Mahlerei und Bildhauerarbeit
in Rom
fuͤr Liebhaber des Schoͤnen in der Kunſt
bei Weidmanns Erben und Reich.1787.
[][]
Inhalt.
- Pallaſt Giuſtiniani. S. 1
Ueber die Wahl der Suͤjets zur ſichtbaren
Darſtellung; Was das ſagen wolle: der Kuͤnſtler
kann ſie nicht intereſſant genung waͤhlen. Der
angenehme Eindruck des Anblicks, der Ideen
und Gefuͤhle, die mit demſelben fuͤr den Augen-
blick in der Seele jedes wohlerzogenen und unbe-
fangenen Beſchauers aufſteigen muͤſſen, ſind die
zuverlaͤßigſten Wegweiſer bei der Wahl eines Suͤ-
jets fuͤr bildende Kuͤnſte. Die bildenden Kuͤnſte
klaͤren den Verſtand auf, ſtaͤrken ihn, beſſern das
Herz, unterſtuͤtzen den Eindruck des unſichtbar
Schoͤnen nicht im Einzelnen, ſondern im Ganzen.
Unmittelbare Ruͤckſicht auf Beſſerung des morali-
ſchen Gefuͤhls fuͤr das Gute, kann dem angeneh-
men Eindruck des ſichtbar Schoͤnen leicht gefaͤhr-
lich werden. Eine edle Handlung im Bilde,
a 2wird
[]Inhalt.
wird von der gewoͤhnlichſten That geſagt, die mit
einem edeln Anſtande von edeln Geſtalten unter-
nommen werden kann. Eine edle That ſetzt edle
Geſinnungen in der handelnden Perſon zum Vor-
aus, und dieſe mahlt man ſelten gluͤcklich. Die
verkoͤrperte Darſtellung der Folgen des Laſters iſt,
da ſie ſo leicht haͤßliche Formen und einen unedlen
Ausdruck motivirt, ſelten ein ſchicklicher Gegen-
ſtand fuͤr die Kunſt. In wie fern das intellek-
tuelle Vergnuͤgen Zweck der bildenden Kuͤnſte ſey.
Von der hiſtoriſchen Treue bei Bekleidung der
Bildſaͤulen, als oͤffentliche Denkmaͤler. Die hei-
lige Geſchichte, als Stoff zur bildlichen Darſtel-
lung iſt der Sculptur, nicht der Mahlerei unguͤn-
ſtig. Hingeworfener Vorſchlag, die dramati-
ſchen Dichter der Alten ſtatt der epiſchen zu waͤh-
len, um daraus Gegenſtaͤnde zu Gemaͤhlden zu
entlehnen. Das Neue, das Feine, das Ueber-
raſchende: mit welcher Behutſamkeit der Kuͤnſtler
auf angenehme Eindruͤcke davon rechnen duͤrfe.
Beſtimmtere Angabe der Hauptabſicht des Kuͤnſt-
lers bei Verfertigung ſeiner Werke, verſchieden
modificirt fuͤr den Bildhauer und den Mahler.
Das Ideen-, oder vielmehr das Bildererweckende,
die Spannung der reproducirenden Kraft unſerer
Seele, iſt keinesweges Zweck eines vollkommenen
Kunſtwerks. Ueber Skizzen beilaͤufig. Ver-
muthung uͤber die Staͤrke der Wuͤrkung, welche
die Mahlerei in Vergleichung mit der Muſik und
der Dichtkunſt gewaͤhre. Beſchreibung des Pal-
laſts Giuſtiniani. Mehrere Gemaͤhlde von M.
A. Carravaggio. Stil des M. Angelo da Carra-
vaggio
[]Inhalt.
vaggio. Heiliger Johannes von Raphael und
Giulio Romano. Der Bethlehemitiſche Kinder-
mord von Pouſſin. Der heil. Johannes von
Domenichino. Gallerie der Statuen. Pallas
Giuſtiniani. Veſtalin. - Pallaſt Veroſpi. S. 52
Plafond von Albano. Das Charakteriſtiſche
ſeines Stils. - Pallaſt Ruſpoli. S. 56
Die drei Grazien. Ein ſchoͤnes Basrelief. - Pallaſt Roſpiglioſi. S. 60
Zwei allegoriſche Gemaͤhlde von Pouſſin. Au-
rora von Guido. Buͤſte des Scipio Africanus. - Pallaſt Coſtaguti. S. 69
Plafond von Domenichino. Plafond von
Guercino. - Pallaſt Caſali. S. 73
Schoͤner Kopf des Caͤſars. - Pallaſt Lancellotti. S. 74
- Pallaſt Maſſini. S. 76
Diſcobolus. - Pallaſt Albani. S. 78
- Pallaſt Spada. S. 80
Die Statue Pompejus des Großen. Judith
im Dankgebet von Guido Rem. Der Tod der
Dido von Guercino. - Villa Mattei. S. 88
Schoͤner coloſſaliſcher Kopf des Auguſtus. - Villa Giuſtiniani. S. 89
- Villa Caſali. S. 90
Antinous als Bacchus. - Pallaſt Caligula. S. 92
Tuſcia von Maratti. - Villa Farneſe, oder Orti Farneſiani. S. 93
- Pallaſt Nicolini. S. 95
- Villa Spada. S. 96
- Pallaſt Sante Croce. S. 97
Hiob von Salvator Roſa. St. Sebaſtian
von Guercino. Aſſumption der Maria von
Guido. Die vier Jahrszeiten von Albano. - Pallaſt Bologneti al Corſo. S. 101
Schoͤne Madonna von Guido. - Pallaſt Altieri. S. 102
Lucrezia von Guido Reni. Zwei ſchoͤne Land-
ſchaften von Claude le Lorrain. - Pallaſt Chigi. S. 105
- Schoͤne Landſchaft von Salvator Roſa.
Pallaſt Pamfili alla Piazza Navona.S. 108 - Pallaſt der Cancellaria. S. 108
- Der kleine Pallaſt Farneſe, oder die ſoge-
nannte Farneſina. S. 109
Plafond von Raphael. Von mehreren Ge-
maͤhlden, deren verſchiedene Suͤjets aus einer
Geſchichte hergenommen, und an einen Ort zu-
ſammengeſtellet ſind, muß jedes fuͤr ſich ſeinen
eigenen vollſtaͤndigen und beſtimmten Ausdruck
haben. Der Autor wagt eine neue Beſtimmung
verſchiedener Gattungen von Mahlereien. Er
theilt die Gemaͤhlde in Ruͤckſicht auf Ausdruck im
Ganzen analogiſch ab, in beſchreibende und han-
delnde Darſtellung fuͤr das Auge: letztere wieder,
in lyriſche und dramatiſche. Beurtheilung unſers
Plafonds zur Beſtaͤtigung jener feſtgeſetzten
Grundſaͤtze. Raphael, ein dramatiſches Genie.
Raphaels Galathea. Venus Callipyga, oder
Callypig[o]ſ. Buͤſte des Demoſthenes. Buͤſte
des Homers. Coloſſaliſcher Kopf Caͤſars. Zim-
mer mit Mahlereien von Giulio Romano. Nach-
richt uͤber die Familie des Darius von Paolo Ve-
[ro]neſe, im Pallaſt Piſani zu Venedig, (in der
Note). Bemerkungen uͤber den Stil des Giulio
Romano. - Pallaſt der Franzoͤſiſchen Academie. S. 135
Urſachen des Verfalls der Kuͤnſte in neueren
Zeiten. Ueber den Antheil, den die Lehrart in
den Academien an der verminderten Anzahl groſ-
ſer Kuͤnſtler hat. Die Natur, erſte Lehrerin des
Kuͤnſtlers. Nothwendigkeit, die Ausbildung der
E[i]nbildungskraft zu gleicher Zeit mit der Erweite-
rung der Kenntniſſe, und der Fertigkeit der Hand
a 4zu
[]Inhalt.
zu beſorgen. Nachtheil einer pedantiſchen und zu
theoretiſchen Lehrmethode. Der Autor wagt es,
einen Erziehungsplan fuͤr den jungen Kuͤnſtler in
Vorſchlag zu bringen. Beſchreibung der Kunſt-
werke in dem Pallaſte der Franzoͤſiſchen Academie.
Nachricht uͤber den Cincinnatus zu Verſalles,
(in der Note). Nachricht uͤber den Germanicus,
eben daſelbſt (in der Note). Nachricht uͤber die
Gruppe des Caſtor und Pollux in Spanien, (in
der Note). Gipsabguͤſſe weit unter den O[r]i-
ginalen. - Academia di S. Luca.S. 159
Der heilige Lucas von Raphael. - Einige allgemeine Nachrichten. S. 162
Ueber einige noch nicht beſchriebene Pallaͤſte
und Villen, uͤber die Baͤder des Titus, und das
Columbarium in der Vigna bei dem Tempel
der Minerva Medica. - Ueber die Kunſtwerke der Mahlerei und Bild-
hauerei in den Kirchen von Rom. S. 169 - Vorerinnerung. S. 171
- Ueber die Kennzeichen des Kirchenſtils.
Zuerſt: in der Bildhauerei. S. 174
Hauptunterſcheidungszeichen der Bildhauer-
kunſt der Neueren von der der Alten. Warum der
neuere Kuͤnſtler das Nackende ſeltener, und nicht
mit gleichem Gluͤcke wie der alte bildet. Dieſem
war Gewand Bekleidung des Koͤrpers, jenem iſt
ſie
[]Inhalt.
ſie Hauptſache, von deren willkuͤhrlichen Bildung
er fuͤr ſich beſtehenden Reiz erwartet. Der alte
Kuͤnſtler hebt die Geſtalt ins Ideal; der neue
haͤlt ſich an die gemeine Natur, jener giebt ſeinen
Koͤpfen den Ausdruck thaͤtiger Geiſtesgroͤße, dieſer
duldſamer Demuth oder finſterer Eingezogenheit.
Die Gruͤnde dieſer Verſchiedenheit werden aus der
verſchiedenen ſittlichen, politiſchen und religioͤſen
Erziehung des Menſchen, und zugleich aus dem
verſchiedenen Gange, den die Kuͤnſte bei ihrer Aus-
bildung genommen haben, entwickelt. Begriffe
der neueren Kuͤnſtler uͤber die Perſonen der Gott-
heit und ihrer vornehmſten Verehrer im alten und
neuen Teſtament. Die Gottheiten und Helden der
Alten ſind idealiſirt individuelle Bildungen einer
Menſchenart; das hoͤchſte Weſen, die Heiligen,
die Tugenden der Neueren, entweder wuͤrklich indi-
viduelle Bildungen einzelner Menſchen, oder alle-
goriſche Abſtracta unſinnlicher Eigenſchaften.
Die Alten gaben ihren Statuen mehr phyſiogno-
miſchen als pathalogiſchen Ausdruck; die Neueren
umgekehrt, geben ihnen mehr pathalogiſchen als
phyſiognomiſchen. Wenn die Alten ihre Statuen
in thaͤtige Bewegung ſetzten, ſo war dieſer Aus-
druck ſtets beſtimmt und vollſtaͤndig erklaͤrbar; die
Neueren liefern meiſtens nur academiſche Stellun-
gen. Letztes Unterſcheidungszeichen des Stils der
alten Bildhauer von dem der neueren: dieſe ſtreben
mit ihren Werken aus rundem Steine zu ſehr nach
der Wuͤrkung eines flachen Gemaͤhldes. Naͤhere
Beſtimmung des Herderſchen Grundſatzes: die
Sculptur arbeitet fuͤrs taſtende Gefuͤhl, (in einer
a 5Note).
[]Inhalt.
Note). Erlaͤuterndes Beiſpiel einer Statue im
neueren Kirchenſtile. - Unterſcheidungszeichen des Kirchenſtils in der
Mahlerei. S. 204
Die neueren Kuͤnſtler, welche hauptſaͤchlich fuͤr
Kirchen gearbeitet haben, haben uͤber die Sorge
fuͤr diejenigen Theile, welche eine große Compoſi-
tion zu einem wohlgefaͤlligen Ganzen machen, die
Erforderniſſe der Schoͤnheit und Wahrheit im Ein-
zelnen vergeſſen. Drei Branchen des Kirchen-
ſtils werden beſonders bezeichnet. - Anmerkungen uͤber die einzelnen Kirchen. S. 208
- Die St. Peterskirche. S. 209
Bemerkungen uͤber die Moſaiſche, oder beſſer
Muſiviſche Mahlerei. Etwas uͤber Denkmaͤler,
Ehrenſaͤulen und Grabmaͤler. Zufaͤllige Ideen
uͤber allegoriſche Bezeichnungen. Soll die Figur
des Verſtorbenen handelnd oder ruhend gebildet
werden? Die Frage wird nicht entſchieden, ſon-
dern nur zur Warnung aufgeworfen. Zweifel uͤber
das Grabmal der Madame Langhans von Hrn.
Nahl, (in einer Note). Bemerkungen uͤber die
Kunſtwerke in der St. Peterskirche im Einzelnen.
Der heil. Andreas von Fiammingo. Pieta von M.
Angelo Buonarotti. Catedra di St. Pietro.
Grabmal des Pabſtes Urban VIII. von Bernini.
Grabmal Pauls III. von M. Angelo Buonarotti
und della Porta. Attila, Basrelief von Algardi.
Ein Basrelief iſt kein Gemaͤhlde: die Anordnung
deſſelben
[]Inhalt.
deſſelben folgt andern Regeln. Die zweckmaͤßig-
ſten Suͤjets fuͤr ein Basrelief ſind ſolche, welche
reihenweiſe Aufſtellung der Figuren neben einander
in abwechſelnden Stellungen motiviren. Dieje-
nigen Basreliefs ſind die ſchoͤnſten, auf denen die
Umriſſe der Figuren ſanft in den Grund laufen.
Fortgeſetzte Beurtheilung unſers Basreliefs. Cha-
rakter des Algardi. - Die neue Sacriſtei der St. Peterskirche. S. 244
- Kirche S. Adriano in Campo Vaccino.S. 246
- Kirche Santa Agneſe, e Sta Coſtanza, beide
vor der Porta Pia.S. 247 - Kirche S. Agneſe in Piazza Navona.S. 248
- Kirche S. Agoſtino.S. 248
Eſaias von Raphael. - Kirche S. Andrea di monte Cavallo, oder
de’ Geſuiti.S. 251
Der heil. Coſka von le Gros. - Kirche S. Andrea della Valle.S. 252
Mahlereien des Domenichino. Kuppel von
Lanfranco. Hauptvorzug und Hauptfehler dieſes
Meiſters. - Kirche S. Antonio di Padova, gewoͤhnlich,
della Concezione de’ Padri Cap-
puccini genannt. S. 255
Der
[]Inhalt.
Der Erzengel Michael von Guido Reni. Ue-
ber Engels- und Teufelsgeſtalt in der neueren Mah-
lerei. - Kirche bei dem Archiginnaſio della Sa-
pienza.S. 260 - Kirche de’ S S. Apoſtoli.S. 261
- Kirche S. Bibiana.S. 261
Santa Bibiana von Bernini. Stil des Ber-
nini und ſeiner Nachfolger. - Kirche S. Caecilia in Traſtevere.S. 263
Heil. Caͤcilia von Stefano Maderno. - Kirche S. Carlo ai Catinari.S. 264
Der Tod der heil. Anna von A. Sacchi. Die
vier Cardinaltugenden von Domenichino. - Kirche S. Carlo al Corſo.S. 266
- Kirche S. Carlo alle quatro fontane.S. 267
- Kirche S. Catarina di Siena.S. 267
- Kirche S. Coſimo e Damiano.S. 267
- Kirche S. Croce in Geruſalemme.S. 268
- Kirche S. Domenico e Siſto.S. 268
- Kirche S. Euſebio.S. 269
Plafond von Mengs. - Kirche S. Franceſco a Ripa.S. 271
Pieta von Annibale Carraccio. - Kirche il Geſu.S. 273
- Kirche S. Giacomo degli Incurabili.S. 274
- Kirche S. Giacomo degli Spagnuoli.S. 275
- Kirche S. Giovanni Colabita.S. 276
- Kirche S. Giovanni Evangeliſta e S. Petro-
nio.S. 277 - Kirche S. Giovanni de’ Fiorentini.S. 278
Grabmal des Marcheſe Capponi von M. A.
Slodz. Vorſchlag zu einem Symbol an einem
unſerm Leibnitz kuͤnftig zu errichtenden Grabmale,
(in einer Note). - Kirche S. Giovanni Battiſta nel fonte Late-
rano, oder Battiſterio di S. Giovanni
di Laterano.S. 279 - Kirche S. Giovanni di Laterano.S. 280
Schoͤnes Grabmal des Pabſtes Clemens XII.
aus dem Hauſe Corſini.
Kapelle: Triclinium Leonis III. in der
Nachbarſchaft dieſer Kirche. - Kirche S. Girolamo della Carità.S. 283
Die letzte Communion des heil. Hieronymus
von Domenichino. - Kirche S. Girolamo degli Schiavoni.S. 285
- Kirche S. Giuſeppe a Capo le Caſe.S. 285
- Kirche S. Gregorio Magno.S. 286
Capelle des heiligen Andreas mit Mahlereien
von Guido Reni und Domenichino. - Kirche S. Griſogono.S. 288
- Kirche S. Ignazio.S. 289
- Kirche S. Lorenzofuori delle Mure.S. 290
- Kirche S. Lorenzo in Lucina.S. 291
- Kirche S. Lorenzo in Miranda.S. 291
- Kirche S. Luigi de’ Franceſi.S. 292
Capelle mit Mahlereien von Domenichino. - Kirche S. Marcello al Corſo.S. 294
- Kirche S. Maria degli Angeli, oder alle
Terme di Diocleziano, auch la
Certroſa.S. 295
Beurtheilung eines Gemaͤhldes von Pompeo
Battoni. Marter des heil. Sebaſtians von Do-
menichino. - Kirche S. Maria dell’ Anima.S. 300
Schoͤnes Gemaͤhlde von Giulio Romano.
Kinder von Fiammingo. - Kirche S. Maria dell’ Appollinare.S. 301
- Kirche S. Maria di Loretto.S. 301
Heil. Suſanna von Fiammingo. Einige Be-
merkungen uͤber den Stil dieſes Meiſters. - Kirche S. Maria Maddalena al Corſo.S. 303
- Kirche S. Maria Maddalena e S. Salvatore
delle Capelle.S. 304 - Kirche S. Maria Maggiore.S. 304
- Kirche S. Maria ad Martyres, oder das Pan-
theon, gewoͤhnlich la Rotonda ge-
nannt. S. 305
Madonna von Lorenzetto. - Kirche S. Maria Sopra Minerva.S. 307
Chriſtus von Michael Angelo. - Kirche Maria di Monte Santo.S. 308
- Kirche S. Maria della Navicella.S. 308
- Kirche S. Maria dell’ Orto.S. 309
- Kirche S. Maria della Pace.S. 309
- Kirche S. Maria del Populo.S. 309
Jonas von Lorenzetto nach Raphaels Zeich-
nung. - Kirche S. Maria della Scala.S. 312
- Kirche S. Maria de Sole, oder Stefano delle
Carozze.S. 312 - Kirche S. Maria in Traſtevere.S. 313
- Kirche S. Maria in Valicella, oder Chieſa
Nuova.S. 314
Kreuzabnehmung von M. A. Carravaggio. - Kirche S. Maria della Vittoria.S. 317
Gruppe der heil. Thereſia von Bernini. - Kirche S. Nicolo in Carcere.S. 320
- Kirche S. Nicolo de’ Loreneſi.S. 320
- Kirche S. Onofrio.S. 321
- Kirche S. Pietro in Montorio.S. 323
Raphaels Transfiguration. - Kirche S. Pietro in Vinculis.S. 331
Moſes von Michael Angelo. Ueber den Stil
dieſes Meiſters und ſeiner Nachfolger in der Bild-
hauerei. - Kirche S. Praſſede.S. 336
- Kirche del Priorato di Malta.S. 337
- Kirche S. Rocco.S. 337
- Kirche S. Romualdo.S. 339
Der heil. Romualdus von Andrea Sacchi.
Verdienſt dieſes Kuͤnſtlers um die Theile der Mah-
lerei, welche eine große Compoſition zu einem
wohlgefaͤlligen Ganzen machen: Ton, Harmonie
der Farben, Harmonie des Helldunkeln, Contra-
poſto, Pyramidalgruppe, und Gruppirung. Er-
klaͤrung dieſer Woͤrter. - Kirche S. Stefano Rotondo.S. 352
- Kirche Sacre Stimate di San Francesco.S. 352
- Kirche S. Sylveſtro a monte Cavallo.S. 352
Vier runde Gemaͤhlde von Domenichino, be-
kannt unter dem Nahmen: tondi del Dome-
nichino. - Kirche S. Trinità de’ Monti.S. 354
Kreuzabnehmung Chriſti von Daniel da Vol-
terra. - Kirche S. Trinità de’ Pellegrini.S. 356
- Ueber einige Kunſtwerke an offenen Plaͤtzen
der Stadt. S. 357 - Bildhauerarbeit am Triumphbogen des Ti-
tus. S. 357 - Bildhauerarbeit am Triumphbogen des Kai-
ſers Septimius Severus. S. 357 - Bildhauerarbeit am Triumphbogen des Kai-
ſers Conſtantin des Großen. S. 358 - Pferdebezwinger in monte Cavallo.S. 360
- Bildhauerarbeit an der Saͤule des Trajans. S. 361
- Bildhauerarbeit an der Saͤule des Marcus
Aurelius Antoninus. S. 363 - Bildhauerarbeit an dem Poſtament der Saͤule
des Antoninus Pius. S. 365 - Bildhauerarbeit an der Fontaine di Termine.S. 365
- Bildhauerarbeit an der Fontaine di Trevi.S. 366
- Bildhauerarbeit an der Fontaine della Piazza
Navona.S. 366 - Kleinere Fontaine ebendaſelbſt. S. 367
- Paſquino. S. 368
- Nachtrag
einiger Nachrichten uͤber Kunſtwerke zu Fres-
cati, in den Villen der umliegenden Ge-
gend, und beſonders in der Kirche zu
Grotta Ferrata. S. 369 - Villa Aldobrandini. S. 369
- Caſino Aldobrandini. S. 369
- Villa Mondragone. S. 369
Schoͤner coloſſaliſcher Kopf des Antinous. - Villa Falconieri. S. 370
- Villa Bracciano. S. 370
- Kapuzinerkloſter. S. 370
- Kirche zu Grotta Ferrata. S. 370
Mahlereien von Domenichino: Charakter die-
ſes Meiſters. - Schluß. S. 377
Pallaſt[[1]]
Pallaſt Giuſtiniani.
Ich habe mir vorgenommen, zu Anfang dieſesUeber die
Wahl der
Suͤjets zur
ſichtbaren
Darſtellung.
Was das ſa-
gen wolle:
der Kuͤnſtler
kann ſie nicht
intereſſant
genung waͤh-
len.
dritten Theils meines Verſuchs uͤber die Mah-
lerei und Bildhauerkunſt nach Anleitung ihrer
Werke, die in Rom angetroffen werden, uͤber eine
wichtige Frage zu reden: uͤber eine Frage, die auf
den Genuß der bildenden Kuͤnſte von dem groͤßten
Einfluſſe iſt: uͤber eine Frage, die man oft entſchie-
den und nie eroͤrtert hat: uͤber die Frage naͤmlich,
auf welche Wuͤrkung von ſeinen Werken der Kuͤnſtler
bei dem Beſchauer vorzuͤglich rechnen, und ſich dar-
nach bei der Wahl der Gegenſtaͤnde zur Darſtellung
beſtimmen muͤſſe.
Und dieſe Frage iſt keinesweges weit hergeholt;
ſteht keinesweges am unrechten Orte bei einem Pal-
laſte, der von unzufriedenen Liebhabern gemeiniglich
als Rechtfertigung ihrer Klagen uͤber die wenig in-
tereſſanten Suͤjets, welche viele Italieniſche Mei-
ſter beſchaͤfftiget haben, angefuͤhret wird.
Dies Fußwaſchen, dieſer heil. Matthaͤus dem
ein Engel beim Schreiben die Hand fuͤhrt, dieſe
Juͤnger zu Emmaus die wir hier aufgeſtellet ſehen,
Dritter Theil. Awas
[2]Pallaſt Giuſtiniani.
was ſagen ſie, ſo wie viele andere aus der Geſchichte
des neuen Teſtaments entlehnte Begebenheiten, un-
ſerm Herzen, unſerer Einbildungskraft? Ich raͤume
ein: Nicht viel! Es waͤre zu wuͤnſchen, daß man
aus einem Buche, das ſo reich an Handlung iſt,
immer ſolche Suͤjets waͤhlen moͤchte, die außer mah-
leriſcher Wuͤrkung auch wohlgefaͤllige Formen und
einen edeln Ausdruck motiviren.
Wenn man aber nun fortfaͤhrt zu klagen, wenn
man ſogar verlangen will: nichts ſolle man mahlen,
was nicht das ſittliche Gefuͤhl unmittelbar beſſere,
den Verſtand aufklaͤre, und alle Vorſtellung bibli-
ſcher Geſchichte muͤſſe gaͤnzlich von dem Gebiete der
ſchoͤnen Kuͤnſte ausgeſchloſſen werden; ſo merkt man,
daß dieſe Forderungen ſo unbeſtimmt und ausſchwei-
fend ſind, daß ſie in die Claſſe der Anmaaßungen
geſetzt werden muͤſſen, denen man nichts einraͤumen
kann, weil ſie zu viel Aufopferung nach ſich ziehen
wuͤrden.
Die Differenz, auf deren Entſcheidung es hier
ankommen wird, muß dahin genauer beſtimmt
werden:
Soll der Kuͤnſtler bei der Wahl ſeiner Suͤjets
auf unmittelbare Beſſerung des moraliſchen Gefuͤhls
fuͤr das Gute, und Aufklaͤrung des Verſtandes,
des Erkenntniß, Urtheilsvermoͤgen, ja! ſelbſt auf
Verſtaͤrkung eines vorhin von Werken anderer
Kuͤnſte, die mehr als ſie fuͤr das intellektuelle Ver-
gnuͤgen arbeiten, erhaltenen Eindrucks ſeine erſte
Ruͤckſicht nehmen: kurz! ſoll er auf Nutzbarkeit zu-
erſt und hauptſaͤchlich rechnen;
Oder
[3]Pallaſt Giuſtiniani.
Oder ſoll ihn das beſtimmen: ob die Einbil-
dungskraft des Beſchauers, deſſen Gefuͤhl fuͤr das
ſichtbar Vollkommene und Wahre, fuͤr den Augen-
blick der Beſchauung ſeines Werks, ohne Ruͤckſicht
auf Vorempfindung und kuͤnftigen Gewinn, an der
Darſtellung Unterhaltung finden werde: kurz! ob
gegenwaͤrtiges Vergnuͤgen im eigentlichſten Verſtande,
Vergnuͤgen des Augenblicks, der Wegweiſer ſeiner
Bemuͤhungen ſeyn muͤſſe.
Ich fuͤhle, daß ich hier noch nicht ganz verſtaͤnd-
lich bin, aber ich werde es in der Folge werden,
wenn Beiſpiele zur Lehre hinzutreten. Nur um
einem Misverſtande vorzubeugen, erklaͤre ich hier
nochmals, daß ich Vergnuͤgen, als Wuͤrkung bil-
dender Kuͤnſte, fuͤr den gegenwaͤrtig wohlgefaͤlligen
Eindruck nehme, den der bloße Anblick eines fuͤr ſich
ſtehenden Bildes giebt: Unter Nutzen aber auch das
Vergnuͤgen begreife, welches uͤberhaupt die Veran-
laſſung zu ferneren angenehmen Senſationen jeder
Art durch den Anblick des Bildes gewaͤhrt.
Nur unſere Erfahrungen uͤber die weſentlichenDer ange-
nehme Ein-
druck des
Anblicks, der
Ideen und
Gefuͤhle die
mit demſel-
ben fuͤr den
Augenblick
in der Seele
jedes wohl-
erzogenen
Beſtandtheile des angenehmen Eindrucks, den wir
von den Kuͤnſten empfangen haben, koͤnnen uns bei
Entſcheidung dieſer Frage zur Richtſchnur dienen:
nicht das Ideal, welches wir uns von dem hoͤchſten
Zwecke der Kunſt ohne Kenntniß ihrer Kraͤfte ma-
chen: nicht der Eindruck, den wir von ihnen zum
Beſten des einzelnen Menſchen, oder zum Beſten
eines idealiſchen Ganzen, erwarten moͤchten.
Jener Torſo di Belvedere ohne Kopf, Arm
und Beine, was giebt er fuͤr den Augenblick meinem
A 2Herzen
[4]Pallaſt Giuſtiniani.
und unbe-
fangenen
Beſchauers
aufſteigen
muͤſſen, ſind
die zuverlaͤſ-
ſigſten Weg-
weiſer bei der
Wahl eines
Suͤjets fuͤr
bildende
Kuͤnſte.Herzen fuͤr eine beſſere Richtung; meinem Verſtande
fuͤr eine neue oder verſtaͤrkte Vorſtellung einer auf
fernere Schluͤſſe fuͤhrenden Wahrheit; oder endlich
der reproducirenden Kraft meiner Seele fuͤr ein Bild,
durch die Darſtellung eines Dichters vorherempfun-
den? Mir, ſage ich, und ich nenne den Haufen,
der auf den Genuß der Kuͤnſte mit mir berechtigt iſt;
nicht den Antiquar, nicht den Litterator, nicht den
Kuͤnſtler. Denn um einen Eindruck aͤſthetiſch zu
nennen, muß er nicht particulair, er muß ſo allge-
mein ſeyn, als der Wuͤrkungskreis der Kuͤnſte es
uͤberhaupt zulaͤßt.
Jener flinke raſche Bauerkerl, der ſein Maͤd-
chen ſo herzlich durchs Waſſer traͤgt; jene Spieler
des Carravaggio, die den Neuling hintergehen; jene
gute Mutter des Gerhard Daw, ſind ſie von dem
Gebiete der ſchoͤnen Kuͤnſte ausgeſchloſſen, weil mein
moraliſches Gefuͤhl nichts durch ihren Anblick ge-
winnt, weil keine neue, oder verſtaͤrkte Vorſtellung
einer nuͤtzlichen Wahrheit, einer ſchoͤnen Stelle aus
einem Dichter dadurch in meiner Seele aufſteigt?
Wer wird das behaupten? Ich habe die Schoͤn-
heit jenes Rumpfes angeſtaunt, die Wahrheit ſeines
Fleiſches, ſo wie die Geſchicklichkeit der Behandlung
des Marmors bewundert; Ich habe den Ausdruck
des guten Jungens, der die Gelegenheit ſein Maͤd-
chen zu umarmen ſo beſcheiden zu nutzen weiß, die
Wahrheit, die Abwechſelung in Minen und Stel-
lung der Betruͤger gefuͤhlt, und das Lachen uͤber den
dummen Betrogenen nicht zuruͤckhalten koͤnnen; Ich
habe ſelbſt da wo weder Schoͤnheit der Geſtalt noch
Wahr-
[5]Pallaſt Giuſtiniani.
Wahrheit des Ausdrucks der Affekte mein Empfin-
dungsvermoͤgen in Bewegung ſetzte, in der Wahr-
nehmung einer treuen Nachbildung, in der mahleri-
ſchen Wuͤrkung der Farben und des Helldunkeln,
endlich in dem Ruͤckblick auf die Geſchicklichkeit des
Kuͤnſtlers, Quellen eines Vergnuͤgens gefunden, das
der Mann mit ſeinen nuͤtzlichen Ruͤckſichten da, mir
auf keine Weiſe wegſophiſtiſiren ſoll.
Er ſelbſt, wenn er nicht durch lange Gewohn-
heit ſeinen Sinn fuͤr das ſichtbar Angenehme des
bloßen Anblicks abgeſtumpft hat, er muß ein Ver-
gnuͤgen mit mir theilen, das ſelbſt ein Friedrich der
Große als Gegenſtand ſeiner Erholung ſtets gewuͤr-
digt hat.
Ich wuͤrde nun von ihm den Beweis erwarten
duͤrfen, daß die Idee eines Nutzens fuͤr den Ver-
ſtand und fuͤr das moraliſche Gefuͤhl des Guten, den
Mangel der Schoͤnheit, der Wahrheit des Aus-
drucks der Affekte, der kuͤnſtlichen Behandlung je-
mals wieder gut gemacht habe. Er wird ihn mir
in Ewigkeit ſchuldig bleiben, und dann wuͤrde ſo viel
bewieſen ſeyn, daß dieſe, nicht jene Stuͤcke als Be-
ſtandtheile des Weſens der bildenden Kuͤnſte ange-
ſehen werden muͤßten.
Aber ſagen jene Stoiker, die ſo gern Aufklaͤrung
und Beſſerung durch die Kuͤnſte verbreiten wollen:
Ihr Epicuraͤer, die ihr nur fuͤr den Augenblick ge-
nießet, ihr thut uns Unrecht! Wir verlangen nicht,
daß jene Grundlagen des ſichtbar Angenehmen der
Conſideration des Nutzens, des außer dem Anblick
liegenden Vergnuͤgens, je aufgeopfert werden ſollen;
A 3ſondern
[6]Pallaſt Giuſtiniani.
ſondern wir wollen nur, daß der wohlgefaͤllige Ein-
druck des bloßen Anblicks eine nuͤtzliche Richtung er-
halte, und daß in allen Faͤllen wo Vergnuͤgen und
Nutzen nicht mit einander beſtehen koͤnnen, die Werke
der Kunſt, welche nur jenes bezielen, wo nicht als
Peſt der Sitten, wenigſtens als unnuͤtzes Spielwerk,
mit den Worten Ludwig des XIV. otez moi ces
magots là! aus unſerm Anblick weggeſchafft wer-
den ſollen.
Alſo: das Nuͤtzliche ſoll nicht gebildet werden,
wenn es nicht zu gleicher Zeit wohlgefaͤllig ſeyn kann:
aber das Wohlgefaͤllige ſoll auch nicht gebildet wer-
den, wenn es nicht zu gleicher Zeit nuͤtzlich ſeyn
kann.
Dieſer Ausſpruch ſcheint eine Art von Compoſi-
tion beider ſtreitenden Partheien zu enthalten, er hat
den Anſchein eines billigen Vergleichs. Allein wohl-
erwogen, iſt der Nachtheil ganz auf unſerer Seite.
Wir verlieren, wenn wir jenes Interim, jenes Ver-
einigungsmittel annehmen, die halbe Italieniſche und
Hollaͤndiſche Schule, ganze Arten von Gegenſtaͤnden,
der Mahlerei, Stilleben, Blumenſtuͤcke, unbelebte
Landſchaften: Und ſie, unſre Gegner, opfern hoͤch-
ſtens einige Klecker auf, deren Schattenriſſe nuͤtzli-
cher Wahrheiten, und merkwuͤrdiger Geſchichten ih-
nen ohnehin kein dauerndes Vergnuͤgen machen konn-
ten. Ich habe laͤngſt die Gemaͤhlde aus der Aeneis
von Coypel, und die Sinnbilder des Octavius van
Veen vergeſſen, und erinnere mich immer mit dem
groͤßten Intereſſe an die vache qui piſſe von Paul
Potter.
[Doch]
[7]Pallaſt Giuſtiniani.
Doch man wird die eigentliche beſchreibende
Mahlerei, von der dramatiſchen abſondern, ſich blos
auf hiſtoriſche Compoſitionen einſchraͤnken, und von
dieſen erwarten wollen, daß ſie nur dem moraliſchen
Gefuͤhle, dem Erkenntnißvermoͤgen, der Erinnerung
an mehr intellektuale Schoͤnheiten, intereſſante Ge-
genſtaͤnde darſtellen ſollen.
Aber ſelbſt in Anſehung dieſer, darf man ſich
billigere Grundſaͤtze verſprechen, wenn man erwaͤgt:
Einmal, daß die bildenden Kuͤnſte ſelbſt dann, wann
ſie nicht unmittelbar durch jedes einzelne Werk beſ-
ſern, aufklaͤren, an intellektuelle Schoͤnheiten ſinn-
lich erinnern, dennoch im Ganzen fuͤr Bildung des
Geiſtes und des Herzens von dem wichtigſten Ein-
fluſſe ſind.
Zweitens: daß die Ruͤckſicht auf unmittelbaren
Nutzen, ein Wort, welches hier die Verſtaͤrkung
eines vorher empfundenen Vergnuͤgens anderer Art
mit umfaßt, in den bildenden Kuͤnſten zu Irrthuͤ-
mern verfuͤhre, welche fuͤr unſer gegenwaͤrtiges Ver-
gnuͤgen an dem ſichtbar Angenehmen aͤußerſt gefaͤhr-
lich werden koͤnnen.
Das Urtheil uͤber das ſichtbar Vollkommene,Die bilden-
den Kuͤnſte
klaͤren den
Verſtand
auf, ſtaͤrken
ihn, beſſern
das Herz,
unterſtuͤtzen
den Eindruck
des unſicht-
uͤber Wahrheit des Ausdrucks, uͤber mahleriſche
Wuͤrkung, uͤber das Verdienſt der mechaniſchen
Behandlung, mit einem Worte: der Geſchmack in
den bildenden Kuͤnſten, haͤngt von der Wahrneh-
mung ſo feiner Verhaͤltniſſe ab, daß der Mann, der
ſich anhaltend darin uͤbt, den Einfluß der hierbei er-
langten Fertigkeit nothwendig in alle den Lagen erfah-
ren muß, worin das Verhalten, die Entſcheidung,
A 4nicht
[8]Pallaſt Giuſtiniani.
bar Schoͤ-
nen nicht im
Einzelnen,
ſondern im
Ganzen.nicht von der Befolgung feſtgeſetzter Regeln, ſondern
von dem Zuſammentreffen der jedesmaligen Umſtaͤnde
abhaͤngt. Der Geiſt des Menſchen, der ſich mit
ernſthaften, und fuͤr das Wohl ſeiner Mitbuͤrger
wichtigen Angelegenheiten beſchaͤfftigt, wuͤrde der
ſteten Anſtrengung ſeiner Kraͤfte erliegen, wenn er
nicht zuweilen eine Erholung faͤnde, die ihn abſpannt,
ohne ihn zu erſchlaffen, oder vielmehr gaͤnzlich ein-
zuſchlaͤfern.
Die Unterhaltung, welche die bildenden Kuͤnſte
gewaͤhren, ſcheint dazu beſonders geſchickt. Sie iſt
leicht, weil ſie ſinnlich iſt; ſie iſt beſchaͤfftigend, weil
ſie die Einbildungskraft ausfuͤllt, und das Empfin-
dungsvermoͤgen zur ſanften Theilnehmung einladet.
Dieſe Kraͤfte der Seele, wenn ſie gleich nicht zu den
obern gehoͤren, ſind bei der Ausfuͤhrung vieler Ge-
ſchaͤffte nicht ohne Wuͤrkſamkeit, ſie werden durch
die bildenden Kuͤnſte erhalten, ausgebildet, ohne in
die lebhafte Spannung und Thaͤtigkeit geſetzt zu wer-
den, welche die obern Erkenntniß und Urtheilskraͤfte
ſchwaͤchen koͤnnte.
Der groͤßte Vorzug der bildenden Kuͤnſte in
Ruͤckſicht auf Gewinn des Verſtandes aber ſcheint
mir dieſer zu ſeyn, daß ſie die Seele zuweilen von
der wuͤrklichen Welt abziehen, ohne ſie dieſer uͤber
die Idealiſche vergeſſen zu machen. Wir erblicken
vollkommnere Menſchen, aber nur der Geſtalt nach,
nur als Geſtalten. Wir werden ruhig, heiter, und
nicht unbillig. Wir kehren von dem Anblick der
Welt im Bilde, gleichſam als durch einen ſanften
Traum geſtaͤrkt zuruͤck, und finden uns geſchickter,
die Buͤrde des Lebens wieder aufzunehmen.
So
[9]Pallaſt Giuſtiniani.
So ſchaͤrfen die Kuͤnſte, ſo ſtaͤrken die Kuͤnſte
den Verſtand im Ganzen. Aber auch fuͤr das mo-
raliſche Gefuͤhl kann das bloße Vergnuͤgen an dem
ſichtbar Vollkommenen, ohne unmittelbare Ruͤckſicht
auf deſſen Beſſerung wieder im Ganzen, von den
ſeligſten Folgen ſeyn.
Wer wird den Anſpruch des Menſchen auf Er-
holung, auf Muße, aufs uneigennuͤtzige Vergnuͤgen,
auf jenes dolce far niente der Italiener, ver-
kennen! Und wie oft wird es nur mit Verderben fuͤr
Geiſt und Koͤrper aufgeſucht! Eine Kunſt die ohne
der geſelligen Beſtimmung zu ſchaden, ohne eigen-
nuͤtzige oder groͤbere Triebe zu naͤhren, dieſe Erho-
lung, dieſe geſchaͤfftloſe Beſchaͤfftigung gewaͤhrt, ſoll
ſie nicht wenigſtens mit dem ſo oft misbrauchten Kar-
tenſpiele, und andern Unterhaltungen dieſer Art in
eine Claſſe geſetzt werden? Doch! ſie hat Anſpruͤche
auf einen hoͤheren Rang unter den Befoͤrderungs-
mitteln der Tugend! Das Gefuͤhl des ſichtbar Voll-
kommenen, waͤre es auch nur dasjenige, was durch
die Wahrnehmung der Harmonie der Farben und
der Lichter, alſo durch die unterſte Art des Schoͤnen
erweckt wird, haͤngt mit dem Gefuͤhl des moraliſch
Vollkommenen ſo genau zuſammen, ſcheint ſo ſehr
auf einer und derſelben Grundfaͤhigkeit zu beruhen,
daß man ſie dreiſt fuͤr Sproͤßlinge einer und derſelben
Wurzel anſehen kann, oder, wenn man lieber will,
fuͤr verſchiedene Trompen, mit denen eine gemein-
ſchaftliche Nahrung zur Erhaltung und Entwickelung
des einfachen Keims des Guten und Schoͤnen einge-
ſogen wird. Schwerlich wird der Hollaͤnder der die
ſichtbare Vollkommenheit in den Theilen, worin
A 5Teniers
[10]Pallaſt Giuſtiniani.
Teniers Bauerſchenken wuͤrklich ſchoͤn ſind, in der
Harmonie der Farben und des Helldunkeln, uneigen-
nuͤtzig empfindet, gegen die moraliſche Vollkommen-
heit der Harmonie unſerer Handlungen mit unſern
Geſinnungen ganz unempfindlich bleiben koͤnnen.
Iſt ſo viel bewieſen, daß das Nachſtreben der
bildenden Kuͤnſte nach bloßer Unterhaltung des Be-
ſchauers dem Verſtande und den Sitten keinesweges
nachtheilig ſey; — und ich brauche hier nicht zu er-
innern, daß beabſichtete Ausbildung unſers Ver-
ſtandes und Herzens von dem Misbrauche der bild-
lichen Darſtellung zu unanſtaͤndigen, unſittlichen
Gegenſtaͤnden ſehr verſchieden ſey; — ſo fraͤgt ſich
nun noch, ob die abſichtliche Ruͤckſicht auf Nutzen
bei der Wahl einzelner Gegenſtaͤnde zur bildlichen
Darſtellung eben ſo unnachtheilig fuͤr unſer Ver-
gnuͤgen ſeyn moͤchte?
re Ruͤckſicht
auf Beſſe-
rung des mo-
raliſchen Ge-
fuͤhls fuͤr
das Gute,
kann dem
angenehmen
Eindruck des
ſichtbar
Schoͤnen
leicht gefaͤhr-
lich werden.
Eine edle
Handlung
Ich wende mich zuerſt zur Pruͤfung der Forde-
rung, daß unſer Herz zur Tugend durch den Anblick
ſolcher Bilder aufgefordert werden ſolle, welche edle
und erhabene Thaten verewigen, oder die Folgen der
Tugend und des Laſters allegoriſch verſinnlichen.
Edle und erhabene Thaten! Hier herrſcht un-
ſtreitig Verwechſelung der Begriffe, oder uͤbertriebene
Anmaaßung. Man kann die edle Faſſung mahlen,
mit der eine edle That gethan wird, man kann eine
edle Handlung mahlen, nie aber die edle Geſinnung
die in der Handlung liegt, und dieſe allein zur edlen
That macht.
Alle
[11]Pallaſt Giuſtiniani.
Alle Handlungen ſelbſt unintereſſante und ge-im Bilde,
wird von der
gewoͤhnlich-
ſten That ge-
ſagt, die mit
einem edeln
Anſtande
von edeln
Geſtalten
unternom-
men werden
kann. Eine
edle That
ſetzt edle Ge-
ſinnungen in
der handeln-
den Perſon
zum Voraus,
und dieſe
mahlt man
ſelten gluͤck-
lich.
woͤhnliche koͤnnen fuͤr das waͤgende Auge mit einem
gewiſſen Anſtande unternommen werden, der, weil
er auf die Idee eines zu edeln und erhabenen Thaten
faͤhigen Geiſtes zuruͤck fuͤhrt, den Nahmen eines
edeln eines erhabenen Ausdrucks verdient, und der
Zuſatz einer ſchoͤnen und dem Charakter von Erhaben-
heit angemeſſenen Form, macht das Sitzen eines
ruhenden Hercules in dem Bilde, zu einer ſichtbar
edlen oder erhabenen Handlung.
Aber nicht zu einer edeln zu einer erhabenen
That! die trauen wir dem Manne im Bilde zu,
ſehen aber koͤnnen wir ſie ſelten mit Gluͤck. Denn
es muß bei dem Begriff derſelben die Vorſtellung
von Ueberwindung niedriger Leidenſchaften, von ei-
nem wuͤrklichen Aufwande großer Seelenkraͤfte hinzu-
treten; und dieſe Vorſtellung erweckt eine Kunſt, die
nur einen ſtillſtehenden Augenblick ſchildert, entweder
gar nicht, oder aͤußerſt mangelhaft. David der
ſeinem Feinde Saul einen Zipfel des Rocks abſchnitt,
anſtatt ihn, da er in ſeiner Gewalt war, zu toͤdten,
begieng eine erhabene eine edle That: aber dieſer Augen-
blick, der einzige der in dieſer Begebenheit der ſichtba-
ren Darſtellung faͤhig iſt, enthaͤlt keine edle, erhabene
Handlung im Bilde. Dagegen ſagen wir von den ſo-
genannten Pieta’s, oder Madonnen die uͤber den er-
ſchlagenen Chriſtus trauren, daß ſie einen edlen erha-
benen Gegenſtand fuͤr die Kunſt ausmachen, obgleich
das Trauren einer Mutter uͤber ihren erſchlagenen
Sohn, gewiß keine erhabene, edle That, vielmehr
eine aͤußerſt gewoͤhnliche iſt. Man vergleiche damit
die Mutter der Gracchen, die auf die Nachricht von
dem
[12]Pallaſt Giuſtiniani.
dem Tode des letzten ihrer beiden Soͤhne antwortet:
Er iſt fuͤrs Vaterland geſtorben! Gewiß eine viel
edlere That; aber welch eine kalte todte Figur muͤßte
ſie im Bilde machen!
Dasjenige was uns bei einer edeln That am
meiſten intereſſirt, die ruhige Geiſtesſtaͤrke der han-
delnden Perſon, laͤßt ſich nie auf dem Bilde verſinn-
lichen: ſie wird zur Apathie, zur Inaktion, und
verfehlt aller Ruͤhrung.
Edel und erhaben ſind alſo Woͤrter, welch[e] in
der Mahlerei von den Formen, von dem Ausdrucke
der oft gewoͤhnlichſten Affekte gebraucht werden: auf
das Erhabene, auf das Edle der hiſtoriſchen That,
wenn ſie auf Affekten beruhet, die ſich nicht beſtimmt
durch Gebaͤrden ausdruͤcken laſſen, ſoll, darf der
Kuͤnſtler keine Ruͤckſicht nehmen, ſie iſt fuͤr ihn un-
brauchbar.
Wie unbedeutend wuͤrde der Ausdruck eines:
Soyons amis Cinna! des Auguſtus, gegen den
Mord des heil. Petrus des Maͤrtirers; wie kalt der
des Vaters der Horazier mit ſeinem: qu’ il mou-
rut! gegen die Camilla die von ihrem Bruder er-
ſtochen wird, in dem Bilde ſtehen!
Ein edles Suͤjet heißt alſo in den bildenden
Kuͤnſten ein Suͤjet, das Veranlaſſung zu edlen For-
men und einem edlen Ausdruck gewaͤhrt. Es giebt
edle Thaten, die fuͤr die Kunſt auch edle Suͤjets ſind,
und als ſichtbare Darſtellung Wuͤrkung thun: aber
dies haͤngt nicht von dem Edlen der That ſelbſt,
ſondern von der zufaͤlligen Veranlaſſung ab, einen
ſichtbar deutlichen, vollſtaͤndigen, abwechſelnden,
und
[13]Pallaſt Giuſtiniani.
und dabei edeln Ausdruck zu motiviren. Die Ge-
ſchichte des Regulus, des Herzogs Leopold von Braun-
ſchweig 1) ſind von dieſer Art. Aber die Geſchichte
der
[14]Pallaſt Giuſtiniani.
der Decier, des Codrus ſind es nicht: und ein Vo-
gelſchießen von Domenichino, eine Grablegung von
Raphael ſind es in eben dem Grade.
perte Dar-
ſtellung der
Folgen des
Laſters, iſt,
da ſie ſo leicht
haͤßliche For-
men, und ei-
nen unedlen
Ausdruck
motiviret,
ſelten ein
ſchicklicher
Gegenſtand
fuͤr die
Kunſt.
Ich gehe weiter, und finde in den Verſuchen
die Folgen des Laſters und der Tugenden zu meiner
moraliſchen Beſſerung zu verkoͤrpern, eben dieſelbe
Gefahr fuͤr mein Vergnuͤgen.
Den erſten Beweis nehme ich aus einem unter
uns bekannten Drama, dem deutſchen Hausvater,
her.
Eine der handelnden Perſonen iſt ein Mahler,
der neben ſeinem Enthuſiasmus fuͤr die Kunſt, eine
Tochter zum einzigen Reichthum hat. Ein vornehmer
Weichling, ein Graf, hat uͤber die Unſchuld des Maͤd-
chens geſiegt, und iſt nun im Begriff ſich von ihr zu
trennen. Dem Vater iſt das Verhaͤltniß ſeiner
Tochter mit dem Grafen, der ehemals ſein Schuͤler
in der Kunſt geweſen war, ein Geheimniß. Er
zeigt dem Verfuͤhrer einige ſeiner letzten Arbeiten, und
bei dieſer Gelegenheit legt ihm der Dichter folgende
Worte in den Mund:
„Hoͤren Sie, Graf, die Kuͤnſtler des Alter-
„thums wußten ſo ſtark auf ihre Nation zu wuͤrken:
„Ich denke wir koͤnnten das auch, ſtellten wir Ge-
„genſtaͤnde vor, die jeden beſonders angiengen. Es
„iſt
1)
[15]Pallaſt Giuſtiniani.
„iſt zum Beiſpiel ein abſcheuliches Ding, ein Kin-
„dermord! Ich nach meinem Gefuͤhl kenne nichts
„ſchrecklicheres in der Natur! — Ich daͤchte es
„wuͤrde Vortheile haben, wenn unſere Kunſt ſolche
„Gegenſtaͤnde darſtellte. Sehen Sie, Graf, ich
„habe hier die Skizzen gemacht; hier das ungluͤck-
„liche Maͤdchen wie es ihr Kind wuͤrgt, merken
„Sie, da oben in dem Strich da, die Verzweiflung,
„die Raſerei der Mutter! Fuͤhlen Sie das, Graf!
Vortrefflich! Vortrefflich! aber das gilt nur
dem Dichter. Dem Mahler, der das haͤtte ſprechen
koͤnnen, duͤrften die Alten, auf die er ſich beruft, die
Kunſt ſogleich nach dieſer Rede gelegt haben. Ein
Kindermord! Nichts ſcheußlicheres in der Natur!
Und dennoch ſoll die Vorſtellung eine Quelle des
Vergnuͤgens ſeyn! Fuͤr wen? Fuͤr den Grafen ge-
wiß nicht; und der ruhige Beobachter! Was weiß
der von der Veranlaſſung zu dieſer ſchrecklichen That!
Er ſieht die Mutter zum erſten Male, und das Un-
geheuer das ihr Kind wuͤrgt, mit Zuͤgen entſtellt
durch Verzweiflung, verzerrt durch Raſerei, — auf
immer. Ja! wird man ſagen, das hat der Dichter
im Schauſpiel den Mahler wohl ſagen laſſen koͤnnen,
was kuͤmmert den der Kuͤnſtler, wo er den Menſchen
braucht; aber in der Natur, in der wuͤrklichen
Welt — Sind vielleicht keine Hogarths, keine Chodo-
wieky’s bekannt? Habe ich nicht in Paris die voͤllige
Anwendung dieſer Lehre auf einer ausgefuͤhrten Skizze
des Greuze geſehen? Ich wollte, ich haͤtte nicht:
Denn auf folgende Art hatte er die Allegorie einer un-
gluͤcklichen Ehe entworfen:
Zwei
[16]Pallaſt Giuſtiniani.
Zwei Ehegatten fahren in einem Kahne uͤber den
Strom des Lebens hin, von dem ſich ein Arm zu
einem ſchrecklichen Catarakt bildet. Das Weib, ein
feiſtes faules Geſchoͤpf, ſchlaͤft auf dem Hintertheile
des Nachens. Der abgehaͤrmte ausgemergelte
Mann erſchoͤpft ſeine letzten Kraͤfte unter der Laſt des
Ruders. Ihre [ausgehungerten] Kinder liegen ſich in
den Haaren uͤber ein Stuͤck Brod: Dies giebt der
einen Seite des Nachens das Uebergewicht, er
ſchlaͤgt um, er ſinkt in den Abgrund!
Welche Gegenſtaͤnde fuͤr die Mahlerei! Wohin
wird noch endlich die Sucht fuͤhren, die Vorzuͤge
des Kuͤnſtlers fuͤr die Vorzuͤge des Sittenlehrers hin-
zugeben!
Greuze hat einen Pendant zu jenem Gemaͤhlde
gemacht: Es iſt die Allegorie der gluͤcklichen Ehe:
Zwei Perſonen deren Geſtalten jede Schoͤnheit,
jeden Reiz ihrer verſchiedenen Geſchlechter darbieten,
fuͤhren in liebevoller Vereinigung das Ruder zu dem
Nachen, auf dem ſie gleichfalls uͤber den Strom des
Lebens hinfahren. Ihre beiden liebenswuͤrdigen Kin-
der ſchlafen ſorglos auf dem Vordertheile des Schiffs,
und Amor ſteuert.
Gut! hier iſt beabſichtete Beſſerung mit einer
Vorſtellung verbunden, die mein Auge angenehm
ausfuͤllt: hier iſt vielleicht durch die Verſtaͤrkung der
Lebhaftigkeit einer an ſich unſinnlichen Idee, wuͤrk-
licher Gewinn fuͤr das moraliſche Gefuͤhl. Aber ge-
ſetzt! ſie waͤre es nicht; der Mann und ſein Eheweib
waͤren der Verfuͤhrer Paris, und die bundbruͤchige
Helena; ſtatt der ſchlafenden Kinder ſaͤhen wir als-
dann
[17]Pallaſt Giuſtiniani.
dann einen ſchlafenden Hymen, den der loſe Amor
gebunden mit ſich wegfuͤhrte: Wie dann? Wollen
wir behaupten, daß hier Gefahr fuͤr unſere Seele
ſey; daß der Ehebruch hoͤchſt ſinnlich angerathen
werde; und daß man mit Aufopferung alles Ver-
gnuͤgens, dem Bilde denſelben Weg muͤſſe nehmen
laſſen, den einmal die Ritterromane des Ritters de
la Manche genommen haben?
Was wir bloß ſehen, was wir mit dem Auge
ohne Zuthun des Verſtandes, ohne hinzutretende
Auslegung percipiren, was mithin unmittelbar auf
unſere groͤberen Sinne wuͤrkt, kann zuweilen unſerm
ſittlichen Gefuͤhle ſchaͤdlich werden. Die nackenden
Formen, die der Kuͤnſtler zur Darſtellung der recht-
maͤßigen Liebe unſerer erſten Eltern braucht, ver-
moͤgen unſere Sinne in Aufruhr zu bringen; nicht
die Darſtellung der Entfuͤhrung eines Eheweibes,
die das Auge als ſittſame Schoͤne ſieht.
Alles koͤmmt auf die leidenſchaftliche Diſpoſition
der Seele des particulairen Beſchauers an, ob er in
einem Bilde mehr als das bloße Bild, die ſittliche
Idee ſehe, und darauf kann der Kuͤnſtler bei der
Wahl ſeiner Suͤjets nicht rechnen. Er rechnet auf
den ruhigen Beſchauer. Le Brun der die buͤßende
la Valliere gemahlt hat, durfte bei der Wahl des
Suͤjets nicht daran denken, daß der Anblick dieſes
Gemaͤhldes dereinſt eine Buhlerin zur Bekehrung auf-
fordern wuͤrde.
Das Schlimmſte iſt, daß dergleichen aſcetiſche
Mittel, ſo lange ſie in den Graͤnzen der Schoͤnheit
bleiben, fuͤr die beiden erſten Tage Wuͤrkung thun,
Dritter Theil. Bals
[18]Pallaſt Giuſtiniani.
als Erinnerung des gefaßten Vorſatzes Wuͤrkung
thun, und in der Folge ſo wie der Vorſatz erkaltet,
oder die Leidenſchaft dem Nachdenken keinen weitern
Raum laͤßt, vergeſſen werden. Einer meiner Be-
kannten; der dem Jaͤhzorn unterworfen war, ſchaffte
ſich das Kupfer an, welches die Beſchaͤmung des
heftigen Yoricks durch den ſanftmuͤthigen Moͤnch Lo-
renzo vorſtellt. Er ließ es hinter Glas faſſen, und
legte es auf ſeinen Tiſch, um es an der Wand aufzu-
haͤngen. Sein Diener brachte ihm einen Nagel von
unangemeſſener Groͤße, und das beſſernde Bild er-
fuhr die erſte Probe der Unzulaͤnglichkeit ſeiner Macht
gegen einen eingeriſſenen Fehler anzukaͤmpfen: ein
heftiger Fauſtſchlag auf den Tiſch zerſchmetterte das
Glas, und beſchaͤdigte das Kupfer.
Mein Rath iſt alſo dieſer: Der Kuͤnſtler huͤte
ſich vor abſichtlicher Veranlaſſung, die groͤberen
Sinne in Aufruhr zu ſetzen, vor unedlen Formen,
und niedrigem unſchicklichem Ausdruck. Dies ſey
ſeine Sittlichkeit, ſeine Sittenlehre: und wegen des
Einfluſſes der Kuͤnſte auf das moraliſche Gefuͤhl, ver-
laſſe er ſich uͤbrigens auf das Weſen der bildenden
Kuͤnſte ſelbſt, auf ihre Wuͤrkung im Ganzen.
Didiciſſe fideliter artes, emollit mores,
nec ſinit eſſe feros.
Aber die Kuͤnſtler des Alterthums, wie ſtark
wußten die auf ihre Nation zu wuͤrken! Frei-
lich, bei ihnen ſtanden die Kuͤnſte in beſonderer
Verbindung mit der Regierungsform, mit der
politiſchen Erziehung; und die einen wuͤrkten
auf die andern. Wie weit ſind wir von ihrer
Buͤr-
[19]Pallaſt Giuſtiniani.
Buͤrgertugend, von ihren Begriffen uͤber Ehrgeiz
als Triebfeder, uͤber oͤffentliche Bewunderung als
Belohnung derſelben entfernt! Und doch! daß dieſe
Kuͤnſtler jemals die ſittliche Ruͤckſicht, der Ruͤckſicht
auf ſchoͤne Darſtellung zum Vergnuͤgen vorgezogen
haͤtten, mithin daß dieſe nicht Hauptabſicht, jene
aber nur accidenteller Vortheil geweſen ſey, daruͤ-
ber erwarte ich den Beweis.
Ich fuͤr mich kenne keine Vorſtellung aus der
alten Kunſt, welche als Verewigung einer edeln That,
oder als Verſinnlichung von Tugend und Laſter, zu
edeln Thaten oder zu ſittlicher Vollkommenheit uͤber-
haupt haͤtte auffordern ſollen.
Ich habe oft Liebhaber aus Gallerien, angefuͤlltIn wiefern
das intellek-
tuelle Ver-
gnuͤgen
Zweck der
bildenden
Kuͤnſte ſey.
mit den groͤßten Meiſterſtuͤcken, mit dem unmuths-
vollen Ausruf weggehen ſehen: Was lernt man hier!
In der That die Worte jenes Mathematikers:
Was beweiſt das? mit denen er die Phaͤdra des
Racine zuruͤckgab, ſind um keinen Gran laͤcherlicher.
Maͤnner die nur der Affekte des Wiſſens und
Erkennens faͤhig ſind, ſollten auf andern Wegen als
der Beſchauung der Kunſtwerke, eine Unterhaltung
aufſuchen, welche dieſe nicht im Stande ſind, ihnen
zu gewaͤhren.
Was will man denn damit ſagen, wenn man
etwas von den ſchoͤnen Kuͤnſten lernen will? Sollte
Jemand ſo ſehr die Graͤnzen der bildenden Kuͤnſte
verkennen koͤnnen, um zu verlangen, daß ihre Werke
ihm Vorſtellungen von ganz neuen Gegenſtaͤnden
B 2lieferen?
[20]Pallaſt Giuſtiniani.
lieferen? So koͤnnen ſie keine ſchoͤne Kuͤnſte weiter
bleiben, ſo werden ſie zu Handwerken, hoͤchſtens zu
Ueberlieferungen von Geſtalten herabgewuͤrdigt: So
dienen ſie nur dazu, eine elende Neugierde zu befrie-
digen, und ihr hoͤchſtes Lob wuͤrde darin beſtehen,
einem Forſter, einem Banks und Solander durch
ihre Huͤlfsleiſtung die Aufbewahrung der Form aus-
laͤndiſcher Gewaͤchſe, fremder Thiere erleichtert, ei-
nem Haller dazu genutzt zu haben, anatomiſche Ent-
deckungen anzuheften.
Freilich! ſo weit geht Niemand; aber auf eine
weniger auffallende Art beruhen die Forderungen der-
jenigen, welche die bildenden Kuͤnſte zu Verſtaͤrkung
der Lebhaftigkeit wiſſenſchaftlicher Kenntniſſe, oder
ſinnlicher aber nicht ſichtbarer Eindruͤcke des Schoͤnen
brauchen wollen, auf keinen beſſern Gruͤnden.
Die unbeſtimmten Aeußerungen mancher Kunſt-
richter: daß man auch die ſubtileſten Gedanken, die
abgezogenſten Begriffe auf der Leinewand ausdruͤ-
cken, und durch ſichtbare Zeichen ins Gedaͤchtniß zu-
ruͤckbringen koͤnne: daß dies die Seele ſchildern, fuͤr
den Verſtand mahlen heiße; daß die feinen philoſo-
phiſchen Ideen des Kuͤnſtlers nicht genung zu loben
waͤren u. ſ. w. haben die abentheuerlichſten und den
Kuͤnſten gerade zu widerſprechenden Vorſchlaͤge zu
Gemaͤhlden und Statuen hervorgebracht, die zum
Theil auch wuͤrklich ausgefuͤhrt ſind.
Ich darf es dreiſt ſagen, daß Winkelmanns
Verſuch einer Allegorie fuͤr die Kunſt, auf einer gaͤnz-
lichen Verkennung ihrer Graͤnzen beruhe, und daß
die groͤßte Anzahl der von ihm angegebenen neuen
Allego-
[21]Pallaſt Giuſtiniani.
Allegorien weiter nichts als Symbole von abſtrakten
Begriffen ſind, welche die Seele mit weit groͤßerem
Vergnuͤgen und groͤßerer Leichtigkeit unſinnlich denkt,
oder ſinnlich hoͤrt, als ſinnlich ſieht.
Da ich ſchon an mehreren Orten ausgefuͤhrt
habe, unter welchen Bedingungen ich eine Allegorie
fuͤr einen ſchicklichen Gegenſtand der Kunſt halte, ſo
will ich hier daruͤber ſchweigen. Ich wiederhole nur
kurz, daß der Kuͤnſtler nicht vergeſſen muß, daß er
zwar mit unſerer Seele, aber nur mit ihren unteren
Kraͤften redet; daß ſobald Ueberlegung, Nachden-
ken und Anſtrengung des Witzes erfordert werden,
die Bedeutung des Zeichens zu errathen, dieſes auf-
hoͤre, ſinnlich zu ſeyn: und damit wuͤrden gerade die
intereſſanteſten Ideen aus der Reihe ſichtbarer Dar-
ſtellungen wegfallen.
Gut! ſagen diejenigen, welche ſo gern bei Kunſt-
werken denken, von ihnen etwas lernen wollen: die
ſichtbare Darſtellung gebe mir nur die Veranlaſſung,
mich an merkwuͤrdige Thaten und Geſinnungen, an
die meiſterhaften Darſtellungen derſelben durch Dich-
ter und Geſchichtſchreiber zu erinnern.
Ich, Comteſſe de Genlis, moͤchte gern meinen
Untergebenen die Geſchichte durch eine Folge von
Gemaͤhlden beibringen, die ihre Hauptbegebenheiten
darſtellten: Ich, Graf Caylus und viele Franzoſen
und Engellaͤnder vor und nach mir, wir moͤchten den
ganzen Homer, Virgil und die beruͤhmteſten Dichter
aller Nationen dergeſtalt in Gemaͤhlde gebracht ſe-
hen, daß, erlaͤuternden Kupferſtichen gleich, mit
dem Anblick des Bildes zugleich die Stellen, die
B 3ſich
[22]Pallaſt Giuſtiniani.
ſich ſo ſchoͤn haben leſen laſſen, ins Gedaͤchtniß zu-
ruͤckgebracht wuͤrden.
Alſo ſoll die Mahlerei durchaus zum bloßen
Huͤlfsmittel lebhafterer Erkenntniß der Gegenſtaͤnde
ernſthafter und ſchoͤner Wiſſenſchaften werden?
Die Mahlerei ſo wenig wie die Bildhauerkunſt
ſind nicht Ueberlieferinnen, Erzaͤhlerinnen geſchehe-
ner Begebenheiten. Sie ſind es darum nicht, weil
ſie aͤußerſt mangelhaft und aͤußerſt untrau erzaͤhlen:
Sie ſind es darum nicht, weil uͤber dieſe Nebenab-
ſicht, wenn ſie zur Hauptabſicht wuͤrde, ihre weſent-
licheren Vorzuͤge aufgeopfert werden muͤßten: Sie
ſind es endlich darum nicht, weil ſie alsdann, wenn
jene Hauptzwecke verlohren gehen ſollten, mit ihren
elenden Produktionen ſelbſt des Vortheils der Lebhaf-
tigkeit des Eindrucks verluſtig gehen wuͤrden, den
man durch ſie intendirt.
Ich habe dieſen Grundſatz ſchon an andern Or-
ten ausgefuͤhrt, und will daher nur das hinzufuͤgen:
Die beſondern Verhaͤltniſſe, deren Entwickelung eine
hiſtoriſche Begebenheit wichtig macht, ſetzt eine Folge
von Handlungen zum Voraus, welche die bildenden
Kuͤnſte nicht ſichtbar darſtellen koͤnnen. Wer daher
nur Veranlaſſung ſucht, ſich einer Reihe von vorherge-
gangenen und nachfolgenden Auftritten lebhaft zu er-
innern; wer nur ein ſichtbares Zeichen verlangt,
welches ihn auf die Spur des unſichtbaren helfen
koͤnne; der ſchaffe ſich eine Folge von Medaillen an,
die durch Bildniſſe beruͤhmter Perſonen, und durch
Symbole der merkwuͤrdigſten Begebenheiten jenen
intendirten Vortheil vollſtaͤndig befoͤrdern, ohne die
Mahlerei
[23]Pallaſt Giuſtiniani.
Mahlerei des Vorzugs, durch ſich ſelbſt verſtaͤndlich
und ſchoͤn zu ſeyn, ohne Noth zu berauben.
Wie wenig ohne dieſe weſentlicheren Vorzuͤge der
Kuͤnſte, der Vorzug eines lebhafteren Eindrucks ge-
ſchehener Begebenheiten erreicht werde, kann man
daraus abnehmen, daß die Deutung ſchlechter Mo-
numente, die bloß uͤberliefern, in kurzer Zeit ver-
geſſen wird, weil ſich Niemand die Muͤhe giebt, ſie
aufzubewahren.
Nach eben dieſen Grundſaͤtzen mag nun auch dieVon der hi-
ſtoriſchen
Treue bei
Bekleidung
der Bildſaͤu-
len, als oͤf-
fentliche
Denkmaͤler.
Frage beantwortet werden, ob man bei den oͤffent-
lichen Monumenten die großen Maͤnnern geſetzt wer-
den, die wahre Form der Gewaͤnder u. ſ. w. die ſie
in ihrem Leben getragen haben, beibehalten ſolle?
Iſt das Coſtume dem Eindruck des Schoͤnen zu-
traͤglich; warum nicht? Iſt ſie es nicht; keines-
weges.
Gegen einen Beſchauer der in dem Manne mit
Stiefeln von gebranntem Leder den Comte de
Saxe, und in dem mit der Allongenperuͤcke den
Praͤſident de Montesquieu leichter wieder erkennt,
giebt es hundert, deren Verſtaͤndigung durch Beibe-
haltung dieſer, der Schoͤnheit der Formen ſo unguͤn-
ſtigen Tracht nicht um ein Haar erleichtert wird,
denen man dem ohngeachtet ſagen muß: dies war
Moritz, dies war Monteſquieu.
Ein Kunſtwerk iſt kein Garde-meuble: der
große Mann verliert durch die Veraͤnderung der
Tracht nichts von ſeiner Individualitaͤt: und die
Kuͤnſte leiden ohnehin genung dadurch, daß ſie gegen
die Wahrheit der individuellen, groͤßtentheils unvoll-
B 4komme-
[24]Pallaſt Giuſtiniani.
kommenen Form des Koͤrpers ankaͤmpfen muͤſſen,
als daß man ihnen den Streit durch die Nachbildung
cenventioneller Beiwerke noch erſchweren ſollte.
Das ſchoͤne Bildniß wird immer verſtaͤndlich
bleiben, wenn es nur in der Hauptſache, im Aus-
druck des individuellen Charakters des vorgeſtellten
Helden in Formen, Mine und Stellung des Koͤr-
pers, aͤhnlich bleibt: Hingegen das was durch gar
zu große Treue ſchlecht geworden iſt, wandert auf
der Troͤdelbude nach dem Abſterben der naͤchſten
Verwandten, oder man geht, wenn es als oͤffent-
liches Monument aufgeſtellt wird, ohne aufzublicken
voruͤber.
Die Gefahr die mit der treuen Uebereinſtimmung
des Dichters und des bildenden Kuͤnſtlers zum Nach-
theil beider verbunden iſt, hat ein ſcharfſinniger
Kunſtrichter vor mir zu gut und ausfuͤhrlich ausein-
ander geſetzt, 2) als daß ich mich lange dabei auf-
halten ſollte. Ich kann hier nicht uͤbergehen, was
noch ein anderer Philoſoph nach ihm und wie mich
duͤnkt, nicht minder wahr geſagt hat. 3)
„Die ſchwerſte und faſt unmoͤgliche Verbindung
„der Kuͤnſte iſt, wenn Kuͤnſte, welche Schoͤnheiten
„in einer Folge neben einander vorſtellen, mit Kuͤn-
„ſten, welche Schoͤnheiten auf einander folgend vor-
„ſtellen, vereinigt werden ſollen.
Ich
[25]Pallaſt Giuſtiniani.
Ich verkenne keinesweges das erhoͤhete Maaß
von Intereſſe, welches ein Gemaͤhlde dadurch erhaͤlt,
daß wir uns bei demſelben einer ſchoͤnen Stelle des
Homers oder Virgils erinnern. Aber abgerechnet,
daß die ſchoͤnſten Stellen beim Leſen oder Hoͤren ge-
rade diejenigen ſind, die ſich am wenigſten mahlen
laſſen, ſo bin ich auch nicht ſo unbillig zu verlangen,
daß alle Menſchen die Augen zum ſehen, und ein
Herz zum empfinden haben, ſich dieſer Stellen aus
alten Dichtern lebhaft mit mir erinnern ſollen: DaDie heilige
Geſchichte,
als Stoff zur
bildlichen
Darſtellung,
iſt der
Sculptur,
nicht der
Mahlerei
unguͤnſtig.
vielmehr die Ideen, welche den Ausdruck der Affek-
ten hiſtoriſch beſtimmen, allen zu den Kuͤnſten be-
rechtigten Menſchen durch ein Volksbuch ſo gelaͤu-
fig geworden ſeyn muͤſſen, daß uͤber das Nachſinnen
und Rathen des Verſtandes die Einbildungskraft und
das Herz nicht erkalten; ſo ſehe ich den großen Nach-
theil nicht ab, den die Mahlerei dadurch erlitten
haben ſollte, daß die Bibel dieſes Volksbuch gewor-
den iſt. Die Sculptur hat allerdings dadurch ge-
litten, wie ich an einem andern Orte zeigen werde:
aber die Mahlerei, wie ich glaube, gar nicht oder
wenig.
Der kleine Kreis von Affekten, die zur Mah-
lerei geſchickt ſind, weil ſie ſich deutlich an den Koͤr-
per durch Gebaͤrden aͤußern, muß in jedem Geſchicht-
ſchreiber, in jedem handelnden Gedichte von groͤßerem
Umfange wieder in Umlauf kommen, da alle den
Menſchen in einer gewiſſen Folge von Zeiten ſchildern.
Die Bibel hat den Vorzug, daß ſie von jedem et-
was cultivirten Europaͤer, dem es um Erkenntniß
der Wahrheit zu thun iſt, geleſen, oder wenigſtens
ihr hiſtoriſcher Innhalt bei der erſten Erziehung
B 5deſſelben
[26]Pallaſt Giuſtiniani.
deſſelben eingefloͤßet werden muß. Sie erzaͤhlt in
einem leichten faßlichen Tone, und da ſie mehr erzaͤhlt
als darſtellt, ſo behaͤlt die Imagination des Mah-
lers freieres Spiel. Die Affekten zu deren Ausdruck
die Begebenheiten, die ſie aufgezeichnet hat, Anlaß
geben, ſind groͤßtentheils von der Art, daß ſie ſich
gut mahlen laſſen, weil ſie mehr die zaͤrtlichen, ſanf-
teren Triebe des Herzens die ſich gerne mittheilen, als
jene hohen großen Empfindungen zur Grundlage ha-
ben, die mehr concentriſch als excentriſch wuͤrken.
Wir haben unſtreitig dabei gewonnen, daß nicht der
Tacitus ſtatt der Bibel das Handbuch der Kuͤnſtler
geworden iſt.
ner Vor-
ſchlag, die
dramatiſchen
Dichter der
Alten ſtatt
der epiſchen
zu waͤhlen,
um daraus
Gegenſtaͤnde
zu Gemaͤhl-
den zu entleh-
nen.
Ich habe mich oft gewundert, daß ein Caylus
und andere Kunſtrichter, ſtatt des Homers und an-
derer epiſchen Dichter, nicht auf die dramatiſchen,
auf einen Sophocles, Euripides, gefallen ſind, um
ſie dem Kuͤnſtler als Vorrathshaͤuſer intereſſanter
Suͤjets zu empfehlen. Dichter, welche ihre ganze
Kunſt in der Darſtellung der Affekte ſetzen und dabei
die Schilderung des verſtaͤrkenden Ausdrucks durch
Gebaͤrden dem Akteur uͤberlaſſen, ſcheinen beſonders
dazu geſchickt, Auftritte fuͤr die Mahlerei, die ſelbſt
ein pantomimiſches Drama iſt, zu liefern.
Doch! ich fuͤhle wohl, daß ich hier mannichfaltige
Einwendungen fuͤrchten muß, welche daher genom-
men werden koͤnnen, daß der Dichter bei ſeinen Ak-
teurs hauptſaͤchlich auf Worte rechnet, und daß der
Mahler auf dieſe gar nicht rechnen ſoll. Es ſey alſo
nur hingeworfene Idee, die andern zur Pruͤfung vor-
behalten bleiben mag.
Ich
[27]Pallaſt Giuſtiniani.
Ich will ſtatt deſſen lieber zuletzt vor einer GefahrDas Neue,
das Feine,
das Ueber-
raſchende:
mit welcher
Behutſam-
keit der
Kuͤnſtler auf
angenehme
Eindruͤcke
davon rech-
nen duͤrfe.
warnen, welche uns von ſolchen Kuͤnſtlern drohet, die
bei Darſtellung eines der Kunſt angemeſſenen Suͤjets,
welches aber ſchon von ihren Vorgaͤngern behandelt
iſt, da ſie fuͤr Einbildungskraft und Herz nicht mehr
neu ſeyn koͤnnen, durch Hinzufuͤgung eines neuen,
witzigen und feinen Gedankens unſern Verſtand zu
uͤberraſchen hoffen. Zuweilen geſchieht dies mit gu-
tem Gluͤcke. Ich erinnere mich von Greuze eine
ſchoͤne Veraͤnderung in der gewoͤhnlichen Vorſtellung
der Fabel der Danae geſehen zu haben. Waͤhrend daß
eine alte Duegna oder Aufſeherin uͤber die Unſchuld des
Maͤdchens beſchaͤfftiget war den goldenen Regen einzu-
ſammeln, ſchluͤpfte Jupiter in die Arme der unbewach-
ten Danae. Schoͤn! Aber nicht ſowohl darum, weil
der Gedanke: „nicht das Herz und die Unſchuld,
„wohl aber die Gelegenheit ſind um Geld zu Kauf“
ſein und neu iſt; ſondern vielmehr, weil dadurch ein
viel vollſtaͤndigerer, beſtimmterer, mehr abwechſeln-
der Ausdruck als durch die gewoͤhnliche Vorſtellungs-
art motivirt wird, und wir die Feinheit und Neuheit
des Gedankens uͤberher haben.
Wenn hingegen Guercino, auf eine in Ruͤckſicht
des Gedankens eben ſo neue und feine Art, die fuͤr
das Herz und die Einbildungskraft ſo intereſſante
Fabel der Diana und des Endymion dahin deſalle-
goriſirt, daß letzterer als der erſte Erfinder der Aſtro-
nomie, mit dem Sehrohr nach dem Monde guckt;
ſo werden wir ihm fuͤr ſeine Fuͤrſorge fuͤr unſern Ver-
ſtand wenig Dank wiſſen.
Aus
[28]Pallaſt Giuſtiniani.
Angabe der
Hauptab-
ſicht des
Kuͤnſtlers bei
Verferti-
gung ſeiner
Werke, ver-
ſchieden mo-
dificirt fuͤr
den Bild-
hauer und
den Mahler.
Aus alle dieſem folgt der Schluß: der Bildhauer
ſuche bei der Wahl ſeiner Suͤjets ſein Augenmerk zu-
erſt dahin zu richten, ob es ihm die Veranlaſſung
gebe, ſchoͤne Geſtalten, reizende Stellungen, Indi-
vidualitaͤt des Charakters einer gewiſſen Art von
Menſchen, die ſich durch fortdauernde Eigenſchaften
des Herzens und Faͤhigkeiten des Geiſtes und des
Koͤrpers auszeichnet, darzuſtellen: und dabei ſeine
Geſchicklichkeit in der Bildung des Koͤrperbaues zu
zeigen.
Der Mahler ſuche ſolche Suͤjets aus, die einen
edeln Ausdruck ſolcher Affekten motiviren, die ſich
gern durch Gebaͤrden mittheilen, ohne der Wohlge-
faͤlligkeit der Geſtalten zu ſchaden, und ihm dabei
Gelegenheit geben, mahleriſche Wuͤrkung durch Ab-
wechſelung und Einheit in Geſtalten, Farbe, und
im Hellen und Dunkeln hervorzubringen. Koͤnnen
beide zu gleicher Zeit das Herz unmittelbar beſſern,
dem Verſtande durch Erweckung neuer Vorſtellungen,
oder durch Reproduktion alter Bilder unter neuen
Verhaͤltniſſen Beſchaͤfftigung geben; gut! Wo nicht,
ſo werde nie der erſte Zweck dem letztern aufgeopfert.
Ueberhaupt: Wahl des Suͤjets in den bilden-
den Kuͤnſten iſt etwas, aber ungleich mehr die Wahl
der Mittel zur Ausfuͤhrung, und am meiſten die Be-
handlung.
oder viel-
mehr das
Haͤtte Hemſterhuys dies bedacht, er wuͤrde nicht
jene Stelle in ſeinen Brief uͤber die Bildhauerei ein-
geruͤckt haben, welche es anzuzeigen ſcheinet, daß
dieſer
[29]Pallaſt Giuſtiniani.
dieſer feine Kopf in den wahren Genuß der KuͤnſteBilder erwe-
ckende, die
Spannung
der reprodu-
cirenden
Kraft unſe-
rer Seele, iſt
keinesweges
Zweck eines
vollkomme-
nen Kunſt-
werks. Ue-
ber Skizzen,
beilaͤufig.
nicht voͤllig initiirt war.
„Es iſt bekannt, ſagt er, daß die erſten Ent-
„wuͤrfe einem Manne von Genie und dem wahren
„Kenner am mehrſten gefallen; der Grund hiezu
„ſcheint doppelt zu ſeyn. Erſtlich enthalten dieſe
„erſten Entwuͤrfe mehr von der goͤttlichen Lebhaftig-
„keit der erſten gefaßten Idee, als die vollendeten
„Werke, welche viel Zeit gekoſtet haben; aber zwei-
„tens ſetzen ſie auch die dichtende und reproducirende
„Faͤhigkeit der Seele in Bewegung und Thaͤtigkeit,
„welche ſogleich das, was der Wahrheit nach nur
„angefangen und hingeworfen war, vollendet. Und
„hierdurch werden ſie der Beredſamkeit und der
„Dichtkunſt ſehr aͤhnlich, die, indem ſie ſich der Zei-
„chen und der Worte ſtatt des Crayons und des
„Pinſels bedienen, nur auf die reproducirenden Faͤ-
„higkeiten der Seele wuͤrken, und folglich groͤßere
„Wuͤrkung hervorbringen, als weder Mahlerei noch
„Bildhauerkunſt, ſogar in ihrer groͤßten Vollkom-
„menheit hervorzubringen vermoͤgen. Ein vortreff-
„licher Zug in irgend einem großen Redner oder
„Dichter macht das Herz beklemmt, macht zittern
„und erblaſſen, erſchuͤttert unſer ganzes Syſtem;
„aber nie traͤgt ſich dieſes bei dem Anblick auch des
„allerſchoͤnſten Gemaͤhldes oder der allerſchoͤnſten
„Statue zu. Es ſcheint, als ob der beruͤhmte Leo-
„nard da Vinci ungefaͤhr eben ſo uͤber die erſten Ent-
„wuͤrfe gedacht habe, weil er will, daß die Mahler
„auf die Mauern und Waͤnde, welche Flecken und
„Makel ohn’ allen Plan haben, aufmerkſam ſeyn
„ſollen; dieſe unregelmaͤßigen Flecken meint er, er-
zeugten
[30]Pallaſt Giuſtiniani.
„zeugten oft Ideen zu den vortrefflichſt angeordneten
„Landſchaften.“
Waͤre dieſer Satz, waͤren dieſe ihm unterge-
legten Gruͤnde wahr, ſo waͤre alle die Zeit verloh-
ren, welche die groͤßten Kuͤnſtler auf die langweilige
mechaniſche Ausfuͤhrung ihrer Meiſterſtuͤcke gewandt
haben: So waͤre ein Tintoretto, ein Tempeſta, ein
la Fage, ein Fuͤßli, weit uͤber Raphael, Correggio
und Tizian zu ſetzen: So wuͤrden wir endlich zu den
Punkten des Leonardo zuruͤckkommen, welche die re-
producirende Faͤhigkeit der Seele noch mehr als die
Skizze in Bewegung und Thaͤtigkeit verſetzen. Zum
Gluͤck iſt weder Satz, noch Grund, noch erlaͤuternde
Analogie wahr, und buͤndig.
Der Mann von Genie, der zu gleicher Zeit
Kenner iſt, wird nie die Skizzen zu Raphaels Ge-
maͤhlde von der Transfiguration, oder zu Correggio’s
heiligen Magdalena mit dem Hieronymus, oder zu
Tizians Peter dem Maͤrtyrer, den ausgefuͤhrten
Gemaͤhlden ſelbſt vorziehen.
Er wird die Geſchicklichkeit des Kuͤnſtlers eine
ſchoͤne Skizze zu entwerfen, ſchaͤtzen, ſie wird ihm
das Vergnuͤgen machen, welches jede Wahrnehmung
der Vollkommenheit des Kuͤnſtlers, ſeines Geiſtes in
ſeinem Werke, hervorbringt. Aber dies Vergnuͤ-
gen wird er genau von demjenigen zu unterſcheiden
wiſſen, welches die Vollkommenheit des Werkes
ſelbſt erweckt, und wenn er vollkommene Skizze ge-
gen vollkommenes Gemaͤhlde haͤlt, ſo wird das letzte
gewiß das Uebergewicht bei ihm erhalten.
Die
[31]Pallaſt Giuſtiniani.
Die goͤttliche Lebhaſtigkeit der erſten gefaßten
Ideen muß dem Kenner bei der geringen Anzahl eben
ſo gut ausgefuͤhrter als gedachter Gemaͤhlde unſtreitig
aͤußerſt willkommen ſeyn. Aber wenn er nun eben
dieſe goͤttliche Lebhaftigkeit, der langſamen Behand-
lung ungeachtet, ungeſchwaͤcht in dem letzten Pinſel-
ſtrich des vollendeten Gemaͤhldes antrifft; dann wird
er eben fuͤhlen, warum in der Mahlerei Erfindung
ſo weit unter Ausfuͤhrung ſteht.
Dasjenige was Hemſterhuys aus der Aktivitaͤt
der reproducirenden Faͤhigkeit der Seele folgert, was
er von der Dicht- und Rednerkunſt hier analogiſch
zur Anwendung bringt, beruhet auf einer gaͤnzlichen
Vermengung der Graͤnzen verſchiedener Kuͤnſte und
Wiſſenſchaften, auf Verwechſelung der beſonderen
Modificationen der bildenden Kraft der Seele, auf
welche ſie verſchieden wuͤrken ſollen. Es wuͤrde zu
weitlaͤuftig ſeyn, dies hier auseinander zu ſetzen, und
ich kann deſſen billig uͤberhoben ſeyn, da Herr Her-
der 4) an zweien Orten wie mich duͤnkt deutlich ge-
zeigt hat, daß das Bild als Werk fuͤr einen ewigen
Anblick geſchaffen, nicht als Energie, nicht als Folge
von Eindruͤcken, die ſich wechſelſeitig verſtaͤrken, auf
uns wuͤrke.
Ich finde noͤthig, die Saͤtze dieſes Schriftſtel-
lers nach meinen Ideen dahin naͤher zu beſtimmen:
Die Mahlerei ſpannt nicht die Einbildungskraft, ſie
fuͤllt
[32]Pallaſt Giuſtiniani.
fuͤllt ſie aus. Sie giebt die hellſte, klaͤrſte Vorſtel-
lung von dem, was wir zu ſehen wuͤnſchen, und als
ſichtbar zu denken gewohnt ſind. Die Mahlerei er-
ſchuͤttert das Herz nicht, macht nicht erblaſſen oder
zittern: aber ſie ladet es zur ruhigen heiteren Mit-
empfindung ein.
uͤber die
Staͤrke der
Wuͤrkung,
welche die
Mahlerei in
Verglei-
chung mit
der Muſik
und der
Dichtkunſt
gewaͤhre.
Kurz! die Mahlerei hat den ausgezeichneten
Charakter, (Fehler oder Vorzug?) der ſie von an-
dern Kuͤnſten, die mit ihr fuͤr Einbildungskraft und
Empfindungsvermoͤgen arbeiten, unterſcheidet: Sie
giebt wenig, aber das Wenige ſo gut als eine. So
viel umfaſſend wie die Dichtkunſt, ſo maͤchtig hin-
reiſſend wie die Muſik iſt ſie nicht; aber den Ein-
druck, den wir von der eingeſchraͤnkten Gelegenheit
die ſtumme Natur deutlich mit einem Blicke zu ver-
ſtehen, erhalten; den gewaͤhrt ſie mit einer ſolchen
Ausfuͤllung aller Forderungen, welche Bildungs-
und Empfindungsvermoͤgen daran zu machen berech-
tigt ſind, als die Dichtkunſt und Muſik ihn nicht zu
geben im Stande ſind. Dieſer Satz muß unum-
ſtoͤßlich bleiben, bis Dichtkunſt und Muſik durch
hoͤrbare Schilderung der Form und des Ausdrucks
der Gebaͤrden einer reuigen Magdalena, eben den
Eindruck auf mich machen werden, den der Anblick
des Bildes ſelbſt von Guido Reni auf mich gemacht
hat. Staͤrker, vollſtaͤndiger klagen koͤnnen ſie
mich die Heilige hoͤren laſſen, und dies Hoͤren
wird ſtaͤrker, vollſtaͤndiger auf mich wuͤrken, als
das bloße Sehen; Aber mich die Heilige mit Thraͤ-
nenvollem Auge und zerknirſchter Bruſt vollſtaͤndi-
ger, ſtaͤrker erblicken laſſen, das koͤnnen ſie nicht.
Alles was der bloße ſtumme Anblick gewaͤhrt, giebt
die
[33]Pallaſt Giuſtiniani.
die Mahlerei am ſtaͤrkſten: Dies Staͤrkſte iſt nicht ſo
ſtark als das Staͤrkſte der verſchwiſterten Kuͤnſte; gut!
dafuͤr iſt es ſchmeichelnder, ſicherer. Alles was der
bloße ſtumme Anblick liefert, liefert die Mahlerei am
vollſtaͤndigſten: Dies Vollſtaͤndigſte iſt nicht ſo voll-
ſtaͤndig als das Vollſtaͤndigſte der verſchwiſterten
Kuͤnſte; gut! dafuͤr iſt es leichter, faßlicher. Der
Wuͤrkungskreis der Mahlerei iſt eingeſchraͤnkt; thut
nichts! um deſto eifriger ſind wir auf die Vertheidi-
gung ſeiner Graͤnzen bedacht.
Was endlich Hemſterhuys uͤber die Punkte des
Leonardo da Vinci ſagt, kann auf keine Art zum
Beweiſe ſeines Satzes dienen. Man darf einen
Kunſtgriff die Erfindungskraft des Schoͤpfers rege
zu machen, nicht mit der Wuͤrkung des bereits er-
fundenen auf den Beſchauer, der genießen, nicht er-
finden will, und groͤßtentheils nicht kann, verwech-
ſeln. Der Klang des Saitenſpiels eines Nardini
weckt in der Seele der Corilla die poetiſche Ader auf:
will man daraus folgern, daß der Zuhoͤrer den vor-
geſetzten Innhalt, den Plan des Gedichts ſchoͤner fin-
den ſolle als das Gedicht ſelbſt? 5)
So
Dritter Theil. Cauf
[34]Pallaſt Giuſtiniani.
So endige ich denn eine Unterſuchung, die mir
in meinem philoſophiſch ſchwaͤrmeriſchen Jahrhun-
derte, wo man ſo gern denken will, wo man nur
fuͤhlen ſollte, und ſo gern fuͤhlen will, wo man nur
denken ſollte, ein Wort zu ſeiner Zeit geſagt zu ſeyn
geſchienen hat.
Ich gehe nun zur eigentlichen Beſchreibung der
Kunſtwerke in dieſem Pallaſte uͤber, zu deren billi-
gen Beurtheilung ich den Liebhaber in etwas vorbe-
reitet zu haben glaube.
bung des
Pallaſts
Giuſtiniani.
In dem Hofe des Pallaſts Giuſtiniani
ſieht man mehrere Basreliefs in die aͤußeren
Waͤnde des Hauſes eingemauert. Sie verdie-
nen in der ſchon oft angegebenen Ruͤckſicht Aufmerk-
ſamkeit.
Auch ſieht man hier in Niſchen einige coloſſa-
liſche Koͤpfe von großem Charakter.
In dem Vorplatze des Hauſes.
Eine weibliche gut bekleidete Figur.
Eine Hygea. Die Idee iſt beſſer als die
Ausfuͤhrung.
Auf
[35]Pallaſt Giuſtiniani.
Auf der Treppe.
Ein Aeſculap, ein Marcus Aurclius, Ca-
ligula, ein ſeltener Domitian,6)Antinous,
Jupiter, Mercur. Saͤmmtlich von geringem
Werthe und zweideutiger Benennung.
† Amalthea, die dem Jupiter als Kind
aus dem Horne der Ziege (die andere ſelbſt
Amalthea nennen,) zu trinken reicht. Ein Bas-
relief von guter Erfindung aber mittelmaͤßiger Aus-
fuͤhrung. Ein geſchickter Kuͤnſtler, der ſich des Ge-
dankens bemeiſtern wollte, koͤnnte daraus ein ſehr
reizendes Werk machen.
In dem großen Vorſaale.
† Zwei Faunen, beide in der gewoͤhnlichen
Stellung, den einen Arm auf den Stamm eines
Baums gelehnt, den andern in die Seite geſtuͤtzt.
Sie tragen ein Ziegenfell. Einer derſelben gehoͤrt
unter die beſten Vorſtellungen dieſer Art.
Eine ſitzende Roma.
Eine Conſularſtatue.
Eine Gruppe von zwei Streitern, deren
einer im Begriff iſt, den andern, den er nie-
dergeworfen hat, zu durchſtechen. Man nennt
ſie ohne Grund Hercules und Antaͤus. Das ganze
Werk iſt mittelmaͤßig und wahrſcheinlich modern.
Wenigſtens ſind die Koͤpfe unſtreitig neu.
C 2In
[36]Pallaſt Giuſtiniani.
In dem Zimmer dem großen Saale
zur Linken.
maͤhlde von
M. A. Car-
ravaggio.
Die Juͤnger zu Emmaus von Carravag-
gio. Der Hund iſt das Beſte auf dieſem Bilde.
† Mariaͤ Verkuͤndigung von demſelben
und eines ſeiner beſten Werke. Die heil. Jungfrau
iſt reizend, und die Schatten ſind nicht uͤbertrieben
ſchwarz.
Bildniß eines Cardinals, ſcheint beinahe von
demſelben, es iſt wahr und pikant.
Grablegung von Carravaggio.
Dieſer Pallaſt enthaͤlt uͤberhaupt ſehr viele Ge-
maͤhlde vom Carravaggio.
Angelo da
Carravag-
gio.
Sein ganzer Name heißt Michael Angelo Ame-
rigi und weil er 1569. zu Carravaggio im Mailaͤn-
diſchen gebohren war, ſo nennt man ihn gewoͤhnlich:
Il Carravaggio.
Er waͤhlte gemeiniglich ſehr niedrige Suͤjets,
und die edlen fuͤhrte er auf die niedrigſte Art aus.
Er hatte die Praͤtenſion, die Natur getreu nachzu-
ahmen, aber er erreichte ſie nur in einem Stuͤcke,
naͤmlich in der Ruͤndung. Er wußte wie ſehr die
Abwechſelung von hellen und dunkeln Partien das
Auge feſſelu, daher ſtellte er ſeine Modelle in ſchwarz
gefaͤrbte Zimmer, und ließ das Licht von oben herab-
fallen. Aber ſo ſieht man die Gegenſtaͤnde ſelten in
der Natur.
Seine Zeichnung iſt unrichtig und ſchwerfaͤllig.
Seine Carnation iſt im Lichte gelb, in den Schatten
ſchwarz. Zuweilen mahlte er heller, dann iſt er am
ſchaͤtz-
[37]Pallaſt Giuſtiniani.
ſchaͤtzbarſten. Seine Behandlung war gut. Dies
und die Ruͤndung ſeiner Figuren ſind ſeine Hauptvor-
zuͤge. Er ſtarb 1609.
Zweites darauf folgendes Zimmer.
Die Marter des heil. Petrus von Salta-
relli.
Flucht nach Aegypten von Valentin.
Bildniß des Carravaggio, der ſich vermit-
telſt eines Spiegels, ſowohl von vorn als von hinten
zu abgebildet hat.
Beim Zuruͤckkehren dem Vorſaale zur
Rechten.
Im erſten Zimmer.
Eine Carita. Der Meiſter iſt unbekannt,
die Compoſition allerliebſt, nur haͤtte die Ausfuͤh-
rung eine geſchicktere Hand verdient. Die Carita
iſt im Coſtume der Weiber auf der Inſel Procida
gekleidet.
Eine Madonna mit dem Kinde, ſtehend
in einer Glorie, von Carravaggio.
Zweites Zimmer.
† Chriſt, der den Juͤngern die Fuͤße waͤſcht
von Carravaggio. Dies Bild iſt von großer,
wiewohl gemeiner Wahrheit, und die Figuren tre-
ten ſtark hervor. Die Schatten ſind zu ſchwarz.
C 3Drittes
[38]Pallaſt Giuſtiniani.
Drittes Zimmer.
† Ein nacktes Weib von Tizian. Andere
halten es von Paolo Veroneſe. Dieſem letzten
ſpreche ich es zu, wegen der aͤußerſten Keckheit, mit
der der Kopf behandelt iſt. Arme und Haͤnde ſind
unvergleichlich.
† Ein Juͤngling hat die Zerſtoͤrung
Jeruſalems vorherverkuͤndigt, und ſoll des-
wegen von der Wache ergriffen werden; aber
er entwiſcht, und laͤßt den Mantel im Stich.
Gherardo della Notte ſoll der Autor ſeyn. Das Bild
iſt von der pikanteſten Wuͤrkung.
Koͤpfe einer Madonna, eines Engels, und
eines Alten, al Freſco, von Correggio. Es
ſind Bruchſtuͤcke aus der Kuppel von Parma. Die
Farbe iſt ganz verblichen.
Viertes Zimmer.
Die zwoͤlf Apoſtel, der Chriſt, die Ma-
donna und Johannes der Taͤufer. Alle dieſe
Bilder ſind von Albano, aber aus ſeiner erſten Zeit,
als er ſich noch genau an die Schule der Carracci
hielt. Die Figuren ſind etwas ſteif, und die Falten
der Gewaͤnder zu eckigt und trocken.
Der Chriſt vor dem Pilatus, von Ghe-
rardo della Notte. Der Ausdruck iſt ſehr gemein,
aber die Wuͤrkung pikant.
Das Wunder der Austheilung der Broͤdte
und der Fiſche, von Carravaggio.
Der
[39]Pallaſt Giuſtiniani.
Der heil. Johannes von Guercino, wie
man ſagt: Ich zweifle.
Auferweckung der Tochter des Jairus,
wahrſcheinlich von Vouet.
Fuͤnftes Zimmer.
Eine nackte Frau vor dem Spiegel den ein
Amor haͤlt, von Paolo Veroneſe. Das Bild
hat gute Halbtinten.
Eine Landſchaft des Domenichino mit der
Taufe Chriſti.
† St. Matthaͤus mit dem Engel, der
ihm die Hand beim Schreiben fuͤhrt von Car-
ravaggio. Die Zuſammenſetzung dieſes Bildes
iſt ſchlecht. Der Engel hat eine ſehr affektirte Stel-
lung; der Ausdruck iſt gemein, und beide Figuren
ſind mitten aus dem ſchlechteſten Poͤbel hervorgeſucht.
Aller dieſer Fehler ungeachtet iſt dies Bild eines der
pikanteſten die man ſehen kann: So viel vermag
Ruͤndung und ein wohl gewaͤhltes und behandeltes
Detail zum Gefuͤhl der Wahrheit beim erſten Blick;
denn unterſuchen darf man nicht. Man ſollte die
Gemaͤhlde des Carravaggio nur im Vorbeigehen in
einer gewiſſen Entfernung betrachten, in der man
wieder erkennen, aber nicht pruͤfen kann.
Ganymed vom Adler weggefuͤhrt, aus der
Schule des M. A. Buonarotti.
Vertreibung der Verkaͤufer aus dem Tem-
pel. Schule des Carravaggio.
C 4Sech-
[40]Pallaſt Giuſtiniani.
Sechſtes Zimmer.
† St. Peter vom Engel geweckt, von Hont-
horſt. Das Licht, welches weit ſchicklicher in an-
dern Vorſtellungen dieſes Suͤjets vom Engel ausgeht,
faͤllt hier durch die Thuͤr ins Gefaͤngniß. Der Aus-
druck des ſchlaftrunkenen St. Peters, der graͤmelnd,
daß man ihn im Schlafe geſtoͤrt hat, ſich den Kopf
kratzt, iſt eben ſo wahr als gemein.
Geiſſelung Chriſti von Carravaggio.
Die Austreibung der Verkaͤufer aus dem
Tempel. Wahrſcheinlich von Gerhard Laireſſe.
Wenigſtens laͤßt ſich der Nahme des Meiſters aus
der Vermiſchung des niederlaͤndiſchen Stils mit dem
italiaͤniſchen, aus dem einſichtsvollen Helldunkeln,
und aus der aͤußerſt reichen Architektur ſchließen.
Ein ſchoͤner Baſſan.
Siebentes Zimmer.
hannes von
Raphael und
Giulio Ro-
mano.
† Heil. Johannes von Giulio Romano
nach Raphaels Zeichnung. Er ſchwebt in den
Luͤften auf einem Adler. Sein Auge iſt zu dem
Gotte gekehrt, der ihn inſpirirt. Er ſchreibt, und
erhebt ſich uͤber irdiſche Gegenſtaͤnde. Eine ſublime
Idee! Der Kopf hat viel Adel. Vielleicht iſt die
Stellung des Koͤrpers ein wenig gezwungen. Die
Faͤrbung faͤllt ins Braune.
† Schoͤnes Bildniß eines Weibes, die
einen Blumenſtrauß vor die Bruſt heftet.
Wahrſcheinlich von einem der Carracci.
Achtes
[41]Pallaſt Giuſtiniani.
Achtes Zimmer.
† Die heil. Caͤcilia von Carravaggio. Ein
Gemaͤhlde voller Wahrheit. Aber der Charakter
der Heiligen erhebt ſich nicht uͤber den einer ge-
meinen Zitherſpielerin. Die Copie iſt im Pallaſt
Barberini.
Chriſt und das Cananaͤiſche Weib, man
ſagt, von Albano.
Neuntes Zimmer oder Zimmer mit
der Vaſe.
† Der Bethlehemitiſche Kindermord vonDer Bethle-
hemitiſche
Kindermord
von Pouſſin.
Pouſſin. So viel Aufhebens als viele Kenner von
der Schoͤnheit der Zuſammenſetzung dieſes Bildes ma-
chen, ſcheint ſie mir nicht zu verdienen. Freilich iſt
die Weisheit zu loben, mit der uns der Kuͤnſtler nur
einen Theil einer Scene des Schreckens vor Augen
gelegt hat, welche die Einbildungskraft ſo vieler
Mahler bis zum Ekel auszudehnen, und unter ver-
ſchiedenen Geſtalten zu vervielfaͤltigen gewußt hat.
Hier hat ein Henker ſchon dem kleinen ungluͤcklichen
Opfer ſeiner Wuth, das vor ihm zur Erde geſtreckt
liegt, einen Stich in die Seite gegeben, er ſetzt ihm
den Fuß auf die Bruſt, es zu erdruͤcken, und holt
mit dem Arm einen neuen Streich aus, der ihm
vollends den Reſt geben ſoll. Die verzweifelnde
Mutter nimmt ihre Zuflucht zum Flehen, indem ſie
zu gleicher Zeit alle ihre Staͤrke zuſammenrafft, um
dieſe letzte ihrer Hoffnungen zu retten. Sie liegt zu
C 5des
[42]Pallaſt Giuſtiniani.
des Grauſamen Fuͤßen, ſie ſtreckt den einen Arm
aus, den Streich aufzufangen und klammert ſich mit
dem andern an ſeine Schulter, den Streich zu hindern.
Wilde Verzweiflung und Angſtgeſchrei lieſt man auf
ihrem Geſichte, ihre ganze Stellung zeigt das Streben
nach Rettung an. Aber der Henker hoͤrt auf ihr
Geſchrei nicht, er iſt ihr an Staͤrke uͤberlegen, er
reißt ſie mit der Hand, die er frei behaͤlt, bei den
Haaren zuruͤck. Das Kind gedruͤckt durch den ſtar-
ken Koͤrper ſtreckt Haͤnde und Fuͤße, ſein Kopf
ſchwillt, es kneift die Augen zu, und ſchnapt mit dem
letzten Athemzuge nach Luft.
Dieſe Gruppe iſt mit vieler Einſicht gedacht,
aber zu ſchrecklich und daher dem Weſen der Kunſt
nicht angemeſſen. Warum fuͤgte der Mahler noch
andere Weiber hinzu, die ihre entleibten Kinder weg-
tragen, und ſich die Haare ausraufen? Entweder
haͤtte der Mahler dieſe ganz weg, oder alle ſich gegen
den gemeinſchaftlichen Feind ihres Geſchlechts verei-
nigen laſſen ſollen. So viel uͤber den Gedanken.
Der Ausdruck in dieſem Gemaͤhlde iſt wahr, aber
unedel. Die Zeichnung iſt ſehr correkt. Die graue
finſtere Faͤrbung, die ſonſt Fehler bei dieſem Meiſter iſt,
ſcheint hier die Wuͤrkung des Eindrucks zu verſtaͤrken.
hannes von
Domenichi-
no.
† Der heil. Johannes von Domenichino,
Zwei Engel halten ihm ſeine Buͤcher. Die Zu-
ſammenſetzung iſt ſchoͤn, aber ſchoͤner noch der Aus-
druck. Der Kopf des Johannes zeigt den ſanfteſten
und gefuͤhlvolleſten der Menſchen. Suͤßigkeit
ſchwebt auf ſeinem Munde und ſeine Augen belebt
das Anſchauen der Gottheit, die alle niedere Regungen
aus
[43]Pallaſt Giuſtiniani.
aus ſeinem Herzen entfernet. Raphaels heil. Jo-
hannes iſt ein Gott, der heil. Johannes des Dome-
nichino der erſte ſeiner Diener, ein Engel. Die
Zeichnung iſt ſehr correkt, aber das Gewand etwas
zu trocken. Der Faͤrbung, die ein wenig kalt iſt,
und ins Graue faͤllt, fehlt es wohl uͤberhaupt an
Harmonie. Die Landſchaft iſt ſehr ſchoͤn.
† St. Paul der Eremit, und St. An-
tonius mit der Madonna und mit Engeln.
Großes ſchoͤnes Gemaͤhlde des Guido aus ſeiner
dunkeln Manier. Die Koͤpfe der Alten ſind von
großer Wahrheit.
St. Marcus, aus der Schule der Car-
racci.
Chriſt im Oelgarten, aus der Schule des
M. A. Buonarotti.
Mehrere heilige Familien, die man fuͤr
Arbeiten Raphaels, des Andreas del Sarto, des
Parmeggiano und anderer ausgiebt, und entweder
nur aus der Schule dieſer Meiſter oder Copien nach
denſelben ſind.
In der Mitte dieſes Zimmers ſteht eine
Vaſe, die aber in ihrer urſpruͤnglichen Form keine
Vaſe war. Denn das mittelſte Stuͤck hat wahr-
ſcheinlich zur Einfaſſung eines Brunnens gedient,
und iſt nebſt dem daran befindlichen Basrelief die
Copie eines ſchoͤnen Originals, welches ſich in Spa-
nien befindet. Der Fuß und der Rand der Vaſe
ſind angeſetzt.
Rund herum ſtehen einige Buͤſten, unter denen
aber Nichts ſonderlich merkwuͤrdig iſt. Die beſten ſind:
Ein
[44]Pallaſt Giuſtiniani.
Ein Lucius Verus, ein Marc Aurel, ein An-
tonin der Fromme, ein Faunuskopf, Ha-
drian.
Beim Zuruͤckkehren durch die naͤmlichen
Zimmer kann man noch einige Bildhauerarbei-
ten bemerken.
Im achten.
Alexander, Tiber, Buͤſten.
Im ſiebenten.
Septimius Severus, Trajan, Caracalla,
Buͤſten.
Diana von Epheſus, eine Muſe, Statuen.
Im ſechsten.
Schoͤner Kopf eines jugendlichen Marc
Aurels in Bronze.
Jupiter.
Ein Indiſcher Bacchus.
Eine ſchlechte als Paris ergaͤnzte Statue.
Im fuͤnften.
Eine kleine Statue des Marſyas.
Kopf eines Juͤnglings.
Im vierten.
Zwei Buͤſten von Muſen oder von Gra-
zien mit ſehr geſchmackvollem Kopfputz. Die
eine hat ein Netz auf dem Haupte nach Art Italieni-
ſcher Maͤdchen.
Eine
[45]Pallaſt Giuſtiniani.
Eine kleine Ariadne von lieblichem Aus-
drucke.
Eine Vaſe mit drei ſchlafenden Kindern.
Die Arbeit iſt ſchlecht.
Dem erſten Zimmer zur Seite von dem
Vorſaale an rechter Hand zu rechnen, tritt man in
eine andere Folge von Zimmern, die noch mit
Gemaͤhlden gezieret ſind. Die beſten ſcheinen:
† Ein auferſtandener Chriſt, wahrſchein-
lich von Carravaggio. Die Figur tritt ſehr vor,
und iſt nicht ganz unedel. Das weiße Gewand faͤllt
ſehr auf. Ganz wahr iſt es nicht vorzuͤglich in den
Halbtinten, aber blendend weiß im Lichte.
Der Chriſt heilt einen Blinden, wahr-
ſcheinlich von demſelben.
Von hier aus koͤmmt man in die beruͤhmteGallerie der
Statuen.
Statuengallerie, die durch die Kupferſtiche San-
drarts ſo ſehr, und wenn ich es ſagen darf, uͤber Ver-
dienſt beruͤhmt geworden iſt. Die Statuen ſind
meiſtens ſehr reſtaurirt, und zum Theil ſehr ſchlecht.
Hier iſt das genaue Verzeichniß von demjenigen,
was noch vorhanden iſt. Ich bin mit Fleiß ſo um-
ſtaͤndlich dabei geweſen, um diejenigen, die nach
dem Sandrart eine Statue als hier befindlich anfuͤh-
ren ſollten, vor allem Irrthume zu ſichern. Die
Vergleichung wird zeigen, daß die Sammlung ſeit
Sandrarts Zeiten um ein Betraͤchtliches vermin-
dert iſt.
† Der
[46]Pallaſt Giuſtiniani.
† Der beruͤhmte Bock. Der Kopf iſt nach
dem einſtimmigen Urtheile aller Kenner neu, und
uͤberhaupt ſteht das Werk ſeinen Ruhm nicht.
Meleager. Der Kopf iſt neu.
Noch ein Meleager. Arme und Beine neu,
ſo wie der wilde Schweinskopf.
Mann und Frau eine Gruppe. Der
Mann umarmt ſein Weib, und haͤlt ihre Hand.
Die Ausfuͤhrung iſt dem Gedanken nicht gleich. Der
Kopf des Mannes iſt modern.
Eine Amazone. Kopf und Arme ſind modern.
Eine Venus mit einem Gewande, das
von ihren Huͤften zu gleiten ſcheint.
Eine Frauensperſon mit einem Schleier,
man nennt ſie, eine Veſtalin.
Jupiter.
Juno.
Eine ſchlechte Diana, an welcher Kopf und
Arme modern ſind.
Hercules mit Weinlaub bekraͤnzt. Arme
und Beine neu. 7)
Leda mit dem Schwane. Kopf und Arme
modern.
† Venus aus dem Bade ſich aufrichtend.
Sie ruhet mit untergeſchlagenem Beine und geboge-
ner Spitze des Fußes auf den Zehen und dem Knie.
Ihr Koͤrper iſt vorgebuͤckt, ihre Arme ſind vor der
Bruſt uͤber einander geſchlagen. Sie blickt zur Seite
und ſcheint im Begriff zu ſeyn, aufzuſtehen, oder
ſich aus dem Bade zu erheben. Neben ihr eine
Vaſe
[47]Pallaſt Giuſtiniani.
Vaſe oder Salbengefaͤß. Man nennt ſie Cleopatra
wegen des Armbandes in Form einer Schlange.
Des Gedankens wegen hauptſaͤchlich zu bemerken. 8)
Sylen mit dem Schlauche. Frauensper-
ſon als Bacchantin reſtaurirt.
Gladiator.
Muſe.
Zwei
[48]Pallaſt Giuſtiniani.
Zwei Statuen, deren Gewaͤnder von
ſchwarzem Baſalt nach Art der Iſis umgewor-
fen, und auf der Bruſt zuſammen geknuͤpfet
ſind. Der Putz der aufgeſetzten Koͤpfe und die At-
tribute, die man ihnen in die modernen Haͤnde gege-
ben hat, deuten eine Ceres an.
Ein Juͤngling mit aufgehobenen Armen.
Sie ſind ſo wie die Beine neu. Der antike Koͤrper
iſt gut.
ſtiniani.
† Die beruͤhmte Pallas Giuſtiniani. Aus
der Zeit, als die Kunſt noch nicht ihre ganze Fein-
heit erreicht hatte. Die Umriſſe ſind beſtimmt,
aber etwas hart und eckigt. Die Formen haben viel
Groͤße. Das Gewand, welches das Nackte ſehr
gut andeutet, iſt trocken, und in viele kleine Falten
gelegt. Die Lippen haben einen Rand, eine Art
Einfaſſung, wie man ſie an mehreren Statuen be-
merkt. Nur der rechte Arm iſt neu. Man nennt
ſie Medica wegen des Attributs der Schlange.
Hercules.
Ein ſtehender Hermaphrodit. Er hat viel
Aehnlichkeit mit dem ſtehenden Hermaphroditen in
der Villa Borgheſe. Der Kopf iſt neu.
Harpocrates.
Ein Bock.
† Ein Kopf des Vitellius. Dieſer Kopf
iſt ſchoͤn, obgleich der Ausdruck in Carricatur uͤber-
geht. Er iſt aber nicht alt, wie viele glauben, ſon-
dern eine Copie nach einem andern der zu Genua
ſteht und deſſen Alter zweifelhaft iſt.
Ein
[49]Pallaſt Giuſtiniani.
Ein Faun als Floͤtenſpieler. Im Cha-
rakter desjenigen, der in der Villa Borgheſe ſteht,
er koͤmmt dieſem zwar nicht an Schoͤnheit bei, iſt
aber nicht ohne Verdienſt.
Apollo ſtehend. Die Beine ſind ein wenig zu
kurz: Kopf und Haͤnde neu.
† Veſtalin aus der Zeit des fruͤheſten AltersVeſtalin.
der Kunſt. Alles iſt ſteif, geradelinigt und eckigt.
Der rechte Arm iſt ſchlecht gearbeitet, und der linke
neu. Die Falten fallen ganz gerade herab. Der
Mund hat dieſelbe Einfaſſung, die ich vorher bei der
Pallas bemerkt habe. Großheit in den Formen
findet man ſchon. Dies uralte Werk iſt wahrſchein-
lich griechiſch; die Benennung einer Veſtalin uner-
weislich; der Kopf mit einen Schleier bedeckt, der
nur bis auf die Schultern faͤllt. Die Arme ſind
nackt.
Mercur.
Eine Muſe.
Genius mit einer Fackel und Mohnſten-
geln. Kopf, Arme und Fuͤße neu.
Diana mit einem Hunde. Sie zieht einen
Pfeil aus dem Koͤcher. Der Kopf iſt modern.
Amor ſpannt den Bogen. Kopf, Arme
und Beine modern. Der Koͤrper iſt ſchoͤn.
Venus aus dem Bade ſich aufrichtend,
eine Wiederholung der vorigen Statue in eben
dieſer Sammlung. Wie die vorige traͤgt ſie das
Armband in Form einer Schlange, wird wie jene
Dritter Theil. DCleopa-
[50]Pallaſt Giuſtiniani.
Cleopatra getauft, und hat an Werth nichts vor der
andern zum Voraus. 9)
Nymphe oder Bacchantin. Bei ihr der
Stamm eines Baums, um den ſich eine Weinrebe
ſchlaͤngelt. Dieſe Figur iſt nicht uͤbel. Die Arme
ſind neu.
Gladiator.
Diana.
† Eine Veſtalin oder eine Figur mit dem
Schleier in reizender Stellung und mit einem gut ge-
worfenen Gewande. Sie iſt wohl erhalten, denn
ſelbſt die Haͤnde ſind alt. Inzwiſchen ſcheint der
Kopf, der ein Portrait iſt, aufgeſetzt.
Statue eines jungen Helden mit dem Pa-
ludamento. Man hat ihr einen neuen Kopf des
Marc Aurels, und zwei neue Arme gegeben.
Ein Faun mit der Schale. Gut.
In einem Hofe hart an der Gallerie ſtanden
zu meiner Zeit dem Wind und Wetter ausgeſetzt:
Titus Veſpaſianus, Paris, Plotina,
Julia Schweſter des Titus, Buͤſten.
Ein Amor in gewoͤhnlicher Groͤße, der
einen kleinen Amor betrachtet, der als Em-
bryo bei ſeinem Koͤcher und ſeinen Pfeilen
ſchlaͤft.
[51]Pallaſt Giuſtiniani.
ſchlaͤft. Eine ſonderbare Idee, die ſehr mittel-
maͤßig ausgefuͤhrt iſt.
- Note. Die Volkmanniſche Beſchreibung dieſes Palla-
ſtes iſt in der neueſten Edition vorzuͤglich durch die
aufgenommenen Zuſaͤtze des Hrn. Bernoulli fehler-
haft und beinahe unbrauchbar geworden. Ich
bemerke hier nur im Vorbeigehen, mit welchem
Geſchmack dieſer letzte Gelehrte geſehen haben muͤſſe.
Er fand in dieſer Gallerie den modernen Kopf
eines Bauren mit einem Hute auf dem Kopfe. Er
ſah ihn fuͤr einen Cicero an, und weil er ſich den
Hut nicht wohl zu erklaͤren wußte, ſo ſetzte er hin-
zu: Vermuthlich, wie er in Tuſculum ſpazieren
gieng!!!
Pallaft
[52]
Pallaſt Veroſpi.
Von allen Statuen, die ehemals in dieſem
Pallaſte ſtanden, ſind nur noch drei
uͤbrig, und dieſe gehoͤren unter die mittelmaͤßigſten,
daher ich ſie uͤbergehe. Sie ſtehen im Hofe.
In einem kleinen Porticus dieſes Hofes
ſieht man am Plafond zwei Freſco-Gemaͤhlde
des Albano. Das eine ſtellt Galathea mit ih-
ren Nymphen vor, die dem Geſange des Po-
lyphems zuhoͤren; Das andere Acis und Ga-
lathea, die der Wuth des Rieſen zu entfliehen
ſuchen. In beiden erkennt man an der Zeichnung
die Schule der Carracci, und die dem Schuͤler
eigenthuͤmliche liebliche Faͤrbung wieder. Letztere iſt
in dieſen Gemaͤhlden der beſſere Theil.
Albano.
In der obern Gallerie des Hauſes iſt der
Plafond von Albano gemahlt, und die weitlaͤuf-
tigſte Compoſition, die man dieſem Meiſter kennt.
Das Mittelgemaͤhlde ſtellet den Apollo im
Thierkreiſe in Begleitung des Bacchus, der
Ceres, des Vulcans und der Flora, als
Symbolen der vier Jahrszeiten vor. Die Zu-
ſammenſetzung iſt ſchoͤn. Der Ausdruck im Apollo
zu ſuͤßlich. Er ſieht mehr einem huͤbſchen Jungen
als einem Gotte aͤhnlich. In der Zeichnung der
Koͤrper maͤnnlicher Figuren findet man den Stil der
Carracci, wiewohl ausgeartet, wieder. Hingegen
ſind
[53]Pallaſt Veroſpi.
ſind die Koͤrper der Weiber viel ſwelter, und weni-
ger eckigt gezeichnet. Die Faͤrbung iſt lieblich, wenn
ſie gleich ein wenig ins Rothe faͤllt.
Linker Hand in einem andern Felde Amor,
der unter der Geſtalt des Abends, oder des
Heſperus, ſeine Pfeile auf die Erde ſtreuet.
Ein angenehmer und feiner Gedanke.
In einer andern Abtheilung iſt die Nacht
unter der Geſtalt einer Frauensperſon abgebil-
det, die zwei Kinder mit ihren Fluͤgeln be-
deckt. Der Gedanke iſt gleichfalls gut, aber die
Ausfuͤhrung entſpricht ihm nicht.
Gerade gegen uͤber Aurora, die von dem
jungen Tag gefuͤhrt Blumen uͤber die Erde
ausſtreuet. Dieſe Figuren ſind ſchlecht gezeichnet,
und bei dem Wurf der Gewaͤnder iſt die Natur nicht
zu Rathe gezogen.
Der Morgenſtern ſchuͤttet den Thau uͤber
die Erde aus.
Dieſe vier Gemaͤhlde enthalten allegoriſche Vor-
ſtellungen der vier Tageszeiten.
Es folgen noch: Die Vorſtellungen von ſechs
Planeten in einigen Handlungen die aus der
Mythologie entlehnt ſind.
Venus nimmt dem Amor Pfeil und Bo-
gen, die dieſer wieder zu erhaſchen ſucht. Der
Gedanke iſt reizend. Die Ausfuͤhrung koͤmmt ihm
nicht gleich. Der Kopf der Venus iſt von ſchoͤnem
Charakter, aber er iſt zu ſtark im Verhaͤltniſſe zum
Koͤrper, und der Arm haͤngt nicht recht mit der
Schulter zuſammen. Die Farbe faͤllt ins Violette.
Der Blick der Venus iſt ausdrucksvoll.
D 3Mercur.
[54]Pallaſt Veroſpi.
Mercur. Die Umriſſe ſeines Koͤrpers ſind
fließend und ſwelt. Die Faͤrbung iſt kraͤftig. Eine
der ſchoͤnſten Figuren dieſer Gallerie.
Diana. Schlechte Figur in ſehr gezwungener
Stellung.
Saturn zieht ein Kind uͤber die Achſeln
hervor. Der Stil der Zeichnung hat viel von der
Schule der Carracci. Inzwiſchen iſt ſie zu ſchwer-
faͤllig und zu wenig correkt, um den Abſtand des
Schuͤlers zum Meiſter nicht fuͤhlbar zu machen.
Jupiter und Ganymed. Der Kopf des Ju-
piters laͤßt mehr Gutmuͤthigkeit und Ueberreſte ehe-
maliger Schoͤnheit, als Wuͤrde und Adel blicken.
Der Kopf des Ganymeds iſt ſehr reizend.
Mars, eine ſchlechte Figur.
Zwiſchen dieſen Gemaͤhlden ſind noch ei-
nige kleinere von aͤußerſt artiger Erfindung zur
Fuͤllung angebracht.
Rechter Hand vom Haupteingange ab:
Ein wolluͤſtiger Kampf zwiſchen Nymphen
und Panen.
Eine Nymphe, die ein Satyr belauſcht.
Satyren und Nymphen, die der Venus
ein Opfer bringen.
Noch ein Opfer.
Venus an der Toilette.
Des Adonis Abſchied von der Venus.
Eine nackte Frauensperſon, die zwei Pa-
nen auf den Ruͤcken eines weiblichen Pans
ſetzen.
Galathea von Meerungeheuern umgeben.
Trito-
[55]Pallaſt Veroſpi.
Tritonen, die um eine Nereide ſtreiten.
Waͤhrend, daß der eine den andern umbringt,
entfuͤhrt ſie ein Dritter.
Opfer dem Priap.
An den Waͤnden der Fenſteroͤffnungen ſieht man
noch einige artige Taͤnze von Kindern und
Nymphen.
Dieſe Gallerie kann einen ſehr ſichern Aufſchluß uͤberDas Cha-
rakteriſtiſche
in dem Stil
des Albano.
das Charakteriſtiſche in dem Stile des Albano geben.
Ich will dies mit ein paar Worten zuſammen zu
faſſen ſuchen. Er hatte mehr Talent zu kleinen ange-
nehmen Vorſtellungen, als zu großen und edlen Zu-
ſammenſetzungen. Er war der Mahler kindlicher
Reize, der Unbefangenheit und der Schalkheit des
gluͤcklichen Alters, dem das Leben ein lieblicher
Traum iſt. Kinder ſind das Beſte was er gemahlt
hat: Weiber haben bei ihm oft einen ſuͤßlichen, oft
gar keinen Ausdruck, und ſehen ſich alle einander
aͤhnlich. Von ſeinen Juͤnglingen gilt daſſelbe.
Maͤnner und Alte verſtand er gar nicht zu mahlen.
Er zeichnete im Stile der Carracci, die maͤnn-
lichen Figuren jedoch ſchwerfaͤlliger, die weiblichen
ſwelter; haͤufige Incorrektionen abgerechnet, wo-
durch er ſich gleichfalls von ſeinen Meiſtern unter-
ſchied. Seine Gewaͤnder ſind in dem Faltenſchlage
eckigt, und nicht ſchoͤn geworfen. Sein Colorit hat
einen ſehr angenehmen roͤthlichen Ton im Oel, ob
dieſer gleich nicht ganz wahr iſt. Im al Freſco faͤllt
er zu ſehr ins Rothe.
Er beobachtete das Helldunkle ſehr gluͤcklich,
mahlte harmoniſch und mit einem leichten und wohl-
genaͤhrten Pinſel. Er lebte von 1578—1660.
Pallaſt
[56]
Pallaſt Ruſpoli.
Unten im Hofe ſtehen mehrere Statuen, die keiner
ſonderlichen Aufmerkſamkeit werth, und groͤße-
ſten Theils, (um mich des Lieblingsausdrucks des
Cardinals Albani zu bedienen) sfacciatamente re-
ſtaurirt ſind.
Inwendig in den Zimmern an der Erde.
† Zwei ſchoͤne Statuen Silens, der einen
jungen Bacchus traͤgt. Wiederholungen des
Silens in der Villa Borgheſe. Die eine dieſer Sta-
tuen hat einen modernen Kopf. 1)
Grazien.
† Eine beruͤhmte Gruppe der drei Gra-
zien mit alten Koͤpfen. Die Mine derſelben, ſagt
Winkelmann, deutet weder auf Froͤlichkeit, noch
Ernſt, ſondern bietet eine ſtille Zufriedenheit dar,
die der Unſchuld der Jahre eigen iſt. 2) Dies
Urtheil iſt voͤllig wahr. Sie ſind ſich der Staͤrke
ihrer Reize nicht bewußt, und ohne Anmaaßung auf
Beifall.
† Ein
[57]Pallaſt Ruſpoli.
† Ein beruͤhmtes Basrelief, welches denEin ſchoͤnes
Basrelief.
Telephus mit ſeiner Mutter Auge, ſeinem Waf-
fentraͤger und einem Pferde vorſtellt. Dies
Basrelief gehoͤrt unſtreitig unter die vorzuͤglichen un-
ter den antiken. Es iſt gut gedacht und ausgefuͤhrt.
Auch ſind die Figuren perſpektiviſch richtig geſtellt.
Die Vorderſten treten mehr als die Hinterſten vor.
Winkelmann 3) beruft ſich mit Recht auf dies
Basrelief als auf einen Beweis, daß die alten Kuͤnſt-
ler die Zuruͤckweichung der Figuren nach der verſchie-
denen Entfernung zu beobachten gewußt haben. In-
zwiſchen iſt dies noch immer der ſeltnere Fall, der zur
Vertheidigung der alten Kuͤnſtler in Anſehung dieſer
Vernachlaͤßigung in vielen andern Faͤllen allein nicht
zureicht. Am wenigſten aber wird man etwas fuͤr
eine auf Regeln gebrachte Kenntniß der Linien und
Luftperſpektiv bei den Alten daraus folgern koͤnnen.
Ganz etwas anders iſt es durch bloße Aufmerkſam-
keit und Treue der Nachahmung, mithin durch das
Augenmaaß auf die Bemerkung geleitet zu werden, daß
von drei oder vier Perſonen in einer Gruppe die eine
vortrete, die andere zuruͤckweiche, die eine uͤber die
andere hervorrage; und wieder ganz etwas anders
die merkliche Abweichung mehrerer Gruppen belebter
und unbelebter Gegenſtaͤnde von einander, durch die
Verhaͤltniſſe ihrer Formen, und nach dem Grade der
Staͤrke des darauf fallenden Lichts dem Auge des
Zuſchauers fuͤhlbar zu machen. Zu jenem wird eine
blos empiriſche Kenntniß erfordert, die nur gar zu
D 5oft
[58]Pallaſt Ruſpoli.
oft truͤgt, zu dieſer eine auf Regeln gebrachte Wiſſen-
ſchaft der Optik und der Perſpektiv.
Da viele Gruppen auf verſchiedenen Planen
dem Zwecke und dem Eindruck eines Basreliefs
ganz zuwider ſind, wie ich an einem andern Orte
zeigen werde; ſo gebe ich es gern zu, daß mehrere
Kuͤnſtler unter den Alten vollkommen ſo viel von der
Perſpektiv gewußt haben, als zur Compoſition ei-
nes Basreliefs gehoͤrt. Allein fuͤr ihre Gemaͤhlde
iſt daraus nichts zu folgern, vielmehr kann ich die
Beweiſe, die man bis jetzt von ihren Kenntniſſen in
der Perſpektiv als einer auf Regeln gebaueten Wiſ-
ſenſchaft angiebt, nicht als zulaͤnglich anſehen.
Man findet hier eine Menge Buͤſten, unter
denen freilich die meiſten modern, einige aber auch
antik ſind. Unter dieſen ſchien mir ein Hadrian
auf halben Leib, der vorzuͤglichſte.
Man pflegt durch eine Nebentreppe zu den obern
Zimmern gefuͤhrt zu werden. Hier geht man durch
ein Cabinet, worin einige Zeichnungen, nebſt
einem Portrait des vorigen Duca haͤngen.
Dies letztere iſt des beſondern Coſtums wegen merk-
wuͤrdig. Es ſtellt dieſen Herrn als Apollo unbe-
kleidet, mit der Leier in der Hand, dabei aber in
einer Allongeperuͤcke, vor.
Den Plafond des obern Saals hat Tad-
deo Zuccari gemahlt. 4) Ich kenne von dieſem
Meiſter
[59]Pallaſt Ruſpoli.
Meiſter keine weitlaͤuftigere und beſſer erhaltene Com-
poſition in Rom. Er ſtellet mehrere Gegenſtaͤnde
aus der Mythologie vor, die die ſonderbare und rei-
che Erfindung des Mahlers hin und wieder mit eige-
nen Zuſaͤtzen zu bereichern gewußt hat. Die Zu-
ſammenſetzung zeigt einen erfinderiſchen und witzigen
Kopf an, dem es an Herz, und folglich an Ge-
ſchmack, Empfindung des Schoͤnen, und Kenntniß
des wahren Zwecks der Mahlerei gefehlt hat. Die
Figuren ſind auf einander gehaͤuft, und ohne Ord-
nung zuſammen geworfen. Die Zeichnung iſt ſehr
manierirt, und eine Vermiſchung des roͤmiſchen und
florentiniſchen Stils, ohne die Natur zu Rathe zu
ziehen. Faͤrbung und Haltung ſind gleichfalls ganz
conventionell. Inzwiſchen leuchtet aus dem Ganzen
viel Feuer hervor, und es iſt zu bedauern, daß der
Meiſter ihm nicht durch Studium der Natur und der
Antike eine beſſere Richtung zu geben gewußt hat.
Pallaſt
[60]
Pallaſt Roſpiglioſi.
Dieſer Pallaſt iſt zwiſchen dem Principe Ga-
gliano 1) und dem Duca Zaccarolli, ſo wie
die Sammlung der darin befindlichen Gemaͤhlde
getheilt.
In den Zimmern des Prinzen
Gagliano.
Ein Opfer der Diana, von P. da Cortona.
Pouſſins Bildniß, von ihm ſelbſt ge-
mahlt.
Einige Thierſtuͤcke von Sneyders.
Einige Perſpektiven von Viviani.
Einige Landſchaften von Tempeſta.
Einige große hiſtoriſche Compoſitionen
von Romanelli.
Eine Skizze zu einem Plafond in der Ma-
nier des Paolo Veroneſe.
Die drei Marien von Muziano.
Eine Madonna mit dem Kinde von Ba-
roccio, lieblich, aber zu blau.
Rinaldo und Armida von Albano.
Eine ſchoͤne Landſchaft mit Waſſerfaͤllen
von J. Both.
Eine Marine, angeblich von Claude le Lor-
rain.
Ein
[61]Pallaſt Roſpiglioſi.
Ein heiliger Sebaſtian von Valentin.
Der Tod des Kaiſers Julianus Apoſtata;
und des Saulus Bekehrung beide von Luca
Giordano.
† Der Chriſt und die zwoͤlf Apoſtel,
halbe Figuren, in dreizehn verſchiedenen Stuͤcken
von Rubens.
Die Mutter Gottes mit dem Leichname
ihres Sohnes auf dem Schooße, eine Copie
nach dem beruͤhmten Gemaͤhlde des Annibale Car-
raccio zu Capo di Monte.
† Chriſtus traͤgt das Kreuz, ein ſchoͤnes
Stuͤck von Daniel di Volterra.
Eine heilige Familie von Leandro Baſſano.
Sophoniſbe von Calabreſe.
Die fuͤnf Sinne von Cignani.
Eine heilige Magdalena von demſelben.
Loth mit ſeinen Toͤchtern von Hiacinto
Brandi.
Ein Genius, der uͤber einem Fuͤllhorn
liegt, von Pouſſin.
Andromeda von Guido.
Adam und Eva, und
Chriſtus beide von Palma.
Ein ganzes Zimmer mit Landſchaften von
Paul Brill al Freſco gemahlt, ſtark retouchirt.
Zwei Plafonds von Giovanni da St.
Giovanni.
In
[62]Pallaſt Roſpiglioſi.
In den Zimmern des Duca Zaccarolli
haͤngen
† Einige Seeſtuͤrme, Landſchaften und
Proſpekte von Landſitzen, die der Familie
Roſpiglioſi gehoͤren, von Manglar, dem Lehr-
meiſter Vernets. Sie ſind ſchoͤn gedacht.
Mehrere Proſpekte von Viviani.
EinEcce Homo von Calabreſe.
Einige Niederlaͤnder.
Einige Bamboſchaden von M. A. delle
Bambocciate.
Ein paar hiſtoriſche Gemaͤhlde von Ro-
manelli.
Flora mit zwei Geniis, von Guercino in
ſeiner rothen Manier.
riſche Ge-
maͤhlde von
Pouſſin.
† Die vier Jahrszeiten von Pouſſin. Sie
drehen ſich im ewigen Reihetanz nach der Harmonie
der Zeit. Dieſe, ein Alter, lehnt ſich an ein Poſta-
ment und ſpielt die Leier: Neben ihm ſitzt ein Ge-
nius mit einem Stundenglaſe. Gegenuͤber eine
Terme mit einem Januskopf, und ein anderer Ge-
nius der mit Seifenblaſen ſpielt. Dieſe Figuren
ſieht man in einer wohlgedachten Landſchaft. Am
Himmel faͤhrt die Sonne in ihrem Wagen; um ſie
herum tanzen die Horen, und Aurora geht vorauf
und ſaͤet Blumen.
Dieſe Zuſammenſetzung befriedigt vorzuͤglich in
dem unteren Theile alle Erforderniſſe einer guten Al-
legorie. Sie iſt allgemein verſtaͤndlich, und ſollte
ſie es auch nicht ſeyn, ſo bleibt der Ausdruck der ver-
einigten
[63]Pallaſt Roſpiglioſi.
einigten Perſonen auch ohnehin erklaͤrbar, und in-
tereſſant. Sind es nicht die Jahrszeiten, nicht die
Bilder des Kreislaufs der Zeit, des Voruͤbergehens
und des Wiederwerdens; gut! ſo ſind es uͤberhaupt
Perſonen, die nach dem Klange einer Leier tanzen,
mit ihren ſpielenden Kindern; das Alles laͤßt ſich in
einer laͤndlichen Scene wohl zuſammen denken, und
der Ausdruck von Froͤlichkeit, welcher durch die
Handlung hinreichend motivirt wird, kann das Auge
und den innern Sinn nicht gleichguͤltig laſſen. Die
Figuren in der obern Haͤlfte des Bildes haͤtten eben
ſo gut wegbleiben koͤnnen. Zur Verſtaͤndigung des
Betrachters tragen ſie nichts bei, und zur mahleri-
ſchen Wuͤrkung eben ſo wenig. Inzwiſchen ſtehen
ſie hier nicht unſchicklich, und das iſt bei dem haͤufi-
gen Misbrauche allegoriſcher Vorſtellungen ſchon
Etwas.
Die Ausfuͤhrung ſcheint mir hier beſſer als in
vielen andern Bildern unſers Meiſters. Die Zeich-
nung iſt correkt, die Koͤrper der tanzenden Figuren
haben ſwelte Formen und abwechſelnde Stellungen,
und die Kinder den wahren Charakter ihres Alters.
Die gewoͤhnlichen Fehler Pouſſins ſind indeß nicht
alle vermieden. Der Kopf der Zeit iſt unbedeutend,
um nicht ſtupide zu ſagen; das Laͤcheln des Fruͤhlings
wird zur grinzenden Ziererei; die Gewaͤnder ſind
trocken, und an Haltung und Colorit mangelt es
gaͤnzlich.
† Ein anderes allegoriſches Gemaͤhlde
eben dieſes Meiſters, ſtellt die Wahrheit vor,
welche die Zeit aus dem Abgrunde hervorzieht,
in den ſie Neid und Misgunſt zu ſtuͤrzen be-
muͤht
[64]Pallaſt Roſpiglioſi.
muͤht waren. Der Gedanke iſt mir in dieſem Ge-
maͤhlde noch lieber als in dem vorigen, weil er zu
einem reichhaltigern und intereſſantern Ausdruck Ge-
legenheit giebt. In der Ausfuͤhrung vermiſſe ich an
der Figur der Wahrheit, die edle Uebefangenheit, die
Domenichino der ſeinigen in dem Plafond des Pal-
laſts Coſtaguti zu geben gewußt hat. Der Ausdruck
der uͤbrigen Figuren iſt zum mindeſten wahr, wenn
er gleich edler und in dem Neide und der Misgunſt
weniger Carricatur ſeyn konnte. Die Anordnung,
die Zeichnung, und das Helldunkle ſind zu loben.
Die Farbe iſt zu finſter.
† Eine ſehr ſchoͤne Landſchaft mit einer
Bruͤcke von Claude le Lorrain.
Eine Geiſſelung von Valentin.
Eine Fruchtkraͤmerin mit einem Kinde an-
geblich von Guercino.
Zwei Skizzen von P. da Cortona, die man
eben ſo gern dem L. Giordano zuſchreiben ſollte.
Eine Glasfabrik von Honthorſt.
Damon und Pythias vor dem Tyrannen
Dionyſius, von Guercino. Die Geſchichte die-
ſer beiden Freunde iſt bekannt. Der eine von ihnen
ſaß auf den Tod, und da er, um in ſeiner Familie
die letzten Einrichtungen zu treffen, auf eine Zeitlang
aus der Verwahrung losgelaſſen zu werden wuͤnſchte,
ſo ſtellte ſich der andere mittlerweile zum Buͤrgen,
und erbot ſich die Todesſtrafe zu leiden, wenn ſein
Freund an dem zu ſeiner Hinrichtung beſtimmten
Tage nicht wiederkehren wuͤrde. Aber dieſer kehrte
wieder, und der erſtaunte Tyrann bat um die dritte
Stelle in ihrer Freundſchaft. Die Wahl des Suͤ-
jets
[65]Pallaſt Roſpiglioſi.
jets iſt bei weitem das Intereſſanteſte in dieſem Bilde.
Aber es fraͤgt ſich noch, ob das Intereſſe, ſelbſt bei
der vollkommenſten ſichtbaren Darſtellung, nicht
mehr in der Veranlaſſung zu intereſſanten Vorſtel-
lungen, in den Ideen liegen wuͤrde, die der Be-
trachter hinzubringt, als in der gegenwaͤrtigen Percep-
tion intereſſanter Vorſtellungen aus dem Anblick des
Bildes ſelbſt: mithin ob uͤberhaupt dieſe Begebenheit
ein mahleriſch intereſſantes Suͤjet ausmachen koͤnne. 2)
Kopf des heil. Johannes wird dem Leo-
nardo da Vinci beigelegt.
† Loth und ſeine Soͤhne ein ſchoͤnes Bild
von A. Sacchi.
Eine Darſtellung im Tempel nach Paolo
Veroneſe.
† Eine heilige Magdalena im ſchwarzen
Gewande. Ein ſchoͤnes Gemaͤhld von Rubens.
Eine Hirtenanbetung von Baſſano.
Ein heiliger Hieronymus der von dem
Schall der Trompete in die ein Engel ſtoͤßt,
geweckt wird, von Guercino.
Eine heilige Familie von Pouſſin. Die
heilige Eliſabeth bringt den heil. Johannes als Kind
zum Heilande. Die Zuſammenſetzung iſt artig, die
Koͤpfe ſind ſchlecht, die Zeichnung iſt trocken.
Noch eine heilige Familie von demſelben.
Ein heiliger Philippus Neri, und Clemens
der Neunte, von Carlo Maratti.
In
Dritter Theil. E
[66]Pallaſt Roſpiglioſi.
In dem Caſino des Gartens.
Guido.
† Aurora von Guido. Eine der beruͤhm-
teſten Freſcomahlereien in Rom.
Phoͤbus faͤhrt in ſeinem Wagen unter Beglei-
tung der tanzenden Horen. Der Morgenſtern, un-
ter dem Bilde eines lieblichen Knabens, fliegt vor-
aus, und ſchwenkt die Fackel. Aber noch vor ihm
ſchwebt Aurora, und ſtreuet Roſen aus.
Dieſer Gedanke iſt ſchoͤn, und ſowohl in Ruͤck-
ſicht auf die heiteren Ideen die er erweckt, als auf
die lieblichen Stellungen und Formen, zu denen er
Anlaß giebt, gleich vortheilhaft fuͤr die ſichtbare
Darſtellung.
Unter den Koͤpfen ſcheinen die der Horen die rei-
zendſten zu ſeyn. Sie haben den angenehmen Cha-
rakter jugendlicher Froͤlichkeit. Die Geſichtsbil-
dungen der Aurora und des Phoͤbus ſind nicht bis
zum Ideal gehoben. Die ſitzende Stellung des
letztern verhindert ſeine uͤbrige Geſtalt in aller ihrer
Schoͤnheit zu ſehen. Hingegen ſind die Koͤrper der
Aurora und der Horen ſehr reizend in ihren abwech-
ſelnden Formen und Stellungen. Die erſte dieſer
Goͤttinnen ſchwebt mit unbeſchreiblicher Leichtigkeit
dahin, und mit eben dieſer Leichtigkeit flattert der
ſchoͤne Genius mit der Fackel. Kopfputz und Ge-
waͤnder, vorzuͤglich die fliegenden, ſind vortrefflich.
Die Zeichnung iſt fein: Das Colorit hingegen weder
ganz wahr, noch ſehr harmoniſch. Der Grund,
der eine Ausſicht aufs Meer zeigt, iſt zu blau ge-
worden. Ueberhaupt hat dies Gemaͤhlde ſehr gelitten.
Die
[67]Pallaſt Roſpiglioſt.
Die Anordnung iſt zu loben, aber die Beleuch-
tung zu willkuͤhrlich. Wenn dieſe lichtverbreitenden
Koͤrper ſich auch unter einander ſelbſt nicht beleuchten
konnten, ſo ſollte wenigſtens die Fackel in der Hand
des Genius einige Wuͤrkung hervorbringen. Aber
das Licht iſt ganz außer dem Bilde angenommen.
In eben dieſem Zimmer Frieſen von Tem-
peſta, und Landſchaften auf naſſen Kalk von
Paul Brill.
In einem Nebenzimmer Simſon, der die
Saͤulen einreißt, ein großes Bild, das dem Lu-
dovico Carraccio beigelegt wird.
† Das Paradies von Caſtiglione: die
Figuren der erſten Eltern ſind von Domeni-
chino. Gleichfalls ein großes Bild.
† Davids Triumph uͤber den beſiegten
Goliath, in Gegenwart Sauls, von Dome-
nichino. Eine große Compoſition, in der man
ſchoͤne Weiberkoͤpfe antrifft.
Im Garten.
Man zeigt hier eine Statue des Domitians
als eine der groͤßten Seltenheiten in Rom. Nach
dem was Winkelmann 3) uͤber die Bildniſſe dieſes
Kaiſers im Allgemeinen ſagt, wird die Aechtheit der-
ſelben immer zweifelhaft bleiben.
Eine Etruſciſche Pallas mit einem Seeunge-
heuer zu ihren Fuͤßen. Der Kopf ſcheint neu. Die
Hand in den Schleier gewickelt ſtaͤmmt ſie in die
Seite.
E 2Der
[68]Pallaſt Roſpiglioſt.
Scipio Afri-
canus.
† Der ſchoͤnſte Kopf des Scipio Africa-
nus aus gruͤnlichtem Baſalt ſteht in dieſem Pallaſte.
Dieſer Kopf mit voͤllig beſchorner Scheitel, und der
Narbe einer Wunde auf derſelben, hat allen uͤbrigen
Koͤpfen, die dieſem aͤhnlich waren, den Nahmen ge-
geben. Den Grund zu ſeiner Benennung nimmt
man daher, daß derſelbe in den Truͤmmern der Villa
des aͤltern Scipio Africanus zu Liternum ausgegra-
ben iſt. Ob dieſer durchſchlagend ſey, will ich nicht
entſcheiden, wenigſtens bleibt es zweifelhaft, ob man
hier das Bildniß des aͤlteren oder des juͤngeren Sci-
pio ſehe. 4)
Pallaſt
[69]
Pallaſt Coſtaguti.
Die mehreſten Reiſebeſchreibungen gehen ſehr leicht
uͤber dieſen Pallaſt weg, inzwiſchen verdient
er die Aufmerkſamkeit des Liebhabers, einiger ſchaͤtz-
baren Mahlereien wegen, die man darin antrifft.
Am Plafond des erſten Zimmers Hercules und
Dejanira von Albano. Die Figuren ſind nicht
außerordentlich, aber die Landſchaft iſt gut.
In eben dieſem Zimmer eine Landſchaft in
Waſſerfarben von Caſpar Pouſſin.
Im zweiten Zimmer am Plafond, Acis und
Galathea von Lanfranco: mittelmaͤßig.
Zwei Landſchaften in Waſſerfarben von
Pouſſin und wie man behauptet, eine von Claude
le Lorrain.
Ein Concert von M. Angelo delle Bam-
bocciate.
† Der Plafond des dritten Zimmers iſtPlafond von
Domenichi-
no.
von Domenichino und hat große Schoͤnheiten.
Ueber einer reichen und perſpektiviſch richtig ge-
mahlten Architektur ſieht man den Himmel offen, an
dem der Tag mit ſeinen vier Pferden hinfaͤhrt. Ge-
gen ihn zu erhebt ſich die Wahrheit, und die Zeit
zerreißt den Mantel, der ſie bedeckt. In den vier
Winkeln fliegen Amorinen. Der eine traͤgt eine
E 3Loͤwen-
[70]Pallaſt Coſtaguti.
Loͤwenhaut mit einer Keule, der andere einen Schaͤ-
ferſtab, und ein Hund ſteht zu ſeiner Seite: Der
dritte haͤlt einen Pfeil, der vierte eine Violine. Wie
dieſe Amorinen zu der ſonſt gut gedachten und leicht
erklaͤrbaren Allegorie paſſen, iſt ſchwer zu begreifen.
Der Tag unter der Figur des Apollo hat ein
ſuͤßliches und geziertes Weſen. Hingegen hat die
Wahrheit ganz den Charakter edler Unbefangenheit
und beſcheidener Zuverſicht, welche Begleiterinnen
eines ſchuldloſen Herzens zu ſeyn pflegen. Ihre Fi-
gur iſt ſchoͤn: nur finde ich die Warzen auf den Bruͤ-
ſten zu ſtark angegeben, und in der Zeichnung der
Beine einige Unbeſtimmtheit. Die Figur der Zeit
iſt wahr, ohne edel zu ſeyn. Die Kinder ſind ſchoͤn,
und vorzuͤglich hat das mit dem Hirtenſtabe einen
vortrefflichen Ausdruck ſchwebender Leichtigkeit.
Irre ich, oder hat Domenichino in der Faͤrbung
den Guercino, ſeinen Nachbar im naͤchſten Zimmer,
vor Augen gehabt?
Guercino.
†Der Plafond des vierten Zimmers iſt
von Guercino. Er ſtellt die Armida vor, die
den ſchlafenden Rinaldo in einem Wagen mit Dra-
chen beſpannt entfuͤhrt. Dieſer Plafond iſt vortreff-
lich componirt. Doch rechne ich einen Fehler wider
die Perſpektiv ab. Rinaldo konnte ſo nicht liegen,
ohne aus dem Wagen herabzufallen.
Die Figur der Armida macht kein vollkomme-
nes Ideal aus. Aber wie verfuͤhreriſch ſind nicht
ihre Reize! wie luͤſtern wacht ſie uͤber den Juͤngling!
Dieſer iſt mehr Schaͤfer als Held; aber ſeine Formen
ſind
[71]Pallaſt Coſtaguti.
ſind der Natur abgeſtohlen, und ſo auch der Aus-
druck des Schlafs.
Die Wuͤrkung, die dieſer Plafond durch Ab-
wechſelung des Lichts und Schattens, und durch
die Kraft der Farben hervorbringt, iſt vorzuͤglich im
al Freſco bewundernswuͤrdig. Inzwiſchen kann
man nicht leugnen, daß wenn dieſe Vorzuͤge zuerſt
den Blick auf ſich gezogen haben, der Mangel an
Harmonie, die gar zu ſchneidenden Lichter dem Auge
auf die Laͤnge wehe thun.
Den Plafond des fuͤnften Zimmers hat
der Cavaliere Giuſeppe d’ Arpino gemahlt.
Juno ſchlaͤft; ihr Sohn ſaugt an ihren Bruͤſten;
Jupiter und einige andere Gottheiten ſehen zu.
Man begreift nicht, warum alle dieſe Perſonen
da beiſammen ſind. Sie ſind ohne allen Ausdruck.
In dieſem Zimmer trifft man auch einige Staf-
felei-Gemaͤhlde an.
Eine Aufnehmung der heiligen Magdalena
in den Himmel von A. Sacchi. Sie hat viel
von der Aufnehmung der Madonna des Guido im
Pallaſt Sta Croce.
Eine heilige Agatha und heilige Praſſeda
von Lanfranco, von ſehr kraͤftigem Colorit.
Bildniß des Cardinals Barberini von A.
Sacchi.
Daͤdalus der dem Icarus die Fluͤgel an-
bindet von demſelben Meiſter: richtige Zeichnung,
und ſchoͤne Farbe.
Zwei Landſchaften von Pouſſin.
E 4Heili-
[72]Pallaſt Coſtaguti.
Heiliger Franciſcus, halbe Figur von Guido.
Ein anderer heil. Franciſcus von Guercino.
Judith im Begriff dem Holofernes den
Kopf abzuhauen von Mola: gemeiner Ausdruck
und ſchlechte Wahl der Formen: uͤbrigens kraͤftig
von Farbe, und von pikanter Wuͤrkung des Hell-
dunkeln.
Zwei Bildniſſe aus der Venetianiſchen
Schule.
In einem andern Zimmer, der Friede und
die Gerechtigkeit von Lanfranco. Er hat die
Manier des Guercino nachzuahmen geſucht.
Wieder in einem andern, am Plafond: Bac-
chus und Ariadne. Man legt dies Werk dem
Ludovico Carraccio bei: allein dies iſt nicht glaublich,
da der Meiſter ſich nur wenige Tage in Rom aufge-
halten hat.
Pallaſt
[73]
Pallaſt Caſali.
† Ein ſchoͤner Sarcophag mit dem Triumph
des Bacchus und der Ariadne vom ſchoͤnſten
Stile. Unter andern Figuren ſieht man einen Faun,
der ſich auf die Spitzen der Zehen hebt, und die Hand
uͤber die Augen haͤlt, um beſſer zu ſehen.
Ein ſchlafender Faun, an dem die Theile, die
nicht reſtaurirt ſind, ſehr ſchoͤn ſind.
† Der beruͤhmte Kopf des Caͤſars, derSchoͤner
Kopf des
Caͤſars.
beſte, der von ihm bekannt iſt. Er iſt aus Bronze. 1)
Ein ſchoͤnes antikes Moſaik, welches ehemals
zum Fußboden gedient hat. Es ſtellt die Entfuͤhrung
der Europa vor, rund herum ſind Arabesken ange-
bracht.
Dieſe Stuͤcke ſtanden zu meiner Zeit zum Ver-
kauf. Man konnte nur die Genehmigung des Pab-
ſtes nicht erhalten. So viel mir erinnerlich iſt, ſtand
der Kopf des Caͤſars in der beſondern Wohnung ei-
nes Praͤlats aus dieſem Hauſe. Man kann hier
nachfragen.
Pallaſt
[74]
Pallaſt Lancellotti.
Im Hofe ſind einige Basreliefs angebracht. Sie
ſind im Ganzen unbetraͤchtlich. Dieſer Hof,
die Treppen und die Vorzimmer ſind mit Statuen
beſetzt. Die beſten darunter ſcheinen zu ſeyn: Ein
Paris, ein Faun, eine Diana von Epheſus,
und zwei Muſen. Unter dieſen hat die eine Aehn-
lichkeit mit derjenigen, die unter dem Nahmen Clio
aus dieſem Pallaſte ins Muſeum Clementinum ge-
kommen iſt, aber ſie hat nicht ihren Werth.
In den untern Zimmern.
Ein Amor von weißem Marmor. Er hat
gute Partien.
Angelika und Medor von Guercino, ſehr
verdorben.
Eine Copie des beruͤhmten Gemaͤhldes von
Tizian in Spanien, mehrere Gruppen von
Kindern vorſtellend. Es war ehemals in der
Villa Ludoviſi befindlich, Pouſſin und Fiamingo
haben viel darnach ſtudirt.
Eine Frauensperſon, die auf der Leier
ſpielt, von P. Veroneſe.
Eine Muſe, moderne Statue.
In den obern Zimmern.
† Loth mit ſeinen Toͤchtern von Guido.
Drei Figuren auf halben Leib, aber Lebensgroͤße.
Die Koͤpfe ſind vortrefflich, und die Faͤrbung iſt gut.
Man
[75]Pallaſt Lancellotti.
Man findet dieſes Bild in Hamiltons Scuola Ita-
liana in Kupfer geſtochen.
† Suſanna zwiſchen den beiden Alten:
ein Gegenſtuͤck zu dem vorigen, von demſelben Mei-
ſter. Dies Gemaͤhlde ſcheint vor dem vorigen noch
Vorzuͤge zu haben, aber es hat ſehr gelitten. Die Koͤpfe
ſind ſehr ſchoͤn, ſo wie der ganze Koͤrper des Weibes.
Der verlohrne Sohn von Guercino. Der
Vater bekleidet ſeinen juͤngſten Sohn, waͤhrend daß
er dem aͤlteren Vorwuͤrfe macht. Die Compoſition
iſt nicht zu loben, und die Farbe faͤllt zu ſehr ins
Rothe. Hamilton hat es in die Scuola Italiana
aufgenommen.
† Ein junger Bacchus ſpielt dem Silen
auf der Floͤte vor, ein Gemaͤhlde in Waſſerfarben,
von Annibale Carraccio, welches ehemals zum
Deckel eines Clavecins gedient hat. Hamilton hat
es gleichfalls ſtechen laſſen. Die Figuren ſind nur
klein, aber mit vielem Geiſte und vieler Delicateſſe
behandelt. Der Ausdruck iſt vortrefflich, die Formen
ſind nach der Antike gemodelt. Das eine Bein in der
Verkuͤrzung iſt unvergleichlich. Am Silen ſind viel-
leicht einige Partien zu trocken ausgefuͤhrt. Fuͤr
Waſſerfarbe iſt die Faͤrbung ſehr kraͤftig.
† Einige Faunen tragen einen Silen, und
Amorinen wiegen ſich auf Weinreben. Ein
Gemaͤhlde auf einem Goldgrunde von Annibale Car-
raccio. Eine allerliebſte Compoſition, die mit der
vorigen zur Verzierung eines und deſſelben Inſtru-
ments gedient zu haben ſcheint.
Ein Bildniß eines Frauenzimmers von
Paolo Veroneſe.
Pallaſt
[76]
Pallaſt Maſſini.
Die mehreſten Stuͤcke, welche Herr Dr. Volk-
mann 1) als hier befindlich angiebt, ſind ver-
kauft. Ein großer Theil iſt in die Villa Albani ge-
kommen. Die Etruſciſchen Vaſen hat der Cardinal
Zelada gekauft.
Der Aeſculap, eine Statue, die hier noch ſteht, iſt
unbedeutend. Dagegen iſt ein betraͤchtlicheres Stuͤck:
† Ein Diſcobolus,2) eine Statue in Lebens-
groͤße, hinzugekommen. Dieſe iſt 1781. gefunden.
Die Figur legt ſich vorn uͤber, ſtreckt den rechten
Arm hinten aus, um den Diſcus zu werfen, richtet
den Blick des umgedrehten Kopfs nach dieſen Diſcus,
ſteht auf dem rechten Fuße mit gekruͤmmtem Knie,
und ſtreckt das linke Bein mit umgebogenen Zehen,
gleichſam um ſich dadurch einen Schwung zu geben,
hinter ſich zuruͤck. Die linke Hand legt ſie an das
rechte Knie, wahrſcheinlich um ſich dadurch im Gleich-
gewichte zu erhalten.
Dieſe Stellung hat etwas unnatuͤrliches. Die
Figur ſcheint außer dem Gleichgewichte zu ſeyn, und
fallen
[77]Pallaſt Maſſini.
fallen zu muͤſſen. Auch thun die unterwaͤrts gebo-
genen Zehen des linken Fußes dem Auge wehe; um
ſo mehr, als ſie an den Block befeſtigt ſind, und der
Koͤrper darauf zu ruhen ſcheint. 3) Ich ſtelle mir
vor, der Kuͤnſtler hat die Idee gehabt, der Be-
ſchauer ſolle den Fuß als im Freien ſchwebend be-
trachten: dann ließe ſich die Kruͤmmung der Zehen
als eine Folge der heftigen Anſtrengung leicht entſchul-
digen. Allein aus Furcht, das Bein moͤchte als-
dann nicht Halt genung haben, hat er die Zehen in
den Marmorblock gefugt, und wahrſcheinlich haben
wir auch nur dieſem Umſtande deſſen Erhaltung zu
verdanken.. Der Kuͤnſtler ſcheint uͤberhaupt
beſondere Sorge fuͤr die Conſervation ſeines Werks
getragen zu haben. Ein Stuͤck Marmor hielt
den aufgehobenen Arm an den Koͤrper feſt,
als die Statue gefunden wurde. Weil man aber
fand, daß es dem Ganzen ſchadete, ward es ab-
genommen. Es iſt weiter nichts an der Figur er-
gaͤnzt, als das rechte Bein vom Knie an, bis auf
die Knoͤchel, und einige Finger. Der Leib iſt der
ſchoͤnſte Theil an dieſer Figur, doch hat auch der
Kopf viel Verdienſt. Das linke Bein mit dem Knie,
auch ein Theil des Halſes ſind nicht ganz ausgearbeitet.
Der Marmor iſt von der ſchoͤnſten Art. Vielleicht
iſt der Arm, mit dem der Diſcus geworfen wird, et-
was verzeichnet.
Unter
[78]Pallaſt Albani.
Unter den Gemaͤhlden in dieſem Pallaſte habe ich
nichts beſonders gefunden, als einen heiligen Mat-
thaͤus in der Wechſelbank von Guercino.
Pallaſt Albani.
Die Bildhauerwerke die hier ehemals ſtanden,
ſind nach der Villa gebracht. Doch findet
ſich noch im Hofe ein coloſſaliſcher Fuß mit einem
Schuh, der des Coſtume wegen zu bemerken iſt.
Folgendes ſind die Gemaͤhlde, die mir Aufmerk-
ſamkeit zu verdienen geſchienen haben.
Eine Verlobung der heiligen Catharina
von Siena, von Pietro da Cortona.
Zwei Studien von Andrea Sacchi zu dem
Gemaͤhlde dieſes Meiſters: dem heil. Remualdus.
Maria ſtehend; der Chriſt als Kind um-
armt den heiligen Johannes. Eine Copie nach
dem beruͤhmten Bilde aus Raphaels erſter Manier
im Palais Royal zu Paris, deſſen Wiederholung
man auch zu Capo di Monte bei Neapel findet.
Judith mit dem Kopfe des Holofernes,
von Carravaggio.
Eine Maria mit dem Kinde von Carlo
Maratti.
Der heilige Januarius der ſeine Hand von
einem Geiſtlichen kuͤſſen laͤßt, ein ſehr mittel-
maͤßiges Bild von Solimene.
Jacob mit der Leiter im Traum von Feti.
Die Leiter iſt ſehr dunſtig, wie eine Erſcheinung ge-
mahlt
[79]Pallaſt Albani.
mahlt. Dem ohngeachtet bleibt die Darſtellung
eines Traums in Gegenwart des Schlafenden mit
geſchloſſenen Augen immer eine Abſurditaͤt.
† Eine Copie im Kleinen nach der Transfi-
guration Raphaels, mit großem Fleiße, und
wahrſcheinlich von einem Niederlaͤnder verfertigt.
† Eine ſehr ſchoͤne Landſchaft im hellen
Ton von Salvator Roſa.
† Ein van der Werf. Der einzige ſeiner
Art in Rom.
† Eine heilige Familie von Pietro Perrug-
gino, ſonderbar componirt, aber fuͤr den Meiſter
außerordentlich richtig in der Zeichnung.
Pallaſt
[80]
Pallaſt Spada.
An der Erde.
Mehrere, aber wenig betraͤchtliche Statuen.
Inzwiſchen erinnere ich mich der Figur eines
Philoſophen, welche werth ſchien, der Stellung
wegen ausgezeichnet zu werden. Die Ausfuͤhrung
war trocken.
† Acht Basreliefs. Sie ſtellen Suͤjets aus
der Mythologie vor. Z. B. Paris als Hirte die
Kuͤhe huͤtend: Perſeus und ſein Pferd: Pa-
ſiphae und Daͤdalus: Meleager ꝛc. Der uͤbrigen
Suͤjets erinnere ich mich nicht mehr. Sie ſind in
einem guten Stile gezeichnet, und von beſorgterer Ar-
beit als diejenigen, ſo man an den gewoͤhnlichen Sar-
cophagen antrifft.
Lange hatten dieſe Basreliefs zum ſteinernen Fuß-
boden in den Gewoͤlbern einer Kirche gedient. Zum
Gluͤck hatte die Seite mit den erhoben gearbeiteten
Figuren unten gelegen, und dadurch waren dieſe un-
beſchaͤdigt geblieben.
Im Vorzimmer.
Pompejus
des Großen.
† Die Bildſaͤule Pompejus des Groſ-
ſen, coloſſal. Man glaubt es ſey diejenige, zu de-
ren Fuͤßen der groͤßte der Sterblichen, Caͤſar ermordet
worden. Ein heiliger Schauer hat mich bei dem Ge-
danken mehr als bei dem Anblick dieſer Statue ergrif-
fen, denn ich habe in den Formen die Idee von
Schoͤn-
[81]Pallaſt Spada.
Schoͤnheit vermißt, welche die Geſchichte dieſem Hel-
den beilegt, und dagegen einen Ausdruck von Feſtig-
keit des Charakters in der Mine gefunden, welche ſie
ihm ableugnet. Auch ſcheint mir das nackte Coſtume
fuͤr den Roͤmer nicht zu paſſen.
Inzwiſchen Maͤnner, deren Urtheil meine ganze
Achtung verdient, haben mich verſichert, bei der Ver-
gleichung des Gypsabguſſes des Kopfes mit dem
Bruſtbilde auf der Medaille viele Aehnlichkeit zwiſchen
beiden gefunden zu haben.
Iſt es wahr, daß die Statue bei der Cancellaria
auf dem Platze des ehemaligen Rathhauſes des Pompe-
jus gefunden ſey, ſo wuͤrde dieſer Umſtand die Angabe
des Nahmens beſtaͤtigen. Man ſetzt hinzu, der Leib
der Figur habe in dem Keller des einen, der Kopf
aber in dem Keller des andern Buͤrgers gelegen; die
Scheidewand beider Haͤuſer habe daruͤber geſtanden.
Wem gehoͤrte das Eigenthum? Der eine Nachbar
verlangte es, weil der Kopf als der vornehmſte Theil
auf ſeinem Grund und Boden gelegen haͤtte. Der
andere behauptete, der groͤßte und nicht der vorzuͤg-
lichſte Theil entſcheide, und dieſer, als der Rumpf,
waͤre auf ſeiner Beſitzung gefunden. Die Sache
kam vor Gericht, und der Richter that einen Aus-
ſpruch, der ſeiner Kunſtliebhaberei ſo wenig Ehre
machte, als ſeiner Jurisprudenz. Die Statue, er-
kannte er, ſoll getheilt werden; den Kopf, der herab-
geſchlagen werden muß, nehme der Eigenthuͤmer des
Bodens hin wo er lag, den Rumpf der andere. Der
Pabſt Julius der Dritte hinderte die Ausfuͤhrung die-
ſes ſonderbaren Erkenntniſſes durch ſeine Freigebigkeit.
Er kaufte die Statue fuͤr 150 Ducaten, und ſchenkte
Dritter Theil. Fſie
[82]Pallaſt Spada.
ſie dem Cardinal Capo di Ferro. Wie es mit der
Theilung des zahlbaren Werthes dieſes Kopfs und
dieſes Rumpfs gehalten ſey; davon ſagt uns die Nach-
richt nichts.
Die Statue iſt gut, aber zu den vorzuͤglichen
gehoͤrt ſie nicht. Man wirft der Ausfuͤhrung mit
Recht einige Haͤrte vor. Die Arme ſind modern.
In einem Zimmer zur Seite.
Eine Frieſe al Freſco. Man legt ſie dem
Perrino del Vaga bei. Ich glaube, ſie iſt von einem
der Zuccheri; ſo bezeichnen den Meiſter die ſchlechte
Anordnung, die faden Geſichtsbildungen, und die ver-
zerrten Extremitaͤten. Hin und wieder zeigt ſich eine
gute Partie.
In einem andern Zimmer.
Lucretia wahrſcheinlich nur eine Copie nach
Guido.
Dankgebet,
von Guido
Reni.
† Judith ſtuͤtzt ſich auf ihr Schwerdt mit
der einen Hand, mit der andern haͤlt ſie das
abgehauene Haupt des Holofernes: Ihre
Augen gen Himmel gerichtet verkuͤndigen die
Dankempfindung ihres Herzens: von Guido.
Wie weiſe iſt der Zeitpunkt der intereſſanteſten Dar-
ſtellung aus dieſer Begebenheit herausgehoben! Wie
edel der Ausdruck in Mine und Stellung! Wie be-
deutend, wie vollſtaͤndig die Handlung in dieſer ein-
zelnen Figur! Mit welcher Sorge fuͤr unſer Vergnuͤ-
gen das Widrige des Anblicks eines abgehauenen und
bluti-
[83]Pallaſt Spada.
blutigen Kopfs im Schatten gehalten! Wirklich die-
ſes Bild iſt ein Muſter fuͤr jeden angehenden Kuͤnſtler,
wie man aus einer jeden Begebenheit nur das zur
Darſtellung herausheben ſolle, was der Anſchauer
am liebſten dargeſtellt zu ſehen wuͤnſcht. Iſt in der
ganzen Folge von Situationen, welche die Geſchichte
des Holofernes der ſichtbaren Darſtellung darbietet,
eine einzige, die uns mehr intereſſiren kann, als die-
jenige, in der ſich Judith nach dem Tode des Holo-
fernes befand? Ich rede von dem Mahler. Dem
Dichter kann vielleicht das zweifelhafte Anſtehen einer
empfindungsvollen Seele in dem Augenblicke vor einer
Handlung, die nur die Nothwendigkeit entſchuldigt:
der Ermordung des Feindes im Schlafe, noch intereſ-
ſanter ſeyn. Aber kaum weiß ich, ob die Aeußerung
dieſer Empfindung durch eine ſtillſtehende Pantomime
deutlich genug werden duͤrfte.
Und wie hat der Mahler die Verfechterin ihres
Vaterlandes und ihrer Unſchuld, mit dem ganzen
Gefuͤhle der Rechtmaͤßigkeit ihrer That, der Zuver-
ſicht und des Dankes ergriffen, den das ſchwache
Werkzeug der Leitung einer hoͤheren Gewalt bei einer
ſo muthigen That ſchuldig zu ſeyn glaubte.
Die Zeichnung iſt vortrefflich, vorzuͤglich an dem
Arme und der Hand, die das Schwerdt halten.
Durch das ſchoͤn geworfene Gewand zeichnet ſich der
Koͤrper einer Heldin hin. Die Farbe iſt nachge-
ſchwaͤrzt, aber ſie muß ſehr kraͤftig geweſen ſeyn.
Kurz! dies Bild iſt eins der ſchoͤnſten von Guido und
mir das liebſte in dieſer Gallerie. Schade! daß es
beim Reinigen gelitten hat.
F 2Eine
[84]Pallaſt Spada.
Eine Heimſuchung Mariaͤ. Wenn das
Bild, wie man ſagt, von Andrea del Sarto iſt, ſo
iſt es aus ſeiner erſten Manier, und keines ſeiner
ſchoͤnſten.
St. Anna lehrt die heilige Jungfrau ſpin-
nen. Wahrſcheinlich von Carravaggio. Der Aus-
druck iſt ſo wahr als moͤglich, aber unedel. Beide
Figuren ſind aus der unterſten Claſſe des Poͤbels her-
vorgeſucht, und die Tracht iſt dieſem Stande ange-
meſſen. Die Verkuͤrzung des Arms der heil. Jung-
frau iſt dem Mahler nicht wohl gelungen.
Die Gefangennehmung des Heilandes von
Gerhard Honthorſt.
Die Entfuͤhrung der Helena. Eine Copie
nach dem Originalgemaͤhlde von Guido Reni im Pal-
laſt Toulouſe zu Paris.
Einige Gemaͤhlde von Seuter einem teutſchen
Kuͤnſtler, von dem man in ſeinem Vaterlande mehr
Aufhebens macht, als nach dieſen Werken zu urthei-
len, der Muͤhe werth iſt.
Dido von
Gnercino.
† Der Tod der Dido von Guercino. Dido
faͤllt in ihr Schwerdt, vor einer großen Verſammlung
des Volks. Dies iſt der Augenblick, den der Mah-
ler aus einer Begebenheit herausgehoben hat, deren
Darſtellung beim Virgil kein gefuͤhlvolles Herz je
ohne Thraͤnen geleſen hat.
Ob der Mahler nicht haͤtte intereſſanter waͤhlen
koͤnnen, ob die Situation, in welcher Dido mit ver-
wirrtem Blicke das Licht des Tages aufſucht, es fin-
det und tief aufſeufzet; in welcher ihre Schweſter uͤber
die Sterbende jammert, und das Volk die Empfin-
dungen der Neugier, des Erſtaunens, des Antheils
in
[85]Pallaſt Spada.
in verſchiedenen Modificationen zu erkennen giebt:
ob, ſage ich, eine ſolche Situation nicht eben ſo ſehr
einer vollſtaͤndigen Erklaͤrung durch den bloßen An-
blick, und einer viel groͤßeren Abwechſelung im Aus-
drucke der Affekte faͤhig geweſen waͤre, mag ich hier
nicht entſcheiden.
Das was wir ſehen, hat zu weſentliche Fehler,
um zu bedauern, daß das, was wir zu ſehen wuͤnſch-
ten, in dieſe Hand zur Ausfuͤhrung nicht gekom-
men ſey.
Eine Menge von Figuren fuͤllet die Flaͤche: aber
keine einzige nimmt wahren Antheil an der Haupt-
handlung. Sie ſtehen da — weil ſie da ſtehen,
und noch dazu ohne leicht zu uͤberſehende Ordnung:
Die Perſpektiv iſt gar nicht beobachtet.
Dido liegt in einer unnatuͤrlichen Stellung. Das
Schwerdt ohne Ende, deſſen Spitze eine Elle jenſeits
des Ruͤckens herausragt, muß den ernſthafteſten Be-
ſchauer zum Lachen bringen. Aber bewundernswuͤr-
dig ſchoͤn gemahlt ſind Kopf und Bruſt: Voll Aus-
druck und Schoͤnheit: Das Blut ſcheint den Wan-
gen zu entfliehen. 1)
F 3Das
[86]Pallaſt Spada.
Das Gewand iſt aus der Troͤdelbude genommen,
ſo wie die Kleidung der uͤbrigen Figuren. Ans Co-
ſtume darf man nicht denken. Man ſieht Maͤnner
in ſpaniſcher Tracht.
Das Bild hat ſo ſehr gelitten, daß man uͤber
die Farbe des Ganzen nicht mit Zuverlaͤßigkeit ur-
theilen kann. Viele behaupten, dies Gemaͤhlde ſey
nur die Copie eines nach Frankreich verkauften Origi-
nals. Allein das unſrige traͤgt zu viel Merkmale
der Originalitaͤt an ſich, um dieſer Vermuthung Platz
zu geben. 2)
Das Bildniß des Pabſts Paul des Drit-
ten aus dem Hauſe Farneſe.3) Eine Copie des
Originals von Tizian zu Capo di Monte.
Das Opfer der Iphigenia von Teſta.
Mittelmaͤßig.
Die Veſtalinnen mit dem heiligen Feuer
von Ciroferri, eine mittelmaͤßige Skizze.
† Das Bildniß des Cardinals Spada
von Guido. Die Haͤnde ſind vorzuͤglich ſchoͤn. 4)
Der Aufruhr des Maſaniello: von M. A.
dem Schlachtenmahler oder Cerquozzi.
Einer
[87]Pallaſt Spada.
Einer ſehr artigen Erfindung des Boromini
kann man noch einen Blick ſchenken, ehe man dieſen
Pallaſt verlaͤßt.
Es hat naͤmlich dieſer Meiſter in dem innern
Hofe einen Saͤulengang gebauet, deſſen aͤußerſte
Colonnen nach den Regeln der Perſpektiv an Hoͤhe
und Dicke wuͤrklich abnehmen, und daher das Auge
verfuͤhren, die Verkuͤrzung einer weiten Entfernung
zuzuſchreiben, obgleich an ſich die Saͤulen ziemlich
gedraͤngt ſtehen. Vielleicht ließe ſich dieſer Kunſt-
griff anderwaͤrts mit Nutzen wiederholen, aber wohl-
gemerkt: Der Zuſchauer muß nur einen Standpunkt
in einiger Entfernung von der erſten Saͤule waͤhlen
koͤnnen.
Villa
[88]
Villa Mattei.
Das Meiſte iſt daraus verkauft. Man trifft
noch in dem Hauſe an:
Eine Statue Antonius des Frommen, im
Panzer und Mantel. Der Kopf iſt voller Charakter.
Einen Kopf eines Alexanders mit dem
Helme.
Einige bekleidete Figuren.
Eine ſchlechte Iſis.
Einen Septimius Severus.
Einige ſchlechte Fragmente.
Ein Paar gefangene Koͤnige. Kopf und
Haͤnde von ſchwarzem Marmor: Gewand von Pa-
vonazzo.
colloſſali-
ſcher Kopf
des Augu-
ſtus.
Im Garten iſt das einzige merkwuͤrdige
† der ſchoͤne coloſſaliſche Kopf des Auguſtus
von weißem Marmor.
Villa
[89]
Villa Giuſtiniani.
Die Urne mit dem Bachanale, die hier ehemals
befindlich war, iſt nach dem Pallaſte in der
Stadt gebracht.
Eine andere Urne mit dem Opfer der Iphigenia
iſt nach Engelland verkauft.
Im Hauſe ſteht eine ſchoͤn bekleidete Figur
einer Minerva, an der aber alle Extremitaͤten
neu ſind.
Das uͤbrige was ſich hier an Statuen, Basre-
liefs und Urnen findet, iſt von keinem Belange, und
meiſtens ſehr reſtaurirt.
Villa
[90]
Villa Caſali.
Beim Hereintreten bemerkt man:
als Bacchus.
† Die Statue eines Antinous als Bacchus
mit Weinreben bekraͤnzt. Der Kopf
wird von vielen fuͤr den ſchoͤnſten unter denen gehal-
ten, die ſich von dieſem Guͤnſtlinge Hadrians erhal-
ten haben. Wenigſtens kann man ihn den Koͤpfen
in den Villen Mondragone und Albani an die Seite
ſetzen. Das uͤbrige der Statue iſt mittelmaͤßig.
Ceres. Sie hat dieſen Nahmen nur den Er-
gaͤnzungen zu danken. Ihr Gewand kann in Ruͤck-
ſicht auf den Gedanken des Wurfs nicht zum Modell
dienen, aber es iſt ein Modell von fleißiger Ausar-
beitung.
Dieſe Figur ſteht auf einer Begraͤbnißurne
von beſonderer Form. Das daran befindliche Bas-
relief ſtellet in ſehr kleinen Figuren eine Stadt vor,
die vor einem Kaiſer kniet, dem eine Victoria eine
Krone aufſetzt.
Das Bruſtbild der Julia Meſa des He-
liogabalus Großmutter. Man ſieht noch um
den Kopf die Loͤcher der Stralen, womit daſſelbe als
Zeichen ihrer Vergoͤtterung umgeben geweſen iſt.
Kopf einer ſchoͤnen Muſe, den man auf
eine moderne Buͤſte geſetzt hat.
Eine kleine Statue einer Victoria.
Ein alter Faun, der Wildprett traͤgt, an
dem aber Kopf, Arm und Fuͤße neu ſind. Der
Rumpf iſt gut.
Eine
[91]Villa Caſali.
Eine Venus, die das von den Huͤften
gleitende Gewand aufhaͤlt, oder eine ſoge-
nannte Venus Victrix, mittelmaͤßig und ſtark
reſtaurirt. Wahrſcheinlich iſt dieſes die Schaam-
haftigkeit, von der Herr Dr. Volkmann redet. 1)
† Mercur, an dem Kopf, Arme und Fuͤße
neu ſind. Der Koͤrper, der ſchoͤn iſt, koͤmmt mit
dem Mercur im Pallaſt Farneſe uͤberein: und folg-
lich auch mit dem ſogenannten Antinous im Bel-
vedere.
† Ein kleiner Bacchus mit einem Satyr.
Der Gedanke iſt artig.
Eine Buͤſte eines jungen Mannes, der ein
Nero zu ſeyn ſcheinet. Die Drapperie iſt von Afri-
caniſchem Marmor.
Am Ende einer Allee im Garten ſtehet auf
einem Sarcophag eine ſchoͤne Meta Circi.
Pallaſt
[92]
Pallaſt Caligula.
Maratti.
† Man zeigt in dieſem Pallaſte eines der beſten
Gemaͤhlde des Carlo Maratti: Tu-
ſcia oder die Veſtalin, die zum Beweiſe ihrer
Unſchuld Waſſer in einem Siebe traͤgt. Eine
halbe Figur von lieblicher aber unbedeutender Ge-
ſichtsbildung. Die Faͤrbung iſt angenehm, auch
herrſcht ein ſehr harmoniſcher Ton in dem Ganzen,
und vorzuͤglich in dem weißen Gewande. An dieſen
Vorzuͤgen erkennt man den Schuͤler des Andrea
Sacchi wieder.
Von Caſpar Pouſſin findet man hier ein
paar Landſchaften, die aber unbedeutend ſind;
hingegen ſieht man eben daſelbſt:
Drei Landſchaften von Schwanefeld ganz
im Stile des Claude le Lorrain. Nur faͤllt der Ton
zu ſehr ins braͤunlich Gruͤne.
Zwei Marinen in der Manier des Sal-
vator Roſa.
Eine heilige Familie aus Tizians erſter
Manier.
Zwei Gemaͤhlde von Ciroferri.
Einige Landſchaften von Orizonte, und
Eine der beſten Sammlungen von Ge-
maͤhlden niederlaͤndiſcher Meiſter in Rom.
Villa
[93]
Villa Farneſe
oder Orti Farneſiani.1)
Beim Eintritt durch das große Thor, welches zu
dieſen Gaͤrten fuͤhret, trifft man in einer Art
von Schuppen die Materialien zu einem Triumph-
bogen an, der von dem Hauſe Farneſe jedesmal er-
richtet wird, wenn ein neuer Pabſt Poſſeſſion vom
Lateran nimmt.
Hier ſteht † der beruͤhmte Torſo eines jun-
gen Helden, von dem Winkelmann mit Recht viel
Gutes ſagt. Die Umriſſe ſind aͤußerſt fließend, und
die Arbeit iſt ſehr beſorgt.
Weiterhin unter den Terraſſen trifft man meh-
rere mittelmaͤßige Statuen an, die aus dem Co-
loſſeo hieher gebracht ſeyn ſollen.
Auf der erſten Terraſſe findet man einen Porticus
mit Arcaden und einer Grotte. Hier ſtehen wieder
mehrere Statuen: Eine ſitzende Frauensperſon,
zwei gefangene Barbaren auf halben Leib, an
denen Koͤpfe und Haͤnde neu ſind, und einige an-
dere meiſtens unbetraͤchtliche Figuren: imgleichen
einige Buͤſten. Das Vorzuͤglichſte was hier ehe-
mals ſtand, iſt nach Neapel gegangen, unter an-
dern auch die ſchoͤne Statue der Agrippina.
Auf
[94]Villa Farneſe.
Auf der Terraſſe daruͤber: Ein Caſino mit einer
Grotte: Zu beiden Seiten zwei weibliche Figu-
ren von Baſalt. Der Tracht nach zu urtheilen
iſt die eine, eine Iſis. Koͤpfe und Haͤnde ſind an
beiden von weißem Marmor. Sollten dieſe Theile
auch antik ſeyn, woran ich jedoch zweifle, ſo haben
ſie urſpruͤnglich dieſen Figuren nicht gehoͤrt. Sie be-
zeichnen jetzt die Figur einer Juno. Die Drapperie
der Iſis iſt ſchoͤn.
† Zwei gefangene Barbaren mit phrygi-
ſcher Muͤtze als Caryatiden, von Baſalt; ſchoͤn. 2)
In dem Kuͤchengarten weiterhin ſollen die
Baͤder des Auguſts und der Livia liegen. Ich
habe nur drei Saͤle finden koͤnnen: Das uͤbrige iſt
wieder zugeworfen. In dieſen erkannte man mit
Muͤhe einige Verzierungen von Gold und an-
dern Farben, und ein Paar ſchlechterhaltene
Gemaͤhlde. Dagegen fand man viele Spuren von
ſolchen die ausgehoben worden, um ſie nach Neapel
zu bringen, und dort zwei Zimmer damit zu ver-
zieren.
Pallaſt
[95]
Pallaſt Nicolini.
Im Hofe ſteht in einem Verſchlage uͤber einer
Fontaine, eine Gruppe des Mars und der
Venus in einer etwas freien Stellung. Sie ſoll
von Moſchino, oder Franceſco Moſca einem
Sohne des Simone Moſca ſeyn. Die Zeichnung
iſt ganz im Florentiniſchen Geſchmack, und die Aus-
arbeitung zu wenig beſorgt. Es fehlt nicht ganz
an Ausdruck, aber es iſt doch nicht derjenige, den
man wuͤnſchen ſollte, der Grazie, und der Waͤrme,
die der Vorwurf zu erfordern ſcheint.
Villa
[96]
Villa Spada.
Dieſe Villa iſt zuletzt von einem Franzoſen be-
ſeſſen worden, der ſie wieder an den kaiſer-
lichen Agenten, deſſen Nahmen mir entfallen iſt,
verkauft hat.
Der Franzoſe hat ſtark darin graben laſſen,
und bald ſo viel Antiken gefunden als noͤthig war,
ihm das Kaufgeld zu erſetzen, und ein anſehnliches
Capital vor ſich zu bringen.
In dieſen Excavationen findet man große Ge-
woͤlber, Saͤle, Zimmer, die ehemals mit Marmor
und Mahlereien bekleidet geweſen ſind: aber alles
dies iſt uͤber die Seite geſchafft.
In dem Gebaͤude findet man mehrere nackte
Figuren von Nymphen und andern Goͤt-
tinnen. Sie ſind aus der Schule Raphaels, und
Marc Antonio hat mehrere derſelben in Kupfer ge-
ſtochen.
Am Plafond ſieht man zwei Gemaͤhlde im
Stil antiker Basreliefs, gleichfalls von Raphaels
Schuͤlern, wahrſcheinlich nach deſſen Zeichnungen
ausgefuͤhrt. Das eine ſchien mir den Hercules mit
der Alceſte vorzuſtellen, das andere habe ich nicht
entziffern koͤnnen.
Ein anderes Zimmer war als Grotte, man
ſagt, nach Raphaels Angabe decorirt.
Noch ein anderes iſt von den Zuccheri vermahlt.
Pallaſt
[97]
Pallaſt Santa Croce.
Im Hofe.
Einige moderne Frieſen, welche Meerun-
geheuer vorſtellen.
Gegen uͤber.
Einige Basreliefs, welche von antiken Sar-
cophagen genommen zu ſeyn ſcheinen, und Opfer-
handlungen vorſtellen. Sie ſind nicht betraͤchtlich.
In dem Vorzimmer.
Einige Statuen; mittelmaͤßig.
Im erſten Zimmer.
Ein Kind mit einer Gans, von angenehmen
Charakter.
Im zweiten.
Ein Kind von Bronze, aus der Schule des
Fiamingo.
Im dritten.
† Hiob auf dem Miſthaufen umgeben vonHiob von
Salvator
Roſa.
ſeinen Freunden die ihm Vorwuͤrfe machen:
von Salvator Roſa, und eines ſeiner beſten
Stuͤcke. Die Figuren ſind in Lebensgroͤße. Der
Dritter Theil. GAus-
[98]Pallaſt Santa Croce.
Ausdruck graͤnzt an Carricatur. Die Farben ſind ſehr
kraͤftig aufgetragen.
Eine Zeichnung von Giuſeppe d’ Arpino.
Sie ſtellt eine Schlacht vor, und hat Verdienſt.
ſtian von
Guercino.
† St. Sebaſtian von Guercino. Die Ge-
ſichtsbildung iſt von gewaͤhlter Natur, und die Zeich-
nung im Ganzen wahr. Was man aber vorzuͤglich
bewundern muß, iſt die Ruͤndung dieſer Figur, vor-
zuͤglich in den Lenden und Beinen. Gewiß! dies
Bild gehoͤrt zu den ſchoͤnſten, die aus dem Pinſel des
Meiſters gekommen ſind. Die Farbe iſt aus ſeiner
beſten Zeit.
Herodias empfaͤngt den Kopf Johannes
des Taͤufers aus den Haͤnden des Henkers von
Guido.
Eine heilige Familie. Man ſagt aus der
erſten Manier Raphaels. Aber Raphael mahlte
nicht ſo gut zur Zeit als er ſchon beſſer zeichnete.
Wahrſcheinlicher iſt dies Bild von einem andern
Schuͤler des Perrugino.
Der heilige Hieronymus von Guercino,
halbe Figur. Der Ton zu braunroth.
† Derſelbe Heilige auf den Knien liegend,
indem er einen Brief zuſiegelt: gleichfalls von
Guercino. Sehr brav.
Ein Homerskopf, aus der Schule des Car-
ravaggio.
Einige Landſchaften von Coſtanzi.
Andere von Heinrich von Lint, in Italien
Studio genannt.
Eine
[99]Pallaſt Santa Croce.
Eine kleine Galathea. Die Zuſammen-
ſetzung iſt allerliebſt: Die Ausfuͤhrung ſelbſt wahr-
ſcheinlich Copie nach Albano.
Einige Landſchaften von Pandolfino, Schuͤ-
ler des Bourguignone.
Im vierten Zimmer.
† Venus von Amorinen umgeben. Große
Figuren von Albano. Dies Gemaͤhlde iſt um ſo
intereſſanter, weil es gegen die Gewohnheit des
Meiſters bei Figuren in Lebensgroͤße, richtig gezeich-
net iſt. Die Geſichtsbildung der Venus iſt diejenige,
die er gewoͤhnlich ſeinen Weibern giebt, aber ſie hat
hier nicht das Fade, was ſie anderwaͤrts ſo oft ent-
ſtellt. Das Colorit iſt aͤußerſt angenehm.
Die Entfuͤhrung der Europa von Guido.
Schoͤne Schlacht von Salvator Roſa.
Im großen Saale.
† Die Aſſumption der heiligen JungfrauAſſumption
der Maria
von Guido.
von Guido. Ein Hauptſtuͤck in dieſer Galierie.
Die Figur der heiligen Jungfrau hat die edelſte Stel-
lung, und zeigt die ſwelteſten Formen durch ein
vortrefflich geworfenes Gewand durch. Ihr Kopf
ohne jene idealiſche Schoͤnheit, die Guido in andern
Gemaͤhlden zu erreichen wußte, hat jedoch einen er-
habenen Ausdruck. Die Engel die ſie tragen, ſind
huͤbſch aber unbedeutend. Das Colorit hat gelitten.
aber es bleibt noch angenehm.
G 2† Die
[100]Pallaſt Santa Croce.
Jahrszeiten
von Albano.
† Die vier Jahrszeiten von Albano, gehoͤ-
ren zu den artigſten und weitlaͤuftigſten Compoſitio-
nen, die dieſer Meiſter im Kleinen ausgefuͤhrt hat.
Es ſind vier Ovale. Flora ſchlaͤft, Amorinen pfluͤ-
cken Blumen: dies iſt das Bild des Fruͤhlings. Die
Hitze treibt die Amorinen ins Bad, Bacchus feiert
die geendigte Weinleſe mit einem Triumph: ſo wer-
den Sommer und Herbſt bezeichnet. Der Winter,
mir das liebſte Bild unter den vieren, ſtellt die Vor-
uͤbungen der loſen Amorinen zu dem Unheil vor, das
ſie im kommenden Fruͤhling anzurichten denken: Sie
ſchmieden Pfeile, und ſchießen damit nach angenom-
menen Zielen. Herrliche Cabinetſtuͤcke, die denen,
die man zu Turin von dieſem Meiſter ſieht, voͤllig an
die Seite geſetzt zu werden verdienen!
Ein Chriſtuskopf von Guercino ſehr ſorg-
ſam gearbeitet.
In einigen Zimmern zur Seite trifft man meh-
rere Copien nach guten Gemaͤhlden an. Merkwuͤr-
dig iſt diejenige, die Giulio Romano nach Ra-
phaels Madonna zu Loretto verfertigt hat.
Pallaſt
[101]
Pallaſt Bologneti al Corſo.
Der Pallaſt iſt vor nicht gar langer Zeit gebauet:
und ſo viel ich weiß, ſind die darin befindlichen
Kunſtwerke noch von keinem Reiſebeſchreiber angezeigt.
Erſtes Zimmer.
† Kopf eines Poeten mit Lorbeern be-
kraͤnzt von Carravaggio, mit bewundernswuͤrdi-
ger Wahrheit gemahlt.
† Eine Hirtenanbetung von Baroccio: ei-
nes ſeiner angenehmſten Bilder. Die Idee iſt zum
Theil aus einem aͤhnlichen Gemaͤhlde des Correggio zu
Florenz entlehnt. Die heilige Jungfrau betet das
Kind Jeſus in der Krippe an, und der heilige Joſeph
oͤffnet die Thuͤr, durch welche die Hirten hereintreten.
Es iſt ein Reiz uͤber dieſes Gemaͤhlde ausgegoſſen,
der wider die Gewohnheit dieſes Meiſters nicht bis zur
Affektation getrieben iſt.
† Das Bildniß des Annibale Carraccio
von ihm ſelbſt gemahlt.
† Moſes wird als Kind dem Pharao vor-
geſtellt, und laͤßt deſſen Krone fallen. Skizze
von Guido, mit vortrefflichen Geſichtsbildungen und
Gewaͤndern. Aus der Behandlung der letzten laͤßt
ſich vorzuͤglich viel lernen.
Bacchus troͤſtet die verlaſſene Ariadne.
Skizze zu dem Gemaͤhlde, welches Guido im Großen
auf dem Capitole ausgefuͤhrt hat. Hier ſind mehr
G 3Figuren.
[102]Pallaſt Altieri.
Figuren. Frey hat ſeinen Kupferſtich nach dieſer
Skizze verfertigt.
donna von
Guido.
† Eine Madonna von Guido. Sie blickt
gen Himmel mit dem Ausdruck des hoͤchſten Zutrauens
und der froͤmmſten Zaͤrtlichkeit. Ihre Haͤnde liegen
kreuzweiſe auf ihrer Bruſt. Die Zeichnung iſt cor-
rekt, die Farbe von hoͤchſt angenehmen Tone. Man
kann nichts wahreres, edleres, ſchoͤneres ſehen.
Mehrere Gemaͤhlde von Carravaggio: Unter
andern ein Chriſt, der im Tempel lehret.
† In der Capelle, ein Crucifix aus
Bronze, in natuͤrlicher Groͤße von Algardi.
Der Chriſt, ohne von idealiſcher Schoͤnheit zu ſeyn, iſt
doch von gewaͤhlter Natur, und das Spiel der Mus-
keln mit großer Einſicht behandelt.
Pallaſt Altieri.
Auf der Treppe.
Sturz eines gefangenen Koͤnigs von weiſ-
ſem Marmor.
In dem Vorzimmer.
Mehrere Statuen. Beinahe alle mittelmaͤſ-
ſig. Ein Septimius Severus iſt darunter zu
bemerken, weil ihn Winkelmann 1) irrig fuͤr einen
Peſcennius Niger hielt.
In
[103]Pallaſt Altieri.
In der Wohnung des Prinzen.
Mehrere Buͤſten. Die merkwuͤrdigſten ſind:
Ein Septimius Severus aus Bronze.
Marc Aurel, Antonin der Fromme, Ha-
drian.
† Ein Faun: Statue von weißem Marmor,
die auf den Guͤtern des Prinzen gefunden iſt. Er
haͤlt eine Schale in der Hand. Der Kopf iſt von
der aͤußerſten Wahrheit, und man kann uͤberhaupt
von dem ganzen Werke viel Gutes ſagen.
† Eine Lucrezia von Guido Reni, iſt das be-Lucrezia von
Guido Reni.
ruͤhmteſte unter den Gemaͤhlden in dieſer Gallerie.
Der Ausdruck iſt gut, und der Ton der Farbe kraͤftiger
als gewoͤhnlich. Inzwiſchen wenn ich dem großen
Rufe, den das Bild hat, unterſchreiben ſollte; ſo
wuͤrde ich wuͤnſchen, daß die Geſtalt edler, und vorzuͤg-
lich die Haͤnde mit mehrerer Feinheit gezeichnet waͤren.
Das Bildniß einer Aebtiſſin von Engeln
gehalten. Man nennt Bernini als den Meiſter.
Eine Carita Romana. Das Originalge-
maͤhlde iſt beim Pallaſt Borgheſe angezeigt, und vom
Guercino.
Ein Bethlehemitiſcher Kindermord von
Pouſſin, hat ſehr gelitten.
Eine Grablegung Chriſti von Vandyck.
Eine Schlacht von Bourguignone.
† Eine Sibylla Cumana von Guercino,
die viel Verdienſt hat.
† Einige kleine aber allerliebſte Landſchaf-
ten von S. Roſa.
G 4In
[104]Pallaſt Altieri.
In den Zimmern der Prinzeſſin.
Landſchaften
von Claude
le Lorrain.
† Zwei Landſchaften von Claude le Lor-
rain, die zu den ſchoͤnſten Werken dieſes Meiſters
gehoͤren. Die eine ſtellt die Landung des Aeneas in
Italien, und die andere ein Opfer vor, das in dem
Tempel der Sibylla zu Tivoli der Fortuna gebracht
wird.
Den Plafond eines Saals hat Carlo Ma-
ratti gemahlt: eine große aber mittelmaͤßige Com-
poſition.
In einer großen Reihe von Zimmern in dem obern
Theile des Hauſes finden ſich noch eine Menge Ge-
maͤhlde, die aber nicht betraͤchtlich genung ſind, um
den Liebhaber darauf aufmerkſam zu machen. Herr
Dr. Volkmann 2) hat verſchiedene derſelben als Ori-
ginale angefuͤhrt, die gewiß Copien ſind.
Pallaſt
[105]
Pallaſt Chigi.
Untere Reihe von Zimmern.
Ein heiliger Antonius von Bacciccio.
† Zwei Gemaͤhlde von Pouſſin, welche
Kinderſpiele vorſtellen. Sie ſind ein wenig zu
voll von Figuren, uͤbrigens aber von artiger Zuſam-
menſetzung.
Ein heiliger Franciscus.
Eine heilige Magdalena. Beide in der
Manier des Guercino.
† Eine heilige Caͤcilia, die ein Engel kroͤ-
net. Eines der beſten Gemaͤhlde von Romanelli.
Der Kopf der Heiligen wuͤrde eines Guido nicht un-
werth ſeyn.
Ein heiliger Johannes unter andern Hei-
ligen.
Noch eine Verſammlung von Heiligen.
Eine Himmelfahrt, drei Gemaͤhlde von Ga-
rofalo.
Eine liegende Frauensperſon. Amorinen
laſſen Perlen auf ſie herabfallen, die ſich in
einem ſchluͤpfrigen Orte verlieren. Ein ziem-
lich mittelmaͤßiges Gemaͤhlde des Albano, welches
in der Scuola Italiana unter dem Nahmen: Ne-
reide, geſtochen iſt.
Eine heilige Familie. Wahrſcheinlich aus
Tizians erſter Manier.
Ein Ecce homo, ohne Grund dem L. da
Vinci zugeſchrieben.
G 5Ein
[106]Pallaſt Chigi.
Ein Schutzengel von P. da Cortona.
Eine Geiſſelung von Guercino, kraͤftig an
Faͤrbung.
† Venus an der Toilette. Allerliebſte
Compoſition von Albano.
Zwei gute Koͤpfe, aus der Venetianiſchen Schule.
† Mehrere Kinder mit ihren Schutzengeln,
ein Bild voll des lieblichſten Ausdrucks, von Albano.
† Ein Satyr inſpirirt einen Poeten.
Großes Gemaͤhlde von Salvator Roſa.
Eine Skizze zu einem Plafond, den An-
drea Sacchi im Pallaſt Barberini ausgefuͤhrt hat.
Obere Reihe von Zimmern.
Eine Schlacht von S. Roſa.
† Amorinen, die einen ihrer Bruͤder tra-
gen, allerliebſte Gruppe von Salimbeni, oder
Vanni da Siena. Das Colorit iſt ſehr ange-
nehm, und warm. Die Geſichtsbildungen ſind rei-
zend, aber die Zeichnung incorrekt.
Ein Gegenſtuͤck zu dieſem Bilde ſtellt einen
Amor vor, der den andern ſchlaͤgt. Man legt
es demſelben Meiſter bei, aber es macht ihm weni-
ger Ehre.
Zwei ſehr verdorbene Landſchaften von
Claude le Lorrain.
Im folgenden Zimmer.
Landſchaft
von Salva-
tor Roſa.
† Mercur ſchlaͤfert den Argus ein, in der
ſchoͤnſten Landſchaft, die man von Salvator Roſa
in Rom kennt.
Eine
[107]Pallaſt Chigi.
Eine Lucrezia von Guido. Schwach.
Eine Madonna, die dem Kinde Roſen
reicht, von Guercino.
Einige andere Gemaͤhlde, die man den beiden
letztgenannten Meiſtern beilegt, ſcheinen verdaͤchtig.
Ein heiliger Joſeph, dem von einem En-
gel befohlen wird, zu fliehen, und
Eine Ruhe auf der Flucht, von Mola.
† St. Peter und St. Paul, von demſel-
ben. Gut.
† Eine ſchoͤne Landſchaft von Claude le
Lorrain. Die Figuren darauf ſind von fremder Hand.
† Zwei Marinen von Claude le Lorrain,
vortrefflich, aber die See zu gruͤn.
Ein heiliger Johannes von Cignani.
Hymen verbrennt die Pfeile des Amors,
der gebunden iſt, von Guido Reni.
Ein ſchlafender Amor, in der Geſtalt eines
Juͤnglings. Man ſagt von Guido Reni. Aber
man hat Muͤhe, es zu glauben.
In dem Zimmer der Zeichnungen hat Baccic-
cio die Fabel der Diana mit dem Endymion
am Plafond gemahlt. 1)
Pallaſt
[108]
Pallaſt Pamfili
alla Piazza Navona.
Der Plafond von Pietro da Cortona iſt ein
mittelmaͤßiges Werk, dem man die Eilfertig-
keit anmerkt, mit der es verfertiget worden.
Der Ausdruck fehlt gaͤnzlich, die Stellungen
hingegen ſind uͤbertrieben, und die Incorrektionen
haͤufig. Inzwiſchen, die gewoͤhnlichen Vorzuͤge die-
ſes Meiſters, die angenehme Farbe und die aͤußerſt
kecke Behandlung des Pinſels zeichnen auch dieſe ſeine
Arbeit aus.
Die Staffeleigemaͤhlde von denen Herr Dr.
Volkmann ſpricht, ſind nicht mehr hier.
Pallaſt der Cancellaria.
Hier haͤngen einige Cartons von Franceschini,
welche in der Kuppel von S. Peter in Moſaik
gebracht ſind. Figuren in uͤbertriebener Stellung
ohne wahren Ausdruck.
Einige andere Saͤle ſind von Salviati, Va-
ſari und andern Meiſtern vermahlt. Die Mah-
lereien von Vaſari ſind der Innſchrift nach in hundert
Tagen auf Befehl des Pabſtes verfertiget. Man
koͤnnte wuͤnſchen, daß man dem Meiſter mehr Zeit
gelaſſen haͤtte. Denn alles zeigt, daß die Natur
nicht von ihm zu Rathe gezogen ſey, ſondern daß er
ſein Werk aus der Erinnerung verfertiget habe.
Der
[109]
Der kleine Pallaſt Farneſe
oder die ſogenannte Farneſina.
Zimmer an der Erde.
Erſter Saal.
Der Plafond iſt nach Raphaels Zeichnun-Plafond von
Raphael.
gen unter ſeiner Aufſicht groͤßtentheils
von ſeinen Schuͤlern ausgefuͤhrt. Er ſelbſt
hat aber auch an verſchiedene Figuren ſelbſt
Hand angelegt.
Dieſe Mahlereien beſtehen zum Theil aus zwei
großen Gemaͤhlden, die als Tapeten oder Decken
an das mittelſte Gewoͤlbe angenagelt zu ſeyn ſchei-
nen, mithin nicht plafonniren. Rund herum ſind
aber auch Gemaͤhlde von einer weniger weit-
laͤuftigen Compoſition angebracht, und jedes
dieſer einzelnen Gemaͤhlde, ſo wie der Umfang des
Plafonds uͤberhaupt, iſt mit Kraͤnzen von Laubwerk
und Fruͤchten umgeben. Das Ganze hat Be-
zug auf die Fabel der Pſyche.
Ich finde den Einfall eine Decke oder jede an-Von mehre-
ren Gemaͤhl-
den, deren
verſchiedene
Suͤjets aus
einer Ge-
ſchichte her-
genommen,
und an einen
Ort zuſam-
dere ſehr weitlaͤuftige Flaͤche mit Darſtellungen aus-
zufuͤllen, welche aus einer Reihe von Begebenheiten
hergenommen ſind, die unter ſich zu einer Geſchichte
zuſammen haͤngen, ſehr gluͤcklich. Die Verſtaͤndi-
gung uͤber die hiſtoriſch beſtimmte Vorſtellung jedes
einzelnen Gemaͤhldes wird dadurch erleichtert, und
der Eindruck des Ganzen durch wechſelſeitige Huͤlfe
verſtaͤrkt. Allein ſo wie ich es an einem andern Orte
geta-
[110]Der kleine Pallaſt Farneſe.
mengeſtellet
ſind, muß
jedes fuͤr ſich
ſeinen eige-
nen vollſtaͤn-
digen und
beſtimmten
Ausdruck
haben.getadelt habe, daß man Vorſtellungen, die unter
ſich kein ſichtbares Ganze ausmachen, unabgetheilt
in einem Gemaͤhlde, Gruppen gleich, vereiniget; 1)
ſo muß ich es auch misbilligen, wenn die abgetheilten
Gemaͤhlde, jedes fuͤr ſich, keine Werke der Art
ausmachen, welche ohne das ſie vereinigende Local-
verhaͤltniß, oder den nicht ſichtbaren Zuſammenhang,
einen beſtimmten und vollſtaͤndigen Ausdruck dar-
bieten. Der Mahler darf auf die Erklaͤrung eines
Bildes durch die Aufſtellung neben mehreren, die aus
einer Reihe von Begebenheiten genommen ſind, welche
zuſammen eine Geſchichte, das Suͤjet zu einer Er-
zaͤhlung, zu einem Buche ausmachen, nicht als
Grundlage, ſondern nur als Huͤlfsmittel der Ver-
ſtaͤndigung rechnen. Das Auge muß den Ausdruck
eines Gemaͤhldes fuͤr ſich betrachtet, beſtimmt und
vollſtaͤndig finden; tritt die Erinnerung an die un-
ſichtbare Bedeutung hinzu, ſo wird jene Aufloͤſung
durch den bloßen Anblick an Deutlichkeit und Voll-
ſtaͤndigkeit gewinnen, nie aber wird die Erinnerung
allein den Mangel derſelben erſetzen. Wo das Auge
eine Abtheilung ſieht, da geht der innere Sinn aus
dem Kreiſe ſeiner vorigen Vorſtellungen heraus, und
bildet ſich einen neuen, der aus dem vorigen nur ſo
viel Ideen in ſich aufnimmt, als zur Verſtaͤrkung
des Eindrucks noͤthig iſt. Bei dem Gedichte iſt dies
etwas anders. Arioſt der in einem Geſange die
Angelica beſchrieben hat, nennt ſie mir nur in dem
folgenden, und rechnet darauf, daß mit dem Nahmen,
der mein Erinnerungs- und Bildungsvermoͤgen in
Bewe-
[111]Der kleine Pallaſt Farneſe.
Bewegung ſetzt, die vorher beſchriebene Geſtalt in
meiner Seele wieder reproduciret werde. Der Mah-
ler aber, der in einem Gemaͤhlde die Angelica ge-
mahlt hat, wie ſie den Medor von ſeinen Wunden
heilt, muß im folgenden, wo ſie ihn umarmt, eben
dieſe Angelica wieder mahlen, um ihr Bild in meiner
Seele zu erwecken.
Kurz! Mehrere an einander gereihete, unter
ſich aber abgetheilte Gemaͤhlde, muͤſſen jedes fuͤr ſich
als Werk, beſtimmt und vollſtaͤndig erklaͤrbar
ſeyn: warum aber dieſe verſchiedene Werke neben
einander an einem Orte vorgeſtellet ſind; warum ſie
zuſammen ein Werk ausmachen? das muß mir
jene unſichtbare Vorſtellung erklaͤren, daß die ver-
ſchiedenen ſichtbaren Situationen aus einer Reihe von
Begebenheiten, aus einer Geſchichte genommen ſind.
Dann wird auch die hiſtoriſche Beſtimmung der
an ſich aus der alltaͤglichen Erfahrung bekannten Vor-
faͤlle an Deutlichkeit gewinnen, und wir werden die
allgemein natuͤrlichen Affekte darum [nicht] weniger den
Helden einer bekannten Geſchichte beilegen koͤnnen.
Ich habe ſchon mehrere Male auf die Vermu-
thung zu fuͤhren geſucht, daß in Ruͤckſicht auf Wahl
des Ausdrucks, das heißt deſſen, was das Bild im
Ganzen dem Beſchauer ſagen ſoll, die gewoͤhnliche
Abtheilung verſchiedener Gattungen der Mahlerei in
Bildniß, Landſchaft, Blumen, hiſtoriſche Mahle-
rei u. ſ. w. mir kein Genuͤge thue. Ich ſubſtituire ihr
eine andere, die in Ruͤckſicht auf die Wahl des Aus-
drucks von wichtigern Folgen zu ſeyn ſcheint.
Alles
[112]Der kleine Pallaſt Farneſe.
wagt eine
neue Beſtim-
mung ver-
ſchiedener
Gattungen
von Mahle-
reien. Er
theilt die Ge-
maͤhlde, in
Ruͤckſicht
auf Aus-
druck im
Ganzen,
analogiſch
ab, in be-
ſchreibende
und han-
delnde Dar-
ſtellung fuͤr
das Auge:
letztere wie-
der, in lyri-
ſche und dra-
matiſche.
Alles gebildete Kunſtwerk welches Gegenſtand
des Vergnuͤgens iſt, theile ich ab, in beſchreibende,
und in handelnde Darſtellung fuͤr das Auge.
Die beſchreibende nenne ich darum ſo, weil
man dabei analogiſch verfaͤhrt, als wollte man Je-
manden im Geſpraͤch einen Begriff von einer Geſtalt
beibringen. Das beruͤhmte Bild der Angelica von
Arioſt: di Perſona era tanto ben formata,
quanto mai finger ſan Pittori induſtri etc.
iſt eine Aufzaͤhlung der verſchiedenen Merkmale wo-
durch ſich die Geſtalt dieſer Perſon von der Geſtalt
anderer, ohne Ruͤckſicht auf das was ſie gethan hat,
unterſcheidet. Die bildenden Kuͤnſte haben nur hier
den beſondern Vorzug, dieſe Merkmale durch eine
gleichzeitige Beaͤugung zur ſinnlich ſichtbaren Vor-
ſtellung zu bringen. Inzwiſchen, in allen Faͤllen,
wo der Kuͤnſtler mir nur die Geſtalt ſichtbar ſinnlich
hat erkennen laſſen wollen, nicht eine beſtimmte Thaͤ-
tigkeit der Geſtalt: da nenne ich das Bild, das die
Abſicht hat, mir die Geſtalt in Ruhe zu liefern,
analogiſch: ein beſchreibendes Bild. Charakter
aber, Zeichen einer innern Kraft die thaͤtig ſeyn
koͤnnte an der aͤußeren Geſtalt, Phiſiognomie, ge-
hoͤrt mit zu ihren Merkmalen, und macht einen Theil
derſelben aus. Alſo, Landſchaft, Blumenſtuͤck,
Stilleben, Bildniß, wuͤrkliches und idealiſirtes einer
Menſchenart, (die Gottheit der Alten,) allegoriſch
idealiſirte Eigenſchaft der Seele, (unſer neueres alle-
goriſches Abſtraktum,) Kurz! alle Geſtalt in Ruhe,
wobei der Kuͤnſtler nicht den Begriff ihrer ſichtbaren
Thaͤtigkeit hat liefern wollen; — iſt beſchreibendes
Bild.
Die
[113]Der kleine Pallaſt Farneſe.
Die handelnde Darſtellung ſetzt [h]ingegen im-
mer den Begriff und die Erwartung einer innern
wuͤrklich thaͤtigen Kraft zum Voraus, die ſich an der
aͤußern Geſtalt durch merkliche Abweichung von ihrer
Lage in Ruhe zeiget; und da dieſes ohne einen gewiſſen
Grad von Affekt nicht geſchehen kann, ſo kann man
ſich dieſe Gattung von Bildern, als Darſtellung des
Affekts, jene als Darſtellung der ruhigen Geſtalt
deutlicher denken.
Hier aber findet ſich wieder ein merkwuͤrdiger
Unterſchied zwiſchen dem einfachen Bilde des Affekts,
und zwiſchen der zuſammengeſetzten Vorſtellung einer
affektvollen Lage mehrerer Perſonen gegen einander.
Das einfache Bild des Affekts braucht mir die
Veranlaſſung, die ihn rege macht, nicht zu ſagen,
ſo bald dieſer nur einen Ausdruck motivirt, der ſich
auf mehrere Situationen einer Art anwenden laͤßt:
z. E. der Ausfall eines Menſchen, der ſich verthei-
diget, im Borgheſiſchen Fechter: die reuige Zerknir-
ſchung, in der Magdalena von Guido: der Ausdruck
des Sterbens, im Ludoviſiſchen Fechter: die nach-
denkende Schwermuth, in der Statue aus der Villa
Medicis, die ich Elektra genannt habe. Alle dieſe
Bilder ſind mir voͤllig verſtaͤndlich, ob ich gleich nichts
von der beſondern Lage concurrirender Umſtaͤnde weiß,
welche die allgemein gewoͤhnliche Thaͤtigkeit veranlaßt.
Ich verlange daher von dem Kuͤnſtler nichts als
Treue in der Darſtellung der Aeußerung einer beweg-
ten Seele am Koͤrper: und man duͤrfte dieſe Art der
bildenden Kunſt, in Ruͤckſicht auf Ausdruck, mit
der lyriſchen Poeſie vergleichen, in der der Dichter den
Empfindungen ſeines Herzens Luft macht, und alle
Dritter Theil. Hdieje-
[114]Der kleine Pallaſt Farneſe.
diejenigen, die ſich ungefaͤhr in gleicher Situation
befinden, mit ihm denſelben Gang der Gefuͤhle zu
gehen einladet. Man nehme an, daß der Poet ſich
in eine fremde Lage verſetze, die ſo allgemein ſey, daß
er ſo gut, wie jeder andere, ſie taͤglich theilen koͤnnte;
ſo wird die Vergleichung noch zutreffender. Z. E. das
Lied eines Froͤlichen, Klagen eines Mismuͤthigen ꝛc.
Die zweite Gattung der handelnden Bildnerei
iſt die dramatiſche: ein Wort, welches ich dem
unbeſtimmten der hiſtoriſchen, in ſo manchem Be-
tracht vorziehen moͤchte. Dieſe giebt den handelnden
Perſonen Abſichten, die ſie in Thaͤtigkeit ſetzen, und
erklaͤrt den Grund, warum ſie thaͤtig ſind, aus con-
currirenden Umſtaͤnden. Hier iſt voͤlliges Drama:
nur mit dem Unterſchiede, daß Knoten und Aufloͤ-
ſung mit einem Blicke erkannt werden.
Damit man aber nicht etwa glaube, als laͤge
bei der ganzen Abtheilung in beſchreibende, lyriſch
handelnde, und dramatiſch handelnde Darſtellung
blos ein witziger Einfall zum Grunde, ſo wende man
nur einen Augenblick von Aufmerkſamkeit auf fol-
gende Erfahrungen:
Drei Kuͤnſtler reiſen mit in Wachs boſſirten Fi-
guren umher, um ſie dem Publico fuͤr Geld ſehen zu
laſſen.
Der erſte, der in meiner Vaterſtadt ankoͤmmt,
kuͤndigt den hochſeligen Koͤnig von Preußen an, und
wie auf dem Anſchlagzettel ſteht, ſehr natuͤrlich nach
dem Leben. Was wird man anders dabei denken,
als, der Kuͤnſtler will eine ſichtbar ſinnliche Beſchrei-
bung des großen Friedrich geben. Den großen
Friederich in dem Augenblicke der Schlacht, oder in
einer
[115]Der kleine Pallaſt Farneſe.
einer andern affektvollen Thaͤtigkeit zu ſehen, wird
das Jemand erwarten? keinesweges! ſondern man
will den Ausdruck individueller Faͤhigkeiten der Seele
zum Handeln uͤberhaupt, an den individuellen For-
men des Koͤrpers in Ruhe wahrnehmen.
Der zweite folgt nach: er kuͤndigt einen Kopf
an, der ſo natuͤrlich weint, daß, wie das Anſchlag-
zettel wieder ſagt, es unmoͤglich ſey, ihn anzuſehen
ohne mitzuweinen. Kein Menſch wird hier daran
denken, neben dem Ausdruck dieſer beſtimmten Thaͤ-
tigkeit der Seele, nun auch die Veranlaſſung dazu
zu ſehen. Die denkt ſich jeder von ſelbſt hinzu: je-
der macht ſich ſeine Expoſition, ſeine Erzaͤhlung.
Es iſt die ſinnlich ſichtbare Beſchreibung des Aus-
drucks einer beſtimmten Faſſung der Seele.
Zuletzt langt ein Kuͤnſtler mit einer Punſchge-
ſellſchaft an. Er annoncirt ſie als eine Menge Fi-
guren, Prieſter, Parlamentsglieder u. ſ. w. mit
allen Modificationen einer luſtigen Geſellſchaft, welche
Punſch trinkt. Iſt es glaublich, daß wir unſere
Erwartungen erfuͤllt halten wuͤrden, wenn uns der
Kuͤnſtler nun den einzelnen Prieſter, das einzelne
Parlamentsglied, den einzelnen Betrunkenen, den
einzelnen Schlafenden an der Wand des Zimmers
hin aufgeſtellt zeigen, und uns Tiſch und Punſch und
Geſellſchaft hinzudenken laſſen wollte? Gewiß nicht!
Wir wollen die voͤllige Vorſtellung des Auftrittes
mit dem Grade der Illuſion haben, daß, wenn
wir unvorbereitet die Thuͤr des Verſammlungs-
zimmers geoͤffnet, und aus Discretion ſogleich
wieder zugeſchloſſen haben wuͤrden, der ganze
Begriff, den uns der Kuͤnſtler durch ſein An-
H 2ſchlag-
[116]Der kleine Pallaſt Farneſe.
ſchlagzettel hat geben wollen, von ſelbſt in unſerer
Seele haͤtte aufſteigen muͤſſen.
lung des
Plafonds
zur Beſtaͤti-
gung jener
feſtgeſetzten
Grundſaͤtze.
Aber wozu dieſe ganze Ausfuͤhrung hier? Weil
Raphael dieſe Regeln bei der Wahl ſeiner Suͤjets zum
Theil beobachtet, zum Theil beleidiget hat, und wir
bei der Vergleichung finden, wie ſehr wir dabei ge-
wonnen haben wuͤrden, wenn er ſie durchaus beobach-
tet haͤtte.
Die beiden Mittelgemaͤhlde enthalten vollſtaͤndige
ſichtbare pantomimiſche Auftritte. Ein Gaſtmahl,
ein Gerichthalten oder lit de juſtice.
Die Ecken des Gemaͤhldes an den Seiten ver-
hinderten die Vorſtellung von Compoſitionen, die zur
Verſtaͤndlichkeit einigen Umfang erfordern. Was
haͤtte der Kuͤnſtler thun ſollen? Entweder wie der
Wachsboſſirer, der den Koͤnig von Preußen herum-
fuͤhrte, blos beſchreibende Bilder der Hauptakteurs
liefern: der Venus, des Amors, der Pſyche, ihrer
Schweſtern ꝛc. die uns durch Form und Individua-
litaͤt des Charakters wuͤrden intereſſirt haben; Oder,
gleich dem Herumfuͤhrer des weinenden Kopfs, dieſe
Bilder beſtimmter Perſonen in einer fuͤr ſich erklaͤrba-
ren affektvollen Situation zeigen: die traurige Pſyche,
den fliegenden Amor, die erzuͤrnte Venus; oder am
beſten, ſolche dramatiſche Handlungen waͤhlen, die
durch die gemeinſchaftliche Thaͤtigkeit von zwei bis
drei Perſonen voͤllig verſtaͤndlich werden: z. E. Amor
und Pſyche, die ſich umarmen, Pſyche, die ihren
Liebhaber ſchlafend betrachtet, Amor, der den Armen
ſeiner Geliebten entfliehet u. ſ. w.
Eine
[117]Der kleine Pallaſt Farneſe.
Eine detaillirtere Beurtheilung der Gemaͤhlde
ſelbſt wird den Grund dieſer Forderungen noch mehr
ins Licht ſetzen.
Vierzehn fliegende Amorinen fuͤllen die Win-
kel, die das Gewoͤlbe bildet. Sie tragen die Attri-
bute verſchiedener Goͤtter, welche der Macht
der Liebe gehuldiget haben, als Siegeszeichen.
Dieſe Figuren erfuͤllen den Anſpruch, den wir an die
einzelne Darſtellung in Thaͤtigkeit zu machen berech-
tigt ſind, vollkommen, durch den allgemein verſtaͤnd-
lichen Ausdruck des loſen Frohſinns und des Fliegens.
Man kann die aͤußerſte Fruchtbarkeit der Einbildungs-
kraft des Meiſters in den verſchiedenen Stellungen
dieſer Amorinen, deren kein einziger dem andern aͤhn-
lich iſt, nicht genung bewundern. Ihre Koͤpfe ſind
reizend. Inzwiſchen iſt die Natur des Alters nicht
treu genung beobachtet. Die Koͤpfe ſind zu klein, die
Koͤrper zu ausgebildet, der Muskelnbau zu ſtark an-
gedeutet.
Die groͤßern Felder, an der Zahl zehn,
nehmen Vorſtellungen einiger Begebenheiten
aus der Fabel der Pſyche ein.
1) Venus zeigt ihrem Sohne ihre Neben-
buhlerin an Schoͤnheit, und fordert ihn auf,
ſie dadurch zu raͤchen, daß er ihr eine unzuͤch-
tige Liebe einfloͤße. Amor macht ſich dazu be-
reit, er zielt auf Pſyche mit dem Pfeile; allein
man ſieht dieſen Gegenſtand nicht. Bei dieſer
dramatiſchen Darſtellung fehlt die beſtimmte Veran-
laſſung zur Thaͤtigkeit. Das Gemaͤhlde wuͤrde ohne
das Localverhaͤltniß mit den uͤbrigen Gemaͤhlden nicht
verſtaͤndlich ſeyn: Die Vorſtellung iſt alſo mangelhaft.
H 3Einen
[118]Der kleine Pallaſt Farneſe.
Einen aͤhnlichen Fehler kann man
† 2) dem Gemaͤhlde der drei Grazien vor-
werfen, denen Amor ſeine Geliebte zeigt; Sie
fehlt wieder. Die Grazien ſind vortrefflich zu-
ſammen gruppirt, und in reizenden abwechſelnden
Stellungen. Die Verſchiedenheit des Charakters
iſt ſelbſt in den Tinten des Fleiſches treu beobachtet.
Man bewundert vorzuͤglich den Ruͤcken der einen Goͤt-
tin, an dem man deutliche Spuren der eigenhaͤndigen
Behandlung des Meiſters erkennt.
Ueberhaupt wird dieſes Stuͤck fuͤr das Beſte in
der Gallerie gehalten. Annibale Carraccio hat es
copirt. Inzwiſchen ſind die Formen der Weiber
nicht von hoher Schoͤnheit.
† 3) Venus beſchwert ſich gegen die Juno
und die Ceres, daß ſie die Pſyche vor ihr ver-
bergen. Der Ausdruck des zuͤrnenden Vor-
wurfs in der Venus, und der Ablehnung deſſelben in
den beiden andern Goͤttinnen iſt ſchoͤn: Er iſt aber
auch vollſtaͤndig. Ich ſehe ein Frauenzimmer das
Vorwuͤrſe macht, zwei andere, welche ſie ablehnen.
Dies iſt dem Herzen genung, die Billigkeit des Aus-
drucks zu pruͤfen. Ob die Vorwuͤrfe gegruͤndet ſind?
Wer kennt nicht die Empfindlichkeit der Damen!
Wer wird ſich auf ihre Streitigkeiten einlaſſen! Die
Figur der Ceres verdient eine beſondere Aufmerkſam-
keit. Annibale Carraccio hat gleichfalls dieſes Ge-
maͤhlde copirt.
4) Venus faͤhrt durch die Luͤfte in einem
Wagen mit vier Tauben beſpannt, um beim
Jupiter um die Strafe der Pſyche zu bitten.
Die Begierde anzukommen, die aͤngſtliche Eile der
Goͤttin
[119]Der kleine Pallaſt Farneſe.
Goͤttin iſt vortrefflich ausgedruͤckt, und allgemein
durch ſich ſelbſt verſtaͤndlich: das Suͤjet iſt dem
Raum zur Darſtellung angemeſſen.
5) Venus beſchwert ſich beim Jupiter
uͤber das ihr angethane Unrecht. Venus hat
ganz den Ausdruck eines Weibes, die gern ihrer Sache
eine gute Wendung geben moͤchte, und Jupiter ſcheint
ihre Beſchwerden mit einer Guͤte anzuhoͤren, die gern
durch die Aufmerkſamkeit auf die Klagen der Ge-
kraͤnkten beruhigen moͤchte. Auch dies Suͤjet iſt nach
den vorhero feſtgeſetzten Grundſaͤtzen gut gewaͤhlt.
6) Mercur durchſtreicht die Luͤfte, und
kuͤndigt unter dem Klange der Trompete dem-
jenigen eine Belohnung an, der den Aufent-
halt der Pſyche entdecken wird. Der Kopf des
Mercurs ſtimmt mit der Schoͤnheit des Koͤrpers nicht
uͤberein. Man ſchiebt die Schuld auf die Ausbeſſe-
rung. Gegen das Suͤjet laͤßt ſich nichts erinnern;
ſo wenig als gegen folgendes:
7) Pſyche von Liebesgoͤttern unterſtuͤtzt,
bringt aus der Hoͤlle die Buͤchſe, welche zu
oͤffnen ihr verboten war, und die das Recept
zur Wiedererhaltung verlohren gegangener
Schoͤnheit enthielt. Dieſe Gruppe iſt ſchoͤn ge-
dacht. Der Kopf der Pſyche iſt ſehr reizend, aber
die Stellung iſt ein wenig gezwungen.
8) Pſyche uͤberreicht der Venus dieſe
Buͤchſe. Pſyche hat einen vortrefflichen Ausdruck
von beſcheidener Hingebung in ihr Schickſal, und eben
ſo vortrefflich iſt der Ausdruck des Erſtaunens der
Goͤttin untermiſcht mit Aerger uͤber die Erfuͤllung einer
Aufgabe, an der ihre Feindin ſcheitern ſollte. Die beſchei-
H 4dene
[120]Der kleine Pallaſt Farneſe.
dene Ueberreichung einer Gabe, die misfaͤllt, iſt ein allge-
mein verſtaͤndliches Suͤjet zur ſichtbaren Darſtellung.
† 9) Amor bittet den Jupiter, den
Qualen ſeiner Geliebten ein Ende zu machen.
Jupiter liebkoſet den artigen Knaben mit ein wenig
zu viel Innbrunſt, um nicht ſchluͤpfrige Nebenideen
zu veranlaſſen. Dieſer Vorwurf trifft aber nur die
Art der Ausfuͤhrung, nicht die Wahl des Suͤjets.
Ein Alter, der einen Knaben liebkoſet, iſt ein ge-
woͤhnlicher Auftritt. Sind es nicht Jupiter und
Amor, ſo ſind es Vater und Sohn.
10) Mercur fuͤhrt Pſyche zum Himmel.
Der Kopf der Pſyche iſt ſehr ſchoͤn, aber der Koͤrper
etwas ſchwerfaͤllig, und eben dieſen Vorwurf kann
man auch dem Mercur machen, ſo ſchoͤn er auch
uͤbrigens iſt.
Eine wohlgefaͤllige Anordnung der Stellungen,
eine ſehr richtige Zeichnung, ſowohl des Nackenden
als der Gewaͤnder, ein unvergleichlicher Ausdruck,
machen die allgemeinen Vorzuͤge dieſer Gemaͤhlde
aus: Aber eben ſo allgemein verdienen ſie auch den
Tadel zu ſtark angedeuteter Muskeln, vorzuͤglich in
den weiblichen Koͤrpern, und einer Faͤrbung, die zu
ſehr ins Rothe und Schwarze faͤllt. Vielleicht kom-
men dieſe Fehler nicht auf die Rechnung Raphaels,
ſondern ſeiner Schuͤler, und derjenigen, die dieſe
Gemaͤhlde ausgebeſſert haben.
dramati-
ſches Genie.
Ich gehe nun zu den groͤßeren Compoſitionen
uͤber, in denen ich unſern Raphael in aller ſeiner
Groͤße finde. Raphael war zum dramatiſchen Mah-
ler gebohren, das zeigen alle ſeine Werke. Aus-
druck einer thaͤtigen Seele, iſt ſo ſehr Hauptzug in
ſeinem
[121]Der kleine Pallaſt Farneſe.
ſeinem Charakter, daß er ihn auch dahin gebracht
hat, wo bloße ſichtbar ſinnliche Beſchreibung, Dar-
ſtellung einer ruhigen Seele, dem Suͤjet angemeſſe-
ner geweſen waͤre. 1)
Das eine große Gemaͤhlde an der Mitte der
Decke, und zwar rechter Hand vom Eingange in den
Saal ab, zeigt die Goͤtterverſammlung, vor denen
Venus und ihr Sohn ihre Sache vertheidigen.
Dieſer Zeitpunkt iſt aus der Geſchichte der Pſyche
ſehr gluͤcklich herausgehoben, um einen beſtimmten,
vollſtaͤndigen und abwechſelnden Ausdruck zu motivi-
ren. Ich will von dieſem und der Anordnung zu-
erſt reden.
Venus und Amor ſtehen am rechten Orte, um
dem Beſchauer in die Augen zu fallen; Mit der
Stellung zeigen ſie den gegenſeitigen Streit an, aber
ihre Augen ſind wie billig auf den Praͤſidenten des
Gerichts, auf Jupiter gerichtet. Dieſer ſitzt an dem
einen Ende des Bildes als dem vornehmſten Platz der
Scene in allen Gemaͤhlden, welche den Ort einer
großen Verſammlung im Profil zeigen: Und dies
duͤrfen wir bei keinem Gemaͤhlde Raphaels vergeſſen.
Zu ſeiner Zeit waren die Regeln der Luft und Linien-
perſpektiv, der Haltung, noch nicht zu der Vollkom-
menheit gebracht als jetzt. Man nahm das Licht
noch außerhalb dem Bilde, nicht in dem Bilde ſelbſt,
uͤberhaupt aber den Rahmen nicht als ein abgeſonder-
tes Theater an. Man durfte alſo die Scene nicht
ſo vorſtellen, als wenn man ſie von vorn zu ſaͤhe,
und nun die Figur, welche den vorzuͤglichſten Platz
H 5bei
[122]Der kleine Pallaſt Farneſe.
bei großen Verſammlungen einnehmen ſollte, wel-
cher dem Eingange des Gebaͤudes immer gegenuͤber
iſt, in die Mitte des Bildes, die Umſtehenden aber
perſpektiviſch zu beiden Seiten hinſetzen: Denn da-
durch wuͤrde die Hauptfigur zu ſehr ins Dunkle gehal-
ten ſeyn; Sondern man nahm an, der Beſchauer
ſtehe mitten auf dem Plane des Bildes, und ſehe die
handelnden Perſonen ſich gegen uͤber, die vornehmſte
Perſon oben, die niedrigſte unterhalb, und das Ganze
meiſtens im Profil. Dieſe Anmerkung ſcheint mir
nicht uͤberfluͤßig.
Jupiter alſo ſitzt an dem einen Ende des Bildes
und zwar auf einem erhoͤheten Sitze von Wolken.
Auf ſeiner einen Seite Juno, Pallas, Diana, auf
der andern Neptun und Pluto.
Jupiter zeigt die pruͤfende ernſte Mine der Un-
partheilichkeit; aber dieſe ſowohl als die Stellung
wuͤrden ſich mehr fuͤr einen irrdiſchen Richter als fuͤr
den himmliſchen ſchicken. Er lehnt ſich auf den
Ellnbogen, den er aufs Knie ſtuͤtzt. Neptun hat
das Anſehen eines gutherzigen Murrkopfs, mit mehr
lebhaftem als ſicherem Gefuͤhl fuͤr Recht und Unrecht;
und dem Pluto duͤrfte man ſchon wagen, im Ver-
trauen auf die in ſich gezogene ſchnellblickende Mine
da, ein Suͤmmchen Gold bei Wegelang in die Hand
zu druͤcken. Beiden Bruͤdern ſcheint die Venus
nicht miszubehagen, aber Pluto blickt ſie nur verſtoh-
len und von der Seite an. Dagegen ſinkt die Schale
bei den drei Goͤttinnen auf des Cupido Seite.
Mars iſt ganz fuͤr die Venus: und Apollo, der
Ricaneur, ſcheint mit dem Bacchus daruͤber zu ſcher-
zen. Das gute ehrliche Blut, der Hercules, iſt
ziem-
[123]Der kleine Pallaſt Farneſe.
ziemlich indifferent bei dem Ausgange der Sache, ſo
ſcheinen es auch Vulkan und zwei Flußgoͤtter, von
denen der eine doch beinahe uͤngeduldig werden moͤchte,
daß uͤber das Hin- und Herſprechen ſeine Ambroſia
verraucht. Vielleicht ſehe ich aber auch hier mehr,
als der Mahler hat ſehen laſſen wollen, darum mag
ich von dem Ausdruck in der Figur des Janus lieber
ganz ſchweigen.
Zuletzt kommen noch zwei Figuren, welche ſich
freilich nicht ganz in dieſen ſichtbaren Auftritt ſchicken.
Es iſt Mercur, welcher der Pſyche die Schale der
Unſterblichkeit reicht. Wird hier bereits, wie es
ſcheint, das Urtheil vollſtreckt, uͤber deſſen kuͤnfti-
gen Inhalt man noch am obern Ende ſtreitet; ſo geht
hier eine doppelte Handlung vor, und das Bild ent-
haͤlt eine fehlerhafte Zuſammenſtellung progreſſiver
Momente.
Die Fabel hat den Mahler verfuͤhrt, denn nach
dieſer ließ Jupiter zu gleicher Zeit, als er die Ver-
ſammlung der Goͤtter hielt, die Pſyche durch den
Mercur in den Himmel bringen: aber man ſieht aus
dieſem Beiſpiele aufs neue, wie wenig dem Kuͤnſtler
mit der Autoritaͤt des Dichters gerathen iſt. 2)
Um die Knie der Pſyche windet ſich ein kleiner
Amor, der luͤſtern nach der Schale blickt.
Die
[124]Der kleine Pallaſt Farneſe.
Die Figuren ſind nach Art eines Basreliefs an-
geordnet, und in dieſer Vorausſetzung gut.
Roch ein Wort von der Wahl der Formen und
der Stellungen. Weder Venus noch Amor haben
die idealiſche Schoͤnheit, die man an ihnen erwarten
ſollte. Die drei Bruͤder, Jupiter, Neptun und
Pluto ſtimmen in einem aͤhnelnden Familienzuge
uͤberein, der ſich jedoch in jedem zu einem indivi-
duellen Charakter modificirt. Minerva hat einen
Reiz, der ſich nicht zu ihrem Charakter ſchickt. Die
beiden Goͤttinnen neben ihr ſind nicht ſchoͤn. Mercur
nebſt der Pſyche und dem Amor, der ſich um ihre
Knie windet, machen die ſchoͤnſte Gruppe auf dem
Bilde aus. Am Hercules und an den Flußgoͤttern
ſind die Muſkeln mit einer Staͤrke angedeutet, wor-
in ſie ſich nur bei geſchundenen Koͤrpern denken laſſen.
Im Ganzen iſt die Zeichnung mehr richtig als edel.
Die Gewaͤnder ſind vortrefflich. Die Faͤrbung faͤllt
ins Rothe in den Lichtern, ins Schwarze in den
Schatten. Maratti hat an dieſem Gemaͤhlde vieles
retouchirt.
† Das andere von dieſen beiden Mittel-
Gemaͤhlden ſtellet die Vermaͤhlung der Pſyche
und des Amor, oder vielmehr den Schmaus,
den die Goͤtter bei dieſer Gelegenheit halten,
vor. Die Ausfuͤhrung ſoll von Fattore ſeyn.
Gedanke, Anordnung, Ausdruck, Stellungen,
Zeichnung und Drapperie ſind lauter ausgezeichnet
ſchoͤne Theile in dieſem Bilde. Amor und Pſyche
ſitzen in der Mitte des Tiſches, verſunken im Ent-
zuͤcken, ſich, nach ſo vielen uͤberſtandenen Gefahren,
forthin ungeſtoͤrt dem Genuß der Liebe uͤberlaſſen zu
koͤnnen.
[125]Der kleine Pallaſt Farneſe.
koͤnnen. Sie ſind nur mit ſich ſelbſt beſchaͤfftigt:
Aber die froͤliche Veranlaſſung des Feſtes ſetzt auch
die uͤbrigen Gaͤſte in muntere Stimmung. Jupiter
ſcheint die Sorgen der Regierung beim ſuͤßen Nektar
vergeſſen zu wollen: Ganymed reicht ihm kniend die
volle Schale; ſein Weib ſucht ihn einzuladen, ſich
mehr mit ihr zu beſchaͤfftigen. Neptun uͤberlaͤßt ſich
der Umarmung der Amphytrite; Hercules koſet mit
Hebe, und dieſe Gruppe iſt vorzuͤglich ſchoͤn; Vulcan
iſt Koch; Bacchus beſorgt den Wein: die lieblichen
Horen ſtreuen Blumen aus; die Grazien ſalben das
Haupt der Neuvermaͤhlten; Apollo fuͤhrt ſpielend die
Muſen an, und Venus, eine der ſchoͤnſten Figuren
des Bildes, Venus ſelbſt tanzt zu Ehren des feſt-
lichen Tages. Nur Pluto und ſein Weib ſcheinen
an der allgemeinen Freude keinen Antheil zu neh-
men.
Dieſes Gemaͤhlde, ſo wie alle uͤbrigen in dieſer
vorhin offenen Gallerie, waren dem Wind und Wet-
ter beſtaͤndig ausgeſetzet. Sie hatten ſehr gelitten,
als Carlo Maratti es uͤbernahm, ſie auszubeſſern.
Vielleicht ward er dieſen herrlichen Kunſtwerken ein
gefaͤhrlicherer Feind, als der Unbeſtand der Jahrs-
zeiten. Der grelle blaue Grund, den er ihnen gab,
zerſtoͤrt alle Haltung, ſo daß die Figuren wie ausge-
ſchnitten darauf geklebt ſcheinen.
Zweiter Saal zur Linken.
Nur das Gemaͤhlde der Galathea iſt demRaphaels
Galathea.
Raphael beizulegen. Die uͤbrigen Mahlereien
ſind nicht vom ihm, wie Hr. Dr. Volkmann ganz
irrig
[126]Der kleine Pallaſt Farneſe.
irrig behauptet, 3) ſondern von Baldaſſero Peruz-
zi da Siena und von Sebaſtiano del Piombo.
† Die Galathea Raphaels iſt ſtehend abge-
bildet in einem Wagen beſpannt mit zwei Delphinen,
deren Zuͤgel ſie ſelbſt leitet. Zur Seite umarmt ein
Triton eine Nereide, ein anderer Triton ſtoͤßt in eine
Meer-Trompete, und weiterhin ſitzt noch eine andere
Nereide auf dem Ruͤcken eines dritten Tritons. Amor
fuͤhrt den Wagen der Galathea, Amorinen ſchießen
fliegend Pfeile herab. Die Anordnung iſt nicht zu
loben, die Figuren ſind zu abgeriſſen von einander, und
das Ganze thut wenig Wuͤrkung. Dem Kopfe der
Galathea ſieht man es an, daß vieles von der ur-
ſpruͤnglichen Idee ihrer Schoͤnheit, durch die Reiſe
von dem Kopfe des Kuͤnſtlers ab in die Hand, ver-
lohren gegangen iſt. Die Augen ſind zu klein, die
Naſe iſt zu ſtark. Der Koͤrper der Galathea bis an
die Knie iſt ſchoͤn, aber dies Knie iſt zu muſkuloͤs.
Die Nereide die der Triton umarmt, iſt ſehr reizend,
allein die Schenkel ſind wieder viel zu ſtark. Dieſer
Triton ſelbſt ſcheint in der Mitte abgebrochen, und
das Untertheil des Koͤrpers koͤmmt mit der Bewegung
der Arme der Schultern nicht uͤberein. Der Amor
der den Wagen fuͤhrt, iſt ſchoͤn gezeichnet. In dem
Kopfe deſſelben erkennt man daſſelbe Modell wieder,
nach welchem Raphael den Chriſt della Madonna
della Seggia zu Florenz gemahlt hat. Die Amo-
rinen in den Luͤften haben ſehr reizende Stellungen.
Dieſe Verſchiedenheit in der Guͤte gewiſſer Theile
gegen
[127]Der kleine Pallaſt Farneſe.
gegen andere laͤßt mich glauben, daß entweder das
Gemaͤhlde gleich bei der erſten Verfertigung von
mehr als einer Hand ausgefuͤhrt ſey, oder daß es in
ſpaͤtern Zeiten retouchiret worden.
Man zeigt hier einen coloſſaliſchen Faunus-
kopf, den Michael Angelo, um des kleinlichten Ge-
ſchmacks in der Galathea Raphaels zu ſpotten, mit
Kohlen an die Wand gezeichnet haben ſoll. Jetzt-
lebende Kenner ziehen dieſe Geſchichte ſehr in Zweifel,
und ich glaube, mit Recht. Es laͤßt ſich der Stil
des Michael Angelo in dieſem Kopfe nicht erkennen,
und er ſcheint im Ganzen dieſes Meiſters nicht werth
zu ſeyn.
In dieſen beiden und einem anſtoßenden
Saale ſtehen auch mehrere Bildhauerwerke,
und zwar,
In dem erſten Saale der Pſyche:
Ein ſehr angenehmer reizender Kopf ei-
ner weiblichen Figur mit dem Helme.
† Ein Jupiter terminalis, von dem Win-
kelmann 4) ſagt, daß er einer der ſchoͤnſten Koͤpfe in
Rom ſey.
Ein Euripides.
Eine Fauſtina. Beide Buͤſten.
Ein bekleideter Hercules mit einem Sal-
bengefaͤße, und Jole. Die Charaktere der
Koͤpfe gut.
In
[128]Der kleine Pallaſt Farneſe
In dem Zimmer der Galathea.
lipyga.
† Venus Callipyga oder Callipygas,5)
Statue. Die Goͤttin ſieht mit zur Seite gebogenem
Kopfe
[129]Der kleine Pallaſt Farneſe.
Kopfe auf den ſchoͤnen Hintern zuruͤck, der ihr den
Nahmen gegeben hat. Der Kopf, der linke Arm
und beide Beine ſind modern; und ſelbſt dasjenige,
was alt iſt, verdient im Ganzen nicht das groͤßte Lob.
Inzwiſchen ſind diejenigen Theile, durch die ſie ge-
fallen ſoll, nicht ohne Reiz. Das Gewand, das
unterwaͤrts in ſteife Falten ausgehet, dient der Figur
zu gleicher Zeit zum Tronk. Ein ſehr ungluͤcklicher
Gedanke.
Zwei Statuen der Venus, die halb kniend
mit vorgebogenem Koͤrper auf den Zehen ruhen, und
wahrſcheinlich in der Stellung abgebildet ſind, wie
ſie ſich aus dem Bade erheben. 6)
Buͤſten.
Ein ſchoͤner Kopf mit einem Schleier bis
unter das Kinn verhuͤllt. Man giebt ihm die
Benennung einer Veſtalin.
Buͤſte eines Antinous, die nicht vollendet iſt,
und modern ſcheint.
† Ein ſchoͤner Kopf, der in die Hoͤhe ſiehtBuͤſte des
Demoſthe-
nes.
und den Hals zur Seite wendet. Die Naſe
iſt modern. In Rom nennet man dieſen Kopf
Demoſthenes, in Deutſchland haͤlt man den Gips-
obdruck fuͤr den Kopf des Schleifers in Florenz.
Beide Benennungen ſind gewiß falſch. Man ſieht
die Spur eines Riemens, welcher ein Degengehenk
geweſen ſeyn kann, und deutlich anzeigt, daß dieſer
Kopf zu einem verloren gegangenen Rumpfe gehoͤret
hat. Er iſt ſchoͤn.
† Ein
Dritter Theil. J
[130]Der kleine Pallaſt Farneſe.
Homers.
† Ein ſchoͤner Homerskopf. Er hat zwar
viel gelitten, und iſt an einigen Stellen reſtaurirt,
dem ohngeachtet von vortrefflichem Charakter und
ſchoͤner Ausfuͤhrung. Es iſt der beſte von den Koͤ-
pfen, die man unter dieſer Benennung kennt.
Euripides, Socrates und einige Unbe-
kannte.
In einem dritten Zimmer.
ſcher Kopf
Caͤſars.
† Ein vortrefflicher coloſſaliſcher Kopf
des Jul. Caͤſar. Er erfuͤllet beſſer als die uͤbri-
gen, die Idee, die wir uns von dem Groͤßten der
Sterblichen machen. Aber eine kraͤnkliche Mine be-
haͤlt er immer. 7) Der Hinterkopf fehlet. Er ſteht
auf einem Altare, an dem man mehrere Gottheiten
in Basrelief ſiehet.
Ein ſchoͤner Kopf Jupiters.
† Eine ſchoͤne Begraͤbnißurne, oder Sar-
cophag mit mehreren Gottheiten.
Eine Gruppe, die der Sonderbarkeit we-
gen merkwuͤrdig iſt. Ein Fleiſcher ſteckt ein
Schwein in einen Keſſel, waͤhrend daß ein
Knabe das Feuer anblaͤſt.
Ein Kopf eines Sclaven der im Bade auf-
wartet. Er hat viele Aehnlichkeit mit den Koͤpfen
der Statuen, die man unter dem Nahmen des Se-
neca kennt.
Ein weiblicher Kopf, der einer der Toͤchter
der Niobe gleicht.
Eine
[131]Der kleine Pallaft Farneſe.
Eine Statue zu Pferde, halb Lebensgroͤße.
Man hat dem Reiter einen modernen Kopf des Dru-
ſus aufgeſetzt. Dies iſt nicht die einzige Ergaͤnzung,
die das Werk hat leiden muͤſſen, das uͤberhaupt zu
den mittelmaͤßigen gehoͤrt.
Zimmer im zweiten Stockwerk.
In dem erſten.
Die Werkſtatt des Vulcan. Man giebt
dies Gemaͤhlde al Freſco fuͤr Raphaels Arbeit aus.
Es iſt aber ſo uͤbermahlet, daß man kaum von der
erſten Idee des Kuͤnſtlers urtheilen darf.
Rund herum findet man Mahlereien zu
denen die Gegenſtaͤnde aus den Verwand-
lungen des Ovidius genommen ſind. Sie
ſcheinen von Giulio Romano zu ſeyn. Man findet
ſehr vernuͤnftig gedachte Figuren bei Figuren in ſehr
uͤbertriebenen Stellungen.
Zweites Zimmer.
Ganz mit Mahlereien von Giulio RomanoZimmer mit
Mahlereien
von Giullo
Romano.
verzieret. Sie haben ſtark gelitten, und ſind re-
touchirt.
Das erſte ſtellt die Hochzeit des Alexan-
der mit der Roxane vor. Die Compoſition iſt
allerliebſt, obgleich hauptſaͤchlich aus einer aͤhnlichen
Vorſtellung Raphaels in der Villa Olgiati, wovon
bereits geredet iſt, entlehnt. Ja! der Kuͤnſtler hat
ſogar einzelne Figuren aus dem eben angezeigten Ge-
maͤhlde, und aus andern Gemaͤhlden ſeines Meiſters
J 2genom-
[132]Der kleine Pallaſt Farneſe.
genommen: z. E. die Frau die das Gefaͤß auf dem
Kopfe traͤgt, aus dem Incendio del Borgo.
Dem ohngeachtet bleibt dem Giulio Romano noch
das Verdienſt einiger ſehr reizenden Zuſaͤtze von ſeiner
eigenen Erfindung: z. E. einiger ſchoͤnen Koͤpfe, und
des aͤußerſt lieblichen Amors, der Roxanen aus-
kleidet.
Das zweite Gemaͤhlde ſtellet den Alexan-
der und die Familie des Darius vor. Die
Compoſition iſt ſchoͤn, man ſieht, wie le Brun ſie
zu nutzen gewußt hat. Aber uͤber die Ausfuͤhrung
wage ich nicht zu urtheilen, da von des Meiſters
Hand nur einige wenige Figuren linker Hand uͤbrig
ſind. Der Reſt iſt uͤbermahlt. 8)
Das
[133]Der kleine Pallaſt Farneſe.
Das dritte ſtellet den Alexander vor, der
den Bucephal zaͤhmt. Auch hier hat der Kuͤnſt-
ler den Heliodor ſeines Meiſters vor Augen gehabt.
An dem Plafond ſiehet man einige kleine Ge-
maͤhlde grau in grau gemahlt, von demſelben.
Man erkennt zu wenig davon, um mit einiger Zu-
verlaͤßigkeit daruͤber urtheilen zu duͤrfen.
Giulio Romano ward 1492 zu Rom gebohren,Bemerkun-
gen uͤber den
Stil des
Giulio Ro-
mano.
und ſtarb 1546. So lange er nach den Zeichnun-
gen ſeines Meiſters, Raphaels, und unter deſſen
Augen arbeitete, war ſeine Zuſammenſetzung weiſe,
und ſeine Zeichnung richtig: aber in der Faͤrbung
unterſchied er ſich gleich durch gar zu ſchwarze Schat-
ten und zu rothe Lichter der Carnation. Seine Aus-
fuͤhrung war uͤbrigens ſehr beſorgt, und man kann
ſogar ſagen, geleckt.
J 3Sobald
[134]Der kleine Pallaſt Farneſe.
Sobald er ſich aber nach Raphaels Tode ſeiner
eigenen Willkuͤhr uͤberlaſſen ſahe, ward er durch ſeine
brennende Einbildungskraft zu Ausſchweifungen jeder
Art fortgeriſſen. Vielleicht darf man auch ſagen,
daß er nur uͤbertrieb, um dem Vorwurf, blos Kopiſt
zu ſeyn, zu entgehen. Denn haͤufig findet man
noch Diebſtaͤhle, die er an den Werken ſeines Vor-
gaͤngers begangen hat. Er ſetzte ſie aber auf eine
biſarre Art mit ſeinen eigenen nicht minder biſarren
Erfindungen zuſammen. Daran, und an ſeinen
graͤmlichen Maͤnnerkoͤpfen, an den Gelenken, die
mit Muskeln und Knoͤrpeln uͤberladen ſind, an der
krebsrothen Fleiſchfarbe erkennt man ihn am leichte-
ſten wieder. Seine Zeichnung ward nun incorrekt,
er fieng an, im Geſchmack der Florentiniſchen Schule,
die Muskeln zu ſtark anzudeuten, und weil er gar
zu geſchwind arbeitete, ſo ward die Behandlung ver-
nachlaͤßigt.
Pallaſt
[135]
Pallaſt der Franzoͤſiſchen Aca-
demie.
Seitdem Academien, Kunſtſchulen, errichtet wor-Urſachen des
Verfalls der
Kuͤnſte in
neuern Zei-
ten.
den, ſagt man, ſind keine große Kuͤnſtler
mehr gezogen!
Daß ſeit der Mitte des vorigen Jahrhunderts,
ſeit der Zeit als die Schulen der Kuͤnſtler oͤffentliche
Anſtalten wurden, die großen Meiſter ſeltener ge-
worden ſind, iſt durch die Erfahrung außer Zweifel
geſetzt: Nicht aber dadurch die Frage entſchieden:
ob die Errichtung der Academien eine begleitende Er-
ſcheinung des Verfalls der Kunſt ſey, oder der
Grund deſſelben und die Urſach?
In dem Begriff einer Academie an ſich ſelbſt,
ſcheint wenigſtens nichts nachtheiliges fuͤr die Ausbil-
dung des jungen Kuͤnſtlers zu liegen. Eine Anſtalt,
die ihm taͤglich Gelegenheit verſchafft, nach den ge-
waͤhlteſten Formen nackender maͤnnlicher Koͤrper zu
arbeiten: Eine Anſtalt, die rund um den Zoͤgling
her Sammlungen von Gemaͤhlden, von Kupferſti-
chen, von Gipsabguͤßen der Antiken, von Buͤchern
verſammlet; in der geſchickte Maͤnner in jedem Theile
der Kunſt ihre Erfahrungen und den darauf gebaue-
ten Rath mittheilen; mit der nicht ſelten Penſionen
verbunden ſind, die den angehenden Kuͤnſtler uͤber
die ſtoͤrende Sorge fuͤr druͤckende Beduͤrfniſſe hinaus-
ſetzen: die endlich durch die Vereinigung mehrerer
Juͤnglinge von den beſten Hoffnungen den groͤßten
Sporn zu hoͤherem Verdienſt, die Nacheiferung, er-
J 4weckt
[136]Pallaſt
weckt und unterhaͤlt; Was, frage ich, kann eine
ſolche Anſtalt der Ausbildung des jungen Kuͤnſtlers
fuͤr Hinderniſſe in den Weg legen? In der That!
es ſcheint, als ſetze man auf die Rechnung der guten
Academien viel mehr, als ſie verſchuldet haben.
Denn wie viel andere Urſachen dieſes nicht abzu-
leugnenden Verfalls der Kuͤnſte laſſen ſich bei einigem
Nachſuchen nicht auffinden? Zuerſt: — man mag
es fuͤr Aberglauben halten oder nicht, — die gleiche
Faͤhigkeit der Koͤpfe zu allen Kuͤnſten in jedem Jahr-
hundert, kann ich nach meiner Kenntniß der Geſchichte
der bildenden Kunſt nicht annehmen. Dem begraͤnz-
ten Auge des Sterblichen ſcheint der Umſtand, daß
Raphael, Correggio, Tizian, alle beinahe zu der
naͤmlichen Zeit an verſchiedenen Orten als Lichter der
Kunſt hervorgiengen, daß gleich nach ihrem Tode
die Kunſt wieder ſank, bis in Bologna die Carracci
mit ihren Schuͤlern ohne beſondere Aufmunterung ſich
wiederum hervorthaten, zum Theil nur dadurch er-
klaͤrbar, daß dieſe Genien ſo gluͤcklich fuͤr die Kuͤnſte
gebohren wurden. Was hindert uns anzunehmen,
daß, ſo wie die Fruchtbarkeit der Erde in Hervorbrin-
gung der Kornarten in gewiſſen Jahren abwechſelt,
ſo auch gewiſſe Zeiten in Zeugung beſonders organi-
ſirter Koͤpfe ergiebiger ſind als andere?
Ganz will ich inzwiſchen die Erſcheinung großer
Kuͤnſtler in gewiſſen Epochen, aus einer ſo wenig
erklaͤrenden Urſache nicht erklaͤren. Nein! der Ge-
ſchmack gewiſſer Zeitalter an beſtimmten Arten des
Vergnuͤgens aͤndert ſich, und muß ſich aͤndern, da
die Beduͤrfniſſe deſſelben nicht in der Nothwendigkeit,
ſondern im Wohlſtande ihren Grund haben. So
bald
[137]der Franzoͤſiſchen Academie.
bald der verſatile luͤſterne Gaumen der bloßen Schluͤr-
fer fuͤr den Reiz der einen Koſt unempfindlich gewor-
den iſt, ſo verfaͤllt er auf eine andere, welche wenig-
ſtens die Neuheit vor jener zum Voraus hat. Seit-
dem die Kirchen und Pallaͤſte Roms mit Schildereien
und Statuen ſattſam gefuͤllt ſind, um die Nachkom-
men der ausſtattenden Stifter und der Beſitzer der-
ſelben der Muͤhe, ſie zu meubliren, zu uͤberheben: ſeit-
dem die Meiſterſtuͤcke der bildenden Kuͤnſte denen,
die darunter aufgewachſen ſind, haben gewoͤhnlich
werden muͤſſen, und nur beibehalten werden, um den
weniger geſaͤttigten Fremden zur Bewunderung und
zum Geldaufwande herbeizulocken; ſeitdem hat die
Muſik die Mahlerei und Sculptur verdrungen. Um-
ſonſt laͤßt hier und da ein Fremder noch ſparſam ein
oder das andere Stuͤck verfertigen, um es in entfernte
Gegenden des Nordens mit ſich fortzuſchleppen: Die
groͤßte Belohnung des Kuͤnſtlers, der Werth, der
vor ſeinen Augen auf ſein Werk gelegt wird, die
Achtung des ihn umgebenden Publici, ſelbſt der
Neid ſeiner Nebenbuhler, faͤllt weg: taͤglich wird der
Geldgewinnſt mehr und mehr die Verguͤtung ſeiner
Arbeit, und taͤglich ſinkt die Kunſt tiefer zum Mittel
des Erwerbes herab.
Monarchen, die ihr die Kuͤnſte beſchuͤtzet, ſie
ſind Toͤchter republikaniſcher Freiheit! Ihr verdient
unſere Verehrung, wenn ihr Liebkoſung und Geld-
ſummen an den Kuͤnſtler mit milder Hand ausſpendet:
aber glaubt nicht, daß ihr etwas anders damit ver-
moͤget, als ſie vor dem gaͤnzlichen Erſterben zu be-
wahren! Nur der allgemeine Enthuſiasmus eures
Volks giebt ihnen wahre Nahrung und Leben! Kein
J 5genuͤg-
[138]Pallaſt
genuͤgſameres Geſchoͤpf als ein Kuͤnſtler, aber auch
kein ſtolzeres! Trocken Brod, ein aufgeſpanntes Tuch
und das Gefuͤhl oͤffentlicher allgemeiner Achtung, das
iſt ſein Beduͤrfniß, ſein Leben und ſein Himmel!
Ein ſehr wichtiger Grund, warum unſere gegen-
waͤrtige Kuͤnſtler ihren Vorgaͤngern nicht mehr gleich
kommen, liegt darin, — daß ſie ihre Nachfolger ſind.
In den ernſthafteren Wiſſenſchaften iſt die Grundlage
der Kenntniſſe, durch welche wir zur Entdeckung neuer
Wahrheiten gefuͤhrt werden, immer das leichteſte.
Der Schuͤler ſteht nach ein Paar Jahren anhaltenden
Fleißes immer da, wo der Meiſter aufhoͤrt und faͤhrt
nun fort zu bauen. Das Werk geht von Genera-
tion zu Generation: Wer vermag deſſen Hoͤhe und
Umfang zu beſtimmen? Oft reißt man wieder ein,
oft flickt man an: der letzte hat immer den groͤßten
Anſpruch auf unſere dankbare Bewunderung, wenn er
ſeinen Zeitgenoſſen als Erfinder erſcheint. Beſitzt er
die Kenntniſſe ſeiner Vorgaͤnger neben ſeinen eige-
nen: gut! wo nicht, er iſt darum nicht der minder
große Mann, weil er der kleinere Gelehrte iſt.
Ganz anders verhaͤlt es ſich mit den ſchoͤnen Kuͤn-
ſten. In ein Paar Menſchenaltern koͤmmt man uͤber
die rohen Verſuche der Nachahmung weg, und hier
gewinnt der Nachfolger jener Meiſter, die durch zeit-
ſpillige Irrungen die Handgriffe der mechaniſchen Be-
handlung, die Regeln der Symmetrie, der Propor-
tionen, des Knochenbaues, der Perſpektive u. ſ. w.
erſt ausfinden mußten. Aber nun iſt auch alles ge-
ſchehen, was das fruͤhere Jahrhundert fuͤr die folgen-
den thun konnte, das heißt: Das Wenige blos Wiſ-
ſenſchaftliche, was dabei zur Anwendung kommen
kann,
[139]der Franzoͤſtſchen Academie.
kann, iſt ausgefunden. Nach dieſer Zeit faͤngt nun
jeder angehende Kuͤnſtler in denſelben Jahren ſeines
Lebens wieder da an, wo ſein Vorgaͤnger nicht auf-
hoͤrte, ſondern anfieng. Er muß ſo wie jener ſeine
Hand und ſein Auge an Richtigkeit gewoͤhnen: er muß
ſo wie jener Handwerker werden, ehe er Kuͤnſtler
werden kann: er muß alle Vorzuͤge des erſten in ſich
vereinigen, und was ſchlimmer iſt, er muß noch ſolche
hinzufuͤgen, die ihm einen beſondern Grad der Auf-
merkſamkeit von ſeinen Zeitgenoßen ſichern koͤnnen.
Hier aber haͤufen ſich die Schwierigkeiten mit jedem
Jahre.
Der Umfang der Vorwuͤrfe, durch deren Dar-
ſtellung Herz und Einbildungskraft intereſſiret werden,
koͤmmt in keine Vergleichung mit dem Umfange von
Kenntniſſen, die unſerm Kopfe Beſchaͤfftigung ge-
waͤhren. Der erſte der waͤhlt, ſucht das Praͤgnan-
teſte heraus: der naͤchſtfolgende nimmt den Ueberreſt,
und die darauf folgenden ſtellen dasjenige vor, was
ſchon gewaͤhlt iſt, oder ſtellen dieſelben Suͤjets, im-
mer den Menſchen mit ſeinen Leidenſchaften, immer
die Natur mit ihren Grundmodifikationen, unter den
zufaͤlligen Abwechſelungen des Coſtume vor. Die er-
ſten ſind eigentlich nur Schoͤpfer, Erfinder des Suͤ-
jets; die Nachfolger nur Bekleider, Ueberlieferer in
einem andern Vortrage: und wehe dieſen letzten,
wenn ſie Erfinder ſeyn wollen! Sie werden witzig an-
ſtatt wahr zu ſeyn, und endlich gar nur gelehrt.
So viel ſchwerer iſt der Stand des neuen Mei-
ſters gegen den des alten in Ruͤckſicht auf die Erfindung:
ſehen wir auf die Schwierigkeiten der Ausfuͤhrung,
wir finden ſie nicht vermindert.
Das
[140]Pallaſt
Das Genie, das die Kunſt aufnimmt, wenn ſie
das Alter der Kindheit verlaſſen hat, fuͤrchtet noch
keine Vergleichung, keinen beſtimmten Geſchmack,
keine feſtgeſetzte Begriffe uͤber Wahrſcheinlichkeit unter
ſeinen Zeitgenoſſen. Findet es wie Raphael, daß
Zeichnung und Ausdruck die Wege ſind, von der
Darſtellung eines lebenden Weſens zu uͤberzeugen, es
geht ihnen nach: ſieht es wie Correggio den Zauber
der Harmonie und des Helldunkeln fuͤr die wuͤrkſam-
ſten Ueberredungsmittel an, es ergreift ſie: und haͤlt
es endlich, wie Tizian, die Faͤrbung fuͤr den weſent-
lichen Theil der Nachahmung; gut! ſo wendet es alle
ſeine Kraͤfte an, ſich dieſen zu eigen zu machen. Es
liefert mithin die Gegenſtaͤnde, wie es ſie ſieht, und
da es dem großen Haufen, der immer blindlings folgt,
im Wahrnehmen vorgeht, ſo leitet es deſſen Auge
nach Gefallen.
Nicht ſo der Nachfolger, und wuͤrde er ein Ra-
phael, Tizian und Correggio mit allen ihren Anlagen
aufs neue gebohren, er kann nicht ſie ſeyn, weil er
nach ihnen koͤmmt, weil ihm die Unbefangenheit fehlt,
die Sicherheit, die Freiheit ſeiner eigenen Anſchau-
ungsart zu folgen. Ihm fallen die Contouren der
Form am meiſten auf, aber weil er in Venedig wohnt,
ſo muß er ſeine Kraͤfte aufs Colorit wenden: Er fuͤhlt
wie Correggio, aber er lebt in Rom und mahlt wie
Raphael. Leuchtet es nicht klar in die Augen, daß
derjenige, der einen beſtimmten Stil vor ſich
ſieht, der ſchon Gluͤck gemacht hat, nur mit der aͤuſ-
ſerſten Aengſtlichkeit einen andern waͤhlen duͤrfe, der
nur ihm der wahre ſcheint; einen Stil, der, wenn er
auch der wahre ſeyn ſollte, in einer Kunſt, deren Wahr-
heit
[141]der Franzoͤſiſchen Academie.
heit nur Wahrſcheinlichkeit iſt, ſeinen Zeitgenoßen im-
mer unwahr ſcheinen wird?
Aber der Nachfolger iſt ein kuͤhnes Originalge-
nie: kuͤhn und ehrſuͤchtig, wie alle diejenigen, die
fremde Feſſeln nicht vertragen koͤnnen. Er geht ſei-
ne eigene Bahn: Aber wie? Er ſtudirt den Be-
ſchauer, und ſeine Schwaͤchen mehr als die Natur;
er waͤhlt nicht was wahr iſt, ſondern was Aufſehn
machen kann; ſtellt ſo hin, wie man mit ſchiefem
Blicke ſieht, wird von ſeinen Zeitgenoſſen beſtaunt,
beſungen und bezahlt wie ſein wahrerer Vorgaͤnger,
und von den Nachkommen uͤber ſeinen noch dreiſteren
Schuͤler vergeſſen.
So zeigt uns die Geſchichte der Kunſt einen Ba-
roccio, einen Tintoretto, einen Zuccheri.
Eben ſo haͤufig aber hatten auch die erſten Kuͤnſt-
ler ſclaviſche Nachahmer angezogen, welche nicht die
Natur, ſondern die Werke ihrer Vorgaͤnger ſtudir-
ten, und ihren Darſtellungen die verdoppelte Untreue,
des Abfalls des Originals gegen die Natur, und der
Copie gegen das Original, mittheilten.
Unterdeſſen waren Critiker aufgeſtanden, welche
in ihrem Kopfe das Ideal einer vollkommenen Dar-
ſtellung aus verſchiedenen Gemaͤhlden, die in einzel-
nen Theilen ihre Forderungen befriedigt hatten, zu-
ſammenſetzten. Zeichnet wie Raphael, ſagten ſie zu
dem angehenden Kuͤnſtler, faͤrbet wie Tizian, beleuch-
tet wie Correggio, und ihr werdet neu ſeyn, indem
ihr zuerſt vollkommen ſeyd. Es fanden ſich Maͤn-
ner von Scharfſinn, welche dieſe Bahn betraten.
Die Carracci und ihre Schuͤler leiſteten ſo viel, —
als man in der Vereinigung ſo vieler Vollkommenhei-
ten
[142]Pallaſt
ten leiſten kann, d. h. weniger als ihre Muſter in ein-
zelnen Theilen, und mehr als jene in der Zuſammen-
ſtimmung derſelben in einem Werke.
Das war noch nicht hinreichend. Die Forde-
rungen wurden immer groͤßer. Die Franzoſen und
Engellaͤnder bemeiſterten ſich der Kunſt. Dieſe Na-
tionen, die immer noch mehr denken als empfinden wol-
len, legten dem Kuͤnſtler eine vollkommene Kenntniß
der Geſchichte, der Fabel, u. ſ. w. auf. Nun ſoll er
ihren Witz beſchaͤfftigen, ſie auf philoſophiſche Betrach-
tungen leiten, und der Himmel weiß! was nicht alles
leiſten. Will er ſein Gluͤck machen, er muß ein
Mann von Welt ſeyn, ſeine artliche Manieren ha-
ben, uͤber die Kunſt poetiſch philoſophiſch ſchwatzen
koͤnnen, und das in mehreren Sprachen.
Wie unendlich hat ſich alſo der Umfang von For-
derungen vermehrt, die man ſeit Raphaels, Correg-
gio’s und Tizians Zeiten an den Kuͤnſtler macht!
Kaum weiß er, womit er unter ſo vielen Beſchaͤffti-
gungen den Anfang machen ſoll. Bald zeichnet er,
bald lernt er tanzen, bald ſtudirt er die Aeſthetik, bald
nimmt er Unterricht in fremden Sprachen; erhaͤlt
von Allem eine ſuperficielle Kenntniß, und kommt im-
mer von ſeinem Hauptzwecke mehr und mehr ab.
Dies ſind, wie ich glaube, die Hauptgruͤnde, war-
um wir gegenwaͤrtig ſo viel weniger große Kuͤnſtler
zaͤhlen als ſonſt. Einmal, weil wahrſcheinlich nicht
ſo viele Menſchen mit ſo beſtimmten Faͤhigkeiten zur
Kunſt gebohren werden, als ſonſt: Zweitens, weil
dieſe Faͤhigkeiten durch die verminderte Liebhaberei
eine andere Richtung bekommen haben; und Drittens,
weil die Schwierigkeiten zur Ausbildung durch die
abſchre-
[143]der Franzoͤſiſchen Academie.
abſchreckenden großen Beiſpiele der vorausgegange-
nen Kuͤnſtler, und durch die erhoͤheten Forderungen
der Zeitgenoßen, welche nur anſchauen, vermehret
ſind.
Alſo waͤren die Academien bei dem Verfall derUeber den
Antheil den
die Lehrart
in den Aca-
demien an
der vermin-
derten An-
zahl großer
Kuͤnſtler hat.
Kuͤnſte wohl auſſer aller Schuld? Das ſage ich nicht.
Ich ſage nur, daß ſie nicht erſte einzige Urheber des
Unheils ſind; daß ſie ihren Theil dazu beigetragen ha-
ben, mag ich nicht leugnen. 1)
Man kann den Kuͤnſten nachhelfen, man kann
ſie nicht zeugen; Man muß das Genie nicht belehren
wollen, man muß es nur aufmerkſam erhalten; Will
man Schwierigkeiten wegraͤumen, ſo koͤnnen es nur
diejenigen ſeyn, bei deren Ueberwindung die Kunſt,
die Fertigkeit in der Kunſt, nichts gewinnen.
Nicht blos bei dem einzelnen Kuͤnſtler, bei gan-Die Natur,
erſte Lehre-
rin des
Kuͤnſtlers.
zen Nationen koͤnnen wir es bemerken, wie ſehr es
ihnen vortheilhaft geweſen iſt, daß ſie in ihrer Aus-
bildung ſtufenweiſe vorgeruͤckt ſind. Die Muͤhe, die
Unzuverlaͤßigkeit mit der ſie ihre erſten Verſuche mach-
ten, belehrte ſie von der Nothwendigkeit, von dem
Nutzen ſicherer Regeln: hinreichend mit dieſen be-
kannt, ſchritten ſie erſt zum Reize fort. Eben die-
ſen Weg ſollte jeder angehende Kuͤnſtler machen; man
ſollte ihn zuerſt ſich ſelbſt uͤberlaſſen, und ihn nach und
nach auf das eigene Ausfinden der nothwendigſten
Beſtandtheile zur Wahrheit leiten: Waͤren dieſe ſei-
nem Kopfe und ſeiner Hand gelaͤufig geworden, dann
koͤnnte man den Begriff von Schoͤnheit hinzuſetzen.
Dies
[144]Pallaſt
Dies geſchieht nicht bei uns. Man ſetzt, mit
dem Ausdruck: „Der junge Mann muß erſt ſehen
lernen,“ dieſen hinter eine fein geſtrichelte Zeichnung
ſeines Meiſters, deren ungetreuer Reiz dieſem viel-
leicht den Platz eines Profeſſors bei der Academie er-
worben hat, und laͤßt ihn wieder nachſtricheln.
Der junge Mann denkt viel an die Uebereinſtim-
mung ſeines Vorbildes mit der Natur; er denkt nur
an deſſen wohlgefaͤllige Form, und ahmt das Zuͤfaͤl-
lige zur Wahrheit mit eben der Treue nach, wie das
Nothwendige.
Anders genießt man, anders lernt man, das
ſollte bedacht werden. Selbſt wenn man den Juͤng-
ling zur ſteinernen Nachbildung der Figur bringt, ſo
lehrt man ihn doch nur wieder, wiewohl in erſchwer-
ter Maaße, die Natur mit fremden Augen ſehen.
Was iſt die Folge? Daß der junge Kuͤnſtler, bei der
Reproducirung eines Gegenſtandes aus der Natur,
nicht das liefert, was ihm, ſondern was ſeinem Mei-
ſter daran aufgefallen iſt: nur mit dem Unterſchiede,
weder ſo eigenthuͤmlich, noch ſo richtig, und wahr.
Der Copiſt kann das Weſentliche von dem Unwe-
ſentlichen nicht ſo genau unterſcheiden, wie der erſte
Nachbilder der Natur; er kann unter dem Weſentli-
chen nicht dasjenige ausſuchen, wodurch es ihm am
auffallendſten wird, oder wodurch er es wenigſtens
dem Beſchauer ſeiner Nachbildung vermoͤge eines be-
ſondern Talents vorzuͤglich auffallend wuͤrde ge-
macht haben. Das junge Genie, das durch ein
wahres Colorit eine mittelmaͤßig gezeichnete Figur
als wahr erſcheinen laſſen koͤnnte, wird, wenn es
viel nach Raphael copirt, nur eine Andeutung eines
Beſtand-
[145]der Franzoͤſiſchen Academie.
Beſtandtheils der Wahrheit, durch Contouren, ge-
ben, die er an dem naͤmlichen Objekte, welches er
mit ſeinem Vorgaͤnger in der Natur geſehen haben
koͤnnte, gar nicht, oder nur ſchwach bemerket haben
wuͤrde. In weniger auffallender Maaße iſt zwiſchen
der Zeichnungsmanier eines Raphaels und der eines
Guido, als Charakter von Wahrheit, ebenderſelbe
Unterſchied. Ueber dies Erzwingen fremder Vor-
ſtellungs und Verfahrungsarten geht das Ergreifende
der Originalitaͤt, und der Wahrheit des Details ver-
loren: Der Kuͤnſtler wird nur manierirt.
Ferner: es iſt wahr, man macht den jungen
Kuͤnſtler auf die Verhaͤltniſſe des menſchlichen Koͤr-
pers aufmerkſam, man praͤgt ſie ihm ein. Aber
wie? Mit Woͤrtern, mit todlen Zeichen von Zahlen:
er ſieht nicht das Eckigte, das Winkligte, welches
den ausgeſchweiften Formen des Reizes zur Grund-
lage dient. Man laͤßt ihn nicht eine Zeitlang in dem
Geſchmack des erſten Griechiſchen Zeitalters, ſymme-
triſch, trocken, ſteif fortarbeiten. Nur gar zu gern
ſetzt ſich der junge Kuͤnſtler uͤber das Nachmeſſen die-
ſer unter Reiz verſteckten Verhaͤltniſſe weg, verlaͤßt
ſich immer zu ſehr auf die Richtigkeit ſeines Augen-
maaßes, und immer noch mehr auf die des Verferti-
gers ſeines Vorbildes. Wenn er dies, ſo wie es ſieht,
vollſtaͤndig liefere, ſo glaubt er, folgten die Verhaͤlt-
niſſe von ſelbſt.
Endlich bringt man ihn zum Copiren nach der
Natur, aber was er nun ſieht, iſt nicht die Natur
mehr, es iſt nur die Modifikation derſelben nach dem
Schleier, der ihm uͤber die Augen geworfen iſt.
Dritter Theil. KIch
[146]Pallaſt
digkeit, die
Ausbildung
der Einbil-
dungskraft
zu gleicher
Zeit mit der
Erweiterung
der Kennt-
niſſe, und
der Fertig-
keit der
Hand zu be-
ſorgen.
Ich kann bei dieſer Gelegenheit nicht genung dar-
uͤber klagen, daß man ſo wenig Sorge dafuͤr traͤgt,
die Einbildungskraft des jungen Kuͤnſtlers, neben
der Ausbildung der mechaniſchen Fertigkeit ſeiner
Hand zu unterhalten und zu erweitern. Erſt ſpaͤt
giebt man ihm Veranlaſſung ſich im eigenen Compo-
niren zu uͤben. Erſt, ſagt man, ſoll er treu copiren
lernen, dann ſoll er die Anatomie, die Lehre der Ver-
haͤltniſſe, die Mathematik, die Statik, die Perſpek-
tive, die Architektur und der Himmel weiß! was
alles, inne haben. Dann lieſt man ihm ein Colle-
gium, giebt ihm Buͤcher in die Haͤnde uͤber Compo-
ſition, Anordnung, Leidenſchaften, Sittenlehre u. ſ. w.
und wenn er nun in dem allen perfekt iſt; — dann iſt
er gerade zum Kuͤnſtler verdorben.
Zum Profeſſor mag er taugen, alte Statuen
von Kopf bis zu Fuß ſehr richtig und ſehr ſauber zu
copiren, ein Modell ſehr geſchickt zu ſtellen, Collegia
zu leſen, Kunſtbuͤcher zu ſchreiben; aber der Keim
des Genies iſt erſtickt, und fuͤr lauter Sorge keine der
ihm gegebenen Regeln zu beleidigen, erkaltet in ihm
der Trieb etwas Genievolles hervorzubringen.
einer pedan-
tiſchen, und
zu theoreti-
ſchen Lehr-
methode.
Dazu nehme man die pedantiſche Methode, die
willkuͤhrlichſten Sachen nach einer gewiſſen vorgeſchrie-
benen Form, mit einem gewiſſen Apprêt zu thun,
den nur die ſalarirte Unthaͤtigkeit eines mittelmaͤßigen
Kopfs zur Nothwendigkeit machen kann. Iſt es er-
laubt, den Schuͤler wochenlang an einer Zeichnung
ſchraffiren oder tuſchen zu laſſen, die er in einem Tage
à maniere eſtompée ruͤnden kann! Dem Kupfer-
ſtecher mag das helfen, aber der Mahler und Bild-
hauer zeichnet nicht um zu zeichnen. Wenn er den
Con-
[147]der Franzoͤſiſchen Academie.
Contour genau zu machen weiß, und Begriffe von
Ruͤndung hat, das iſt ihm genung.
Selten aber kann der Profeſſor vielmehr als ſau-
ber zeichnen, und dennoch glaubt er auf der Staffel
der Kunſt zu ſtehen, und einem Raphael gleich zu
ſeyn, wenn nur die Liebhaber jetzt wie damals den
Kuͤnſtler bezahlen wollten. Er dreſſirt zwanzig und
mehr Lehrlinge an einer Linie. Wer am beſten ſtri-
chelt und fleißig die Stunden beſucht, wird als der ge-
lehrigſte hervorgezogen, erhaͤlt Recommendation, Un-
terſtuͤtzung zur Reiſe und Arbeit. Wie oft ſind die
ungelehrigſten Juͤnglinge gerade diejenigen, die ſich
ſelbſt uͤberlaſſen am mehreſten lernen wuͤrden!
Raphaels Schuͤler, die Schuͤler Tizians, der
Carracci, des Rubens wurden ganz anders angefuͤhrt.
Wenn ſie zu ihren Meiſtern kamen, waren ſie keine
Kinder mehr, ſie hatten ſchon ihre eigene Art die
Sachen anzuſehen. Es ward ihnen kein Collegium
daruͤber geleſen, wie ſie den Pinſel oder den Crayon
halten ſollten; ſie mußten die Augen aufmachen, zu-
ſehen: und ſie ſahen auch mit ganz anderer Aufmerk-
ſamkeit zu, weil alles weniger leicht gemacht wurde.
A bon entendeur bonne entente! Mit dem
Beiſpiel die Lehre, und gemeiniglich die Ausfuͤhrung.
Die großen Meiſter hatten ſo viel zu thun, daß
ſie nicht ſelten die Hand ihrer Schuͤler zu ihren Arbei-
ten mit gebrauchen mußten. Sie machten die Zeich-
nungen, ließen die Gemaͤhlde von jenen anlegen, re-
touchirten das Ganze, oder mahlten nur die Haupt-
partien. Kurz! Alles diente dazu, den Schuͤler
praktiſch zu lehren; und wie viel anders lernt man,
wenn man bei jeder neu eingeſammelten Kenntniß die
K 2Ver-
[148]Pallaſt
Veranlaſſung zur Lehre, und die Gelegenheit ſie wie-
der zu nutzen, vor ſich ſieht!
Dabei waren dieſe aͤlteren Mahler keine Pedan-
ten; einmal, weil ſie wahre Genies waren, und dann,
weil ſie zu viel zu thun hatten, um auf Kleinigkeiten
großen Werth zu legen. Wenn ihr Schuͤler nur ſo
viel lernte, daß ſie ihn brauchen konnten; wie er es
lernte, das galt ihnen gleich viel.
Es iſt wahr! Sie machten ihnen das Ablernen
ihrer Kunſtgriffe etwas ſchwer, aber mich duͤnkt, das
Genie, das Scharfſinn genung hat, ſie dennoch ab-
zulauern, gewinnt dabei mehr, als wenn man ihm
das Wenige, was es durch Mittheilung erhalten kann,
gar zu leicht zu erhalten macht.
wagt es, ei-
nen Erzie-
hungsplan
fuͤr den jun-
gen Kuͤnſtler
in Vorſchlag
zu bringen.
Derjenige Weg, auf dem ſich der Mann von
Geſchmack, der Beſchuͤtzer, der Fuͤhrer des Talents,
um die Ausbildung des jungen Kuͤnſtlers am mehre-
ſten verdient machen kann, iſt, wie ich glaube, der,
daß er den Geiſt der Originalitaͤt in ihm bewahre;
vor irrigen Begriffen uͤber das Weſen der Kuͤnſte, und
vor fehlerhaften Mitteln zur Ausbildung warne; ihm
die Gelegenheiten zur Erlernung derjenigen Theile, de-
ren eigene Ausfindung einen unnuͤtzen Zeitverluſt nach
ſich ziehen wuͤrde, naͤher bringe; ſeine Einbildungs-
kraft und ſein Gefuͤhl fuͤr das Schoͤne immer rege er-
halte; und endlich uͤber ſeinen Fleiß und ſeine morali-
ſche Auffuͤhrung wache.
Ich will einen Erziehungsplan fuͤr einen jungen
Kuͤnſtler beifuͤgen, nicht ſowohl mit der Anmaaßung,
dieſen als nicht zu uͤbertretende Schranken fuͤr den
Weg zur Vollkommenheit auszuſtecken, als welches
ich bei der Verſchiedenheit der Koͤpfe und Charaktere
beinahe
[149]der Franzoͤſiſchen Academie.
beinahe gar nicht fuͤr moͤglich halte; ſondern vielmehr,
um mich deutlich zu machen, andern aber Veranlaſ-
ſung zu geben, uͤber die Sache nachzudenken, und
etwas Beſſeres auszufinden.
Die Anlagen, welche den Kuͤnſtler ausmachen,
ſcheinen zwiſchen denen in der Mitte zu ſtehen, die
auf der einen Seite bei dem Genie des Dichters, auf
der andern bei dem Talent des Mechanikers zum
Grunde liegen. Seine Einbildungskraft darf einge-
ſchraͤnkter als bei jenem, die Geſchicklichkeit ſeiner
Hand minder als bei dieſem ſeyn. Aber allemal
ſind dieſe Faͤhigkeiten nothwendige Grundlagen bei
der kuͤnftigen Ausbildung zum Darſteller des ſicht-
bar Schoͤnen, und es iſt in dieſem Sinne wahr, daß
der Kuͤnſtler gebohren, nicht gezogen werde. Ich
halte es daher fuͤr gefaͤhrlich, den Faͤhigkeiten eines
jungen Kopfs gerade Richtung zu den bildenden Kuͤn-
ſten geben zu wollen, ehe man mit Sicherheit weiß,
ob die Natur ihm die ſeltenen Gaben dazu verliehen
habe. Und dieſe Vorſicht ſcheint um ſo noͤthiger zu
einer Zeit, wo, bei der verminderten Anzahl der Lieb-
haber, die Beſtimmung eines jungen Mannes zum
Kuͤnſtler, keine ſichere Anwartſchaft auf eine gluͤckli-
che Lage in der buͤrgerlichen Welt zu geben ſcheint.
Bis ins vierzehnte Jahr, duͤnkt mich, wuͤrde ich
das Kind als Kind betrachten: ihm dasjenige lehren,
was in jeder ſeiner dereinſtigen Beſtimmungen nuͤtz-
lich, was zu erlernen ihm alsdann am leichteſten
wird: Sprachen, Nahmenkenntniß. Aber ich wuͤr-
de zu gleicher Zeit ſuchen, ſein Gefuͤhl fuͤr das mora-
liſch und phyſiſch Schoͤne uͤberhaupt auszubilden, ihm
gute Dichter, vorzuͤglich epiſche und dramatiſche le-
K 3ſen,
[150]Pallaſt
ſen, und ſchoͤne Kunſtwerke ſehen laſſen. Die
Bekanntſchaft mit den ſchoͤnen Wiſſenſchaften und
Kuͤnſten macht die Sitten ſanft, wie die Alten ſagen,
und mildert eigennuͤtzige Leidenſchaften.
Dieſer Zeitraum wuͤrde nun auch dazu dienen
koͤnnen, Erfahrungen uͤber die beſtimmte Neigung,
und das Talent eines jungen Kopfs zu den bildenden
Kuͤnſten anzuſtellen. Macht er dieſe anhaltend zum
Gegenſtande ſeiner liebſten Unterhaltung; bemerke ich,
daß die bildende Kraft ſeiner Seele durch die Leſung
der Dichter und Geſchichtſchreiber, durch den Anblick
der Kunſtwerke leicht zur Zuſammenſetzung von Ge-
ſtalten aufgefordert wird; erkenne ich an ſeinen rohen
Verſuchen, im Detail untruͤgliche Merkmale einer ge-
nauen Wahrnehmung des Weſentlichen zur Wahr-
heit; iſt ſeine Hand eben ſo leicht in der Ausfuͤhrung,
als ſein Kopf erfindriſch iſt; ſind ſeine Leidenſchaften
mehr ſanft, theilnehmend, als ſtark und aͤuſſerlich
wuͤrkend; hat er endlich Haltſamkeit bei ſeinen Arbei-
ten ohne Quaͤlerei; gut! ſo wuͤrde ich ihm alle Gele-
genheiten erleichtern, einen ſo entſchiedenen Geſchmack,
ein ſo wahrſcheinliches Talent auszubilden, und einen
ſo anſcheinenden Anſpruch auf Kuͤnſtler Gluͤck ferner
zu begruͤnden.
Dieſe Hauptſorge des Fuͤhrers wuͤrde jedoch in
dieſer Zeit wohl mehr dahin gehen, zu verhindern,
daß nichts Schaͤdliches, als dafuͤr zu ſorgen, daß et-
was Gutes geſchehe. Kein Meiſter, wenn ich bitten
darf, wenigſtens keiner, der nach ſeinen Zeichnungen
oder nach Kupferſtichen copiren laͤßt! Das Kind liebt
dieſen Zwang nicht, und es iſt ihm gut, daß es, —
nach
[151]der Franzoͤſiſchen Academie.
nach Art der Kuͤnſtler in der Kindheit der Kunſt, —
nach der Natur zu tappen lerne.
Man ſetze den Knaben vor den Kopf eines leben-
den Modelles hin, man laſſe ihm ein Bildniß darnach
verfertigen, und gebe ihm, beſſer als Papier oder Tuch,
Thon zur Bearbeitung in die Hand. Durch Plaſtick iſt
wahrſcheinlich das erſte Bild von Menſchenhand ent-
ſtanden, und ſo entſtehe es durch die Hand des Kna-
ben. Es wird ihm ſein Verſtaͤndniß uͤber Ruͤndung
oͤffnen, es wird ihm die Verhaͤltniſſe des Originales
leichter auszufinden lehren, weil die Unvollkommen-
heit der Nachbildung auffallender iſt. Jedes Objekt
werde ſo viel moͤglich in ſeiner natuͤrlichen Groͤße nach-
gebildet: Man lobe das Gute mit Maaße: man tadle
das Schlechte, indem man lieber wieder von neuem
anzufangen, als das Alte zu verbeſſern befiehlt.
Selbſt das Spiel kann unterrichten: ein kleines Thea-
ter wird gebauet, man ſtaffirt es mit Wachs- oder
Thonfiguren aus, man gruppiret, illuminirt, beleuch-
tet ſie nach den Regeln der Luft, der Linienperſpektiv,
des Contrapoſto, der Harmonie der Farben und des
Helldunkeln. Der Zoͤgling beluſtiget ſich damit, und
lernt, was das Kind am leichteſten begreifen kann,
daß die rohe Einbildungskraft an Abwechſelung und
Einheit im Scheine das lebhafteſte Vergnuͤgen fin-
det. Inzwiſchen die eigene Handanlegung ans Co-
lorit, das in dieſem Alter nur verfuͤhreriſche Schmiere-
rei werden kann, moͤchte ich ganz davon entfernet halten.
So wird der Knabe Juͤngling, und nun keine
Spielerei mehr, ſondern ernſthaftes, ſtrenges Stu-
dium, und zwar zuerſt, als Grundlage aller Schoͤn-
heit, der Verhaͤltniſſe.
K 4Wir
[152]Pallaſt
Wir meſſen, wir rechnen, wir bringen die unge-
wiſſen Formen unſerer fruͤheren Verſuche in eckigt [...]
Winkel und gerade Linien zuruͤck. So werden wir
in dem Alter, — das mit der Epoche der fruͤheren
griechiſchen Kunſt ſo viel Analogie hat, — hart,
trocken, ſteif, aber richtig, um einſt ſchoͤn zu ſeyn.
Bei der Entwerfung der Contours ſind wir aͤuſſerſt
genau; die Ruͤndung deuten wir nur an, und zwar
nicht mit Schraffirungen, als welche fuͤr jeden Kuͤnſt-
ler, auſſer dem Kupferſtecher, ganz unnuͤtz ſind, ſon-
dern mit verwiſchter Kreide. (à maniere eſtom-
pée).
Soll denn der junge Kuͤnſtler blos zeichnen, nicht
mahlen? Allerdings ſoll er zuweilen daran erinnert
werden, warum er zeichnet: alle vier bis ſechs Wo-
chen ſoll er einen Kopf mahlen, und zwar nach der
Natur, und einen Tizian zur Seite.
Daß ich aber nie vergeſſe, daß, waͤhrend der Ver-
ſtand Kenntniſſe einſammelt und die Hand ſich an
Treue gewoͤhnt, die Bluͤthe der Einbildungskraft ſo
leicht verloren gehe; und daß wenn es gefaͤhrlich
wird, den jungen Kuͤnſtler uͤber das Vergnuͤgen Schoͤ-
pfer zu ſeyn, die Sorge gut zu ſchaffen vergeſſen zu
laſſen, es auf der andern Seite eben ſo gefaͤhrlich
werde, die Mittel zur Vollkommenheit mit der Voll-
kommenheit ſelbſt zu verwechſeln, und ewig Copiſt zu
bleiben.
Fruͤh und haͤufig muß der Kuͤnſtler ſich uͤben,
das abweſende Bild gegenwaͤrtig und dauernd in ſei-
ner Seele zu erhalten, fruͤh aus dieſen aufbewahrten
Bildern neue zuſammen ſetzen lernen. Ich werde
dem jungen Kuͤnſtler rathen, die Figur, die er treu
nach
[153]der Franzoͤſiſchen Academie.
nach der Natur gebildet hat, entfernt von dem Ori-
ginale und ſeiner Copie, aufs Neue aus dem Kopfe
zu bilden. Ich werde ihm rathen, es eben ſo mit
der Antike zu machen, und dann aus beiden ein zu-
ſammengeſetztes Bild, ein Ideal zu ſchaffen.
Aber dieſes Ideal muß Ausdruck haben, be-
ſtimmten Ausdruck des ruhigen Charakters einer ge-
wiſſen Menſchenart, oder eines gewiſſen Affekts.
Ich werde dem Kuͤnſtler die Elektra des So-
phocles zu leſen geben, oder ſeinen Philoktet: Durch-
drungen von den Hauptzuͤgen des Charakters dieſer
Perſonen, die in jedem Worte dieſes muſterhaften
Darſtellers der Menſchen ſo deutlich, ſo beſtimmt, und
doch, nach der Bemerkung des Ariſtoteles, ſo allge-
mein nach einer Gattung von Charakteren gezeichnet
ſind, wird er den hohen weiblichen Geiſt der Elektra,
den hohen maͤnnlichen des Philoktets zuerſt in ihren
ruhigen Formen errathen laſſen wollen, bald ſie zei-
gen erbittert uͤber erlittenes Unrecht. Endlich wird
er, wenn er Mahler iſt, ſie mir gar in einer vollſtaͤn-
digen leidenſchaftlichen Lage zeigen: den Philoktet,
wie er ſeinen Feind durchbohren will, die Elektra, die
ihren Bruder wiedererkennt.
Und ſo wird der Kuͤnſtler nach und nach zur
Treue im Nachbilden und im Zuſammenſetzen; von
da zur Schoͤnheit, — zum Zeitalter des Praxite-
les, — vorgeruͤckt ſeyn. Denn ſein ſtetes Studium
nach den Antiken und den beſten Werken der Neuern,
die er noch mehr betrachtet, uͤberdenkt, umſchafft,
als copirt, haben nach und nach ſeine Seele ſo ge-
ſtimmt, daß jede Vorſtellung, die ſie aus der Na-
tur aufnimmt und wiedergiebt, gleichſam wie der Ton
K 5der
[154]Pallaſt
der alten Akteurs von den ehernen Gefaͤßen in ihren
Theatern, mit wohlgefaͤlligerem Wiederhall zuruͤck-
ſchallt.
Aber dazu muß der Kuͤnſtler fruͤh, ſehr fruͤh,
ſo bald nur das eigentliche ſtrenge Studium der Kunſt
anfaͤngt, nach Rom gehen. Dies iſt der einzige
Ort, wo der gute Geſchmack gleichſam in Reſerve
ruht. Hier thut der Kuͤnſtler keinen Schritt, der
nicht ſeinen Geſchmack fuͤr das Schoͤne entweder aus-
fuͤllt oder rege macht. Hier buhlt er nicht um die
Gunſt verwahrloſeter Weichlinge, und ihrer verzaͤr-
telten Freundinnen. Hier leidet die Vergleichung
mit edler Schoͤnheit, mit bedeutungsvoller Wahrheit
keine witzige Carricaturen, keine Schattenriſſe gezier-
ter Anmuth. Hier endlich iſt allein Freiheit, Nach-
eiferung, Antike und Raphael.
Und daß ich mir hier die Ausfuͤhrung eines Pro-
jekts zu einer Anſtalt denken duͤrfte, die fuͤr Sitt-
lichkeit und Ausbildung fremder Kuͤnſtler von ſo un-
endlichem Nutzen waͤre! Ich wuͤnſchte naͤmlich Maͤn-
ner von gutem Herkommen und guter Erziehung, die
bei gehoͤrig gebildetem Geſchmack und einer Liebhabe-
rei zu den Kuͤnſten, die bis zur Aufopferung aller uͤbri-
gen Neigungen gienge, den Penſionairs, die ein oder
mehrere Hoͤfe hier erhalten, ſtatt der Direkteurs der
Academien, welche Kuͤnſtler ſind, vorgeſetzt zu
ſehen.
Ich wuͤnſchte daß es Maͤnner von gewiſſen
Jahren waͤren, die, verheirathet und reichlich beſol-
det, ſich der moraliſchen Erziehung der jungen Kuͤnſt-
ler annehmen, ihnen bei ihrer Bildung als Kuͤnſtler
mit Rath und That zu Huͤlfe kommen koͤnnten, ohne
gerade
[155]der Franzoͤſiſchen Academie.
gerade zu ihre Lehrer in der Kunſt ſeyn zu wollen.
Sie koͤnnten ihnen den Zutritt in ihrem Hauſe ver-
goͤnnen, wo ſie gute Geſellſchaft zu ihrer Bibliothek,
wo ſie Buͤcher und Kupferſtiche antreffen wuͤrden.
Sie koͤnnten ihnen Gelegenheit verſchaffen, nach na-
ckenden Modellen zu zeichnen, ihnen den Eintritt in
die Gallerien erleichtern, und ſie vorzuͤglich in die
Werkſtaͤtte der Kuͤnſtler bringen, wo ſie Gelegenheit
zur Arbeit, und dadurch Kenntniß der mechaniſchen
Behandlung, erhalten wuͤrden. Das eigentlich
Wiſſenſchaftliche der Kunſt, die Perſpektive, die
Optik, die Statik zu lehren, dazu moͤchte ein eigener
Profeſſor mit geringen Koſten angeſetzt ſeyn. Die
oͤffentlichen Ausſtellungen blieben, und was eben ſo
wichtig waͤre, jeder Hof beſtellte jaͤhrlich einige Ar-
beiten, die nach ihrer Guͤte bezahlt werden muͤßten.
Eine ſolche Anſtalt wuͤrde, wie ich glaube, alle
Vortheile einer Academie, und keinen ihrer Nach-
theile haben.
Das merkwuͤrdigſte, was der Pallaſt der Fran-Beſchrei-
bung der
Kunſtwerke
in dem Pal-
laſt der
Franzoͤſi-
ſchen Aeade-
mie.
zoͤſiſchen Academie enthaͤlt, iſt die Sammlung von
Gipsabguͤſſen der vorzuͤglichſten antiken und einiger
modernen Bildhauerwerke. Sie iſt bei weitem die
betraͤchtlichſte unter denen, die mir bekannt ſind.
Eine ſolche Sammlung kann an einem Orte wie
Rom, wo ſo viele Originale der Meiſterſtuͤcke der
alten und neuen Kunſt angetroffen werden, uͤberfluͤßig
ſcheinen, aber ſie iſt es nicht aus mehr als einem
Grunde.
Einmal ſind jene Originale nicht immer ſo auf-
geſtellt, daß der angehende Kuͤnſtler ſie aus verſchie-
denen
[156]Pallaſt
denen Geſichtspunkten, und eben ſo wenig immer
aus dem vortheilhafteſten zeichnen und ſtudiren
koͤnnte. Die Abguͤſſe laſſen ſich bequemer ruͤcken,
in der vortheilhafteſten Stellung zeigen, und in dem
zutraͤglichſten Lichte zur Nachbildung hinſtellen.
Zweitens dient die Verſammlung mehrerer Mei-
ſterſtuͤcke zur naͤheren Vergleichung mit einander, und
drittens, werden hier einige Abguͤſſe von Werken
aufbewahrt, die nicht in Rom befindlich, oder gar
verloren gegangen ſind.
Von dieſer letzten Art iſt der Cincinnatus, der
nunmehro zu Verſailles gezeigt wird: 2) Der Ger-
mani-
[157]der Franzoͤſiſchen Academie.
manicus3) ebendaſelbſt: Ferner die ſchoͤne
Gruppe des Caſtor und Pollux, welche jetzt
auf einem der Koͤnigl. Luſtſchloͤſſer in Spanien ſteht. 4)
End-
2)
[158]Pallaſt der Franz. Academie.
Endlich ein ſchoͤnes Kind, welches auf dem
Ruͤcken eines Delphins ausgeſtreckt liegt, und
bereits erſtarret zu ſeyn ſcheint. Dieſes Werk iſt
nach Engelland gegangen.
Wichtig wuͤrde die ganze Folge der Abguͤſſe
uͤber die Basreliefs an der Trajaniſchen Saͤule
ſeyn, wenn ſie nicht mit Staub beladen, in den
Winkeln der Zimmer unter andern Monumenten ver-
ſteckt laͤgen.
Ueberhaupt ſcheint mir in der Aufbewahrung
dieſer Gipsabguͤſſe nicht die beſte Ordnung zu herr-
ſchen, und undienlich ſcheint es mir nicht, zu bemer-
Gipsabguͤſſe
weit unter
den Origi-
nalen.ken, daß ſelbſt der beſte Gipsabguß noch immer ſehr
in Vergleichung mit dem Originale verliert.
Acade-
[159]
Academia di S. Luca.
Die Zimmer dieſer Academie ſind in einem
Nebengebaͤude der Kirche St. Martina
e Luca befindlich.
In dem obern Geſchoß.
Ein Gemaͤhlde von Philipp Wouvermann.
Die Caſcatellen von Tivoli, von Philipp
Roos genannt da Tivoli.
Eine Maſke des Michael Angelo in Gips.
Die Hirnſchale Raphaels.
Eine Alte die ſpinnt, von Mola.
Ein Thierſtuͤck von Roſa di Tivoli.
Einige Ausſichten von Pannini.
Einige Landſchaften von Bourguignone.
Eine Danae angeblich von Lanfranco.
Ein anatomiſches Studium entweder in
Gips, oder von gebrannter Erde, welches ich mir
nicht ſo genau mehr erinnere. Man ſchreibt dieſes
Stuͤck dem M. Angelo zu.
Eine ſchoͤne Marine mit einem Sonnen-
aufgang von Manglar.
Ein Sturm von Tempeſta.
Mehrere Katzenkoͤpfe in verſchiedenen Stel-
lungen, von Salvator Roſa.
Der Tod der heiligen Magdalena von
Carlo Maratti.
† Der heilige Lucas von Raphael. DerDer heilige
Lucas von
Raphael.
heilige Lucas mahlt die Madonna, die ihm erſcheinet,
und hinter ſeinem Stuhle ſteht der Mahler ſelbſt in
Per-
[160]Academia di S. Luca.
Perſon. Das Stuͤck iſt ſehr beſchaͤdigt, inzwiſchen
verraͤth der Kopf des Heiligen, und deſſen Arm noch
den Meiſter. Ausdruck und Zeichnung ſind vor-
trefflich. Die Gewaͤnder ſcheinen nicht gluͤcklich ge-
worfen zu ſeyn.
Eine Madonna. Wenn ſie vom Guido iſt,
wie man ſagt, ſo iſt es wenigſtens keines ſeiner beſten
Werke.
Juno uͤberraſcht ihren Gemahl mit der Jo,
und verwandelt dieſe in eine Kuh. Zwei ver-
ſchiedene Vorſtellungen deſſelben Suͤjet: Die eine
von Antonio da Carpentano, die andere von Nolle-
kens: Beide von gebrannter Erde.
Auf der Treppe.
Abguͤſſe von den Basreliefs an der traja-
niſchen Saͤule.
Unteres Geſchoß.
Im erſten Zimmer.
Landſchaft mit Figuren von Berghem.
Ein Amor, angeblich von Guido.
Zwei Landſchaften von Pouſſin.
Siſſera von Carlo Maratti.
St. Hieronymus von Salvator Roſa.
Eine Landſchaft mit Thieren von Stan-
dardo, gut.
Im folgenden.
† Eine herrliche Marine von Vernet. Die
Farbe vortrefflich.
Eine
[161]Academia di S. Luca.
Eine Zeichnung von Salvator Roſa.
Ein Knabe mit Silbergeſchirr von Sub-
leyras.
Die Hoffnung von Angelica Kaufmann.
Ein kleiner Chriſtuskopf von Tizian, ſchoͤn.
† Ein Berghem, von groͤßter Schoͤnheit.
Ein kleines Miniaturgemaͤhlde von der Ro-
ſalba.
Der Heiland erſcheint der heiligen Catha-
rina von Genua. Oben Gott der Vater in
einer Glorie mit Engeln. Ein Gemaͤhlde, deſſen
obern Theil Mengs angelegt hat, und deſſen unterer
Theil von ſeinen Schuͤlern ausgefuͤhrt iſt.
Man trifft hier noch mehrere Gemaͤhlde neuerer,
zum Theil noch lebender Kuͤnſtler an. Unter dieſen
ſind einige von dem Caſſelſchen Tiſchbein.
Dritter Theil.Allge-
[162]Allgemeine Nachrichten
Allgemeine Nachrichten
uͤber verſchiedene Pallaͤſte und Villen
in Rom, deren Merkwuͤrdigkeiten in
Ruͤckſicht auf Mahlerei und Bildhauer-
kunſt noch nicht angezeigt
worden.
Ich will nach alphabetiſcher Ordnung gehen.
Pallaſt Acaramboni enthaͤlt Copien oder unbe-
traͤchtliche Originale. Ich habe die Sammlung ge-
ſehen.
Die Pallaͤſte Altemps und Alberini, ſonſt
Cicciaporci, ſind der Verſicherung nach leer von
Kunſtwerken: ſo wie der Pallaſt Baldaſſini. Im
Garten des Pallaſts Bufalo hat Polydoro da Car-
ravaggio einige Gemaͤhlde grau in grau gemahlt, die
ich aber nicht geſehen habe.
Im Pallaſt Bracciano, ehemals Odeſcalchi,
iſt eine ſchoͤne Sammlung von Medaillen. Man
ſieht ſie aber nicht anders, als wenn die Herzogin ſie
ſelbſt zeigt. Vortrefflicher Gemaͤhlde und Statuen
wegen iſt dieſer Pallaſt nicht bekannt.
Den eingezogenen Nachrichten nach, verdienten
in dieſer Ruͤckſicht auch folgende Pallaͤſte nicht ge-
ſehen zu werden.
Caffarelli, Capizucchi, Cenci, Ceſi, Con-
ti, Corca, Creſcenzi.
Im Collegio Clementino waren ehemals
zwei große Badewannen aus einem ſeltenen gruͤnen
Baſalt
[163]uͤber verſchied. Pallaͤſte u. Villen.
Bafalt befindlich, und Hr. Dr. Volkmann 1) fuͤhrt ſie
hier an. Aber ſie ſind jetzt ins Muſeum Clemen-
tinum gekommen.
Die Pallaͤſte del Drago, Ferrini, ſind fuͤr
die Liebhaber der bildenden Kuͤnſte unbedeutend.
Der Pallaſt Falconieri enthaͤlt einige Ge-
maͤhlde, die ich aber groͤßtentheils fuͤr Copien halte.
Eine heilige Familie von Pouſſin, welche Herr Dr.
Volkmann 2) anfuͤhrt, iſt es gewiß: Das Original iſt
nach Engelland gegangen. Die Madonna mit dem
Chriſt von Guido gleichfalls. Die uͤbrigen von ihm
angezeigten Gemaͤhlde fehlen. Der Raphael ſollte
in dem Schlafzimmer der Prinzeſſin haͤngen, ſo ſagte
der Cuſtode; ich habe ihn nicht geſehen.
Die Pallaͤſte Giraud, del Gran Duca,
Imperiali enthalten nichts merkwuͤrdiges.
Im Pallaſt Lanti ſoll nach Winkelmann 3) ein
Perſeus mit einem Meduſenkopfe in der Hand ſeyn.
Ich ſelbſt habe ihn nicht gefunden, aber auch Anti-
quare die ich gefragt habe, kannten ihn nicht. Im
Hofe des Pallaſts ſtehen:
Ein Kopf einer Juno.
Eine Minerva.
Zwei Amorinen, die den Bogen ſpannen,
und welche nicht zu den beſten Vorſtellungen dieſer
Art gehoͤren.
Ein Ringer.
L 2Eine
[164]Allgemeine Nachrichten
Eine weibliche Figur mit einem Kinde auf
dem Schooß. Der Gedanke iſt beſſer als die
Ausfuͤhrung.
Die Pallaͤſte: Madama oder del Governo,
Maffei, Muti, St. Marco, Nari, Gabrieli,
ſonſt Orſini, Ottoboni, Paluzzi ſind in Ruͤck-
ſicht auf Gemaͤhlde und Statuen jetzt eben ſo unbe-
traͤchtlich, als die Pallaͤſte: Picchini, Pio, 4)
Propaganda Fide, Ricci, Ranuccini, Rocci.
Der Pallaſt Rondimini ſoll eine vortreffliche
Sammlung von Kunſtwerken enthalten, und dar-
unter einige Freſcomahlereien von Correggio aus der
Kuppel des Doms zu Parma. Er war aber zu
meiner Zeit, weil der Beſitzer lange Jahre abweſend
war, verſchloſſen.
Die Pallaͤſte: Sacchetti und Sacripanti,
enthalten, der Verſicherung nach, nichts, was die
Aufmerkſamkeit des Liebhabers zu reizen im Stande
waͤre.
Im Pallaſt Salviati ſollen einige Mahlereien
aͤlterer Florentiniſcher Meiſter anzutreffen ſeyn. Der
geringe Geſchmack den ich an Werken dieſes Stils
finde, hat mich gehindert, ſie zu ſehen.
Das Gute, was im Pallaſt Santobuono
ſtand, ſoll nach dem Tode des Cardinals dieſes
Nahmens, nach Neapel gegangen ſeyn.
Endlich ſollen die Pallaͤſte Savelli, di
Sciarra, Serlupi nichts Intereſſantes fuͤr die
Kuͤnſte
[165]uͤber verſchied. Pallaͤſte u. Villen.
Kuͤnſte enthalten, mit denen ſich das gegenwaͤrtige
Buch beſchaͤfftigt.
Villa Altieri. Das Gemaͤhlde aus dem Gra-Villen.
be der Naſonen, von dem Winkelmann 5) redet, iſt
hier oft vergebens geſucht worden. Die beſten Sta-
tuen ſind auf entlegene Landguͤter des Prinzen ge-
bracht, und der Reſt verdient wenig Aufmerkſamkeit.
Villa Madama und Villa Mellini ſind mehr
der herrlichen Ausſicht wegen zu bemerken, die man
von ihnen aus uͤber Rom und die umliegende Ge-
gend hat, als der Truͤmmer von Statuen wegen, die
hier noch aufbehalten werden.
Villa Pia, Sciarra und Strozzi ſind gleich-
falls in Anſehung der dort befindlichen Kunſtwerke
unbetraͤchtlich.
Auf gewiſſe Weiſe gehoͤren die antiken Mah-Nachricht
uͤber die Baͤ-
der des Ti-
tus.
lereien und Stuccaturarbeiten in den Baͤdern
des Titus zu den Kunſtwerken in den Villen, weil
ſie in der Vigna eines Particuliers befindlich ſind.
Ich will die wenigen Bemerkungen, die ich daruͤber
gemacht habe, herſetzen; geſtehe aber zu gleicher Zeit,
daß ſie ſehr mangelhaft ſind. Ich liebe ein Kunſt-
werk mit Ruhe und Bequemlichkeit zu ſehen: und
beides wurde mir hier verſagt. Dieſe Souterrains
ſind ſo verſchuͤttet, daß man auf allen Vieren kriechen
muß, um aus einem Zimmer ins andere zu kommen:
dabei ſo feucht, daß ſich der Salpeter allenthalben
in Zapfen anſetzet, und derjenige, deſſen Geſundheit
L 3nicht
[166]Allgemeine Nachrichten
nicht feſt iſt, Gefahr laͤuft, ſie ohne den geringſten
Gewinn fuͤr ſein Vergnuͤgen zu verderben. Denn
die Mahlereien und Stuccaturarbeiten ſind durch den
haͤufigen Dampf der Fackeln ſo angeſchwaͤrzt, daß
man Muͤhe hat, etwas davon zu erkennen.
Die ſogenannten Baͤder des Titus ſind weit-
laͤuftige Souterrains, die wahrſcheinlich nicht blos
zum Baden, ſondern uͤberhaupt zu einem kuͤhlen
Sommeraufenthalte gedienet haben. Man kann in
einem Garten oder Vigna durch zwei Eingaͤnge ſo-
wohl nach den alten bekannten, als zu den neu wie-
der aufgefundenen Saͤlen gelangen, und beide haͤngen
durch unterirrdiſche Communicationen zuſammen.
Der neuaufgefundenen Zimmer iſt eine unzaͤh-
liche Menge, aber bemahlt ſind hoͤchſtens drei bis vier.
Den Fußboden hat man bis jetzt noch nicht aufgefun-
den, noch gereiniget.
Dieſe Souterrains ſind von unendlichem Um-
fange: in einigen findet man Spuren einer ehemali-
gen Waſſerleitung.
Die Mahlereien und Verzierungen aus Stucco
ſind an den Decken und an einem Theil der Waͤnde
angebracht. Die beſten in den fruͤher entdeckten
Kammern ſcheinen diejenigen zu ſeyn, die auf einen
ſchwarzen Grund gemahlt ſind. Hier zeigt man auch
das ſogenannte Gemaͤhlde der Mutter des Coriolanus
vor ihrem Sohne. Ich konnte kaum die Figuren er-
kennen. Die Verzierungen ſind in dieſer Reihe von
Zimmern von gutem Geſchmack, aber ſehr leicht
weggemacht. Ueberhaupt iſt das Ganze doch nur
eine bloße Decorationsarbeit.
Unter
[167]uͤber verſchied. Pallaͤſte u. Villen.
Unter den neuaufgefundenen Kammern ver-
dient vorzuͤglich ein langer Saal oder Corridor be-
merkt zu werden, der ſehr ſchmal und hoch iſt. Die
Waͤnde ſind mit einer Art von Mahlerei bedeckt, die
der chineſiſchen Architektur oder Landſchaftsmahlerei
aͤhnelt: an der Decke aber ſind drei Gemaͤhlde von
dramatiſcher Compoſition. Kaum daß man den
Umriß, und Spuren einer ſehr rothen Carnation
darin erkennt. Die Figuren von Stucco ſind mei-
ſtens abgefallen.
Die Verzierungen aus Stucco in einem andern
Zimmer dieſer Suite ſind, wie man noch jetzt ſieht,
vergoldet geweſen.
Die Stuccaturarbeit in dieſen Kammern uͤber-
haupt iſt gemeiniglich in Felder abgetheilt. Dieſe
ſowohl, als die Mahlereien, ſind von vielfacher Erfin-
dung. Die Frieſen ſtellen Opferthiere, Vaſen, Ge-
nien, Seeungeheuer, Weinranken, Arabesken u. ſ. w.
vor. 6) Alle haben den Charakter des Swelten,
Leichten, Fliegenden an ſich, der dem lieblichen Ein-
druck von Verzierungen ſo unentbehrlich iſt.
Man beſchuldigt den Raphael, daß er dieſe
Kammern, nachdem er manches Suͤjet, und vor-
L 4zuͤglich
[168]Allgemeine Nachrichten uͤber ꝛc.
zuͤglich die Arabeſken daraus entlehnt, wieder zu-
ſchuͤtten laſſen. Gewiß iſt es, daß eine große Aehn-
lichkeit zwiſchen ſeiner Decoration der Loggie del Va-
ticano, und der dieſer neuaufgefundenen Souterrains
herrſcht. Inzwiſchen ſind letztere viel ſparſamer an-
gebracht, und ſimpler in der Erfindung; hingegen
auch weniger fleißig ausgefuͤhrt. Ludovico Mirri
hat die neueren entdeckt.
rium bei dem
Tempel der
Minerva Me-
dica.
In dem Garten, worin der Tempel der
Minerva Medica ſteht, findet man ein ſogenanntes
Columbarium. An der Decke ſieht man einige
artige Ornamente aus Stucco, und Spuren
aͤhnlicher bereits abgefallener, die man leicht fuͤr
Zeichnungen aus einer Farbe, fuͤr Monochromata,
halten koͤnnte.
Ueber
[[169]]
Ueber die Kunſtwerke
der
Mahlerei und Bildhauerei
in den Kirchen von Rom.
L 5
[[170]][171]
Vorerinnerung.
Ich verlaſſe die Pallaͤſte und Villen in Rom, um
noch einen Blick auf Kunſtwerke in Kirchen,
und nachher auf einige andere an offenen oder freien
Plaͤtzen daſelbſt zu werfen. Aber meine Anmerkun-
gen duͤrfen hier kuͤrzer ſeyn: Die Schriftſteller, welche
ſich mit der Beſchreibung Roms beſchaͤfftigt haben,
ſind wenigſtens bei der Nomenclatur der Kunſtwerke
in oͤffentlichen Gebaͤuden und an freien Plaͤtzen genauer
und umſtaͤndlicher geweſen, als bei der Anzeige der
Sammlungen in Privatgebaͤuden, woruͤber ſich mehr
als eine Urſache zur Erklaͤrung angeben laͤßt.
Ich habe auch bereits bei den Pallaͤſten das
Meiſte von dem geſagt, was ich uͤber die Kuͤnſte em-
pfunden habe, und ich habe es beſſer und ſchicklicher
ſagen koͤnnen, weil die Anzahl belehrender Beiſpiele
dort groͤßer iſt, und die Gelegenheit ſie gut zu ſehen,
bequemer.
Sollte ich mich mit der Hoffnung ſchmeicheln
duͤrfen, daß die Liebhaber, welche mein Buch mit
den Kunſtwerken, von denen es handelt, verglichen
haben werden, die darin enthaltenen Grundſaͤtze ſich
zu eigen gemacht haben koͤnnten; ſo wuͤrden ſie von
ſelbſt
[172]Vorerinnerung.
ſelbſt und ohne fernere Leitung, die wenigen, noch nicht
beſchriebenen Kunſtwerke ausfinden, die ihrer Auf-
merkſamkeit werth ſeyn moͤgen.
Inzwiſchen, vielleicht beduͤrfen meine Saͤtze,
meine Vermuthungen, meine Zweifel noch mehrerer
beſtaͤtigenden Erfahrungen, und vielleicht muß ich
noch ſelbſt dieſe Erfahrungen zu machen helfen, den
Geſichtspunkt anzeigen, aus dem ich die Werke der
Kunſt angeſehen habe, um, wenn mich der Vorwurf
treffen ſollte, nicht den richtigen gewaͤhlt zu haben,
wenigſtens denjenigen abzulehnen, aus dem einmal
falſch gefaßten nicht alles geſehen zu haben, was ſich
daraus ſehen ließ.
Ein anderer Grund tritt hinzu, warum zur
Vollſtaͤndigkeit meines Werks auch Bemerkungen
uͤber die Kirchen Roms erfordert werden.
Der Stil der Kunſtwerke, die ſie zieren, weicht,
vorzuͤglich in der Sculptur, merklich von demjenigen ab,
den wir an den Kunſtwerken in den Pallaͤſten kennen
gelernt haben. Iſt jener nach meinen Ideen nicht ge-
macht, ſeiner Vorzuͤge wegen zum Muſter der Befol-
gung aufgeſtellt zu werden, ſo werden wenigſtens ſeine
Fehler zum warnenden Beiſpiel dienen: und der gute
Geſchmack, der durch den Anblick der alten Kunſt-
werke jetzt befeſtiget ſeyn muß, kann nur dabei gewin-
nen, neben der praktiſchen Lehre von dem, wie es
ſeyn
[173]Vorerinnerung.
ſeyn ſoll, auch diejenige zu finden, wie es nicht haͤtte
ſeyn muͤſſen.
Ich wuͤrde aber in unzaͤhlige und unnuͤtze Wie-
derholungen fallen, wenn ich bei jedem einzelnen
Denkmale des ſchlechten Geſchmacks die Kennzeichen,
durch die es ſich von dem ſchoͤnen Kunſtwerke unter-
ſcheidet, anzeigen wollte. Ich will lieber eine allge-
meine Vergleichung der Kunſtwerke in den Kirchen
mit den Kunſtwerken in den Pallaͤſten, eine allge-
meine Einleitung in den Kirchenſtil voraus ſchicken;
hernach dasjenige, was unſrer Aufmerkſamkeit im
Einzelnen werth bleibt, herausheben, und den Reſt
mit einem Stillſchweigen, oder mit einer ſo kurzen
Beruͤhrung uͤbergehen, daß das Urtheil, welches ich
daruͤber faͤllen zu muͤſſen glaube, ſich von ſelbſt aus-
ſprechen wird.
Ueber
[174]Ueber die Kennz. des Kirchenſtils
Ueber die Kennzeichen des Kirchenſtils.
Zuerſt: in der Bildhauerei.
Nichts kann beim Eintritt in die Kirchen von Rom
auffallender ſeyn, als die Verſchiedenheit, die
wir zwiſchen den mehreſten der neueren Statuen und
den Werken der alten Bildhauerei antreffen, die wir
in den Pallaͤſten verlaſſen haben.
ſcheidungs-
zeichen der
Bildhauer-
kunſt der
Neueren,
von der der
Alten.
Hier lauter verhuͤllete Figuren; dort beinahe
lauter nackte, oder doch ſo bekleidet, daß dem Auge
von dem Reize der Formen des Koͤrpers nichts entzo-
gen wird: Hier oft niedrige und gemeine Natur,
immer demuͤthige, hoͤchſtens liebliche Geſichtsbildung;
dort idealiſche Schoͤnheit, Hoheit des Geiſtes, große
Bedeutung in Mine und Tragen des Koͤrpers: Hier
das ſteinerne Bild in unbeſtimmter Bewegung; dort
in Ruhe oder vollſtaͤndig deutlicher Handlung: End-
lich, hier den deutlichſten Anſpruch das Werk aus
rundem Stein, als ein flaches Gemaͤhlde erſcheinen
zu laſſen; dort die Beſcheidenheit von der Statue
nicht mehr zu verlangen als ſie giebt, naͤmlich die
treueſte Abbildung eines von mehr als einer Seite zu
beſchauenden Koͤrpers.
Es iſt intereſſant die Gruͤnde dieſer Verſchieden-
heit in den inneren und aͤußeren Verhaͤltniſſen aufzu-
ſpuͤren, unter denen die Kuͤnſtler beider Epochen ge-
arbeitet haben.
Die Griechen ſahen die Darſtellung der nacken-
den Geſtalt des Menſchen als den Triumph der Bild-
hauer-
[175]in der Bildhauerei.
hauerkunſt an. Ich glaube mit Recht. Sie iſt es,Warum der
neue Kuͤnſt-
ler das Na-
ckende ſelte-
ner und nicht
mit gleichem
Gluͤcke wie
der alte bil-
det.
die mit Treue darzuſtellen der Meiſſel die groͤßten
Schwierigkeiten zu uͤberwinden hat. Sie iſt es, die
ihrer glatten und weißen Oberflaͤche wegen, dem
bearbeiteten Marmor am meiſten aͤhnelt. Sie iſt es,
welche die mehreſte Abwechſelung angenehmer Formen
den aͤußeren Sinnen darbietet, und ſie iſt es endlich,
die auch der innere durch ſelbſtiſche Vergleichung mit
ſeiner eigenen Huͤlle am intereſſanteſten in der Nach-
bildung findet.
Dieſe nackende Geſtalt ſtellt der neue Kuͤnſtler
nicht mit gleichem Gluͤcke dar: er kann es nicht, er
will es nicht, er darf es nicht, wenn er es auch koͤnnte
und wollte.
An und fuͤr ſich iſt das Blut der Griechen ſchoͤ-
ner als aller uͤbrigen Voͤlker der Erde. So finden
es alle Reiſende in dieſem von der Natur beguͤnſtigten
Lande noch jetzt, zu einer Zeit, wo mit der Ernie-
drigung des moraliſchen Menſchen der phyſiſche von
ſeiner urſpruͤnglichen Vollkommenheit gewiß herab-
geſunken iſt.
Denn dem Menſchen, deſſen Eltern nie unter
dem Druck von Tirannei geſeufzt haben, wird eine
Geſtalt angebohren, die das Gepraͤge der ſorgloſen
Heiterkeit an ſich traͤgt, unter der er gezeugt iſt.
Dieſe angebohrne Heiterkeit, deren ſich die Griechen
als eines eigenthuͤmlichen Geſchenks der Goͤtter ruͤhm-
ten, gehoͤrte daher ſowohl ihrer Regierungsform zu,
als dem Clima, unter dem ſie lebten. Gemaͤßigte
Leidenſchaften waren die Folge von beiden. Kein
Luxus, der den Koͤrper unmittelbar zerſtoͤret, keine
Krankheit, die mit der Befriedigung des natuͤrlich-
ſten
[176]Ueber die Kennz. des Kirchenſtils
ſten Triebes die ſchrecklichſten Folgen der Entſtellung
des Koͤrpers verbunden haͤtte, vermochten dazumal
die urſpruͤngliche Anlage zur Schoͤnheit zu verderben;
hingegen diente die ganze, mit den Beduͤrfniſſen des
Staats und der engern Geſelligkeit ſo genau verbun-
dene Erziehung dazu, jene Anlage zur koͤrperlichen
Schoͤnheit bis zum hoͤchſten Grade der Vollkommen-
heit auszubilden.
Die Art der Alten Krieg zu fuͤhren, Mann an
Mann, machte Uebungen von Kampf und Spielen
nothwendig, in denen der Koͤrper Behendigkeit und
Feſtigkeit gewinnen ſollte. Die Art der Alten, in
dem Umgange mit dem weicheren Geſchlechte Unter-
haltung aufzuſuchen, erhoͤhete den Werth ſolcher Ta-
lente, die von koͤrperlichen Vorzuͤgen den hoͤchſten
Reiz entlehnen. Daher Gymnaſien, Baͤder, Spiele
des Wettrennens, des Diſcuswerfens, des Ringens,
pantomimiſche Taͤnze bei oͤffentlichen Feſten: Ja! ſo-
gar Wettſtreite der Schoͤnheit unter Juͤnglingen und
Maͤdchen unter Autoritaͤt der Geſetze.
Wie viel anders dies alles bei uns! Weniger
urſpruͤngliche Anlage zur Schoͤnheit, und beinahe
durchaus keine Veranlaſſung, fuͤr die Ausbildung die-
ſes Vorzugs eine ausgezeichnete Sorge zu tragen.
Selbſt das Weib, das bei uns einen beſonderen Werth
auf ihre Geſtalt legt, macht ſich nach unſern Begrif-
fen von ſittlicher Vollkommenheit laͤcherlich.
Warum ſoll der neue Kuͤnſtler das vorzuͤglich
gern vorſtellen wollen, was nicht vorzuͤglich gern ge-
ſehen wird? Doch es ſey! Angefeuert durch das Bei-
ſpiel der Griechen, haͤlt er die nackte Geſtalt noch jetzt
fuͤr den wuͤrdigſten Vorwurf des Meiſſels; wie
ſelten
[177]in der Bildhauerei.
ſelten bietet ſich ihm ihr Anblick dar, und wie noch ſel-
tener in der Vollkommenheit, die ihn zur Nachbil-
dung anfeuern koͤnnte!
Bei den Griechen ſahe der Kuͤnſtler die nackten
Formen der edelſten Jugend beider Geſchlechter in
dem Grade von Vollkommenheit, wozu ſie beſorgte
Erziehung, die Folge des Wohlſtandes, nur immer
zu bringen im Stande war. Er ſahe ſie taͤglich,
bei ihren Feſten, bei ihren Spielen, uͤberall, indem
Clima und falſche Begriffe von Anſtand gaͤnzliche
Verhuͤllung des Koͤrpers nicht nothwendig machten.
Die ſchoͤnſten der griechiſchen Maͤdchen und Juͤnglin-
ge hielten es ſich zur Ehre, als eine Venus, als ein
Apollo der Gegenſtand oͤffentlicher Verehrung zu
werden.
Hingegen bei uns waͤhnt ſich die Buhlerin, die
ihre Reize zu jedem andern Gebrauche feil bietet,
durch den Antrag entehrt, dem Kuͤnſtler zum Mo-
delle zu dienen. Rauheres Clima, andere Begriffe
von Anſtand, und phantaſtiſche Mode haben eine
gaͤnzliche Verhuͤllung nothwendig gemacht; und ſel-
ten gluͤckt ſeitdem dem Bildhauer der Anblick eines
nackten Koͤrpers. Auge und Hand entwoͤhnen ſich
der Bekanntſchaft mit Gegenſtaͤnden, deren Nach-
bildung nothwendig Sicherheit des Blicks, und Ue-
bung der Hand erfordert. Es iſt eine bekannte Er-
fahrung, daß der neuere Kuͤnſtler die Extremitaͤten
des Koͤrpers, die er oft entbloͤßt ſieht und nachahmt,
wenn gleich nicht mit gleicher Schoͤnheit, dennoch mit
gleicher Wahrheit als der alte bildet; nur die uͤbri-
gen Theile des Koͤrpers erfuͤllen ſelten die Forderungen,
zu denen uns die Werke der Alten berechtigt haben.
Dritter Theil. MDer
[178]Ueber die Kennz. des Kirchenſtils
Der neue Kuͤnſtler arbeitet alſo groͤßtentheils aus
der Erinnerung, oder wenn ihm auch ein lebendes
Modell zur Nachbildung zu Theil wird, wie erhaͤlt er
es? Entſtellt durch preſſende Bekleidungen, die dem
Wuchs des Koͤrpers eine ſchiefe Richtung gegeben ha-
ben 1): gewelkt durch Sorgen der Nahrung, abge-
mergelt durch muͤhſelige Arbeit, erſchlafft durch ent-
ehrenden Genuß der Freuden des Lebens, oder gar
durch Krankheiten, ihre Folgen.
In der That! ſolch ein Anblick iſt eher im
Stande Ekel als Enthuſiasmus zu erregen, und ich
weiß nicht, ob der Bildhauer Urſach hat, ſich zu be-
klagen, daß das, was er ſo ungern darſtellen moͤchte,
da er es nur ſo mangelhaft darſtellen kann, ihm nun
auch nach den Begriffen ſeiner Religion ſogar darzu-
ſtellen verwehrt wird.
Denn ſeitdem ſich die Begriffe uͤber den Umgang
beider Geſchlechter und deren endlichen Zweck ſehr ver-
aͤndert haben; ſeitdem die nackte Geſtalt ſo ſelten ge-
worden iſt, daß ihre Erſcheinung allemal mit einer
maͤchtigen Regung der Einbildungskraft, und durch
dieſe mit einer ſtarken Wuͤrkung auf die Sinne ver-
knuͤpft iſt; ſeitdem hat man ſehr wohl gethan, die Ver-
huͤllung des Koͤrpers an Orten, wo unſer Geiſt mit
Dingen dieſer Welt nicht beſchaͤfftigt ſeyn ſoll, zur
Nothwendigkeit zu machen.
Dieſe Gruͤnde entwickeln den erſten Unterſchied
zwiſchen dem Stile der Alten und dem neuen Kirchen-
ſtile in der Sculptur. Jene verſchleiert die nackte
Form
[179]in der Bildhauerei.
Form des menſchlichen Koͤrpers weniger als dieſe,
und entzieht ſie nie dem Auge ganz.
Unvermerkt und gleichſam von ſelbſt, komme ichDem alten
Kuͤnſtler war
Gewand Be-
kleidung des
Koͤrpers:
dem neuern
iſt ſie Haupt-
ſache, von
deren will-
kuͤhrlichen
Bildung er
fuͤr ſich be-
ſtehenden
Reiz erwar-
tet.
hier auf ein zweites charakteriſtiſches Unterſcheidungs-
zeichen. Die Alten, wenn ſie ja bekleideten, thaten
es immer auf eine Art, bei der die nackte Form eher
gewinnen als verlieren mußte. Man verfolgt deren
Umriſſe noch immer unter dem Gewande, und es
ſcheint nur darum ihr angelegt zu ſeyn, um die ſtets
ſich ſchlaͤngelnden Linien des fleiſchigten und muſcu-
loͤſen Koͤrpers, durch einige eckigter und gerader lau-
fende zu unterbrechen, und contraſtiren zu laſſen.
Hingegen nach unſerm Kirchenſtile iſt ein Gewand
ein Laken oder Teppich, den der Kuͤnſtler nach Art des
Tuchhaͤndlers vor den Augen des Kaufluſtigen aus-
breitet, oder einem Seegel gleich dem Spiel der
Winde uͤberlaͤßt. Er verfaͤhrt mit der Bildung der
Falten ſo willkuͤhrlich, als der Arabeſken- oder Car-
touchenmahler mit ſeinem Laub- und Muſchelwerk.
Es ſind nicht Gewaͤnder mehr, es ſind Felsklumpen,
Marmorbloͤcke taillirt en Facettes, auf denen das Licht
buntſcheckig ſpielt, und die man nie fuͤr dasjenige er-
kennen wuͤrde, was ſie ſeyn ſollen, wenn nicht Kopf
und Beine an den Ecken hervorragten. Gewand iſt
alſo in unſerer neuen Bildhauerkunſt eine fuͤr ſich ſte-
hende Hauptſache geworden: eine Schadloshaltung
fuͤr die entzogene nackte Geſtalt: oder, wenn man lie-
ber will, ein Werkzeug der Rache des beleidigten Ehr-
geitzes, indem man durch die neue Erfindung ſelbſt der
Andeutung des Verſagten entbehren zu koͤnnen ge-
glaubt hat.
M 2Aber
[180]Ueber die Kennz. des Kirchenſtils
Kuͤnſtler
hebt die Ge-
ſtalt ins
Ideal; der
neue haͤlt ſich
an die gemei-
ne Natur:
Jener giebt
ſeinen Koͤ-
pfen den
Ausdruck
thaͤtiger Gei-
ſtesgroͤße;
dieſer duld-
ſamer De-
muth, oder
finſterer Ein-
gezogenheit.
Aber ſelbſt in den Theilen des Nackenden, welche
dem neueren Kuͤnſtler mit den alten zum Vorwurf
bildlicher Darſtellung auf gleiche Art geblieben ſind:
in den Koͤpfen, in den Extremitaͤten, treffen wir eine
weſentliche Verſchiedenheit zwiſchen beiden an. Der
letzte ſcheint vermittelſt des idealen Schoͤnen immer
uͤber die Graͤnze der uns bekannten Natur hinauszu-
gehen, waͤhrend daß der erſte nicht blos aus Unver-
moͤgen, ſondern mit Vorbedacht bei der Darſtellung
der gewoͤhnlichen Natur ſtehen bleibt.
Mehr! der Ausdruck in den Koͤpfen der Figuren
des mythiſchen Cirkels der Alten, der phyſiognomiſche,
nicht der pathalogiſche Charakter iſt viel bedeutungs-
voller, hoͤher, edler, als in den Koͤpfen der Perſonen
unſerer Gottheit, unſerer Patriarchen, Apoſtel und
Heiligen, welche mehreſtentheils das Gepraͤge finſte-
rer Eingezogenheit, oder duldſamer Demuth auf ih-
ren Geſichtsbildungen tragen. Es iſt hier der Ort,
die Gruͤnde dieſes neuen Unterſcheidungszeichen des
alten und des Kirchenſtils aufzuſuchen.
dieſer Ver-
ſchiedenheit
werden aus
der verſchie-
denen ſittli-
chen, politi-
ſchen und re-
ligioͤſen Er-
ziehung des
Menſchen,
und zugleich
aus dem ver-
Einer derſelben iſt durch die vorhergegangene Be-
merkung angezeigt, daß die Griechen von einer ſchoͤ-
neren Natur umgeben waren. Aber dieſer Grund
allein erklaͤrt nicht Alles. Die brittiſche Nation iſt
ſeit langer Zeit die ſchoͤnſte des heutigen Europa; aber
erſt ſpaͤt haben dieſe Inſulaner die Kuͤnſte geliebt,
und noch jetzt iſt nicht Schoͤnheit der erſte Zweck der
Bemuͤhungen, die ſie ihnen widmen.
War der phyſiſche Nervenbau der Griechen em-
pfaͤnglicher fuͤr die Empfindung des Schoͤnen? Es iſt
nicht unwahrſcheinlich. War ihre politiſche, ſittliche
und religioͤſe Erziehung mehr dazu gemacht, den
Sinn
[181]in der Bildhauerei.
Sinn des Schoͤnen in ihnen zu entwickeln? Das iſtſchiedenen
Gange, den
die Kuͤnſte
bei ihrer
Ausbildung
genommen
haben, ent-
wickelt.
gewiß.
Jedes Individuum eines ſo freien, und in ſo viele
kleine Staaten getheilten Volkes als die Griechen
waren, ſahe ſich als ein weſentliches Stuͤck des Gan-
zen an, welches zur voͤlligen Ausbildung ſeiner Kraͤfte
durch Patriotismus, Ehrgeitz und Selbſtgefuͤhl auf-
gefordert wurde. Der Antheil an der Adminiſtra-
tion des Staats, der Dienſt im Kriege, nahmen nur
einen Theil derſelben hin, und mit dem Ueberreſt wu-
cherten ſie zum Beſten der Kuͤnſte: es ſey durch den
unmittelbaren Antheil, den ſie an ihrer Ausuͤbung
nahmen, es ſey durch den Fleiß, den ſie auf ſolche
Talente wandten, die mit jenen in Verbindung ſtan-
den, oder doch das Gefuͤhl fuͤr ſichtbare Schoͤnheit
mittelbar entwickelten.
Denn das Denken um zu denken, das Wiſſen
um zu wiſſen, war bei den Griechen, zur Zeit wie
die Kuͤnſte aufbluͤheten, weniger gewoͤhnlich. Sie
ſpeculirten gemeiniglich mit unmittelbarer Beziehung
aufs handelnde Leben, und Kenntniſſe, welche den
Affekt des Wiſſens, des Erkennens ſpannen, waren zu
ſchwer zu erlangen, um die bloße Neugierde nicht ab-
zuſchrecken. Nichts natuͤrlicher alſo, als daß ſie ihre
Muße auf ſolche Gegenſtaͤnde wandten, die, ohne ei-
nen großen Umfang von Vorerkenntniſſen vorauszu-
ſetzen, dennoch eine ſolche Unterhaltung geben, welche
die Thaͤtigkeit in ernſthafteren Geſchaͤfften nicht hin-
dert, vielmehr in manchen Faͤllen unterſtuͤtzt: Dies
ſind die ſchoͤnen Kuͤnſte. Der Geſchmack an denſel-
ben war alſo viel ausgebreiteter, viel allgemeiner,
und da die Schoͤnheit der menſchlichen Geſtalt des
M 3Nutzens
[182]Ueber die Kennz. des Kirchenſtils
Nutzens im Kriege und der Annehmlichkeit im Frie-
den wegen, ein eben ſo allgemein geſchaͤtzter Vorzug
war, ſo erhielt natuͤrlicher Weiſe jener Geſchmack die
Richtung, die Darſtellung der ſchoͤnen koͤrperlichen
Form als die hoͤchſte Stufe der Kunſt zu betrachten.
Vieles muß auch daraus erklaͤrt werden, daß die
ſchoͤne Geſtalt des Menſchen bei den Griechen das
Symbol der Weſen war, denen ſie ihre religioͤſe Ver-
ehrung widmeten.
Der rohe Menſch, der den Stein oder Klotz,
bei dem ihm die hoͤchſte Kraft ein beſonderes Gluͤck
oder Ungluͤck hatte wiederfahren laſſen, erſt als das
Wiedererkennungszeichen ſeiner Hoffnung oder ſeiner
Furcht geliebt und geſcheuet, bald als Urſach von bei-
den angebetet hatte, gerieth bei ſtufenweiſer Verfeine-
rung auf den Gedanken, erſt dieſen Klotz in Kopf,
Arme und Beine zu ſpalten, dann als treue Abbil-
dung des Menſchen, endlich als Ideal ſeiner Geſtalt
in ſeinem Tempel aufzuſtellen.
Denn als die lebhafte Thaͤtigkeit der Griechen,
welche durch die Unabhaͤngigkeit und durch die Wett-
eiferung ſo vieler nahe an einander liegenden Staaten
immer unterhalten wurde, ihnen hohe Ideen von
thaͤtiger Tugend, Freiheit, Ehre, Vaterlandsliebe,
und zu gleicher Zeit ein ſtarkes Gefuͤhl ihrer eigenen
Wuͤrde gegeben hatte; ſo wurden ſie durch den En-
thuſiasmus zur Vergoͤtterung ihres Gleichen getrieben
und legten jenen rohen Ahndungen einer hoͤheren
Kraft erſt den Begriff des Menſchen uͤberhaupt, bald
aber von menſchlicher Vollkommenheit in dem hoͤchſten
Grade, den ſie ſich denken konnten, bei.
In
[183]in der Bildhauerei.
In dieſen Begriff von Vollkommenheit nahmen
ſie koͤrperliche Schoͤnheit aus den angefuͤhrten Urſa-
chen als ein nothwendiges Ingredienz auf: ſie ſetzten
aus den verſchiedenen Erfahrungen, die ſie im Ein-
zelnen gemacht hatten, ein ſchoͤneres Ganze zuſammen,
und verehrten nun das vollkommenſte Weſen unter
der Bildung des ſchoͤnſten ſeiner Geſchoͤpfe.
Anfangs war eine ſolche bildliche Darſtellung nur
idealiſche Verſinnlichung hoͤherer Kraͤfte, nach Er-
fahrungen aͤhnlicher aber bekannter Tugenden. Ju-
piter war wuͤrklich Gott, der beſte aller Beherrſcher
nach dem Zuſchnitt der guten wuͤrklichen Regierer der
Voͤlker. Nachher verdiente der Menſch, der dieſen
Begriff am mehreſten in ſeinem irrdiſchen Leben aus-
fuͤllte, der naͤchſte nach dem hoͤheren Weſen, der
Halbgott, der Held, eine Erhaltung ſeines Anden-
kens von ſeinen dankbaren Mitbuͤrgern. Man idea-
liſirte ſeine Form, um ihn zu vergoͤttern, oder wenig-
ſtens ſeine Nachkommen durch den ſinnlichſten aller
Eindruͤcke zur fernen Verehrung und Nacheiferung
anzufeuren.
So wurden Tempel, oͤffentliche Plaͤtze, jedes
Privatgebaͤude bevoͤlkert. Das Kind, deſſen Haͤnde
zum erſtenmale von der Mutter zum Dienſt der Gott-
heit gefaltet wurden, ſahe in dem Bilde der hoͤchſten
Kraft nur den ſchoͤnſten der Sterblichen; und der
aͤltere Sohn, dem der Vater das oͤffentliche Monu-
ment, den Zierrath ſeiner Wohnung erklaͤrte, erblickte
in dem ſchoͤnſten der Menſchen nur das Bild der inne-
ren Wuͤrde ſeiner Vorgaͤnger. Soll ich es erſt ſa-
gen, wie ſich Hoheit der Seele und Gefuͤhl der Schoͤn-
heit hier wechſelſeitig verſtaͤrkten, wie ſich kein ſchoͤner
M 4Koͤrper
[184]Ueber die Kennz. des Kirchenſtils
Koͤrper denken ließ, ohne eine ſchoͤne Seele, und keine
ſchoͤne Seele ohne einen ſchoͤnen Koͤrper! Soll ich es
erſt ſagen, wie ſehr der Kuͤnſtler, der fuͤr die innere
Bildung ſeiner Landsleute, wie fuͤr ihr Vergnuͤgen
arbeitete, der Mann des Staats, der Liebling der
Nation wurde! Wie das Bewußtſeyn dieſes wichti-
gen Antheils an dem allgemeinen Wohl ihn zu hohen
Ideen emporhob, den Begriff des wahrhaft Großen
und Edeln in ihm gruͤndete, und wie die Bezeugung
oͤffentlicher Achtung ihn ſpornte, an hoͤhere Vollkom-
menheit ſtets hinanzuſtreben!
So trug ſittliche, religioͤſe und politiſche Erzie-
hung zu dem ausgezeichneten Geſchmack der Griechen
an Schoͤnheit der Geſtalten bei: an Geſtalten mit
hoher Bedeutung eines zum Beſten der Menſchheit
thaͤtigen Weſens, an Geſtalten, die neben jener Be-
deutung auch das Bewußtſeyn ihres Werthes zu ha-
ben ſcheinen: An ſchoͤnen, an maͤchtigen, aber auch
an ſtolzen Geſtalten!
Ehe ich zu der Abweichung unſerer Begriffe uͤber
die Bildung der Perſonen, die den Gegenſtand unſe-
rer religioͤſen Verehrung ausmachen, uͤbergehe, muß
ich noch eine Anmerkung uͤber den Gang der Kuͤnſte
bei den Griechen hinzufuͤgen, welche es erklaͤren wird,
warum ſie bei ihrem unaufhoͤrlichen Streben nach
Schoͤnheit und hoher Bedeutung, dennoch die Grund-
regeln derſelben, Simplicitaͤt, Ebenmaaß, Regelmaͤſ-
ſigkeit, Richtigkeit der Verhaͤltniſſe, kurz! alle Grund-
lagen unſers Vergnuͤgens an dem Wohlgeordneten
und Uebereinſtimmenden der Geſtalt nie verlaſſen ha-
ben. Denn dieſe Schranken finden wir nicht uͤber-
ſchritten, ſelbſt in den ſpaͤteſten Werken der alten
Kunſt
[185]in der Bildhauerei.
Kunſt nicht, und die Fehler, die dagegen begangen
ſind, ſcheinen mehr dem Unvermoͤgen zuzugehoͤren, die
Vollkommenheit, zu der ſie fuͤhren, zu erreichen, als
der wiſſentlichen Abſicht, ſie Feldein auf einem andern
Wege zu verfolgen.
Fruͤh, in den erſten Zeiten des Wachsthums der
Kuͤnſte, finden wir die Bildſaͤulen menſchlicher Figu-
ren als Symbole derſelben behandelt: nicht anders
wie Gebaͤude Symbole von Huͤtten ſind, mit dem
Senkblei und dem Winkelmaaß in ſymmetriſche Ge-
ſtalten geſchnitten. Es ſind keine Nachbildungen
der Menſchen, es ſind fuͤr ſich ſtehende Geſchoͤpfe, an
denen die einzelnen Theile zu dem Ganzen nach inne-
ren, aus der Maſſe ſelbſt hergenommenen, Verhaͤlt-
niſſen harmoniren. Alles iſt viereckigt, ſteif und oh-
ne Wahrheit; aber alles ſtimmt an der willkuͤhrlichen
Compoſition zu einem leicht von der Seele zu faſſen-
den Begriff uͤberein: alles iſt wohlgeordnet. Von
dort iſt man zur Wahrheit fortgeſchritten, man hat
die urſpruͤngliche Simplicitaͤt, das Ebenmaaß der
Theile zu einander, das Verhaͤltniß derſelben zum
Ganzen beibehalten; man hat aber auch mehr Ver-
ſchiedenheit der Formen in die Theile gebracht, und
uͤberhaupt die Uebereinſtimmung des Nachgebildeten
mit dem Vorbilde mehr beſorgt. Das Viereckigte hat
mehr Rundheit, die Linie mehr Ausſchweifung, das
Detail mehr Treue erhalten. Endlich hat man den
Reiz hinzugefuͤgt, die wellenfoͤrmigen Contouren, die
Abwechſelung in den Stellungen und Formen der ein-
zelnen Glieder. Auf ſolche Art iſt die ſymmetriſche
Verfahrungsart unter Leichtigkeit, unter Schein des
Regelloſen, und unter Mannichfaltigkeit der Formen
M 5zwar
[186]Ueber die Kennz. des Kirchenſtils
zwar verſteckt, nicht aber ganz aus den Augen geſetzt
worden: und hierbei iſt man ſtehen geblieben.
Dieſe Erziehung der Idee von Schoͤnheit ſcheint
nun mehrere gluͤckliche Folgen gehabt zu haben. Ein-
mal hat man nie das Nothwendige dem Ueberfluͤſſi-
gen, nie Treue und Wahrheit, am wenigſten aber den
leichten Begriff des Wohlgeordneten und ſchnell zu
Faſſenden der Sucht aufgeopfert, eine Menge von
unbeſtimmten Gefuͤhlen durch Abwechſelung ungewiſ-
ſer Formen in dem Beſchauer zu erwecken. Sim-
plicitaͤt in Mine und Stellung, Simplicitaͤt und
Ebenmaaß in den Verhaͤltniſſen der Theile zum Gan-
zen, jene Grundpfeiler der Schoͤnheit, und hoher Be-
deutung, ſind ſtets mit aͤußerſter Gewiſſenhaftigkeit
beobachtet worden.
Ferner: Da die alten Kuͤnſtler die Schoͤnheit
immer auf einer und derſelben Straße verfolgt ha-
ben, ſo haben ſie auch alles was darauf lag, viel voll-
ſtaͤndiger aufſammeln koͤnnen, als unſere neueren, wel-
che, bald auf dieſem, bald auf jenem Wege, Vergnuͤ-
gen und Unterhaltung fuͤr uns aufzuſuchen bemuͤht
geweſen ſind.
Dies ſcheinen mir die hauptſaͤchlichſten Urſachen
der Hoͤhe zu ſeyn, auf der die Alten gegen die Neueren
in Ruͤckſicht auf idealiſche Form, und auf Bedeutung
idealiſcher Geiſtesgroͤße ſtehen. Phyſiſche Anlage und
moraliſche Verfeinerung des Gefuͤhls fuͤr Schoͤnheit:
ein erhabener, mit der Religion und politiſchen Ver-
faſſung in genauer Verbindung ſtehender Zweck der
Kunſt: die davon abhaͤngende Achtung des Kuͤnſt-
lers: und endlich der einfache Gang der Kuͤnſte, die
aus
[187]in der Bildhauerei.
aus der Grundquelle der Uebereinſtimmung der Theile
zum Ganzen entwickelte Idee der Schoͤnheit.
Alle dieſe Urſachen fallen bei uns weg. Wir
denken uns den ſittlich vollkommenen Menſchen wohl
ganz getrennt von dem phyſiſch vollkommenen: we-
nigſtens braucht der moraliſche Held nach unſern Be-
griffen nicht der ſchoͤnſte Menſch zu ſeyn. Unſere po-
litiſchen Verhaͤltniſſe geben uns gar keine, und unſere
geſelligen nur eine ſehr geringe Veranlaſſung, auf
koͤrperliche Geſtalt einen beſondern Werth zu legen.
Unſere groͤberen Sinne werden durch fleiſchigte aus-
geſchweifte Formen viel ſtaͤrker in Bewegung geſetzt,
als durch einfache und uͤbereinſtimmende Ordnung
der Theile zum Ganzen.
Das Vergnuͤgen, was wir an einer ſchoͤnen Ge-
ſtalt empfinden, gehoͤrt unſerm Verſtande, unſerm
Nachdenken: es iſt ein gequaͤltes Werk, ein fremder
von den Griechen hergeholter Geſchmack, der hier, wie
in ſo vielen andern Dingen, mit unſern ſittlichen und
religioͤſen Begriffen gerade zu im Widerſpruche ſteht.
Denn unſere von der Religion gebildete Moral
verbietet uns auf einen ſo zufaͤlligen Vorzug, als der
einer ſchoͤnen Geſtalt iſt, irgend einigen Werth zu le-
gen, und es hat Zeiten gegeben, in denen man es
zur Gewiſſensſache hat machen wollen, den Heiland,
der uns zum Vorbilde menſchlicher Vollkommenheit
aufgeſtellet iſt, der ſich aber aller weltlichen Vortheile
entaͤuſſert, Schmerzen und Leiden in ſeinem Leben auf
ſich genommen hatte, unter einer ſchoͤnen und geſun-
den Geſtalt zu denken.
Am wenigſten aber laͤßt eben dieſe chriſtliche
Sittenlehre den Ausdruck des Bewußtſeyns einer
thaͤti-
[188]Ueber die Kennz. des Kirchenſtils
thaͤtigen Seelengroͤße zu, jenen Charakter von Ho-
heit, der uns bei dem Anblick einer Statue der Alten
den Ausruf abpreßt: Welch ein Mann! Welche
Thaten duͤrften wir von ihm erwarten, wenn er wie-
der ins Leben hervorgienge!
Es iſt intereſſant zu ſehen, welchen Begriff die
neueren Kuͤnſtler mit den Perſonen der Gottheit,
und ihrer hauptſaͤchlichſten Verehrer verknuͤpft haben.
neueren
Kuͤnſtler
uͤber die Per-
ſonen der
Gottheit,
und ihrer
vornehmſten
Verehrer im
alten und
neuen Teſta-
mente.
Sie haben das alte Teſtament von dem Neuen
getrennt. Aber der Gott Iſraels iſt ihnen in der
Geſchichte des neuen Bundes die erſte Perſon der
Dreieinigkeit geblieben. Gott der Vater alſo, der
die Suͤnden der Vaͤter an den Kindern bis ins dritte
und vierte Glied ſtraft, der erzuͤrnt uͤber das menſch-
liche Geſchlecht nur durch das Leiden ſeines Sohnes
verſoͤhnt werden konnte, hat die ernſte, finſtre und
ſtrenge Mine eines aufgebrachten Richters 2) er-
halten, und die Patriarchen, von Adam an bis auf
den juͤngſten Propheten, ſcheinen durch das lange
Harren auf die Zukunft des Mittlers in nicht geringe
Sorgen, Schwermuth und Graͤmelei verſunken.
Lauter unaufgeraͤumte Graubaͤrte, die mit den muͤr-
riſchen Flußgoͤttern der Alten die groͤßte Aehnlichkeit
haben. Zeichnet ſich einmal ein Joſeph oder David
unter ihnen aus; die Geſchichte des Patriarchaliſchen
Zeit-
[189]in der Bildhauerei.
Zeitalters zeigt dieſe Koͤnigsſoͤhne als Hirten: und ſo
erſcheinen ſie in unſern Gemaͤhlden.
Der Heiland wird uns in der Bibel als der
ſanftmuͤthigſte, duldſamſte, liebendſte aller Menſchen
geſchildert. Dieſer Charakter laͤßt ſich mit einer
ſchoͤnen Figur verbunden als moͤglich denken, aber
die Nothwendigkeit dazu liegt ſo wenig am Tage, daß
man vielmehr bei alle dem Leiden, welches er waͤh-
rend ſeines Wallens hienieden ausgeſtanden hat, nur
durch eine kraͤnkliche abgehaͤrmte Figur den Begriff
ſeines hiſtoriſchen Daſeyns in der Kunſt voͤllig deut-
lich zu machen glauben kann. Auch finden wir ſo
wenig ihn als ſeine Nachfolger, die Apoſtel und Hei-
ligen unter ſehr ſchoͤnen Geſtalten gebildet. Und das
nicht ſowohl aus Unvermoͤgen, als aus Abſicht. Der
Begriff von chriſtlicher Entaͤußerung und Demuth
hat dies verhindern muͤſſen, bei einigen haben be-
ſtimmte Nachrichten und Legenden im Wege ge-
ſtanden. Die Apoſtel waren Perſonen von gemeiner
Herkunft und ſchon bei Jahren: Nur Paulus und
Johannes machen hier Ausnahmen; der letzte wird
mit ſchuͤchterner Lieblichkeit gebildet. Der heil. Pe-
trus iſt der Tradition zufolge kurz, unterſetzt und von
eckigter Form geweſen, andere Apoſtel waren eben
dieſer Tradition nach nicht ſchoͤner: die Stifter der
Orden aber meiſtens ausgehungerte, durch Krank-
heiten, Faſten und Caſteien abgemergelte Menſchen.
Ahndung von Geiſtesgroͤße finden wir nirgends.
Thaͤtige Tugend wie die Griechen ſie bildeten, ſchien
dem Geiſte einer Religion zuwider, nach deren Lehren
man Kindern aͤhneln ſoll, um das Reich Gottes zu
erwerben. Bewußtſeyn unſers Werthes, Ausdruck
des
[190]Ueber die Kennz. des Kirchenſtils
des Geelenadels graͤnzt in der ſichtbaren Darſtellung
an Stolz. Man haͤtte den Maͤrtyrern den Aus-
druck der Standhaftigkeit geben koͤnnen, aber in den
bildenden Kuͤnſten iſt dieſer Ausdruck nicht beſtimmt
genung, und mit ſanfter Einfalt verbunden, wird er
unbedeutend.
heiten und
Helden der
Alten ſind
idealiſirt, in-
dividuelle
Bildungen
einer Men-
ſchenart:
das hoͤchſte
Weſen, die
Heiligen, die
Tugenden
der Neueren
entweder
wuͤrklich in-
dividuelle
Bildungen
einzelner
Menſchen
oder allego-
riſche Ab-
ſtracta un-
ſinnlicher
Eigenſchaf-
ten.
Die Gottheiten der Alten unterſcheiden ſich noch
beſonders von den Heiligen der Neueren und ſelbſt von
der letztern Vorſtellungsart des hoͤchſten Weſens da-
durch, daß jene perſonifiirte Menſchengattungen wa-
ren, dieſe hingegen perſonifiirte einzelne Individuen
von Menſchen oder perſonifiirte Abſtrakte, allegoriſche
Bilder unſinnlicher Eigenſchaften ſind. Es iſt naͤm-
lich eine bekannte Erfahrung, daß ſich nicht blos die
hervorſtechenden Neigungen des Herzens, die Faͤhig-
keiten der Seele und des Koͤrpers, an der Geſtalt
des Menſchen aͤußern, ſondern daß auch die Lage
in der ſie ſich im handelnden Leben befinden, die be-
ſondere Richtung, welche die Eigenſchaften ihrer
Seele und ihres Koͤrpers zu einer beſtimmten und an-
haltenden Thaͤtigkeit oder Beſchaͤfftigung erhalten ha-
ben, ſich auf die aͤußere Form des Koͤrpers ein-
druͤcken. 3)
Die Alten ſcheinen aus vielen Erfahrungen, aus
mehreren Beiſpielen im Einzelnen, die praͤgnanteſten
Zuͤge der Geſtalt herausgehoben zu haben, worin
mehrere
[191]in der Bildhauerei.
mehrere Menſchen von gleichen Neigungen, Faͤhig-
keiten, unter aͤhnlichen Lagen, und mit gemeinſchaft-
licher Beſchaͤfftigung zuſammentreffen, und ſich da-
durch unverkennbar von andern unterſcheiden, die von
entgegengeſetzten Neigungen und Faͤhigkeiten ſind,
unter andern Lagen handeln, und ihrer Thaͤtigkeit eine
verſchiedene Richtung geben. Indem ſie nun dieſe
beſondere Gattung von Zuͤgen um etwas uͤber die
Natur verſtaͤrkten, erhielten ihre Gottheiten jene
idealiſirte Phyſiognomien, welche der Beſchauer fuͤr
individuelle Bildungen, nicht des einzelnen Menſchen,
ſondern einer gewiſſen Art von Menſchen, erklaͤrt.
Jede Gottheit der Alten war Individuum, wenn
man ihre Bildung gegen die einer andern Gottheit
hielt; nicht aber Individuum in Vergleichung
mit dem einzelnen Menſchen. Jupiter, der große
und guͤtige Beherrſcher, bekam den Ausdruck einer
Ehrfurcht und Vertrauen einfloͤßenden Majeſtaͤt:
Apollo den ſanften und edeln Charakter eines Beſchuͤ-
tzers der Kuͤnſte und Wiſſenſchaften: Mercur den ei-
nes gewandten und behenden Ringers: Hercules den
eines biedern und ſtarken Kaͤmpfers: Juno den einer
vorſichtigen, aber ſtolzen Hausfrau: Minerva den
eines kalten aber geſchickten Weibes u. ſ. w. Kurz!
jeder Gott war ein Individuum mit einer Art von
Charakter, wie die Alten glaubten, daß er unzaͤhli-
gen Beiſpielen der naͤmlichen Gattung zufolge ſeyn
ſollte, um ſich von Charakteren einer andern, nach
eben ſo unzaͤhligen Beiſpielen abſtrahirten Gattung,
deutlich und beſtimmt zu unterſcheiden.
Dies hatte ſehr gluͤckliche Folgen fuͤr die Kunſt.Die Alten
gaben ihren
Es brachte Bedeutung und Abwechſelung in den Aus-
druck
[192]Ueber die Kennz. des Kirchenſtils
Statuen
mehr phy-
ſiognomi-
ſchen als pa-
thalogiſchen
Ausdruck;
die Neueren
umgekehrt,
geben ihnen
mehr patha-
logiſchen als
phyſiogno-
miſchen.druck und in die Formen, ohne jener ruhigen Ord-
nung und Uebereinſtimmung der Zuͤge zu ſchaden,
welche die Schoͤnheit fordert. Der alte Kuͤnſtler
konnte ſeine Begriffe von Wohlgefaͤlligkeit der For-
men nur mit dieſem Ausdruck eines allgemein indivi-
duellen Charakters vereinigen; ſo war die voͤllige
Schoͤnheit da, die ſich ohne Ahndung eines lebenden
Weſens eben ſo wenig denken laͤßt, als dieſe Ahn-
dung ohne wohlgefaͤlligen Eindruck der Formen. 4)
Der Beſchauer fand ſich bei der Aufloͤſung des Ge-
dankens hinreichend beſchaͤfftigt, ſeine Anſpruͤche auf
Treue und Bedeutung wurden hinreichend ausgefuͤllt,
ohne gerade Aehnlichkeiten mit beſtimmten Perſonen
ausfinden zu wollen, oder gar eine affektvolle Thaͤtig-
keit von dem Steine zu verlangen. Mit einem
Worte, die phyſiognomiſche Darſtellung des Men-
ſchen war ſchon eine ſo ſchwere und unterhaltende Auf-
gabe fuͤr den Kuͤnſtler, als daß man ihm die patha-
logiſche nicht gern geſchenket haben ſollte.
Unſere
[193]in der Bildhauerei.
Unſere Neueren entbehren dieſes Vortheils ganz
oder groͤßtentheils. Ihr hoͤchſtes Weſen iſt ein
ſolches Abſtraktum aller moͤglichen Vollkommenhei-
ten, daß ſie die eine zum Nachtheil der uͤbrigen nicht
hervor heben duͤrfen. Sie haben es zuweilen gewagt,
gewiſſe Tugenden zu perſonifiiren, gewiſſen Figuren
einen allgemeinen Charakter zu geben; aber hier iſt
der allgemeine Charakter zu allgemein geworden,
das heißt, die beſondere Modification, welche die eine
tugendhafte Neigung der Geſtalt giebt, laͤuft ſo ſehr
mit den Modificationen, welche tugendhafte Neigun-
gen der Geſtalt uͤberhaupt geben, zuſammen, daß
man nothwendig Attribute zu Huͤlfe nehmen muß,
um die beſondere Beſtimmung dem Beſchauer zu er-
leichtern, und dem Ueberdruß, der aus Einfoͤrmig-
keit entſteht, vorzubeugen.
Ein Apollo der Alten, deſſen Leier verloren ge-
gangen iſt, unterſcheidet ſich noch deutlich von einem
Jupiter ohne Adler und Donnerkeil: Eine Klugheit
ohne Spiegel aber iſt von einer Gerechtigkeit ohne
Waage nicht auszukennen. Haben die Neueren auf
den Phyſiognomien der Heiligen einen allgemeinen
Charakter hervorſtechend zeigen wollen; ſo hat es, ſo
lange die Figur in Ruhe blieb, hauptſaͤchlich nur der
ſehr eingeſchraͤnkte und der Schoͤnheit wenig vortheil-
hafte eines demuͤthigen, mit ſteten Uebungen der An-
dacht beſchaͤfftigten Menſchen ſeyn koͤnnen.
Dieſen Mangel von Schoͤnheit der Geſtalt, und
beſtimmten Ausdruck einer allgemein indwiduellen
Phyſiognomie, haben die neuen Kuͤnſtler dadurch zu
erſetzen geſucht, daß ſie durch Abwechſelung particu-
laͤr individueller Bildungen und durch den pathalo-
Dritter Theil. Ngiſchen
[194]Ueber die Kennz. des Kirchenſtils.
giſchen Ausdruck tranſitoriſcher Bewegungen der Seele,
wo nicht ſchoͤn, wenigſtens treuer, wo nicht ſo bedeu-
tungsvoll, wenigſtens repraͤſentirender und gezierter,
wo nicht ſo faͤhig zur Thaͤtigkeit, wenigſtens emſiger,
befliſſener in ihren Figuren erſcheinen wollten. Mich
duͤnkt das Mittel iſt ſchlimmer als das Uebel ſelbſt.
Denn da man nun recht abwechſelnd in den Bil-
dungen ſeyn wollte, und doch gewiſſe Phyſiognomien,
nach den vorher angegebenen Grundſaͤtzen nothwendig
ausfallen mußten, ſo konnte man, um immer neu zu
bleiben, in der Wahl nicht ekel ſeyn. Nicht ſelten
entlehnte man daher die Geſtalten der Heiligen von
den niedrigſten Pilgrimmen, Einſiedlern und andern
Bettlern dieſer Art.
Alten ihre
Statuen in
thaͤtige Be-
wegung ſetz-
ten, ſo war
dieſer Aus-
druck ſtets
beſtimmt und
vollſtaͤndig
erklaͤrbar;
die Neueren
liefern mei-
ſtens nur
academiſche
Stellungen.
Mit dem pathalogiſchen Ausdruck, den die Neue-
ren beinahe in allen ihren Statuen dem phyſiognomi-
ſchen vorgezogen haben, hat es in der Sculptur, wie
ſchon oͤfterer bemerkt iſt, ſeine eigenen Bedenklichkei-
ten. Selten beſteht damit der Eindruck des Wohl-
geordneten und leicht zu Faſſenden, der dem Gefuͤhl
der Wohlgefaͤlligkeit der Formen zur Grundlage dient.
Gegen eine Figur in Affekt haben die Alten zehn in
Ruhe gebildet. Aber wenn ſie auch zuweilen (und
zwar hauptſaͤchlich, um dem Meiſſel Veranlaſſung zu
geben, ſeine Kunſt in der Darſtellung des Muskeln-
ſpiels zu zeigen:) den Koͤrper in thaͤtige Anſtrengung
verſetzt haben, ſo iſt doch wenigſtens dieſer patha-
logiſche Ausdruck zu gleicher Zeit hinreichend motivirt,
deutlich und erklaͤrbar.
Man erinnere ſich, was ich bei dem Pallaſte der
Farneſina in dieſem Theile meines Buchs von dem
Unterſchiede zwiſchen dem analogiſch lyriſchen Aus-
druck
[195]in der Bildhauerei.
druck des Affekts, und dem analogiſch dramatiſchen
geſagt habe. Der erſte iſt allemal durch ſich ſelbſt
verſtaͤndlich. Die Abſicht, in der die Seele dem
Koͤrper eine gewiſſe Richtung giebt, beruht auf einer
ſo allgemein bekannten Situation, oder affektvollen
Faſſung der Seele, daß der Beſchauer uͤber die Frage,
was ſie in dem beſondern Falle veranlaßt haben koͤnne,
freiwillig weggeht. Der lachende Faun, die ſchwer-
muͤthige Elektra ſind von dieſer Art. Geſetzt aber
auch die Vorſtellung iſt dramatiſch, das heißt, das
Bild will mir mit der affektvollen Faſſung zu gleicher
Zeit die concurrirenden Umſtaͤnde wiſſen laſſen, deren
Folge ſie iſt; ſo haben die Alten dieſe dramatiſche
Vorſtellung doch immer ſo gewaͤhlt, daß die Lage der
einzelnen Figur, oder die Zuſammenſtellung derſelben
mit einem Gegenſtande von geringem Umfange zu
gleicher Zeit die Expoſition und die Aktion, oder, ſo
zu ſagen, den Prologus und den Exodus der alten
Tragiker enthielte.
Ein Verwundeter, der ſeine letzten Kraͤfte an-
ſtrengt, um ſich in die Hoͤhe zu richten: eine im Aus-
fall geſtreckte Figur mit Schild und Degen: ein Al-
ter, der ihn umwindende Schlangen abwehrt, 5) ſind
lauter einzelne Figuren, die eine vollſtaͤndig deutliche
Handlung mit Urſach und Wuͤrkung dem bloßen Auge
darbieten.
N 2Bei-
[196]Ueber die Kennz. des Kirchenſtils
Beinahe alle neueren Statuen haben nun einen
pathalogiſchen Ausdruck: d. h. ihr Koͤrper zeigt eine
Anſtrengung, die auf eine thaͤtige Lage der Seele
ſchließen laͤßt; aber zum Ungluͤck wiſſen wir ſelten,
was ſie mit ihrer Thaͤtigkeit intendiret. Es ſind groͤß-
tentheils bloße akademiſche Stellungen nach der Regel
des Contrapoſto geordnet. Der Kuͤnſtler, der ſie darin
verſetzt hat, hatte keine andere Abſicht, als eine wohl-
gefaͤllige Abwechſelung in die Lage der Glieder zu brin-
gen. Die Abſicht gehoͤrte alſo ihm, nicht dem le-
benden Weſen in der Figur. Wenn der eine Arm
ausgeſtreckt iſt, ſo muß der andere ſich zuruͤckziehen:
tritt das eine Beine vor, ſo muß das andere zuruͤck-
weichen: beugt ſich der Obertheil des Koͤrpers auf die
rechte Seite, ſo muß ſich der untere auf die linke wen-
den. Sehr ſelten wiſſen wir warum?
Der Kuͤnſtler rechnet oft zur Verſtaͤndigung die-
ſer beſondern Thaͤtigkeit auf unſere Vorerkenntniſſe
von den Lebensumſtaͤnden ſeines Helden; aber er ſoll
nur in ſofern darauf rechnen, als die Situation aus
der Geſchichte einen an ſich durch den bloßen Anblick
erklaͤrbaren Ausdruck motivirt. Der weinende Petrus
kann von jedermann verſtanden und gefuͤhlt werden,
es iſt die Darſtellung e[ine]r allgemein bekannten leiden-
ſchaftlichen Faſſung der Seele; aber eben dieſer Hei-
lige, der in den dritten Himmel entzuͤckt wird, macht
eine viel zu particulaire Situation aus, als daß wir
bei der Auslegung des Ausdrucks, bei der Pruͤfung
ſeiner Billigkeit nicht leicht in die Irre gefuͤhret wer-
den ſollten.
Dazu koͤmmt, daß die Legenden der Heiligen ge-
meiniglich dem Inhalte und der Schreibart nach viel
zu
[197]in der Bildhauerei.
zu unintereſſant ſind, um einem Manne von Ge-
ſchmack anmuthen zu koͤnnen, ſich damit bekannt zu
machen.
Ein Vorzug, dem die neueren Bildhauer vorLetztes Unter-
ſcheidungs-
zeichen des
Stils der al-
ten Bild-
hauer von
dem der
Neueren:
dieſe ſtreben
mit ihren
Werken aus
rundem
Steine zu
ſehr der
Wuͤrkung
eines flachen
Gemaͤhldes
nach.
jedem andern nachgeſtrebt haben, beſteht in der mah-
leriſchen Wuͤrkung der Bildhauerarbeit. Ich habe
ſchon mehrere Male geſagt: daß mahleriſche Wuͤr-
kung von Einheit und Abwechſelung in Farben, For-
men und Helldunkeln abhaͤnge. Keines von dieſen
drei Stuͤcken darf zur wahren mahleriſchen Wuͤrkung
fehlen, und die Farben machen ein Hauptingredienz
derſelben aus. Inzwiſchen muß ſich die Sculptur,
wenn ſie anders nicht in bloße Spielerei, in kindiſche
Nachaͤffung verfallen will, die uns ihre Unvollkom-
menheit in dieſem Stuͤcke eher auffallend macht, als
zu verſtecken im Stande iſt, ganz enthalten. Schon
aus dieſem Grunde erhellet, daß man ihr mahleriſche
Wuͤrkung nur unvollſtaͤndig einraͤumen koͤnne, und
ſie blos auf die Wuͤrkung des Helldunkeln, und der
eigentlichen Gruppirung einſchraͤnken muͤſſe.
Daß dieſe eingeſchraͤnktere Art durch das Wohl-
gefaͤllige der eigentlichen Beſtandtheile des Scheins,
oder durch den angenehmen Eindruck der Maſſe bei
dem erſten Anblicke zu ruͤhren, kein gleichguͤltiger Zu-
ſatz zu unſerm Vergnuͤgen ſey, iſt nicht zu leugnen.
Die Alten haben dieſe Art mahleriſcher Wuͤrkung be-
ſorgt, an mehreren Statuen der Neueren thut ſie die
gewuͤnſchte Wuͤrkung. Es koͤmmt auf den Ort der
Aufſtellung, auf die Art wie das Licht geleitet wird,
auf die Lage der Glieder unendlich viel an, ob unſer
Auge den Begriff des Ganzen mit Leichtigkeit faßt,
auf die intereſſanteſten Theile zuerſt gezogen, und im
N 3Detail
[198]Ueber die Kennz. des Kirchenſtils
Detail angenehm unterhalten wird. Der Jupiter
Veroſpi thut bei Tage wenig Wuͤrkung, und bei der
hoch gehaltenen Fackel am Abend ſehr viel: Warum?
Weil das Auge gleich die großen Maſſen von Schat-
ten von den hellen Partien abſondert, von dieſen
hellen, welche die ſchoͤnſten ſind, zuerſt angezogen
wird, und nun, ohne Nachtheil fuͤr das ſchon ge-
ordnete Ganze, gern bei dem Einzelnen verweilet.
Wer wird es leugnen wollen, daß die abwech-
ſelnde Lage der Glieder im Laocoon, die ſich zu einer
leicht zu umfaſſenden Form vereinigen, dem Auge
angenehmer ſey, als die gar zu einfoͤrmige Stellung
der Pallas Giuſtiniani?6)
Aber
[199]in der Bildhauerei.
Aber dies Vergnuͤgen muß nie mit Aufopferung
weſentlicherer Anſpruͤche beſorget werden, die der Be-
N 4ſchauer
6)
[200]Ueber die Kennz. des Kirchenſtils
ſchauer an Wahrheit und Schoͤnheit einzelner Theile
zu machen berechtigt iſt. Nie muß der bloßen Ab-
wechſelung ohne begleitende und die einzelnen Theile
vereinigende Ordnung nachgeſtellet werden.
Dies iſt der Fehler in den die neueren Kuͤnſtler
gefallen ſind. Sie haben vergeſſen, daß der Mahler
dem Beſchauer nur ein Profil ſeiner durch Licht und
Schatten geruͤndeten Figuren zeigt, und daß der an-
ſchauende Blick nur dieſes pruͤfen koͤnne, um ſich von
der Wahrheit der Formen zu uͤberzeugen; daß hin-
gegen der Blick, der die Wahrheit der Form an der
wuͤrklich runden Statue unterſucht, nach Art der be-
taſtenden Hand verfaͤhrt, ſich bald ausdehnt, bald
zuruͤckzieht, bald von dieſer, bald von jener Seite
herumwendet, mithin den runden Koͤrper in mehr
als
6)
[201]in der Bildhauerei.
als einem Profile ſieht. Wie oft iſt es nun hier ge-
ſchehen, daß der Bildhauer, weil er zu ſehr auf
einen feſten Geſichtspunkt von dem Beſchauer rech-
nete, daraus die Umriſſe recht in den Grund ver-
ſchmolzen, Licht und Schatten recht abwechſelnd er-
ſcheinen laſſen wollte, aus allen uͤbrigen unwahr
werden mußte! Wie oft wird ein Arm im neueren
Geſchmack des Bernini von der einen Seite weiches
Fleiſch, und von der andern ein unfoͤrmlicher Wachs-
klumpe! Wie oft ein Gewand im Geſchmack deſſelben
Meiſters von der einen Seite ein Flor, und von der
andern eine willkuͤhrlich gereifte Steinmaſſe.
Ein Werk von runder Bilderei, kann aus einem
Geſichtspunkte ſchoͤner als aus dem andern ſeyn: aber
es muß aus allen gleich wahr erſcheinen.
Ferner! Man haͤtte bedenken ſollen, daß es Koͤr-
per giebt, bei denen die Farbe ein weſentliches Merk-
mal ihrer Verſchiedenheit von andern Koͤrpern aus-
macht: daß die innere Beſchaffenheit dieſer Farben,
je nachdem ſie mehr oder weniger Lichtſtrahlen auf-
fangen, auch gewiſſe Theile mehr hervorſtechend, an-
dere mehr zuruͤckweichend darſtellen. Wenn wir jetzt
an ſo mancher neueren Statue das flatternde Haar,
den wallenden Bart, mit ſo vieler Liebe beſorgt ſehen,
und um mahleriſche Wuͤrkung hervorzubringen, mit
anſcheinender Unordnung in große Gruppen gelegt
finden, die einem Netz gleich das Licht und den Schat-
ten auffangen; ſo wird das Auge mehr auf die Be-
deckung des Antlitzes, als auf das Antlitz ſelbſt ge-
zogen, und wenn auch das marmorne Haar nicht dar-
uͤber zu Kletten werden ſollte, ſo ſchadet doch das zu
beſorgte Nebenwerk dem Eindruck des Haupttheils.
N 5Aus
[202]Ueber die Kennz. des Kirchenſtils
Aus eben dieſer laͤcherlichen Anmaaßung mit
Marmor mahlen zu wollen, ſind nun auch die ſchlaf-
fen Formen entſtanden, die Bernini und ſeine Schuͤ-
ler von den fleiſchigten Weibern des Rubens fuͤr ihre
weiblichen Statuen entlehnt haben. Sie haben ge-
glaubt, wahres Fleiſch zu bilden, und haben vergeſ-
ſen, daß dieſes nicht ſchlaff, ſondern elaſtiſch iſt, und
daß die blos convexen Formen gerade den Ueberdruß
verbreiten muͤßten, den zu vermeiden ſie ſo aͤngſtlich
bemuͤht waren.
Endlich haben ſie geſehen, daß in Gemaͤhlden
von groͤßerer Compoſition Abwechſelung in den Stel-
lungen nothwendig wurde, theils der Gruppirung we-
gen, theils auch die Einfoͤrmigkeit zu unterbrechen.
Ohne dieſen wahren Zweck des Contrapoſto zu beden-
ken, haben ſie ihn nun auf die abentheuerlichſte Weiſe
in ihre einzelnen Figuren uͤbertragen. Wie oft iſt
ſeitdem uͤber die unnatuͤrliche, unerklaͤrbare Drehung
des Koͤrpers, die Idee von zweckmaͤſſiger Ordnung
verloren gegangen, ohne welche Schoͤnheit und Wahr-
heit nicht beſtehen koͤnnen!
des Beiſpiel
einer Statue
im neueren
Kirchenſtile.
So’ wuͤrden denn die Hauptunterſcheidungszei-
chen des Kirchenſtils in der Sculptur aus ihren
Grundurſachen hergeleitet, und zu gleicher Zeit be-
ſtimmt ſeyn. Er hat verſchiedene Epochen gehabt,
in denen man ſich weniger oder mehr von dem Stile
der Alten entfernt hat. Von den beſondern Stilen
der hauptſaͤchlichſten neueren Meiſter, werde ich bei
Gelegenheit noch weiter reden. Auszeichnungsweiſe
kann man aber denjenigen Stil, der aus dem Algar-
diſchen
[203]in der Bildhauerei.
diſchen und Berniniſchen zuſammengeſetzt iſt, und den
le Gros, Puget, Monnot, Raggi, Mazzuoli, Fer-
rata, Rusconi, und ſo weiter, angenommen haben,
den Kirchenſtil nennen, weil er in den Bildhauerwer-
ken, welche die Kirchen zieren, am haͤufigſten ange-
troffen wird.
Eine Figur alſo mit einer particulair individuel-
len Bildung, einer verzerrten oder unbedeutend reizen-
den Mine, einer academiſchen, nach den Regeln des
Contrapoſto angeordneten Stellung, einer raͤthſelhaf-
ten Bewegung, knoͤchernen und magern oder wachs-
aͤhnlichen glatten Formen, ohne auffallende Incor-
rektionen in der Zeichnung, eingehuͤllet in ein Gewand,
in welches ſich noch vier andere mit ihr huͤllen koͤnnten,
und mit unverkennbarer Ruͤckſicht auf mahleriſche Wuͤr-
kung gearbeitet, — iſt eine Statue im Kirchenſtile:
ein Werk das auf den erſten Blick durch Wuͤrkung
des Ganzen frappirt, aber bei der Pruͤfung des De-
tails kein anderes Vergnuͤgen nachlaͤßt, als der Be-
wunderung des kuͤnſtlich behandelten Marmors, und
einer Treue, die an die Haupttheile ſo wie an die Ne-
benſachen verſchwendet iſt.
Falconet, das ſind deine Goͤtter! 7)
Ueber
[204]Ueber die Unterſcheidungszeichen
Ueber die Unterſcheidungszeichen des
Kirchenſtils in der Mahlerei.
Kuͤnſtler, wel-
che haupt-
ſaͤchlich fuͤr
Kirchen ge-
arbeitet ha-
ben, haben
uͤber die Sor-
ge fuͤr dieje-
nigen Theile,
welche eine
große Com-
poſition zu
einem wohl-
gefaͤlligen
Ganzen ma-
chen, die Er-
forderniſſe
der Schoͤn-
heit und
Wahrheit im
Einzelnen
vergeſſen.
Das Charakteriſtiſche des Kirchenſtils in der
Mahlerei beruhet hauptſaͤchlich in dem Fehler,
daß die Nachfolger des Andrea Sacchi, und Pietro
da Cortona den angenehmen Eindruck des bloßen
Scheins, der eigentlichen mahleriſchen Wuͤrkung, auf
Koſten der Wahrheit und Schoͤnheit im Einzelnen
verfolgt haben.
Da die Flaͤchen, welche die Kuͤnſtler in den Kir-
chen zu bedecken hatten, von großem Umfange wa-
ren, ſo ſtrebten ſie vorzuͤglich nach Vollkommenheit in
den Theilen der Mahlerei, welche ein großes Ganze
dem erſten Anblick wohlgefaͤllig machen. Welches
dieſe
7)
[205]des Kirchenſtils in der Mahlerei.
dieſe Theile ſind, habe ich ſchon fruͤher geſagt, und
werde es bei Gelegenheit meiner Anmerkungen uͤber
die Kirche St. Remualdo noch weiter ausfuͤhren.
Hier will ich nur einige Kennzeichen des Kirchenſtils
im Allgemeinen vorausſchicken.
Alle Werke dieſer Art treffen darin zuſammen,
daß die poetiſche Erfindung gemeiniglich ſchlecht iſt,
dagegen die mahleriſche Anordnung deſto beſſer: daß
der Ausdruck in den Minen unbedeutend iſt, hinge-
gen in den Stellungen uͤbertrieben und anmaaßend
geziert: daß kein gemeinſchaftlicher Antheil an einer
Handlung die Figuren verbindet, ſondern blos die
Regel des Contrapoſto und der Gruppirung: daß die
Nebenfiguren den Hauptfiguren ſelten aufgeopfert
ſind: daß man beinahe alle Glieder in Verkuͤrzung
ſieht; daß die Gewaͤnder das Nackende nicht anzei-
gen: daß das Colorit nach der Palette ausgedacht
iſt: daß man das Helldunkle mit der bloßen Abwech-
ſelung von Licht und Schatten verwechſelt hat: und
endlich daß ſich durchaus keines dieſer Werke uͤber die
Harmonie einer ſeligen Mittelmaͤßigkeit in den einzel-
nen Theilen der Zeichnung des Colorits und des Hell-
dunkeln hervorhebt.
Inzwiſchen muͤſſen die Kuͤnſtler in der Epoche
von der Mitte des vorigen Jahrhunderts an, bis auf
Mengs, welches die eigentliche Lebenszeit des Kir-
chenſtils (hoffentlich) geweſen iſt, noch in drei Bran-Drei Bran-
chen des Kir-
chenſtils wer-
den beſon-
ders bezeich-
net.
chen abgetheilt werden, die ſich durch beſondere cha-
rakteriſtiſche Kennzeichen von einander abgeſondert
haben. —
Einige
[206]Ueber die Unterſcheidungszeichen
Einige ſind blos der Manier des Pietro da Cor-
tona gefolgt, und haben ſie noch verſchlimmert. Dies
ſind die eigentlichen Mahler con Brio, ſpirito e
fuoco, an deren Spitze Luca Giordano, Solime-
ne, Corrado, Tiepolo ſtehen, und deren Troß die
ganze neuere Venetianiſche, Neapolitaniſche Schule,
und ein Theil der Franzoͤſichen ſeit le Moine, in
Deutſchland aber die Augsburgiſche Academie aus-
macht. Dieſe haben ſich ſo wenig um Wahrheit und
Richtigkeit bekuͤmmert, daß ſie auch ſogar den Schein
derſelben vernachlaͤſſigt haben. Ihre Contouren ſind
auseinandergefloſſen, die Gewaͤnder in willkuͤhrliche
Falten geworfen, die Farben und die Lichter willkuͤhr-
lich geleitet. Dagegen aber herrſcht große Harmonie
im Ton der Farbe, das Helldunkle iſt aͤuſſerſt pikant,
die Figuren haben einen repraͤſentirenden Ausdruck,
die Weiber beſonders buhleriſche Reize, und das Ganze
ſcheint wie ein Hauch auf die Flaͤche gezaubert 8).
Die andern ſind dem Stile der Carracci treuer
geblieben. Sie haben ſich angelegen ſeyn laſſen,
durch keine auffallende Fehler in der Zeichnung zu be-
leidigen, bei der Wahl der Formen zuweilen die ge-
meine Natur zu Rathe zu ziehen, große Maſſen von
Falten in den Gewaͤndern anzubringen, und ihre
Gruppen gut anzuordnen. Dagegen iſt auch ihre
Behand-
[207]des Kirchenſtils in der Mahlerei.
Behandlung weniger leicht, und ihr Colorit matter,
als bei jenen. Carlo Maratti, Coſtanzi, Cignani,
der groͤßte Theil der neueren Roͤmiſchen und Bolo-
gneſiſchen Schule, unter der Franzoͤſiſchen einige aͤltere
Mahler, Mignard, Boulogne, Soubleyras u. ſ. w.
ſind dieſer Manier gefolgt.
Endlich haben einige Kuͤnſtler beide Manieren
mit einander zu verbinden geſucht, und zu dieſem
rechne ich Benedetto Lutti, Pompeo Battoni 9) und
einen großen Theil der Franzoͤſiſchen und der neueren
Deutſchen Schule.
O Imitatores, ſervum pecus!
Wie groß erſcheint unſer Landsmann Mengs,
wenn wir ihn nach dieſen Menſchen nennen!
Anmer-
[208]Anmerkungen
Anmerkungen uͤber die einzelnen
Kirchen.
Ich gehe nun zur Pruͤfung einiger Kunſtwerke in
verſchiedenen einzelnen Kirchen uͤber. Eine ſehr
detaillirte Anzeige liegt aber, wie ſchon oft geſagt iſt,
außer meinem Zweck: vorzuͤglich wo bereits Beſchrei-
bungen vorhanden ſind. Ich verweiſe meine Leſer
theils auf das, was Hr. Dr. Volkmann in ſeinen
hiſtoriſch kritiſchen Nachrichten uͤber Italien Ed. 1777
im 2ten Theile uͤber die Kirchen von Rom aufgezeich-
net hat, theils auf folgendes Buch: Descrizione
delle Pitture, Sculture e Architetture eſpoſte
al Pubblico in Roma, da Filippo Titi. Ich
habe eine neuere Edition mit Zuſaͤtzen, vom Jahre
1763, vor mir. Beide Schriftſteller will ich zum
Grunde legen, und die Nachrichten des erſten bei
Wegelang zu berichtigen ſuchen.
Mit der St. Peterskirche mache ich den Anfang,
da ſie die Neugierde des Liebhabers zuerſt zu reizen
pflegt.
Nachher will ich der alphabetiſchen Ordnung
folgen, weil es mir nun nicht mehr darauf ankoͤmmt,
den Liebhaber ſtuſenweiſe von gewiſſen Ideen zu an-
dern fortzufuͤhren.
Die
[209]uͤber die einzelnen Kirchen.
Die St. Peterskirche.1)
Dies merkwuͤrdigſte unter allen neueren Gebaͤuden
in Ruͤckſicht auf Baukunſt, ſcheint in Anſe-
hung der Mahlerei und Bildhauerkunſt nicht einen
ganz gleichen Anſpruch auf die Aufmerkſamkeit des
Liebhabers zu verdienen. Dieſe haben ſich, gefaͤlli-
gen Schweſtern gleich, mit ihrer Schoͤnheit hinter
die Baukunſt zuruͤckgezogen, und dieſer nur ihren
Schmuck geliehen, damit ihre eigene beſſer zu zieren.
Zwei Stuͤcke dieſes von den verſchwiſterten Kuͤn-
ſten entlehnten Schmucks dienen dem Gebaͤude beſon-
ders zur Verſchoͤnerung. Die Gemaͤhlde in Moſaik,
und die Statuen an den Grabmaͤlern oder Monu-
menten.
Ueber beide muß ich einige Bemerkungen voraus-
ſchicken.
Moſaiſche, oder beſſer Muſiviſche GemaͤhldeBemerkun-
gen uͤber die
Moſaiſche
oder beſſer
Muſiviſche
Mahlerei.
(von dem Lateiniſchen Worte opus Muſivum)
ſind, wie bekannt iſt, Mahlereien, welche durch
Zuſammenſetzung feiner Glasſtifte von verſchiedenen
Farben verfertigt werden.
Es iſt mir unbegreiflich, wie der Herr von Scheib
in ſeinem Koͤremon 2) habe ſagen koͤnnen; „daß dieſe
„Gemaͤhlde ſo vortrefflich in Moſaik glaͤnzten, als ſie
„kunſtreich auf ihrer Leinewand erſchienen; daß ſie das
„Auge der ſcharfſinnigſten Kenner entzuͤckten u. ſ. w.
Mit
Dritter Theil. O
[210]Anmerkungen
Mit aller Billigkeit beurtheilt koͤnnen Mahle-
reien dieſer Art nie fuͤr Werke der ſchoͤnen Kunſt gel-
ten, es ſind Kunſtſtuͤcke, unvergleichliche Handwer-
kerarbeiten, an denen man den Kunſtfleiß nicht ge-
nung bewundern kann, welche als architektoniſche
Verzierungen des Innern eines großen Gebaͤudes ei-
nen vorzuͤglichen Werth haben, und den zufaͤlligen fuͤr
die Nachkommen haben koͤnnen, ihnen gewiſſe Ideen
uͤber die Art, wie wir ein großes Ganze gefaͤllig an-
ordneten und beleuchteten, ſicherer zu uͤberliefern.
Aber als fuͤr ſich beſtehende, treue und ſchoͤne Nach-
bildungen der Natur, duͤrfen und koͤnnen ſie nicht
angeſehen werden.
Andere vor mir 3) haben die mechaniſche Ver-
fahrungsart bei Verfertigung moſaiſcher Gemaͤhlde
umſtaͤndlich beſchrieben, und ich will hier nur in ſo
fern einige Nachrichten daruͤber in Erinnerung brin-
gen, als ſie noͤthig ſind, mein Urtheil zu rechtfertigen.
Moſaiſche Gemaͤhlde ſind immer Copien nach
Gemaͤhlden in Oel, oder nach Cartons in Waſſer-
farben, welche eigends zu dieſer Nachbildung eben ſo
ausfuͤhrlich verfertigt worden, als ſie nachher in Mo-
ſaik gebracht werden ſollen. Denn daß man Origi-
nale nach bloßen Skizzen, oder gar nach Zeichnungen
in dieſer Art von Mahlerei verfertigen koͤnne, laͤßt
ſich bei der ſtuͤckweiſen und langſamen Behandlung,
wobei der Effekt des Ganzen nicht ſo zu uͤberſehen iſt,
kaum
[211]uͤber die einzelnen Kirchen.
kaum denken. Selten aber wird ſich der Kuͤnſtler,
der Genie genung hat, eine eigene Erfindung zu ent-
werfen, zu einer ſo tedieuſen Ausfuͤhrung, als das
Moſaik erfordert, verſtehen.
Der Kuͤnſtler alſo, der ein Original, oder einen
ausgefuͤhrten Carton in Moſaik bringen will, ſucht
ſich zuerſt eine genaue Zeichnung von ſeinem Originale
in gleicher Groͤße mit dieſem zu verſchaffen. Dann
ſtellt er das Original ſelbſt ſich zur Seite, und gerade
vor ſich hin eine ſteinerne Platte auf. Nachher wird
ein Netz von Quadraten uͤber das Original gezogen
und eben ein ſolches auch uͤber die Zeichnung und uͤber
die ſteinerne Flaͤche. Die Quadrate ſind ſaͤmmtlich
numerirt, und correſpondiren in ihren Nummern auf
allen drei Flaͤchen. In der Naͤhe hat der Arbeiter
ſein Kaͤſtchen mit den Stiften von verglaſeter Compo-
ſition, die in ſehr verſchiedenen Nuͤancen, jeder zwei
Zoll lang und ohngefaͤhr drei Linien eines Zolls ins Ge-
vierte breit, in eben ſo viel verſchiedenen Faͤchern
liegen.
Nun faͤngt der Kuͤnſtler ſeine Arbeit an: bringt
z. E. auf das Quadrat nr. 1. ſo viel Kitt, als er den
Tag mit Stiften beſetzen zu koͤnnen glaubt: denn
wuͤrde er viel mehr nehmen, ſo laͤuft er Gefahr, daß
der Kitt vertrockne, und die Stifte nicht halten. Auf
dieſen Kitt traͤgt er die Zeichnung des Quadrats nr. 1.
von ſeiner Vorzeichnung, welche der Bequemlichkeit
des Auflegens wegen in mehrere Stuͤcke getheilt zu
ſeyn pflegt. Er ſtaͤubt ſie entweder durch, oder druͤckt
ſie mit einem Griffel ein. Endlich richtet er ſich in
Anſehung der Farben nach dem Quadrate nr. 1. auf
O 2dem
[212]Anmerkungen
dem Originalgemaͤhlde, 4) indem er er eine Nuͤance
von Stiften neben der andern in den weichen Kitt
einfugt.
So wie ein Quadrat fertig iſt, geht der Arbeiter
zu dem folgenden uͤber; zuweilen arbeiten auch meh-
rere zu gleicher Zeit an verſchiedenen Quadraten; und
endlich, nachdem das Ganze geendigt iſt, wird es,
falls nicht die Stuͤcke beſtimmt ſind, an einem Pla-
fond befeſtiget zu werden, mit feinem Schmergel und
Waſſer polirt.
Wenn nun ſchon jede Copie an Harmonie des
Ganzen und zuverlaͤßiger Behandlung des Details
verliert: ſo ſieht man, wie beſonders bei dieſer Ver-
fahrungsart jene Maͤngel noch vergroͤßert und mit
neuen vermehrt werden muͤſſen.
Wie laͤßt ſich ein freier Schwung bei Umriſſen
denken, die ſo abgebrochen und ſtuͤckweiſe angelegt wer-
den! Wie Beſtimmtheit der Zeichnung bei Stiften,
die, wenn ſie auch noch ſo verſchieden an Form ſind,
in die feine Linie des im Originale dem Auge des Be-
ſchauers oft ganz entzogenen Contours nicht gleichmaͤſ-
ſig paſſen koͤnnen! Wenn alſo auch die Kuͤnſtler, die
bei dieſen Arbeiten gebraucht werden, einen Raphael
in der Zeichnung uͤbertraͤfen, (ſie ſind aber gemeini-
glich ſehr unwiſſend in der Zeichnung,) ſo wuͤrden ſie
doch nie im Stande ſeyn, ihre Staͤrke darin bei einer
ſo widerſtrebenden Verfahrungsart zu zeigen.
Aus eben dieſem Grunde muß auch die Wahrheit
des Ausdrucks verloren gehen, die auf Beſtimmtheit
der
[213]uͤber die einzelnen Kirchen.
der Zeichnung vorzuͤglich in den kleinern Theilen des
Geſichts beruhet, welche mit den ziemlich breiten
Stiften aͤußerſt unvollſtaͤndig und unzuſammenhaͤn-
gend dargeſtellt werden.
An Wahrheit des Colorits iſt ſo wenig als an
Harmonie deſſelben zu denken. Colorit iſt Farben-
miſchung, Modification einer Localfarbe von dem
hoͤchſten Grade des Lichts an, bis in den tiefſten
Schatten. Man ſpricht von 3000 Nuͤancen der
muſiviſchen Farben: Ich bin uͤberzeugt, daß Tizian
eine dieſe Anzahl weit uͤberſteigende Menge zur Faͤr-
bung eines einzigen Kopfes gebraucht hat. Jeder
Pinſelſtrich iſt fuͤr den geſchickten Coloriſten eine neue
Nuͤance: und wo der Moſaikenmahler, ſeiner Mei-
nung nach, zwei ſich genau vermaͤhlende Farben an
einander geſetzt hat, da wuͤrde der Mahler in Oel
blos durch das Vertreiben der einen in die andere,
wieder eine dritte ſchaffen. Nimmer laufen daher
die Schattirungen ſo in einander, daß man den An-
fang und das Ende nicht deutlich erkennen ſollte. Das
Aufblicken des Lichts, die Drucker im Schatten, die
kecke Andeutung der Haare und der Falten der Haut,
den Schmelz der Farben, das sfumato, kurz! alle
Kunſtgriffe der Behandlung des Pinſels, welche die
Franzoſen le faire nennen, druͤckt das Moſaik ent-
weder gar nicht oder hoͤchſt unvollkommen aus.
Wahre Harmonie iſt gleichfalls von einem ſo
ſtuͤckweiſen Auftrage der Farben nicht zu erwarten.
Nun nehme man hinzu: die Fugen die allemal
zwiſchen den Stiften bleiben, und fuͤr gute Augen,
in der Entfernung, worin ein Gemaͤhlde beurtheilt
werden muß, immer ein Steinpflaſter bilden: den
O 3falſchen
[214]Anmerkungen
falſchen Widerſchein der Glaͤtte, welcher verhindert,
die Figuren anders als aus einem Geſichtspunkte zu
erkennen; — Genung! Ein Gemaͤhlde in Moſaik
iſt die ſchoͤnſte Tapete eines großen Gebaͤudes, gemacht
die Flaͤchen der Waͤnde bequem zu fuͤllen, und den
Eindruck von Pracht und Dauerhaftigkeit, den ein
Gebaͤude geben muß, durch den Ruͤckblick auf die
Geſchicklichkeit des Kuͤnſtlers, und die Feſtigkeit und
Koſtbarkeit der Materie zu erhoͤhen.
Doch! ich will noch billiger ſeyn: Moſaiken
koͤnnen ſchaͤtzbare Ueberlieferungen ſolcher Gemaͤhlde
werden, deren Hauptvorzug in den Theilen beſteht,
die ein großes Ganze dem erſten Anblick wohlgefaͤllig
machen. Sie geben uns die gute Anordnung der
Gruppen des Vorbildes, den Gedanken der Stel-
lung einzelner Figuren, den Stil der Gewaͤnder, die
Wahl des herrſchenden Tons der Farbe und des Lichts,
die Leitung dieſes letztern ziemlich getreu wieder.
Aber an Schoͤnheit und Wahrheit des Details iſt
nicht zu denken.
Und ſo wuͤrde ſich das beſtaͤtigen, was ich an
einem andern Orte bereits geaͤußert habe: Die muſi-
viſche Mahlerei ſteht auf der Graͤnze zwiſchen dem
ſchoͤnen Kunſtwerke und der bloßen Handwerkerarbeit.
Sie hat einen gegruͤndeten Anſpruch auf unſere dank-
bare Verehrung, weil ſie die ſinnliche Erinnerung
manches Gemaͤhldes erhaͤlt, deſſen leicht zu zerſtoͤ-
render Stoff nach Verlauf von einigen Jahren, nicht
einſt den Schatten ſeiner ehemaligen Vortrefflichkeit
zeigen wird. Dadurch erhaͤlt ſie den Vorzug vor
den tapiſſeries des Gobelins, ſie erhaͤlt ihn aber
auch dadurch, daß ſie fuͤr ein feſtes, maſſives, und
in
[215]uͤber die einzelnen Kirchen.
in allen ſeinen Theilen praͤchtiges Gebaͤude, einen
mehr harmonirenden Schmuck abgiebt.
Ich komme nun zu der Bildhauerarbeit anEtwas uͤber
Denkmaͤler,
Ehrenſaͤulen
und Grab-
maͤler.
Monumenten.
Monument, Denkmal, ſcheint mir von zweier-
lei Art ſeyn zu koͤnnen. Die oͤffentliche Achtung hat
es aufgerichtet, und zwar an einem Orte, wo es das
Auge des Publicums zur Dankbarkeit und Nacheife-
rung auf ſich ziehen ſoll; dann nenne ich es Ehren-
ſaͤule, und darauf hat der große Mann im Leben wie
noch dem Tode Anrecht.
Je ſimpler eine ſolche Ehrenſaͤule iſt, um deſto
mehr ſcheint ſie den Begriff der Groͤße auszufuͤllen,
die ſich ohne Einfachheit, oder wenn man lieber will,
Einfalt, nicht denken laͤßt. Jede bezeichnende Alle-
gorie ſcheint ihm etwas zu entziehen: es waͤre denn,
daß ſie irgend eine merkwuͤrdige Handlung zu gleicher
Zeit mit dem Charakter des großen Mannes auf die
Nachwelt braͤchte, oder daß der wohlgefaͤllige Ein-
druck der Form anſehnlich dabei gewoͤnne. Sonſt
iſt der bloße Nahme ein ſattſam treuer und verſtaͤnd-
licher Ueberlieferer der großen Eigenſchaften der Ge-
ſtalt; ein Text, den die Bewunderung des Volks
von einer Generation zur andern commentirt.
Monumente, Denkmaͤler in Kirchen, auf Kirch-
hoͤfen, ſind aber von anderer Art. Ordentlicher
Weiſe errichtet dieſe nicht die Achtung des Volks,
ſondern die Anhaͤnglichkeit der Freunde, der naͤchſten
Verwandte: und es ſind Grabſtaͤtte, Grabmaͤler,
oder werden wenigſtens dafuͤr angenommen.
Dieſe Veranlaſſung, dieſe Beſtimmung, bringt
den Grabmaͤlern einen von der Ehrenſaͤule verſchie-
O 4denen
[216]Anmerkungen
denen Charakter zu Wege, auf den bei der Erfin-
dung Ruͤckſicht zu nehmen iſt.
Die Urne, das Sarcophag, abgerechnet, wel-
ches die Grabſtaͤtte unter der Erde oberhalb derſelben
uͤberhaupt bezeichnet; kann auch in der Compoſition
etwas liegen, welches zur Mitempfindung derjenigen
Stimmung der Seele einladet, in der ſich die Nach-
gelaſſenen bei Errichtung des Monuments befunden
haben. Iſt es Traurigkeit; traurende Figuren am
Grabe: Iſt es troͤſtende Hoffnung; allegoriſche An-
deutung des Schlafs des Gerechten, der Wiederauſ-
ſtehung u. ſ. w.
Ferner: das Grabmal darf ſchon mehr durch
ſich ſelbſt uͤberliefern, da es weniger auf das allge-
meine Intereſſe des lebenden und kommenden Jahr-
hunderts rechnen kann: Daher Symbol, allego-
riſche Vorſtellung der Tugenden, Eigenſchaften, Faͤ-
higkeiten, Beſchaͤfftigungen des Verſtorbenen: Ja!
auch Innſchrift. Sehr oft wird beides, die Andeu-
tung deſſen, was der Mann im Leben war, und deſſen,
was er ſeinen Freunden nach dem Tode geblieben iſt,
bequem mit einander in einer Figur verbunden; z. E.
die traurende Gerechtigkeit u. ſ. w.
Endlich tritt die Ueberlieferung des Verſtorbenen
ſelbſt hinzu. Sie iſt dasjenige, was den Nachge-
bliebenen der Erhaltung am meiſten werth bleibt:
und mit Recht! Es iſt wahr, was ich mich erinnere
einmal geleſen zu haben, daß die Geſtalt des Men-
ſchen oft den beſten Commentar zu ſeinem Charakter
mache.
So wuͤrde dann ein Grabmal ein ſehr compo-
nirtes Kunſtwerk ſeyn, bei dem ſich mehrere Kuͤnſte
und
[217]uͤber die einzelnen Kirchen.
und Kunſtarten die Hand bieten, den Eindruck: Wan-
derer ſtehe ſtill! hier liegt ein Mann begraben, der
deiner Sehnſucht werth war! hervorzubringen. In-
zwiſchen bleibt auch hier immer erſte Ruͤckſicht: iſt
das Ganze ein Werk der ſchoͤnen Kunſt? und alle
Beſtimmungen, die ich daruͤber bisher feſtzuſetzen ge-
ſucht habe, treffen auch hier zu.
Das Werk muß durch Zweckmaͤßigkeit und
Schoͤnheit der Form im Ganzen, als Gebaͤude: durch
Schoͤnheit der Form und Ausdruck der Individuali-
taͤt des Charakters im Einzelnen, als Bildhauerwerk:
da wo Handlung angebracht iſt, durch einen beſtimm-
ten, vollſtaͤndigen, abwechſelnden Ausdruck, als dra-
matiſche Darſtellung, einen wohlgefaͤlligen Eindruck
auf den ſtillſtehenden Anblick machen. Selbſt die
eigentliche mahleriſche Wuͤrkung, Abwechſelung und
Einheit im Helldunkeln, in vielfaͤrbigen Steinarten,
in der Gruppirung, koͤmmt hier in Anſchlag. Ver-
anlaſſung zum weitern Nachdenken, Reiz und Be-
friedigung der Neugierde uͤber das nicht mit dem An-
blick zu Faſſende, Spannung des Herzens und der
reproducirenden Kraft unſerer Seele zu hoͤheren un-
ſinnlichen Empfindungen und Bildern, — iſt ſo wie
anderwaͤrts, auch bei dem Grabmal hinzutretendes,
verſtaͤrkendes Vergnuͤgen: Jedoch mit dem Unter-
ſchiede, daß der Beſchauer hier mehr berechtigt iſt,
es zu erwarten.
Dieſe Regel im Allgemeinen iſt auf die Erfah-
rung gegruͤndet, daß das ſchoͤne Werk der Kunſt un-
ſere Aufmerkſamkeit immer feſſelt und anzieht, da hin-
gegen das blos dichteriſch oder philoſophiſch gut zu-
O 5ſammen-
[218]Anmerkungen
ſammengeſetzte in der Beſchreibung lieber geleſen oder
gehoͤrt, als in der Ausfuͤhrung geſehen wird.
Durch naͤhere Beſtimmungen mag ich die Wahl
unter den Mitteln zu Erreichung jenes Eindrucks dem
Kuͤnſtler nicht beſchraͤnken. Inzwiſchen will ich ei-
nige Bemerkungen aufleſen, welche hin und wieder
zur Richtung dienen koͤnnen.
Ideen uͤber
allegoriſche
Bezeichnun-
gen.
Wie weit darf der Kuͤnſtler mit ſeinen allegori-
ſchen Bezeichnungen gehen? So weit als er allen
Menſchen, die zu dem Genuß der Kuͤnſte berechtigt
ſind, verſtaͤndlich zu bleiben glauben darf: und er
darf es alsdann, wann das Zeichen von der Art iſt,
daß wir dabei mehr an die bezeichnete Sache, als
an das Zeichen ſelbſt denken. Das Zeichen kann
aber zwiefacher Art ſeyn, entweder ein bloßes Sym-
bol, ein allegoriſches Bild, oder eine allegoriſche Vor-
ſtellung.
Die einzige Art, wie wir in den bildenden Kuͤn-
ſten daruͤber verſtaͤndigt werden, daß ein vorgeſtell-
tes Objekt das Merkmal einer von ſeiner natuͤrli-
chen Bedeutung abweichenden Vorſtellung ſey, iſt
die oͤrtliche Zuſammenſtellung eines Objekts mit ei-
nem andern, das wir in der Natur mit dieſem zuſam-
men anzutreffen nicht gewohnt ſind. Indem wir dem
Grunde der Vereinigung nachſpuͤren, ſo treffen wir
auf das unſichtbare Verhaͤltniß, und dies Verhaͤlt-
niß muß die unſichtbare Vorſtellung ausfuͤllen.
Ein Hirt mit einem Lamme, iſt fuͤr den bloßen
Anblick ein Hirt mit einem Lamme. Ein Heiliger mit
einem Lamme, iſt ein Menſch voll Sanftmuth:
denn das Verhaͤltniß zwiſchen beiden iſt die Eigen-
ſchaft, worin ſie beide zuſammentreffen, und ohne
welche
[219]uͤber die einzelnen Kirchen.
welche wir die Vereinigung uns nicht erklaͤren
koͤnnen.
Wenn man alle guten, das heißt, leichtver-
ſtaͤndlichen Symbole durchgehen will, ich bin gewiß,
man wird meinen Satz beſtaͤtigt finden.
Eine Hieroglyphe iſt vom Symbol dadurch un-
terſchieden, daß ihre Verſtaͤndlichkeit blos auf Ver-
abredung beruht. Sie ſollte eigentlich ganz von dem
Gebiete einer Kunſt ausgeſchloſſen ſeyn, die blos durch
den Anblick lehrt. Aber viele derſelben ſind einmal
aufgenommen. Der Kuͤnſtler wende bei ihrem Ge-
brauche nur die Behutſamkeit an, daß er pruͤfe: ob
ſie allgemein anerkannte Attribute ſind; das heißt,
ob ſie in der Welt des Kuͤnſtlers in Gemaͤhlden, Sta-
tuen u. ſ. w. ſtets mit einem gewiſſen Objekt verbun-
den angetroffen werden? Von dieſer Art ſind die
Nachteule der Weisheit, der Spiegel der Klugheit
u. ſ. w.
Die beſten Symbole in Ruͤckſicht auf Deutlich-
keit, ſind diejenigen, welche die Natur der Attribute
haben; und unter dieſen ſcheinen wieder diejenigen
die beſten zu ſeyn, welche die unſinnliche Kraft, die
bezeichnet werden ſoll, als Werkzeug anwendet, wenn
die Menſchen ihr Daſeyn aus ihren Wuͤrkungen er-
kennen. Das Buch des Gelehrten, der Pinſel des
Mahlers, die Keule des Starken u. ſ. w. ſind von
dieſer Art 5).
Den zweiten Rang nach dieſen ſcheinen diejeni-
gen Symbole einzunehmen, welche ſich durch eine Ei-
gen-
[220]Anmerkungen
genſchaft auszeichnen, die der Eigenſchaft, die ich be-
zeichnen will, voͤllig aͤhnlich iſt. Z. E. das Lamm,
Bild der Sanftmuth, der Adler, Bild des Scharf-
ſinns, der Loͤwe, Bild der Staͤrke u. ſ. w. Die
allergewoͤhnlichſten Erfahrungen leiten auf die Aehn-
lichkeit, auf den Grund des Verhaͤltniſſes, den ich
mir ſichtbar nicht erklaͤren wuͤrde.
Aus dieſer Bemerkung ſind, wie ich glaube, jene
allegoriſchen Bilder entſtanden, welche unter menſch-
lichen Figuren die Abſtrakta gewiſſer Tugenden oder
moraliſcher Vollkommenheiten darſtellen, und blos
in dieſer Ruͤckſicht koͤnnen ſie fuͤr deutlich, mithin fuͤr
gut gehalten werden. Man hat naͤmlich bemerkt,
daß eine hervorſtechende Eigenſchaft der Seele, die
Fertigkeit nach gewiſſen Regeln uͤbereinſtimmend zu
handeln, auf die Formen des Koͤrpers einen ſolchen
dauernden Eindruck mache, daß man ſich auf gewiſſe
Weiſe berechtigt halten koͤnne, in allen Faͤllen, wo
man dieſelbe Form antrifft, auf einen aͤhnlichen
Hauptzug im Charakter zu ſchließen. Dieſe Form
hat man nach den einzelnen Erfahrungen zu einem
Architypus, zu einem Modell aller aͤhnlichen Cha-
rakterbezeichnungen verſtaͤrkt, und daraus ſind nun
unſere Sanftmuth, Glaube, Gerechtigkeit, und wie
die uͤbrigen Abſtrakta alle heißen moͤgen, entſtanden.
Das Ungluͤck iſt, daß viele dergleichen Beſchaffenhei-
ten der Seele der bloßen Form nach nicht wohl von
einander zu unterſcheiden ſind, daher denn eine große
Unbeſtimmtheit uͤber diejenige, die hier eigentlich ge-
meinet ſey, entſtehen wuͤrde. Um dieſem Uebel ab-
zuhelfen, hat man wieder ſeine Zuflucht zu unbelebten
Symbolen nehmen, auch wohl, um die Einfoͤrmig-
keit
[221]uͤber die einzelnen Kirchen.
keit zu vermeiden, die Figuren in Handlung ſetzen
muͤſſen.
Hier warne ich den Kuͤnſtler nur vor dem Fehler:
ſeiner allegoriſchen Menſchenfigur keine Form zu ge-
ben, ihr keine Handlung beizulegen, welche der ur-
ſpruͤnglichen Faͤhigkeit oder Faſſung der Seele wider-
ſpricht, welche die bezeichnete Eigenſchaft vorausſetzt.
Das Attribut wird den Fehler der Zweideutigkeit und
Unverſtaͤndlichkeit eher verſtaͤrken, als verbeſſern.
So viel uͤber allegoriſche Bilder. Wie ich uͤber
allegoriſche Vorſtellungen denke, daruͤber habe ich
mich ſchon an mehreren Orten erklaͤrt; ich will hier
weiter nichts daruͤber anfuͤhren.
Bei Grabmaͤlern kann eine beſondere Art von
allegoriſchen Bildern und Vorſtellungen angebracht
werden, welche Algarotti 6) und nach ihm Mendel-
ſohn 7) angerathen haben: naͤmlich die Darſtellung
ſpecieller Begebenheiten aus der Geſchichte, bei denen
die unſinnliche Eigenſchaft, von der man einen Be-
griff geben moͤchte, bei aͤhnlichen Veranlaſſungen be-
ſonders geſchaͤfftig geweſen iſt.
So hat die Kaiſerin von Rußland auf die Dien-
ſte, welche der Fuͤrſt Orlow dem Vaterlande durch
ſeine nuͤtzlichen Anſtalten zur Abwendung der Peſt,
ſelbſt mit der augenſcheinlichſten Gefahr des Lebens,
geleiſtet hat, eine Medaille ſchlagen laſſen, auf deren
einen Seite das Bruſtbild des Fuͤrſten, auf der an-
dern aber Curtius, der ſich in den Abgrund ſtuͤrzt, um
ſein
[222]Anmerkungen
ſein Vaterland von einer verderblichen Plage zu ret-
ten, ſehr gluͤcklich abgebildet ſind. In ein aͤhnliches
Verhaͤltniß ließe ſich ein Basrelief von dieſer Bege-
benheit mit dem Grabmale des Fuͤrſten bringen.
Andere, aber, wie ich glaube, minder gluͤcklich ge-
waͤhlte Beiſpiele fuͤhren die angezogenen Schriftſteller
an; nur darin haben ſie voͤllig Unrecht, wenn ſie
glauben, daß die Darſtellung einer ſolchen wuͤrklichen
Begebenheit auch im Gemaͤhlde allgemein verſtaͤnd-
liche Allegorie ſeyn koͤnne. Ein Gemaͤhlde iſt ein fuͤr
ſich beſtehendes Ganze, wobei das oͤrtliche Verhaͤlt-
niß wenig oder gar nicht in Anſchlag koͤmmt: Kein
unbefangener Beſchauer wird darauf fallen, daß der
gemahlte Curtius etwas anders bedeuten ſolle als
die Geſchichte ſelbſt: und als gemahlte Erklaͤrung
des gemahlten! — dafuͤr eben ſo gut den Zettel aus
dem Munde. Muͤnzen hingegen, Grabmaͤler,
Kunſtwerke, wo viele Kuͤnſte und Kunſtarten zuſam-
mentreten, um ein Ganzes zu bilden, das nebenbei
abſichtlich uͤberliefern ſoll; da giebt das oͤrtliche Ver-
haͤltniß des einen Theils zu den uͤbrigen die Bezie-
hung, die ich auffinden moͤchte.
gur des Ver-
ſtorbenen
handelnd
oder ruhend
gebildet wer-
den? Die
Frage wird
nicht ent-
ſchieden, ſon-
dern nur als
Soll die Figur des Verſtorbenen handelnd oder
ruhend gebildet werden?
Ich will die Gruͤnde fuͤr und gegen hier nicht
eroͤrtern. Nur die einzige Bemerkung: Die Alten,
bei denen die liegende Figur, außer in Flußgoͤttern, un-
gewoͤhnlich war: legten gemeiniglich die Abbildungen
der Verſtorbenen auf den Deckel ihrer Sarcophagen
nieder. War es blos die beſſere Form des Sarco-
phags, oder war es die Nebenidee von Ruhe im Tode,
die ihnen dieſes anrieth?
Ich
[223]uͤber die einzelnen Kirchen.
Ich entſcheide nichts! Allein darum bitte ich denWarnung
aufgewor-
fen.
Kuͤnſtler: keine Handlung, die dem Eindruck von
Schoͤnheit ſchade, keine, die eine Thaͤtigkeit anzeige,
deren Grund nicht vollſtaͤndig aus dem Bilde ſelbſt
zu erkennen ſey! 8)
Ich gehe nun zu den Kunſtwerken ſelbſt uͤber.Bemerkun-
gen uͤber die
Kunſtwerke
im Einzel-
nen.
In der Halle vor der Kirche.
Die Ritterſtatuen Conſtantins, und Carls
des Großen, die erſte von Bernini, die zweite
von
[224]Anmerkungen
von Cornaccini: beide mittelmaͤßig. Die Statue
des Bernini gleicht einem Theatergott, der auf einer
Maſchine durch die Luͤfte fahren will, und ſich fuͤrch-
tet, daß das Seil zerreiſſe.
Inwendig in der Kirche.
Nicht weit vom Eingange, vier Kinder
von weißem Marmor, welche Gefaͤße von
gelben Marmor halten, worin Weihwaſſer
aufbehalten wird. Die Kinder ſind ſo aufgebla-
ſen ſchwuͤlſtig, daß man ſie fuͤr waſſerſuͤchtig halten
ſollte. Die Gefaͤße haben die Form von Muſcheln.
Der Geſchmack, der darin herrſcht, ſcheint mir zu
willkuͤhrlich.
In den Niſchen der Pilaſter des Schiffs
und des Kreuzganges: Statuen der Stifter
verſchiedener geiſtlichen Orden, von weißem
Marmor. Die mehreſten ſind unter aller Kritik.
St. Domenico von le Gros, und St. Bruno
von Slodz, verdienen vielleicht allein eine Ausnah-
me von dieſem Urtheil. Der erſte hat einen guten
Kopf, ob gleich nicht von edlem Charakter. Die
Stellung iſt immer noch zu gezwungen, weil der
Kuͤnſtler die Regel des Contrapoſto ohne Ueberlegung
angewandt hat; das gewaltſame Vor- und Zuruͤck-
ſtrecken der Glieder ohne ſichtbare Veranlaſſung zur
Bewegung, wird, vorzuͤglich bei einzelnen Figuren,
immer eine Thorheit bleiben. Das Nackende ſcheint
richtig, aber hart und eckig gezeichnet zu ſeyn. Man
vermißt in dem Spiele der Muskeln das Fließende,
die feinen und zarten Uebergaͤnge, die man ſelbſt in
den coloſſaliſchen Figuren der Alten bewundert. Der
Falten-
[225]uͤber die einzelnen Kirchen.
Faltenſchlag iſt ſchlecht, und der Bildhauerei nicht
angemeſſen.
St. Bruno iſt in der Handlung vorgeſtellt,
wie er die Biſchoffsmuͤtze ausſchlaͤgt, die ein Engel
ihm darbietet, und ſich an dem Roſenkranze und dem
Todtenkopfe genuͤgen laͤßt. Der Ausdruck iſt gut,
weil er beſtimmt, deutlich und vollſtaͤndig iſt; aber
der Stellung merkt man doch wieder die unſelige Ma-
nier des Contrapoſto an. Die Gewaͤnder ſind ſo ſchwer-
faͤllig, daß man ſie eher fuͤr ſteinernes Symbol von
Gewaͤndern, als fuͤr wuͤrkliche Darſtellung derſelben
halten ſollte.
In den Niſchen unter der großen Kuppel,
vier Statuen, unter denen allein bemerkt zu wer-
den verdient:
† Der heilige Andreas von Fiammingo.Der heilige
Andreas von
Fiammingo.
Man hatte mir immer dieſe Figur unter den beruͤhm-
teſten der neueren Zeit genannt. Es kann ſeyn, daß
mein Geſchmack durch den Anblick der Antiken ver-
woͤhnt war, als ich zu dieſer Statue hinzutrat; ich
fand nichts als eine große Maſſe von Stein, die ei-
nem Menſchen ſehr aͤhnlich ſahe, und der der Bild-
ner gern recht viel Leben und Thaͤtigkeit haͤtte geben
moͤgen. Es kam mir vor, ſage ich, als wenn
Fiammingo, um dem prophezeienden Vorwurf des
Bernini zu entgehen, daß er nur ein großes Kind
bilden wuͤrde, den Einfall jenes alten Kuͤnſtlers habe
realiſiren wollen, der ſich erbot, dem Berge Athos
die Geſtalt Alexanders des Großen zu geben.
Die Wahl der Formen paßt ſich zu dem Begriff
eines gemeinen Fiſchers; Schoͤnheit der Formen,
Dritter Theil. PIndi-
[226]Anmerkungen
Individualitaͤt eines allgemeinen Charakters ſucht
man vergebens. Die Stellung iſt academiſch, der
Ausdruck affektirt. Die Gewaͤnder bilden Falten
von großen Maſſen, in denen das Licht vortrefflich
aufgefangen, und bequem vom Schatten abgetheilet
wird: aber ſie verhuͤllen das Nackende anſtatt es zu
bedecken. Die Zeichnung, die Verhaͤltniſſe ſind im
Ganzen richtig, inzwiſchen wirft man dem linken
Beine vor, daß es nicht recht mit der Huͤfte zuſam-
menhaͤnge. Und wie ſehr fehlen die feinen Ueber-
gaͤnge einer Muskel in die andere, welche die coloſ-
ſaliſchen Statuen der Alten auszeichnen!
Die Moſaiken an der Kuppel ſind ſchlecht
gezeichnet, und viel zu ſein fuͤr die Entfernung und
die Groͤße des Orts.
In der erſten Capelle zur Rechten.
M. Angelo
Buonarotti.
† Eine beruͤhmte Pieta, oder Madonna
bei dem todten Chriſt, Gruppe aus Marmor
von M. Angelo Buonarotti. Hr. Dr. Volk-
mann ruͤhmt den Ausdruck von Traurigkeit in der
heil. Jungfrau: aber mir ſcheint er verfehlt, und
mehr muͤrriſche Unzufriedenheit als Schwermuth
auszudruͤcken. Die Figur Chriſti iſt zu mager, zu
knoͤchern, und die Gelenke ſind wie zerſchlagen. Die
Madonna iſt zu jung gegen ihren Sohn. Taille
und Huͤften ſind zu lang, die Extremitaͤten zu klein.
Man wirft dem einen Arm vor, daß er ausgeſetzt
ſey. Ihr Gewand beutelt ſich ſtatt Falten zu ſchla-
gen: eine Wuͤrkung die man von einem naſſen Ge-
wande, das an der Haut klebt, vermuthen kann.
Dieſe
[227]uͤber die einzelnen Kirchen.
Dieſe Fehler abgerechnet, iſt die Zeichnung richtig,
und die Behandlung weich.
In einer kleinen Capelle darneben.
Ein antiker Sarcophag, in dem ehemals die
Gebeine des Probus Anicius geruhet haben, mit ei-
nigen Basreliefs. Er diente lange in dieſer Kirche
zum Taufſtein.
Auf dem Wege aus dieſer Capelle in die
zweite.
Das Grabmal der Koͤnigin Chriſtina
von Schweden. 9) Das Sarcophag iſt ſehr klein,
und das Medaillon mit ihrem Bildniſſe, von Giar-
dini in Metall gegoſſen, ſehr groß. Der Rumpf
dieſes Kopfes koͤnnte in dem Sarcophag nicht liegen.
Dies macht einen Uebelſtand. Der Todtenkopf mit
einer Krone von gefluͤgelten Seraphims iſt eine laͤcher-
liche Idee. Die Kinder aus Marmor ſind von
Ottoni, das Basrelief iſt von Theodon.
In der zweiten Capelle.
Eine Copie des heiligen Sebaſtians nach
Domenichino, von Chriſtofari10)in Moſaik
gebracht.
P 2Zwiſchen
[228]Anmerkungen
Zwiſchen dieſer Capelle und der dritten.
Grabmal des Pabſtes InnocentiusXII.
Der Pabſt iſt ſitzend vorgeſtellt. Die Gerechtigkeit
und die chriſtliche Liebe ſtehen zur Seite. Das Werk
iſt von Filippo della Valle, und mittelmaͤßig.
Grabmal der Graͤfin Mathildis. Ihre
Figur ſteht in einer Niſche. Unter ihr ein Sarcophag
mit einem Basrelief, und dabei zwei Engel, welche
ein Schild mit der Innſchrift halten. Bernini hat
das Ganze angegeben, die Statue der Graͤfin aber
ſelbſt verfertigt. Der Kopf iſt reizend, die Figur
aber zu kurz: die Gewaͤnder haben keine Wahrheit.
Die Engel ſind ſchlecht componirt. Der eine beißt
ſich in den Finger, der andere ſtuͤtzt ſich auf den
Elnbogen.
Das Basrelief ſtellt den Kaiſer Heinrich den IV.
vor, der zu Canoſſa vor dem Pabſte Gregorius
dem VII. auf den Knien liegt. Es iſt von guter
Anordnung, aber ſchlecht ausgefuͤhrt.
Die uͤbrige Arbeit, ſelbſt an den Zierrathen iſt
ſehr beſorgt, und das Ganze bildet eine ſchoͤne
Gruppe.
In der dritten Capelle.
Die heilige Dreieinigkeit von Pietro da
Cortona. Der Ausdruck in der Figur Gottes des
Vaters iſt uͤbertrieben. Die Faͤrbung aber kraͤftig.
Außerhalb.
Grabmal GregorsXIII. von Camillo Ruſ-
coni. Der Sarg iſt gegen die Statue des Pabſtes
zu klein. Zu den Seiten, die Statuen der Religion
und
[229]uͤber die einzelnen Kirchen.
und der Staͤrke; die eine haͤlt die Werke des Pabſtes,
die andere hebt das Tuch auf, womit der Sarg be-
deckt iſt. Die Stellungen ſind uͤbertrieben. Das
Fleiſch ſcheint von Wachs zu ſeyn, und das Gewand
iſt zu ſchwerfaͤllig, zu eckigt in den Falten. Die
Figur des Pabſtes iſt die beſte unter den dreien. Das
Vasrelief an dem Sarcophag ſtellt die von Grego-
rius dem XIII. veranſtaltete Verbeſſerung des Kalen-
ders vor.
Vierte Capelle.
† Die Communion des heil. Hieronymus,
nach Domenichino von Chriſtofari in Moſaik
gebracht. Es iſt eines der beſten in der Kirche, und
wird immer dazu hinreichend ſeyn, die muſterhafte
Anordnung in dieſem Gemaͤhlde auf die Nachwelt zu
bringen.
Auf dem Altare linker Hand an dem großen
Kuppelpfeiler.
Der heilige Baſilius der vor dem Kaiſer
Valens, der in Ohnmacht faͤllt, Meſſe lieſt,
nach Subleyras in Moſaik gebracht. Es ge-
hoͤrt zu den guten muſiviſchen Arbeiten.
Dieſem Altare gegen uͤber iſt jetzt das
Grabmal Benedikt desXIV. von den Cardinaͤlen
die er ernannt hatte, errichtet worden. Es iſt von
Guaſpro Sibilla, einem Roͤmer. Die Zuſammen-
ſetzung iſt nicht ſchlecht. Der Pabſt ſteht, und er
ſcheint der erſte zu ſeyn, der in dieſer Stellung, we-
nigſtens in der St. Peterskirche, vorgeſtellet iſt. Die
Figur hat etwas edles: inzwiſchen wuͤnſchte ich ſie
P 3noch
[230]Anmerkungen
noch natuͤrlicher, weniger gedreht in der Stellung.
Von den zwei Figuren zur Seite ſtellt die eine die
Uneigennuͤtzigkeit vor: ſie ſchlaͤgt das Geld aus, das
ihr angeboten wird. Die Bedeutung der andern
habe ich vergeſſen. Sie haben keinen Ausdruck,
und das Gewand traͤgt das Gepraͤge des Kirchen-
ſtils an ſich.
Auf dem Altare zur Rechten iſt der heilige
Wenceslaus nach Caroſelli, 11) ein hoͤchſt mittel-
maͤßiges Gemaͤhlde.
Auf dem Altare zur Linken, die Marter
des heiligen Eraſmus, nach Pouſſin, von
Chriſtofari in Moſaik gebracht.
Das Gewoͤlbe iſt blos mit vergoldeter
Stuccaturarbeit geziert, nicht, wie Herr Volk-
mann berichtet, zu gleicher Zeit mit Mahlereien nach
Tapeten von Raphael.
Am großen Kuppelpfeiler linker Hand,
Petrus der auf dem Meere wandelt. Moſaik
nach Lanfranco.
Ueber dem folgenden Altare zur Rechten.
Der Erzengel Michael, Moſaik nach Gui-
do Reni, nicht nach Giuſeppe d’ Arpino, wie es
Hr. Dr. Volkmann anzudeuten ſcheint. Die Arbeit
iſt von Calandra.
Gegen uͤber.
† Die heilige Petronilla nach Guercino,
das Meiſterſtuͤck des Chriſtofari und das ſchoͤnſte
muſiviſche Gemaͤhlde, das mir bekannt iſt.
Das
[231]uͤber die einzelnen Kirchen.
Das Monument des Pabſts ClemensX.
iſt in jedem Betracht mittelmaͤßig.
An dem Gewoͤlbe der hinterſten Tribuͤne ſind
keine Gemaͤhlde, wie Hr. Dr. Volkmann ſchreibt,
ſondern blos Zierrathen von Stucco.
Der Stuhl des heil. Petrus, la CatedraCatedra di
St. Pietro.
di St. Pietro, iſt in einem andern Stuhle von ver-
goldetem Bronze aufbewahrt. Dieſen halten die vier
Kirchenlehrer: Ambroſius, Auguſtinus, Athana-
ſius, und Chryſoſtomus, alle in Bronze. Sie
ſtehen auf einem Poſtamente von Marmor. Am
Fuße des Ganzen iſt ein Altar, uͤber dem Stuhle
aber iſt die paͤbſtliche Krone befindlich, und noch
hoͤher ſchwebt eine Glorie von Engeln. Dieſe wird
von den hinterſten Fenſtern, welche gelb ſind, er-
leuchtet, und der heilige Geiſt ſchwebt dazwiſchen in
Geſtalt einer Taube.
Die Erfindung dieſer Maſſe iſt ſehr ingenioͤs:
aber in der Ausfuͤhrung frappirt ſie nur das erſte Mal,
nachher verliert ſie immer mehr und mehr. Selbſt
bei dem erſten Anblick bemerkt man eine gewiſſe Un-
ordnung die misfaͤllt. Aber wenn man nun im Ein-
zelnen zu unterſuchen anfaͤngt, ſo wird man ſo un-
willig, daß ich fuͤr mein Individuum dies fuͤr die
bildende Kunſt ſo unbetraͤchtliche Werk nie habe an-
ſehen koͤnnen, ohne das Metall zu bedauern, was
daran verſchwendet iſt. Theatraliſche Stellungen,
unbedeutende oder gezierte Geſichtsbildungen, Ge-
waͤnder wie Felſen, uͤberladene Zierrathen von ſchlech-
tem Geſchmack: Alles erinnert an die Fehler des
Kirchenſtils, deſſen Hauptbefoͤrderer, Bernini, auch
Verfertiger dieſes Werkes iſt.
P 4Zur
[232]Anmerkungen
Zur Rechten von dem Stuhle Petri ab:
Pabſtes Ur-
ban VIII.
von Bernini.
Das Grabmal UrbansVIII. gleichfalls von
Bernini. Der Kopf an der Figur des Pabſtes
aus Bronze iſt ein gutes Bildniß, obgleich das Spiel
der Muskeln fließender ſeyn koͤnnte. Aber der Koͤr-
per iſt zu kurz: und der Faltenſchlag des Gewandes
unnatuͤrlich, und dem Nackenden wenig vortheilhaft.
Um ſich davon zu uͤberzeugen, darf man nur die
Partie auf dem rechten Knie betrachten.
Unter dieſer Statue ein Sarcophag an dem der
gebrochene Giebel keinen reinen Geſchmack verraͤth.
Zu beiden Seiten eine Carita und die Gerechtigkeit.
Die Carita hat ganz das Ausſehn einer niederlaͤndi-
ſchen Amme: ihr Laͤcheln wuͤrde einer Buhlerin anſte-
hen, und die ſchlaffen Formen, die ungeheuren Bruͤ-
ſte mit großen Warzen widerſprechen dieſem Charakter
nicht. Die Kinder ſind von gemeiner Natur und
waſſerſuͤchtig; ihre Stellungen ſind ſchlecht gewaͤhlt.
Die Gerechtigkeit hat noch weniger Anſpruch auf un-
ſern Beifall. Das Gewand ſchwerfaͤllig, im kleinli-
chen Stile, entzieht das Nackende dem Auge ganz.
Der Tod als Skelett, der den Nahmen des Pabſtes
in ein Buch zeichnet, iſt eine ekelhafte, und die drei
Bienen, die von dem Wappen des Pabſtes aus an
den Sarg hinaufkriechen, eine kindiſche Idee.
Was hat denn dieſes Werk fuͤr ſich, daß es
ungebildete Augen noch anzieht? Niederlaͤndiſche
Treue im Detail, den Schein mahleriſcher Wuͤrkung,
und die Behandlung des Marmors, der unter Ber-
ninis Haͤnden zu Wachs wurde. Mit dem Bronze
verſtand er nicht ſo gut umzugehen.
Gegen
[233]uͤber die einzelnen Kirchen.
Gegen uͤber, zur linken Seite der Catedra
Petri.
† Das Grabmal Pauls des Dritten vonGrabmal
Pauls III.
von M. An-
gelo Buona-
rotti, und
della Porta.
M. Angelo Buonardtti angegeben, und von
Guglielmo della Porta ausgefuͤhrt.
Es ſcheint mir das Beſte in der Kirche zu ſeyn,
weil es die meiſten Schoͤnheiten im Detail hat. Die
Maſſe des Ganzen kann hingegen nicht zum Muſter
dienen, und die Zierrathen ſind von ſchlechtem Ge-
ſchmack. Die Figur des Pabſtes in der Hoͤhe iſt
gut gedacht, und hat der Incorrektionen in der Zeich-
nung ungeachtet, (denn das Obertheil iſt zu lang und
das Untertheil zu kurz,) einen wahren und beſtimm-
ten Ausdruck. Es iſt der eines gutmuͤthigen Alten.
Die unten liegenden allegoriſchen Figuren ſtellen die
Klugheit und Gerechtigkeit vor 12). Der Kopf die-
ſer letzten Tugend ſcheint ein Portrait zu ſeyn, und
laͤßt auf einen muntern Charakter und viel Tempe-
rament ſchließen. Er iſt nicht idealiſch ſchoͤn, aber
doch wohlgefaͤllig. Die Haare ſind nicht gut gear-
beitet, und aͤhneln Schlangen. Das Ohr ſcheint
unproportionirlich klein zu ſeyn. Die Stellung iſt
fuͤr den Ort zu wolluͤſtig. Man kann das bronzene
Gewand, mit dem ſie bedecket iſt, abnehmen laſſen,
dann bemerkt man an dem Koͤrper, was auch ſchon
die Extremitaͤten anzeigen, daß die Formen zu rund
gearbeitet ſind, und das Spiel der Muskeln nicht ge-
nung andeuten. Inzwiſchen bleibt es immer eine
ſchoͤne Figur.
P 5Die
[234]Anmerkungen
Die Klugheit iſt unter der Figur eines alten Wei-
bes abgebildet; ſie aͤhnelt aber mehr einem ruͤſtigen
Greiſe, dem man Frauenskleidung angezogen hat.
Das Spiel der Muskeln iſt gut. Das Gewand
zeigt das Nackende gehoͤrig an.
Man darf von dieſen Statuen im Ganzen ſagen,
daß wenn ſie gleich keineswegs fehlerfrei ſind, ſie
dennoch ihrer ausdrucksvollen Koͤpfe, natuͤrlichen
Stellungen, vieler Schoͤnheiten im Einzelnen, und
der guten Behandlung des Marmors wegen, unter
die beſten neueren Werke gehoͤren.
Das Grabmal Alexanders desVIII. von
Roſſi iſt mittelmaͤßig. Das Basrelief, welches
eine Canoniſation vorſtellt, iſt daran das Beſte.
Linker Hand am erſten Altar des Kreuz-
ganges: Der Apoſtel Petrus der einen Lah-
men heilt, nach Mancini, einem Schuͤler des Ci-
gnani, in Moſaik.
Am Altare darauf.
relief von Al-
gardi.
† Das beruͤhmte Basrelief des Algardi.
Attila wird auf Befehl des Pabſtes Leo von
den Apoſteln Paulus und Petrus vor den
Mauern Roms weg vertrieben.
So hat unſer Kuͤnſtler die Idee Raphaels, der
den Barbaren geruͤhrt von einem heiligen Schauer
zuruͤckkehren laͤßt, abgeaͤndert, und dadurch mehr
Feuer in ſeine Compoſition gebracht. Ich will ihn
nicht ganz tadeln; vielleicht iſt der letzte Ausdruck be-
ſtimmter, und allgemein verſtaͤndlicher.
Hier haben wir ein Basrelief, ganz nach Art ei-
nes Gemaͤhldes angeordnet: Es ſind nicht blos meh-
rere Figuren, ſondern auch mehrere Gruppen auf ver-
ſchiedenen
[235]uͤber die einzelnen Kirchen.
ſchiedenen Planen nach den Regeln der Gruppirung
und des Helldunkeln hinter einander geſtellt. Dies
war die Art der Alten nicht. In ihren guten Bas-
reliefs, ſtellten ſie die Figuren entweder neben einan-
der, oder doch auf einen Plan, oder wenigſtens nicht
mehr als zwei derſelben hinter einander.
Ich glaube, die Alten hatten Recht, und wir Neu-
eren, die wir ein Basrelief als ein Gemaͤhlde betrach-
ten, wir vermengen die Graͤnzen, welche die Natur
der Sache fuͤr beide Kunſtarten feſtgeſetzt hat.
Es laͤßt ſich beſſer fuͤhlen als beſchreiben, welcherEin Basre-
lief iſt kein
Gemaͤhlde:
die Anord-
nung deſſel-
ben folgt be-
ſondern Re-
geln.
Nachtheil fuͤr Illuſion und Harmonie der Schatten
und Lichter aus der mahleriſchen Anordnung eines
Basreliefs zu befuͤrchten ſteht. Ich will nur einen
Theil deſſelben angeben, auf die Gefahr von dem bloſ-
ſen Leſer nicht ganz verſtanden zu werden. —
Wenn mehrere weiße runde Koͤrper auf einer
weißen Flaͤche von einander abſtehend erſcheinen ſol-
len, ſo kann dies nicht anders geſchehen, als wenn
der Kuͤnſtler dieſe Flaͤche aushoͤlet: Die groͤßte Er-
hobenheit fuͤr die erſte Figur, die nachfolgende fuͤr die
zweite, und ſo immer ſtufenweiſe weiter ausſpare.
Natuͤrlicher Weiſe muͤſſen aber der Plan, auf dem
dieſe Figuren ſtehen, der Himmel, unter dem ſie han-
deln, die Seitenwaͤnde, die ſie umſchlieſſen, u. ſ. w. mit
ausgehoͤlet werden. Hier iſt es nun faſt unmoͤglich,
dem Beſchauer einen Raum zu zeigen, der mit dem
Umfange der Koͤrper, die darin befindlich ſind, nur in
einem entfernten Verhaͤltniſſe ſtaͤnde. Die Figuren
ſcheinen auf einem abhaͤngenden Orte zu ſchwanken, und
wir verſehen uns zu ihnen mit jedem Augenblicke, daß
ſie herabglitſchen, und uns entgegen rollen werden. —
Es
[236]Anmerkungen
Es liegt ſchon bei dem Basrelief, das eine ein-
zige Figur erhoben zeigt, eine gewiſſe Verabredung
zum Grunde, die halbrunde Form als ganz rund an-
zunehmen. So hart an die Flaͤche gepreßt ſteht kein
runder Koͤrper, daß der ſeitwaͤrts fallende Lichtſtrahl
nicht durch die Abweichungen jenes Koͤrpers von der
Mauer an einigen Stellen durchfallen ſollte: und
allemal wird der Umfang des Schlagſchattens, die
Staͤrke des hoͤchſten Lichts, und die Degradation der
Halbſchatten uns gar leicht belehren, ob die Figur
halb oder ganz rund ſey. Inzwiſchen dieſe kleine
Unwahrſcheinlichkeit ſchenken wir zu Gunſten des Ver-
gnuͤgens, das uns die Darſtellung uͤbrigens macht.
Wenn nun aber der Kuͤnſtler mehrere Koͤrper auf
einander poͤckelt, mir reſpektive ſechsachtel, vierachtel,
zweiachtel, einachtel runde Figuren fuͤr vier Ganze
verſellen, und das Streiflicht, welches durch die Ab-
weichungen eines Koͤrpers von dem andern nothwen-
dig durchfallen muß, uͤberher in den Kauf haben
will, ſo heißt dies doch offenbar meine Gutherzigkeit
misbrauchen. —
Man pflegt oft die vorher angegebene ſtufen-
weiſe Proportion zu uͤberſchreiten, die dem Beſchauer
zunaͤchſt ſtehende Figur einer Gruppe ſtark hervorzu-
heben, die entfernteren aber ſehr flach zu halten, ſo
daß ohngefaͤhr die erſte ſich zu der folgenden wie
ſiebenachtel zu einachtel oder wenigſtens wie drei-
viertel zu einviertel verhaͤlt: Neue Unwahrſchein-
lichkeit! Warum erſcheint von zwei bis drei Fi-
guren, die ſich einander ſo nahe ſtehen, um eine Grup-
pe zu bilden, die eine meinem Auge ſo nahe, die an-
dere ſo fern? Sie ſind alle drei noch in der Diſtanz,
in
[237]uͤber die einzelnen Kirchen.
in der ich die Form voͤllig pruͤfen, das Runde als
wuͤrklich rund wuͤrde betaſten koͤnnen. —
Geht nicht ohnehin bei dieſer Verfahrungsart
alle Harmonie von Licht und Schatten verloren?
Die ſtarken und ungleichen Abſaͤtze bringen Schlag-
ſchatten von ſo verſchiedenem Umfange hervor, daß
die zum wohlgefaͤlligen Eindruck des Ganzen ſo noͤ-
thige Degradation des Hellen zum Dunkeln gaͤnzlich
zerſtoͤrt, und mein Auge durch unangenehme Spruͤn-
ge von dem ſehr hellen Lichte, und dem damit corre-
ſpondirenden ſtarken Schatten der hoch erhobenen Fi-
gur, auf das matte Licht, auf den damit wieder im
Verhaͤltniß ſtehenden matten Schatten der flach ge-
haltenen Figur gefuͤhret wird. —
Bei der Darſtellung großer Fernen hat der
Kuͤnſtler im Basrelief mit noch groͤßeren Schwierig-
keiten zu kaͤmpfen. Verkleinert, verſchmaͤlert er ſeine
Figur nach den Regeln der Linienperſpektiv in einem
betraͤchtlichen Grade, ſo wird, wenn er zu gleicher Zeit
die Regeln der Luftperſpektiv beobachten will, die ent-
fernte Figur ſo flach, ſo duftig erſcheinen muͤſſen, daß
ſie einer Erhobenheit nicht mehr faͤhig bleibt, mithin
fuͤr den Meiſſel, der ihr Daſeyn nur durch Erhoben-
heit begreiflich machen kann, verſchwindet. Beob-
achtet er die Luftperſpektiv nicht, will er die Figur
erhobener bilden als die Ferne, als das Ziel des vorn
zufallenden Lichtſtrahls es zulaͤßt; ſo wird die kleine
aber dicke Figur zum nahen Zwerge. —
Man hat Unrecht ein Basrelief mit einem Ge-
maͤhlde aus dem Grunde zu vergleichen, weil beide
auf einer Flaͤche arbeiten. Der Pinſel hat ganz an-
dere Mittel Cavitaͤten zu bilden, ſich Raum zu ver-
ſchaffen,
[238]Anmerkungen
ſchaffen, als der Meiſſel. Er ſtellt den Beſchauer an
einen dunkeln Ort, und zieht den Vorhang eines er-
leuchteten Theaters auf. Die dunkle Figur auf dem
Vorgrunde, die nicht anders, als zwiſchen jenem und
dem Orte im Hellen angenommen werden kann, loͤ-
ſet ſich gleich von dem uͤbrigen ab, tritt vor, und
ſtoͤßt die hellerere Partie zuruͤck. Dieſe wird durch
ein Licht erleuchtet, deſſen Quelle in dem Bilde ſelbſt
liegt. Der Mahler kann es daher leiten wie er will:
er kann es hinter die Figuren her fallen, und dieſe
dadurch rund erſcheinen laſſen: er kann, wenn er ein
neues Repouſſoir fuͤr noͤthig haͤlt, nur einen Streif-
ſchatten in der Mitte des Bildes anbringen, der wie-
der den helleren, aber nach den Regeln der Luftper-
ſpektiv abgeſchwaͤchten Hintergrund zuruͤckſchiebt.
Er braucht nicht zu fuͤrchten, daß das Licht, das er
hinten wieder zuſtroͤmen laͤßt, dem vorderen Schaden
thue: Er hat den Grad der Staͤrke der Farben in ſei-
ner Gewalt, er laͤßt ſie ſo erſcheinen, wie die Maaße
der zwiſchentretenden Luft ſie in der Ferne modificirt,
mithin unterſcheidet mein Auge durch den bloßen An-
blick der Farbe das Licht auf zehn Schritt von dem
Lichte auf hundert. Endlich darf man nicht vergeſ-
ſen, daß in einer ſehr großen Entfernung, wo die Im-
preſſion, welche das Licht auf Erhoͤhung und Vertie-
fung der Formen macht, den Koͤrper von der Flaͤche
nicht mehr abheben wuͤrde, wo dieſer ſo zu ſagen mit
der Luſt zuſammen fließt, die Wahrnehmung der
bloßen Farbe dieſen als Form von der Flaͤche abhebt.
Dieſe Gruͤnde, der Mangel an Wahrheit, und
eigentlich mahleriſcher Wuͤrkung, hingegen der hoͤhere
Anſpruch, den die runde oder halbrunde Bildnerei
auf
[239]uͤber die einzelnen Kirchen.
auf Darſtellung ſchoͤner Formen im Einzelnen hat,
beſtimmen meinen Geſchmack fuͤr ſolche Basreliefs,
die eine Reihe ſchoͤner Geſtalten in abwechſelnden Stel-
lungen neben, nicht hinter einander, vorſtellen. IchDie zweck-
maͤßigſten
Suͤjets fuͤr
ein Basrelief
ſind diejeni-
gen, welche
reihenweiſe
Aufſtellung
der Figuren
neben einan-
der in ab-
wechſelnden
Stellungen
motiviren.
finde dazu ſolche Suͤjets am geſchickteſten, die ich mir
als Proceſſionen, Taͤnze u. ſ. w. an einer Wand her-
gehend denken kann: und dieſe finde ich von den Alten
am haͤufigſten vorgeſtellt.
Vielleicht tritt auch dieſer Grund hinzu: das
Basrelief iſt ſeiner urſpruͤnglichen Beſtimmung nach
nicht dazu auserſehen geweſen, als fuͤr ſich beſtehendes
Kunſtwerk zu gefallen. Es iſt eigentlich architekto-
niſcher Zierrath: Frieſe, in der die menſchliche Figur
ſtatt Laubwerks dient. Leichtigkeit, die mit der An-
haͤufung mehrerer Figuren in Gruppen ſchwerlich be-
ſteht, muß deſſen Hauptcharakter ausmachen.
Das Basrelief, die halberhobene Arbeit wuͤrde
ſich demnach von der runden Bildnerei dadurch bei
mir unterſcheiden, daß ſie die einzelne Geſtalt neben
der einzelnen Geſtalt in ſolchen Handlungen vorſtellt,
die abwechſelnde Stellungen, ſich reizend ſchlaͤngelnde
Formen motiviren und in der Natur mit der Abſicht
vorgenommen werden, vor dem Beſchauer aufzuzie-
hen. Bacchusfeſte, Taͤnze, triumphaliſcher Ein-
zug, Begraͤbniſſe, Hochzeiten u. ſ. w. ſcheinen mir
hierzu beſonders geſchickt. Auch glaube ich, daß
das Basrelief dazu beſtimmt ſey, mir Perſonen aus
der Geſchichte oder Fabel aufzuzaͤhlen, die ich mir in
numerirter Vereinigung neben einander denke, z. E.
die neun Muſen, eine Goͤtterverſammlung u. ſ. w.
Denn Ausdruck einer dramatiſchen Situation vermag
das Basrelief, ſo wie das runde Bild, aus ander-
waͤrts
[240]Anmerkungen
waͤrts angegebenen Urſachen, nur ſelten vollſtaͤndig
zu liefern.
So ſtaͤnde alſo das Basrelief zwiſchen der Sta-
tue und dem Gemaͤhlde in der Mitte, ſowohl was
Erfindung, als Anordnung betrifft.
Auf mahleriſche Wuͤrkung aber, glaube ich,
muß das Basrelief ganz Verzicht leiſten. Unter an-
dern auch darum: Jene Wuͤrkung beſteht nicht ohne
ſtarke Abwechſelung von Licht und Schatten, mithin im
Basrelief nicht ohne ſtarke Erhoͤhung und Vertiefung.
Ich habe aber gefunden, daß diejenigen Basreliefs
Diejenigen
Basreliefs
ſind die
ſchoͤnſten, auf
denen die
Umriſſe der
Figuren
ſanft in den
Grund lau-
fen.
Fortgeſetzte
Beurthei-
lung unſers
Basreliefs.den wohlgefaͤlligſten Eindruck auf mich gemacht haben,
die wie ein ſanfter Hauch auf die Flaͤche geblaſen wa-
ren, und vorzuͤglich am Rande des Umriſſes ſanft
und ohne Kante in den Grund liefen. Selten wird
dies erreichbar ſeyn, wo die Figuren gar zu hoch her-
ausgearbeitet ſind.
Kann man ſich daruͤber hinausſetzen, daß das
Werk des Algardi Basrelief iſt, ſo wird es als Ge-
maͤhlde großen Anſpruch auf eine ſchoͤne Erfindung
und Anordnung haben.
Die Figuren ſtehen jede am rechten Orte, die
mahleriſche Gruppirung, die Linien und Luftperſpektiv
ſind gut angedeutet.
Der Ausdruck des Zorns in den Apoſteln ſcheint
mir uͤbertrieben: Man kann ihnen mit Recht zurufen:
Tantaene animis coeleſtibus irae!
Die Wahl der Formen iſt nicht die edelſte,
und in den Koͤpfen herrſcht zu viel Einfoͤrmigkeit.
Die Zeichnung ſcheint ziemlich correkt zu ſeyn: Die
Gewaͤnder der Apoſtel ſind in Ruͤckſicht auf mahleri-
ſche Wuͤrkung gut, in Ruͤckſicht auf Wahrheit und
Schoͤn-
[241]uͤber die einzelnen Kirchen.
Schoͤnheit der Form zu willkuͤhrlich und ſchwerfaͤllig.
An der Behandlung des Marmors iſt die Kunſt, mit
der die vorderſten Figuren von dem Grunde abgeloͤſet
ſind, zu bewundern.
Ich habe von Mengs [geſagt], daß ein vortreff-Charakter
des Algardi.
licher Bildhauer an ihm verloren gegangen ſey, ich
moͤchte vom Algardi ſagen, es ſey Schade, daß er
kein Mahler geworden. Er war der Annibale Car-
raccio unter den Bildhauern: Ein großer Freund der
Beſtimmtheit und der Treue, und ein noch groͤßerer
von mahleriſcher Wuͤrkung. Idee von Schoͤnheit
war ihm fremd: daher waͤhlte er nicht immer edle Ge-
ſtalten und opferte das Gewand dem Nackenden nicht
genung auf. Er legte jenes in willkuͤhrliche Falten,
die zwar das Licht gut auffangen, denen man aber
das Willkuͤhrliche, das Studirte zu ſehr anmerkt.
Den Ausdruck der Minen uͤbertrieb er, ordnete die
Stellungen nach der Regel des Contrapoſto, und
dachte ſich uͤberhaupt das Werk aus rundem Stein
als ein flaches Gemaͤhlde. Seine Verhaͤltniſſe ſind
richtig, aber nicht von ſwelten Figuren genommen.
Ich erinnere mich nicht ſehr ſchoͤne weibliche Figuren
von ihm geſehen zu haben: aber deſto mehr Kinder
von treuer aber gewoͤhnlicher Natur, Crucifixe und
alte Koͤpfe. Seine Behandlung war fertig, aber
nicht ſo weich und beſorgt als die des Michael Angelo,
Fiamingo und Bernini. Er lebte von 1598—1654.
Er iſt der Held des neueren Kirchenſtils: die Mei-
ſter, die ſich darin ausgezeichnet haben, haben vom
Bernini nur den Zuſatz einer weichern Behandlung
entlehnt.
Dritter Theil. QGrab-
[242]Anmerkungen
Grabmal Alexanders desVII.uͤber der
kleinen Kirchthuͤre von S. Martha angegeben
von Bernini, der ſelbſt die Figur der Wahrheit ver-
fertigt hat. Ich mag nicht daruͤber ſprechen. Es
iſt die Staffel des ſchlechten Geſchmacks, ohne Wahr-
heit, ohne Richtigkeit, ohne Adel.
Gegen uͤber am Altare.
Fall Simon des Zauberers von Vami,
Schuͤler des Baroccio. Man erkennt die Schule in
einigen Geſichtsbildungen, die jedoch nicht ſo geziert
ſind, als die ſeines Meiſters, und in der Faͤrbung,
die lieblich iſt. Die Anordnung verdient Lob.
Auf den folgenden Altaͤren bemerke ich noch:
St. Thomas und den Chriſt von Paſſignani.
Den heil. Petrus, der einen Beſeſſenen
heilt, von Romanelli.
Statt des Gemaͤhldes der Kreuzigung Petri,
welches Hr. Dr. Volkmann hier anfuͤhrt, hat man
jetzt eine Copie von der Transfiguration Ra-
phaels in Moſaik, aufgeſtellt. Sie iſt, wie vor-
auszuſehen war, ſehr ſchlecht gerathen. Solche Bil-
der, deren Schoͤnheit hauptſaͤchlich auf Beſtimmtheit
der Zeichnung und des Ausdrucks beruhet, bildet
das Moſaik nicht nach. Beſſer:
Den heil. Gregorius, der ein blutiges
Kelchtuch zeigt, von A. Sacchi. Ich halte mich
bei der Beurtheilung dieſes Moſaiks nicht auf, da ich
ſchon Gelegenheit gefunden habe, von dem Originale
ſelbſt zu reden. 13)
An
[243]uͤber die einzelnen Kirchen.
An einem andern Altare:
Der Tod der Sapphira von Roncalli,
Moſaik.
Das Grabmal Leo desXI. von Algardi ge-
hoͤrt gewiß nicht zu den beſten Arbeiten dieſes Meiſters.
Die Figur des Pabſtes iſt zu kurz und ſchwerfaͤllig:
das Sarcophag zu klein.
Die beiden Tugenden haben ganz artige Koͤpfe
und gute Gewaͤnder.
Das Basrelief, welches Heinrich des IV. Ab-
ſchwoͤrung der reformirten Religion und Wiederver-
einigung mit der katholiſchen vorſtellt, verdient außer
dem Vorwurf einer doppelten Handlung, auch den
mehrerer Incorrektionen.
Das Grabmal InnocentiusXI. iſt hoͤchſt
mittelmaͤßig.
Das Altargemaͤhlde der Empfaͤngniß Ma-
riaͤ nebſt dem heil. Franciſcus und Antonius
von Padua iſt nicht, wie Hr Volkmann ſchreibt,
von, ſondern nach Bianchi in Moſaik gebracht.
Das Grabmal Innocentius desVIII. ganz
in Bronze von Antonio Pallajolo.
Darſtellung Mariaͤ im Tempel nach Ro-
manelli in Moſaik.
Das Grabmal der Maria Clementina So-
biesky iſt von guter Erfindung. Es macht ein mah-
leriſches Ganze aus, und dieſer Vorzug iſt hier nicht
am unrechten Orte.
In der letzten Capelle die Taufe Chriſti
nach Carlo Maratti. Moſaik.
Q 2Das
[244]Anmerkungen
Das Taufgefaͤß von Porphyr, das ehemals
zum Deckel des Grabes Otto des II. gedient hat. 14)
Die neue Sacriſtei der St. Peters-
kirche.
An Kunſtwerken findet man hier
Die Statue des Pabſtes Pius desVI. von
Agoſtino Penna einem Roͤmer. Sie war waͤhrend
meines Aufenthalts in Rom noch in der Arbeit.
Auf dem Altare der Sacriſtei war zu mei-
ner Zeit ein ſchoͤnes Moſaik nach Guido Reni,
die Kreuzigung des heil. Petrus, befindlich.
Der Ort war aber ſo ſchlecht erleuchtet, daß man we-
nig davon erkennen konnte. Man vermuthete, es
wuͤrde weggenommen werden, um ein Basrelief an
deſſen Stelle zu ſetzen.
In der Capelle der Canoniker haͤngt auf dem
Altare ein Bild, welches die heil. Jungfrau,
St. Anna und die Apoſtel Petrus und Paulus
vorſtellt. Viele halten es fuͤr ein Werk des Fatto-
rino, andere des Carravaggio. Ich glaube, daß
es aus der Schule des A. del Sarto ſey.
Gegen uͤber eine Madonna mit dem Kinde,
die man fuͤr eine Arbeit des Giulio Romano ausgiebt.
Wahrſcheinlicher gehoͤrt ſie einem andern Schuͤler Ra-
phaels.
Ueber
[245]uͤber die einzelnen Kirchen.
Ueber den Thuͤren ein Paar Gemaͤhlde von
einem neueren Meiſter, Cavallucci da Sermoneta.
Sie ſind ſehr ſchlecht.
In dem Zimmer, worin ſich das Capitel
verſammelt.
Eine aͤußerſt ſchlechte Statue des heil. Pe-
trus aus weißem Marmor.
Eine Grablegung von Lorenzo Sabbatini.
Wie man behauptet, nach einer Zeichnung des M.
A. Buonarotti.
Mehrere mittelmaͤßige Gemaͤhlde von
Ghezzi.
† Sieben ziemlich wohl erhaltene Ge-
maͤhlde von Giotto: Der Heiland mit Engeln, der
h. Petrus mit einem Cardinale, die Enthauptung
des h. Paulus, die Kreuzigung des h. Petrus, meh-
rere Apoſtel und Heilige. Sie ſind auf Goldgrund
gemahlt, und ganz im Stile der Moſaiken aus der
mittleren Zeit, in dem man eine uͤberlieferte, aber
freilich ſehr alterirte Idee von dem Stile der Alten
antrifft.
In der Capelle bei der Sacriſtei der Bene-
ficiaten.
Der heil. Petrus, der die Schluͤſſel em-
pfaͤngt, von Muziano, ſehr retouchirt.
Zwei ſchlechte Gemaͤhlde von Cavallucci.
In der Garderobe des Capitels.
Ein ſehr verdorbenes Bild von Domeni-
chino, den h. Joh. Chryſoſtomus vorſtellend.
Zwei kleinere von Muziano, gleichfalls ſehr
verdorben.
Q 3Die
[246]Anmerkungen
Die h. Veronica von Ugo da Carpi, ohne
Pinſel gemahlt.
In der Gallerie die zur Kirche fuͤhret.
Die Buͤſten des Cardinals Barberini,
BenediktsVIII.und PaulsIV.
In einer Rotunde dicht vor dem Eingange
in die Peterskirche.
Der heilige Andreas, eine Statue, die
1570 vom Cardinal Piccolomini verfertigt
worden. Der Himmel bewahre, daß ſich die Car-
dinaͤle nicht viel mit Verfertigung von Statuen ab-
geben! Dieſes Probeſtuͤckchen iſt graͤßlich gera-
then. 15)
KircheS. Adriano in Campo
Vaccino.1)
Der heil. Nolaſcus von Engeln getragen, am
Altare bei der Sacriſtei, wird von einigen dem
Carlo Veneziano, von andern dem Savonanzio Bo-
logneſe, und wieder von andern, dem Guercino zuge-
ſchrieben. Die Behauptung der Letztern ſcheint kei-
nen
[247]uͤber die einzelnen Kirchen.
nen andern Grund fuͤr ſich zu haben, als daß die
Schatten ſehr ſchwarz ſind: Denn uͤbrigens hat es
nichts von dem Stile des Guercino. Die Gruppe
iſt gut componirt.
KircheSanta Agneſe e Sta. Coſtanza,
beide vor derPorta Pia.2)
In der erſten.
Eine Statue der heil. Agneſe. Gewand von
orientaliſchem Alabaſter, Extremitaͤten von Bronze.
Der Meiſter iſt Cordieri.
In der andern.
Alte Moſaiken, von ſchlechter Erfindung, und
eben ſo ſchlechter Ausfuͤhrung. Sie ſtellen Wein-
ranken, Faunen, Knaben, Wagen mit Ochſen be-
ſpannt, und mit Oliven ꝛc. beladen, vor.
Ein ſchoͤner antiker Leuchter.
Eine große Begraͤbnißurne von Porphyr,
mit Kindern, welche Bullen am Halſe tragen, Blu-
menranken u. ſ. w. in Basrelief. Die Arbeit iſt
ſchlecht, allein man ſieht, daß ſie eine Copie nach ei-
ner viel beſſeren iſt.
Ich vermuthe, daß beide Stuͤcke jetzt ins Muſeum
Clementinum gekommen ſeyn werden. Wenigſtens
hatte man dazumal, als ich in Rom war, die Abſicht,
ſie dahin zu bringen.
Q 4Kirche
[248]Anmerkungen
KircheS. Agneſe in Piazza Navona3).
Sie iſt voll von Basreliefs und Statuen, die
aber alle mittelmaͤßig ſind.
Das Basrelief der heil. Agnes iſt von Al-
gardi. Es ſtellt die Geſchichte dieſer Heiligen vor,
wie ihre Unſchuld vor den Begierden der unzuͤchtigen
Soldaten, denen ſie Preis gegeben war, gerettet iſt.
Der Himmel ließ naͤmlich durch ein Wunder ſeiner
Allmacht ihr Haupthaar zu einer ſolchen Laͤnge an-
wachſen, daß ihr ganzer Leib unabloͤslich damit bede-
cket wurde. Die Wahl des Suͤjets iſt nicht vortheil-
haft, und die Ausfuͤhrung mittelmaͤßig.
KircheS. Agoſtino4).
Raphael.
Das Wichtigſte in dieſer Kirche iſt † der Eſaias
von Raphael, der an dem dritten Pfeiler linker
Hand haͤngt. Man kann das Bild nicht recht mehr
beurtheilen, da es aͤuſſerſt gelitten hat.
Der Kopf ſcheinet von großem Charakter, und
im Stile der Antiken gedacht zu ſeyn. Der Stel-
lung und den Gewaͤndern merkt man Raphaels Be-
kanntſchaft mit dem Fra Bartolomeo da S. Marco
an. Dieſe ſind in große Falten geſchlagen, welche
das Nackende gut bezeichnen. Das Knie iſt bei den
aͤltern Kuͤnſtlern ſehr beruͤhmt geweſen, es hat aber
am meiſten gelitten 5).
Drei
[249]uͤber die einzelnen Kirchen.
Drei Gemaͤhlde von Guercino in einer
Capelle des Kreuzganges rechter Hand. Das
Mittelgemaͤhlde ſtellet die Heiligen, Franciscus,
Rochus und Gregorius vor. Gedanke und Anord-
nung ſind ſchlecht, Koͤpfe und Stellungen gut. Die
Farbe, ob ſie gleich kraͤftig iſt, faͤllt in den nachge-
ſchwaͤrzten Schatten zu ſehr ins finſtre Rothe 6).
Der heil. Franciscus, der die Ketzerei zu
Boden wirft, iſt ein ziemlich mittelmaͤßiges Ge-
maͤhlde; dagegen iſt
Der heilige Jacob mit einem Alten und
zwei Kindern ein deſto merkwuͤrdigeres Bild.
Vielleicht gehoͤren die Koͤpfe des Alten und eines der
Kinder zu den beſten, die Guercino je gemahlet hat;
der Reſt aber iſt ſo ſchwach an Farbe, daß man ihn
kaum dieſem Meiſter beilegen ſollte.
† Die andere Capelle im linken Kreuz-
gange hat Lanfranco gemahlt. Die Decke ſtellt
die Himmelfahrt der Maria vor; das Altar-
blatt, die Kroͤnung der Maria; eins der Sei-
tengemaͤhlde den heil. Auguſtinus, der uͤber
das Geheimniß der Dreieinigkeit nachdenkt:
Bei ihm ſteht ein Knabe, der Waſſer aus dem
Meere ſchoͤpft. Man will in dieſem Knaben einen
Engel ſehen, der dem heiligen Auguſtinus die War-
nung giebt: es ſey leichter das Meer auszuſchoͤpfen,
als jenes große Geheimniß zu ergruͤnden.
Q 5Waͤre
[250]Anmerkungen
Waͤre dies wuͤrklich der Gedanke des Kuͤnſtlers
geweſen, welches ich dahin geſtellet ſeyn laſſe, ſo waͤ-
re es ein ſehr ungluͤcklicher. Aber wenn ich den En-
gel aus dem Bilde wegnehme, oder mir blos einen
ſpielenden Knaben darunter denke; ſo iſt der Aus-
druck des Bildes vortrefflich, und ganz der Faſſung
angemeſſen, mit der die Seele uͤber einen wichtigen
Gegenſtand nachdenkt. Die pruͤfende Mine des
Heiligen ſtimmt ſehr gut mit dem oͤden Orte, mit
der Ausſicht auf die unabſehliche Flaͤche des Meers,
und mit der finſtern Farbe des Bildes, die einer
Daͤmmerung aͤhnelt, uͤberein.
Das Gemaͤhlde auf dem Hauptaltare iſt die
ſchoͤnſte unter dieſen von mir angegebenen Mahle-
reien des Lanfranco. Es ſind Partien darin, welche
Annibale Carraccio nicht beſſer haͤtte angeben koͤnnen.
Ueberhaupt gehoͤren dieſe Werke unter die beſten, die
ich von dieſem Meiſter kenne.
Der heil. Thomas, welcher Almoſen aus-
theilt, von Romanelli, iſt beinahe ganz verblichen.
In der erſten Capelle beim Eingange lin-
ker Hand eine Hirtenanbetung von Michael
Angelo da Carravaggio, von niedriger Wahrheit.
In der Capelle Pamfili † der heil. Tho-
mas von Villanuova, welcher einer ſchoͤnen
Bettlerin, die ihr Kind ſaͤugt, ein Almoſen
reichet, von Ercole Ferrata in Marmor7).
Der Ausdruck in dem Heiligen ſcheint verfehlt.
Die Bettlerin zeigt eine reizende, obgleich etwas ge-
drehete
[251]uͤber die einzelnen Kirchen.
drehete Stellung. Das Ganze hat viel vom Stil
des Bernini, aber der Gedanke iſt vernuͤnftiger.
† Das Monument des Cardinals Impe-
riali iſt beſſer gedacht als ausgefuͤhrt. Eine Fama
hebt den Deckel des Sarges ab, aus dem der Adler
zum Himmel fliegt, welchen dieſe Familie im Wap-
pen fuͤhrt. Der Tod und die Zeit ſind zu beiden
Seiten des Grabmals in Feſſeln geſchlagen. Ueber
dem Ganzen zu oberſt, das Bruſtbild des Cardinals.
Der Kuͤnſtler dieſes Werks iſt Domenico Guidi 8).
Es giebt noch einige andere Bildhauerwerke aus
der Florentiniſchen Schule in dieſer Kirche, und einige
nicht ſchlechte Gemaͤhlde. Man kann beim Titi
nachſehen.
KircheS. Andrea di monte Cavallo
oderde’ Geſuiti.9)
Die inwendige Verzierung dieſer Kirche iſt artig.
Einige Gemaͤhlde von Baciccio, manierirt
in der Zeichnung, und gruͤngelb in der Farbe.
Die Mahlereien von Hiacynthus Brandi
ſind ſehr ſchwarz, und gleichfalls manierirt.
Der heilige Andreas, dem ein Engel auf
der Geige vorſpielt, ein laͤcherlicher Einfall, der
ſehr mittelmaͤßig ausgefuͤhrt iſt.
Im
[252]Anmerkungen
Coſka von
le Gros.
Im Kloſter, und zwar in der Capelle des
heil. Coſka, dieſer Heilige ſterbend auf ſeinem
Lager, von le Gros. Das Bette iſt von gelben,
das Gewand von ſchwarzem, Kopf, Haͤnde und Fuͤße
ſind von weißem Marmor.
Dieſe Art mit vielfaͤrbigem Steine die natuͤrliche
Faͤrbung eines Gegenſtandes nachzuaͤffen, iſt nur fuͤr
Kinder verfuͤhreriſches Spielwerk. Der Mann
ſtutzt bei dem erſten Anblick, und fuͤhlt, ſo bald erſich
ſammelt, das Unharmoniſche der Farbenverbindung,
und den auffallender gemachten Mangel der Illuſion
in dem was durch das bloße Anſchauen erkannt wird.
Das Gewand iſt hart und willkuͤhrlich gefaltet:
Die Haͤnde und Fuͤße ſind weich und wahr. Der
Kopf aber hat keine ſchoͤne Form, und man vermißt
den Ausdruck einer edlen Reſignation, die man er-
warten duͤrfte.
KircheS. Andrea della Valle10).
des Dome-
nichino.
Die Mahlereien des Domenichino machen dieſe
Kirche der Aufmerkſamkeit des Liebhabers beſonders
werth.
An den Pfeilern der Kuppel hat Domenichino
† die vier Evangeliſten gemahlt. Es ſind aca-
demiſche Figuren in etwas gezwungenen Stellungen.
Die Koͤpfe, und beſonders der des Johannes ſind
gut gewaͤhlt. Die Engel, die zu ſeinen Fuͤßen ſpie-
len, ſind ſehr ſchoͤn, und ganz im Geiſt des Correg-
gio gedacht. Die Gewaͤnder ſind nicht gluͤcklich ge-
worfen.
[253]uͤber die einzelnen Kirchen.
worfen. Die Farbe iſt von auſſerordentlicher
Staͤrke fuͤr al Freſco; ſie koͤmmt der Faͤrbung in
den guten Oelgemaͤhlden des Annibale Carraccio bei.
Im Chor ſieht man folgende Mahlereien vom
Domenichino:
Johannes der Taͤufer zeigt den Chriſt und
iſt von zweien Apoſteln umgeben.
Die Aſſumption des heil. Andreas.
Die Vocation des heil. Andreas.
Die Geißelung des heil. Andreas und ſeine
Hinfuͤhrung zum Richtplatze.
Außerdem ſieht man oben ſechs Tugenden in
coloſſaliſcher Groͤße, von eben dieſem Meiſter.
Calabreſe hat die Kreuzigung des Apo-
ſtels, denſelben wie er am Kreuze haͤngt, und
ſeine Grablegung gemahlt.
Dieſe letzten Gemaͤhlde ſind ſchwerfaͤllig, ohne
Praͤciſion und Wahrheit.
† Die Kuppel von Lanfranco zeigt das Ta-Kuppel von
Lanfranco.
lent dieſes Mahlers, ein ſo weitlaͤuftiges Feld, wie
ein Plafond, mit ſehr abwechſelnden Stellungen zu
beſaͤen.
Dies war wuͤrklich das vorzuͤglichſte Talent die-Hauptvor-
zug und
Hauptfehler
dieſes Mei-
ſters.
ſes Meiſters, der 1581. gebohren wurde, und
1647. ſtarb. Erlernte bei dem Carracci, und bil-
dete ſich beſonders nach dem Correggio, von dem er
aber doch hauptſaͤchlich nur die Verkuͤrzungen ent-
lehnte, in denen er ein großer Meiſter wurde. Er
war zu manierirt. Seine Farbe iſt ſehr unange-
nehm.
In der erſten Capelle rechter Hand ſieht
man ein Basrelief von Raggi. Es ſtellt den
Befehl
[254]Anmerkungen
Befehl vor, den der heil. Joſeph vom Engel erhielt,
nach Aegypten zu fliehen. In der Anordnung hat
es viel vom Stil des Pietro da Cortona, und in der
Ausfuͤhrung vom Bernini.
† Die Capelle Strozzi iſt vielleicht eine der
ſchoͤnſten in Rom, was die Einrichtung und archi-
tektoniſche Verzierung anbetrifft. Michael Angelo
hat ſie angegeben, und wie man ſagt, auch die Mo-
delle zu der Bildhauerarbeit verfertiget. Die bron-
zenen Statuen, die Sarcophage von ſchwarzem
Marmor, die edle Einfalt der Baukunſt fuͤllen ganz
den Begriff aus, den man ſich von einer Begraͤbniß-
capelle macht. Der Stil in den Figuren iſt etwas
manierirt, aber die Leuchter ſind von ſchoͤner Form.
St. Andrea Avellino von Lanfranco, ein
Bild, welches man im Kreuzgange antrifft, faͤllt zu
ſehr ins Schwarze.
Der heil. Sebaſtian von Giovanni de
Vecchi hat viel von der Manier des Rubens.
St. Maria mit dem Kinde von Giulio Ro-
mano, welche Hr. Volkmann angiebt, wird hier
nicht mehr vorgefunden. Nach Titi ſoll in dieſer
Kirche eine Copie nach einem Gemaͤhlde von Giulio
Romano haͤngen; aber ſie ſtellet ein ganz anderes
Suͤjet vor, und haͤngt an einem andern Orte als
Herr Volkmann anzeigt.
Die Mahlereien in der Capelle Barberini,
nicht Barberi, wie Herr Volkmann ſchreibt, ſind von
Domenico Paſſignano, und haben viel vom Stil
des Ludovico Carraccio.
Kirche
[255]uͤber die einzelnen Kirchen.
KircheS. Antonio di Padova, gewoͤhnlich
della Concezione de’ Padri Cap-
puccini genannt.
Rechter Hand vom Eingang. Erſte Capelle.
† Der Erzengel Michael ſchlaͤgt den uͤber-Der Erzengel
Michael von
Guido Reni.
wundenen Satan in Feſſeln. Der Engel ſchwebt
uͤber dem Satan in einer ſehr theatraliſchen Stellung.
Sein flatterndes Gewand und ſeine ausgebreiteten
Fluͤgel bilden uͤbrigens eine angenehme Maſſe, welche
die Flaͤche vortrefflich ausfuͤllt. Der Kopf iſt kleinlich
an Charakter, und unbedeutend an Ausdruck. Der
Teufel iſt eine Carricatur von Haͤßlichkeit und Ver-
worfenheit.
Worin liegt der Grund, daß unſere neuerenUeber En-
gels- und
Teufelsge-
ſtalt in der
neueren
Mahlerei.
Mahler, wenn ſie den oberen Geiſtern Koͤrper bil-
deten, ſelten ſolche Formen gewaͤhlt haben, welche
auf Hoheit und Groͤße des Geiſtes ſchließen laſſen?
Warum hat eben der Guido, der einen Erzengel
Michael als einen huͤbſchen blonden Jungen mahlte,
eine Judith mit ſo erhabenen Formen und einem ſo
hohen Ausdrucke von Seelenſtaͤrke dargeſtellt?
Ich glaube ein Theil dieſer Erſcheinung iſt auf
Rechnung unſerer Religionsbegriffe zu ſetzen. Ho-
heit des Geiſtes laͤßt ſich bei dem Manne ohne ein ge-
wiſſes Gefuͤhl ſeines Werthes nicht denken, das bei
der Aeußerung in Mine und Stellung gar leicht mit
Stolz und Uebermuth verwechſelt wird. In einer
Religion, wo Derjenige, der uͤber Engel thront,
als
11)
[256]Anmerkungen
als der ſanfteſte duldendſte, der Menſchen zum Muſter
der Demuth und der Ergebung in den goͤttlichen Wil-
len aufgeſtellet wird; wo Ehrgeiz, Selbſtgefuͤhl als
Fehler gezeichnet werden; wie koͤnnen da die Kuͤnſtler
darauf verfallen, vollkommene aber dienſtbare Gei-
ſter wie Helden, wie Maͤnner in der Bluͤthe der
Jahre und im ganzen Gefuͤhl ihrer Kraͤfte zu bilden?
Der Ausdruck der Seelenſtaͤrke im Weibe iſt immer
mehr Kraft der Duldung, leidende Kraft, oder, wenn
auch wuͤrkende, wenigſtens Kraft des Augenblicks
der Situation, die durch Verzweiflung oder Schwaͤr-
merei auch dem Schwaͤchſten eingefloͤßet wird.
Man muß aber mehr ſagen: Ausdruck einer
Heldenſeele, wenn er nicht zur Carricatur werden
ſoll, iſt in allen darſtellenden Kuͤnſten immer das
Schwerſte. Wie ſelten gerathen ſie auf dem Theater
und im Bilde! Ein Ruͤckblick auf den Apollo im
Belvedere, wird meine vorigen Bemerkungen, und
auch dieſe beſtaͤtigen.
Noch ein Wort von dem Teufel. Dieſer Ge-
genſtand gehoͤrt uns Neueren allein: wir konnten hier
Schoͤpfer ſeyn, und ſind es auch geworden. Aber
wie? Wir haben ihm nicht allein eine ſcheußliche,
ſondern auch laͤcherliche Bildung gegeben. Die
neueren Kuͤnſtler konnten zwar nicht wie der Dichter
entweder ins Gigantiſche gehen, oder den Abſcheu
fuͤr ein Weſen, das ſein Vergnuͤgen im Boͤſes thun
findet, durch die Wichtigkeit der Veranlaſſung, durch
das Planmaͤßige in der Ausfuͤhrung mildern. Aber
wenn ſie die Geſtalt der guten Geiſter veredelt haͤtten,
ſo waͤren fuͤr die ſchlimmen gemeine Formen uͤbrig
geblieben, die mit dem Ausdruck der Staͤrke und
lauren-
[257]uͤber die einzelnen Kirchen.
laurender Bosheit vereinigt, den Begriff des Weſens
voͤllig haͤtten ausfuͤllen koͤnnen.
Man wuͤrde Unrecht thun, wenn man die Sa-
tyren, die Centauren und andere willkuͤhrliche Zuſam-
menſetzungen der Alten mit einem Ungeheuer, wie
der Teufel bei uns iſt, vergleichen wollte. Aber die
Art wie die Griechen viele religioͤſe Ideen der Aegyp-
tier verfeinert haben, koͤnnte zu einem naͤher liegenden
Muſter dienen, wie man Geſchoͤpfe des Aberglau-
bens zum Vortheil angenehmer Eindruͤcke nutzen ſoll.
Der Kopf eines Carracalla mit vergrelltem ſcheelen
Blicke auf dem ſtaͤmmigen Rumpfe des aͤgyptiſchen
Antinous duͤrfte in Vereinigung mit einigen bezeich-
nenden Attributen des Pluto (z. E. der braͤunlichen
Farbe, der zweizackigten Gabel, des ſtraͤubigten Haars
und Bartes, allenfalls auch mit einem Zuſatz von
Fluͤgeln ſchwarzer Nachtvoͤgel) den Begriff des Wi-
derſachers Gottes, und des Feindes der Menſchen,
eben ſo vollſtaͤndig verſinnlichen, als eine Figur
mit Ochſenſchwanz, Hoͤrnern, Pferdefuß, und
Krallen. 12)
Die Giganten der Alten, die Beſtuͤrmer des Him-
mels, finden wir ſie nicht auf einigen ihrer geſchnitte-
nen Steine als bloße Menſchen von ungewoͤhnlicher
Groͤße und Staͤrke vorgeſtellt! Und wenn ich gleich
jene andere Vorſtellung zur Nachahmung nicht em-
pfehlen moͤchte, wo die Giganten als Menſchen auf
halben Leib mit einem Untertheile von Schlangen ge-
bildet
Dritter Theil. R
[258]Anmerkungen
bildet ſind; 13) wie viel vortheilhafter fuͤr die Kunſt
iſt dennoch ſelbſt dieſe Zuſammenſetzung, als die mo-
derne Abbildung unſerer Teufel!
Ich kehre zu Guido’s Bilde zuruͤck. Die Zeich-
nung iſt nicht ganz fehlerfrei, aber ſehr fein. Die
Faͤrbung kraͤftiger und wahrer als in den mehreſten
Bildern, die ich von dieſem Meiſter kenne. Die
Figuren heben ſich gut vom Grunde ab, und im
Ganzen iſt das Licht wohl geleitet.
In der dritten Capelle.
† Der heilige Franciſcus in den Armen
des Engels von Domenichino: eine ſchoͤne Zu-
ſammenſetzung. Der Grund ſtellt eine Landſchaft
vor, die Koͤpfe ſind wohl gewaͤhlt, und haben Aus-
druck; aber die Farbe faͤllt, wider die Gewohnheit
des Meiſters, zu ſehr ins Graue.
In der vierten Capelle rechter Hand.
Der heilige Antonius, der einen Todten
auferwecket von Andrea Sacchi. Der Gedanke
iſt nicht uͤbel; Schade! daß in der Ausfuͤhrung ſo
viel Unbeſtimmtheit herrſcht.
Linker Hand an dem Grabmale des Koͤ-
nigs in Polen Johann Sobiesky: Zwei Genii
von Rusconi, welche ausſehen, als haͤtte man
ihnen, Kaͤlbern gleich, die Haut aufgeblaſen.
In
[259]uͤber die einzelnen Kirchen.
In der erſten Capelle vom Altare ab.
Maria mit dem Kinde und dem heiligen
Buonaventura, von Andrea Sacchi, mittel-
maͤßig.
In der zweiten.
Die Geburt Chriſti von Lanfranco, bei-
nahe eine Copie von der beruͤhmten Nacht des Cor-
reggio.
In der letzten Capelle.
† Saul der vom Ananias ſein Geſicht
wieder erhaͤlt, unſtreitig eins der ſchoͤnſten Staffe-
leigemaͤhlde, die ich von Pietro da Cortona kenne.
Die Anordnung iſt gut, die Farbe angenehm, kraͤf-
tig, und aͤußerſt harmoniſch; das Helldunkle ſehr
gut behandelt; der Grund zeigt eine reiche Architektur.
Es waͤre zu wuͤnſchen, daß der Ausdruck wahrer,
und die Zeichnung richtiger ſeyn moͤchten.
Auf dem Altare ſieht man † die heilige Jung-
frau in einer Glorie von Lanfranco. Der
Kopf der Heiligen iſt lieblicher als ich ſie gewoͤhnlich
von dieſem Meiſter kenne. Die Gewaͤnder ſind in
zu willkuͤhrliche Falten geſchlagen, aber ſie zeigen die
ſwelten und reizenden Contouren ſehr gut an. Die
Farbe iſt zu grau, man kann inzwiſchen dies Bild
unter die vorzuͤglichen des Lanfranco ſetzen.
R 2Kirche
[260]Anmerkungen
Kirche bei demArchiginnaſio della
Sapienza.15)
Auf dem Hauptaltare.
St. Yvo, der als Advocat der Armen ihre
Memoriale empfaͤngt, von Pietro da Cortona.
Da der Raum zu hoch war, um durch dies Suͤjet
gefuͤllt zu werden, ſo hat der Kuͤnſtler eine Decke bis
auf die Haͤlfte des Gemaͤhldes herabfallen laſſen, und
darauf den Chriſt in einer Glorie vorgeſtellt,
dem ein Heiliger ein Buch uͤberreicht.
Dieſer Einfall, ein Gemaͤhlde im Gemaͤhlde an-
zubringen, ſcheint mir unter der Bedingung gluͤcklich
zu ſeyn, daß er den Ausdruck der Haupthandlung
unterſtuͤtze, und daß das Nebengemaͤhlde dem Haupt-
gemaͤhlde hinreichend untergeordnet ſey, um der mah-
leriſchen Wuͤrkung keinen Schaden zu thun. Alsdann
wird das Gemaͤhlde im Gemaͤhlde zur Tragoͤdie des
Herzogs in der Tragoͤdie Hamlets. Allein hier iſt die
bemahlte Decke viel kraͤftiger gehalten, als der wuͤrk-
liche Auftritt, deſſen Beiwerk jene ausmacht, und
uͤberher theilt ſie das Gemaͤhlde in zwei Theile. Die
Zeichnung iſt unrichtig, und die Farbe ohne Har-
monie: Oben zu roth, unten zu gran.
Kirche
[261]uͤber die einzelnen Kirchen.
Kirchede’ S. Apoſtoli.16)
Sie enthielt zu meiner Zeit nichts Merkwuͤrdiges an
Kunſtwerken. 17) Bald aber wird
Das Grabmal Clemens desXIV. von der
Hand eines jungen geſchickten Kuͤnſtlers Canova,
eines Venetianers, den ich ſchon mehrere Male mit
Ruhm genannt habe, da es hier ſeinen Platz finden
ſoll, die Aufmerkſamkeit kuͤnftiger Reiſenden zu reizen
im Stande ſeyn.
KircheS. Bibiana.18)
† Die Statue der heiligen Bibiana iſt einsSanta Bi-
biana von
Bernini.
der beſten Werke des Bernini. In der Hand haͤlt
ſie einen Palmzweig, und nicht eine Schuͤſſel, wie
Hr. Volkmann irrig ſchreibt. Auch iſt es unrichtig,
was ich mich erinnere, beim Winkelmann gefunden
zu haben, daß die Heilige einen Guͤrtel uͤber den
Mantel trage. Wenn man genau darauf achtet,
ſo ſind es dreierlei Kleidungsſtuͤcke, welche ſie traͤgt:
ein Hemd oder Unterkleid, ein Maͤntelchen auf hal-
ben Leib mit Stickerei, und noch einen großen Man-
tel daruͤber.
Das Hauptverdienſt dieſes Werkes iſt die mecha-
niſche Behandlung des Marmors. Den Fleiß iſt
R 3bis
[262]Anmerkungen
bis zu den geringſten Beiwerken verſchwendet. Die
Stellung iſt zwar weniger gezwungen als in den uͤbri-
gen Werken des Bernini, es fehlt ihr aber immer
noch ſehr viel, um natuͤrlich zu ſeyn. Die ſuͤßlich
laͤchelnde Mine des Kopfs misfaͤllt auf die Laͤnge.
Das Fleiſch ſcheint wahres Wachs zu ſeyn. Das
Gewand iſt in zu viele kleine Falten getheilet, und
zeigt das Nackende nicht hinreichend an.
nini und ſei-
ner Nachfol-
ger.
Der Cavaliere Giovanni Laurentio Bernini,
der von 1598 bis 1680. lebte, ward von der Wuth
in Stein zu mahlen, zu gleicher Zeit mit dem Algardi
ergriffen. Aber er begnuͤgte ſich nicht wie dieſer, der
ernſten Manier der Carracci und ihrer Schuͤler treu
zu bleiben; er verfiel auf die falſche Manier des Pie-
tro da Cortona, und was ſchlimmer war, zuletzt in
die Manier des Rubens. Die große Fertigkeit die
dieſer Kuͤnſtler in der Behandlung des Marmors
hatte, welcher wuͤrklich unter ſeinem Meiſſel zu Wachs
wurde, hat ihn wahrſcheinlich zu den ausſchweifen-
den Irrthuͤmern verfuͤhrt, in die er verfallen iſt.
Michael Angelo vergaß, daß der menſchliche Koͤrper
mit Fleiſch und Haut bedeckt iſt: Bernini vergaß,
daß das Fleiſch ohne elaſtiſche Muskeln und Knochen,
die zum Halt dienen, zum Schlauch, und die Haut
zur Porcellainglaſur wird. Niedrige, ja! kindi-
ſche Gedanken, oft unedler immer gezierter Ausdruck,
haͤufige Incorrektionen, ſchlaffe Formen, nach Art
der Figuren des Rubens, Gewaͤnder in kleine Falten
gekniffen, oder in große geworfen, die das Nackende
gar nicht anzeigen, endlich verſchwendeter Fleiß an
Nebenwerke, ſind die Hauptunterſcheidungszeichen
dieſes Meiſters, als Fehler. Ein gewiſſer Schwung
in
[263]uͤber die einzelnen Kirchen.
in der Erfindung, Treue in der Nachahmung indi-
vidueller Geſichtsbildungen, und eine vortreffliche
Behandlung des Marmors ſind hingegen Vorzuͤge,
denen der Liebhaber in den Werken des Bernini Ge-
rechtigkeit wiederfahren laſſen wird. 19)
Unter dem großen Altar, ein Sarcophag
aus orientaliſchem Alabaſter.
Man ſieht hier Mahlereien von Pietro da
Cortona. Sie haben ſtark gelitten. So viel
man noch urtheilen kann, fehlen ihnen nicht die ge-
woͤhnlichen Vorzuͤge und Fehler des Meiſters.
KircheS. Caecilia in Traſtevere.20)
In dem Hofe ſteht eine vortreffliche Vaſe mit
ſehr ſchoͤn gearbeiteten Griffen. Sie iſt antik
und ſehr groß. Aus derſelben heraus iſt ein Lorbeer-
baum gewachſen. 21)
Inwendig in der Kirche ſieht man † eineSanta Caͤci-
lia von Stc-
fano Ma-
derno.
Statue der heiligen Caͤcilia, in der Lage wie
ſie im Grabe gefunden worden, von Stefano
Maderno.22) Der Gedanke, den Kopf zu ver-
R 4huͤllen,
[264]Anmerkungen
huͤllen, iſt ungluͤcklich. Sonſt iſt die liegende Stel-
lung ſehr natuͤrlich: und dieſer Vorzug giebt ihr auch
einen Anſpruch auf die Achtung der Kenner.
KircheS. Carlo ai Catinari.23)
Auf dem Hauptaltar.
Die Proceſſion des heil. Carls waͤhrend der
Peſtzeit in Malland, von Pietro da Cortona,
iſt mittelmaͤßig und ſchlecht erhalten.
Von einem Gemaͤhlde des Guido hinter dem
Altare, welches den heiligen Carl bis auf den
halben Leib vorſtellen ſoll, ſieht man beinahe
nichts, da der Ort ſchlecht erleuchtet iſt.
heil. Anna
von A. Sac-
chi.
† Der Tod der heil. Anna von Andrea
Sacchi, iſt ein ſehr beruͤhmtes Gemaͤhlde in Rom,
welches aber meiner Einſicht nach keinesweges ſeinen
Ruhm ſtehet. Die heil. Anna liegt ſterbend im
Bette, der heil. Joachim ſoll im Schmerz verſunken
ſeyn, die Madonna bringt das Kind Jeſus zu ihrer
Mutter, der heil. Joſeph ſteht zur Seite der Kran-
ken, einige andere Perſonen nehmen einen etwas ent-
ferntern Antheil an der Handlung. Kurz! der
Mahler ſcheint den Augenblick zur Darſtellung ge-
waͤhlt zu haben, in dem die heilige Anna von dem-
jenigen was ihr hiernieden theuer war, den letzten
Abſchied nimmt. Dieſe Wahl iſt in Ruͤckſicht auf
Ausdruck gar nicht ungluͤcklich, nur muͤßte die Aus-
fuͤhrung beſſer ſeyn. Der heil. Joachim ſieht wie
ein
[265]uͤber die einzelnen Kirchen.
ein Kalb aus, dem man die Gurgel abſchneidet.
Die heil. Jungfrau iſt ganz gleichguͤltig, und eben
ſo unbedeutend ſind die uͤbrigen Figuren. Die Zeich-
nung iſt incorrekt, die Faͤrbung falſch. Hingegen
diejenigen Theile der Mahlerei, in denen Andrea
Sacchi ſeine groͤßte Staͤrke beſaß, die Anordnung,
die Vertheilung heller und dunkler Partien in Ruͤck-
ſicht auf mahleriſche Wuͤrkung, die Harmonie der
Farben und der Ton, ſind auch hier vortrefflich.
Oben an den Pfeilern unter der KuppelDie vier Car-
dinaltugen-
den von Do-
menichino.
hat Domenichino † vier Cardinaltugenden,
die Klugheit, die Staͤrke, die Maͤſſigkeit und
Gerechtigkeit, auf naſſen Kalk gemahlt.
Unter jeder dieſer vier Tugenden ſieht man
noch eine andere Figur, die in geſelliger Bezie-
hung mit der Eigenſchaft ſtehen ſoll, deren Abſtrak-
tum uͤber ihr abgebildet worden, z. E. Milde bei
Gerechtigkeit.
Dieſe Mahlereien zeigen die ſchoͤnſten Frauens-
koͤpfe in Ruͤckſicht auf Uebereinſtimmung der Zuͤge und
den Ausdruck des ſittſamen Reizes und ruhiger Lie-
benswuͤrdigkeit, die mir in der neueren Kunſt vorge-
kommen ſind. Die Gerechtigkeit nebſt der unter ihr
liegenden weiblichen Figur, welche Milch aus ihrer
Bruſt druͤckt, und die Milde vorſtellen ſoll, haben
einen Eindruck auf mich gemacht, den ich von keiner
einzelnen Figur in Ruhe (oder nach meiner gewagten
Claſſification, von keiner ſichtbaren Beſchreibung der
Geſtalt,) in einem Gemaͤhlde der Neueren erfahren
habe. Es liegt in dieſen edlen Formen der unver-
kennbare Ausdruck einer ſchoͤnen Seele, einer Liebens-
wuͤrdigkeit des Herzens, die keine Bewegung zu ma-
R 5chen
[266]Anmerkungen
chen braucht, um ihren Beſchauern reizend zu erſchei-
nen. Domenichino ſcheint den Ausſpruch jenes Alten
gerechtfertiget zu haben: daß, wenn die Tugend ver-
koͤrpert erſchiene, die ganze Welt ſie lieben wuͤrde.
Selbſt der eifrigſte Verehrer des Alterthums, deſſen
Auge durch den Anblick ihrer Meiſterſtuͤcke verwoͤhnt
iſt, wird durch Geſichtsbildungen, die ſo ſehr in ih-
rem Geiſte gedacht ſind, in dieſem Stuͤcke ſeine For-
derungen an die neuere Kunſt ausgefuͤllt finden, und
ſie dienen zum Beweiſe, daß es eben ſo ſehr an dem
Mangel innerer Faͤhigkeiten, als an dem Widerſtre-
ben aͤußerer Verhaͤltniſſe liegt, wenn der moderne
Bildhauer ſeinem fruͤheren Vorgaͤnger in der Bildung
ſchoͤner weiblicher Koͤpfe nicht gleich gekommen iſt.
Die Farbe iſt dem Charakter des Geſchlechts an-
gemeſſen, und fuͤr eine Freſkomahlerei ziemlich kraͤftig;
die Gewaͤnder koͤnnten beſſer ſeyn.
Die Mahlereien des Lanfranco in dieſer
Kirche zeigen das Talent dieſes Meiſters, die Flaͤche,
die ſie ausfuͤllen ſoll, auf eine gute Art zu bedecken:
das iſt ſein Charakter, das iſt ſein Verdienſt.
In der Sacriſtei, das Bildniß des heil.
Carls von Pietro da Cortona, von kraͤftigerer
Faͤrbung und beſtimmterer Zeichnung, als ſie ſonſt
dieſem Meiſter gewoͤhnlich ſind.
KircheS. Carlo al Corſo.24)
Auf dem Hauptaltare die Jungfrau Maria,
welche den heil. Carlo ihrem Sohne vorſtellet,
von
[267]uͤber die einzelnen Kirchen.
von Carlo Maratti. Ein ſehr ſchwaches Bild, wel-
ches dadurch noch mehr an Wuͤrkung verliert, daß
es in einem ſehr ſchlechten Lichte geſehen wird. Die
mahleriſche Anordnung iſt das Beſte darin.
Das Gemaͤhlde des Mola, welches den heil.
Barnabas, wie er das Evangelium prediget,
vorſtellt, hat gleichfalls kein anderes Verdienſt, als
das einer guten Gruppirung. Die Farbe hat ſehr
nachgeſchwaͤrzt.
KircheS. Carlo alle quatro fontane.25)
Eine Verkuͤndigung und die heilige Dreieinig-
keit auf dem Hauptaltare ſind, von Mignard,
grau und ſchwach gemahlt.
Eine Madonna mit dem Kinde und einem
Engel mit Paſſionsinſtrumenten, von Roma-
nelli.
KircheS. Catarina di Siena.26)
Die Communion der heil. Magdalena von
Benedetto Lutto. Die Zeichnung iſt incorrekt,
der Ausdruck manierirt, die Farbe weinhefenartig.
KircheS. Coſimo e Damiano.27)
Titi iſt in der Anzeige der Gemaͤhlde umſtaͤndlicher
als Hr. Dr. Volkmann.
Was
[268]Anmerkungen
Was mir am meiſten aufgefallen iſt, ſind Moſai-
ken aus den Zeiten der erſten Chriſtenheit. Ich
mag die Empfindungen nicht beſchreiben, die bei ihrem
Anblick in mir rege geworden ſind. Die zwoͤlf Apoſtel
ſind hier unter den Symbolen von zwoͤlf Laͤmmern abge-
bildet! Ich glaube, ich darf nichts weiter hinzuſetzen.
KircheSta Croce in Geruſalemme.28)
Der Plafond iſt von Corrado. Bunt, nach
der Palette ausgedacht, und bloßer Schimmer.
In dem Kloſter wird man ein ſehr beruͤhmtes
Gemaͤhlde von Carlo Maratti finden. Titi nennt
es, Sciſma di Pietro Leone; ich ſelbſt habe ver-
geſſen das Suͤjet aufzuzeichnen.
Ferner einige Gemaͤhlde von Rubens, aus
ſeiner erſten Zeit. Sie ſtellen die Geiſſelung und die
Kreuzigung Chriſti vor. Man findet einige gute
Partien und Ausdruck darin. In der Faͤrbung und
im Helldunkeln aͤhnelt er dem Guercino, oder wenn
man lieber will, dem Carravaggio.
KircheS. Domenico e Siſto.29)
In der erſten vom Bernini angegebenen Ca-
pelle einnoli me tangere, Gruppe der Magda-
lena, die den Chriſt beruͤhren will, von Raggi: un-
bedeutend ſowohl in Ruͤckſicht des Ausdrucks als der
Zeich-
[269]uͤber die einzelnen Kirchen.
Zeichnung. Selbſt die mechaniſche Behandlung iſt
nicht ſonderlich.
Maria, die einer Nonne einen Roſenkranz
giebt, von Romanelli. In der Stellung und in dem
Luxurioͤſen der Formen hat dieſe Figur viel vom Stil
des Pietro da Cortona: aber das Verblaſene der Um-
riſſe, der Schwung von Originalitaͤt, und die Har-
monie der Farben, welche uns mit der conventionel-
len Manier des letzten Meiſters verſoͤhnen, fehlen hier.
Drei heilige Frauen, die einem Moͤnche
das Bildniß des heil. Domenicus bringen, von
Mola: grau und hart.
KircheS. Euſebio.30)
Nicht hier, ſondern in S. Lorenzo muß man das
Capital mit dem Froſche und der Eidexe ſuchen, deſ-
ſen H. Volkmann erwaͤhnt.
Das Merkwuͤrdigſte in dieſer Kirche iſt † einPlafond von
Mengs.
Plafond von Mengs, welcher die Himmelfahrt
des heil. Euſebius vorſtellt.
Der Grund des Gemaͤhldes iſt die Luft, wie
man ſie bei durchgebrochener Decke der Kirche ſehen
wuͤrde. Hier wird der Heilige von einer Gruppe von
Engeln durch eine Glorie von andern Engeln durch,
in die oberſten Regionen des Himmels getragen. Dies
iſt der Gedanke.
Der Mahler hat den Standpunkt fuͤr den Be-
ſchauer an der Thuͤr der Kirche angenommen: Mit-
hin erſcheinen die Engel, welche der Thuͤr zunaͤchſt
befind-
[270]Anmerkungen
befindlich ſind, groͤßer als diejenigen, welche dem
Altare in der Laͤnge des Bildes die naͤchſten ſind, der
Heilige in der Mitte aber nebſt denen ihn tragenden
Engeln am allergroͤßten, um anzuzeigen, daß ſie
von einer untern uns naͤheren Region zu einer hoͤheren
aufſteigen.
Dieſe Beſtimmung des Standpunktes wider-
ſpricht aber der Natur der Sache, und der Gewohn-
heit des Betrachters. Man wirſt bei dem Eintritte
in ein Gebaͤude nicht zuerſt den Blick in die Hoͤhe,
ſondern um ſich herum. Gegen dem, daß man da-
mit fertig geworden iſt, und nun auch nach der De-
coration der Decke ſieht, iſt man in die Mitte des
Gebaͤudes, mithin auch des Plafonds gekommen,
und nun findet man die Perſpektiv falſch. Freilich
konnte der Mahler aus einem andern Geſichtspunkte
das Emporſteigen des Heiligen uͤber die Engel auf
gleicher Sphaͤre hin nicht wohl ſinnlich machen; aber
ſo haͤtte er es unſinnlich laſſen ſollen.
Die Gruppe des Heiligen iſt ſchoͤn gedacht, nur
der Kopf der Hauptfigur iſt nicht edel genung, auch
ſcheint das weiße Gewand der Carnation Schaden
zu thun, und die Hand fehlerhaft gezeichnet zu ſeyn.
Hingegen ſind unter den Engeln verſchiedene, die
nichts zu wuͤnſchen uͤbrig laſſen: welche die ganze
Lieblichkeit der Engel des Correggio mit den richtigern
Contouren eines Genius der Antike verbinden.
Um bei der Beurtheilung des Colorits mit Bil-
ligkeit zu verfahren, muß man wiſſen, wie dies Ge-
maͤhlde verfertiget iſt. Mengs wuͤnſchte ſich durch
ein Gemaͤhlde al Freſco bekannt zu machen. Er
erbot ſich gegen einen ſehr geringen Preis, der ihn
nur
[271]uͤber die einzelnen Kirchen.
nur der Koſten wegen ſchadlos halten koͤnnte, dieſen
Plafond zu mahlen. Es ward ihm zugeſtanden:
allein er hatte noch nie al Freſco gemahlt, und ver-
ſtand daher nichts von der Behandlung dieſer Art von
Mahlerei. Sein Schwager Maron gab ihm darin
den erſten Unterricht, und um die Anwendung mit
der Lehre zu verbinden, legte dieſer einige Figuren
nach den Zeichnungen des Mengs mit Farbe an.
Dies iſt der einzige Antheil, den Maron an dieſem
Werke hat, das Uebrige iſt ganz von der Hand des
Mengs. Wie unter ſolchen Umſtaͤnden die Faͤrbung
ſo gut habe gerathen koͤnnen, bleibt zu bewundern.
Inzwiſchen ſieht man auch deutlich, wie waͤhrend
der Arbeit ſeine Hand an Fertigkeit zugenommen hat.
Die unterſte Gruppe nach der Thuͤr zu iſt falſch an
Faͤrbung, und faͤllt ins Rothe und Gruͤnliche. Die
zweite iſt ſchon beſſer gerathen, und die dritte iſt ſo
kraͤftig und warm colorirt, daß ſie einem Oelge-
maͤhlde nichts nachgiebt. Aber eben dieſe Verſchie-
denheit zerſtoͤrt die Harmonie des Ganzen. Der
Himmel iſt uͤbrigens ſehr duftig gehalten.
Man ſieht in dieſer Kirche ein Paar Gemaͤhlde
von Solmiena, die ich anfuͤhre, weil ſie von die-
ſem Meiſter in Rom ſelten ſind.
KircheS. Franceſco a Ripa.31)
Die Statue der ſterbenden heil. Albertoni iſt
von Bernini. Dem Ausdrucke nach zu urtheilen,
ſcheint ſie an heftigem Bauchgrimmen zu leiden. Sie
reißt
[272]Anmerkungen
reißt den Mund auf und verdreht die Augen. Ihre
Finger ſind wie Spindeln geſtaltet. Die Gewaͤnder
von ſchlechtem Geſchmack. Bernini, der immer in
der Sculptur mahlen wollte, hat wenigſtens den Vor-
theil daraus gezogen, daß er ſeine Statue [vortrefflich]
zu ſtellen wußte. Die unſrige ſteht in einem vortheil-
haften Lichte.
Das Bild der heil. Maria, welche der
heil. Anna das Kind Jeſus uͤbergiebt, von
Baciccio, hat viel von der Manier des Pietro da
Cortona; aber es iſt incorrekter gezeichnet, und nicht
ſo leicht behandelt.
Annibale
Carraccio.
† Die Mutter Gottes bei dem Leichnam
Chriſti, von Annibale Carraccio. Winkel-
mann fuͤhrt aus dieſem Gemaͤhlde die Figur Chriſti,
als Muſter einer edlen, dem Begriff des Gottmen-
ſchen angemeſſenen Geſtalt an. 32)
Die Anordnung dieſes Bildes iſt ſehr gut.
Der Leichnam Chriſti ruhet nur auf halben Leib an
den Knien der Madonna, welches mir viel natuͤrli-
cher ſcheinet, als ſie mit dem ganzen Gewicht eines
todten Koͤrpers erdruͤcken zu laſſen. Auf der einen
Seite ſteht die heil. Magdalena, und auf der andern
der heil. Franciſcus. Zwei Engel zeigen die Wun-
den des Heilands. Man ſieht, daß unſere Compoſi-
tion ganz verſchieden von den Wiederholungen dieſes
Suͤjets zu Capo di Monte und im Pallaſt Doria iſt.
Der Ausdruck in den Koͤpfen iſt ſehr wahr und
ſehr edel. Daſſelbe kann man von den Stellungen
uͤberhaupt ſagen, und von der der heil. Magdalena
noch beſonders, daß ſie reizend iſt.
Die
[273]uͤber die einzelnen Kirchen.
Die Zeichnung iſt vortrefflich, nur ſcheinen die
Gewaͤnder, vorzuͤglich das der heil. Magdalena, et-
was trocken. Der Farbe fehlt es an Harmonie: ſie
iſt vortrefflich in der heil. Magdalena, und ſehr ſchlecht
in dem heil. Franciſcus. Ueberhaupt ſcheint dieſe
Figur nicht die beſte zu ſeyn. Schade, daß man
das Bild in keinem beſſern Lichte ſiehet!
Das antike Basrelief an dem Grabmale
der Laura Mattei, welches Herr D. Volkmann
anfuͤhrt, habe ich hier nicht finden koͤnnen. Dage-
gen ſind zwei andere Grabmaͤler, das eine von
einem Herzog von Zaccarolli, das andere von
einer Perſon aus dem Hauſe Pallavicini, hier
befindlich, an denen Figuren mit reizenden Geſichts-
bildungen ſtehen.
Kircheil Geſu33).
† Die Religion, welche die Ketzereien unter
der Geſtalt eines Mannes und eines Weibes
zu Boden ſchleudert, von le Gros.
Die Compoſition iſt voller Feuer und die Gruppe
gut geordnet, aber die Ausfuͤhrung des Details
ſcheint mir weniger Verdienſt zu haben. Die Figur
der Religion iſt ohne wahren Ausdruck und ohne
Schoͤnheit. Die Stellung iſt gezwungen. Der
alte Mann zu ihren Fuͤßen iſt eine wahre Carricatur
und das alte Weib ekelhaft; inzwiſchen das Muſ-
kelnſpiel am Ruͤcken des Alten iſt leicht und natuͤrlich,
und die Gewaͤnder ſind gut geworfen.
† Die
Dritter Theil. S
[274]Anmerkungen
† Die Religion vertilgt die heidniſche Ab-
goͤtterei und der Koͤnig von Bungo in Japan
nimmt die chriſtliche Religion an: eine Grup-
pe von Theodon. Die Zuſammenſetzung iſt nicht
uͤbel, und die Figur der Religion hat einen ziemlich
edeln Ausdruck.
In dem Paradieſe des Baſſano ſind ſchoͤne
Koͤpfe.
Das Bild des heil. Ignatius von Carlo
Maratti hat ſehr nachgeſchwaͤrzt.
Die Beſchneidung Chriſti auf dem Haupt-
altare von Muziano hat ſchoͤne Gewaͤnder, und iſt
im großen Stile gezeichnet.
Der heil. Franciſcus Xaverius von An-
nibale Carraccio haͤngt zu ſchlecht, als daß man
daruͤber urtheilen koͤnnte.
Titi redet von einem Ecce homo von Guido
Reni, als in der Sacriſtei befindlich. Herr D.
Volkmann fuͤhrt dieſes Bild gleichfalls an. Es iſt
aber nicht mehr daſelbſt anzutreffen.
KircheS. Giacomo degli Incurabili.34)
Man ſieht hier ein großes Basrelief von le
Gros, welches den heil. Franciſcus auf den
Wolken vorſtellet, wie er ein Marienbild um
Geneſung der unter ihm befindlichen Kranken
anflehet. Die Anordnung iſt daran zu loben.
Kirche
[275]uͤber die einzelnen Kirchen.
KircheS. Giacomo degli Spagnuoli35).
In der Capelle des heil. Diego, iſt das Altar-
blatt von Annibale Carraccio. Der heil.
Franciſcus ſegnet den jungen Diego ein, oben
der Chriſt unter vielen Engeln.
Dies Bild, welches man fuͤr eins der letzten des
Annibale Carraccio haͤlt, gehoͤrt nicht zu ſeinen ſchoͤn-
ſten. Die Zeichnung hat nicht einmal die dieſem Mei-
ſter gewoͤhnliche Correktion. Zum Beweiſe moͤgen die
Haͤnde des heil. Franciſcus dienen. Inzwiſchen iſt
der junge Diego eine ſchoͤne Figur. Hingegen ſind
die Gewaͤnder wieder ſehr willkuͤhrlich geworfen, und
die Farbe des Ganzen iſt unangenehm.
In den Verzierungen des Altars ſieht man noch,
den heil. Petrus und Paulus nebſt andern
Mahlereien, welche von der Hand des Annibale
ſeyn ſollen. Dieſe Gemaͤhlde ſind alle in Oel.
Zu den Freſcomahlereien ſoll Annibale blos die
Zeichnungen verfertiget haben. Sie ſind gewaltig
verdorben.
Gott der Vater in der Kuppel ſcheint von
Albano ausgefuͤhrt zu ſeyn.
Zur rechten Hand in der naͤmlichen Ca-
pelle: St. Ivo, der einen Kranken mit dem
Oele aus der Lampe heilet, von Domenichino,
der dieſes Suͤjet oͤfterer behandelt hat. Die aus-
drucksvollen Koͤpfe und Stellungen ſind dieſes Mei-
ſters wuͤrdig; doch moͤchte ich den erſchrockenen Mann
auf dem Vorgrunde tadeln. Er iſt eine wahre Car-
ricatur.
S 2An
[276]Anmerkungen
An dem Grabmale des Praͤlaten Montoja
ſieht man einen Kopf von der Hand des Ber-
nini.
Eben dieſer Kuͤnſtler hat in der Sacriſtei
einen mit Blumen bekraͤnzten Weiberkopf mit
dem Ausdrucke lachender Froͤlichkeit, und einen
Mannskopf mit aufgeſperrtem Maule und vorge-
ſtreckter Zunge gebildet. Man will darin die Vor-
ſtellungen eines Seligen und eines Verdammten er-
kennen. Sie ſind ſehr manierirt, aber von vortreffli-
cher Behandlung.
Man zeigt hier außerdem ein Basrelief, wel-
ches die Taufe Chriſti vorſtellet, und gleichfalls
dem Bernini beigelegt wird.
Die Statue des heil. Jacobs von San-
ſovino iſt eine ſehr vernuͤnftig componirte Figur.
Die Gewaͤnder ſind im Stil des Albert Duͤrer ge-
kniffen, und hart anliegend, aber die Ausfuͤhrung iſt
vortrefflich.
KircheS. Giovanni Colabita36).
Das mittlere Gewoͤlbe iſt von Corrado ge-
mahlet, von dem man noch mehrere Mahlereien
in dieſer Kirche antrifft.
Wer noch mehr von dieſer Flaͤchen-Schminke
wiſſen will, den verweiſe ich auf Herrn D. Volk-
manns Anmerkungen uͤber dieſe Kirche. Ich un-
terſchreibe ſein daruͤber gefaͤlltes Urtheil.
Das Gemaͤhlde des Lenardi, worin dieſer
Meiſter die Seelen im Fegefeuer gebildet hat, welche
zu
[277]uͤber die einzelnen Kirchen.
zu ihrer Erfriſchung von einem Engel mit Waſſer
beſprenget werden, iſt allerdings ein ſehr laͤcherlicher
Einfall.
KircheS. Giovanni Evangeliſta e S.
Petronio.37)
Dieſe Kirche ſcheint von Hrn. D. Volkmann ganz
ausgelaſſen zu ſeyn. Sie liegt zwiſchen dem Pallaſt
Spada und Farneſe.
† Auf dem Hauptaltar ein Gemaͤhlde
von Domenichino. Es ſtellt eine Madonna
mit dem Kinde Jeſus, und in der Hoͤhe eine
Glorie von Engeln vor, deren einige muſica-
liſche Inſtrumente halten: Unten ſieht man
den heil. Johannes und den heil. Petronius.
Weder Erfindung noch Anordnung ſind zu loben,
aber das Detail iſt hin und wieder vortrefflich. Der
Kopf der Madonna hat viel Aehnliches mit den Koͤ-
pfen des Guido. Unter den Engeln rund herum haben
einige einen Reiz, der ſie des Pinſels des Correggio
wuͤrdig machen wuͤrde, und die Halbſchatten ſind
aͤußerſt zart behandelt. Der heil. Johannes iſt eine
ſchoͤne Figur, die der Vorſtellung im Pallaſt Giuſti-
niani von eben demſelben Meiſter aͤhnelt.
Das Bild hat im Ganzen ſehr gelitten, behaͤlt
aber noch hin und wieder eine ſchoͤne Faͤrbung. Die
Gewaͤnder ſind nicht gut.
Man traͤgt ſich mit der Nachricht, daß Mengs
den Auftrag gehabt habe, dieſes Bild um 30000
S 3Scudi
[278]Anmerkungen
Scudi fuͤr die Gallerie zu Dresden zu erſtehen, daß
aber aus dem Handel nichts geworden ſey, weil man
die Summe zu gering gefunden habe.
KircheS. Giovanni de i Fiorentini.38)
Auf dem Altare der Capelle Nerli ſieht man
den heil. Cosmus und den heil. Damianus
auf dem Scheiterhaufen, welche durch die
Erſcheinung einiger Engel von den Flammen
gerettet werden: ein abentheuerliches Werk des
Salvator Roſa. Zwei an der einen Seite her-
vorragende Beine ſehen wie abgehauen aus. Nach
der Idee des Kuͤnſtlers ſoll man ſich den Koͤrper auſ-
ſer dem Rahmen hinzu denken. Das Beſte an dem
Bilde iſt die Behandlung.
Das Grabmal des Praͤlaten Corſini hat
Algardi, und das des Praͤlaten Acciajoli, Ercole
Ferrata verfertiget.
Von den Mahlereien einiger Florentiner will ich
nicht reden. Man kennt bereits das unbedeutend
Gezogene ihrer Phyſiognomien, und das Verdrehete
ihrer Stellungen.
Marcheſe
Capponi,
von M. A.
Slodz.
† Das Grabmal des Marcheſe Capponi
von Michael Angelo Slodz, ſcheint mir eins der
edelſten Monumente in Rom zu ſeyn. Eine weib-
liche Figur lehnt ſich auf einen Sarcophag, auf deſſen
Deckel zwei Genii das Bildniß des Marcheſe halten,
und betrachtet daſſelbe mit traurigem Blicke. Zu
ihren
[279]uͤber die einzelnen Kirchen.
ihren Fuͤßen liegt ein Lamm auf einem Buche. Der
Kuͤnſtler hat dadurch, wie mich duͤnkt, die beſchei-
dene Gelehrſamkeit des Verſtorbenen ſehr gluͤcklich
angedeutet. 39) Die weibliche Figur iſt reizend ge-
dacht, und die Gewaͤnder haben nicht den unnatuͤr-
lichen Faltenſchlag des neuern Kirchenſtils. Inzwi-
ſchen wuͤrde man doch wuͤnſchen, daß ſie die Umriſſe
des Koͤrpers ein wenig genauer bezeichneten.
KircheS. Giovanni Battiſta nel fonte La-
terano, oder Battiſterio di S. Gio-
vanni di Laterano.40)
Das Taufgefaͤß von Porphyr hat die Form
eines antiken Sarcophags. Es ſtehen aber nicht die
Statuen des Pabſts Sylveſter und Conſtantins dar-
auf, wie Hr. D. Volkmann ſchreibt, ſondern es iſt blos
mit einigen Basreliefs aus Bronze geziert, welche
neu ſcheinen.
S 4Die
[280]Anmerkungen
Die Gemaͤhlde in der Kuppel ſind von An-
drea Sacchi. Sie ſtellen nicht blos Suͤjets aus
dem Leben der Maria, ſondern auch andere heilige
Geſchichten des neuen Teſtaments, vorzuͤglich aus
dem Leben Johannes des Taͤufers, vor. Sie haben
das Verdienſt einer guten mahleriſchen Anordnung,
ein Vorzug der dieſem Meiſter eigen iſt. Uebrigens
gehoͤren ſie nicht unter ſeine beſten Sachen.
Unten in der Capelle ſieht man an den
Waͤnden mehrere Gemaͤhlde von Giminiani,
Camaſſei und Carlo Maratti. Die Zerſtoͤ-
rung des Goͤtzendienſtes von Carlo Maratti
wird fuͤr das Beſte gehalten. Es iſt aber ſehr be-
ſchaͤdigt, und ſo viel man noch urtheilen kann, iſt
der Ausdruck uͤbertrieben und doch kalt geweſen.
In der Nebencapelle, die dem heiligen Jo-
hannes dem Taͤufer gewidmet iſt, findet man
auf dem Altare die Figur dieſes Heiligen von
Donatello.
In der Capelle Johannes des Evange-
liſten aber, eine Statue in Bronze nach dem
Modelle des Giov. Batiſta della Porta.
KircheS. Giovanni di Laterano.41)
In der vordern Halle ſind einige mittelmaͤßige
Basreliefs von Bracci befindlich.
Hier ſieht man auch die antike Statue Con-
ſtantins des Großen, die jedoch mehr des Alters,
als der Schoͤnheit wegen merkwuͤrdig iſt.
In
[281]uͤber die einzelnen Kirchen.
In der Kirche ſelbſt findet man eine Menge
Mahlereien von aͤlteren und neueren Roͤmiſchen
und Venetianiſchen Meiſtern. Sie ſind von
geringem Werthe. Titi hat ſie ſehr ſorgfaͤltig ange-
geben.
Das beſte darunter iſt die Himmelfahrt Chriſti
von Cavaliere d’ Arpino uͤber dem Altare des hei-
ligen Sacraments.
In den Niſchen ſtehen: die Statuen der
zwoͤlf Apoſtel. Sie ſind coloſſaliſch.
- Der heil. Petrus iſt von Monnot.
- Der heil. Paul von demſelben.
- Der heil. Andreas von Rusconi.
- Der heil. Jacob von demſelben.
- Der heil. Johannes von demſelben.
- Der heil. Thomas von le Gros.
- Der heil. Jacob der juͤngere von Angelo
de’ Roſſi. - Der heil. Philipp, von Joſeph Mazzuoli.
- Der heil. Bartholomaͤus von le Gros.
- Der heil. Matthaͤus von Rusconi.
- Der heil. Simeon von Moratti.
- Der heil. Taddeus von Ottoni.
Dieſe Figuren koͤnnen beſonders dazu dienen,
uns mit dem Kirchenſtile bekannt zu machen. Sie
gehoͤren unter die beſten dieſer Art.
Ich habe bereits oben die Kennzeichen dieſes
Stils angegeben, und beziehe mich darauf. Man
kann ſagen, daß die ebengenannten Meiſter den Stil
des Algardi in der Zeichnung mit dem des Bernini
in der Behandlung des Fleiſches und der Gewaͤnder
zu vereinigen geſucht haben. Sie copirten uͤbrigens
S 5die
[282]Anmerkungen
die Natur. Ihre Werke ſtehen auf der ſeligen Stufe
der Mittelmaͤßigkeit, die durch keine ausgezeichnete
Vorzuͤge und Fehler das Auge beſonders anzieht oder
beleidigt.
In der Sacriſtei findet ſich eine Verkuͤndi-
gung Mariaͤ von Venuſti nach der Zeichnung
des Michael Angelo Buonarotti.
Grabmal des
Pabſtes Cle-
mens des
12ten aus
dem Hauſe
Corſini.
Die Capelle des Hauſes Corſini, worin
† das Grabmal des Pabſtes Clemens desXII.
aus dieſem Hauſe befindlich iſt, iſt die ſchoͤnſte
Partie in dieſer Kirche. Dies Grabmal iſt unſtreitig
eines der ſchoͤnſten Monumente, die in neuerer Zeit
errichtet ſind. Die Urne in der die Gebeine des
Pabſtes ruhen, und die ehemals das Behaͤltniß der
Gebeine des Agrippa geweſen ſeyn ſoll, weil ſie unter
der Halle des Pantheons ſtand, iſt von ſchoͤnſter
Form, und ſehr fleißig bis auf die geringſten Zier-
rathen ausgefuͤhrt. Die Statue des Pabſtes aus
Bronze nach Maini hat viel Gutes. Rund umher
ſtehen mehrere Statuen im Stil des Bernini. Die
beſte iſt die Maͤßigkeit von Filippo Valle.
Das Altargemaͤhlde iſt ein beruͤhmtes Moſaik
von Chriſtofani nach dem ſchoͤnen Originale des
Guido Reni im Pallaſt Barberini. Es ſtellet den
heil. Corſini vor, und iſt ſo gut, als ein Moſaik
ſeyn kann.
Man trifft in dieſer Kirche auch das Monu-
ment des Cardinals Caſanata von le Gros an.
Es iſt von guter Erfindung, aber von kleinlichem
Geſchmacke in der Ausfuͤhrung, und manierirt.
Ich bemerke zuletzt, daß die ſogenannten Sellae
Stercorariae hier nicht mehr befindlich ſind, und
daß
[283]uͤber die einzelnen Kirchen.
daß der große porphyrne Sarg der heil. Helena nach
dem Muſeo Clementino gebracht iſt.
Capelle: Triclinium Leonis III.42)
Hier findet ſich ein Moſaik, welches Chri-
ſtum unter den zwoͤlf Apoſteln vorſtellt. Die
von Benedikt dem XIV. hinzugefuͤgte Innſchrift
zeigt, daß es nur die Copie nach einem ganz verdor-
benen alten Moſaik ſey.
KircheS. Girolamo della Carità.43)
† Die letzte Communion des heil. Hierony-Die letzte
Communion
des heil. Hie-
ronymus
von Dome-
nichino.
mus von Domenichino. Eins der Hauptgemaͤhlde
in Rom.
Man hat behauptet, daß der Meiſter den Ge-
danken ſeines Gemaͤhldes vom Agoſtino Carraccio 44)
entlehnt habe, der daſſelbe Suͤjet in der Karthauſe
zu Bologna behandelt hat. Die Sache iſt an ſich
nicht zu leugnen: die erſte Veranlaſſung zu Erfindung
des Ganzen und einiger Details hat Domenichino ſei-
nem Vorgaͤnger zu danken; aber er hat auch viel
darin veraͤndert, und es fraͤgt ſich, mit welchem
Gluͤcke?
Unſtreitig iſt der Heilige in dem Gemaͤhlde des
Agoſtino edler gedacht. Er faltet die Haͤnde uͤber
die Bruſt, und dieſe Gebaͤrde ſowohl als ſeine Mine
zeigen die andaͤchtige Innbrunſt, mit der er das letzte
Liebesmahl zu empfangen bereit iſt. Hingegen in
dem
[284]Anmerkungen
dem Gemaͤhlde des Domenichino iſt er ein bloßer
Sterbender, der kaum ſo viel Kraͤfte uͤbrig hat, ſich
zu dieſer heiligen Handlung von den Umſtehenden
ſchleppen zu laſſen.
Aber dies abgerechnet, hat auch das Gemaͤhlde
des Domenichino in allen uͤbrigen Theilen der Mah-
lerei den augenſcheinlichſten Vorzug vor dem Vorbilde,
und man kann ſagen, daß ihm dieſes nicht mehr
Dienſte geleiſtet habe, als ein ſchlechtes antikes Bas-
relief dem Raphael, wenn dieſes durch die ſchwache
Andeutung eines guten Gedankens der Keim zu der
ſchoͤnſten Darſtellung wurde.
Ich habe das Originalgemaͤhlde des Agoſtino in
Bologna geſehen. Die Compoſition iſt mit Figuren
uͤberladen, von denen mehrere nicht den geringſten
Antheil an der Handlung nehmen. Die Vertheilung
der Figuren iſt ſehr unordentlich. Der Ausdruck iſt
wahre Carricatur, das Helldunkle fehlt gaͤnzlich, und
die Farbe iſt ſehr finſter.
Hingegen beſteht das Gemaͤhlde des Domeni-
chino aus wenigeren Figuren, die vortrefflich ange-
ordnet ſind. Dieſe haben einen aͤußerſt wahren Aus-
druck, durch den ſie einen gut motivirten Antheil an
der Haupthandlung nehmen. 45) Die Stellungen,
vorzuͤglich die des jungen Mannes auf dem Vorgrun-
de, ſind ſehr reizend.
Die
[285]uͤber die einzelnen Kirchen.
Die Zeichnung iſt fein, nur moͤchte man ſie in
den Extremitaͤten correkter wuͤnſchen.
Die Gewaͤnder ſind im Ganzen von kleinlichem
Geſchmack, und zu eckigt in den Falten.
Man ſieht, daß dies Bild kraͤftig, harmoniſch
und wahr colorirt geweſen iſt. Auch das Helldunkle
kann dieſes Verdienſt gehabt haben. Die Figur des
jungen Mannes, der auf dem Hintergrunde im Halb-
ſchatten gehalten iſt, thut vortreffliche Wuͤrkung.
Aber ungluͤcklicher Weiſe hat das Bild ſehr nachge-
ſchwaͤrzt, und man urtheilt nur ſehr unzuverlaͤſſig
uͤber die Vorzuͤge deſſelben in Ruͤckſicht auf dieſe Theile
der Mahlerei.
Die Capelle Spada iſt ſehr ingenioͤs decorirt.
Zwei Engel von Marmor halten ein ausgeſpanntes
Tuch, welches ſtatt der Baluſtrade dient.
KircheS. Girolamo degli Schiavoni.46)
Herr D. Volkmann ruͤhmt die Marien beim
Grabe Chriſti von Giuſeppe del Baſtaro. Seine
Manier hat in Anſehung abſtechender Lichter von den
Schatten, Aehnlichkeit mit der Manier des Guercino;
aber Zeichnung und Farbe, die dieſem eigen ſind,
fehlen, und die Koͤpfe ſind ſehr gemein.
KircheS. Giuſeppe a Capo le caſe.47)
Die heil. Maria mit dem Kinde und einem
Engel, welcher den heil. Joſeph aus dem
Schlafe
[286]Anmerkungen
Schlafe wecket, von Andrea Sacchi, gehoͤrt
nicht unter ſeine beſten Werke.
Die heil Thereſia mit der Maria von Lan-
franco. Hat gute Koͤpfe und Haͤnde und viel vom
Stil der Carracci. Schade, daß die Farbe zu ſehr
ins Nußbraune faͤllt!
KircheS. Gregorio Magno.48)
Der Plafond der Kirche von Plazido Co-
ſtanzi ſtellt die Aufnahme des heiligen Grego-
rius in den Himmel vor. Er iſt ſchlecht.
Das Merkwuͤrdigſte in der Kirche iſt ein Ge-
maͤhlde des Battoni, welches einige Heiligen
in der Anbetung eines Marienbildes vorſtellet.
Es ſind vortreffliche Koͤpfe darauf, inzwiſchen iſt die
Geſichtsbildung der heiligen Jungfrau unbedeutend.
Die Faͤrbung iſt ſehr harmoniſch.
Capelle Salviati zur Linken.
† Das Gemaͤhlde des Altars ſtellt den heil.
Gregorius vor, welcher zwiſchen zwei Engeln
betet. In der Hoͤhe eine Glorie von Engeln
von Annibale Carraccio. Die Figur des Heiligen
iſt weder ſehr edel noch ſehr ausdrucksvoll; aber die
Engel ſind von großer Schoͤnheit. Die Geſichtsbil-
dungen haben viel Correggianiſches. Ueberhaupt
ſieht man auch, wie Annibale den Correggio in der
Farbe und im Helldunkeln nachzuahmen geſucht habe.
Dieſe Theile der Mahlerei ſind in dieſem Bilde beſſer
beſorgt
[287]uͤber die einzelnen Kirchen.
beſorgt als in vielen andern dieſes Meiſters. Inzwi-
ſchen fehlt der Schmelz der Farben.
Man ſieht hier noch ein Basrelief, welches
den Einzug unſers Heilandes in Jeruſalem vor-
ſtellet und einen gewiſſen Coſti, einen Florentiniſchen
Kuͤnſtler, zum Meiſter hat.
Capelle der heiligen Silvia. Guido Reni
hat hier ein Concert von Engeln gemahlt, wel-
ches in Anſehung der Zuſammenſetzung nicht gluͤcklich
gerathen iſt. Die Figuren ſtehen gerade und ohne
Verbindung. Das Gemaͤhlde iſt uͤbrigens ſo ſehr ver-
blichen, und hin und wieder retouchirt, daß man nicht
weiter daruͤber urtheilen kann.
Die Statue der heiligen Silvia von Cor-
dieri iſt mittelmaͤßig.
Capelle des heil. Andreas. Sie iſt ſehrCapelle des
heiligen An-
dreas mit
Mahlereien
von Guido
Reni und
Domenichi-
no.
merkwuͤrdig, weil Guido Reni und Domeni-
chino hier in die Wette gemahlt haben.
† Das Gemaͤhlde des Guido ſtellet den
heil. Andreas vor, der zum Tode gefuͤhrt wird.
Der heil. Andreas wirft ſich, als er das Kreuz von
weitem erblickt, auf die Knie nieder, es anzubeten;
aber die Henker noͤthigen ihn wieder aufzuſtehen.
Die Anordnung iſt gut, das Colorit faͤllt zu ſehr
ins Rothe. Die Figur des Heiligen iſt vor-
trefflich.
† Domenichino hat die Geiſſelung des
naͤmlichen Heiligen vorgeſtellt.
Man ſagt, daß, wie Annibale Carraccio die Mah-
lereien dieſer ſeiner beiden Schuͤler verglichen, er den
Ausſpruch gefaͤllet habe, Domenichino habe als ein
Lehrling, Guido als ein ausgelernter Kuͤnſtler gear-
beitet;
[288]Anmerkungen
beitet; aber der erſtere werde dereinſt ein groͤßerer
Meiſter als der letzte werden.
Dieſer Ausſpruch ſcheint mir viel Wahres zu
enthalten. Domenichino hatte noch nicht ſeine ganze
Staͤrke, als er mit Guido Reni wetteiferte. An-
ordnung, Helldunkles und Perſpektiv, kurz! alle
Theile, welche zur mahleriſchen Erfindung einer groͤſ-
ſeren Compoſition gehoͤren, und Ueberlegung, Wiſ-
ſenſchaft vorausſetzen, ſind hier weniger gut, als in
dem Bilde ſeines Nebenbuhlers. Hingegen uͤber-
trifft er dieſen an Richtigkeit der Zeichnung, vorzuͤg-
lich in den Extremitaͤten, und an Wahrheit des Co-
lorits. Wenn ich die einzelne Figur des Heiligen in
dem Bilde des Guido ausnehme; ſo leidet es keinen
Zweifel, daß Domenichino auch an Wahrheit des
Ausdrucks jenem uͤberlegen iſt.
Man ſieht hier einige Mahlereien in einerlei
Farbe, welche viele dem Domenichino beilegen.
St. Petrus und Paulus zu beiden Seiten
des Altars, ſind von Guido Reni.
In der Sacriſtei ein ſchlechtes Gemaͤhlde von
Federico Zuccari.
KircheS. Griſogono.49)
Die Aſſumption des Schutzpatrons dieſer
Kirche von Guercino an der Decke, iſt eine ſchlechte
Compoſition. Form und Ausdruck ſind ſchlecht ge-
waͤhlt. Die Lichter ſind zerſtreuet, die Schatten
haben nachgeſchwaͤrzt; der Grund iſt zu blau, die
Farbe uͤbrigens kraͤftig.
Man
[289]uͤber die einzelnen Kirchen.
Man ſieht außer denen von Hrn. D. Volkmann
angezeigten Monumenten noch ein neueres des
Cardinals Milo, welches jedoch nicht viel Ver-
dienſt zu haben ſcheint.
KircheS. Ignazio.50)
Die architektoniſchen Mahlereien des Pater
Pozzi ſind ſehr verblichen. Dem ohngeachtet ma-
chen ſie noch Illuſion.
An Gemaͤhlden iſt die Kirche ziemlich arm, hin-
gegen enthaͤlt ſie einige gute neuere Bildhauerwerke.
Das Monument des Pabſts Gregorius
desXV.und ſeines Neffen des Cardinals Lu-
doviſi zu ſeinen Fuͤßen, iſt eine gute Zuſammen-
ſetzung, die auf den erſten Blick Wuͤrkung thut.
Schade, daß die Ausfuͤhrung vernachlaͤßigt iſt. Es
iſt theils von le Gros ſelbſt, theils nach deſſen Zeich-
nungen von Monot ausgefuͤhrt. Die Koͤpfe des Ue-
berfluſſes und der Religion haben eine zu ſuͤßliche Mine,
und die Gewaͤnder ſind zu eckigt. Die beiden Figu-
ren der Fama von Monot, zieren ſich auf eine uner-
traͤgliche Weiſe.
Die Capelle des heil. Ludewig Gonzaga
iſt eine der praͤchtigſten in Rom.
† Das Basrelief am Altare ſtellet dieſen
Heiligen vor, wie er in den Himmel getragen wird.
So beruͤhmt dieſes Werk des le Gros iſt, ſo ge-
ſtehe ich doch, daß auſſer dem Verdienſt einer guten
Anordnung, welches in der Mahlerei intereſſanter
ſeyn
Dritter Theil. T
[290]Anmerkungen
ſeyn wuͤrde, als in der Sculptur, ich dieſem Basre-
lief kein ſonderliches beizulegen wiſſe. Die Figur des
Heiligen iſt affektirt; ſein Kopf gleicht mehr einem gu-
ten Kinde, als einem heiligen Manne. Die Engel
haben uͤbertriebene Stellungen, die ganz nach der Re-
gel des Contrapoſto erfunden ſind. Die Wolken von
Stein thun eine ſehr ſchlechte Wuͤrkung. Die Ge-
waͤnder haben lauter viereckigte Falten, und ſind oh-
ne Zartheit behandelt.
Die Engel der Baluſtrade von Ludoviſi
ſind ganz im Stile des Bernini gedacht und ausge-
fuͤhret.
Gerade gegen uͤber die Capelledella S. S. Nun-
ciata. Das darin befindliche Basrelief von Fi-
lippo della Valle iſt mittelmaͤßig.
Die Engel auf der Baluſtrade ſind von
Bracci.
Die Gemaͤhlde von Pozzi, die nicht archi-
tektoniſch ſind, ſind unter der Critik.
KircheS. Lorenzo fuori delle Mure.51)
Man findet hier ein Paar antike Begraͤbniß-
urnen, deren eine ſehr groß und von Porphyr, mit
Weinreben, Trauben und Voͤgeln in erhobener Ar-
beit geziert iſt.
Von den beiden Grabmaͤlern an den Sei-
ten der Thuͤre, die zu den Catacomben fuͤhret, hat
das eine Pietro da Cortona angegeben.
Die Saͤule mit der Eidexe und dem Fro-
ſche im Capitale, die Winkelmann in dem Ver-
ſuche
[291]uͤber die einzelnen Kirchen.
ſuche uͤber die Baukunſt der Alten auf dem Titelku-
pfer hat ſtechen laſſen, muß man bey der Kanzel
ſuchen. Es ſoll dieſes Capital die Nahmen der Bau-
meiſter Saurus und Batracus anzeigen.
KircheS. Lorenzo in Lucina.52)
Der gekreuzigte Chriſtus von Guido wird unter
die beruͤhmten Gemaͤhlde von Rom gezaͤhlet. Ich
geſtehe es zu, daß das Spiel der Muskeln wahr,
und die Zeichnung ſehr fleißig iſt. Aber uͤbrigens
ſcheint mir die Figur ſteif, ohne edlen Ausdruck und
ohne Ruͤndung. Die Farbe faͤllt zu ſehr ins
Graue.
KircheS. Lorenzo in Miranda.53)
Auf dem Hauptaltare hat Pietro da Cortona
die Marter des heil. Laurentius gemahlt. Das
Bild ſieht ſeinen uͤbrigen aͤhnlich, und iſt nicht ein-
mal eins von ſeinen beſten.
Die heil. Maria mit den beiden Apoſteln
Andreas und Jacobus von Domenichino iſt
kaum noch zu erkennen. Titi ſagt, daß der Cava-
liere Vanni es verwaſchen habe. So viel man noch
urtheilen kann, war es eine ſchlechte Compoſition mit
einigen guten Koͤpfen.
T 2Kirche
[292]Anmerkungen
KircheS. Luigi de’ Franceſi.54)
Auf dem Hauptaltare iſt die Aſſumption der
Maria von Francesco Baſſano gemahlt.
Die Anordnung hat viel vom Paolo Veroneſe.
Die Gewaͤnder ſind gut, auch finde ich die Formen
weniger unedel, als gewoͤhnlich gewaͤhlt; die Koͤpfe
aber ſind alle nach einem Modelle gebildet.
Mahlereien
von Dome-
nichino.
† Die zweite Capelle rechter Hand iſt wegen
verſchiedener Mahlereien des Domenichino be-
ruͤhmt.
Beim Eintritt, rechts, ſieht man die heilige
Caͤcilia, welche ihre Kleider unter die Armen
vertheilt. Die Anordnung iſt ſchlecht. Die heil.
Caͤcilia ſteht ſo verſteckt, daß man ſie beinahe gar
nicht ſieht. Der Ausdruck iſt niedrig, aber aͤußerſt
wahr. Jede Figur ſagt das, was ſie ſagen ſoll;
Schade nur, daß dies Geſagte nicht viel werth iſt!
Hin und wieder faͤllt der Ausdruck gar ins Niedrige:
Zum Beiſpiel, der Jude, der von weitem den Preis,
den er fuͤr ein Kleidungsſtuͤck bietet, mit den Fingern
anzeigt; die Mutter, die ihrem Sohne ein Paar Ohr-
ſeigen giebt, da er ſeinem Bruder ein Camiſol weg-
nehmen will; die Straßenjungen, die ſich uͤber ein
Stuͤck Zeug in den Haaren liegen. Inzwiſchen muß
man immer die Kunſt bewundern, mit der Domeni-
chino die geheimſten Affekten der Seele durch die Be-
wegung des Koͤrpers dem Auge des Beſchauers ver-
ſtaͤndlich zu machen gewußt hat.
Die
[293]uͤber die einzelnen Kirchen.
Die Zeichnung iſt incorrekt, die Luftperſpektiv
ſcheint vernachlaͤßigt; inzwiſchen will ich uͤber dieſe
nicht urtheilen, da das Bild durch Feuchtigkeit des
Orts und durchs Retouchiren ſo ſehr gelitten hat.
Der Tod der heil. Caͤcilia gegen uͤber. Dies
Suͤjet war eines edleren Ausdrucks faͤhig und der
Kuͤnſtler hat ihn zu erreichen gewußt. Die Anord-
nung iſt ſehr gut, und die Gruppen greifen gut in ein-
ander. Die heil. Caͤcilia hat einen vortrefflichen
Ausdruck von duldender Hingebung: jedoch duͤrfte
dieſer mehr einem gutmuͤthigen Kinde als einer Heili-
gen mit wahrer Standhaftigkeit gehoͤren. Die Figur
ſcheint mir im Ganzen zu klein gegen die Umſtehenden.
An dieſen bemerke ich einen ſehr ſchoͤnen Ausdruck und
herrliche Stellungen. Die Gewaͤnder ſind ſchlecht.
Das Bild hat ſehr gelitten.
Die heil. Caͤcilia vor dem Richter, der ſie
zwingen will, den falſchen Gdttern zu opfern,
eine Compoſition im Stil alter Basreliefs. Unter
den Koͤpfen, welche die dieſem Meiſter gewoͤhnlichen
ſind, ſind einige ſehr ſchoͤn. Die Figur der Heili-
gen ſcheint ſich ein wenig zu zieren.
Dies Gemaͤhlde iſt beſſer als die vorigen erhalten.
Dieſem Bilde gegen uͤber eben dieſe Heilige,
welche in Geſellſchaft eines andern Heiligen die
Maͤrtyrerkrone von einem Engel erhaͤlt. Eine
allerliebſte Compoſition; der Ausdruck in Minen
und Stellungen iſt vorzuͤglich zu bemerken.
In der Mitte die Aſſumption der heil. Caͤ-
cilia. Die Anordnung iſt nicht zu loben, aber ſonſt
hat das Bild viel Gutes. Der Ausdruck der Heili-
gen iſt voller Adel und himmliſcher Heiterkeit. Sie
T 3kniet
[294]Anmerkungen
kniet auf einem Gewande, welches ein Engel uͤber
ſeinem Kopfe ausgeſpannet haͤlt. Dieſe Idee iſt aus
einem Basrelief in der Villa Medicis genommen,
welches das Urtheil des Paris vorſtellt. Die Engel
ſind liebliche Geſtalten und angenehm colorirt.
Man zeigt in dieſer Kirche † eine Madonna
mit dem Kinde und legt ſie dem Correggio bei;
andere halten ſie von Procaccini. Ich halte ſie von
Cambiaſi. Man erkennt an dem Mangel des Schmel-
zes der Farben, daß das Bild nicht vom Correggio
ſey: obgleich ſonſt der Ausdruck viel von der dieſem
Meiſter gewoͤhnlichen Lieblichkeit hat.
KircheS. Marcello al Corſo.55)
Die Schoͤpfung der erſten Eltern, und die bei-
den Evangeliſten S. Marcus und S. Johan-
nes ſind von Perrino del Vaga angefangen
und von Daniel da Volterra geendiget.
Die Bekehrung Pauli iſt eins der beſten Ge-
maͤhlde von Federico Zuccheri und die umſtehende
Mahlerei al Freſko, in der naͤmlichen Capelle von
ſeinem Bruder Taddeo.
Salviati hat hier einige Gemaͤhlde verfertigt.
Algardi, Raggi, Naldini haben die Kirche mit ver-
ſchiedener Bildhauerarbeit gezieret, deren Verzeichniß
beim Titi nachzuſehen iſt.
Kirche
[295]uͤber die einzelnen Kirchen.
KircheS. Maria degli Angeli, oder alle
Terme di Diocleziano, auch la
Certroſa.56)
† Der heil. Hieronymus von Muziano. Ein
ſchoͤnes Bild, das immer die Augen des Kenners
auf ſich ziehen wird, wenn gleich die Farbe verblichen
iſt. Der Gedanke iſt gut, die Koͤpfe und die Ge-
waͤnder ſind wohl gewaͤhlt, und die Zeichnung iſt
correkt.
† Der Fall Simons des Zauberers, vonBeurthei-
lung eines
Gemaͤhldes
von Pompeo
Battoni.
Pompeo Battoni, verdient als eins der Haupt-
werke dieſes braven neueren Meiſters 57) einige beſon-
dere Aufmerkſamkeit.
Zuerſt Gedanke und Anordnung: Der heilige
Petrus flehet mit in die Hoͤhe gerichteten Augen den
Himmel an, daß er die Werke des Teufels zerſtoͤren
moͤge, und ſeine Hand, gegen die Erde ausgeſtreckt,
zeigt den Wunſch, daß der fliegende Zauberer herab-
geſchleudert werden moͤge. Um ihn herum ſtehen
T 4mehrere
[296]Anmerkungen
mehrere Glaͤubige, welche voll Zuverſicht dieſes Zei-
chen der hoͤheren Allmacht erwarten. Sie bilden die
erſte Gruppe unter einem Porticus. Weiterher liegt
ein Sclave, der mit dem Ausdruck, der ſeinem nie-
drigen Stande eigen iſt, den fallenden Simon angafft
und einen Hund, der dieſen anzubellen ſcheint, zuruͤck-
haͤlt. Dies auf dem rechten Theile des Vordergrun-
des. Zur Linken, mehrere Zuſchauer, die Erſtaunen
und Furcht durch ihre Gebaͤrden zu erkennen geben:
Eine Mutter, die ſich ſitzend uͤber ihr Kind herbeugt,
und es außerdem durch den ausgeſtreckten Arm vor
der Zerſchmetterung durch den fallenden Zauberer zu
beſchuͤtzen ſucht. Ein Mann, der, um ein aͤhnliches
Ungluͤck von ſich ſelbſt abzuwehren, die Haͤnde uͤber
den Kopf ausbreitet. Etwas tiefer herab eine
Gruppe dreier Perſonen, die in der Beſtuͤrzung uͤber
einander ſtolpern. Im Hintergrunde: eine Statue
des Hercules, und der Praͤtor auf der Sella curu-
lis, umgeben von Senatoren, Tribunen und Kriegs-
knechten. In der Hoͤhe: der Zauberer in Begleitung
von ein Paar Teufeln bereits fallend.
Das Bild iſt zu voll; die Gruppen ſind zu un-
ordentlich geſtellt; das Auge findet nirgends Ruhe.
Der Ausdruck iſt ziemlich wahr, aber zu niedrig.
In der Wahl der Koͤpfe herrſcht zu viel Monotonie,
ſie ſcheinen beinahe alle nach einem Modelle verfer-
tigt zu ſeyn. Die Zeichnung iſt keinesweges ohne
Incorrektionen, vorzuͤglich in dem fallenden Zaube-
rer, durchaus aber ohne Feinheit und Beſtimmtheit.
Die Gewaͤnder ſind von kleinlichem Stile ohne hin-
reichende Bezeichnung des Nackenden. Das rothe
Gewand der Frauen mit dem Kinde zeigt inzwi-
ſchen
[297]uͤber die einzelnen Kirchen.
ſchen ſehr mahleriſche Maſſen heller und dunkler
Partien.
Das Colorit iſt nicht wahr, aber es hat den
Vorzug, welcher dieſem Meiſter vorzuͤglich eigen zu
ſeyn ſcheinet: Die Farben der ganzen Tafel machen
ein fuͤr ſich beſtehendes harmoniſches Ganze aus. Der
Ton iſt, von der oberſten Spitze des Gemaͤhldes an
bis unten hinaus, einer und derſelbe. Es iſt eine
ſchoͤn gefaͤrbte Tafel, eine liebliche Farbenleiter, ein
angenehm in einander fließender Regenbogen. 58)
In Ruͤckſicht auf Haltung hat aber das Ge-
maͤhlde nicht dieſelben Verdienſte. Der Mahler hat
naͤmlich gewagt, das Bild durch den Blitz zu er-
leuchten, durch den er den fliegenden Zauberer her-
abſchleudern laͤßt. Dieſer kuͤhne Gedanke bringt
zwar einige pikante Schlagſchatten hervor, zerſtreuet
aber zu gleicher Zeit das Licht, und erhellet den Hin-
tergrund zu ſehr. Denn nun tritt der Praͤtor, der
dort ſitzt, ſo nahe an die Perſonen der vorderſten
Gruppe, daß man nicht abſieht, wohin der Zaube-
rer fallen ſoll, ohne alles Lebende unter ſich zu zer-
ſchmettern.
Der Kaiſer Conſtanz, der bei der Cele-
bration der Meſſe durch den heil. Baſilius in
Ohnmacht faͤllt, von Subleyras. Das Bild
T 5iſt
[298]Anmerkungen
iſt nicht ohne Verdienſt, inzwiſchen hat die poetiſche
Erfindung allerdings große Fehler. Die Gruppe
des Knaben, der auf dem Vordergrunde das Brod
aus den Haͤnden eines nackten Mannes empfaͤngt,
unterbricht die Einheit der Handlung, und paßt
nicht fuͤr Zeit und Ort. Die Anordnung aber kann
zum Muſter dienen. Der Ausdruck in dem Kaiſer
iſt zu affektirt. Die Gruppe der Prieſter iſt das
Beſte im Bilde: Man ſieht darunter gute Koͤpfe.
Die Zeichnung iſt ohne auffallende Fehler, die Faͤr-
bung ſchlecht, und das Helldunkle beſſer gedacht als
ausgefuͤhrt.
Die Auferweckung des Lazarus von Co-
ſtanzi. Die Anordnung iſt gut, der Ton der
Faͤrbung, obgleich harmoniſch, faͤllt zu ſehr ins
Schwarze.
des heiligen
Sebaſtians
von Dome-
nichino.
† Die Marter des heiligen Sebaſtians
von Domenichino. Weder die poetiſche Erfin-
dung noch die mahleriſche Anordnung verdienen ein
beſonderes Lob. Die Menge der hier vorgeſtellten
Figuren iſt dergeſtalt auf einander gehaͤuft, daß das
Auge Muͤhe hat, ſie aus einander zu ſondern. Die
Epiſode des Soldaten zu Pferde, der das Volk aus
einander treibt, ſchadet der Einheit der Handlung,
weil ſie die Aufmerkſamkeit zu ſehr an ſich zieht, und
den Eindruck, den die Lage der Hauptfigur auf uns
machen ſollte, auf keine Weiſe unterſtuͤtzt. Man
muß die Figuren einzeln ſehen, um ſich von ihrer
Schoͤnheit zu uͤberzeugen: Jede ſagt das, was ſie
ſagen ſoll. Man ſieht vortreffliche Koͤpfe; bei dem
des Heiligen ſcheint der Mahler den Laocoon vor Au-
gen gehabt zu haben. Der Koͤrper iſt nicht ſo edel
Die
[299]uͤber die einzelnen Kirchen.
Die Figur Chriſti in der Glorie iſt ſchlecht. In
der Zeichnung, vorzuͤglich der Haͤnde, trifft man meh-
rere Incorrektionen an. Die Farbe iſt gut aufge-
tragen, und kraͤftig. Ueber Luftperſpektiv, Hal-
tung und Harmonie kann man nicht mehr urtheilen.
Das Bild hat ſehr gelitten; indeſſen ſcheinen dieſe
Theile niemals vorzuͤglich geweſen zu ſeyn. 59)
Die Darſtellung Mariaͤ im Tempel von
Romanelli. Das Bild iſt zu ſehr verdorben, um
mit Zuverlaͤßigkeit ein Urtheil daruͤber zu faͤllen.
Sollte man etwas daruͤber ſagen, ſo waͤre es dies:
Die poetiſche Erfindung iſt ſchlecht, die mahleriſche
Anordnung gut; der Ausdruck unbedeutend, die
Stellung reizend; die Zeichnung unbeſtimmt, aber
ohne auffallende Unrichtigkeiten; die Faͤrbung falſch,
aber die Harmonie gut; Kurz! die charakteriſtiſchen
Fehler und Vorzuͤge des Kirchenſtils finden ſich neben
einander.
Die Taufe Chriſti von Carlo Maratti.
Ich wuͤßte nicht, welches Verdienſt dieſes Bild ha-
ben koͤnnte. Alle Theile der Mahlerei ſind darin
ſchlecht; die Stellungen Chriſti und des heil. Johan-
nes ekelhaft geziert.
Die Strafe des Ananias und der Sapphira
von Roncalli oder Pomeranzio, auf Schiefer:
ganz verdorben. Herr Volkmann ſagt, daß dieſes
Bild in einem großen Stile gemahlt ſey. Dieſes
kann
[300]Anmerkungen
kann nur ſo viel heißen, daß die Gewaͤnder große
Maſſen darbieten, welche das Licht gut auffangen;
denn uͤbrigens iſt weder Hoheit des Ausdrucks noch
Richtigkeit der Zeichnung darin anzutreffen.
KircheS. Maria dell’ Anima.60)
maͤhlde von
Giulio Ro-
mano.
† Madonna mit dem Chriſtkinde, ein heiliger
Jacob betet es an; der heilige Joſeph lehnt
ſich auf den Ellnbogen, und ſieht zu; der
heil. Rochus wird dem Heiland durch den heil.
Johannes vorgeſtellt, und hinten futtert die
heil. Anna die Huͤner: von Giulio Romano.
Es iſt ein Hauptbild dieſes Meiſters, ob es
gleich auf mancherlei Art, durch Retouchiren, ſchlech-
ten Firniß ꝛc. gelitten hat. Auch ſind Erfindung
und Anordnung nicht zu loben; man muß allein auf
das Detail ſehen. Der Kopf der Madonna hat
viel Aehnlichkeit mit dem der Madonna in der heil.
Familie von Raphael zu Verſailles. Eben daher
iſt auch die Stellung des heil. Joſephs genommen,
der ſich auf den Arm ſtuͤtzt; aber, recht nach Art
der Nachahmer, hier ſehr uͤbertrieben wieder ange-
bracht. Die Madonna iſt die reizendſte Figur auf
dem Bilde, dabei in vortrefflichem Geſchmack drap-
pirt. Der Kopf des heil. Rochus, und einige Engel
ſind auch ſehr ſchoͤn. Dagegen gehoͤren die Knie des
Chriſtkindes einem ausgewachſenen Bootsknechte,
und die Beine des heil. Johannes ſind offenbar zu
klein gegen die uͤbrige Figur.
† Ein
[301]uͤber die einzelnen Kirchen.
† Ein Paar Kinder von Franceſco Fiam-Kinder von
Fiammingo.
mingo an dem Grabmale Ferdinands van der
Einda, — irrig ſchreibt Hr. Volkmann: Monu-
ment von Ferdinand Vander, — eines Antwer-
pers. Sie ſind aͤußerſt delicat behandelt, und haben
ſehr liebliche Phyſiognomien. Vielleicht duͤrften ſie
ein wenig zu fleiſchigt ſeyn.
KircheS. Maria dell’ Appollinare.61)
In der dritten Capelle rechter Hand, der heil.
Franciscus Xaverius von le Gros. Die Stel-
lung iſt affektirt, der Kopf ohne Ausdruck, und das
Gewand in zu viel kleine Falten gelegt.
KircheS. Maria di Loretto.62)
† Die heilige Suſanna von Fiammingo. DieſeH. Suſanna
von Fiam-
mingo.
Statue iſt unſtreitig eine der beſten von denen, die
in neueren Zeiten verfertigt ſind. Der Kopf hat
Reiz, aber er reicht nicht an das hohe Ideal von
Schoͤnheit der Alten. Man kann nur ſagen: er ſey
gefaͤllig. Vielleicht ſind die Wangenknochen ein
wenig zu ſtark.
Die Stellung iſt ſimpel, und der Kuͤnſtler hat
die Regel des Contrapoſto, die unter ſeinen Zeitge-
noſſen ſo oft gemisbraucht wurde, auf eine vernuͤnf-
tige Art genutzt. Inzwiſchen werfen einige Kenner
dem
[302]Anmerkungen
dem linken Fuße immer noch eine unnatuͤrliche Stel-
lung vor. Der Wurf des Gewandes iſt gut gedacht,
ſo auch der Faltenſchlag. Die Uebergaͤnge aus einer
Falte in die andere duͤrfte man in der Ausfuͤhrung
weicher wuͤnſchen.
Man kann den Werth dieſer Statue nicht beſſer
beurtheilen, als wenn man den Gipsabdruck der-
ſelben auf der Franzoͤſiſchen Academie mit dem der
heil. Bibiena vom Bernini, der ihr dort gegen uͤber
ſteht, vergleicht. Man wird alsdann finden, daß
Fiammingo’s Werk vielleicht nur darum einen ſo
großen Vorzug vor dem Werk ſeines Nebenbuhlers
erhaͤlt, weil er ſich weniger von dem Stile der Antike
entfernt hat. Der Ausdruck iſt der einer ſanften,
gottesfuͤrchtigen Seele voll ſittſamen Reizes, und
ſtiller Tugend. Die Hand, mit der ſie auf den Altar
zeigt, duͤrfte ein wenig zu groß und zu ſteif ſeyn. In
der andern haͤlt ſie einen Palmzweig.
Sie ſteht nicht in der Niſche uͤber der Thuͤre,
wie Hr. Volkmann ſagt, ſondern in einer Niſche dem
Altare zur Seite.
merkungen
uͤber den Stil
des Fiam-
mingo.
Franßois Queſnoy, genannt Fiammingo, lebte
von 1594 bis 1648. Er verdient mit Recht den
Nahmen des groͤßten Bildhauers neuerer Zeiten. Er
hat mehr als alle andere im Stil der Antike gedacht, und
er wuͤrde vielleicht ſeinen Muſtern noch naͤher gekom-
men ſeyn, wenn der zu ſeiner Zeit herrſchende Kir-
chenſtil ihn nicht wider ſeinen Willen davon zuruͤckge-
halten haͤtte. In Kindern hatte er ſeine groͤßte
Staͤrke: Er bildete ſie mit der anſchmiegenden Lieb-
lichkeit die ihrem Alter eigen iſt. Der Kopf ſeiner
Suſanna zeigt gefaͤllige Unbefangenheit, ſanfte Zu-
vor-
[303]uͤber die einzelnen Kirchen.
vorkommung. Der Ausdruck des Affekts in ſeinem
heil. Andreas in der Peterskirche, iſt hingegen uͤber-
trieben und affektirt. Mehr Werke kenne ich nicht
von dieſem Meiſter. Wenn ſie mich nicht hinreichend
berechtigen, ein allgemeines Urtheil uͤber die Vorwuͤrfe
zu faͤllen, in deren Darſtellung unſer Meiſter ſeine
groͤßte Staͤrke beſaß; ſo ſcheinen jedoch jene Erfah-
rungen in Verbindung mit der Nachricht, die wir
von dem ausgezeichnet ungluͤcklichen Schickſal haben,
womit Fiammingo in ſeinem Leben zu kampfen hatte,
die Vermuthung zu beſtaͤrken, daß der Ausdruck ei-
ner holden Seele in einem zart organiſirten Koͤrper
ihm am beſten gegluͤckt ſey, daß er ſich hingegen
ſchwerlich bis zur Bildung eines hohen Geiſtes, zur
Darſtellung ſtarker Affekte werde hinaufgeſchwungen
haben.
KircheS. Maria Maddalena al
Corſo.63)
† Die heil. Magdalena, der die Engel die
Inſtrumente der Paſſion zeigen, ein ſehr ſchoͤ-
nes Bild von Guercino. Schade, daß die
Schatten zu ſehr nachgeſchwaͤrzt haben, und daß es
zu ſchlecht im Lichte ſtehet, um es genau zu erken-
nen. Die Geſichtsbildungen ſind, ſo viel man noch
ſehen kann, wohl gewaͤhlt. Vielleicht duͤrfte es ein
wenig an Ausdruck fehlen. Die Zeichnung iſt gut,
vorzuͤglich fallen der Arm und die Haͤnde des Engels,
der den Chriſt in den Wolken zeigt, ſehr auf. Auch
loͤſen ſich die Figuren gut von dem Grunde ab.
Kirche
[304]Anmerkungen
KircheS. Maria Maddalena e S. Salva-
tore delle Capelle.64)
Dieſe Kirche kann ſowohl in Ruͤckſicht auf Bau-
kunſt als Mahlerei und Bildhauerarbeit, fuͤr ein
Modell des ſchlechten Geſchmacks dienen.
KircheS. Maria Maggiore.65)
Die Sixtiniſche Capelle hat fuͤr die Kunſt nichts
Merkwuͤrdiges.
Capelle Borgheſe
hat Gemaͤhlde von Giuſeppe d’Arpino, und Guido
Reni, ſie ſind aber dem Auge zu entfernt, und zu
ſchlecht erleuchtet, als daß man ſie gehoͤrig beurthei-
len koͤnnte. Sie ſtellen verſchiedene Patriarchen und
Lehrer des neuen Teſtaments vor.
Die Sculptur in dieſer Capelle iſt durchaus mit-
telmaͤßig. Die Urne die zum Altar dient iſt aber
ſehr ſchoͤn.
Das Beſte von Bildhauerarbeit in dieſer Kirche
ſcheint das Grabmal ClemensIX. zu ſeyn. Die
Arbeit iſt von Schuͤlern des Bernini.
Gegen uͤber das Grabmal NicolausIV.
Beide tragen viel zur Auszierung der Kirche bei.
Das Grabmal des Agoſtino Favoriti hat
der Biſchoff von Fuͤrſtenberg errichten laſſen; es iſt
aber nicht, wie Hr. D. Volkmann irrig ſchreibt,
das Grabmal dieſes Praͤlaten ſelbſt.
Die
[305]uͤber die einzelnen Kirchen.
Die Capelle Ceſi iſt von guter Erfindung.
Man ſchreibt ſie dem Martino Lunghi zu. Die
Grabmaͤler ſind von della Porta, und beſſer gedacht
als ausgefuͤhrt. 66)
Die Capelle Sforzi ſoll nach den Zeichnun-
gen des Michael Angelo Buonarotti decorirt ſeyn.
Die Auferweckung des Lazarus von Muziano,
von der Hr. Dr. Volkmann redet, iſt nicht mehr
hier, ſondern ſoll, wie Titi berichtet, nach dem Pal-
laſt des Quirinals gebracht ſeyn.
Im Eingange der Sacriſtei ſieht man ein
Monument des Antonio Grata, Geſandten des
Koͤnigs von Congo. Es iſt von der Hand des Ber-
nini, aber mittelmaͤßig. Ein gleiches Urtheil darf
von der Himmelfahrt Mariaͤ, einem Basrelief
auf dem Altare im Chor, gelten. Es iſt von dem
Vater des Bernini.
In der dritten Capelle von der Sacriſtei
ab ſieht man eine Verkuͤndigung von Pompeo
Battoni.
KircheS. Maria ad Martyresoder das
Pantheon, gewoͤhnlichla Rotonda
genannt.67)
Die Statue der Madonna von LorenzettoMadonna
von Loren-
zetto.
wird fuͤr das beſte Kunſtwerk in dieſer Kirche gehal-
ten.
Dritter Theil. U
[306]Anmerkungen
ten. Der Kopf der Madonna iſt von ſchlechter
Wahl, und ohne Ausdruck; das Chriſtkind ſchlecht
gezeichnet, und ſo hart ausgefuͤhrt, daß es aus Holz
geſchnitzt zu ſeyn ſcheint. Ueberhaupt iſt das Na-
ckende nicht mit genugſamer Zartheit behandelt.
Beſſer iſt das Gewand, immer aber bleibt es noch
zu ſchwerfaͤllig und unbeſtimmt in dem Faltenſchlage,
wenn man gleich die Nachahmung der Antiken darin
ſpuͤrt.
Man trifft hier noch mehrere Bildhauerarbeit
und verſchiedene Mahlereien an, welche aber der
Aufmerkſamkeit des Liebhabers weniger werth zu ſeyn
ſcheinen.
Zu denen von Hrn. Dr. Volkmann angezeigten
Grabmaͤlern ſind noch folgende in neuern Zeiten
hinzugekommen.
Das Monument von Mengs, welches ihm
der Cavaliere Azara mit der Innſchrift: Pictori
Philoſopho, hat ſetzen laſſen.
Das Monument Pouſſins, welches auf
Koſten des Marquis d’Azincourt errichtet iſt.
Das Monument Winkelmanns verdanken
wir dem Patriotismus des Herrn Hofraths Reiffen-
ſtein, und mit wenigem Anſpruch auf eine ſo ehrbrin-
gende Geſellſchaft, hat ein neuerer Mahler Bene-
fiali, ein eingebohrner Roͤmer, von den Kuͤnſtlern
unter ſeinen Landesleuten gleichfalls hier ein Monu-
ment erhalten.
Kirche
[307]uͤber die einzelnen Kirchen.
KircheS. Maria ſopra Minerva.68)
† Chriſtus von Michael Angelo, ſteht meinerChriſtus von
Michael An-
gelo.
Einſicht nach nicht ſeinen Ruhm. Er iſt von gemei-
ner Natur, ſowohl was Kopf als Koͤrper anbetrifft.
Er traͤgt einen Stutzbart; die Beine ſind ſchwerfaͤl-
lig, die Haͤnde unnatuͤrlich; die ganze Stellung iſt
verdreht und unedel; die Muskeln ſind viel zu ſtark
angegeben. Inzwiſchen iſt die Kenntniß des Kno-
chen- und Muskelnbaues und die Behandlung des
Marmors unſerer Aufmerkſamkeit werth.
Die Gruppe gegen uͤber von Franceſco Si-
ciliano, welche Hr. Dr. Volkmann eine heilige
Magdalena nennt, iſt eine Carita, und ein mittel-
maͤßiges Werk.
Das Monument Benedict desXIII. iſt
von den Schuͤlern des Bernini ziemlich mittel-
maͤßig ausgefuͤhrt.
Die beiden Monumente LeoX. und Cle-
mensVII. ſind von ſchoͤner Erfindung. Sie ſind
wie Triumphboͤgen gebauet, welches eine gute Wuͤr-
kung thut. Die daran befindliche Bildhauerei im
Stile des Michael Angelo iſt unbedeutend.
Die beiden Monumente der Cardinaͤle
Aleſſandrino und Pimentelli, das erſte von Gia-
como della Porta, das andere von Schuͤlern
des Bernini, verdienen gleichfalls keine ſonderliche
Aufmerkſamkeit.
Eben daſſelbe Urtheil kann von der uͤbrigen
Bildhauerarbeit in dieſer Kirche gelten.
U 2Unter
[308]Anmerkungen
Unter den Gemaͤhlden iſt gleichfalls nichts auſ-
ſerordentliches.
Das Bild des Carlo Maratti gehoͤrt nicht
zu ſeinen beſten.
Mit mehrerem Intereſſe wird man die Mahle-
reien des Venuſti betrachten.
Titi bemerkt ein Abendmahl von Federico Ba-
roccio auf dem Altare der Capelle Aldobrandini.
Ich habe es uͤberſehen.
KircheMaria di Monte Santo.69)
In der erſten Capelle zur rechten Hand hat
Salvator Roſa einige Mahlereien verfertigt,
welche, wie gewoͤhnlich, von ſchlechter Anordnung,
uͤbertriebenem Ausdrucke und incorrekter Zeichnung,
zugleich aber auch kraͤftig an Farbe und pikant an
Wuͤrkung des Helldunkeln ſind.
Eine heilige Familie von Carlo Maratti im
Stile des Pietro da Cortona.
Der heil. Franciſcus und Rochus, welche
die Madonna anbeten, von demſelben Meiſter.
Die Figur der Madonna hat etwas edles.
KircheS. Maria della Navicella.70)
Die Frieſe von Giulio Romano und Perrino
del Vaga ſind uͤbermahlt und verdienen daher die
Aufmerkſamkeit des Liebhabers nicht mehr.
† Vor
[309]uͤber die einzelnen Kirchen.
† Vor der Kirche liegt ein antiker Kahn
aus Marmor. Er iſt des Coſtums wegen merk-
wuͤrdig.
KircheS. Maria del Orto.71)
Die Mahlereien in dieſer Kirche ſind ſo verdorben,
daß wenn ſie auch jemals Verdienſt gehabt haben,
dies nicht mehr zu erkennen iſt.
KircheS. Maria della Pace.72)
† Die Mahlereien von Raphael, die unter dem
Nahmen der Sibyllen bekannt ſind, haben aͤußerſt
gelitten. Das Wenige, was man ſieht, verraͤth den
Meiſter.
KircheS. Maria del Populo.73)
In der zweiten Capelle rechter Hand hat Ma-
ratti die Empfaͤngniß der Maria gemahlt. Un-
ten ſteht der heil. Johannes in Unterredung mit dem
heil. Gregorius, der in einem Lehnſtuhl ſitzt und ſich
von dem heil. Geiſt, in Geſtalt einer Taube, etwas
ins Ohr ſagen laͤßt. Dieſer Gedanke iſt laͤcherlich,
der Ausdruck aber uͤbertrieben. Die Stellungen ſind
theatraliſch. Ueberhaupt kann man bei einer ſehr in-
correkten Zeichnung, einer ſchlechten Wahl der Falten,
U 3einer
[310]Anmerkungen
einer Farbe, die nach der Palette riecht, und einem
gaͤnzlichen Mangel an Ruͤndung dieſem Bilde keinen
andern Werth beilegen, als den, daß der Kopf der
Madonna viel vom Stil des Guido hat.
In der dritten Capelle ſind Gemaͤhlde von
Pintoricchio, mit artigen Koͤpfen.
In dem Gemaͤhlde von der Heimſuchung
Mariaͤ von Morandi trifft man Aehnlichkeit mit
dem Stile des Andrea Sacchi an.
† In der erſten Capelle zur Linken: die
Himmelfahrt Mariaͤ von Annibale Carraccio.
Der Mahler hat nicht Raum gehabt, ſeine
Ideen in der Maaße auszufuͤhren, wie er ſie in der
Skizze zu dieſem Gemaͤhlde im Pallaſt Doria ange-
zeigt hat. Die Figuren ſind daher zu ſehr auf einan-
der gehaͤuft. Dieſen Fehler abgerechnet, hat das Bild
große Schoͤnheiten. Der Ausdruck in den Koͤpfen iſt
vortrefflich und die Zeichnung ſehr correkt. Vorzuͤg-
lich ſchoͤn iſt die Hand des heil. Petrus in Verkuͤrzung.
Die Gewaͤnder ſind trocken ausgefuͤhrt und die Farbe
iſt im Ganzen ſchlecht.
Zu den beiden Seiten hat Michael Angelo
Carravaggio die Bekehrung Pauli und die
Kreuzigung Petri gemahlt, an denen die Ruͤn-
dung das Merkwuͤrdigſte iſt.
Hr. Volkmann iſt hier zu verbeſſern. Dieſe
beiden Bilder des Carravaggio haͤngen nicht in einer
beſondern Capelle zu Ende der Seiten Navaten; und
in der erſten zur Linken vom Altare ab, finden ſich
keine andere, welche aufgemahlt ſeyn koͤnnten, als
diejenigen, welche angegeben ſind.
Die
[311]uͤber die einzelnen Kirchen.
Die Capelle Chigi iſt vorzuͤglich wegen derJonas von
Lorenzetto
nach Ra-
phaels Zeich-
nung.
Statue des Propheten Jonas beruͤhmt, zu der
Raphael die Zeichnung angegeben hat. Die Aus-
fuͤhrung iſt von Lorenzetto.
Ob die Stellung gleich nicht ſo uͤbertrieben ge-
ziert als viele andere neuerer Meiſter iſt, ſo fehlt ihr
doch der ruhige Reiz der Antiken. Der Kopf hat viel
aͤhnliches mit dem Antinous im Belvedere, aber
der feine Ausdruck des Originals iſt nicht erreicht.
Der Koͤrper iſt mit einer Zartheit behandelt, die ſich
auf eine ſehr gluͤckliche Art von der uͤbertriebenen
Muskelnandeutung des Michael Angelo unterſchei-
det, aber der Meiſſel hat die Feinheit von Ra-
phaels Crayon nicht ganz erreicht.
Iſt dieſe Statue, wie man behauptet, das
Meiſterſtuͤck der neueren Bildhauerkunſt in nackenden
Figuren, ſo verdient ſie dieſen ehrenvollen Platz haupt-
ſaͤchlich durch die weiſe Einfalt des Gedankens. Wie
viel mangelt ihr noch an Schoͤnheit, Beſtimmtheit
der Zeichnung, und Ausdruck des Charakters, um
mit einem Apollo, Antinous, und andern Meiſter-
ſtuͤcken der Alten in Vergleichung geſetzt zu werden!
Die Statue des Propheten Elias gegen
uͤber ſoll gleichfalls von Lorenzetto nach Raphaels
Zeichnung verfertiget ſeyn. Sie iſt mittelmaͤßig.
und nur die Gewaͤnder verdienen Aufmerkſamkeit.
Dieſe Statue ſteht der vorigen ins Kreuz gegen uͤber.
Die beiden andern Statuen ſtellen den Pro-
pheten Habacuc und den Propheten Daniel vor.
Sie ſind von Bernini, und nach Gewohnheit ſehr
manierirt.
U 4Man
[312]Anmerkungen
Man will, daß die Mahlereien in dieſer Ca-
peile von Sebaſtiano del Piombo und Sal-
viati nach den Zeichnungen Raphaels ausge-
fuͤhrt ſeyn ſollen. Iſt dies gegruͤndet, ſo haben jene
Meiſter bei der Ausfuͤhrung ſich vieler Freiheiten be-
dienet. Doch, ich mag daruͤber nicht urtheilen:
Der Ort iſt viel zu ſchlecht erleuchtet, um es mit Zu-
verlaͤßigkeit zu thun.
KircheS. Maria della Scala.74)
† In der erſten Capelle rechter Hand hat Ger-
hard Honthorſt die Enthauptung des heil.
Johannes vorgeſtellet. Es iſt eins ſeiner ſchoͤnſten
Bilder. Die Koͤpfe ſind voller Wahrheit: Die
Farbe iſt voller Kraft, die Wuͤrkung der Fackel ſehr
pikant.
Die uͤbrigen Kunſtwerke in dieſer Kirche kann
man beim Titi und Volkmann nachſehen.
KircheS. Maria del Sole, oder Stefano
delle Carozze.75)
Hr. Dr. Volkmann wuͤrde hier eine Berichtigung
beduͤrfen: Allein da ſeine Fehler blos die Architektur
und einige antiquariſch hiſtoriſche Nachrichten be-
treffen, ſo gehoͤren ſie nicht in meinen Plan.
Kirche
[313]uͤber die einzelnen Kirchen.
KircheS. Maria in Traſtevere.76)
Das Moſaik in der Tribune von 1143 wird
die Liebhaber Gothiſcher Mahlereien reizen; wir gehen
dabei voruͤber.
An der Kuppel ſieht man eine ſchoͤne Aſ-
ſumption der Jungfrau von Domenichino.
Der Ausdruck des Kopfs in der heil. Jungfrau iſt
vortrefflich, auch ſind die Formen ſchoͤn. Daran
und an den Haͤnden erkennt man den Domenichino
wieder. Auch die kraͤftige Farbe al Freſco gehoͤrt
ihm. Die Gewaͤnder und die Engel haben viel vom
Stil des Carraccio.
In der ſechſten Capelle ſieht man noch die
Spuren eines Kindes, welches Blumen aus-
ſtreuet, von Domenichino. Man hat dieſes
Kind aus Reſpekt fuͤr den Meiſter ſtehen laſſen; der
Reſt iſt uͤbergeweißet.
Wenn man Hr. Volkmann lieſet, ſollte man
glauben, daß noch andere Gemaͤhlde, nach den Zeich-
nungen des Domenichino ausgefuͤhrt, an der Decke
befindlich waͤren. Aber dieſes iſt nicht. Alles
uͤbrige iſt vergoldetes Schnitzwerk. 77)
In der Capelle des heil. Johannes iſt dieſer
Heilige in der Wuͤſte, von Antonio Carraccio,
einem natuͤrlichen Sohne des Agoſtino, gemahlt.
Es hat viel von der erſten Manier des Guido Reni.
U 5Kirche
[314]Anmerkungen
KircheS. Maria in Valicella, oder Chieſa
nuova.78)
nehmung
von M. An-
gelo Carra-
vaggio.
† Die Kreuzabnehmung von Michael Angelo
Carravaggio iſt eins der ſchoͤnſten Gemaͤhlde dieſes
Meiſters. Der Gedanke und die Anordnung ſind
nicht beſonders, und die Formen nicht ſehr edel ge-
waͤhlt. Aber man kann ihnen wenigſtens nicht das
Ekelhafte und niedrig Haͤßliche vorwerfen, was man
in ſo vielen andern Bildern dieſes Meiſters antrifft.
Der Ausdruck iſt ſehr wahr, die Faͤrbung ſehr kraͤf-
tig. Was man aber vorzuͤglich bewundern muß,
iſt die Ruͤndung. Die Figuren treten wuͤrklich aus
dem Grunde hervor. Die Zeichnung, vorzuͤglich in
den Extremitaͤten, iſt incorrekt.
Am mittelſten Gewoͤlbe hat Pietro da
Cortona die Legende vorgeſtellet, wie die Jung-
frau Maria auf Vorbitte des heiligen Phi-
lippus Neri die alte Kirche vor dem Einſturz
bewahret. Maria haͤlt die Kirche, und das Volk
nimmt die Flucht. Dieſe Mahlerei iſt eine huͤbſche
Schminke, welche den Platz auf eine angenehme
Art ausfuͤllt. Die Perſpektiv in der Architektur
verdienet Lob.
Von eben dieſem Meiſter iſt die Himmel-
fahrt der Maria an der Tribune, wie auch die
Kuppel, woran man Chriſtum ſieht, welcher
Gott dem Vater die von Engeln getragene
Paſſionsinſtrumente zeigt.
In
[315]uͤber die einzelnen Kirchen.
In der dritten Capelle rechter Hand iſt
das Gemaͤhlde der Himmelfahrt von Muziano.
Die Koͤpfe und die Gewaͤnder haben Verdienſt, und
die Faͤrbung iſt kraͤftiger, wie gewoͤhnlich.
In der Capelle Spada ſieht man den heil.
Carl Barromaͤus und den heil. Ignatius,
welche die Maria anbeten. Sie ſind von Carlo
Maratti. Dem Kopf der Madonna fehlt es an
Seele, die uͤbrigen ſind geziert. Die Farbe iſt an-
genehm und harmoniſch.
Neben dem Altare haͤngen drei Bilder von
Rubens, aus ſeiner fruͤheren Manier. Man er-
kennt ſchon ſeinen Stil in der Zeichnung der Koͤrper
und Gewaͤnder, aber die Faͤrbung hat noch nicht den
angenehmen Glanz, der ihn in der Folge beruͤhmt
gemacht hat.
In der Capelle des heil. Philippus Neri
haͤngt das Bildniß dieſes Heiligen im Gebete
an die Maria, nach Guido in Moſaik.
† In der naͤchſtfolgenden Capelle, die
Darſtellung der Maria im Tempel, von Fede-
rico Barroccio. Die Figur der Maria hat den
Reiz, der dieſem Meiſter gewoͤhnlich iſt, und einen
angenehmen Ton der Farbe im Ganzen. Man ſieht
aber ſchon allerwaͤrts deutliche Spuren des Verfalls
des guten Geſchmacks: Uebertriebenen Contrapoſto,
gezierte Grazie, Mangel an wahrem Ausdruck, an-
genehme aber falſche Farben, und ſchwerfaͤllige
Drapperien.
Eben dieſes kann man von der Heimſuchung
der Maria von demſelben Meiſter ſagen. Es
haͤngt in der vierten Capelle.
Die
[316]Anmerkungen
Die Decke der Sacriſtei hat Pietro da
Cortona al Freſco ausgemahlt. Ein großer
Erzengel fliegt mit dem Kreuze, und kleine
Cherubims tragen die uͤbrigen Paſſionsin-
ſtrumente. Die Figur des Erzengels fliegt ſehr
gut, hat nur eine etwas gezwungene Stellung. Das
Kreuz, welches er traͤgt, und welches in der Ver-
kuͤrzung von unten auf geſehen wird, iſt ein Meiſter-
ſtuͤck von Perſpektiv. Die Farbe iſt friſch, kraͤftig,
und hat ſchoͤne Mitteltinten.
Die Gruppe des heil. Philippus Neri mit
dem Engel iſt von Algardi. Sie iſt nicht ohne
alle Incorrektion, aber dennoch ein gutes Werk, an
dem die Koͤpfe ſchoͤn, das Fleiſch zart, und die Ge-
waͤnder gut geworfen ſind.
In dem zu dieſer Kirche gehoͤrigen Kloſter
ſieht man zwei Capellen.
In der unterſten, wo der Stuhl des heiligen
Philippus Neri aufbewahrt wird, hat Guercino
† den Heiligen gemahlt, dem ein Engel erſcheint.
Dieſes Bild iſt aus ſeiner beſten Manier. Man
bewundert ſeine Kunſt vorzuͤglich an dem Kopfe und
an den Haͤnden des Heiligen, in denen, was Guer-
cino’s Staͤrke uͤberhaupt war, die feinen Uebergaͤnge
einer Muskel in die andere vortrefflich ausgedruͤckt ſind.
Das Gemaͤhlde iſt ſchlecht erleuchtet, man muß
ein Licht fordern, um es recht zu ſehen.
In der obern Capelle, wo das Gemaͤhlde
des Heiligen aufbewahrt wird, hat Pietro da Cor-
tona die Aſſumption des Heiligen gemahlt. Es
iſt eine ſchoͤne Verkuͤrzung, die mit einem friſchen und
kraͤftigen Pinſel ausgefuͤhrt iſt.
Hie-
[317]uͤber die einzelnen Kirchen.
Hieher hat man auch das † Originalbild des
heil. Philippus Neri im Gebet an die Madon-
na von Guido gebracht, deſſen Copie in Moſaik
in der Kirche haͤngt. Es hat viel Aehnlichkeit mit
dem heil. Andreas Corſini im Pallaſt Barberini;
nur die Stellung und die Beiwerke ſind in etwas
veraͤndert. Auch ſteht es an Werth weit unter jenen.
Es giebt auch noch einige andere Gemaͤhlde in
dieſer Capelle, die nicht ohne alles Verdienſt ſind.
KircheS. Maria della Vittoria.79)
In der zweiten Capelle rechter Hand.
Der heilige Franciscus, der das Kind Jeſus
aus den Haͤnden der Maria empfaͤngt, von
Domenichino. Man ſollte eher glauben, daß es
nur in der Manier dieſes Meiſters gemahlt waͤre.
Inzwiſchen der heilige Franciscus iſt voller Ausdruck,
und die Maria von angenehmen Charakter; aber der
Chriſt und die Engel in der Glorie ſind des Meiſters
unwuͤrdig.
In der dritten Capelle zur Linken. 80)
Eine heilige Dreieinigkeit von Guercino.
Es hat ſo ſehr nachgeſchwaͤrzt, daß man nur mit
Muͤhe einige ſchoͤne Figuren von Engeln erkennet.
Gott der Vater iſt eine unedle Figur, Chriſtus gleich-
falls, und dieſer letzte iſt noch dazu eine ſehr ſteife.
In
[318]Anmerkungen
In derſelben Capelle.
Chriſtus am Kreuze von Guido. Das
Bild iſt ſo ſchlecht aufgehangen, daß man beinahe
nichts davon erkennen kann.
heiligen The-
reſia von
Bernini.
† Die Gruppe der heiligen Thereſia, der
die goͤttliche Liebe unter der Geſtalt eines
Amors mit dem Pfeile das Herz durchbohrt,
von Bernini, und von ihm ſelbſt fuͤr das beſte ſeiner
Werke erklaͤrt. Ausdruck der hoͤchſten Empfindung
von Wolluſt macht den Charakter der Figur der heili-
gen Thereſia aus. Ihre Augen ſchließen ſich halb
ſchmachtend, und ihre Nerven ſind erſchlafft von uͤber-
triebener Spannung des Vergnuͤgens: Sie ruht auf
Wolken in Geſtalt elaſtiſcher Polſter: Ihre Haͤnde
ſinken matt herab, ihre Beine ſcheinen der Kraft be-
raubt, ihr Huͤlfe irgend einer Art zu leiſten: Sie laͤßt
ſich zu allem gehen, was mit ihr vorgenommen wer-
den kann: Ihre Bruſt ſcheint ſich zu heben, und der
halbgeoͤffnete Mund mit Muͤhe Odem zu ſchoͤpfen. —
In dieſem gefaͤhrlichen Zuſtand naht ſich ihr ein En-
gel mit grimaſſirender Suͤßlichkeit, ſucht das Ge-
wand von ihrer Bruſt abzuheben, und neckt ſie mit dem
Pfeile, der ſeine Hand bewaffnet.
Dieſe Gruppe hat der Kuͤnſtler in eine Capelle
geſtellt, durch deren in der Hoͤhe angebrachtes Fen-
ſter der Tag durch gelbe Glasſcheiben faͤllt, und das
den Geheimniſſen der Liebe ſo guͤnſtige matte Licht in
der uͤbrigens duͤſtern Capelle verbreitet.
Beim Himmel! an dieſem Orte moͤchte ich nicht
beten. Eine Stunde hier, duͤrfte ich mit Emilia
Galotti ſagen, und welcher Tumult wuͤrde ſich in
meiner Seele erheben, den die Uebungen der ſtreng-
ſten
[319]uͤber die einzelnen Kirchen.
ſten Andacht auszuloͤſchen nicht im Stande ſeyn
moͤchten.
Kurz! das ganze Werk gehoͤrt nicht in eine Kir-
che. Im dem Boudoir eines Pariſer Freudenmaͤd-
chens, da wuͤrde es an ſeiner Stelle ſtehen.
Gegen die Ausfuͤhrung habe ich zu erinnern,
daß die Mine des Engels wahre Ziererei iſt. Die
Formen des Nackenden an der heiligen Thereſe ſind
zu weichlich, im Geſchmack des Fleiſches eines Ru-
bens; das Gewand, welches nach Art der Gewaͤn-
der des Pietro da Cortona in zu viele kleinliche Fal-
ten gelegt iſt, bezeichnet nicht genung die Umriſſe des
Koͤrpers.
Bernini hat ſich uͤberhaupt den mahleriſchen
Effekt zu ſehr zum Zweck gemacht. Man muß in-
zwiſchen geſtehen, daß unter allen Werken runder
Bildnerei, die mir bekannt geworden ſind, dieſes die
Forderungen, die man an ein Gemaͤhlde machen kann,
am meiſten ausfuͤllet. Der Grund iſt dieſer: weil
die Gruppe in einer ſolchen Lage angebracht iſt, ſo ſehr
ein ihr eigen adaptirtes Licht erhaͤlt, und dergeſtalt
von andern Koͤrpern ſeparirt iſt, daß man ſie nicht
wohl anders als mit ſtillſtehendem Blicke aus einem
beſtimmten Geſichtspunkte anſchauen kann.
Die Behandlung des Marmors iſt ein Meiſter-
ſtuͤck von Sorgſamkeit und Zartheit. 81)
Kirche
[320]Anmerkungen
KircheS. Nicolo in Carcere.82)
Ein antiker Sarcophag von ſchwarzgruͤnem
Porphyr dient zum Altare. Die Koͤpfe daran
ſind aber nicht, wie Herr Dr. Volkmann meint,
aͤgyptiſch, ſondern griechiſch.
KircheS. Nicolo de i Loreneſi.
Corrado,83)ein neuerer Mahler, hat dieſe
Kirche mit Gemaͤhlden al Freſco und in Oel
gezieret.
81)
[321]uͤber die einzelnen Kirchen.
gezieret. Die letzten uͤbertreffen bei weitem die er-
ſten. So unbeſtimmt die Zeichnung, ſo unbedeu-
tend der Ausdruck, ſo falſch und blos nach der Pal-
lette ausgedacht die Farbe iſt; ſo muß man doch den
Pinſel bewundern, der dieſes Blendwerk auf die
Flaͤche hingezaubert hat.
KircheS. Onofrio.84)
Das Monument des Torquato Taſſo wird
allen, welche die ſchoͤnen Wiſſenſchaften lieben, nicht
gleichguͤltig ſeyn. Man ſieht daran ſein Bildniß,
das nicht ſehr ſchoͤn iſt, nebſt einer Innſchrift, welche
den Cardinal Bevilacqua als den Errichter angiebt.
In der andern Capelle rechter Hand, hat
Annibale Carraccio die Madonna di Loretto
gemahlt. Es iſt eine laͤcherliche Compoſition, wel-
che aber wahrſcheinlich nicht von der Wahl des Kuͤnſt-
lers abgehangen hat. Einige Engel tragen das hei-
lige Haus durch die Luͤfte; auf dem Dache ſitzt die
heil. Jungfrau mit dem Kinde, welche drei Engel
halten, damit ſie nicht auf die Erde falle. Unten
im Bilde ſieht man ein Stuͤckgen Erde, auf dem
ein Mann die heil. Jungfrau anruft.
Die Zeichnung iſt vortrefflich, die Engel haben
ſehr angenehme Koͤpfe. Die Gewaͤnder ſind etwas
trocken, die Farbe aber iſt kraͤftig.
Auswendig uͤber der Thuͤre iſt eine Ma-
donna hinter Glas. Man giebt ſie fuͤr des Do-
menichino Arbeit aus. Das vorgeſetzte Glas ver-
hindert
Dritter Theil. X
[322]Anmerkungen
hindert die Wahrheit dieſer Angabe zu beurtheilen.
Mir ſchien ſie unrichtig. Ich vermuthe vielmehr,
daß dieſe Madonna diejenige ſey, welche Vaſari als
hier befindlich, dem Leonardo da Vinci unter vielen
Lobeserhebungen beilegt. Ich habe wenigſtens
kein anderes Bild mit dieſer Vorſtellung hier finden
koͤnnen.
In der aͤuſſern Halle hat Domenichino
drei Gemaͤhlde al Freſco gemahlt. Sie ſchei-
nen ſchoͤn zu ſeyn, aber ſie ſind dergeſtalt durch das
Glas, womit man ſie bedeckt hat, verfinſtert, daß
man kein zuverlaͤßiges Urtheil daruͤber faͤllen kann.
Das erſte ſtellt die Taufe des heil. Hiero-
nymus vor. Die Zuſammenſetzung iſt vernuͤnftig,
und der Ausdruck vorzuͤglich in den Catechumenen
unvergleichlich. Man erkennet von dieſem Bilde
noch mehr als von den uͤbrigen.
Das zweite ſtellet die Zuͤchtigung dieſes
Heiligen vor, die er daruͤber erlitt, daß er den
Cicero geleſen hatte. Was man davon ſieht,
zeigt ſchoͤne Koͤpfe und einen guten Ausdruck.
In dem dritten ſieht man eben dieſen Hei-
ligen, wie er nach langen Faſten, in einer Ein-
oͤde in den Himmel entzuͤckt wird. Der Aus-
druck in dem Heiligen ſcheint etwas kleinlicht.
In dem Hofe ſind Mahlereien von Giu-
ſeppe d’ Arpino, die, wenn ſie gleich manierirt, und
aus dem Gedaͤchtniße gemahlt, dennoch nicht ohne
alles Verdienſt ſind.
Kirche
[323]uͤber die einzelnen Kirchen.
KircheS. Pietro in Montorio.85)
Transfiguration von Raphael. Ein jungerRaphaels
Transfigu-
ration.
Beſeſſener wird zu den Juͤngern Chriſti gebracht,
damit ſie ihn heilen moͤgen; aber dieſe koͤnnen ihm
nicht helfen, ihr Meiſter iſt abweſend: — er wird
auf dem Berge Thabor verklaͤrt. Dies iſt der Ge-
danke des Bildes.
Es wuͤrde eine ſchwere Aufgabe ſeyn, uns die
beſtimmte Ab veſenheit Chriſti, als Urſach des Un-
vermoͤgens der Juͤnger den Kranken zu heilen, auf
andere Art begreiflich zu machen, als daß wir den
Chriſt vor unſern Augen bei einer andern Handlung
beſchaͤfftigt ſehen, die mit derjenigen, wo ſeine Ge-
genwart vermißt wurde, keinen ſichtbaren Zuſammen-
hang hat. Beide Handlungen laſſen ſich nicht nur
als coexiſtirend, 86) ſondern auch als zuſammen ſicht-
X 2bar
[324]Anmerkungen
bar in einer großen Entfernung fuͤr den Zuſchauer
denken. Ueberdem brauchte der Kuͤnſtler dieſe Ver-
bindung der Begebenheit, die ſich mit den Juͤngern
zutrug, und derjenigen, die ihrem Meiſter wieder-
fuhr, zur Fuͤllung ſeiner Flaͤche.
Aber aller dieſer Gruͤnde ohngeachtet kann ich
doch die Vereinigung der ausfuͤhrlichen Darſtellung
der Verklaͤrung Chriſti mit der Darſtellung der Be-
gebenheit, die ſich zu gleicher Zeit aber an einem ent-
fernten Orte zutrug, weder der ſichtbaren Wahrſchein-
lichkeit gemaͤß, noch dem wohlgefaͤlligen Eindruck des
Ganzen fuͤr zutraͤglich halten. Um beide zuſammen
ſehen zu koͤnnen, muͤßte der Zuſchauer in ſolcher Ent-
fernung ſtehen, daß die obere Glorie nur ein heller
Punkt, die Juͤnger unten aber Lilliputter wuͤrden.
Weiter: der Raum war zu eng, als daß der Berg
eine betraͤchtliche Hoͤhe haͤtte erhalten koͤnnen, vorzuͤg-
lich da der Kuͤnſtler ſeinen Figuren in der Hoͤhe bei-
nahe natuͤrliche Menſchengroͤße gelaſſen hat. Dar-
aus aber entſteht die Unbequemlichkeit, daß die unten
handelnden Perſonen, welche mit ihrer Statur bei-
nahe den Berg ausgleichen, zu wenig von den Perſo-
nen oberhalb deſſelben abgeſondert werden, um ſie
ſich nicht, dem erſten Anblick nach, bei der obern
Erſcheinung mit intereſſirt zu denken. Von dem
Nachtheil, den es fuͤr mahleriſche Wuͤrkung hat, will
ich nicht einmal reden. Warum beleuchtet der nahe
obere Glanz nicht die unteren Figuren? Und wenn
er ſie beleuchtet, wie kann er es aus der Ferne? Zer-
ſtoͤrt er nicht die Harmonie? Wird das Bild nicht zu
vollgepfropft von Figuren? u. ſ. w.
Daß
[325]uͤber die einzelnen Kirchen.
Daß ich ſogleich das Hauptverdienſt unſers Ra-
phaels, den dramatiſchen Ausdruck, in dieſem Ge-
maͤhlde wie in jedem ſeiner uͤbrigen aufſuche! Und
um dies beſſer zu koͤnnen, daß ich die obere Partie
von der unteren trenne!
Raphael iſt bei der Darſtellung der Verklaͤrung
Chriſti den Nachrichten gefolgt, die uns der Evan-
geliſt Lucas 87) von dieſer Begebenheit liefert: „Pe-
„trus aber und die mit ihm waren, (Johannes und
„Jacobus) waren voll Schlafs. Da ſie aber auf-
„wachten, ſahen ſie ſeine (naͤmlich Chriſti) Klarheit
„und die zween Maͤnner (den Moſes und Elias) bei
„ihm ſtehen.“ Dies iſt der Zeitpunkt, den der
Kuͤnſtler aus dieſer Begebenheit herausgehoben hat. 88)
Chriſtus ſchwebt gen Himmel: Seine Haͤnde ſind
mit dem Ausdruck der dankbarſten Verehrung fuͤr
dies beſtaͤtigende Zeugniß ſeiner goͤttlichen Sendung
in die Hoͤhe gerichtet. Eine Glorie umgiebt ihn. Zu
ſeinen Seiten, aber etwas niedriger und kleiner an
X 3Statur,
[326]Anmerkungen
Statur, ſchweben Moſes und Elias. Der Ausdruck
dieſes Schwebens iſt vortrefflich: aber die Formen
ſind weder ſehr edel, noch ſehr ſchoͤn.
Unter dieſen Figuren auf der oberen Platte des
Berges ruhen die Juͤnger, die in ſeiner Begleitung
waren. Jacobus ſcheint zuerſt erwacht zu ſeyn:
durchdrungen von der uͤbernatuͤrlichen Erſcheinung hat
er ſich mit dem Antlitz zur Erde geworfen und betet
an. Der heilige Johannes iſt eben erwacht, er er-
ſchrickt vor der unerwarteten Klarheit, ſtuͤrzt mit dem
Obertheile des Koͤrpers zuruͤck, und haͤlt die Hand vor
die geblendeten Augen. Petrus hingegen hat die ſei-
nigen noch nicht geoͤffnet, er iſt im Uebergange vom
Schlaf zum Wachen gebildet, er reibt ſich die ge-
ſchloſſenen Augenlieder. Dieſe drei Figuren ſind ſehr
wahr in ihrem Ausdruck und ihre Stellungen ſchoͤn
und abwechſelnd.
Zur Seite des Berges ſtehen zwei junge Moͤnche,
die ihr frommes Erſtaunen zu erkennen geben. Sie
ſind bloße Zuſchauer, der Handlung fremd, und
ſcheinen als Bildniſſe der ehemaligen Beſitzer des Ge-
maͤhldes hier ihren Platz aus zu weit getriebener Ge-
faͤlligkeit des Kuͤnſtlers gefunden zu haben.
Unten geht nun die Begebenheit mit dem Beſeſſe-
nen vor. Der Kranke, ein junger Menſch, be-
koͤmmt eben einen Anfall von Convulſionen. Seine
Augen verdrehen ſich, er reißt den Mund auf, er
ſpreitet die Arme mit den gezuckten Fingern aus, ſein
Koͤrper erhaͤlt eine gezerrte Stellung. So ſchrecklich
wahr dieſer Ausdruck iſt, er hat nichts Widriges,
nichts Ekelhaftes. Der Vater faßt ihn von hinten
mit
[327]uͤber die einzelnen Kirchen.
mit beiden Haͤnden um die Bruſt, 39) ſein aͤngſtlich
rollendes Auge, ſeine bebenden Lippen, der vorge-
ſtreckte Kinn, ſprechen die ſublimen Worte der Schrift:
Sehet meinen Sohn, er iſt mein einziger Sohn!
Mutter, Schweſtern, Anverwandten, alles um
ihn herum unterſtuͤtzen durch Minen und Stellung
dies aͤngſtliche Flehen nach Beſſerung fuͤr den Gelieb-
ten ihres Herzens. Einige ſuchen die Juͤnger auf die
ſchrecklichen Symptome dieſer Krankheit aufmerkſam
zu machen, andere wollen ſie von der Urſache derſelben
verſtaͤndigen, andere begnuͤgen ſich zu bitten.
Dieſer Anblick bringt bei den Apoſteln die natuͤr-
lichſten und abwechſelndſten Bewegungen des Herzens
hervor, die ſich auf das beſtimmteſte durch die Ge-
baͤrden ihres Koͤrpers aͤußern.
Der heil. Andreas, auf dem Vorgrunde ſitzend,
hat bis jetzt in einem Buche geleſen: durch das Ge-
ſchrei in ſeiner Meditation geſtoͤrt, ſchlaͤgt er ſeine Au-
gen auf, und erſchrickt vor dem Anblick des Leidens.
Ein kaͤlterer Alter, ihm zur Seite, zeigt auf den
Berg, und bedeutet die Huͤlfe ſuchenden Perſonen,
daß ſie dort allein zu finden ſey. Ein anderer Juͤn-
ger neben ihm im Juͤnglingsalter, deſſen großes offe-
nes Auge, glattes Antlitz und ſchoͤngelocktes Haupt-
haar ein weiches theilnehmendes, aber mit eigenem Lei-
den noch unbekanntes Herz verrathen, beugt ſich aͤngſt-
lich vorwaͤrts, geht gleichſam aus ſich ſelbſt heraus,
X 4und
[328]Anmerkungen
und moͤchte mit zur Bruſt gekehrten Haͤnden ſein In-
neres oͤffnen, und, damit der Kranke weniger litte,
einen Theil ſeiner Marter in ſich ſelbſt aufnehmen.
Nicht von weicherem Herzen, aber von reizbarerm
Nervenbau ſcheint der aͤltere Juͤnger zu ſeyn, der ihm
zunaͤchſt kniet: man ſieht an ſeiner zuruͤckſchaudernden
Mine, an ſeinen weggekehrten Haͤnden, daß nicht
blos ſeine Seele, daß auch ſein Koͤrper den Schmerz
des vor ihm Leidenden mitempfindet: Es iſt der Cha-
rakter eines phyſiſch ſympathiſirenden Menſchen.
Hinter dieſen Apoſteln oder Juͤngern drei andere,
in einer Unterredung begriffen. So viel man aus
den Gebaͤrden ſchließt, bedauern ſie, daß ihr Mei-
ſter abweſend iſt, und daß ihre Kraͤfte nicht hin-
reichen, eine ſo ſchwere Krankheit zu heilen.
Im Hintergrunde, hart am Berge, erblickt man
zwei Figuren, von denen die eine der anderen, die
eben herzu gekommen zu ſeyn ſcheint, das Suͤjet des
Auftritts erklaͤrt. Beide ſcheinen kalte unempfind-
liche Seelen zu ſeyn; aber der Zuhoͤrende hat be-
ſonders einen ſolchen Ausdruck von ſtumpfen Egois-
mus, daß nur das moraliſche Ungeheuer, das in der
Folge ſeinen Wohlthaͤter und Lehrer um dreißig Silber-
linge verrieth, zum Voraus damit gebrandmarkt
werden konnte. Dennoch fraͤgt es ſich, ob der Kuͤnſt-
ler nicht zu weit gegangen ſey.
So viel uͤber die poetiſche Erfindung und den
Ausdruck. Die mahleriſche Anordnung iſt in ſo fern
zu loben, daß der Raum gut genutzt iſt, ſo viele
Perſonen ohne Unordnung neben einander zu vereini-
gen. Aber in Ruͤckſicht auf leichte Ueberſicht des
Ganzen
[329]uͤber die einzelnen Kirchen.
Ganzen, auf mahleriſche Wuͤrkung, moͤchten dieſer
Figuren doch zu viel ſeyn.
Die Formen ſind, ſo wie die Stellungen, ſehr ab-
wechſelnd, und gut gewaͤhlt: Einige reizend. Zu
dieſen gehoͤrt das kniende Maͤdchen auf dem Vor-
grunde.
Weder das Colorit noch das Helldunkle haben
Wahrheit und Harmonie. Aber vielleicht iſt dem
Kuͤnſtler hiervon nichts zur Laſt zu legen. Die Farbe
iſt verblichen, die Schatten haben nachgeſchwaͤrzt.
Ich glaube meinen Leſern einen Gefallen zu thun,
wenn ich ihnen die Bemerkungen, die Mengs90) uͤber
das Colorit dieſes Gemaͤhldes gemacht hat, hier im
Auszuge liefere. Der Liebhaber konnte dieſe nicht
machen, er war nicht Kenner genung, das Gemaͤhlde
hieng zu entfernt von ihm, und in keinem vortheilhaf-
ten Lichte.
„Man bemerkt, ſagt Mengs, in einigen Thei-
„len des Gemaͤhldes von der Transfiguration ein
„ſehr gutes Colorit. Aber es iſt ſich nicht allenthal-
„ben gleich; die maͤnnlichen Figuren ſind von beſſerer
„Faͤrbung als die Weiber. Einige Partien ſind nicht
„von Raphael gemahlt: 91) Z. E. die Gruppe des
„Beſeſſenen, in der man den furchtſamen Pinſel des
„Giulio Romano wahrnimmt. Die Koͤpfe der
„Apoſtel gegen uͤber hat Raphael retouchirt, denn
„hier zeichnen ſich ſeine kecken und meiſterhaften Pin-
X 5„ſelzuͤge
[330]Anmerkungen
„ſelzuͤge aus. Inzwiſchen iſt der Ton des Colorits
„hier dennoch zu einfoͤrmig: das Fleiſch ſcheint hart
„und aufgetrocknet zu ſeyn. . . . . . .
„Es iſt zu bedauern,“ faͤhrt eben dieſer Schrift-
ſteller bald darauf fort: „Es iſt zu bedauern, daß
„Raphael ſeine Gemaͤhlde von ſeinen Schuͤlern anle-
„gen ließ, und daß er in dieſer (naͤmlich ſeiner letz-
„ten) Zeit kein einziges Bild mit eigner Hand aus-
„fuͤhrte. Wir wuͤrden dann geſehen haben, wie
„viel er im Colorit vermocht habe. Denn die Koͤpfe
„der Apoſtel, die er uͤbermahlt hat, und die ihrer
„Natur nach einen kraͤftigen und wohlgenaͤhrten Auf-
„trag zulaſſen, ſind von vortrefflichem Colorit. Der
„Kopf des Weibes auf dem Vorgrunde iſt ſehr kalt
„und grau. Ich glaube jedoch, daß er gleich nach
„der Verfertigung des Bildes dieſen Fehler nicht
„hatte. Aber um die beſorgte und beinahe geleckte
„Behandlung des Giulio Romano nicht zu zerſtoͤren,
„mußte Raphael die Ueberlage der Farbe beim Re-
„touchiren nur ſehr duͤnn machen. Dieſe hat nun
„dem Einfluß der. Zeit nicht widerſtehen koͤnnen.
„Hingegen bemerkt man an den großen Zehen der
„naͤmlichen Figur, eine Verbeſſerung, bei der, um
„den Fehler der Anlage zu bedecken, der Auftrag
„ſtark ſeyn mußte; und dieſer Fleck iſt viel beſſer
„gemahlt und colorirt als der Reſt. Eben eine ſolche
„Verbeſſerung findet man an dem Daumen der ver-
„kuͤrzten Hand des Apoſtels auf dem Vorgrunde,
„und aus dem naͤmlichen Grunde iſt dieſer Theil
„gleichfalls beſſer gemahlt und erhalten auf uns ge-
„kommen.“
† Eine
[331]uͤber die einzelnen Kirchen.
† Eine Kreuzabnehmung. Man kann ſich
uͤber den Nahmen des Meiſters nicht vereinigen.
Wahrſcheinlich war er ein Niederlaͤnder und Schuͤler
des Carravaggio. Der Gedanke iſt zum Theil aus
dieſes Meiſters Kreuzabnehmung in der Chieſa
nuova genommen. Die Farbe iſt kraͤftig, und die
Behandlung meiſterhaft. Dies Bild wird in Rom
ſehr geſchaͤtzt. 92)
Die Geiſſelung Chriſti von Sebaſtiano
del Piombo, nach der Zeichnung des Michael An-
gelo Buonarotti. Man ſagt, dies Bild ſey mit dem
Gemaͤhlde Raphaels in die Wette gemahlt. Wahr-
ſcheinlich um ihm zur Folie zu dienen.
Einige Bildhauerarbeit aus der Floren-
tiniſchen Schule.
KircheS. Pietro in Vinculis.93)
† Die beruͤhmte Statue des Moſes von Mi-Moſes von
Michael An-
gelo.
chael Angelo iſt dasjenige, was in dieſer Kirche am
meiſten Aufmerkſamkeit verdient. Sie iſt am
Grab-
[332]Anmerkungen
Grabmale Julius desII. befindlich, und mit allen
ihren Fehlern eines der beſten Werke, das die neuere
Kunſt hervorgebracht hat. Eine große Kenntniß der
Anatomie, Praͤciſion der Zeichnung, und ſchoͤne Be-
handlung des Marmors ſind die Hauptverdienſte
dieſer Figur. Aber eben weil ſie dieſe Verdienſte
hat, die den jungen Kuͤnſtler und den Liebhaber leicht
zu ſehr anziehen koͤnnten, muß ich die Fehler der-
ſelben um ſo genauer anzeigen. Wie leicht koͤnnten
ſie verfuͤhrt werden, nach dieſem Vorbilde ihren Ge-
ſchmack uͤberhaupt bilden zu wollen!
So ruhig die Stellung iſt, ſo hat ſie doch etwas
Gezwungenes, welches um ſo mehr beleidigt, weil
ſich kein Grund dazu angeben laͤßt. Moſes haͤlt das
Gewand mit einer Anſtrengung als wenn er Zentner-
laſten zu halten haͤtte, und die Lage des Arms iſt zu
gedreht. Er ſcheint beſchaͤfftigt und iſt doch muͤßig.
Dies gegen den Gedanken im Ganzen. Der Kopf
hat nichts Edles, nichts das auf den Gedanken eines
Geſetzgebers und Fuͤhrers ſeines Volks zuruͤckfuͤhren
koͤnnte. Die vielen kleinen Partien, die durch die
gar zu ſtarke Andeutung der Muskeln entſtehen, con-
traſtiren mit den großen Maſſen des Bartes, zum
Nachtheil des Charakters von Groͤße der in dem
Kopfe liegen muͤßte. Dieſer Bart iſt viel zu lang,
und gleicht in der Ausfuͤhrung mehr einem wollar-
tigen Stoffe als wuͤrklichen Haaren. 94) Die Be-
kleidung iſt gleichfalls nicht paſſend. Die thraziſchen
Bein-
[333]uͤber die einzelnen Kirchen.
Beinkleider gehoͤren nicht hieher. Auch hat das
Gewand viel zu gekuͤnſtelte Falten. Man ſieht ihm
an, daß der Kuͤnſtler es mit Vorbedacht ſo gelegt
hat.
Ueber das Grabmal im Ganzen mag ich nicht
urtheilen. Man weiß, daß die Idee des M. Angelo
nicht ausgefuͤhrt iſt. So wie es da ſteht, iſt es von
ſchlechtem Geſchmacke.
Die uͤbrigen Figuren ſind nach den Zeichnungen
des Michael Angelo von ſeinen Schuͤlern ausgefuͤhrt.
Sie ſind ziemlich mittelmaͤßig. Die ſogenannte
theologia contemplativa hat den Ausdruck fin-
ſterer Grillenfaͤngerei, und die theologia activa
ſtumpfer froͤmmelnder Andacht.
Wir kennen Michael Angelo Buonarotti be-
reits als Mahler: wir muͤſſen ſuchen ihn auch als
Bildhauer kennen zu lernen.
Als die Bildhauerkunſt durch Donatello, derUeber den
Stil des M.
Angelo und
ſeiner Nach-
folger in der
Bildhauerei.
1466. ſtarb, aus ihrer erſten Kindheit gezogen,
Wahrheit und Beſtimmtheit wenigſtens in den aͤuſ-
ſeren Umriſſen der Glieder eingefuͤhrt waren; ſo be-
maͤchtigte ſich M. Angelo dieſer Kunſt, und verbeſ-
ſerte ſie nach der Lehre des Knochen- und Muskeln-
baues und nach den Verhaͤltniſſen der Antike. Un-
ſtreitig beſteht ſein Hauptverdienſt in dem großen Stile
der Zeichnung, in der tiefen Kenntniß der aͤuſſeren
Anatomie, und in der vortrefflichen Behandlung des
Marmors. Dieſer ſieht man eine ſolche Gewißheit
des Meiſſels an, daß man glauben ſollte, er habe den
Marmor wie Holz geſpalten. Aber ungluͤcklicher
Weiſe beſaß er keinen wahren Begriff von dem Haupt-
zwecke ſeiner Kunſt, der Schoͤnheit der Formen, und
dem
[334]Anmerkungen
dem Ausdruck eines einer Gattung von Menſchen all-
gemein individuellen Charakters. Er dachte ſich ſei-
ne particulair individuellen Bildungen in zu ſtarken
Bewegungen, deren Abſicht gemeiniglich raͤthſelhaft
bleibt. Er waͤhlte die Natur nicht aus der edelſten
Claſſe der Menſchen, und bildete ſeine Maͤnner fin-
ſter muͤrriſch, ſeine Weiber aber gezogen unbedeu-
tend. Bei den erſten ſcheint er die Flußgoͤtter der
Alten, bei den letzten ein ſchlankes Florentiniſches
Bauermaͤdchen zum Vorbilde genommen zu haben.
In den Koͤpfen herrſcht große Einfoͤrmigkeit. Sei-
ne Koͤrper ſind gemeiniglich zu geſtreckt, zu rieſen-
maͤßig, und um ſeine Kenntniß im Muskeln- und
Knochenbau zu zeigen, vergaß er oft, daß ſie von
Fleiſch und Haut bedeckt werden. 95)
Giovanni Bologna aus Flandern, Bandi-
nelli und Guglielmino della Porta dachten in
M. Angelo’s Geiſte. Aber als Nachahmer, die
ſie waren, uͤbertrieben ſie ſeine Fehler, ohne ſeine V[or]-
zuͤge zu erreichen.
Man
[335]uͤber die einzelnen Kirchen.
Man legte nunmehro den Ausdruck allein in die
Stellung, verdrehte dieſe, uͤberhaͤufte die Muskeln,
die nicht mehr in ihrer wahren Lage und Form blieben,
und verſchwendete den mechaniſchen Fleiß an Neben-
werke. Man erkennt Werke aus dieſer Zeit noch
auſſerdem an den gezogenen Geſichtern der Weiber
ohne beſtimmten Ausdruck, an dem poͤbelhaften An-
ſtande der Helden, an dem finſtern Charakter der
Alten, an den großen Bruͤſten, dicken Huͤften und
Schenkeln, an den unproportionirlich kleinen Extre-
mitaͤten, und den convulſiviſch verzerrten Fingern.
Ueber M. Angelo als Bildhauer finde ich noch
noͤthig zu erinnern, daß er zwei verſchiedene Manie-
ren hatte. Die erſte aͤhnelt der des Donatello. Der
Geſchmack iſt kleinlich, Koͤpfe und Koͤrper fuͤhren
auf den Begriff durch Krankheit niedergedruͤckter und
abgemergelter Perſonen zuruͤck, und die Gewaͤnder,
wenn ſie gleich das Nackende gut andeuten, ſcheinen
doch, als naß, zu feſt daran zu kleben: Die Falten
gleichen den Beuteln des Albert Duͤrers. In der
Folge vergroͤßerte er ſeine Manier: Hier iſt der Fal-
tenſchlag freier, groͤßer, und zeigt die Bekanntſchaft
des Meiſters mit der Antike.
In der erſten Capelle rechter Hand ein
heiliger Auguſtin mit andern Heiligen von
Guercino da Cento, aber ſo ſehr verdorben, daß
man wenig davon erkennt.
Ueber dem Grabmale des Cardinals Mar-
gotti, deſſen Bildniß von Domenichino.96)
Auf
[336]Anmerkungen
Auf dem Altare der zweiten Capelle, die
Befreiung des Apoſtels Petrus, eine Copie
nach Domenichino. Das Original iſt vom
Kloſter.
In der letzten Capelle am Ende dieſes
Ganges: Die heilige Margaretha von
Guercino. Es iſt keines der beſten Werke dieſes
Meiſters.
Hr. D. Volkmann hat Unrecht, hier einen hei-
ligen Johannes vom Guercino anzufuͤhren. Er iſt
nicht vorhanden.
Beilaͤufig bemerke ich, daß der Brunnen im
Hofe des Kloſters nicht von M. Angelo, ſondern von
Simone Moſca, einem Florentiner, iſt.
KircheS. Praſſede.97)
In der zweiten Capelle rechter Hand iſt die
Kuppel von Borguignone, von dem man ſonſt
wenig geiſtliche Gegenſtaͤnde behandelt ſieht.
In der Capelle Olgiati iſt das Altarbild,
eine Kreutztragung, von Federico Zuccheri,
das Gewoͤlbe aber von Cavaliere d’ Arpino.
Dieſer Kuͤnſtler hat ſich einen Stil gemacht, der aus
dem Roͤmiſchen und Florentiniſchen zuſammengeſetzt
iſt. Allein er hat die Natur dabei vergeſſen, und von
der Wahrheit nur den Schein, von dem Reize nur
das Ungezwungene erborgt.
In
[337]uͤber die einzelnen Kirchen.
In der Sacriſtei haͤngt † die Geiſſelung
Chriſti von Giulio Romano. Die Figuren ha-
ben keinen Ausdruck, und Chriſtus ſteht wie ein Taͤn-
zer. Die Umriſſe ſind hart, die Muskeln ſind zu
ſtark angegeben. Das Colorit iſt nußbraun.
Die Frieſen am Altare dieſer Sacriſtei ſollen
von demſelben Meiſter ſeyn.
Kirchedel Priorato di Malta.98)
Die beiden Schriftſteller, welche ich bei den Anmer-
kungen uͤber die Kirchen von Rom zum Grunde lege,
kannten die Kirche in ihrer gegenwaͤrtigen Form nicht.
Sie iſt neuerlich von Piraneſe decorirt worden.
Die Zierrathen ſind uͤberhaͤuft und von keinem
ganz reinen Geſchmacke.
Bei dem Eingange rechter Hand, ein anti-
ker Sarcophag mit den neun Muſen, Apollo und
Minerva. Dies Basrelief ſcheint eine Wiederholung
derer zu ſeyn, die man im Pallaſt Mattei, auf dem
Capitol und im Pallaſt Barberini antrifft. Auf dem
unſrigen tragen die Muſen ſaͤmmtlich Federn auf
dem Kopfe. Die Figur, welche Hr. D. Volkmann fuͤr
einen Roͤmer haͤlt, iſt der Apollo Muſagetes. An
den beiden Ecken ſieht man ſitzende Figuren, welche
Poeten oder Philoſophen vorſtellen. Die Arbeit iſt
ſehr ſchlecht. Was an dieſem Werke allein intereſſi-
ren kann, iſt das Gewand der komiſchen Muſe, wel-
ches mit kleinen Loͤchern beſaͤet iſt. Vielleicht um ein
vielfarbiges Kleid anzudeuten?
Grab-
Dritter Theil. Y
[338]Anmerkungen
Grabmal des Cardinals Portocarrero.
Zwei Engel halten ſein Portrait in Moſaik.
Auf dem Hauptaltar die Aſſumption des
heil. Baſilius aus Stucco.
† Das Merkwuͤrdigſte in dieſer Kirche iſt
ein antiker Leuchter, den Piraneſe, deſſen Bild-
ſaͤule man nahe dabei antrifft, der Kirche geſchenkt
hat. Er iſt einer der groͤßten von denen, die ſich aus
dem Alterthum erhalten haben, und mit vielen Zier-
rathen an Blaͤtterwerk, Loͤwenkoͤpfen, Masken,
Rohrpfeiffen, ganzen Figuren, welche Zweige anhef-
ten u. ſ. w. nicht blos verſehen, ſondern uͤberladen.
Dies ſchadet der Form im Ganzen, aber die Arbeit
des Details iſt vortrefflich. Die Figuren ſind im
guten Stile gezeichnet. Dieſer Leuchter ſtehet auf
einem Piedeſtal mit Widderkoͤpfen, Sphynxen, die
in Drachenſchwaͤnzen endigen u. ſ. w. Das Urtheil,
welches uͤber den Leuchter gefaͤllet iſt, kann auch von
dem Piedeſtal gelten.
KircheS. Rocco.99)
Die Kunſtwerke, die hier befindlich ſind, verdienen
nicht die Aufmerkſamkeit des Liebhabers. Wer nur
eine gemeſſene Zeit zum Aufenthalt in Rom hat, dem
rathe ich nicht, ſich dabei aufzuhalten.
Kirche
[339]uͤber die einzelnen Kirchen.
KircheS. Romualdo.100)
Der heil. Romualdus wie er den Camaldo-Der heil. Ro-
mualdus
von Andrea
Sacchi.
lenſern in der Wuͤſte predigt, von Andrea
Sacchi. Eines der beruͤhmteſten Gemaͤhlde in
Rom.
Der Gegenſtand iſt keines ſehr intereſſanten
Ausdrucks faͤhig, und bei der erſten Wahl hat die
Einfoͤrmigkeit der weißen Gewaͤnder der Camaldolen-
ſer ſelbſt der mahleriſchen Wuͤrkung gefaͤhrlich ſchei-
nen muͤſſen.
Dieſe letzte Schwierigkeit hat der Mahler gluͤck-
lich zu uͤberwinden gewußt. Durch den Schatten
eines Baums, den er auf einen Theil der handelnden
Perſonen fallen laͤßt, hat er die Weiße der Gewaͤn-
der gebrochen, und Abwechſelung in die Farbe ge-
bracht.
Die poetiſche Erfindung iſt keinesweges fehler-
frei. Die Figur, die ſich umdreht und fortgeht,
ſcheint der Aufmerkſamkeit nicht angemeſſen, welche
die Rede des heil. Romualdus von ſeinen ihm unter-
gebenen Moͤnchen verdient. Die mahleriſche An-
ordnung iſt dagegen vortrefflich.
Die Stellungen ſind gut gewaͤhlt, ſo auch der
Faltenſchlag. Die Zeichnung iſt incorrekt und un-
beſtimmt, vorzuͤglich an dem einen Camaldolenſer
Moͤnch, der den Kopf auf die Hand ſtuͤtzt. Der
Ausdruck null. Das Colorit ohne wahr zu ſeyn, hat
einen ſehr angenehmen und harmoniſchen Ton. Das
Y 2Haupt-
[340]Anmerkungen
Hauptverdienſt dieſes Gemaͤhldes iſt das Helldunkle,
welches, einige wenige Fehler abgerechnet, als Muſter
angeprieſen werden kann. 101)
des Andrea
Sacchi um
die Theile
der Mahlerei,
welche eine
große Com-
poſition zu
einem wohl-
gefaͤlligen
Ganzen ma-
chen: Ton,
Harmonie
der Farben,
Harmonie
des Helldun-
keln, Con-
trapoſto,
Pyramidal-
gruppe und
Gruppirung.
Erklaͤrung
dieſer Woͤr-
ter.
Andrea Sacchi lebte von 1599 bis 1661.
Raphael und ſeine Schuͤler hatten ein groͤßeres
hiſtoriſches, oder beſſer dramatiſches Gemaͤhlde als
die Darſtellung eines Auftritts betrachtet, der in eini-
ger Entfernung von dem Beſchauer, aber an einem
von ihm durch keine Abtheilung des Raums, durch
kein fremdes Licht abgeſondertem Orte vorgeht. Ihre
Mahlereien ſind auf gewiſſe Weiſe mehr Basreliefs
als Gemaͤhlde. Wir treten in ein Zimmer, in eine
offene Straße, in der Mitte geht die Handlung vor
ſich; nichts trennt uns von den vor uns aufgeſtellten
Perſonen; daſſelbe Licht, das ſie beleuchtet, beleuch-
tet uns; ſind ihre Formen, iſt ihr Ausdruck in-
tereſſant, wir duͤrfen nur wenige Schritte thun, ſo
ſind wir mitten unter ihnen.
Nicht ſo Correggio, Paolo Veroneſe, die
Schule der Carracci, Pietro da Cortona, Andrea
Sacchi und alle neuere Mahler nach ihnen. Wer
von meinen Leſern iſt je durch eine finſtere Hoͤle durch-
gegan-
[341]uͤber die einzelnen Kirchen.
gegangen, und hat am Ende derſelben jenſeits des
Ausgangs die wieder erhellte Natur geſehen? Oder
beſſer: wer von ihnen hat ſich in einem dunkeln
Saale befunden, ſchnell iſt ein Fenſter geoͤffnet,
ſchnell ein Vorhang aufgezogen, und er hat auf
der Straße erleuchtet durch das Licht der Sonne, auf
dem Theater erleuchtet durch unzaͤhlige Laͤmpchen, ei-
nen Haufen Volks erblickt, angethan mit vielfarbi-
gen Kleidern, diſponirt in abwechſelnde Stellungen
und Gruppen, umgeben von einer reichen Architek-
tur oder einer reizenden Landſchaft? Die Wuͤrkung,
die dieſer erſte Anblick auf ihn hervorgebracht hat, die
erwarten dieſe neueren Kuͤnſtler fuͤr ihre Beſchauer
von jedem ihrer Gemaͤhlde von groͤßerer Compoſition.
Von groͤßerer Compoſition ſage ich, und ich
glaube mit Recht zwiſchen dieſen und Gemaͤhlden, die
aus einer oder zwei Figuren beſtehen, einen Unter-
ſchied machen zu muͤſſen, den viele Critiker vor mir
uͤberſehen zu haben ſcheinen, uͤber deſſen Wichtigkeit
in Ruͤckſicht auf Ausdruck und poetiſche Erfindung
ich ſchon mehrere Winke gegeben habe, und den ich
in Ruͤckſicht auf eigentliche mahleriſche Wuͤrkung,
und Wahl der Mittel ſie zu erreichen, gleichfalls von
dem wichtigſten Einfluſſe halte.
Denn die einzelne Figur oder die Gruppe von
zwei bis drei Perſonen ohne Bezeichnung einer be-
ſondern Scene, was ſind ſie viel mehr als Statuen,
hoͤchſtens als Figuren in Basrelief, die von dem
erſten Lichtſtrahle beleuchtet werden, den mein Auge
außer dem Gemaͤhlde aufnimmt, und zur Pruͤfung
ihrer Ruͤndung zu ihnen hinbringt? Nichts zwingt
mich ſie an einem andern Orte handeln zu ſehen, als
Y 3an
[342]Anmerkungen
an demjenigen auf dem ich mich mit ihnen befinde:
ich ſehe ſie von Angeſicht zu Angeſicht, wie ich den
Menſchen wahrnehmen wuͤrde, der mit mir auf dem
naͤmlichen Boden eines Zimmers ſtaͤnde.
Aber das Gemaͤhlde von groͤßerer Compoſition
zeigt mir gemeiniglich mit den handelnden Perſonen,
zugleich den Ort wo ſie gehandelt haben: ein Gebaͤude,
eine Landſchaft; und dieſer Ort, der nicht das Zim-
mer oder Tempel iſt, aus dem ich beſchaue, der von
dem Lichtſtrahle der mich beleuchtet, ſo fernhin nicht
erhellet werden koͤnnte, hat allen Anſpruch darauf,
mir als ein beſonders aufgeſchlagener Schauplatz zu
erſcheinen.
Irre ich, oder liegt wuͤrklich in dieſem, von
Raphael und den Nachfolgern des Correggio ſo ver-
ſchieden angenommenen, Standpunkte des Bo-
ſchauers einer dramatiſchen Compoſition, ein Theil
des Grundes, warum ſie ſo verſchiedene Wege einge-
ſchlagen ſind, fuͤr mein Vergnuͤgen zu arbeiten?
Ich denke mir die Einrichtung des Franzoͤſiſchen
Theaters, als noch die eifrigſten Liebhaber deſſelben
ihren Platz auf der Scene ſelbſt einnahmen. Der
Eindruck des Ganzen war unſtreitig geringer als jetzt,
wo das Theater frei iſt; aber jedes Wort, jede Mine
des Akteurs ward genauer gewogen: der Menſchen
die genoſſen, waren weniger; aber dieſe genoſſen ſtaͤr-
ker und beſſer.
Vielleicht duͤrfte das Gleichniß nicht unpaſſend
ſeyn. Eine Perſon die mit mir in einem Zimmer, in
einem Lichte handelt, iſt ein Weſen wie ich, an dem ich
alle Beſtandtheile der Wahrheit, Ausdruck, Richtig-
keit der Form, Treue des Colorits, der Beleuchtung,
der
[343]uͤber die einzelnen Kirchen.
der Stellung genau pruͤfe. Aber ein Gegenſtand den
ich auf dem Theater, aus einem offenen Fenſter er-
blicke, wird, ſo zu ſagen, ſelbſt ein Coup de
theatre, ein Schein, der mich im Ganzen frap-
piren ſoll, und mit dem ich es ſchon ſo genau nicht
nehme, wenn er auch hier und da ein wenig untreu
iſt. Wie fern die Darſtellung von mir! Wie
ſchwach mein Auge, das, wie der Apoſtel ſagt, aus
einem dunkeln Orte in ein helles Licht ſieht! genung,
wenn ich durch Harmonie des Tons, der Farben,
durch Helldunkles, durch Gruppirung, kurz! durch
alle die Theile, die eine ſo weitlaͤuftige Erſcheinung zu
einem wohlgefaͤlligen Ganzen machen, fuͤr einige Un-
beſtimmtheit, Incorrektion, und Unwahrheit im
Einzelnen, — wenn dieſe Fehler anders nicht zu
arg ſind, — wieder ſchadlos gehalten werde.
So wie ich hier raiſonnire, ſo und nicht anders
iſt A. Sacchi verfahren. Es iſt der Muͤhe werth
ſeine Vorzuͤge, ſeine Fehler etwas genauer zu pruͤfen.
Einer der Hauptvorzuͤge eines großen Gemaͤhldes
iſt die Harmonie des Tons und der Farben. Ich
will ſie genauer beſtimmen, ich will ſagen, wie ſie
erreicht werden.
Es iſt bekannt, daß die weſentliche Farbe eines
jeden Objekts, diejenige, welche ich unter jedem
Grade des Lichts, und unter jeder Art deſſelben wie-
dererkenne, und auf gleiche Art benenne, dennoch
nach der Verſchiedenheit in dem Grade der Staͤr-
ke und der Art des darauf zuſtroͤmenden Lichtes,
verſchiedene Modificationen annimmt. Man er-
leuchte ein Zimmer mit der Flamme des Wein-
geiſtes; alle Gegenſtaͤnde in demſelben werden einen
Y 4blaͤu-
[344]Anmerkungen
blaͤulichen Anſtrich erhalten, und dennoch werde ich
die blaue Carnation von dem blaurothen Gewande
noch immer zu unterſcheiden im Stande ſeyn: der
Schein der brennenden Oellaͤmpchen faͤrbt die Gegen-
ſtaͤnde gelb; inzwiſchen das gelblich weiße Gewand
iſt noch deutlich von dem gelblich rothen zu unter-
ſcheiden: eben ſo verhaͤlt es ſich mit dem roͤthlichen
Abglanz der Morgenroͤthe, mit dem finſtern Lichte
der Daͤmmerung u. ſ. w.
Nun nehme man an: der Decorateur eines
Theaters ließe die Perſonen zur Rechten der Scene
von der Flamme des Weingeiſtes beleuchtet werden,
die zur Linken von der Flamme brennender Oel-
laͤmpchen; weiterhin aber ließe er das Tageslicht
auf die daſelbſt ſtehenden Figuranten fallen; was
wuͤrde daraus entſtehen? natuͤrlicher Weiſe eine
große Disharmonie der Farben. Das Auge wuͤrde
Abtheilungen machen, und die einzelnen gefaͤrbten
Theile zu einem faͤrbigten Ganzen nicht vereinigen
koͤnnen. Hingegen wenn alle Figuren mit einer und
derſelben Lichtart beleuchtet wuͤrden, mithin einen
gleichfaͤrbigen Anſtrich erhielten; ſo muͤßte daraus
ein einſtimmiger Ton der Farbe entſtehen, und es
wuͤrde alsdann ein Hauptgrund zur Harmonie vor-
handen ſeyn.
Der einſtimmige Ton der Lichtſtrahlfarbe un-
terſtuͤtzt zwar die Harmonie der Farben unter ſich,
aber er macht ſie nicht allein aus. Die verſchiede-
nen weſentlichen Farben eines jeden Objekts haben
ohne Ruͤckſicht auf die Art des zuſtroͤmenden Lichts
die Beſchaffenheit, daß ſie in der Zuſammenſtellung
ſich
[345]uͤber die einzelnen Kirchen.
ſich mehr oder minder mit einander vermaͤhlen.
Der vielfarbige Regenbogen giebt das Beiſpiel wohl-
harmonirender Grundfarben. Hingegen die Beklei-
dung eines Menſchen mit einem hochrothen Mantel
uͤber einem hochgelben Unterkleide das Beiſpiel einer
ſchreienden Vereinigung heterogener Farben. Dieſe
innere Uebereinſtimmung der weſentlichen Farben
mehrerer Objekte nennen viele Kunſtbuͤcher, unter
andern Mengs, auszeichnungsweiſe, Harmonie der
Farben.
Inzwiſchen beruht auf dieſer doppelten
Uebereinſtimmung des Tons, (oder des An-
ſtrichs, den eine Art des zuſtroͤmenden Lich-
tes den verſchiedenen weſentlichen Farben meh-
rerer Gegenſtaͤnde auf einem Bilde giebt,) und
auf jener eigentlichen Harmonie der Farben,
(die aus der Zuſammenſtellung mehrerer, ihrer
inneren Beſchaffenheit nach ſanft in einander
uͤbergehenden Farben entſpringt,) das Geheim-
niß der Einheit in der Abwechſelung, oder
der Harmonie der Farben, in einem ausge-
breiteterm Sinne.
Das Mittel, deſſen ſich der Kuͤnſtler bedient,
um ſeinen vielfaͤrbigen Gegenſtaͤnden den einſtimmigen
Ton des faͤrbenden Lichts zu geben, beſteht darin:
er macht ſich eine Miſchung, welche der Farbe des
beſondern Abglanzes einer gewiſſen Lichtart nahe
koͤmmt, und ſucht damit in jede Farbe zu ſpielen, die
er in ſeinem Gemaͤhlde anbringt. Aber hierbei iſt
mehr als eine Behutſamkeit anzuwenden. Der
Mahler muß ſo treu im Einzelnen und ſo angenehm
Y 5im
[346]Anmerkungen
im Ganzen ſeyn, als das Geſetz der Harmonie im
weitlaͤuftigern Verſtande es nur immer zulaſſen will.
Hier zeigt ſich eine große Verſchiedenheit zwi-
ſchen einem Correggio und einem Sacchi, und noch
mehr zwiſchen jenem und den neueren Neapolitani-
ſchen und Venetianiſchen Meiſtern.
Wenn ich eine Wange, jeden andern fleiſchigten
Theil in einem Gemaͤhlde des Correggio fuͤr ſich be-
trachte, und das Uebrige des Bildes bedecke; ſo er-
kenne ich dieſe gefaͤrbte Stelle fuͤr das, was ſie ſeyn
ſoll, fuͤr Fleiſch. Hingegen eben dieſer Theil in ei-
nem Gemaͤhlde des Corrado oder Tiepolo unter eben
der Bedingung geſehen, iſt nur ein bunter Fleck, den
ich eben ſo gut fuͤr ein roͤthliches Gewand, oder fuͤr ſonſt
etwas halten koͤnnte. Woher koͤmmt dieſer Unter-
ſchied? Natuͤrlich daher, weil der letzte Kuͤnſtler zu
viel von ſeiner Lichtſtralfarbe in die weſentliche Far-
be des Objekts gemiſcht hat, um dieſe letzte nicht zu
zerſtoͤren: oder, weil er auf den Effekt der Tafel im
Ganzen, auf die Vergleichung eines Theils mit den
uͤbrigen zu viel, und zu wenig auf die Vergleichung
des einzelnen Koͤrpers in der Nachbildung mit dem
Vorwurfe in der Natur, gerechnet hat. Mit einem
Worte, weil das Colorit nach der Palette ausge-
dacht iſt.
Es fließt aus dieſer doppelten Art, das Colorit ei-
nes Gemaͤhldes in Ruͤckſicht auf Harmonie, und in
Ruͤckſicht auf treue Nachbildung zu beurtheilen, auch
eine doppelte Art, die Wahrheit deſſelben zu pruͤfen.
Eine conventionelle, die blos nach der Verſchie-
denheit und Uebereinſtimmung der einzelnen Theile zum
Ganzen angeſtellet wird, und eine urſpruͤngliche nach
den
[347]uͤber die einzelnen Kirchen.
den Grundſaͤtzen der treuen Nachahmung der
Natur.
Selten, ſehr ſelten iſt es moͤglich, die Wahrheit
der Farbe im Einzelnen mit der Harmonie im Gan-
zen zu verbinden. Vielleicht iſt dies ſelbſt einem
Correggio nicht immer gegluͤckt. Wenn man aber
von der Wahrheit des Colorits eines Andrea Sacchi
redet, ſo kann man nur ſoviel damit ſagen wollen,
daß er einen Schein von Treue in der weſentlichen
Farbe des Objekts mit einer ziemlich treuen Nachbil-
dung des faͤrbenden Anſtrichs des Lichtſtrals zu ver-
binden gewußt habe.
Denn auch der faͤrbende Lichtſtrahl kann hoͤchſt
untreu dargeſtellt werden. Ich kenne dieſe und jene
neuere Fechtelmahlerei mit einem Tone, wie wir ihn
gar nicht in der Natur finden. Blau, Ponßoroth,
Hochgelb, Gruͤn, u. ſ. w. Dergleichen decidirte
Miſchungen, die den Hauptton des Gemaͤhldes be-
ſtimmen ſollen, ſind an und fuͤr ſich unnatuͤrlich, und
den weſentlichen Farben uͤberher gefaͤhrlich. Der
Ton muß nie decidirt ſeyn, er muß ſich ſchwer ent-
raͤthſeln laſſen. Wenn man von einem Gemaͤhlde
ſagt, es faͤllt ins Rothe, ſo heißt dies nichts weiter,
als: die Farbe des Ganzen koͤmmt der rothen naͤher
als der gelben, der weißen, und andern: ſie iſt mehr
roth als gelb u. ſ. w.
Der beſte, angenehmſte Ton, den der Mahler
ſeinen gefaͤrbten Gegenſtaͤnden geben zu koͤnnen ſcheint,
iſt der, den der Abglanz des warmen Sonnenſtrals
uͤber ſie verbreitet. Aber in ſeiner urſpruͤnglichen
Staͤrke wuͤrde ihn die Kunſt des Mahlers nicht errei-
chen. Er nimmt ihn alſo lieber gebrochen an, wie
er
[348]Anmerkungen
er ungefaͤhr von einem bemooßten Mauerwerk von
Backſteinen auf die Gegenſtaͤnde zuruͤckprallen wuͤrde.
Der Anſtrich, den die Objekte dadurch erhalten, ſteht
ungefaͤhr zwiſchen roth, gelb und braun in der Mitte.
Ich ſage ungefaͤhr, decidirt darf der Ton nimmer
ſeyn. Aber ſo erſcheint er in vielen Bildern von Cor-
reggio, von Albano, und dies macht auch in den
mehreſten des A. Sacchi den kraͤftigen warmen
Ton aus, den wir ſo ſehr darin lieben.
Die Harmonie des Helldunkeln, oder wie an-
dere es zu eingeſchraͤnkt nennen, die Harmonie von
Licht und Schatten, iſt von Harmonie des faͤrben-
den Lichtſtrahls oder des Tons und von Harmonie der
weſentlichen Farben eines jeden Objekts noch ſehr ver-
ſchieden.
Die hellen Theile muͤſſen mit den dunkeln durch
ſanfte Uebergaͤnge und leicht zu ordnende Maſſen zu
einem Ganzen vereinigt werden. Dies wird, wie
ſchon an einem andern Orte ausgefuͤhrt iſt, durch
Wahl der Farben, die ihrer innern Conſiſtenz nach
mehr oder weniger Lichtſtrahlen auffangen, mithin
lichter oder dunkler ſind, und durch Wahl in der Lei-
tung des zuſtroͤmenden Lichts erreicht.
Es iſt begreiflich, daß die Wuͤrkung, welche
dieſe Harmonie des Helldunkeln hervorbringt, von der
Wuͤrkung, die von der Abwechſelung in Licht und
Schatten uͤberhaupt abhaͤngt, weſentlich verſchieden
ſey. In Guercinos Gemaͤhlden ſind die Lichter oft
ſehr zerſtreuet, ohne alle Harmonie ausgetheilet, und
dennoch thun ſie auf ungebildete Augen Wuͤrkung.
Auch iſt das begreiflich, daß die Harmonie des Hell-
dunkeln
[349]uͤber die einzelnen Kirchen.
dunkeln entweder die Natur zur Begleiterin haben,
oder von derſelben getrennt ſeyn koͤnne.
Ich kann, um Harmonie hervorzubringen, helle
Partien dahin ſetzen, wo der Haltung 102) zufolge
dunkle ſtehen muͤßten: Ich kann wieder zu Gunſten
der Harmonie das Licht dahin zufließen laſſen, wo ein
vorſtehender Koͤrper es eigentlich hemmen wuͤrde u. ſ. w.
Dieſe Forderungen der Harmonie und der Treue
des Helldunkeln ſind wieder ſchwer mit einander zu
befriedigen. Dem Correggio iſt es oft gelungen, dem
A. Sacchi ſeltener; bei ihm iſt Treue immer mehr
Heuchelei als Gewiſſenhaftigkeit.
Aus dem bisher Geſagten wird man beilaͤufig ge-
merkt haben, wie ſehr der Kuͤnſtler durch Erbauung
eines eigenen Theaters fuͤr Ton und Harmonie des
Lichts gewonnen habe. Er kann ſich die Art ſeines
Lichtſtrals beſſer waͤhlen, da er die Quelle deſſelben in
dem Bilde ſelbſt annimmt; er kann es beſſer leiten,
da der Beſchauer durch die Wahl eines unrichtigen
Standpunkts die Zuſtroͤmung des Lichts, die der
Kuͤnſtler intendirt hat, nicht hemmen mag. Wir
werden nun auch ſehen, was der Gruppirung daraus
fuͤr
[350]Anmerkungen
fuͤr Vortheile geworden ſind, indem wir die Verdienſte
des Andrea Sacchi um dieſe Vollkommenheit eines
groͤßeren Gemaͤhldes noch zu pruͤfen haben. Indem
ich aus einem dunkeln Orte in einen hellen ſehe, ſo
ruͤckt die Figur, die der Mahler zwiſchen mir und
dem Anfang des Lichtſtrals hinſtellt, merklich hervor.
Dieſer dunkele Gegenſtand auf dem Vorgrunde iſt
das, was wir le Repouſſoir nennen, er ſchiebt den
Auftritt der handelnden Perſonen im Hellen weiter
hinaus. Schon durch dieſes Mittel allein koͤmmt
eine groͤßere Cavitaͤt, Vertiefung in die Flaͤche des
Gemaͤhldes. Hierzu tritt der Umſtand, daß der
Lichtſtral, den ich erſt in der Mitte des Gemaͤhldes
aufnehme, viel weiter reicht, als derjenige, den ich
außer demſelben aufnehme und in den Rahmen hinein-
bringe. Ja! der Mahler, der die Quellen des
Lichts ganz in ſeiner Gewalt hat, laͤßt dieſes weiter-
hin aus neuen zuſtroͤmen, und fuͤhrt meinen Blick ſo
weit hinaus, als das Auge nur immer reichen kann.
Durch alle dieſe Kunſtgriffe aber gewinnt er Raum
mir viele Gruppen auf verſchiedenen Planen hinter-
einander auf einmal vorzuſtellen; und dieſer Reich-
thum iſt bei einer guten Anordnung der Gruppen kei-
nesweges unbedeutend.
Die abwechſelnde Lage der Glieder einer Figur,
der ſogenannte Contrapoſto, wird in einem Gemaͤhlde,
das mehrere Figuren enthaͤlt, zur wahren Nothwen-
digkeit, um das Einfoͤrmige gleicher Stellungen zu
unterbrechen. Dieſe Figuren in abwechſelnden Stel-
lungen zu einer Gruppe vereinigt, deren breite Flaͤche
ſich unvermerkt zu einer ſchmaͤleren Hoͤhe zuſpitzt, und
die Form einer Traube, einer Pyramide bildet, haben
den
[351]uͤber die einzelnen Kirchen.
den Reiz einer Maſſe von angenehmer Form vor ſich.
Laſſe ich dieſe Gruppen mit andern von verſchiedener
Form abwechſeln, und ſich unter einander bequem
verbinden, ſo entſteht daraus ein ſo leicht zu ordnen-
des, und eben dadurch wohlgefaͤlliges Ganze, daß
ich durch dieſe Wuͤrkung in Verbindung mit der Har-
monie des Tons, der Farben, des Helldunkeln,
uͤber die Maͤngel in einzelnen Theilen, wenigſtens
auf den erſten Blick beſchwichtiget werde. Freilich
darf der Ausdruck nicht ganz unedel und unnatuͤrlich,
die Zeichnung nicht auffallend unrichtig, das Colorit
und das Helldunkle nicht voͤllig conventionell ſeyn;
aber wenn nur ein Schein von Wahrheit in allen die-
ſen Theilen vorhanden iſt, — wie ihn denn A. Sacchi
mit jenen Vorzuͤgen zu verbinden wußte, — ſo giebt
ſich der voruͤbergehende Beſchauer ziemlich leicht zu-
frieden.
Und ſo wuͤrde die Beſtimmung des Verdienſtes
unſers Meiſters ſo ziemlich vorbereitet ſeyn: Er war
der beſte Flaͤchendecorateur, den wir kennen; aber
auch nur das: Anſchminker, nicht treuer Darſteller
der verſchoͤnerten Natur. Pietro da Cortona, Luca
Giordano, die ganze neuere Neapolitaniſche und Ve-
netianiſche Schule, die im Grunde ſo wie er, nur
fuͤr den erſten voruͤbergehenden Anblick arbeiteten,
nur den Vorhang eines Theaters aufziehen, und
wieder fallen laſſen, nur frappiren, nur blenden;
ſtehen ihm dennoch nach. Er hat einen Schein von
Ausdruck der Minen, da wo ſie nur Schein des
Ausdrucks in Stellungen haben: Er hat einen
Schein von Carracciſch richtiger Zeichnung, da wo
ſie ungeſcheut Incorrektionen begehen: Er hat einen
Schein
[352]Anmerkungen
Schein von Correggianiſch wahrer Faͤrbung, da wo
ſie nur nach der Palette mahlen: Er wandte endlich
Gedult auf die Ausfuͤhrung, und ſie ſetzten ihr groͤß-
tes Verdienſt in eilfertiger Geſchwindigkeit.
KircheS. Stefano rotondo.103)
Man zeigte hier zu meiner Zeit den untern Theil
eines Helden im Panzer. Er war gut gearbeitet.
Die Mahlereien von Tempeſta und Po-
meranzio ſind ſchlecht.
KircheSacre Stimate di San Fran-
cesco.104)
† Ein heil. Franciscus von Treviſani, eins
der beſten Gemaͤhlde dieſes Meiſters.
In dem Gemaͤhlde des Hyacintus Brandi
von tauſend Maͤrtyrern, welchen dieſe Kirche ge-
widmet iſt, ſieht man zwar nur wenige, aber doch
noch immer zu viel dieſer unintereſſanten Figuren.
KircheS. Sylveſtro a Monte Cavallo.105)
Nur eine Capelle zur Linken des Kreuzganges, wel-
che man unter dem Nahmen Capelle Bandini er-
fragen kann, ſcheint der Aufmerkſamkeit des Liebha-
bers werth zu ſeyn. An der Kuppel derſelben hat
Dome-
[353]uͤber die einzelnen Kirchen.
Domenichino an den Pfeilern † vier runde Ge-Vier runde
Gemaͤhlde
von Domeni-
chino, be-
kannt unter
dem Nah-
men: tondi
del Domeni-
chino.
maͤhlde gemahlt, welche unter dem Nahmen gli
tondi del Domenichino bekannt ſind. Die
Figuren haben ungefaͤhr zwei bis drei Fuß Hoͤhe.
Das erſte Gemaͤhlde ſtellet die heilige Judith
vor, welche dem Volke den Kopf des Holo-
fernes zeigt. Die Anordnung und der Ausdruck
ſind gut. Die Figur der Judith ſteht am rechten
Orte; Kopf und Stellung ſind edel. Die Gruppe
zweier Kinder, deren eines dem andern den Kopf des
Holofernes zeigt, uͤber deſſen Anblick das letzte die
Haͤnde freudig in die Hoͤhe hebt, iſt gut gedacht,
voller Wahrheit und Reiz. Die Gewaͤnder zeigen
das Nackte gut an, ſie ſind nur ſchwerfaͤllig. Die
Faͤrbung iſt harmoniſch.
David tanzt vor der Bundeslade. Die
Anordnung iſt nicht ſo gut als in dem vorigen, aber
der Ausdruck und die Stellung der einzelnen Figuren,
deren Zeichnung im Geſchmack der Antike iſt, halten
dafuͤr ſchadlos. Die Gewaͤnder ſind ſchlecht.
Salomon empfaͤngt die Koͤnigin von
Saba. Dies Bild ſcheint das ſchoͤnſte unter den
vieren zu ſeyn, und wuͤrde, wenn die Faͤrbung kraͤfti-
ger waͤre, in allen Theilen der Mahlerei vollkommen
ſeyn.
Ahasverus und Eſther. Sehr gut gedacht
und angeordnet. Alle Figuren des Bildes nehmen
einen ſehr wahren und ſehr wohl ausgedruͤckten Antheil
an der Handlung. Eſther, die in Ohnmacht faͤllt,
zeigt eine reizende, decente und aͤußerſt wahre Stellung.
In eben dieſer Capelle ſieht man zwei Figu-
ren von Algardi, den heil. Johannes und die
Dritter Theil. Zheil.
[354]Anmerkungen
heil. Maria, Schweſter der Magdalena. Beide
ſind von Stucco, und gehoͤren nicht zu den beſten Ar-
beiten dieſes Meiſters. An der letzten Figur iſt der
Ausdruck des Geſichts grimmaſſirend, und an dem
Gewande, dem Hr. Volkmann ein ſo großes Lob bei-
legt, finde ich nichts außerordentliches: vielmehr
ſcheinen die Falten am Beine eine unangenehme Er-
hoͤhung zu bilden.
In der zweiten Capelle rechter Hand vom
Eingange ab haͤngt ein Gemaͤhlde des Giacomo
Palma, welches aber ſehr verdorben iſt.
Die Camayeux von Polydoro und Mar-
tino da Carravaggio, in der Capelle der heil.
Magdalena, ſind ſehr leicht weggemacht, und die
Mahlereien des Giuſepped’ Arpino ſehr manierirt.
Titi fuͤhrt eine Geburt Chriſti von Venuſti und
ein Paar Gemaͤhlde von Raphaelino da Reggio als
hier befindlich an, auf welche ich die Liebhaber, des
Nahmens der Meiſter wegen, aufmerkſam mache.
Denn uͤber den Werth der Werke ſelbſt kann ich nicht
urtheilen, da ich ſie uͤberſehen habe.
KircheS. Trinità de’ Monti.106)
mung Chriſti
von Daniel
da Volterra.
Es iſt nur das Gemaͤhlde des † Daniel da Volterra,
die Kreuzabnehmung Chriſti, welches dieſe Kirche
der Aufmerkſamkeit des Liebhabers werth macht. Der
Gedanke dieſes Bildes iſt folgender: Sieben Men-
ſchen ſind beſchaͤfftiget, den Leichnam Chriſti vom Kreuz
abzunehmen. Einige derſelben laſſen ihn herunter,
andere fangen ihn auf, andere halten die Leiter, auf
der
[355]uͤber die einzelnen Kirchen.
der wieder andere auf- und abſteigen. Sie ſind alle
gut in Handlung gebracht. Joſeph von Arimathia,
der den Leichnam Chriſti in ſeine Arme faßt, ſcheint
bei dieſem traurigen Liebesdienſte aͤußerſt bewegt zu ſeyn.
Am Fuß des Kreuzes liegt die Mutter Gottes
in Ohnmacht, und mehrere Weiber ſind beſchaͤfftiget,
ſie wieder zu ſich ſelbſt zu bringen. Der heil. Jo-
hannes laͤuft herzu, und breitet ſeine Arme aus, im
Begriff den Leichnam darin aufzufaſſen. Alle dieſe
Figuren ſind edel, natuͤrlich und wahr.
Inzwiſchen der Figuren ſind ohnſtreitig zu viel.
Sie bedecken die Flaͤche anſtatt ſie zu fuͤllen, und ſind
zu unordentlich vertheilt. Die Gruppe der Frauen
am Fuße des Kreuzes verdient von dieſem Urtheil
ausgenommen zu werden. Die Figuren derſelben
ſind ſehr gut zuſammen geſtellt.
Der Ausdruck iſt wahr, nur ſollte die heil. Mag-
dalena, welche die in Ohnmacht gefallene Mutter
Gottes in den Armen haͤlt, auf dieſe blicken, nicht
zur Seite. Der Chriſt iſt nicht ſehr edel.
Die Koͤpfe ſehen ſich alle aͤhnlich, aber das ge-
meinſchaftliche Vorbild iſt gut gewaͤhlt, und die Zeich-
nung durchaus richtig. Die Gewaͤnder zeigen das
Nackte gut an, aber die Ausfuͤhrung iſt etwas trocken.
Die Stellungen haben nichts von der Florentiniſchen
Affektation: die Verkuͤrzungen ſind vortrefflich. Es
wuͤrde ſchwer ſeyn, uͤber das Helldunkle und die Farbe
zu urtheilen, da das Bild ſchon ſehr verdorben iſt, und
noch taͤglich mehr verdirbt.
Zu beiden Seiten ſind noch Gemaͤhlde deſ-
ſelben Meiſters. Im Ganzen mittelmaͤßig, aber
in einzelnen Partien nicht ohne Verdienſt.
Z 2Hr. Volk-
[356]Anmerkungen uͤber einzelne ꝛc.
Hr Volkmann iſt in der uͤbrigen Beſchreibung
dieſer Kirche ziemlich unrichtig. Es iſt aber nicht
der Muͤhe werth, ihn zu verbeſſern.
KircheS. Trinità de’ Pellegrini.107)
Auf dem Hauptaltare hat † Guido die Drei-
einigkeit auf eine ſonderbare Weiſe vorgeſtellet.
Oben ſieht man Gott den Vater, der die Arme aus-
breitet, mit Koͤpfen von Cherubims, die reihenweiſe
geſetzt ſind, umgeben. Gleich unter dem Barte von
Gott dem Vater iſt der heil. Geiſt als Taube vorge-
ſtellet, welche auf den Kopf Chriſti herabzufliegen
ſcheint. Chriſtus haͤngt gleich darunter am Kreuze,
welches auf einer Kugel ruhet, und auf den Seiten
von ein Paar Engeln ſehr zierlich gehalten wird. Ein
Paar große Engel in den Wolken beten das Kreuz auf
den Knien an. Die Ausfuͤhrung iſt nicht viel beſſer
als der Gedanke, und das Bild gehoͤrt ſowohl in An-
ſehung der Stellungen, welche affektirt ſind, als der
Zeichnung, welche incorrekt iſt, und der Farbe, wel-
cher es an Kraft und Harmonie fehlet, zu den ſchwaͤch-
ſten Werken dieſes Meiſters.
Ueber
[357]
Ueber einige Kunſtwerke an offenen
Plaͤtzen der Stadt.
Bildhauerarbeit am Triumphbogen
des Titus.
In dem Durchgange ſelbſt.
† Zwei Basreliefs, welche den Triumph
des Kaiſers Titus, nach erfochtenem
Siege uͤber die Juden, und Zerſtoͤrung der
Stadt Jeruſalem vorſtellen. Sie gehoͤren zu
den ſchoͤnſten des Alterthums, und ſind nicht nur in
einem richtigen, ſondern auch ſchoͤnen Stile gezeich-
net. Schade! daß ſie ſo ſehr gelitten haben.
Die Frieſen ſtellen den fernern Zug des
Triumphs, und beſonders die Prieſter mit den
Opferthieren vor.
Die Apotheoſe des Kaiſers. Er beſchreitet
einen Adler, der ihn gen Himmel traͤgt.
† Vier Victorien außen am Bogen, ſind
Muſter leicht ſchwebender Figuren.
Bildhauerarbeit am Triumphbogen des
Kaiſers Septimius Severus.
Die daran befindlichen groͤßeren Basreliefs
ſtellen Begebenheiten vor, die auf den Krieg
des Kaiſers mit den Parthern Bezug haben.
Z 3So
[358]Ueber einige Kunſtwerke
So ſehr die Ausfuͤhrung den Verfall der Kunſt
verraͤth, der Gedanke zeigt immer treue Anhaͤnglich-
keit an dem urſpruͤnglichen Stile ihres Flors. Im-
mer ſind noch die Verhaͤltniſſe ziemlich richtig, die
Juncturen natuͤrlich, die Stellungen ſimpel, und
die Gewaͤnder vernuͤnftig. Die Arbeit iſt manierir-
tes Handwerk; aber die Manier iſt gut: die Hand
verraͤth den Schuͤler; aber den Schuͤler, der einer
guten Lehre entlaufen iſt. In Koͤpfen und Stellun-
gen herrſcht große Einfoͤrmigkeit: Man ſieht, —
wenn ich mich dieſes erklaͤrenden Beiſpiels bedienen
darf — daß die Figuren auswendig gelernte Woͤrter
einer uͤberlieferten Kunſtſprache ſind.
Die Frieſen ſtellen Triumphzuͤge vor.
In den Ecken uͤber den Bogens ſieht man
Genien mit den Attributen der Jahrszeiten. Victo-
rien, Flußgoͤtter, u. ſ. w.
Das Ganze iſt mit Figuren uͤberhaͤuft. 1)
Bildhauerarbeit am Triumphbogen des
Kaiſers Conſtantin des Großen.
Auf den Saͤulen ſtehen ſieben Statuen von
gefangenen Daciern. Die achte iſt ins Muſeum
Capitolinum gekommen. Unter den noch ſtehenden
ſoll
[359]an offenen Plaͤtzen der Stadt.
ſoll die eine ganz neu ſeyn, die andern ſollen neu auf-
geſetzte Koͤpfe haben. So meldet Hr. D. Volkmann.
Die Basreliefs die hier angebracht ſind, ſind
von ſehr verſchiedener Guͤte. Einige, die man wahr-
ſcheinlich von alten Monumenten des Trajans genom-
men hat, zeichnen ſich, wo nicht durch Schoͤnheit,
wenigſtens durch vernuͤnftige Anordnung, Ausdruck
und Richtigkeit der Zeichnung aus. Hingegen die
Figuren aus der Zeit Conſtantins ſind auf einander
gehaͤuft, incorrekt, unbedeutend: Kurz! Alles zeigt
in dieſen letztern den gaͤnzlichen Verfall der Kunſt.
Nur der alte Stil iſt noch immer vorhanden; noch
immer zeigen ſich Spuren vortrefflicher Grundſaͤtze,
bei der Ohnmacht ſie in Ausuͤbung zu bringen. Die
alten Kuͤnſtler aus dieſer Epoche kommen mir wie
Invaliden vor, denen man die Dreſſur der Jugend,
ſelbſt in der Art wie ſie die zitternden Glieder fort-
ſchleppen, anmerkt.
Unter den Basreliefs aus der Zeit des Trajans
ſind vorzuͤglich zwei beruͤhmt.
† Das eine ſtellt eine Schlacht dieſes Kai-
ſers wider die Dacier: das andere eine alle-
goriſche Vorſtellung des Sieges, ſeine Kroͤ-
nung mit einem Lorbeerkranze durch die Hand
einer Victorie, vor. Die Figuren ſind ein wenig
ſchwerfaͤllig, und vielleicht ſchon zu ſehr nach einer
gewiſſen Manier gearbeitet, ohne die Natur gehoͤrig
zu Rathe zu ziehen. Dies abgerechnet, haben ſie
viel Verdienſt.
Die uͤbrigen Basreliefs ſind meiſtens Ovale.
Sie ſtellen den Trajan in verſchiedenen Handlungen
vor: wie er den Parthern einen Koͤnig giebt, wie er
Z 4ſeine
[360]Ueber einige Kunſtwerke
ſeine Soldaten anredet, wie er opfert, zur Stadt
zuruͤckkehrt, verſchiedene Arten von Jagden haͤlt u. ſ. w.
Auch ſieht man hier zwei allegoriſche Vorſtellungen,
die eine des Occidents, und die andere des Orients,
unter zwei weiblichen Figuren, deren eine mit ihrem
Wagen in die Hoͤhe, die andere ins Meer faͤhrt.
Ein geſchickter Compoſiteur koͤnnte hier Veran-
laſſung zu mancher guten Idee finden.
† Pferdebezwingerin Monte Cavallo.
So nennt man zwei Juͤnglinge, welche an-
ſpringende Pferde halten, in coloſſaliſcher
Groͤße. Sie ſtehen auf dem Monte Cavallo.
Auf der Baſis der einen Figur ſteht die lateiniſche
Innſchrift: Phidiae opus; auf der Baſis der an-
dern: Praxitelis opus, Wahrſcheinlich neuere
Zuſaͤtze: wenn es gleich moͤglich bleibt, daß dieſe
Nahmen zur Aufbewahrung einer Ueberlieferung ſchon
von den aͤltern Roͤmern hinzugefuͤgt ſind.
Die richtigſte Erklaͤrung ſcheint dieſe zu ſeyn:
Die Figuren ſtellen den Caſtor und Pollux vor.
Bildhauer von großer Einſicht ſetzen dieſe beiden
Statuen unter das Beſte, was ſich aus dem Alter-
thume auf uns erhalten hat, und M. Angelo nannte
ſie ſeine Lieblinge. Ich will nur dasjenige ſagen,
was ich ſelbſt geſehen, ſelbſt gefuͤhlt habe. Die
Pferde ſind den Menſchen aufgeopfert. Letztere ha-
ben etwas ſehr großes und ſehr edles in Stellung und
Koͤpfen. Dieſer Eindruck des Ganzen bleibt, wenn
gleich mehrere Beſchaͤdigungen und Ergaͤnzungen der
urſpruͤnglichen Schoͤnheit im Einzelnen vieles entzo-
gen
[361]an offenen Plaͤtzen der Stadt.
gen haben. Den Gipsabguß des einen Kopfs ha-
be ich in der Naͤhe geſehen: es iſt zum Erſtaunen,
mit welcher Delicateſſe der Marmor behandelt iſt,
und dennoch thut dieſe Weichheit der Wuͤrkung in
der Ferne keinen Schaden.
Fuͤr den Liebhaber der bildenden Kunſt haben
ſie durch die neuere Ruͤckung, die mit ihnen vorgenom-
men iſt, eher verloren als gewonnen.
Bildhauerarbeit an der Saͤule des
Trajans.
Das Piedeſtal, worauf die Saͤule ruht, iſt mit
Waffen in erhobener Arbeit geziert. Sie ſchei-
nen zu unordentlich gelegt, uͤbrigens von ſchoͤner Aus-
fuͤhrung zu ſeyn.
Vier Adler ſtehen auf den Seiten, die im
Verhaͤltniß zum Ganzen zu klein ſcheinen, aber eben
ſowohl als der Lorbeerkranz, auf dem der Schafft
der Saͤule ruht, vortrefflich gearbeitet ſind.
An dem Schaffte der Saͤule ſind mehrere
Begebenheiten, die mit den Feldzuͤgen des Tra-
jans in Beziehung ſtehen, abgebildet. Sie lau-
fen ſchneckenfoͤrmig von unten bis oben hinauf, und
die Figuren in der Hoͤhe ſind groͤßer als die untern,
damit ſie durch die weitere Entfernung dem Auge nicht
entzogen wuͤrden. Inzwiſchen dieſe Vorſicht ſcheint
nicht viel geholfen zu haben. Ich kann mich ziem-
lich guter Augen ruͤhmen, aber in der Hoͤhe, worin
ſich dieſe ungefaͤhr drei hoͤchſtens vier Fuß großen Fi-
guren befinden, habe ich ſie nicht deutlich unterſchei-
den koͤnnen.
Z 5Ich
[362]Ueber einige Kunſtwerke
Ich kenne nur einige Theile dieſer weitlaͤuftigen
Compoſition aus Gipsabguͤſſen, und das Ganze aus
Kupfern. Nach dieſen glaube ich auf folgende Art
daruͤber urtheilen zu muͤſſen.
Die Forderungen, die wir an eine gute drama-
tiſche Darſtellung, und an einen damit correſpondi-
renden Ausdruck zu machen berechtigt ſind, werden
wenig befriedigt; die Regeln der mahleriſchen Anord-
nung, der Luft und Linienperſpektiv, ſind auf das ent-
ſetzlichſte beleidigt. Ich tadle die Kuͤnſtler nicht ſo-
wohl darum, daß ſie die davon abhaͤngende Wuͤrkung
nicht erreicht, als vielmehr darum, daß ſie ihr uͤber-
haupt nachgeſtrebt haben.
Alles was nicht menſchliche Form und Gewand
iſt, hat nicht den mindeſten Schein von Wahrheit.
Hingegen iſt der phyſiognomiſche Ausdruck der Koͤpfe
ſo abwechſelnd, als die beinahe durchaus wohlgefaͤlli-
gen Stellungen verſchieden ſind. Der Liebhaber
wird an den richtigen Verhaͤltniſſen, an der natuͤrli-
chen Einfuͤgung der Juncturen, an der Simplicitaͤt
der Stellungen und der Zweckmaͤßigkeit der Gewaͤn-
der und des Faltenſchlags Vergnuͤgen finden: Der
Kuͤnſtler Veranlaſſung zu neuen Ideen, und Auf-
klaͤrung uͤber das Coſtume der Alten.
An der Stelle, wo dieſe Werke angebracht ſind,
thun ſie ſo weit das Auge ihnen folgen kann, gut:
Abgenommen, einzeln beſehen, verlieren ſie den An-
ſpruch auf ſchoͤne, fuͤr ſich beſtehende Kunſtwerke.
Die Wahl der Formen iſt gut, aber nicht ſchoͤn, nicht
edel. Die Verhaͤltniſſe ſind richtig, aber nicht von
ſwelten Figuren genommen. Die Umriſſe ſind be-
ſtimmt, aber nicht zierlich.
Die
[363]an offenen Plaͤtzen der Stadt.
Die Behandlung verraͤth die fertige Hand, die
oft den naͤmlichen Vorwurf oder aͤhnliche ausgefuͤhrt
hat, ſie hat aber nicht die Weichheit eines mit ſorg-
ſamer Liebe behandelten Werkes. Auch fehlt die In-
dividualitaͤt von Treue, die nicht erreicht wird, ohne
die Natur zu Rathe zu ziehen. Es iſt und bleibt
Handwerk, Manier, von ſo vortrefflicher Art ſie im-
mer ſeyn mag.
Laͤcherlich iſt es zu behaupten, die 2500 halbe
und ganze Figuren, die an dieſer Saͤule befindlich
ſind, waͤren alle von einer Hand verfertigt. Von
der Hand einer Schule, das zeigt die aͤhnliche Ver-
fahrungsart, aber von der Hand eines Meiſters, das
iſt aus mehr als einem Grunde unmoͤglich.
Die Umriſſe der Figuren heben ſich kantig von
der Flaͤche ab. Fuͤr den Ort gut; fuͤr den angeneh-
men Eindruck im Einzelnen, nicht gut.
Die Statue des heiligen Petrus aus Bronze
oben auf der Saͤule, iſt nach dem Modelle des Tho-
mas della Porta gegoſſen, und mittelmaͤßig.
Bildhauerarbeit an der Saͤule Anto-
nins: richtiger, des Marcus Aurelius
Antoninus.
Die daran befindlichen Basreliefs ſtellen Bege-
benheiten aus den Feldzuͤgen des Marcus Au-
relius Antoninus vor. Es iſt der naͤmliche Stil,
der ſich in den Figuren an der Trajaniſchen Saͤule
findet: nur die Ausfuͤhrung iſt ſchlechter, die Arbeit
mehr beſchaͤdigt, und die Compoſition noch fehlerhaf-
ter
[364]Ueber einige Kunſtwerke
ter als an jener. Man ſieht hier Fluͤſſe, die in per-
pendiculairer Richtung an den Figuren hinauf lau-
fen. Verſchanzungen, Mauern, welche die Men-
ſchen von Kopf bis zu Fuß mit einem Zirkel umſchlieſ-
ſen, und worin dieſe wie Voͤgel in einem Reife ſte-
hen u. ſ. w. Schoͤn gedachte Stellungen, Koͤpfe,
Gewaͤnder, Juncturen, kurz! der Stil der Alten,
ziehen immer noch unſere Aufmerkſamkeit auf ſich.
Sonderbar iſt die Idee des Jupiter Pluvialis,
wie man ihn nennt.
Die Roͤmer litten von der Duͤrre, und vom
Durſt, deſſen Folge. Die Quadi hielten ſie einge-
ſchloſſen. Es erfolgte ein Gewitter. Blitz, Hagel
und Schloßen fielen auf die Quadi und zerſtreueten
dieſe. Die Roͤmer erhielten Labung, den gewuͤnſch-
ten Regen. Dieſe Begebenheit iſt auf folgende Art
allegoriſch vorgeſtellt. Ein gefluͤgelter Genius, dem
Waſſer vom Kopfe, Augenbraunen, Bart, und
von dem uͤbrigen Theile des Koͤrpers auf halben Leib
herabſtroͤmt, hebt die Rechte gegen die Roͤmer auf,
von der der ſparſamere Regen ſanft herabtreufelt, den
die Soldaten in aufwaͤrts gehaltene Schilde aufſam-
meln; die Linke laͤßt der Genius auf ihre Feinde
ſchwer herabſinken, und hier ſtuͤrzet alles zu Boden.
Zur Nachahmung will ich die Vorſtellung eben nicht
anrathen, wenigſtens nicht als Vorwurf der ſchoͤnen
Sculptur.
Bild-
[365]an offenen Plaͤtzen der Stadt.
Bildhauerarbeit an dem Poſtament der
Saͤule des Antoninus Pius.
Das Poſtament zur Antoniniſchen Saͤule iſt
mit † Basreliefs geziert, welche zu den beſten
Kunſtwerken dieſer Art in Rom gehoͤren.
Auf der einen Seite ſieht man die Vergoͤtterung
des Antonins und der Fauſtina. Ein Genius traͤgt
ſie auf den Fluͤgeln, und haͤlt eine Kugel mit einer
Schlange in der Hand. Zu den Fuͤßen des Genius
eine allegoriſche Figur mit einem Obelisk, den man
fuͤr das Symbol der Unſterblichkeit haͤlt. Gegen
uͤber eine Roma mit einem Schilde, worauf die Woͤl-
fin, die den Romulus und Remus ſaͤuget, abgebildet
iſt. Alle dieſe Figuren ſind ſchoͤn, aber die Figur
der Roma wird den uͤbrigen vorgezogen.
Die beiden andern Basreliefs ſtellen das Leichen-
begraͤbniß des Kaiſers vor.
Bildhauerarbeit an der Fontainedi
Termine.
† Zwei Loͤwen von Baſalt mit Platten von der-
ſelben Materie, worauf Hieroglyphen befindlich ſind:
antik. Sie ſind voller Kraft und Majeſtaͤt.
Zwei andere von weißem Marmor, unbe-
deutend.
Moſes, der das Waſſer aus dem Felſen
ſchlaͤgt, eine Statue aus weißem Marmor. Sie
iſt plump, unbedeutend in Ausdruck der Mine, af-
fektirt in der Stellung, und ſchlecht bekleidet.
Bild-
[366]Ueber einige Kunſtwerke
Bildhauerarbeit an der Fontaine
di Trevi.
Die Bildhauerarbeit an dieſer Fontaine kann nur
als architektoniſcher Zierrath betrachtet werden. Sie
thut im Ganzen Wuͤrkung, und wuͤrde noch mehr
thun, wenn der Platz groͤßer waͤre, um ſie aus der
Ferne zu betrachten. Im Detail verdient ſie nicht,
daß man daruͤber ſpreche: Der Neptun in der Mitte
ſieht aus wie ein Tanzmeiſter.
Bildhauerarbeit an der Fontaine
della Piazza Navona.
Obgleich die Bildhauerarbeit auch hier wieder mehr
im Ganzen als im Detail betrachtet werden muß, ſo
haͤt ſie doch mehr Verdienſt als diejenige, welche an
der Fontaine di Trevi befindlich iſt.
Das Ganze iſt nach der Angabe des Ber-
nini verfertigt, und bildet eine ſchoͤne Maſſe.
Ein großer Obelisk von orientaliſchem Granit
mit Hieroglyphen ruhet auf einem großen
durchgebrochenen Felſen, aus dem ein Loͤwe
und ein Waſſerpferd hervorgehen, und an den
Seiten ruhen vier coloſſaliſche Figuren, wel-
che die groͤßten Fluͤſſe aus den vier Weltthei-
len vorſtellen.
Der Loͤwe und das Pferd ſind von Lazaro
Morelli.2)Der Fels von Bernini ſelbſt, an
dem
[367]an offenen Plaͤtzen der Stadt.
dem man die Verbindung der Feſtigkeit und Groͤße
mit der ſwelten Form bewundert.
Der Fluß della Plata iſt von Franceſco
Baratta.
Die Donau von einem gewiſſen Claudio.3)
Sie wird beſonders geſchaͤtzt.
Der Nil von Giacomo Antonio Fancelli.
Er verhuͤllt das Haupt: eine witzige Allegorie ſeines
ungewiſſen Urſprungs, die eben ſo gut in der Bild-
hauerei unausgefuͤhrt haͤtte bleiben koͤnnen.
Der Ganges als Mohr von Antonio
Raggi.
Auf der einen kleineren Fontaine zur SeiteKleinere
Fontaine
ebendaſelbſt.
ſteht ein aͤlterer Triton von der Hand des Ber-
nini. Er iſt beruͤhmt. Die vier kleineren Tri-
tonen, die ihn umgeben, ſind von der Hand des
Flaminio Bacca und anderer Meiſter.
Oben: vier Masken von Michael Angelo.
Paſqui-
[368]Ueber einige Kunſtwerke
Paſquino.
So nennt man eine ſehr verſtuͤmmelte Statue aus
weißem Marmor. Sie bekam den Nahmen von
einem luſtigen Schuhflicker, der in der Naͤhe wohnte,
und ſeine witzigen Einfaͤlle daran anklebte. Wenn
Bernini, wie man behauptet, geſagt hat, daß die-
ſer Sturz das ſchoͤnſte Ueberbleibſel des Alterthums
ſey, ſo iſt dies wahrſcheinlich auch nur ein witziger
Einfall im Geſchmack des Paſquino, auf die Vor-
liebe des M. Angelo zu dem beruͤhmten Torſo di
Belvedere. Inzwiſchen Verdienſt hat das Stuͤck
immer, nur muß die Maaße nicht uͤbertrieben wer-
den. Es iſt zu ſehr beſchaͤdigt, um mit Zuverlaͤßig-
keit daruͤber zu urtheilen.
Die Figur ſcheint eine andere zu tragen. Dieſe
Handlung hat zu mehreren Auslegungen Gelegenheit
gegeben. Wahrſcheinlich ſtellt ſie einen Krieger vor,
der ſeinen verwundeten Cameraden aus der Schlacht
wegbringt, und der verſtorbene Abbate Visconti
hat darin den Menelaus mit dem Leichnam des Pa-
troclus beſtimmt wieder erkennen wollen. 4)
Nachtrag
[369]
Nachtrag
einiger Nachrichten uͤber Kunſtwerke zu
Freſcati, in den Villen der umliegenden
Gegend, und beſonders in der Kirche zu
Grotta Ferrata.
In der Villa Aldobrandini.
brandini.
Einige Landſchaften mit den Thaten des Apol-
lo von Domenichino, ſie haben ſehr gelitten.
Einige Gemaͤhlde von Cav. Giuſeppe d’Ar-
pino.
Dasjenige, welches Judith mit der Magd vor-
ſtellet, iſt das beſte.
In dem Caſino Aldobrandini zuCaſino Aldo-
brandini.
Freſcati ſelbſt.
Einige ſchoͤne Landſchaften von Philipp
Hackert.
Villa Mondragone.
dragone:
ſchoͤner coloſ-
ſaliſcher Kopf
des Anti-
nous.
† Coloſſaliſcher Kopf des Antinous. Von he-
her Schoͤnheit, mit Weinreben ſtatt der Haare
bedeckt.
Dritter Theil. A a† Ein
[370]Nachtrag.
† Ein Kopf des Cardinals Scipio Bor-
gheſe, von Bernini. Ein wahrer Vandyk in Mar-
mor. Die mechaniſche Behandlung vortrefflich.
Villa Falconieri.
Mehrere Plafonds von Carlo Maratti.
Schwach in allen Theilen der Mahlerei: kaum daß
ein Paar huͤbſche Weiberkoͤpfe den Blick belohnen,
den man auf dieſe Gemaͤhlde wirft.
Einige Carricaturen von Ghezzi.
Einige Landſchaften von — kaum weiß ich,
ob ich den Nahmen des Meiſters, den ich nicht beim
Fueßli finde, nicht verhoͤret habe, — von Hetzen-
dorf.
Villa Bracciano.
Mehrere Plafonds von Domenichino und
ſeinen Schuͤlern. Die Himmelfahrt des Elias iſt
von ihm ſelbſt.
Kapuzinerkloſter.
Hier ſoll ein † beruͤhmtes Crucifix von Guido
Reni haͤngen, welches ich aber nicht zu ſehen bekom-
men konnte, weil die Kirche verſchloſſen war.
Grotta Fer-rata.
Kirche zu Grotta Ferrata.
Im Hofe: ein ſchoͤnes antikes Basrelief,
welches den Leichnam des Patroclus vorſtellt,
den man aus der Schlacht wegtraͤgt.
Eine
[371]Nachtrag.
Eine ſeitwaͤrts von der Kirche liegende
Capelle hat Domenichino mit Mahlereien ge-Mahlereien
von Dome-
nichino.
ziert. Sie machen das weitlaͤuftigſte Werk aus,
das man von dieſem Meiſter kennt; die Suͤjets ſind
aus der Geſchichte des heil. Nilus genommen.
† Der heilige Nilus heilet einen Befeſ-
ſenen mit dem Oel aus einer Kirchenlampe.
Der Gedanke des Bildes iſt gut, und die An-
ordnung vernuͤnftig. Aber der Theil, der am meh-
reſten unſere Aufmerkſamkeit auf ſich zieht, iſt der
Ausdruck der Affekte.
Der Vater, der in dem Augenblicke der Cur den
Sohn mit der aͤngſtlichen Unruhe haͤlt, welche die
Folge eines heftigen aber zaͤrtlichen Wunſches iſt:
die Mutter, die mit glaͤubiger Zuverſicht die erſten
Symptome der Beſſerung ausſpaͤhet: die aͤlteren
Bruͤder, die mit Staunen und Furcht der Dinge
warten, die da kommen werden: das juͤngſte Kind,
das ſich bange hinter die Mutter verkriecht: der An-
verwandte voll des geruͤhrteſten Antheils: endlich der
Heilige im inbruͤnſtigen Gebete zum Himmel; alles
dies iſt ſo wahr, ſo ſprechend, daß wir keiner Stimme
beduͤrfen, um die ganze Lage einer jeden dieſer hier
verſammelten Perſonen deutlich zu verſtehen und zu
fuͤhlen. Edel kann man den Ausdruck nicht nennen,
aber treu. Die Zeichnung iſt ſehr fein, in den Ex-
tremitaͤten duͤrfte man ſie correkter wuͤnſchen. Die
Stellung der Mutter iſt reizend. Fuͤr Freſco iſt das
Bild ziemlich kraͤftig colorirt.
† Der heilige Nilus wird vom Kaiſer
Otto dem Dritten umarmt.
A a 2Das
[372]Nachtrag.
Das Bild iſt nicht gut angeordnet; aber der
Ausdruck iſt wieder vortrefflich. Man bewundert
vorzuͤglich die guͤtige Zuvorkommung in dem Kaiſer,
den beſcheidenen Anſtand in dem Heiligen, die Maͤn-
ner im Gefolge des Kaiſers, die das Horn blaſen und
in die Trompete ſtoßen, die Gruppe des Juͤnglings,
der ſein wildes Pferd nicht halten kann, und dem der
Vater zu Huͤlfe kommt u. ſ. w. Die Koͤpfe ſind
ſchoͤn gewaͤhlt, der des Kaiſers koͤnnte edler ſeyn: der
Heilige thut ihm Schaden. Sehr ausdrucksvoll ſind
noch die Cavaliere, die dem Kaiſer zur Seite ſtehen:
der Juͤngling, der den Hut mit dem Federbuſche
traͤgt u. ſ. w.
† Der heilige Nilus betet ein Crucifix in
der Wuͤſte an, das ihn ſegnet. Die Figur des
Heiligen iſt von unvergleichlichem Ausdrucke.
Gegen uͤber.
Der heilige Nilus betet um Regen zur
Zeit der Erndte; weniger ſchoͤn als die vorigen.
Dem heiligen Nilus wird der Plan einer
Kirche vorgelegt: auf dem naͤmlichen Bilde
haͤlt er eine Saͤule, welche fallen will.
Außer dem Vorwurf einer doppelten Handlung,
die man dem Bilde machen kann, verdient es auch
den Tadel, mit zu vieler Eilfertigkeit ausgefuͤhrt zu
ſeyn. Man ſieht inzwiſchen einzelne ſchoͤne Gruppen
und unvergleichliche Koͤpfe darauf.
Die Madonna erſcheint dem heil. Nilus
in Begleitung eines andern Heiligen, und
giebt ihm einen Apfel.
Auf dem Altare Gott der Vater.
Rund
[373]Nachtrag.
Rund herum, Engel und einige weibliche
allegoriſche Figuren in Ovalen. Eine darun-
ter iſt unter dem Nahmen la frascatana ſehr beruͤhmt.
Mehrere Suͤjets aus der heiligen Ge-
ſchichte en Camayeu. Sie haben ſehr gelitten. 1)
Bei dem letzten Werke, welches ich vom Dome-
nichino anzeige, will ich deſſen Charakter noch zu
zeichnen ſuchen.
Seit Raphael iſt kein Mahler wieder aufgeſtanden,Charakter
des Domeni-
chino.
der den Ausdruck der dramatiſchen Mahlerei, der
Affekte, die ſich durch Gebaͤrden gerne mittheilen und
verſtaͤndlich machen, ſo ſehr in ſeiner Gewalt gehabt
haͤtte als Domenico Zampieri, il Domenichino ge-
nannt. Sein Talent in dieſem Stuͤcke war aber
weniger ausgebreitet als das ſeines Vorgaͤngers. Die-
ſer ſahe wie ein Mann, weitumfaſſend, klar, deutlich,
richtig: jener wie ein Weib, fein, ſcharf, aber ein-
zeln und unzuverlaͤßig. Domenichino bemerkte und
empfand, Raphael that beides in weit groͤßerem Um-
fange, dachte und ſchuf uͤberher.
Domenichino ſchraͤnkte ſich hauptſaͤchlich auf die
gewoͤhnlichen Affekte der Naivetaͤt, der Unſchuld un-
A a 3erfahr-
[374]Nachtrag.
erfahrner Jugend, der Schwaͤche des Alters ein.
Ueber die meiſten ſeiner Gemaͤhlde iſt ein Zug von
kraͤnklicher Schuͤchternheit ausgegoſſen, welcher in
dem perſoͤnlichen Charakter des Meiſters nach den
vielen Verſagungen, Leiden und Kraͤnkungen, die er
in ſeinem Leben erfahren hatte, der herrſchende wer-
den und ſich nothwendig ſeinen Werken mittheilen
mußte.
Das Genie des Domenichino ſcheint zwiſchen
dem eines Guido und eines Raphaels in der Mitte
geſtanden zu haben. Er fuͤhlte feiner und ausgebrei-
teter als der erſte, aber er hatte weniger Sinn fuͤr
edle hohe Affekte, und viel weniger mechaniſches Ta-
lent zur Ausfuͤhrung. Raphael hatte den Reichthum
der Ideen in Verbindung mit jenen Vorzuͤgen vor
beiden zum Voraus. Haͤtten alle drei Meiſter ihre
Talente zur Dichtkunſt angewandt; Raphael, glaube
ich, waͤre als Dichter des hiſtoriſchen Schauſpiels oder
als epiſcher groß geworden, Guido haͤtte den hohen
aber eingeſchraͤnkten Flug der Ode oder Elegie ge-
nommen, und Domenichino wuͤrde in der Fabel, in
der Idylle, oder uͤberhaupt in der poetiſchen Darſtel-
lung der Scenen des gewoͤhnlichen Lebens im buͤrger-
lichen Drama, im Romane, unſer Herz zur ſanften
Theilnehmung eingeladen haben.
Domenichino wechſelte nicht oft mit der Wahl
ſeiner Suͤjets ab; er entlehnte ſie oft von andern.
Nicht ſelten, wenn er ſich ſeinem eigenen Flu-
ge uͤberließ, opferte er die Hauptperſonen den Neben-
figuren auf, und verwebte Epiſoden mit der Haupt-
handlung, welche dieſer gefaͤhrlich wurden. Erha-
bene Ideen ſind bei ihm ſehr ſelten.
Das
[375]Nachtrag.
Das Verdienſt ſeiner Anordnung iſt ſich nicht
immer gleich, doch in Ruͤckſicht auf mahleriſche Wuͤr-
kung groͤßer, als in Ruͤckſicht auf poetiſchen Ausdruck
des Ganzen.
Von dem Ausdruck der einzelnen Figuren habe
ich ſchon geredet. Ich muß noch hinzuſetzen, daß
ſchmerzhafte Empfindungen ſehr oft zur Carricatur
in ſeinen Gemaͤhlden wurden.
Seine Weiberkoͤpfe haben vortreffliche Formen.
Es iſt nicht die hohe Schoͤnheit des Guido die ſie
ziert, aber es iſt der gefaͤllige, ſittſame Reiz der unbe-
fangenen Jahre. Guido ſcheint die Mutter Niobe
belebt zu haben; Domenichino die Toͤchter. Seine
Juͤnglinge ſind nicht ſo ſchoͤn: Die Alten abgehaͤrmte
Einſiedler, gute aber ſchwache Menſchen. Die Ex-
tremitaͤten ſind plump, und vorzuͤglich die Finger
ſeiner Haͤnde kurz und dick.
In allen Theilen der Mahlerei, die neben einer
weiſen Wahl mechaniſches Talent der Hand erfordern,
merkt man ihm an, wie mich duͤnkt, daß er zum
Handwerker nicht gebohren war: daß ein feiner Ge-
ſchmack ihn bei der Ausfuͤhrung leitete, aber daß die-
ſer den Mangel angebohrner Faͤhigkeiten nicht ganz
erſetzen konnte. Er ſtand hoͤher als Pouſſin in die-
ſem Stuͤcke, aber er war doch weit unter Mengs, vor-
zuͤglich in einzelnen Figuren. Seine Zeichnung iſt
ſchwerfaͤllig und nicht durchaus correkt. Inzwiſchen
hat er oft ſehr beſtimmt gezeichnet, und er iſt ſich hier
wie in andern Talenten, die eine fertige Hand erfor-
dern, ungleich: Die Gewaͤnder ſind nicht als
Muſter anzupreiſen. Der Kopfputz gluͤckte ihm
beſſer.
A a 4Sein
[376]Nachtrag.
Sein Colorit naͤhert ſich, ſo wie bei allen Schuͤ-
lern der Carracciſchen Schule, in den beſten Wer-
ken und in einzelnen Partien dem Correggio. In
andern faͤllt er zu ſehr ins Kreideweiße und gruͤn-
lich Schwarze. Ueberhaupt fehlt es wohl an Waͤrme,
Harmonie und Haltung.
Die Lichter theilte er gemeiniglich ſehr gut aus,
aber den ſanften Uebergang der hellen zu den dunkeln
Partien, die Luftperſpektiv finden wir gleichfalls oft
vernachlaͤßigt.
Seine Behandlung iſt ſehr fleißig: ſo fleißig,
daß ſie zuweilen ins Aengſtliche und Trockene faͤllt.
Man zieht ſeine Freſcogemaͤhlde den Oelgemaͤhl-
den vor.
Dieſer Meiſter mahlte allerliebſt gedachte Land-
ſchaften, deren Ausfuͤhrung nur nicht immer wahr
und treu iſt.
Er lebte von 1581 — 1641.
Schluß
[377]
Schluß.
So endige ich denn dieſen Verſuch uͤber die bil-
denden Kuͤnſte in Rom, nicht ohne eine Beſorg-
niß zu empfinden, die derjenigen aͤhneln muß, mit
der ein Vater ſich von ſeinem Kinde trennt, ehe deſ-
ſen Bildung vollendet iſt.
Ich habe mein dreißigſtes Jahr noch nicht er-
reicht, und ein Werk wie dieſes, haͤtte, um dem Pu-
blico vor Augen gelegt zu werden, das reifſte Alter
erfordert.
Aber ich fuͤhlte, daß mit jedem Tage die Ein-
druͤcke ſchwaͤcher wurden, welche die Kunſtwerke Roms
auf mich gemacht hatten: ich lief Gefahr zu einer
Zeit, wo ich an Staͤrke im Raiſonniren wuͤrde ge-
wonnen haben, die Bilder, welche noch lebhaft in
meiner Seele ſchweben, verloſchen, meine noch war-
men Empfindungen erkaltet zu ſehen. Ich hatte
keine Hoffnung meine Erinnerungen durch eine zweite
Reiſe nach Rom wieder aufzufriſchen, wohl aber die
Ausſicht zu einer Lage vor mir, in der eine anhaltende
Beſchaͤfftigung mit den ſchoͤnen Kuͤnſten, mir auf im-
mer verwehrt werden duͤrfte.
Dieſe Gruͤnde haben mich bewogen, mein Buch
ſchon jetzt dem Druck zu uͤbergeben, und als mir zur
Bedingung des Verlags gemacht wurde, daß alle
drei Theile auf Oſtern 1787. zu gleicher Zeit er-
ſcheinen ſollten, auch dieſe einzugehen.
Dies geſchah um Michaelis vorigen Jahrs. Die
Materialien waren geſammelt, mir blieb Zeit zum Ord-
A a 5nen
[378]Schluß.
nen und Feilen. Haͤtte ich an ſich nichts auſſeror-
dentliches hervorgebracht; ich haͤtte das Wenige was
ich geben konnte, ſo gut geliefert, als meine gegen-
waͤrtigen Kraͤfte es zulaſſen.
Aber auch hieran bin ich behindert, durch eben
ſo unvermeidliche, als unvorhergeſehene Abhaltungen
behindert; und ich darf es behaupten, daß ſelten ein
Buch unter ſo unguͤnſtigen Verhaͤltniſſen fuͤr ruhige
Sorgfalt ausgearbeitet worden.
Meinen mir naͤheren Landesleuten iſt meine Lage
bekannt: ſie werden ſie bei der Pruͤfung des Werths
meines Buchs in Anſchlag bringen; bei Fremden
darf ich aus dieſem Grunde auf Billigkeit keinen An-
ſpruch machen.
Dennoch belebt mich eine Hoffnung auf allgemei-
nere Nachſicht. Mein Verſuch wird die Nothwen-
digkeit einer Anleitung zur Kenntniß der Kunſt fuͤr
Liebhaber, eben durch ſeine Maͤngel, fuͤhlbarer
machen.
Es wird ein Mann aufſtehen, der mit eben ſo
vieler Liebe zu den Kuͤnſten als ich, mehr Genie
und Muße verbindet, der meine Nachrichten ergaͤnzt,
meine Saͤtze naͤher beſtimmt. Daß ſo wenigſtens
mein ſchwaches Bemuͤhen die naͤhere Veranlaſſung
zu einem Werke werde, das Aller Forderungen in
der Maaße befriedigt, — wie ſie in Sachen des Ge-
ſchmacks zu befriedigen nur immer moͤglich bleiben!
Kann ich mit einem ſchoͤnern, kann ich mit ei-
nem fuͤr das Publicum und mich gluͤcklichern Wun-
ſche endigen?
[][][]
Empfindung und percipirte Empfindung ſelbſt, ſo
weit von einander verſchieden ſind; ſo wuͤrde man
bei der juͤngſthin geſchehenen Aufgabe, die Aufo-
pferung des großen Herzogs Leopold zu mahlen,
nicht auf allegoriſche Zeichen des Edeln das in der
That liegt, gefallen ſeyn. Sie gehoͤrt zu den we-
nigen, die ſich durch den bloßen Anblick verſtaͤnd-
lich machen laſſen, weil ſie bei den handelnden Per-
ſonen Affekte in Bewegung ſetzt, die ſich gern durch
Gebaͤrden mittheilen, und mehr ſanfter als ſtarker
Art ſind.
Der wahre Augenblick zur Darſtellung der Ge-
ſchichte des Herzogs Leopold zum Vortheil der
Kunſt iſt der, wo er in das Boot ſteigt. Eine
Ausſicht auf den Fluß kann die halb von den Wel-
len bedeckten Ungluͤcklichen zeigen, deren einer am
Zweige eines Baumes haͤngend nach Rettung ruft.
Das Boot muß leer ſeyn: Der Prinz haͤlt ſelbſt das
Ruder in der Hand des Arms, an den ſich ſeine
Freunde haͤngen wollen, ihn aufzuhalten. Er
ſtoͤßt ſie zuruͤck, er zeigt auf die Ungluͤcklichen, und
tritt ins Boot. Ein paar Schiffer die mit ent-
ſchuldigender Gebaͤrde am Ufer ſtehen, blickt der
Fuͤrſt mit einer Mine an, die ihnen ihre Zaghaf-
tigkeit vorwirft.
Dies iſt der intereſſanteſte Augenblick der Be-
gebenheit: er motivirt einen vollſtaͤndigen, be-
ſtimmten und abwechſelnden Ausdruck. Jeder-
mann der dies Bild ſieht, wird ſich ſagen koͤnnen:
Hier
ben wollen, um einige Ungluͤckliche zu retten. Die
Deutlichkeit, die Vollſtaͤndigkeit, die dadurch ent-
ſtehende Abwechſelung des Ausdrucks iſt Grund-
lage des Vergnuͤgens; Die Betrachtung: das iſt
edel! unſinnlicher Zuſatz.
Kuͤnſte und Wiſſenſchaften.
Abhandlung: Ob Mahlerei oder Tonkunſt eine
groͤßere Wuͤrkung gewaͤhre?
rechten Begriff zu haben, und ſie mit der ſublimen
Darſtellung eines hervorſtechenden Zuges der Lei-
denſchaft, der ſich ohne die ganze Reihe von Ge-
danken und Empfindungen die ihn veranlaßt haben,
nicht denken laͤßt, der gleichſam das Summum
aller vorhergehenden und nachfolgenden iſt, zu
verwechſeln. Das Virgilianiſche: Quos ego!
Das beredte Stillſchweigen in Trauerſpielen, wor-
Skizzen, als das verhuͤllte Haupt Agamemnons
in dem Gemaͤhlde des Timanthes. Zu weit her-
geholte und getriebene Analogien ſind von jeher
dem Weſen der bildenden Kuͤnſte und ſchoͤnen Wiſ-
ſenſchaften aͤußerſt gefaͤhrlich geweſen.
ſchen Reiſebeſchreibungen, Theil I. S. 444.) hat
dieſe Stellung mit dem niederſaͤchſiſchen Provin-
cialismus huckend ausgedruͤckt. Im Franzoͤſiſchen
hat man dafuͤr das Wort accroupié.
Der Herr Hofrath Heyne Antiquar. Aufſ. 1ſtes
Stuͤck. S. 154. haͤlt ſie mit Recht fuͤr eine Venus
aus dem Bade. Dies zeigt auch das Salbenge-
faͤß bei ihr an. Eine aͤhnliche Vorſtellung wird
von dem Du Cavallieri Venus Corollaria, vielleicht
von dem Armbande genannt. Der Herr Hofrath
Heyne zeigt aus dem Epiſcopius, nr. 77. wo dieſe
Figur vor der Ergaͤnzung gezeichnet ſeyn ſoll, daß
Kopf und Haͤnde neu ſind. Dies iſt mir jedoch
nicht aufgefallen, ob ich gleich ziemlich genau die
Statuen in dieſer Sammlung auch in der Ruͤck-
ſicht, das Alte von dem Neuen abzuſondern, un-
terſucht habe. Es kann aber auch ſehr wohl ſeyn,
daß mir dieſe Bemerkung entgangen iſt, weil das
Werk als ſchoͤnes Kunſtwerk wenig Aufmerkſamkeit
verdient. Dem Herrn Hofrath Heyne wird es
wahrſcheinlich, daß dieſe Figur urſpruͤnglich eine
Venus war, die das Haar mit der einen Hand
trocknete.
von 1777. Th. II. S. 463. haͤlt dieſe Copie fuͤr ein
Werk des Bernini.
zwei jungen Faunen, die die Beine uͤbereinander
geſchlagen haben. Allein andere als dieſe beiden
alten habe ich in dieſem Pallaſte nicht gefunden.
Von dieſen redet er G. d. K. S. 277.
chitetture, espoſte al Publico in Roma. Ed. de
1763. S. 370. giebt Giacomo Zuchi, einen Floren-
tiner und Schuͤler des Vaſari, als den Meiſter an.
zen der Familie Roſpiglioſi ſo geſchrieben wird.
Ich ſtehe inzwiſchen nicht mit Gewißheit dafuͤr ein.
laͤſte Barberini und Giuſtiniani, uͤber dieſe Ma-
terie geſagt wird.
ihn irrig: Cicero.
S. 431. Edit. von 1777.
G. d. K. Tav. II. eine Zeichnung dieſer Figur.
T. II. p. 211. n. A. giebt er auch davon eine Be-
ſchreibung. Er findet eine ſo große Aehnlichkeit
zwiſchen ihr, und derjenigen, die uns Lucian von
einer aͤhnlichen des Myrons aufbewahret hat, daß er
die unſrige fuͤr eine Copie von jener halten moͤchte.
angefuͤhrten Orte ein; glaubt aber, daß ſich von
einem ſo großen Meiſter wie Myron nicht anders
vermuthen laſſe, als daß ſie nach der Natur ge-
nommen ſey.
Bruſt noch einmal genutzt, um das Bruſtbild einer
Magdalena zu mahlen, das denn auſſerordentlich
ſchoͤn gerathen ſey. Ich will es glauben, und ich
habe mir oft gewuͤnſcht, dieſe Partie aus dem
großen Bilde wegſchneiden zu koͤnnen. Jenes
Bild der Magdalena ſoll ehemals im Pallaſt Mat-
tei befindlich geweſen ſeyn, aber ſeitdem die Bruͤder
ſich in die Gemaͤhldeſammlung getheilt haben, weiß
man nicht, wo es hingekommen iſt.
fameux tabl. etc. p. 319. et ſuivantes.
II. Theil. S. 459. legt dies Werk dem Vaſari bei.
Mich duͤnkt ohne Grund. Titi deſcrizione di
Roma, ſtimmt ihm darunter bei.
p. 318. giebt eine ſehr detaillirte Beſchreibung von
dieſem Portrait.
Edition von 1777.
ſeinen Hiſtoriſch kritiſchen Nachrichten uͤber Italien,
II. Theil. S. 617. Edit. von 1777. geliefert hat,
herrſcht große Unordnung. Man hat ſie hier in
Ruͤckſicht auf die Kunſtwerke zu verbeſſern geſucht.
fuͤhrt eine Venus Callypiga an. Sie ſteht nicht
hier, ſondern in dem kleinern Farneſiſchen Pallaſt,
der Farneſina.
Winkelmann G. d. K. S. 653. in der Note,
ſpricht von einer unbekleideten Figur etwas unter
Lebensgroͤße, die ſich ein Band um die Stirn bin-
det, welches als etwas ſeltenes ſich nebſt der Hand
die das Band faßt, erhalten habe. Er haͤlt ſie
fuͤr eine Copie des Diadumenus des Polyclets.
Sie iſt hier nicht mehr zu finden.
angefuͤhrten Gemaͤhlde habe ich nicht gefunden,
oder ihrer mir anſcheinenden Unbetraͤchtlichkeit we-
gen uͤberſehen.
zu ſehen. Aber dieſe Meinung wird dadurch wi-
derlegt, daß der Kuͤnſtler den Ganymedes in dem
folgenden Bilde ſchon Mundſchenkers Dienſte thun
laͤßt.
S. 644.
pel in Sicilien, der durch folgende Begebenheit
entſtanden war. Zwei ſchoͤne ſicilianiſche Bauer-
maͤgdchen ſtritten daruͤber, wer von ihnen beiden
den ſchoͤnſten Hintern haͤtte, und zwar auf oͤffent-
licher Landſtraße. Ein voruͤbergehender Juͤngling
ward herbeigerufen, den Streit zu entſcheiden, und
nachdem man ihn in den Stand geſetzt hatte, ein
ſachverſtaͤndiges Urtheil durch die Vergleichung der
Theile, die den Streit veranlaßten, zu faͤllen, ſo
fiel dies fuͤr die aͤlteſte aus. Er hatte ſich nicht
ungeſtraft mit den geheimen Reizen dieſes ſchoͤnen
Maͤgdchens bekannt machen duͤrfen. Er verliebte
ſich in ſie, und verfiel nach ſeiner Zuhauſekunft in
eine Krankheit. Die Urſach derſelben entdeckte er
ſeinem Bruder; dieſer ſuchte die Maͤgdchens auf,
und verliebte ſich in die juͤngſte. Der Vater, der
einen anſehnlichen Rang unter ſeinen Mitbuͤrgern
behauptete, wollte anfaͤnglich nicht in die Heirath
ſeiner Soͤhne mit Perſonen von ſo ungleicher Ab-
kunft willigen. Endlich ſiegte die Liebe, und die
Maͤgdchen widmeten der Venus einen Tempel,
worin ihre Bildſaͤule in derjenigen Stellung auf-
geſtellet wurde, die den Grund zu ihrem gelegt
hatte.
Der Herr Hofrath Heyne Antiq. Aufſaͤtze, 1ſtes
Stuͤck, S. 153. glaubt, daß auch bei dieſer Vor-
ſtellung die Idee von einer Venus, die aus dem
Bade koͤmmt, zum Grunde liege.
war.
uͤber die Fa-
milie des
Darius von
Paolo Ve-
roneſe, im
Pallaſt Piſa-
ni zu Vene-
dig.Ich kann mir hier nicht das Vergnuͤgen verſagen,
einer Vorſtellung der Familie des Darius im Pal-
laſt Piſani zu Venedig zu erwaͤhnen, die mir unter
mehreren aͤhnlichen, durch die vortreffliche Abwech-
ſelung in dem Ausdruck der Affekten eine vorzuͤgli-
che Aufmerkſamkeit zu verdienen ſcheint. Sie iſt
von Paolo Veroneſe, und nach meinem Gefuͤhle
die beſte Compoſition dieſes Meiſters. Ich will
nur mit ein Paar Worten den Gedanken beruͤhren.
Die ungluͤckliche Familie liegt zu des Helden Fuͤßen,
der noch nicht troͤſtet, ſondern die erſte Regung des
Mitleids zu empfinden, den erſten beſtuͤrzten Ruͤck-
blick auf die Unbeſtaͤndigkeit des Schickſals zu wer-
fen ſcheint. Dieſer Augenblick iſt ſehr gluͤcklich ge-
waͤhlt, denn er intereſſirt uns ſchon fuͤr den Ale-
xander, und nimmt uns nichts von der Theilneh-
mung an der Ungewißheit, worin wir die Familie
des Darius uͤber ihr Schickſal ſehen. Die Mutter,
eine
tet, nichts mehr fuͤrchtet, ſpricht, flehet fuͤr die Ih-
rigen. Die Koͤnigin auf der das ganze Gefuͤhl des
Verluſts ihres vorigen glaͤnzenden Standes liegt,
iſt in ſtumpfen Schmerz verſunken. Die aͤlteſte
Tochter in den Jahren, wo das auftreibende Herz
noch durch keine Verſagungen den Geſetzen des
Schickſals zu huldigen gelernt hat, fuͤhlt die ganze
Erniedrigung ihres Zuſtandes. Sie, die Tochter
eines Koͤnigs, zu den Fuͤßen des Siegers! Ein ed-
ler Unmuth ſchwellt ihre Lippen, und ſie blickt mit
aͤrgerlicher Verachtung auf die Krone herab, die
ſie in den Haͤnden traͤgt. Das juͤngſte Kind hin-
gegen zeigt die Gleichguͤltigkeit, die ſeinem ſorglo-
ſen Alter eigen iſt.
uͤberhaupt ſage, nicht von jeder einzelnen zu ver-
ſtehen. Ich kenne deren ſehr wenige.
uͤber den Cin-
cinnatus zu
Verſailles.Dieſe Statue ſtand ehemals in der Villa Montal-
to, nachher Negroni. Es iſt eine voͤllig unbe-
kleidete maͤnnliche Figur in der Natur eines Helden.
Sie bindet uͤber dem rechten Fuß den Schuh zu,
der linke Fuß iſt blos, und neben dieſem ſtehet der
andere Schuh. Hinten auf dem Sockel liegt eine
Pflugſchaar. Wahrſcheinlich ein moderner Zuſatz,
den die fruͤheren Abbildungen dieſer Statue nicht
anfuͤhren. Winkelmann G. d. K. W. E. S. 783 f.
haͤlt ſie fuͤr einen Jaſon. Als dieſer nach der Stadt
Jollos gehen wollte, mußte er uͤber den Fluß
Anaurus. Eine alte Frau befand ſich in eben der
Noth. Er brachte ſie uͤber, verlor aber dabei ſei-
nen Schuh. Schnell verwandelte ſich die Alte in
die Juno und erſetzte ihm den Verluſt. Ob dieſe
Erklaͤrung die wahre ſey, laſſe ich dahin geſtellet
ſeyn. So viel aber ſcheint ausgemacht zu ſeyn,
die unbekleidete Figur laͤßt ſich nicht gut auf den
roͤmiſchen Conſul deuten. Wie wir denn uͤber-
haupt wenig Vorſtellungen der alten Kunſt aus der
fruͤhern
uͤber den
Germanicus
ebendaſelbſt.
Villa Montalti. Der Nahme des Meiſters:
Cleomenes aus Athen, ſteht am Tronke. Unten
liegt eine Schildkroͤte. Man haͤlt den Kopf nicht
fuͤr genuin.
uͤber die
Gruppe des
Caſtor und
Pollux in
Spanien.
Ruhe umarmen. Sie tragen Fackeln, deren eine
zur Erde geſenkt iſt, und eine Schale. Ihre
Koͤpfe ſind bekraͤnzt. Auf einer Ara neben ihnen
ſteht eine kleine weibliche Figur mit einem Schef-
fel auf dem Haupte. Der Stil an dieſer letzten
Figur iſt etruſciſch, die Ara ergaͤnzt.
Dies Stuͤck hat ſehr verſchiedene Auslegungen
erlitten. Montfaucon hielt die Figuren fuͤr Lares.
Richardſon Voyage d’ Italie T. III. p. 279. ſahe
darin den Caſtor und den Pollux mit ihrer Mut-
ter, der Leda. Andere fanden darin bald die bei-
den Dacier, die ſich fuͤrs Vaterland devoviren,
bald den Heſperus und Phoſphorus. Winkelmann
in der Vorrede zu ſeinen Monumenti inediti nahm
ſie fuͤr den Oreſtes und Pylades die das Todten-
opfer verrichten. Die kleine weibliche Figur war
ihm Elektra. Schade! daß Oreſtes an dem Opfer,
der Fabel nach, keinen Theil nahm. Leſſing in
der Abhandlung: Wie die Alten den Tod gebildet,
glaubte, hier ſey der Schlaf und der Tod vorge-
ſtellt, und die Nebenfigur die Nacht. Herder im
Hannoͤv.
dern immer lieber auf die griechiſche Mythologie
zuruͤckgehen muͤſſen.
thet gleichfalls, daß Schlaf und Tod in bruͤderli-
cher Vereinigung traͤumend und ſchlafend ſich um-
faſſend hier da ſtehen, haͤlt aber die Nebenfigur
fuͤr die Natur. Keiner fiel darauf, daß dieſe Ne-
benfigur von verſchiedenem Stile, und zwar etruſ-
ciſch, wahrſcheinlich von dem Ergaͤnzer zu gleicher
Zeit gefunden und hinzu gethan ſey. Ich halte
die beiden Figuren ſchlechthin fuͤr Genien. Sie
ſtanden ehemals im Pallaſt Bracciano, vorhero
Odeſcalchi.
Hamilton einen Jupiter und Antiope nach Palma,
aus dieſem Pallaſte genommen, in Kupfer ge-
ſtochen.
ren Gemaͤhlden wiſſen will, den verweiſe ich auf
ein Werk, welches vor ein Paar Jahren unter dem
Titel: le antiche Camerae delle terme di Ti-
to etc. da Ludovico Mirri, herausgekommen iſt.
Man muß aber wiſſen, daß die Einbildungskraft
der Kuͤnſtler, vorzuͤglich beim Illuminiren, vieles
hinzugeſetzt hat.
iſt noch jetzt in ſeiner urſpruͤnglichen Form.
ler die Perſonen unſerer heiligen Geſchichte aus
Irrthum und falſchen Begriffen ſich gedacht haben,
zu der meinigen zu machen. Man ſieht hier leicht,
daß ich blos davon ſpreche, wie es iſt, nicht da-
von wie es ſeyn koͤnnte und ſollte.
merkungskraft zu einem gewiſſen Grade von Fer-
tigkeit gebracht haben, auf den erſten Blick die ver-
ſchiedenen Handwerker: Schneider, Schuſter u. ſ. w.
blos nach der Geſtalt zu unterſcheiden wiſſen.
gefaͤlligen der Formen allein, iſt das zu verſtehen,
was Cicero Orat. 2. ſpeciem pulchritudinis exi-
miam quandam nennt. Hier iſt die ganze Stelle,
die zur Erklaͤrung desjenigen, was im Texte geſagt
iſt, dienen kann. Nec enim Phidias, cum fa-
ceret Jovis formam aut Miuervae, contemplaba-
tur aliquem, e quo ſimilitudinem duceret: ſed
ipſius in mentem incidebat ſpecies pulchritudi-
nis eximia quaedam, quam intuens in eaque de-
fixus ad illius ſimilitudinem artem et manum
dirigebat.
ſolche Vorſtellung. Es iſt nicht Laocoon; es iſt
ein Mann, der von Schlangen angefallen iſt. Mehr
wiſſen wir von ihm nicht, aber es iſt genung, um
ſeine Lage zu verſtehen und zu fuͤhlen.
ſtimmung
des Herder-
ſchen Grund-
ſatzes: die
Sculptur
arbeitet fuͤrs
taſtende Ge-
fuͤhl.Darf ich nicht glauben, daß dieſe Erfahrungen
ſchon allein den vielleicht nur zu weit getriebenen
Grundſatz widerlegen, daß die Sculptur fuͤrs ta-
ſtende Gefuͤhl arbeite? Herr Herder hat dieſen in
ſeiner Plaſtik (Riga 1778.) feſtzuſetzen geſucht.
Aber ſo viel Verehrung ich auch fuͤr dieſen ſcharf-
ſinnigen Gelehrten habe, ſo glaube ich doch, daß
es ihm zu ſehr an praktiſchen Vorerkenntniſſen in
der Kunſt fehle, als daß ſeine Saͤtze und die dar-
aus gezogenen Folgerungen nicht das Gepraͤge
bloßer Speculationen an ſich tragen ſollten. Mich
duͤnkt unſere Sinne werden zu fruͤh gewoͤhnt, ſich
wechſelſeitig zu Huͤlfe zu kommen, als daß wir in
der Epoche unſers Lebens, wo wir die Kuͤnſte zu
genießen anfangen, dem Auge befehlen koͤnnten,
der Hand nicht weiter ins Amt zu greifen. Auch
ſey es mir erlaubt zu bemerken, daß die taſtende
Hand des Blinden zwar uͤber die Wahrheit der
Koͤrper von geringerem Umfange urtheilen, von
der
auf Uebereinſtimmung vieler Theile zu einem Gan-
zen beruht, und eine gleichzeitige Beaͤugung vor-
ausſetzt, ſchwerlich einen richtigen Begriff erhalten
moͤge: vorzuͤglich bei Koͤrpern von groͤßerem Um-
fange. Daß die Statue in allen Faͤllen, wo wir,
ſo zu ſagen, einen Koͤrper mit der Hand greifen
moͤchten, die Pruͤfung des taſtenden Gefuͤhls muͤſſe
beſtehen koͤnnen, iſt augenſcheinlich gewiß: und
dies iſt eine ſchoͤne Bemerkung, die wir Herrn
Herder verdanken. Allein außerdem daß der an-
genehme Eindruck einer Statue noch von etwas
mehr abhaͤngt als von der bloßen Illuſion, ſo iſt
es auch ſicher, daß ſelbſt dieſe durch das taſtende
Gefuͤhl allein nicht abſolviret wird.
Die Wahrnehmung der Verhaͤltniſſe iſt ein Haupt-
ingredienz des Gefuͤhls der Wahrſcheinlichkeit, und
dieſe wird die nach und nach oder progreſſiv fort-
ſchreitende Hand ſchwerlich genau ausfinden. Die
Anekdoten von blinden Plaſtikern ſind viel zu unzu-
verlaͤßig, als daß man einen Gegenbeweis daraus
fuͤhren koͤnnte. Sind es Blindgebohrne geweſen?
Haben ſie nicht von fremden Augen Lehren uͤber
blos ſichtbare Verhaͤltniſſe erhalten? Und dann:
was haben ſie geliefert? Bildniſſe, Copien, und
zwar von Koͤpfen, nicht von ganzen Figuren.
Auch ſcheinen die Folgerungen, die Herr Herder
aus dieſem Grundſatze herleitet, zu weit getrieben,
laſſen ſich aus andern concurrirenden Urſachen
leichter erklaͤren, und haben zum Theil die Erfah-
rung wider ſich. Am ſicherſten geht man, wie ich
glaube,
ſehr brauchbare Regel, aber nicht in allen Faͤllen,
nicht als die einzige annimmt, nach der ſich der
Bildhauer zu richten habe. Dieſer bilde nicht fuͤr
den blos anſchauenden allein, ſondern zugleich fuͤr
den betaſtenden Blick: das heißt, wenn der An-
blick, das eigentliche Anſchauen ſeines Werks der
Eindruck der Schoͤnheit, der Uebereinſtimmung
der leicht zu faſſenden Ordnung, der Abwechſelung
und Einheit auf das Auge gemacht hat, ſo rechne
er darauf, daß dies naͤmliche Auge nun auch uͤber
Treue und Wahrheit, die es vorzuͤglich aus den
Modificationen der Ruͤndung eines jeden Thals
wahrnimmt, urtheilen will: daß es mithin das
Detail nun analogiſch betaſtet, es aus mehreren
Profilen beſchauet, und ſich rund an dem Kerper
herwendet.
wir dem Cardinal Albani, wo nicht die Ausrottung
dieſes Stils, wenigſtens den Sieg des wahren Ge-
ſchmacks uͤber den falſchen ſchuldig ſind. Seitdem
ſind einige neuere Kuͤnſtler aufgeſtanden, die ſich
dem Stil der Alten mehr genaͤhert haben. Allein
die Verblendung der Franzoͤſiſchen Schule dauert
noch fort. Natur! Natur! rufen ſie, und ver-
geſſen
vernuͤnftige Auswahl in den Gegenſtaͤnden der
Treue giebt. Zu meiner Zeit that ſich ein junger
Kuͤnſtler, ein Venetianer, Canova genannt, (der
vielleicht mit der Zeit die Ehre der alten Kunſt auf
die Neueren bringen kann,) durch zwei Werke her-
vor. Das erſte hatte er in Venedig gearbeitet, ehe
er die Antike kannte. Es ſtellte den Daͤdalus vor,
der ſeinem Sohne die Fluͤgel anbindet: Das Ver-
dienſt daran war treue Nachbildung der Natur.
Die Franzoͤſiſche Academie ſchrie: Wunder! Bald
darauf bildete derſelbe Kuͤnſtler einen Theſeus, der
auf dem erſchlagenen Minotaur ruhet. Die Haupt-
figur war im Stile der Antike gedacht, und die
Franzoſen glaubten, das junge Genie ſey verloren.
ſen ſind, kann man den Stil dieſer Meiſter auch an
den witzigen Allegorien ohne Vernunft, die ſie ſo
oft zur Darſtellung, beſonders an Plafonds, ge-
waͤhlt haben, wieder erkennen.
im 2ten Theile. Peretti Lexicon der bildenden
Kuͤnſte, in dem Anhange: von verſchiedenen Arten
der Mahlerei S. 41.
ſich aber nicht wohl denken laͤßt.
chen auch gar nicht zu Symbolen.
Wiſſenſchaften.
das Grab-
mal der Ma-
dame Lang-
hans von
Hrn. Nahl.
Grabmal der Madame Langhans von Hrn. Nahl
ſagen, welches ſehr beruͤhmt iſt — bei Schriftſtel-
lern. Ich habe es nicht geſehen, aber nach dem
Kupfer zu urtheilen, muß es doch viel wider ſich
haben. Der Stein zerſpringt bei dem Schall des
himmliſchen Machtworts der Auferweckung, die
Auferſtehende ſteigt hervor mit dem Kinde, deſſen
Geburt ihr das Leben gekoſtet hatte, und das gleich
darauf ſeiner Mutter folgte.
Der Ausdruck dieſer Handlung, ſagt man, ſey
vortrefflich. Allein Ausdruck einer Handlung iſt in
der Sculptur nicht Hauptſache, es ſind die Formen
des Koͤrpers, und dieſe ſind durch den zerſpringen-
den Stein groͤßtentheils verſteckt. Dazu hat der
Kuͤnſtler nicht bedacht, daß ein zerſpringender Stein
in der Sculptur immer nur ein halbzerſprungener
bleibe, der die arme Frau, die dazwiſchen ſteckt, fuͤr
das Auge kneift. — Die aͤhnliche Idee der Mut-
ter des le Brun, die beim Schall der Poſaune aus
dem Grabe ſteigt, in der Kirche St. Nicolas du
Chardonnet zu Paris, mag wohl zu dieſer die Ver-
anlaſſung gegeben haben.
von Theodon, ſondern nur das Basrelief.
ſtofari, Vater und Sohn, die Fuͤßli irrig Chriſto-
fano nennt, haben die muſiviſche Mahlerei zuerſt
zu einem gewiſſen Grade von Vollkommenheit ge-
bracht.
ſie haͤlt die Faſces.
guten
ſind, oder noch angezeigt werden.
mens desXIII. von der Hand eines geſchickten jun-
gen Kuͤnſtlers, Canova, eines Venetianers, zu ſehen
ſeyn. Die Figur des Pabſtes, die zu meiner Zeit
ſchon modellirt war, iſt ſtehend gebildet.
criſtei findet man in einem Buche unter dem Titel:
Sagreſtia Vaticana eretta dal regnante Pontefi-
ce Pio VI. e deſcritta da Franceſco Cancellieri
Romano 1784. Im Poſaunentone geſchrieben.
man
anders.
deſcription des tabl. etc.
Werk blos geendigt. Die Idee gehoͤre einem ge-
wiſſen Caffa, einem Maltheſer.
Adler hebt nicht im Fluge den Deckel des Sarges
ab, ſondern die Figur der Fama, welche zu denen
von dieſem Schriftſteller angefuͤhrten Figuren der
Zeit und des Todes hinzuzufuͤgen iſt.
Aber wie haͤufig in vielen andern!
Winkelmanniſchen G. d. K. Wiener Ed.
haͤngt nicht, wie Hr. Volkmann und Titi ſchreiben,
in
Kirche nicht finden.
findet man die vom erſtern S. 269. angefuͤhrten
Bilder von Carravaggio, Tizian und Gnido nicht.
Es haͤngen dort einige Gemaͤhlde, aber ſie ſind mit-
telmaͤßig, und gutentheils Copien.
welches ich uͤberſehen habe.
ſem Meiſter liefert Mellizia Memorie degli Ar-
chitetti. Parma 1781. T. II. p. 221.
faͤß, fuͤr eine Begraͤbnißurne auszugeben, wozu ſie
niemals gedient zu haben ſcheint.
ſchreibt. Dieſer war Baumeiſter. Stefano ar-
beitete im Stil des Bernini.
einem Sym-
bol an einem
unſerm Leib-
nitz kuͤnftig
zu errichten-
den Grab-
male.
ſtrahirte Allegorie eines Adlers, der ſich von einem
Buche aufſchwingt, an dem Grabmale, — nicht
an der Ehrenſaͤule, — welches man unſerm großen
Leibnitz ſetzen koͤnnte, nicht ungluͤcklich gewaͤhlt ſeyn.
Der weit umfaſſende Scharfblick des Adlers kann
in der Zuſammenſtellung mit dem Buche, und der
Figur des Philoſophen, nicht leicht einer Misdeu-
tung oder Unverſtaͤndlichkeit unterworfen ſeyn:
und wie ſehr wuͤrde das Werk als Gruppe dabei
gewinnen!
die Hand kuͤßt, ab. Dieſe Epiſode iſt fuͤr die feier-
liche Handlung ſtoͤrend; aber eine gluͤckliche Um-
ſchmelzung der Idee des Loͤwen, der in dem Bilde
des Agoſtino ſeinem Begleiter die Fuͤße leckt.
468.
nem Herrn Verleger zu ſchicken, erfahre ich, daß der
alte verdienſtvolle Kuͤnſtler geſtorben iſt. Er hatte
große Fehler, aber ſie wurden auch durch große
Vorzuͤge, beſonders in der mechaniſchen Ausfuͤh-
rung, compenſirt: und ich fuͤrchte, ſeitdem die
Mahler zu ſehr Philoſophen und Dichter geworden
ſind, moͤchte der geſchickte Handwerker, der an je-
nem verloren gegangen iſt, ſo bald nicht wieder er-
ſetzt werden.
Gemaͤhlde verfertigt hat, wird dieſes Verdienſt der
Farbenharmonie noch groͤßer. Er bedeckte ſeine
großen Gemaͤhlde mit einem Tuche, und mahlte
nun von oben bis unten hinunter, ſo wie er eine
Stelle aufdeckte, das Gemaͤhlde auf den erſten
Strich fertig.
es aus der Wand genommen, und von ſeiner vor-
maligen Stelle hieher gebracht iſt, liefert Koͤremon
im 2ten Theile intereſſante Nachrichten.
und des Coſtanzo Patrizi an, die vom Algardi
verfertigt ſeyn ſollen.
cui, naͤmlich Domenichino, e diſegno bizarriſſimo
tutta la ſoffita; das heißt, er hat die Zeichnungen zu
den Verzierungen angegeben, nicht zu den Mahlereien.
ten, und das Bild der heil. Lucretia und Gertru-
dis, welches er als in der dritten befindlich angiebt,
iſt in dieſer Kirche gar nicht anzutreffen.
Reiſebeſchreibungen von Italien, Leipzig 1777.
1ſter Theil, S. 401. bemerkt, daß die Gruppe der
heiligen Thereſia bis auf wenige Veraͤnderungen
nach aus einem in der Kirche zu Grotta Ferrata
befind-
Solimene, war Koͤnigl. Hofmahler in Spanien,
zur Zeit als Mengs dahin berufen wurde. Seine
Werke ſind das non plus ultra des Spirito der
neueren Italieniſchen Mahler.
Reni zuſchreibe, entlehnt ſey. Dieſe Nachricht
iſt voͤllig falſch. Das Bild zu Grotta Ferrata iſt
keinesweges von Guido, und gleicht unſerm Bilde
in keinem Stuͤcke als in der Hauptidee, welche aber
in den katholiſchen Kirchen aus einer allgemein an-
genommenen Legende ſehr gewoͤhnlich iſt. So trifft
man ſie in der Kirche S. Maria della Traſpontina,
in dem Chore der gegenwaͤrtig beſchriebenen, und
in vielen andern an; die Ausfuͤhrung gehoͤrt un-
ſerm Kuͤnſtler eigenthuͤmlich. Noch faͤllt mir eine
aͤhnliche Vorſtellung von Guido Cagnacci bei, im
Pallaſt Colonna. Ob dieſe es ſeyn mag, die Hrn.
Bernoulli irre gefuͤhrt hat?
bleaux etc. en Italie p. 614. leugnet dies. Er will
aus dem Evangeliſten Lucas den Beweis fuͤhren,
daß die Verklaͤrung Chriſti den Tag vorher geſche-
hen ſey, ehe man den Beſeſſenen zu ſeinen Juͤngern
gebracht habe. Wie er zur Unzeit gelehrt iſt!
Der Evangeliſt Lucas ſagt davon kein Wort. Zu
Chriſto ward der Beſeſſene den Tag nach der Ver-
klaͤrung gebracht, nicht zu den Juͤngern. Der
Vater des Beſeſſenen ſagt ausdruͤcklich: Und ich
habe deine Juͤnger gebeten, daß ſie ihn austrieben,
aber ſie konnten es nicht. Seit dieſem Vorfall,
war ein Haufen Volks mit dem Kranken Chriſts
entgegen gekommen.
wo die Apoſtel eine Stimme aus der Wolke ver-
nahmen, welche ſie uͤberſchattete. Der Beweis
davon liegt am Tage. Damals waren Moſes und
Elias, wie der Evangeliſt ausdruͤcklich ſagt, ſchon
wieder verſchwunden. Anderer Gruͤnde, der Ab-
weſenheit der Wolke, des Ausdrucks des Erwa-
chens in den Apoſteln nicht zu gedenken. Richard-
ſons Raiſonnements, die auf dieſe falſche Suppo-
ſition gebauet ſind, fallen alſo von ſelbſt weg.
S. Deſcription des plus fameux tableaux etc.
p. 617.
ihn an den Armen halten ſollen, der Kranke koͤnnte
leicht mit dieſen den Umſtehenden einen boͤſen Schlag
ins Geſicht geben.
hauptung widerlegen, daß das Gemaͤhlde ganz von
Raphaels Hand ſey.
fragte, ob er dieſes Gemaͤhlde kennte, dieſer aus-
rief: Wie! kennen? Mein Herr, wiſſen Sie, daß
Raphaels Transfiguration viel darum geben ſollte,
nicht an der Seite eines ſo gefaͤhrlichen Nachbars
zu haͤngen! Wie viel anders dies Bild gemahlt iſt!
Mit welcher Keckheit! Cric, Crac! und dabei
machte er die Pantomime des Luft durchſaͤgenden
Anſtreichers.
einige Liebhaber eine ſo auffallende Aehnlichkeit
mit einem Bocke in dieſem Kopfe gefunden haben.
ſeinem Prunk von Anatomie, ſie dennoch weder
gut verſtanden, noch gut angewandt habe; daß ſeine
Gelenke zu ſteif, die Muskeln zu aͤhnlich an Form
und Dicke ſind; daß keine Muskel je in Ruhe bleibt;
daß die Sehnen ſich alle gleich ſind, die Umriſſe
viel zu ſtark ausſchweifen, und daher nicht ſanft
wieder einlenken. Ja, ſie ſagen ſogar: M. An-
gelo ſey ſo manierirt geweſen, daß man mit einer
Figur, alle uͤbrigen geſehen habe. Ganz moͤchte
ich dieſes harte Urtheil nicht unterſchreiben, aber
zum Theil iſt es nicht ungegruͤndet.
Grabmale gegen uͤber gleichfalls von Domenichi-
no
mir nicht zu entſcheiden, ich habe es uͤberſehen.
Gruppe der Kopf, der, um den dunkeln vor ihm
vom Grunde abzuheben, zu hell gehalten iſt, um
nicht der Haltung zu ſchaden; der Baum hinter
dem heil. Romuald, der zu hart ſeyn moͤchte; end-
lich die weißen Moͤnche, welche den Calvarienberg
hinaufgehen, und die Luftperſpektiv unterbrechen.
Ueberhaupt iſt der Hintergrund nicht der vorzuͤg-
lichſte Theil des Gemaͤhldes.
an Staͤrke in Licht und Farbe eines Gegenſtandes,
gegen den Gehalt des andern an Staͤrke in eben
dieſen Stuͤcken, nach dem Tariff der Naͤhe und
Entfernung. Im Grunde von Luftperſpektiv we-
nig verſchieden: außer daß man dieſen letzten Aus-
druck hauptſaͤchlich von Fernen braucht, wo man
das Hervorſtechende nicht mehr nach der Staͤrke
der Schlagſchatten, ſondern hauptſaͤchlich nach der
Staͤrke der weſentlichen Farbe abmißt.
ſtorum etc. liefert, hat viele Zuſaͤtze nach Muͤnzen,
welche dieſen Triumphbogen vorſtellen, erhalten.
Die Quadriga, nebſt den uͤbrigen Figuren oben
auf der Spitze, ſind in der Natur nicht mehr vor-
handen.
legt ſie dem Bernini bei.
Aber dies iſt ganz falſch. Titi ſagt: Claudio
Franceſe. Der Nahme Claudio iſt Vornahme.
Ob der Zuſatz Franceſe auf die Nation uͤberhaupt
gehe, oder einen beſtimmten Zunahmen anzeige,
daruͤber bin ich ungewiß. Ich finde beim Fueßli
einen gewiſſen Claude Francin, einen Pariſer; aber
die Zeitrechnung trifft nicht zu. Dieſer lebte 1736.
Vielleicht befindet ſich in der Lebensbeſchreibung
des Bernini von Baldinucci, die ich nicht bei der
Hand habe, beſſere Auskunft.
Geſch. der Kunſt, T.I. Prefaz. p. 26. n. A.
nicht von Guido und keinesweges die Veranlaſſung
zu der Gruppe der Thereſia von Bernini in der
Kirche Madonna della Vittoria geweſen, wie
Hr. D. Volkmann dem Hrn. Bernoulli Hiſtor. krit.
Nachr. uͤber Italien, Th. I. S. 923. nachſchreibt.
Ich habe es ſchon bei Gelegenheit meiner Anmer-
kungen uͤber dieſe Kirche geſagt. Das hieſige iſt
ganz verſchieden gedacht, und von ſchlechter Aus-
fuͤhrung.
- Rechtsinhaber*in
- Kolimo+
- Zitationsvorschlag für dieses Objekt
- TextGrid Repository (2025). Collection 3. Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bp40.0