlichen Civil-
gerichte hierfür, Gerichte des öffentlichen Rechts, wodurch seine
vorangehende Deduction freilich einen wesentlich anderen Cha-
racter erhält. Die Technik seines Genossenschaftsrechts gewährt
ihm gewisse Kategorieen, mit deren Hülfe er staatliche Beziehun-
gen so zu formuliren vermag, dass sie sich privatrechtlichen Er-
scheinungen verwandt zeigen. Noch weniger brauchbar erscheint
mir aber die in der jüngsten Zeit von Stein, die Verwaltungslehre
1. Th. 1865 S. 113 flg. aufgestellte Theorie, indem er ein (von der
Beschwerde zu unterscheidendes) administratives „Klagrecht“ in
denjenigen Fällen gestattet, wo eine „Verordnung“ (im constitu-
tionellen Sinne des Worts) im Widerspruche mit einem „Gesetze“
erlassen wird. So energisch auch diese Theorie geltend gemacht
wird, so gering ist doch offenbar ihre Leistungsfähigkeit, wie sich
sofort ergiebt, wenn man mit ihrer Hülfe das Problem der Ab-
gränzung der Justiz und Administration zu lösen versucht. Ueber-
haupt ist es ein sehr allgemeiner Abweg der meisten juristischen
Schriftsteller über diess Thema, dass sie die Entscheidung der
Competenzgränzen hauptsächlich bei der Frage über die Behand-
lung einer durch die Verwaltung geschehenen Rechtsverletzung
des Einzelnen zu gewinnen versuchen, indem jene vielmehr allein
durch die allgemeine Bestimmung der der Rechtspflege und der
der Verwaltung überhaupt angehörenden Verhältnisse gefunden
werden kann. — Nur wenige Staaten haben (wie z. B. das König-
reich Sachsen durch seine Competenzgesetze von 1835) den Ver-
such gemacht, unsere Frage durch eine umfassende Gesetzgebung
zu beantworten. In den meisten Staaten ist die Frage durch die
2.
Auch die Strafgewalt der Polizeibehörden ist eine wirkliche
Strafgewalt. Sie unterscheidet sich von der der Criminalgerichte
principiell nicht, indem von beiden Gerichten über die Strafwür-
digkeit von Handlungen nach den Grundsätzen des Rechts erkannt
wird. Die Unterscheidung der Competenz liegt mehr in einer
äusserlichen Classificirung der rechtswidrigen Handlungen. — Es
sind die im Texte angeführten Gründe, welche die Herrschaft des
absoluten Rechts in der Handhabung der Gerichte für das Gebiet
des Strafrechts fordern. Es sind also etwas andere Gründe, als
diejenigen, welche für das gleiche Ergebniss bei Privatrechtsver-
hältnissen entscheidend sind. Diess wird z. B. nicht genügend
gewürdigt von Regelsbreger a. a. O., dessen Darlegung im
Uebrigen zum Besten gehört, was über diese Frage geschrieben
worden ist.
1.
Praxis und durch eine grosse Menge vereinzelter Competenzbe-
stimmungen besonderer Specialgesetze (z. B. Gewerbeordnungen)
gelöst worden, so dass eine bedeutende Zahl einzelner Präju-
dizien und Gesetzesparagraphen zusammengestellt werden muss,
um ein Bild des positiv geltenden Competenzrechts zu gewähren.
Siehe z. B. v. Rönne, Preussisches Staatsrecht I., 1. S. 236 flg.
Pöhlmann a. a. O. Berner-Schäfer, Württembergischer
Civilprocess, S. 58 flg. (vergl. mit Gessler in der Tüb. Zeitschrift
für Staatswiss. 1862, S. 719 flg.). Zachariä im Magazin für
Hannoverisches Recht, Bd. 1. S. 1 flg. und 215 flg.
3.
Dieser Gesichtspunkt wird von vielen Schriftstellern richtig
hervorgehoben, aber nur selten richtig verwerthet. Die ganze
Frage ist so zu stellen: welches sind die Verhältnisse, bezüglich
deren der Einzelne nicht genöthigt ist, einen anderen Einfluss der
Staatsgewalt zu dulden, als denjenigen, welcher in der Nach-
weisung (Ausrechnung) und Feststellung des Rechts liegt? — Diese
Fragstellung würde nach dem älteren deutschen Staatsrechte nicht
verständlich erschienen sein. Bei einem Staatszustande, der we-
sentlich auf privatrechtlichen Verhältnissen ruht, in welchem die
Staatsgewalt fast durchweg durch privatrechtliche Schranken ge-
hemmt ist, ist die Verwaltung und Staatspflege das Untergeord-
nete, Nebensächliche; der Staat kann sich keine der grossen und
umfassenden Aufgaben zur Hebung und Förderung des Volks-
lebens stellen, in denen er jetzt seine wichtigste Thätigkeit ent-
wickelt. Justiz ist Alles! Von ihr wurde fast ausschliesslich die
Regulirung der staatsbürgerlichen Verhältnisse erwartet. Wie
hätte man es hier verstanden, wenn Jemand gesagt haben würde:
die Justiz ist die beschränkteste und gemässigtste Einwirkung,
welche der Staat äussern kann, — da man den Gegensatz, nämlich
die umfassendere Einwirkung der verwaltenden Thätigkeit, kaum
in den ersten Anfängen und nur als eine Abart der „jurisdictio“
kannte. Die völlige Umwandlung der Grundlagen der Staats-
wirksamkeit und die damit verbundene vollständige Veränderung
der Massverhältnisse der einzelnen Staatsfunctionen wird nirgends
mehr als hier verkannt, wo man nur zu gern für die Behauptung
einer allumfassenden Justizcompetenz in der Anführung des älte-
ren Territorial- und Reichsrechts eine s. g. historische Begründung
zu erbringen bemüht ist, vergessend, dass man seine Argumente
einer ganz anderen Welt entlehnt. (Sehr lehrreich über diese Ent-
wickelung, sowie über die Bedeutung der Administrativjustiz in
den modernen Staaten ist die Relation E. Meier’s über „Dareste
la justice administrative en France 1862“ in den Götting. gel.
Anzeig. 1864 S. 921 flg.)
4.
Mit diesem vagen Gedanken, dass alle Privatrechte, welche
nur irgendwie an öffentliche Interessen anstreifen, der Justiz ent-
zogen werden müssten, ist es in manchen Ländern gelungen, die
Justiz fast ganz zu verkümmern und beinahe auf Schuld-, Pfand-
sachen und etwa noch Erbschaftsprocesse zu reduciren. In solchen
Ländern ist man dahin gelangt, die Competenz der Justiz gar nicht
mehr als das Regelmässige und Natürliche anzusehen, sondern
beantwortet bei jedem neuen Gesetze über Gewerbe-, Assecuranz-,
Agriculturverhältnisse u. s. w. die allgemeine Frage, wer nun über
die hierbei in Frage kommenden privatrechtlichen Streitigkeiten
entscheiden solle, wie eine offene und der willkührlichsten Erledi-
gung fähige.
5.
Z. B. die Condicirung zuviel gezahlter Steuern, die For-
derung des Beamtengehaltes, der Apanage, der auf einem Staats-
vertrage beruhenden Renten, Regalien und regale Gerechtigkeiten.
Siehe auch meine Schrift über öffentliche Rechte S. 43. Sehr
seltsam ist die hie und da auftauchende Theorie, dass man unter-
scheiden müsse, ob ein Anspruch auf einem Vertrage beruhe oder
nicht. Als wenn nur der Vertrag ein Rechtstitel für Privatrechte
wäre! Offenbar kommt bei der Beurtheilung der Natur eines Rechts
Alles auf seinen Inhalt, nicht auf seinen Entstehungsgrund an.
6.
Dahin gehören namentlich Verhältnisse, welche durch die
allgemeine Gewerbe-, Schul-, Militär-, Armen-, Gemeindeordnung
u. s. w. regulirt werden. Das Königlich Sächsische Gesetz vom
28. Januar 1835 zählt im §. 8 flg. folgende Gegenstände auf: Strei-
tigkeiten über Erlangung, Wirkung, Verlust des Staats- und Ge-
meindebürgerrechts, Verbindlichkeiten zu Staats- und Communal-
abgaben und Leistungen sowie über deren Vertheilung, Erhebung
von Wege-, Brückengeld und anderen öffentlichen indirecten
Abgaben, über Polizeigegenstände, über die Verhältnisse zwischen
Kirchen- und Schulgemeinden u. s. w. Jedoch soll nach §. 11. der
Rechtsweg betreten werden, wenn sich Jemand hierbei nicht auf
allgemeine Ordnungen, sondern auf einen besonderen Rechtstitel
(Privilegium, rechtskräftige Entscheidung, Privatwillenserklärung
— Vertrag, letzter Wille, Stiftung, Anerkenntniss — Verjährung,
Herkommen) beruft.
7.
Es ist im Wesentlichen richtig, was Stahl sagt, dass für die
Gerichte das Recht Zweck, für die Verwaltung Schranke ist.
Dieser Satz enthält eine unbestreitbare Wahrheit, die sich nicht
hinwegläugnen lässt, wenn auch im Uebrigen die Ausführung
Stahl’s schillernd, unstät und theilweise sophistisch befunden wer-
den muss.
8.
Ein besonders bedeutender Vorgang ist das Königlich Säch-
sische Gesetz vom 30. Januar 1835, das Verfahren in Administra-
tivjustizsachen betreffend. Hier wird unterschieden zwischen dem
Falle, wenn mehrere Betheiligte sich einander als streitende Theile
gegenüber stehen, und dem Falle, wenn Jemand gegen die Ver-
waltungsbehörde selbst wegen erlittener Rechtsverletzung auftritt.
Für jene Fälle ist das Verfahren in Analogie des Civilprocesses regu-
lirt, für diesen dagegen geht das Verfahren in dasjenige über, was
in anderen Staaten für die Behandlung von Beschwerden besteht.
9.
Die so häufige principielle Verwerfung der s. g. Administra-
tivjustiz beruht darauf, dass sie einseitig aufgefasst und dass das
gleichnamige französische Institut als das eigentliche Muster be-
trachtet wird. So bei Zachariä, Deutsches Staatsrecht §. 149.
10.
Bekanntlich ein jetzt von verschiedenen Seiten in Anregung
gebrachter Gedanke.
11.
Man unterscheidet negative und positive Competenzcon-
flicte, je nachdem eine Behörde die Competenz ablehnt oder
fordert.
12.
Siehe die Nachweise bei Zachariä a. a. O. §. 177. Note
14—18.
1.
Ueber die sonstigen s. g. Garantieen siehe oben §. 4. Note
4. und 5.
2.
Was Bähr a. a. O. S. 83 flg. ausführt, ruft die mannich-
fachsten Einwände hervor. Ganz besonders die Frage, ob denn
wirklich „der Competenz eines Civilgerichts nicht unterworfen
sein“ und „die Schranke des Rechts nicht anerkennen“ iden-
tisch sei?
3.
Man trete mir hier nicht entgegen mit einer Hinweisung auf
die Verhältnisse der beiden grossen deutschen Staaten, welche
augenblicklich in jener Krisis begriffen sind, die keinem politischen
Gemeinwesen von solcher Bedeutung beim Uebergange in das
constitutionelle Leben erspart bleibt. Nur ein völlig Unerfahrener
kann an solche Verhältnisse den Massstab eines kleineren, inner-
lich leicht geordneten Staats legen, der nach Aussen nicht selbst
für seinen Schutz zu sorgen hat.
1.
(Buddeus) die Ministerverantwortlichkeit in constitutio-
nellen Staaten 1833. Mohl, die Verantwortlichkeit der Minister
in Einherrschaften mit Volksvertretung 1837. Die richtigste Auf-
fassung dieser Lehre finde ich bei Zöpfl, Staatsrecht §. 402 flg. —
Preussische Verfassungsurkunde Art. 61. Bayerische Verfassungs-
urkunde Tit. X. §. 4—6. Bayerisches Gesetz über den Staats-
gerichtshof und das Verfahren, vom 30. März 1850. Badische
Verfassungsurkunde §. 67. (Gesetz vom 5. October 1820). Würt-
tembergische Verfassungsurkunde §. 195 flg. Grossherzoglich
Hessische Verfassungsurkunde §. 109. (Gesetz über die Verant-
wortlichkeit der Minister u. s. w. vom 15. Juli 1821 und 8. Januar
1824). Kurhessische Verfassungsurkunde §. 100. Königlich Säch-
sische Verfassungsurkunde §. 140 flg. (Gesetz über das Verfahren
beim Staatsgerichtshofe vom 3. Februar 1838). Hannoverisches
Gesetz vom 5. September 1848 §. 102. u. s. w.
2.
Dahin gehört z. B. die durch die Verfassung gebotene Zu-
sammenberufung der Stände innerhalb einer bestimmten Frist;
nicht aber etwa die Nichterfüllung allgemeiner Zusagen, welche
das Grundgesetz aufgenommen hat.
3.
Die meisten Schriftsteller und Gesetze lassen eine Minister-
anklage nur wegen absichtlicher Verletzung der Verfassung zu,
nicht schon wegen bloss fahrlässiger, und es scheint diess auch
sowohl den allgemeinen Grundsätzen des Strafrechts als dem
Zwecke des Instituts am Meisten zu entsprechen. Dass ein Mi-
nister freilich nicht schon durch jede Berufung auf Unkenntniss
der Verfassungswidrigkeit frei werden kann, leuchtet ein; denn es
ist seine Pflicht, das Verfassungsrecht zu kennen. Auch bei
blosser Fahrlässigkeit will eine Anklage zulassen Mohl a. a. O.
S. 181 flg. (So auch die Oldenburgische Verfassung Art. 200. und
mehrere andere Grundgesetze; siehe Zöpfl, §. 407. Note 7.)
4.
Die Mittel der s. g. politischen Verantwortlichkeit, unter
denen ganz besonders das Beschwerderecht der Stände hervortritt.
5.
So z. B. in Württemberg, im Königreiche Sachsen und in
Weimar.
6.
So in Bayern.
7.
So z. B. in Hannover, Hessen und mehreren Sächsischen
Herzogthümern.
8.
Ueber den Einfluss einer Auflösung der Kammern auf einen
anhängig gemachten aber noch schwebenden Staatsprocess siehe
Mohl, a. a. O. S. 245 flg.
9.
So in Preussen (Art. 61.) und Württemberg (Art. 198.).
10.
So in Bayern (Pözl, S. 216.), Sachsen (Art. 141.), Hannover
(§. 102.) u. s. w. Es leuchtet ein, dass diese Bestimmung zwar
dazu beiträgt, frivole Anklagen abzuhalten, aber auch die Wirkung
hat, das Anklagerecht selbst ausserordentlich zu erschweren.
11.
Nach unserer Auffassung liegt die hauptsächliche Bedeu-
tung des Staatsgerichtshofs darin, dass er das Grundgesetz als
solches schützt und in seiner Integrität erhält. Der Natur der
Sache nach muss einem verurtheilenden Erkenntnisse eine äusser-
lich sichtbare Wirkung auf den Verurtheilten beigelegt werden,
aber diese Wirkung soll nicht eine gewöhnliche Strafe sein,
sondern nur die natürliche sittliche Folge einer solchen Verur-
theilung darstellen. Diese Auffassung ist die in Hannover, Braun-
schweig und der Hauptsache nach auch in Sachsen geltende. Sie
findet sich in der Nordamerikanischen Verfassung, während das
englische Recht in der Ministeranklage eine gewöhnliche Criminal-
klage erkennt. Siehe Zöpfl a. a. O. §. 403. und 409. Eine andere
Ansicht hat Mohl a. a. O. S. 567.
12.
Namentlich hat das Institut in der Württembergischen Ver-
fassung eine wenig klare und auf bestimmtem Principe ruhende
Ausbildung erhalten.
1.
Das durch den Bundesbeschluss vom 30. October 1834 ge-
schaffene Bundesschiedsgericht hatte recht eigentlich die Aufgabe,
zur Entscheidung solcher Streitigkeiten zu dienen. Hiernach
haben sich die Bundesglieder als solche gegen einander ver-
pflichtet, „für den Fall, dass in einem Bundesstaate zwischen der
Regierung und den Ständen über die Auslegung der Verfassung,
oder über die Gränzen der bei Ausübung bestimmter Rechte des
Regenten den Ständen eingeräumten Mitwirkung — namentlich
durch Verweigerung der zur Führung einer den Bundespflichten
und der Landesverfassung entsprechenden Regierung erforder-
lichen Mittel — Irrungen entstehen, und alle verfassungsmässigen
und mit den Gesetzen vereinbarlichen Wege zu deren genügender
Beseitigung ohne Erfolg eingeschlagen worden sind, — ehe sie die
Dazwischenkunft des Bundes nachsuchen, die Entscheidung solcher
Streitigkeiten durch Schiedsrichter zu veranlassen.“
2.
So im Königreiche Sachsen, Verfassungsurkunde §. 153.,
wonach der Ausspruch des Staatsgerichtshofs als authentische In-
terpretation der Verfassung gelten soll. Auch die Württem-
bergische Regierung kann ihren Staatsgerichtshof, da ihr auch ein
Anklagerecht der Stände zusteht, für diese Aufgabe benützen.
3.
Die Regierung hat freilich noch ein unter Umständen sehr
wirksames Mittel, auf die Lösung von Conflicten mit der Stände-
versammlung zu wirken, nämlich die Auflösung der letzteren und
Berufung einer neuen.
1.
Zachariä, Staatsrecht, §. 175. II.
2.
Die Frage, ob die Bundesversammlung in diesem Falle nur
mit Stimmeneinheit beschliessen könne, ist eine Frage des Bundes-
rechts. Die Stellung der Bundesversammlung ist hier, wie der
Commissionsbericht der Bundesversammlung vom 20. Juli 1843
(siehe Zöpfl, über hohen Adel und Ebenbürtigkeit 1853 S. 42)
richtig sagt, die einer „Stelle, von welcher ein öffentliches
Zeugniss
über das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein jener
persönlichen Eigenschaften mit Wirkung für den ganzen Bund
jetzt allein noch ausgehen kann. Gerichte vermögen in dieser
3.
Hierbei hat der Richter die Frage für seinen besonderen
Zweck völlig selbständig zu prüfen.
4.
Bundesbeschluss vom 15. September 1842. Hiernach soll
zuvor das zuständige Landesgericht zweiter Instanz die Sache
eines Reclamanten instruiren; die definitive Entscheidung giebt
2.
Beziehung die Bundesversammlung ebensowenig zu ersetzen, da
bekanntlich ihre Aussprüche nur Recht und Gesetz unter den
Parteien constituiren. Die Reclamanten würden also für ihren
Antrag nirgends eine Entscheidung finden, wenn sie solche nicht
bei der hohen Bundesversammlung ansprechen dürften, und wenn
sich diese nicht als Organ der Gesammtheit des Bundes, nach
Vernehmung der Ansichten aller Bundesglieder, zur Entschei-
dung des Antrags ermächtigt halten könnte.“ Für Justizsache
erklärt diese Frage Wasserschleben, juristische Abhand-
lungen 1856, No. 1. Die Thätigkeit des Bundes ist demnach hier
nicht sowohl eine richterliche, als vielmehr nur die Constatirung
der Anerkennung durch die höchsten politischen Autoritäten
Deutschlands.
5.
Die Legitimationsprüfung erstreckt sich insbesondere dar-
auf, ob das fragliche Mitglied des hochadeligen Hauses nach
der Hausverfassung der für Ausübung der Standschaft Berufene
sei, ferner auf die erforderliche reale Qualification u. s. w.
1.
Ueber die Stellung der Kammer bei dieser Function siehe
v. Rönne, Preussisches Staatsrecht, §. 117. Die Kammer urtheilt
nach Art eines Geschwornengerichts, d. h. nach freiem Ermessen.
Der Regierung steht dabei nur die Einwirkung zu, welche sich
aus der Theilnahme ihrer Vertreter an der Discussion ergiebt.
Aeussersten Falls kann sie freilich auch mit Kammerauflösung
einschreiten.
4.
dann die Bundesversammlung selbst oder in ihrem Namen eine
aus den Spruchmännern des Bundesschiedsgerichts gebildete rich-
terliche Instanz.
2.
In der älteren Zeit verklagte man wohl die „Landesherr-
schaft“ auch da, wo man ihr als der Staatsgewalt entgegentrat.
Diess ist jetzt nicht mehr möglich, aber es wäre sehr wünschens-
werth, dass nicht bloss für eine processualische Vertretung des
Fiscus, sondern auch der Staatsgewalt als solcher gesorgt würde
(etwa durch Aufstellung eines Staatsanwalts in diesem Sinne). In-
direct kann aber diese Schwierigkeit gehoben werden, wenn der
Fall den S. 201 flg. besprochenen Character annimmt.
3.
Es gehören dahin auch alle diejenigen Gewerberechte,
welche aus der älteren privatrechtlichen Behandlung des Gewerbe-
wesens hervorgegangen sind, z. B. Realgewerberechte, Bann-
rechte, Zunftprivilegien u. s. w.
4.
Diese Schwierigkeit fällt weg, wenn principaliter der Fiscus
etwa auf Entschädigung verklagt wird und dabei die Rechtsfrage
als Präjudizialpunkt auftritt.
5.
Siehe oben §. 36 u. 38. Nur bei richterlichen Beamten be-
steht eine theilweise Ausnahme.
1.
Der Verletzung durch die Gesetzgebung steht die Verletzung
durch den Inhalt von Staatsverträgen gleich, da ihre staats-
rechtliche Wirksamkeit ganz dieselbe wie die der Gesetze ist.
2.
Stahl a. a. O. S. 629 flg.
3.
Wiener Schlussacte Art. 29. Vorausgesetzt wird für die
Competenz des Bundes, dass die Abweisung des Rechtsuchenden
nicht etwa durch richterliches Erkenntniss erfolgt ist, oder dass
nicht die Abschneidung des Rechtswegs auf einem Acte der Ge-
setzgebung beruht. Wetzell, Civilprocess, §. 34. Note 19.
4.
Diess allein ist die richtige Formulirung des dem Principe des
„bloss verfassungsmässigen Gehorsams“ entsprechenden Rechts.
Von einem besonderen und eigenthümlichen Rechte des passiven
Widerstands zu reden, ist streng genommen unrichtig. Der Un-
gehorsam gegen obrigkeitliche Befehle, welche man für ungesetz-
lich hält, ist ein Ungehorsam wie jeder andere auch; er ist wegen
seines besonderen Grundes nicht von den nachtheiligen Folgen
befreit, welche sich an einen Ungehorsam überhaupt anschliessen,
andererseits aber auch wegen dieses seines Grundes nicht mit be-
sonderen Strafen belegt.
1.
Anders verhält es sich bei Massregeln der Verwaltungs-
behörden, welche sie ganz ausserhalb ihrer Competenzsphäre vor-
genommen haben, also jenseits der öffentlichen Autorität, welche
ihnen für ihren Wirkungskreis verliehen ist. Freilich tritt die
Verwaltungsbehörde nicht schon durch jede unrichtige Auslegung
und Anwendung eines Verwaltungsgesetzes aus ihrer Competenz
heraus, sondern erst, wenn sie über Verhältnisse verfügen will,
über die ihr überhaupt kein Entscheidungsrecht zusteht. Am
richtigsten drückt diess das Hannoverische Gesetz vom 5. Septem-
ber 1848 §. 10. aus, wenn es sagt: „— Verwaltungsmassregeln,
welche von den Verwaltungsbehörden innerhalb der Gränzen
ihrer Zuständigkeit vorgenommen sind, können von den Gerichten
nicht aufgehoben werden. Es kann aber in einem solchen Falle
der etwaige Anspruch auf Entschädigung bei den Gerichten
geltend gemacht werden. Verwaltungsmassregeln, welche von
den Verwaltungsbehörden ausserhalb der Gränzen ihrer Zu-
ständigkeit vorgenommen sind, können auf Antrag des dadurch
in seinen Rechten Verletzten durch die Gerichte aufgehoben wer-
den. Daneben kann von denselben geeigneten Falls auf Scha-
densersatz erkannt werden —.“ (Vergl. darüber Zachariä im
Magazin für Hannoverisches Recht Bd. 1. S. 19 flg. und Nord-
mann
, Betrachtungen über Competenzconflicte u. s. w., 2 Hefte
1862 und 1863.) Etwas anders ist die Auffassung des Königlich
Sächsischen Gesetzes vom 28. Januar 1835, betreffend die Compe-
tenzverhältnisse zwischen Justiz- und Verwaltungsbehörden §. 73.:
„(Der Rechtsweg findet statt), wenn Jemand unter der Be-
hauptung, eine Verwaltungsbehörde habe ihre Amtsgewalt über-
schritten oder gemissbraucht, oder Amtspflichten vernachlässigt,
und es sei daraus für ihn Schaden entstanden, Entschädigung
(nach Befinden Herstellung des vorigen Standes der Sache, Sach-
senbusse) verlangt. Es dürfen jedoch Justizbehörden, wenn dabei
Verwaltungsmassregeln zur Sprache kommen, über die Nothwen-
digkeit und Zweckmässigkeit derselben in Bezug auf das allge-
meine Beste, soweit eine rechtliche Erörterung darüber nicht aus-
drücklich in den Gesetzen nachgelassen worden, nicht urtheilen,
1.
noch die Verordnung der Verwaltungsbehörden für ungültig er-
klären. Auch versteht es sich von selbst, dass Justizbehörden
über die Verletzung oder Gefährdung blosser Interessen (im Ge-
gensatze der Rechte) und über Versagung von Gesuchen, deren
Bewilligung dem Ermessen der Verwaltungsbehörden überlassen
ist, nicht zu urtheilen haben; ingleichen, dass die Administrativ-
justizbehörden, wenn sie in ihrer richterlichen Eigenschaft, inner-
halb der Gränzen ihrer Competenz, Entscheidungen geben, ganz
den gewöhnlichen Justizbehörden gleich zu achten sind.“
2.
Dass dahin nicht die allgemeinen staatsbürgerlichen Rechte,
die s. g. Volksrechte, gehören, ergiebt sich aus dem oben zu §. 11.
N. 2. Gesagten. — Zu diesen Fällen eines Eingriffs in das Privat-
recht des Einzelnen ist namentlich die Ausübung des Expropria-
tionsrechts
zu zählen. Hier sind die Gerichte nicht competent,
darüber zu entscheiden, ob der Fall einer Expropriation vorhanden
gewesen sei, wenn das Gesetz die Erwägung darüber dem Er-
messen der Verwaltung schrankenlos anheim giebt; wohl aber
über die Entschädigung. Siehe Bähr, Rechtsstaat, S. 166.
3.
Z. B. der rechtswidrig erhobenen Steuer.
4.
So das angeführte Königlich Sächsische Gesetz §. 14.
5.
Ueber diese viel besprochene Frage siehe Pfeiffer, prak-
tische Ausführungen, II. S. 361 flg., III. S. 380 flg., VIII. S. 521 flg.
Schwarze, in der Zeitschrift für Rechtspflege und Verwaltung
in Sachsen, Neue Folge, Bd. 11. S. 113 flg., Bd. 12. S. 289 flg.,
Bd. 18. S. 193 flg. (diese Abhandlung behandelt principaliter die
Lehre von der Schädensklage gegen den Richter selbst und nur
nebenbei die Frage über die Haftung des Staats), besonders aber
Zachariä in der Tübinger Zeitschrift für Staatswissenschaften,
Jahrgang 1863 S. 582 flg., dessen Ausführungen ich durchweg für
richtig halte. Von der hier besprochenen Haftung des Staats,
welche lediglich auf staatsrechtlichen Gründen beruht, muss
natürlich die Haftung des Fiscus aus rein privatrechtlichen
Geschäften ihrer Mandatare und Institoren (z. B. bei der Postver-
waltung) unterschieden werden. Die staatsrechtliche Haftung
beruht auf einem in der öffentlichen Autorisation des Beamten
enthaltenen stillschweigenden Garantieversprechen. Sie ist
daher eine subsidiäre, — was freilich sehr bestritten ist. Mit
Recht hat Zachariä ausgeführt, dass die Haftung auch bezüg-
lich der richterlichen Beamten in ihrer richterlichen Thätigkeit
stattfindet; denn der Umstand, dass die Partei sich in der Regel
durch Ergreifung von Rechtsmitteln gegen eine Schadenszufügung
schützen kann, bedeutet nur, dass dem Staate für den Fall der
Unterlassung hieraus eine Einrede erwächst; die Unabhängigkeit
des Gerichts will nicht eine Loslösung desselben von der staat-
lichen Autorität sein. Die ganze Lehre von der staatsrechtlichen
Haftung des Staats wird aus unzureichenden Gründen für Preussen
verneint von v. Rönne, Preussisches Staatsrecht, §. 304.

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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2025). Gerber, Carl Friedrich Wilhelm von. Grundzüge eines Systems des deutschen Staatsrecht. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bp45.0