oder
Philosophie
der
lebenden Natur
für
Naturforscher und Aerzte.
bey Johann Friedrich Röwer.
1805.
[[II]][[III]]
Inhaltsverzeichniſs.
- Geschichte des physischen Lebens.
- Drittes Buch. Revolutionen der lebenden
Natur. S. 1. - Viertes Buch. Erzeugung, Wachsthum
und Abnahme der lebenden Körper.
S. 227. - Erster Abschnitt. Erzeugung. S. 231.
- Erstes Kapitel. Keime der lebenden Körper —
- Eintheilung der letztern nach der Verschieden-
heit ihrer Erzeugung. S. 231. - Zweytes Kapitel. Erzeugungsart der ersten
Classe. S. 256. - Drittes Kapitel. Erzeugungsart der zweyten
Classe. S. 271. - Viertes Kapitel. Erzeugungsart der dritten
Classe. S. 342. - Fünftes Kapitel. Bemerkungen über die Er-
zeugung nach vorhergegangener Befruchtung.
S. 366. - Zweyter Abschnitt. Wachsthum und Ab-
nahme der lebenden Körper. S. 463. - Dritter Abschnitt. Versuch einer Ablei-
tung der bisherigen Erfahrungssätze aus den
obersten Sätzen der Biologie. S. 544. - Vierter Abschnitt. Bedingungen des Wachs-
thums und der Abnahme der lebenden Kör-
per. S. 566.
Geschich[[1]]
Geschichte
des
physischen Lebens.
Drittes Buch.
III. Bd. A
[[2]][[3]]
Drittes Buch.
Revolutionen der lebenden Natur.
§. 1.
Wir betreten einen dunkeln, nur durch schwa-
che Lichtstrahlen erhellten Pfad. Unser Zweck
ist, zu wissen, welche Verwandlungen die leben-
de Natur erlitt, ehe sie ihre jetzige Bildung er-
hielt. Was kann uns hier führen, was unsern
Weg erleuchten? Mündliche Ueberlieferungen
reichen nicht an die Zeiten der Urwelt. Nur die
Trümmer der jugendlichen Erde, und die Hie-
roglyphen, welche die Natur diesen eingrub,
können uns belehren. Aber wer kann sagen,
er verstehe die Sprache dieses Lehrers? Nur
muthmaſsen können wir ihren Sinn, und der
Spielraum für diese Muthmaſsungen ist unend-
lich, weil er nicht durch Versuche beschränkt
ist. Es giebt daher in diesem Abschnitt der
A 2Bio-
[4] Biologie nur wenig Sätze, worauf wir mit
Sicherheit bauen dürfen. Blos auf diese be-
schränken wir unsere gegenwärtigen Untersuchun-
gen, und überlassen künftigen, reichlicher mit
Beobachtungen versehenen Zeitaltern die vollstän-
digere Darstellung der Art und Weise, wie die
Urkeime der lebenden Welt sich entwickelten und
die letztere diejenige Bildung erhielt, die wir
in den beyden vorigen Büchern geschildert haben.
Jedes materielle System durchläuft eine Reihe
von Veränderungen, die so beschaffen ist, daſs
jenes nach gewissen Revolutionen irgend einem
Zustande, worin es sich vorher schon einmal be-
fand, wieder nahe kömmt, ohne doch mit dem-
selben ganz zusammenzutreffen. Die Natur läſst
sich daher unter dem Bilde einer Spirallinie dar-
stellen, worin sich ein bewegter Körper jedem
beliebigen Punkte immer wieder nähert, um sich
immer weiter von demselben zu entfernen.
Auf diesen Satz führten uns die metaphysi-
schen Untersuchungen, die wir im zweyten Ka-
pitel der Einleitung über die Organisation der ge-
sammten Natur anstellten (a), und von ihm wer-
den wir hier ausgehen. Wir werden daher er-
stens auch die lebende Natur für ein Ganzes an-
sehen, das in beständigen Umwandlungen von
jeher
[5] jeher begriffen gewesen ist, noch begriffen ist,
und stets begriffen seyn wird, aber auch zwey-
tens in diesen Verwandlungen einen festen, ge
setzmäſsigen Gang annehmen.
Jetzt laſst uns zuerst Thatsachen sammeln,
und diese ordnen; laſst uns dabey von den spä-
testen Zeiten zu den frühesten, wovon Denkmä-
ler übrig sind, aufsteigen, und von diesen wie-
der zu jenen zurückkehren; laſst uns aus jeder
dieser Thatsachen die Resultate ableiten, die sich
aus ihr ziehen lassen; die letztern unter einan-
der vergleichen, und uns so zu immer höhern
Folgerungen erheben.
§. 2.
Das Meer naget unaufhörlich an den Festen
der Erde, und verändert die Gestalt derselben.
Es vermindert in einigen Gegenden das feste
Land, indem es in andern Gegenden dasselbe
vergröſsert. Städte prangen jetzt da, wo einst
die Meereswellen schäumten, und wo vormals
der Fischer seine Netze warf, weidet jetzt der
Hirt seine Heerden. Aber Städte und Wälder
wurden auch vom Wasser verschlungen. Schon
Ovid singet:
Fluctibus ambitae fuerant Antissa Pharosque
Et Phoenissa Tyros, quarum nunc insula illa est.
Leucada continuam veteres habuere coloni:
A 3Nunc
[6]Nunc freta circumeunt. Zancle quoque juncta fuisse
Dicitur Italiae, donec confinia pontus
Abstulit, et mediam tellurem reppulit unda.
(Metamorphos. 1. XV. v. 260.)
So war auch noch am Ende des siebenzehnten
Jahrhunderts da Meeresboden, wo nun die Stadt
Hudwikswall liegt, und bey Tanum, Fellbaka,
in Leksand, bey Biörkö und Wasa mähet man
jährlich Gras, wo man im siebenzehnten Jahr-
hundert fischte. Hingegen ist die Stadt Done-
wich in der Grafschaft Suffolk mit dem angrän-
zenden Lande jetzt gröſstentheils vom Wasser be-
deckt, und bey Landscron flieſst die See über
einem ehemaligen Buchenwalde (b).
Aehnliche, aber schnellere Veränderungen
werden durch Ausbrüche von Vulcanen und Erd-
beben hervorgebracht. Die Erdrinde zerreiſst,
sinket an einigen Stellen, und erhebt sich in an-
dern Gegenden; neue Inseln gehen aus dem Mee-
re hervor, und alte verschwinden in der Tiefe
des Oceans. Thera, Therasia, Delos, Rohdus,
Anaphe, Nea, Halope, Hiera, Thia, und viele
andere Inseln wurden auf diese Art erzeugt.
Aber Chryse sank bey demselben Zufalle, der
Hiera hervorbrachte, und Trinidad wurde im
Jahre
[7] Jahre 1766 durch ein Erdbeben so verändert, daſs
die höchsten Berge zu Ebenen herabsanken (c).
Oft sinket auch der Boden, untergraben von
unterirdischem Wasser, ohne Spuhren eines Erd-
bebens. Borge, ein Ort bey Friedrichshall in
Norwegen, sank im Jahre 1702 zu einer Tiefe
von 100 Faden, und hinterlieſs einen Sumpf von
3 bis 400 Ellen in der Länge, und ohngefähr 200
in der Breite. Die Insel Pontico bey Negroponte
verschwand mit vielen andern benachbarten Inseln
im Jahre 1758 ohne Merkmale von Erdbeben,
und ein Stück der Insel Banda Necra von 5
Meilen im Umkreise im Jahre 1763 (d). Eben
dies war das Schicksal der neuen Goubermanns
Inseln, welche etwa 4 Französische Meilen von
Sandeneſs zwischen Patrixfiord und Cap Nord
lagen, und alle plötzlich versanken (e).
Winde, Regen und Ueberschwemmungen ver-
ändern ebenfalls die Oberfläche der Erde. Selbst
die athmosphärische Luft verwandelt alles, was
ihrem
A 4
[8] ihrem Einflusse ausgesetzt ist. Alles Oxydirbare
wird früh oder spät von ihr gesäuert; alles ver-
wittert und zerfällt, und daſs selbst die Felsen
diesem Schicksale nicht entgehen, sieht man in
Finnland an der Landstraſse, die von Âbo nach
Wiborg führt, wo es groſse, mit Steinbrech (Sa-
xifraga) bewachsene Hügel giebt, die ganz aus
einer verwitterten Art von Feldspath bestehen (f).
Bedarf es nach diesen Thatsachen noch wei-
terer Gründe, um darzuthun, daſs nichts auf Er-
den ruhend, alles in ewigen Verwandlungen be-
griffen ist? Und ist es nöthig, zu zeigen, daſs
durch diese Veränderungen auch die lebende Na-
tur verändert werden muſs?
§. 3.
Aber die lebende Natur verändert wechselsei-
tig die Gestalt und Beschaffenheit des leblosen
Theils der Erde. Myriaden von Thieren, Zoo-
phyten und Pflanzen vermodern täglich in dem
Schooſse dieser Mutter alles Lebendigen, und
schwängern die Luft, das Wasser und die Erde
mit neuen Stoffen, und diese Stoffe verbinden
sich zu neuen Körpern und Formen. Ein Bey-
spiel giebt die Entstehung des Sumpfeisensteins
und
[9] und des Wiesenerzes. Aus den abgestorbenen
und in Gährung übergehenden Pflanzentheilen
entbindet sich eine vegetabilische Säure, welche
von dem Quell- und Regenwasser aufgelöset wird,
und dieses tüchtig macht, die Eisentheile aus den
Erden und Steinen, worüber es flieſst, auszulau-
gen. Die aufgenommenen Eisentheile führt das
Wasser mit sich in die Sümpfe, worin es sich
ergieſst, und läſst dieselben hier beym Verdün-
sten wieder fallen. Auf diese Art sammelt sich
auf dem Boden stehender Gewässer eine Schichte
gelblichbraunen Eisenokers an, welche immer
stärker und fester wird, und den Sumpfeisen-
stein bildet. Trocknet endlich der Sumpf ganz
aus, so erhärtet dieser Eisenstein noch mehr,
und geht in Wiesenerz über (g). So bildet ein
vormaliger Bestandtheil vegetabilischer Organismen
einen neuen Körper des Mineralreichs.
Moräste und Sümpfe werden durch Pflanzen
in festes Land verwandelt. An den Ufern ste-
hender Gewässer wachsen verschiedene Arten der
Nymphaea, Typha, des Sparganium, Potamoge-
ton, die Zanichellia palustris, Stratiotes aloides,
Conferven und Ceramien. Diese brechen die Be-
wegung des Wassers, nehmen den angespühlten
Schlamm
A 5
[10] Schlamm auf, und verfaulen endlich. Hierdurch
bildet sich allmählig Land, welches anfangs mit
Erlen, Weiden u. d. gl. in der Folge mit gröſserm
Holze bedeckt wird. So geht endlich der ganze
Sumpf in einen mit Büschen bedeckten Boden
über. Abilgaard erwähnt einer Gegend in Nor-
wegen, welche ehedem aus lauter kleinen Seen
bestand, und jetzt ganz in ein Torfmoor verwan-
delt ist.
Sogar Inseln verdanken lebenden Körpern ihr
Entstehen. Ein groſser Theil der Inseln des stil-
len Meers wurde durch die üppige Vermehrung
und Ausbreitung der Corallen erzeugt (h). Mu-
scheln trugen ebenfalls und tragen noch heut zu
Tage zur Bildung neuer Küsten und Inseln bey.
Schöpf sahe bey York in Virginien eine mit et-
was Sand und Letten vermischte Muschelbank
unter einem Sandbette von ohngefähr 30 Fuſs
Tiefe. Die Muscheln waren nicht versteinert und
es fanden sich keine Arten darunter, welche
nicht jetzt noch an der östlichen Küste von Ame-
rika beynahe überall angetroffen werden (i). Aehn-
liche Muschelberge, die sich in Bohus finden,
beschreibt Linné in seiner Westgothischen Reise.
Diese liegen auf dem festen Lande an manchen
Orten
[11] Orten fast eine viertel Schwedische Meile von
der See, aber gleich unter der seichten Damm-
erde; ihre Schaalen sind unverändert, und beste-
hen ebenfalls aus solchen Arten, deren Originale
noch an der Schwedischen, Norwegischen, Eng-
lischen und Französischen Küste leben.
In dem Clima können Ursachen, welche ge-
ring zu seyn scheinen, sehr wichtige Verände-
rungen hervorbringen. Baco erzählt, daſs zu
der Zeit, als Gascogne unter Englischer Herr-
schaft stand, dem Könige von den Einwohnern
von Bourdeaux und den umliegenden Gegenden
eine Schrift mit der Bitte übergeben sey, das
Verbrennen der Heiden in Sussex und Hampton
zu verbieten, weil daraus am Ende des Aprils
ein Wind entstände, der ihren Weinbergen nach-
theilig wäre (k). Die Geschichtschreiber des
Kriegs zwischen den Venetianern und Uscochen
versichern, die Einwohner von Zeng hätten gro-
ſse Feuer in den Wäldern angezündet, und da-
durch einen heftigen Wind erregt, der die feind-
lichen Schiffe verhinderte zu landen, und sie
zuweilen zu Grunde richtete (l). Ist es also
nicht wahrscheinlich, daſs das Clima auch von
der lebenden Natur sehr abhängig ist, und daſs
keine wichtige Revolutionen in der letztern ohne
gleich-
[12] gleichzeitige Veränderungen des erstern statt
finden?
Diese Vermuthung wächst fast bis zur Ge-
wiſsheit, wenn man erwägt, was das Clima Ita-
liens und der Gegenden am schwarzen Meere
noch zu den Zeiten des August und seiner Nach-
folger war, und was dieses jetzt ist. Virgil
spricht von den Flüssen Calabriens und Juvenal
von der Tiber als zugefroren. Laurentinum am
Ausflusse der Tiber hatte zu den Zeiten des Pli-
nius keinen so gelinden Winter, um Myrthen,
Oel- und Lorbeerbäume zu beherrbergen, da doch
die letztern jetzt in England ausdauern. Virgil
giebt Mittel an, das Vieh vor dem Schree und
Eise zu schützen, und Aelian, den Aal unter
dem Eise zu fangen, Mittel, die jetzt in Italien
ganz überflüssig sind. Ovid beschreibt das
schwarze Meer als so stark im Winter gefroren,
daſs die Sarmater darüber fuhren; in dem jetzi-
gen Temeswar fror, seiner Beschreibung nach,
der Wein, und man theilte ihn stückweise aus.
Alles dies paſst jetzt nicht mehr auf jene Gegen-
den (m). Aber woher diese Veränderungen, als
von dem Aushauen der groſsen Waldstrecken,
dem Austrocknen der vielen Sümpfe, und der
Cultur der Wüsteneien, woraus zu den Zeiten
der
[13] der Römer gröſstentheils das nördliche Europa
bestand? Frankreich hatte noch im Jahre 1543 so
harte Winter, daſs der Wein, nachdem er mit
Aexten zerhauen war, den Soldaten in Körben
zugetheilt werden konnte (n). Einen noch neu-
ern Beweis giebt Pensylvanien, in welchem schon
seit der kurzen Zeit, da es urbar gemacht ist,
sowohl die Winterkälte, als die Sommerhitze weit
gelinder geworden ist (o).
Holzungen äussern auch einen groſsen Ein-
fluſs auf die Menge des fallenden Regens. Seit-
dem auf den capverdischen Inseln und auf Bar-
bados die ehemals bewaldeten Höhen ihrer Bäume
beraubt sind, regnet es dort oft in mehrern Jah-
ren nicht, und von eben diesem Mangel an Hol-
zungen rührt es auch her, daſs in Aegypten der
Regen eine so groſse Seltenheit ist.
§. 4.
Veränderungen des Clima müssen wieder ge-
genseitig den wichtigsten Einfluſs auf die lebende
Natur äussern. Hiermit stimmt auch die Ge-
schichte überein. Julius Cäsar erwähnt eines
Thiers
[14] Thiers unter dem Namen Urus (p), der ältere
Plinius eines Bison (q), und Oppian eines Pi-
ston (r), die nichts anders als Auerochsen (Bos
taurus) oder Bisonten (Bos Bison) gewesen seyn
können. Der Urus des Cäsar lebte im Hercini-
schen Walde, der Bison des Plinius ebenfalls in
Germanien, und der Piston des Oppian bey den
Pistonern in Thracien. Aber jetzt giebt es in
diesen Ländern keine Auerochsen und keine Bi-
sonten mehr. Polen und Litthauen sind die ein-
zigen Gegenden von Europa, wo dieselben noch
gefunden werden (s).
Ein anderes Thier, das jetzt keine andere
Theile von Europa als Liefland, Preussen, Cur-
land, Polen und Litthauen bewohnt (t), das sich
aber zu den Zeiten des Julius Cäsar ebenfalls
im Hercinischen Walde aufhielt (u), ist das Elenn
(Cervus Alces).
Ferner beschreibt Cäsar ein Thier, das zu
seiner Zeit in den groſsen Waldungen von Deutsch-
land einheimisch war, und welches kein anderes
als
[15] als das Rennthier (Cervus Tarandus) seyn kann (v).
Ja, noch vierzehnhundert Jahre nachher spricht
Gaston Phoebus, der Verfasser eines Jagdbuchs,
von dem Rennthiere unter dem Namen Rangier oder
Ranglier, als einem Wildprett, welches damals in
den Wäldern von Frankreich einheimisch war (w).
Und wo ist jetzt der Aufenthalt dieses Thiers?
Erst jenseits dem 61ten Grade der Breite fängt
derselbe heut zu Tage in Europa an (x).
In neuern Zeiten haben sich die Bieber im-
mer mehr aus den Ländern der wärmern Zone
entfernt. Ehedem fand man sie am schwarzen
Meere, in Italien, Aegypten und Persien. Jetzt
gehen sie nicht weiter nach Süden, als bis zum
43ten Grade nördlicher Breite (y).
So wie sich diese Thiere von Süden nach
Norden zurückgezogen haben, so sind andere aus
südlichern Gegenden nach den nördlichen Län-
dern herübergewandert. Der Liguster - Sphinx
(Sphinx ligustri L.) und der Todtenkopf (Sphinx
atropos L.), zwey Arten von Schmetterlingen,
die
[16] die eigentlich die südlichen Theile von Europa
und Nordafrika bewohnen, scheinen seit der Mit-
te des vorigen Jahrhunderts in Deutschland weit
gemeiner geworden zu seyn (z). Eine ähnliche
Veränderung hat sich in Nordamerika mit dem
Aufenthalte des Virginischen Beutelthiers ereignet,
das sich in neuern Zeiten auf der südlichen Seite
des Delaware in Neu-Yersey eingefunden hat (a).
§. 5.
Aber nicht nur die lebende und die leblose
Natur verändert sich wechselseitig; auch die ein-
zelnen Arten und Individuen der lebenden Orga-
nismen stehen in einer Wechselwirkung, bestim-
men und beschränken einander bey ihrer Verbrei-
tung. Vögel folgen der Cultivirung und werden
in neuen Gegenden einheimisch. Der Kreutz-
schnabel (Loxia curvirostra) folgte dem Apfel nach
England. Glenco in den Hochländern von Schott-
land hatte keine Rebhühner, und Siberien keine
Sperlinge, bis in jener Gegend Korn gebauet,
und
[17] und in diesem Lande die ungeheuren Wüsten
desselben urbar gemacht wurden. Der Reisam-
mer, der zu Cuba einheimisch ist, verläſst jähr-
lich, seitdem in Carolina Reisfelder sind, in My-
riaden jene Insel, um an der Erndte in Carolina
Theil zu nehmen (b).
§. 6.
Ehe wir jetzt weiter gehen, müssen wir eine
Schwürigkeit, die uns im Wege zu stehen scheint,
wegräumen. Bey den Thatsachen nehmlich, die
wir bisher zum Beweise der Abhängigkeit des
Clima von der lebenden Natur und einzelner
Theile der letztern von andern angeführt haben,
war immer der Mensch die erste Triebfeder. Al-
les aber, was von diesem der Natur aufgedrun-
gen wird, ist unbeständig und von kurzer Dauer.
Es giebt eine Insel, die einem irdischen Para-
diese glich, so lange die Spuhren des Fleisses
von mehr als 30000 Menschen, denen sie einst
zum Wohnplatze diente, auf ihr übrig waren.
Diese ist Tinian. Krankheiten und Barbarey ent-
völkerten sie, und schon nach dem vierten Thei-
le eines Jahrhunderts war dieses Eden in eine
Wüste verwandelt (c). So kehrt alles in die
Hand
III. Bd. B
[18] Hand der Natur zurück, sobald die Thätigkeit
des Menschen zu erschlaffen anfängt. Daſs also
Veränderungen der lebenden Natur Einfluſs auf
das Clima äussern, daſs dieses wieder auf die
lebende Natur einwirkt, daſs der Aufenthalt und
die Verbreitung einzelner Arten von Thieren und
Pflanzen durch andere Arten verändert wird,
folgt allerdings aus den angeführten Thatsachen.
Allein es läſst sich in Zweifel ziehen, ob diese
Veränderungen auch ohne Zuthun des Menschen
erfolgt seyn würden, und dem Gange der sich
selber überlassenen Natur gemäſs sind.
Diese Schwürigkeit ist indeſs gehoben, so-
bald sich zeigen läſst, daſs ähnliche Veränderun-
gen, wie der Mensch in dem Organismus der
Erde hervorbringt, endlich auch ohne seine Hül-
fe erfolgen. Dieser verändert das Clima durch
Austrocknen der Sümpfe und Aushauen der Wäl-
der. Aber daſs die Natur, sich selber überlas-
sen, ebenfalls stehende Gewässer in Land ver-
wandelt, haben wir schon oben gesehen, und
daſs auch die Vegetation der Wälder ein gewisses
Ziel hat, beweisen die Orkneys-Inseln, und die
Schettländischen Inseln. In dem Kirchsprengel
St. Andrew auf den Orkneys, in North Maven
und zu Foela auf den Schettländischen Inseln,
wo jetzt gar kein Holz mehr gezogen, und selbst
niedriges Gebüsch nur mit groſsen Schwürigkei-
ten
[19] ten unterhalten werden kann, werden oft ansehn-
liche Strecken Landes mit Ueberbleibseln groſser
Bäume angefüllt entdeckt, und dies geschieht ge-
wöhnlich, wenn ein heftiger Sturm die darauf
liegenden Sandschichten weggewehet hat. Sie lie-
gen in einem morastigen Boden, oft 10 Fuſs un-
ter dem Torf. Einige stehen aufrecht, wie sie
gewachsen sind, andere liegen horizontal, und
zwar so, als ob sie alle durch einen Sturm, oder
durch eine Ueberschwemmung umgeworfen wä-
ren (d). Warum ist die Vegetation jetzt nicht
mehr so kraftvoll in jenen Gegenden? Zum Theil
ist wohl der Grund in einer Veränderung des
Clima zu suchen. Aber diese Ursache allein ist
zur Erklärung jener Thatsachen nicht hinreichend.
Denn Norwegen und Notka - Sund sind kälter,
als jene Inseln, und doch wachsen in diesen
Ländern Bäume von einer ungeheuren Höhe und
Dicke (e). Ich glaube daher, daſs der Boden
eben sowohl durch Wälder, wie, der täglichen
Erfahrung nach, durch den Anbau des Getreides
endlich erschöpft wird, und daſs hierin die
Hauptursache der erstorbenen Vegetation mancher
Gegenden zu suchen ist.
Ferner bringt die Natur ohne Zuthun des
Menschen auch in dem Aufenthalte und der Ver-
brei-
B 2
[20] breitung einzelner Arten von lebenden Körpern
Veränderungen hervor, indem sie die Wohnorte
anderer Arten verändert. Durch den Golfstrohm
von Mexico werden die Saamenkörner der Mi-
mosa scandens, Dolichos urens, Guilandina Bon-
duc und Bonduccella, und anderer Westindischer
Gewächse, Amerikanische Schildkröten und Ue-
berbleibsel von Schiffen bis nach den Hebriden,
ja bis nach Norwegen und dem nördlichen Asien
getrieben (f). Es ist leicht einzusehen, wie auf
diese Art die Verbreitung der Pflanzen, und also
auch die der Thiere, die von jener abhängt,
ohne Hülfe von Menschenhänden sich verändern
kann.
§. 7.
Als ausgemacht können wir also jetzt den
Satz annehmen, daſs der Organismus der leben-
den Natur eben so wohl, als alles Uebrige, was
im Raume und in der Zeit existirt, unaufhörli-
chen Verwandlungen unterworfen ist. Alle That-
sachen, die wir bisher zum Beweise dieser Meta-
morphosen angeführt haben, betrafen indeſs nur
die Verbreitung der lebenden Körper. Aber soll-
te nicht auch die Organisation dieser Körper sich
ver-
[21] verändern? Sollten nicht ganze Arten unterge-
hen, und neue ihre Stelle einnehmen?
Ohnstreitig verhält es sich so. Wo ist jetzt
der Bonasus der Alten, ein Thier, das sich in
Päonien aufhielt, die Gestalt des Ochsen, die
Mähne des Pferdes und einwärts gebogene, zum
Kampfe untaugliche Hörner hatte, und auf der
Flucht einen brennenden Unrath weit von sich
warf (g)? Wo das Scandinavische Thier Machlis,
das dem Elenn ähnlich war, aber nicht nieder-
knien konnte, und deswegen gelehnt an einem
Baume schlief (h)? Doch, warum suchen wir
auch Beweise in den Schriften der Alten, deren
Beschreibungen freylich zum Theil blos auf Hö-
rensagen beruhen, da selbst die neuere Geschich-
te Beyspiele von untergegangenen Arten enthält?
Die Gattung des Alpensteinbocks hat sich in der
Schweitz seit 200 Jahren so vermindert, daſs die-
ses Thier vielleicht in einigen Jahrhunderten dort
nicht mehr vorhanden seyn wird (i); die des
Dudu (Didus ineptus L.) ist wahrscheinlich schon
verschwunden (k). Unter den Pflanzen sind ver-
muth-
B 3
[22] muthlich die Disa longicornis, Serapias tabularis,
das Origanum Tournefortii und die Fagraea Cey-
lanica im Begriffe, sich zu verliehren. Die bey-
den ersten wurden von Thunberg blos auf einem
einzigen Fleck des Tafelberges am Vorgebirge der
guten Hoffnung entdeckt; das dritte fanden Tour-
nefort und Sibthorp nur auf einem einzigen
Felsen der kleinen Insel Amorgos im Archipelagus
des mittelländischen Meers; die vierte traf Thun-
berg nur einmal an einer einzigen Stelle auf
Ceylon, und sonst nirgends, an. Die Fagraea
Ceylanica war auch den Einwohnern von Cey-
lon so unbekannt, daſs sie keinen inländischen
Namen dafür anzugeben wuſsten (1). Keine Gat-
tung aber kann aus der lebenden Natur verschwin-
den, ohne daſs die Organisation der letztern da-
durch verändert wird; der Untergang einer Art
muſs nothwendig die Entstehung einer andern
zur Folge haben. So werden vielleicht neue
Thiere und Pflanzen erzeugt, die wir als neu
entdeckte in unsere Verzeichnisse der Natur-
produkte eintragen, denen aber eigentlich der
Name neu entstandene gebührt.
Solche Arten. die schon in den ersten Zeiten
der Menschengeschichte vorhanden waren, und
sich bis auf den heutigen Tag fortgepflanzt ha-
ben, sind zum Theil von ihrer ehemaligen Ge-
stalt
[23] stalt beträchtlich abgewichen. Selbst der Mensch
hat nicht mehr ganz dieselbe Bildung, die er in
dem Zeitalter besaſs, aus welchem die Aegypti-
schen Mumien herrühren. An vielen dieser äl-
testen Ueberbleibsel des frühern Menschenge-
schlechts sind die Schneidezähne nicht, wie bey
uns, einem Meisel, sondern einem abgestumpf-
ten Kegel ähnlich, und gleich den Backenzähnen
mit einer platten Krone versehen. Die Eckzähne
haben nicht eine Spitze, sondern sind oben so
breit und platt, daſs sie sich blos durch ihre
Lage von den Backenzähnen unterscheiden las-
sen. Das Gesicht ist länglicht, aber nicht ma-
ger; die Stirne niedrig, klein, vorne rund ge-
wölbt, aber auf den Seiten ganz flach gedruckt,
und von den Backenknochen und den Schläfen
nach dem Scheitel conisch zulaufend; die Nase
groſs, und unten breit; der Mund klein; die
Lippen sind wulstig aufgeworfen und hervorste-
hend; die Ohren groſs und hochliegend (m).
Was kann der Art nach abweichender von der
Gestalt aller jetzigen Menschenracen seyn, als
diese Bildung? Würde ein Naturforscher, der
eine solche Abweichung zwischen andern Thieren
von einerley Geschlechte anträfe, Bedenken tra-
gen.
B 4
[24] gen, diese zu einer specifischen Verschiedenheit
zu erheben?
§. 8.
Diese Veränderungen können indeſs seit je-
ner Zeit. wovon Denkmäler menschlicher Thä-
tigkeit übrig sind, nicht das Ganze der lebenden
Natur betroffen haben. Man findet in Aegypten
nicht nur Mumien von Menschen, sondern auch
von Crocodilen, Ichneumon. Ibis und andern
Thieren, die vor zwey bis dreytausend Jahren,
oder vielleicht noch früher, balsamirt sind. Aber
die nehmlichen Thiere leben noch jetzt in Aegyp-
ten, und haben in diesem langen Zeitraume
keine so groſse Veränderungen in ihrer Struktur
erlitten, daſs sie ihren Vorfahren ganz unähnlich
geworden wären (n). Ereigneten sich also einst
totale Verwandlungen aller Arten der lebenden
Körper, so müssen diese in weit frühern Perio-
den, als die sind, zu welchen die Geschichte
reicht, gesucht werden.
Die Denkmäler dieser frühern Zeiten sind
Fossilien und Versteinerungen, und diese treffen
wir in allen Welttheilen, und selbst auf den Gi-
pfeln der höchsten Berge an. De Luc(o) fand
sie auf der Spitze des Grenairon, welche 7844
Fuſs
[25] Fuſs über dem Weltmeere erhaben ist; Ra-
mond(p) auf dem Montperdu, der höchsten
Spitze der Pyrenäen; Ulloa(q) auf einem Berge
in der Kette der Andes, in der Peruanischen
Provinz Guanca-Velica, 13200 Fuſs über der Mee-
resfläche; Molina(r) auf dem Gipfel des gro-
ſsen Descabesado, welcher mitten in der Kette
der Andes steht, und, wie jener Schriftsteller
glaubt, dem Chimborasso an Höhe nichts nach-
giebt; Schöff(s) im nördlichen Amerika; Schous-
boe(t) und Hornemann(u) im nördlichen, und
Patterson(v) im südlichen Afrika (w).
Jene
B 5
[26]
Jene Denkmäler der Vorwelt finden sich aber
nicht nur auf der Oberfläche, sondern auch im
Innern der Erde. Zu Paraguay, ohnweit dem
Plataflusse, traf man hundert Fuſs tief in einem
sandigen Boden das Gerippe eines unbekannten
vierfüſsigen Thiers an, worauf wir unten zu-
rückkommen werden. Nach Ramazzini’s Berich-
te (x) erblickt man zu Modena beym Brunnen-
graben von der Oberfläche der Erde an bis zur
Tiefe von 14 Fuſs Ueberbleibsel einer alten Stadt;
dann folgt ein weisser, fester Boden, hierauf
eine schwarze, mit Sumpfrohr vermischte Erde,
und so wechseln Schichten von schwarzer und
weisser Erde, worin Aeste, Blätter und Rinden
von Bäumen vorkommen, mit einander ab, bis
man in einer Tiefe von 28 Fuſs zu einer Krei-
denlage gelanget, die eine Dicke von 11 Fuſs hat
und eine Menge Muschelschaalen enthält; diese
ruhet wieder auf einer zwey Fuſs dicken Schichte
von Sumpferde voll Binsen, Zweigen und Blät-
tern; dann kömmt von neuem eine Lage von
Kreide, die sich bis zur Tiefe von 52 Fuſs er-
streckt; und so wechselt noch einmal eine Schich-
te von Sumpferde mit einer Kreidenschichte, und
diese wieder mit Sumpferde ab, bis man endlich
zu einem, mit Meeresprodukten vermischten
Sand-
(w)
[27] Sandboden kömmt, worin zuweilen auch groſse
Thierknochen und Holzkohlen gefunden werden.
In den Steinkohlengruben von Whitehaven zu
Cumberland sind sogar mehr als 2000 Fuſs unter
der Meeresfläche Pflanzenschiefer ausgegraben (y).
Diese Thatsachen beweisen, daſs die Ueber-
bleibsel der lebenden Natur, die wir auf den Hö-
hen und im Innern der Erde finden, von glei-
chem Alter mit der Oberfläche des jetzigen festen
Landes seyn müssen, und hieraus folget weiter,
daſs sich über die frühere Geschichte der leben-
den Natur nichts bestimmen läſst, so lange wir
über die Entstehung und Bildung der Erde über-
haupt in Ungewiſsheit sind. Von diesem Punkte
werden wir daher jetzt ausgehen.
§. 9.
Alle Beobachtungen über die Struktur des In-
nern der Erde kommen darin überein, daſs die-
ses aus verschiedenen Lagen von Stein- und Erd-
arten besteht. Diese Lagen können nur auf ei-
nem doppelten Wege gebildet seyn: entweder
durch Schmelzung, oder durch Niederschläge.
Welche dieser Entstehungsarten aber auch statt
gefunden haben mag, so ist es doch gewiſs, daſs
die untere Schichte früher vorhanden gewesen
seyn
[28] seyn muſs, als die obere, wenn nicht Iocale Ur-
sachen eine gänzliche Umkehrung derselben be-
wirkt haben. Mit Hülfe dieses Satzes wird sich
daher das relative Alter der verschiedenen Erdla-
gen bestimmen lassen.
Alle jene Beobachtungen kommen ferner in
dem Resultat überein, daſs die Grundlage, gleich-
sam das Gerippe der Erdrinde, aus Steinarten
besteht, die keine Spuhr von Ueberbleibseln le-
bender Körper enthalten (z).
Diese Steinarten sind: der Granit, Gneis,
Glimmerschiefer, ursprünglicher Thonschiefer und
Kalkstein, Urtrapp, Serpentin, Quarz, Topas,
ursprünglicher Kieselschiefer, und Urgyps.
Der älteste von diesen ist der Granit. Ihm
gebührt daher vor allen andern der Name des
Urgebirges. Da, wo die erste Anlage dessel-
ben unverändert geblieben ist, findet man ihn in
Schichten oder Bänken gelagert (a). Die Gipfel
der
[29] der Berge, die aus ihm gebildet sind, machen
die erhabensten, aber auch zugleich die dürre-
sten Theile der Erdfläche aus, ragen mit ihren
schroffen, ewig beeisten Gipfeln und ihren nack-
ten, steilen Wänden hoch über die Wolken em-
por, und enthalten die Quellen der gröſsten
Flüsse des Erdbodens. In manchen Gegenden,
z. B. im Königreiche Kaschimir bey Tibet, und
um Quito im südlichen Amerika, bilden ihre
Rücken weite, unwirthbare Ebenen, von welchen
nach allen Seiten Zweige ausgehen.
Auf und an den Granitgebirgen liegen die
übrigen genannten Steinarten in groſsen, doch
gewöhnlich sanften, mit Wäldern bedeckten Ge-
birgen. Ihr Hauptbestandtheil ist Thon. Sie bil-
den Schichten, die meist sehr mächtig sind, und
seltener horizontal, als senkrecht fallen. Gewiſs
ist es, daſs sie nach dem Granit entstanden sind,
da
(a)
[30] da sie allenthalben, wo nicht locale Ursachen,
z. B. Umsturz eines Berges, die Ordnung der
Schichten verändert haben (b), auf diesem, nie
unter demselben gefunden werden (c). Wahr-
scheinlich ist es, daſs sie bald nach der Entste-
hung des Granits, als dieser noch nicht ganz
erhärtet war, erzeugt wurden, weil man Gneis
mit eingemischtem Granit, und Granit mit ein-
gemischten Schieferstücken findet, und weil der
Granit oft so unmerklich in den Gneis übergeht,
daſs sich keine genaue Gränzlinie zwischen ihnen
angeben läſst (d).
Die angeführten Gebirgsarten bestehen aus
Kieselerde, Thonerde, Bittersalzerde, Kalkerde,
Metallkalken, besonders Eisenoxyd, und einigen
Säuren. Unter diesen Säuren kömmt häufig die
Kohlensäure vor. Keine jener Steinarten aber
enthält flüchtiges Laugensalz und Phosphorsäure.
Diese zeigen sich erst in den Erden und Steinen,
die von späterer Entstehung sind.
Aus den bisherigen Thatsachen würde sich
jetzt schon ein merkwürdiges Resultat in Bezie-
hung
[31] hung auf den frühern Zustand der lebenden Na-
tur ziehen lassen, wenn wir darüber in Gewiſs-
heit wären, ob die angeführten Gebirgsarten dem
Wasser, oder dem Feuer ihr Entstehen verdan-
ken. Fände neh[m]lich das Erstere statt, so wür-
de folgen, daſs bey der Entstehung jener Gebirge
entweder noch gar keine lebende Wesen, oder
nur erst Infusionsthiere vorhanden waren, und
liesse sich darthun, daſs auch diese microscopi-
sche Thierwelt damals noch fehlte, so würde
sich weiter schliessen lassen, daſs Kieselerde.
Kalkerde, Bittersalzerde, Thonerde, Metalle und
die Basen aller Säuren, nur den Phosphor aus-
genommen, früher waren, als lebende Körper.
Daſs alle blättrige Felsarten, und namentlich
der Kalkstein, durch Crystallisation im Wasser
entstanden sind, ist eine, keinen vernünftigen
Zweifeln ausgesetzte Meinung. Nur über die
Entstehungsart des Granits können Zweifel statt
finden. Doch kommen auch bey diesem mehrere
Umstände vor, welche für die Bildung desselben
durch Präcipitation aus dem Wasser sprechen.
Wir haben gesehen, daſs er ebenfalls in Schich-
ten gelagert ist. Er geht in manchen Gegenden,
wo er dem Gneis zur Unterlage dienet, so un-
merklich in diesen über, daſs sich keine Gränze
zwischen ihm und dem letztern angeben läſst (e);
man
[32] man findet Gneis mit eingemischtem Granit (f);
der Gneis aber ist häufig mit Kalk vermischt,
und der Kalk mit Gneisadern durchzogen (g);
überhaupt gehen fast alle Gebirgsarten, nur den
Porphyr und die Trappformation ausgenommen,
allmählig in einander über (h). Räumt man also
die Entstehung des Kalks durch Niederschläge
aus dem Ocean der Vorwelt ein, so läſst sich
auch eine gleiche Entstehungsart des Gneis und
des Granits nicht läugnen. Noch einen andern
Umstand, welcher diese Meinung bestätigt, ent-
deckte Saussure in der Gegend von Valorsine.
In dem dortigen Hornsteine befanden sich an de-
nen Stellen, wo er dem Granit am nächsten ist,
Spalten von verschiedenen Breiten, die mit einem
Granit angefüllt sind, der in ihrem Innern er-
zeugt und geformt seyn muſs. Aehnliche Beob-
achtungen machte eben dieser Naturforscher auch
zu Lyon und zu Saumur in Auxois (i). Der
Granit jener Spalten konnte unmöglich anders,
als durch das Eindringen eines granithaltigen
Wassers gebildet worden seyn. Da nun die Be-
stand-
[33] standtheile des Granits der Crystallisirung durch
das Wasser fähig sind, warum tragen wir denn
Bedenken, den ersten Ursprung jener Gebirgsart
aus eben dieser Ursache zu erklären? Zu diesen
Gründen kömmt endlich noch der Umstand, daſs
man in einer der einfachen Steinarten, aus wel-
chen der Granit zusammengesetzt ist, dem Quarz,
oft Wassertropfen eingeschlossen findet (k). Wie
wäre dies möglich, wenn sich der Granit auf ei-
nem andern, als dem nassen Wege, gebildet hät-
te? Ich weiſs zwar, daſs Ferber in den Chalce-
donkugeln, die sich, nach seinem Vorgeben, in
einer vulcanischen Schichte des Euganäischen
Gebirges befinden sollen, ebenfalls Wasser beob-
achtet hat. Aber wenn auch diese Schichte in
der That vulcanischen Ursprungs ist, so können
doch unmöglich die Chalcedonkugeln durch das
Feuer hervorgebracht seyn.
Die ursprünglichen Gebirge wurden also auf
eine solche Art gebildet, daſs, wenn bey ihrer
Entstehung schon lebende Körper vorhanden ge-
gewesen wären, viele von diesen nothwendig
hätten versteinert werden, oder doch Merkmale
ihrer Gegenwart zurücklassen müssen. Alle jene
Steinarten enthalten aber keine Petrefakten. Die
Zeit kann die Spuhren derselben nicht verwischt
haben:
III. Bd. C
[34] haben: denn in jenen Felsarten sind dünne Stei-
ne, zarte Schichten und Crystalle von der Fein-
heit der Seide aufs vollkommenste erhalten; um
so mehr hätten also starke Muscheln der Zer-
stöhrung widerstehen müssen (l). Bey der Bil-
dung der ursprünglichen Gebirge existirten folg-
lich entweder noch gar keine lebende Wesen,
oder nur erst Infusionsthiere, von deren Daseyn
keine Spuhr zurückbleiben konnte. Doch auch
Infusionsthiere können damals schwerlich schon
vorhanden gewesen seyn. Es müſste sich flüch-
tiges Laugensalz in den frühern Gebirgsarten fin-
den, wenn dies der Fall gewesen wäre. Wir
können daher schliessen, daſs Kieselerde, Kalk-
erde, Bittersalzerde, Thonerde, und, ausser dem
Phosphor, die Basen aller übrigen Säuren, na-
mentlich Kohlenstoff, früher waren, als lebende
Körper.
§. 10.
Wir gehen jetzt weiter in der Betrachtung der
Gebirgsschichten, und wenden uns zu den Ueber-
gangsgebirgen, den Flötzgebirgen und den aufge-
schwemmten Erdlagen. Zu den ersten gehören: die
Grauwacke, der Grauwackenschiefer, der Ueber-
gangskalkstein, der Uebergangstrapp und die neue-
re Formation des Kieselschiefers; zur zweyten der
Sand-
[35] Sandstein, der Flötzkalk, die Kreide, der Gyps,
das Steinsalz, die Steinkohlen und der Flötztrapp;
zu den letztern der Thon, Sand, Kalktuff, die
Braunkohlen und der Torf.
Alle diese Substanzen tragen die deutlichsten
Merkmale der Entstehung durch Niederschläge an
sich. Ihre Schichten sind unter einander parallel,
aber nicht nach ihrer specifiquen Schwere geord-
net. Oft liegen sie horizontal, oft aber sind sie
auch unter jedem andern Winkel gegen den Ho-
rizont geneigt. Die ältesten, welche aus Kalk-
stein bestehen, der unmittelbar auf den ursprüng-
lichen folget, enthalten Versteinerungen von Po-
lypen und Schaalthieren, doch nur erst in sehr
geringer Menge (m). Zwischen ihnen findet sich
diejenige, von den uranfänglichen merklich ver-
schiedene Art von Thonschiefer, die wir oben
mit dem Namen des Grauwackenschiefers belegt
haben. Hier fangen nicht nur ebenfalls Ueber-
bleibsel von Thierpflanzen und Mollusken, son-
dern auch von Farrnkräutern und andern Phyto-
zoen an, sich zu zeigen. Die Zahl dieser Orga-
nismen mehrt sich in den Gebirgsarten der Flötz-
formation, doch auch hier nur erst stufenweise.
Der älteste Flötzkalk, welcher entweder unmit-
tel-
C 2
[36] telbar auf die Grauwacke folgt, oder von dieser
blos durch die erste Sandsteinformation getrennt
ist, enthält auch noch erst wenig Versteinerun-
gen. In demselben liegt aber oft ein kupferhal-
tiges Flötz, worin Skelette von Fischen mit an-
dern wirbellosen Seethieren vorkommen. Nach
der Bildung dieser Gebirgsarten erfolgte der Nie-
derschlag eines Gypsflötzes, und einer Sandstein-
lage, dessen Ursache zugleich groſse Veränderun-
gen in der lebenden Natur bewirkte, indem viele
der frühern Arten von Meerthieren in den folgen-
den Schichten von Muschelkalk und Kreide jetzt
verschwanden, und an deren Stelle neue erschie-
nen, welche nicht in den vorhergehenden Schich-
ten gefunden werden. Hierauf trat eine Periode
ein, in welcher eine zahllose Menge zertrümmer-
ter Phytozoen und Pflanzen auf den Meeresboden
kam. Jetzt bildeten sich die Steinkohlenflötze,
zwischen welchen Schiefer mit Abdrücken von
Pflanzenthieren und Vegetabilien befindlich sind.
In allen diesen Schichten kömmt aber noch keine
Spuhr von Landthieren vor. Groſs ist dagegen
die Menge von Knochen vierfüſsiger Thiere, die
man in den letzten Erdlagern von Sand, Mergel
und Kalktuff antrifft.
Hier ist eine neue, an Folgerungen sehr
fruchtbare Reihe von Thatsachen. Wir sehen
jetzt, daſs die Bildung der lebenden Natur von
Poly-
[37] Polypen und Mollusken, also von den untersten
Stufen der Organisation anfing, von diesen zu
den Pflanzen, und erst dann zu den Landthie-
ren fortschritt. Ein ähnlicher Fortgang vom Ein-
fachern und Zusammengesetztern findet aber noch
heut zu Tage bey der Erzeugung aus formloser
Materie in Aufgüssen von vegetabilischen und
animalischen Substanzen statt (n). Die ganze le-
bende Natur wurde also durch eine Kraft hervor-
gebracht, die noch jetzt auf gleiche Art wirksam,
aber freylich in ihren Wirkungen weit beschränk-
ter ist, als in den Zeiten der Urwelt.
Jene Kraft ist die Lebenskraft. Keine Kraft
läſst sich als absolut unwirksam denken. Nun
aber finden wir keine Spuhren von Wirkungen
der Lebenskraft im Granit und den übrigen Urge-
birgen. War also etwa jene Kraft bey der Bil-
dung dieser Gebirge noch nicht vorhanden? Oder
befand sie sich damals in einem gebundenen Zu-
stande? Diese Fragen führen auf das Problem
vom ersten Ursprunge alles Lebens. Um das-
selbe zu lösen, müssen wir den, im zweyten
Buche dieses Werks (o) bewiesenen Satz zu Hül-
fe nehmen, daſs mehrere, bis jetzt noch unzer-
legte Stoffe, namentlich Kohlenstoff, Eisen, Kie-
sel-
C 3
[38] selerde, Kalkerde und Bittererde, im lebenden
Körper blos aus Wasser und athmosphärischer Luft
erzeugt werden. Wir müssen uns ferner erin-
nern, daſs eben diese Stoffe in den Urgebirgen
enthalten sind, und also früher vorhanden gewe-
sen seyn müssen, als Thiere, Zoophyten und
Pflanzen waren. Wir müssen endlich annehmen,
daſs der Kohlenstoff, die Metalle und Erden,
die sich in den Urgebirgen befinden, nicht von
jeher als solche vorhanden gewesen sind, sondern
aus einfachern Grundstoffen zusammengesetzt wor-
den, indem die entgegengesetzte Voraussetzung
auf die Hypothese eines allgemeinen Auflösungs-
mittels, worin alle Bestandtheile der Gebirgsarten
vor ihrer Präcipitation zu gleicher Zeit enthalten
waren, also auf eine, mit chemischen Gesetzen
ganz unvereinbare Meinung führt. Aus diesen
Sätzen folgt nun, daſs die Erde in ihrem ur-
sprünglichen Zustande gleiche Produkte hervor-
brachte, wie in spätern Zeiten, als sich lebende
Körper auf ihr erzeugten, von diesen gebildet
wurden. Aber gleiche Wirkungen setzen gleiche
Ursachen voraus. Da wir also keine andere
Kraft kennen, welche Kohlenstoff, Metalle und
Erden aus einfachern Stoffen zusammenzusetzen
vermag, als die Lebenskraft, so ist es wahr-
scheinlich, daſs diese es auch war, welche den
Grundstoffen der Urgebirge ihr Entstehen gab.
So
[39]
So wie es für die Wärme einen gewissen Zu-
stand giebt, den wir mit dem Namen des Ge-
bundenseyns derselben bezeichnen, so fand daher
auch für die Lebenskraft in den frühesten Zei-
ten der Erde ein ähnlicher Zustand statt. Aber
Gebundenseyn der Wärme ist nicht aufgehoben,
sondern nur anders modificirte Thätigkeit dersel-
ben. Eben diese Bewandniſs muſs es in jenen
Zeiten mit der Lebenskraft gehabt haben. Leben
war damals ein Attribut der ganzen Erde; der
Charakter dieses Zustandes war damals vielleicht
auch in der Struktur der Erde noch deutlich
ausgedrückt (p); es fand noch keine Trennung
zwischen dem Lebendigen und Leblosen statt;
diese entstand erst, als sich einzelne Organismen
von der Erde losrissen, und kleinere, in sich
geschlossene Welten darstellten. Aber auch jetzt
noch ist der Gegensatz des Lebendigen und des
Leblo-
C 4
[40] Leblosen nur für unsern Gesichtspunkt, nicht
aber für die Natur vorhanden. Alles, das Uni-
versum selber, besitzt Leben: denn wie ist es
sonst erklärbar, daſs in der Thätigkeit des Welt-
alls, welche durch Einwirkungen unterhalten
wird, die aus der Unendlichkeit kommen, und
in die Unendlichkeit übergehen (q), dennoch
Gesetzmäſsigkeit herrscht (r)?
Der erste Ursprung des Lebens überhaupt
verliehrt sich also in dem Ursprunge des Univer-
sums. Das aber, was uns als lebende Natur er-
scheint, war ein Produkt der Erde, und das Ent-
stehen und die Stufenfolge in der Entwickelung
derselben erfolgte nach demselben Gesetze, nach
welchem jedes Individuum, das für unsern Stand-
punkt lebend ist, Perioden der Erzeugung, des
Wachsthums, der Metamorphose und Fortpflan-
zung durchläuft.
§. 11.
Dies sind die allgemeinern Resultate, die
sich aus der Ordnung ergeben, in welcher die
Ueberbleibsel ehemaliger lebender Körper in den
verschiedenen Gebirgs- und Erdschichten vorkom-
men. Laſst uns jetzt diese Ueberbleibsel näher
unter-
[41] untersuchen, die Familien, Geschlechter und Ar-
ten, zu welchen sie gehören, bestimmen, und
sehen, auf welche Folgerungen diese Betrach-
tungen uns führen werden. Vorläufig müssen
wir indeſs einige allgemeine Bemerkungen über
den Zustand machen, worin sich jene Reste
zeigen.
Man trifft diese Reliquien in einem dreyfa-
chen Zustande an: sie sind entweder durchdrun-
gen von einer fremden Substanz; oder man fin-
det sie in dieser eingeschlossen; oder es ist ein
bloſser Abdruck ihrer Form, was von ihnen
übrig ist.
Durchdrungen von einer fremden Substanz
sind:
- 1) die wahren Petrefakten, ehemalige
lebende Körper, welche in steinartige Massen
verwandelt sind; - 2) die metallisirten Körper, die mit
erzhaltigem Stoff durchzogen sind; - 3) die blos calcinirten Körper, oder
Fossilien im engern Sinne, Ueberbleib-
sel von Thieren, die blos ihre Gallerte ver-
lohren haben, und dagegen von fremden Erd-
theilen durchdrungen sind;
C 5Zu
[42]
Zu den Substanzen, worin ehemalige lebende
Körper eingeschlossen vorkommen, gehöret vor-
züglich der Bernstein.
Bloſse Abdrücke von Thieren, Pflanzen und
Zoophyten findet man häufig im Sandsteine, Thon-
schiefer und andern Steinarten. Sie sind von
doppelter Art:
- 1) Steinkerne, Abdrücke der innern Höh-
lung von Muscheln, Schnecken und Gehäu-
sen der Würmer und Zoophyten; - 2) Spuhrensteine, Typolithen, Abdrük-
ke der äussern Oberfläche ehemaliger leben-
der Organismen in weichen Steinmassen, die
nachher erhärtet sind.
§. 12.
Untersuchen wir jetzt zuerst diejenigen Reste
von lebenden Wesen, die in den ältesten Flötz-
gebirgen vorkommen, und also früher als alle
übrige Thiere, Zoophyten und Pflanzen entstan-
den sind, so ergeben sich mehrere, höchst merk-
würdige Resultate. Ehe wir diese aber mitthei-
len können, müssen wir ein Verzeichniſs der
verschiedenen Geschlechter jener Körper voraus-
schicken.
Von Thierpflanzen gehören hierher:
1) Die
[43]
- 1) Die Encriniten, Zoophyten, welche zu-
nächst an die heutige Familie der Seefedern,
und zwar vorzüglich an das Geschlecht En-
crinus gränzen, und aus einem einfachen ge-
gliederten Stiele, und einfachen, artikulirten,
der Länge nach gespaltenen, auf ihrer in-
nern Seite mit Flossen versehenen, auf dem
Gipfel des Stiels rings um eine gemeinschaft-
liche artikulirte Basis sitzenden, und, bey
der gemeinen Art, zusammengeschlagen einer
unaufgeblühten Lilie ähnlichen Organen be-
stehen. - 2) Die Pentacriniten, Thierpflanzen, wel-
che ebenfalls dem jetzigen Geschlechte En-
crinus verwandt sind, auch aus einem ein-
fachen, gegliederten Stiele bestehen, auf
welchem gegliederte, aber vielästige Arme
um einen gemeinschaftlichen Mittelpunkt
sitzen, und an das vorige Geschlecht durch
den Encrinus coralloides (s) gränzen, eine
seltene Art von Versteinerungen, deren Stiel
aus einer Reihe sehr breiter Glieder (Trochi-
ten) besteht, und deren Kopf dem der gemei-
nen Encriniten ähnlich ist, nur daſs die
Aeste
[44] Aeste nicht so regelmäſsig, wie bey den letz-
tern, sondern unordentlich unter einander
verschlungen sind. - 3) Die Echiniten, Asteriten, Madre-
poriten u. s. w. Polypen aus den jetzigen
Geschlechtern Echinus, Asterias, Madrepora
u. s. w. (t).
Hierher gehörige Mollusken sind:
- 1) Die geraden Tubuliten, gerade, glatte,
mit ringförmigen Absätzen, aber keinen
Scheidewänden versehene Röhren. - 2) Die Doppelröhren(u), zwey gerade, cy-
lindrische, parallele Röhren, die in einer ge-
meinschaftlichen Scheide eingeschlossen sind. - 3) Die Dentaliten, pyramidalische, ge-
krümmte, der Länge nach gestreifte Körper
mit einem Canal ohne Scheidewände. - 4) Die Belemniten, conische, vielkamme-
richte, mit einer dicken Rinde, in deren
Queerbruche Strahlen aus dem Mittelpunkte
nach der Peripherie laufen, umgebene Röh-
ren.
5) Die
[45]
- 5) Die Orthoceratiten, ebenfalls conische
und vielkammerichte, aber mit keiner Rinde
bedeckte Röhren. - 6) Die Ammoniten und Lituiten, lange,
conische, vielkammerichte, spiralförmig ge-
wundene Röhren mit abgesonderten Windun-
gen (v). - 7) Die Lenticuliten, Linsensteine, Helici-
ten, Phaciten, vielkammerichte, spiralförmig
gewundene, auf beyden Seiten der Fläche,
in welcher sich die Windungen befinden,
mit einer nach aussen convexen Schaale be-
deckte Gänge. - 8) Die Nautiliten, Turbiniten, Strom-
biten, Bucarditen, Pectiniten, Cha-
miten, Terebratuliten, Soleniten,
Mytuliten, Telliniten u. s. w. Conchy-
lien der Vorwelt, die sich zu den jetzigen
Geschlechtern Nautilus, Turbo, Strombus,
Buccinum, Cardium, Pecten, Chama, Tere-
bratula, Solen, Mytilus, Tellina u. s. w.
bringen lassen.
9) Die
[46]
- 9) Die Pantoffelmuschel(w), eine Mu-
schel aus der Familie der Austern, von de-
ren beyden ungleichen Schaalen die eine co-
nisch ist, eine stumpfe umgebogene Spitze,
Eine platte Seite und der Queere nach ge-
hende Rippen hat, die andere, oder der
Deckel, flach, halbcirkelförmig, mit ähnli-
chen Rippen versehen, und am Rande ge-
zähnt ist. - 10) Die beyden Delucschen Bivalven
vom Berge Saleve(x). Die eine der-
selben, welche sich der Form der Herzmu-
scheln nähert, zeichnet sich vorzüglich durch
zwey sehr ungleiche Klappen, durch ein grö-
ſseres und stärker artikulirtes Schloſs, wie
man bey irgend einer bekannten Art der
noch lebenden Muscheln antrifft, und darin
aus, daſs das Innere der kleinen Klappe dem
menschlichen Ohre sehr ähnlich ist. Die an-
dere hat in der Textur der Schaalen einige
Aehnlichkeit mit den Schinkenmuscheln (pin-
na). In der Form aber entfernet sie sich
gänzlich von diesen. Die beyden Klap-
pen sind nicht symmetrisch; die eine ist con-
vex
[47] vex und mit groben Höckern besetzt; die
andere hingegen ist plattgedrückt, erhebt
sich aber doch gegen das Schloſs hin, von
welchem kleine Rinnen, die sich in Aeste
zertheilen und den Rippen eines Blatts ziem-
lich gleich kommen, bis ohngefähr über
zwey Drittheile der Oberfläche hinlaufen.
Diesem Verzeichnisse müssen wir aber noch
eine Bemerkung beyfügen. Wir haben hier die
Tubuliten, Doppelröhren, Dentaliten, Belemni-
ten, Orthoceratiten, Ammoniten, Lituiten, und
Lenticuliten zu den Mollusken gerechnet. Indeſs
scheint es mir, aus Gründen, die weiter unten
vorkommen werden, sehr zweifelhaft zu seyn,
ob diese Eintheilung richtig ist, und jene Kör-
per nicht vielmehr zu den Thierpflanzen, oder
gar zu einer ausgestorbenen Classe, welche,
gleich den Würmern, zwischen den Mollusken
und Thierpflanzen in der Mitte stand, aber doch
von den Würmern sehr verschieden war, ge-
zählt werden müssen.
Folgendes sind nun die Resultate, die sich
aus einer genauern Untersuchung der Struktur
und Verbreitung der angeführten Körper ergeben:
- 1) Alle gehören, wie schon gesagt ist, entwe-
der zu den Polypen und Schaalthieren, oder
doch zu einer Classe, die zwischen diesen in
der Mitte stand.
2)
[48]
- 2) Manche derselben sind von höchst wunder-
barer, fremdartiger Struktur, wovon sich
nichts Aehnliches unter den jetzigen Bewoh-
nern der Erde mehr findet, und viele zeich-
nen sich durch eine ausserordentlich groſse
Menge von Artikulationen aus.
Höchst fremdartig ist zuerst die Struktur der
Ammoniten. Bolten(y) löste von einem Am-
monshorne den steinartigen Thon ab, wodurch
die Windungen dieser Thiere an einander gekit-
tet sind, worauf das ganze Horn, wie eine auf-
gewundene und wieder losgelassene Uhrfeder,
sich von einander gab, und so beweglich, wie
die Schwanzspitze einer Klapperschlange, wurde.
Die Ammoniten sind also Ueberbleibsel eines aus
vielen Gelenken bestehenden, und mit einer har-
ten Schaale gleichsam gepanzerten Thiers, das
seinen Körper ausstrecken und spiralförmig zu-
sammenlegen konnte. Wo findet sich etwas Aehn-
liches unter den jetzigen Polypen oder Mollusken?
Eben diese Frage läſst sich bey den Lenti-
culiten aufwerfen. Zwischen den beyden kreis-
förmigen, inwendig concaven Schaalen, womit
diese Körper bedeckt sind, findet man einen spi-
ralförmigen Gang, dessen Centrum mit dem Mit-
tel-
[49] telpunkte der Schaalen übereinkömmt, und wel-
cher durch zahlreiche queerliegende Scheidewän-
de in eine groſse Menge kleiner Zellen abgetheilt
ist. In dieser Struktur sind also die Linsen-
steine den Nautiliten verwandt. Allein bey den
Nautiliten, und selbst den kleinsten microscopi-
schen, sind die Scheidewände der Kammern
durchbohrt, und jede Schnecke dieser Art hat
nur einen einzigen Bewohner. Zwischen den
Kammern der Lenticuliten aber findet gar keine
Verbindung statt. Nur die äussersten Zellen sind
nach aussen offen; alle übrige hingegen von
allen Seiten verschlossen. In dieser Struktur ent-
fernen sich die Linsensteine ganz und gar von
den Nautiliten, und nähern sich den Thierpflan-
zen. Es ist unmöglich, daſs bey dieser Einrich-
tung die sämmtlichen Kammern von einem ein-
zigen Thiere können bewohnt gewesen seyn;
sehr wahrscheinlich ist hingegen Saussure’s Mei-
nung, daſs jede der äussersten Zellen einen eige-
nen Bewohner gehabt habe; daſs sich dieses
Thier fortpflanzte, indem aus dem obern Theile
desselben ein neues Thier hervorsproſste, wel-
ches sich dann ebenfalls eine neue Zelle bauete;
daſs unterdeſs das alte Thier starb, und seine
Kammer durch eine Wand verschlossen wurde,
welche der Wohnung des neuen Thiers zur
Grundlage diente; und daſs sich auf diese Art
nach und nach immer neue Thiere erzeugt ha-
III. Bd. Dben,
[50] ben, welche ihre Wohnungen in der Gestalt einer
Spirallinie an einander bauten (z).
Die Belemniten wurden vermuthlich auch
von einer Thierpflanze bewohnt, die sich in der
äussersten Zelle dieser vielkammerichten, coni-
schen Röhre aufhielt. Andreä(a) sahe eine
Versteinerung dieser Art, deren Schaale an dem
spitzen Ende weggebrochen war. Dadurch war
ein Körper entblöſst worden, der sich mit ver-
schiedenen Furchen oder Falten in eine Spitze
endigte. Diese war bey einigen etwas abgerun-
det. Die Falten bildeten an dem Ende, wo sie
zusammenliefen, kleine Erhöhungen, meist acht
an der Zahl, und schlossen eine sternförmige
Oeffnung ein. Nicht unwahrscheinlich ist An-
dreä’s Vermuthung, daſs jene polypenartigen
Körper die Einwohner der Belemniten waren.
Von eben so wunderbarer, dem Baue der
jetzigen Thierarten ganz unähnlicher Struktur
sind die Orthoceratiten. Sie gränzen aber von
manchen Seiten so nahe an die Ammoniten und
Lenticuliten, daſs sie ohne Zweifel mit diesen
in einerley Classe gesetzt werden müssen. Er-
wägt man nun die gänzliche Verschiedenheit der
angeführten Körper von allen heutigen Organis-
men,
[51] men, und diese nahe Verwandtschaft, die sie un-
ter einander haben, so wird man unsere obige
Vermuthung, daſs sie zu einer ausgestorbenen
Classe gehört haben, die, gleich den jetzigen
Würmern, das Mittel zwischen den Mollusken
und Thierpflanzen hielt, jedoch von den heuti-
gen Würmern sehr verschieden war, nicht un-
wahrscheinlich finden.
Bey denjenigen Organismen der Urwelt, wel-
che mit Zoophyten oder Mollusken der jetzigen
Erde zu einerley Familie oder Geschlecht gehört
haben, und wovon also noch analoge Formen
übrig sind, erstreckt sich diese Analogie doch
meist nur auf das Ganze der Organisation. In
einzelnen Theilen zeigt sich dagegen auch hier
die auffallendste Abweichung von allen heutigen
Gestalten der lebenden Natur. So giebt es zwar
unter den ältern Petrefakten sehr zahlreiche Ar-
ten, die mit dem noch vorhandenen Geschlechte
der Seeigel (Echinus) übereinkommen. Aber alle
heutige Gattungen dieses Geschlechts haben Sta-
cheln; hingegen unter den Seeigeln der Vorwelt
waren viele mit Organen von ganz anderer Struk-
tur, mit den sogenannten Judensteinen, besetzt (b).
Als
D 2
[52]
Als einen andern merkwürdigen Charakter
der ersten lebenden Produkte der Erde haben wir
die ausserordentlich groſse Menge von Artikula-
tionen genannt, womit viele derselben versehen
sind. In diesem Stücke zeichnen sich vorzüglich
die Encriniten und Pentacriniten aus. Bey ihnen
besteht zuerst der Stiel aus lauter scheibenförmi-
gen Wirbeln, (Trochiten, Asterien) die mit wun-
derbarer Kunst durch zahlreiche Hervorragungen,
womit sowohl die obere, als die untere Fläche
eines jeden Wirbels besetzt ist, und welche aufs
genaueste in Einschnitte der beyden anliegenden
Wirbel passen, unter einander verbunden sind.
Bey den Encriniten artikulirt ferner der Stiel mit
den Armen durch mehrere Knochen, die eine
ganz ähnliche Verbindung unter einander haben,
wie die Knochen der Handwurzel des Menschen.
Aber noch weit zahlreicher sind die Glieder jener
Arme, die aufs regelmäſsigste von der Basis bis
zur Spitze an Gröſse abnehmen. Jeder der Arme
artikulirt wieder nach innen an beyden Seiten-
rändern mit einer höchst zart gefiederten Flosse,
und von diesen Flossen sind endlich noch die
einzelnen Fäden aufs feinste gegliedert (c).
3)
[53]
- 3) Viele sind von einer Riesengröſse, wozu
keine ähnliche Organismen heutiges Tages
mehr gelangen.
So giebt es Nautiliten, die bis 2 Fuſs (d),
und Ammonshörner, die mehrere Ellen im Durch-
messer haben (e).
- 4) Manche zeichnen sich durch eine sehr weite
Verbreitung aus, und zugleich beweisen meh-
rere Umstände, daſs sie an denjenigen Orten,
wo sie in jetzigen Zeiten gefunden werden,
ursprünglich gelebt haben müssen, und
nicht aus fremden Welttheilen durch Meeres-
fluthen dahin gebracht seyn können.
Von der ausgedehnten Heimath mancher
Thiere der Vorwelt geben vorzüglich die Ammo-
niten einen Beweis, die fast in allen bekannten
Ländern entdeckt sind (f). Es zeugen dafür die
Encri-
D 3
[54] Encriniten, welche ebenfalls in dem ursprüngli-
chen Ocean sehr gemein und sehr weit verbreitet
gewesen seyn müssen, wie die Menge einzelner
Glieder von ihnen beweiset, die man an so vie-
len Orten antrifft (g).
Daſs aber die Gegenden, wo man jene Thie-
re versteinert findet, auch ihr ursprünglicher
Aufenthalt gewesen sind, erhellet daraus, weil
diese Petrefakten an ihren jetzigen Lagerstäten
eben so in Colonien und Familien vorzukommen
pflegen, wie die Mollusken und Polypen heut zu
Tage auf dem Boden des Meers leben. Von die-
ser Bemerkung findet man unter andern einen
Beweis im Luzerner Gebiete, wo eine eigene Art
von Dentaliten in einem aschgrauen, festen Kalk-
steine in gröſster Menge und ohne mit irgend
einem andern Petrefakt vermengt zu seyn, dicht
beysammen liegen (h); an der Menge von Lilien-
steinen, die oft in einem kleinen Raume zusam-
mengedrängt sind, und an den ungeheuren Mas-
sen von Gliedern der Encriniten, die man in so
vielen Gegenden antrifft (i), und welche häufig
in einer Versteinerungsschichte ruhen, wodurch
der ältere Sandstein und der auf ihm ruhende
Kalk-
[55] Kalkstein von einander getrennt sind (k). Nir-
gends aber giebt es so einleuchtende Belege zu
jenem Satze, als in dem Thale von Trento.
Hier sieht man von der Fläche des Thals an bis
500 Fuſs hoch am Abhange der Berge, welche
diese Fläche begränzen, nichts als Tausende von
Ammoniten, die 1½ Fuſs und darüber im Durch-
messer haben. Alle liegen wie mit Kunst geord-
net neben einander, alle mit der Fläche der Win-
dungen parallel auf der geneigten Fläche der
Schichten; nie steht einer von ihnen den Schich-
ten entgegen; auch bedecken sie nur die Ober-
fläche der Lagen; fast niemals sieht man sie in
der Mitte, oder am Boden. Höher hinauf ver-
schwinden diese Körper völlig, und man erblickt
dagegen ein zahlloses Heer von Belemniten.
Bucciniten, Volutiten, Echiniten und andern un-
kenntlichen Versteinerungen, die in wilder Ver-
wirrung durch einander liegen. Ganz oben er-
scheint wieder eine neue Familie, die der Lenti-
culiten, die so dicht an einander gedrängt die
Schichten erfüllen, daſs kaum noch eine Spuhr
des sie bindenden Kalksteins zu sehen ist (l).
Noch eine andere Erscheinung, welche ebenfalls
für den obigen Satz spricht, sieht man in den
Thon-
D 4
[56] Thonhügeln von Toscana, besonders in der Ge-
gend von Siena, wo von benachbarten Hügeln,
ja zuweilen von an einander stoſsenden Flächen
eines und desselben Hügels einige so voll von
versteinerten Muscheln sind, daſs das Erdreich
weiſs davon ist, indem die anliegenden keine
Spuhr von Petrefakten enthalten (m). Diese
Thatsache würde unerklärbar seyn, wenn jene
Muscheln durch Meeresfluthen, oder auf eine
andere zufällige Art in ihre jetzige Lagerstäte
gebracht wären.
- 5) Groſs ist die Mannigfaltigkeit der Arten und
die Zahl der Individuen dieser Organismen.
Die Menge der letztern, welche in manchen
Gegenden vorkömmt, übersteigt alle Vor-
stellungen selbst der kühnsten Einbildungs-
kraft, und zeugt von der üppigsten Frucht-
barkeit der jugendlichen Erde.
Sehr reich an Arten sind vorzüglich die Ge-
schlechter der Encriniten, Pentacriniten, Echini-
ten und Ammoniten. Von den Encriniten und
Pentacriniten findet man selten vollständige Exem-
plare, aber desto häufiger die scheibenförmigen
Glieder ihrer Stiele, die sogenannten Trochiten,
Entrochiten, und Asterien, und diese variiren
aus-
[57] ausserordentlich in ihrer Gröſse und Gestalt (n).
Eben so groſs ist die Mannichfaltigkeit der Echi-
niten, und gerade diejenigen müssen zu den zahl-
reichsten dieses Geschlechts gehört haben, die
statt der Stacheln mit den sogenannten Juden-
steinen besetzt sind, und wovon nichts Analo-
ges in der jetzigen Schöpfung mehr vorhanden
ist. Nichts kömmt aber der Verschiedenheit bey,
die wir unter den Ammonshörnern antreffen.
Schon Jussieu(o) zählte blos in Frankreich über
hundert Arten derselben.
Von der unendlichen Menge der Individuen,
die den Ocean der Vorwelt bewohnten, enthält
fast jedes Land Beweise. Es giebt ganze Theile
der Erdrinde, die fast blos aus ihnen zusam-
mengesetzt sind. Unzählbare Schaaren derselben
liegen in den Höhen um Paris und um Bour-
gogne. Bey Chaumont bestehen die Hügel, die
zum Theil von ansehnlicher Höhe sind, aus lau-
ter Schnecken. Bey Rheims findet sich ein sol-
ches Bett, das viele Meilen lang und breit
ist (p). In Touraine liegt eine Schichte von lau-
ter
D 5
[58] ter Conchiten, die einen Raum von mehr als 130
Millionen Cubikfaden einnimmt (q). In den
Pyrenäen tritt man fast bey jedem Schritte auf
Lenticuliten (r). In den Gegenden von St-Go-
bain in der Picardie sind ganze Kalkfelsen mit
dieser Petrefaktenart angefüllt (s). In England
giebt es Steinkohlengruben, wo die Arbeiter in
einer Tiefe von 9 bis 10 Fuſs, und in ei-
ner Weite von mehrern Englischen Meilen oft
nichts als eine gewisse Art von Conchiten fin-
den (t).
- 6) Unter allen Petrefakten der Uebergangsge-
birge und der ältesten Flötzgebirge kömmt
keine Art vor, die noch in der jetzigen le-
benden Natur zu finden wäre. Alle diese
Erstlinge der Erde gingen unter, und neue
Geschlechter folgten ihnen.
Hier
[59]
Hier ist der wichtigste unter den bisherigen
Sätzen.
Von Belemniten, Orthoceratiten, Lituiten und
Lenticuliten ist noch nie auch nur etwas Aehn-
liches in der jetzigen Natur entdeckt worden.
Von den übrigen Zoophyten und Mollusken des
obigen Verzeichnisses giebt es zwar analoge Kör-
per unter den heutigen Bewohnern der Erde,
aber die Aehnlichkeit ist entweder eine bloſse
Gleichheit des Geschlechts (genus) bey gänzlicher
Verschiedenheit der Art (species); oder es ist gar
nur eine schwankende Uebereinkunft in dem
Habitus.
Die Encriniten und Pentacriniten sind, wie
schon gesagt ist, dem heutigen Geschlechte En-
crinus, und zwar die erstern dem, aus der Tie-
fe des Grönländischen Meers hervorgezogenen,
von Mylius(u) und Ellis(v) beschriebenen En-
crinus radiatus (Vorticella Encrinus L.), die letz-
tern der Guettardschen Encrinus Asteria (Isis Aste-
ria L.), wovon ein Exemplar an der Küste von
Barbados gefunden ist (w), ähnlich. Allein schon
bey einer flüchtigen Vergleichung der Beschrei-
bun-
[60] bungen des Encrinus radiatus mit einem voll-
ständigen Encriniten, oder mit den Beschreibun-
gen und Abbildungen, welche Rosinus(x), Ha-
renberg(y), Hollmann(z) und Blumenbach(a)
von dieser Petrefaktenart geliefert haben, zeigen
sich groſse Verschiedenheiten, worunter die wich-
tigste diese ist, daſs der Stiel des letztern nicht
aus artikulirten Gliedern besteht, wie der der
sämmtlichen Encriniten. Nicht weniger verschie-
den ist die Guettardsche Seepalme von allen be-
kannten Arten der Pentacriniten. An jener hat
der Stiel wirtelförmige Seitenäste, welches bey
keinem der letztern statt findet (b), ausser bey
einem, von Andreä(c) abgebildeten Entrochi-
ten, der aber vielleicht erst von neuerer Entste-
hung ist.
Die
[61]
Die Verschiedenheit der Ammonshörner von
den neuern Meeresprodukten hat de Lamanon
durch eine umständliche Vergleichung beyder
dargethan (d). Diese läſst sich aber noch auf
einem andern Wege beweisen. Man ist allgemein
darüber einverstanden, daſs es unter den jetzigen
Mollusken keine Lituiten mehr giebt. Nun aber
findet kein anderer Unterschied zwischen den
Ammoniten und Lituiten, als nur dieser, statt,
daſs bey den erstern die ganze Röhre spiralför-
mig gewunden, bey den letztern hingegen der
weitere Theil derselben gerade ausgestreckt ist.
Und daſs dieser Unterschied blos zufällig ist,
beweiset die oben erwähnte Beobachtung von
Bolten, nach welcher die Ammonshörner Ue-
berbleibsel des gegliederten Panzers eines Thiers
sind, welches seinen Körper ausstrecken und spi-
ralförmig zusammenlegen konnte. Die Lituiten
sind daher ausgestreckte Ammonshörner, so wie
diese zusammengelegte Lituiten. Da also kein
Lituit in der lebenden Natur mehr existirt, so
müssen auch die Ammonshörner zu den unter-
gegangenen Thieren gehören.
Eben dieses Resultat ergiebt sich, wenn man
die Dentaliten, Echiniten, Madreporiten u. s. w.
der
[62] der Uebergangsgebirge und der ältesten Flötzge-
birge mit den jetzigen Arten der Geschlechter
Dentalium, Echinus, Madrepora u. s. w. ver-
gleicht. Inzwischen würde eine solche Verglei-
chung uns hier zu weit führen. Es läſst sich
aber ein allgemeiner Grund für den Untergang
aller jener Arten anführen. Dieser ist die groſse
Mannichfaltigkeit derselben und die zahllose Men-
ge ihrer Individuen. Wie könnten so viele Arten
und Individuen Jahrhunderte hindurch unentdeckt
geblieben seyn, wenn ihre Nachkommen noch
in gleicher Menge vorhanden wären? Giebt es
noch Abkömmlinge derselben, so können deren
nur noch sehr wenige seyn, und diese wenige
müssen blos in den unergründlichsten Tiefen
des Oceans leben, indem sonst doch zuweilen
einige derselben von Stürmen und Meereswellen
an die Küsten müſsten verschlagen werden.
Aber in diese Tiefen könnten sie sich doch nur
allmählig, nicht plötzlich, zurückgezogen haben.
Es müſsten sich also Nachkommen derselben in
den jüngern Flötzgebirgen, und in dem aufge-
schwemmten Lande finden. Nun trifft man frey-
lich auch in manchen von diesen Gebirgen Am-
monshörner, Belemniten und andere Versteine-
rungen der ältern Gebirge an. Aber die Höhlung
dieser Körper ist dann immer mit einer Materie
angefüllt, die von der Gebirgsart ihrer Lager-
stäte gänzlich verschieden ist. Es leidet also kei-
nen
[63] nen Zweifel, daſs sie erst lange nach ihrer Ver-
steinerung aus ältern, jetzt zerstöhrten Gebirgen
in die jüngern Erdschichten gerathen sind (e),
und längst nicht mehr existirten, als diese sich
bildeten.
Aber giebt es denn nicht Zeugnisse von auf-
gefundenen jetzigen Conchylienarten, welche mit
versteinerten Schaalthieren völlig übereinkommen?
Freylich giebt es deren, und zwar in Menge.
Der ältere Bartram bemerkte, daſs die verstei-
nerten Seethiere, die man in groſser Menge auf
den Nordamerikanischen Bergen findet, zwar
nicht dieselben sind, die jetzt unter dem nehm-
lichen Grade der Breite an den Amerikanischen
Küsten leben, daſs sie aber in den wärmern Cli-
maten von Süd-Carolina und Florida vorkom-
men (f). Von Hüpsch(g) versichert, eine ver-
steinerte Schnecke zu besitzen, welche auf einem
hohen Berge in Lothringen gefunden worden,
und wovon das Original im Indischen Meere lebt.
An einer andern Stelle erzählt er, daſs er aus
Cadix eine glatte und eine gestreifte Bohrmuschel
(Tere-
[64] (Terebratula) erhalten habe, welche in allen
Stücken den glatten und gestreiften Terebratuli-
ten ähnlich waren, die in der Eifel und im Ber-
gischen gefunden werden (h). Die Taschenmu-
schel eben dieses Schriftstellers, die in der Eifel
zwischen Terebratuliten vorkömmt, soll von For-
tis aus der Tiefe der See von Sebenico, einer
Stadt in Dalmatien, herausgezogen seyn (i).
Faujas-St-Fond hat ein ganzes Verzeichniſs von
fossilen Conchylien geliefert, welche noch lebend,
und zwar meist in der südlichen Erdhälfte, zum
Theil auch in Neu-Seeland, vorhanden sind (k).
Doch alle diese Zeugnisse widerlegen nicht un-
sern Satz. Hier nehmlich ist nur von den Verstei-
nerun-
[65] nerungen der Uebergangsgebirge und der ältesten
Flötzgebirge, nicht der jüngern Erdschichten,
die Rede. Unzählige Erfahrungen aber beweisen,
daſs zwischen den Versteinerungen der ältern und
neuern Gebirgsarten ein groſser Unterschied statt
findet. Man darf nur die Petrefakten der Krei-
defelsen untersuchen, und sie mit denen der äl-
tern Kalkgebirge vergleichen, um sich von die-
ser Wahrheit zu überzeugen. Zu Courtagnon in
Champagne giebt es eine Kreidenschichte, die
mit Versteinerungen so angefüllt ist, daſs ein
Cubikzoll dieser Kreide gewöhnlich an hundert
Petrefakten enthält. Man findet hier Muscheln.
Echiniten und deren Stacheln. Aber es giebt hier
keine Ammonshörner, Belemniten, Gryphiten
und überhaupt keine von denen Gattungen, die
in den ältern Gebirgen der Flötzformation vor-
kommen (l). Eben dies ist der Fall in den Krei-
defelsen von Stevens Klint in Seeland. Aus Abil-
gaard’s Verzeichniſs der Petrefakten dieses Ge-
birges (m) erhellet, daſs auch hier Echiniten,
Pectiniten, Anomiten u. d. gl. in Menge, aber
ebenfalls keine Encriniten, Pentacriniten, Ammo-
niten, Orthoceratiten und Belemniten zu finden
sind. Aber einen noch auffallendern Beweis der
Ver-
III. Bd. E
[66] Verschiedenheit, die unter den Versteinerungen
der verschiedenen Gebirgsarten statt findet, giebt
eine Beobachtung, die Sauvages(n) auf zwey
benachbarten Bergen der Gegend von Alais mach-
te. Auf dem Gipfel des niedrigern dieser Berge
fand er Schnecken und Muscheln, die noch jetzt
an der Französischen Küste leben. Auf dem hö-
hern aber lagen Ammoniten, Belemniten, und
eine, von ihm beschriebene Conchitenart, wel-
che ebenfalls von ganz fremdartiger Struktur ist.
Der erstere von diesen Bergen gehöret ohne
Zweifel zur Classe der angeschwemmten, und
in solchen Gebirgen findet man häufig Gehäuse
von Thierpflanzen und Mollusken, deren Origi-
nale noch vorhanden sind. Sie liegen hier ver-
mischt mit Ueberbleibseln von Landthieren, und
gehören theils solchen Arten an, die in benach-
barten Meeren leben, theils aber auch solchen,
die heut zu Tage erst in fernen Gegenden vor-
kommen. Dergleichen Muscheln findet man un-
ter andern auch an den Küsten des Caspischen
Meers, und auf den Hügeln von Piemont. Die
der erstern Gegend sind dieselben, die sich noch
jetzt im Caspischen See aufhalten (o); in der
letz-
[67] letztern Gegend sammelte de Luc(p) Kammmu-
scheln, Gienmuscheln, Zwiebelmuscheln (Ano-
mia cepa) und Meereicheln, die so gut erhalten
waren, als ob sie erst eben aus dem mittelländi-
schen Meere, wo sich ihre Arten aufhalten, her-
vorgezogen wären; er fand aber auch ebenda-
selbst und in demselben Zustande Compaſsmu-
scheln (Ostrea pleuronectes) und Anomien, die
nicht in den Europäischen Meeren leben, und
ein Kinkhorn, das jetzt nur in der südlichen Erd-
hälfte einheimisch ist.
Solche Muscheln jüngern Ursprungs waren
nun gewiſs die, wovon Bartram, von Hüpsch
und Faujas-St-Fond die Originale entdeckt ha-
ben wollen. Ich sage entdeckt haben wol-
len, nicht entdeckt haben: denn ob das
Letztere wirklich statt fand, läſst sich mit Recht
in Zweifel ziehen. Der Fälle, wo bloſse Aehn-
lichkeit für völlige Gleichheit ausgegeben ist,
sind in der Petrefaktenkunde so viele, daſs man
gegen alle solche angebliche Entdeckungen miſs-
trauisch zu seyn groſse Ursache hat. Es sey mir
erlaubt, hierüber die Worte eines Naturforschers
anzuführen, dessen Zeugniſs in dieser Sache ohn-
streitig von Gewicht ist. “Es ist fast unbegreif-
„lich”, sagt derselbe, “wie weit die Nachlässig-
„keit
E 2
[68] „keit mancher Schriftsteller in diesem Punkte”
(der Beobachtung des Unterschieds zwischen blos
ähnlich und wirklich gleich) “gegangen
„ist. So hielt der seel. Baumer die platten klei-
„nen Ostracitenschaalen, die so häufig an groſsen
„Ammoniten aufsitzen, geradezu für die Blatta
„byzantina. So hielt man vulgo die herrliche
„Bivalve mit den glühenden hohen Goldfarben
„im sogenannten opalisirenden Muschelmarmor
„aus Kärnthen für Ostrea ephippium, oder den
„Linneischen Helmintholithus diluvianus für My-
„tulus crista galli u. s. w. . . . Gegen solche
„Vergehungen sichert scharfsichtige präjudizlose
„Vergleichung, die mir oft Dinge als specifisch-
„verschieden gezeigt hat, die ich anfangs auf den
„ersten Blick, der Aehnlichkeit wegen, für
„völlig gleich gehalten hatte. Nur gleich ein
„Paar interessante Beyspiele der Art statt vieler.
„Ich erhielt vor kurzen aus dem Westphälischen
„eine wegen ihrer ansehnlichen Gröſse und Schön-
„heit auffallende Art von Terebratuliten, die gro-
„ſse Aehnlichkeit mit Solander’s Anomia venosa
„von den Falklands-Inseln zeigte. Aber freylich
„blieb es auch nach genauer Vergleichung bey
„der bloſsen Aehnlichkeit. So ähnelt ein Muri-
„cit unter den vulcanisirten Conchylien aus Valle
„di Ronca, die Hr. Abb. Fortis und Hr. Prof.
„Hacquet beschrieben, dem neuerlich entdeckten
„Murex hexagonus aus der Südsee. Aber in bey-
„den
[69] „den Fällen ist das jetzige Original von dem Pe-
„trefakt ganz und gar specifisch verschieden” (q).
Eben so sagt Modeer: “Gemeiniglich hat
„man sich vorgestellt, daſs die Originale der
„Versteinerungen nicht weit zu suchen waren,
„daſs z. B. das Original des Nautili orthocerae in
„der Ostsee zu Hause seyn sollte; aber man hat
„wohl dabey sich sehr betrogen. Von den auf
„demselben Nautilo angewachsenen Versteinerun-
„gen, als Lepadibus quibusdam und Asteriae mi-
„nutae gleichenden, die gar nicht in der Ostsee
„sich befinden, ist deutlich zu schliessen, daſs
„diese Nautili in originali in der Ferne zu su-
„chen sind” (r).
§. 13.
Während der Periode, wo die im vorigen §
erwähnten Polypen und Mollusken lebten, ent-
standen zugleich noch andere Meeresbewohner
aus der Abtheilung der wirbellosen Thiere, und
namentlich Crustaceen. Indeſs kommen der Ue-
berbleibsel dieser Arten nur wenige vor, und sie
müssen daher entweder erst in geringer Anzahl
vor-
E 3
[70] vorhanden gewesen, oder, ehe sie versteinert
werden konnten, zerstöhrt worden seyn. Die
wenigen, noch übrigen, sind aber ebenfalls, wie
die damaligen Thierpflanzen und Mollusken, sehr
verschieden von den jetzigen Seethieren. Zu ih-
nen gehören z. B. die Trilobiten (Entomoli-
thus paradoxus L.), eine Thierart, die von so
fremdartigem Baue ist, daſs man sogar über ihre
Stelle im Naturreiche lange gezweifelt hat, die
jedoch ohne Zweifel zur Classe der Crustaceen
zu rechnen ist. Man fand sie zuerst zu Dud-
ley in Staffordshire (s), nachher aber auch mit
einigen Abänderungen in mehrern andern Gegen-
den von Europa, z. B. in Schweden (s*), in
der Gegend von Leipzig (t), in Böhmen (t*),
und zwar in dem letztern Lande bey Ginez in
einem schiefrichten Thone, der von hohem Alter
zu seyn scheint (u). Indeſs gehören nicht alle
Ver-
[71] Versteinerungen hierher, die bey den Schriftstel-
lern unter dem Namen Entomolithus paradoxus
vorkommen. So ist das von Modeer in den
Schriften der Berlinischen Gesellschaft (v) be-
schriebene Petrefakt von ganz anderer Art, und
entweder eine Cassida, oder doch den Schildkä-
fern nahe verwandt.
Weniger selten sind Abdrücke oder Versteine-
rungen von Fischen. Man findet diese aber nie
in den ältern Flötzgebirgen, sondern immer erst
in denen, die von späterer Entstehung sind.
Jene enthalten blos Zoophyten und Schaalthiere.
Das Meer war also mit wirbellosen Thieren
schon bevölkert, ehe sich Fische in demselben
bildeten.
Sehr häufig sind die Steine, in welchen sich
Ueberbleibsel von Fischen befinden, kupferhaltig.
In einigen Gegenden, z. B. in den Kalkbrü-
chen des Monte Bolca von Vestena Nova, liegen
zwischen den Resten dieser Thiere auch Farrn-
kräuter, Mimosen und andere Gewächse (w).
Meist
E 4
[72]
Meist bestehen die versteinerten Ueberbleib-
sel von Fischen nur in Knochen und Zähnen.
Es hält daher bey ihnen weit schwerer, als bey
den Thieren, die wir im vorigen § untersucht
haben, über ihre Verwandtschaft mit den jetzigen
Thierarten etwas Gewisses auszumachen, und
noch schwerer ist es, die Zeit ihrer Existenz
mit einiger Gewiſsheit anzugeben, da fast alle
bisherige Schriftsteller die Lagerstäten dieser Ver-
steinerungen entweder gar nicht, oder doch nur
sehr oberflächlich beschrieben haben. Doch ergiebt
sich so viel aus einer Vergleichung jener Reste
mit den heutigen Fischen, und einer Untersu-
chung der Gebirgsarten, worin sie enthalten
sind:
- 1) Daſs mehrere jener Fische, gleich manchen
Polypen und Mollusken der Vorwelt, eine
Riesengröſse besaſsen, wozu keine verwandte
Fischarten der heutigen Natur mehr gelangen. - 2) Daſs von solchen, die nicht ganz neuern
Ursprungs sind, entweder überhaupt, oder
doch in denen Climaten, wo sie versteinert
gefunden werden, heut zu Tage nichts Aehn-
liches mehr vorhanden ist. - 3) Daſs viele von denen, welche vollständig
erhalten sind, in einem Zeitraume gelebt ha-
ben müssen, in welchem schon Pflanzen vor-
handen waren; daſs aber manche von denje-
nigen,
[73] nigen, wovon sich nur einzelne Knochen
oder Zähne finden, vielleicht aus einer frü-
hern Periode herrühren.
In verschiedenen Gegenden von Deutschland,
Frankreich und Italien, z. B. im Lüneburg-
schen (x), bey Litskau in Böhmen (y), bey Pa-
ris (z) und auf Malta findet man groſse verstei-
nerte Fischzähne, die unter dem Nahmen der
Schlangenzungen (glossopetrae) bekannt sind.
Diese nähern sich den Zähnen der jetzigen Hay-
fische. Allein die meisten sind den letztern blos
dem Geschlechte, nicht aber der Art nach ver-
wandt, und zeigen Eigenthümlichkeiten, die man
bey keiner bekannten Art der jetzigen Hayen an-
trifft (a). Viele unterscheiden sich von diesen ganz
auffallend durch ihre Gröſse, und geben dadurch
einen Beweis des ersten obigen Satzes. So schätzet
La Cepède(b) die Länge eines Hayfisches, wo-
von
E 5
[74] von ein Zahn zu Dax in Frankreich gefunden
wurde, der 3 Zoll 3 Linien lang war, auf 70
Fuſs 9 Zoll. Dieser Berechnung liegt nun zwar
die Hypothese zum Grunde, daſs sich von der
Gröſse der Zähne auf die Gröſse des Thiers
schliessen läſst, eine Voraussetzung, deren Un-
richtigkeit schon von Camper(c) dargethan ist.
Aber so viel erhellet denn doch, daſs es im Ocean
der Vorwelt eine Fischart gab, die weit gröſsere
Zähne hatte, als der gröſste unter den jetzigen
Fischen.
Zu den versteinerten Fischzähnen gehören
auch die sogenannten Bufoniten. Diese haben
viele Aehnlichkeit mit den Zähnen des Klipp-
fisches (Anarrhichas lupus). Aber unrichtig ist
es, sie blos dieser Aehnlichkeit wegen für Ueber-
bleib-
[75] bleibsel des letztern zu halten, indem auch meh-
rere Arten des Sparus mit ähnlichen Zähnen ver-
sehen sind, wie schon Scilla(d) und Jussieu(e)
bemerkt haben.
Vollständige Abdrücke und Versteinerungen
von Fischen finden sich in der Thüringischen
Kupfergrube bey Suhla (f), in der Gegend von
Coburg (g), zu Eisleben in der Grafschaft Mans-
feld, zu Eichstädt in Baiern, bey Aix in der
Provence, zu Grandmont bey Beaune in Bour-
gogne, zu Montmartre und Nanterre bey Paris,
zu Devey-Lou-Ranc bey Privas im Departement
Ardeche, zu Vestena Nova im Veronesischen, zu
Schio, Monteviale und Salzeo im Vicentinischen,
zu Tolmezzo in Friaul, zu Alessano an der äus-
sersten Spitze von Italien, Corfu gegenüber, zu
Scapezzano, Monte Alto und auf dem Vorgebir-
ge Focara im Herzogthume Urbino, zu Pietra-
Roya in Campanien, zu Stabia, zu Gifon im
Königreiche Neapel, auf der Insel Lesina in Dal-
matien (h), auf Cerigo im Archipelagus, und auf
dem Berge Libanon (i).
Die
[76]
Die merkwürdigsten von diesen sind die von
Vestena Nova, die in einem Kalkbruche am Fu-
ſse des Monte Bolca liegen. Man sieht hier,
sagt Faujas-St-Fond(k) Fische von jeder Grö-
ſse und jedem Alter. Die kleinsten sind einen
Zoll, die gröſsten viertehalb Fuſs lang. Alle lie-
gen der Länge nach und in der Richtung der
Steinschichten ausgestreckt; keiner ist gekrüm-
met. Im Pariser Museum der Naturgeschichte
befindet sich ein Esox aus jenen Steinbrüchen,
der einen kleinern Fisch seiner Art halb ver-
schlungen hat. Einige dieser Ichtyolithen sind
so glücklich gespalten, daſs ihre beyde Hälften
sich von einander getrennt haben und ihre innern
Theile entblöſst worden sind. Von solchen ent-
halten manche im Magen kleine, noch unverdau-
te Fische, die ihnen zur Nahrung gedient haben.
Faujas-St-Fond schlieſst aus diesen Umständen
mit Recht, daſs alle jene Thiere äusserst schnell
getödtet seyn müssen. Zwischen ihnen kommen
auch Seekrebse, Phytozoen und Pflanzen vor.
Nach Faujas-St-Fond erkennet man unter ihnen
eine Japanische Fistularia, einen Pegasus des In-
dischen und Brasilischen Meers, und drey Indi-
sche Chaetodonarten. La Cepède(l) spricht
gar
[77] gar von dreyſsig Arten der Meere von Asien und
Afrika, und der Küsten des heissen Amerika,
die er unter den Ichtyolithen von Vestena Nova
entdeckt haben will. Fortis fand manche der-
selben den Abbildungen sehr ähnlich, die Brous-
sonnet von Otaheitischen Fischen herausgege-
ben hat (m).
Was von diesen Behauptungen zu halten
ist, müssen wir dahin gestellt seyn lassen. Aber
so viel läſst sich doch als ausgemacht annehmen,
daſs wenigstens in den Europäischen Meeren
nichts, den versteinerten Fischen von Vestena
Nova Aehnliches vorhanden ist, und dieses Re-
sultat bestätigt sich auch bey den Ichtyolithen,
die in andern Gegenden vorkommen. Jussieu(n)
erhielt aus der Gegend von Montpellier eine ver-
steinerte Kinnlade eines Fisches, die zu keiner
Art der Europäischen Meere gehört haben konnte,
hingegen mit der Kinnlade eines Chinesischen
Fisches einigermaaſsen übereinkam. Faujas-St-
Fond(o) hat einen fossilen Fisch beschrieben,
der in den Steinbrüchen von Nanterre bey Pa-
ris, 7 Fuſs unter der Erde und 10 Fuſs unter
der Oberfläche des Steins gefunden wurde, und
wel-
[78] welcher zu den Coryphänen gehörte, also zu ei-
nem Geschlechte, das sich in jetzigen Zeiten vor-
züglich in den Meeren der heissen Climate auf-
hält. Von eben diesem Geschlechte sollen auch
Arten bey Schio und Monteviale im Vicentinischen
gefunden seyn (p). Die Fischskelette, die zu Le-
sina in weiſslichtem Kalkschiefer liegen, welcher
auch Abdrücke von Zoophyten und versteinerte
Mieſsmuscheln enthält, sind ebenfalls, nach der
Versicherung von Fortis(q), zuverläſsig nicht in
dem Meere von Dalmatien zu Hause.
Wir haben schon bemerkt, daſs die Ichtyoli-
then von Vestena Nova mit Kräuterabdrücken
vermischt sind. Eben so verhält es sich mit de-
nen, welche bey Vey-Lou-Ranc in einem mer-
gelartigen, mit vulcanischen Produkten bedeckten
Gesteine vorkommen. Die von Monteviale lie-
gen in einem Schiefer, welcher an eine Steinkoh-
lengrube stöſst, die von Salzeo unter einer
Schichte, welche Spuhren von Pflanzen und ver-
kohltes Holz enthält, und die von Eisleben über
einem Steinkohlenflötze (r). Diese Thatsachen
sind es, worauf wir uns stützten, als wir oben
behaupteten, daſs die vollständigern Ichtyolithen
zum
[79] zum Theil in einer Periode gelebt haben müs-
sen, in welcher die Erde schon Pflanzen her-
vorgebracht hatte. Manche Petrefakten von Fi-
schen rühren aber aus weit spätern Zeiten her.
So giebt es bey Oeningen einen Stinkschiefer,
welcher Süſswasserfische, die man noch jetzt in
den dortigen Gewässern findet, besonders Aale,
enthält (s), und ähnliche Ichtyolithen finden sich
auch im Canton Glarus (t) und bey Sohlenhofen
im Pappenheimischen. Eben diese Schiefer ent-
halten überdem Versteinerungen von Krebsen (u),
von Libellenlarven und einer Menge anderer In-
sekten (v). Bey Sohlenhofen wurde auch der
Limulus gigas Müll. versteinert gefunden (w).
Aber diese Petrefakten sind offenbar erst in ganz
neuern Zeiten gebildet, wie aus der Beschrei-
bung erhellet, die Andreä in seinen Briefen von
dem Oeninger Steinbruche geliefert hat (x).
§. 14.
[80]
§. 14.
Es ist merkwürdig, daſs in allen den Stei-
nen, worin die Encriniten, Pentacriniten, Am-
mons-
(x)
[81] monshörner, Lenticuliten, und überhaupt die
ältesten Polypen und Mollusken vorkommen,
noch keine Spuhren von Phytozoen und Pflanzen,
und selbst nicht einmal von Tangen, gefunden
werden. Zwar versichert Pontoppidan in seiner
Naturgeschichte von Dännemark, zu Faxoe in
den dortigen Kalksteinen den Sargasso haufenwei-
se gesehen zu haben. Allein auf diese Angabe
läſst sich schwerlich viel bauen, und von eben
so geringem Gewichte ist es, wenn Fortis(y)
etwas dem Seegrase sehr Aehnliches in Dalmatien
versteinert gefunden haben will, indem dieser
hinzusetzt, der Stein, worin die Petrefakten vor-
kämen, enthalte keine Ueberbleibsel von Seethie-
ren, welches schwerlich der Fall seyn könnte,
wenn diese Versteinerungen wirklich Tange wä-
ren. Gleich nach denjenigen Gebirgsarten aber,
welche Seethiere enthalten, zeigen sich in vielen
Gegenden Lagen von Substanzen, welche offen-
bar vegetabilischen Ursprungs, und oft mit Stein-
arten bedeckt oder vermischt sind, worin sich
zahlreiche Abdrücke von Phytozoen und Pflanzen
befinden.
Zu
III. Bd. F
[82]
Zu jenen Substanzen gehören vorzüglich die
Steinkohlen, die bituminöse Holzerde (Cölnische
Erde, Umbererde, Braunkohlen), die Holzkohlen
und das fossile Holz. Diese bilden weit ausge-
dehnte, mächtige Flötze. Es giebt aber auch
Substanzen, welche von Phytozoen und Vegeta-
bilien der Vorwelt entstanden sind, die jedoch
meist nur einzeln vorkommen. Solche sind das
versteinerte Holz, das mineralogische Federharz,
der Gagat und der Bernstein.
Von jenen erstern Substanzen, welche schich-
tenweise gelagert sind, entstanden die Steinkoh-
len und die bituminöse Holzerde am frühesten.
Denn jene ruhen in manchen Gegenden unmit-
telbar auf Uebergangsgebirgen, und erstrecken
sich in Tiefen, worin keine Spuhren von andern
lebenden Wesen zu finden sind; diese zeigen
einen Grad von Zersetzung, der nur in einer
langen Reihe von Jahrhunderten herbeygeführt
seyn kann. Spätern Ursprungs sind die Holz-
kohlen und das fossile Holz, die noch deutliche
Spuhren ihres vegetabilischen Ursprungs an sich
tragen.
Doch auch die Steinkohlen rühren nicht alle
aus einerley Periode her. Nach Werner’s Beob-
achtungen giebt es überhaupt vier verschiedene
Formationen der Steinkohlen und der verwand-
ten harzichten Körper des Mineralreichs. Zur
ersten
[83] ersten und ältesten gehören die Steinkohlenlager
der Sandstein- und Flötzkalkgebirge. Diese finden
sich aber nur theilweise. Die zweyte ist die
eigentliche Steinkohlenformation, welche weite
Flötze bildet, die mit mürbem Sandsteine, gro-
bem Conglomerat, Schieferthon, Brandschiefer,
verhärtetem Thon, Kalkstein, Mergel, Thonei-
senstein, und der letzten Formation des Porphyrs
vermischt sind. Die dritte ist den Flötztrappge-
birgen eigen, und besteht aus Braunkohlen, bi-
tuminösem Holze und Pechkohlen. Endlich die
vierte, welche in den aufgeschwemmten Gebir-
gen vorkömmt, enthält Holzkohlen und fossiles
Holz; sie macht den Uebergang zu den Torfmoo-
ren, die man als das fünfte Glied dieser Forma-
tionsfolge ansehen kann.
Die Steinkohlen, die bituminöse Holzerde
und das versteinerte Holz haben eine sehr weite
Verbreitung. Steinkohlen giebt es fast allenthal-
ben in Europa von Norwegen bis Portugal (z)
und Spanien (a). Man findet sie in Siberien
am Abakan im Berge Ysik, am Jenisei in der
Ge-
F 2
[84] Gegend von Krasnojark (b), am Magdalenfluſs,
nordwärts von Quito auf einer Höhe von 2000
Toisen (c), und in Chili (d). Nur in den nie-
drigen Gegenden der heissen Zonen scheint diese
Substanz nicht vorhanden zu seyn.
Zwar seltener, aber auch in sehr verschiede-
nen Gegenden kömmt die bituminöse Holzerde
vor. Man trifft sie in mehrern Gegenden von
Deutschland, z. B. im Cölnischen, Bergischen,
Jülichschen, Sächsischen, Coburgschen u. s. w. in
Schweden, England, der Schweitz, Italien, Ae-
gypten und im Orient an (e).
Den Bernstein findet man nicht nur in ver-
schiedenen Gegenden von Europa, z. B. in
Ostpreussen, bey Groſswieg ohnweit Pretsch,
bey Schmiedeberg nicht weit von Torgau in
Sachsen, in der Mark Brandenburg, bey Oster-
holz im Bremischen (f), in dem Mizuner Erzge-
birge
[85] birge von Galizien (g), in der Provence (h), bey
Marseille (i), in Sicilien (k), im Modenesischen
und in Asturien (l), sondern auch in Siberien
an den Küsten des Eismeers neben groſsen Stük-
ken Steinkohlen, die von der See gerollet sind (m),
und in der südlichen Erdhälfte auf Madagascar,
wo er von vorzüglicher Schönheit ist (n).
Versteinertes Holz ist vorzüglich häufig in
den Afrikanischen Sandwüsten, wo ganze, mit
Kieselerde durchzogene Baumstämme vorkommen.
Daſs es auch in Europa und im nördlichen
Asien gefunden wird, dürfen wir als bekannt
voraussetzen (o). Im südlichen Asien sahe Son-
nerat(p) auf den mittelmäſsig hohen Ber-
gen,
F 3
[86] gen, die sich bey Trevikarre, einem nicht weit
von Pondichery gelegenen Flecken befinden, und
welche in jetzigen Zeiten so unfruchtbar sind,
daſs aus gänzlichem Mangel an Erde auch das
kleinste Gras noch nie dort hat Wurzel schlagen
können, sehr dicke versteinerte Bäume an der
freyen Luft liegen.
Die Steinkohlen, die bituminöse Holzerde
und das fossile Holz kommen, wie gesagt, in
sehr weiten Flötzen vor. Faust versichert von
dem fossilen Holze des Meiſsner zwischen Allen-
dorf und Almerode im Hessischen, alle hessische
Wälder enthielten jetzt nicht so viel Holz, wie
sich unter dem einzigen Meiſsner fände. Eine
gleiche Ueppigkeit der Vegetation giebt es heut
zu Tage nur noch in den heissen Zonen, und
besonders im wärmern Amerika, wo der Missi-
sippi, der Amazonenfluſs und andere Ströhme
oft eine so groſse Menge Holz mit sich führen,
daſs sie zuweilen blos dieser Ursache wegen un-
schiffbar werden. Jene Thatsachen beweisen also,
daſs die ersten Phytozoen und Pflanzen, welche
dem Schooſse der Erde entkeimten, nicht min-
der fruchtbar waren, als die ersten Thierpflanzen.
Wir haben ferner gesagt, daſs auf und zwi-
schen den Steinkohlenflötzen häufig Schiefer mit
Abdrücken von Phytozoen und Pflanzen gefun-
den
[87] den werden. Am reichsten an diesen Abdrücken
sind die Steinkohlen der zweyten Formation;
nicht so viele kommen in denen der ersten For-
mation vor; noch weniger finden sich in der For-
mation der Trappgebirge, und gar keine in den
bituminösen Holz- und Erdlagern (q). Die mei-
sten liegen in dem Schieferthone, welcher ge-
wöhnlich das unmittelbare Dach der Steinkohlen-
flötze ausmacht, und in dem darüber befindli-
chen Kohlensandsteine (r).
Unter jenen abgedruckten Phytozoen sind
Farrnkräuter die häufigsten, oft auch die einzi-
gen. Zwar läſst sich nicht läugnen, daſs es
nicht auch versteinerte Flechten und Moose giebt.
Ferber erwähnt eines weissen Achats aus dem
Grummbachschen, worin eine Flechte eingeschlos-
sen war. Zugleich bemerkt er, daſs wenn auch
wirkliches, in Achat eingeschlossenes Moos eine
Seltenheit ist, und das Meiste, was dafür ausge-
geben wird, nur eingeschlossene Erden sind,
doch kein Grund vorhanden sey, das Daseyn
der-
F 4
[88] derselben gänzlich zu läugnen (s). Das Nehmli-
che erinnert D’Aubenton, und dieser versichert
auch, neun Arten von Gewächsen, worunter
sich ein Wasserfaden (t) und ein Laubmoos mit
Kapseln befand, mit Hülfe des Microscops im
Achat entdeckt zu haben (u). Indeſs bleibt so
viel gewiſs, daſs diese Abdrücke und Versteine-
rungen, die immer nur im Achat vorkommen,
zu den Seltenheiten gehören, und von weit spä-
terer Entstehung sind, als diejenigen, die in den
Steinkohlenflötzen gefunden werden.
Es war also die Familie der Farrnkräuter,
welche unter den vegetabilischen Gebilden zu-
erst erzeugt wurde. Warum die Natur diesen
Weg einschlug, würde sich erklären lassen, wenn
man annähme, daſs das Clima der Gegenden, in
welchen jene Farrnkräuter entstanden, dem der
jetzi-
[89] jetzigen heissen Zonen ähnlich gewesen wäre.
Man weiſs nehmlich, daſs in diesen Gegenden
Farrnkräuter die häufigsten, oder gar die einzi-
gen Phytozoen sind (v). Ausserdem ist bey der
Erklärung jener Thatsache der Umstand in Erwä-
gung zu ziehen, daſs der Boden, aus welchem
die ersten Landgewächse hervorkeimten, blos aus
Steinen ohne alle Dammerde bestand. So wach-
sen auch noch heut zu Tage die Farrnkräuter
aus Steinritzen hervor, in denen oft nicht ein
Atom Erde haftet, und manche, z. B. das Poly-
podium filix mas, verdrängen da, wo sie häufig
sind, alle übrige Pflanzen, und sogar alle Moo-
se (w).
Mit unserer obigen Meinung von dem Cli-
ma, in welchem die ersten vegetabilischen For-
men erzeugt wurden, stimmet auch noch eine
andere Thatsache überein, die sich bey einer
Vergleichung der Farrnkräuter aus den Zeiten der
Vorwelt mit den jetzt lebenden Arten dieser Fa-
milie ergiebt. Es zeigt sich nehmlich, daſs von
allen jenen Phytozoen heut zu Tage nur in den
heissen Zonen, nicht aber in den gemäſsig-
ten, und noch weniger in den kalten Ländern
etwas Aehnliches existirt. Diese Bemerkung
mach-
F 5
[90] machte schon Leibnitz an den Farrnkräutern,
die man in der Gegend von Osterode, von Eis-
leben, und an mehrern andern Orten von Deutsch-
land findet (x). Jussieu bestätigte sie nachher
an den Abdrücken, die in den Steinkohlengruben
von Saint-Chaumont vorkommen, und welche
zum Theil so vollkommen erhalten sind, daſs
sich noch die tiefen Eindrücke der auf der Rük-
kenseite der Blätter sitzenden Saamencapseln un-
terscheiden lassen. Ich glaubte, sagt dieser Na-
turforscher, unter jenen Trümmern der Vergan-
genheit in einer andern Welt zu botanisiren (y).
Sie wurde ferner von Ferber an den Abdrücken
und Versteinerungen gemacht, die an dem Peak
von Derbyshire in einem schwarzen Thonschie-
fer, der gleich unter der Dammerde über den
dortigen Steinkohlen liegt, und in den thonich-
ten und mergelartigen Schichten, die zwischen und
über den eigentlichen Kohlenbetten an verschie-
denen Orten die Stelle jenes Schiefers einnehmen,
befindlich sind (z). Endlich fanden Bridel,
Grimm und von Schlotheim bey einer Verglei-
chung der Abdrücke von Farrnkräutern mit den
heu-
[91] heutigen Gewächsen dieser Familie die Behaup-
tung ihrer Vorgänger, daſs jene Ueberbleibsel,
einige wenige ausgenommen, bey welchen noch
Zweifel statt finden, offenbar Produkte eines
wärmern Himmelsstrichs sind, so vollkommen
gegründet, daſs dieser Satz, ihrer Meinung nach,
nunmehr als ganz entschieden anzusehen seyn
möchte (a). Zu diesen zweifelhaften Arten ge-
hört eine der Hippuris vulgaris L. sehr ähnliche
Pflanze, die unter den Farrnkräuterabdrücken
sehr häufig vorkömmt (b). Allein die Gröſse
und Dicke der Stengel bey verschiedenen Exem-
plaren und der Umstand, daſs sich zuweilen meh-
rere Aeste aus einem gemeinschaftlichen Stamme
zu verbreiten scheinen, machen es doch wahr-
scheinlich, daſs eine Verschiedenheit zwischen
diesen Gewächsen statt findet (c). Was die
übrigen jener Abdrücke betrifft, so ist es
in der That schon hinreichend, auf man-
che derselben nur einen Blick zu werfen,
um sich zu überzeugen, daſs sie blos in ei-
nem wärmern Himmelsstriche entstanden seyn
kön-
[92] können. Viele sind von einer solchen baumarti-
gen Gröſse, wie unter den heutigen Farrnkräu-
tern die Zamia, Cycas, das Polypodium medul-
lare Forst., Equisetum giganteum und andere
den Inseln Westindiens, des Indischen Oceans
und des stillen Meers eigene Pflanzen.
Eine Vergleichung jener Abdrücke mit den
heutigen Farrnkräutern zeigt aber nicht nur,
daſs jene blos in einem wärmern Clima erzeugt
seyn können; sie beweist auch, daſs jene Ab-
drücke, gleich den Zoophyten und Mollusken der
Uebergangsgebirge und der ältern Flötzgebirge,
sich von den Körpern der jetzigen lebenden Na-
tur merklich unterscheiden. Zwar giebt es eini-
ge, welche heutigen Farrnkräutern ähnlich sind,
z. B. eine Art, die sich der Pteris aquilina L. nä-
hert (d), eine andere, die mit dem Polypodium
Oreopteris Ehrh. Aehnlichkeit hat (e), eine drit-
te, welche dem Polypodium fragile L. verwandt
ist (f), und eine vierte, worauf die Charaktere
des Adianthum Chusanum L. zu passen schei-
nen (g). Allein von keiner dieser Arten läſst
sich
[93] sich behaupten, daſs sie jetzigen Farrnkräutern
wirklich gleich, und nicht blos ähnlich sind;
hingegen von vielen leidet es keinen Zweifel,
daſs sie unter dem, was uns von der heutigen
Familie der Farrnkräuter bekannt ist, nichts Ana-
loges haben.
Bald nach der Periode, in welcher diese
Farrnkräuter erzeugt wurden, bildeten sich auch
wahre Pflanzen: denn in den meisten Flötzla-
gern, in welchen jene Phytozoen enthalten sind,
finden sich auch Ueberbleibsel der letztern, je-
doch in weit geringerer Menge. An diesen be-
stätigt sich nun ebenfalls unsere obige Vermu-
thung von dem Clima und dem Boden der Ge-
burtsörter jener Pflanzen. Wir finden nehmlich,
daſs sehr häufig unter diesen Gewächsen Palmen-
arten vorkommen. Ueberbleibsel von Palmen
traf Jussieu zu Saint-Chaumont in derselben Ge-
gend an, wo die erwähnten Abdrücke von Farrn-
kräutern vorkommen (h). Versteinerte Stämme
von Palmen, die in Frankreich entdeckt wurden,
sind ferner in den ältern Abhandlungen der Pari-
ser Akademie beschrieben (i). In der Gegend
von Eschweiler, wo man auch artikulirte, gerei-
felte
[94] felte Versteinerungen antrifft, die dem Equise-
tum giganteum L. ähnlich sind, fand man einen
groſsen Theil eines versteinerten starken Baums,
welcher, der Rinde nach, zum Geschlechte der
Palmen gehörte (k). Zu Brühl und Liblar, ohn-
weit Cöln, giebt es in den dortigen Gruben,
welche die Cölner Erde liefern, Blöcke verkohl-
ten Holzes, die oft einen Durchmesser von zwey
Fuſs und eine Länge von funfzehn Fuſs haben,
nie aber mit Wurzeln und Zweigen versehen
sind, und Nüsse, die von einer Palmenart her-
rühren müssen, und groſse Aehnlichkeit mit de-
nen der Areca Cathecu L. haben (l). Alle Pal-
men nun sind Bewohner der wärmern Himmels-
striche, und wachsen dort in dem trockensten,
dürresten Boden. Wir haben also an diesen
Thatsachen einen neuen Beweis. daſs die Vege-
tation in den wärmern Zonen ihren Anfang nahm,
und daſs die ersten Gewächse, welche die Erde
hervorbrachte, solche waren, die keiner Damm-
erde und keines feuchten Bodens zu ihrem Fort-
kommen bedürfen. Zugleich sehen wir, daſs
die Bildung der Vegetabilien von den Farrnkräu-
tern zu den Palmen, also zu derjenigen Familie
des
[95] des Pflanzenreichs, welche mit jenen Phytozoen
zunächst verwandt ist, fortschritt.
Die übrigen Abdrücke und Versteinerungen
von Pflanzen, die von älterer Entstehung sind,
gehören ebenfalls solchen Familien und Geschlech-
tern an, deren Heimath blos die heissen Climate
sind. Jussieu fand unter den Pflanzenabdrücken
von Saint-Chaumont eine Figur, die der Saa-
mencapsel der Nyctanthes arbor tristis L., einer
Pflanze, die im heissen Asien wächst, sehr nahe
kam (m). Ueberhaupt traf er unter allen jenen
Abdrücken nicht einen einzigen an, wovon das
Original in Frankreich vorhanden wäre (n). Ab-
drücke und Versteinerungen fremder Gewächse
kommen ferner unter den Phytolithen von Der-
byshire vor (o), und hier giebt es auch ein elasti-
sches fossiles Harz, das dem Caoutchouk sehr ähn-
lich ist, da doch alle Gewächse, wovon das gemei-
ne Caoutchouk kömmt, nur zwischen den Wende-
cirkeln, theils in Indien (Cecropia peltata, Hippo-
mane biglandulosa, Ficus religiosa, Artocarpus in-
tegrifolia), theils in Madagascar (Vahea Lamarck.),
und
[96] und theils im südlichen Amerika (Hevea Gui-
anensis, Castilla elastica Cavanill.) einheimisch
sind (p). Bey Landshut in Schlesien findet man
versteinerte Blätter, welche den Blättern der
Opuntie sehr ähnlich sind (q), und in einem
grauen Schiefer unter den Steinkohlengruben zu
Weisstein ohnweit Liegnitz in Schlesien ein sehr
breites, gestreiftes Rohr, welches Aehnlichkeit
mit dem Zuckerrohre hat (r). In mehrern Schie-
ferbrüchen und Steinkohlengruben von Deutsch-
land und England liegen sehr groſse, oft ästige,
mit Schuppen bedeckte Pflanzenabdrücke, die
mit keinem bekannten Gewächse ganz überein-
kommen, auf jeden Fall aber Erzeugnisse eines
warmen Clima seyn müssen (s).
Diese gröſsern rohrartigen und ästigen Ab-
drücke kommen gewöhnlich mit den baumartigen
Farrnkräutern in dem Kohlensandsteine vor, wel-
cher über dem Schieferthone liegt, der das un-
mittelbare Dach der Steinkohlen ausmacht. Oft
stehen sie aufrecht, und ragen aus dem Schie-
fer-
[97] ferthone und dem Kohlenlager selbst in den Sand-
stein so hinauf, als ob sie an Ort und Stelle ge-
wachsen, und mit Sand überschüttet worden wä-
ren (t). Habel(u) sahe in der Sandgrube bey
Duttweiler einen solchen Stamm, der am unter-
sten Ende beynahe 1 Fuſs im Durchmesser hatte,
wenigstens einige 40 Fuſs durch die Schichten
des Kohlendachs hervorragen.
Bey manchen dieser versteinerten Stämme
und Aeste ist der Queerdurchschnitt nicht cirkel-
förmig, sondern zusammengedrückt (v), und
eben dies findet auch bey manchem bituminösen
Holze statt, besonders bey dem Isländischen Su-
turbrande, einem schweren, harten und schwar-
zen fossilen Holze, welches in groſser Menge
auf Island, ziemlich tief in der Erde, zwischen
Felsenstücken oder groſsen Steinen, in breiten,
dünnen und langen Stücken liegt, und sich ganz
wie Holz bearbeiten läſst (w). An diesem Holze
sind die Jahrringe noch kenntlich. Statt concen-
trische Ringe zu bilden, laufen sie aber parallel,
und
III. Bd. G
[98] und sind am Ende durch Krümmungen mit ein-
ander verbunden (x). Vielleicht rührt jene Fi-
gur von der Last der Gebirgsschichten her, die
über dem Holze liegen; vielleicht aber ist sie
auch ursprünglich, und in diesem Falle würde
sich hiervon ein neuer Beweis für die Verschie-
denheit der fossilen Pflanzen von den jetzigen
Gewächsen hernehmen lassen, indem keines der
letztern eine solche Struktur hat. Doch ist die
erstere Ursache um so wahrscheinlicher, da auch
die Orthoceratiten, die in Kalksteinlagern voll-
kommene Kegel vorstellen, im Thonschiefer zu
dreyeckigen Flächen zusammengedrückt sind (y).
Selten oder nie findet man unter den Ver-
steinerungen der ältern Flötzgebirge Nadelhöl-
zer (z), und diese Thatsache schlieſst sich eben-
falls
[99] falls an die bisher erwähnten an. Man weiſs
nehmlich, daſs in jetzigen Zeiten die Familie der
Nadelhölzer fast blos den kalten und gemäſsigten
Zonen angehört. Wenn also die ersten Vegeta-
bilien, welche die Erde hervorbrachte, unter ei-
nem heissen Himmelsstriche erzeugt wurden, so
ist es aus der Analogie der jetzigen Natur erklär-
bar, warum Nadelhölzer selten, oder vielleicht
gar nicht unter den frühern Phytolithen vor-
kommen.
Die angeführten Farrnkräuter und Pflanzen
waren es, aus deren Zusammenhäufung und Zer-
setzung die Steinkohlen und die bituminöse Holz-
erde ihren Ursprung nahmen. Wahrscheinlich
gingen jene Gewächse zuerst in eine torfartige
Substanz, hieraus in bituminöse Holzerde, und
dann in Steinkohlen über, indem manche Arten
von Torf so nahe an jene Erdart, und manche
Arten der bituminösen Holzerde so nahe an die
Steinkohlen gränzen, daſs es zweifelhaft ist, wo-
hin man sie zu rechnen hat (a). Vermuthlich
hatten aber auch unterirdische Feuer an der Bil-
dung der Steinkohlen Antheil: denn erstens kom-
men in der Nähe der Steinkohlen so häufig war-
me Quellen vor, daſs zwischen jenen und den
letztern nothwendig eine Causalverbindung statt
finden
G 2
[100] finden muſs. Aber eben diese Quellen entsprin-
gen in manchen Gegenden aus dem Granit. Sie
können also nicht, wie man gewöhnlich glaubt,
von einem unterirdischen Brande herrühren, son-
dern müssen eine weit tiefer liegende Ursache
haben, wovon die Steinkohlen Nebenwirkungen
sind (b). Unsere Meinung erhält zweytens auch
dadurch eine Bestätigung, daſs man höchst sel-
ten unter den Kräuterabdrücken, die in dem
Dachgestein der Steinkohlenflötze enthalten sind,
Versteinerungen von Muscheln und Schnecken
findet. Daſs sich dergleichen Körper anfangs
mit unter jenen Gewächsen befunden haben, läſst
sich schwerlich bezweifeln, wenn man nicht zu
sehr unwahrscheinlichen Voraussetzungen seine Zu-
flucht nehmen will. Diese Conchylien aber muſs-
ten sich, ihrer Schwere wegen, zn den untern
Schichten herabsenken, wo sie durch die Er-
hitzung, welche diese Schichten erlitten, calci-
nirt und ihrer Struktur beraubt wurden. — Ein
Nebenprodukt des chemischen Processes, wo-
durch die Formation der Steinkohlen bewirkt
wurde, war übrigens die Naphtha, wovon das
Bergöl, Bergtheer, Erdpech und der Asphalt,
vielleicht auch der Gagat, bloſse Modificationen
zu seyn scheinen (c).
Von
[101]
Von neuerer Entstehung als die Steinkohlen
und die bituminöse Holzerde sind das bituminöse
Holz und die Holzkohlen, die sich von den
Steinkohlen durch einen weit geringern Grad von
Zerstöhrung ihrer Organisation unterscheiden,
indem man an den meisten noch Wurzeln, Stamm,
Aeste, Jahrwüchse, und sogar oft die Holzart
erkennen kann. Als diese Substanzen sich bil-
deten, näherte sich die lebende Natur schon ih-
rer jetzigen Gestalt: denn unter ihnen trifft man
mehrere Holzarten an, die noch jetzt in dersel-
ben Gegend wachsen. So finden sich in dem
bey Holzheim liegenden Holzkohlenflötze Stücke
Holz, welche deutlich für Kiemen oder Fichten
zu erkennen sind (d). So sahe von Beroldin-
gen(e) in Turgau einen Baum, wovon der
Stamm verkohlt, die Wurzeln aber in einem har-
ten Sandstein eingeschlossen und gröſstentheils
versteinert waren, und in diesem Sandsteine fan-
den sich verschiedene Blätterabdrücke, unter de-
nen ein Blatt der Plantago latifolia L. deutlich
zu erkennen war. Ja, in manchen Flötzen von
Holzkohlen und bituminösem Holze, z. B. in
dem des Meiſsner zwischen Allendorf und Alme-
rode,
G 3
[102] rode, in dem von St. Agnes bey Lons-le-Sonnier,
und in dem von Katoiskoi Ostrog am Uralischen
Gebirge, giebt es Holzstücke, die schon von
Menschenhänden bearbeitet zu seyn scheinen (f).
Unter den Holzarten der Flötze von St. Agnes las-
sen sich Eichen, Hagebuchen, Buchen und Espen
erkennen. Ein fossiles Holz, das man bey Han-
növerisch Münden findet, hat ziemlich viele Aehn-
lichkeit mit dem der Roſscastanie (g). In eini-
gen Schichten von fossilem Holze kommen aber
auch Ueberbleibsel von Gewächsen vor, die in
keiner benachbarten Gegend mehr gefunden wer-
den. Dies ist z. B. der Fall mit demjenigen,
welches in Ostpreussen neben dem Bernsteine
liegt. Zwischen diesem trifft man Nüsse an,
welche die Figur von Mandelschaalen haben, in-
wendig aus kleinen, den Bienenwaben ähnlichen
Zellen bestehen, und von keinem Europäischen
Baume herzuleiten sind (h).
In die Periode, worin sich die Holzkohlen
bildeten, fällt ohne Zweifel die Entstehung der
meisten Versteinerungen von Pflanzen, wovon
die
[103] die Originale noch jetzt in den Gegenden der La-
gerstäten dieser Petrefakten leben, z. B. der Ab-
drücke von Buchen- und Erlenblättern im Eisen-
ocker bey Mizun in Galizien (i); der versteiner-
ten Blüthen von Ranunkeln und ganzer Zweige
des Bergahorns (Acer montanum L.) mit daran
hängenden Blättern im Oeninger Schiefer (k); der
Blätter von Buchen, Weiden, Aepfelbäumen und
andern einheimischen Bäumen, die bey Berlingen
an der südwestlichen Seite des Bodensees in ei-
nem Sandsteine vorkommen, der mit kleinen
Kieseln, Glimmer, vielen Versteinerungen von
Landschnecken, z. B. Helix citrina, arbustorum,
lucorum u. dgl. und Fragmenten von Hirschgewei-
hen vermischt ist (l); der versteinerten Wallnüs-
se von Lamorra in Piemont (m); der Abdrücke
von der Anemone hepatica, Anemone sylvestris,
Asperula odorata und andern Waldpflanzen bey
St.
G 4
[104] St. Imbert (n); und der Frankenberger Kornähren
in Fahlerz (o).
Aber manche solcher Abdrücke und Verstei-
nerungen sind von noch neuerer Entstehung:
denn auch in heutigen Zeiten fährt die Natur
noch fort, Steinschichten und Petrefakten zu er-
zeugen. Ich habe, sagt Saussure, am Ufer des
mittelländischen Meers auf dem Faro di Messina,
nahe am Schlunde der Charybdis, Sand gesehen,
welcher noch beweglich ist, wenn ihn die Wel-
len am Ufer anhäufen, der aber, durch den
vom Meere hinein filtrirten kalkartigen Kütt,
nach und nach bis zur Festigkeit eines Mühl-
steins verhärtet. Diese Thatsache ist in Mes-
sina bekannt; man nimmt täglich vom Ufer Stei-
ne hinweg, ohne daſs der Vorrath erschöpft, oder
das Ufer niedriger würde. Die Wellen werfen
wieder Sand in die leeren Plätze, und in wenig
Jahren küttet sich dieser so zusammen, daſs die
neu gebildeten Steine von den alten nicht zu un-
terscheiden sind (p). Eine ähnliche Thatsache
erzählt Molina. Dieser versichert, daſs man
in Chili nicht weit von Valparaiso einige vier-
eckige,
[105] eckige, ganz versteinerte Bäume in seiner Ge-
genwart ausgegraben habe, woran noch ganz
deutlich die Hiebe Europäischer Beile zu erken-
nen waren, und die also erst lange nach der An-
kunft der Spanier in Chili angefangen haben
muſsten, versteinert zu werden. Der Chilesi-
sche Weidenbaum, fährt Molina fort, ist viel-
leicht zu dieser Versteinerung am geschicktesten;
überall findet man Petrefakten von Zweigen des-
selben; man darf nur das Holz dieses Baums in
ein sandiges und feuchtes Erdreich graben, so
wird es gleich versteinert (q).
Noch müssen wir einer merkwürdigen Er-
scheinung erwähnen, welche, nach dem Zeug-
nisse des Abbé de Sauvages(r), in einem bey
Alais liegenden Flötze statt findet. In dieser
Gebirgsart, die vorzüglich aus Sand und Ocker
besteht, trifft man neben solchen Phytolithen,
welche einheimischen Gewächsen angehören, an-
dere an, deren Originale nirgends in der dortigen
Gegend vorhanden sind. Es giebt hier Baum-
stämme, welche theils versteinert, theils in Stein-
kohlen verwandelt sind, und nicht weit davon
Abdrücke von Farrnkräutern und von mehrern
Arten
G 5
[106] Arten der Iris, des Galium, der Centaurea und
des Geranium, die zum Theil noch Blumen tra-
gen, und insgesammt mit einheimischen Pflanzen
übereinkommen. Nahe dabey liegen aber auch
Abdrücke sehr groſser Blätter, von welchen die
gröſsten 8 Zoll breit, über 6 Fuſs lang und mit
Rippen versehen sind, die sich nicht zerästeln,
sondern von der Basis bis zur Spitze des Blatts
fast parallel mit einander fortgehen, und in un-
gleichen Zwischenräumen knotige Artikulationen
haben. Alle diese Abdrücke befinden sich in ei-
nem grauen Schiefer; alle sind vollkommen aus-
gebreitet; kein Blatt hat Biegungen und Falten;
jedes ist mit den Schieferlagen parallel, und die
ausländischen Arten liegen dicht neben den ein-
heimischen. Jedoch sind diese nie mit jenen
vermischt, sondern haufenweise von einander
abgesondert.
Zu den jüngsten Ueberbleibseln der groſsen
Revolutionen, welche die Erdfläche erlitten hat,
gehören endlich noch die vielen verschütteten
Wälder, die in vielen Gegenden des nordwestli-
chen Europa, besonders in Holland, Ostfriesland,
im Bremischen und in Dänemark unter den
dortigen Torfmooren vorkommen (s). Die Wur-
zeln dieser Bäume stehen alle im Sandboden,
und sind mit 8 bis 18 Fuſs hohen Torfschichten
be-
[107] bedeckt. Gewöhnlich sind die Stämme abgebro-
chen. Oft hat der fallende Stamm die Hälfte
der Wurzeln aus dem Sande gehoben. In Ost-
friesland sind die meisten dieser Bäume Nadel-
hölzer und Eichen. Der letztern giebt es aber
nicht so viele, als der erstern. In einigen Ge-
genden findet man auch unterirdische Wälder,
die ebenfalls in sandigem Boden eingewurzelt,
aber blos mit Damm- und Thonerde bedeckt sind.
Diese Bäume stehen fast alle noch aufrecht, sind
von niedrigem Wuchse, und theils abgebrannt,
theils abgehauen. Dem Zeugnisse einiger Chro-
niken zufolge, war die Ursache des Umsturzes
und der Verschüttung jener Wälder die groſse
Cimbrische Wasserfluth, wodurch im Jahre 340
vor Christi Geburt ganz Holland und der an die
Nordsee gränzende Theil von Deutschland über-
schwemmt, Schonen vom festen Lande gerissen,
der Sund entstanden, und England von Frank-
reich, so wie Seeland von Flandern getrennt
seyn soll (t).
Das bisher Angeführte ist die Summe unse-
rer jetzigen Kenntnisse von den Umwandlungen,
welche die Flora der Vorwelt seit ihrer Entste-
hung erlitten hat. Sie ist noch zu gering, um
mit Genauigkeit die verschiedenen Perioden die-
ser
[108] ser Veränderungen schildern zu können. So viel
scheint indeſs aus den erwähnten Thatsachen
hervorzugehen, daſs sich vier Hauptformationen
jener Flor annehmen lassen. Die erste ist gleich-
zeitig mit der Steinkohlenformation der Sandstein-
und Flötzkalkgebirge. Diese besteht ganz aus
untergegangenen Farrnkräutern. Die zweyte ge-
hört in diejenige Periode, in welcher sich die
eigentlichen Steinkohlenflötze bildeten. Diese
enthält, ausser Farrnkräutern, schon wahre Pflan-
zen, worunter vorzüglich palmen- und rohrar-
tige vorkommen. Vielleicht giebt es unter die-
sen auch einige Arten, die noch jetzt vorhanden
sind. Alle aber sind Produkte eines wärmern
Himmelsstrichs. Die dritte Formation entstand
zu gleicher Zeit mit den Flötztrappgebirgen. In
ihr finden sich Erzeugnisse der kältern Climate
neben solchen, die nur aus einem Palmenclima
herstammen können. Zu dieser müssen ohne
Zweifel die von Sauvages bey Alais entdeckten
Abdrücke und Versteinerungen gerechnet werden.
Endlich die vierte Formation gehört den ange-
schwemmten Gebirgen an, und enthält einheimi-
sche Gewächse, die sich zum Theil bis auf den
heutigen Tag erhalten haben.
Die dritte dieser Formationen zeichnet sich
noch durch einen merkwürdigen Umstand aus,
der uns vielleicht Aufschluſs über die groſse Uep-
pig-
[109] pigkeit der ehemaligen Vegetation geben kann. Auf
dem Habichtswalde bey Cassel nehmlich liegt ein
Holzkohlenflötz, das, nach der Versicherung von
Ries, vulcanische Laven zur Unterlage hat, und
mehrere Lachter hoch mit vulcanischer Lave be-
deckt ist. Eine ähnliche Erscheinung zeigt sich
auf dem Meiſsner bey Allendorf. Von dem dor-
tigen Flötze von bituminösem Holze ist das Lie-
gende ein Conglomerat von Kalkstein, Sand,
Thon und Bitumen, das Dach aber ein, die
obere Hälfte des Berges ausmachender Basalt (u).
Liesse sich nun als ausgemacht annehmen, daſs
die Unterlage und das Dach der Holzkohlen des
Habichtswaldes wahre vulcanische Lave und der
Basalt des Meiſsner vulcanischen Ursprungs wä-
re, so würde hieraus folgen, daſs die Periode,
in welcher die dritte der oben erwähnten Pflan-
zenformationen statt fand, zugleich die Periode
des Ausbruchs der vielen ausgebrannten Vulcane
war, die sich, mehrern Schriftstellern zufolge,
fast allenthalben in Europa, besonders aber in
den Rheingegenden und in Frankreich finden,
und daraus würde sich dann die ehemalige gro-
ſse Fruchtbarkeit der Gegenden erklären lassen,
wo eine so ungeheure Menge Holz verschüttet
liegt. Alle, von vulcanischen Ausbrüchen ent-
standene Erde nehmlich ist von ausserordentli-
cher
[110] cher Fruchtbarkeit. Man sieht dies an dem
Fuſse des Aetna, wo der Weitzen in guten Jah-
ren, die dort sehr gemein sind, heut zu Tage
das sechszigste Korn abwirft, und ehemals, wo
der Feldbau in jenen Gegenden emsiger betrieben
wurde, gar das hundertste lieferte (v). Die ge-
fallene Asche dieses Vulcans befördert so sehr die
Vegetation, daſs Erbsen, die in einem Teller
voll solcher Asche gesäet wurden, schon am drit-
ten Tage keimten, und besser fortwuchsen, als
sonst in dem fruchtbarsten Boden (w). Auch
der Meiſsner im Hessischen ist noch jetzt von
ausgezeichneter Fruchtbarkeit (x). Indeſs gegen
den vulcanischen Ursprung des Basalts und ande-
rer verwandter Gebirgsarten der Flötztrappforma-
tion lassen sich freylich noch Zweifel erheben,
obgleich der Umstand, daſs der Basalt, der doch
auf dem nassen Wege nicht anders als im Meere
erzeugt seyn kann, so höchst selten Versteine-
rungen enthält, immer ein wichtiger, und noch
von keinem Neptunisten widerlegter Grund für
die vulcanische Entstehung desselben ist.
§. 15.
[111]
§. 15.
Ehe Pflanzen waren, gab es noch keine
Landthiere: denn in keiner der Gebirgsarten, die
der Bildung der Steinkohlenflötze und der älte-
sten Ueberbleibsel von Gewächsen vorhergingen,
findet sich irgend eine Spuhr dieser Organismen.
Nur der Ocean enthielt damals lebende Bewoh-
ner; das feste Land bestand aus öden Felsen,
auf welchen noch kein Grashalm keimte, die
noch keinem Thiere zur Wohnung dienten, wo
noch nichts begraben lag, als Thierpflanzen,
Schaalthiere und Fische. Nachdem aber die Ur-
keime des Pflanzenreichs sich entwickelt hatten,
erhob sich auch das Thierreich zu höhern Stu-
fen der Organisation.
Von dieser Epoche an finden sich im Bern-
steine die ersten Spuhren von Landinsekten.
Meist lassen sich dieselben zu einem noch le-
benden Geschlechte, z. B. zu dem der Ameisen,
Mücken und Spinnen, bringen. Ob es auch
Arten darunter giebt, die noch vorhanden sind,
müssen wir unentschieden lassen. Gewiſs aber
ist es, daſs man niemals unter ihnen Wasserin-
sekten antrifft, und wahrscheinlich ist es, daſs
jene Insekten selber, und besonders die Ameisen,
vermöge der Säure, die sie excerniren, an der
Bildung des Bernsteins Antheil gehabt haben, da
man noch jetzt in einigen Gegenden, z. B. in
den
[112] den Nadelholz-Waldungen des Galizischen Gebir-
ges Pisani Kamieni, Kuchen von einem strohgel-
ben Harze findet, welches die Ameisen in ihren
Haufen verscharrt halten (y). Die Art, wie der
Bernstein gelagert ist, und die Beschaffenheit
verschiedener anderer Körper, die in demselben
eingeschlossen sind, machen es aber auch glaub-
lich, daſs die Lebenszeit jener Insekten und die
Entstehung dieser Substanz in eine spätere Pe-
riode fällt, als die ist, in welcher diejenigen
Farrnkräuter und Pflanzen lebten, wovon entwe-
der gar keine Originale, oder doch keine in der
gemäſsigten und kalten Zone des Nordens vor-
handen sind. Die Lagerstäte des Bernsteins nehm-
lich ist meist zwischen Trümmern von Pflan-
zen, die noch keinen hohen Grad von Zerset-
zung erlitten haben, z. B. zwischen Torf und
faulen Holzstücken, unter einer oft nur wenig
Schuhe tiefen Sandschichte (z). Schon dieser
Umstand deutet also auf eine neuere Entstehung
jener Substanz hin. Dann aber kömmt auch
oft in dem Bernsteine schwarze Moor- oder Pflan-
zenerde vor (a), woraus erhellet, daſs schon
lange
[113] lange vorher, ehe sich der Bernstein bildete,
Pflanzen vorhanden gewesen seyn müssen. End-
lich findet man in ihm auch Tannen- und Fich-
tennadeln, und den Tannenzapfen ähnliche Kör-
per (b), folglich Ueberbleibsel einer Pflanzenfa-
milie, die erst von späterer Entstehung ist. Ver-
muthlich gehöret daher der Bernstein, und mit
ihm diejenigen Insekten, die in ihm einge-
schlossen sind, in diejenige Periode, aus wel-
cher das bituminöse Holz und die Holzkohlen
herstammen.
Um eben die Zeit, als jene Landinsekten leb-
ten, die als natürliche Mumien im Bernsteine ent-
halten sind, waren auch schon Amphibien vor-
handen. Wir finden Ueberbleibsel dieser Thiere
in Steinschichten, die ohngefähr in derselben Pe-
riode, aus welcher die Steinkohlenflötze und Ab-
drücke fremder Gewächse herrühren, entstanden
sind. Von der Art scheinet z. B. die von Spe-
ner(c) beschriebene crocodilartige Eidechse zu
seyn, welche vor ohngefähr hundert Jahren in
der Thüringischen Kupfergrube bey Suhla vier-
zehn Lachter tief gefunden wurde. Die Stein-
art, worin sie lag, war ein kupferhaltiger Schie-
fer, der zugleich ziemlich vollständige Versteine-
run-
III. Bd. H
[114] rungen von Fischen enthielt. Die Knochen des
Crocodils waren ebenfalls, und noch mehr als der
Stein selber, mit Kupfer geschwängert. Einige
Theile desselben, unter andern die Wirbelbeine,
ragten einen Zoll hoch über die Oberfläche des
Schiefers hervor. Seine ganze Länge betrug
ohngefähr drey Rheinländische Fuſs. In dem
Profil des Kopfs- hat er Aehnlichkeit mit dem
Nilcrocodil, hingegen so wenig mit dem Gavial,
daſs es schwer zu begreifen ist, wie Faujas-St-
Fond(d) von Spener’s Abbildung und Beschrei-
bung behaupten kann: qu’un homme, un peu
exercé dans l’Anatomie comparée, ne sauroit s’em-
pecher de reconnaitre qu’elle convient parfaite-
ment à un crocodile de l’espèce du Gavial.
Drey solche fossile Crocodile wurden auch in
den Marmorbrüchen von Altdorf entdeckt. Merk
gedenkt ihrer in seinen Briefen (e), und erklärt
sie für Gaviale. Einen derselben, welcher sich
im Churfürstlichen Cabinet zu Mannheim befin-
det, hat Collini(f) beschrieben, aber unrichtig
für einen Ichtyolithen gehalten.
Ein-
[115]
Einzelne Knochen eines Crocodils wurden fer-
ner zu Rozzo an der Tyroler Gränze in einem
mergelartigen Steine, der zugleich Skelette von
Pflanzenblättern enthält (g), und die Kinnladen
eines solchen Thiers in dem Felsen bey Honfleur
gefunden. Cuvier, der die letztern untersuchte,
erklärt sie für Ueberbleibsel einer Art, die dem
Gavial verwandt, aber doch von demselben
durch auffallende Charaktere leicht zu unter-
scheiden ist (h). Eben dieser Naturforscher er-
wähnt
H 2
[116] wähnt eines, in seiner Sammlung befindlichen
Stücks eines fossilen Kopfs aus den Steinbrüchen
von Montmartre, das von einer dem Crocodil
verwandten Eidechsenart herrührt (i).
Die merkwürdigsten fossilen Knochen croco-
dilartiger Thiere sind aber diejenigen, welche in
dem Petersberge zu Mastricht zwischen Corallen,
Madreporen, Alcyonien, Echiniten, Belemniten,
Muscheln und versteinerten Hölzern gefunden
sind, und wovon Buchoz(k), Peter Camper(l),
und Faujas-St-Fond(m) Abbildungen und Be-
schreibungen geliefert haben. Peter Camper
hielt sie für Ueberbleibsel einer unbekannten
Caschelotart. Hingegen Faujas-St-Fond und
Adrian Camper(n) erklärten sie für Reste eines
Crocodils, und in der That kann man auch der
Meinung des ältern Camper schwerlich beystim-
men, wenn man erwägt, daſs die untere Kinn-
lade des Thiers von Mastricht, wie bey allen
Thieren aus der Familie der Eidechsen, aus
mehrern Stücken besteht, da bey den Wallfi-
schen, wie bey allen Säugthieren, an jeder Seite
nur
[117] nur Ein Stück vorhanden ist, und daſs sich bey
jenem, eben so wie beym Crocodil, ein Nasen-
canal findet, welcher von der Kehle bis zum
Ende der Schnauze geht, da dieser Canal bey
den Wallfischen auf der Achse des Schädels senk-
recht steht. Indeſs beweisen allerdings manche
der Gründe, worauf sich der ältere Camper
stützte, als er jenes Thier für eine Caschelotart
erklärte, eine specifische, und vielleicht gar ge-
nerische Verschiedenheit desselben von allen heu-
tigen Crocodilen. Diese haben insgesammt hohle
Zähne, bey jenem aber sind die Zähne durchaus
dicht; ausserdem hat das Thier von Mastricht
Zähne am Gaumen, die allen übrigen Crocodi-
len fehlen.
Ein anderes Amphibiengeschlecht, wovon
nicht selten fossile Ueberbleibsel vorkommen, ist
das der Schildkröten. Man hat Knochen dieser
Thiere bey Burgtonna, bey Mastricht, in der Ge-
gend von Brüssel, bey Paris und bey Aix an-
getroffen.
Von einem bey Burgtonna in einer Mischung
von Sande und blauem Thone gefundenen Frag-
ment einer Schildkrötenschaale hat Voigt(o) eine
Abbildung geliefert.
Die
H 3
[118]
Die in dem Petersberge bey Mastricht ent-
deckten Knochen von Schildkröten zeichnen sich
eben so auffallend, wie die dortigen Crocodil-
knochen, vor allen heutigen Amphibien aus.
Camper besaſs aus diesem Berge den ganzen
Rückenschild einer Schildkröte, der bey einer
Länge von vier Fuſs die so sehr geringe Breite
von sechszehn Zoll hatte (p). Zwey andere, im
Petersberge gefundene Arten, die ebenfalls sehr
wunderbar gebildet sind, hat Faujas-St-Fond(q)
abgebildet und beschrieben. Beyde haben nach
vorne auf jeder Seite einen aus drey Stücken
bestehenden Vorderarm, der wie ein Ermel ge-
bildet ist, und nach jeder Seite des Kopfs einen
ovalen Ausschnitt.
Von den fossilen Schildkröten, die in den
Kalkbrüchen von Melsbroek bey Brüssel vorkom-
men, findet man Zeichnungen bey Burtin(r)
und Buchoz(s). Lacepède und Faujas-St-
Fond
[119]Fond(t) versichern, keinen Unterschied zwischen
diesen und der Riesenschildkröte bemerkt zu
haben.
Bey Aix in der Provence giebt es eine fos-
sile Schildkrötenart, welche durch die ausseror-
dentliche Wölbung der Schaale merkwürdig ist.
Ein Exemplar, das de Lamanon(u) ausmaſs,
hatte an der Basis eine Breite von nur sechs
Zoll, aber eine Höhe von fast sieben Zoll. Keine
bekannte Art der heutigen Schildkröten hat eine
so beträchtliche Wölbung.
In der Gegend von Paris ist bis jetzt nur
erst ein einzelnes Fragment einer fossilen Schild-
kröte gefunden (v), woraus sich die Art dieses
Thiers schwerlich beurtheilen läſst.
Sehr vollständige Petrefakten von Amphibien
befinden sich auch in den Oeninger Steinbrüchen,
die so reich an den schönsten Abdrücken und
Versteinerungen von Thieren und Pflanzen aller
Art sind. Man weiſs aber schon aus dem Obi-
gen, daſs die Entstehung jener Schiefer in neue-
re Zeiten fällt. Die dortigen Amphibien sind
daher
H 4
[120] daher die nehmlichen, die noch jetzt in der
dasigen Gegend leben, z. B. gemeine Kröten (w).
§. 16.
Das Merkwürdigste aber, was aus der Periode
übrig ist, aus welcher der Bernstein und das bi-
tuminöse Holz herrührt, sind die fossilen Reste
von Säugthieren, die sich fast allenthalben in Eu-
ropa, Nordasien und Amerika finden, jene meist
colossalischen Gebeine, welche Thieren angehö-
ren, die gröſstentheils mit den jetzigen Elephan-
ten, Nashörnern, Nilpferden und Tapirn von
einerley Familie und selbst von einerley Ge-
schlechte sind, die aber meist mit keiner jetzi-
gen Thierart ganz übereinkommen, und eben
so wohl aus der lebenden Natur verschwunden
sind, wie die Encriniten und übrigen frühern
Erzeugnisse der Erde.
Fast alle, bis jetzt entdeckte fossile Ueber-
bleibsel von Säugthieren, die aus der Periode
herrühren, womit wir uns hier beschäftigen,
gehören zu den Familien der Schweine, Rinder,
Wallfische, Faulthiere und Hunde. Wir werden
zuerst diejenigen untersuchen, die schweinearti-
gen Thieren angehören.
I. Fos-
[121]
I. Fossile Ueberbleibsel schweinartiger
Thiere.
1. Elephanten.
Schon zu Theophrast’s Zeiten war es eine
bekannte Sache, daſs es gegrabenes Elfenbein
und fossile Elephantenknochen ausserhalb dem
Vaterlande der Elephanten gebe (x).
Man fand diese Fossilien in neuern Zeiten:
In mehrern Gegenden von Deutschland, z. B.
bey Canstad in Schwaben (y), im Eichstädti-
schen über dem Kalkschiefer, welcher die vielen
Abdrücke von Krebsen und Fischen enthält (z), bey
Burgtonna in Thüringen (a), in dem Leimgrunde
der
H 5
[122] der Oberneustadt von Cassel (b), bey Potsdam
an einem hohen Ufer der Havel in einem dahin
absetzenden Sandflötz, welches Thon zur Unter-
lage hat (c), an den Ufern der Elbe in Böh-
men (d), vorzüglich aber in der Gegend des
Rheins. Merk versichert, in der obern Graf-
schaft Katzenellenbogen, und in den benachbar-
ten Ufern des Rheins und Neckars, in einem
Umfange von 15 bis 20 Stunden, mehr als 50
Exemplare von Elephanten angetroffen zu ha-
ben (e).
Im ehemaligen Polen und in Ungarn. Be-
schreibungen und Abbildungen von Elephanten-
zähnen, die an verschiedenen Orten dieser Län-
der ausgegraben wurden, haben Conrad Ges-
ner(f) und Marsigli(g) geliefert. Fossilen
Elfen-
[123] Elfenbeins, das sich bey Danzig, an der Weich-
sel nicht weit von Warschau, und in der Unga-
rischen Drachenhöhle fand, gedenken Klein(h)
und Rzaczinski(i).
In Podolien. Hacquet(k) erwähnt dortiger
Elephantenzähne und Seethierschaalen in weissem
Mergel.
In Galizien. In den Salzwerken von Wie-
liczka hat man Backenzähne und andere Knochen
von Elephanten, nebst vielen Muscheln und Ge-
häusen von andern Seethieren, angetroffen (l).
In Italien. Am Ende des sechszehnten Jahr-
hunderts fand man fossile Elephantenknochen zu
Viterbo (m). In neuern Zeiten wurden derglei-
chen Gebeine von Fortis(n) und dem Duc de
la Rochefoucault(o) bey Rom, und zwar von
dem
[124] dem letztern ein Eckzahn in vulcanischer Tuffa
entdeckt.
In der Schweitz. Eines Backenzahns von
einem Elephanten aus der Birse nicht weit von
Basel gedenkt Andreä(p).
In Frankreich. Unter Kaiser Carl VII im
Jahre 1456 wurden nicht weit von Valence Ue-
berbleibsel eines Elephanten ausgegraben (q).
Neuere Beyspiele von fossilem, in Frankreich
gefundenen Elfenbeine erzählt Buffon(r). Einen
Elephantenzahn, welcher zu Darbres im Depar-
tement Ardéche gefunden wurde, hat Faujas-
St-Fond beschrieben (s).
In Holland. Ein von Camper untersuchtes
Stück eines Elephantenschädels, das von einem
jüngern Thiere zu seyn schien, wurde in der
Gegend von Herzogenbusch (t), und ein Hüft-
bein mit einem Wirbelknochen von einem ältern
Thiere im Bommeler-waard gefunden (u).
In
[125]
In England. Zu Northampton traf man
Fragmente von Eckzähnen, und nicht weit da-
von den Backenzahn eines Elephanten im Sande
an (v). In Staffordshire fand sich die Kinnlade
eines Elephanten in Mergel (w), und bey Lon-
don fossiles Elfenbein (x).
In Irland. Im westlichen Theile dieser In-
sel wurden vier Fuſs unter der Erde groſse zer-
reibliche Knochen mit vier groſsen Backenzäh-
nen, wahrscheinlich von einem Elephanten, aus-
gegraben (y).
In Ruſsland entdeckte man Backenzähne von
Elephanten am Bache Usen, der sich in den II
ergieſst, und in den kupferhaltigen Schichten
bey Djoma (z); ferner in den Kupfergruben am
Bache Sfensa, und am Flusse Ufa (a).
In
[126]
In Island. Bartholin hat Nachricht von
fossilem Elfenbeine gegeben, welches in dieser
Insel gefunden war (b).
In Siberien. Von den dortigen Elephanten-
knochen handeln, nebst mehrern andern Schrift-
stellern, vorzüglich Ysbrand Ides(c), Tatit-
schow(d), Breyne(e), der ältere Gmelin(f)
und Pallas(g). Dem Berichte des letztern zu-
folge giebt es im ganzen nördlichen Asien vom
Flusse Tanais an bis zum äussersten, Amerika
gegen über liegenden Ende der alten Welt keinen
gröſsern Fluſs, in dessen Bette oder Ufern nicht
Knochen von Elephanten und andern groſsen
fremdartigen Thieren gefunden wären und noch
angetroffen würden. Doch gilt dies besonders
von denjenigen Flüssen, die ihren Weg durch
Steppen nehmen: denn im Allgemeinen läſst sich
behaupten, daſs die Siberischen Gebirgsketten,
die sich mit ihren uranfänglichen Felsen durch
ganz Asien erstrecken, eben so wenig Ueberbleib-
sel
[127] sel von fremden Landthieren, als von Seekörpern
enthalten. Man findet auch nie, oder doch nur
sehr selten diese Fossilien in sehr niedrig gele-
genen, sumpfigen Gegenden. Aber allenthalben,
wo sich die letzten Hügel der Siberischen Alpen
in Ebenen verliehren, und vorzüglich, wo wei-
te, sandige Steppen folgen, sind die Ufer der
Flüsse auch reich an Knochen und andern Re-
sten ausländischer Thiere. Sie finden sich in
gleicher Menge unter allen Graden der Breite
von der Bergzone an, die das nördliche Asien
nach Süden begränzt, bis zu den Küsten des Eis-
meers. Ja, das beste Elfenbein wird in der
Nähe des nördlichen Polarcirkels und in den al-
leröstlichsten Gegenden von Asien, die weit käl-
ter sind als Europa, obgleich sie mit diesem
Welttheile unter einerley Graden der Breite lie-
gen, und deren Boden blos im Sommer und
auch dann nur an der Oberfläche aufthaut, aus-
gegraben. An einigen Orten liegen Knochen
gröſserer und kleinerer Thiere beysammen, so
daſs es scheint, als ob hier ganze Heerden von
Thieren ihr Grab gefunden hätten. An andern
Stellen hingegen trifft man nur die Ueberbleibsel
von einigen Thieren, oder auch nur von einem
einzigen an. Fast immer aber liegen sie zer-
streut, und wie von den Wellen umhergeworfen,
mit Schichten von angeschwemmtem Sande be-
deckt, und oft mit Ueberbleibseln von Meerthie-
ren
[128] ren vermischt. Am Irtisch fand Pallas sogar
zwischen den Knochen von Elephanten, Büffeln
und Nashörnern Fragmente von andern Knochen,
die der Form und Textur nach blos von den
Schädeln gröſserer Meerfische seyn konnten.
Hingegen unterhalb Krasnojarsk am Jenisei, wo
auch einzelne Elephantenknochen ziemlich häufig
sind, trifft man keine Spuhr von Seekörpern,
wohl aber Stücke von Weiden- und Knüppelholz
an, welche offenbar im Wasser vorher gerollt
und abgenutzt worden sind, ehe sie in der Erd-
lage, welche sie versteinert hat, ihr Lager ge-
funden haben.
Nach der Erzählung des ältern Gmelin kom-
men in der Gegend von Swiatoi-Noſs auch Ele-
phantenknochen in Torflande vor. Unter andern
traf man einen ganzen Schädel mit einem noch
daran sitzenden, und einem daneben liegenden
Fangzahne, und nicht weit von dieser Gegend,
ebenfalls im Torfe, einen fossilen Ochsenkopf an.
Ides erzählt, daſs einer seiner Reisegefähr-
ten, der jährlich auf das Sammeln von fossilem
Elfenbeine ausging, in gefrornem Erdreiche ei-
nen ganzen Elephantenkopf mit dem Fleische,
das aber sehr verdorben war, mit den Hauzäh-
nen, die noch so fest in der Kinnlade saſsen,
daſs sie nur mit vieler Mühe davon getrennt
werden konnten, und mit den Halswirbeln, die
noch
[129] noch wie mit Blute gefärbt waren, und dane-
ben einen Fuſs, der so dick war, wie der Leib
eines Menschen von mittelmäſsiger Statur, gefun-
den habe.
In der Tartarey (h).
Im nördlichen Afrika. Bey Tunis wurde
im siebenzehnten Jahrhundert, unter mehrern an-
dern colossalischen Knochen, ein Backenzahn
gefunden, und an Peiresc geschickt, der ihn
mit den Zähnen eines lebenden Elephanten ver-
glich und ihn für ein Ueberbleibsel dieser Thier-
art erkannte (i).
In Amerika. Am Ohioflusse sind schon seit
hundert Jahren viele einzelne Elephantenknochen
gefunden worden (k). Der Ort, wo diese Fos-
silien dort zuerst in groſsen Haufen beysammen
liegend entdeckt wurden, ist ein niedriger Hügel
an der Ostseite des Ohio. Nachher traf man
sie auch in Nordcarolina, in Pensylvanien und
Newyork an. Auch erwähnt Catesby eines in
Südca-
III. Bd. I
[130] Südcarolina ausgegrabenen Eckzahns vom Ele-
phanten, und Kalm eines im Lande der Illinois
gefundenen ganzen Gerippes (l). Von diesem
letztern ist indeſs nichts Näheres bekannt gewor-
den. Ein vollständiges, von Peale zusammen-
gebrachtes Gerippe aber hat Domeier(m) be-
schrieben. Dieses wurde im Jahre 1801 zu New-
york, in der Nachbarschaft von Newburgh, ohn-
weit dem Hudsonflusse, ohngefähr 67 Englische
Meilen von der Stadt Newyork entdeckt. Die
oberste Lage der dortigen Gegend ist Torf; dann
folgt eine mit langen gelben Baumwurzeln ver-
mischte Schichte vegetabilischer Erde; darunter
liegt eine andere; zwey Fuſs hohe Schichte von
grauem Mergel; die folgende besteht aus Schaal-
thieren, und unter dieser werden kleine Steine und
Schiefer gefunden, welche auf Thonerde ruhen.
Die mehresten Knochen sind in der zweyten und
dritten Lage gefunden worden, und in der letztern
am vollständigsten erhalten, so daſs, wenn ein
Knochen in beyden Schichten lag, er in der zwey-
ten verweset, in der dritten aber gut erhalten war.
Die Nachbarschaft dieser Gegend soll mit verstei-
nerten Schaalthieren ganz bedeckt seyn.
Aber
[131]
Aber nicht nur das nördliche Amerika, son-
dern auch die südliche Hälfte dieses Welttheils
enthält Ueberbleibsel von Elephanten. Von Hum-
boldt erhielt solche Fossilien von der Höhe des
Campo de Gigante bey Sante-Fe, welche 1350
Toisen beträgt, aus Timana, Ibarra und Chili (n),
und nach der Erzählung des Azara(o) hat man
oft an der Mündung des Plataflusses riesenartige
Knochen von Landthieren gefunden.
Es war nöthig, diese Thatsachen so um-
ständlich darzustellen, da sie uns in der Folge
wichtig seyn werden. Jetzt entsteht die Frage,
wie sich jene fossilen Elephantenknochen zu de-
nen der noch lebenden Elephantenarten verhal-
ten? Der letztern giebt es bekanntlich zwey, die
Afrikanische und die Asiatische. Die un-
terscheidenden Merkmale der erstern sind: eine
convexe Stirn, und Backenzähne, deren Kronen
auf den Endflächen mit Queerrauten besetzt sind;
die der letztern: ein höherer Kopf, eine flachere
Stirn, kleinere Fangzähne, und Backenzähne,
deren Kronen auf den Endflächen wellenförmige
Queer-
I 2
[132] Queerstreifen haben. Von fossilen Elephanten
sind schon mehrere Arten entdeckt worden. Die
häufigsten sind der Mammouth und das Ohio-
thier. Bey dem Mammouth (Elephas mam-
montens Cuv.) ist der Schädel nach oben spit-
zer, und das Verhältniſs der Höhe zur Länge
gröſser, wie bey irgend einer andern Elephanten-
art; die hervorstehenden Wände der Fangzahn-
höhlen sind länger, die Cavitäten selber weiter,
und das schnabelförmige Ende der untern Kinn-
lade stumpfer, als bey den übrigen Gattungen;
die Backenzähne sind mit zahlreichen und gera-
den Queerstreifen bezeichnet. Endlich das Ohio-
thier (Elephas Americanus Pennant. et Cuv.)
hat an den Kronen der Backenzähne mehrere
parallele Reihen von conischen Spitzen, und,
ohne höher zu seyn als der Afrikanische Ele-
phant, stärkere und dichtere Knochen (p).
Von dem Mammouth sind die meisten der
Knochen, die in Asien und Europa vorkommen;
von dem Ohiothiere die mehresten derer, die in
Amerika und besonders am Ohio gefunden wer-
den. Doch giebt es auch Ueberbleibsel der er-
stern Art in Amerika, und der letztern in der
alten
[133] alten Welt, z. B. bey Siena (q), und auf der
westlichen Seite des Ural an dem in den weis-
sen Fluſs (Bielaja) flieſsenden Bache Schebysy
wo auch versteinertes Holz vorkömmt (r).
Der Mammouth lebte, gleich den heutigen
Elephanten, ohne Zweifel blos von Vegetabilien.
Das Ohiothier nähert sich, durch die schneiden-
den Hervorragungen der Backenzähne, einiger-
maaſsen den fleischfressenden Thieren. Wenn
aber Wilhelm Hunter(s) und Rembrand Pea-
les(t) hieraus folgern, daſs diese Art ein wirk-
liches Raubthier war, so streitet dagegen, wie
schon Camper erinnert hat, der Umstand, daſs
sie offenbar nicht anders, als vermittelst eines
Rüssels, ihre Nahrung zu sich nehmen konnte.
Von einer andern fossilen Elephantenart, die
dem Ohiothiere nahe verwandt, aber seltener
gewesen zu seyn scheinet, rühren die von Reau-
mur(u), Lommer(v) und Mayer(w) beschrie-
benen
I 3
[134] benen Zähne und Knochen her, die sich bey der
Stadt Simore in Nieder-Languedoc und bey Les-
sa in Böhmen finden, und vermittelst des Feuers
in eine, dem ächten Orientalischen Türkis ähn-
liche Materie verwandeln lassen. Die Zähne,
die man in jenen Gegenden antrifft, sind von
verschiedener Art. Einige, welche offenbar
Backenzähne sind, haben die Gröſse einer ge-
ballten Hand, und ähnliche conische Hervorra-
gungen, wie die Backenzähne des Ohiothiers (x).
Diese zeigen, wenn sie abgenutzt sind, die Fi-
gur eines Kleeblatts, und solche sind es, die
Buffon in seinen Epochen der Natur abgebildet,
aber unrichtig für Zähne des Nilpferdes gehalten
hat. Ausser diesen giebt es noch zwey kleinere
Arten von Backenzähnen. Bey der einen ist die
Krone mit vier (y), bey der andern mit zwey
kegelförmigen Zacken (z) besetzt. Beyde haben
an der Wurzel vier Höhlungen, die sich bis in
die Zacken erstrecken. Bey denen, die nur mit
zwey Zacken versehen sind, sieht man ausser-
dem noch zwey Höhlungen unten am Anfange
dieser Hervorragungen. Ferner trifft man auch
Hauzähne, welche die Form eines gekrümmten
Kegels haben (a), und Knochenstücke an, wo-
von
[135] von einige hundert Pfund gewogen haben sollen.
Aber die Knochen sind so weich und zerreiblich,
daſs sie nur bey einzelnen Stücken aus ihrem
Lager gezogen werden können.
Es gab also mehrere Elephantenarten der
Vorwelt, die nicht mehr in der jetzigen leben-
den Natur vorhanden sind. Aber existirten mit
diesen auch schon die heutigen Gattungen des
Elephantengeschlechts? Zur Beantwortung dieser
Frage fehlt es noch an hinreichenden Beobach-
tungen. Doch versichern Autenrieth(b) und
von Humboldt(c), Zähne des Afrikanischen Ele-
phanten in Amerika gefunden zu haben.
2. Nashörner.
Fast eben so häufig, wie fossile Elephanten-
knochen, sind fossile Gebeine von Nashörnern.
Hollmann erhielt theils von einem, zwi-
schen Harzfeld und Osterode gelegenen Hügel
aus einem Lager von Mergel, theils aus der
Scharz-
I 4
[136] Scharzfelder Höhle eine Menge Rhinozeroskno-
chen, die von vier erwachsenen und einem jün-
gern Thiere herrührten (d).
In der Gegend von Burgtonna, welche durch
das im Jahre 1695 daselbst ausgegrabene Elephan-
tengerippe berühmt ist, wurde auch ein Zahn aus
dem Oberkiefer eines Rhinozeros gefunden (e).
Nashornknochen, welche in dem Zauniken-
berge bey Quedlinburg, wo sich auch im Jahre
1663 das Gerippe fand, dessen Leibnitz in sei-
ner Protogaea gedenkt, und für ein Einhorn
hielt, ausgegraben wurden, hat Zückert be-
schrieben (e*).
Eines Theils der obern Kinnlade mit zwey
Zähnen, gefunden in der Gegend des Dorfs Issel
bey Montagne Noire, eines Zahns der untern
Kinnlade von Avignonnet, und einiger Backen-
zähne von Canstadt, erwähnt Cuvier(f).
In einer Torfgrube der Schweitzerischen Land-
schaft Turgau wurden ehedem fast täglich Nas-
horn-
[137] hornzähne gefunden. Der Chorherr Gessner er-
hielt aus derselben ein ziemlich groſses Stück
eines Unterkiefers und beyde Felsenbeine dieses
Thiers. Der Kinnbackenknochen war beym Aus-
graben so feucht, so weich, und dem ihn um-
gebenden Torf so ähnlich, daſs man ihn nicht
eher von dem letztern unterscheiden konnte, als
bis dieser vollkommen trocken war, wobey sich
der wahre Torf von dem etwas festern torfarti-
gen Kiefer meist von selbst ablöste (g).
In Ruſsland wurde ein Stück eines Nashorn-
schädels am Bache Tschelna, zwischen den Städ-
ten Neu-Scheschminsk und Staro-Scheschminsk,
gefunden (h).
Kein Land aber ist reicher an fossilen Nas-
hornknochen, und keines enthält so vollständige
Gebeine der Art, als Siberien. Hier war es,
wo im Jahre 1771 zu Irkutz am Ufer des in die
Lena sich ergiessenden Flusses Willui unter ei-
nem Sandhügel das merkwürdigste unter allen
Ueberbleibseln der untergegangenen Thierwelt,
ein
I 5
[138] ein fast vollkommenes, noch mit der Haut und
den Haaren bedecktes Rhinozeros-Gerippe von Ja-
kutischen Jägern entdeckt wurde. Pallas erhielt
von demselben den Kopf und die Füſse. Der
übrige, sehr verdorbene Leichnam war von den
Jakuten zurückgelassen. Nach dem Kopfe zu
urtheilen, muſste das Thier noch jung und kei-
nes von den gröſsten gewesen seyn. Dem Be-
richte der Finder zufolge, hatte man das Gerip-
pe auf der Stelle gemessen, und die Länge 3¾
Russische Ellen befunden, die Höhe aber auf 2½
Ellen geschätzt. Ausser der Haut und den Haa-
ren fand sich an dem Kopfe auch noch ein Theil
der Sehnen und Ligamente. Sogar die Augen-
lieder schienen nicht völlig ausgefault zu seyn.
Unter der Haut, um die Knochen, und in der
Hirnhöhle lag eine leimartige Materie, welche
vermuthlich von verwesten weichen Theilen her-
rührte. Die Haare waren weit länger und zahl-
reicher, wie sie Pallas an lebenden Nashör-
nern gesehen hatte (i).
Die meisten dieser Ueberbleibsel scheinen ei-
ner Art des Rhinozeros angehört zu haben, wel-
che mit zwey Hörnern versehen waren. An den
Sibe-
[139] Siberischen Schädeln wenigstens sind immer deut-
liche Spuhren von zwey Hörnern zu bemerken,
und oft findet man auch noch die Hörner selber.
Obgleich aber jenes Thier in diesem Stücke mit
dem jetzigen Afrikanischen Nashorne überein-
kömmt, so unterscheidet es sich doch von dem
letztern in mehrern Stücken. Der Schädel der
Afrikanischen Art ist höher, breiter und stärker,
als der des fossilen Rhinozeros; bey diesem hat
der Kopf eine mehr länglichte Form. Die Schä-
delhöhle ist gröſser bey jener, als bey diesem,
und die Scheidewand der Nase bey der erstern
knorpelartig, bey dem letztern knöchern (k).
Möglich ist es, daſs jene mit der neuen, von
Bell(l) beschriebenen zweyhörnigen Art. die
sich in Sumatra aufhält, mehr übereinkömmt.
Indeſs, wenn man sich auf Bell’s Zeich-
nung verlassen darf, so weicht doch diese in
der Form des Schädels von dem fossilen Nashor-
ne ab. Wäre es ausgemacht, daſs die fossile
Art keine Schneidezähne hatte, so würde diesel-
be auch darin dem Rhinozeros von Sumatra un-
ähnlich seyn: denn dieses hat zwey deutliche
Schneidezähne in jeder Kinnlade. Aber Pallas
glaubt, auch bey einem fossilen Nashorne vorne
in
[140] in der untern Kinnlade Spuhren von Zahnhöhlen
bemerkt zu haben, und bey dem zu Quedlin-
burg entdeckten Oberkiefer, wovon Zückert in
den Beschäftigungen der Berlinischen Gesell-
schaft (m) eine Zeichnung geliefert hat, sieht
man ebenfalls auf jeder Seite des vordern En-
des bey b eine Oeffnung, die eine Zahnhöhle zu
seyn scheinet.
Es giebt aber ohne Zweifel noch andere Ar-
ten von fossilen Nashörnern. Zuyew hat ein
Horn beschrieben, welches in Siberien gefunden
wurde, an der Wurzel etwas gekrümmt und mit
Jahrringen versehen, nach der Spitze hin conisch,
der Länge nach gefurcht, auf der einen Seite er-
haben, auf der andern etwas concav ist (n).
Vielleicht rührt dieses Horn ebenfalls von einer
eigenen Art des Rhinozeros her.
3. Paläotherien.
Eine an fossilen Knochen von Säugthieren
sehr reiche Gegend sind die Gypsbrüche von
Moutmartre bey Paris. Sie ruhen auf einer
Thonschichte, in welcher Holzkohlen gefunden
werden. Fast alle Fossilien dieser Steinbrüche
kommen in den Backenzähnen mit den schwein-
arti-
[141] artigen Thieren überein. Es gab ein Geschlecht
unter ihnen, welches 28 Backenzähne, 12 Schnei-
dezähne und 4 Hundszähne hatte, dessen untere
Backenzähne aus zwey bis drey einfachen halb-
mondförmigen Stücken bestanden, dessen obere
Backenzähne viereckig und auf der obern Fläche
mit hervorragenden Leisten besetzt waren, des-
sen Hundszähne nicht aus dem Maule hervorrag-
ten, und dessen Hinterfüſse wahrscheinlich drey
Zehen hatten. Cuvier hat dieses Geschlecht,
welches völlig ausgestorben zu seyn scheint,
mit dem Namen Palaeotherium belegt. In der
Zahl und Gestalt der Zähne nähert es sich theils
dem Rhinozeros, theils dem Tapir. In der all-
gemeinen Form des Unterkiefers, und besonders
in der hintern Krümmung desselben, so wie in
der Gestalt des Schädels, und vorzüglich der
Nasenknochen, welche kurz sind und einen Rüs-
sel getragen zu haben scheinen, und in der Ge-
stalt und Zusammensetzung der Knochen des
Hinterfuſses ist es mehr dem letztern ver-
wandt (o).
Es sind drey Arten dieses Geschlechts, die
sich in der Gröſse und in den Hinterfüſsen un-
terscheiden, von Cuvier bestimmt worden.
Die
[142]
Die mittlere Gattung (Palaeotherium medium
Cuv.) scheint die Statur eines gewöhnlichen
Schweins gehabt zu haben. Ihr Rüssel kann
nicht so zusammengesetzt gewesen seyn, wie
beym Elephanten, sondern muſs blos in einer
häutigen Verlängerung des Nasencanals bestanden
haben, wie beym Tapir: denn die Zwischen-
kieferbeine sind nicht so gestaltet, wie beym
Elephanten, und die Oeffnung, durch welche der
zum Rüssel gehende obere Maxillar-Nerve dringt,
ist eben so klein und hat eben die Lage, wie
beym Tapir, da sie beym Elephanten ausseror-
dentlich groſs ist. Die Gelenkfläche der obern
Kinnlade, in welcher sich der Condylus des Un-
terkiefers bewegt, kömmt mit keiner eines heu-
tigen Thiers überein. Am meisten noch nähert
sie sich der des Tapirs. Bey einem der Exem-
plare dieses Thiers, das Cuvier untersuchte,
war die innere Höhlung des Schädels mit Gyps
angefüllt, und der Schädel selber so mürbe,
daſs er sich von diesem Abgusse, welcher die
Form der obern Flächen beyder Halbkugeln des
groſsen Gehirns aufs genaueste darstellte, ab-
sondern lieſs. Hiernach war das Gehirn von
verhältniſsmäſsig geringem Volumen und horizon-
tal abgeplattet; statt der Windungen fand sich
auf jeder Halbkugel blos eine der Länge nach
fortgehende, schwache Vertiefung (p).
Die
[143]
Die groſse Art (Palaeotherium magnum Cuv.)
hat ganz ähnliche, aber doppelt so groſse Bak-
kenzähne, wie die mittlere. Cuvier schätzt
die Gröſse derselben auf die einer gewöhnlichen
Kuh, oder eines kleinen Pferdes (q).
Die kleinste Art hält Cuvier für so groſs,
wie ein mittelmäſsiges Schaaf. Der erste Bak-
kenzahn der untern Kinnlade ist bey dieser et-
was spitzer, wie bey der mittlern Gattung (r).
Wenn ein ganzes, ziemlich vollständiges Ske-
lett, welches bey Pantin gefunden wurde, wirk-
lich, wie Cuvier glaubt, diesem Thiere ange-
hörte, so hatte dasselbe auf jeder Seite wenig-
stens sechszehn Rippen (s).
Einige Zähne und Knochen eines Thiers,
das den Paläotherien verwandt zu seyn scheint,
erhielt Cuvier auch aus der Gegend von Orle-
ans. Wegen des Mangels der Schneidezähne
und Eckzähne konnte er aber nicht mit Gewiſs-
heit bestimmen, ob dasselbe in der That zu die-
sem Geschlechte gehörte (t).
4. Anoplotherien.
In derselben Gegend, wo die Knochen und
Zähne der Paläotherien vorkommen, finden sich
auch
[144] auch die Ueberbleibsel eines andern Geschlechts
der Schweinefamilie, das sich von allen, sowohl
lebenden, als ausgestorbenen Geschlechtern die-
ser Familie vorzüglich darin unterscheidet, daſs
die Eckzähne fehlen, und die Reihe der Backen-
zähne sich bis zu den Schneidezähnen erstreckt.
Die untere Kinnlade enthält auf jeder Seite neun
Backenzähne; die sechs vordern sind sehr ver-
schieden von den drey hintern, und noch ver-
schiedener von den Backenzähnen des Paläothe-
rium (u). Man findet auch Knochen von Hinter-
füſsen, die wahrscheinlich Thieren dieses Ge-
schlechts zugehört haben. Diese Hinterfüſse ha-
ben drey Zehen, und nähern sich in der Form
und Zusammensetzung theils den Hinterfüſsen
der schweineartigen Thiere, theils denen des Ka-
meels (v).
Von diesem Geschlechte entdeckte Cuvier
vier Arten: eine, die etwas gröſser als ein
Schwein war (Anoplotherium magnum) (w); eine
zweyte, welche die Statur eines gewöhnlichen
Schweins hatte (Anoplotherium medium) (x);
eine dritte, die nur etwas gröſser als ein Hase
war, und sich nicht nur in der Gröſse, sondern
auch
[145] auch in den Kronen der drey letzten Backen-
zähne und in der Form der untern Kinnlade
von den vorigen unterscheidet (Anoplotherium
minus) (y); endlich eine vierte, die etwas klei-
ner als ein Kaninchen gewesen seyn muſs (z).
Von dieser letztern Art ist es aber zweifelhaft,
ob sie wirklich zu diesem Geschlechte gehört,
da Cuvier blos erst die hintern Backenzähne
von ihr gesehen hat.
Die Paläotherien und Anoplotherien geben uns
also ein Beyspiel von wenigstens sechs Arten fos-
siler Thiere, welche insgesammt zur Familie der
Schweine gehören, die alle in einerley Gegend
vorkommen, und wovon keine Nachkommen
mehr übrig sind. Diese Thatsache läſst sich
nicht in Zweifel ziehen. Aber zweifelhaft ist es
noch, ob jene Arten die Gröſse hatten, die wir
nach Cuvier’s Schätzung angegeben haben. Cu-
vier hatte von mehrern jener Thiere blos sehr
verstümmelte Fragmente der untern Kinnlade vor
sich. Diese waren allerdings zur Bestimmung
der Art hinreichend. Aber wir wiederhohlen
hier noch einmal die schon oben angeführte Be-
merkung von Camper, daſs sich die Gröſse eines
Thiers nicht blos nach der Gröſse der Zähne,
und
III. Bd. K
[146] und also auch nicht der Kinnladen, schätzen
läſst. Zweifelhaft ist es auch, ob jede Art wirk-
lich solche Hinterfüſse hatte, wie Cuvier ihr
zuschreibt. Die Gründe, nach welchen dieser
Naturforscher verfuhr, als er unter den vielen
Knochen von Hinterfüſsen, die man in den Pa-
riser Gypsbrüchen neben den Zähnen und Kinn-
laden der Paläotherien und Anoplotherien antrifft,
diejenigen aufsuchte, die zu einerley Individuen
und mit diesen Zähnen und Kiefern zu einer-
ley Art gehören, sind allerdings sehr scharfsin-
nig. Indeſs geben sie immer nur Wahrschein-
lichkeit, nicht Gewiſsheit.
5. Tapire.
Fossile Tapire kommen vorzüglich in Frank-
reich vor. Bis jetzt sind zwey Arten dersel-
ben entdeckt worden, eine kleinere und eine
gröſsere.
Von der kleinern Gattung fanden sich zwey
Bruchstücke der untern Kinnlade am schwarzen
Berge (Montagne Noire) beym Dorfe Issel in Lan-
guedoc. So viel sich hieraus schliessen läſst, nä-
herte sich diese Art in der Gröſse und Gestalt
dem heutigen Tapir. Indeſs sind bey dem letz-
tern die Kronen der sämmtlichen Backenzähne in
zwey gleich breite Queerhügel getheilt; bey der
erstern aber haben die drey ersten Backenzähne
zwey
[147] zwey pyramidalische Erhabenheiten, von wel-
chen die vordere breiter als die hintere ist.
Auch ist bey jener fossilen Art der vordere Theil
der Kinnlade schmaler und länger, als bey dem
Tapir (a).
Die gröſsere Art, wovon nur erst sehr ver-
stümmelte Fragmente der Kinnladen bey Vienne
in Dauphine, bey Saint-Lary in Comminge,
und in Italien gefunden sind, nähert sich durch
die Form der Backenzähne, deren sie wenigstens
sechs auf jeder Seite gehabt haben muſs, sowohl
dem Manati und Känguruh, als dem Tapir.
Da aber an allen jenen Bruchstücken die Schnei-
dezähne und Eckzähne fehlten, so läſst sich das
Geschlecht, zu welchem jenes Thier zu rechnen
ist, mit Gewiſsheit nicht bestimmen. Nach Cu-
vier’s Schätzung muſs aber auf jeden Fall die
Gröſse desselben sehr beträchtlich gewesen seyn.
Denn, sagt er, hatte es einerley Verhältnisse
mit dem Tapir, so war es um ein Viertel grö-
ſser, als das Rhinozeros, und gehörte es zu
einerley Geschlechte mit dem Manati oder Kän-
guruh, so übertraf es jenen fünfmal und diesen
achtmal an Gröſse (b). Wir müssen aber auch
hier
K 2
[148] hier an die angeführte Campersche Bemerkung
erinnern.
6. Fluſspferde.
In Frankreich und andern Ländern hat man
Zähne und Fragmente von Kinnladen gefunden,
die, nach Cuvier’s Versicherung, in allen Stük-
ken mit dem Hippopotamus übereinkommen (c).
Nach einer andern Anzeige von Cuvier zeig-
te ein Sandstein, welcher wahrscheinlich aus der
Gegend von Orleans herrührte, beym Zerspren-
gen eine ziemliche Menge von Zähnen und an-
dern Knochen, die mit den analogen Theilen des
Fluſspferdes völlig übereinkamen, aber nur
halb so groſs waren, und, wie jener Naturfor-
scher glaubt, einem Thiere gehört haben müs-
sen, welches, obgleich völlig ausgewachsen,
nicht viel gröſser als ein Schwein gewesen seyn
kann (d).
II. Fossile Ueberbleibsel von Rindern.
1. Ochsen.
Vermischt mit den Knochen von Elephanten
und Nashörnern liegen in den kalten und gemä-
ſsig-
[149] ſsigten Ländern der nördlichen Erdhälfte unge-
heure Schädel, Hörner und andere Gebeine von
Ochsen, die selbst den Amerikanischen Bison,
das gröſste unter den heutigen Landthieren nächst
dem Rhinozeros und Nilpferde, an Gröſse über-
treffen. Am häufigsten kommen sie, gleich dem
Mammouth und dem fossilen Nashorne, in Sibe-
rien und selbst noch im äussersten Norden die-
ses Theils von Asien vor (e). Billings traf
sie in der Nähe des Eismeers unter 69° 35′ N.
Br. zwischen Elephantenzähnen und Rhinozeros-
hörnern an. Aber auch in Deutschland, Preus-
sen, Frankreich, Italien und zu Kentuckey in
Nordamerika sind diese Fossilien gefunden wor-
den. Einen bey Dirschau in der Gegend von
Danzig ausgegrabenen Schädel hat Klein(f), ein
Horn mit einem Theile des Stirnbeins aus der
Gegend zwischen Liboch und Melnik in Böhmen
Mayer(g), und ein Horn, welches in Frank-
reich entdeckt wurde, Buffon(h) beschrieben.
Im Eichstädtischen wurde ein ziemlich vollstän-
diger
K 3
[150] diger Kopf in demselben Lager gefunden, worin
die dortigen Elephantenknochen vorkommen (i).
Es giebt mehrere Arten dieser fossilen
Ochsen.
Bey der einen Art sind die Hörner rück-
wärts und nach innen gekrümmet, eckig und
sehr runzlich; der obere Theil des Schädels ist
glatt, die Stirne sehr breit und flach; die Au-
genhöhlen stehen röhrenförmig hervor, und der
Oberkiefer ist sehr breit. Diese Art ist die von
Klein und Pallas in den angeführten Abhand-
lungen beschriebene, welche so häufig in Siberien
vorkömmt. An einem, von dem letztern aus-
gemessenen Schädel hatte der knöcherne Kern der
Hörner 14 Zoll im Umfange, da diese Periphe-
rie bey dem gröſsten Auerochsen kaum über 8
Zoll ist (k).
Bey der zweyten Art nehmen die Wurzeln
der Hörner fast die ganze Stirne ein, sind blos
durch einen engen Canal, der kaum die Breite
eines kleinen Fingers hat, von einander getrennt,
und haben an der Aussenseite einen sehr starken
conischen Fortsatz, welcher fast vertical an der
Schläfe herabgeht. Diese, ebenfalls von Pal-
las
[151]las(l) beschriebene Gattung kömmt an der
Mündung des Ob in der Nähe des Eismeers vor.
Pallas(m) und Camper(n) erklären sie für
einerley mit dem Moschus-Ochsen. Hier hätten
wir also ein Beyspiel von Fossilien, deren noch
lebende Originale im äussersten Norden von Ame-
rika einheimisch sind. Indeſs gehören diese
Knochen, nach der Versicherung von Pallas,
keinesweges in Eine Classe mit den übrigen fos-
silen Säugthieren des nördlichen Asiens. Sie
liegen an der Oberfläche der Erde, sind noch
ganz frisch, und blos von der Athmosphäre et-
was angegriffen. Wahrscheinlich also rühren sie
von Moschus-Ochsen her, die erst in neuern
Zeiten an der West-Küste von Nordamerika
durch irgend einen Zufall ins Meer gerathen,
und von dorther nach der Siberischen Küste her-
übergeführt sind (o).
Eine dritte, von Faujas-St-Fond(p) be-
stimmte Art unterscheidet sich darin, daſs die
Hör-
K 4
[152] Hörner von der Wurzel an bis zu der Länge von
einem Fuſs drey Zoll fast horizontal liegen, und
die Stirne zwischen den Hörnern mit einer knö-
chernen Hervorragung besetzt ist. Der Schädel,
wovon Faujas-St-Fond diese Charaktere herge-
nommen hat, befindet sich im Pariser Museum
der Naturgeschichte ohne Anzeige des Orts, wo
er gefunden ist. Peales soll aber ein Horn von
derselben Art in Kentuckey angetroffen, und Pa-
trin ähnliche in Siberien gesehen haben (q).
2. Hirsche.
Ausserordentlich groſse Geweihe hirscharti-
ger Thiere, die häufig in Irland ausgegraben
werden, hat Molineux beschrieben (r). Unter
andern gedenkt er eines 2 Fuſs langen Schädels,
dessen Geweihe sich 10 Fuſs 10 Zoll weit aus-
breiteten, mit zwey Seitenästen und einem sehr
breiten, handförmigen Ende versehen waren.
Aehnlicher, in Lancashire und Yorkshire ge-
fundener Geweihe erwähnen Hopkins(s) und
Knowlton(t).
Nach
[153]
Nach Arthur Young sind die Lagerstellen
dieser Geweihe in Irland sehr oft Torfmoore,
und nach der Erzählung des Pontoppidan ent-
halten die Dänischen Moore ebenfalls häufig
Hirschgeweihe.
Ein groſses und seltsam geformtes Geweih
wurde auch im Rhein bey Worms im Jahre 1771
gefunden. Es wog 28 Pfund Fleischergewicht.
Da es aber nicht die völlige Länge hatte, indem
die ganze Krone und nach Proportion noch ein
Ende fehlten, so muſs das Gewicht desselben
zwischen 40 und 50 Pfund betragen haben. Die
Höhe von der Stelle, wo jede Stange auf dem
Schädel in gewissen Jahreszeiten festgewachsen
ist, bis an den Bruch belief sich auf 3 Fuſs 4
Zoll, der Umfang jener Stelle auf 1 Fuſs (u).
Alle diese Geweihe haben ausser ihrer unge-
wöhnlichen Gröſse noch dies mit einander ge-
mein, daſs sie gleich von der Basis an ästig,
und nach oben abgeplattet sind. Diese Charak-
tere passen aber auf keine bekannte Gattung der
jetzigen hirschartigen Thiere. Jene Fossilien müs-
sen daher einer untergegangenen Art des Hirsch-
ge-
K 5
[154] geschlechts zugehört haben (v). Inzwischen giebt
es allerdings auch in eben den Gegenden, wo
jene Geweihe vorkommen, fossile Knochen, die
theils vom Elenn, theils vom Rennthiere zu
seyn scheinen. Vom Elenn sind vermuthlich
die von Kelly(w) beschriebenen Geweihe, die
in Irland gefunden wurden, und daſs auch Renn-
thiergeweihe in Irland angetroffen werden, ver-
sichert Mortimer(x).
3. Antilopen.
Ein fossiles, in Siberien gefundenes Horn,
welches denen der Antilope Oryx Pall., die in
Aegypten, der Levante, Arabien, Indien und am
Cap lebt, sehr ähnlich ist, führt Pallas(y) an.
Auch giebt es, Esper’n zufolge, Antilopenhörner
neben den Ueberbleibseln von Elephanten und
Büffeln, die im Eichstädtischen vorkommen (z).
4. Ciraffen.
D’Aubenton fand in der Sammlung des Ga-
ston von Frankreich, eines Bruders Ludwig XIII,
einen
[155] einen Radius, der von keinem andern Thiere,
als der Giraffe herrühren konnte (a). Indeſs
sagt D’Aubenton nicht, wo dieser Knochen ge-
funden ist.
Eine merkwürdige, die fossilen Ueberbleib-
sel von wiederkäuenden Thieren betreffende That-
sache ist übrigens noch diese, daſs eine so gro-
ſse Menge derselben auf dem Felsen von Gi-
braltar, und in den senkrechten Spalten der
Schichten des Thals von Ruda auf der Insel
Lissa bey Dalmatien (b) vorkömmt, und daſs
sie in beyden, so weit von einander entfernten
Gegenden auf eine ganz ähnliche Art gelagert sind.
Sie liegen sowohl hier, als dort, in einem mit
einem unregelmäſsigen Spath, Fragmenten eines
blauen Marmors und Schaalen von Erdschnecken,
die aber immer leer sind, vermischten Stalaktit,
in kleinen Bruchstücken unordentlich unter einan-
der (c). Doch gehören sie nicht in einerley
Classe mit den bisher erwähnten Fossilien: denn
offenbar sind die kalkartigen Concremente, wor-
in sie sich befinden, Niederschläge aus dem Re-
genwasser, und von ganz neuer Entstehung (d).
Man
[156] Man trifft daher auch unter jenen Fossilien noch
lebende Arten an. Camper(e) besaſs ein Stück
des Stalaktits von Gibraltar mit vier Kinnladen
von Kaninchen, und Imrie fand in dieser Stein-
art den Kopf eines Schaafs mit allen zugehöri-
gen Zähnen, deren Schmelz noch vollkommen
erhalten war (f). Aber merkwürdig bleibt es
immer, daſs in so entlegenen Gegenden so viele
ähnliche, und auf eine so ähnliche Art gelagerte
Fossilien vorkommen.
III. Fossile Ueberbleibsel von Wallfischen.
Nach Kalm’s Erzählung wurde in der Nähe
von Quebeck, wo jetzt kein Seewasser ist, ein
ganzes Wallfischgerippe gefunden (g). Vielleicht
aber ist dieses erst in neuern Zeiten dahin gera-
then. Aeltern Ursprungs war vermuthlich ein
fossiler Wallroſszahn, den Bartholin aus einer
Gegend von Island erhielt, wo auch fossiles El-
fenbein gefunden wurde (h).
Fossile Knochen einer Wallfischart, welche in
einer Tiefe von 180 Fuſs in dem Alaunschiefer
von Whitby zu Yorkshire gefunden wurden, ha-
ben
[157] ben Chapmann(i) und Wooller(k) beschrie-
ben, aber unrichtig für Ueberbleibsel eines Ga-
vials gehalten (l).
Bey Paris an der Seine wurde ein, über 4
Fuſs langes Bruchstück eines Knochens in Thon
gefunden, das, nach D’Aubenton’s Untersuchun-
gen, von der Basis des Schädels eines Thiers aus
der Familie der Wallfische herrührte (m).
IV. Fossile Ueberbleibsel von Faulthieren.
Zu Paraguay, in der Nähe des Plataflusses,
hundert Fuſs tief in einem sandigen Boden,
wurde ein Gerippe entdeckt, das bis auf den
Schwanz und einige Paare Knochen, die durch
Modelle von Holz ersetzt werden konnten, voll-
ständig war, im Museum zu Madrit aufgestellt,
und von Abilgaard(n), Cuvier(o) und Gim-
bernat(p) beschrieben ist.
Die-
[158]
Diesen Beschreibungen zufolge beträgt die
Länge jenes Skeletts 12 Fuſs, die Höhe 6 Fuſs.
Die Wirbelsäule hat 7 Hals-, 16 Rücken- und 4
Lendenwirbel, also 16 Rippen. Das Kreutzbein
ist kurz; die Darmbeine sind sehr breit; ihre
Flächen stehen beynahe senkrecht gegen das
Rückgrat; sie bilden daher ein sehr weites Bek-
ken. Schaam- und Sitzbeine fehlen an diesem
Gerippe, und man sieht auch keine Spuhr von
einer ehemaligen Gegenwart derselben bey dem
lebenden Thiere. Die Oberschenkel, und noch
mehr die Knochen der Unterschenkel sind von
ausserordentlicher Dicke, wie bey den Schuppen-
thieren. Die ganze Fuſssohle berührt im Gehen
die Erde, wie bey allen Thieren aus der Fami-
lie der Faulthiere. Das Schulterblatt ist viel
breiter, als lang. Es sind vollkommene Schlüs-
selbeine vorhanden. Die beyden Knochen des
Vorderarms sind deutlich abgesondert und um
einander beweglich. Die vordern Gliedmaaſsen
übertreffen die hintern an Länge, und auch hier-
in kömmt also dieses Thier mit der Familie der
Faulthiere überein. Aber die Gelenkhöhlen der
Schenkelknochen liegen nicht, wie bey allen
übrigen Thieren, schräg an der Seite, sondern
beynahe horizontal an der Stelle der Sitzbeine.
Der Schenkelknochen hat daher keinen schräg
liegenden Hals, sondern der Kopf sitzt an der
Spitze der Axe jenes Knochens. Die Gestalt der
Nagel-
[159] Nagelglieder läſst vermuthen, daſs die Nägel sehr
groſs und spitz gewesen seyn müssen, und am
Grunde in einer knöchernen Scheide gesteckt
haben. Es scheint, als wenn an den Vorder-
füſsen ihrer drey, und an den Hinterfüſsen nur
ein einziger vorhanden gewesen sey, und daſs
die Nägel der übrigen Zehen unter der Haut ver-
borgen gelegen haben. Diese Struktur findet
ebenfalls bey den heutigen Faulthieren und Amei-
senfressern statt; nur die Zahl der Nägel ist bey
diesen verschieden.
Am meisten aber zeichnet sich an jenem Ske-
lett der Kopf aus. Das Hinterhaupt ist lang
und platt, der Vorderkopf aber ziemlich gewölbt;
die beyden Kinnladen treten schnabelförmig her-
vor; sie haben, gleich den Kiefern der sämmtli-
chen Faulthiergeschlechter, keine Schneidezähne
und Eckzähne; allein hinten im Maule befinden
sich an jeder Seite, sowohl oben, als unten,
zwey Backenzähne mit zweyspitzigen Kronen.
Die Zweige des Unterkiefers sind sehr groſs,
wie bey dem Faulthiere und Elephanten, und
vom Jochbogen geht ein langer Fortsatz nach
unten herab, wie beym Känguruh.
Aus dieser Beschreibung erhellt, daſs jenes
Thier, welches Cuvier mit dem Namen Mega-
therium Americanum belegt hat, nicht nur
der Art, sondern auch dem Geschlechte nach von
allen
[160] allen bekannten Gattungen der heutigen Thiere
gänzlich verschieden ist, indem keines der letz-
tern drey Nägel an den Vorderfüſsen und einen
an den Hinterfüſsen hat, bey keinem die Sitz-
und Schaambeine ganz fehlen, bey keinem die
Schenkelknochen ohne einen besondern Hals un-
mittelbar mit den Darmbeinen artikuliren, und
keines eine solche Organisation des ganzen Kör-
pers bey einer solchen Gröſse besitzt. Man sieht
aber auch, daſs es, der Beschaffenheit der Zähne
und Nägel wegen, mit der Familie der Faulthie-
re am nächsten verwandt ist.
V. Fossile Ueberbleibsel hundeartiger
Thiere.
1. Bären.
In verschiedenen Gegenden des mittlern Eu-
ropa, und zwar blos in Höhlen, giebt es fos-
sile Knochen, die ehedem für Drachenknochen
galten, die aber in der That einem Thiere aus
dem Geschlechte der Bären angehört haben. Man
fand sie in der Baumann’s- und Scharzfelder
Höhle (q), in mehrern Höhlen des Baireuther
Ober-
[161] Oberlandes, vorzüglich der Gailenreuther (r), bey
Kahlendorf im Eichstädtischen (s), und in ver-
schiedenen Höhlen Ungarns und Siebenbürgens (t).
In der Gegend von Gailenreuth, die am meisten
wegen dieser Fossilien berühmt ist, zeugt eine
ungeheure Menge Conchylien, die auf der Ober-
fläche und im Innern der dortigen Berge ver-
steinert liegt, von ehemaligem Meeresboden.
Es giebt nur zwey Arten unter den heutigen
Bären, womit diese fossile Art, ihrer Gröſse
wegen, verglichen werden kann, nehmlich den
Landbären (Ursus arctos L.) und den Eisbären
(Ursus maritimus L.). Aber von dem Landbären
unterscheidet sie sich schon auf den ersten Blick
in der Form und Gröſse des Kopfs. Der Kopf
des
III. Bd. L
[162] des fossilen Bären ist, von der Grundfläche an
gerechnet, am höchsten bey den Erhabenheiten
des Stirnbeins, die sehr stark sind; eine von
dieser Hervorragung auf den untersten Rand des
Unterkiefers senkrecht gezogene Linie theilt den
Längendurchmesser (von den Schneidezähnen bis
zur Spitze des Hinterhauptknochens) in zwey,
fast gleiche Theile; die Länge dieses Durch-
messers beträgt 16″ 11‴ und die Breite zwischen
den Jochbogen 8″ 10‴. Der Kopf des Landbären
hingegen hat seine gröſste Höhe nicht bey den
kaum sichtbaren Erhabenheiten des Stirnbeins,
sondern weiter hinten da, wo das Stirnbein an
die Scheitelbeine anschlieſst; ein Perpendikel von
dieser Gegend auf die Basis theilt den Längen-
durchmesser dergestalt, daſs ein Theil nach hin-
ten, zwey aber nach vorne fallen; die Länge des
ganzen Kopfs ist 13″ 8‴ und die Breite zwi-
schen den Jochbogen 7″ 8‴ (u).
Mehr Aehnlichkeit hat der fossile Bär mit
dem Eisbären. Allein in der Gröſse des Kopfs
sind beyde noch verschiedener, wie jener und
der Landbär. Schon Camper bemerkte, daſs
sich der Kopf des erstern zu dem des gröſsten
Landbären verhalte, wie 3 zu 2, und fast das-
selbe Resultat ergiebt sich, wenn man die ange-
führ-
[163] führten Rosenmüllerschen Ausmessungen des
fossilen Bären mit den Zahlen vergleicht, die
Pallas für den Längendurchmesser (= 12″ 10‴)
und den Abstand der Jochbogen (= 6″ 8‴) des
Eisbären angegeben hat. Aber auch in der Form
des Schädels weichen beyde von einander ab.
Der des Eisbären hat zwar ebenfalls seine gröſste
Höhe da, wo die Hervorragungen des Stirnbeins
sind. Doch theilt eine von dieser Gegend auf
die Grundfläche senkrecht gezogene Linie den
Längendurchmesser so, daſs ein Theil nach vor-
ne, und zwey Theile nach hinten liegen (v).
Inzwischen darf man nicht übersehen, daſs diese,
von Rosenmüller angegebene Unterschiede nur
auf einer Vergleichung beruhen, welche zwischen
dem Kopfe des fossilen Bären und der, von
Pallas gelieferten Beschreibung des Eisbären an-
gestellt ist, auch daſs manche der von ihm auf-
gezählten Verschiedenheiten blos von der Ver-
schiedenheit des Alters herrühren können. In
der That zeigen sich auch Verschiedenheiten un-
ter den Schädeln des fossilen Bären, wie aus ei-
ner Vergleichung der Rosenmüllerschen Zeich-
nung mit denen, welche Hunter(w) geliefert
hat, erhellet. Möglich ist es, daſs beyde Thie-
re
L 2
[164] re als bloſse Varietäten erscheinen würden, wenn
mehrere vollständige Skelette derselben unmittel-
bar gegen einander gehalten würden, und pro-
blematisch bleibt die specifische Verschiedenheit
derselben, so lange beyde nicht auf eine solche
Art mit einander verglichen sind.
2. Hunde.
Cuvier fand unter den vielen Fossilien der
Gypsbrüche von Montmartre, welche, wie wir
gesehen haben, schweineartigen Thieren angehö-
ren, einen Unterkiefer, der die Charaktere des
Geschlechts der Hunde hatte, aber von den Kinn-
laden des Wolfs, des Fuchses, der Varietäten
des Haushundes, des Virginischen Fuchses und
des Chacals verschieden war. Nur mit dem
Isatis und dem Capschen Chacal hatte Cuvier
keine Gelegenheit, ihn zu vergleichen (x).
Schädel, Kinnladen und Zähne von Hunden
und Wölfen finden sich auch in den Gailenreu-
ther Osteolithen-Höhlen (y). Von den letztern
sagt Esper: “An Gröſse konnte ich von dem
„Gewöhnlichen nichts Abweichendes finden; blos
„einzelne Zähne und Stücke von Kinnladen wie-
„sen,
[165] „sen, daſs wahre Ungeheuer der gedachten Thie-
„re einzeln auch hier mit zu Grunde gegangen.”
3. Katzen.
In den Scharzfelder und Gailenreuther Höh-
len trifft man auch Schädel und Zähne an, wel-
che denen des Löwen und Tigers einigermaaſsen
ähnlich, und von mehrern Schriftstellern in der
That für Ueberbleibsel eines katzenartigen Thiers
des Tropenclimas erklärt sind (z). Mir scheint
es aber zweifelhaft zu seyn, ob sich diese Fossi-
lien mit Sicherheit zum Katzengeschlechte rech-
nen lassen. Es giebt ein ganzes Thiergeschlecht,
welches in osteologischer Rücksicht fast noch völ-
lig unbekannt ist, nehmlich das der Robben.
Wir wissen nicht, ob nicht einzelne Arten dieser
Thiere einen Schädel und Zähne haben, denen
jene Fossilien ähnlicher, als den Schädeln und
Zähnen der katzenartigen Thiere sind. Auf je-
den Fall ist so viel gewiſs, daſs sich jenes fossile
Thier in dem Bau der Kinnladen, in der Be-
schaffenheit der Schneidezähne und in der Klein-
heit der Eckzähne von allen bekannten Arten der
Katzenfamilie wesentlich unterscheidet.
§. 17.
L 3
[166]
§. 17.
In der Periode, die wir im vorigen § ge-
schildert haben, lebten noch keine Menschen,
und noch keines der Thiere, die dem Menschen
unter allen am ähnlichsten sind, noch keine
Affen.
Alles, was man bisher für fossile Menschen-
knochen hielt, rührte entweder von ganz andern
Thieren, oder aus einer weit spätern Periode
her (a). So waren es Elephantenknochen, was
Felix Plater für Gebeine eines 19füſsigen Rie-
sen ansah (b); so war der Kopf des Scheuch-
zerschen homo diluvii testis von einem groſsen
Wels (c), und so erkannte de Lamanon in einem
vermeinten Menschenkopfe, welcher, nebst meh-
rern andern Knochen, die auch anfangs für
Men-
[167] Menschenknochen galten, im Jahre 1760 bey Aix
in der Provence gefunden war, eine Schildkrö-
tenschaale (d). In neuern Zeiten behauptete
zwar Spallanzani, Menschenknochen in der
obersten Schichte eines Berges der Insel Cerigo,
die in ihrer ganzen Dicke gröſstentheils aus ver-
steinerten Knochen zusammengesetzt seyn soll,
gefunden zu haben (e). Allein schon de Luc(f)
hat mit Recht erinnert, diese Beobachtung sey
so unvollständig und mangelhaft, daſs sie nichts
beweise, so wie überhaupt Spallanzani’s Zeug-
niſs in dergleichen Sachen verdächtig sey, da
er zu wenig geologische Kenntnisse besessen und
nach wunderbaren, unerhörten Dingen gehascht
habe. Wenn aber diese Beobachtung auch ge-
gründet wäre, so würde sie doch nichts gegen
unsere Behauptung beweisen. Die oberste Schich-
te jenes Berges der Insel Cerigo ist nehmlich ohne
Zweifel von einerley Art mit denjenigen, worin
man
L 4
[168] man auf Gibraltar und in Dalmatien die vie-
len Ueberbleibsel wiederkäuender Thiere findet.
Gleich den letztern, wurde sie erst in neuern
Zeiten durch Niederschläge aus dem Regenwasser
gebildet, und es wäre daher nicht zu verwun-
dern, wenn sie wirklich Menschenknochen ent-
hielte.
Fossile Affenknochen giebt es eben so wenig
in dem Kalk- oder Gypstuff, welcher neuern
Ursprungs ist, als in den früher entstandenen
Erdlagen. Auch die Affen entstanden also wahr-
scheinlich mit dem Menschen erst nach jener
groſsen Catastrophe, in welcher das Ohiothier,
der Mammouth u. s. w. ihren Ursprung fanden.
Aber gab es vor dieser Catastrophe noch
keine Vögel? Mir scheint es, daſs sich diese
Frage noch nicht mit Gewiſsheit beantworten
läſst. Zwar hat de Lamanon(g) eine Verstei-
nerung beschrieben, die er für einen Ornitholi-
then hielt. Aber weder Camper, noch Fortis,
noch Faujas-St-Fond(h) haben dieses Fossil
für einen wahren Ornitholithen anerkannt.
Eine andere Abbildung eines Ornitholithen
findet sich im Journal de Physique. Thermidor.
An
[169] An VIII. Es ist aber keine Beschreibung beyge-
fügt, und, nach Faujas-St-Fond’s Versiche-
rung (i), hat niemand das Original gesehen.
Wichtiger ist Cuvier’s Beschreibung eines in
Gyps versteinerten Vogelfuſses, der in den Stein-
brüchen von Clignancourt bey Montmartre gefun-
den wurde (k). Aber es sind keine Merkmale
angegeben, woraus sich das Alter dieser Verstei-
nerung beurtheilen läſst.
Delametherie hat ebenfalls zwey Abbildun-
gen von Knochen geliefert, die auf der nordwest-
lichen Seite des Montmartre nicht weit von einem
Orte gefunden sind, wo man auch eine kleine
fossile Kinnlade antraf, die nur vier Backenzäh-
ne hat, welche denen des Vespertilio serotinus
vollkommen ähnlich sind (l). Allein bey diesen
Fossilien findet auch der Zweifel statt, ob sie
nicht von neuerer Entstehung sind.
Scheuchzer(l*) und Blumenbach(m) ge-
denken versteinerter Federn und Knochen von
Sumpf-
L 5
[170] Sumpf- und Wasservögeln im Oeninger Stink-
schiefer und im Pappenheimer Mergelschiefer.
Aber man weiſs schon aus dem 14ten § dieses
Buchs, daſs jene Steinarten von neuerer Bildung
sind.
An einer andern Stelle seines Handbuchs der
Naturgeschichte sagt Blumenbach: “Ich besitze
„einen Osteolithen im festen Kalksteine von un-
„serm Heimberg, den kein Kenner, der ihn noch
„gesehen, für etwas anders als für den soge-
„nannten Daumen am Flügel eines sehr groſsen
„Vogels hat halten können.” Diese Beobachtung
würde allerdings entscheidend für das Daseyn
von Vögeln in einem sehr frühen Zeitraume seyn,
wenn es nicht gewagt wäre, auf die Aehnlichkeit
eines einzelnen Knochenstücks etwas zu bauen.
Fauias-St-Fond(n) hat zwey Versteine-
rungen beschrieben und abgebildet, die mitten
in den Steinbrüchen von Vestena Nova unter
den dortigen Ichtyolithen gefunden wurden, und
die er für Vogelfedern hält. “Man kann”, sagt
er, “sie nicht mit gewissen Tangarten verwech-
„seln, die einige Aehnlichkeit mit Federn ha-
„ben: denn bey ihnen sind die Haare der Fahne
„mit andern kleinern Haaren besetzt (parceque
„celle-
[171] „celle-ci a ses barbes garnies d’ autres petites
„barbes). Die Professoren Jussieu, Lamarck,
„Desfontaines und Thouin, die sie aufmerk-
„sam untersucht haben, halten sie für eine wah-
„re Vogelfeder.” Diese Autoritäten sind nun
freylich sehr wichtig. Allein die Abbildungen
jener Versteinerungen scheinen mir doch mehr
Aehnlichkeit mit Meergräsern, als Federn zu ha-
ben, und allerdings giebt es auch Tange, deren
haarförmige Zweige gerade wie bey Federn mit
Seitenhaaren besetzt sind.
Man sieht also, daſs die Erfahrung uns noch
keinen ganz entscheidenden Beweis für die Exi-
stenz der Vögel in frühern Perioden geliefert hat.
Um die Periode, wovon im vorigen § die
Rede war, vollständig zu charakterisiren, müs-
sen wir hier endlich noch auf eine Bemerkung
zurückkommen, die wir schon im 12ten § ge-
macht haben. Wir haben dort erwähnt, daſs
in einigen Erdschichten der nördlichen gemäſsig-
ten Erdzone Conchylien gefunden werden, deren
Originale zwar noch jetzt vorhanden sind, aber
heut zu Tage blos in der südlichen Erdhälfte ge-
funden werden. Jene Erdschichten nun sind
dieselben, in welchen die Gebeine der unterge-
gangenen Landthiere begraben liegen. Man fin-
det hier die letztern oft vermischt mit Schnek-
ken und Muscheln des Indischen Oceans. Dies
ist
[172] ist z. B. der Fall in den Hügeln von Piemont.
Wir haben im 12ten § gesehen, daſs de Luc in
diesen Anhöhen unter andern ein Kinkhorn an-
traf, das jetzt nur in der südlichen Erdhälfte
lebt. Von den nehmlichen Hügeln bemerkt er
aber auch, daſs sie zugleich Gerippe von Am-
phibien und Säugthieren enthalten (o).
§. 18.
So sind wir endlich zu jener Periode ge-
kommen, wovon wir im Anfange dieses Buchs
ausgingen, zu dem Zeitraume, in welchem der
Mensch gebildet wurde und die lebende Natur
sich ihrer jetzigen Gestalt näherte. Aber in un-
sern bisherigen Untersuchungen findet noch eine
groſse Lücke statt; wir haben noch nicht die
Fragen berührt: Welchen Aufenthalt und welche
Verbreitung jene Körper der Vorwelt hatten, die
wir bisher blos in Beziehung auf ihre Organisa-
tion und auf die Perioden, in welchen sie leb-
ten, betrachtet haben? Ob ihre Heimath die
nehmlichen Gegenden waren, wo wir jetzt ihre
Gebeine finden; oder ob ihre Leichname durch
Meeresfluthen aus fernen Gegenden in ihre jetzi-
ge Lagerstäten gebracht sind? Wie sich das
Clima der Gegenden, in welchen jene Körper
gebohren wurden und lebten, zu dem jetzt da-
selbst
[173] selbst herrschenden verhält? Wir liessen diese
Fragen bisher unberührt, um nicht das Gewisse
mit dem Ungewissen zu vermengen. Die Leh-
ren nehmlich, die in den vorhergehenden §§ ent-
halten sind, beruhen unmittelbar auf Erfahrun-
gen, und haben daher einen hohen Grad von
Wahrscheinlichkeit. Auch sind sie wahrschein-
lich, weil sie mit den beyden Sätzen der Natur-
philosophie, die wir im 1ten § aufgestellt ha-
ben, völlig übereinstimmen. Wir werden, so
sagten wir dort, die lebende Natur für ein Gan-
zes ansehen, das in beständigen Umwandlungen
von jeher begriffen war, noch begriffen ist, und
stets begriffen seyn wird; wir werden aber auch
zweytens in diesen Verwandlungen einen festen,
gesetzmäſsigen Gang annehmen. Diesen Sätzen
ganz gemäſs ist die Schilderung, die wir in dem
gegenwärtigen Buche von der lebenden Natur
entworfen haben. Sie erscheint uns als ein ewig
sich verwandelnder, aber bey allen diesen Ver-
änderungen zu einer gewissen Stufe der Ent-
wickelung regelmäſsig fortschreitender Organis-
mus. Einen gleichen Grad von Gewiſsheit kön-
nen wir aber nicht bey der Beantwortung der
vorhin aufgeworfenen Fragen zu erreichen hof-
fen, indem diese mit Problemen in Verbindung
steht, bey deren Auflösung uns die Erfahrung
gänzlich verläſst. Indeſs laſst uns auch hierbey
unsere Kräfte versuchen! Vorher aber wird es
nöthig
[174] nöthig seyn, noch eines unmittelbaren Resultats
der bisher angeführten Thatsachen zu erwähnen.
Diese Folgerung ist, daſs allen den groſsen
Verwandlungen, welche die lebende Natur seit
ihrer Entstehung erlitten hat, immer groſse Re-
volutionen der ganzen Erde vorhergegangen sind.
Unmittelbar vor der Bildung lebender Körper
erfolgten häufige Niederschläge der Kalkerde, und
diese dauerten in jenem Zeitraume fort, in wel-
chem die Encriniten, Pentacriniten, Ammoniten,
Orthoceratiten, und die übrigen untergegangenen
Thierpflanzen und Mollusken lebten. Eine neue
Gestalt erhielt die lebende Natur, als sich die
Grauwacken- und Kupferschiefer erzeugten. Jetzt
entstanden Fische und Farrnkräuter. Diese ver-
lohren sich aber wieder bey einer Catastrophe,
wobey Gyps und Sandstein hervorgebracht wur-
de. Groſs, doch nicht so allgemein war auch
der Einfluſs, den die Ursache des Niederschlags
der Kreideschichten auf die lebenden Körper äus-
serte. Ueberhaupt scheint die lebende Natur bey
jeder neuen Präcipitation von Uebergangs- und
Flötzgebirgen wesentliche Veränderungen erlitten
zu haben. Die letzte groſse Catastrophe des
Zeitraums der Flötzformation war diejenige, in
welcher eine ungeheure Menge Pflanzen vom
Meere bedeckt und in Steinkohlen verwandelt
wurde. Dann folgte endlich die merkwürdige
Revo-
[175] Revolution, welche den Untergang der vielen
Ohiothiere, Elephanten und anderer Landthiere
bewirkte, und dem Entstehen der jetzigen leben-
den Natur vorherging. Die vielen Meereskörper,
zwischen welchen sich die Reste dieser Land-
thiere befinden, zeugen von einer damaligen gro-
ſsen Wasserfluth, und die weite Verbreitung je-
ner, in der Mitte des festen Landes befindlichen
Meereskörper und Ueberbleibsel von Landthieren
beweiset, daſs diese Ueberschwemmung den
gröſsten Theil der jetzigen Continente betraf.
§. 19.
Wir haben gesehen, daſs es allenthalben
in allen Welttheilen, und selbst auf den Gi-
pfeln der höchsten Berge Meeresprodukte giebt.
Es folgt hieraus, daſs es eine Periode gab,
wo der Ocean das feste Land, und selbst die
Spitzen der höchsten Berge bedeckte. Wir ha-
ben aber auch gesehen, daſs in vielen Gegenden
Ueberbleibsel von Pflanzen und Thieren, be-
deckt mit Meeresprodukten, vorkommen, und
diese Thatsache beweist, daſs da einst festes Land
war, wo Meeresboden jetzt ist, oder gewesen
ist. Wir würden also anzunehmen berechtigt
seyn, daſs, so wie in unsern Tagen, so auch
in den Zeiten der Urwelt, festes Land in Mee-
resboden und Meeresboden in festes Land über-
ging, wenn nicht dieser Voraussetzung die aus-
ser-
[176] serordentliche Höhe der Berge, die einst vom
Ocean bedeckt gewesen seyn müssen, entgegen
zu stehen schiene. Doch können diese nicht
durch irgend eine Kraft aus der Tiefe des Oce-
ans hervorgehoben seyn? Sind nicht auch noch
in neuern Zeiten alte Berge verschwunden, und
neue aus dem Meere hervorgestiegen? Bestehen
nicht alle ursprüngliche Veränderungen des Wellt-
alls in Expansionen und Contraktionen? Wird
nicht bey jeder Contraktion einer Reihe von re-
pulsiven Kräften eine andere expandirt, und bey
jeder Expansion der erstern die letztere con-
trahirt (p)?
Ich weiſs, daſs es der Einbildungskraft schwer
fällt, sich Berge von der Höhe des Grenairon,
oder gar der Andes, als hervorgeworfen aus den
Tiefen der Erde zu denken. Aber nur der Ver-
stand, nicht die Phantasie, kann hier Richter
seyn, und dessen Aussprüche müssen gelten, so-
bald sie Gründe auf ihrer Seite, und keine un-
widerlegbare Einwürfe gegen sich haben. Und
was läſst sich unserer Meinung entgegensetzen?
Ich sehe nichts, als nur dieses, daſs alle Berge,
die einst unter der Meeresfläche gestanden ha-
ben, Spuhren von Wirkungen des vulcanischen
Feuers zeigen müſsten, wenn unsere Meinung
gegründet wäre. Allein dieser Einwurf wird
durch
[177] durch die Vulcane von Südamerika widerlegt,
deren Flammen oft eine Höhe von 3000 Fuſs er-
reichen, und welche noch nie einen Tropfen
flieſsender Lava hervorzubringen vermogt haben,
sondern blos Wasser, Schwefelwasserstoffgas,
Koth und kohlenstoffhaltigen Thon auswerfen (q).
Was zwinget uns auch, das Feuer für die ein-
zige Kraft zu halten, wodurch Berge aus dem
Schooſse der Erde hervorgehoben seyn könnten?
Ist nicht schon bloſse Wärme hierzu hinreichend?
Wer kennet nicht die ungeheuren Wirkungen
sich ausdehnender Gasarten und Dämpfe? Giebt
es nicht warme Quellen, die aus Grauwacke,
Glimmerschiefer, Gneis, und selbst aus Granit
entspringen (r)? Ja, sind nicht meist nur dieje-
nigen Quellen warm, die aus Urgebirgen ent-
stehen (s)? Beweisen diese Thatsachen nicht,
daſs noch heut zu Tage im Innern der Urgebir-
ge chemische Processe vorgehen, wobey Wärme
und Gasarten entbunden, und Dämpfe gebildet
werden?
Als
III. Bd. M
[178]
Als im Jahre 1783 den 5ten Februar Messina
bey einem Ausbruche des Aetna eine heftige Er-
schütterung erlitt, wurde an demselben Tage das
jenseits dem Adriatischen Meere gelegene Cala-
brien noch weit heftiger als Messina selbst zer-
rüttet, und zum Theil ganz zerstöhrt. Und doch
entdeckte Dolomieu, welcher kurz nach dieser
Catastrophe Calabrien bereiste, nicht nur keine
Spuhr weder eines neuern, noch ehemaligen Vul-
cans in dem ganzen Apulien, sondern er fand
auch, daſs die, Italien der Länge nach trennen-
de, von aussen ganz aus Kalk- oder Mergel-
schichten bestehende Apenninen in Calabrien als
Granitgebirge erscheinen, die sich in der soge-
nannten Ebene auf einmal ganz entblöſst dar-
stellen, und in dieser Gestalt bis an die äusser-
ste Spitze Calabriens ununterbrochen fortstreichen.
Er beobachtete ferner, daſs in der Gegend dieser
Ebene auf den Stellen, wo sich die Flötzgebirgs-
schichten an den Granit anlegen, die Wirkung
des Erdbebens bey weitem am stärksten und hef-
tigsten gewesen war, und zwar so heftig, daſs
die auf dem Granit liegenden Flötzschichten zum
Theil ganz von ihrer Granitunterlage waren ge-
trennt worden. Wenn nun im Innern des Gra-
nits Wärme, Gasarten und Dämpfe entwickelt
werden, wenn Erdbeben weniger heftig in der
Nähe der ausgebrochenen Vulcane, als in ent-
fernten Urgebirgen sind, ist es dann nicht zu
ver-
[179] vermuthen, daſs vulcanische Ausbrüche bloſse
Nebenwirkungen von weit gröſsern chemischen
Processen sind, die im Innern des Granits vor
sich gehen? Ist es dann nicht wahrscheinlich,
daſs diese Processe eine noch weit gröſsere Rolle
in den Zeiten der Urwelt gespielt haben, wo
alle Kräfte der Erde freyer und energischer wirk-
ten? Ist es dann nicht glaublich, daſs einst
durch jene Entwickelung von Wärme, Luft und
Dämpfen groſse Erdstriche aus dem Meere her-
vorgehoben sind?
Doch wer wird auch läugnen können, daſs
bey der Bildung der Erdrinde elastische Flüssig-
keiten in ausserordentlicher Menge entbunden
seyn müssen? Wer wird es unwahrscheinlich
finden können, daſs der Granit und Gneis lang-
sam verhärtet sind, und daſs sich jene Rinde
eine Zeitlang in einem teigartigen Zustande be-
funden hat? Wer aber diese Sätze einräumt,
wird auch zugeben müssen, daſs jene Flüssig-
keiten sich zum Theil unter der Erdrinde an-
sammeln, und, ausgedehnt von der entbundenen
Wärme, diese emporheben muſsten. So konnten
denn in den Zeiten der Urwelt Anschwellungen
der Erdfläche ohne heftige Explosionen entstehen,
und so sind auch noch in neuern Zeiten Ebenen
und Tiefen zu Anhöhen emporgestiegen. Die
Höhe Maklefield zu Herefordshire im westlichen
M 2Eng-
[180] England wurde im Jahre 1751 gebildet, indem
sich einige zwanzig Tonnen Landes von dem
übrigen Felde trennten, sich binnen drey Tagen
allmählig und ohne Geräusch 400 Schritte weit
verrückten, und darauf schnell zu einer ansehn-
lichen Höhe anschwollen (t). Im Klaveezer
See fand man den 16ten August 1803, Morgens
früh, da, wo die Fischer noch einige Tage vor-
her ohne Hinderniſs das Netz gezogen hatten,
einen Berg, der sich unter der Wasserfläche mit
allmähliger Senkung nach jeder Seite über 100
Fuſs weit erstrecket, und welcher ohne die min-
deste Spuhr einer Erderschütterung aus der Tiefe
des Sees heraufgestiegen ist (u).
Jene Entwickelung unterirdischer Gasarten
dauerte noch fort, nachdem die Erdrinde schon
erhärtet war. Jetzt aber wurden dadurch hef-
tige Explosionen hervorgebracht, wovon nach
den Beobachtungen von Saussure und Fortis,
noch heut zu Tage die Spuhren übrig sind (v).
Jetzt
[181] Jetzt entstanden auch Vulcane, deren Produkte
indeſs von denen der heutigen feuerspeyenden
Berge sehr verschieden gewesen seyn müssen.
Es liegt uns alles daran, unsere obige Mei-
nung zu begründen, denn von ihr hängt der
Sinn und die Deutung aller übrigen geologischen
Thatsachen ab. Ich werde daher noch andere
Gründe anführen, woraus die Wahrheit jener
Hypothese aufs einleuchtendste erhellen wird.
Wir
M 3
[182]
Wir haben gesehen, daſs es unter den höch-
sten Bergen einige giebt, auf deren Gipfeln sich
unverkennbare Beweise finden, daſs sie noch lan-
ge nach ihrer Bildung vom Meere bedeckt gewe-
sen seyn müssen. Es giebt aber auch andere
Berge, auf welchen nichts anzutreffen ist, wor-
aus sich auf spätere Wirkungen des Meers schlies-
sen läſst, sondern welche seit ihrer Entstehung
über die Fläche der Gewässer hervorgeragt zu
haben scheinen. Wären die letztern Berge im-
mer höher, als die erstern, so könnten jene
Thatsachen blos mit Hülfe der Voraussetzung
einer Abnahme des Meers erklärt werden. Aber
nicht selten findet das Gegentheil statt. Auch
manche Berge, die gar nicht zu den hohen ge-
zählt werden können, bestehen aus uranfängli-
chem, mit keinen spätern Meeresprodukten be-
decktem Gesteine. Von der Art sind z. B. die
in der Gegend von Dresden (w), um Dogorska
im Bannat (x), und bey Kladrau und Pilsen (y)
liegenden Granitkuppen. Jetzt sind nur noch
zwey mögliche Wege zur Erklärung jener That-
sachen übrig: man muſs entweder annehmen,
daſs alle die Berge, auf deren Gipfeln sich kei-
ne
[183] ne Meeresreste finden, ursprünglich höher gewe-
sen sind, als diejenigen, deren Spitzen die
Merkmale ehemaliger Ueberschwemmungen an
sich tragen, und anfangs über die Fläche des
Meers hervorgeragt haben, daſs aber mehrere
derselben späterhin, nachdem das Meer die Ober-
fläche des jetzigen festen Landes schon verlassen
hatte, zu einer weit geringern Höhe herabge-
sunken sind; oder man muſs unserer Meinung
beytreten, nach welcher alle, mit Meeresproduk-
ten bedeckte Berge aus der Tiefe des Oceans
hervorgehoben sind.
Es giebt noch einen zweyten Grund, wel-
cher auf eben die Alternative führt. Wir finden
nehmlich Gebirgsschichten, die jetzt eine verti-
kale Lage haben, deren Bildung aber beweist,
daſs sie sich ursprünglich in einer horizontalen
Lage befunden haben müssen. So traf Saus-
sure bey Valorsine eine senkrechte Schichte von
Breccien an, die unmöglich in dieser Lage ent-
standen seyn konnte (y). Solche Gebirgsschich-
ten
M 4
[184] ten müssen also nach ihrer ursprünglichen Bil-
dung sehr groſse Revolutionen erlitten haben.
Und worin bestanden diese gewaltsamen Verände-
rungen? Sie können nur von einer doppelten
Art gewesen seyn: entweder eine Kraft, die
vom Innern der Erde aus nach deren Oberfläche
wirkte, muſs die ursprünglich horizontalen
Schichten gehoben, und in ihre jetzige, oft senk-
rechte Lage gebracht haben; oder es war ein
Einstürzen der Ränder ungeheurer Erdschollen,
wobey der mittlere Theil derselben seine ur-
sprüngliche Höhe behielt, was die wagerechte
Lage der Erdschichten in eine schiefe oder ver-
tikale umänderte.
Auf denselben Schluſs führt uns endlich auch
der Umstand, daſs in sehr vielen Gegenden Flötz-
lager,
(y)
[185] lager, die ganz mit Versteinerungen angefüllt
sind, mit andern abwechseln, die keine Spuhr
von Petrefakten enthalten. Manche der letztern
sind vermuthlich Produkte vulcanischer Ausbrü-
che; hingegen manche, und besonders die Gyps-
flötze, in welchen die Abwesenheit von Verstei-
nerungen fast allgemein ist, sind offenbar auf
dem nassen Wege entstanden. Niederschläge
des Meerwassers aber können sie nicht seyn:
denn sonst müſsten nothwendig Ueberbleibsel von
Seethieren in ihnen vorkommen. Wir müssen
sie daher für Niederschläge stehender Gewässer,
oder der Athmosphäre annehmen. Daraus aber
folgt, daſs noch vor jener Periode, in welcher
das jetzige feste Land vom Ocean verlassen wur-
de, einzelne Theile der Erdrinde abwechselnd
vom Meere bedeckt und wieder entblöſst sind,
und dies konnte nicht anders geschehen, als da-
durch, daſs entweder diese Theile selber, oder
andere Erdstrecken sich hoben oder senkten.
Wir befinden uns also wieder auf demselben
Punkte, worauf wir schon zuvor standen. Wel-
cher der beyden Wege, die vor uns sind, ist
nun der richtige? Welchen sollen wir wählen?
Ich glaube denjenigen, welcher von der Voraus-
setzung ausgeht, daſs eine Hebung der Erd-
rinde diejenigen Höhen, die einst vom Meere
bedeckt waren, gebildet hat, und der Grund
M 5mei-
[186] meines Glaubens ist die specifique Schwere der
Erde. Diese nehmlich ist = 5,48, wenn die des
Wassers zur Einheit angenommen wird (a). Sie
steht also blos der der meisten Metalle nach;
hingegen ist sie doppelt und dreymal so groſs,
als die des Granit, Porphyr, Gneis, Kalkstein,
Gyps, Alabaster, Marmor, Basalt, kurz der
sämmtlichen Steinarten, woraus die Rinde der
Erde besteht (b). Hier haben wir eine That-
sache, die sich auf keine Weise erklären läſst,
wenn man nicht im Innern der Erde einen Kern
von beträchtlicher Dichtigkeit annimmt. Die
Voraussetzung eines solchen Kerns ist aber ganz
unvereinbar mit der Hypothese, welche die Ent-
stehung der Berge aus einem Einsinken der
ursprünglich horizontalen Erdschichten erklärt.
Denn erstens müſsten nach dieser Meinung die-
jenigen Niederschläge des Meerwassers, woraus
die jetzige Oberfläche der Erde entstanden ist,
eine kappenförmige Rinde um die Erde gebildet
haben, deren innere Höhlung blos mit Wasser
angefüllt gewesen wäre. Allein wenn es einen
festen Kern der Erde giebt, so muſste dieser
schon vorhanden seyn, ehe die erwähnten Nie-
derschläge eintraten, und so widerspricht es al-
len
[187] len chemischen Gesetzen, daſs sich jene Rinde
an der Oberfläche des Wassers, und nicht un-
mittelbar auf dem Kern der Erde gebildet haben
sollte. Aber zweytens, wenn man auch dies
bey Seite setzt, so bleibt doch noch eine andere,
eben so groſse Schwürigkeit übrig. Jener Hy-
pothese zufolge zerriſs endlich die bis dahin ho-
rizontale Erdrinde, und durch ihr Einsinken
wurden die Höhen und Tiefen der Erde hervor-
gebracht. Wodurch wurden nun diese Erha-
benheiten und Vertiefungen vom Wasser ent-
blöſst?
De Luc, der Urheber und Vertheidiger je-
ner Meinung, nimmt zur Beantwortung dieser
Frage eine Staubmasse an, womit das In-
nerste der Erde ursprünglich angefüllt war. Ein
Schlamm, der mit Flüssigkeit durchzogen war,
setzte sich zuerst auf dieser Rinde ab, und ver-
ursachte daselbst ähnliche Einsenkungen, wie
wir auf jedem, mit Wasser begossenen Sand-
oder Staubhaufen entstehen sehen. “Diese Staub-
„theile”, sagt de Luc(c), “waren von verschie-
„dener Art, daher denn die eingeseigerte Flüssig-
„keit hier und da besondere Verbindungen her-
„vorbrachte, wodurch ebenfalls nach und nach
„groſse, harte, und verschiedentlich gleichsam in
„Zwei-
[188] „Zweige sich vertheilende Massen entstanden,
„dergleichen man in vielerley lockern oder wei-
„chen Substanzen, wie im Sande, im Thone
„und in verschiedenen kalkartigen Erden u. s. w.
„findet. Diese verhärteten Portionen, die im
„Anfange der Einsenkung widerstanden, bildeten
„Stützen für die Rinde von Erdlagen, die sich
„folglich einige Zeit waagrecht erhalten konnte,
„indeſs sich durch die Einsenkung der lockern
„Staubtheile in ihren Zwischenräumen Höhlen
„bildeten, in welchen sich ausdehnbare Fluida
„sammelten, die durch die innern chemischen
„Operationen hervorgebracht worden waren. Aber
„wenn sich die Einsenkung der Staubtheile wei-
„ter und bis unter die Grundfläche jener verhär-
„teten Portionen erstreckte, die nun die Schei-
„dewände der Höhlen bildete, so senkten sich
„dann diese Scheidewände selbst, und da folg-
„lich die obere Rinde (als die Decke der Höhlen)
„nun ihre Stütze verlohren hatte, so brach sie
„ein, und senkte sich nun selbst in einem wei-
„tern oder engern Umfange. Da sich hierauf
„ein Theil der Flüssigkeit in die Höhlen verlief,
„so trieb er die ausdehnbaren Fluida, die sich
„darin gesammelt hatten, heraus. Diese schwän-
„gerten nun die obere Flüssigkeit mit neuen In-
„gredienzen, und veränderten dadurch die chemi-
„schen Verbindungen in selbigen, und da sich
„hierauf von neuem ausdehnbare Fluida an der
„Ober-
[189] „Oberfläche derselben entbanden, so verursachte
„dies wieder neue Arten von Niederschlägen.
„Jene successiven Ergieſsungen der Flüssigkeit
„veranlaſsten aber wiederum neue Höhlen, in-
„dem sie neue Einsenkungen der Staubmassen
„verursachten; dadurch ward aber die äussere
„Menge der Flüssigkeit allgemach vermindert;
„und da jene successiven Portionen von verschie-
„dener Natur waren, weil die äussere Flüssig-
„keit sich immer mehr durch neue Niederschlä-
„ge von ihren uranfänglichen Ingredienzen ent-
„blöſste, so entstand daraus jedesmal eine neue
„Art von ausdehnbarem Fluidum im Innern,
„und hierauf wieder neue Verbindungen in der
„obern Flüssigkeit, wenn jene Fluida sich darin
„verbreitet hatten.”
Ferner sagt er (d): “Nach allerhand Cata-
„strophen, die sich mit der Erdrinde zugetragen
„haben, da sie noch mit Flüssigkeit bedeckt war,
„und während welcher diejenigen Stellen, die
„durch die Scheidewände der Höhlen unterstützt
„wurden, in ihrer primitiven waagerechten Lage
„geblieben waren, wo sie auf dem Boden dieser
„Flüssigkeit Ketten von Erhabenheiten oder Ber-
„gen bildeten, erfolgte endlich eine Epoche, wo-
„bey, durch groſse Einsenkungen des Staubes
„die Grundflächen der Scheidewände der Höhlen
„in
[190] „in einem groſsen Theile der Erde zugleich un-
„terminirt wurden, und sich daher die Erdrinde
„in diesem ganzen Umfange einsenken muſste.
„Dieſs ist die erste groſse Revolution, die einen
„tiefen Eindruck auf unserer Erdkugel zurückge-
„lassen hat. Denn sie ist es, wodurch sich die
„Oberfläche derselben zuerst in Meer und festes
„Land trennte, weil alle die Flüssigkeit, womit
„sie damals von aussen umgeben war, in diese
„eingesenkten Gegenden zusammenfloſs, und der
„Rest der Rinde hingegen über ihr hinaus-
„ragte.”
So erklärt de Luc den Ursprung der Berge
und des festen Landes, und in der That ist die-
se Erklärung die einzig mögliche für den, der
Einsenkungen der ursprünglich horizontalen Erd-
rinde für die einzige Veränderung annimmt, die
sich seit ihrer Bildung mit ihr zugetragen hat.
Aber wie roh, wie unwürdig der Erhabenheit,
welche die Natur überall in ihrem Wirken zeigt,
und wie unvereinbar mit der groſsen specifiquen
Dichtigkeit des Kerns der Erde ist die Voraus-
setzung einer uranfänglichen, im Innersten die-
ses Weltkörpers befindlichen Staubmasse, worauf
jene Erklärung führt! Da also nicht bloſse Sen-
kungen der Erdschichten diese aus Meeresboden
in festes Land und Höhen verwandelt haben
können, so bleibt nichts übrig, als Kräfte, die
vom
[191] vom Innern der Erde nach aussen wirkten, für
die Ursache zu halten, wodurch der ehemalige
Meeresboden vom Wasser entblöſst wurde.
Man würde mich aber unrecht verstehen,
wenn man glauben wollte, daſs ich alle Uneben-
heiten der Erdoberfläche blos von diesen Kräften
ableitete. Mir scheint es, daſs man, wie schon
Tilas sehr richtig bemerkt hat, die Wirkung
der Erhöhungen des Landes nicht mit der eigent-
lichen Gestalt der Berge verwechscln dürfe. Die
Erhöhungen des Landes sind meiner Meinung
nach durch unterirdische expandirende Kräfte her-
vorgebracht. Für mich leidet es aber auch kei-
nen Zweifel, daſs die Erdrinde in ihrem ur-
sprünglichen Zustande nicht, wie de Luc und
andere Naturforscher behauptet haben, aus lauter
horizontalen Schichten bestanden hat, sondern
daſs schon gleich bey der Crystallisation dersel-
ben Berge und Thäler gebildet sind. Keiner,
der unbefangen erwägt, welche Struktur der
Granit und Gneis in solchen Gegenden hat, wo
die ursprüngliche Anlage dieser Gebirgsarten noch
nicht zerstöhrt ist, wird auch hieran zweifeln
können. Dort sieht man den Granit in Schich-
ten gelagert, die wie ein lateinisches S gestaltet
sind (e). Man sieht andere Urgebirge, worauf
Bänke von einer gegen den Horizont perpendiku-
lären
[192] lären Richtung in abwärts gehenden Bänken ein-
geschlossen sind (f). Noch andere bestehen aus
Schichten, deren vertikaler Durchschnitt sich mit
einem offenen Fächer vergleichen läſst, und deren
Rippen unten fast horizontal liegen, weiter bin-
auf aber sich erheben, bis die obersten allmählig
senkrecht stehen (g). Wer wird es wagen, die-
se regelmäſsigen Gestalten von einer andern Ur-
sache, als der Crystallisation, abzuleiten? Zu-
dem ist es offenbar, daſs die chemische Beschaf-
fenheit jeder Gebirgsart beym Entstehen der Ber-
ge sehr viel zur Bildung derselben beygetragen
hat. Feuersteine und Porphyre geben hohe und
steile, aber nicht lange, hornglimmerige und
wellenförmige Arten auch hohe, aber nicht in die
Länge sich erstreckende Gebirge (h). Wie könn-
te dies seyn, wenn die Berge nicht Werke der
Crystallisation, sondern Wirkungen mechanischer
Ursachen wären?
Für mich leidet es auch keinen Zweifel,
daſs auf die Crystallisation der Gebirge eine
dem Magnetismus analoge Kraft Einfluſs gehabt
hat. Dieser Gedanke muſs sich auch jedem auf-
drängen, dem bekannt ist, daſs die Richtung
der
[193] der Schichten des Granits in den verschiedensten
Gegenden mit der Richtung der Magnetnadel über-
einkömmt. Nach Saussure(i) haben die, ge-
gen den Horizont senkrechten Gebirgslagen, die
man häufig im Jurassus antrifft, fast alle ihre
Flächen von Nordnordost gegen Südsüd-
west, nach der allgemeinen Richtung dieser
Bergkette, gerichtet. Er beobachtete eben diese
Richtung auf dem Mole (k), so wie auf dem
Buat (l), und auf dem Mont-Breven sahe er
adrichte Granite, deren fast senkrechte Schichten
mit der Magnetnadel eine gleiche Richtung hat-
ten (m). Pallas fand, daſs die dicken Granit-
schichten, aus welchen die Daurischen Berge
bestehen, fast halbrechtwinklicht gegen Süden
oder Südosten in die Tiefe sinken (n). Vor-
züglich wichtig aber sind in dieser Rücksicht von
Humboldt’s Beobachtungen. Schon bey seinen
Reisen in Deutschland, Italien, dem südlichen
Frankreich, den Pyrenäen und Galizien wurde er
auf die Bemerkung geführt, daſs das Streichen
und Fallen der Urgebirge einem allgemeinen Ge-
setze
III. Bd. N
[194] setze unterworfen sey, und daſs, (abgesehen von
den Ungleichheiten, die von kleinen Localursa-
chen herrühren) die Lagen des geschichteten
grobkörnigen Granits, des Gneis, und ganz be-
sonders des Glimmerschiefers und Thonschiefers,
insgesammt einen Winkel von 52½° Südwest
oder Nordost mit dem Meridian des Orts
machen, und daſs sie dabey nach Nordost
einfallen. Alle Messungen, die er auf seiner
nachherigen Amerikanischen Reise anstellte, ga-
ben eben dieses Resultat. Ueberall streichen
auch in Amerika die Gebirgslager von Nordost
nach Südwest unter einem Winkel von 50° mit
dem Meridian, und fallen nach Nordwest unter
einem Winkel von 60 bis 80° (o).
Wir behaupten also nicht, daſs alle Uneben-
heiten der Erdoberfläche durch unterirdische ex-
pandirende Kräfte hervorgebracht sind, sondern
unsere Meinung ist nur diese, daſs es solche
Kräfte waren, welche groſse Theile der Erdrinde
aus der Tiefe des Oceans hervorhoben und in
festes Land verwandelten.
§. 20.
Reich an Folgerungen ist der Satz, den wir
jetzt dargethan haben. Es ergiebt sich daraus,
daſs das feste Land einst auf ähnliche Weise ge-
bil-
[195] bildet ist, wie noch in neuern Zeiten Inseln
aus dem Boden des Oceans hervorgestiegen sind.
Wenn also zu dem gröſsten der geologischen
Phänomene aus den Zeiten der Urwelt noch heut
zu Tage analoge Erscheinungen vorhanden sind,
so dürfen wir um so mehr bey Erklärung ande-
rer geologischer Thatsachen die Analogie zu Hül-
fe nehmen. Nun lehrt die neuere Geschichte,
daſs, indem neue Inseln entstanden, alte vom
Wasser verschlungen wurden. Es erhellet fer-
ner aus der Bildung mehrerer Küsten, daſs sie
ehedem mit festem Lande in Verbindung gestan-
den haben müssen, welches jetzt nicht mehr
vorhanden ist. Die Analogie führt uns also auf
den Satz, daſs bey der Entstehung des jetzigen
festen Landes ehemalige Continente verschwun-
den sind, und daſs überhaupt seit der Bil-
dung der Erde gleichzeitige Contraktionen und
Expansionen in derselben statt gefunden haben.
Hieraus folget weiter, daſs wir keinesweges
berechtigt sind, alle Ueberbleibsel des Pflanzen-
und Thierreichs der Vorwelt für Erzeugnisse des
Bodens zu halten, in welchem wir sie heut zu
Tage antreffen, sondern daſs manche derselben,
die in Siberien und Canada begraben liegen,
aus der südlichen Erdhälfte dahin geführt seyn
können. Denn wenn es gewiſs ist, daſs einst
ganze Länder versanken, indem andere aus dem
N 2Mee-
[196] Meere hervorstiegen, so ist es auch unläugbar,
daſs ein groſser Theil der Thiere und Pflanzen
jener erstern Länder von den Fluthen, worin sie
ihr Grab fanden, fortgerissen seyn muſs; und
daſs sie auf diese Weise bis in die fernsten Ge-
genden gelangen konnten, erhellet aus der Ana-
logie des Golfstrohms von Mexico, welcher Er-
zeugnisse des wärmern Amerika oft bis nach
Schottland und Norwegen führt.
Endlich folget noch, daſs die fossilen Reste
von lebenden Körpern der Vorwelt, die in dem
heutigen festen Lande vorkommen, aus Ländern
dahin gebracht seyn können, die heutiges Tages
gar nicht mehr vorhanden sind.
Jetzt ist es Zeit die Frage zu untersuchen:
Welche Organismen der Vorwelt in denjenigen
Gegenden lebten, wo ihre Ueberbleibsel jetzt zu
finden sind? Welche aus fremden Ländern her-
rühren? Und welches das Vaterland der letz-
tern war?
Was die Encriniten, Pentacriniten, Ammoni-
ten, Belemniten und die übrigen Versteinerungen
von Zoophyten und Mollusken betrifft, die in
den ältesten Flötzgebirgen vorkommen, so haben
wir schon im 12ten § gezeigt, daſs diese an den
Stellen, wo sie jetzt gelagert sind, einst gelebt
haben müssen.
Eben
[197]
Eben dies läſst sich von manchen versteiner-
ten Fischen, und namentlich von denen, welche
in der Gegend von Vestena Nova liegen, bewei-
sen. Man hat unter diesen einen Esox gefun-
den, der in dem Augenblicke versteinert worden,
wo er einen kleinern Fisch halb verschlungen
hatte. Man hat groſse Tafeln angetroffen, auf
welchen sich Fische befanden, die von kleinern
ihrer Art, wie eine Mutter von ihren Jungen,
begleitet sind. Diese und ähnliche Umstände
lassen sich nicht mit der Voraussetzung reimen,
daſs jene Thiere durch heftige Meeresströhme aus
andern Zonen in ihre jetzigen Lagerstäten ge-
bracht seyn sollten.
Wahrscheinlich ist es, daſs auch die von
Spener beschriebene crocodilartige Eidechse die
Gegend von Suhla, wo sie entdeckt wurde, zum
Aufenthalte gehabt hat. Denn ihr convulsivi-
sches Ansehn und der geringe Grad von Zerstöh-
rung, den sie erlitten hat, lassen vermuthen,
daſs sie gleich nach ihrem Tode in ihrer nach-
herigen Lagerstäte versteinert worden, und ihre
Struktur beweist, daſs sie nicht zu den Seethie-
ren gehört haben kann.
Es lebten also einst in der gemäſsigten Zone
der nördlichen Erdhälfte Fische und Amphibien,
wovon jetzt nur in weit südlichern Gegenden
N 3ähn-
[198] ähnliche Formen vorhanden sind. Läſst sich
hieraus nicht schlieſsen, daſs das Clima jener Zo-
ne ehemals wärmer war, als in jetzigen Zeiten?
Ist es daher nicht wahrscheinlich, daſs die Farrn-
kräuter, die Ohiothiere, Elephanten, Nashörner
und die übrigen Pflanzen und Thiere der Vor-
welt, welche Erzeugnisse eines wärmern Him-
melsstrichs zu seyn scheinen, und deren Ueber-
bleibsel in den gemäſsigten und kalten Ländern
des Nordens begraben liegen, ebenfalls in diesen
Ländern einheimisch waren? Wird diese Mei-
nung nicht dadurch unterstützt, daſs die baum-
artigen Farrnkräuter und die groſsen rohrartigen
Gewächse, die in manchen Steinkohlenflötzen
vorkommen, oft so darin aufrecht stehen, als
ob sie an Ort und Stelle gewachsen wären?
Spricht für sie nicht der Umstand, daſs man die
fossilen Ueberbleibsel von Säugthieren familien-
weise gelagert findet, und daſs es z. B. in Sibe-
rien Elephanten, Nashörner und Ochsen, in der
Gegend von Paris Anoplotherien und Paläothe-
rien, in Nordamerika Ohiothiere u. s. w. sind,
was man dort von Fossilien antrifft? Beweisen
nicht die Fluſsschnecken, womit das Lager der
fossilen Elephanten von Burgtonna angefüllt ist,
daſs diese Gebeine nicht durch Meeresfluthen da-
hin gebracht seyn können, sondern in der Ge-
gend, wo sie begraben liegen, gelebt haben
müssen?
Diese
[199]
Diese Fragen müssen wir aber mit Nein be-
antworten. Daſs in der Gegend von Vestena
Nova, von Thüringen u. s. w. sich vormals Fi-
sche und Amphibien aufhielten, wovon jetzt nur
in Gegenden, die weit mehr nach Süden liegen,
analoge Formen gefunden werden, beweiset blos,
daſs die Meere der nördlichen Erdhälfte in jenen
Zeiten eine Fauna hatten, welche der heutigen
südlichen weit ähnlicher war, als der heutigen
nördlichen, nicht aber, daſs das Clima der jetzi-
gen gemäſsigten Zone ehedem wärmer war, als
heutiges Tages. Die Fische und Amphibien
nehmlich sind in ihrer Verbreitung von der heis-
sen bis zur gemäſsigten Zone nicht so beschränkt,
wie die meisten Säugthiere. Der Amerikanische
Alligator geht nordwärts bis zum Cap Henry in
Virginien (p), also bis zu einem Himmelsstri-
che, der gewiſs nicht wärmer ist, als der, un-
ter welchem die Lagerstäte des Spenerschen Cro-
codils liegt.
Eben so wenig beweiset der aufrechte Stand
mancher gröſserer Phytolithen, daſs diese in ih-
rer jetzigen Lagerstäte gewachsen sind. Derglei-
chen Fälle von aufrecht stehenden Pflanzenver-
steinerungen gehören zu den seltenen. Die mei-
sten liegen unordentlich, zerrissen und verstüm-
melt
N 4
[200] melt durch einander; alles beweist, daſs sie
durch eine äussere Gewalt in ihre jetzige Lage
gebracht sind (q). Daſs nun unter diesen Um-
ständen manche gröſsere Stämme eine senkrechte
Stellung erhielten, ist nichts weniger als son-
derbar; wohl aber würde es sonderbar seyn,
wenn dies nicht der Fall wäre, und alle eine
horizontale Lage hätten.
So berechtigt auch der Umstand, daſs die
Fossilien von Säugthieren meist familienweise
gelagert sind, nicht zu dem Schlusse, daſs die
jetzige Lagerstäte derselben die vormalige Hei-
math dieser Thiere war. Es folgt blos dar-
aus, daſs diese einst einen gemeinschaftlichen
Aufenthalt gehabt haben müssen. Denn was
von einerley Strohme ergriffen und fortgerissen
wurde, muſste auch in einerley Gegend abge-
setzt werden.
Was endlich den Umstand betrifft, daſs die
Mergelschichte von Burgtonna Elephantengerippe
und zugleich Fluſsschnecken enthält, so steht
diese Beobachtung so isolirt, daſs sich gar nichts
daraus schliessen läſst. Fast in allen übrigen
Gegenden liegen neben den fossilen Säugthier-
knochen Meeresprodukte. Es ist daher weit na-
türli-
[201] türlicher zu glauben, daſs die Gerippe von Burg-
tonna aus dem Meeresgrunde, worin sie anfangs
lagen, in der Folge durch ausgetretene Flüsse
wieder hervorgewühlt, in eine andere Gegend
geschwemmt, und hier in einem Fluſsbette wie-
der verschüttet sind.
Es lassen sich aber auch mehrere Gründe
anführen, welche der Meinung, daſs alle Petre-
fakten und Fossilien von Pflanzen und Landthie-
ren an den Stellen, wo sie jetzt begraben liegen,
einst gelebt haben sollten, ganz entgegen sind.
Erstens nehmlich ist es gewiſs, daſs, wenn die-
se Hypothese gegründet wäre, die Polargegenden
ein ähnliches Clima wie die jetzigen heissen Zo-
nen gehabt haben müſsten. Elephanten, Nas-
hörner, Antilopen und ähnliche Thiere konnten
so wenig vormals, als heutiges Tages, in der Eis-
zone ausdauern, konnten so wenig ehedem, als
jetzt, in diesen unwirthbaren Gegenden Nahrung
finden. Aber aus welcher Voraussetzung will
man eine so totale Veränderung des Clima erklä-
ren? Antwortet man, aus einer Veränderung
der Erdaxe, so läſst sich weiter fragen, wo-
durch diese hervorgebracht seyn soll? und dann
bleibt nichts übrig, als einen Cometen, der mit
der Erde zusammenstieſs, zu Hülfe zu nehmen.
Aber eine solche Hypothese ist unvereinbar mit
geläuterten Begriffen von der Organisation der
N 5Na-
[202] Natur und dem regelmäſsigen Gange ihrer Ver-
änderungen. Die Lage der Erdaxe ist abhängig
von der Organisation unsers ganzen Sonnensy-
stems, und diese ist gegenseitig abhängig von
jener. Eine plötzliche Verrückung der erstern
würde eine eben so schnelle Zerrüttung dieses
Systems nach sich ziehen. Aber wo hat sich je,
seitdem das Firmament beobachtet ist, ein Bey-
spiel von einer unregelmäſsigen Veränderung in
der Lage und Bahn eines Himmelskörpers ge-
funden?
Auf eine andere Art hat von Humboldt(r)
die obige Frage zu beantworten gesucht. Setzen
wir, sagt dieser, das Daseyn eines ersten Nie-
derschlags, einer einmaligen Abscheidung aus der
chaotischen Flüssigkeit, worin sich die Erde einst
befand, voraus, so liegt in dieser ersten Wir-
kung selbst die Ursache aller folgenden. So oft
ein Stoff aus dem flüssigen Zustande in den fe-
sten übergeht, wird Wärme entbunden. Steigt
nun das Thermoskop schon merkbar, wenn we-
nige Kubiklinien Eis entstehen, werden die be-
nachbarten Wasserschichten merkbar erwärmt,
indem die zarten Salzcrystalle sich abscheiden,
welche Erhöhung der Temperatur, welche Er-
hitzung muſste nicht erfolgen, indem ungeheure
Mas-
[203] Massen erdiger Grundstoffe, mächtige Gebirgs-
schichten sich niederschlugen! Diese entbundene
Wärme ging in die noch übrigen Theile der
Auflösung, und erregte in diesen Verdampfung,
Verminderung des Menstruums, und, als un-
mittelbare Folge der Verminderung, neue Nieder-
schläge. Die Entstehung der ersten Gebirgs-
schichte ist also selbst die Ursache zur Entste-
hung einer folgenden. Je gröſser aber die er-
härtete, oder niedergeschlagene Masse war, desto
schneller muſste derselben ein neuer Niederschlag
folgen. Je mehr Niederschläge vorhergegangen
waren, desto erwärmter muſste im Ganzen der
Rest des Menstruums seyn. Während nun die
Temperatur des Mediums allmählig erhöhet wur-
de, während die aufgelösten, sich abscheidenden
Grundstoffe ihre Ziehkräfte gegen einander und
gegen das Medium ausübten, wurde ein Theil
des letztern zersetzt. Es entwickelten sich
Dämpfe, und mit diesen luftförmige Stoffe, und
der Dunstkreis gewann eine neue Mischung und
neue Schichten. Mit den aufsteigenden gasför-
migen Stoffen ging endlich auch eine groſse
Masse von Wärmestoff in den neuen Dunstkreis
über. So konnte unter dem 70° der Breite, wie
unter 20°, nur ein Palmenclima entstehen.
Ohnstreitig liegt in diesen Schlüssen manches
Wahre. Wahr ist es, daſs bey jedem Nieder-
schla-
[204] schlage Wärme und gasförmige Stoffe entbunden
werden muſsten, und wahr ist es, daſs hier-
durch der erste Niederschlag zur Ursache aller
folgenden wurde. Aber zweifelhaft ist es, ob
jene entbundene Wärme eine bedeutende Erhö-
hung der Temperatur bewirken konnte, und un-
richtig ist die Folgerung, daſs auf diese Art in
den Polarländern ein Palmenclima hätte entste-
hen können. Denn entwickelten sich bey je-
dem Niederschlage zugleich Dämpfe und luft-
förmige Stoffe, so muſste die Wärme, die bey
jener Präcipitation entwickelt war, bey der Bil-
dung der letztern wieder gebunden werden, und
so konnte diese zur Erhöhung der Temperatur
des Wassers und der Athmosphäre nicht viel
beytragen. Aber gesetzt diese wäre auch be-
trächtlich dadurch erhöhet worden, so hätte doch
nimmer auf diese Weise in den Polargegenden
ein Palmenclima entstehen können. Es ist ja
nicht blos der hohe Grad von Wärme, es ist
auch der senkrechte Fall der Sonnenstrahlen,
die beständige Gleichheit der Tage und Nächte,
die Regelmäſsigkeit aller meteorologischen Verän-
derungen, kurz es sind noch eine Menge ande-
rer, von der Temperatur unabhängiger Einflüs-
se, wovon die Pflanzen und Thiere der Tropen-
länder abhängen. Wäre dies nicht, warum
wüchsen dann nicht in den warmen Quellen von
Europa die Pistia Stratiotes, der Saururus, und
ande-
[205] andere, den Ländern, die zwischen den Wende-
kreisen liegen, eigene Wasserpflanzen?
Diese Gründe lassen sich noch durch ande-
re, die von den Lagerstäten der Versteinerungen
und Fossilien, und der Beschaffenheit mancher
Ueberbleibsel ehemaliger Thiere hergenommen
sind, unterstützen. Der Bernstein kömmt an
den Küsten des Eismeers, im nördlichen und
südlichen Europa und auf Madagascar vor. Ele-
phantenknochen liegen in allen Ländern von Eu-
ropa, in Siberien, in der Tartarey und im nörd-
lichen Afrika. Ueberbleibsel des Ohiothiers wur-
den nicht nur in Canada, sondern auch in Ita-
lien, an der westlichen Seite des Uralischen Ge-
birges, auf der Höhe von Santa-Fé, in Tima-
na, Ibarra und Chili gefunden. Man nehme,
welche Hypothese man will, eine Veränderung
der Erdaxe, oder eine Erhöhung der Temperatur
durch die Niederschläge, welche in der chaoti-
schen Flüssigkeit statt fanden, bey keiner wird
man wagen dürfen, zu behaupten, daſs alle
diese so verschiedene Länder den Pflanzen und
Thieren, wovon jene Fossilien herrühren, einst
zur Heimath gedient haben.
Ein zweyter Grund ist dieser, daſs es in
mehrern Gegenden, z. B. in dem Petersberge von
Ma-
[206] Mastricht (s), und in mehrern von denjenigen
Sandhügeln des flachen Landes von Ruſsland,
welche Ochsen- und Elephantengebeine enthal-
ten (t), versteinerte Holzblöcke giebt, welche
von allen Seiten und nach allen Richtungen von
Pfahlwürmern durchbohrt sind, unordentlich zer-
streut liegen, und also vor der Versteinerung
lange ein Spiel der Meereswellen gewesen seyn
müssen. Wenn nun diese ohne Zweifel aus
fremden Gegenden in ihre jetzige Lagerstellen
gebracht sind, warum tragen wir denn Beden-
ken, die vielen andern Reste von Thieren und
Pflanzen, die in den Ländern der gemäſsigten
und kalten Zone des Nordens begraben liegen,
ebenfalls für Fremdlinge anzunehmen? Giebt es
nicht heut zu Tage noch etwas ganz Aehnliches
an der ungeheuren Menge Treibholz, das in Da-
vis-Sund, bey Island, und in Siberien zwischen
dem Ob und Jenisey angeschwemmt wird, und
welches nur aus sehr entfernten Gegenden her-
rühren kann (u)?
Wir haben oben bemerkt, daſs die Steinkoh-
lenflötze aus ehemaligen Torfmooren entstanden
zu
[207] zu seyn scheinen. Wenn diese Meinung ge-
gründet ist, so folgt daraus ebenfalls, daſs die
Ueberbleibsel von Gewächsen, die sich in jenen
Flötzen befinden, aus wärmern südlichern Ge-
genden herrühren müssen. Torfmoore nehm-
lich erzeugen sich nur in den kalten und ge-
mäſsigten Zonen (v). Nur in diesen Gegenden
konnten also auch Steinkohlen entstehen. Dort
aber konnten keine baumartige Farrnkräuter,
keine Palmen und keine, dem Zuckerrohr ähnli-
che Pflanzen wachsen. Die Gewächse, denen
die Torfmoore, woraus die Steinkohlenflötze ent-
standen sind, ihren Ursprung verdanken, müssen
also von den Wendecirkeln hergeführt, in den
nördlichern Gegenden angehäuft, und hier in den
Zustand des Torfs übergegangen seyn.
Erwägt man ferner den geringen Grad von
Zerstöhrung, den manche jener Fossilien erlitten
haben, so wird man auch hierin einen Grund
gegen die obige Behauptung finden. Ein Reise-
gefährte des Ysbrand Ides entdeckte in Siberien
einen mit dem Fleische noch bekleideten, mit
Blute noch gefärbten Elephantenschädel, und
Pal-
[208]Pallas ein ganzes, mit Haut, Haaren und Liga-
menten noch versehenes Rhinozerosgerippe. Wo
anders, als in einem stets gefrornen Erdreiche
konnten die weichen Theile dieser Fossilien so
viele Jahrtausende hindurch der Fäulniſs wider-
stehen? Siberien muſste schon damals, als Ele-
phanten und Nashörner auf den Steppen dessel-
ben begraben wurden, ein sehr kaltes Clima ha-
ben, und widersinnig ist es also, jenen Erd-
strich für das ehemalige Vaterland dieser Thiere
anzunehmen.
Indeſs dürfen wir auch nicht alle fossile Re-
ste von Pflanzen und Säugthieren für ehemalige
Bewohner fremder Gegenden ansehen. Einige
giebt es allerdings, die an dem Orte, wo sie be-
graben liegen, gelebt zu haben scheinen. Aber
gerade von diesen läſst sich wieder ein Beweis
hernehmen, daſs die meisten der übrigen aus
entfernten Ländern herstammen müssen. Zu je-
nen gehört vieles fossile Holz und der fossile
Bär. In der thonartigen Unterlage ausgeleerter
Torfgruben kommen nicht selten noch senkrecht
stehende Stämme von Bäumen vor, deren Wur-
zeln sich in den Thon verbreiten, und welche
zum Theil mit ihrer kennbaren natürlichen Rin-
de umgeben sind, so daſs sich die Geschlechter,
zu welchen sie gehören, noch deutlich unter-
schei-
[209] scheiden lassen (w). Diese Bäume sind ohnstrei-
tig an ihrer Geburtsstelle verschüttet. Sie gehö-
ren zu den Geschlechtern der Birken, Buchen,
Fichten, Eichen, und überhaupt zu solchen, die
noch heut zu Tage den gemäſsigten und kalten
Zonen eigen sind. Manche sind vielleicht auch
auf ähnliche Art zusammengehäuft worden, wie
noch heut zu Tage in dem Nordamerikanischen
Athapuskow-See jährlich ungeheure Lagen von
Treibholz gebildet werden. In dem Athapuskow-
flusse, der sich in jenen See ergieſst, ist nehm-
lich das Aufbrechen des Eises im Frühjahre im-
mer von einer so starken Fluth begleitet, daſs es
nichts Seltenes seyn soll, ganze Landspitzen von
der Ueberschwemmung weggespühlt zu sehen,
wobey dann die Bäume, die dicht am Ufer wach-
sen, in groſser Menge mit fortgerissen, nach
dem groſsen See geschwemmt, und an den Ufern
und Inseln desselben in unglaublicher Menge an-
gehäuft werden (x). Aber in dem Torfmoore
bey Osterholz im Bremischen hat man neben sol-
chen verschütteten Baumstämmen auch Bernstein
gefunden. Man hat ferner, wie schon oben be-
merkt
III. Bd. O
[210] merkt worden, in Torfmooren Elephanten- und
Nashornknochen, ausserordentlich groſse Geweihe
hirschartiger Thiere, und gigantische Ochsen-
hörner angetroffen. Nun sollte in dem Vaterlan-
de der Birken, Fichten, Buchen und Eichen zu-
gleich der Bernstein erzeugt seyn, der auch in
Italien, ja selbst in Madagascar vorkömmt? Un-
ter jenen Bäumen sollten Elephanten und Nas-
hörner gelebt haben? Wer wird dies zu behaup-
ten wagen?
Daſs auch der fossile Bär da gelebt haben
muſs, wo die Ueberbleibsel desselben gefunden
werden, erhellet daraus, weil diese blos in Höh-
len vorkommen. Es ist ungereimt, anzuneh-
men, daſs sie durch Meeresströhme dahin ge-
bracht seyn sollten. Denn warum wären sie
dann blos in Höhlen, und zwar in mehrern,
zum Theil weit von einander entfernten Höhlen
begraben worden? Warum fände man sie nicht
auch in andern Gegenden? Man beruft sich
zwar zur Rechtfertigung jener Annahme auf die
Ueberbleibsel von löwen- oder tigerartigen Thie-
ren, welche ebenfalls in der Scharzfelder und in
einer der Gailenreuther Höhlen vorkommen. Al-
lein wir haben schon gesehen, daſs es zweifel-
haft ist, ob jene Fossilien nicht vielmehr von
einer Robbenart, als einem Thiere des Katzen-
geschlechts herrühren. Und gesetzt, sie wären
in
[211] in der That, was sie gewiſs nicht sind. Kno-
chen eines Löwen oder Tigers, so ist es doch
nicht von diesen Fossilien, wohl aber von denen
der ausgestorbenen Bärenart ausgemacht, daſs sie
blos in Höhlen vorkommen. Sie können also
eben so wohl zufällig dahin gerathen seyn, wie
die Gebeine von zahmen einheimischen Thieren
und von Menschen, die man in den Gailenreu-
ther Höhlen antrifft (y). Jene Bärenart nun ist
dem heutigen Eisbären so nahe verwandt, daſs
sie schwerlich in einem Clima gelebt haben kann,
welches von der Heimath des letztern sehr ver-
schieden war. Und in diesem Clima sollten
auch Elephanten und Nashörner existirt haben?
Noch einmal frage ich: Wer wird dies zu be-
haupten wagen?
§. 21.
Wir haben also einen hohen Grad von Wahr-
scheinlichkeit für uns, wenn wir annehmen, daſs
der gröſste Theil der fossilen Reste von Pflanzen
und Landthieren aus den Tropengegenden in
ihre jetzigen Lagerstäten gebracht sind. Die
Ursache dieser groſsen Revolution nun kann kei-
ne andere gewesen seyn, als eine Ueberschwem-
mung,
O 2
[212] mung, welche von Mittag nach Mitternacht ging,
alles mit sich fortriſs, was ihr an Pflanzen und
Thieren in den Tropenländern aufstieſs, und ih-
ren Raub bis zur nördlichen Eiszone wegführte.
Nur diese Voraussetzung erklärt uns befriedigend
alle die Thatsachen, die wir in den vorigen
§phen angeführt haben, und ausserdem hat sie
noch andere Gründe auf ihrer Seite. Alles nehm-
lich beweist, daſs der Ocean von den Zeiten
an, wo die Urgebirge gebildet wurden, bis zu
der groſsen Ueberschwemmung, die dem Ent-
stehen der jetzigen lebenden Natur vorherging,
einen beständigen Zug gehabt hat, welcher an-
fangs fast gerade von Süden nach Norden ge-
richtet war, sich aber in der Folge mehr nach
Westen lenkte, und vielleicht in dem Magnetis-
mus der Erde seinen Grund hatte. Für diesen
Satz spricht die Struktur aller solcher Bergket-
ten, die von Morgen nach Abend streichen,
und der Gewalt jenes Strohms ausgesetzt waren.
Die groſse Reihe von Gebirgen, die ganz Asien
bis zu dessen östlichen Küsten durchläuft, und
die südliche Gränze von ganz Siberien ausmacht,
starrt allenthalben von nackten, zerrissenen, ur-
anfänglichen Felsen, ist häufig durch die Betten
der Flüsse, die nach Norden fliessen, unterbro-
chen, und trägt überhaupt unverkennbare Spuh-
ren von gewaltsamen Wirkungen an sich, die
sie in der Richtung von Süden nach Norden
erlit-
[213] erlitten haben muſs (z). Hier findet man auch
den Granit in Schichten gelagert, die von Mit-
tag nach Mitternacht streichen. — Besteigt man
das Riesengebirge, so sieht man allenthalben
Granit auf der Nordseite, und Glimmerschiefer
auf der Südseite, und diese Gebirgsarten wech-
seln genau dort, wo das Gebirge seine gröſste
Höhe erreicht hat. Der Glimmerschiefer wurde
an jener Bergkette sichtbar von Süden abgesetzt.
Die Fluth, aus welcher sich diese neue Gebirgs-
art niederschlug, konnte sich nicht weit genug
erheben, um sich über den schon gebildeten
Granit zu verbreiten (a).
Daſs aber die Richtung jenes Strohms sich
in der Folge mehr nach Westen lenkte, ist dar-
aus offenbar, weil solche Länder, die gegen
Westen durch uranfängliches Gebirge geschützt
sind, keine Spuhr neuerer Flötzgebirgsarten ent-
halten, indem sich das Land da, wo der Lauf
des Gebirges in Westen aufhört, mit allen Ge-
birgsarten der Flötzgebirgsformation bedeckt. So
ver-
O 3
[214] verhält es sich in Schlesien, und so an der
Uralischen Bergkette. Man trifft keine neuere
Flötzgebirgsarten weder in dem flachen Lande
von Schweidnitz, noch von Breslau, weder in
Brieg, noch Münsterberg oder Neisse an, weil
auf der Westseite dieser Länder uranfängliche
Gebirge liegen; man findet sie aber im Fürsten-
thum Jauer, in Troppau, Jägerndorf und den fla-
chen Gegenden von Oberschlesien, weil diesen
der Schutz jener Gebirge fehlt (b). Die Urali-
sche Bergkette ist in ihrer ganzen Länge so be-
schaffen, daſs sie an ihrer Westseite sehr groſse
und erzreiche Flötze hat, an der Ostseite aber
mit dem Ganggebirge bis ganz in das flache Land
streicht und die Flüsse begleitet, so daſs erst in
der Ebene ganz flach streichende Flötze bemerkt
werden (c).
Für diesen Satz würde auch die Lage der
umgestürzten Bäume zeugen, die in den Engli-
schen, Dänischen, Friesländischen, Bremischen,
Holländischen und andern Torfmooren des nord-
westlichen Europa liegen, wenn es ausgemacht
wäre, daſs, wie von Beroldingen(d) versi-
chert,
[215] chert, die Kronen dieser Bäume immer nach
Nordost, ihre Wurzeln aber gegen Südwest
gerichtet sind, und daſs nicht eine blos partielle
Ueberschwemmung den Umsturz dieser Wälder
bewirkt hat. Allein mit von Beroldingen’s An-
gabe stimmen die Berichte anderer Schriftsteller
nicht überein. Nach Weis(e) ist die Lage der
verschütteten Bäume durchgängig Nordwest und
Südost, und die Kronen liegen nach der letztern,
die Wurzeln nach der erstern Himmelsgegend.
Daſs übrigens auch die Ursache des Umsturzes
jener Wälder vermuthlich keine allgemeine Ue-
berschwemmung, sondern die groſse Cimbrische
Wasserfluth war, ist schon oben bemerkt wor-
den.
Erinnert man sich jetzt unsers obigen Sat-
zes, daſs bey der Bildung des festen Theils der
Erde gleichzeitige Erhebungen und Senkungen
der Erdrinde statt gefunden haben, so wird man
die groſsen Catastrophen, welche die lebende
Natur seit der Entstehung des festen Landes
erlitten hat, befriedigend zu erklären im Stande
seyn.
Die Länder der Tropengegenden waren, als
die wärmern und der Erzeugung lebender Kör-
per
O 4
[216] per günstigern, die ersten, auf welchen Pflan-
zen gebildet wurden. Allein in der Zeit des
Entstehens dieser Organismen, wo Berge zu Ab-
gründen herabsanken, und Abgründe sich zu
Bergen erhoben, war alles Land von kurzer
Dauer. Die ersten Wälder und Haine, welche
die Erde hervorgebracht hatte, wurden vom
Wasser verschlungen, indem der Boden, der sie
trug, zu Meeresboden, und ein anderer Meeres-
boden zu festem Lande wurde. Sie wurden
fortgerissen von dem allgemeinen Strohme des
Oceans, dessen Richtung nach Norden ging, in
mitternächtliche Gegenden geführt, wo die Na-
tur noch keine Pflanzen zu bilden vermogt hat-
te, und hier in Steinkohlen verwandelt.
In der Folge aber gewannen die Theile der
Erdrinde, die sich aus dem Meere erhoben hat-
ten, mehr Festigkeit und Dauer, und die bil-
denden Kräfte der Natur Zeit, auf dem festen
Lande ungestöhrt zu wirken. Jetzt erzeugten
sich in der wärmern Zone das Ohiothier, der
Mammouth, Nashörner, Tapire, Anoplotherien
und Paläotherien, und in den kältern mitter-
nächtlichen Ländern entstanden jetzt ebenfalls
vegetabilische und animalische Organismen, von
welchen unter andern der fossile Bär und man-
ches fossile Holz Ueberbleibsel sind. Doch auch
diese Ruhe der Erde war nicht dauernd. Jene
Pe-
[217] Periode erreichte ein Ende, indem sich im In-
dischen Ocean ein groſses festes Land erhob,
und eine allgemeine Ueberschwemmung der Ge-
genden, die bis dahin über der Meeresfläche her-
vorgeragt hatten, verursachte.
Diese Fluth war es, in welcher die Säug-
thiere der Vorwelt, wovon die Gebeine noch
übrig sind, ihren Untergang fanden. Der all-
gemeine Zug derselben ging nach Nordosten.
Alles, was in den Tropenländern von ihr ergrif-
fen war, wurde nach Mitternacht geführt.
Manches wurde von Bergen, die dem Strohme
entgegenstanden, ohnweit dem Orte, wovon es
weggeführt war, aufgehalten, und auf diesem
begraben. Vieles aber trieb bis zum äussersten
Norden. Daher rührt es, daſs manche Ueber-
bleibsel von Pflanzen und Thieren der Vorwelt
so weit von Süden nach Norden verbreitet sind,
daſs der Bernstein sowohl in Italien und Mada-
gascar, als am Eismeere, und das Ohiothier so-
wohl auf der Höhe von Santa-Fé, als in Cana-
da, gefunden wird. Diejenigen Pflanzen und
Thiere, die bis in die nördlichen Gegenden ge-
langten, geriethen hier unter Produkte der kal-
ten Zone, und wurden mit diesen in einerley
Boden verschüttet. So entstand hier jenes wun-
derbare Gemisch von Erzeugnissen eines Palmen-
clima und eines kalten Erdstrichs, wovon allent-
O 5hal-
[218] halben in Europa, Nordamerika und Nordasien
Beyspiele vorhanden sind.
Ferner, was in einerley Gegend von jenem
Strohme ergriffen war, wurde auch in einerley
Gegend abgesetzt. Deswegen finden wir noch
jetzt solche Thiere, die eine gemeinschaftliche
Heimath hatten, in gemeinschaftlichen Lagerstä-
ten, und umgekehrt läſst sich schliessen, daſs
Thiere, welche familienweise gelagert sind, in
einerley Gegend gelebt haben müssen, und daſs
ihre Verbreitung desto gröſser war, je verschie-
dener die Erdstriche sind, in welchen sie vor-
kommen. Wir werden daher annehmen dürfen,
daſs der Mammouth, das Rhinozeros der Vor-
welt, und der fossile Siberische Ochse eine ge-
meinschaftliche und dabey sehr ausgedehnte Hei-
math hatten, und daſs die Paläotherien und Ano-
plotherien sich ebenfalls in einem gemeinschaftli-
chen, aber weit eingeschränktern Bezirke auf-
hielten. Berge und andere locale Hindernisse
bewirkten aber oft in der Richtung des Strohms,
der diese Thiere aus ihrem Vaterlande entführte,
eine partielle Ablenkung, und so gelangten zu-
weilen einzelne Individuen einer Thierart in eine
ganz andere Gegend, wie die übrigen. Daher
dürfen wir auch nicht aus der Lagerstäte ein-
zelner Ueberbleibsel einer Gattung auf den ehe-
maligen Wohnort derselben schliessen, und dür-
fen
[219] fen nicht glauben, daſs das Ohiothier einerley
Heimath mit dem Mammouth gehabt hat, weil
einzelne Gebeine des erstern in der alten Welt
an denselben Stellen gefunden sind, wo die Ge-
rippe des letztern vorkommen.
Die Erhebung der Erdrinde im Indischen
Ocean war aber von keiner langen Dauer. Der
gröſste Theil des festen Landes, das hier ent-
standen war, sank bald wieder unter die Fläche
des Oceans herab, und es blieben nur die vie-
len Inseln, die jetzt den Indischen Archipelagus
ausmachen, und deren Küsten noch an vielen
Stellen so deutliche Merkmale des ehemaligen
Zusammenhangs mit einem andern Lande an
sich tragen (f), von demselben übrig. Mit der
Senkung dieses Continents sank auch der Ocean
wieder zu seiner vorigen geringern Höhe herab;
die Länder, die von ihm bedeckt gewesen wa-
ren, wurden wieder vom Wasser entblöſst, und
es
[220] es erzeugten sich auf ihnen neue Thiere und
Pflanzen.
Indeſs blieben noch lange nach dem Rück-
zuge des Wassers groſse Spuhren jener Ueber-
schwemmung zurück, und langsam ging die neue
Organisation der Erde von statten. Wir sehen
deutlich an den Ländern, von welchen das Cas-
pische Meer und der Baikal-See eingeschlossen
ist, daſs diese Seen noch lange nach jener gro-
ſsen Wasserfluth einen ungleich gröſsern Erd-
strich bedeckt haben, wie sie zu unsern Zeiten
einnehmen (g), und sehr wahrscheinlich ist es,
daſs der Baikal-See ehedem mit dem Eismeere
zusammengehangen hat. Eben diese ausgedehn-
tere Herrschaft des Wassers fand ohne Zweifel
noch in mehrern andern Gegenden statt. Viele
Erdstriche, die jetzt nur durch Flüsse und klei-
nere Seen unterbrochen sind, bestanden vielleicht
noch viele Jahrhunderte nach der allgemeinen Ue-
berschwemmung aus isolirten Inseln. Hingegen
waren andere Länder, die jetzt durch Meere ge-
trennt sind, z. B. das südliche Europa und das
nördliche Afrika, und vielleicht auch das nördli-
che Europa und Nordamerika, unter einander
verbunden.
So
[221]
So verschieden die damalige Gestalt der Län-
der von der jetzigen war, so verschieden muſste
auch der damalige Boden und das damalige Clima
von dem heutigen seyn. Der Boden enthielt
Bestandtheile, die jetzt längst zersetzt, oder mit
Ackererde vermischt und bedeckt sind; da, wo
in jenen Zeiten zusammenhängendes Land war,
und wo jetzt nur noch Inseln sind, muſste ein
wärmeres, und da, wo ein jetzt zusammenhän-
gendes Land aus Inseln bestand, ein kälteres Cli-
ma herrschen, als heutiges Tages; milder muſs-
te die Temperatur der Polargegenden seyn, wo
sich noch nicht jene ungeheuren Eisberge aufge-
thürmt hatten, von welchen jetzt diese Zonen
starren; der damalige Gang der meteorologischen
Veränderungen muſste ebenfalls sich von dem ge-
genwärtigen sehr unterscheiden, und besonders
muſste dies der Fall in den gemäſsigten und kal-
ten Zonen seyn, wo jene Veränderungen so ab-
hängig von localen Ursachen sind.
Eine andere Gestalt, als zu unsern Zeiten,
hatte deswegen auch die damalige lebende Na-
tur; doch lag in ihr schon der Keim zu ihrer
jetzigen Beschaffenheit. Hing in jenen Zeiten
das nördliche Europa mit Nordamerika zusammen,
und ist Island ein Ueberbleibsel dieser Verbin-
dung, so ist es begreiflich, wie in dem noch un-
entkräfteten Boden und in dem mildern Clima
jener
[222] jener Insel einst groſse Wälder haben gedeihen
können, so läſst sich einsehen, wie die Thiere
und Pflanzen der kalten und gemäſsigten Zone
des Nordens sich zum Theil von Osten nach
Westen und von Westen nach Osten über alle
Länder jener Zone verbreiten konnten, und so
ist es erklärbar, warum Europa und Nordame-
rika noch in jetzigen Zeiten so viele Gewächse
und Thiere mit einander gemein haben (h).
Eben so läſst sich aus dem ehemaligen Zusammen-
hange des südlichen Europa mit dem nördlichen
Afrika die groſse Aehnlichkeit herleiten, welche
in dem Thier- und Pflanzenreiche dieser Länder
statt findet (i). War aber Nordasien ehedem
von den Armen groſser Landseen, deren einige
mit dem Weltmeere Verbindung hatten, durch-
schnitten, so läſst sich einsehen, wie der See-
hund in die Siberischen Seen Baikal und Oron
gekommen ist (k), warum so viele Arten der
Europäischen Flora und Fauna im nördlichen
Asien fehlen (l), warum so viele, diesem Erd-
strich eigene Pflanzen und Thiere auf so enge
Bezirke eingeschränkt sind, und z. B. der Rham-
nus Davuricus Pall. nirgends vorkömmt, als
an
[223] an den Ufern des Argun in Daurien (m), die
Robinia ferox sich nirgends in allen Gegenden
jenseits des Baikals, als in dem groſsen Thale,
welches sich vom Temnik und Gusinoi Osero
mit dem Selenga fast parallel bis an den Bach
Ubukun erstreckt, und noch einigen Gegenden
bis an den Orongoi findet (n), die schwarze
Birke ausser Daurien in ganz Siberien nicht zu
sehen ist, und auch da erst zwischen dem Onon
und Argun anfängt (o), der Cricetus Songarus
und furunculus sich blos in der Baraba aufhal-
ten (p), und der an die Mongoley gränzende
und an der Nordseite von Baikal eingeschlossene
Landstrich so reich an eigenen Thieren und
Pflanzen ist (q).
Nichts würde aber unrichtiger seyn, als alle
Aehnlichkeit des Thier- und Pflanzenreichs ver-
schiedener Länder aus einer ehemaligen Verbin-
dung dieser Erdstriche erklären zu wollen, und
zu glauben, daſs solche Organismen, die in ganz
verschiedenen Gegenden einheimisch sind, sich
blos durch Wanderungen so weit verbreitet ha-
ben.
[224] ben. Wäre diese Meinung gegründet, warum
hätte dann das nordwestliche Europa weit mehr
mit dem nordwestlichen, als dem nordöstlichen
Amerika an Pflanzen gemein (r)? An jedem
Orte der Erde, wo die bildenden Kräfte der Na-
tur wirken konnten, haben diese Autochtonen
hervorgebracht, lebende Körper,
Da, wo ein gleiches Clima, eine gleiche Mi-
schung des Bodens, des Wassers und der Ath-
mosphäre, und eine ähnliche geographische Lage
statt fand, waren auch diese Autochtonen sich
gleich, und die Arten, die sich aus ihnen ent-
wickelten, blieben sich ebenfalls gleich, so lange
sich die Einwirkungen, denen sie ausgesetzt wa-
ren, nicht veränderten. Welche Thiere und
Pflanzen eines Landes Nachkommen solcher Au-
tochtonen sind, und welche von eingewanderten
Fremdlingen herstammen, läſst sich indeſs schwer-
lich bestimmen.
Aber wie sind die mannichfaltigen Formen der
lebenden Natur entstanden? Waren sie alle un-
mittelbare Geburten der Erde (γηγενεῖς)? Gin-
gen sie, gleich der Aphrodite des Fabellandes,
aus dem Schaume des Meers hervor? Oder wur-
den blos die einfachern Zoophyten auf diese
Wei-
[225] Weise erzeugt, und entstanden die zusammen-
gesetztern Organismen, indem sich jene Grund-
formen von Generation zu Generation immer
mehr ausbildeten?
Sieht man, wie sich in Aufgüssen von thie-
rischen und vegetabilischen Substanzen zusam-
mengesetztere Organismen aus einfachern ent-
wickeln (s), erwägt man, daſs die ganze leben-
de Natur ebenfalls bey ihrer Bildung stufenwei-
se vom Einfachern zum Zusammengesetztern fort-
geschritten ist, so ist es klar, daſs alles Leben
nur von den niedern Stufen der Organisation zu
den höhern gelangen kann. Diese müssen also
durch jene bedingt seyn. Aber wie können sie
dies anders seyn, als dadurch, daſs der einfache-
re Organismus sich von Generation zu Genera-
tion immer mehr ausbildet? Wir glauben daher,
daſs die Encriniten, Pentacriniten, Ammoniten,
und die übrigen Zoophyten der Vorwelt die Ur-
formen sind, aus welchen alle Organismen der
höhern Classen durch allmählige Entwickelung
entstanden sind. Wir sind ferner der Meinung,
daſs jede Art, wie jedes Individuum, gewisse
Perioden des Wachsthums, der Blüthe und des
Absterbens hat, daſs aber ihr Absterben nicht
Auflösung, wie bey dem Individuum, sondern
Dege-
III. Bd. P
[226] Degeneration ist. Und hieraus scheint uns zu
folgen, daſs es nicht, wie man gewöhnlich an-
nimmt, die groſsen Catastrophen der Erde sind,
was die Thiere der Vorwelt vertilgt hat, sondern
daſs viele diese überlebt haben, und daſs sie
vielmehr deswegen aus der jetzigen Natur ver-
schwunden sind, weil die Arten, zu welchen sie
gehörten, den Kreislauf ihres Daseyns vollendet
haben und in andere Gattungen übergegangen
sind.
So ist alles auf Erden flüchtig und vor-
übergehend, die Art wie das Individuum, und
das Geschlecht wie die Art. Selbst der Mensch
wird vielleicht einst vergehen und verwandelt
werden. Aber regelmäſsig war von jeher der
Gang der Natur bey allen ihren Veränderungen;
regelmäſsig wird er bleiben bis ans Ende der
Zeiten, und nicht ohne Grund läſst sich vermu-
then, daſs die Natur noch nicht die höchste
Stufe der Organisation in dem Menschen erreicht
hat, sondern in ihrer Ausbildung noch weiter
fortschreiten und noch erhabenere Wesen, noch
edlere Gestalten einst hervorbringen wird.
Ge-
[[227]]
Geschichte
des
physischen Lebens.
Viertes Buch.
P 2
[[228]][[229]]
Viertes Buch.
Erzeugung, Wachsthum und Abnahme der
lebenden Körper.
Wie der Inbegriff aller lebenden Organismen
der Erde aus dem Schoosse dieser gemeinschaft-
lichen Mutter hervorging, sich von den niedrig-
sten Stufen des Lebens zu immer höhern erhob,
und nach mannigfaltigen Verwandlungen endlich
seine jetzige Gestalt erhielt, sahen wir im vori-
gen Buche. Der nächste Gegenstand, der uns
jetzt zu untersuchen obliegt, ist die Frage: Wie
jedes lebende Individuum entsteht, sich ent-
wickelt, altert, und endlich aus der lebenden
Natur wieder verschwindet? Es giebt aber über-
haupt eine doppelte Entstehungsart der lebenden
Körper: entweder sie entkeimen ohne Mitwir-
kung ähnlicher Wesen der Erde, oder ihre Er-
zeugung geschieht auf dem Wege der Fortpflan-
zung. Jene erstere Entstehungsart ist schon im
zweyten Buche dieses Werks (a) untersucht wor-
den.
P 3
[230] den. Hier wird uns daher blos die letztere be-
schäftigen. Wir werden zuerst die Keime be-
trachten, aus welchen die lebenden Organismen
hervorgehen; wir werden die verschiedenen Er-
zeugungsarten dieser Keime unter allgemeine Ge-
sichtspunkte zu bringen suchen; wir werden fer-
ner trachten, die Gesetze zu bestimmen, nach
welchen jene Keime sich ausbilden und wieder
zu niedern Stufen der Vitalität zurückkehren;
und endlich werden wir uns bemühen, die in-
nern und äussern Bedingungen des Wachsthums
und der Abnahme der lebenden Individuen mit
den höchsten Sätzen, wovon unsere biologi-
schen Untersuchungen ausgingen, in Ueberein-
stimmung zu bringen.
Erster
[231]
Erster Abschnitt.
Erzeugung.
Erstes Kapitel.
Keime der lebenden Körper — Einthei-
lung der letztern nach der Verschie-
denheit ihrer Erzeugung.
Jeder lebende Körper entsteht aus einer Flüs-
sigkeit, und erst mit dem Uebergange der letz-
tern in einen festen Körper bemerken wir an
ihm Aeusserungen des Lebens, wird er zu ei-
nem Keime (germen).
Jene Flüssigkeit, die wir künftig mit dem Na-
men des weiblichen Saamens, oder weib-
lichen Zeugungsstoffs bezeichnen werden,
verdankt bey den meisten lebenden Körpern ei-
nem andern Organismus von derselben Art ihr
Entstehen, welcher letztere ebenfalls von einem
ähnlichen Wesen hervorgebracht wurde. Von
diesen Körpern machen alle, welche waren,
P 4sind
[232] sind und seyn werden, eine Kette aus, die sich
von beyden Seiten in die Vergangenheit und Zu-
kunft erstreckt. Blos von diesen wird in dem
gegenwärtigen Buche die Rede seyn.
Es giebt zwey Hauptarten von Keimen. Zur
einen gehört das Saamenkorn und das Ey,
zur andern die Sprosse und die Knospe.
Das Saamenkorn ist ein Keim der Pflanze,
das Ey des Thiers. Durch Knospen vermehren
sich die Pflanzen und Zoophyten; durch Sprossen
vervielfältigen sich sowohl die beyden letztern,
als die Würmer.
Saamenkörner und Eyer entstehen in einem
eigenen System von Organen, nehmlich dem der
weiblichen Zeugungstheile. Die Erzeugung der
Knospen und Sprossen aber ist auf keinen beson-
dern Theil des Organismus eingeschränkt.
Das Saamenkorn und Ey enthält die mate-
riellen Bedingungen der Entwickelung in sich
selber. In demselben bildet sich daher die
Frucht, getrennt von der Mutter, und das Gan-
ze stellt eine, in sich geschlossene Welt vor, die
es auch durch seine Tendenz zur kugelförmi-
gen Gestalt ausdrückt. Die formellen Bedin-
gungen der Entwickelung liegen zwar ausser je-
nem Ganzen. Aber diese können lange fehlen,
ohne
[233] ohne daſs das Vermögen desselben sich zu ent-
wickeln darum verlohren geht. Die Entwicke-
lung der Sprosse und Knospe hingegen ist von
Stoffen und Potenzen abhängig, die sich ausser
diesen Keimen, und zwar zum Theil in der
Mutter befinden. Sie sind daher ähnlicher Or-
ganen der Mutter, als selbstständigen Ganzen,
und ihr Entwickelungsvermögen erlöscht sehr
bald, wenn die Bedingungen der Thätigkeit des-
selben aufgehoben sind.
Die Saamenkörner werden im Eyerstocke er-
zeugt, und kommen auch an eben diesem Orte
zur Reife. Die Eyer hingegen entstehen zwar
ebenfalls in den Eyerstöcken, aber reifen erst
ausserhalb diesen Organen.
Der erste Anfang aller Organisation des Le-
bendigen ist ein Aggregat von Bläschen, die un-
ter einander keine Verbindung haben (b). Aus
diesen entstehen alle lebende Körper, so wie
auch alle darin wieder aufgelöset werden (c).
Unter
P 5
[234]
Unter den Zoophyten giebt es Körper, in
deren Textur jene Bläschen beständig sichtbar
bleiben, und keine andere Veränderung erleiden,
als daſs sie mehr Zusammenhang unter einander
bekommen. Dies ist z. B. der Fall bey den Arm-
polypen. Bey den Pflanzen und Thieren aber
bilden sich aus ihnen schon in dem Keime Fi-
bern und Gefäſse.
Das Erste, was an dem Saamenkorne und
Ey sich bildet, ist eine doppelte äussere Hülle,
von welchen die äussere härtere den Namen des
Chorion, die innere zartere den des Amnion
erhalten hat. Diese Membranen zeigen sich
schon, wenn das Innere des Saamenkorns und
Eys noch eine flüssige Substanz ohne sichtbare
Organisation ist.
An dem organisirten Saamenkorne entdeckt
man den äussern und innern Nabel, den
Embryo, den weissen Stoff und die Saa-
menblätter.
Der äussere Nabel ist eine Oeffnung oder
Narbe des Chorion, aus welcher sich Bündel
von Gefäſsen in alle Theile des Saamenkorns ver-
breiten. Da, wo diese Bündel in das Amnion
dringen, bilden sie den innern Nabel, an wel-
chem gewöhnlich eine farbige Stelle und eine
etwas erhabene Härte (Chalaza) zu bemerken ist.
Der
[235]
Der Embryo ist derjenige Theil des Saamen-
korns, welcher die Grundlage der künftigen
Pflanze ausmacht. Er besteht aus zwey Thei-
len, aus der Blattfeder (plumula), einem mit
kleinen Blättern versehenen Organ, welches zum
Stengel der Pflanze heranwächst, und der Wur-
zel (Radicula, Rostellum), einem spitzigen,
meist einfachen, bey einigen Grasarten aber viel-
fachen, jedoch nicht bey allen Gewächsen vor-
handenen (d), und auch nicht zur Entwicke-
lung der Blattfeder durchaus nothwendigen (e)
Körper, der beym Keimen in die Erde dringt.
Den Embryo umgiebt bey den meisten Pflan-
zen ganz oder doch zum Theil der weisse
Stoff (f), eine bald mehlichte, bald fleischichte,
bald horn- oder holzartige Substanz.
Zwi-
[236]
Zwischen diesem weissen Stoff und dem Em-
bryo liegt der Dotter (g), welcher eng mit dem
letztern verbunden, und bey den verschiedenen
Pflanzen von verschiedener Gestalt ist.
Die Saamenblätter (h) sind die Theile des
Saamenkorns, welche, verbunden mit der Wur-
zel des Embryo, die ersten Blätter der aufkei-
menden Pflanze bilden. Es giebt ihrer zwey
bey den Dicotyledonen, aber nur eines bey den
Monocotyledonen. Saamenkörner, welche die-
ser Blätter beraubt sind, wachsen zwar, aber
nur bis zu einer geringen Höhe (i).
Auf eine theils ähnliche, theils verschiedene
Art organisiren sich die Eyer der Thiere. So
lange sich diese in den Eyerstöcken befinden,
sind sie mit einer gefäſsreichen, vom Ovarium
herrührenden Haut umgeben, und mit einem
klaren, oft röthlichen oder gelben, in Alcohol
und am Feuer gerinnbaren, und in weisse, star-
ke Fäden übergehenden Safte angefüllt. In den
Eyern der Vögel und der Knorpelfische giebt es
ausser-
(f)
[237] ausserdem noch eine gelbe, ölichte Feuchtigkeit,
den sogenannten Dotter (vitellus) (k).
Aus dem Eyerstocke gelanget das Ey in die
Gebährmutter, und hier entwickelt sich bey den
Säugthieren aus der Oberfläche desselben sehr
bald eine flockenartige Substanz (l), die sich in
eine gelbliche, weiche, schlüpfrige, gleichsam
fettige, leicht zerreiſsbare, aus einem fadenar-
tigen Gewebe bestehende Membran (m) verwan-
delt. Aehnliche Flocken, welche ebenfalls in
eine weiche, breyartige, poröse und fast netzar-
tige Haut (n) übergehen, wachsen aus der in-
nern Fläche der Gebährmutter hervor, vereinigen
sich mit denen des Eys, und bilden eine einzige
Membran (o), welche das Ey in dem Uterus be-
festigt.
Nach-
[238]
Nachdem sich die Oberfläche des Eys mit der
erwähnten flockenartigen Substanz bedeckt hat,
bildet sich in demselben das Chorion, das
Amnion mit dem Schaafwasser, der Mut-
terkuchen mit den Nabelgefäſsen, der
Embryo, und die Allantois mit dem Ura-
chus.
Das Chorion(p) und die Schaafhaut
(Amnion) sind bey dem Menschen gefäſslose,
hingegen bey den übrigen Säugthieren mit Blut-
gefäſsen versehene, von allen Seiten verschlos-
sene Membranen. Die erstere aber ist weiſs,
undurchsichtig und ziemlich dick, die letztere
durchsichtig und dünn, doch dabey sehr fest.
Zwischen beyden findet in den ersten Zeiten der
Schwangerschaft ein ziemlich weiter, mit einem
crystallhellen Wasser angefüllter Zwischenraum
statt. Während dieser Zeit schwimmt das Am-
nion in der Flüssigkeit des Chorion, wie eine
kleinere Blase in einer gröſsern. Jener Zwischen-
raum verschwindet aber in der Folge, indem das
Amnion schneller wächst als das Chorion, und
sich mit der äussern Fläche an die innere des
letztern anlegt.
Das Amnion ist mit dem Schaafwasser ange-
füllt, einer klaren, farbenlosen, von Geschmacke
etwas
[239] etwas salzigen, von Geruche dem frisch gelas-
senen Blute ähnlichen, aus Wasser, coagulabler
Lymphe, Kochsalz, Salmiak und Kalkerde be-
stehenden Flüssigkeit (q), dessen Quantität in
einem kleinern Verhältnisse, als die Gröſse des
Embryo, zunimmt.
In der Mitte dieser Flüssigkeit erzeugt sich
der Embryo, und zugleich mit demselben, oder
vielleicht schon vor ihm (r), der Mutterkuchen
mit der Nabelschnur.
Der Mutterkuchen bildet sich aus einem
Theile jener flockenartigen Substanz, welche die
Oberfläche des Eys und die innere Fläche der
Gebährmutter im Anfange der Schwangerschaft
überzieht. Er zeigt sich als ein rundes, zusam-
mengedrücktes, dem Hute eines Blätterschwamms
einigermaaſsen ähnliches, auf seiner, dem Em-
bryo zugekehrten Seite mit dem Chorion und
Amnion überzogenes, theils aus Blutgefäſsen,
theils aus Zellgewebe bestehendes, nervenloses
Organ, dessen Gefäſse in strahlenförmiger Rich-
tung aus einem gemeinschaftlichen Mittelpunkte
hervorgehen. Diese Gefäſse sind vorzüglich dem-
jeni-
[240] jenigen Theile desselben eigen, welcher aus der
flockenartigen Substanz des Eys entsteht. Sein
anderer, durch die Flocken des Uterus gebildeter
Theil ist mehr von schwammichter Textur. In
diesem fand man oft eine milchartige Feuchtig-
keit (s). Bey den Thieren aus der Familie der
Rinder bilden sich in jeder Schwangerschaft sehr
viele kleinere Mutterkuchen; die übrigen Säug-
thiere aber haben deren meist nur einen einzi-
gen gröſsern (t).
Das Verbindungsorgan zwischen dem Mut-
terkuchen und der Frucht ist die Nabelschnur,
ein Strang, welcher aus mehrern, neben einan-
der fortgehenden, schraubenförmig gewundenen
Blutgefäſsen besteht, die mit einer elastischen,
fast knorpelartigen, aus dem Amnion entstehen-
den Scheide, und innerhalb dieser Bedeckung
mit einem Zellgewebe, das eine gallertartige
Flüssigkeit enthält, überzogen sind. Jener Ge-
fäſse giebt es drey bey dem Menschen, zwey
dünnere Arterien, (die Nabelarterien) deren jede
ein Fortsatz der Beckenschlagader (arteria hypo-
gastrica) des Foetus ist, und eine dickere Vene,
(die Nabelvene) welche theils in der Leber des
Embryo aus der Pfortader, theils durch einen
kleinern Ast (ductus venosus) aus der Hohlader
des-
[241] desselben entspringet. Sowohl die erstere, als
die letztere gehen durch den Nabelring aus dem
Unterleibe der Frucht in den Nabelstrang über.
Bey den übrigen Säugthieren giebt es noch eine
dritte Nabelarterie, welche aus der obern Ge-
krösarterie entsteht, und noch einen dritten Ast
der Nabelvene, welcher zur Gekrösvene geht.
Auch theilt sich hier die Nabelvene vom Nabel
an in zwey Aeste, welche, von einander ge-
trennt, durch den Nabelstrang zum Mutterku-
chen fortgehen (u).
Unmittelbare Fortsätze dieser Nabelgefäſse
sind diejenigen, wovon oben bemerkt ist, daſs
sie sich aus einem gemeinschaftlichen Mittelpunk-
te strahlenförmig in dem Mutterkuchen verbrei-
ten, und dieser Mittelpunkt ist der Ort, in wel-
chem sich der Nabelstrang mit dem Mutterku-
chen verbindet.
Ausser den bisher erwähnten Organen ent-
hält das Ey der vierfüſsigen Säugthiere noch die
Allantois, einen sehr weiten, fast cylindrischen
Behälter, welcher zwischen dem Chorion und
Amnion liegt, sich in zwey Fortsätze theilt,
und aus einer dünnen, glatten, in zwey con-
centrische Membranen trennbaren, mit deutlichen
Blut-
III. Bd. Q
[242] Blutgefäſsen versehenen Haut besteht. In ihn
flieſst der Urin des Embryo durch den Urachus,
einen sehr groſsen Canal, der aus der Harnblase
durch den Nabelstrang in ihn übergeht (v). Ein
Urachus findet sich auch in dem Ey des Men-
schen, aber von einer Allantois trifft man in die-
sem nur bis zum dritten Monate der Schwanger-
schaft etwas Aehnliches an, nehmlich das soge-
nannte Nabelbläschen, eine Blase, deren Gröſse
mit der Gröſse des Embryo im umgekehrten Ver-
hältnisse steht (w), und nach deren Verschwin-
den sich die Oeffnung des Urachus schlieſst.
Auf eine andere Art organisiren sich die
Eyer der Vögel. Statt der flockenartigen Sub-
stanz, womit die Eyer der Säugthiere sich gleich
nach ihrem Eintritte in die Gebährmutter über-
ziehen, werden jene in dem Uterus mit Eyweiſs
und einer kalkartigen Schaale bedeckt. Die wei-
tern Veränderungen der Vögeleyer ereignen sich
erst ausserhalb dem Körper der Mutter während
des Brütens. Gleich nach der Geburt findet
man in dem Ey unter der Schaale eine dop-
pelte, äusserst zarte Membran, deren beyde La-
mel-
[243] mellen an dem stumpfen Ende des Eys einen
mit athmosphärischer Luft (x) angefüllten Sack
bilden (y). Unter der innern jener Membranen
erzeugt sich eine Haut, die sich mit dem Cho-
rion der Säugthiere vergleichen läſst (z), und
unter dieser befindet sich das Eyweiſs (albu-
men), das aus einer doppelten Substanz be-
steht, einer dünnern und flüssigern, welche nach
aussen liegt, und einer dickern, welche von der
erstern bedeckt wird. Die letztere umgiebt den
Dotter (vitellus), eine gelbe, etwas zähe Flüs-
sigkeit, aus deren beyden Polen zwey kleine,
weisse, länglichte, mit Eyweiſs angefüllte Säck-
chen (chalazae) hervorgehen, die durch eine sehr
zarte und gekräuselte Haut gebildet werden, und
wovon das eine gegen das stumpfe, das andere
gegen das spitze Ende des Eys gerichtet ist (z*).
End-
Q 2
[244] Endlich zeigt sich noch auf der Haut des Dot-
ters ein doppelter farbiger Ring (a), und in des-
sen Mittelpunkte die sogenannte Narbe(b), ein
runder, warzenförmiger Körper, welcher mit
einer weissen, gekräuselten Haut bedeckt zu
seyn scheinet.
Von dieser Narbe gehen die Veränderungen
aus, die sich in dem Ey während des Brütens
ereignen. Sie selber, die sich zuvor in der
Mitte des Eys befand, steigt herauf zu dem
breitern Ende desselben (c). Die Ringe, wo-
von sie umgeben ist, werden immer breiter,
und es erzeugen sich noch andere, welche wie-
der verschwinden und von neuen ersetzt wer-
den (d). Ein Theil des innersten dieser Ringe
verwandelt sich in einen perlartigen Körper, in
welchem späterhin der Foetus, umgeben von ei-
ner crystallhellen, dem Schaafwasser ähnlichen
Flüssigkeit, und einer dem Amnion analogen
Membran erscheint (e). Die äussern Ringe ge-
hen in ein rundes Netz von Blutgefäſsen über,
wel-
[245] welches bey dem Embryo der Vögel die Stelle
des Mutterkuchens vertritt (f).
Dieses Netz von Blutgefäſsen erscheint zu-
erst an dem breiten Ende des Eys in der Nähe
der Narbe, also in derselben Gegend, wo sich
der Luftbehälter befindet. Von hieraus verbrei-
tet sich dasselbe immer weiter zu dem spitzen
Ende des Eys, so daſs zuletzt die ganze innere
Fläche des Chorion mit demselben bedeckt wird.
Gefäſse, die sich mit dem Nabelstrange der Säug-
thiere vergleichen lassen, und worunter drey
Arterien und zwey Venen sind, verbinden die-
ses Netz mit den Eingeweiden des Foetus. Von
den Arterien ist die eine ein Ast der Gekrösar-
terie, und von den Venen die eine ein Zweig
der Lebervene. Diese Blutgefäſse vertheilen sich
auf der Haut des Dotters (g). Die zweyte
Schlagader entsteht aus der linken Hüftarterie
(Iliaca sinistra), und diese ist es. welche mit
der andern Vene, die in die Hohlvene übergeht,
das erwähnte Netz von Gefäſsen auf dem Cho-
rion bildet. Die dritte Schlagader, die aus der
rechten Hüftarterie entspringet, verbreitet sich
nicht
Q 3
[246] nicht viel weiter, als bis zur Scheide der Na-
belschnur (h). Mit diesen Gefäſsen geht zugleich
ein häutiger Canal, welcher von dem Dotter sei-
nen Ursprung nimmt, (Ductus vitelli) zum dün-
nen Darme des Embryo (i). Sowohl dieser Dot-
tergang, als die erwähnten Gefäſse und die Ge-
därme, sind gegen das Ende des Brütens in
einer cylindrischen, am Dotter befestigten Haut
eingeschlossen (k).
In gleichem Verhältnisse mit dem Wachsthu-
me der Frucht steht die Zunahme der Nabelge-
fäſse und der athmosphärischen Luft, welche in
dem breiten Ende des Eys eingeschlossen ist.
Um die Zeit, wo das Huhn die Schaale zer-
bricht, nimmt dieses fast den dritten Theil des
Eys ein. Der Umfang des Dotters vergröſsert
sich ebenfalls, aber dieser wird zugleich flüssi-
ger und grünlich (l). Das Eyweiſs hingegen ver-
min-
[247] mindert sich, und verschwindet endlich ganz (m).
Der Dotter aber tritt kurz vor dem Auskriechen
des Küchleins aus dem Ey in den Unterleib des-
selben, und hier nimmt er ebenfalls immer mehr
an Gewichte ab, so daſs er nach ohngefähr
drey Wochen ganz aufgezehrt ist (n). Thiere,
in welchen er in den ersten Tagen nach dem
Auskriechen vertilgt wird, sterben mit allen
Symptomen der Auszehrung (o).
Aehnlich den Eyern der Vögel sind die der
Amphibien aus der Familie der Schildkröten,
Eidechsen, Schlangen, und der Knorpelfische
aus der Ordnung der Hayen. Nur in minder
wichtigen Punkten weichen diese von jenen ab.
So haben z. B. die Eyer der Rochen und Hay-
fische nicht eine runde kalkartige, sondern eine
viereckige, cartilaginöse Schaale, und bey eini-
gen Knorpelfischen öffnet sich der Dottergang
nicht, wie bey den Vögeln, in den dünnen
Darm, sondern in den Magen (p).
Einfacher scheint die Bildung und Entwicke-
lung der Eyer bey den Amphibien aus der Fami-
lie der Frösche, den Grätenfischen, und allen
denen
Q 4
[248] denen Thieren zu seyn, die kein inneres artiku-
lirtes Skelett haben. Doch fehlt es hier noch
an Untersuchungen. Nur von den Eyern ver-
schiedener Frösche, Kröten und Salamander (q),
des Blei (Cyprinus Brama) (r) und des Nashorn-
käfers (s) ist die Entwickelung einigermaaſsen
verfolgt worden. So viel ergiebt sich aus diesen
Beobachtungen:
- 1) Daſs die Eyer aller dieser Thiere, gleich
denen der Vögel, mit Eyweiſs versehen sind,
und dasselbe erst beym Durchgange durch
die Muttertrompeten erhalten (t). - 2) Daſs sie ein mit Schaafwasser angefülltes
Amnion besitzen, in dessen Mitte sich der
Embryo erzeugt (u). - 3) Daſs die Quantität des Schaafwassers beym
Wachsthume der Frucht zunimmt, die des
Eyweiſs aber vermindert wird, und daſs von
dem letztern endlich blos eine membranöse,
eyför-
[249] eyförmige Substanz übrig bleibt, die sich der
Queere nach in zwey Hälften theilt, und
sich von dem Amnion absondert (v). - 4) Daſs wahrscheinlich in dem Darmcanal des
Embryo eine, dem Dottergange (Ductus vi-
telli) der Vögel analoge Oeffnung vorhanden
ist (w).
Ungewiſs aber ist es, ob auch jene Eyer
einen wirklichen Dotter haben, und ungewiſs,
ob der Embryo Nabelgefäſse und das Ey einen
Mutterkuchen besitzt. Zwar glaubt Swammer-
damm(x) in einem Froscheye dicht an der Frucht
einige weisse Adern gesehen zu haben, und
Spallanzani(y) schreibt dem grünen Wasser-
frosche, so wie der stinkenden Erdkröte, eine
Nabelschnur zu, die in der Gegend des Kopfs
anhängt. Allein diese Beobachtungen bedürfen
noch einer genauern Prüfung, ehe man darauf
bauen darf.
Unter den Eyern der Insekten giebt es viele,
deren Gestalt sehr verschieden von der Form
ist, welche die Eyer der übrigen Thiere haben.
So
Q 5
[250] So sehen z. B. die der Landlibelle (Hemerobius
perla) ganz wie gestielte Pilze aus (z). Diese
abweichende Bildung rührt indeſs blos von dem
leimichten oder gummösen Safte her, womit die
Insekteneyer beym Durchgange durch den Ute-
rus befeuchtet werden (a). Im Eyerstocke habe
ich sie immer, wie die Eyer der meisten übri-
gen Thiere, von sphärischer oder elliptischer Ge-
stalt gefunden.
Auf diese Art bilden und entwickeln sich die
Saamenkörner der Pflanzen und die Eyer der
Thiere. Eine ähnliche Gattung von Keimen
giebt es auch bey den Zoophyten. Es ist aber,
wie sich in der Folge zeigen wird, zweifelhaft,
ob diese nicht vielmehr Knospen, als Saamen-
körner oder Eyer sind.
Die Entstehung und Ausbildung der Spros-
sen läſst sich vorzüglich an dem Armpolypen be-
obachten. Man sieht hier aus irgend einem
Theile des Körpers zuerst eine warzenförmige,
inwendig hohle Erhabenheit hervorkommen, de-
ren Höhlung sich in den Darmcanal der Mutter
öffnet, und mit diesem, wie der Ast eines Blut-
gefäſses mit dem Stamme zusammenhängt. Am
zwey-
[251] zweyten oder dritten Tage kommen an jener
Erhabenheit sechs bis sieben Spitzen zu gleicher
Zeit hervor. Am vierten und fünften Tage er-
scheinen diese als die Arme eines neuen Poly-
pen. Jetzt wird auch das hintere, mit dem
Darmcanal der Mutter verbundene Ende des Ca-
nals der Sprosse immer enger. Die Verbindung
dieser Cavitäten höret endlich ganz auf, wenn
der junge Polyp weit genug ausgebildet ist, um
sich seiner Arme bedienen zu können, und nun
reiſst sich derselbe von der Mutter los, setzt
sich mit dem hintern Ende fest, und versorget
sich fortan selber (b).
Eben so einfach ist die Entwickelung der
Knospen. Die Blattknospe erscheint als eine con-
vexe Erhabenheit, (Punctum vegetationis Wolf.),
welche nach innen mit der Marksubstanz der
Pflanze in Verbindung steht, nach aussen aber
von mehrern Reihen schuppenförmiger, concen-
trischer, dicht auf einander liegender Blätter be-
deckt ist. Die äusserste Reihe entwickelt sich
zuerst, und in eben dem Verhältnisse, wie de-
ren Blätter sich entfalten, und, indem sie sich
zurückbiegen, von dem Vegetationspunkt ent-
fernen, wächst aus dem Umkreise der Basis die-
ser Erhabenheit eine neue Reihe von Schuppen
her-
[252] hervor, so daſs die Zahl dieser Reihen immer
die nehmliche bleibt (c).
So entstehen die verschiedenen Keime der
lebenden Körper. Aber nur die Sprossen und
Knospen bedürfen zu ihrer Entwickelung keiner
äussern Einflüsse, als der Wärme und anderer
Potenzen der leblosen Natur. Die Saamenkör-
ner und Eyer hingegen bilden sich meist nur
bis auf einen gewissen Punkt aus, wenn nicht
ein männliches Individuum eine eigene Einwir-
kung entweder auf sie selber, oder auf das
weibliche Individuum äussert, aus dessen Zeu-
gungsstoff sie gebildet sind, wenn sie nicht be-
fruchtet werden. Diese Einwirkung geschieht
durch den männlichen Saamen, eine Flüssigkeit,
welche bey den Thieren in den Hoden und Saa-
menbläschen erzeugt, und während der Begat-
tung entweder unmittelbar auf die Eyer, oder
in die Mutterscheide des Weibchens ausgeleert
wird, bey den Pflanzen aber in den Antheren
enthalten ist, und als Blüthenstaub der Narbe
des Pistills zugeführt wird. Sie ist gelblich-
weiſs, halbdurchsichtig, dick und klebricht, von
einem eigenen durchdringenden Geruch, und ei-
ner groſsen specifiquen Schwere, und enthält
eine eigene Art von Infusionsthieren, (die Saa-
menthiere) die fast bey jeder Thierart von eige-
ner
[253] ner Figur, überhaupt aber von denen, die sich
in andern vegetabilischen und animalischen Aufgüs-
sen erzeugen, sehr verschieden sind. In ihrem
Verhalten gegen chemische Reagentien zeigt sie eini-
ge Aehnlichkeit mit dem Schleime. Ihre nähern
Bestandtheile sind Eyweiſsstoff, Faserstoff, phos-
phorsaurer Kalk, und ein eigener flüchtiger Stoff;
ihre entferntern die nehmlichen, wie die des
Blutwassers (d). Ohne die Einwirkung dieser
Flüssigkeit entstehen in den meisten Fällen aus
dem Zeugungsstoff der weiblichen Geburtstheile
nur Windeyer (ova subventanea), die man häu-
fig bey den Pflanzen und Vögeln, doch nicht
selten auch bey den Insekten und Fischen (e),
und zuweilen selbst bey dem Menschen fin-
det (f).
Bezeichnen wir also diejenige Flüssigkeit,
aus welcher der Keim sich bildet, mit dem Na-
men des weiblichen Saamens, oder weiblichen
Zeugungsstoffs, ohne jedoch hiermit behaupten
zu wollen, daſs dieser Stoff immer eine Flüssig-
keit von eigener Art ist, so können wir die
ganze lebende Natur in Ansehung der Einwir-
kun-
[254] kungen, deren dieser Stoff bedarf, um in einen
Keim überzugehen und sich zu entwickeln, in
drey Classen eintheilen:
- 1) In lebende Körper, deren weiblicher Saa-
men der Einwirkung des Zeugungsstoffs ei-
nes männlichen Individuums zu seiner Ent-
wickelung bedarf. - 2) In solche, deren weiblicher Saamen sich
blos nach gewissen Einwirkungen der leb-
losen Natur zu einem eigenen Individuum
ausbildet. - 3) In solche, die sich sowohl auf die erstere,
als auf die letztere Art fortpflanzen.
Diese drey Arten der Erzeugung werden
jetzt der Gegenstand unserer Untersuchungen
seyn. Doch werden wir sie hier nur in so fern
betrachten, als sie den erzeugten Organismus an-
gehen. Die Beziehung, worin der erzeugende
Körper zu ihnen steht, wird uns erst in der
Folge beschäftigen können. Das letzte Ziel die-
ser unserer Untersuchungen wird aber die Beant-
wortung folgender Fragen seyn: Warum pflan-
zen sich nicht alle Organismen durch Sprossen
fort? Warum bedarf es bey einigen zur Ge-
schlechtsvermehrung der Begattung? Was ist
Begattung? Warum entsteht nicht bey jeder
Zeu-
[255] Zeugung eine gleiche Anzahl von männlichen
und weiblichen Individuen, sondern ohne be-
merkbare Ordnung bald eine männliche, bald
eine weibliche Frucht? Woher bleibt sich, die-
ses scheinbaren Mangels an Ordnung ohngeach-
tet, die Zahl der männlichen und weiblichen In-
dividuen im Ganzen doch immer gleich?
Zwey-
[256]
Zweytes Kapitel.
Erzeugungsart der ersten Classe.
Die erste der Classen, worin wir die leben-
den Organismen nach der verschiedenen Entste-
hungsart ihrer Keime eingetheilt haben, enthält
alle Säugthiere, Vögel, Amphibien und Fische,
mehrere Mollusken, die Crustaceen und Insek-
ten (g). Der weibliche Zeugungsstoff stirbt bey
diesen unentwickelt, wenn nicht der belebende
Geist des männlichen Saamens auf ihn einwirkt.
So verschieden aber diese Thiere in ihrer Orga-
nisation sind, so sehr weichen sie auch in ihrer
Fortpflanzungsweise von einander ab, obgleich
sie alle darin mit einander übereinkommen, daſs
sie sich nicht anders, als nach vorhergegangener
Befruchtung, vermehren.
Die erste dieser Verschiedenheiten betrifft die
Art der Befruchtung. Bey den Säugthieren,
Vögeln, Amphibien, Fischen und Insekten (h)
ist
[257] ist der männliche und weibliche Zeugungsstoff in
verschiedenen Individuen vertheilt.
Eben so verhält es sich in der Classe der
Mollusken mit den Sepien. Anders aber ist es
bey diesen Thieren mit den Schnecken. Diese
sind Hermaphroditen, und jedes Individuum voll-
zieht bey der Begattung die Funktion des männ-
lichen und weiblichen Geschlechts zugleich (i).
Jedes aber befruchtet sich selber, und die Paa-
rung dienet wahrscheinlich blos dazu, um die
Befruchtung möglich zu machen. So lehren es
Bohadsch’s Untersuchungen der Aplysia depi-
lans, wie schon im ersten Buche (k) bemerkt
ist. Bey dieser Schneckenart sitzt das männliche
Zeugungsorgan am Kopfe, ist undurchbohrt,
und hat keine Verbindung mit irgend einem
Theile, den man für die Quelle eines männli-
chen Zeugungsstoffs annehmen könnte (l). Hin-
gegen giebt es einen solchen Theil im Unterlei-
be, und dieser steht mit einem andern Organ
in Verbindung, zu welchem ein Canal von den
Eyerstöcken geht (m). Eben diese Struktur fin-
det
III. Bd. R
[258] det aber überhaupt bey allen Mollusken aus der
Familie der Schnecken statt (n).
Die
[259]
Die Austern, Pholaden und Balanen sollen
ebenfalls Hermaphroditen seyn, aber ohne Paa-
rung sich selber befruchten. Inzwischen ist dies
eine Behauptung, die sich auf keinem andern
Grunde, als blos darauf stützt, daſs mehrere die-
ser Thiere ausser Stande sind, sich zu begatten.
Eine Beobachtung von Baster macht es einiger-
maaſsen wahrscheinlich, daſs bey diesen Mollus-
ken, wie bey den Fischen, beyderley Geschlechts-
theile in verschiedenen Individuen vertheilt sind,
und daſs sie sich wechselseitig befruchten, ohne
sich jedoch zu paaren. Von mehrern Individuen
des Mytulus edulis, die jener Naturforscher in
einem Glase voll Seewasser aufbewahrte, gab ei-
nes im Anfange des Aprils durch den After eine
weisse Flüssigkeit, worin sich Infusionsthiere
befanden, und ein anderes im Mai junge Brut
von sich (o).
Eine zweyte Verschiedenheit in der Fortpflan-
zungsweise der erwähnten Thierclassen besteht
darin, daſs bey einigen die Befruchtung inner-
halb, bey andern ausserhalb dem Körper der
Mutter geschicht. Jenes ist der Fall:
- 1) Bey allen Säugthieren und Vögeln.
- 2) Bey den Amphibien aus der Familie der
Schildkröten, Eidechsen und Schlangen.
3) Bey
R 2
[260]
- 3) Bey den Crustaceen, und den meisten, wo
nicht allen, Insekten. - 4) In der Classe der Mollusken bey den
Schnecken.
Ausserhalb dem Körper der Mutter geschieht
die Befruchtung:
- 1) Bey den Amphibien aus der Familie der
Frösche (p). Der Wassersalamander sprützt
seinen Saamen ins Wasser, und mit diesem
vermischt, zieht sich dieser zu den, noch
im After des Weibchens befindlichen Ey-
ern (p*). - 2) Bey den meisten Fischen. Daſs bey diesen
die Befruchtung nicht durch unmittelbare
Einsprützung des Saamens in den Körper des
Weibchens geschehen kann, erhellet sowohl
aus dem Mangel eines Zeugungsgliedes bey
dem Männchen, als aus Hellant’s (q), Gis-
ler’s (r) und Argillander’s (s) Beobach-
tungen über das Zeugungsgeschäft des Lach-
ses,
[261] ses, Siks und Hechtes. Die entgegengesetz-
ten Beobachtungen von Grant(t) sind durch
neuere Erfahrungen von Ferris(u) wider-
legt. Nur die Chimaera arctica wird hiervon
eine Ausnahme machen, wenn das Männ-
chen derselben wirklich eine Ruthe hat, wie
La Cepède’s Beobachtungen (v) zu beweisen
scheinen. Ohne Zweifel geschieht bey den
meisten Fischen die Befruchtung auf ähnliche
Art, wie bey dem Wassersalamander. Das
Männchen nehmlich giebt seinen Saamen in
der Nähe der weiblichen Geburtstheile von
sich, und diese Flüssigkeit dringet, mit dem
Wasser vermischt, in den After des Weib-
chens zu den Eyern. Gründe für diese Ver-
muthung geben die lebendiggebährenden Fi-
sche, und einige Fälle, wo man Fische in
einer Art von Paarung begriffen fand, wohin
die merkwürdige Beobachtung von Stein-
buch(w) gehört, der eine männliche und
weibliche Quappe mit an einander liegenden
Afteröffnungen durch ein häutiges Band, das
bey-
R 3
[262] beyder Körper aufs engste umschloſs, ver-
bunden fand. - 3) In der Classe der Mollusken bey den Se-
pien, und, wenn die angeführte Beobach-
tung von Baster zuverlässig ist, auch bey
den Austern. - 4) In der Classe der Insekten vielleicht bey
den Bienen (x).
Eine dritte Verschiedenheit der Fortpflan-
zungsart der erwähnten Thiere betrifft die Zahl
der befruchteten Keime. Je weiter wir uns im
Thierreiche von dem Menschen entfernen, desto
gröſser wird die Menge der Keime, welche durch
eine einzige Befruchtung zugleich erzeugt wer-
den. Bey dem Menschen wird nach einer
fruchtbaren Begattung meist nur Eine Frucht ge-
bildet; gröſser ist schon die Zahl der Früchte
in jeder Schwangerschaft bey den übrigen Säug-
thieren; noch gröſser ist sie bey den Vögeln;
diese werden in Ansehung jener Zahl von den
Amphibien übertroffen; bey den meisten Fi-
schen (y), Mollusken (z) und Insekten (a) end-
lich geht sie hinaus über die Tausende.
Eine
[263]
Eine noch merkwürdigere Verschiedenheit
aber zeigen die Organismen dieser Classe in An-
sehung der Zahl der Generationen, zu deren
Hervorbringung eine einzige Befruchtung hinrei-
chend ist. Bey den Säugthieren erstreckt sich
jede Befruchtung nur auf eine einzige Generation.
Schon unter den Vögeln aber finden sich einige
Arten, die nach einer einzigen Begattung meh-
rere Wochen hindurch Eyer legen. Harvey(b)
und Reaumur(c) sahen Hühner drey bis fünf
Wochen nach der Paarung fruchtbare Eyer ge-
bähren (d). Auf eine noch weit längere Zeit
behält
R 4
[264] behält eine einmalige Befruchtung ihre Wirksam-
keit bey dem Salamander, nach den Beobach-
tungen von Wurfbain(e) und Blumenbach(f).
Der Letztere erhielt von einem weiblichen Thiere
der Art vier und dreyſsig lebendige muntere
Junge, nachdem es schon seit fünf Monaten ohne
alle Gemeinschaft mit einem andern Thiere in
einem Glase eingeschlossen gewesen war. Bey
der Bienenkönigin äussert sich die befruchtende
Kraft des männlichen Saamens noch nach einem
ganzen Jahre (g).
Noch wunderbarere Erscheinungen trifft man
bey verschiedenen Insekten und Crustaceen an.
Es giebt in diesen Thierclassen Arten, wobey
vielleicht Enkelinnen, Urenkelinnen und noch
spätere Generationen durch dieselbe Begattung,
wodurch die Stammmutter trächtig wurde, mit
befruchtet werden. Vorzüglich gehören hierher
die Blattläuse, die, nach Bonnet’s Versuchen (h),
im Herbste sich begatten, und Eyer legen, hin-
gegen im Frühlinge und Sommer ohne Paarung
bis
[265] bis in das neunte lebendige Junge gebähren.
Blancard(i) sahe aber auch eine Spinne vier
Jahre hindurch ohne Zuthun eines Männchen
fruchtbare Eyer legen. Albrecht(k) erhielt
von einem Schmetterlinge, dessen Puppe in ei-
nem Glase verschlossen gewesen war, gleich nach
dem Auskriechen fruchtbare Eyer. Pallas(l)
beobachtete eben diese Erscheinungen an den
von ihm unter dem Namen Phalaena Xylophtho-
rum und Phalaena casta beschriebenen Nachtvö-
geln, Basler an der Phaläne, die von Reau-
mur(m) unter dem Namen Paquet de feuilles
sêches, und von Rösel(n) unter der Benennung
der groſsen haarichten und mit vielen
Warzen und Zapfen bewachsenen Gras-
raupe vorkömmt, und Bernoulli an der Pha-
läne, die bey Reaumur a. a. O. T. I. P. I. Pl.
XVIII. fig. 1. 3. 9. mém. 7. und bey Rösel a. a. O.
No. 15. vorkömmt (o). Nach den Erfahrungen
von
R 5
[266] von Lange(p) und Schirach(q) sind die Bie-
nenköniginnen bis in die zweyte und dritte Gene-
ration ohne alle Drohnen fruchtbar. Etwas Aehn-
liches ist endlich noch von Schäffer(r) und
Jurine(s) an dem Wasserfloh (Daphnia pulex M.)
wahrgenommen.
Wir dürfen indeſs nicht unbemerkt lassen,
daſs es bis jetzt nur noch bloſse Vermuthung ist,
wenn man die zahlreichen, im Frühlinge und
Sommer entstehenden Generationen jener Insekten
von der im vorigen Jahre vor sich gegangenen
Befruchtung ableitet. Die reine Thatsache ist
nur diese, daſs es Thiere giebt, die blos zu
gewissen Zeiten der Paarung bedürfen, um ihr
Geschlecht fortzupflanzen, zu andern Zeiten aber
ohne vorhergegangene Paarung Wesen ihrer Art
hervorbringen. Alles Uebrige ist eine Hypothese,
die wir auch nur mit dem Zusatze eines viel-
leicht vorgetragen haben.
Endlich lassen sich diejenigen, zur gegen-
wärtigen Classe gehörigen Organismen, bey wel-
chen
[267] chen die Befruchtung des weiblichen Zeugungs-
stoffs innerhalb dem Körper der Mutter geschieht,
noch in eyerlegende und lebendig gebäh-
rende eintheilen. Bey jenen wird das Ey ge-
bohren, und die Frucht erst nach der Geburt in
demselben ausgebildet; bey diesen wird die
Frucht innerhalb dem Körper der Mutter gebildet,
und das Ey wird entweder schon vor der Ge-
burt, oder auch erst nach derselben von dem
Foetus durchbrochen. Eyerlegende sind unter
den hierher gehörigen Thieren alle Vögel und die
meisten Thiere der niedern Classen. Jedes Ey,
welches diese Thiere legen, ist von den übrigen,
die mit demselben gebohren sind, abgesondert,
und enthält in der Regel immer nur einen einzi-
gen Keim. Es giebt hiervon keine Ausnahme,
als nur bey einer gewissen Gattung von Schaben
(Blatta), die, dem Grafen von Fraula zufolge (t),
eine Schote legt, in deren Fächern die Eyer ent-
halten sind. Lebendig gebährende Thiere sind:
3) Un-
[268]
- 3) Unter den Fischen der Aal (w), einige Arten
des Blennius und Silurus, Cobitis anableps,
Syngnathus acus (x), die Geschlechter Raia
und Squalus (y). - 4) Unter den Mollusken Helix vivipara (z).
- 5) Unter den Crustaceen und Insekten einige
Arten von Kiemenfüſslern (a), die Kellere-
sel (Oniscus asellus L.) (b), die Skorpione (c),
mehrere zweyflüglichte Insekten (d), die
Blat-
[269] Blatta Orientalis L. (e), die Blattläuse (f),
und vielleicht auch eine Art von Schildläusen
(Coccus), die sich auf den Ulmen aufhält (g).
Die Blattläuse gebähren aber nur im Früh-
linge und Sommer lebendige Junge; im Herb-
ste legen sie Eyer.
Der Unterschied zwischen lebendiggebähren-
den und eyerlegenden Thieren ist indeſs von ge-
ringer Wichtigkeit, wenn man diese Worte blos
in der obigen Bedeutung nimmt. Man kann
aber unter lebendiggebährenden Thieren auch
solche verstehen, deren Früchte ihre Nahrung
bis zur Geburt nicht blos von dem Ey, sondern
auch durch einen Nabelstrang und einen Mutter-
kuchen von der Mutter erhalten, unter eyerlegen-
den aber die, deren Embryo bis zum Auskrie-
chen aus dem Ey blos von dem Ey genährt wird,
und in dieser Bedeutung ist jener Unterschied
von gröſserer Wichtigkeit. Alsdann sind die
ein-
[270] einzigen Thiere, die lebendige Junge gebähren,
blos die Säugthiere, vielleicht nur das Schnabel-
thier (Ornithorynchus paradoxus) ausgenommen,
dessen Zeugungstheile von denen der übrigen
Mammalien so sehr abweichen, und mit denen
der Hayfische, Rochen und der lebendig gebäh-
renden Amphibien so sehr übereinkommen (h);
alle übrige Thiere aber sind dann eyerlegende.
Drittes
[271]
Drittes Kapitel.
Erzeugungsart der zweyten Classe.
Es giebt Organismen, an welchen sich nichts
wahrnehmen läſst, was Zeugungsorganen, oder
einer Geschlechtsverschiedenheit ähnlich wäre, de-
ren einfacher Bau auch keine Geschlechtstheile
vermuthen läſst, bey welchen noch kein Natur-
forscher etwas, einer Befruchtung Aehnliches be-
obachtete, und die sich durch Sprossen, leben-
dige Junge, und Eyer oder Saamenkörner fort-
pflanzen. Diese Körper sind es, die zur gegen-
wärtigen Classe gehören.
Aber ist das Nichtwahrnehmen von Zeu-
gungstheilen und Befruchtung ein hinreichender
Grund, um jene Körper in eine eigene Classe
zu setzen? Ja, ist überhaupt die Erfahrung
im Stande, zu entscheiden, ob es Organismen
giebt, deren weiblicher Zeugungsstoff blos nach
gewissen Einwirkungen der leblosen Natur in
einen Keim übergeht? Diese Fragen werden
sich jedem gleich beym Eingange dieses Kapitels
aufdrängen. Wir wollen indeſs, ehe wir sie
erör-
[272] erörtern, zuvor eine Reihe von Thatsachen auf-
stellen.
Bey den Insekten scheint das weibliche Indi-
viduum schon mehr, als bey den höhern Thier-
classen, der Hülfe des männlichen zur Fortpflan-
zung entbehren zu können, wie das erwähnte
Beyspiel der Blattläuse beweist. Die nächste
Stufe nach den Insekten nehmen die Würmer
ein, und diese machen den Uebergang zu derje-
nigen Classe von Organismen, die noch keinem
Beobachter eine Spuhr von Zeugungstheilen und
von Paarung gezeigt hat.
Bey den Naiden (i) und der Nereis prolife-
ra M. (k) dehnt sich das letzte Gelenk ohne vor-
hergegangene Befruchtung allmählig aus, und
sondert sich nach einiger Zeit vom Körper ab.
Vorher aber treibt es selber erst andere Junge
durch die Ausdehnung seines letzten Gelenks
hinten hervor.
Eben so pflanzt sich der Lumbricus variega-
tus durch junge Brut fort, die wie Sprossen aus
demselben hervorwächst (l).
Für
[273]
Für eben diese Thiere (m), für den gemei-
nen Regenwurm (n), für den Blutigel (o) und
für die Intestinalwürmer, besonders den Band-
wurm (p), ist ferner jede gewaltsame Zerstücke-
lung ein Mittel zu ihrer Vermehrung.
Inzwischen gehören manche dieser Thiere
doch eigentlich in die dritte der Classen, worin
wir die lebenden Organismen nach der Verschie-
denheit ihrer Fortpflanzung eingetheilt haben.
Von dem Regenwurme wenigstens ist es ausge-
macht, daſs er sein Geschlecht auch durch Paa-
rung vermehrt (q).
Erst
III. Bd. S
[274]
Erst mit den Thierpflanzen fängt sich ei-
gentlich die zweyte jener Classen an. Die Hy-
der pflanzt sich während des ganzen Sommers
durch Keime fort, die aus ihrem Körper her-
vorsprossen, sich zu einem der Mutter ähnli-
chen Individuum entwickeln, sich von dieser
trennen, sobald sie einen gewissen Grad von
Ausbildung erreicht haben, und nun abgesondert
ihr Leben fortsetzen. Eben diese Thiere aber
bringen im Herbste, statt der vorigen knospen-
artigen Keime, Eyer hervor, welche den Winter
hindurch unentwickelt bleiben, und erst im fol-
genden Jahre durch die Frühlingswärme ausge-
brütet werden (r). Hier ist kein Verdacht von
Befruchtung durch männlichen Saamen. Die
Fortpflanzung geht in das sechste Glied fort,
auch wenn die Hyder ganz abgesondert von ei-
nem ähnlichen Individuum aufbewahrt wird (s).
Auf ähnliche Art vermehren sich die übri-
gen Polypen. Die Fortpflanzung der Eschara
pilosa des Pallas geschieht durch Auswüchse
aus den äussersten Zellen, welche ebenfalls in
vollständige Zellen übergehen, aus denen ein jun-
ger Polyp hervorkömmt (t). Die Jungen der
Ser-
[275] Sertularien, der Cellularia eburnea und Cellula-
ria falcata P. entstehen aus blasenartigen Aus-
wüchsen (u). Die Blumenpolypen (Brachionus)
bilden sich entweder in Eyern, (wie der B. caly-
ciformis, capsuliflorus, tubifex und rotatorius P.)
oder werden durch Theilung eines Individuum’s
in zwey andere erzeugt, (wie der B. campanula-
tus und stentoreus P.) oder wachsen aus dem
schleimigen Mittelpunkte eines Büschels in Ge-
sellschaft hervor, trennen sich nach einiger Zeit
von diesem Büschel, und vereinigen sich hierauf
zu einer neuen Colonie, (wie der B. socialis P.
und eine von Columbo beschriebene Art Blu-
menpolypen) (v).
Durch Sprossen und Eyer pflanzten sich
auch die Zoophyten der Vorwelt fort. An den
meisten vollständigen Exemplaren von Encriniten
ist der Stamm an der Basis mit Sprossen be-
setzt (w), und auf der Hube bey Einbeck, so
wie bey Brügge ohnweit Hannover, findet man
nicht selten neben Encriniten eine groſse Menge
kugel-
S 2
[276] kugelförmiger Körper, welche die Eyer dieser
Thierpflanzen zu seyn scheinen (x).
Noch einfacher, als die Fortpflanzung jener
Polypen, ist die der Infusionsthiere. Bey dem
Kugelthiere (Volvox globator L.) spaltet sich der
Körper der Mutter, und aus der entstandenen
Oeffnung tritt die Nachkommenschaft hervor, die
man schon im Leibe der Erwachsenen bis in das
vierte Glied erkennt (y).
Der Kleisteraal gebährt lebendige Junge
durch peristaltische Bewegungen seines Ute-
rus (z).
Ein von Müller entdecktes Infusionsthier,
das Gonium pectorale, das aus sechszehn, durch
eine viereckige Membran unter einander ver-
bundenen Kugeln besteht, vermehrt sich, indem
sich diese Kugeln eine nach der andern von der
Mutter losreissen (a).
Am
[277]
Am einfachsten aber ist die Vermehrung der
zur Gattung Monas gehörigen Infusionsthiere und
der Saamenthiere. Sie geschieht durch eine frey-
willige Theilung derselben (b).
Auch bey den Infusionsthieren erfolgt übri-
gens jene Fortpflanzung nach dem Zeugnisse al-
ler Beobachter von Gewichte ohne vorhergegan-
gene Befruchtung. “Niemals”, sagt Bonnet,
“hat man dergleichen Thiere sich begatten gese-
„hen, und wenn man sowohl Eyer legende,
„als lebendige Junge gebährende von ihnen in
„einen völlig abgesonderten Zustand gebracht hat,
„so haben sie sich allemal fortgepflanzt.” Blos
Leeuwenhoek und in neuern Zeiten ein Physiker
in Rouen (c) wollen Beobachtungen von Begat-
tungen der Infusionsthiere gemacht haben. Al-
lein der Leeuwenhoekschen Beobachtung hat
schon Müller(d) die Bemerkung entgegenge-
setzt, daſs, wer die Vermehrung der Infusions-
thiere durch Theilung nur oberflächig betrachtet,
sehr leicht verführt werden kann, sie für eine
Begattung zu halten, und daſs es vermuthlich
jene war, was Leeuwenhoek für die letztere
an-
S 3
[278] ansahe. Die Beobachtung des Physikers in
Rouen trifft zwar dieser Einwurf nicht, aber
doch ein anderer eben so wichtiger, nehmlich
daſs man bey keinem Gegenstande in der Natur-
lehre so leicht sehen kann, was man sehen
will, als bey den Infusionsthieren.
An die Thierpflanzen schliessen sich unter
den Pflanzenthieren die Familien der Wasserfäden,
Tange und Pilze, wie in ihrer Organisation, so
auch in ihrer Fortpflanzungsweise zunächst an.
Die Brunnenconferve (Conferva fontinalis L.
C. limosa Dillwyn.) vermehrt sich durch ein
eyförmiges Knöpfchen, wozu die Spitze des zar-
ten Fadens, aus welchem jenes Gewächs besteht,
anschwillt. Dieser Knopf trennt sich nach eini-
ger Zeit vom Faden, setzt sich am nächsten Or-
te fest, und treibt bald eine Spitze, die sich zu
einem vollkommenen Wasserfaden verlängert (e).
Auf eine ähnliche einfache Art geschieht die
Fortpflanzung aller von Roth zur Gattung Ce-
ramium gerechneten Arten. An der Oberfläche
ihres Stamms oder ihrer Zweige erzeugen sich
zu gewissen Zeiten, und zwar meist im Früh-
linge, heerenartige Körper, welche gewöhnlich
ein oder zwey kleinere Körner enthalten, und
bey
[279] bey völliger Reife entweder abfallen, oder sich
öffnen und sich ihres Saamens entledigen (f).
Eben solche beerenartige Körper, wie bey
den Ceramien, findet man auch bey dem Batra-
chospermum moniliforme. Sie sitzen hier zwi-
schen den büschelförmigen Zweigen, womit die
Glieder dieses Gewächses besetzt sind, und ent-
halten eine Menge dunkler Körper, die viel-
leicht die Saamenkörner sind.
Bey den eigentlichen Conferven (Conferva
R.), dem Wassernetze (Hydrodictyon R.), den
Rivularien und vielen Tremellen befinden sich
die Organe der Fortpflanzung in der Substanz
des Gewächses, und zwar sind sie von doppel-
ter Art. Sie bestehen entweder in kleinern, re-
gelmäſsig an einander gereiheten Körnern, die
schon bey der ersten Bildung des Gewächses in
demselben vorhanden sind; oder sie zeigen sich
als gröſsere, eyerartige Körper, die mit dem
innern Schlauche der Conferven einen gleichen
Durchmesser haben, und erst in einer gewissen
Lebensperiode dieser Phytozoen entstehen.
Jene kleinern Körner sind bey den verschie-
denen Arten der Conferven auf verschiedene Art
geord-
S 4
[280] geordnet. Bey einigen, z. B. Conferva setifor-
mis (decimina Müll.), und spiralis R. (quinina
Müll.) sind sie in einem Zickzack, oder in ei-
ner Spirallinie an einander gereihet; bey der Con-
ferva bipunctata R. (stellina Müll.) bilden sie
sternförmige Figuren, und bey der Conferva di-
varicata R. machen sie rechtwinklichte Parallelo-
gramme aus. Bey der Rivularia endiviaefolia R.,
die aus einer schlüpfrigen, knorpelartigen, mit
keiner äussern Haut bekleideten Masse besteht,
ist diese Masse aus einer doppelten Substanz
zusammengesetzt, aus einer homogenen, halb-
durchsichtigen Materie und aus kleinern Körnern.
Diese Körner sind in ästiger Gestalt an einander
gereihet, und die Aeste sitzen wirtelförmig um
einen gemeinschaftlichen Stamm. Die Tremella
pruniformis (g) findet man in einem doppelten
Zustande. Die schleimartige Masse der ganz
jungen Tremellen enthält kleine gegliederte Röh-
ren, die ganz das Ansehn von Conferven haben.
Mit zunehmendem Alter erzeugen sich in oder
neben diesen Röhren zugleich kleine runde
Körner.
Diese kleinern Körner sind diejenigen, wo-
von ich im zweyten Buche dieses Werks (h)
be-
[281] behauptet habe, daſs sie nach dem Ausfliessen
aus der Substanz der Conferven, Rivularien und
Tremellen unter gewissen Umständen willkühr-
liche Bewegungen äussern, und ein neues Ge-
wächs der Art zu reproduciren vermögen. Seit
der Herausgabe jenes Buchs habe ich einen neuen
Beweis für die willkührliche Bewegung jener
Körner an der Rivularia endiviaefolia R. gefun-
den. Ich sahe in den letzten Tagen des Juny
1803 sich einzelne dieser Körner ohne eine be-
merkbare äussere Veranlassung von den übrigen
trennen, und in dem Wassertropfen, worin sich
das Gewächs unter dem Vergröſserungsglase be-
fand, eine Zeitlang herumschwimmen. Von dem
Vermögen derselben, nach ihrer Absonderung von
dem Mutterstamme ein neues Gewächs zu repro-
duciren, erhielt ich ebenfalls um diese Zeit einen
neuen Beweis an der Conferva spiralis R. Ich
hatte ein Stück dieser Conferve von der Länge
eines halben Zolls, das noch im jugendlichen
Zustande war und daher noch keine andere, als
jene kleinern Körner enthielt, die an der innern
Fläche dieser Conferve in der Form eines einfa-
chen Zickzacks oder einer Spirallinie befestigt
sind, auf den Boden eines mit reinem Brunnen-
wasser angefüllten Glases gelegt. Nach einigen
Tagen war dieses Stück zu einer Länge von
mehrern Zollen herangewachsen. Zugleich fan-
den sich auf dem Boden des Glases eine Menge
S 5grü-
[282] grüner Punkte, die sich unter dem Microscop
als die ersten Anfänge einer neuen Conferva spi-
ralis zeigten, und wovon kein anderer Ursprung,
als aus den ausgeflossenen Körnern des abge-
schnittenen Stücks, denkbar ist.
Sehr verschieden von diesen kleinern Kör-
nern ist aber eine gröſsere Art runder Körper,
die sich in einigen gegliederten Conferven erzeu-
gen. Wir werden in der Folge auf diese zu-
rückkommen. Hier bemerken wir von ihnen
nur Folgendes. Man findet sie, wie gesagt,
nur in einigen gegliederten Conferven, nament-
lich der Conferva setiformis, spiralis und bi-
punctata R. und nur in einer gewissen Periode
ihres Lebens, die bey allen, welche ich bis
jetzt beobachtet habe, in die Monate Mai, Juny
und July fällt. Um diese Zeit verlassen die klei-
nern ursprünglichen Körner ihre regelmäſsige
Stellung, und vereinigen sich zu gröſsern ova-
len oder kugelförmigen Körpern. Mit der Bil-
dung dieser letztern verliehrt die Conferve ihre
grüne Farbe, und es bleibt blos eine durchsich-
tige, farbenlose Haut übrig, welche in jedem
ihrer Glieder eine bräunliche Frucht enthält.
Nachdem endlich jene Membran aufgelöset ist,
sinken diese Früchte zu Boden, und ruhen hier
bis zum folgenden Frühjahre, wo sich, nach
Vau-
[283]Vaucher’s Beobachtung (i), aus jeder derselben
eine Conferve von gleicher Art mit der vorigen
auf eine Weise entwickelt, die mehr Aehnlichkeit
mit dem Auskriechen der Thiere aus dem Ey,
als mit dem Keimen der Saamenkörner zu haben
scheint.
Manche Conferven haben aber auch die
Fortpflanzungsweise durch Theilung mit den
Thierpflanzen gemein. Nach Adanson(k) tren-
nen sich bey einer Confervenart, die er nicht
näher charakterisirt, alle die einzelnen Artikula-
tionen, woraus dieses Gewächs besteht, nach
und nach von einander, um ein für sich beste-
hendes Individuum auszumachen. Die Conferva
limosa Dillwyn., das nehmliche Gewächs, wel-
ches eine Art von willkührlichen Bewegungen
äussert (l), und das Blumenbach sich durch
eyför-
[284] eyförmige Knospen fortpflanzen sahe, theilt sich,
wenn sie ihre gröſste Länge von 3 Linien er-
reicht
(l)
[285] reicht hat, in zwey ungleiche Hälften. Die
kleinere, von der Länge einer halben Linie,
wächst an ihren beyden Enden fort; diese wer-
den rund, und sie selber theilt sich auf die
nehmliche Art, wie die vorige, sobald sie auch
3 Linien groſs geworden ist. Die Mutterpflanze
ersetzt unterdeſs ihren Verlust ebenfalls wie-
der
(l)
[286] der (m). So sahe Vaucher(n) auch an dem
Wassernetze (Hydrodictyon utriculatum R.) die
einzelnen Seiten der Pentagone, woraus dasselbe
zusammengesetzt ist, sich von einander trennen,
und nach der Absonderung sich zu einem eige-
nen Wassernetze entwickeln (o).
Endlich finden wir an der Tremella prunifor-
mis auch noch ein Beyspiel von Fortpflanzung
durch Knospen. Jenes Gewächs nehmlich sieht
man im Mai mit grünen Punkten besetzt, die
sich immer mehr vergröſsern, bald darauf als
gleichartig mit der ursprünglichen Tremelle zei-
gen, und sich wahrscheinlich von dieser tren-
nen,
[287] nen, wenn sie eine gewisse Gröſse erreicht ha-
ben (p).
Weniger Mannigfaltigkeit, als bey den er-
wähnten Pflanzenthieren, scheinet bey den Ulven
und Tangen in Betreff der Fortpflanzung statt
zu finden, so viel sich wenigstens nach den
bisherigen, freylich noch sehr eingeschränkten
Beobachtungen, die über diese Körper gemacht
sind, urtheilen läſst. Bey den Ulven sind es
blos einfache, in der Substanz derselben, beson-
ders um den Rand, ohne eine gewisse Ordnung
zer-
[288] zerstreute Körner, was sich für Keime anneh-
men läſst. Bey den Tangen findet man auf der
Oberfläche derselben warzenförmige Erhabenhei-
ten, die an ihrer Spitze mit einer Oeffnung ver-
sehen und mit einem gelatinösen Safte angefüllt
sind. Unter ihnen liegen Bläschen, welche Kör-
ner enthalten, die zur Zeit der Reife aus den
Oeffnungen der warzenförmigen Körper ausflies-
sen. Bey den Ulven berechtigt uns indeſs blos
noch die Analogie, die erwähnten Körner für
Keime zu halten. Daſs aber die Körner, die
man in der Substanz der Tange antrifft, wahre
Keime sind, ist durch Stackhouse(q) bewie-
sen, der sie mit der schleimigen Feuchtigkeit,
worin sie eingehüllet sind, auf Felsenstücke strich,
diese abwechselnd in Seewasser tauchte und
wieder der Luft aussetzte, um die Ebbe und
Fluth nachzuahmen, und bey diesem Verfahren
binnen einer Woche aus jenen Körnern kleine
Tange erhielt.
Sehr nahe verwandt mit den Algen, und
besonders mit den Ceramien, sind, dem äussern
Ansehn nach, die Staubpflanzen (Byssus). Auch
geschieht wahrscheinlich ihre Fortpflanzung auf
ähnliche Art, wie die der Ceramien. Man fin-
det nehmlich auf ihrer Oberfläche pulverartige
Kör-
[289] Körner, welche vielleicht dasselbe für sie sind,
was für die Ceramien die beerenförmigen Kör-
per, womit deren äussere Fläche besetzt ist.
Bey den Pilzen entdeckte schon Micheli(r)
auf beyden Seiten der Lamellen des Huts der
Blätterschwämme ausserordentlich kleine Kügel-
chen, welche, nachdem sie gesäet waren, eben-
falls zu Pilzen wurden. Manche dieser Phyto-
zoen pflanzen sich auch durch Knospen fort.
So wie ihr oberer Theil vergeht, wächst der un-
tere fort, dringet tiefer in den Boden ein, und
wird mit kleinen kugelförmigen Körpern besetzt,
woraus neue Pilze hervorkeimen (s).
An den Thierpflanzen, Wasserfäden, Cera-
mien und Ulven beobachtete noch kein Naturfor-
scher etwas, das sich mit Wahrscheinlichkeit für
Geschlechtsorgane hätte annehmen lassen An
den Tangen und Pilzen hingegen fand man Thei-
le, die man für Zeugungsorgane halten zu müs-
sen glaubte.
Der
III. Bd. T
[290]
Der Erste, der die Tange genauer untersuch-
te, Reaumur(t), sahe auf den Blättern des Fu-
cus serratus L. eine Menge sternförmiger, aus
unzähligen sehr zarten Fäden bestehender Bü-
schel, wovon diejenigen, welche zu einerley Bü-
schel gehörten, aus einerley Oeffnung des Blatts
hervorkamen. Zugleich beobachtete er, daſs ge-
gen die Zeit des Abfallens dieser Fäden die En-
den der Blätter anschwollen, und daſs sich in
der angeschwollenen Substanz die oben beschrie-
benen saamenartigen Körper erzeugten. Gestützt
auf diese Beobachtungen erklärte er jene Fä-
den für die männlichen Geschlechtsorgane der
Tange.
An den Blätterpilzen (Agaricus) beobachtete
Hedwig(u), in der ersten Zeit des Entstehens
derselben, auf der obern und untern Fläche der
Haut, wodurch während jener Zeit der Hut mit
dem Stiele verbunden ist, eine violette Masse.
welche bald röthlich braun wurde. Brachte er
hiervon einen Theil behutsam unter das Micro-
scop, so zeigten sich ihm durchsichtige saftige
Fäden, an welchen unzählige hellbraune Kügel-
chen befestigt waren. Diese sind, seiner Mei-
nung nach, die männlichen Befruchtungstheile.
Den
[291] Den untern Rand der Blätter des Huts fand er
mit sehr vielen zarten, cylindrischen Fäden be-
setzt. An einigen derselben hingen kleine Ku-
geln. Die Blättchen selbst bestanden aus lauter
Bläschen, von welchen einige gröſser und erha-
bener als die übrigen waren. Nach vierzehn
Tagen fiel aus den Blättchen ein schwarzer
Staub, der unter dem Vergröſserungsglase kleine
länglichte Kugeln bildete. Die Bläschen der
Blätter hielt Hedwig für die Fruchtknoten, den
schwarzen Staub aber für den reifen Saamen.
Aehnliche Beobachtungen machte er an den Lö-
cherpilzen (Boletus). Bey den Stachelpilzen
(Hydnum) traf er die von ihm für männliche
Befruchtungstheile angenommenen Körper in der
Haut an, welche den Hut bekleidet. Ob aber
die, an den Blättern oder Röhren der Pilze be-
findlichen Fäserchen für Griffel oder Narben
anzusehen sind, getraute er sich nicht, zu ent-
scheiden.
Was ist von diesen Behauptungen zu halten?
In Betreff der Reaumurschen Meinung von den
männlichen Zeugungstheilen der Tange wird sich
die Antwort auf diese Frage leicht ergeben, wenn
man folgende Thatsachen erwägt:
- 1) Nach Baster’s Beobachtungen finden sich
die erwähnten Büschel da, wo sie vorkom-
men, immer nur an ganz jungen Pflan-
T 2zen
[292] zen (v). Bey allen Thieren und Pflanzen
aber entwickeln sich die Zeugungstheile erst
in der Periode des vollkommnern Lebens
(vita maxima). Der Analogie nach können
also jene Büschel keine Geschlechtstheile seyn. - 2) Wir haben gesehen, daſs die Saamenkörner
der Tange in der Substanz der Blätter und
zugleich in einer gallertartigen Materie liegen.
Wie kann also der männliche Zeugungsstoff
aus jenen Büscheln zu diesen Körnern ge-
langen? - 3) Stackhouse(w) bemerkte, daſs jene Bü-
schel sich blos zur Zeit der Ebbe auf den
Tangen finden, und verschwinden, wenn
diese eine Zeitlang im Wasser gewesen sind.
Hiermit fällt die Reaumursche Meinung gänz-
lich, und es bleibt nichts übrig, als anzu-
nehmen, daſs die pinselförmigen Härchen,
die man auf der Oberfläche der Tange an-
trifft, blos eine schleimichte, zur Zeit der
Ebbe an der freyen Luft verdickte Substanz
sind.
Eben so unrichtig ist auch Hedwig’s Mei-
nung von den männlichen Geschlechtstheilen der
Pilze. Die Filamente, die er auf der obern
und
[293] und innern Fläche der Haut, wodurch bey den
Blätterschwämmen, während der ersten Zeit des
Entstehens derselben, der Hut mit dem Stiele
verbunden ist, in einer violetten Masse antraf,
sind nichts weiter, als Reste der feinen Fäden,
wodurch die Ränder der Lamellen dieser Schwäm-
me mit der zottigen inwendigen Oberfläche der
Saamendecke so lange zusammenhängen, bis sich
der Rand des Huts bey seiner Ausbreitung vom
Stiele entfernt, so wie die Filamente, die er bey
den Löcherschwämmen fand, Ueberbleibsel der
klebrigen Masse, welche die Löcher derselben in
ihrer ersten Jugend incrustirt, und bey der Er-
weiterung des Huts und der Röhren in Fäden
ausgezogen wird. Dies hat schon Tode(x)
bemerkt, und ich kann noch hinzusetzen, daſs
auch die Kügelchen, die Hedwig an jenen Fä-
den hängen sahe, gar keine Beziehung auf die
Fortpflanzung des Geschlechts haben. Sie sind
dieselben, die man in allen gallertartigen, ani-
malischen und vegetabilischen Substanzen unter
dem Vergröſserungsglase wahrnimmt. Uebrigens
lassen sich einer jeden Hypothese von männli-
chen Geschlechtsorganen der Schwämme die Trüf-
feln und der Bovist entgegensetzen. Bey jenen
findet
T 3
[294] findet man, wie schon Geoffroy(y) beobach-
tete, nichts Saamen-Aehnliches, ausser schwar-
zen Körnern, die in dem Fleische derselben ver-
borgen liegen. Wie ist hier eine Befruchtung
möglich? An dem Bovist ist das Einzige, was
sich für Zeugungsstoff annehmen läſst, der in
dem Hute desselben enthaltene Staub. Ist dies
männlicher Zeugungsstoff, was soll er befruch-
ten? Ist es weiblicher, wodurch kann er be-
fruchtet werden?
Das Resultat unserer bisherigen Untersuchun-
gen ist, daſs bey einigen Würmern, bey allen
Thierpflanzen und bey den Pflanzenthieren aus
den Familien der Pilze, Wasserfäden und Tange
keine männliche Zeugungstheile wahrzunehmen,
und allem Vermuthen nach auch nicht vorhan-
den sind. Geschieht also die Entwickelung des
weiblichen Zeugungsstoffs dieser Organismen ohne
alle vorhergegangene Befruchtung? Diese Frage
drängte sich uns schon im Anfange des gegen-
wärtigen Kapitels auf, und jetzt ist es Zeit, sie
näher zu beleuchten.
Es giebt viele Naturforscher, die sich für
berechtigt halten, auf die Analogie der zusam-
mengesetztern Organismen des Thier- und Pflan-
zen-
[295] zenreichs eine verneinende Beantwortung jener
Frage zu bauen. Die Vermehrung der Thier-
pflanzen durch Sprossen, sagen diese, geschieht
freylich ohne vorhergegangene Paarung, wie die
Analogie der Pflanzen beweist. Aber bey allen
Organismen, die sich durch Saamenkörner oder
Eyer fortpflanzen, ist die Befruchtung ein noth-
wendiges Erforderniſs zur Bildung dieser Keime.
Sollte sie es also nicht auch bey den Thierpflan-
zen, Pilzen, Wasserfäden und Tangen seyn?
Dieser Meinung lassen sich indeſs wichtige
Gründe entgegensetzen. Man kann erstens
fragen: ob es so ganz ausgemacht ist, daſs sich
nicht auch auf den höhern Stufen des Thier-
und Pflanzenreichs Körper finden, welche ohne
vorhergegangene Paarung fruchtbare Eyer oder
Saamenkörner erzeugen? Wir haben schon oben
bemerkt, daſs manche Insekten, und besonders
die Blattläuse, mehrere Generationen hindurch
fruchtbare Eyer oder lebendige Junge gebähren
und daſs es eine ganz unbewiesene Hypothese
ist, wenn man bey diesen Thieren einer einzi-
gen Paarung das Vermögen zuschreibt, alle fol-
gende Generationen zu befruchten. Wir können
noch hinzusetzen, daſs es sehr zweifelhaft ist,
ob nicht sogar einzelne Arten der höhern, mit
einem artikulirten Skelett versehenen Thierclas-
sen der Begattung zur Fortpflanzung entbehren
T 4kön-
[296] können. Vielleicht sind die Meernadeln (Syn-
gnathus) solche Arten. Pallas fand niemals
unter diesen Thieren ein Männchen. Alle, und
selbst die jüngern, waren im Monat July mit
Brut angefüllet (z). Im folgenden Kapitel wird
sich
[297] sich auch zeigen, daſs man von verschiedenen
Pflanzen ebenfalls fruchtbare Saamenkörner unter
Umständen erhalten hat, wo kein männlicher
Zeugungsstoff auf die weiblichen Geschlechtsor-
gane Einfluſs gehabt haben konnte.
Ja, was noch mehr ist, sogar bey dem Men-
schen zeigt sich in manchen Fällen eine Tendenz
zur Bildung von Früchten, die durch keine vor-
hergegangene Begattung verursacht seyn kann.
Diese Behauptung klinget zwar befremdend.
Aber man erwäge folgende Erfahrungen, und
man wird eingestehen müssen, daſs sie wichtige
Gründe auf ihrer Seite hat.
Aus den Eyerstöcken wird eine Flüssigkeit
ausgeleert, von den Franzen der Muttertrompe-
ten aufgenommen, durch diese Röhren zur Ge-
bährmutter geführt, und hier zu einer Frucht
ausgebildet. Dies ist der gewöhnliche Gang der
Natur bey der Erzeugung des Menschen und der
übrigen Säugthiere. Aber es giebt auch Fälle,
wo man Embryonen in dem Eyerstocke, in der
Fallopischen Röhre und in der Bauchhöhle fand.
Einen Fall der erstern Art, wo ein Foetus, der
die
(z)
T 5
[298] die Länge von drey Linien hatte, in einer Bla-
se des linken Eyerstocks lag, hat Littre be-
schrieben (a). Eben dieser Schriftsteller (b) und
Duverney(c) trafen auch Früchte in den Mut-
tertrompeten an, und Martin(d) fand bey der
Leichenöffnung einer Schwangern in der rechten
Seite der Bauchhöhle ein Kind von 9 Monaten,
das mit dem Gesichte auf der Leber und Gallen-
blase, und mit dem Hinterkopfe auf dem Pylo-
rus lag, und dessen Mutterkuchen an den drey
ersten Lendenwirbeln befestigt war. Mehrere
ähnliche Fälle haben Haller(e) und Josephi(f)
gesammelt. Der letztere hat zugleich die Ge-
schichte einer funfzehnjährigen Schwangerschaft
geliefert, wobey das Kind in der Harnblase lag.
Die Gebährmutter und der linke Eyerstock wa-
ren natürlich beschaffen, von dem rechten Eyer-
stocke aber blos noch ein dünner Strang übrig.
In der Harnblase, die widernatürlich dick, an
eini-
[299] einigen Stellen knorplicht und scirrhös, und auf
ihrer innern Fläche voll schwammichter Aus-
wüchse und zottiger Büschel war, fanden sich
zwey Oeffnungen, eine am Grunde und eine an
der rechten Seite (g).
Es giebt noch andere Fälle, wo man nicht
einen vollständigen Foetus, sondern blos Kno-
chen, Zähne und Knäuel von Haaren in einem
der Eyerstöcke fand. Blumenbach hat Zeich-
nungen von acht Knochen geliefert, die im lin-
ken Eyerstocke einer Bäurin gefunden wurden.
Vier derselben sind mit Zähnen besetzt, welche
denen eines zwanzigjährigen Menschen gleichen.
Einer ist 10 und ein anderer 7 Pariser Zoll lang.
Keiner hat die mindeste Aehnlichkeit mit irgend
einem Menschenknochen. Die Zähne hängen
in denselben so unordentlich, daſs zwischen
diesen Knochen und den Kinnladen gar keine
Analogie statt findet. Der Eyerstock, worin sie
sich befanden, war in eine Honiggeschwulst
(Meliceris) von ungeheurer Gröſse verwandelt,
und zwischen ihnen lagen sehr viele, unter ein-
ander verwickelte Haare, die keine Wurzeln hat-
ten. Blumenbach sagt in seiner Beschreibung,
die Massen seyen Ueberbleibsel einer Frucht, die
ein und zwanzig Jahre lang im Eyerstocke gele-
gen hätte; er fügt aber hinzu: quantum scil. ex
rela-
[300] relatione et viso reperto, crassiore quidem Miner-
va consignato, maxima cum probabilitate hariola-
ri licet (h). — Eine ähnliche Beobachtung mach-
te Cleghorn(i). Die Haare, Knochen und
Zähne lagen in einem groſsen Sack des linken
Eyerstocks. Die Knochen waren auch hier, wie
in allen ähnlichen Fällen, keinem menschlichen
Knochen ähnlich, einen einzigen ausgenommen,
der mit Zähnen besetzt war, und einem Stück
der obern Kinnlade glich. Man fand 44 Zähne,
worunter einige Milchzähne, die meisten aber so
waren, wie sie im 14ten oder 15ten Jahre zu
seyn pflegen. — Ploucquet(k) fand in einem
ähnlichen Gewächse des rechten Eyerstocks bey
einer 22jährigen Frau Haare, Häute, verschiede-
ne Knochen und dreyhundert Zähne. Stalpart
van der Wiel(l) fand einen einzelnen Knochen
und Haare in dem rechten Eyerstocke eines funf-
zehnjährigen Mädchen, das noch nie die monat-
liche Reinigung gehabt und seit einem Jahre am
schlei-
[301] schleichenden Fieber und hysterischen Uebeln ge-
litten hatte. Zugleich lagen hier in der rechten
Niere mehrere Steine. — Joh. Baptist de
Lamzweerde(m) hat einen Fall von einem eilf-
jährigen Mädchen, deren Eyerstock in eine knor-
pelartige, 15 Pfund schwere Masse verwandelt,
und mit fleischartigen, knöchernen und haarich-
ten Concrementen angefüllt war.
In noch andern Fällen traf man in einer
Balggeschwulst des Eyerstocks, und zwar, wel-
ches beachtet zu werden verdient, meist des
rechten Eyerstocks, blos Conglomerate von
Haaren an. Solcher Beobachtungen sind sehr
viele in den Schriften der Aerzte aufgezeich-
net (n). Baillie(o) erzählt einen Fall von ei-
nem 12 bis 13jährigen Mädchen, bey welchem
alle
[302] alle Zeichen des jungfräulichen Zustandes, keine
der Schwangerschaft, und doch solche Haare im
Eyerstocke vorhanden waren.
Man hat endlich Beyspiele von Knochen,
Haaren, Ligamenten und andern Organen, die
sich ausserhalb den Eyerstöcken, und selbst aus-
serhalb den Zeugungstheilen, an ganz ungewöhn-
lichen Stellen erzeugt hatten. G. Horstius(p)
fand Haare, die mit einer fetten Materie ver-
mischt waren, in der Gebährmutter — Rous-
set(q) traf in der Substanz des Uterus fleisch-
artige Auswüchse und Concretionen von Membra-
nen, Sehnen, Knochen und andern Dingen an,
deren Gewicht 40 Pfund betrug — Wien-
holt(r) entdeckte bey der Leichenöffnung eines
Frauenzimmers, das an einem krebsartigen Ge-
schwüre der innern Geburtstheile starb, zwischen
dem Mastdarme und der Mutterscheide ein unor-
dentliches rundes Geflecht von Haaren, die von
derselben Farbe wie das Haupthaar waren; auch
war hier der rechte Eyerstock in zwey ovale,
mit einer honigartigen Materie angefüllte Körper
übergegangen, wovon der gröſsere ebenfalls ein
Geflecht von Haaren enthielt — Stalpart van
der
[303]der Wiel(s) gedenkt eines Falls, wo bey ei-
nem Frauenzimmer ein Geschwür des Unterleibs,
das eine Hand breit unter dem Nabel saſs, mit
Haaren angefüllt war — Einer der merkwürdig-
sten Fälle dieser Art ist aber der, welchen Schüt-
zer(t) beschrieben hat. Bey einem Mädchen,
welches erst zweymal das Monatliche, und zwar
das letzte mal einige Wochen vor ihrem Tode.
gehabt hatte, und an einer Zerreissung des Net-
zes gestorben war, fanden sich an dem Bauch-
felle, am Gekröse und über dem linken Psoas-
Muskel eine Menge harter Klumpen und Gewäch-
se. Das gröſste, welches an Gröſse einem klei-
nen Kinderkopfe glich, befand sich im Gekröse
über den beyden letzten Rückgrathswirbeln und
den beyden obersten Lendenwirbeln. Die obere
Hälfte dieses Gewächses bestand aus einem Sack,
welcher ein bräunliches Wasser enthielt. Zwi-
schen ihr und dem Bauchfelle lagen einige Haare,
die eine halbe Elle lang waren. In der untern
Hälfte, welche weiſs und dicht war, lagen zwey
Vorderzähne, ein oberer und ein unterer, acht
Backenzähne, zwey Eckzähne, ein oberer Kinn-
backen mit seinen Zahnhöhlen, worin zwey Schnei-
dezähne saſsen, und mehrere kleinere Knochen,
die sich mit keinem andern vergleichen liessen.
Die Zähne waren so groſs wie bey Kindern um
die
[304] die Zeit des Wechselns der Zähne, und an eini
gen zeigten sich neue an der Wurzel. Die Ge-
burtstheile der Verstorbenen hatten alle Kennzei-
chen der unverletzten Jungfrauschaft.
In denjenigen von diesen Fällen, wo eine
vollständige Frucht an ungewöhnlichen Stellen
gefunden wurde, fand wahrscheinlich eine vor-
hergegangene Befruchtung statt. Die Flüssigkeit,
die gewöhnlich bey der Empfängniſs aus dem Ey-
erstocke durch die Muttertrompeten zum Uterus
gelanget, blieb in dem Eyerstocke oder in der
Fallopischen Röhre zurück, oder gerieth zufällig
in die Höhle des Unlerleibs. Aber auf diese Art
lassen sich nicht die übrigen Fälle erklären, wo
man einzelne Knochen, Zähne, Haare und son-
stige Organe in den Eyerstöcken und in andern
Theilen antraf. Solche Erzeugnisse sind nicht,
wofür man sie gewöhnlich hält, Ueberbleibsel
eines einst vollständigen Foetus. Denn wie ist
es denkbar, daſs in den Fällen, welche van der
Wiel und Lamzweerde beobachteten, eine Be-
fruchtung und Empfängniſs bey Mädchen statt ge-
funden haben sollte, die noch nicht mannbar
waren? Wie läſst sich diese in den Fällen, die
Baillie und Schützer beschrieben haben, bey
Mädchen annehmen, deren Zeugungstheile noch
ganz im jungfräulichen Zustande waren, und
wovon die eine erst zweymal kurz vor ihrem
Tode
[305] Tode das Monatliche gehabt hatte? Wie hätten
sich, wenn hier auch eine Befruchtung vorherge-
gangen wäre, in so kurzer Zeit Zähne bilden
können, die ganz von der Gröſse und Beschaffen-
heit waren, wie sie sonst um die Zeit des Wech-
selns der Zähne sind? Woher rührte in allen
den angeführten Fällen die gänzliche Verschie-
denheit der meisten Knochen von den menschli-
chen Knochen, wenn eine Befruchtung die Ursa-
che des Entstehens jener Knochen gewesen wäre?
Wie konnten sich dann in dem Falle, den Rous-
set beschrieben hat, Knochen, Haare und Liga-
mente in der Substanz der Gebährmutter, und
bey der Beobachtung, die von Wienholt ge-
macht wurde, Knäuel von Haaren nicht nur in
dem Eyerstocke, sondern auch zwischen dem
Mastdarme und der Mutterscheide finden?
Mehr Wahrscheinlichkeit hat auf den ersten
Blick die Meinung derer, welche die fremdartigen
Massen, die in den erwähnten Fällen gefunden
wurden, für Ueberbleibsel eines Foetus halten,
der in einem andern eingeschlossen war, und
wovon sich blos einige Haare, Knochen und Zäh-
ne entwickelten. Solche Früchte giebt es aller-
dings. Man trifft häufig Vogeleyer an, in wel-
chen kleinere Eyer enthalten sind (u), und eben
so
III. Bd. U
[306] so oft kommen dergleichen Beyspiele im Pflan-
zenreiche, vorzüglich bey den Citronen, vor (v).
Man hat Menschen gesehen, an deren Brust oder
Unterleibe der Ober- oder Untertheil eines andern
Menschen herabhing, oder die einen Sack mit
auf die Welt brachten, der mit ihnen verwachsen
war, und in welchem Ueberbleibsel eines andern
Foetus lagen (w). Indeſs auch diese Meinung
wird man bey genauerer Untersuchung unbefrie-
digend finden. Denn wie will man aus ihr den
von Ploucquet beobachteten Fall erklären, in
welchem ein Gewächs des Eyerstocks dreyhundert
Zähne enthielt? Unmöglich konnten diese Ueber-
bleibsel einer Frucht seyn.
Mir scheinen diese Gründe keinen Zweifel
übrig zu lassen, daſs sich sogar bey dem Men-
schen
(u)
[307] schen in gewissen Fällen, zwar nicht vollständige
Früchte, aber doch Bruchstücke eines lebenden
Ganzen, ohne Befruchtung bilden können. Was
aber die Ursache der Erzeugung solcher Frag-
mente betrifft, so glaube ich, daſs sie in einer
krankhaften Beschaffenheit der Eyerstöcke besteht,
und folgende Beweise sind es, worauf ich diese
Meinung baue:
- 1) In den angeführten Beobachtungen waren
unter den fremdartigen Substanzen fast im-
mer Haare. Man weiſs aber, in wie ge-
nauem Consensus die Entstehung und das
Wachsthum der Haare mit den Zeugungsthei-
len steht. - 2) In sehr enger Verbindung mit diesen Orga-
nen steht auch die Erzeugung der Knochen-
materie, wie bey den Thieren aus der Fami-
lie der Rinder erhellet, deren Hörner und
Geweihe erst zu den Zeiten der Mannbarkeit
hervorwachsen. Aber nächst Haaren waren
auch Knochenmassen die häufigsten, die in
den erwähnten Fällen gefunden wurden. - 3) Man hat Haasen, Schweine, Katzen, Hun-
de, Pferde und sogar Menschen beobachtet,
welche Hörner trugen (x). Eine solche ge-
hörn-
U 2
[308] hörnte Hündin wurde in England zergliedert.
Man fand den Eyerstock der einen Seite
scirrhös. Aber auch nur auf dieser Seite des
Kopfs hatte sie ein Horn gehabt, welches
völlig dem eines dreyjährigen Hirsches glich.
Auf der andern Seite hingegen, deren Eyer-
stock gesund war, fand sich keine Spuhr ei-
nes solchen Auswuchses (y). Bey den Hir-
schen sind Monstrositäten der Geweihe, nach
der Erfahrung aller Jäger, immer mit Feh-
lern der Zeugungstheile verbunden (z). Da
nun in diesen Fällen die widernatürlichen
Auswüchse an der Stirne von einer krankhaf-
ten Beschaffenheit der Geschlechtsorgane her-
rühren, warum sollte die nehmliche Ursache
nicht eben so wohl knochenartige Concremen-
te im Innern des Körpers hervorbringen kön-
nen, wie sie dort solche Auswüchse ausser-
halb dem Körper bildet?
Alles dies beweist, daſs sich nicht einmal
von den Thieren und Pflanzen, und also noch
viel weniger von den Zoophyten, die unbeding-
te Nothwendigkeit der Begattung zur Fortpflan-
zung des Geschlechts behaupten läſst. Aber
zweytens, wenn auch der Satz bewiesen wä-
re,
[309] re, daſs bey den zusammengesetztern Körpern
des Thier- und Pflanzenreichs niemals fruchtbare
Eyer- oder Saamenkörner ohne Einwirkung ei-
nes männlichen Zeugungsstoffs auf den weiblichen
Saamen gebildet werden, so läſst sich doch be-
zweifeln, daſs hiervon ein Schluſs auf die ein-
fachern Organismen des Reichs der Zoophyten
gilt. Man kann sagen: Unsere bisherigen, ob-
gleich noch sehr eingeschränkten Erfahrungen
zeigen uns schon so viele Mannichfaltigkeit in
der Entstehung der lebenden Körper, daſs die
Hoffnung, bey noch gröſserm Reichthum an Be-
obachtungen einst alle mögliche Formen der Er-
zeugung erschöpft zu finden, schon von dieser
Seite nicht ohne Grund ist. Diese Hoffnung er-
hält noch mehr Wahrscheinlichkeit, wenn der
Satz, daſs im allgemeinen Organismus alle mög-
liche Arten des Daseyns wirklich vorhanden sind,
seine Richtigkeit hat. Ist es also nicht glaub-
lich, daſs sich die Natur auch in Formen ergoſs,
die ohne Geschlechtsverschiedenheit und Befruch-
tung ihr Geschlecht erhalten?
Man kann ferner sagen: Bey mehrern von
denjenigen Mollusken und Pflanzen, bey wel-
chen die männlichen und weiblichen Zeugungs-
theile in Einem Individuum vereinigt sind, fin-
det keine Geschlechtsverschiedenheit mehr statt.
Hier ist es nicht mehr eine eigene Art von Ein-
U 3wir-
[310] wirkung eines Individuums auf ein anderes, son-
dern blos eines Organs auf ein anderes Organ,
wodurch die Fortpflanzung des Geschlechts ge-
schieht. Beyde Organe sind hier freylich so-
wohl in ihrer Bildung, als in ihren Funktionen
von allen übrigen Theilen des Organismus, woran
sie sich befinden, ganz verschieden. Aber die
nehmlichen Zwecke, wofür bey der einen Clas-
se von lebenden Körpern verschiedene Organe
vorhanden sind, erreicht die Natur bey einer an-
dern Classe durch einerley Mittel. Das Athem-
hohlen, die Verdauung und die Ausleerung der
zu excernirenden Stoffe geschehen bey den mei-
sten Thieren durch verschiedene, hingegen bey
den Pflanzen durch einerley Organe. Nach die-
ser Analogie könnte es aber auch wohl Orga-
nismen geben, bey welchen die verschiedenen
Geschlechtstheile, die wir bey mehrern Mollus-
ken und den meisten Pflanzen in einem Indivi-
duum beysammen, obgleich blos noch zur Fort-
pflanzung des Geschlechts bestimmt finden, eben-
falls in Einem Individuum vereinigt wären, aber
zugleich noch andern Funktionen, z. B. der Er-
nährung, vorständen. Gesetzt nun, die Zoophy-
ten wären solche Organismen, was liesse sich
gegen die Meinung von der Fortpflanzung dersel-
ben ohne vorhergegangene Begattung dann noch
einwenden?
Eine
[311]
Eine solche einfache Befruchtungsart ist in
der That auch die, wozu mehrere Naturforscher,
die das Ungereimte der Meinungen ihrer Vorgän-
ger einsahen, und sich doch nicht entschlieſsen
konnten, der Linneischen Sexualhypothese zu
entsagen, bey den Algen ihre Zuflucht nahmen.
So werden, nach Roth(a), bey den Conferven
und Tangen die nackten Fruchtkeime auf dem
einfachsten Wege an gewissen dazu bestimmten
Orten, und in einer, einem jeden Individuum
angewiesenen Ordnung gebildet, und nach ihrer
Befruchtung bis zur völligen Reife aufbewahret.
Auf eine eben so einfache Weise scheinet ihm
auch die Erzeugung des männlichen Saamens in
jenen Phytozoen bewirkt zu werden. Mit dem
letztern wird aber, seiner Meinung nach, bey
sehr vielen Pflanzenthieren aus den erwähnten
Familien zugleich eine schleimige Substanz er-
zeugt, die ihn umgiebt und beschützet, oder
in gewissen Fällen das Gleichgewicht mit dem
Wasser, worin sich jene Organismen befinden,
herstellet. Bey einigen soll derselbe unmittelbar
an dem Orte, wo die Fruchtkeime sitzen, abge-
sondert, bey andern an besondern, von den
Fruchtkeimen getrennten Orten erzeugt, und zur
Zeit der Befruchtung entweder durch eigen dazu
bestimmte Canäle, oder durch ein Anziehungs-
vermö
U 4
[312] vermögen, mit Hülfe einsaugender, auf der Ober-
fläche des Gewächses befindlicher Gefäſse, den
Fruchtkeimen zugeführt werden. Aehnliche Ideen
äussert Thomas Velley(b). Es ist aber ein-
leuchtend, daſs eine solche Befruchtungsart, wie
hier vorausgesetzt wird, gar kein Gegenstand der
Erfahrung mehr seyn würde, und daſs sich mit
Hülfe einer ähnlichen Hypothese auch bey der
Fortpflanzung durch Knospen und Sprossen, ja
selbst bey der Regeneration eine vorhergehende
Befruchtung annehmen liesse.
Endlich drittens, wenn es auch dargethan
wäre, daſs zur Bildung eines Eys oder Saamen-
korns immer eine Befruchtung erforderlich ist,
so liesse sich doch von den Vertheidigern der obi-
gen Meinung der Beweis verlangen, daſs dasje-
nige, was sie für Eyer oder Saamenkörner der
Zoophyten halten, nicht vielmehr Knospen sind.
Man kann zu ihnen sprechen: Ihr selber erklärt
die
[313] die Keime solcher Körper, an welchen ihr nicht
hoffen dürfet, männliche Geschlechtstheile zu
entdecken, z. B. der Ulven (c), für Knospen.
Aber ihr gebt keine Charaktere an, worin sich
diese von den saamenartigen Keimen der übrigen
Zoophyten unterscheiden. Mit eben dem Rech-
te, womit ihr die Keime der Ulven für Knos-
pen haltet, können wir auch die vermeinten
Eyer und Saamenkörner der übrigen Zoophyten
als Knospen betrachten. Ja, wir können für
diese unsere Meinung Gründe der Analogie an-
führen, da ihr zu eurem Geständnisse in Betreff
der Ulven blos durch die Noth gezwungen seyd.
Medicus fand, daſs die Geschlechtstheile man-
cher Pflanzen nur ein scheinbares Daseyn haben,
zur Erzeugung von Saamenkörnern aber ganz
untüchtig sind (d). Nach Smith’s Beobach-
tung (e) trägt das Lilium bulbiferum zu der Zeit,
wo es sich durch Knospen fortpflanzt, unfrucht-
bare
U 5
[314] bare Blüthen. Läſst sich nach diesen Erfahrun-
gen nicht vermuthen, daſs es Organismen giebt,
denen auch die scheinbaren Geschlechtsorgane feh-
len, und welche blos durch Knospen und Spros-
sen ihr Geschlecht erhalten? Und ist es nicht
glaublich, daſs sich diese Organismen auf den
untersten Stufen der thierischen und vegetabili-
schen Organisation und in der Classe der Zoo-
phyten finden müssen?
Wer die bisherigen Gründe und Gegengründe
unbefangen gegen einander abwägt, wird gewiſs
eingestehen, daſs das Uebergewicht auf Seiten de-
rer ist, die bey den einfachern Organismen der
lebenden Natur eine Fortpflanzung ohne Begat-
tung annehmen. Ehe wir indeſs ein entscheiden-
des Urtheil zu fällen wagen, müssen wir eine
Thatsache in Erwägung ziehen, welche die Ver-
mehrung der Conferven betrifft.
Wir haben gesehen, daſs bey mehrern ge-
gliederten Conferven im Frühlinge und im An-
fange des Sommers die grünen Massen, womit
das Innere derselben angefüllt ist, verschwinden,
daſs sich dagegen in ihnen gröſsere eyer- oder bee-
renartige Körper bilden, die mit dem innern Schlau-
che jener Wasserfäden einen gleichen Durchmesser
und eine bräunliche Farbe haben, und daſs aus
diesen im folgenden Herbste oder Frühlinge Con-
fer-
[315] ferven, die mit den vorigen von gleicher Art
sind, wieder hervorwachsen. Der Bildung die-
ser Eyer oder Saamenkörner nun geht ein höchst
merkwürdiges Phänomen, die Conjugation
oder Copulation der Conferven, vorher. Ge-
gen die Zeit nehmlich, wo sich jene Fruchtkeime
bilden wollen, schwillt die Conferve etwas an,
und aus den einzelnen Gliedern derselben schies-
sen an den Seiten kurze, offenstehende Röhren
hervor. Vermittelst dieser Röhren vereinigt sich
jener Wasserfaden mit einer andern Conferve, die
ebenfalls mit solchen Seitencanälen versehen ist,
dergestalt, daſs die Mündungen der erstern ge-
nau an die Oeffnungen der letztern stoſsen, mit
diesen verwachsen, und Gefäſse bilden, wodurch
eine Verbindung zwischen den innern Schläuchen
beyder Wasserfäden bewirkt wird. Eine solche
copulirte Conferve ist Roth’s Conferva scala-
ris (f), die also keine eigene Art ausmacht. Oft
findet man auch mehr als zwey Conferven auf
diese Art vereinigt. Nachdem die Verbindung
vor sich gegangen ist, behalten die ursprüngli-
chen grünen Massen noch eine Zeitlang ihre regel-
mäſsige Stellung (g). Bald darauf aber verlassen
sie diese, und ballen sich zu unregelmäſsigen
grünen
[316] grünen Klumpen zusammen. Diese Verände-
rung tritt indeſs nicht in allen Gliedern zu glei-
cher Zeit ein. Früher ereignet sie sich in de-
nen, die sich früher copulirt haben, und gar
nicht in denen, welche keine Verbindung einge-
gangen sind. Zuweilen findet man auch ganze
Haufen von Conferven, die sich gar nicht ver-
einigt haben, und den ganzen Sommer hin-
durch unverändert bleiben. Mit jener Verbin-
dung höret zugleich die Absonderung des Schleims
auf, der die Fäden vorher einhüllte, und diese
bekommen jetzt eine gewisse Sprödigkeit.
Setzt man die Beobachtung noch weiter fort,
so wird man nach einiger Zeit wahrnehmen,
daſs die erwähnten grünen Massen das Glied der
einen Conferve, worin sie sich vorher befanden,
ganz verlassen haben, und durch die Verbin-
dungsröhre, vermittelst welcher sich jenes Glied
mit einem Gliede eines andern Wasserfadens co-
pulirt hat, in das letztere übergegangen sind.
Ich will der Kürze halber in Zukunft das erstere
Glied das ausgeleerte, und das letztere das
angefüllte nennen. In der Struktur dieser
beyden Glieder läſst sich kein wesentlicher Un-
terschied entdecken. Nur einmal habe ich bey
zwey copulirten Fäden der Conferva setiformis R.
gesehen, daſs die nach Art von Perlenschnüren
an einander gereiheten Körper, womit diese Con-
ferve
[317] ferve inwendig besetzt ist, in beyden Fäden ent-
gegengesetzte Windungen machte. Ich kann
aber nicht sagen, ob dieser Unterschied nicht
zufällig war. Oft findet man auch, daſs in ei-
nem und demselben Faden einige Glieder ihre
grünen Massen an den copulirten Faden abgege-
ben, und andere die des letztern aufgenommen
haben (h).
In dem angefüllten Gliede verliehren die
grünen Massen ihre grüne Farbe, und schmelzen
zu einem von jenen bräunlichen Eyern oder Saa-
menkörnern zusammen, aus welchen, wie schon
gesagt ist, in der Folge wieder ähnliche Con-
ferven hervorwachsen. Die Bildung dieser Kör-
ner nimmt von einem Punkte der Peripherie ih-
ren Anfang, und geht von diesem zu dem ent-
gegengesetzten Punkte fort. Oft ist daher die
eine Hälfte der Kugel oder der Ellipse schon ge-
ründet, indem die andere Hälfte noch einen
unförmlichen Klumpen vorstellet. Sobald jene
Körner völlig ausgebildet sind, ist von den co-
pulirten Wasserfäden nichts mehr, als die farben-
lose äussere Haut übrig (i). Wer zwey solche
Fäden in diesem Zustande erblickt, kann leicht
verführt werden, sie für die beyden Hälften
einer
[318] einer und derselben, mit reifen Saamenkörnern
angefüllten Conferve zu halten, deren Röhre sich
durch einen, mit der Axe parallelen Riſs geöff-
net hat. Er wird aber von dieser Meinung zu-
rückkommen, wenn er andere Fäden aufsucht,
die sich erst seit kurzer Zeit vereinigt haben,
und am deutlichsten wird er die beschriebenen
Veränderungen an der Conferva setiformis R. be-
obachten können. Die Fruchtkeime bleiben so
lange in der äussern Haut der Conferve, bis
diese aufgelöst ist, und sinken dann im Wasser
zu Boden.
Ein einziges mal habe ich unter mehrern
verbundenen Fäden der Conferva scalaris R. ei-
nen angetroffen, in welchem die Bildung der
Fruchtkeime ihren Anfang genommen hatte, ob-
gleich der Faden mit keinem andern copulirt
war. Er war aber von schwarzer Farbe, und
es fand hier also ohne Zweifel eine krankhafte
Beschaffenheit statt. Indeſs giebt es allerdings
eine Art von Conferven, welche ohne Copulation
Saamenkörner hervorzubringen scheint. Diese
ist die Conferva annulina, eine neue, von mei-
nem Bruder entdeckte Art, die man bey Bremen
in Gräben und stehenden Wassern findet, und
in deren langen einfachen Fäden die grüne Mate-
rie parallele, durch leere Zwischenräume getrenn-
te Ringe bildet. Der Grund dieser Anomalie
liegt
[319] liegt vielleicht darin, daſs jene Conferve entwe-
der gar keine Scheidewände, oder doch unge-
wöhnlich lange Glieder hat.
Uebrigens vermuthe ich, daſs manche Con-
ferven sich noch auf eine andere Art, als durch
Seitenröhren, copuliren. Im Juny 1804 fand
ich unter einem Haufen des Ceramium cespito-
sum R., der Conferva bronchialis R., spiralis R.
und anderer Wasserfäden einige, in deren etwas
angeschwollenen Gliedern sich Saamenkörner zu
bilden angefangen hatten, die aber mit keinen
Seitenröhren versehen waren, sondern dadurch
sich copulirt zu haben schienen, daſs das Ende
der einen mit dem Schlauche der andern ver-
wachsen war. Eine, in diesem Zustande be-
findliche Conferve war es ohne Zweifel auch,
was von Roth(k) unter dem Namen Conferva
fragilis als eine eigene Art beschrieben ist. Viel-
leicht findet diese Art von Conjugation bey meh-
rern Conferven statt, und manche mögen daher
in einer gewissen Periode als ästig erscheinen,
die in der That einfach sind.
Was ich bisher über die Copulation der Confer-
ven gesagt habe, ist das Resultat meiner eigenen
Beobachtungen. Vor mir ist sie von O. F. Mül-
ler
[320]ler(l), Hedwig(m), Roth(n) und Vau-
cher(o), doch weniger umständlich, beschrie-
ben. Frägt man diese Schriftsteller, was man
von jener Erscheinung zu denken hat, so erhält
man von allen eine unbefriedigende Antwort.
Alle gestehen ein, daſs die Conjugation der Was-
serfäden auf die Bildung der Fruchtkeime einen
Einfluſs haben müsse, aber keiner wagt es, sie
für eine wahre Begattung zu erklären. Nun
ist freylich auch jenes Phänomen von allen be-
kannten Arten der Begattung ganz verschieden.
Wir finden keinen Unterschied zwischen denjeni-
gen Gliedern, die sich ausleeren, und denen,
welche die ausgeleerten Massen der conjugirten
aufnehmen; ja, wir treffen an einem und dem-
selben Individuum ausgeleerte und angefüllte
Glieder an. Inzwischen, sobald wir unsere
Begriffe erweitern und unter Begattung die Ver-
einigung zweyer Individuen zur Bildung einer
eigenen Art von Fruchtkeimen verstehen, so
müssen wir auch die Copulation der Conferven
für eine wahre Begattung halten. Denn aus
welchen Gründen läſst sich behaupten, daſs Ho-
den oder Saamenbläschen und Eyerstöcke, Anthe-
ren und Narben nothwendige Bedingungen die-
ses
[321] ses Acts sind? Wer kann sagen, daſs, bey der
so äusserst zarten, auch dem scharfsichtigsten
und mit dem besten Vergröſserungsglase bewaff-
neten Auge verborgenen Struktur des Innern der
Conferven, zwischen den copulirten Individuen
doch nicht eine Verschiedenheit statt findet, wenn
wir diese auch nicht zu entdecken im Stande
sind? Und was hindert uns anzunehmen, daſs
bey den Conferven die Begattung eben so wohl
durch einen Uebergang des weiblichen Zeugungs-
stoffs zum männlichen Saamen, als auf dem ent-
gegengesetzten Wege geschieht?
Hat dies nun seine Richtigkeit, so ergeben sich
zwey Folgerungen, wodurch der im Vorhergehen-
den berührte Streit über die Nothwendigkeit der Be-
gattung zur Erzeugung von Eyern und Saamen-
körnern seiner Entscheidung genähert wird.
Erstens nehmlich, da wir jetzt unter den ein-
fachsten der lebenden Körper ein Geschlecht ange-
troffen haben, welches nicht anders als nach vollzo-
gener Begattung eine gewisse Art von Keimen her-
vorbringt, so ist es höchst wahrscheinlich, daſs die-
se Art von Keimen in der ganzen lebenden Natur
immer nur nach erfolgter Einwirkung eines männ-
lichen Saamens auf einen weiblichen Zeugungsstoff
gebildet wird. Mithin liegt die Wahrheit auf Seiten
derer, welche die Befruchtung für ein nothwendi-
ges Erforderniſs zur Erzeugung von Eyern und
III. Bd. XSaa-
[322] Saamenkörnern ansehen, wenn wir unter diesen
Benennungen jene Keime verstehen. Deswegen
aber läſst sich keinesweges behaupten, daſs bey
allen lebenden Körpern eine Geschlechtsverschie-
denheit und Begattung statt findet: denn es ist
ja nicht bewiesen, daſs alle diese Organismen
Eyer oder Saamenkörner bilden, im Gegentheil
ist es nach den oben erwähnten Gründen sehr
wahrscheinlich, daſs sich manche blos durch
Knospen oder Sprossen fortpflanzen.
Zweytens, da die Begattung der Confer-
ven auf eine so ganz eigene Art geschieht, so
läſst sich schliessen, daſs sie auch bey den übri-
gen Zoophyten auf eine, von der Paarung der
Thiere und Pflanzen ganz verschiedene Art voll-
zogen wird. Sehr wenig Erfolg ist daher von
allen Untersuchungen zu erwarten, wobey man
zur Absicht hat, ähnliche Geschlechtsorgane bey
den Zoophyten, wie bey den Thieren und Pflan-
zen, zu entdecken. In der That haben auch
die bisherigen Nachforschungen der Art die un-
gereimtesten Hypothesen zu Resultaten gehabt.
Selbst Hedwig’s so hoch gepriesene Meinung
von der Befruchtung der Moose hat der Gründe
mehr gegen, als für sich, und würde schwerlich
den Beyfall erhalten haben, den sie gefunden
hat, wenn nicht die Begierde des groſsen Hau-
fens derer, für welche die Natur blos ein syste-
mati-
[323] matisches Wörterbuch ist, alles, was nur eini-
germaaſsen einer Pflanze gleicht, unter das Joch
des Linneischen Sexualsystems zu bringen, ihr
Eingang verschafft hätte. Vielleicht wird diese
Behauptung manchem gewagt scheinen. Allein
man höre unparteyisch meine Gründe, und ur-
theile!
Wir haben im ersten Buche (p) gesehen,
daſs man an den Moosen verschlossene Behälter
antrifft, welche mit kleinen Körnern angefüllt
sind, und in einer gewissen Periode bey den
Lebermoosen dadurch, daſs sie der Länge nach
sich in mehrere Theile spalten, bey den meisten
Laubmoosen aber durch Abwerfung eines Deckels
sich öffnen (q). Seit Dillen’s und Micheli’s
Zeiten hielten die meisten Naturforscher jene
Kapseln für die männlichen Geschlechtstheile der
Moose (r). Hedwig widerlegte diesen Irrthum,
indem er, nach dem Vorgange von Kölreu-
tern
X 2
[324]tern(s), durch mehrere Versuche bewies, daſs
die Körner, die in jenen Kapseln enthalten sind,
vorsichtig ausgesäet, keimen, und also nicht für
männlichen Zeugungsstoff, sondern für Saamen-
körner angesehen werden müssen (t). Zum Ran-
ge männlicher Geschlechtsorgane erhob er dage-
gen gewisse ovale oder cylindrische Körper, wel-
che aus kleinen blasenförmigen Körnern beste-
hen, bey den Laubmoosen gestielt sind, bey
vielen Lebermoosen aber unmittelbar an den Ober-
flächen der Blätter sitzen, und bey den erstern
von eigenen Blättern, welche die Form einer
Scheibe, eines Sterns, oder einer Rose bilden,
(Perigonia Hedw.) umgeben, bey den letztern
aber unbedeckt sind (u). Als Gründe für diese
Hypothese gab er, ausser der blasenförmigen
Textur jener Körper, welche derjenigen, die
man an den männlichen Geschlechtstheilen der
Apocineen antrifft, nicht unähnlich ist (v), fol-
gende Beobachtungen an:
- 1) Bey mehrern Moosen sahe er jene Körper
unter Wasser sich öffnen, und eine Masse
aus ihnen hervorkommen, welche der Form
und
[325] und Consistenz nach derjenigen ganz ähnlich
war, die unter gleichen Umständen aus dem
Blüthenstaube (pollen) der Pflanzen hervor-
dringt (w). - 2) An der hölzernen Einfassung eines Fisch-
teichs fand er einen Rasen der Marchantia
polymorpha, welcher ausgezeichnet groſse
und mit sehr zahlreichen weiblichen Blüthen
besetzte Individuen enthielt. In keiner die-
ser Blumen waren aber Fruchtkeime zu ent-
decken. Verwundert über die Unfruchtbar-
keit derselben durchsuchte Hedwig die um-
liegenden Plätze. Allein nirgends traf er ein
Individuum an, worauf sich die Organe, die
er für die männlichen Zeugungstheile der
Marchantien hielt, gezeigt hätten. Deerant
itaque, setzt er dieser Erzählung hinzu, his
diphytis mares, quorum venere frui potuis-
sent, ut inde perpetuo quasi lasciviantes il-
lae, vires proli foecundando impendendas,
impenderent promotioni thalamorum genita-
lium (x).
Diese Gründe lassen sich indeſs widerlegen.
Eine blasenförmige Textur ist nicht blos den An-
the-
X 3
[326] theren der Pflanzen, sondern überhaupt jeder
zarten vegetabilischen und animalischen Substanz
im Anfange ihres Entstehens eigen (y). Hiervon
läſst sich also gar kein Beweis für Hedwigs
Meinung hernehmen. Es ist aber auch gar nicht
ausgemacht, ob nicht jedes vegetabilische oder
animalische Bläschen, in Wasser gelegt, unter
gewissen Umständen zerspringet, und den Stoff,
der in ihm enthalten ist, ausleert. Sahe doch
Stähelin sogar den elastischen Ring des Saa-
menbehälters eines Farrnkrauts sich öffnen, und
aus der Oeffnung eine gelbliche Materie hervor-
dringen (z). Ehe also die erste der obigen Hed-
wigschen Beobachtungen für beweisend gelten
könnte, müſste vorher dargethan seyn, daſs je-
nes Zerspringen und diese Exkretion blos dem
Blüthenstaube der Pflanzen eigen sey. Bey der
zweyten seiner angeführten Beobachtungen schlieſst
Hedwig folgendermaaſsen: die weiblichen Indi-
viduen der Marchantien waren unbefruchtet ge-
blieben, daher ihre Unfruchtbarkeit und ihr üp-
piges Wachsthum. Aber was hindert uns die-
sen Schluſs umzukehren, und anzunehmen, daſs
die Unfruchtbarkeit jener Individuen nicht von
der Abwesenheit der angeblichen männlichen Zeu-
gungs-
[327] gungsorgane, sondern von ihrem zu üppigen
Wachsthume herrührte?
Es läſst sich’ aber auch zeigen, daſs die Kör-
per, die Hedwig für die männlichen Geschlechts-
theile der Moose hielt, dieses nicht seyn kön-
nen, sondern wahrscheinlich eine gewisse Art
von Knospen sind. Nehmlich
- 1) im Pflanzenreiche sind nur bey einer, ver-
hältniſsmäſsig sehr kleinen Anzahl von Arten
die männlichen und weiblichen Geschlechts-
theile in verschiedenen Blumen, und bey ei-
ner noch kleinern in verschiedenen Gewäch-
sen vertheilt. Und doch hat hier schon die
Natur bewunderungswürdige Einrichtungen
getroffen, um die Befruchtung möglich zu
machen, indem sie in solchen Zwitterblumen,
wo beyderley Geschlechtstheile sich zu glei-
cher Zeit entwickeln, diesen Organen das
Vermögen ertheilte, sich zur Zeit der Reife
einander zu nähern und zu berühren, und
den übrigen Blumen eigene Insekten zu Be-
wohnern gab, welche den männlichen Blü-
thenstaub zur weiblichen Narbe zu überbrin-
gen bestimmt sind, wie im folgenden Kapi-
tel umständlicher gezeigt werden wird! Bey
den Moosen hingegen müſste der Hermaphro-
ditismus zu den seltenen Erscheinungen ge-
hören, wenn die von Hedwig entdeckten
X 4Kör-
[328] Körper wahre Antheren wären. Die meisten
würden zur Linneischen Classe der Dioeci-
sten gezählt werden müssen (a). Und doch
gab die Natur den Moosen keine Insekten,
welche die Befruchtung möglich machen könn-
ten! Sie traf zur Erreichung dieses Zwecks
keine andere Anstalten, als daſs sie jenen
Organismen ein gesellschaftliches Leben zu
führen vorschrieb (b), und jeder weiblichen
Blume eine groſse Menge von Griffeln gab (c).
Alles Uebrige wurde dem Winde und dem
Zufalle überlassen! Wer vermag, dies mit
richtigen Begriffen von der Natur zu vereini-
gen? Hierzu kömmt noch, daſs bey meh-
rern Arten des Hypnum, der Neckera und
Leskia die weiblichen Individuen eigene, von
den sogenannten männlichen Stämmen weit
entfernte Rasen bilden (d). Wie äusserst
selten müſsten also jene Individuen mit rei-
fen Saamencapseln vorkommen, wenn diese
Stämme wirklich das wären, wofür Hedwig
sie ausgiebt? Und doch sind die fruchtba-
ren Saamencapseln bey ihnen nicht seltener,
als bey andern Arten, deren weibliche Blü-
then
[329] then sich in der Nähe der männlichen be-
finden! - 2) Ganz unmöglich aber muſs jedem Unbefan-
genen die vermeinte Befruchtung der Moose
erscheinen, der erwägt, daſs die sogenannten
Blumenblätter der Laubmoose erst dann sich
öffnen, wenn die angebliche Begattung schon
längst vollzogen seyn müſste. Unbegreiflich
ist es, wie Hedwig selber diese Beobachtung
machen, und doch den unwiderlegbaren Ein-
wurf übersehen konnte, der sich von ihr ge-
gen seine Meinung hernehmen läſst. Si a
masculis floribus terminalibus recesserimus,
sagt er selber (e), omnium Perigonia
etiam inter ipsum actum florescen-
tiae connivent. Occurrunt vero inter
illos haud pauci, quorum foliola perigonalia
latiuscula, adeo de sui summitate ab invi-
cem tandem recedunt atque in horizontalem
directionem reponuntur, ut quasi aliquam
rosulam seu stellulam repraesentent, hincque
ab auctoribus rosaceae aut stellatae saluten-
tur. Horum exempla evidentissima exhibent,
praeter Mnium hornum, cuspidatum, undu-
latum, fontanum, etiam Polytrichorum spe-
cies, nec non Barbula ruralis, muralis cet.
Sed
X 5
[330] Sed teneamus oportet, tum officium
suum explevisse intus contenta ge-
nitalia, antea vero etiam istos flo-
res magis ad capituli formam acces-
sisse. - 3) Bey den Laubmoosen haben die vermein-
ten männlichen Genitalien fast einerley Bil-
dung mit den ersten Anfängen der weibli-
chen Zeugungstheile (f). Diese haben eben-
falls eine cylindrische, oder ovale Form, und
eine blasichte Textur; sie öffnen sich auch
zuweilen an ihrer Spitze, und geben eine
körnichte Materie von sich (g); sie haben,
gleich jenen, neben sich gewisse artikulirte
saftige Fäden (h). Hat man also nicht mehr
Grund,
[331] Grund, bey jenen eine Funktion anzuneh-
men, welche der der weiblichen Genitalien
ähnlich ist, als sie für männliche Geschlechts-
organe zu halten? - 4) Die Blätter, wovon die angeblichen männli-
chen Geschlechtstheile der Laubmoose um-
geben sind, haben aber auch ganz dieselbe
Form, wie diejenigen, welche den Knospen
zur Bedeckung dienen. Ist es also nicht
wahrscheinlich, daſs jene Organe die ersten
Anfänge von Knospen sind? Gegen diese,
schon von Andern geäusserte Meinung sucht
zwar Bridel(i) die Hedwigsche Hypothese
zu vertheidigen, indem er behauptet, die
männlichen Blumen wären gröſser, als die
Knospen, säſsen nicht so frey, wie diese,
sondern zwischen den Blättern versteckt, hät-
ten eine andere Farbe, und hingen fester
mit dem Stamme zusammen. Aber wie un-
bestimmt und schwankend sind diese Merk-
male! Und kann es denn nicht eben so
wohl bey den Moosen, wie bey den Pflan-
zen, verschiedene Arten von Knospen ge-
ben? - 5) Ich habe seit mehrern Jahren im Anfange
des Sommers das gemeine Haarmoos (Poly-
trichum commune) untersucht, und immer
um
[332] um diese Zeit in den scheibenförmigen Blu-
men desselben neue Schöſslinge gefunden.
So traf auch Hedwig(k) an einer Junger-
mannia asplenioides L. eine neue Verlänge-
rung an, die mitten aus einer sogenannten
männlichen Blume hervorgekommen war.
Hier sind nur zwey Fälle denkbar: entwe-
der jene Sprossen sind aus den sogenannten
männlichen Geschlechtsorganen selber entstan-
den; oder sie sind neben diesen hervorgewach-
sen. Das Letztere behauptet Hedwig. Al-
lein er selber fand mehrere Individuen des
Polytrichum undulatum, aus deren männli-
chen Blumen weibliche Fortsätze, von wel-
chen einige schon Früchte angesetzt hatten,
hervorgewachsen waren (l), und Meese traf
ganze Rasen des Haarmooses an, deren
männliche Blumen insgesammt weibliche,
Kapseln tragende Blüthen aus ihrem Mittel-
punkte hervorgetrieben hatten (m). Bey Hed-
wig’s
[333]wig’s Hypothese streiten diese Thatsachen
mit aller Analogie des Pflanzenreichs. Das
Haarmoos gehört zu denjenigen Laubmoo-
sen, deren weibliche und männliche Blü-
then auf verschiedenen Individuen vertheilt
sind. Nie aber sahe man eine männliche
Pflanze aus der Linneischen Classe der
Dioecie weibliche Knospen treiben, und noch
viel weniger solche Knospen mitten aus den
männlichen Blumen entstehen. - 6) Meese bedeckte die abgeschnittenen männ-
lichen Blumen eines Haarmooses mit Erde,
und sahe sie, gleich Saamenkörnern, zu
Moosen heranwachsen (n). Es ist ein schlech-
ter Nothbehelf, die Beweiskraft dieses Ver-
suchs durch den Einwurf schwächen zu wol-
len, daſs wohl Saamenkörner aus den Kap-
seln in jene Blumen gefallen seyn könn-
ten (o). Aus demselben Grunde liesse sich
den Pflanzen das Vermögen absprechen, sich
durch lebendiggebährende Knospen (gemmae
vivi-
(m)
[334] viviparae) fortzupflanzen. Zudem glückte es
bisher noch keinem Naturforscher, das ge-
meine Haarmoos aus Saamenkörnern aufzu-
ziehen (p). Wie sonderbar müſste also der
Zufall gespielt haben, wenn die Moose, die
in Meese’s Versuchen aus gepflanzten männ-
lichen Blüthen hervorwuchsen, aus Saamen-
körnern, die zufällig in diese Blumen gefal-
len wären, entstanden seyn sollten?
Solche Schwürigkeiten stehen der Hedwig-
schen Meinung von der Befruchtung der Moose
im Wege! Und diese Hypothese hat unter allen
denen, welche bisher über die Begattung der so-
genannten cryptogamischen Gewächse vorgebracht
sind, noch das Meiste für sich! Ist es also nicht
wahrscheinlich, daſs bey denjenigen Phytozoen,
die sich wirklich befruchten, dieser Akt vielmehr
auf eine Art, welche der Copulation der Confer-
ven ähnlich ist, als nach der Analogie der Pflan-
zen geschieht?
Es finden sich in der That mehrere Erschei-
nungen bey den Zoophyten, welche dieser Ver-
muthung günstig sind. Zuerst gehört hierher
jener Uebergang mancher Conferven in Tremellen,
Rivularien und ähnliche Körper, welche oben im
zwey-
[335] zweyten Buche (q) durch mehrere Erfahrungen
dargethan ist, und den ich seit der Herausgabe
dieses Buchs noch häufig an der, schon oben un-
ter dem Namen Oscillatoria terrestris erwähnten
Abart der Linneischen Brunnenconferve beobach-
tet habe. Die zarten, horizontalen, strahlenför-
mig sich ausbreitenden und oscillirenden Fäden
nehmlich, die aus dem Umkreise dieser Substanz
im Wasser hervorwachsen, vereinigen sich bald
zu einer ähnlichen Membran, wie diejenige ist,
woraus sie ihren Ursprung genommen haben,
und welche ohne Zweifel zu den Rivularien ge-
rechnet werden muſs. Eben so werden über-
haupt die Rivularien durch zarte, confervenarti-
ge Fäden gebildet, welche aus der Oberfläche je-
ner Phytozoen hervorwachsen, denselben im jün-
gern Zustande ein behaartes Ansehn geben, und
eine schleimartige Materie ausschwitzen, die eine
knorpelartige Härte bekömmt. Ich zweifele da-
her nicht mehr, daſs die Rivularien, Linckien,
Tremellen und alle ähnliche Körper Aggregate
wirklicher Conferven sind, welche das Eigene
haben, daſs der Schleim, den sie excerniren,
bey den Rivularien in eine cartilaginöse Masse,
bey den übrigen jener Algengeschlechter aber
an seiner Oberfläche in eine Membran über-
geht.
Wor-
[336]
Worauf zweckt nun dieser Uebergang der
Conferven in Rivularien, Tremellen u. s. w. ab?
Meiner Ueberzeugung nach auf die Begattung der-
selben. Bey den Rivularien und Linckien bilden
die Haarröhren, woraus ihr Inneres zum Theil
besteht, in einer gewissen Periode deutliche Ana-
stomosen, und bald darauf erzeugen sich in oder
an diesen Röhren die kleinern Körner, die man
für die Fruchtkeime jener Phytozoen annimmt.
Ist es daher nicht glaublich, daſs diese Confer-
ven sich in dem Schleime, worin sie eingehüllet
sind, oder zwischen der Haut, die sie umgiebt,
auf ähnliche Art, wie die Conferva setiformis,
spiralis u. s. w. copuliren?
Aehnlich dem Uebergange der Wasserfäden in
Rivularien, Tremellen u. d. gl. ist die Verwand-
lung der Tubularien in Alcyonien und Spongien (r).
Da man nun niemals in den Tubularien, wohl
aber in den Alcyonien Eyer antrifft, so ist zu
vermuthen, daſs sich die Tubularien auf ähnliche
Art, wie die Conferven, copuliren, und bey
dieser Begattung in der Gestalt von Alcyonien
erscheinen.
Eine andere Art von Erscheinungen, welche
vermuthlich auch der Copulation mancher Con-
ferven analog ist, zeigt sich bey der Conferva
floccu-
[337] flocculosa Roth., den Bacillarien und den Sal-
pen. Diese Körper haben das Eigene, daſs sie
sich in wunderbaren, höchst regelmäſsigen Stel-
lungen an einander reihen.
Die Conferva flocculosa ist eine, dem bloſsen
Auge unsichtbare, sehr kurze, gerade, unter dem
Vergröſserungsglase viereckicht erscheinende Haar-
röhre, die man in den Monaten Juny und July
zwischen andern Wasserfäden, jedoch um diese
Zeit niemals einzeln, sondern als ein flockichtes
Wesen antrifft, welches unter dem Vergröſse-
rungsglase folgendes Ansehn hat: Zwey oder drey
solche Fäden liegen der Länge nach dicht an ein-
ander und bilden ein Rechteck; ein solches Recht-
eck hängt mit den Spitzen zweyer entgegengesetz-
ter Winkel an den Spitzen der Winkel zweyer
anderer ähnlicher Rechtecke; von jedem der letz-
tern ist wieder die Spitze des entgegengesetzten
Winkels mit einer der Spitzen eines vierten und
fünften Rechtecks verbunden, und so bilden alle
diese Parallelogramme ein Zickzack, welches jene
flockenartige Materie ausmacht (s).
Die Bacillarien, eine von O. F. Müller an
dem Ufer von Kopenhagen auf der Ulva latissima
entdeckte Art von Infusionsthieren, die mit der
Conferva flocculosa viele Aehnlichkeit zu haben
scheint,
III. Bd. Y
[338] scheint, besteht aus länglichten, cylindrischen,
steif ausgestreckten Körpern, die immer einzeln
neben einander und in einer parallelen Stellung
liegen, und sich dergestalt bewegen, daſs der
äusserste Körper über den zweyten, dieser über
den dritten, der letztere über den vierten u. s. w.
der Länge nach fortgleitet, wodurch dann bald
die Figur einer geraden Linie, bald die eines
Rhombus, bald die eines Zickzacks u. s. w. ent-
steht (t).
In noch wunderbarern Ordnungen gruppiren
sich die Salpen, vermittelst Saugwarzen, die
sich auf ihrer Aussenseite finden (u). Von der
Salpa pinnata Forsk. vereinigen sich mehrere In-
dividuen mit den Spitzen ihrer flossenartigen Rük-
kenanhänge in einem gemeinschaftlichen Mittel-
punkt, so daſs sie eine sternförmige Figur aus-
machen (v). Die Salpa confoederata F. bildet
zwey Reihen, wovon jede aus parallel neben ein-
ander liegenden, mit den Seiten unter sich ver-
bundenen und mit den vordern Enden alle nach
vorne, so wie mit den hintern Enden nach hin-
ten
[339] ten gerichteten Individuen besteht, und diese bey-
den Reihen liegen so an einander, daſs der Rük-
ken eines jeden Gliedes derselben nach innen,
der Bauch aber nach aussen gerichtet ist, daſs
ferner der Rücken eines jeden Individuums der
einen Reihe sich zwischen den Seitentheilen der
Rücken zweyer Individuen der andern Reihe be-
findet, und daſs die eine Reihe über die andere
hervorragt (w). Noch andere, eben so regel-
mäſsige Verbindungen gehen die Individuen der
Salpa maxima (x), democratica (y), mucronata (z)
und polycratica (a) ein.
Es ist unbegreiflich, welchen Zweck jene
Verbindungen haben können, wenn sie nicht eine
Art von Begattung sind. Daſs sie dieſs wirklich
sind, wird auch dadurch um so wahrscheinlicher,
weil sie ohne Zweifel erst in einem gewissen Al-
ter der erwähnten Organismen eintreten, und
nicht gleich vom Entstehen der letztern an statt
finden. Die Conferva flocculosa zeigt sich in
dem
Y 2
[340] dem beschriebenen Zustande um dieselbe Zeit,
wenn die sich conjugirenden Conferven ihre Co-
pulation eingehen, und von der Salpa pinnata be-
merkt Forskål, daſs er in dem Bauche gröſse-
rer Individuen kleinere gefunden habe, die sich
darin frey herumbewegt hätten, und welche also
noch nicht copulirt waren (b). Man sieht, daſs
hier noch ein weites Feld zu neuen Untersuchun-
gen ist, dessen Bearbeitung die merkwürdigsten
Resultate verspricht.
Die Copulation der Conferven, Bacillarien
und Salpen verdient übrigens noch in anderer
Rücksicht unsere Aufmerksamkeit. Was ist es,
das die Individuen der Conferva setiformis, spi-
ralis und verwandter Arten von Wasserfäden
zwinget, in einer bestimmten Periode ihres Da-
seyns sich gegenseitig aufzusuchen, und durch
Seitenröhren unter einander zu verbinden? Was
ist es, das die Conferva flocculosa, die Bacilla-
rien und Salpen bewegt, sich in so regelmäſsigen
Figuren zu ordnen? Ohnstreitig ist es keine
mechanische, sondern eine höhere, nicht an die
gröbere sichtbare Materie gefesselte, dem Magne-
tismus und der Elektricität analoge Kraft, welche
diese Erscheinungen hervorbringt. Hier finden
wir
[341] wir also einen neuen Beweis des Satzes, worauf
uns schon oben (c) andere Thatsachen führten,
daſs der lebende Organismus eine dynamische
Einwirkung auf die übrige Natur äussert. Ver-
liehren wir diesen Satz, nebst den Gründen,
woraus wir ihn gefolgert haben, nicht aus den
Augen! Er wird uns in Zukunft Aufschluſs über
Räthsel geben, die keine andere Voraussetzung
zu lösen vermag.
Y 3Vier-
[342]
Viertes Kapitel.
Erzeugungsart der dritten Classe.
Nach den Untersuchungen, die wir im vorigen
Kapitel angestellt haben, giebt es keine Art von
lebenden Körpern, wovon sich behaupten liesse,
daſs nicht unter gewissen Umständen eine Begat-
tung bey derselben einträte. Aller Unterschied,
welcher unter den Organismen der lebenden Na-
tur in Hinsicht auf die Fortpflanzung nach vor-
hergegangener Befruchtung statt findet, besteht
nur darin, daſs bey einigen diese Art der Ge-
schlechtsvermehrung zu den ungewöhnlichen, bey
andern zu den gewöhnlichen Erscheinungen ge-
hört. Wir werden daher von jetzt an die Be-
stimmung der zweyten und dritten jener Classen,
worin wir im ersten Kapitel dieses Buchs die leben-
den Körper eingetheilt haben, abändern, und in
die zweyte diejenigen Organismen, bey welchen
die Fortpflanzung nach vorhergegangener Befruch-
tung die seltenere, die aber, welche ohne Paa-
rung geschieht, die häufigere ist, in die dritte
hingegen diejenigen, bey welchen die erstere Art
der Geschlechtsvermehrung eben so häufig, oder
häufiger als die letztere vorkömmt, setzen
müssen.
Aus
[343]
Aus dem Thierreiche gehören zu dieser drit-
ten Classe die Wurmgeschlechter Lumbricus, Hi-
rudo, Planaria, Serpula, Dentalium, Nereis,
Nais, Aphrodite, Terebella, Amphitrite, und
verschiedene Eingeweidewürmer. Bey mehrern
dieser Thiere bedarf es indeſs noch einer genau-
ern Untersuchung, ob sie wirklich zu dieser
dritten, und nicht vielmehr zur vorhergehenden
zweyten Classe zu rechnen sind.
Von den Regenwürmern ist es ausgemacht,
daſs sie sich durch Sprossen, durch Theilung,
und durch Eyer fortpflanzen, und zwar auf die
letztere Art nach vorhergegangener Befruchtung.
Von den Blutigeln ist schon im vorigen Ka-
pitel bemerkt worden, daſs sie sich vielleicht
durch Theilung vermehren. Zugleich gebähren
einige Arten lebendige Junge (d), und einige
pflanzen sich durch Eyer fort (e). Aber nie sa-
he man bisher noch ihre Begattung (f), und es
ist
Y 4
[344] ist bloſse Vermuthung, wenn man eine kaum
merkliche Oeffnung am Bauche für das weibli-
che, und ein fadenförmiges Organ, das sich in
der Nähe dieser Oeffnung befindet, für das männ-
liche Zeugungsorgan dieser Thiere annimmt (g).
Noch zweifelhafter ist es, ob auch die übri-
gen der erwähnten Würmer in die dritte Classe
gehören. Bey der gezüngelten Naide (Nais pro-
boscidea) kam dem unermüdeten Müller(h) nie
die mindeste Spuhr von Zeugungsgliedern oder
Paarung vor. Zudem gränzen jene Thiere in ih-
rer Struktur so nahe an die Polypen, daſs man
sehr in Versuchung geräth, sie auch in Betreff
ihrer Fortpflanzungsweise mit diesen in Eine
Classe zu setzen, und die Paarung für eine, bey
ihnen sehr seltene Erscheinung zu halten. Man
vergleiche z. B. Müllers blinde Naide (i), dessen
Blu-
(f)
[345] Blumenthier (k), die buschichte (l) und nieren-
förmige (m) Amphitrite mit den letztern, und
man wird eben so viele Gründe finden, sie den
Holothurien und Afterpolypen, als den Regen-
würmern und Blutigeln, beyzugesellen.
Von einem Theile der Eingeweidewürmer ist
es dagegen gewiſs, daſs eine Geschlechtsverschie-
denheit und Begattung bey denselben statt findet.
Bey den eigentlichen Spuhlwürmern (Ascaris lum-
bricoides, Gigas und teres Goezii) unterscheidet
man deutlich männliche und weibliche Geburts-
theile (n). Manche Würmer dieses Geschlechts
sind zugleich lebendiggebährend (o). Goeze’s
breite Plattwürmer (Fasciola hepatica L.) sind
Hermaphroditen, und jedes Individuum leiht
dem andern, wie die Schnecken, bey der Begat-
tung sein Geschlecht. Dicht an einander klebend
fand sie jener Naturforscher oft in den Lebergän-
gen, so daſs das männliche, wie ein Posthorn
gekrümmte Glied des einen in dem weiblichen
des
Y 5
[346] des andern, und umgekehrt, steckte (p). Das-
selbe sahe er auch bey den Fadenrundwürmern
und Pfriemenschwänzen in dem Darmcanale
frisch zergliederter Wasserkröten (q). Bey diesen
Eingeweidewürmern tritt indeſs wieder ein ande-
rer Umstand ein, der es zweifelhaft macht, ob
sie nicht vielmehr zur ersten, als zur dritten
Classe in Betreff ihrer Fortpflanzungsweise zu
rechnen sind. Wir haben nehmlich keine Be-
weise, daſs sie sich, gleich den Regenwürmern,
auch durch Theilung, oder auf andere Art ohne
Paarung vermehren, und schwerlich sind auch
entscheidende Erfahrungen hierüber möglich.
So ungewiſs aber die Classifikation der er-
wähnten Würmer ist, so wenig ist es die der
Pflanzen. Jeder dieser Organismen vermehrt
sich, wie die tägliche Erfahrung lehrt, durch
Saamenkörner, durch Knospen und durch Thei-
lung. Die beyden letztern Fortpflanzungsarten
geschehen ganz ohne alle vorhergegangene Be-
fruchtung. Nicht so aber ist es mit der erstern.
Ueber einer weiblichen Zwergpalme (Chamaerops
humilis L.), die schon alt aus Holland gekom-
men war, schon länger als 30 Jahre in einem
Treibhause zu Berlin gestanden hatte, und bis
dahin immer nur kleine unreife Früchte getragen
hatte,
[347] hatte, hing der Königl. Preussische Gärtner Mi-
chelmann auf Gleditsch’s Veranlassung im Jah-
re 1749 zwey männliche Palmen von derselben
Art auf. Diejenigen Blumen, die sich in der
Nähe der männlichen befanden, lieferten jetzt
völlig reife und mit fruchtbaren Kernen versehe-
ne Früchte; hingegen die, welche von den letz-
tern entfernt waren, trugen so wie sonst nur
unreife Früchte. Dieser Versuch wurde in den
Jahren 1750, 1751 und von Kölreutern 1767 mit
gleichem Erfolge wiederhohlt. Eben der Michel-
mann erhielt auch von Mastixbäumen (Lentiscus
L.) und Terpenthinbäumen (Terebinthinus L.)
keine Früchte, wenn er die männlichen Pflanzen
von den weiblichen während der Blüthe entfern-
te; das Gegentheil aber erfolgte, wenn er beyde
zusammenbrachte (r).
Schon diese Beobachtungen lassen keinen
Zweifel an der Nothwendigkeit der Befruchtung
zur Erzeugung reifer Saamenkörner übrig. Aber
auch noch eine Menge anderer Thatsachen, vor-
züglich die Erzeugung der Bastardpflanzen, und
die vielen Anstalten, welche die Natur getroffen
hat, um die Einwirkung des Blumenstaubs auf
die
[348] die Narben der Stigmate möglich zu machen,
bestätigen diese Wahrheit.
Durch Befruchtung der Pistille verschiedener
Vegetabilien mit dem Blumenstaube von andern
Pflanzen gelang es Kölreutern(s), Hedwig(t)
und einem ungenannten Schriftsteller (u) aus ver-
schiedenen Arten der Nicotiana, der Lychnis und
des Cucubalus, der Digitalis, Lobelia, des Ly-
cium, Verbascum, der Datura, Malva, des Li-
num, Dianthus, der Jalappa und Aquilegia wah-
re Varietäten hervorzubringen.
In Betreff der Art, wie der männliche Saa-
menstaub auf die Narbe der weiblichen Geschlechts-
theile einwirkt, lassen sich alle Vegetabilien mit
Sprengel(v) in homogamische und dicho-
gami-
[349]gamische unterscheiden. Bey jenen kommen
beyderley Geschlechtstheile zu gleicher, bey die-
sen zu verschiedener Zeit zur Reife.
Bey vielen von denjenigen Zwitterblumen,
wo sich beyderley Geschlechtstheile zu gleicher
Zeit entwickeln, sieht man entweder, wie bey
Cactus Opuntia, Fritillaria Persica, Hyosciamus
aureus, Polygonum Orientale, Tamarix Gallica,
Ruta graveolens und Chalepensis, Zygophyllum
Fabago, Sedum Telephium und reflexum, Saxi-
fraga tridactylites, Geum urbanum, Agrimonia
Eupatoria, verschiedenen Arten des Ranunculus
und der Scrophularia, Rhus Coriaria u. s. w., die
männlichen Zeugungsorgane zur Zeit ihrer Rei-
fe sich zu den weiblichen hinbewegen, auf die
Narben der letztern ihren Blumenstaub ausschüt-
ten, und dann in ihre vorige Lage zurückkeh-
ren (w); oder, wie bey Nigella sativa, Sida Ame-
ricana, Passiflora, Oenothera, Hibiscus, Cactus
hexagonus und grandiflorus, Turnera ulmifolia
u. s. w. das Pistill zu den Staubfäden wan-
dern
[350] dern (x); oder endlich, wie bey der Boerhaavia
diandra und den sämmtlichen Arten der Malva,
Lavathera, Althea und Alcea beyderley Ge-
schlechtstheile sich wechselseitig zur Begattung
aufsuchen (y).
Andere Homogamisten, bey welchen eine
solche Näherung der Narben und Antheren we-
gen der gegenseitigen Stellung der männlichen
und weiblichen Geschlechtstheile unmöglich ist,
werden durch Insekten befruchtet, so die Aristo-
lochia Clematites L. durch die Tipula pennicornis
Fabr. Die zungenförmige, unten runde, und
auf ihrer innern Fläche mit Haaren, die nach
innen gerichtet sind, versehene Blumenkrone je-
ner Pflanze erlaubt diesem Insekt den Eingang
in ihr Inneres, aber versperrt ihm den Rückweg,
und zwingt es, durch Herumkriechen in seinem
Kerker den Blumenstaub abzustreifen, und auf
die Narbe zu tragen. Sobald diese Befruchtung
vollendet ist, verschrumpfen die Haare, legen
sich an die innern Wände der Blumenkrone, und
verstatten dem Insekt wieder den Ausweg (z).
Diejenigen Zwitterblumen, bey welchen die
männlichen Zeugungstheile nach den weiblichen,
oder
[351] oder diese nach jenen zur Reife kommen, ha-
ben entweder eine, durch ihren Honigsaft die
Insekten anlockende Blumenkrone, oder eine sol-
che fehlt ihnen. Die Befruchtung der erstern
geschieht blos durch Insekten, und zwar auf
folgende Art.
Die weiblichen Zeugungstheile entwickeln sich
bey diesen Pflanzen entweder nach den männli-
chen (Dichogamia androgyna Sprengel.) oder die-
se nach jenen (Dichogamia gynandra S.). Ein
Beyspiel der Dichogamia androgyna giebt das Epi-
lobium angustifolium L. Nachdem die Blume
dieser Pflanze sich geöffnet hat, erhalten die Fi-
lamente entweder alle zugleich, oder eines nach
dem andern eine bestimmte Stellung, in welcher
ihre Antheren sich entwickeln, und ihren Staub
zur Befruchtung darbieten. Unterdessen befindet
sich das Stigma an einer von den Antheren ent-
fernten Stelle, und ist noch unentwickelt. Die-
ser Zustand währt eine gewisse Zeit. Wenn nach
Verfliessung derselben die Antheren keinen Staub
mehr haben, so gehen mit den Filamenten ver-
schiedene Veränderungen vor, deren Resultat die-
ses ist, daſs sich nun die Narbe gerade an der
Stelle befindet, wo vorher die Antheren waren,
und hier sich ebenfalls ausbreitet, oft auch den-
selben Raum einnimmt, welchen vorher die An-
theren einnahmen. Von den letztern kann aber
nun
[352] nun jene keinen Blumenstaub mehr erhalten,
weil diese keinen mehr besitzen. Die Stelle, wo
sich anfangs die reifen Antheren befanden, und
nachher das reife Stigma gefunden wird, ist aber
in jeder Blume so gewählt, daſs das Insekt, für
welches die Blume bestimmt ist, nicht anders
zum Honigsaft gelangen kann, als indem es zu-
gleich mit einem Theile seines Körpers in der
jüngern Blume die Antheren, und in der ältern
die Narbe berührt, den Staub von jenen auf die-
ses überträgt, und auf solche Art die ältere Blu-
me durch den Staub der jüngern befruchtet (a).
Zur Dichogamia gynandra gehört z. B. die
Euphorbia Cyparissias. Sobald eine Blume die-
ser Pflanze aufgebrochen ist, sieht man die Stig-
mate aus derselben hervorkommen, gerade in die
Höhe stehen, und sich ausbreiten. Nach eini-
gen Tagen kömmt das ganze Pistill, welches auf
einem eigenen Stiele sitzt, aus der Blume hervor,
verliehrt nach und nach die aufrechte Stellung, und
kehrt endlich die Stigmate der Erde zu. Als-
dann erst kommen die Staubgefäſse eines nach
dem andern aus der Blume zum Vorscheine, und
die Antheren nehmen jetzt eben die Stelle ein,
welche vorher die Stigmate einnahmen. Insek-
ten, welche die ältere Blume besuchen, müssen
also nothwendig den Staub der Antheren abstrei-
fen,
[353] fen, und eben deswegen, damit sie dieses unge-
hindert thun können, hat das Pistill seine vorige
Stelle verlassen, und sich der Erde zugekehrt.
Gehen sie hierauf zur jüngern Blume, so müs-
sen sie nothwendig wieder mit ihrem bestäubten
Körper die Narben berühren, und auf solche
Art die jüngere Blume mit dem Staube der äl-
tern befruchten (b).
Bey dieser Einrichtung würde aber eine Ver-
mischung der ungleichartigsten Zeugungsstoffe
vorgehen, wenn die Insekten ohne Auswahl von
Blume zu Blume flögen. Um dies zu verhin-
dern, hält sich entweder jedes, zur Befruchtung
der Pflanzen dienende Insekt nur auf einer ein-
zigen Blüthenart auf, oder besucht doch, wenn
dies nicht der Fall ist, den ganzen Tag hindurch
nur diejenige Art, worauf es sich zuerst am frü-
hen Morgen setzte. Jenes findet unter andern
bey der Tipula pennicornis, welche zur Befruch-
tung der Aristolochia Clematitis dienet, und blos
die Blume dieser Pflanze zum Wohnorte hat (c),
dieses bey den Bienen statt, die z. B. Quendel-
blüthen und andere aromatische Kräuter unbe-
rührt lassen, wenn sie einmal auf dem scharfen
Hahnenfuſse zu sammeln angefangen haben (d).
Die-
III. Bd. Z
[354]
Diejenigen Blumen, welche weder eine ei-
gentliche Krone, noch einen ansehnlichen und
gefärbten Kelch haben, also die Gräser, Pap-
peln, Kiefern, Haselstauden u. s. w. werden blos
durch den Wind befruchtet (e). Diese Pflanzen
haben deswegen eine weit gröſsere Menge Blu-
menstaub, als diejenigen, welche durch Annähe-
rung der Antheren zur Narbe, oder durch In-
sekten befruchtet werden, und ihre Zeugungs-
organe liegen nicht versteckt, wie die der letz-
tern, sondern unbedeckt, und sind von ansehn-
licher Gröſse (f).
Die Fortpflanzung der Gewächse durch Saa-
menkörner ist im Allgemeinen die fruchtbarste
bey den Kräutern. Sie geht häufig mit der Cul-
tur verlohren, und es bleibt dann blos das Fort-
pflanzungsvermögen durch Sprossen zurück (g).
Bey der erstern finden wir, wie schon zum Theil
aus dem Gesagten erhellet, eben so viele, ja in
manchen Stücken noch mehr Mannichfaltigkeiten,
wie bey der Geschlechtsvermehrung der zur er-
sten Classe gehörigen Organismen. Wir finden
hier
(d)
[355] hier die männlichen und weiblichen Zeugungsor-
gane entweder, wie bey den Säugthieren, Vö-
geln, Amphibien u. s. w. in verschiedenen Indi-
viduen vertheilt, oder, wie bey manchen Mol-
lusken und Würmern, in einem und demselben
Individuum vereinigt. Ferner sind die erstern
Individuen entweder verschiedene Blumen auf
einerley Pflanzen (Monoecia L.), oder verschie-
dene Blumen auf verschiedenen Pflanzen (Dioecia
L.). Bey den meisten Pflanzen treffen wir aber
beyderley Geschlechtsorgane in Einer Blume ver-
einigt an, und zugleich enthalten mehrere von
diesen, ausser den Zwitterblumen, auch noch
blos männliche, oder blos weibliche Blüthen (h).
Aber nur die homogamischen Zwitterblumen
befruchten sich selber. Die dichogamischen, bey
welchen der Saamenstaub durch Insekten zu den
Stigmaten überbracht wird, sind in Rücksicht
ihrer Befruchtung den Blumen mit halbgetrenn-
ten Geschlechtern ähnlich. Im Anfange sind sie
männlichen, in der Folge weiblichen Geschlechts.
In keiner derselben wird das Stigma durch den
Staub ihrer eigenen Antheren, sondern immer
durch den männlichen Zeugungsstoff von fremden
Blumen befruchtet (i). Auch sind bey ihnen,
so
Z 2
[356] so wie bey den Monoecisten, immer einige Blu-
men unfruchtbar. Weil nehmlich die letzten
Blumen der zur Dichogamia androgyna gehörigen
Pflanzen ihren Staub den nächst vorhergehenden
Blumen mittheilen, so können sie keine Früchte
ansetzen. Und weil die ersten Blumen eines Di-
chogamisten aus der Classe der Dichogamia an-
drogyna ihren Staub den nächst folgenden Blu-
men mittheilen, ihre Narben aber keinen Staub
von andern Blumen erhalten können, so müssen
sie ebenfalls unbefruchtet bleiben (k).
Nirgends finden wir dagegen bey den Pflan-
zen, wie bey einigen Amphibien, den Fischen
u. s. w. Beyspiele von Befruchtungen des weib-
lichen Zeugungsstoffs ausserhalb dem Körper der
Mutter. Das Saamenkorn ist schon vor der Be-
fruchtung im Fruchtknoten enthalten. Aber bey
keiner bekannten Pflanze trennt es sich von der
Mutter, ehe nicht der männliche Zeugungsstoff
auf die Narbe des Stempels gewirkt hat.
In Ansehung der Zahl der Keime, welche
durch eine einzige Befruchtung zu gleicher Zeit
hervorgebracht werden, kommen die Pflanzen
mit den Fischen und Insekten überein. Rai er-
hielt aus einer Tabackspflanze 360000 Saamenkör-
ner, und nach Grew’s Berechnung kann ein ein-
ziger Mohnkopf deren 320000 enthalten.
Man-
[357]
Manchen Insekten, und besonders den Blatt-
läusen, nähern sich einige Pflanzen auch in dem
Vermögen, unter gewissen Umständen ohne vor-
hergegangene Befruchtung eine ähnliche Art von
Keimen hervorzubringen, wie sonst nach erfolg-
ter Begattung entsteht. Spallanzani öffnete bey
zwey Arten von Zwitterblumen, dem Ocymum
Basilicum und Hibiscus Syriacus, die Blumen-
blätter einige Zeit vorher, ehe sie anfingen, sich
auszubreiten, schnitt alle Staubfäden ab, ehe der
Blumenstaub zur Reife gekommen war, und
überlieſs die weiblichen Geschlechtsorgane ihrem
Schicksale. Die Folge war, daſs bey vielen Pflan-
zen die Saamenkörner nicht reif wurden, oder
ihre gehörige Gröſse nicht erreichten, oder, wenn
dies auch der Fall war, doch nicht aufkeimten,
nachdem sie gesäet waren (l). Einen ähnlichen
Erfolg hatten schon frühere Versuche von Came-
rer(m), Geoffroy(n), Brodly(o), Miller(p),
und
Z 3
[358] und Logan(q) gehabt. Mit besserm Glücke
wiederhohlte diese Versuche Alston(r). Pflan-
zen, die er eben so, wie Spallanzani, behan-
delte, trugen nicht nur reife, sondern auch eben
so viele Saamenkörner, als wenn ihnen die männ-
lichen Geschlechtsorgane nicht wären genommen
gewesen. Denselben Erfolg hatten nachherige
Versuche von Spallanzani mit Gewächsen aus
der Classe der Monoecie. Kürbispflanzen, deren
männliche Blüthen er zerstöhrte, sobald sie sich
sehen liessen, trugen Früchte, die nicht nur in
ihrer Farbe, ihrer Struktur und ihrem Geschmack
denen von ähnlichen Pflanzen, wovon die männli-
chen Blüthen unzerstöhrt geblieben waren, nichts
nachgaben, sondern auch reife Saamenkörner ent-
hielten, die in der Folge keimten und Blüthen
hervorbrachten. Aber noch mehr! Auch von
diesen Blüthen streifte Spallanzani die männli-
chen gleich nach ihrer Erscheinung ab, und doch
gaben die weiblichen Blumen wieder reife Kür-
bisse, deren Saamenkörner zu eben so vollkom-
menen Pflanzen, wie im ersten Versuche, heran-
wuchsen (s). Ferner stellten Spallanzani und
Fougeroux noch ähnliche Versuche mit Pflanzen
aus
[359] aus der Classe der Dioecie an. Sie brachten
weibliche Hanfstöcke und Spinatpflanzen an Orte,
wo die Möglichkeit einer Befruchtung durch den
Wind, oder durch Insekten gänzlich aufgehoben
war, und doch erzeugten alle diese Weibchen
eben so gut reife Saamenkörner, als wenn sie
mit männlichen Blumen wären umgeben gewe-
sen (t). Hingegen miſslang dieser Versuch mit
weiblichen Stöcken des Bingelkrauts (Mercurialis
annua). Diese muſsten in der Nähe von männli-
chen Pflanzen ihrer Art stehen, wenn sie reife
Saamenkörner hervorbringen sollten (u). Endlich
erhielt auch Heller(u*) von weiblichen Pflan-
zen, worauf keine männliche Blume Einfluſs ge-
habt haben konnte, keimende Saamen. Doch
wurden in dessen Versuchen die Keime bleichsüch-
tig, bekamen keine Blätter, wuchsen schnell,
und starben in der ersten Kindheit.
Was
Z 4
[360]
Was läſst sich aus diesen Beobachtungen
schlieſsen? Mit Smellie(v) daraus gegen Linné
eine völlige Geschlechtslosigkeit der Pflanzen zu
folgern, ist zu weit gegangen, da die Sexual-
Hypothese zu viele sonstige Gründe auf ihrer
Seite hat. Es sind aber auch keine hinreichende
Gründe vorhanden, an der Genauigkeit jener Be-
obachtungen zu zweifeln. Mithin bleibt nichts
übrig, als anzunehmen, daſs das Vermögen der
Blattläuse und mehrerer anderer Insekten, unter
gewissen Umständen ohne Paarung sich durch
Keime fortzupflanzen, die den befruchteten Ey-
ern ähnlich sind, den Pflanzen ebenfalls eigen
ist.
Es zeigt sich ferner bey den Pflanzen etwas
Aehnliches von dem, unter den Organismen der
ersten Classe statt findenden Unterschiede zwi-
schen eyerlegenden und lebendiggebährenden. Die
reifen Saamenkörner der Nymphaea Nelumbo ent-
halten schon grüne Keime, und die Rhizophora
Mangle bringt Saamen hervor, in denen sich
schon der Anfang der Wurzel und des Stamms
befindet.
Manche Gewächse aus der Familie der Hül-
senpflanzen besitzen auch die merkwürdige Eigen-
schaft,
[361] schaft, ihre Saamenbehälter vor der Reife unter
der Erde zu vergraben. Besonders thut dies die
Arachis hypogaea. Die Blume dieses Gewächses
kömmt unten am Stengel zum Vorscheine, und
neiget sich tief gegen den Boden, in welchem
das Pistill sich vergräbt, unter der Erde fort-
wächst, und zu runden Schooten mit zwey bis
drey Saamen reift (w).
Aber mit noch mehrerm Rechte, als die Saa-
menkörner der Nymphaea Nelumbo und Rhizo-
phora Mangle, lassen sich die Knospen, die sich
bey allen Vegetabilien, nur manche Arten der
Malvenfamilie ausgenommen (x), finden, wo-
durch sich jedoch vorzüglich die Bäume und
Sträucher fortpflanzen, mit den lebendigen Jun-
gen der Thiere vergleichen. Die Eyer der letz-
tern bleiben noch lange nach ihrer Trennung von
der Mutter fähig, sich zu entwickeln, und so
auch die Saamenkörner der Pflanzen. Aber die
Frucht des lebendig gebährenden Thiers stirbt,
gleich der Knospe, sobald sie nach der Trennung
von der Mutter auch nur auf kurze Zeit der
Nahrung entbehren muſs. In dem Ey und dem
Saa-
Z 5
[362] menkorne wird durch die Befruchtung blos erst
die Fähigkeit zur Entwickelung begründet; hin-
gegen bey den lebendig gebährenden Thieren ent-
wickelt sich der männliche Zeugungsstoff, sobald
der männliche Saamen auf ihn gewirkt hat, und
so findet man auch schon bey dem ersten Ent-
stehen der Knospe die Rudimente des künftigen
Blatts oder Zweiges in ihr eingeschlossen (y).
Die Pflanzen lassen sich daher als Organismen
betrachten, welche ohne Befruchtung lebendige
Junge gebähren, hingegen nach der Begattung
Eyer hervorbringen, und sie gränzen also auch
von dieser Seite an die Blattläuse, mit denen
sie, wie schon oben erinnert ist, noch in an-
dern Stücken bey ihrer Geschlechtsvermehrung
übereinkommen. Diese Insekten bringen im
Frühjahre und den ganzen Sommer hindurch be-
ständig lebendige Junge zur Welt. Allein die
Blattläuse der letzten Generation des Jahrs, die
man bey Annäherung des Winters antrifft, sind
eyerlegende, und um diese Zeit wird man die
Männchen unter ihnen gewahr, welche sich blos
mit den eyerlegenden paaren (z).
Es giebt bey den Pflanzen zwey Hauptarten
von Knospen: die Zwiebel (bulbus) und die
eigent-
[363]eigentliche Knospe (gemma). Beyde beste-
hen aus concentrischen, gleich Dachziegeln über
einander liegenden Schuppen, in deren Mitte der
Keim der künftigen Pflanze verborgen liegt. Bey
der erstern Art aber sind diese fleischicht, bey
der letztern holzicht.
Die Zwiebeln sind den Monocotyledonen ei-
gen. Sie wachsen bald oben an der Wurzel,
bald in dem Winkel zwischen dem Stengel und
Blattstiele, wie beym Lilium bulbiferum (a) und
der Fritillaria regia, bald in den Blumen, wie
bey mehrern Arten des Allium, hervor.
Diejenigen Pflanzen, deren Wurzeln Zwie-
beln tragen, erzeugen gewöhnlich unfruchtbare
Saamenkörner. Diese werden aber fruchtbar,
wenn die Zwiebelbrut gleich bey ihrem Entste-
hen zerstöhrt wird.
Von der Fritillaria regia hat jedes Blatt das
Vermögen, auch abgesondert vom Stamme, Zwie-
beln hervorzubringen. Ein solches, im Herbste
dicht an der Zwiebel abgeschnitten, zwischen
Löschpapier mäſsig gedrückt, und an einem war-
men Orte aufbewahrt, treibt am untersten Ende,
wo es mit der Wurzel vereinigt gewesen ist,
neue Zwiebeln, und in eben dem Verhältnisse,
wie
[364] wie diese sich entwickeln, stirbt dasselbe nach
und nach ab (b).
Bey manchen von denen Pflanzen, deren
Zwiebeln in den Winkeln der Blätter, oder an
den Stengeln hervorkommen, sondern sich diesel-
ben zuweilen freywillig von dem Mutterstamme
ab, und treiben, getrennt von diesen, Wurzeln
und Blätter. Solche Gewächse verdienen vorzüg-
lich den Namen der lebendig gebährenden. Bey
dem Lilium bulbiferum, der Poa bulbosa, und
mehrern Arten des Allium erfolgt diese Erschei-
nung ohne Zuthun der Kunst. Bey der Tulipa
Gesneriana, Eucomis punctata und mehrern an-
dern saftigen Monocotyledonen läſst sie sich mit
Hülfe der Kunst hervorbringen, wenn man die-
sen Gewächsen die Blume vor der Befruchtung
nimmt, und den Stengel mit den Blättern an ei-
nen schattigen Ort setzt.
Durch eigentliche Knospen pflanzen sich die
Dicotyledonen fort. Diese Keime trennen sich
zwar nie freywillig von der Mutterpflanze. Ver-
suche von Julius Pontedera(c) und Agrico-
la(d) haben indeſs bewiesen, daſs sie vorsichtig
abge-
[365] abgesondert und ausgesäet, ebenfalls gleich Saa-
menkörnern aufkeimen.
Die dritte Fortpflanzungsart der Gewächse
ist die durch Theilung. Diese aber geschieht
nie bey ihnen, wie bey den Zoophyten, von
freyen Stücken, sondern immer durch Kunst
oder Zufall. Das Vermögen, sich auf diesem
Wege zu vermehren, besitzt vorzüglich die Til-
landsia usneoides, eine parasitische Pflanze aus
der Familie der Bromelien. Wird irgend ein
Theil dieses Gewächses vom Winde losgerissen,
und von den Zweigen der Bäume aufgefangen,
so schlägt er sogleich Wurzeln, und wächst eben
so gut, als wenn er aus dem Saamen aufge-
schossen wäre (e). Auf der Fortpflanzung der
Vegetabilien durch Theilung beruhet übrigens die
Kunst des Oculirens, Pfropfens u. s. w.
Fünf-
[366]
Fünftes Kapitel.
Bemerkungen über die Erzeugung nach
vorhergegangener Befruchtung.
Wir haben im Anfange dieses Buchs erinnert,
daſs die Erzeugung hier nur in so fern ein Ge-
genstand unserer Untersuchungen seyn würde,
als sie den erzeugten Körper beträfe. Indeſs ist
es unmöglich, bey diesen Betrachtungen die Ver-
hältnisse ganz bey Seite zu setzen, worin der er-
zeugende Körper zur Erzeugung steht. Wir wer-
den daher jetzt die Ordnung des Vortrags etwas
unterbrechen, und einige Sätze aus der Zeu-
gungsgeschichte, in so fern diese die erzeugen-
den Individuen angeht, anticipiren müssen. Die
Gegenstände aber, die uns jetzt beschäftigen wer-
den, sind: das Verhalten des weiblichen Zeu-
gungsstoffs vor und nach der Befruchtung, und
die Einwirkung, die der männliche Saamen auf
denselben äussert.
Sowohl bey allen, zur ersten und dritten
Classe gehörigen eyerlegenden Organismen,
als bey denen, deren weiblicher Saamen ausser-
halb dem Körper der Mutter befruchtet wird,
zeigt
[367] zeigt sich dieser schon vor der Befruchtung in
der Gestalt eines Eys. Der Meinung mehrerer
ältern Naturforscher zufolge ist das Nehmliche
bey den Säugthieren der Fall. Regnier de Graaf
hielt die blasenförmigen Erhabenheiten, die man
auf den Eyerstöcken findet, für die Rudimente
der künftigen Eyer. Malpighi und Vallisnieri
nahmen zwar nicht jene Erhabenheiten, aber
doch kleinere, in diesen befindliche Bläschen für
die Behälter an, worin die Frucht nach der Be-
gattung gebildet würde (f). Beyden Meinungen
aber fehlt es ganz an Erfahrungsgründen. Hal-
ler fand in der Gebährmutter befruchteter Schaa-
fe nicht vor dem 17ten Tage nach der Begattung
irgend einen begränzten Körper, sondern bis
dahin immer nur unregelmäſsige Massen von
Schleim. Eine ähnliche Substanz trafen auch
schon vor ihm Harvey, Jacob Sylvius und An-
dere in den Muttertrompeten und im Uterus an.
Was ältere Beobachter für Eyer hielten, waren
nach Hallers Meinung nichts weiter, als krank-
hafte Hydatiden (g). Haigthon(h) sahe eben-
falls bey Kaninchen nie vor dem sechsten Tage
einen
[368] einen begränzten und regelmäſsigen Körper in der
Gebährmutter, und um diese Zeit war die Sub-
stanz erst mit einer so zarten Haut umgeben,
daſs sie kaum Festigkeit genug hatte, ihre runde
Gestalt zu erhalten. Vor dem sechsten Tage fand
er nichts in dem Uterus, als eine unregelmäſsige
schleimige Masse. Endlich traf auch Cruikshank
bey Kaninchen nie vor dem sechsten Tage nach
der Begattung weder in den Muttertrompeten,
noch im Uterus Eyer an (i), und selbst dann
waren in einigen Versuchen noch keine vorhan-
den (k). Wahrscheinlich also findet zwischen
den eyerlegenden und den lebendig gebährenden
Thieren die Verschiedenheit statt, daſs die Hülle
der Frucht bey jenen schon vor der Befruchtung
vorhanden ist, bey diesen aber erst nach der letz-
tern gebildet wird.
Der männliche Saame zeigt sich dagegen bey
allen lebenden Organismen in der Gestalt einer
Flüssigkeit, und zwar einer Flüssigkeit, die so-
gar bey den Pflanzen eine ähnliche Farbe, ei-
nen ähnlichen Geruch und ähnliche Bestandthei-
le,
[369] le, wie bey dem Menschen besitzt (l). Nur
weichen die Pflanzen darin von den Thieren ab,
daſs jener Zeugungsstoff bey ihnen nicht, wie
bey den letztern, ohne Hülle von den männli-
chen Zeugungsorganen zu den weiblichen über-
geht. Der Saamenstaub der Pflanzen besteht
nehmlich aus schleimichten, in gefäſsreichen Häu-
ten eingeschlossenen Massen. Bey der Befruch-
tung trennen sich diese Körper von den Staubfä-
den und gehen zur Narbe des Pistills über, und
erst hier zeigt sich der weibliche Zeugungsstoff
als eine Flüssigkeit, indem er entweder, nach
Kölreuter’n (m), durch feine Oeffnungen sei-
ner Hülle durchschwitzt, oder, nach Needham’s
Du Hamel’s, Jussieu’s und Hedwig’s (n) Beob-
achtungen, durch ein plötzliches Aufspringen die-
ser Haut ausgeleert wird.
Die Einwirkung des männlichen Zeugungsstoffs
auf den weiblichen geschieht durch den Akt der
Begattung. Sie wird von dem höchsten Grade
der körperlichen Wollust begleitet, deren das
Thier, und vielleicht auch die Pflanze, fähig
ist.
III. Bd. A a
[370] ist. Vielleicht hat diese Wollust einen Einfluſs
auf die Organisation der künftigen Frucht. Doch
ist sie keine nothwendige Bedingung der Erzeu-
gung überhaupt. Eben das, was die Natur
durch die Vereinigung der beyden Geschlechter
bewirkt, läſst sich auch künstlich durch Ueber-
tragung des reifen männlichen Saamens auf den
reifen weiblichen Zeugungsstoff bewirken.
In Betreff der Pflanzen erhellet die Richtig-
keit dieses Satzes aus den schon im vorigen Ka-
pitel erwähnten Kölreuterschen Versuchen über
die Bastarderzeugung dieser Körper.
Unter den Insekten sind die Seidenwürmer
die einzigen, deren künstliche Befruchtung bis-
her von Erfolg gewesen ist (o). Doch sind auch
erst wenig Versuche der Art bey dieser Thier-
classe angestellt.
Fische brachte Jacobi(p) durch künstliche
Vermischung des männlichen und weiblichen Zeu-
gungsstoffs dieser Thiere hervor. Er lieſs den
reifen, aber noch unbefruchteten Rogen eines
Salms und einer Forelle ins Wasser fallen, und
schüttete darauf so viel aus einem männlichen
Fische
[371] Fische genommene Saamenfeuchtigkeit hinzu, bis
das Wasser weiſs zu werden anfing. Nach Ver-
lauf von fünf Wochen äusserten die Eyer Leben.
Dieser Versuch gelang sogar mit den Eyern eines
vor vier Tagen gestorbenen und schon stinken-
den weiblichen Karpen.
Die meisten Erfahrungen über die künstliche
Befruchtung sind aber an den Amphibien ge-
macht. Spallanzani brachte viele Tausende von
Eyern der Kröten (q), der Wassersalamander (r),
der Laub- und Wasserfrösche (s) zur Entwicke-
lung, indem er sie mit dem aus den Saamen-
bläschen oder Hoden von gleichartigen Thieren
genommenen Saamen befeuchtete.
Spallanzani war auch der Erste, der eine
künstliche Befruchtung bey einem Säugthiere zu
Stande brachte. Er sperrte eine Hündin von
der Raçe der Pudel und von mittlerer Gröſse
aufs engste ein. Nach dreyzehn Tagen äusserte
sie Zeichen von Brunst. Am 20ten Tage schien
sie sehr hitzig zu seyn, und in diesem Zeit-
punkte versuchte Spallanzani die künstliche Be-
fruchtung an ihr auf folgende Art. Er hatte ei-
nen
A a 2
[372] nen Hund von der nehmlichen Art, wozu die
Hündin gehörte. Von diesem bekam er 19 Gran
Saamen, die er vermittelst einer bis zu 30°
Reaum. erwärmten Sprütze sogleich in die Ge-
bährmutter sprützte. Zwey Tage nach dieser
Operation hörte die Hündin auf, läufisch zu
seyn, und nach 20 Tagen schwoll ihr der Unter-
leib. Nach 26 Tagen wurde die befruchtete Hün-
din in Freyheit gelassen. Der Unterleib nahm
immer mehr zu, und am 62ten Tage nach ge-
schehener Einsprützung warf das Thier drey Junge,
zwey Hunde und eine Hündin, welche sehr leb-
haft, und nach ihrer Gestalt und Farbe nicht
nur der Mutter, sondern auch dem Hunde, von
welchem Spallanzani den Saamen genommen
hatte, völlig ähnlich waren (t). Eben dieser
Versuch wurde in der Folge von Rossi mit dem-
selben Erfolge wiederhohlt (u).
Bey den Vögeln, Molluske[n] und Würmern
fehlt es noch an künstlichen Befruchtungsversu-
chen. Indeſs leidet es wohl keinen Zweifel, daſs
sie auch bey jenen Thieren von glücklichem Er-
folge seyn würden. Diese Versuche übrigens ge-
ben uns ein Mittel an die Hand, der Einwirkung
des männlichen Zeugungsstoffs auf den weibli-
chen, und den Veränderungen, welche hierdurch
in
[373] in dem letztern hervorgebracht werden, nachzu-
forschen. Nur bey den Pflanzen und Amphibien
ist aber dieses Mittel erst angewandt. Wir wer-
den hier von den Resultaten dieser Anwendungen
einen gedrängten Auszug liefern.
Ueber die Einwirkung des Blumenstaubs der
Pflanzen auf den weiblichen Zeugungsstoff der-
selben stellte Kölreuter Versuche an. Seine
Haupt-Entdeckungen über diesen Gegenstand sind
folgende.
In den Staubbeuteln des Hibiscus Syriacus L.
fand er 4863 Körner Blumenstaub. Von diesen
waren nicht mehr als 50 bis 60 zu einer vollkom-
menen Befruchtung nöthig. Nahm er aber we-
niger als 50, so kamen nicht alle Körner zur
Reife, und zwar desto weniger, je geringer die
angewandte Quantität Blumenstaub war. Doch
waren die Saamenkörner, welche gebildet wur-
den, auch in diesem Falle ganz vollkommen.
Zehn Körner war das Wenigste, was er bey die-
ser Blume brauchen konnte; unter dieser Zahl
geschahe keine Befruchtung mehr (v).
Zu
A a 3
[374]
Zu einer spätern Jahreszeit und bey kälterer
Witterung wurde eben so wohl zu einer vollkom-
menen, als zu einer, sich nur auf eine gewisse
Anzahl Saamenkörner erstreckenden Befruchtung,
eine weit gröſsere Menge Blumenstaub, als die
oben erwähnte, erfordert (w).
Die Mirabilis Jalappa hatte in Einer Blume
293 Körner Blumenstaub, Mirabilis longiflora 321.
Bey diesem Ueberflusse an männlichen Saamen
bedurften doch beyde Pflanzen nur zwey bis drey
Körner zu ihrer Befruchtung (x).
Um zu erfahren, ob bey solchen Blumen,
die mehrere Griffel haben, jeder besonders be-
fruchtet werden müsse, schnitt Kölreuter die-
selben bey verschiedenen Pflanzen alle bis auf
einen ab. Die Befruchtung geschahe aber den-
noch eben so vollkommen, als wenn alle Griffel
mit Blumenstaub wären bestreuet worden (y).
Zahlreicher, als diese Kölreuterschen Ver-
suche an Pflanzen, sind Spallanzani’s Erfahrun-
gen über die Befruchtung und Entwickelung der
Eyer von Amphibien. Die Thiere, deren er
sich zu diesen Versuchen bediente, waren die
Art von Kröten, welche Rösel die Erdkröte mit
rothen
[375] rothen Augen und warzigem Rücken nennet, der
Wassersalamander, Rösel’s stinkende Erdkröte,
und der Wasserfrosch.
Die künstlich befruchteten Eyer der Erdkröte
mit rothen Augen und warzigem Rücken krochen
eben so schnell aus, als die, welche auf dem
natürlichen Wege waren befruchtet worden (z).
Auch gelangen diese Versuche eben so wohl
mit solchen Eyern, welche aus der Gebährmut-
ter genommen waren, als mit solchen, welche
das Weibchen freywillig von sich gegeben hat-
te (a).
Befanden sich die Eyer ganz nahe in der
Nachbarschaft der Gebährmutter, so entwickelten
sich die meisten von denen, die mit männlichem
Saamen befeuchtet waren; diejenigen aber, wel-
che dem Eyerstocke näher in dem engern Theile
der Röhren, der nach dem Herzen hin liegt, zu-
rück waren, entwickelten sich nicht, obgleich
sie mit männlichem Saamen waren benetzt wor-
den (b). Eben diese Beobachtung bestätigte sich
auch bey den Eyern des Wassersalamanders (c).
Spal-
A a 4
[376]Spallanzani leitet diesen Unterschied von dem
klebrigen Schleime her, der zur Nahrung der
sich entwickelnden Eyer dienet, und womit die-
selben erst bey ihrem Eintritte in die Gebähr-
mutter überzogen werden. Zum Beweise die-
ser Meinung führt er die Erfahrung an, daſs von
solchen Eyern, denen er den Schleim genommen
hatte, keines zum Leben kam, obgleich sie
mit männlichem Saamen waren befeuchtet wor-
den (d).
Eben so wenig entwickelten sich Eyer der
erwähnten Erdkröte, die durch eine Oeffnung
des Bauchs in den Eingeweiden der Mutter wa-
ren befruchtet worden, obgleich sie das Weib-
chen nach dieser Befruchtung freywillig von sich
gegeben hatte (e).
Wurde das Weibchen der stinkenden Erd-
kröte getödtet, und blieben dann die Eyer vor
der Befruchtung noch einige Zeit in der Gebähr-
mutter, so verlohren sie das Vermögen sich zu
entwickeln nicht gleich, jedoch desto eher, je
wärmer, desto langsamer, je kälter das Medium
war, worin sie sich befanden (f).
Frü-
[377]
Früher verlohren die Eyer ihre Fähigkeit,
belebt zu werden, wenn sie vor ihrer Befruch-
tung einige Zeit im Wasser lagen (g).
Noch weit länger, als die unbefruchteten
Eyer der Kröten, behielten die des grünen Was-
serfrosches ihre Fähigkeit, sich zu entwickeln,
wenn sie in der Gebährmutter des todten Thiers
gelassen wurden (h).
Setzte Spallanzani Wasserfrösche während
ihrer Begattung in eine Eisgrube, so sonderten
sie sich sogleich von einander ab, und fielen in
eine Betäubung. Brachte er aber diese Thiere
nach ein Paar Tagen wieder in warme Luft, so
erhohlten sie sich sogleich von ihrer Betäubung,
und begatteten sich alsdann aufs neue. Lieſs er
sie über 10 Tage in der Eisgrube, so nahmen
sie zwar ihre Begattung wieder vor; aber merk-
würdig war es, daſs alsdann die Eyer ihre Ent-
wickelungsfähigkeit verlohren hatten, hingegen
nicht der männliche Saame seine befruchtende
Kraft (i).
Wurden befruchtete Eyer einige Stunden hin-
durch in eine Eisgrube gesetzt, so kamen sie
sehr
A a 5
[378] sehr gut fort, wenn sie Spallanzani dann nur
gleich wieder ins Wasser legte. Lieſs er sie
aber etliche Tage hinter einander in der Käl-
te, so verlohren sie die Fähigkeit, belebt zu
werden (k).
Befruchtete Eyer, welche in die Wärme des
menschlichen Bluts gebracht wurden, erlitten
darin keinen Nachtheil, sondern entwickelten sich
sehr geschwind (l).
Der Dampf von Schwefel, von Lichtern,
verbranntem Tuche, Papier und Tabacksblät-
tern brachte in vielen Fällen den Froscheyern
keinen Nachtheil (m).
Luft war zur Belebung dieser Eyer kein noth-
wendiges Erforderniſs. Sie entwickelten sich
auch in einer, ganz mit Wasser angefüllten und
zugeschmolzenen gläsernen Röhre, wenn nur
der Raum, worin sie sich befanden, hinrei-
chend war (n).
Unbefruchtete Eyer, die eine Viertelstunde in
verdünnter Luft standen, verlohren dadurch nichts
von ihrer Fähigkeit, sich zu entwickeln (o).
So
[379]
So weit Spallanzani’s Erfahrungen über
den weiblichen Zeugungsstoff der erwähnten Am-
phibien. Ueber die befruchtende Kraft des männ-
lichen Saamens machte er folgende Beobach-
tungen.
Durch die Befruchtung der Eyer von der
Erdkröte mit rothen Augen und warzigem Rük-
ken mit solchem Saamen, welcher keine Saamen-
thiere enthielt, wurden dieselben eben so wohl
ins Leben gebracht, als mit solchem, in wel-
chem diese Infusionsthiere befindlich waren (p).
Auch war der, aus den zerschnittenen Hoden
jenes Thiers ausgepreſste Saft zur Befruchtung
eben so tauglich, als derjenige, der aus den Saa-
menbläschen genommen war (q).
Die Eyer des Weibchens vom Wassersala-
mander, die, wie schon oben bemerkt ist, noch
in der Gebährmutter durch den, in das Wasser
gesprützten Saamen des Männchens befruchtet
werden, entwickelten sich nicht, wenn sie mit
unvermischtem männlichen Saamen waren befruch-
tet worden, wohl aber, wenn dieser Saamen
vorher mit Wasser war verdünnt worden (r).
Der
[380]
Der männliche Saamen der stinkenden Erd-
kröte behielt seine befruchtende Kraft noch sie-
ben Stunden nach dem Tode des Thiers (s).
Auch behielt der Saamen dieses Thiers noch
eine Zeitlang seine befruchtende Kraft, wenn er
schon aus den Saamenbläschen herausgenommen
war, und zwar desto länger, je kälter, eine desto
kürzere Zeit, je wärmer die ihn umgebende Luft
war (t), Er verhielt sich also in diesem Stücke
ganz wie der weibliche Zeugungsstoff.
Noch länger, als der in den Saamenbläschen
befindliche Saamen behielt derjenige, welcher in
den Hoden der stinkenden Erdkröte enthalten ist,
seine befruchtende Kraft (u).
Die Hoden besaſsen sogar diese Kraft noch
nach dem Austrocknen, so lange nur noch etwas
von dem Safte in ihnen übrig war (v).
Der Saamen der Kröten blieb ferner unge-
schwächt, wenn er auch mit Blut, Galle, und
Urin von Kröten, Urin und Speichel von Men-
schen, Wasser und Weinessig vermischt wur-
de (w).
Noch
[381]
Noch länger, als der Saamen der Kröten, be-
hielt der des grünen Wasserfrosches seine be-
fruchtende Kraft ausserhalb des Körpers. Jenem
aber benahm eine groſse Hitze diese Kraft eher
als dem letztern (x).
Statt die Eyer, wie bey den bisherigen Ver-
suchen, ganz in Saamen zu baden, bestrich Spal-
lanzani nur einen Theil derselben mit dieser
Flüssigkeit. So gering aber auch die Menge des
letztern war, so erfolgte doch die Befruchtung
eben so gut, als wenn die Kügelchen ganz mit
Saamen wären benetzt worden (y).
Sogar wenn Spallanzani ein mit Saamen
benetztes Ey mit zwey andern Eyern, die nicht
mit jener Flüssigkeit befeuchtet waren, in Berüh-
rung brachte, so wurden oft durch diese Berüh-
rung auch die letztern befruchtet (z).
Noch mehr! Mit den feinen Spitzen sehr
zarter Zangen zog Spallanzani den Schleim von
mehrern Eyern ab. Als er hierdurch einen
Schleimfaden von etwa einem Zoll erhalten hatte,
hielt er denselben wagerecht angespannt, und be-
rührte das eine Ende mit der Spitze einer in Saa-
men eingetauchten Nadel. Der Erfolg war, daſs
oft
[382] oft die Eyer verdarben, oft aber auch sich ent-
wickelten (a).
Diesem Versuche ist aber auch der folgende ähn-
lich. Spallanzani schüttete in eine Glasröhre,
die an dem einen Ende zugeschmolzen war, und
eine perpendikuläre Stellung hatte, ohngefähr 50
Eyer. Auf diese legte er eine, etwa einen Zoll
dicke Schleimmasse, die er von andern derglei-
chen Kügelchen genommen hatte, und lieſs dar-
auf einen kleinen Tropfen Saamen fallen. Nach-
dem sich derselbe verzogen hatte, legte er die
Eyer ins Wasser. War nun der Saamentropfen
nicht zu klein gewesen, so wurden fast alle Eyer
belebt, sonst aber entwickelten sich nur wenige.
Nahm Spallanzani statt des Schleims Eyweiſs,
so erfolgte keine Befruchtung (b).
Drey Gran Froschsaamen, die mit einem
Pfunde Wasser vermischt waren, hatten von ih-
rer befruchtenden Kraft noch nichts verlohren.
Wurde aber die Menge des Wassers über 18 Un-
zen vermehrt, so nahm die befruchtende Kraft
des Saamens allerdings ab. Doch entwickelten
sich noch immer einige Eyer, wenn auch die
Menge des Wassers 22 Pfund gegen 3 Gran Saa-
menfeuchtigkeit betrug (c).
Wur-
[383]
Wurde in eine Mischung von 3 Gran Frosch-
saamen und 18 Unzen Wasser eine Nadelspitze
getaucht, und mit diesem nur an Einem Punkte,
der kaum 1/30 Linie betrug, ein Ey berührt, so
entwickelte sich dieses in vielen Fällen doch eben
so geschwind, als wenn es in unvermischten Saa-
men ganz wäre eingetaucht worden (d).
Von 50 verschiedenen Haufen Eyern, welche
nach einander in eine Mischung aus 3 Gran
Froschsaamen und 1 Pfund Wasser eingetaucht
waren, entwickelten sich die zuletzt eingetauch-
ten eben so schnell, als die, welche zuerst her-
eingebracht waren (e).
Es hatte keinen Einfluſs auf die Befruchtung,
ob die Eyer in jenem, mit Saamen vermischtem
Wasser eine lange oder kurze Zeit lagen (f).
Die befruchtende Kraft hielt sich in dem mit
Wasser vermischtem Saamen länger, als in dem
unvermischten (g).
Mit Saamen vermischtes Wasser verliehrt
durch Abrauchen seine befruchtende Kraft. Ver-
fährt man auf eben die Art mit unvermischtem
Saamen, so behält dieser länger jene Kraft (h).
Ge-
[384]
Getrockneter und wieder angefeuchteter Saa-
men war zur Befruchtung untauglich (i).
Besaamtes Wasser, das eine Viertelstunde in
verdünnter Luft gestanden hatte, war noch zur
Befruchtung tauglich. Hatte es aber eine halbe
Stunde darin gestanden, so schien es von seiner
befruchtenden Kraft verlohren zu haben (k).
Eyer, die mit einer bis zu 30° Reaum. er-
wärmten Mischung aus 1 Unze Wasser, und 2
Gran Froschsaamen befeuchtet waren, krochen 10
Stunden früher aus, als solche, die mit dersel-
ben, aber vorher abgekühlten Mischung ange-
feuchtet waren (l).
Zu groſse Kälte und zu groſse Hitze waren
aber der Kraft des Saamens nachtheilig (m).
Besaamtes Wasser, mit einer mäſsigen Quan-
tität Indigo, Molken, einer schwachen Safran-
Infusion, Oliven- und Nuſsöhl vermischt, be-
hielt seine befruchtende Kraft. Milch benahm
ihm einen Theil derselben. Durch Branntewein,
Küchensalz, Dinte, Grap-Tinktur, verschiedene
Arten von Rauch, z. B. von angezündetem Pa-
pier, Taback und einem Lichte, durch starkes
Schüt-
[385] Schütteln, und durch Filtriren wurde sie ganz
zerstöhrt (n).
Preſste Spallanzani das Papier, das er zum
Durchseihen des Saamens gebraucht hatte, im
Wasser aus, so liessen sich mit diesem Wasser
die Eyer befruchten (o).
Befruchtete und nachher elektrisirte Eyer ent-
wickelten sich früher, als solche, welche nicht
waren elektrisirt worden (p).
Um zu erfahren, ob auch andere Substan-
zen ausser dem männlichen Saamen zur Befruch-
tung tauglich seyen, setzte Spallanzani unbe-
fruchtete Eyer der Elektricität aus, und tauchte
sie in Blut, Galle, in den milchichten Saft, den
die Salamander von sich geben, wenn sie ge-
reitzt werden, in Limonien- und Citronensaft,
und in verschiedene andere saure und laugen-
hafte Flüssigkeiten, aber ohne Erfolg. Nur der
Urin männlicher Frösche brachte einige male die
Eyer zum Leben. Doch gesteht Spallanzani,
daſs er sich nicht ganz auf diesen Versuch ver-
lassen konnte, weil er ungewiſs blieb, ob nicht
etwas Saamen mit dem Urin vermischt gewe-
sen sey (q).
Hier
III. Bd. B b
[386]
Hier ist eine Reihe fragmentarischer Beobach-
tungen, die zum Theil vielleicht immer Bruch-
stücke bleiben werden, und zum Theil erst in
der Folge sich an analoge Thatsachen werden an-
reihen lassen. Aus einigen derselben lassen sich
indeſs hier schon Folgerungen ziehen, und die-
se sind Spallanzani’s Erfahrungen über das
Vermögen des männlichen Saamens durch ein
langes Medium von Schleim, nicht aber durch
ein Medium von Eyweiſs, seine befruchtende
Kraft zu äussern. Läſst sich hieraus nicht
schliessen, daſs der männliche Saamen nicht durch
seine ponderabeln Bestandtheile, sondern durch
eine, diesen beywohnende Kraft, welche, gleich
der Elektricität und dem Magnetismus, ihre Con-
duktoren und Isolatoren hat, seine befruchtende
Wirkungen äussert? Zwar will Spallanzani(r)
unter dem Microscop in jenem Schleim Poren
entdeckt haben, wodurch seiner Meinung nach
der Saamen bis zum Mittelpunkte der Eyer ge-
langet. Allein gesetzt, solche Canäle existirten,
so bleibt es doch unbegreiflich, wie ein kleiner
Tropfen Saamens durch eine zolldicke Schleim-
masse und durch 50 über einander gelegte Eyer
bis zum untersten Eye durchdringen sollte.
Unsere Meinung hat dagegen das Vermögen
des Saamens, einer an Gewichte 2880 mal grö-
ſsern
[387] ſsern Menge Wassers (s) seine befruchtende Kraft
ungeschwächt mitzutheilen, und die Analogie
der Pflanzen für sich. Nach Hedwig’s und
Schrank’s (t) microscopischen Untersuchungen
nehmlich finden sich zwar bey einigen Gewächsen
in der Narbe der weiblichen Geschlechtstheile hohle
Canäle; diese aber endigen sich in einem festen,
gelben, knorpelartigen Körper, der durch den gan-
zen Griffel bis zur Nabelschnur der Saamenkörner
geht, und zur Fortleitung einer Feuchtigkeit ganz
untauglich zu seyn scheint. Da nun der Saft
des Blumenstaubs nicht anders als durch jenen
Körper auf den weiblichen Zeugungsstoff wirken
kann, und da nach Kölreuter’s Beobachtungen
eine so äusserst geringe Quantität dieses Safts zur
Befruchtung hinreichend ist, so findet wahr-
scheinlich bey den Pflanzen keine unmittelbare
Action des männlichen Saamens auf den weibli-
chen statt.
Diese Gründe würden noch mehr an Gewicht
gewinnen, wenn sich zeigen liesse, daſs auch
bey denjenigen Organismen, bey welchen die Be-
fruchtung innerhalb dem Körper der Mutter ge-
schieht,
B b 2
[388] schieht, der männliche Zeugungsstoff zu dem
weiblichen nicht unmittelbar gelanget, oder ge-
langen kann. Ehe wir uns aber auf die Unter-
suchung dieses Gegenstandes einlassen, ist es nö-
thig, einige Sätze aus der Lehre von der Begat-
tung vorauszuschicken.
Der erste dieser Sätze ist: Daſs die Aus-
leerung des weiblichen Zeugungsstoffs
aus den Eyerstöcken ohne Zuthun des
männlichen Saamens blos durch die
Wollust bey der Begattung bewirkt
wird.
Von den Vögeln erhellet dies schon aus der
bekannten Erfahrung, daſs weibliche Thiere der
Art nach dem bloſsen Kitzeln des Rückens Wind-
eyer legen. Harvey(u) sahe sogar dasselbe bey
einem Casuar nach dem Anblicke der Begattung
zweyer Strauſse erfolgen. Von den Säugthieren
ist dieser Satz durch Haigthon’s Versuche gleich-
falls erwiesen. Kaninchen, denen die Mutter-
trompete der einen Seite durchschnitten wurde,
hatten nach einer fruchtbaren Begattung an bey-
den Seiten Zeichen von ausgeleertem weiblichen
Saamen, aber nur an der unverletzten Seite
Früchte. Der Canal der verletzten Muttertrom-
pete
[389] pete fand sich an dem Orte der Durchschneidung
völlig verschlossen (v).
Wahrscheinlich ist es ferner: Daſs diese
Ausleerung nicht während der Begat-
tung, sondern erst einige Zeit nach-
her geschieht.
Bey einem Schaafe fanden Haller und Kuh-
lemann 45 Minuten nach der Begattung noch
nichts weiter, als ein angeschwollenes Bläschen
mit einem rothen Mittelpunkte. Bey einem an-
dern Thiere der Art war ein solches Bläschen
erst anderthalb, und bey einem dritten drey
Stunden nach der Begattung im Begriffe zu ber-
sten (w). Bey Haigthon’s Versuchen an Kanin-
chen fanden sich die Bläschen der Eyerstöcke
gar erst 48 Stunden nach der Begattung hervor-
ragend und dem Platzen nahe (x).
Ausgemacht ist es drittens: Daſs die Mut-
tertrompeten sich den Eyerstöcken nä-
hern, den ausgeleerten Zeugungsstoff
der letztern mit ihren Franzen aufneh-
men, und zur Gebährmutter führen.
Diese
B b 3
[390]
Diese Bewegung der Muttertrompeten leidet
nach den vielen Beobachtungen, welche Hal-
ler(y) gesammelt hat, und denen man noch
die von Cruikshank(z) gemachten beyfügen
kann, keinen Zweifel mehr. Die von mehrern
ältern Schriftstellern (a) zum Beweise des Gegen-
theils vorgebrachten Erfahrungen sind zur Ent-
kräftung der erstern, ungleich zahlreichern nicht
hinreichend, und lassen sich auch, wie wir
gleich sehen werden, mit diesen sehr gut ver-
einigen.
Endlich viertens ist es ausgemacht: Daſs
jene Bewegung der Muttertrompeten,
so wie die Ausleerung des weiblichen
Zeugungsstoffs, nicht während der Be-
gattung, sondern erst einige Zeit nach
diesem Akt geschieht.
Haigthon(b) traf die Franzen der Mutter-
trompeten bey einem Kaninchen einige Minuten
nach
[391] nach der Begattung noch in ihrer natürlichen
Lage an. Bey einem Thiere von eben der Art
sahe de Graaf die Franzen der Muttertrompeten
sich 20 Stunden nach der Beywohnung den
Eyerstöcken nähern. Bey Katzen fanden Schu-
rig und Lange die Fallopischen Röhren am er-
sten und zweyten Tage noch von den Eyerstök-
ken entfernt, und erst am dritten Tage mit die-
sen in Berührung. Bey einer jungen Kuh sahe
Deswig jene Näherung erst gegen den sechsten
Tag erfolgen (c).
Hieraus würden sich nun die obigen Beob-
achtungen erklären lassen, wo die Muttertrompe-
ten nach der Begattung in ihrer gewöhnlichen
Lage geblieben waren, und zugleich würden die-
se hierdurch ihre Beweiskraft verliehren, wenn
nicht Haller(d) die zuletzt angeführten Er-
fahrungen in Zweifel gezogen hätte. Er hält es
für natürlicher, daſs die Muttertrompeten wäh-
rend der Begattung in Bewegung gesetzt wer-
den, als daſs sie sich erst nachher, wenn keine
bewegende Kraft mehr vorhanden ist, zu den
Eyerstöcken begehen, und er führt zum Beweise
seiner Meinung das Beyspiel der Vögel an, de-
ren
B b 4
[392] ren Weibchen Eyer legen, wenn ihnen blos der
Rücken gekitzelt wird. Hic enim, sagt er, so-
lus stimulus sentientium oviductuum et ovariis
eos admovet, et ova per eosdem in cloacam du-
cit. Gegen diese Einwürfe haben wir indeſs Fol-
gendes zu bemerken: Was natürlich (simplex)
und nicht natürlich ist, läſst sich selten bestim-
men, und am wenigsten bey einem Gegenstande,
der in ein so tiefes Dunkel gehüllt ist, wie die
Erzeugung. Daſs die Bewegung der Mutter-
trompeten zu den Eyerstöcken Wirkung des Or-
gasmus bey der Begattung ist, beweiset das Bey-
spiel der Vögel freylich; aber es beweiset nicht,
daſs es eine unmittelbare Wirkung desselben ist.
Endlich würde sich durch eben die Argumente,
deren sich Haller bedient, auch beweisen las-
sen, daſs sich der Zeugungsstoff der Eyerstöcke
schon während der Begattung ergieſsen müſste.
Da aber dieser Satz mit so vielen Erfahrungen
im Widerspruche steht, so sind wir auch berech-
tigt, an der Richtigkeit jener Argumente zu zwei-
feln, und wir haben hierzu um so mehr Grund,
da es höchst wahrscheinlich ist, daſs die Ergies-
sung des weiblichen Zeugungsstoffs aus den Ey-
erstöcken und die Bewegung der Muttertrompe-
ten zu diesen Organen durch einerley Ursache
bewirkt werden, und also auch zu einerley Zeit
geschehen.
Aus
[393]
Aus den angeführten Thatsachen folgt, daſs,
wenn eine Vermischung des männlichen und
weiblichen Saamens auch bey denjenigen Thie-
ren, wo die Befruchtung innerhalb dem Körper
der Mutter geschieht, zur Erzeugung nothwen-
dig ist, diese erst entweder in den Muttertrom-
peten, oder in der Gebährmutter vorgehen kann.
Es frägt sich also: Ob der männliche Saamen
bey der Begattung in die Muttertrompeten, oder
wenigstens in den Uterus gelanget? Harvey’s (e)
Beobachtungen sprechen nicht dafür. Nie traf
er bey einer Menge weiblicher Thiere, die er
gleich nach der Begattung öffnete, einen Trop-
fen männlichen Saamens in dem Uterus an.
Eben so wenig fand ihn Regnier de Graaf(f).
Haller(g) fand ihn ein einziges mal 45 Minu-
ten nach der Begattung in der Gebährmutter;
in mehrern andern Fällen fand er ihn ebenfalls
nicht. Hingegen sahe ihn Verheyen(h) in dem
Uterus einer Kuh, Leeuwenhoek(i) in dem
Uterus und dessen Hörnern bey Kaninchen, und
Ruysch(k) in dem Uterus und zugleich in den
Muttertrompeten zweyer Weiber.
Hier
B b 5
[394]
Hier kämpfen also Erfahrungen gegen Erfah-
rungen. Auf den ersten Anblick scheinet das
Uebergewicht auf Seiten der letztern, indem den
erstern der Einwurf im Wege steht, daſs die
Begattung in den beobachteten Fällen vielleicht
unfruchtbar gewesen seyn würde, wenn die Thie-
re am Leben geblieben wären. Allein untersucht
man die letztern Beobachtungen genauer, so
wird man sehr bald finden, daſs keine derselben
mit hinlänglicher Genauigkeit angestellt ist, um
den Zweifel zu heben, ob die in den Mutter-
trompeten oder im Uterus gefundene Feuchtig-
keit auch wirklich männlicher Saamen war.
Verheyen versichert blos, in dem Uterus
der Kuh, die er nach der Begattung öffnete,
eine beträchtliche Menge eines, dem männlichen
Saamen dem Augenscheine nach gleichen Saftes
angetroffen zu haben. In propria cavitate uteri,
dies sind seine eigenen Worte, inveniebam notabi-
lem quantitatem seminis, nempe humorem illi,
quem alias ex tauri vesiculis seminalibus expres-
seram, ad oculum plane similem. Aber der blo-
ſse Augenschein kann hier nichts entscheiden.
Die Erfahrung lehrt, daſs die Absonderung des
Schleims in den äussern Geburtstheilen und der
Mutterscheide bey der Begattung sehr vermehrt
wird. Bey Organen von so engem Consensus,
wie diese Theile und der Uterus sind, kann aber
keines
[395] keines Veränderungen erleiden, ohne daſs auch
die übrigen daran Theil nehmen, und aller Wahr-
scheinlichkeit nach findet daher auch in der Ge-
bährmutter eine vermehrte Schleimabsonderung
bey der Begattung statt. Ob nun jene Flüssig-
keit, welche Verheyen in dem obigen Falle an-
traf, nur dieser Schleim, oder männlicher Saa-
men war, darüber konnte nicht das Auge ur-
theilen, sondern dies hätte sich nur durch che-
mische Versuche entscheiden lassen.
Noch weniger Beweiskraft haben Leeuwen-
hoek’s Beobachtungen. Blos die Saamenthier-
chen, die er in der Flüssigkeit des Uterus antraf,
scheinen ihn veranlaſst zu haben, diese für männ-
lichen Saamen zu halten. Aber ähnliche Thiere
sahen Buffon, D’Aubenton und Needham auch
in dem Safte der weiblichen Eyerstöcke (l).
Ruysch scheint selber zweifelhaft gewesen zu
seyn, ob die Flüssigkeit, die er in der Gebähr-
mutter und den Fallopischen Röhren antraf, wirk-
lich männlicher Saamen war, wenn er sagt: Ca-
vitas autem (uteri) referta erat semine albo et
bene cocto, aut saltem substantia, quae
semini virili ad colorem et visum simi-
lis erat. Utraque tuba eodem liquore quoque
referta erat (m). Noch zweifelhafter aber wird
dies
[396] dies durch einen Fall in seinen anatomisch-chi-
rurgischen Beobachtungen, wo er auch in dem
Cadaver einer Wassersüchtigen die Muttertrompe-
ten mit einer, dem männlichen Saamen ähnlichen
Materie angefüllt fand (n), und durch gleiche,
von Bartholin(o) und Santorini(p) an Wöch-
nerinnen gemachte Erfahrungen. Auch in den
weiblichen Geburtstheilen werden also gewiſs
Flüssigkeiten erzeugt, deren Unterscheidung von
dem männlichen Saamen sehr schwer hält, und
ich sehe daher nicht ein, wie Haller(q) sagen
kann: Ruyschium semen a muco non distinxisse
dura est suspicio.
Noch weniger aber begreife ich, wie eben
dieser Schriftsteller noch eine Menge anderer Aerz-
te, z. B. Fallopia und Postel, als Gewährsmän-
ner für die Gegenwart des männlichen Saamens
in dem Uterus und den Muttertrompeten anfüh-
ren kann (r). Fallopia(s) spricht in der Stel-
le, worauf Haller sich beruft, blos von einem
weiblichen Saamen, den er in den Mutter-
trom-
[397] trompeten gefunden haben will, statt daſs seine
Vorgänger diesen in den Eyerstöcken suchten,
und Postel(t) erzählt weiter nichts, als einen
Fall von einem mit der Nymphomanie behafteten
Weibe, deren Eyerstöcke und Muttertrompeten
voll von einer Flüssigkeit waren, die er ebenfalls
für weiblichen Saamen hält, und für welche,
seiner Meinung nach, die Eyerstöcke und Mutter-
trompeten eben das sind, was die Hoden und
Nebenhoden für den männlichen Saamen.
Gegen alle, für den Zutritt des männlichen
Saamens zum Uterus, oder zu den Muttertrom-
peten sprechende Beobachtungen lassen sich folg-
lich so viele Einwendungen machen, daſs keine
derselben für beweisend gelten kann. Und ge-
setzt auch, die Flüssigkeit, die man in der Ge-
bährmutter oder in den Fallopischen Röhren fand,
wäre wirklich männlicher Saamen gewesen, so
könnte doch in den von Harvey, de Graaf und
Haller gemachten Beobachtungen, wo diese Flüs-
sigkeit nicht bis zu jenen Theilen gelangt war,
die Begattung vielleicht eben so fruchtbar gewe-
sen seyn, als wenn das Gegentheil statt gefun-
den hätte.
Von dieser Seite ist folglich keine Beantwor-
tung der Frage, ob bey den Säugthieren eine
Vermi-
[398] Vermischung des männlichen und weiblichen Saa-
mens zu einer fruchtbaren Begattung nöthig ist?
möglich. Eben so wenig entscheidend sind die
von Einigen für die negative Beantwortung die-
ser Frage angeführten Fälle von ungewöhnlich
kurzen, oder nicht vorne, sondern hinten perfo-
rirten, und dennoch zur Zeugung fähigen männ-
lichen Gliedern (u), so wie die Beobachtungen
von Schwängerungen ohne Einlassung des männ-
lichen Gliedes, oder ohne Zerreissung des Hy-
mens (v). So lange die schon von Haller ange-
führte, und durch die Beobachtungen von Na-
deln, die in der Gebährmutter gefunden wurden,
unterstützte Möglichkeit eines Einsaugungsver-
mö-
[399] mögens des Uterus (w), unwiderlegt ist, läſst
sich auf jene Fälle keine verneinende Beantwor-
tung der obigen Fragen bauen. Ferner sind die
schon verschiedentlich erwähnten Haigthonschen
Versuche (x) nichts weniger, als entscheidend.
Sie beweisen blos, daſs der Zutritt des männli-
chen Saamens zu den Eyerstöcken unnöthig zur
Ausleerung des weiblichen Zeugungsstoffs ist,
nicht aber, daſs dieser ohne unmittelbare Einwir-
kung des erstern befruchtet werden kann.
Auf der andern Seite aber entscheidet auch
die von Cowper und Haller’n angeführte That-
sache, daſs das Opossum für eine doppelte Mut-
terscheide, so wie die Familie der eyerlegenden
Thiere (die Fische und einige Amphibien ausge-
nommen) für einen doppelten Uterus auch eine
doppelte männliche Ruthe hat (y), oder daſs die
Gröſse der männlichen Ruthe mit der Capacität
der Scheide bey allen Thieren in Verhältniſs
steht (z), nichts für die gegenseitige Meinung.
Der Endzweck beyder Einrichtungen kann blos
die Vermehrung der Wollust bey der Befriedi-
gung des Geschlechtstriebs seyn, und daſs dies
wirk-
[400] wirklich so ist, erhält sehr viele Wahrscheinlich-
keit, wenn der Hauptsitz der Wollust, wie Hal-
ler selber bemerkt (a), der Muttermund ist.
Ein wichtiger Entscheidungsgrund würden
hier Fälle seyn, wo, bey einer völlig verschlosse-
nen Muttertrompete, eine Frucht ausserhalb der
Gebährmutter auf der Seite dieser Fallopischen
Röhre gefunden wäre. Versuche hierüber aber
sind schwer, und bisher auch noch von Nieman-
den, ausser von Grasmeyer’n (b), angestellt, aus
dessen Beobachtungen sich indeſs wenig schlies-
sen läſst. Zufällige, und zugleich sichere Erfah-
rungen der Art sind meines Wissens noch nie
gemacht worden, und für den entschlossenen
Skeptiker bliebe bey diesen immer noch ein Aus-
weg offen, wenn er annähme, daſs die Verschlies-
sung der Muttertrompeten erst nach der Em-
pfängniſs entstanden wäre. Eben dieses Einwurfs
bedient sich Haller(c), um die Fälle von Con-
ceptionen bey verschlossener Mutterscheide oder
verwachsenem Muttermunde zu schwächen. In-
zwischen findet man bey den Schaafen den in-
nern Muttermund durch Knorpel und durch
Schleim fast ganz verschlossen (d), und dieser
Um-
[401] Umstand ist allerdings ein wichtiger Gegengrund
gegen den unmittelbaren Einfluſs des männlichen
Saamens auf den weiblichen Zeugungsstoff, in-
dem hiergegen jener Hallersche Einwurf weg-
fällt. Auch sind gerade bey dem Opossum, das
von Haller’n und andern für diesen unmittelba-
ren Einfluſs angeführt ist, und dem Känguruh
(Jaculus giganteus) die beyden Canäle der Mut-
terscheide, die dem doppelten Zeugungsgliede des
Männchen entsprechen, so gekrümmt und auf
eine solche Art mit dem Grunde der Gebährmut-
ter verbunden, daſs der männliche Saamen auf
keine Weise zu den Eyerstöcken gelangen kann (e).
Ferner spricht die Analogie der übrigen Thier-
classen, bey welchen die Befruchtung ebenfalls,
wie bey den Säugthieren, innerhalb dem Kör-
per der Mutter geschieht, für die Meinung, daſs
die Wirkung des männlichen Saamens auf den
weiblichen bey der Befruchtung eine mittelbare
ist. Sie ist ohne Zweifel mittelbar bey den Vö-
geln, welche Wochen lang nach einer einzigen
Begattung fruchtbare Eyer legen. Nehmen wir
hierzu nun auch die Gründe, die uns oben Spal-
lanzani’s Versuche an Amphibien, so wie Hed-
wig’s und Schrank’s Beobachtungen über die
Struktur der weiblichen Geschlechtsorgane bey
den Pflanzen für jene Meinung lieferten, so ist
es
III. Bd. C c
[402] es allerdings sehr wahrscheinlich, daſs der
männliche Saamen seinen Einfluſs auf
den weiblichen Zeugungsstoff nicht
durch seine ponderabeln Bestandtheile,
sondern durch eine diesen beywohnen-
de Kraft äussert, welche durch gewis-
se Körper fortgeleitet und durch ande-
re aufgehalten wird.
Mehrere von den Gründen übrigens, wel-
che uns bestimmt haben, eine mittelbare Ein-
wirkung des männlichen Saamens auf den weib-
lichen anzunehmen, veranlaſsten auch schon ähn-
liche Ideen bey andern Naturforschern. In der
Erklärung jener mittelbaren Einwirkung wichen
aber diese ganz von uns ab. In ältern Zeiten
nahm man hierzu einen befruchtenden Dunst des
männlichen Saamens (aura seminalis) an (f).
Neuere setzten an die Stelle desselben eine Ein-
saugung des männlichen Zeugungsstoffs durch
die Saugadern der Mutterscheide, und Absetzung
desselben in den Eyerstöcken (g). Die erstere
Meinung aber ist durch Spallanzani’s Versuche
wider-
[403] widerlegt. Dieser schüttete in ein Uhrglas ohn-
gefähr 11 Gran männlichen Saamens aus verschie-
denen stinkenden Erdkröten, und in ein anderes
etwas kleineres Uhrglas 26 Eyer, die wegen der
Klebrigkeit ihres Schleims an dem innern hohlen
Theile des Glases hängen blieben. Dieses klei-
nere Glas setzte er wie einen Deckel mit seiner
Höhlung auf das erstere, und lieſs beyde in die-
ser Lage bey einer Temperatur von 18° Reaum.
5 Stunden hindurch stehen. Nach Verlauf die-
ser Zeit waren die Eyer von einem Theile des
verdünsteten Saamens ganz feucht geworden.
Dessen ohngeachtet aber entwickelte sich keines
derselben (h). Der Erfolg war derselbe, als die
Gläser einer gröſsern Wärme von 25° ausgesetzt
wurden (i). Befeuchtete hierauf Spallanzani
verschiedene Eyer mit dem in dem untern Glase
zurückgebliebenen Saamen, so kamen diese ins-
gesammt zum Leben (k). Diese Versuche wur-
den noch auf verschiedene Art von Spallanzani
abgeändert. Aber das Resultat war immer einer-
ley mit dem der vorigen. Gegen die letztere
Meinung, die doch im Grunde auf eine unmit-
telbare Wirkung des männlichen Saamens hin-
aus-
C c 2
[404] ausläuft, streiten Spallanzani’s Beobachtungen
über das Vermögen dieser Flüssigkeit durch ein
langes Medium von Schleim, wodurch, wie
schon bemerkt ist, schwerlich eine Fortleitung
der ponderablen Bestandtheile derselben statt fin-
den kann, ihre befruchtende Wirkung zu äus-
sern, und zugleich mehrere, theils schon ange-
führte, theils noch in der Folge aufzuzählende
Thatsachen, die sich ganz an unsere Meinung,
nicht aber an die Grasmeyersche Hypothese an-
schliessen.
Eine solche Thatsache ist die im zweyten Bu-
che untersuchte Antipathie und Sympathie der le-
benden Organismen, woraus wir eine [dynamische]
Einwirkung der lebenden Körper auf andere fol-
gerten (l). Eine solche Thatsache ist ferner die
Copulation der Conferven, die uns im dritten Ka-
pitel des gegenwärtigen Abschnitts auf den nehm-
lichen Schluſs führte. Von ähnlicher Art ist nun
auch der Einfluſs, den, unserer Meinung von
der Empfängniſs gemäſs, der männliche Zeu-
gungsstoff auf den weiblichen äussert. Zugleich
aber glauben wir auch annehmen zu müssen,
daſs dieser Einfluſs nur bey denjenigen Organis-
men, bey welchen die Befruchtung ausserhalb
dem Körper der Mutter geschieht, unmittelbar
auf den weiblichen Zeugungsstoff gerichtet, hin-
gegen
[405] gegen bey den übrigen, und besonders den Säug-
thieren, mittelbar, durch eine zuvor im Körper
der Mutter erregte Veränderung, auf den letz-
tern wirksam ist, und folgende Gründe sind es,
worauf sich diese Meinung stützt.
Es giebt Krankheiten, die nur durch einen,
in lebenden Körpern erzeugten Stoff hervorge-
bracht und fortgepflanzt werden, z. B. die Pok-
ken, die Masern, die Pest, die Lustseuche, die
Hundswuth u. s. w.
Die ansteckenden Stoffe, die sich in diesen
Krankheiten entwickeln, lassen sich einigen Ma-
terien mittheilen, durch andere aber auch zer-
stöhren. Eben so verhält es sich mit dem männ-
lichen Saamen, und merkwürdig ist es, daſs die-
se Materien zum Theil dieselben für den letztern,
wie für jene Gifte, sind. So theilt der Saamen
dem Wasser seine befruchtende Kraft mit, und
in einer gewissen Quantität dieser Flüssigkeit er-
hält sich auch die ansteckende Kraft der Kuh-
pocken- und Blatternmaterie. Hingegen werden
beyde durch den Rauch brennender Substanzen
vernichtet.
Die ersten Wirkungen der Ansteckung des
Blatterngifts sind: Blässe, Schauer, Ekel, Er-
brechen, vage Schmerzen, Niedergeschlagenheit
und Fieberregungen. Aehnliche Symptome äus-
C c 3sern
[406] sern sich auch bey dem Weibe nach erfolgter
Befruchtung.
Die letzte Wirkung der Ansteckung ist eine
gewisse Art von Afterorganisationen, so genannte
Exantheme, in deren Mitte sich eine Blase er-
zeugt. Diese füllt sich, indem sie gröſser wird,
mit einer eiterartigen Flüssigkeit, und öffnet sich
endlich, nachdem sie eine gewisse Gröſse er-
reicht hat. Die ausgeleerte Materie ist dann das
Vehikel des ansteckenden Giftes. Die innere
Höhlung der Blase aber füllt sich mit neu er-
zeugtem Fleische wieder aus. Eben so entsteht
bey den Säugthieren nach der Empfängniſs auf
den weiblichen Eyerstöcken eine oberflächige Ent-
zündung, und in deren Mitte eine Blase, wel-
che sich öffnet und sich des in ihr enthaltenen
Zeugungsstoffs entledigt, worauf die leere Höhle
mit Fleischwärzchen wieder ausgefüllt wird, und
anfangs das Ansehn einer Drüse, dann einer
Narbe (Corpus luteum) bekömmt (m), die aus-
geleerte Feuchtigkeit aber zur Ursache einer glei-
chen Wirkung wird, wie diejenige war, wo-
durch sie selber hervorgebracht wurde. Es darf
uns übrigens nicht befremden, daſs die letzte
Wirkung derjenigen ansteckenden Materie, die
wir mit dem Namen des männlichen Saamens be-
zeich-
[407] zeichnen, blos auf die Eyerstöcke beschränkt
ist: denn die Afterorganisationen, welche von
andern ansteckenden Giften entstehen, äussern
sich ebenfalls vorzugsweise an gewissen einzel-
nen Theilen, z. B. das der Lustseuche zuerst an
den Leistendrüsen und am Halse, zuletzt in den
Knochen. Ich glaube auch nicht, daſs die weib-
lichen Zeugungstheile die einzigen Organe sind,
welche Empfänglichkeit für die befruchtende
Kraft des männlichen Saamens besitzen. Viel-
leicht ist die Befruchtung eben so wohl an jedem
andern Orte, an welchem die Epidermis fehlt,
oder doch sehr dünn ist, als in den weiblichen
Geburtstheilen möglich.
Zur Wirkung der ansteckenden Gifte bedarf
es einer gewissen Anlage. Man sahe Menschen
Jahre lang unter Pocken- und Pestkranken herum-
wandeln, ohne sich eine Ansteckung zuzuziehen,
dann aber, bey einer neuen Veranlassung, plötz-
lich von den Blattern und der Pest befallen wer-
den. Das Nehmliche ist der Fall mit der be-
fruchtenden Wirkung des männlichen Saamens.
Jene Anlage ist bey mehrern contagiösen
Krankheiten an gewisse Jahreszeiten gebunden,
und auch hierin kömmt die ansteckende Kraft
derselben mit der befruchtenden Kraft des Saa-
mens überein, indem alle Thiere, ausser dem
C c 4Men-
[408] Menschen, nur in gewissen Jahreszeiten brün-
stig werden.
Auffallend und nicht zu verkennen ist also
die Aehnlichkeit in der Wirkungsart der anstecken-
den Gifte und des männlichen Saamens. Nie-
mand aber zweifelt, daſs die Afterorganisationen,
welche durch die erstern hervorgebracht werden,
Wirkungen einer allgemeinen Affektion des gan-
zen Organismus sind. Warum tragen wir denn
Bedenken, die Empfängniſs aus einer ähnlichen
Ursache abzuleiten?
Der männliche Saamen kömmt aber auch in
manchen Stücken mit andern thierischen Giften,
welche ebenfalls vermittelst einer, im ganzen
Organismus bewirkten Veränderung locale Krank-
heiten hervorbringen, z. B. den Schlangengiften,
überein. Schöpf(n) erzählt, daſs ein Land-
mann, der bey Fredericktown in Nordamerika
im Monat Julius von einer Klapperschlange ge-
bissen wurde, jährlich um dieselbe Zeit von ei-
nem Fieber befallen, und zugleich über den gan-
zen Körper blau und gelb gefleckt wurde. Auch
schon Carver(o) führt es als eine gewöhnliche
Wir-
[409] Wirkung des Bisses der Klapperschlange an, daſs
derselbe allenthalben auf der Haut die verschie-
denen Farben der Schlangen hervorbringt, und
als gewiſs spricht er von einer jährlichen Rück-
kehr der Zufälle, die zum ersten mal nach dem
Bisse eintraten. Ist hier nicht etwas Aehnliches
sowohl von dem Vermögen des männlichen Saa-
mens, die durch den Einfluſs desselben erzeugte
Frucht dem Vater ähnlich zu machen, wovon
weiter unten die Rede seyn wird, als von dem
Vermögen mancher Vögel, Amphibien und Insek-
ten, lange Zeit nach einer einmaligen Befruch-
[tu]ng von neuem fruchtbare Eyer zu legen?
Es giebt nur Einen erheblichen Grund, den
man dieser Meinung von der Art, wie der
männliche Saamen seine befruchtende Wirkung
äussert, entgegensetzen kann. Bey manchen
Amphibien, den Fischen und verschiedenen Mol-
lusken nehmlich geschieht doch offenbar die Be-
fruchtung durch einen unmittelbaren Einfluſs
des männlichen Saamens auf die schon gelegten
Eyer. Die Analogie, kann man uns einwenden,
ist also auf Seiten dessen, der auch bey den
übrigen lebenden Körpern ein unmittelbares Ein-
wirken jener Flüssigkeit auf den weiblichen Zeu-
gungsstoff annimmt. Dieser Einwurf fällt aber,
sobald sich zeigen läſst, daſs die angeführte
Analogie unrichtig ist, und daſs sie dies wirk-
C c 5lich
[410] lich ist, wird jeder eingestehen müssen, der er-
wägt, daſs der weibliche Zeugungsstoff derjeni-
gen Thiere, bey welchen die Befruchtung aus-
serhalb dem Körper der Mutter geschieht, schon
vor der Begattung in der Gestalt von Eyern vor-
handen, hingegen bey den Säugthieren vor der
Empfängniſs eine bloſse Flüssigkeit ist. Dort
besitzt also jener Stoff das Vermögen, sich ohne
Hülfe der Begattung bis auf einen gewissen Grad
zu organisiren, hier aber bleibt derselbe ohne
den Einfluſs des männlichen Zeugungsstoffs eine
ganz unorganische Masse. Und woher diese Ver-
schiedenheit? Ohne Zweifel rührt sie von der-
selben Ursache her, vermöge welcher die Thiere
der niedern Classen im Stande, die Säugthiere
aber ausser Stande sind, durch eine einzige Paa-
rung auf mehr als Eine Geburt fruchtbar zu wer-
den. Möglich ist es, daſs bey den niedern
Thierclassen die Befruchtung nicht sowohl zur
Belebung der schon vorhandenen Eyer, die sich
vielleicht auch ohnehin entwickeln würden, als
vielmehr dazu dienet, um diejenigen dieser Eyer,
welche weiblichen Geschlechts sind, tüchtig zu
machen, in der Folge selber wieder fruchtbare
Eyer zu erzeugen. Aus diesem Gesichtspunkte
wäre dann auch die Hypothese, daſs bey den
Blattläusen und andern Insekten die befruchten-
de Wirkung einer einzigen Begattung sich bis auf
Enkelinnen, Urenkelinnen und noch spätere Gene-
ratio-
[411] rationen erstrecken kann, nicht ohne Wahrschein-
lichkeit. Zugleich aber wäre dann zu vermu-
then, daſs in den oben angeführten Versuchen
von Spallanzani manche Eyer sich eben so
wohl ohne den Einfluſs des männlichen Saamens,
als nach geschehener Befruchtung entwickelt ha-
ben würden, und verschiedene jener Versuche
verlöhren dann also ihre Beweiskraft.
Wenden wir uns jetzt zu den übrigen Phä-
nomenen, welche die Erzeugung nach vorherge-
gangener Befruchtung darbietet, so finden wir
wieder einen neuen Beweis des schon oft von
uns behaupteten Satzes, daſs ein dynamischer
Zusammenhang zwischen allen Individuen der le-
benden Natur statt findet. Wir sehen dann eine
wunderbare Ordnung im Groſsen zwischen der
Zahl der männlichen und weiblichen Individuen,
eine Ordnung, die so genau bestimmt ist, daſs
beym Menschengeschlechte im Ganzen gegen 20
Mädchen 21 Knaben, oder gegen 25 Mädchen 26
Knaben gebohren werden (p). Man wird vergeb-
lich eine Erklärung dieser Thatsache aufsuchen,
wenn man nicht die lebende Natur als einen dy-
namischen Organismus ansieht.
Ver-
[412]
Vermöge dieses festen Verhältnisses in der
Zahl der männlichen und weiblichen Individuen,
welches ohne Zweifel eben so wohl bey allen
übrigen Arten der lebenden Körper, als bey dem
Menschen, statt findet, bleibt sich die lebende
Natur, ihres unaufhörlichen Wechsels ohngeach-
tet, doch im Ganzen immer ähnlich. Hierzu
kömmt noch, daſs die Einwirkung des männli-
chen Zeugungsstoffs auf den weiblichen nicht blos
im Allgemeinen die Thätigkeit des letztern erregt,
sondern auch die Richtung dieser Thätigkeit be-
stimmt. Jeder, aus der Vermischung zweyer ver-
schiedener Individuen entstandene Organismus ist
sowohl dem Vater, als der Mutter ähnlich, und
diese Aehnlichkeit erstreckt sich sogar auf Feh-
ler der Organisation (q). Der Wechsel der leben-
den Natur wird endlich auch dadurch in Schran-
ken gehalten, daſs jeder Organismus meist nur
mit einem Individuum seiner Art sich begattet,
und daſs Vermischungen zwischen Thieren von
verschiedener Art in den meisten Fällen unfrucht-
bar sind, oder wenigstens unfruchtbare Bastarde
liefern.
Inzwischen leidet der letztere Satz doch auch
manche Ausnahmen. Daſs Maulesel, so wie Ba-
starde von Füchsen und Hunden nicht immer
un-
[413] unfruchtbar sind, ist eine bekannte Sache. Ein
neueres Beyspiel von einem Maulthiere, das sein
Geschlecht fortgepflanzt hat, erzählt Link in
Voigt’s Magazin für den neuesten Zustand der
Naturkunde (r). Aeltere Beobachtungen der Art
sind in der 6ten Ausgabe des Blumenbachschen
Handbuchs der Naturgeschichte (s) angeführt.
Einen Fall von einem Bastarde, den in Schottland
ein Fuchs mit einer Hündin erzeugt hatte, und
welcher sein Geschlecht fortpflanzte, findet man
in Voigt’s Magazin für das Neueste aus der Phy-
sik und Naturgeschichte (t). Bastarde von Wöl-
fen und Hündinnen sind in den Neuen Nordi-
schen Beyträgen (u) beschrieben. Aus der Begat-
tung einer Rehkuh und eines Schaafbocks erhielt
Hellenius(v) eine Nachkommenschaft, die sich
durch mehrere Generationen fortpflanzte. Frucht-
barer Bastarde, die ein Bauer in Afrika von Afri-
kanischen Waldschweinen (Sus Aethiopicus) und
gemeinen Schweinen erhalten hatte, erwähnt
Sparrmann(w).
So
[414]
So sahe man auch Bastarde von einem Trut-
hahn und einer Henne, von einem Hahn und ei-
ner Ente. Ein Beyspiel der erstern Art trifft man
im ersten Theile der Physikalischen Belustigun-
gen, ein Beyspiel der letztern Art in Taube’ns
Beyträge zur Naturgeschichte des Herzogthums
Zelle (x) und in Schöpf’s Reisen durch die verei-
nigten Staaten von Nordamerika an (y). Daſs
solche Vögel ebenfalls nicht immer unfruchtbar
sind, beweisen Sprenger’s Versuche (z).
Seltener sind Beyspiele von Bastarderzeugun-
gen bey den Amphibien. Eine Beobachtung von
Kundmann(a) macht es indeſs wahrscheinlich,
daſs sie auch unter diesen Thieren zuweilen statt
finden. Nach einer Wasserfluth, so erzählt jener
Schriftsteller, wodurch im Jahre 1736 ein groſser
Theil von Schlesien überschwemmt wurde, er-
schienen in den Sümpfen, die von dem Wasser
zurückgeblieben waren, unzählige geschwänzte
Thiere, welche anfangs für Eidechsen angesehen
wurden, bey genauerer Untersuchung aber sich
als geschwänzte Frösche zeigten, deren Schwanz
zweymal so lang war, als der übrige Körper.
Viel-
[415] Vielleicht waren diese Thiere Bastarde von Frö-
schen und Salamandern.
Unter den Fischen sind Bastarderzeugungen
ziemlich häufig. Einen Bastard von einem Bar-
ben und Karpen hat Defay(b) beschrieben. Daſs
aus der Karausche, der Giebel und dem Karpen
zu Zeiten Bastarde entstehen, bemerken schon
Gesner, Aldrovand, Schwenckfeld, Schone-
veld, Marsigli, Willughby und Klein(c).
Unter den Bleyen (Cyprinus Brama) giebt es zu-
weilen einen, der sich durch seine schöne Farbe
auszeichnet, immer ein starkes Gefolge hinter
sich hat, weswegen er von den Fischern Leit-
Bley genannt wird, und vermuthlich ein Ba-
stard vom Bley und der Plötze (Cyprinus ery-
throphtalmus) ist. Eine andere Art, welche un-
ter dem Namen der Bley-Güster bekannt ist,
gleicht zum Theil der Güster (Cyprinus Plestya
Lesk.), zum Theil dem Bley, und entsteht,
wenn der Rogen des einen dieser Fische von der
Milch des andern befruchtet wird (d).
Die niedern Thierclassen sind noch zu wenig
in Rücksicht ihrer Erzeugung untersucht, als
daſs
[416] daſs sich bey diesen viele ähnliche Beobachtun-
gen erwarten lassen. Indeſs sahe Rossi ein Männ-
chen der Cantharis melanura mit einem Weibchen
des Elater niger so eng durch die Begattung ver-
bunden, daſs es eine geraume Zeit währte, ehe
jenes das an der Wurzel sehr kugliche männliche
Glied auch nur halb herausziehen konnte, ob-
gleich ihm völlige Freyheit dazu gelassen wur-
de (e).
Was endlich das Pflanzenreich betrifft, so
sind in diesem nicht nur Bastarde überhaupt,
sondern auch fruchtbare Bastarde häufiger, als
in irgend einer Classe von Thieren. Man erhält
sie fast von allen Gewächsen, die getrennte Ge-
schlechter haben.
Bey dieser nicht ganz geringen Anzahl von
Beyspielen, wo aus der Vermischung verschie-
denartiger Individuen fruchtbare Abkömmlinge
hervorgingen, ist es eine sehr natürliche Vermu-
thung, daſs die Bastarderzeugung einen wichti-
gen Antheil an der Entstehung der jetzigen le-
benden Natur gehabt haben möchte. Es läſst
sich auch zur Unterstützung dieser Hypothese
dies anführen, daſs sie uns ein Mittel an die
Hand giebt, die groſse Mannichfaltigkeit der Ge-
stalten, die wir heut zu Tage in der lebenden
Welt
[417] Welt antreffen, aus der Voraussetzung sehr we-
niger Urformen, also auf einem sehr einfachen
Wege, zu erklären. Man kann sich ferner auf
die wunderbare Vereinigung der verschiedenartig-
sten Formen in einem einzigen Individuum be-
rufen, die wir bey so vielen Organismen wahr-
nehmen, und welche in der Bastarderzeugung
einen befriedigenden Grund findet.
Allein so scheinbar diese Gründe beym er-
sten Anblicke seyn mögen, so wenig vertragen
sie eine genauere Prüfung. Es ist erstens ge-
wiſs, daſs die Nachkommenschaft fruchtbarer
Bastarde binnen einigen Generationen ganz wieder
zur Art des Stammvaters oder der Stammmutter
zurückkehrt. Vermischen sich jene mit Individuen
von der Art des Vaters, so nähert sich die fol-
gende Generation wieder dem Vater; geschieht
die Vermischung mit einem Individuum mütter-
licher Art, so werden die Nachkommen wieder
der Mutter ähnlich; begatten sich endlich Bastar-
de mit Bastarden, so gehen die erzeugten Indivi-
duen wieder zur Art des Stammvaters oder der
Stammmutter über, je nachdem die Bastarde mehr
mit dem erstern, oder mehr mit der letztern ge-
mein hatten. So lehren es Kölreuter’s Versu-
che über die Bastarderzeugung der Pflanzen.
Wer, dieser Erfahrungen ohngeachtet, der Ver-
mischung ungleichartiger Individuen doch einen
III. Bd. D dAn-
[418] Antheil an der Bildung der jetzigen lebenden Na-
tur zuschreibt, muſs zu der Voraussetzung, daſs
die Rückkehr der Bastardgenerationen zu ihren
Urformen in ehemaligen Zeiten nicht statt gefun-
den hat, also zu einer Behauptung, die durch
keine Gründe unterstützt wird, seine Zuflucht
nehmen.
Aber wenn man auch diese Voraussetzung
gelten läſst, so bleibt doch gerade das durch jene
Hypothese unerklärt, was am meisten der Erklä-
rung bedarf. Die Vereinigung verschiedenartiger
Formen in einem einzigen Individuum ist nir-
gends häufiger, als in Neuholland. Und wo sind
die Urformen, durch deren Vermischung diese
Individuen gebildet wurden? Sie sind nicht in
Neuholland und nicht auf den übrigen Südsee-
inseln. Nur in Südamerika, im südlichen Asien
und in Afrika finden sich Thiere, die mit jenen
in einzelnen Stücken übereinkommen. Aber wer
wird die Neuholländischen Thiere von Südame-
rika ableiten wollen? Und warum finden sich
denn in Neuholland nur noch Bastarde, nicht
mehr ursprüngliche Thiere? Sind diese unterge-
gangen? Aber Neuholland ist von zu neuer
Entstehung, als daſs hier die lebende Natur schon
viele Revolutionen erlitten haben könnte. Und
gerade in jenem Erdstriche, mit dessen Thieren
die von Neuholland manches gemein haben, in
Süd-
[419] Südamerika, giebt es ebenfalls Organismen, die
ganz das Ansehn von Abkömmlingen verschieden-
artiger Stammeltern haben, deren Urformen aber
nirgends, als in den nördlichen Gegenden der al-
ten Welt existiren. Hier wohnen das Llama und
Guanuco, Mittelglieder zwischen den Schaafen
und Camelen, hier ein Thier, das ganz das An-
sehn des Esels, aber gespaltene Klauen hat (Equus
bisulcus Molin.), und hier das Mniarum biflo-
rum, eine Pflanze, die bis auf die Blume völlig
mit der Minuartie übereinkömmt. Ganz Amerika
aber hat ursprünglich keine Schaafe, keine Came-
le, keine Esel und keine Minuartien. Alle diese
Thiere und Pflanzen sind Bewohner der nördli-
chen Erdhälfte. Wer wird es also wagen, die
letztern für Stammeltern jener Amerikanischen
Thiere und Pflanzen anzusehen?
Eine andere Schwürigkeit bey jener Hypothe-
se ist die verschiedene Zeit der Brunst bey den
Thieren und des Blühens bey den Pflanzen. Bey
dem Rehbocke fällt die Brunstzeit in den Julius
und August, bey dem Hirsche erst in den Sep-
tember und October. Anemone narcissiflora und
Anemone alpina wohnen oft auf ganz benachbar-
ten Felsen der höhern Alpen beysammen, aber
die eine blühet erst auf, wenn die andere schon
zu verblühen anfängt. Die Gentiana verna blü-
het im ersten Frühlinge, und die Chironia cen-
D d 2tau-
[420] taureum, die mit ihr gleiche Standörter hat, im
späten Sommer und Herbste. Es ist also nicht
einmal zwischen manchen Arten, die in ihrer
Struktur einander nahe verwandt sind, und ei-
nerley, sowohl physische, als geographische
Verbreitung haben, eine Vermischung möglich (f).
Endlich giebt es ja eine Classe von lebenden
Körpern, die sich ohne Begattung fortpflanzen,
und bey welchen doch eben sowohl, als bey den
übrigen, Verwandtschaften in einzelnen Theilen
zwischen den verschiedensten Arten statt finden.
Solche Körper sind die Zoophyten. Können aber
die formenden Potenzen des Lebensstoffs bey die-
sen Organismen dergleichen Verwandtschaften oh-
ne Mitwirkung der Bastarderzeugung hervorbrin-
gen, so ist nicht einzusehen, warum sie nicht
auch bey den Thieren und Pflanzen dazu im
Stande seyn sollten.
Diese Gründe sind es, worauf wir uns stütz-
ten, als wir im letzten Kapitel des zweyten Buchs
der Bastarderzeugung allen Antheil an der Bil-
dung der jetzigen lebenden Natur absprachen.
Alles rechtfertigt dagegen unsere in jenem und
dem vorigen Buche geäusserte Meinung, daſs De-
generation, oder eine erst nach der Erzeugung
durch den veränderten Einfluſs der Aussenwelt
her-
[421] herbeygeführte und dem Zustande der Gesundheit
angemessene Abweichung von der Gestalt der Vor-
fahren, die mannichfaltigen Formen der lebenden
Natur hervorgebracht hat. Man muſs aber zwey-
erley Arten der Degeneration unterscheiden: die-
jenige, welche blos Individuen, und die, welche
die ganze Gattung betrifft. Jene tritt nur localer
Ursachen wegen, z. B. bey verändertem Aufent-
halte oder veränderter Lebensweise einzelner Or-
ganismen, ein; diese aber wird durch die ewi-
gen Verwandlungen des ganzen Weltalls bewirkt.
Die erste Art ist beschränkter als die letz-
tere, und zwar desto beschränkter, je zahlrei-
cher die Berührungspunkte eines Organismus mit
der äussern Welt sind. Je gröſser nehmlich die
Zahl dieser Berührungspunkte ist, in desto enge-
rer Verbindung steht der Organismus mit der gan-
zen Natur, und desto weniger sind wesentliche
Veränderungen seiner Organisation ohne Verände-
rungen der letztern möglich. Anders aber verhält
es sich mit den einfachern Körpern der lebenden
Welt. Die Organisation dieser ist weniger eng
mit der Organisation des Universums verkettet,
und daher abhängiger von einzelnen Einflüssen.
Alle Veränderungen in dem Aufenthalte und der
Lebensweise ziehen aber nur Veränderungen in
einzelnen Einflüssen nach sich. Daher können
hierdurch wohl unter den Zoophyten, Pflanzen
D d 3und
[422] und einfachern Thieren, aber nicht unter den
Thieren der höhern Classen neue Arten entste-
hen. In der That zeigt auch die Erfahrung,
daſs Säugthiere und Vögel, die unter einen an-
dern Himmelsstrich, oder aus dem Zustande der
Wildheit in den der Sclaverey versetzt sind, blos
oberflächige Veränderungen der Haut, des Haars
und der Federn erleiden, im Wesentlichen aber
ihren Voreltern immer ähnlich bleiben (g). Hin-
gegen daſs auf den niedern Stufen der Organisa-
tion durch Veränderungen des Climas, des Bo-
dens und der Nahrungsmittel neue Arten entste-
hen, läſst sich nicht mit Grunde in Zweifel zie-
hen. Viele Pflanzen, die gewöhnlich für eigene
Arten gelten, sind gewiſs bloſse, durch den Ein-
fluſs des Climas und Bodens bewirkte Varietäten.
Ein Beyspiel giebt die Asiatische Dotterblume
(Trollius Asiaticus L.), die vermuthlich nichts
anders als eine Abart der gemeinen Europäischen
ist. Pallas fand im östlichen Siberien Exem-
plare des Trollius, welche die Farbe und den
Geruch der Asiatischen Art hatten, deren Necta-
rien aber nicht länger als an der gemeinen Dot-
terblume waren. “Dagegen aber”, sagt er, “ha-
„be ich dieses Kraut von Schneegebirgen zwar in
„allen Theilen, auch der Blume nach, sehr klein,
„aber mit den allerlängsten Honigblättern, ge-
„habt;
[423] „habt; und also möchte man fast den Trollius
„Asiaticus für eine durch das Siberische Clima
„und die kältere Gebirgsluft entstandene Spielart
„des gemeinen erklären, welches auch die an der
„Ostseite des Uralischen Gebirges häufige feuer-
„gelbe Ausartung der gemeinen Dotterblume be-
„stätigt” (h). Aehnliche Beyspiele werden jedem
unbefangenen Botaniker vorgekommen seyn. Ich
habe Ranunkeln gefunden, die so das Mittel zwi-
schen zwey Arten hielten, daſs sie mit gleichem
Rechte zu beyden gezählt werden konnten.
Wichtiger aber ist die andere Art der Dege-
neration, die in den ewigen Umwandlungen, de-
nen die ganze Natur unterworfen ist, ihren Grund
hat. Durch den Strohm dieser Veränderungen
wird alles fortgerissen, das Höchste wie das Nie-
drigste in der Reihe der lebenden Wesen. In
jedem dieser Körper liegt die Fähigkeit zu ei-
ner endlosen Mannichfaltigkeit von Gestaltungen;
jeder besitzt das Vermögen, seine Organisation den
Veränderungen der äussern Welt anzupassen, und
dieses, durch den Wechsel des Universums in
Thätigkeit gesetzte Vermögen ist es, was die ein-
fachen Zoophyten der Vorwelt zu immer höhern
Stufen der Organisation gesteigert, und eine
zahl-
D d 4
[424] zahllose Mannichfaltigkeit in die lebende Natur
gebracht hat.
Aber giebt es Beweise der Erfahrung für
eine solche Biegsamkeit der Organisation? Aller-
dings giebt es deren, und selbst auf der höch-
sten Stufe der Organisation, bey dem Menschen.
Hier sind es die Miſsgeburthen, welche nicht
nur aufs einleuchtendste beweisen, daſs der le-
bende Körper ein Vermögen besitzt, seine Orga-
nisation der Sphäre, worin er sich befindet,
selbst dann noch anzupassen, wenn auch der Zu-
stand der Gesundheit mit dieser unvereinbar ist,
sondern auch von noch andern Seiten unsere Mei-
nung von dem Entstehen der jetzigen lebenden
Natur unterstützen. Um dies aber zu zeigen,
müssen wir einige allgemeine Bemerkungen über
Miſsbildungen und deren Ursachen voraus-
schicken.
Unter Miſsbildungen oder Miſsgeburthen ver-
stehen wir krankhafte Abweichungen von der ur-
sprünglichen Struktur, bey deren Entstehung der
Organismus, an welchem sie vorkommen, sich
selber thätig gezeigt hat. Sie unterscheiden sich
von Degenerationen darin, daſs sie dem Zustande
der Gesundheit unangemessen, diese aber dem-
selben angemessen sind, und von bloſsen, durch
äussere Kräfte hervorgebrachten Verstümmelungen
in dem Zusatze, daſs der Organismus, dem sie
eigen
[425] eigen sind, sich bey ihrer Entstehung nicht blos
leidend verhalten hat. Indeſs giebt es keine ge-
naue Gränze zwischen Miſsbildungen und De-
generationen.
Nur in der Periode der Jugend sind Miſsbil-
dungen möglich. Sie entstehen desto leichter,
und sind desto gröſser, je näher der Organismus
seinem Ursprunge ist.
Man kann die Miſsgeburthen in qualitati-
ve und quantitative eintheilen.
Zu den erstern gehören zuerst Abweichungen
von der regelmäſsigen Lage der Organe. Es hat
Fälle gegeben, wo der Magen und ein Theil der
Gedärme in der Brusthöhle über dem Zwerch-
felle, und die Leber theils unter, theils über
dem Diaphragma lag. In andern Fällen machte
die Speiseröhre, die sonst gerade zum Magen
geht, nachdem sie schon in den Unterleib ge-
langt war, eine Krümmung, und kehrte wieder
in die Brust zurück. In noch andern, nicht
ganz seltenen Fällen fand man sogar alle Einge-
weide, die sonst in der rechten Seite liegen, in
der linken; und umgekehrt (i). Aehnliche Bey-
spiele kommen auch an den Knochen und Mus-
keln vor. Oft sind die äussern Gliedmaaſsen
gänz-
D d 5
[426] gänzlich verdreht, so daſs z. B. das Innere der
Hand, oder die Fuſssohle nach oben gekehrt
ist (k). Mery sahe ein Kind, dessen Wirbel-
säule so verdreht war, daſs, wenn das Gesicht,
die Brust und der Bauch von vorne angesehen
wurden, die äussern Zeugungstheile, die Knie
und die Füſse nach hinten gekehrt waren (l).
Es gehören ferner zu den qualitativen Miſs-
bildungen diejenigen Fälle, wo an Organen, die
in der Regel verwachsen sind, eine Theilung,
und an solchen, die in der Regel von einander
abgesondert sind, eine Verwachsung statt fand.
Eine der häufigsten Deformitäten dieser Art ist
die Hasenscharte. Man sahe auch Menschen, de-
nen der Gaumen oder die Nase ursprünglich ge-
spalten war, bey welchen die Brust und der
Unterleib offen standen, oder die eine gespaltene
Ruthe hatten (m). Bey andern waren einige,
oder alle Zehen der Hand oder des Fuſses unter
einander verwachsen. Eine ähnliche Miſsbildung
kömmt ziemlich häufig unter den Schweinen vor.
Die beyden Augen verschmelzen ebenfalls sowohl
bey dem Menschen, als bey den Thieren nicht sel-
ten zu einem einzigen, und in den Fällen dieser
Art
[427] Art findet eine merkwürdige Stufenfolge vom Ein-
fachern zum Zusammengesetztern statt. Oft ist
das eine Auge einfach, nur gröſser, wie es der
Regel nach seyn sollte; oft sind einige Theile,
z. B. die Hornhaut, einfach, hingegen andere,
z. B. die Augenlieder, die Crystallinse, der Glas-
körper, die Augennerven, oder die Augenmus-
keln, doppelt; und oft finden sich zwey Augen
in einer einzigen Augenhöhle. So flieſsen auch
zuweilen die Luftröhre und der Schlund, die bey-
den Hirnhälften, die Nieren, ja sogar die Cavi-
täten des Herzens zusammen (n). Einen Fall
der letztern Art beobachtete Mery bey dem schon
erwähnten Kinde, dessen Wirbelsäule gänzlich
verdreht war. Die beyden Herzohren bildeten
hier eine einzige Höhlung, und die beyden Ven-
trikel standen mit einander in Verbindung. Die
Lungen waren klein, welk und zusammenge-
schrumpft. Die Venen derselben und die beyden
Stämme der Hohlader hatten ihre Mündung in
der gemeinschaftlichen Höhlung der beyden Herz-
ohren, und aus dieser fand ein Uebergang durch
ein gröſseres Loch in den rechten Ventrikel, und
durch ein sehr kleines in die gemeinschaftliche
Oeffnung der Cavitäten beyder Ventrikel statt-
Die Lungenarterie und die Aorta entstanden aus
der linken Herzkammer. Ein ovales Loch war
nicht vorhanden.
End-
[428]
Endlich müssen hierher noch alle Verwand-
lungen verschiedenartiger Organe in einander ge-
rechnet werden. Vorzüglich reich an solchen
Miſsbildungen ist das Pflanzenreich. Häufig ge-
hen hier Staubfäden in Blumenblätter über, wo-
durch dann gefüllte Blumen entstehen, und bey
den Syngenesisten verwandeln sich zungenförmige
Blumen in röhrenförmige, so wie diese in zun-
genförmige. Zuweilen gehen auch Blumen, ja
sogar Früchte in Blätter über, und oft verändern
die Blätter ihre Form, so daſs sie gekräuselt,
zerschnitten u. s. w. werden (o). Bey den Thie-
ren findet nicht selten eine andere, hierher gehö-
rige Art von Miſsbildung in dem Ursprunge und
der Insertion der Muskeln und Gefäſse statt,
z. B. daſs sich der gerade Bauchmuskel bis an
den obern Theil der Brust erstreckt, die Nabel-
vene über dem Zwerchfelle in die Hohlvene über-
geht, oder daſs ein Verbindungscanal zwischen
den beyden Hohlvenen vorhanden ist (p).
Die quantitativen Miſsbildungen bestehen ent-
weder in mangelhafter, oder in übermä-
ſsiger Ausbildung des ganzen Körpers oder ein-
zelner Theile.
Man-
[429]
Mangelhafte Ausbildung des ganzen Körpers
bringet Zwerge, so wie übermäſsiges Wachsthum
unter eben dieser Bedingung Riesen hervor.
Miſsgeburthen von mangelhafter Ausbildung
einzelner Theile des Organismus sind zuerst die
hirnlosen Früchte, Embryonen, denen entweder
nur der obere Theil des Schädels und des Gehirns
fehlt, und wo das Gesicht noch vorhanden ist,
das aber sehr verunstaltet zu seyn pflegt, oder
die auch gar keinen Kopf haben (q). Diese
Deformitäten gehören zu den häufigen. Sandi-
fort(r) zählt 48, und Sömmering(s) noch 28
andere Fälle der Art, denen sich leicht noch
mehrere. z. B. die von Spilenberger(t), Jae-
nisch(u), Schelhammer(v), Schelhase(w),
Zwinger(x), Romberg(y), Van Lis(z), Gi-
li-
[430]libert(a), Sue(b) und Knackstedt(c) be-
schriebenen, beyfügen lassen.
Es giebt aber überhaupt nicht ein einziges
Organ, das nicht zuweilen gefehlt hätte. Oft
fehlten einige oder alle Finger oder Zehen,
oder einzelne Glieder derselben. Bey vielen
Miſsgeburthen fehlten auch die Arme oder die
Beine entweder ganz, oder doch zum Theil.
Andere hatten keine Nase, oder keine Scheide-
wand der Nase, keine Geruchsnerven (d), keine
Ohren, keine Augen oder Augenlieder, keine
obere oder untere Kinnlade (e), keine Zunge,
keine Gaumenknochen und keinen weichen Gau-
men (f), keinen Kehlkopf und keinen Pharynx.
Man hat Fälle beobachtet, wo die Schulterblätter
fehlten, wo keine Schlüsselbeine vorhanden wa-
ren, wo der schwerdtförmige Knorpel vermiſst
wurde, wo keine Bedeckungen des Thorax oder
keine Bauchmuskeln zu finden waren. Sogar
das
[431] das Herz, die Venen, die Arterien des Kopfs
und der obern Gliedmaaſsen, die Speiseröhre,
den Magen, die Gallenblase, die Milz, den Mast-
darm, den After, ein oder beyde Nieren, die
Harnblase, die männliche Ruthe, die weibliche
Schaam, die Mutterscheide, die Gebährmutter,
die Eyerstöcke (g), ja selbst die ganze obere
Hälfte des Körpers bis zur Brust oder bis zum
Nabel hat man fehlen sehen (h). Einen neuern
Fall der letztern Art von einem fünfmonatlichen
Foetus, der keinen Magen, keine dünne Gedärme
und keine untere Extremität der rechten Seite
hatte, hat Sue(i), und einen andern, wo der
Rumpf mit den Rückenwirbeln aufhörte, der
Unterleib wie ein Sack an den Integumenten des
Kindes hing, und, ausser der obern Hälfte des
Körpers, auch die Harngänge fehlten, Dinmo-
re(k) beschrieben. Bey den Pflanzen beobachtet
man ebenfalls diese Art von Miſsbildung, indem
zuweilen an den Blumen derselben die Krone,
oder die Staubfäden, und in ihren Früchten die
Kerne fehlen (l).
Uebermäſsige Ausbildung einzelner Organe
verursacht die auffallendsten Miſsbildungen, und
be-
[432] bewirkt Aehnlichkeiten zwischen den unähnlich-
sten Arten. Es gab Menschen, deren ungewöhn-
lich hervorragender Unter - oder Oberkiefer ih-
rem Gesichte Aehnlichkeit mit dem Gesichte eines
Fisches, einer Ente, oder eines Elephanten gab.
Andere erhielten durch das hervorragende Steiſs-
bein einige Aehnlichkeit mit den geschwänzten
Thieren. Bey einem, von Reaumur beschriebe-
nen Karpen war die kegelförmige Schnauze in
einen Schnabel verlängert (m).
Eine andere merkwürdige Art der Miſsbil-
dung von Uebermaaſs des Wachsthums machen
diejenigen Fälle aus, wo ein Exceſs in der An-
zahl der Organe statt findet. Diese Fälle bilden
eine Stufenfolge, die von denen, wo nur min-
der wichtige Organe, z. B. die Finger, überzäh-
lig waren, zu denen fortschreitet, wo der ganze
Körper doppelt war.
Fälle von überzähligen Fingern, Zehen, und
andern Organen kommen sowohl bey dem Men-
schen, als bey den Thieren vor. Man hat Be-
obachtungen von Menschen, die sechs, sieben,
oder acht Finger an Einer Hand hatten, von ei-
nem Kalbe, dessen Fuſs in fünf Zehen gespalten
war, von einem Schweine mit drey Klauen, von
einem Huhne mit fünf Zehen, von einem mit
Kral-
[433] Krallen versehenen Schaafe, von einem Men-
schen mit drey Brüsten, von einem andern mit
zwey Nasen, von Eidechsen mit zwey, drey bis
vier Schwänzen, von einer Fledermaus mit vier
Ohren, von Antilopen mit drey (n), Widdern mit
vier, fünf, oder sechs (o), und einem Ochsen
mit drey Hörnern, von einem Hirsche mit vier
Geweihen, und von einem Krebse mit doppelten
Zangen. Selbst die wichtigsten Organe erleiden
eine Verdoppelung. Es sind Fälle beobachtet,
wo zwey männliche Glieder, drey Hoden, zwey
Harnblasen, ein doppelter Uterus, zwey Mutter-
scheiden, oder eine doppelte weibliche Schaam
vorhanden waren. Ja Borelli, Rudbeck, De-
nis und Littre fanden bey Menschen zwey und
drey Herzen (p). Eine ähnliche Erscheinung bey
den Pflanzen ist die Vermehrung der Staubfäden,
Nectarien, Blumen - und Kelchblätter, und bey
denen, die eine bestimmte Zahl von Blättern an
jedem Stengel haben, z. B. beym Klee, auch
die der Stengelblätter (q).
Verwandt diesen Fällen sind diejenigen, wo
Thiere, die in der Regel getrennten Geschlechts
sind,
III. Bd. E e
[434] sind, Hermaphroditen waren. Solche Fälle sind
ziemlich häufig unter den Fischen. Bey derglei-
chen Thieren liegt in der einen Seite der Bauch-
höhle die Milch, in der andern der Rogen. Hin-
gegen bey den Thieren der höhern Classen, und
namentlich beym Menschen, findet der Herma-
phroditismus nie, oder wenigstens äusserst selten
statt (r).
Nach den Hermaphroditen gebührt die näch-
ste Stelle in der Reihe der Miſsgeburthen denen,
bey welchen der Kopf doppelt, der übrige Kör-
per aber einfach ist; dann folgen diejenigen, die
bey einem einfachen Kopfe und Leibe doppelte
Gliedmaaſsen haben; hierauf die, bey denen der
Kopf ebenfalls einfach ist, welche aber nicht
nur überzählige Gliedmaaſsen, sondern auch ei-
nen doppelten Rumpf besitzen; und auf der letz-
ten Stufe stehen diejenigen, deren ganzer Körper
doppelt ist.
Jede dieser Classen enthält ebenfalls Abstu-
fungen vom Einfachern zum Zusammengesetztern.
Von der Gradation, die unter denen Miſsgebur-
then statt findet, welche einen doppelten Rumpf
bey einem übrigens einfachen Körper haben, enthal-
ten Sömmering’s Abbildungen und Beschrei-
bungen einiger Miſsgeburthen, die sich
ehe-
[435]ehemals auf dem anatomischen Theater
zu Cassel befanden, merkwürdige Beweise.
Man sieht hier auf der zweyten Tafel eine
menschliche Frucht, woran noch keine weitere
Merkmale von Duplicität sind, als daſs die rechte
Hälfte des Kopfs gröſser wie die linke ist. Auf-
fallender ist diese Duplicität schon auf der Miſs-
geburth der zweyten Tafel, deren beyde Köpfe
an den Seiten so zusammengewachsen sind, daſs
ein einziger Kopf mit zwey Ohren, zwey Nasen,
einem doppelten Mund und drey Augen, wovon
das mittlere aus zwey Zweydrittelstücken zweyer
gewöhnlichen Augen besteht, entstanden ist (s).
Der Kopf der folgenden, auf der fünften Tafel
vorgestellten Miſsgeburth besteht fast aus zwey
Dreyviertelgesichtern, so wie die vorige ohngefähr
zwey Zweydrittelgesichter zeigte. Hier sind zwey
Nasen, ein doppelter Mund, und vier Augen,
aber auch, wie bey der vorigen, nur noch zwey
Ohren. Auf der sechsten Tafel erscheint ein
Doppelkopf mit zwey äussern und einem mittlern
Ohre, und bey der Miſsgeburth der siebenten
Tafel geht die Trennung der beyden Köpfe schon
so weit, daſs beyde mittlere Ohren an dem Orte
der Verwachsung hervorgetreten sind. Immer
sind
E e 2
[436] sind aber noch diese Köpfe an den Seiten unter
einander vereinigt, und merkwürdig ist es, daſs
sie insgesammt zur Classe der hirnlosen Früchte
gehören. Fälle von Doppelköpfen, die bey ei-
nem einfachen Leibe zwey gänzlich von einander
getrennte Köpfe haben, sind sowohl bey dem
Menschen, als bey den übrigen Säugthieren (t).
und vorzüglich bey den Amphibien (u), nicht
selten. So ist im Journal de Medecine vom Jah-
re 1761 eine Beobachtung erzählt, die ein Mäd-
chen betrifft, welches bey zwey Köpfen lauter
einfache Organe der Brust und des Unterleibs
hatte, nur daſs die Luftröhre, die Speiseröhre,
der aufsteigende Ast der Aorta und die beyden
Carotiden für die beyden Köpfe gespalten waren,
und der Rückenwirbel aus zwey Wirbeln bestand.
Es giebt aber unter den zweyköpfigen Miſsge-
burthen noch manche andere Varietäten (v). So
hat Home eine menschliche Frucht beschrieben,
deren Miſsgestalt in zwey Köpfen bestand, von
welchen der obere umgekehrt auf den untern
gesetzt war (w).
Eine andere Classe der zusammengesetzten
Miſsgeburthen enthält diejenigen, die bey einem
ein-
[437] einfachen Kopfe und Rumpfe doppelte Gliedmaa-
ſsen haben. Einer der merkwürdigsten. zu die-
ser Classe gehörigen Fälle ist das von Trombelli
beym Vallisneri(x) beschriebene Kind, an des-
sen Brust die beyden untern Gliedmaaſsen eines
andern Kindes hingen. Ein neueres Beyspiel von
einem, im Jahre 1788 auf dem Fort St. George
lebenden dreyzehnjährigen, gegen 5 Schuh langen,
wohlgebildeten Knaben, an dessen schwerdtför-
migem Knorpel des Brustbeins eine Hüfte mit
einer untern Extremität hing, ist in den philo-
sophischen Transactionen vom Jahre 1789 (y) er-
zählt (z). In andern Fällen waren drey Füſse,
vier Hände, drey Schenkel, oder vier Arme vor-
handen (a). Doch kommen dergleichen Beyspie-
le häufiger bey den übrigen Säugthieren, als bey
dem Menschen vor. Haller(b) hat viele Fälle
dieser Art von Hunden, Katzen, Schaafen, Zie-
gen, Ochsen, Pferden, Hasen und Vögeln ge-
sammelt.
Von
E e 3
[438]
Von Miſsgeburthen mit einem einfachen
Kopfe, aber mit einem doppelten Rumpfe und
überzähligen Gliedmaaſsen, giebt es sehr viele
Beyspiele sowohl bey dem Menschen, als bey
den übrigen Säugthieren. Doch sind darunter
wenige, bey welchen sich nicht auch an dem
Kopfe eine Spuhr von Duplicität gefunden hätte.
Von den Organen der Brust und des Bauchs wa-
ren einige einfach, andere doppelt (c). So zer-
gliederte Michael Heyland(d) im siebenzehnten
Jahrhundert ein Kind, welches vier Hände und
vier Füſse, aber nur ein einziges Gesicht hatte.
Der Kopf war sehr groſs. Zwey Ohren befan-
den sich an der gewöhnlichen Stelle, zwey an-
dere, die nahe zusammenlagen, am Hinterkopfe.
Ueber diesen lag ein Auge mit zwey Augenlie-
dern. Drey andere wohlgebildete Augen saſsen
am Vorderkopfe. Der Hinterkopf, die Schleim-
drüse (glandula pituitaria), das Rückenmark, die
Rückenwirbel, die Rippen, das Brustbein, das
Herz und die groſsen Gefäſse des Herzens, die
Lungen, das Zäpfchen, der Kehlkopf, die Spei-
seröhre, die Thymus, die Leber, die Gallenbla-
se, die Nabelgefäſse, die Milz, und die weibli-
che Schaam, von welcher sich aber nur geringe
Spuhren fanden, waren doppelt. Einfach war
hin-
[439] hingegen das Riechbein (os ethmoides), der Ober-
und Unterkiefer, die Brusthöhle, der Magen und
das Pancreas. Der Darmcanal war sehr kurz,
und allenthalben fast von einerley Struktur. Auf
der einen Seite lagen zwey Nieren, deren Harn-
gänge in einen, der Blase analogen Körper über-
gingen; auf der andern Seite befand sich nur
Eine Niere mit einem Harngang, der sich in
eine verschlossene Höhlung endigte. Nur der
eine Körper hatte ein Zwerchfell, und der an-
dere etwas, einer Gebährmutter Aehnliches.
Der Brustwirbel waren auf der einen Seite eilf,
auf der andern zwölf. Die Beckenknochen wa-
ren unvollkommen.
Die letzte Classe der Miſsgeburthen enthält
endlich diejenigen, deren ganzer Körper doppelt
ist. Auch in dieser Classe finden sich fast alle
ersinnliche Varietäten. Einige haben bis zum
Nabel zwey von einander gänzlich getrennte Kör-
per. Hier aber fliessen sie zu einem einzigen
Körper zusammen. Solche Miſsgeburthen haben
doppelte Eingeweide der Brust und des Unter-
leibs, aber nur zwey Nieren, nur schwache
Spuhren von einem After, gar keine Blase und
keine Zeugungstheile. Bey andern Miſsgebur-
then dieser Classe sind beyde Körper mit den
Beckenknochen unter einander verbunden. Eine
solche Miſsgeburth zergliederte Duverney, des-
E e 4sen
[440] sen Beschreibung unten folgen wird (e). Andere
nähern sich den schon oben erwähnten Körpern,
die einen doppelten Kopf haben, deren übrige
Körper aber von der Brust an zu einem einzigen
vereinigt sind. Manche von diesen hatten zwey
Köpfe, zwey Füſse, und zwey Arme, oder auch
nur Spuhren von Armen; andere hatten ebenfalls
zwey Köpfe und zwey Füſse, aber drey oder
vier Arme, von welchen oft zwey unter einan-
der verwachsen waren; noch andere besaſsen
zwey Arme und drey Füſse, von welchen letz-
tern einer aus der Vereinigung zweyer anderer ent-
standen zu seyn schien, oder von welchen der
eine sechs bis zehn Zehen hatte. Eine, von
Tulpius(f) beschriebene Miſsgeburth hatte einen
einfachen Rumpf, zwey Köpfe, drey Arme, vier
Hände und drey Beine. Die Lungen, das Herz,
das Zwerchfell, der Magen, die Leber, Gebährmut-
ter, und Harnblase sind bey diesen Miſsgebur-
then bald einfach, bald doppelt; Nieren sind
bald zwey, bald drey und bald vier vorhanden;
der Mastdarm ist aber gewöhnlich einfach (g).
Oft sind einige Eingeweide zwar einfach, aber
in einzelnen Stücken findet doch an denselben
eine
[441] eine Duplicität statt. So erwähnt Lemery(h)
einer zweyköpfigen Miſsgeburth, deren Zwerch-
fell zwar einfach war, aber zwey sehnichte Mit-
telpunkte (centra nervosa) hatte. Endlich giebt
es Miſsgeburthen, die aus zwey vollständigen,
nur an einer einzigen Stelle verwachsenen Kör-
pern bestehen. Meist findet die Verwachsung an
der Brust und der Oberbauchsgegend statt, und
gewöhnlich sind dergleichen Früchte weiblichen
Geschlechts. Alle zum Kopfe, Halse, der Ge-
gend des Unterleibs und den Extremitäten gehö-
rige Theile sind bey diesen immer doppelt; von
denen, welche zur Brust und zur Oberbauchs-
gegend gehören, sind aber einige oft einfach,
und zwar ist dies immer mit dem Nabel, und
meist auch mit der Leber, dem Zwerchfelle,
dem Herzen und dem Herzbeutel der Fall. Die-
se Miſsgeburthen sind unter denen, welche dop-
pelte Organe haben, die häufigsten. Unter 165
Fällen von monströsen Früchten gehörten 64 zu
denen, welche doppelte Köpfe, Arme und Beine
haben; 44 hatten ebenfalls doppelte Köpfe, aber
ein gemeinschaftliches Becken, und an 38 waren
blos überzählige Gliedmaaſsen zugegen (i). In
sel-
E e 5
[442] seltenern Fällen fand die Verwachsung der beyden
Körper auch an der Stirne, an den Hintern,
oder an den Hinterköpfen und Rücken statt (k).
Soviel von den mannichfaltigen Arten der
Miſsgeburthen. Folgende Sätze sind es nun,
worauf sich unsere obige Behauptung gründet,
daſs die ganze lebende Natur sich auf ähnliche
Art aus wenigen einfachen Grundformen ent-
wickelt hat, wie in jetzigen Zeiten Miſsbildungen
entstehen.
Erster Satz. Mehrere ganz verschiedene
Ursachen können Miſsbildungen hervorbrin-
gen. Einige Miſsgeburthen rühren von zu-
fälligen Einwirkungen, die erst nach der
Empfängniſs eintreten, und namentlich von
mechanischen Ursachen, her; andere aber,
die ich mit dem Namen der ursprüngli-
chen bezeichnen werde, entstehen aus einer
krankhaften Beschaffenheit des männlichen
oder weiblichen Zeugungsstoffs, die schon
vor der Empfängniſs statt findet(l).
Für
[443]
Für das Entstehen mancher Miſsgeburthen
aus zufälligen mechanischen Ursachen sprechen
erstens die Fälle von doppelten Miſsgeburthen,
welche nur an einer einzigen Stelle, z. B. an der
Stirne, leicht verwachsen waren. Man würde
aus der Ferne hohlen, was in der Nähe zu fin-
den ist, wenn man eine andere, als mechanische
Entstehung dieser Miſsbildungen annehmen woll-
te. Daſs aber verschiedene lebende Individuen
mit einander verwachsen können, erhellet nicht
nur aus der Analogie der Pflanzen, bey welchen
sich ganz verschiedenartige Zweige und Früch-
te häufig mit einander vereinigen (m), son-
dern auch aus Erfahrungen von Tagliacotius
und Hunter, nach welchen wund gemachte
Theile von Menschen und Thieren mit Organen
von andern, nicht nur gleichartigen, sondern
auch ungleichartigen Thieren zusammenwachsen.
Ist also eine solche Vereinigung noch bey ausge-
bildeten Organismen möglich, um wie viel leich-
ter wird sie bey Embryonen, die zufällig mit
einander in Berührung kommen, in der ersten
Zeit des Entstehens derselben seyn, wo diese
noch halbflüssige, leicht in einander flieſsende
Mas-
(l)
[444] Massen sind! Und können auf diese Art doppelte
Miſsgeburthen entstehen, bey welchen die Ver-
wachsung der beyden Körper nur oberflächig ist,
warum sollten denn nicht manche von denen,
die inniger mit einander verbunden sind, eben-
falls einen ähnlichen Ursprung haben? In der
That lassen sich auch die Abweichungen vom re-
gelmäſsigen Bau, die man in der innern Organi-
sation solcher enger verbundenen Miſsgeburthen
mit doppelten Körpern wahrnimmt, aus dem
Drucke, den beyde Körper auf einander ausübten,
zum Theil wenigstens, befriedigend erklären, wie
Lemery(n) an einer von ihm beschriebenen
Frucht, bey welcher die untere Hälfte des Kör-
pers einfach, die obere doppelt war, gezeigt hat,
und bey manchen Miſsgeburthen mit doppelten
Köpfen kann man sich kaum enthalten, nicht an
eine mechanische Ursache zu denken, welche die
Körper derselben an einander gepreſst hat (o).
Hierzu kömmt noch, daſs man bey einigen zwey-
leibigen Miſsgeburthen an der Stelle, wo beyde
Kör-
[445] Körper in einander übergehen, eine Narbe, folg-
lich einen Beweis für die ursprüngliche Trennung
beyder Körper findet (p). Es ist freylich wahr,
bey allen solchen Früchten fehlen manche Organe,
wovon doch, wenn beyde Körper erst nach der
Empfängniſs mit einander verwachsen sind, die
Anlage vorhanden gewesen seyn muſs. Allein
dieser Umstand läſst sich ebenfalls aus dem Druck
erklären, den der eine Körper von dem andern
erlitten hat. Aehnliche Erfahrungen sind von
mehrern Beobachtern an Zwillingen gemacht. Un-
ter andern sahe Haller(q) einen Fötus, der von
dem andern vollständigen Zwilling bis zur Dün-
ne des Löschpapiers zusammengedrückt war. An
manchen Miſsgeburthen, die aus zwey Leibern
bestehen, findet man auch noch Ueberbleibsel der
Organe, die bey der Vereinigung beyder Kör-
per zerstöhrt, oder an ihrer Ausbildung gehin-
dert sind (r).
So wahrscheinlich es aber nach allen diesen
Gründen ist, daſs manche Miſsgeburthen, und
namentlich manche zweyleibige Früchte, erst
nach der Empfängniſs entstanden sind, so ge-
wiſs ist es auch, daſs nicht alle Miſsbildungen
aus dieser Ursache abgeleitet werden können,
son-
[446] sondern daſs viele in der ursprünglichen Beschaf-
fenheit des männlichen oder weiblichen Zeugungs-
stoffs ihren Grund haben. Wer kann die Fälle,
wo alle Organe, die sonst in der rechten Seite
liegen, in der linken gefunden wurden, und um-
gekehrt, für etwas anders als ursprüngliche Miſs-
bildungen halten? Hier scheitern alle mechani-
sche Erscheinungen (s), und eben so unzurei-
chend sind diese in allen den Fällen, wo der
übrige Körper wohlgebildet war, aber groſse Ab-
weichungen vom regelmäſsigen Bau in der Ver-
theilung gröſserer Gefäſse, oder in der Struktur
einzelner Muskeln statt fanden, wo einzelne Or-
gane, z. B. die Finger, überzählig waren, wo
sich bey Menschen ein doppelter Uterus fand (t),
oder wo beyderley Geschlechtstheile in Einem In-
dividuum bey Thieren vorhanden waren, die
sonst getrennten Geschlechts sind. Wer solche
überzählige oder fremdartige Organe, die mit
dem in allen übrigen Stücken regelmäſsig geform-
ten Organismus, woran sie sich finden, aufs
innigste vereinigt sind, für Ueberbleibsel eines
andern Foetus hält, der bis auf diese Theile gänz-
lich zerstöhrt ist, behauptet etwas, wovon sich,
wie Mairan(u) gezeigt hat, die Unwahrschein-
lichkeit mathematisch beweisen läſst.
Doch
[447]
Doch auch bey manchen von solchen Miſs-
geburthen, deren Entstehung sich dem Anscheine
nach mechanisch erklären läſst, zeigt sich bey
genauerer Untersuchung diese Erklärungsart als
ganz unzureichend. So verhält es sich mit den
hirnlosen Früchten. Haller und Sandifort
leiten den Ursprung derselben von einer äussern
Gewalt her, die auf den Embryo im Mutter-
leibe wirkte. Aber mit Recht hat Sömmering(v)
bemerkt, daſs die groſse Menge jener Miſsge-
burthen und die Beständigkeit im Baue dersel-
ben mit dieser Meinung schwer zu vereinigen
ist.
Einen andern, noch wichtigern Grund für
die Existenz ursprünglicher Deformitäten geben
die Bastarde der Thiere und Pflanzen. Diese
sind den Miſsgeburthen sehr nahe verwandt.
Sie entstehen aus der Ungleichartigkeit des männ-
lichen und weiblichen Saamens. Man hat also
eine wichtige Analogie für sich, wenn man aus
einer ähnlichen Ursache auch den Ursprung man-
cher Miſsbildungen erklärt.
Man hat ferner Beyspiele von Miſsgebur-
then einer und derselben Art, die von mehrern
Personen aus Einer Familie, oder von Einer
Mut-
[448] Mutter bey mehrern Geburthen zur Welt ge-
bracht wurden. So entband Narf eine Frau
von einem monströsen Kinde mit zwey neben
einander stehenden Köpfen, dessen Groſsmutter
väterlicher Seite ebenfalls eine zweyköpfige Frucht
gebohren hatte (w); und so hat Flachsland(x)
drey Miſsgeburthen beschrieben, die einander
ganz ähnlich waren, indem bey allen die Verun-
staltung im Mangel der Vorderarme und Unter-
schenkel bestand, so daſs die Hände und Fü-
ſse mit den Oberarmen und Schenkeln unmittel-
bar zusammenhingen, und welche in drey nach
einander folgenden Jahren von der nehmlichen
Mutter gebohren wurden. Zu diesen Miſsgebur-
then muſs doch ohnstreitig der Grund schon vor
der Befruchtung vorhanden gewesen seyn.
Was aber endlich allen Zweifel an der Reali-
tät ursprünglicher Miſsbildungen hebt, ist die
Verwandtschaft der Miſsbildungen und Degenera-
tionen, und die Erblichkeit mancher Deformitä-
ten. Aehnliche Miſsbildungen nehmlich, wie in
einzelnen ungewöhnlichen Fällen durch unbekann-
te zufällige Ursachen hervorgebracht werden, ent-
stehen oft auch durch den Einfluſs allgemein
verbreiteter Ursachen, z. B. des Climas, also
durch
[449] durch Degeneration; und wie Degenerationen, so
sind auch Miſsbildungen zuweilen erblich. Hal-
ler(y) erwähnt eines Ochsen, dessen Hufen nach
vorne in lange Fortsätze ausgewachsen waren.
Hier waren diese Auswüchse Miſsbildung. Aber
die Schweine, die im Jahre 1509 von den Spa-
niern nach der Westindischen Insel Cubagna ge-
bracht wurden, bekamen dort ebenfalls Klauen,
die auf eine halbe Spanne lang waren, wie schon
oben im 2ten Buche (z) erzählt ist. Hier war
diese Abweichung von der ursprünglichen Bildung
Degeneration, und was bey jenem Ochsen von
einer zufälligen Ursache herrührte, wurde bey
diesen Schweinen durch den allgemeinen Einfluſs
des Climas oder der Nahrungsmittel hervorge-
bracht, der doch nicht erst nach der Empfängniſs
eintreten konnte, sondern jenen Ursachen der
Miſsbildung, die wir ursprüngliche genannt ha-
ben, ganz analog war. So kommen auch in Eu-
ropa wiederkäuende Thiere mit mehr als zwey
Hörnern so selten vor, daſs sie hier zu den De-
formitäten gehören. Hingegen sind in Siberien
unter den Kirgisischen Böcken Individuen mit
vier, fünf und sechs Hörnern, so wie unter den
Saiga-Antilopen Individuen mit Einem Horne,
wel-
III. Bd. F f
[450] welches auf der Mitte der Stirne sitzt, oder mit
drey Hörnern, so häufig, daſs sich hier diese
Abweichungen vom sonstigen Bau fast als Dege-
nerationen betrachten lassen (a). Aber vorzüg-
lich zeigen sich ähnliche Erscheinungen an der
Gröſse des ganzen Körpers und an der Beschaf-
fenheit des Haars. In einzelnen seltenen Fällen
entstehen durch zufällige Ursachen Thiere, die
ihre Stammeltern an Gröſse weit übertreffen.
Was in diesen Fällen Miſsbildung ist, wurde bey
den Europäischen Schweinen, die von den Spa-
niern nach Cuba gebracht waren, Degeneration.
Die Abkömmlinge derselben wurden auf dieser
Insel alle mehr als noch einmal so groſs, wie
ihre Europäischen Vorfahren (b). Behaarte Thie-
re werfen zuweilen ein unbehaartes Junges. Aber
unter den Hunden giebt es eine ganze unbehaarte
Raçe, nehmlich die der Türkischen Hunde.
Von der Erblichkeit der Deformitäten giebt
es eine Menge Beyspiele bey dem Menschen und
dessen Hausthieren. Ja, es sind sehr viele Fälle
vorhanden, wo nicht nur angebohrne Verunstal-
tungen, sondern selbst zufällige, erst lange nach
der Geburth entstandene Verstümmelungen auf
die Nachkommen übergingen. Man findet häufig
En-
[451] Enten, Gänse, Hühner und Canarienvögel, wel-
che Federbüsche tragen. Begatten sich Männchen
und Weibchen, die beyde mit diesem Schmuck
versehen sind, unter einander, so geht derselbe
nicht nur auf die Jungen über, sondern er nimmt
bey den folgenden Generationen zu, und artet
endlich in eine wirkliche Krankheit aus. Erst
nehmlich entsteht unter der Kopfhaut eine schwie-
lichte Masse, welche den Scheitel nach aussen
hervorragend macht. Dann schwellen die Schei-
telbeine an, werden löchericht, und bilden eine
halbkugelförmige Erhabenheit, welche mit Hirn-
masse ausgefüllt wird. Die Vögel, die an dieser
Deformität leiden, sind stupide, und erreichen
kein hohes Alter (c). — Nach Clayton’s Erzäh-
lung verlohren die Hühner, die von den Eu-
ropäern nach Virginien gebracht waren, die
Schwanzfedern, und dieser Mangel pflanzte sich
auf die Nachkommen derselben fort (d). — Pal-
las(e) hat eine Abbildung von dem Kopfe eines
Bocks geliefert, bey welchem der cartilaginöse
Theil der Nase niederwärts gebogen war, und
der knöcherne Theil über dieser einen Höcker
bildete. Er versichert zugleich, daſs diese Ver-
unstaltung erblich geworden sey — Schulz, der
Ver-
F f 2
[452] Verfasser der Bemerkungen über einen monströ-
sen Canarienvogel, hatte eine Spanische Hündin,
die von Natur ohne Schwanz war. So oft diese
mehr als Einen Jungen warf, hatte unter densel-
ben höchstens einer einen vollkommenen, die
meisten aber einen um die Hälfte oder noch wei-
ter abgekürzten, und wenigstens einer gar kei-
nen Schwanz — Digby, Highmore, Buffon,
Mash und Forster haben Beyspiele von Hunden
und Pferden erzählt, denen die Schwänze und
Ohren abgekürzt waren, und welche diesen Man-
gel ganz oder doch zum Theil auf ihre Nach-
kommen forterbten (f). Von der Erblichkeit je-
ner Art von Deformität, wo sechs Finger an
jeder Hand sind, führt schon Plinius(g) ein
Beyspiel an. In neuern Zeiten sind mehrere ähn-
liche Fälle beobachtet worden (h). Unter andern
erwähnt Blumenbach(i) eines Officiers, dem in
seiner Jugend der kleine Finger der rechten Hand
zerhauen und krumm geheilet worden war, und
dessen sämmtliche Kinder ebenfalls den kleinen
Finger der rechten Hand krummstehend auf die
Welt
[453] Welt brachten. — Daſs in allen diesen Fällen,
und besonders in denen, wo die Verunstaltung
vom Vater auf die Kinder überging, die Ursa-
che der fortgepflanzten Miſsbildung zu den ur-
sprunglichen gehörte, bedarf keiner weitern Aus-
einandersetzung.
Zweyter Satz. Alle Miſsgeburthen sind
im Innern so zweckmäſsig organisirt, wie es
der Grad der äussern Deformität nur immer
zuläſst; bey allen zeigt sich ein Bestreben
der bildenden Kräfte, auch unter den un-
günstigsten Umständen, einen möglichst voll-
kommenen Organismus hervorzubringen.
Als Belege zu diesem Satze mögen die von
Duverney(k) und Kulmus(l) beschriebenen
Miſsgeburthen dienen.
Duverney’s Miſsgeburth bestand aus zwey
Knaben, die in den Becken mit einander verei-
nigt waren, welche aber dennoch vollständige
untere Gliedmaaſsen, und einen so wenig als
möglich beschränkten Gebrauch dieser Organe
hatten. Wie würde ein menschlicher Künstler,
der die Natur lebendig nachzuahmen vermögte,
und
F f 3
[454] und eine ähnliche Vereinigung zu bilden sich
vorgesetzt hätte, hierbey verfahren? Man denke
nach über diese Frage, beantworte sie, wenn
man kann, und lese folgende Beschreibung, und
man wird eingestehen, daſs auch miſsgestaltete
Werke der Natur erhabener sind über alle Men-
schenwerke, wie die höchsten Ideale der Kunst
über das Schnitzwerk und die Mahlerey tändeln-
der Knaben.
Die beyden Kinder, woraus die erwähnte
Miſsgeburth bestand, waren bis zur Nabelgegend
vollkommen wohl gebildet. Hier aber fing die
Abweichung vom natürlichen Baue an. Die bey-
den Schaambeine jedes Kindes hingen nicht, wie
gewöhnlich, unmittelbar unter einander durch
einen Knorpel zusammen, sondern das rechte
Schaambein des einen war mit dem linken des
andern, und das linke des letztern mit dem rech-
ten des erstern durch ein kurzes, sehr starkes,
aber auch sehr biegsames Ligament verbunden,
und diese Knochen bildeten mit den Darm-,
Sitz- und Kreutzbeinen beyder Individuen ein
einziges gemeinschaftliches Becken, welches, ver-
mittelst der erwähnten Ligamente, in der Mitte
dergestalt artikulirt war, daſs die dem einen
Kinde gehörige Hälfte desselben sich um die an-
dere Hälfte bis auf einen gewissen Punkt bewe-
gen konnte. Festigkeit erhielt dieses Becken
durch
[455] durch ein anderes, sehr starkes und dickes Band,
welches von der einen Seite zur andern ging,
und an dem untern Rande der Schaambeingelen-
ke befestigt war. Bey dieser Struktur nun war
es möglich, daſs jener Vereinigung der beyden
Früchte ohngeachtet, die nicht nur alle Bewe-
gung der untern Hälften ihrer Körper zu ver-
hindern, sondern auch keinen Raum für die un-
tern Gliedmaaſsen übrig zu lassen schien, diese
dennoch eine schickliche Stelle und einen be-
trächtlichen Grad von Bewegung erhalten konn-
ten. Vermittelst des erwähnten Beckengelenks
konnten beyde Kinder nicht nur die Obertheile
ihrer Körper nach allen Richtungen bewegen,
sondern auch einigermaaſsen, sowohl einzeln, als
gemeinschaftlich, fortschreiten.
Durch dieses gemeinschaftliche Becken wur-
de aber eine, vom Gewöhnlichen völlig abwei-
chende Struktur der Eingeweide des Unterleibs
nothwendig gemacht. Die geraden Bauchmus-
keln, die hier nicht ihre gewöhnliche Richtung
vom Brustbeine zu den Schaambeinen nehmen
konnten, theilten sich bey jedem der Zwillinge
in der Mitte des Bauchs, und gingen seitwärts
zu den Schaambeinen. Hierdurch entstand zwi-
schen ihnen ein leerer Raum, der durch die
Aponeurosen der übrigen Bauchmuskeln ausge-
füllt war, und in dessen Mitte sich der gemein-
F f 4schaft-
[456] schaftliche Nabel befand. Das Innere der Ober-
theile beyder Körper war, gleich dem Aeussern
derselben, und namentlich der Darmcanal bis
zum Colon, natürlich gebildet. Das Colon aber
war beyden gemeinschaftlich, und endigte sich
in einen zweyten gemeinschaftlichen Darm, der
zu beyden Seiten mit einem blinden Anhange ver-
sehen war. Der letztere ging in einen Behälter
über, welcher sich darin mit der Cloaca der Vö-
gel vergleichen lieſs, daſs sich in ihn auch die
Harngänge und die Ausleerungsgefäſse des Saa-
mens öffneten, aber darin von dieser abwich,
daſs kein After vorhanden war, sondern daſs aus
ihm zwey Harnröhren zu den beyden männlichen
Gliedern gingen, die zwischen den Hintern der
Zwillinge an der Stelle des Afters nach hinten
gerichtet lagen. Der dünne Theil des Darmca-
nals hatte bey jedem Kinde sein eigenes Gekröse.
Aber an dem gemeinschaftlichen Darm war auf
beyden Seiten der Länge nach eine Fortsetzung
des Gekröses jedes einzelnen Kindes befestigt,
die ihre Blutgefäſse von beyden Zwillingen er-
hielt. Diese Gefäſse entsprangen sowohl aus der
obern, als der untern Gekrösarterie, und die
Vene jenes gemeinschaftlichen Gekröses entleerte
sich in die Hohlader unter den Nierenvenen.
Die andere erwähnte Miſsgeburth, welche
von Kulmus beschrieben ist, bestand aus weib-
lichen
[457] lichen Zwillingen, die von der Mitte der Brust
bis zur Nabelgegend verbunden waren. Alles
war an diesen Kindern natürlich, bis auf das
Brustbein, die Muskeln, die am Brustbeine befe-
stigt sind, das Herz, das Zwerchfell und die Le-
ber. Diese Organe waren einfach, und gehörten
beyden Kindern zugleich an. Aber wie konnte
Ein Herz den Blutgefäſsen zweyer Körper zum
Ursprunge dienen? Man höre, durch welche
Struktur die Natur dieses Problem gelöset hatte.
Jenes Herz hatte zwey Scheidewände, eine
auf der rechten und eine auf der linken Seite,
mithin drey Ventrikel. Der mittlere von diesen
stand durch eine weite Oeffnung, die sich in der
linken Scheidewand befand, mit dem linken Ven-
trikel in Verbindung; die rechte Scheidewand
aber war undurchbohrt. Jeder Körper hatte sei-
ne eigene Aorta, Hohlvene, Lungenarterie und
Lungenvene. In dem rechten Ventrikel fanden
sich zwey Oeffnungen; die eine diente zur Auf-
nahme der rechten Hohlvene, und aus der an-
dern entsprang die rechte Lungenarterie. Der
mittlere Ventrikel hatte, ausser der schon er-
wähnten Oeffnung, wodurch er mit dem linken
Ventrikel in Verbindung stand, noch vier andere:
eine, woraus die rechte Aorta entsprang; eine
zweyte, worin sich die rechte Hohlvene inserirte,
die auch, wie schon bemerkt ist, in den rech-
F f 5ten
[458] ten Ventrikel überging; eine dritte, welche der
linken Hohlvene angehörte, und eine vierte,
woraus die linke Aorta enstand. Aus dem drit-
ten Ventrikel ging blos die linke Lungenarterie
hervor. Die beyden Lungenarterien waren mit
den beyden Aorten durch arteriöse Canäle ver-
bunden. Vier Aurikeln, zwey obere und zwey
untere, dienten zur Aufnahme des Bluts der Lun-
genvenen. Die beyden obern waren unmittelbar
mit diesen Blutadern, und durch zwey andere
Oeffnungen mit den beyden untern Aurikeln ver-
bunden; die letztern aber standen durch einen
weiten Canal mit einander in Verbindung, und
öffneten sich auf eine, von Kulmus nicht näher
beschriebene Art in die Hohladern. So fanden
hier Zugänge aus allen Organen beyder Körper
durch die Lungenvenen und Hohladern zum Her-
zen, und aus diesem durch die Lungenarterien
und Aorten zu allen Organen statt.
Aber die Natur ist unerschöpflich an Hülfs-
mitteln. Auf eine noch andere Art, als bey der
eben erwähnten Miſsgeburth, hatte sie das Pro-
blem, zwey Körper aus Einem Herzen mit Blut-
gefäſsen zu versehen, bey einer von Haller(m)
beschriebenen Miſsgeburth, welche der von Kul-
mus geschilderten im Aeussern völlig ähnlich war,
auf
[459] auf einem noch andern Wege bey Mulebancher’s
vereinigten Zwillingen (n), auf eine dritte Art
bey der Miſsgeburth des Mazzuchilli(o), und
so überhaupt fast immer auf eine neue Art bey
jedem Paare in der Brust unter einander verwach-
sener Körper gelöset. Doch der Raum verbietet
uns, dies hier umständlicher zu zeigen.
Dritter Satz. Die Miſsgeburthen bilden
unter sich ein ähnliches System, wie die re-
gelmäſsig geformten Körper der lebenden Na-
tur. Wie diese, so machen auch jene keine
einfache Stufenleiter aus, sondern jede Art
ist mit mehrern ganz verschiedenen Arten
nahe verwandt.
Man nehme irgend eine Deformität eines ein-
zelnen, und selbst des wichtigsten Organs, z. B.
diejenige, wo zwey Köpfe vorhanden sind, und
vergleiche die Körper unter einander, woran sich
diese Miſsbildung findet; es wird sich dann zei-
gen, daſs mit dieser Abweichung vom regelmäſsi-
gen Bau die verschiedensten Deformitäten ande-
rer Organe verbunden seyn können. Es gab
Miſsgeburthen, die zwey Köpfe und zwey Füſse
hatten; andere hatten zwey Köpfe und drey Fü-
ſse, und noch andere zwey Köpfe und vier Fü-
ſse.
[460] ſse. Eben so verschieden war bey den Doppelt-
köpfen die Zahl der obern Extremitäten, und oft
waren auch von diesen nur einzelne Knochen
vorbanden. Und selbst unter den Eingeweiden
der Brust und des Unterleibs ist keines, welches
nicht bey jener Art von Miſsgeburthen in
der Zahl und Struktur variirt hätte. Sogar das
wichtigste dieser Organe, das Herz, war bald
einfach, bald doppelt, und bald auf diese, bald
auf jene Art gebildet. So können mit der Dupli-
cität des Kopfs die mannichfaltigsten Miſsbildun-
gen des übrigen Körpers verbunden seyn; und
eben so verhält es sich auch mit den verschiede-
nen Formen einzelner Organe, die wir bey den
verschiedenen Gattungen der lebenden Körper
antreffen. Auch unter diesen ist keine, welche
mit einer bestimmten Form des übrigen Organis-
mus in nothwendiger Verbindung stände; und
daher rührt es, daſs jede Art mit mehrern ganz
verschiedenen Arten in naher Verwandtschaft steht,
und daſs keine einfache Gradation unter jenen
Körpern statt findet, wie im sechsten Abschnitt
des ersten Buchs dieses Werks umständlicher ge-
zeigt ist (p).
Diese Sätze sind es, worauf sich unsere obige
Behauptung gründet, daſs die mannichfaltigen
Formen der lebenden Natur aus wenigen einfa-
chen
[461] chen Urformen durch den ewigen Kreislauf von
Veränderungen, in welchem das Universum be-
griffen ist, entwickelt sind. Wir haben nehm-
lich erstens gesehen, daſs bey zufälligen, und
selbst mechanischen Ursachen, die nach der Em-
pfängniſs auf den Keim wirken, und die regel-
mäſsige Ausbildung desselben verhindern, dieser
dennoch eine, den Verhältnissen, worin er sich
befindet, so angemessene Gestalt, wie möglich,
annimmt. Um wie viel mehr wird dies also
der Fall seyn, wenn jene Ursachen nicht zufäl-
lig, sondern Resultate der Organisation des Uni-
versums sind! Ursachen aber, die in der Orga-
nisation des Weltalls gegründet sind, wirken
nicht, wie die zufälligen, wodurch Miſssbildun-
gen entstehen, blos vorübergehend, sondern
durch ganze Reihen von Generationen. Sie ha-
ben also schon vor der Empfängniſs Einfluſs auf
den Zeugungsstoff. Wenn folglich diese Ursa-
chen in der That denen analog sind, durch wel-
che Deformitäten hervorgebracht werden, so muſs
es auch Ursachen der Miſsgeburthen geben, die
schon vor der Empfängniſs wirksam sind. Daſs
es aber solche Ursachen giebt, ist ebenfalls oben
bewiesen worden. Ferner, wenn die lebende
Natur auf ähnliche Art entstanden ist, wie Miſs-
geburthen erzeugt werden, so müssen diese un-
ter sich ein ähnliches System, wie die regelmä-
ſsig gebildeten Körper der lebenden Welt, aus-
ma-
[462] machen; und daſs auch dies der Fall ist, wurde
in dem dritten obigen Satze gezeigt. So spricht
die Analogie der Miſsbildungen für unsere Mei-
nung von dem Entstehen der jetzigen lebenden
Natur, und wir beschliessen diesen Abschnitt in
der Ueberzeugung, eines der schwürigsten Pro-
bleme der Biologie gelöset zu haben.
Zwey-
[463]
Zweyter Abschnitt.
Wachsthum und Abnahme der leben-
den Körper.
§. 1.
Die erste Lebenserscheinung, die wir an dem
neu erzeugten Individuum wahrnehmen, ist das
Wachsthum. Versteht man indeſs unter dieser
Benennung jede Vergröſserung des Volumens über-
haupt, so hat der lebende Organismus hierin
nichts vor der todten Natur voraus, als das Ver-
mögen, bey ungleichförmigen äussern Einwirkun-
gen dennoch gleichförmig sein Volumen zu ver-
gröſsern, und so kann uns die Erfahrung hier-
über nichts sagen, was sich nicht schon zum
voraus wissen liesse. Aber wir treffen bey dem
Wachsthume der lebenden Körper noch andere
Eigenthümlichkeiten an, die der todten Natur
fehlen, und diese sind es, die hier eine nähere
Untersuchung verdienen.
§. 2.
Jeder leblose Körper wächst, so lan-
ge die Quelle seines Bildungsstoffs
nicht
[464]nicht versiegt; aber jedem lebenden
Organismus ist eine Gränze gesetzt, die
er bey seinem Wachsthume nicht über-
schreiten kann, wenn ihm auch der
Nahrungsstoff immer in gleicher Menge
zuflieſst.
Gebt dem Dianenbaume und andern metalli-
schen Vegetationen unaufhörlich neue Nahrung,
und sie wachsen bis ins Unendliche. Aber selbst
der fruchtbarste Boden verschafft dem Grashal-
me, und die nahrhafteste Speise dem Menschen
nicht die Gröſse der Eiche.
Indeſs ist jenes Ziel des Wachsthums bey
den verschiedenen Arten der lebenden Organis-
men sehr verschieden. Die meisten Thiere er-
reichen es lange vor ihrem Ende. Hingegen die
Grocodile, manche Wasserschlangen und Fische (a),
so wie unter den Pflanzen die Adansonia digi-
tata (b), der Ceiba (Bombax L.) (c), die Eiche
und die Ceder des Libanons (d) nehmen bis zu
ihrem Tode immer fort an Gröſse zu.
§. 3.
[465]
§. 3.
Weder das Volumen des ganzen le-
benden Organismus, noch das seiner
einzelnen Organe, nimmt in gleichen
Zeiten um gleiche Theile zu.
Je näher der Mensch seinem Ursprunge ist,
desto schneller vergröſsert sich sein Volumen.
Doch leidet auch dieser Satz Ausnahmen. Im
zweyten Monat wächst der Embryo langsamer,
als im dritten; im Anfange des vierten wieder
etwas langsamer; von der Mitte des vierten bis
zum sechsten wieder stärker, und von dieser Zeit
an bis zum neunten wieder etwas langsamer (e).
Unter den einzelnen Organen wächst der
Schädel in den neun Monaten vor der Geburth
mehr, als in den zwanzig folgenden Jahren (f).
Die
III. Bd. G g
[466]
Die Schirmpalme nimmt in den vier letzten Mo-
naten vor ihrer Blüthe 45mal mehr an Gröſse zu,
als in den gleichen Zeiträumen der vorhergehen-
den 35 Jahre.
§. 4.
Die verschiedenen Organe des leben-
den Körpers entstehen nicht gleichzei-
tig, sondern nach einander.
Bey dem Embryo des Menschen sieht man
um die dritte Woche einen zwey Drittel des
ganzen Körpers groſsen Kopf, und die Extre-
mitäten als kaum bemerkbare Punkte (g). Ge-
gen die sechste Woche zeigt sich das Nabelbläs-
chen (h). Kurz nach derselben erscheinen Spuh-
ren vom Munde und von den Augen (i). Nach
der siebenten Woche fängt die Bildung der Na-
se (k), und bald darauf auch die der Ohren,
der Finger, vielleicht auch des Afters und der
äussern Genitalien (l) an. Um die zehnte Woche
zeigen sich an den Ohren der Helix, Tragus,
Antitragus und Antihelix; an den Augen die ge-
schlossenen Augenlieder; an der Nase der Rük-
ken,
[467] ken, die Flügel, und die Scheidewand; am
Munde die Lippen, und an den Genitalien der
Geschlechtsunterschied (m). Um die zwölfte
Woche unterscheidet man am Kopfe die Stirn-,
Scheitel- und Schläfenbeine, die Augapfel, das
Grübchen auf der Mitte der Oberlippe, und die
Ohrmuschel; am Rumpfe den genau vom Kopfe
und von den Schultern begränzten Hals, die
Rippen, den stark hervorstehenden Penis, und
das Scrotum. Die obern Extremitäten haben ihre
Schlüsselbeine, einige durch die Muskeln erha-
bene Stellen, an den Fingern die Gelenke, und
eine Spuhr von den Nägeln. An den untern Ex-
tremitäten unterscheidet man die Hüftknochen,
den groſsen Trochanter, die Gelenkköpfe des
Schenkels, die Kniescheibe, die Knöchel und
am Fuſse die Spuhren der Nägel (n).
Ueber die Zeit des Entstehens, oder viel-
mehr des Sichtbarwerdens der innern Organe des
Menschen und der übrigen Sängthiere fehlt es
noch an hinreichenden Beobachtungen. Cruik-
shank(o) fand bey Kaninchen am dritten Tage
nach der Begattung bey allen das Chorion und
Am-
G g 2
[468] Amnion, und, wie er glaubt, auch bey einigen
die Allantois. Am achten Tage wurden die er-
sten Anfänge der Wirbelbeine, des Rückenmarks
und der Hemisphärien des Gehirns sichtbar, wenn
er einen Tropfen destillirten Weingeist darauf
fallen lieſs. Am neunten Tage zeigte sich der
Nabelstrang, doch noch sehr kurz.
Zahlreichere und genauere Beobachtungen ha-
ben wir über die Zeiten des Sichtbarwerdens der
Eingeweide bey dem bebrüteten Ey der Henne.
Gegen die 7te Stunde zeigt sich in diesem der
Dottersack (p); gegen die zwölfte das Amnion (q);
um die 24te das Gehirn und Rückenmark (r);
um die 31te die figura venosa (s); um die 48te
das Herz (t) und die Aorta (u); um die 70te die
ersten Anfänge der Flügel und Beine (v); um die
72te die Allantois (w); am Anfange des 4ten Ta-
ges die Leber (x); am Ende des 5ten Tages die
Rudi-
[469] Rudimente der Lungen, des Magens, und des
Mastdarms (y); am 6ten Tage die Gallenblase (z),
die Nieren (a) und die dünnen Gedärme (b).
In den befruchteten Eyern des Blei (Cyprinus
Brama) erkennt man am ersten Tage den Dot-
ter (c), das Weisse und zwischen diesen eine
halbmondförmige Stelle. Am 2ten Tage wird
diese Stelle, in welcher von Zeit zu Zeit ein be-
weglicher Punkt erscheint, etwas trübe. Am
3ten Tage erblickt man an diesem Orte eine dich-
tere Masse, die mit dem einen Ende frey ist,
mit dem andern aber im Dotter festsitzt. Am
Ende der letztern Stelle sieht man den Umriſs des
erwähnten Punkts, dessen Bewegung jetzt ver-
doppelt wird. Die angeführte Masse, oder der
Embryo, bewegt sich von Zeit zu Zeit mit dem
freyen Ende, oder Schwanze. Am 4ten Tage
vermehren sich sowohl die Pulsschläge, als auch
die Bewegung des ganzen Körpers. Am 5ten
Tage nimmt man bey gewissen Lagen des Foetus
den
G g 3
[470] den Umlauf der Säfte in den Gefäſsen wahr.
Am 6ten Tage läſst sich der Rückgrath mit den
daran sitzenden Rippen unterscheiden. Am 7ten
erblickt man mit bloſsen Augen zwey schwarze
Punkte im Ey, welche die Augen sind. Jetzt
stellt sich schon der Fisch mit seinem ganzen
Umrisse und die Wirbelsäule mit den Rippen so
deutlich dar, daſs man bey einer stärkern Ver-
gröſserung die Anzahl der letztern bestimmen
kann. Da übrigens die Ausbrütung der Fische
durch die Sonnenwärme geschieht, und diese in
der Laichzeit das Wasser nicht allemal in glei-
chem Grade erwärmt, so geschieht auch die Ent-
wickelung der Eyer nicht immer in einerley Zeit-
raume, und man nimmt daher die angeführten
Erscheinungen bald einen Tag früher, bald spä-
ter wahr (d).
§. 5.
Die Theile des lebenden Organismus
wachsen nicht alle in gleichem Verhält-
nisse. Einige sind schon ausgebildet
und zu ihrer gehörigen Gröſse gelan-
get, indem andere in ihrer Ausbildung
und in der Zunahme ihres Volumens
noch begriffen sind.
Der
[471]
Der Embryo der Säugthiere wächst nicht in
gleichem Verhältnisse mit seiner Hülle. Je klei-
ner jener, desto gröſser dieser; und umge-
kehrt (e).
Bey allen Thieren steht das Wachsthum der
festen Theile mit der Zunahme der flüssigen im
umgekehrten Verhältnisse. Je jünger sie sind,
desto gröſser ist die Masse der letztern, und
desto kleiner das Volumen der erstern. Mit zu-
nehmendem Alter nimmt dieses zu, indem jene
vermindert wird.
Je jünger der Embryo ist, desto gröſser ist
der Kopf (f), desto gröſser das Gehirn (g),
und desto dicker sind die Nerven (h). In ganz
jungen Früchten übertrifft der Kopf den ganzen
übrigen Körper an Gröſse (i).
Ferner erreichen am Kopfe die Augen (k),
die Pyramiden der Schläfenbeine (l), und das
Laby-
4
[472] Labyrinth des Ohrs (m); am Halse die Schild-
drüse (n); in der Brust das Herz (o), die Thy-
mus (p), und die Bronchialdrüsen (q); im Un-
terleibe die Leber (r), das Pancreas, die Ge-
krösdrüsen (s), die Nebennieren (t) und der
wurmförmige Fortsatz des Blinddarms (u) frü-
her, als die übrigen Organe, ihre bestimmte
Gröſse und Bildung.
Langsamer als alle übrige Organe gelangen
hierzu die Genitalien, und beym weiblichen Ge-
schlechte auch die Brüste.
Selbst jeder einzelne Theil beobachtet jenes
obige Gesetz bey seinem Wachsthume. Das äus-
sere Stück des Ringes der Iris bildet sich früher,
als das innere (v). Der Schädel wächst von der
Geburt an bis zum sechsten Jahre mehr nach
dem gröſsten Durchschnitte, als nach dem klei-
nern,
[473] nern, welcher unter der Basis des Schädels von
dem einen Jochfortsatze zum andern über den
Schuppentheil der Schläfenbeine und über die
vordern Seiten der Hinterhauptsbeine bis zur
Pfeilnath geht; hingegen nach dem sechsten Jahre
mehr nach dem letztern, als nach dem erstern.
Ferner wächst in der ersten dieser Perioden die
gröſste Länge des Schädels von hinten nach vorne
mehr, als der gröſste von der einen Seite zur
andern gehende Queerdurchmesser, und in der
zweyten dieser mehr, als jener. Endlich liegt
auch der gröſste horizontale, durch das Stirnbein
gehende Durchschnitt des Schädels bey dem neu-
gebohrnen Kinde fast um einen Zoll höher, als
bey dem Erwachsenen (w).
§. 6.
Einige Organe nehmen sogar wieder
ab, oder verschwinden ganz, indem
das Wachsthum der übrigen noch fort-
dauert; oder mit andern Worten: in
dem Wachsthume einiger Organe findet
ein Antagonismus statt.
Ein solcher Theil ist bey dem menschlichen
Embryo das Nabelbläschen, welches desto mehr
ab-
G g 5
[474] abnimmt, je gröſser dieser wird, und gegen die
Mitte der Schwangerschaft ganz verschwindet (x).
Gegen die Zeit der Geburth schwinden bey die-
sem das obturaculum meatus auditorii (y) und
die membrana pupillaris (z); nach derselben der
ductus venosus und arteriosus, die Nabelgefäſse,
die Eustachische Klappe (a) und die Thymus (b).
Auffallender als bey dem Menschen, den
Säugthieren und Vögeln aber bestätigt sich das
obige Gesetz bey mehrern Amphibien und bey
den meisten Insekten.
Der braune Grasfrosch (Rana temporaria L.)
zeigt sich bald nach seinem Entstehen aus dem
Ey als ein länglichter Wurm mit franzenähnlichen
Anhängen zu beyden Seiten des Kopfs (c). Mit zu-
nehmender Gröſse des Wurms verschwinden diese
Anhänge, und statt derselben erscheinen Augen und
eine
[475] eine Schwanzflosse (d). So wie die Vorderfüſse
erscheinen, fällt der Leib zusammen (e), und so
wie auch die Hinterfüſse hervorwachsen, ver-
schwindet der Schwanz, die Gedärme werden
kürzer, und das Thier bekömmt die Gestalt eines
vollkommenen Frosches (f).
Eine ähnliche, und zum Theil noch auffal-
lendere gleichzeitige Ab- und Zunahme der ver-
schiedenen Organe beym Wachsthume des ganzen
Organismus zeigt sich beym Laubfrosche (g), dem
grünen Wasserfrosche (h), der Kröte (i), der
Pipa (k), und der Rana paradoxa.
Auf eben dem Gesetze beruhen auch alle
Verwandlungen der Insekten. Ausdehnung, oder
selbst ganz neue Erzeugung einiger Organe,
und zwar innerer sowohl, als äusserer (l), in-
dem andere sich verkürzen, oder völlig ver-
schwinden, bewirkt diesen Zauber. Eine bloſse
Ver-
[476] Verkürzung und Verlängerung findet bey der
zweyten Classe der Insekten, nach Swammer-
damm’s Eintheilung (m), eine völlig neue Erzeu-
gung und ein gleichzeitiges Verschwinden bey
den zwey folgenden Classen statt (n). Indem
die äussern Gliedmaaſsen der Larve schwinden
und ihre Länge abnimmt, wächst ihre Dicke,
und durch jenes Schwinden und jene Verkurzung
mit dieser gleichzeitigen Zunahme wird sie in
eine Puppe verwandelt. In der Nymphe ereignet
sich dasselbe, wie in dem Ey der Säugthiere
und Vögel. Je jünger sie ist, desto gröſser ist
die Menge der flüssigen, desto geringer die der
festen Theile (o). Je mehr diese zunimmt, in-
dem jene sich vermindert, desto mehr nähert
sich die Nymphe dem vollkommenen Insekt.
Eben so ist es endlich auch bey dem Wachs-
thume der Pflanzen. Indem die junge Pflanze
heranwächst, schwinden die Saamenlappen; in-
dem die Frucht ihrer Vollendung entgegenreift,
vertrocknet die Blüthe, und indem der Keim ei-
nes neuen Blatts sich entwickelt, verwelkt das
vorige, das ihn in seinem Schooſse erzeugte.
Schon Linné machte die Beobachtung am Hanfe,
und
[477] und Bridel bestätigte sie am Erysimum offici-
nale, daſs Pistillen, worauf der männliche Saa-
menstaub nicht gewirkt hat, sich weit länger er-
halten, als befruchtete (p).
So ist jedes Wachsthum unaufhörliche Meta-
morphose, und zwar eine Verwandelung, die
sich nicht nur auf den ganzen Organismus, son-
dern auch auf jedes seiner Organe erstreckt.
Der Embryo ist in der ersten Zeit seiner Bildung
dem erwachsenen Menschen, und jedes entste-
hende Organ des erstern den Organen des letz-
tern fast eben so unähnlich, wie die Raupe der
Puppe und die Puppe dem Schmetterlinge.
Metamorphose ist daher nicht den Amphibien
und Insekten ausschlieſslich eigen. Sie kömmt
allen lebenden Körpern ohne Ausnahme zu, und
der einzige Unterschied zwischen jenen Thieren
und den übrigen lebenden Organismen ist nur
der, daſs sie bey diesen noch im Mutterleibe,
der geheimen Werkstäte der Natur, geschieht,
oder zu alltäglich ist, um uns aufzufallen.
Für die ganze lebende Natur ist jedes lebende
Individuum dasselbe, was jedes Organ für das
letztere ist. Metamorphose kömmt daher auch
der ganzen lebenden Natur als Einem groſsen
Organismus zu. Abnahme und Zunahme, Unter-
gang
[478] gang und Entstehen ist auch in ihr unzertrenn-
lich verbunden. Keine Generation verschwindet,
ohne daſs schon eine neue heranwächst, um
ihre Steile zu ersetzen. Indem die Bäume der
einen Erdhälfte ihre Blätter verliehren, fangen
die der andern wieder an, Schatten zu verbrei-
ten. Das Blut der Erschlagenen düngt die Erde,
und ein schönerer Frühling sproſst auf den
Schlachtfeldern.
Daſs endlich auch sowohl die Erzeugung,
als der Tod, nichts anders als Uebergänge gewis-
ser Formen des Lebens zu andern sind, wissen
wir schon aus dem zweyten Buche. So zeigt
sich folglich Harmonie zwischen scheinbar ganz
verschiedenen Phänomenen, und es eröffnet sich
uns die Aussicht, Erzeugung, Wachsthum und
Tod auf ein gemeinschaftliches Princip einst zu-
rückzuführen.
§. 7.
Einige Theile hingegen haben kein
anderes Ziel ihres Wachsthums, als den
Tod des ganzen Organismus.
Bey dem Menschen sind diese Theile: die
Haare, die Nägel, und das Fett; bey den übri-
gen Säugthieren und den Vögeln, ausser den
Haaren, den Federn und dem Fett, die Hörner
und
[479] und Krallen; bey den Schaalthieren die Schaa-
len; und bey den Pflanzen das Holz. Bey dem
Fett aber beobachten wir nur in krankhaften
Fällen ein ununterbrochenes Wachsthum. Men-
schen, welche vier- bis fünfhundert Pfund, und
darüber, gewogen haben (q), gehören zu den
seltenen Erscheinungen. Bey den übrigen jener
Theile hingegen ist das fortdauernde Wachsthum
der Natur gemäſs. An den Hörnern und Gewei-
hen der Rinder erzeugt sich jährlich ein neuer
Wulst, oder ein neues Glied (r), an der Klap-
per der Klapperschlange ein neuer Ansatz (s), an
den Gehäusen der Schnecken eine neue Windung,
und an dem Holze der Dicotyledonen ein neuer
Ring. Vielleicht würde sich etwas Aehnliches
bey den Haaren, Nägeln, Krallen und Klauen
finden, wenn diese Theile genauer beobachtet,
und nicht in ihrem Wachsthume aufgehalten
würden.
§. 8.
[480]
§. 8.
So wie nach dem fünften Gesetze
(§. 6.) einige Organe bey ihrem Wachs-
thume einen Antagonismus gegen ein-
ander änssern, so wachsen und verge-
hen andere gemeinschaftlich mit einan-
der, oder stehen bey ihrer Entwicke-
lung und ihrem Absterben in einer Sym-
pathie.
Auf diesem Gesetze beruhet die im ersten
Buche (t) erwähnte Symmetrie, welche in der
Organisation der rechten und linken Hälfte bey
den sämmtlichen Thieren herrscht. Der ver-
schiedene Grad dieser symmetrischen Organisation
giebt eine Stufenleiter der Stärke jener Sympathie.
Am stärksten ist also dieselbe bey den Hälften
des Hirn- und Rückenmarks; hiernächst bey den
Knochen, den willkührlichen Muskeln, den Haa-
ren, den äussern Sinnesorganen, den Drüsen der
Brüste, und den diesen Theilen zugehörigen Ner-
ven und Blutgefäſsen der rechten und linken
Hälfte; dann folgen die zur Bereitung des Urins
und zur Fortpflanzung bestimmten Organe; und
auf der untersten Stufe stehen die Respira-
tionsorgane.
So
[481]
So wie diese Organe zu gleicher Zeit und
nach einerley Muster gebildet wurden, so stehen
sie auch bey Veränderungen ihrer Organisation in
enger Sympathie. Krankheiten des einen Auges
ziehen gewöhnlich auch Krankheiten des andern
nach sich. Dieselbe Erscheinung beobachtet man
häufig bey den Brüsten, Nieren, Eyerstöcken
und Hoden.
Ausser den symmetrisch geformten Organen
äussern auch die Zeugungsorgane, die Brüste, die
Haare der Achselhöhlen, der Bart beym männli-
chen Geschlechte, und der Kehlkopf einen hohen
Grad von Sympathie. Gemeinschaftlich entste-
hen oder vervollkommnen sich diese Theile gegen
die Zeit der Mannbarkeit, und gemeinschaftlich
vergehen sie im hohen Alter, oder nach der Ca-
stration. Einer Frau, welcher Pott die in ei-
nem Bruchsacke zu beyden Seiten liegenden Eyer-
stöcke unterband und abschnitt, fielen sogleich
die Brüste zusammen.
Die Zoophyten und Pflanzen zeigen zwar nur
schwache, aber doch immer einige Spuhren von
Sympathie. Selten bleiben Verderbnisse der Blät-
ter bey den Gewächsen blos auf die eine Seite
derselben eingeschränkt. Doch bedürfen diese
Organismen in Betreff ihres sympathetischen
Wachsthums noch näherer Untersuchungen.
III. Bd. H h§. 9.
[482]
§. 9.
Einige Organe sterben zu gewissen
Zeiten von freyen Stücken ab, und er-
zeugen sich nachher von neuem wie-
der.
Unter den flüssigen Theilen giebt es keinen,
der von diesem Gesetze der natürlichen Re-
produktion eine Ausnahme macht. Das ganze
Leben besteht in einem beständigen Verluste und
Ersatze von Flüssigkeiten.
Einen festern Typus aber beobachtet diese
Veränderung bey den festen Theilen, und hier
ist sie zugleich auffallender.
Unter den festen Theilen des Menschen sind
blos die Oberhaut und die Zähne der natürlichen
Reproduktion unterworfen. Die erstere aber son-
dert sich zu unbestimmten Zeiten, und nur theil-
weise vom Körper ab; bey den letztern hingegen
ist jene Reproduktion an bestimmte Perioden ge-
bunden. Nach dem gewöhnlichen Laufe der Natur
findet dieses Wechseln der Zähne nur einmal
in der Jugend statt. In einigen seltenen Fällen
aber ist auch im hohen Alter noch eine Wieder-
erzeugung der Zähne beobachtet (u).
Mit dem Menschen haben die bekanntern un-
ter den übrigen Säugthieren die Reproduktion der
Epi-
[483] Epidermis und der Zähne gemein. Diejenigen,
welche mit Hörnern oder Geweihen versehen
sind, reproduciren aber auch diese Organe (v).
Bey den Vögeln äussert sich die natürliche
Reproduktion durch das Mausern (w); bey den
Amphibien überhaupt durch das Häuten, und bey
den Fröschen insbesondere gegen die Zeit der Be-
gattung durch die Erzeugung einer schwarzen
drüsigen Haut an den Vorderpfoten, welche nach
der Paarung verschwindet (x).
Ein Beyspiel von natürlicher Reproduktion
bey den Fischen giebt das Wechseln ihrer Zähne
und ihrer Stacheln. Jenes unterscheidet sich von
demjenigen, welches bey den Säugthieren statt
findet, darin, daſs der neue Zahn nicht, wie bey
diesen, schon vor dem Ausfallen des alten in der
Kinnlade enthalten ist, sondern sich erst nach
Erledigung der Stelle des letztern bildet (y). Hin-
gegen bey dem Wechseln der Stacheln entsteht
erst ein neuer an der Wurzel des alten, ehe der
letztere ausfällt (z).
Bey
H h 2
[484]
Bey den Garten- und Waldschnecken findet
sich ebenfalls eine hierhergehörige Erscheinung.
Gegen die Paarungszeit erzeugt sich bey diesen
in einer Oeffnung am Halse ein Pfeil von kalkar-
tiger Substanz, den die eine der andern vor der
Begattung entgegenwirft, und wahrscheinlich im
folgenden Jahre reproducirt (a).
Am stärksten zeigt sich die natürliche Repro-
duktion unter den fünf obern Thierclassen bey
den Crustaceen und Insekten. Fast alle diese
Thiere haben mit den Vögeln und Amphibien die
Reproduktion neuer Bedeckungen gemein (b). Der
Krebs wechselt jährlich im Anfange des Sommers
seine Schaale (c), und die Raupe häutet sich zu
wiederhohlten malen vor ihrer Verwandelung,
Der Krebs aber erzeugt mit der neuen Schaale
zugleich neue Häute des Magens, und die Raupe
mit ihrer Haut neue Zähne, Kinnladen, Bron-
chien, Luftlöcher, Gedärme, einen neuen Schlund,
Schädel, und eine neue Hornhaut (d).
Die
[485]
Die fünf obern Thierclassen aber werden in
Ansehung der natürlichen Reproduktion von den
Pflanzen übertroffen. Die periodische Zerstöh-
rung und Wiedererzeugung der Blätter und Ge-
schlechtstheile bey den Vegetabilien ist eines der
auffallendsten unter allen Beyspielen von natür-
licher Reproduktion. Doch hatte Hedwig(e)
Unrecht, wenn er den periodischen Verlust und
Ersatz der Zeugungsorgane für den unterschei-
denden Charakter des Pflanzenreichs von den
Thieren hielt. Auch bey vielen Mollusken findet
man ausser der Paarungszeit keine Spuhr von
Zeugungstheilen.
Die Würmer und Zoophyten besitzen fast
einerley Grad von natürlichem Reproduktionsver-
mögen mit den Pflanzen. Bey den erstern so-
wohl, als bey den letztern dienet dieses Vermö-
gen nicht, wie bey den obern Thierclassen, blos
zur Erhaltung des Individuums, sondern auch
zur Erhaltung der Art. Die Fortpflanzung der
Naiden, Zoophyten und Pflanzen durch Sprossen
ist offenbar nichts anders, als eine Art von na-
türlicher Reproduktion, und zwischen ihnen und
den höhern Thierclassen findet in dieser Hinsicht
kein anderer Unterschied statt, als nur dieser,
daſs
H h 3
[486] daſs die reproducirten Theile nach ihrer Tren-
nung vom Körper bey den letztern absterben,
bey den erstern hingegen fortleben, und sich zu
einem vollständigen Individuum entwickeln. Fort-
pflanzung des Geschlechts und Reproduktion sind
also wahrscheinlich Wirkungen einer und der-
selben Kraft, und mit der Erklärung des einen
dieser Phänomene wird ohne Zweifel auch die
des andern gegeben seyn.
Eine Vergleichung der bisherigen, über die
natürliche Reproduktion vorgetragenen Sätze mit
einem im letzten Kapitel des ersten Buchs be-
wiesenen Satze liefert uns eine Folgerung, die
uns vielleicht einst zu dieser Erklärung führen
kann. Wir haben nehmlich dort gesehen, daſs
die Gröſse des Gehirns gegen die Dicke des
Rückenmarks, der Nerven und Ganglien desto
mehr abnimmt, je weiter wir von den Säugthie-
ren zu den Zoophyten herabsteigen (f). Die
Säug-
[487] Säugthiere haben aber auch weniger Reproduk-
tionsvermögen, als die Vögel; diese weniger,
als die Amphibien u. s. w. Folglich steht das
Reproduktionsvermögen mit der relativen Gröſse
des Gehirns im umgekehrten, mit der relativen
Dicke des Rückenmarks, der Nerven und Gan-
glien aber im geraden Verhältnisse, und der Grad
jenes Vermögens hängt von der Verschiedenheit
dieses Verhältnisses ab.
Wären unsere Beobachtungen über die natür-
liche Reproduktion zahlreicher, wie sie in der
That noch sind, so würde sich ohne Zweifel
auch zeigen, daſs, so wie bey der Metamorphose
mit der Abnahme und dem Verschwinden einiger
Organe Zunahme und Entstehung anderer ver-
bunden ist, so auch hier, indem sich neue Or-
gane erzeugen, nicht nur die vorigen gleicharti-
gen, sondern auch andere ungleichartige abneh-
men und verschwinden. Doch liefern uns auch
schon die bisherigen Erfahrungen Beweise dieses
Satzes. Flüssige und feste Theile werden immer
auf Unkosten anderer flüssiger Theile reproducirt.
Der Hirsch magert ab bey der Wiedererzeugung
sei-
(f)
H h 4
[488] seines Geweihs, der Vogel bey der Reproduktion
seiner Federn, und das Insekt beym Wechseln
seiner Häute. Im Magen des Krebses findet sich
eine Art von Zähnen, die verzehrt wird und end-
lich ganz verschwindet, indem sich ein neues
Brustschild bildet (g).
§. 10.
Die meisten Organe stellen ihre vo-
rige Struktur und Textur wieder her,
wenn diese durch zufällige Ursachen
verändert sind. Einige reproduciren
sich gleich denjenigen, welche zu ge-
wissen Zeiten von freyen Stücken ab-
sterben, sogar dann, wenn sie durch
äussere Gewaltthätigkeiten einen Ver-
lust an Substanz erlitten haben, oder
auch ganz zerstöhrt sind.
Verletzungen der bloſsen Struktur finden bey
einfachen Schnitt- und Hiebwunden, der Struktur
und Textur zugleich bey gequetschten Wunden
statt. In beyden Fällen erfolgt bey allen leben-
den Organismen und allen Organen eine Red-
integration der vorigen Struktur und Textur
entweder durch einfache Vereinigung der getrenn-
ten Wundlefzen (Reunion), oder durch Eite-
rung,
[489]rung, wenn die Verletzung nicht so beträcht-
lich ist, daſs alle Funktionen des Organismus
dadurch zum Stocken gebracht werden.
Selbst mit fremden Organen vereinigen sich
verwundete Theile. Bey den Pflanzen giebt
das Propfen, Oculiren u. s. w. einen Beweis da-
von. Die Schwungfedern des Habichts schlagen
Wurzeln in den Wunden anderer Thiere, die
Krallen anderer Thiere in den Wunden des Ha-
bichts, die Spornen der Hahne auf den Kämmen
anderer Hahne, die Testikeln derselben in den
Bäuchen der Hennen, und nach Tagliacoti’s
bekannten Versuchen wächst das Fleisch der Nase
mit dem des Arms zusammen (h).
Eingeschränkter als das Vermögen der Redin-
tegration ist bey dem Menschen und den übrigen
Säugthieren das Vermögen, den Verlust an Sub-
stanz, den feste Theile erlitten haben, zu repro-
duciren. Nur die Theile, deren Wachsthum
keine Gränzen hat, und bey welchen die natür-
liche Reproduktion statt findet, also die Ober-
haut, die Nägel, die Hörner, Geweihe und
Krallen besitzen auch dieses Vermögen in einem
hohen Grade.
Nächst
H h 5
[490]
Nächst den erwähnten Organen wird das Zell-
gewebe am leichtesten reproducirt, und zwar um
desto leichter, je lockerer und freyer es ist, um
desto schwerer, je mehr es sich im compakten
Zustande befindet (i). Schon das Fell (Cutis)
wird daher nur unvollkommen ersetzt. Statt der
weichen, elastischen, und mit Nervenwärzchen
besetzten Membran erzeugt sich eine feste, an-
klebende, harte, schwielige, nur hin und wie-
der leicht gefurchte, und glatte Substanz, wor-
auf die Nervenwärzchen gänzlich fehlen, und
welche nur langsam mit Haaren bewächst (k).
Nur unvollkommen wird daher auch die Bein-
haut reproducirt, nehmlich durch eine harte, zä-
he, und knorpelartige Membran (l).
Gar keine Reproduktion findet bey der har-
ten Hirnhaut und der Arachnoidea statt (m).
Die Knochen aber machen von der obigen
Regel eine Ausnahme. Die Schriften der Aerzte
sind
[491] sind voll von Beobachtungen, wo ganze, durch
Zersplitterung, Beinfraſs, und andere äussere
und innere Ursachen zerstöhrte Knochenstücke,
ja selbst ganze Röhrenknochen wieder ersetzt
wurden (n). Troja’s (o) und Köler’s (p) Ver-
suche an Säugthieren haben diese Beobachtungen
bestätigt. Die Speiche eines Hundes, wovon ein
Stück abgesägt war, und deren Markhöhle nach-
her mit Charpie ausgefüllt wurde, fand sich nach
18 Tagen mit einem neuen Knochen umgeben (q).
Bey den platten Knochen erfolgt diese Regenera-
tion, mehrern Beobachtern zufolge, langsamer
und unvollkommener, als bey den cylindrischen.
Tenon(r) sahe an der Haut, wodurch sich eine
Trepanöffnung geschlossen hatte, nach vier Mo-
naten nur die untere Lamelle knöchern, und erst
nach acht bis neun Monaten erfolgte die gänzli-
che
[492] che Verknöcherung. Arnemann(s) traf nach ei-
nem Vierteljahre diese Membran in einer Schädel-
öffnung sehr compakt und solide, aber nie ver-
knöchert an. Inzwischen fand doch Köler eine
Trepanöffnung am Stirnbeine bey einem Hunde
nach acht Wochen schon gröſstentheils verknö-
chert, und nur in der Mitte noch weich und
nachgiebig (t). Bey einem andern Hunde war
die Substanz, welche das Loch im Stirnbeine ver-
schloſs, nach sieben Wochen an den Rändern
fast schon knöchern (u). Ueberhaupt ist leicht
einzusehen, daſs Alter, Constitution, und an-
dere Umstände den Erfolg dieser Versuche sehr
abändern müssen. Gelenke werden nur unvoll-
kommen durch unregelmäſsige Knochenmassen re-
producirt (v), und zwar schwinden nach einiger
Zeit immer die Ueberbleibsel des alten Gelenks (w).
Uebrigens ist weder die Beinhaut, noch die Di-
ploe zur Regeneration der Knochen nothwen-
dig (x).
Nur eine unvollkommene Regeneration findet
auch bey den Gelenkbändern statt (y).
Ob
[493]
Ob die bleibenden Knorpel reproducirt wer-
den, bedarf noch einer nähern Untersuchung.
Bey den Muskeln wird ein Verlust an Sub-
stanz durch ein Zellgewebe ersetzt, das anfangs
sehr gefäſsreich ist, in der Folge aber zähe und
lederartig wird, und keine wahre Muskelfasern
enthält (z).
Durch Zellgewebe, das sich mit der Zeit in
eine solide Substanz verwandelt, werden auch
verlohrne Sehnenstücke ersetzt (a).
Gröſsere zerschnittene Arterien verschrum-
pfen an ihren Enden, und schliessen sich. Zu-
gleich aber erzeugen sich neue Arterien, welche
die Funktion der vorigen, unbrauchbar geworde-
nen übernehmen (b). Auf die nehmliche Art ge-
schieht wahrscheinlich auch die Reproduktion der
Venen (c).
Erleidet das groſse Gehirn einen Verlust an
Substanz, der jedoch gewisse Gränzen nicht über-
schrei-
[494] schreiten darf, so rücken die verletzten Hirnwin-
dungen einander näher, und aus der Wunde
wächst allenthalben ein feines Zellgewebe hervor,
welches den gröſsten Theil der Lücke ausfüllt,
und eine gelbliche, oder gelbbraune, der von
Gennaro und Sömmering entdeckten Hirnsub-
stanz einigermaaſsen ähnliche, weiche, lockere,
und in concentrirtem Weingeiste auflösliche Mate-
rie enthält. Oft ahmet diese neu erzeugte Sub-
stanz auch die Gestalt der Hirnwindungen nach,
und besonders wenn, wie zuweilen geschieht,
sich der Seitenventrikel der verletzten Hirnhälfte
während der Regeneration erweitert. Immer blei-
ben aber die Gränzen zwischen der reproducirten
Materie und der vorigen Substanz noch sichtbar.
Auch verwächst sie mit der harten Hirnhaut und
der die Schädelöffnung verschliessenden Membran.
Zuweilen erzeugt sich in der reproducirten Hirn-
substanz eine zähe, solide, lederartige Masse,
wovon aber immer die Epilepsie die Folge ist (d).
Wunden des kleinen Gehirns, die nur eini-
germaaſsen beträchtlich sind, bringen theils we-
gen der entstehenden Blutung, theils wegen des
Einflusses jenes Organs auf alle thierische Funk-
tionen, zu schnell eine Stockung im Organismus
her-
[495] hervor, als daſs eine Reproduktion möglich ist (e).
Geringere Verletzungen dieses Eingeweides schei-
nen aber geheilt zu werden (f).
Verletzungen des Rückenmarks in der Nähe
des Kopfs tödten augenblicklich (g). Weiter nach
unten durchschnitten, erfolgt zuweilen eine Ver-
einigung der getrennten Theile. Bey einem mit-
telmäſsig groſsen Hunde, dem Arnemann das
Rückenmark in der Gegend der letzten Rücken-
wirbel durchschnitten hatte, war dieses Eingewei-
de nach vier Wochen an der Stelle der Verletzung
mit seinen Häuten verwachsen, und theils durch
eine unförmliche, feste, röthliche, knorpelartige
Masse, theils durch Zellgewebe neu vereinigt.
Beyde Enden fanden sich mehr abgerundet und
knotig, und das untere schien etwas aufgelöst
und welk zu seyn (h).
Bey den Nerven findet nach dem einstimmi-
gen Zeugnisse aller Beobachter ein Ersatz der
verlohrnen Substanz statt. Einige aber halten
die reproducirte Substanz für wirkliches Nerven-
mark, andere für bloſses Zellgewebe. Zu jenen
gehört
[496] gehört zuerst Fontana(i). Dieser nahm aus
einem doppelten Grunde eine wahre Reproduk-
tion der Nerven an. Der erste ist, weil er in
der regenerirten Substanz die spiralförmigen Run-
zeln fand, die ein charakteristisches Eigenthum
der Nerven sind. Der zweyte beruhet auf mi-
croscopischen Untersuchungen, wodurch er in
dem Nervenmarke eine Menge zarter, durch Zell-
gewebe mit einander verbundener Cylinder ent-
deckte. Diese Cylinder traf er auch in derjeni-
gen Substanz an, wodurch die Enden getrennter
Nerven nach einiger Zeit verbunden werden, und
zwar in Continuität mit denen in diesen Enden
befindlichen Röhren.
Cruikshank(k) zerschnitt bey Hunden das
achte Nervenpaar mit dem Intercostalnerven. Die
zerschnittenen Nervenenden schwollen hierauf an,
wurden wie Ganglien abgerundet (l), in Einem
Versuche mit einer Art callöser Substanz be-
deckt (m), und durch eine Materie vereinigt,
welche eben die Farbe wie der Nerve hatte, aber
nicht so fasericht (n) und dünner (o) war. Cruik-
shank
[497]shank äussert sich indeſs nicht bestimmt, ob er
die regenerirte Substanz für wahres Nervenmark
hält.
Entscheidender nimmt Haigthon(p) eine
wahre Regeneration der Nerven an, aber aus Grün-
den, die wir hier noch nicht prüfen können.
Nur bey einem einzigen seiner fünf Versuche
vereinigten sich die durchschnittenen Enden des
einen Nerven vom achten Paare wieder (q), und
hier schwollen, nach der Figur (r) zu urtheilen,
diese Enden, wie bey den Versuchen von Cruik-
shank, zu rundlichen Wulsten an.
Der neueste Vertheidiger der Regeneration
des Nervenmarks endlich ist J. C. H. Meyer(s).
Dieser suchte die Streitfrage auf einem neuen
Wege zu entscheiden. Reil nehmlich fand,
daſs die Salpetersäure blos das Zellgewebe und
die Scheiden, nicht aber das Mark der Nerven
zerstöhrt. Um mit diesem Mittel die vereinigten
Nerven zu prüfen, stellte Meyer acht Versuche
an Hunden an. Bey fünf dieser Versuche wurde
aus dem ischiadischen und dem Tibial- oder Ul-
nar-
III. Bd. I i
[498] nar-Nerven ein Stück herausgenommen; bey den
übrigen wurden einer oder mehrere dieser Nerven
blos durchschnitten. Im erstern Falle erfolgte
keine Vereinigung der getrennten Nervenenden,
wenn der Verlust über zwey Linien betrug (t);
waren hingegen nur 1 bis 2 Linien herausgenom-
men, oder war der Nerve blos durchschnitten,
so wurden die getrennten Enden in einigen Fäl-
len durch Nervenmark wieder vereinigt (u), in
einigen Fällen aber geschahe dies nicht (v), und
da, wo die Reproduktion bey einem Verluste von
2 Linien erfolgt war, fand sich doch nur ein
sehr dünner Vereinigungsfaden (w). In den bey-
den getrennten Enden schwoll übrigens das Mark
aller Markbündel zu einem Knoten an, der am
obern Ende etwas weisser als die übrige Mark-
substanz, am untern braungelblich war (x).
Ganz andere Resultate gaben die Versuche
von Arnemann(y) und Sömmering(z), vorzüg-
lich die des erstern, welche ungleich zahlreicher
sind,
[499] sind, als die der angeführten Schriftsteller zu-
sammengenommen. Diesen zufolge wird das
obere Ende eines Nerven, der einen Verlust an
Substanz erlitten hat, bey der Heilung röthlich
oder hellgrau, höckrig, und mit einer Kruste
bedeckt. So wie aber die Entzündung sich ver-
liehrt, wird er bleicher, glatt, glänzend, nach
unten spitzig, und sehr hart; er knirscht unter
dem Messer, und bildet eine Art von Knoten,
in welchem sich selten eine Spuhr von gebänder-
tem Ansehn zeigt. Das untere Ende bekömmr
ebenfalls einen, doch kleinern Knoten, welkt,
schwindet, und verliehrt zum Theil seine ge-
bänderte Struktur, die am obern Theile nur ge-
gen den Knoten hin vergeht. Nach einem Mo-
nat wird das Mark dieses untern Endes in eine
glanzlose, bleiche, röthlichgraue, oder kreiden-
weisse, wäſsrige Masse verwandelt, und zer-
schnitten flieſst eine gelblichgraue, milchige,
wäſsrige Substanz heraus. Späterhin werden die
Knoten stärker und fester, so daſs sie auf dem
Schnitte eine glänzende Fläche wie Knorpel, und
kleine weisse Flecken oder Knoten zeigen. Von
jetzt an merkt man keine bedeutende Verände-
rung mehr. Was aber die Hauptsache ist, zwi-
schen den beyden getrennten Enden erzeugt sich
kein Nervenmark wieder, sondern sie werden
blos durch einen röthlichen Zellstoff verbunden.
I i 2Die-
[500]
Dieses Resultat der Arnemannschen und Söm-
meringschen Versuche ist nun auch das, welches
ich für das richtige anerkennen zu müssen glau-
be, und zwar erstens schon deswegen, weil bey
Versuchen überhaupt, und vorzüglich bey Versu-
chen an lebenden Thieren, die Aussprüche des
geübtern Experimentators immer von gröſserm
Gewichte, als die des minder geübten, sind.
Nimmt man aber Fontana aus, so ist keiner
unter den obigen Schriftstellern, der sich in die-
ser Hinsicht mit Arnemann vergleichen dürfte.
Fontana’s Beobachtungen aber beruhen auf mi-
croscopischen Untersuchungen, also auf den Aus-
sagen eines Zeugen, dessen Unzulässigkeit in die-
sem Stücke längst bewiesen ist. Die Resultate
der Cruikshankschen Versuche enthalten nichts,
was denen der Arnemannschen zuwider wäre.
Haigthon schlieſst blos aus den Wirkungen ver-
letzter und wieder vereinigter Nerven, daſs diese
Wiedervereinigung durch wahres Nervenmark ge-
schehe. Allein gesetzt auch, geheilte Nerven
äusserten ganz dieselben Funktionen, wie un-
verletzte, was aber die Haigthonschen Versuche
gar nicht beweisen, so folgt hieraus doch noch
keinesweges, daſs die zwischen den getrennten
Enden neu erzeugten Mittelstücke wirkliches Ner-
venmark enthalten. Gegen die Meyerschen Ver-
suche endlich hat schon Arnemann selber (a) die
sei-
[501] seinigen hinreichend vertheidigt. Die, wo nach
einer bloſsen Durchschneidung des Nerven die
Enden durch Nervenmark wieder vereinigt
wurden, beweisen nichts, da hier von Repro-
duktion, und nicht von Reunion, die Rede ist.
Die, wo nur irgend ein beträchtlicher Theil von
2 und mehrern Linien aus dem Nerven wegge-
nommen wurde, stimmen ganz mit den Versu-
chen von Arnemann überein. Blos bey denen,
wo weniger Substanz ausgeschnitten war, erfolg-
te eine Vereinigung durch Nervenmark. Nimmt
man aber an, daſs hier, wegen einer günstigen
Lage des Nerven und wegen des geringen Ver-
lusts an Substanz, das Mark der beyden verlän-
gerten Enden in Berührung kam, so lassen sich
auch diese Erfahrungen auf eine bloſse Reunion
zurückführen.
Zellgewebe, Muskelfasern und Nervensub-
stanz sind die Grundtheile, worin sich alle Ein-
geweide auflösen lassen. Findet also eine Repro-
duktion des erstern, aber keine der beyden letz-
tern statt, so kann auch kein Verlust an Sub-
stanz bey den Eingeweiden reproducirt werden.
Und dieses ist wirklich der Fall. Tulpius(b)
heilte einen Menschen, der ein Stück der lin-
ken Lunge von 6 Lothen an Gewichte verlohren
hatte.
I i 3
[502] hatte. Sechs Jahre nachher fand sich bey der
Leichenöffnung die verletzte Stelle mit dem Brust-
felle verwachsen. Dies ist auch der Weg, auf
dem die Natur alle übrige verletzte Eingeweide
der Brust und des Bauches heilt. Die Wunde
vereinigt sich mit den umliegenden Theilen durch
Zellgewebe; aber nie erzeugt sich wieder eine
der verlohrnen gleiche Substanz.
Wir haben im vorigen § gesehen, daſs die
festen Theile bey der natürlichen Reproduktion
den flüssigen nachstehen. Dieselbe Bewandniſs
hat es mit beyden bey der ausserordentlichen
Reproduktion. Unter allen Theilen scheint das
Blut am leichtesten reproducirt zu werden. Baro-
nius erzählt einen Fall von einem Kranken, der
durch Blutbrechen nach und nach 202 Pfund Blut,
und zwar bey jedem Anfalle 15 bis 30 Pfund ver-
lohr, und dennoch wieder hergestellt wurde.
Ein Mädchen in Pisa verlohr mehrere Jahre hin-
durch monatlich 125 Unzen Blut, und lieſs dabey
noch 14 Monate hindurch entweder täglich, oder
doch um den andern Tag zur Ader. Mehrere
ähnliche Beyspiele aus ältern Schriftstellern hat
Haller(c) gesammelt. Die Edinburger Com-
mentarien (d) enthalten die Geschichte eines Mäd-
chens, welches in seinem funfzehnten Jahre wäh-
rend
[503] rend der monatlichen Periode durch einen Fall
an der linken Schulter schwer verwundet wur-
de, in der folgenden Nacht seine Reinigung ver-
lohr, und von dieser Zeit an in den ersten zwey
Jahren durch Erbrechen, in den folgenden vier
Jahren aber auch durch Hämorrachien aus der
Nase, den Ohren und der Mutter täglich ein
halbes Pfund Blut, und darüber verlohr. Im
sechsten Jahre ihrer Krankheit hielt man durch
trockne, auf den Rücken gesetzte Schröpfköpfe
die Blutungen sieben Wochen hindurch zurück.
Aber diese Unterdrückung verursachte ihr die
heftigsten Schmerzen in den Brüsten, welche so
stark anschwollen, daſs man über dem schwerdt-
förmigen Knorpel zu schröpfen genöthigt war.
Im zweyten Jahre kamen die Blutungen nicht
mehr so häufig, sondern nur alle vierzehn Tage,
oder drey Wochen wieder, und in diesem Zu-
stande befand sich die Kranke sieben Jahre hin-
durch, nur mit dem Unterschiede, daſs in den bey-
den letzten dieser Jahre das Blut aus allen Oeff-
nungen des Körpers floſs. Im Anfange der Krank-
heit war auch noch alle acht Tage, und zuwei-
len noch öfter ein Aderlaſs gemacht. Einen ähn-
lichen Fall, wo ein gewisser Ferriol von seinem
zwanzigsten Jahre an dreyzehn Jahre hindurch
anfangs nur alle zwey bis drey Monate durch
den Mund und After, nachher aber in immer
kürzern Zwischenräumen auch durch die Nase,
I i 4aus
[504] aus den Augen, Ohren und mit dem Urin Blut
verlohr, und dabey noch Kinder zeugte, beob-
achtete Fabre(e).
Nächst dem Blute wird auch der Speichel
und der männliche Saamen sehr schnell reprodu-
cirt. Bey heftigen Salivationen werden oft meh-
rere Pfund Speichel in wenigen Tagen ausgewor-
fen. Ich habe einen jungen Menschen zu be-
handeln gehabt, der ein ganzes Jahr hindurch
alle Nächte Pollutionen hatte. Rechnet man hier
die Quantität des bey jeder Ausleerung verlohr-
nen Saamens nur auf 2 Drachmen (f), so wur-
den das Jahr hindurch über 90 Pfund jener Flüs-
sigkeit ausgeleert und reproducirt.
Je öfterer und in je kürzern Zwischenräumen
eine Flüssigkeit aber ausgeleert wird, desto mehr
entfernt sich die reproducirte von ihrer gehörigen
Mischung. Bey der in den Edinburger Commen-
tarien erwähnten Person war das aus der Ader
gelassene Blut in der letzten Zeit so bleich, daſs
es wie Wasser, worin Fleisch gewaschen ist,
aussahe. Der männliche Saamen ist dick, zähe
und undurchsichtig bey keuschen Personen, hin-
gegen desto dünner und durchsichtiger, je häu-
figer
[505] figer er verschwendet wird (g). Parmentier
und Deyeux(h) erhielten von einer Kuh, wel-
che täglich dreymal gemolken wurde, den sie-
benten Theil mehr, als zu der Zeit, da man sie
nur zweymal molk. Allein im erstern Falle
war die Quantität Butter, nach Verhältniſs der
gröſsern Menge Milch, geringer. Auch fand sich
die zuerst gemolkene Milch weit reichhaltiger an
Butter, als die, welche zuletzt gemolken war.
Je weiter wir von den Säugthieren zu den
Zoophyten herabsteigen, desto mehr nimmt das
Reproduktionsvermögen im Thierreiche zu. Stär-
ker als bey den Säugthieren ist dasselbe schon
bey den Vögeln. Bey Arnemann’s Versuchen
über die Reproduktion des Gehirns an Vögeln
heilten die Hautwunden derselben immer sehr
bald ohne Eiterung (i), da hingegen bey Hun-
den diese Wunden immer stark eiterten (k).
Auch wuchsen bey einem Huhne die Federn an
der abgeschnittenen Stelle sehr bald wieder (l).
Ueber
I i 5
[506]
Ueber die Reproduktion der Membranen,
Muskeln, Sehnen und Bänder fehlt es bey dieser
Thierclasse noch an Versuchen. Indeſs wird,
nach einigen Versuchen von Köler zu schlies-
sen, die Beinhaut bey den Vögeln vollkommener
als bey den Säugthieren reproducirt. So erzeug-
te sich um die reproducirte Tibia einer Taube
eine Membran, die in der Farbe und Dicke mit
dem Periosteum ganz übereinkam. Blos nach
unten war sie dicker, und hing hier mit dem
neuen Knochen fester zusammen, wie sonst bey
der Beinhaut der Fall ist (m). Die harte Hirn-
haut hingegen fand Arnemann bey Hühnern
eben so wenig, wie bey Säugthieren, repro-
ducirt (n).
Eben dieser Beobachter traf bey Hühnern (o)
und Tauben (p) Oeffnungen im Schädel nach acht
bis zwölf Wochen blos noch mit einer festen
Membran verschlossen an. Zerstöhrte Röhren-
knochen von Vögeln aber wurden bey Tro-
ja’s (q) und Köler’s (r) Versuchen sehr schnell
und vollkommen wiedererzeugt.
Das
[507]
Das groſse Gehirn der Hühner und Tauben
ersetzt verlohrne Substanz auf ähnliche Art, wie
das der Säugthiere, durch eine gelbliche, lockere,
und schleimartige Masse, die im Weingeiste ein
bröckliches, ungleiches Ansehn erhält, und bis
auf ein feines zartes Gewebe zum Theil wegge-
spühlt wird (s).
Nach diesen Beobachtungen ist also das Re-
produktionsvermögen bey den Vögeln zwar etwas
stärker, als bey den Säugthieren; doch ist der
Unterschied nicht sehr beträchtlich. Im July-
stücke der neuen Berlinischen Monatsschrift vom
Jahre 1799 (t) findet sich aber ein Fall von einer
Henne, welche zweymal ohne Schaden ihren
Kropf verlohr, und ihn eben so oft reproducir-
te, und diese Beobachtung macht es mir wahr-
scheinlich, daſs jener Unterschied doch vielleicht
gröſser seyn dürfte, wie er nach den obigen
Versuchen zu seyn scheinet.
Von weit gröſserer Stärke, als bey den Säug-
thieren und Vögeln, ist das Reproduktionsver-
mögen bey den Amphibien. Diese ersetzen nicht
nur Knochen und Membranen, sondern auch
Nerven, Muskeln, ja ganze Gliedmaaſsen wieder.
Schon Aristoteles wuſste, daſs die Salaman-
der und Schlangen abgehauene Schwänze repro-
duci-
[508] duciren. Aber erst Spallanzani stellte hierüber
genauere Versuche an.
Diesen zufolge reproduciren alle Arten von
Salamandern, sie mögen alt oder jung seyn, im
Wasser oder ausser dem Wasser bleiben, nicht
nur ihre Schwänze (u), sondern auch ihre Bei-
ne (v) und Kinnladen (w) wieder, man mag die-
selben lang oder kurz abschneiden.
Die Gröſse des abgeschnittenen Stücks, die
Art und das Alter des Thiers haben aber einen
Einfluſs auf die Reproduktion (x).
Die Beine wachsen viel geschwinder bey jun-
gen, als bey alten Salamandern, und unter be-
reits völlig ausgewachsenen Salamandern zeigt
sich der neue Anwuchs eher bey den kleinern,
als bey den gröſsern Gattungen (y).
Die reproducirten Beine wachsen, wie die
natürlichen, desto langsamer, je gröſser und stär-
ker sie werden (z).
Schnei-
[509]
Schneidet man die vier Beine dicht am Leibe
weg, so zeigen sich meist die vordern zuerst
wieder. Nimmt man blos die einzelnen Klauen
des einen Beins, z. B des rechten, weg, so ge-
schieht die Reproduktion so langsam, daſs an
dem zu gleicher Zeit weggeschnittenen ganzen
linken Beine die hervorwachsenden Klauen in
eben der Zeit den Klauen des rechten Beins gleich
werden (a).
Der erste Anfang der Reproduktion zeigt sich
in der Gestalt eines kleinen, anfangs gallertarti-
gen Kegels (b).
Die Theile, woraus die wiedererzeugten Glied-
maaſsen bestehen, nehmlich die obere und un-
tere Haut, die Drüsen, Muskeln, Knochen, Ge-
lenke, Nerven und Blutgefäſse sind von den vo-
rigen abgeschnittenen gar nicht verschieden (c).
Nur an den Beinen zeigen sich zuweilen kleine
Unregelmäſsigkeiten (d).
Endlich erfolgt diese Reproduktion nicht nur
einmal, sondern auch wenn man dem Salaman-
der verschiedene male nach einander den neuen
Anwuchs abschneidet (e), und bey dem letzten
An-
[510] Anwuchse scheint das Reproduktionsvermögen
noch eben so stark, wie bey dem ersten, zu
seyn (f).
Blumenbach(g) vermehrte diese Erfahrun-
gen durch die Entdeckung, daſs der Wasser-
molch der gröſsern Art (Salamandra lacustris)
auch den Augapfel, nebst Hornhaut, Augenstern,
Crystallinse, u. s. w. reproducirt.
Ausser den Salamandern besitzen auch die
Kaulquappen einen hohen Grad von Reproduk-
tionsvermögen. Schneidet man diesen Thieren
den Schwanz ganz, oder fast ganz weg, so gehn
sie im Wasser zu Grunde und sterben. Wird
aber nicht zu viel weggeschnitten, so stirbt kei-
nes, sondern der Schwanz wächst allen ohne
Ausnahme wieder (h).
Die Reproduktion scheint länger zu währen,
wenn man ohngefähr den halben Schwanz weg-
schneidet, als wenn das Stück gröſser ist. Auch
steht die Geschwindigkeit des Ersatzes, sowohl
beym ersten Anfange, als beym weitern Fort-
gange, mit dem Alter des Thiers in umgekehr-
tem Verhältniſse (i).
So-
[511]
Sowohl die Membranen, als die Muskeln des
neuen Anwuchses schliessen so genau an die des
zurückgebliebenen Stücks vom vorigen Schwanze
an, daſs sie nur eine Verlängerung der letztern
zu seyn scheinen (k). Zwischen den Blutgefä-
ſsen des reproducirten und des alten Schwanzes
findet aber einige Verschiedenheit statt (l).
Bey den jungen Kröten und Fröschen er-
folgt auch, wie bey den Salamandern, eine voll-
kommene Reproduktion der Beine. Doch miſs-
lingt dieser Versuch zuweilen, und nie erfolgt
hier die Reproduktion so schnell, wie an den
abgeschnittenen Beinen der Salamander (m).
Die Fische reproduciren abgeschnittene Stücke
ihrer Flossen. Bey Chinesischen Goldfischen fand
Broussonnet(n) schon nach drey Tagen an dem
Rande des Schnitts eine Art von Sprosse, und
nach acht Monaten war der Verlust vollständig
ersetzt. Das Resultat dieses Versuchs ist immer
das nehmliche, man mag ihn anstellen, an wel-
cher Flosse man will. Nur ist die Schnelligkeit
der Reproduktion verschieden nach dem Alter des
Fisches, nach der Art desselben, und nach der
Art der Flossen. Am schnellsten wurde die
Schwanz-
[512] Schwanzflosse, am langsamsten die Rückenflosse
ersetzt. Ueberhaupt scheint die Reproduktion
dieser Organe desto schneller von statten zu gehn,
je nöthiger sie dem Fische zu seinen Bewegun-
gen sind.
Von der zunächst an die Fische gränzenden
Gattung der Mollusken, von der Sepia, wuſsten
schon Plinius und Aelian, daſs sie einen hohen
Grad von Reproduktionsvermögen besitzt, und
ihre Arme, die ihr von Muscheln und Fischen
oft abgerissen werden, bald wieder ersetzt (o).
Bey den Muscheln werden Verletzungen der
Schaalen ebenfalls reproducirt (p).
Den auffallendsten Beweis von der Stärke
des Reproduktionsvermögens bey den Mollusken
geben aber die Schnecken. Schon Schäffer(q),
Watel(r) und andere beobachteten, daſs die
Schnecken den Verlust des Kopfs lange überle-
ben, und Linné(s) wuſste, daſs die abgeschnit-
tenen Fühlfäden derselben ergänzt werden. Spal-
lan-
[513]lanzani war aber der Erste, welcher bewies,
daſs die Schnecken ihre abgeschnittenen Köpfe
reproduciren. Von 423 Schnecken, denen er den
Kopf abschnitt, bekamen 93 ihn vollkommen
wieder; bey 145 war er etwas miſsgestaltet; an
32 fand sich nach einem Jahre noch kein Merk-
mal von Reproduktion; die übrigen kamen nach
der Operation um (t). Lavoisier(u), Mül-
ler(v), Gianetti(w), Bonnet(x) und Abil-
gaard(y) wiederhohlten diese Versuche mit glei-
chem Erfolge. Ich habe ebenfalls 15 Garten-
schnecken am Ende des Septembers die Köpfe
abgeschnitten. Vierzehn derselben starben; an
der einen aber fand ich nach vierzehn Tagen
Spuhren eines neuen Kopfs und neuer Fühlfäden
in der Gestalt unregelmäſsiger Kegel. Gar keine
Reproduktion beobachteten hingegen Cotte(z),
Bo-
III. Bd. K k
[514]Bomare(a), Schröter(b) und Adanson(c).
J. A. Murray(d) fand zwar, daſs die abgeschnit-
tenen Köpfe wieder ersetzt werden, jedoch nicht
mit der vorigen Vollkommenheit. Aus diesen
negativen Erfahrungen folgt indeſs weiter nichts,
als was auch schon Spallanzani’s eigene Beob-
achtungen lehren, daſs der Versuch häufig miſs-
lingt. Ueberdies wird jeder, der sich die Mühe
geben will, jene negativen Versuche zu prüfen,
finden, daſs die meisten sehr roh und oberflächig
angestellt sind. So reitzte z. B. Murray(e) zwey
Exemplare der Helix Pomatia L., denen er die
Köpfe abgeschnitten hatte, schon acht Tage nach
der Operation mit einem Federkiel, um sie aus
ihrem Gehäuse hervorzulocken. Wie lieſs sich
bey einem solchen Verfahren eine vollkommene
Reproduktion erwarten? Uebrigens aber ist es,
wie schon Abilgaard(f) bemerkt hat, unrichtig,
zu glauben, daſs bey jenen Versuchen auch das
Gehirn der Schnecken mit den Köpfen abgeschnit-
ten und reproducirt wird; denn dieses liegt bey den
Mol-
[515] Mollusken nicht im Kopfe, sondern auf der
Speiseröhre.
Die Crustaceen und Insekten scheinen in ih-
rem Reproduktionsvermögen an die Amphibien
zu gränzen. Die Krebse (g), der Oniscus aqua-
ticus (h), das Phalangium Opilio, die Aranea ho-
losericea und Libellula virgo (i) ersetzen ihre ver-
lohrnen Beine wieder. Das Reproduktionsvermö-
gen der Insekten verdient indeſs noch eine ge-
nauere Untersuchung.
Bey den Krebsen erfolgt die Reproduktion
des verlohrnen Theils, man mag die Beine abbre-
chen, in welchem Gelenke man will, am leich-
testen aber, wenn die Trennung im vierten Ge-
lenke, vom Ende des Fuſses an gerechnet, vor-
genommen wird (k).
Der Anfang der Reproduktion zeigt sich als
eine röthliche Haut, welche das Fleisch unmit-
telbar am Ende des abgeschnittenen oder gebro-
chenen Gliedes bedeckt, anfangs flach ist, all-
mählig aber sich erhebt, und hierauf eine ke-
gel-
K k 2
[516] gelförmige Gestalt annimmt (l), also auf ähnliche
Art, wie bey den abgeschnittenen Theilen der
Salamander und Schnecken.
Ausser den Beinen reproduciren die Krebse
auch ihre Scheeren und Fühlhörner (m). Bricht
man ihnen aber die Schwänze ab, so sterben sie
binnen wenig Tagen (n), und hierin stehen sie
also den Salamandern und Kaulquappen nach.
Ueber die Reproduktion der Würmer haben
wir schon im vorigen Abschnitte dieses Buchs
die vornehmsten Beobachtungen angeführt. Wir
fügen hier nur noch eine Anzeige der Erscheinun-
gen bey, welche bey der Reproduktion des Erd-
regenwurms statt finden.
Der Erdregenwurm (Lumbricus terrestris L.)
reproducirt den Schwanz und den Kopf. Jener
wird wieder hergestellt, man mag ein langes
oder kurzes Stück desselben abschneiden. Doch
giebt es allerdings gewisse Gränzen, jenseits wel-
cher keine Reproduktion mehr statt findet (o).
In der Reproduktion des Kopfs beobachtet die
Natur folgende Regeln: Schneidet man ein kur-
zes
[517] zes Stück des Kopfs ab, so erfolgt die Repro-
duktion sehr geschwind, und in kürzerer Zeit,
als der Anwuchs eines neuen Schwanzes; hin-
gegen zeigt sie sich langsam, wenn man ein
langes Stück vom Kopfe abschneidet. Nimmt
man nur wenige Ringe vom Kopfe weg, so wird
der reproducirte Kopf dem verlohrnen ziemlich
wieder gleich. Schneidet man aber viele Ringe
ab, so pflegt der wieder anwachsende Kopf län-
ger zu seyn, und weniger Ringe zu bekommen,
als der alte (p).
Schneidet man beyde, Kopf und Schwanz,
weg, so werden auch beyde reproducirt, und
zwar zuerst der Kopf, nachher der Schwanz (q).
Das Reproduktionsvermögen des Erdregen-
wurms hört nicht mit dem ersten male auf.
Nach abermaliger Abschneidung des Anwuchses
erfolgt ein anderer; nimmt man denselben wie-
der weg, so entsteht ein dritter u. s. w. (r).
Nach diesen Beobachtungen ist also das Re-
produktionsvermögen bey den Würmern ungleich
stärker, als bey irgend einer der übrigen Thier-
classen. Man sieht aber, daſs es auch bey den
Wür-
K k 3
[518] Würmern noch beschränkt ist. Fast ganz schran-
kenlos ist es dagegen bey den Thierpflanzen.
Einer der zusammengesetztesten unter den Or-
ganismen dieser Classe, die Seeanemone (Acti-
nia senilis L.) ersetzt nicht nur den Verlust ih-
rer Arme in sehr kurzer Zeit wieder, sondern
jede Hälfte derselben wächst auch wieder zu
einer ganzen Thierpflanze heran, wenn man sie
der Länge oder Breite nach zerschneidet. Dic-
quemare will sogar beobachtet haben, daſs,
wenn diese Thierpflanze sich von einer Stelle
des Felsens nach einer andern bewegt, kleine
unregelmäſsige Stücke ihrer Basis an dem Steine
kleben bleiben, aus welchen bald wieder andere
vollständige Seeanemonen entstehen (s).
Dieselben Erscheinungen zeigt der Seestern
(Asterias) (t).
Die Wunder des Armpolypen (Hydra) sind
seit Trembley’s Zeiten so bekannt, daſs es fast
überflüssig ist, ihrer noch zu erwähnen. Sogar
der funfzigste Theil dieser Thierpflanze entwik-
kelt sich zu einer vollständigen Hyder, und
diese Reproduktion findet nicht nur bey Queer-
durchschnitten statt, sondern auch wenn man
den
[519] den Armpolypen der Länge nach zerstückelt.
Theilt man ihn der Länge nach in sechs, sie-
ben, oder noch mehr Theile, aber so, daſs die
untern Enden derselben vereinigt bleiben, so
entsteht eine Hyder mit eben so vielen Köpfen.
Schneidet man auch diese Köpfe ab, so ent-
stehen an ihrer Stelle neue, und die getrennten
Polypen wachsen zu eben so vielen neuen Po-
lypen heran. Durchschneidet man den Armpo-
lypen mit einer Schlinge von Haaren, so wach-
sen die getrennten Theile schon wieder an, in-
dem die Schlinge noch im Durchschneiden be-
griffen ist. Man kann ihn endlich, seinem Le-
ben unbeschadet, umkehren, und seine innere
Fläche zur äussern machen (u).
Die Thierpflanzen sind also unzerstöhrbar,
so lange blos ihre Struktur verletzt wird. Nur
wenn auch ihre Textur durch Zerquetschung
vernichtet wird, hören alle Lebensbewegungen,
und mit diesen das Reproduktionsvermögen auf.
Sollte es aber nicht Organismen geben, die sich
auch nach Zerstöhrung ihrer Textur reprodu-
ciren? Aus der Stufenleiter der Wesen schloſs
Leibnitz auf das Daseyn der Thierpflanzen,
und
K k 4
[520] und Trembley’s Entdeckungen bestätigten sei-
nen Schluſs. Dieselben Gründe, womit Leib-
nitz seine Behauptung unterstützte, sprechen
aber auch für unsere Vermuthung. Dürfen wir
also nicht erwarten, daſs auch diese von der
Erfahrung bestätigt werden wird? Es läſst sich
hieran um so weniger zweifeln, da es wirklich
schon Erfahrungsbeweise für sie giebt. Wir ha-
ben im zweyten Buche (v) gesehen, daſs die
Priestleysche grüne Materie getrocknet, zu ei-
nem feinen Pulver zerrieben, und in einem glä-
sernen Gefäſse voll Wasser der Sonne ausgesetzt,
von neuem auflebt. Hiernach ist es wahrschein-
lich, daſs die Pflanzenthiere der untern Ordnun-
gen auch nach Zerstöhrung ihrer Textur sich re-
generiren, und daher unter allen lebenden Orga-
nismen die dauerhafteste Existenz haben.
Die Pflanzen unterscheiden sich in Anse-
hung ihres Reproduktionsvermögens merklich so-
wohl von den Thieren, als von den Zoophyten.
Eine Wunde mit Verlust von Substanz wird bey
diesen durch neue Substanz ausgefüllt, und ein
verlohrner Theil an derselben Stelle ersetzt, wo
er mit dem Ganzen in Verbindung stand. Nicht
so ist es bey den Pflanzen. Einschnitte in
Bäumen bleiben immer unausgefüllt, und für
einen abgeschnittenen Zweig treibt die Pflanze
zwar
[521] zwar bald einen andern, aber nie an der Stelle
des vorigen. Uebrigens stehen die Pflanzen auch
in der Stärke ihrer Reproduktion den Thierpflan-
zen nach, indem kein Gewächs sich, wie der
Armpolyp, durch longitudinale Theilung vermeh-
ren läſst.
Wir haben oben gesehen, daſs jenes Gesetz
des Antagonismus, welches die meisten Organe
bey ihrem Wachsthume befolgen, auch bey der
natürlichen Reproduktion statt findet. Nach dem
nehmlichen Gesetze geschieht aber auch die aus-
serordentliche Reproduktion. Indem sich Wun-
den mit Verlust von Substanz schliessen, schwin-
den die benachbarten Theile (w). Das abge-
schnittene Stück des Erdregenwurms magert ab,
indem es einen neuen Kopf oder Schwanz repro-
ducirt (x), und der verstümmelte Rumpf des
Armpolypen wird in eben dem Maaſse kürzer
und dünner, wie er die verlohrnen Theile wie-
der hervortreibt (y).
Wir haben ferner gesehen, daſs die natür-
liche Reproduktion bey den höhern Thierclassen
blos
K k 5
[522] blos zur Erhaltung des Individuums, bey den
Würmern, Zoophyten und Pflanzen aber auch
zur Fortpflanzung des Geschlechts dienet, und
wir zogen hieraus den Schluſs, daſs Reproduk-
tion und Propagation Wirkung einer und dersel-
ben Kraft sind. Bey der ausserordentlichen Re-
produktion bestätigt sich jener Satz noch auffal-
lender, und mit ihm diese Folgerung.
Die Erscheinungen der ausserordentlichen Re-
produktion endlich beweisen noch einleuchtender,
als die der natürlichen, daſs mit der Abnahme
des Gehirns und der Zunahme der Nerven und
Nervenknoten das Vermögen, verlohren gegan-
gene Theile zu ersetzen, zunimmt, und über-
dies machen jene es wahrscheinlich, daſs auch
bey einem und demselben Thiere die Reproduk-
tion um desto langsamer erfolgt, je nervenrei-
cher das verlohrne Organ ist. Denn nur aus
diesem Gesetze läſst es sich erklären, warum
bey den Säugthieren Haare, Nägel, Zellgewebe,
und Knochen wiedererzeugt werden, aber nicht
Muskeln und Eingeweide.
§. 11.
Wird das Wachsthum oder die Re-
produktion eines Theils verhindert, so
kömmt diejenige Substanz, die für ihn
be-
[523]bestimmt war, entweder dem ganzen
übrigen Körper, oder einzelnen Orga-
nen zu Gute; oder jener Theil wächst
entweder in seiner ursprünglichen
Form, oder in einer andern Gestalt an
einem andern ungewöhnlichen Orte, wo
er keine Hindernisse findet, hervor.
Vorzüglich auf diesem Gesetze beruhet die
Entstehung der Miſsgeburthen, und diese lie-
fern uns daher auch die auffallendsten Beweise
desselben.
Zwerge haben fast immer einen unverhält-
niſsmäſsig dicken Kopf.
Winslow(z) zergliederte einen monströsen
Foetus, dem die ganze obere Hälfte des Körpers
bis auf den Nabel fehlte, und welcher nicht
länger als acht Zoll war, dessen Hüften und
Schenkel aber eine ungeheure Dicke hatten.
Hacquet(a) sahe ein Kind, das, statt der
fehlenden Seitenwandbeine (Ossa bregmatis) und
des Hinterhauptbeins (Os occipitis), auf der Stir-
ne zwey hornartige Erhabenheiten hatte.
Unter
[524]
Unter allen monströsen Früchten habe ich
aber keine gefunden, die einen so überzeugen-
den Beweis des obigen Satzes giebt, als ein
Kind, das im Herbste 1798 von einer Bäurin
ohnweit Bremen, nebst einem vollständigen und
wohlgebildeten Zwillinge gebohren wurde, und
welches auf dem Bremischen Museum aufbe-
wahrt wird. Hals und Kopf fehlen bey diesem
ganz. Die allgemeinen Bedeckungen des Körpers
gehen von der einen Schulter zur andern in gera-
der Richtung fort, ohne daſs sich zwischen die-
sen eine Erhöhung findet. Doch sieht man in
diesem Zwischenraume einige Spuhren von Haa-
ren. Die linke obere Extremität fehlt ebenfalls.
Hingegen der rechte Arm, die untern Gliedmaa-
ſsen, und überhaupt alle unter den Präcordien
befindlichen Theile sind dem Aeussern nach voll-
ständig und natürlich gebildet. Die Hauptmerk-
würdigkeit an dieser Frucht findet sich aber auf
der vordern Seite der rechten Brust. In der
Nähe des Oberarmgelenks ist hier, statt des Kopfs,
eine halbkugelförmige Erhabenheit, und über dem
Brustbeine sitzen, statt der fehlenden obern Extre-
mität der linken Seite, fingerähnliche Auswüchse.
Seltener als bey den festen Theilen der Lei-
besfrüchte, sind solche Erscheinungen bey diesen
Theilen nach der Geburth. Meist ist es nur Zu-
nahme des Volumens im ganzen übrigen Orga-
nismus,
[525] nismus, was bey dem schon ausgebildeten Thiere
auf den Verlust von Organen folgt, die entweder
an ihrer ursprünglichen Stelle keiner Reproduk-
tion fähig sind, oder deren Wiedererzeugung hier
durch zufällige Ursachen verhindert wird. So ist
es eine bekannte Erfahrung, daſs nach der Am-
putation ganzer Gliedmaaſsen die Genesenen häu-
fig vollsäftiger und fetter werden. Zuweilen aber
entstehen auch nach der Geburth noch, statt ver-
lohrner Organe, andere ungewöhnliche an ent-
fernten Stellen des Körpers, wie aus der schon
im vorigen Abschnitt erwähnten Beobachtung von
einer Hündin erhellet, bey deren Zergliederung
man den Eyerstock der einen Seite scirrhös fand,
und welche auf derselben Seite am Kopfe ein
Hirschgeweih hatte.
Nicht so selten, als der letztere Fall, ist nach
der Geburth derjenige, wo die gehinderte Repro-
duktion flüssiger Theile die Bildung neuer und
ungewöhnlicher fester Theile nach sich zieht, und
es verdienet bemerkt zu werden, daſs sich diese
Erscheinung am öftersten nach dem Aufhören der
monatlichen Reinigung zeiget. Häufig beobachtet
man nach dieser Periode bey Weibern das Her-
vorwachsen von Barthaaren. Riverius, Bar-
tholin(b), und Van Wy(c) sahen hornartige
Excre-
[526] Excrescenzen an der Stirne darnach entstehen.
Ein genauerer Beobachter würde vielleicht auch
in denen Fällen, wo ähnliche Auswüchse bey Kin-
dern nach den Blattern entstanden (d), die Bil-
dung irgend einer Flüssigkeit unterdrückt gefun-
den haben.
Die meisten unter das obige Gesetz gehörigen
Erfahrungen liefern uns aber die flüssigen Theile,
und Brandis(e) hat das Verdienst, diese Phä-
nomene zuerst aus einem richtigen Gesichtspunk-
te betrachtet zu haben. Hierher gehören zuerst
die sogenannten Milchversetzungen. Wird die
Bildung der Milch in den Brüsten plötzlich unter-
drückt, so übernehmen andere Theile die Funk-
tion der Gefäſse jener Organe, und bringen, statt
der ihnen sonst eigenen Säfte, milchartige Flüs-
sigkeiten hervor. Am häufigsten übernimmt jene
Funktion der Brustdrüse das Zellgewebe, womit
dieselbe bekleidet ist; hiernächst das Zellgewebe,
das über und zwischen den Bauchmuskeln liegt,
das Zellgewebe an den breiten Bändern der Ge-
bährmutter, das der Schenkel und der Lungen,
der Darmcanal, die Speicheldrüsen, die Nieren,
und selbst die Schleimhaut der Nase. So entste-
hen Ergiessungen milchartiger Flüssigkeiten in der
Brust-
[527] Brust- und Bauchhöhle, milchichte Diarrhoeen,
milchichter Speichelfluſs u. s. w.
Das Blut der monatlichen Reinigung ist eben-
falls eine von jenen Flussigkeiten, deren Unter-
drückung die Entstehung ähnlicher Säfte in an-
dern Theilen nach sich zieht. Periodisches Blut-
speyen, Blutharnen, blutiger Stuhlgang u. s. w.
sind die Folgen davon.
Auf dieselbe Art entsteht starker Abgang eines
wäſsrigen Urins, die Harnruhr, Diarrhoe und
Wassersucht nach Unterdrückung der Transpira-
tion; Wassersucht, urinöser Speichelfluſs, und
Ausleerung von Harn durch Erbrechen und Durch-
fälle nach gehemmter Absonderung des Urins;
Gelbsucht nach aufgehobener Thätigkeit der Le-
ber. Ueberhaupt giebt es wahrscheinlich keine
Flüssigkeit, deren Unterdrückung nicht die Ent-
stehung einer ähnlichen in andern Organen nach
sich zieht, und nur die Verborgenheit jener Flüs-
sigkeiten und dieser Organe ist Schuld daran,
daſs wir sie nicht immer wahrnehmen.
Als einen Beweis unsers obigen Satzes kön-
nen wir endlich noch die Pflanzen anführen.
Wir haben bey dem vorhergehenden Gesetze
(§. 10.) bemerkt, daſs bey den Pflanzen verlohrne
Theile nie an der Stelle des Verlusts wieder er-
setzt werden, und daſs sich hierin das Reproduk-
tions-
[528] tionsvermögen derselben von dem der Thiere und
Zoophyten merklich unterscheidet. Bey den Pflan-
zen findet also eigentlich gar keine Reproduktion
statt, sondern blos ein vermehrtes Wachsthum
des übrigen Organismus, indem das Wachsthum
einzelner Theile desselben unterdrückt ist, und
so schliessen sich jene Organismen von dieser Sei-
te an die höhern Thierclassen an, indem sie von
der andern Seite an die Zoophyten gränzen.
Nennen wir das Wachsthum fester oder flüs-
siger Theile, auf dessen Unterdrückung ein ande-
res in andern Theilen folgt, das ursprüngli-
che, und dieses das vicariirende, so läſst
sich das obige Gesetz kürzer auf die Art aus-
drücken, daſs die Hemmung eines jeden
ursprünglichen Wachsthums ein vica-
riirendes nach sich zieht, und wir kön-
nen nach den bisherigen Erfahrungen noch hinzu-
fügen, daſs das Produkt des vicariiren-
den Wachsthums dem des ursprüngli-
chen bey den flüssigen Theilen meist
ähnlich, bey den festen aber meist un-
ähnlich ist. Durch diesen Zusatz unterschei-
det sich das obige Gesetz von dem Gesetze des
Antagonismus (§. 6.), von welchem es sonst eine
bloſse Folgerung seyn würde. Es ist einleuch-
tend, daſs wenn zwey Organe bey ihrem Wachs-
thume einen Antagonismus gegen einander äus-
sern,
[529] sern, das unterdrückte Wachsthum des einen das
des andern vermehren muſs, und eben so klar
ist die Uebereinstimmung dieses Satzes mit dem
obigen, daſs die Hemmung eines jeden ursprüng-
lichen Wachsthums ein vicariirendes nach sich
zieht. Man sieht aber auch, daſs sich die Aehn-
lichkeit dieses vicariirenden Wachsthums mit dem
ursprünglichen aus jenem Antagonismus nicht er-
klären läſst.
Uebrigens müssen wir noch bemerken, daſs
sich das obige Gesetz nicht umkehren läſst, und
daſs wir nicht immer aus der Entstehung unge-
wöhnlicher fester oder flüssiger Theile auf ein
unterdrücktes ursprüngliches Wachsthum schlies-
sen dürfen. Häufig bilden sich Speckgeschwülste
von ungeheurer Gröſse. ohne daſs sich in dem
Wachsthume der übrigen Theile irgend eine Stöh-
rung entdecken läſst. Gelbsucht und vermehrter
Ausfluſs der Galle aus der Leber und Gallenbla-
se zum Darmcanale sind nicht selten mit einan-
der verbunden (f). Nach dem Stiche der Gall-
wespen entstehen an verschiedenen Pflanzen son-
derbare Auswüchse, welche nicht von einem un-
terdrückten ursprünglichen Wachsthume herrühren,
wohl aber dieses oft nach sich ziehen.
§. 19.
III. Bd. L l
[530]
§. 12.
Nachdem wir die Gesetze des Wachsthums
gefunden haben, würde der nächste Gegenstand
unserer Untersuchungen der Weg seyn, den der
lebende Organismus einschlägt, um die Form des
Lebens, die er bey seinem Entstehen annahm,
wieder zu verlassen. Diese Untersuchung setzt
aber die Lehre von den verschiedenen Ursachen
und Formen der Krankheiten voraus, womit wir
uns hier noch nicht beschäftigen können. Wir
müssen uns daher für jetzt begnügen, nur erst
die allgemeinern Gesetze der Abnahme des Le-
bens aufzusuchen.
In der Einleitung ist gezeigt worden, daſs
es zwey. Wege giebt, worauf der lebende Körper
von der höhern Stufe des Lebens zu der niedern
zurückkehrt. Der eine ist nothwendig, und die-
sen betritt kein lebendes Wesen, ehe es nicht
im Stande gewesen ist, sein Geschlecht fortzu-
pflanzen; der andere ist zufällig, und diesen
kann der lebende Körper in jeder Periode des
Lebens einschlagen. Die Zufälligkeit des
letztern aber findet nur für unsern Ge-
sichtspunkt statt. In der Organisation
des Weltalls ist auf ihn eben so wohl
gerechnet, und er steht unter eben so
strengen Gesetzen, als der erstere.
Hal-
[531]
Halley’s, Wargentin’s, Kerseboom’s, Süss-
milch’s und mehrerer Anderer Untersuchungen
über die Ordnung der Sterblichkeit unter den
Menschen lehren, daſs wenn tausend Menschen
sterben, überall eine meist gleiche Anzahl von
20, 50, 60, 80jährigen darunter ist, daſs die
Climaten und die Verschiedenheit der Nahrungs-
mittel auf diese Verhältnisse fast gar keinen Ein-
fluſs haben, und daſs blos die Lebensweise,
die moralischen Verhältnisse des Lebens, das
Laster und die Tugend, der Müssiggang und die
Arbeitsamkeit einen kleinen Unterschied zwischen
den Sterbenden auf dem Lande und in den
Städten hervorbringen (g). Da nun der Mensch
vermöge seiner Freiheit unter allen lebenden Kör-
pern den meisten zufälligen Todesarten ausge-
setzt ist, so müssen um so mehr noch die übri-
gen Organismen der lebenden Natur, wie in
Hinsicht auf ihre Erzeugung und ihr Wachs-
thum, so auch in Betreff ihrer Abnahme und
ihres Todes unter den strengsten Gesetzen
stehen.
Hier haben wir eine neue Thatsache, die
sich, gleich manchen andern schon in den vo-
rigen
L l 2
[532] rigen Abtheilungen dieses Werks angeführten Er-
scheinungen, nicht anders, als aus einer dyna-
mischen Wechselwirkung, worin alle lebende
Organismen gegen einander stehen, erklären läſst.
Ein anderes Faktum, welches ebenfalls nur in
dieser Voraussetzung einen befriedigenden Grund
hat, ist das Verhältniſs, worin die Zahl der
Nachkommen eines lebenden Körpers gegen die
Menge der zufälligen Todesarten steht, denen
sie bey ihrem Entstehen ausgesetzt sind. Allge-
mein gilt der Satz, daſs beyde gegen ein-
ander im geraden Verhältnisse stehen.
Die Säugthiere und Vögel hinterlassen nur eine
kleine Nachkommenschaft. Aber die Jungen der
erstern und die Eyer der letztern sind auch weit
mehr vor zufälligen Zerstöhrungen geschützt,
als die Brut aller übrigen lebenden Körper.
Bey den eyerlegenden Amphibien und Fischen
geht die Zahl der Nachkommen in die Hunderte
und Tausende. Aber diese sind auch nach ih-
rem Austritte aus dem Körper der Mutter ohne
Schutz den Wellen und dem Heiſshunger der
Bewohner des Wassers Preiſs gegeben. Gehen
wir endlich zu den Zoophyten und Vegetabi-
lien über, so sehen wir hier die Nachkommen-
schaft ganz dem Zufalle überlassen. Die Am-
phibien und Fische sind wenigstens im Stande,
einen tauglichen Ort zur Niederlage ihrer Eyer
auszu-
[533] auszuwählen. Den Zoophyten und Pflanzen
hingegen fehlet auch dieses Vermögen. Eben
deswegen aber geht nicht nur die Zahl ihrer
Eyer ins Unzählbare, sondern die nehmlichen
Ursachen, wodurch die höhern Thierclassen ge-
tödtet werden, sind auch ein Mittel zu ihrer
Fortpflanzung.
Ein drittes, die Abnahme der lebenden Or-
ganismen betreffendes Gesetz ist: daſs von
der Geburth bis ins höchste Alter eine
beständige Ebbe und Fluth des Lebens
statt findet; oder mit andern Worten: daſs,
wenn gleich bey der Annäherung der
lebenden Körper zur höchsten Stufe des
Lebens die Sterblichkeit derselben sich
vermindert, und bey ihrer Rückkehr
zur niedrigsten Stufe sich vermehrt,
bey dieser Verminderung und Vermeh-
rung doch immer eine gewisse Oscilla-
tion bemerkbar ist.
Süssmilch(h) hat, nach seinen eigenen und
seiner Vorgänger Tabellen über die Ordnung der
Sterblichkeit, berechnet, wie viele von tausend
Ge-
L l 3
[534] Gebohrnen im ersten, zweyten, dritten, und
den folgenden Jahren noch übrig sind. Vermit-
telst dieser Tabelle ist es leicht, auszumachen,
wie groſs die Sterblichkeit von tausend einjäh-
rigen Menschen, tausend zweyjährigen u. s. w. ist.
Die Resultate dieser Berechnung enthält die fol-
gende Tabelle, und auf dieser gründet sich un-
ser obiger Satz. Die Columne A derselben zeigt
die Anzahl der Jahre, die Columne B die An-
zahl der Menschen an, welche von Tausenden
in diesen Jahren sterben; das vorgesetzte Zeichen
— bedeutet die Abnahme, das Zeichen + die
Zunahme der Mortalität.
[535]
[536]
Aus dieser Tafel ergiebt sich Folgendes:
Von der Geburth an bis zum 13ten Jahre findet
eine schnelle Abnahme der Mortalität statt; doch
steigt sie während dieser Abnahme etwas vom
Ende des 5ten bis zum 8ten und im 11ten Jahre.
Vom 14ten bis zum 37ten Jahre nimmt die Sterb-
lichkeit wieder ununterbrochen, doch mit lang-
samen Schritten, zu. Im 38ten Jahre bemerkt man
wieder eine Abnahme derselben. Jenseits dieser
Periode steigt sie wieder bis zum 47ten Jahre,
aber so langsam, daſs sie erst im 45ten Jahre um
etwas gröſser wird, als sie im 37ten war.
Während dem Zeitraume vom 38ten bis zum 47ten
Jahre findet also ein Stillstand der Mortalität
statt. Nach dem 47ten Jahre erfolgt wieder ein
ununterbrochenes Wachsthum der Sterblichkeit
bis zum 70ten Jahre, und zwar nimmt dieses
von Jahre zu Jahre zu. Vom 70ten bis zum
97ten Jahre tritt ein abwechselndes Steigen und
Fallen der Sterblichkeit ein, doch so, daſs das
folgende Steigen das vorhergehende Fallen nicht
nur immer übertrifft, sondern auch um so mehr
übertrifft, je näher man in der Scale der Morta-
lität dem 97ten Jahre kömmt.
Das Minimum der Sterblichkeit fällt in die
Zeit vom 12ten bis zum 20ten Jahre. Hier ist
also die Periode des höchsten Lebens. Aber
eben diese Zeit ist zugleich die der Mannbarkeit.
Die
[537]Die Bildung des Zeugungsstoffs und die
Entwickelung der Frucht stehen folg-
lich im Antagonismus mit dem Wachs-
thume des Vaters und der Mutter, und
dieser Antagonismus ist es, wovon die
Nothwendigkeit des Alters und des na-
türlichen Todes abhängt. Ein lebender
Körper, worin alles nur Sympathie wäre, wür-
de blos dem zufälligen Tode ausgesetzt seyn,
und einer ewigen Jugend genieſsen können;
aber er würde auch nicht im Stande seyn, sein
Geschlecht fortzupflanzen. Ein Organismus,
welcher nur unter dem Gesetze des Antagonis-
mus stände, würde blos sein Geschlecht fortpflan-
zen und sterben, ohne vor seinem Tode für
sich gelebt zu haben.
§. 13.
Dies sind die Gesetze, die alle lebende Or-
ganismen bey ihrem Wachsthume und bey ih-
rem Absterben beobachten. Bey der Erläute-
rung derselben haben wir schon auf verschie-
dene Schlüsse aufmerksam gemacht, worauf wir
durch sie geführt werden. Wir wollen mit der
weitern Verfolgung der letztern diesen Abschnitt
beschliessen.
L l 5Aus
[538]
Aus den Gesetzen des 9ten und 11ten § zo-
gen wir den Schluſs, daſs Fortpflanzung des
Geschlechts, Wachsthum und Reproduktion Wir-
kungen einer und derselben, nur auf verschie-
dene Art sich äussernden Kraft sind. Hieraus
folgt weiter, daſs Fortpflanzung des Geschlechts
ein fortgesetztes Wachsthum ist, und daſs wir
jeden lebenden Körper mit seinen Nachkommen
als einen einzigen Organismus betrachten kön-
nen, dessen Stamm abstirbt, so wie sich seine
äussersten Zweige entwickeln.
Ist dieser Gesichtspunkt der richtige, so
müssen die allgemeinern Gesetze des Wachs-
thums auch die der Erzeugung seyn, und so
verhält es sich wirklich. Diese allgemeinern
Gesetze waren das der Sympathie und das des
Antagonismus. Auf jenem beruhet die Aehn-
lichkeit zwischen dem erzeugten Individuum und
dem erzeugenden; auf diesem die Abnahme des
letztern bey der Bildung des erstern. Hier se-
hen wir also zwey, dem Scheine nach ganz ver-
schiedene Phänomene auf einerley Gesetze zu-
rückgeführt, und wir dürfen nicht mehr zwei-
feln, daſs mit Auffindung der Ursachen des einen
auch die des andern entdeckt seyn werden.
Eine zweyte Folgerung aus den erwähnten
Gesetzen ist, daſs Reproduktion eine partielle
Erzeu-
[539] Erzeugung ist, oder sich zu dem einzelnen Thei-
le eben so verhält, wie die Fortpflanzung des
Geschlechts zu dem ganzen Organismus. Auch
diesen Schluſs bestätigt die Gleichheit der Re-
produktions- und Propagationsgesetze. Wir se-
hen, daſs da, wo die Reproduktion eines Theils
gehindert ist, an die Stelle derselben ein vica-
riirendes Wachsthum tritt. Aber was ist das
Hervorwachsen der Bart-, Achsel- und Schaam-
haare, und die Entstehung der monatlichen Rei-
nigung zur Zeit der Mannbarkeit anders, als ein
solches vicariirendes Wachsthum? Dieser periodi-
sche Blutverlust dauert nur so lange, als die
Reproduktion eines neuen Individuum nicht statt
findet; er höret auf, so bald die letztere ihren
Anfang genommen hat. Er hat also ganz den
Charakter des vicariirenden Wachsthums. Viel-
leicht würde das Wachsthum der Achsel- und
Schaamhaare beym weiblichen Geschlechte eben-
falls einen Stillstand während der Schwanger-
schaft zeigen, wenn Beobachtungen über diesen
Gegenstand möglich wären.
Jedes einzelne Organ verhält sich also zum
ganzen Organismus, wie dieser zu der Reihe
von Generationen, woraus er entsprungen ist,
und welche ihm ihr Daseyn verdanken. Be-
trachten wir diese Reihe als einen einzigen Orga-
nismus, so ist das Leben derselben die Summe
aller
[540] aller einzelnen Leben der Individuen, woraus sie
besteht. Eben so können wir aber auch das
Leben eines jeden dieser Individuen als die
Summe aller einzelnen Leben seiner Theile an-
sehen, und jedem Theile ein eigenes Leben
(vita propria) zuschreiben.
Das Leben des ganzen Organismus ist daher
ein Produkt der Sympathie und des Antagonis-
mus mehrerer anderer Organismen, die wir ge-
wöhnlich als Theile betrachten, die wir aber
auch gewissermaaſsen als selbstständige Wesen
ansehen können. Je geringer die Sympathie ist,
desto gröſser ist die Selbstständigkeit, und also
auch das eigene Leben der eigenen Organe.
Die erstere aber ist desto geringer, je weniger
Einfluſs Verletzungen einzelner Theile auf den
übrigen Organismus haben, also geringer bey
den Zoophyten und Pflanzen, als bey den Thie-
ren, und unter diesen geringer bey den Wür-
mern, Insekten und Amphibien, als bey den
Vögeln und Säugthieren. Wir haben aber im
sechsten Abschnitte des ersten Buchs gesehen,
daſs das Volumen des Gehirns gegen die Dicke
des Rückenmarks, der Nerven und Nervenkno-
ten, die Quantität von Blut, welche zum Ge-
hirne geht, gegen die im übrigen Körper ent-
haltene Blutmenge, die Quantität des im ganzen
Körper circulirenden Bluts gegen die Masse der
festen
[541] festen Theile, und die Menge der ungleicharti-
gen Organe gegen die der gleichartigen desto
mehr abnimmt, je weiter wir von den Säugthie-
ren zu den Zoophyten herabsteigen (i). Hier
haben wir also mehrere Phänomene, die mit
der Abnahme des eigenen Lebens der Organe bey
den höhern Thierclassen, und der Zunahme des-
selben bey den niedern Thierclassen, Zoophyten
und Pflanzen unzertrennlich verbunden sind,
und welche daher entweder Ursachen, oder Mit-
wirkungen von diesen seyn müssen.
Zur Beantwortung der Frage, ob jene Phä-
nomene Ursachen oder Coeffekte dieser Ab- und
Zunahme sind? ist es nothwendig, auf die Sätze
zurückzukommen, die wir im 4ten § dieses Ab-
schnitts über die Zeit des Entstehens der ver-
schiedenen Organe vorgetragen haben. Aus die-
sen ergiebt sich, daſs unter allen Organen das
Gehirn dasjenige ist, welches am frühesten ge-
bildet wird, und daſs hierauf das Herz nebst
den gröſsern Blutgefäſsen folgt. Das Gehirn,
und nach diesem das Herz, bestimmt also den
verschiedenen Grad des eigenen Lebens der Or-
gane. Ein groſses Gehirn mit zarten Nerven
und Ganglien bringt einen Organismus hervor,
in welchem die Sympathie groſs, das eigene Le-
ben
[542] ben der Organe aber gering ist; ein kleines Ge-
hirn mit groſsen Nerven und Nervenknoten ver-
mindert die Sympathie und vermehrt das eigene
Leben der Organe.
Hieraus flieſst eine, das Nervensystem der
Zoophyten und Pflanzen betreffende Folgerung.
Das anatomische Messer zeigt uns bey diesen
Organismen kein Gehirn und keine Nerven mehr.
Wir sind aber dennoch gezwungen, bey ihnen
ein Analogon von Nervensystem anzunehmen,
weil sich bey allen noch Spuhren von Sympa-
thie finden, welches ohne Nerven nicht der Fall
seyn könnte. Jene Sympathie nun ist am gröſs-
ten bey den obern Ordnungen der Thierpflan-
zen, in deren Struktur noch Symmetrie herrscht;
sie nimmt ab, so wie sich diese Symmetrie ver-
mindert, und ist also am geringsten bey den
Pflanzenthieren; sie äussert sich wieder mehr
bey den Pflanzen durch den symmetrischen Stand
der Blätter, den man bey diesen Organismen
überhaupt, vorzüglich aber bey denen mit gefie-
derten Zweigen antrifft. Nach dieser Stufenleiter
der Sympathie muſs sich auch die Organisation
des Nervensystems bey den Zoophyten und Pflan-
zen richten. Die, zunächst an die Thiere grän-
zenden Thierpflanzen haben also vermuthlich
noch ein Nervensystem mit einer Art von Gan-
glien oder Vereinigungsorganen der verschiedenen
Ner-
[543] Nervenzweige. Hingegen bey den niedern Ord-
nungen der Zoophyten, und bey denen Ordnun-
gen der Pflanzenthiere, die mit ihnen am näch-
sten verwandt sind, giebt es wahrscheinlich kei-
ne solche Vereinigungsorgane mehr. Sie bilden
sich aber vielleicht wieder bey den Pflanzen,
und vorzüglich bey den gefiederten, doch ohne
Zweifel in einer ganz andern Form, wie bey
den Thieren.
Dritter
[544]
Dritter Abschnitt.
Versuch einer Ableitung der bisheri-
gen Erfahrungssätze aus den ober-
sten Sätzen der Biologie.
In der Lehre von der Erzeugung setzten wir
uns als das letzte Ziel unserer Untersuchungen
die Beantwortung folgender Fragen vor: Warum
pflanzen sich nicht alle Organismen durch Spros-
sen fort? Warum bedarf es bey einigen zur
Geschlechtsvermehrung der Begattung? Was ist
Begattung? Warum entsteht nicht bey jeder
Zeugung eine gewisse Anzahl von männlichen
und weiblichen Individuen, sondern ohne be-
merkbare Ordnung bald eine männliche, bald
eine weibliche Frucht? Woher bleibt sich, die-
ses scheinbaren Mangels an Ordnung ohngeach-
tet, die Zahl der männlichen und weiblichen In-
dividuen im Ganzen doch immer gleich?
So führt uns auch die Lehre von dem Wachs-
thume und der Abnahme der lebenden Körper
auf folgende Probleme: Warum hat jeder le-
bende
[545] bende Organismus ein Ziel des Wachsthums?
Warum entwickeln sich nicht alle Organe dessel-
ben zu gleicher Zeit und in gleichem Verhältnis-
se? Warum stehen einige bey ihrem Wachsthu-
me in einer Sympathie, und andere in einem An-
tagonismus? Warum reproduciren sich nur eini-
ge, nicht alle Organe? Woher die wunderbare
Ordnung in der Zahl der Sterbenden und Ge-
bohrnen?
Was uns die Erfahrung der bisherigen Zei-
ten in Beziehung auf diese Fragen liefern konnte,
hat sie uns geliefert. Laſst uns jetzt versuchen,
jene Probleme aus den obersten Sätzen, wovon
unsere biologischen Untersuchungen ausgingen,
zu lösen. Diese Auflösung kann indeſs nicht
weiter gehen, als die Nothwendigkeit und Mög-
lichkeit der mannichfaltigen Erscheinungen der
Erzeugung, des Wachsthums und des Alterns der
lebenden Körper bey den gegebenen Erfahrungs-
begriffen der Materie und des Lebens zu zeigen.
Fraget aber nicht nach der Nothwendigkeit dieser
Begriffe! Wer diese Frage zu beantworten sich
unterfängt, hat keinen Grund, worauf er bauen
kann, als das ursprüngliche, unbedingte Seyn.
Allein was ist das unbedingte Seyn anders, als
die Gottheit selber? Und wozu kann eine Natur-
philosophie, die von dieser ausgeht, führen, als
zur Mystik und Schwärmerei?
III. Bd. M mJa,
[546]
Ja, es giebt ein absolutes, unbedingtes Seyn,
und wer einzig und allein aus diesem Seyn alles
Bedingte abgeleitet hätte, würde den Ruhm ver-
dienen, der Schöpfer einer wahrhaften Wissenschaft
gewesen zu seyn. Aber gerade das beweiset, daſs
alle Construktion aus dem Absoluten ein eitles
Blendwerk ist, daſs der Mensch sich nicht selber
zum Gotte zu machen, nicht zum unbedingten
Wissen zu erheben vermag, weil aus dem Ab-
soluten nichts Bedingtes hervorgehen kann, wenn
dasselbe nicht innere Bedingungen hat, und ein
solches noch eben so wenig, als das von aussen
Bedingte, den Namen des Absoluten verdient,
weil der Einbildungskraft in der Bestimmung die-
ser innern Bedingungen freyes Spiel gegeben ist,
und weil sich daher auf jenem vorgeblichen Un-
bedingten mehrere ganz verschiedene Systeme
gründen lassen, welche alle gleich wahr und
gleich falsch sind.
Bey den Anhängern jener Philosophie sind
die innern Bedingungen des Absoluten die ur-
sprünglichen Qualitäten. Aber dieser, aus
der Leibnitzischen Monadenlehre entlehnten En-
telechien bedürfen wir nur, wie Leibnitz selber
schon bemerkt hat (k), zur Erklärung der leben-
digen Materie, nicht der Materie überhaupt. Ehe
also
[547] also von ihnen Gebrauch gemacht werden darf,
muſs vorher dargethan werden, daſs Leben ein
Attribut alles Materiellen ist. Nun geht freilich
jene Philosophie von einer unbedingten Thätig-
keit der Natur aus, und eine solche ist nichts
anders, als das absolute Leben, als die Gottheit
selber. Aber mit welchem Rechte läſst sich der
Natur unbedingte Thätigkeit zuschreiben, mit
welchem Rechte sich Gott und Natur für iden-
tisch annehmen? Man sucht vergeblich bey den
Anhängern jener Philosophie eine befriedigende
Beantwortung dieser Frage. Doch träfe auch die-
ser Einwurf nicht, so würde sie der noch treffen,
daſs mit der Annahme ursprünglicher Qualitäten alle
weitere Deduktionen aus dem bloſsen Begriffe
des ursprünglichen Seyns aufhören. Denn nur
das läſst sich ohne Hülfe der Erfahrung aus einer
höhern Voraussetzung ableiten, was der mathe-
matischen Construktion und der Anwendung der
mathematischen Analysis fähig ist. Aber für ur-
sprüngliche Qualitäten giebt es kein Bild, kein
Maaſs, und keine analytische Formeln. Daher
sind jene Philosophen gezwungen, bey ihrem
weitern Philosophiren zu dunkeln, unbestimmten
Begriffen und Wörtern ihre Zuflucht zu nehmen;
daher läſst sich von ihnen das Nehmliche sagen,
was Descartes von den Scholastikern sagte:
“Ihre Art zu philosophiren ist ganz gemacht für
„Geister, die tief unter der Mittelmäſsigkeit ste-
M m 2„hen.
[548] „hen. Die Dunkelheit ihrer Distinktionen und
„Principien setzt sie in den Stand, von allen
„Dingen mit der Miene des gründlichen Kenners
„zu reden, verschafft ihnen Mittel, jede ihrer
„Behauptungen zu vertheidigen, und sichert sie
„gegen alle Widerlegungen. Sie gleichen einem
„Blinden, der, um dem Sehenden im Zweykam-
„pfe gleich zu seyn, diesen in ein unterirdisches,
„dunkeles Gemach führt.” Dies sey vorläufig für
diejenigen gesagt, die alle Geisteswerke nur nach
ihren Grundsätzen würdigen. Und jetzt zur
Sache.
Leben besteht in der Gleichförmigkeit der
Gegenwirkungen bey ungleichförmigen Einwirkun-
gen der äussern Welt, in Erscheinungen, wel-
che, obgleich veranlaſst durch wandelbare Ein-
flüsse, doch bis auf einen gewissen Grad un-
wandelbar sind. Lebend würde z. B. ein beweg-
ter Körper seyn, auf welchen während seiner
Bewegung ungleiche beschleunigende Kräfte wirk-
ten, und welcher dennoch in gleichen Zeiten
gleiche Räume zurücklegte.
Auf den lebenden Körper wirkt innerhalb ge-
wisser Gränzen alles, was auf ihn einen zerstöh-
renden Einfluſs hat, zugleich auch erhaltend.
Deswegen ist der Magnet nicht lebend. Der ath-
mosphärischen Luft ausgesetzt, wird er oxydirt,
und
[549] und mit dieser Oxydation verliehrt er seinen
Magnetismus. Wäre er lebend, so würde diese
Oxydation für ihn ein Mittel zur Erhaltung oder
Verstärkung seiner magnetischen Kraft werden.
Alles Lebendige besitzt das Vermögen, seinen
Zustand nach der Beschaffenheit der Sphäre,
worin es sich befindet, zu modificiren. Bey al-
lem Leben ist daher ein Schein von Willkühr,
ein Analogon des geistigen Princips. Aber das
Beseelte vermag unter mehrern möglichen Arten
der Modifikation seines Zustands zu wählen; das
blos Lebendige hingegen folgt bey seiner Modi-
fikation der blinden Nothwendigkeit, und der
Schein von Willkühr, der dessen Handlungen
umgiebt, rührt nur davon her, weil die Art,
wie es sich in jedem Falle nach den Einwir-
kungen der Aussenwelt modificirt, immer die
zweckmäſsigste von allen ist. Daher die Erha-
benheit der Naturprodukte über die Werke der
Kunst.
Dies alles ist schon in der Einleitung gelehrt
worden. In der Folge bemerkten wir, daſs die
Anwendung der angeführten Charaktere des Le-
bens groſse Schwürigkeiten hat, und daſs viel-
leicht von einem andern Standpunkte, als un-
serm jetzigen, die ganze Natur uns als lebend
erscheinen würde. Indeſs setzten wir unsere
M m 3Unter-
[550] Untersuchungen fort, unbekümmert, ob der Ge-
gensatz zwischen dem Lebendigen und dem Leb-
losen wahr oder nur scheinbar sey. Wir ahm-
ten dem Astronomen nach, der in seiner Wis-
senschaft von Erscheinungen ausgeht, ungewiſs,
ob diese Phänomene nicht Täuschungen sind,
aber überzeugt, daſs diese Täuschungen auf
ewigen Gesetzen beruhen, und daſs er bey
standhafter Verfolgung dieser Gesetze endlich die
Wahrheit erreichen wird. Unsere obige Vermu-
thung erhielt in der That auch durch die Un-
tersuchungen, die wir im vorigen Buche über
den Ursprung des Lebens anstellten, einen hohen
Grad von Wahrscheinlichkeit, indem sich dort
zeigte, daſs Leben ein Attribut nicht blos einzel-
ner Organismen der Erde, sondern der Erde sel-
ber ist (l). Hieraus aber scheint ein Einwurf
gegen die im zweyten Kapitel der Einleitung (m)
aufgestellten Fundamentalsätze der Biologie zu
flieſsen, der erst gehoben werden muſs, ehe wir
auf diesen Lehren weiter bauen dürfen. Alle
jene Sätze nehmlich beruhen auf dem Gegensatze
des Lebendigen und des Leblosen. Hört die-
ser Gegensatz auf, so ist jenen Sätzen ihre
Stütze entzogen. Was läſst sich hierauf er-
wiedern?
Ich
[551]
Ich antworte, daſs diese Schwürigkeit geho-
ben ist, sobald man zwischen dem entlehnten
und dem eigenthümlichen Leben unterschei-
det. Ein entlehntes Leben besitzen diejenigen
Körper, die wir in der Einleitung leblose ge-
nannt haben. Diese reagiren nur gleichförmig
gegen die Einwirkungen der äussern Welt, weil
sie Theile eines lebenden Ganzen sind. Getrennt
von diesem, erfolgen an ihnen neue ungleichför-
mige Erscheinungen. Diese Trennung nimmt
die Kunst bey allen chemischen Processen vor.
Daher die Ohnmacht der Chemie in der Nachah-
mung alles dessen, was sich im Schooſse der
Erde erzeugt, und daher das Unerklärbare aller
geologischen und meteorologischen Erscheinungen
aus chemischen Grundsätzen. Hingegen was ein
eigenthümliches Leben besitzt, ist unmittelbar
oder mittelbar dem Einflusse der Geisterwelt aus-
gesetzt. Es äussert entweder selber willkührliche
Handlungen, oder ist abhängig von Organismen,
die sich aus einem innern Princip zur Thätigkeit
oder Ruhe bestimmen. Ohne diese Verbindung
des Lebens mit der Geisterwelt würden wir gar
keinen Begriff von Leben haben, weil es nur
vermöge dieser Verbindung Körper giebt, die
zufälligen und also ungleichförmigen Einwirkun-
gen ausgesetzt sind. Verstehen wir nun in Zu-
kunft unter lebenden Körpern blos diejenigen,
die ein eigenthümliches Leben besitzen, unter
M m 4leb-
[552] leblosen aber die, deren Leben entlehnt ist, so
sieht man leicht ein, daſs alle in der Einlei-
tung aufgestellte Sätze völlig ungeändert bleiben.
Unter diesen Sätzen verdienen hier vorzüg-
lich die beyden folgenden unsere Aufmerksam-
keit:
- 1) Es giebt kein absolutes Leben des Indivi-
duums. Alles Leben des Einzelnen ist be-
schränkt, alle Reaktionen desselben gegen
ungleichförmige Einwirkungen der Aussen-
welt sind nur innerhalb gewisser Schranken
gleichförmig. - 2) Das lebende Individuum ist abhängig von
der Art, die Art von dem Geschlechte, die-
ses von der ganzen lebenden Natur, und die
letztere vom Organismus der Erde. Das In-
dividuum besitzt zwar ein eigenthümliches
Leben, und bildet in so fern eine eigene
Welt. Aber eben weil das Leben desselben
beschränkt ist, so macht es doch zugleich
auch ein Organ in dem allgemeinen Organis-
mus aus. Jeder lebende Körper besteht durch
das Universum; aber das Universum besteht
auch gegenseitig durch ihn. Ein höherer
Verstand würde aus der gegebenen Organisa-
tion eines einzigen lebenden Individuums die
Organisation der ganzen übrigen Welt ab-
zuleiten
[553] zuleiten im Stande seyn. Von jedem dieser
Individuen läſst sich dasselbe sagen, was
Leibnitz von den Monaden sagte: Atque
huic adaptationi rerum omnium creatarum ad
unamquamque, et uniuscuiusque ad caeteras
omnes tribuendum, quod quaelibet substan-
tia simplex habeat respectus, quibus expri-
muntur caeterae omnes, et per consequens
speculum vivum perpetuum universi exi-
stat.
Aus diesen Sätzen folgt nun erstens, daſs
es einen quantitativen Unterschied zwischen den
verschiedenen lebenden Organismen in Betreff der
Intensität ihres Lebens giebt. Aber es folgt zu-
gleich auch, daſs diese Stufenfolge sich nur auf
einige, nicht auf alle Funktionen erstrecken
kann, und daſs, je höher ein Organismus in
Betreff einer einzelnen Funktion steht, desto tie-
fer er in Hinsicht auf eine andere stehen muſs.
Denn wäre dies nicht der Fall, fände unter den
lebenden Körpern eine solche Gradation statt,
daſs einige in jeder Rücksicht auf einer höhern
Stufe des Lebens ständen, als die übrigen, so
würden jene bald alle übrige verdrängen; es
würde nur ein einziges lebendes Individuum
übrig bleiben, und auch dieses würde, weil das
Leben desselben immer noch beschränkt wäre,
sein Daseyn nur auf eine kurze Zeit behaupten
M m 5kön-
[554] können. Wir sehen also, daſs, wenn eine le-
bende Natur vorhanden ist, solche Gesetze in
derselben statt finden müssen, wie wir im sech-
sten Abschnitt des ersten Buchs (n) aus Erfah-
rungen entwickelt haben. Warum aber eine le-
bende Natur existirt? Diese Frage liegt nicht uns
ob zu beantworten, uns, die wir das Daseyn der
Materie und des Lebens als gegeben annehmen,
und nur die Möglichkeit derselben zu erklären
uns für verpflichtet halten. Diese Aufgabe löse
der, welcher aus dem Begriffe des unbedingten
Seyns die ganze Natur zu erschaffen sich ge-
trauet.
Verliehrt nun alles Leben auf der einen Sei-
te eben so viel an Energie, wie es auf der an-
dern gewinnet, und dies darum, weil sonst alle
Mannichfaltigkeit der Formen aufhören, ein va-
cuum formarum, um mich eines Ausdrucks äl-
terer Philosophen zu bedienen, entstehen, und
das Gleichgewicht im Organismus der Erde ge-
stört seyn würde, so folgt, daſs eine Art von
lebenden Körpern um desto beschränkter in der
Fortpflanzung seyn muſs, je mehr jedes Indivi-
duum derselben auf die äussere Welt einwirkt,
und je gröſsere Veränderungen dieses in der Or-
ganisation der übrigen Natur hervorzubringen im
Stande ist. Das Einwirken eines Organismus
auf
[555] auf die äussere Welt ist aber desto stärker und
vielseitiger, je ausgebildeter und mannichfaltiger
seine Organe sind, und diese Mannichfaltigkeit
nimmt in einer ununterbrochenen Stufenfolge zu
von den einfachsten Zoophyten bis zu dem Men-
schen (o). Darum sind die Zoophyten die frucht-
barsten, die Säugthiere aber, und vorzüglich der
Mensch, die unfruchtbarsten unter allen leben-
den Körpern.
Jede Funktion hat ihr Organ, und die Man-
nichfaltigkeit und Vollkommenheit der Funktionen
drückt sich in der Mannichfaltigkeit und Ausbil-
dung der Organe aus. Wenn also gewisse Funk-
tionen einander beschränken, so müssen auch
die Organe, welche diesen Funktionen vorstehen,
eine gleiche Wirkung auf einander äussern. Und
hierauf beruhet das im 6ten § des vorigen Ab-
schnitts aus Erfahrungsgründen hergeleitete Ge-
setz des Antagonismus.
Antagonistisch wirken nur solche Organe auf
einander, welche verschiedenen Funktionen vor-
stehen. Wo also keine Verschiedenheit der
Funktionen und keine Mannichfaltigkeit der Or-
gane ist, da findet auch kein Antagonismus statt,
und bey einem solchen Körper kann daher das
Wachsthum des einzelnen Theils ins Unendliche
gehen.
[556] gehen. Doch kein Körper hat völlig homogene
Organe, wohl aber nähern sich die Theile bey
einigen mehr, bey andern weniger der Gleich-
artigkeit. Jedes Organ hat also ein beschränktes
Wachsthum; aber die Gränzen des letztern sind
desto enger, je verschiedenartiger, und desto
weiter, je heterogener die Organe des erstern
sind. Die gleichartigsten Organe nun haben die
Zoophyten und Pflanzen (p): daher die Unbe-
stimmtheit, welche bey einem und demselben
dieser Körper in der Gröſse der einzelnen Theile
herrscht (q).
Eben dies gilt aber auch von dem ganzen
Organismus. Je mannichfaltiger und verschieden-
artiger seine Organe sind, desto vielseitiger ist
sein Einfluſs auf die übrige Natur, und desto
beschränkter muſs sein Wachsthum seyn: daher
werden die Varietäten in der Gröſse desto selte-
ner, je näher wir in der Reihe der Naturpro-
dukte dem Menschen kommen, und desto häu-
figer, je mehr wir uns den untersten Ordnungen
der Zoophyten nähern.
Jener Antagonismus, durch welchen die ver-
schiedenen Organe eines lebenden Körpers sich
wechselseitig bey ihrem Wachsthume beschrän-
ken,
[557] ken, muſs aber auch wieder beschränkt seyn:
denn sonst wäre gar keine Mannichfaltigkeit der
Funktionen und der Organe an einem und dem-
selben Organismus möglich, könnte kein harmo-
nisches Zusammenwirken der Theile zu einem
einzigen Zweck, also auch keine Organisation,
statt finden. Deswegen müssen eben die Organe,
die von gewissen Seiten einen Antagonismus ge-
gen einander äussern, von andern Seiten wieder
in enger Sympathie stehen.
Unter antagonistischen Organen kann aber keine
Sympathie statt finden, wenn diese nicht durch
ein drittes Organ, womit jene zugleich in Wech-
selwirkung stehen, vermittelt ist. Wo also
Sympathie herrscht, da ist auch dieses Organ
vorhanden, und dieses Organ ist desto ausgebil-
deter, je enger die Sympathie ist. Hiermit stim-
met auch die Erfahrung überein: denn diese
lehrte uns, daſs das Gehirn der Theil ist, mit
dessen zunehmender Gröſse bey abnehmender
Gröſse des Nervensystems die Sympathie zu-
nimmt.
Jenes Organ der Sympathie ist dasjenige,
welches die verschiedenen Theile des Organismus
zu einem Ganzen vereinigt. Sobald dieses zer-
stöhrt ist, hört alle Wechselwirkung, und daher
alle Reproduktion auf. Deswegen ist das Gehirn
ein
[558] ein absolut unersetzbarer Theil, und deswegen
ist es wahrscheinlich, daſs in denen Fällen, wo
man Fortdauer des Lebens, und selbst Ersatz
des Verlohrnen nach dem Verluste eines Theils
des Gehirns wahrgenommen haben will, jener
Theil nicht durchaus nothwendig zur Vollziehung
der Funktionen dieses Eingeweides war.
Es lassen sich Organismen als möglich den-
ken, bey welchen zwar Ein Hauptorgan der
Sympathie vorhanden wäre, wo es aber zugleich
mehrere untergeordnete Organe der Art gäbe, die
einzelnen Theilen angehörten, und diese bis auf
einen gewissen Grad unabhängig von dem Gan-
zen machten. Bey solchen Organismen würden
diese Theile einen eigenen Typus in ihrer Ent-
stehung, ihrem Wachsthume und ihrer Abnahme
befolgen, und, getrennt vom Ganzen, noch eine
längere oder kürzere Zeit sich als eigene lebende
Ganze verhalten. Solche Organismen sind aber
nicht blos möglich; jeder lebende Körper muſs
diese Eigenschaften haben. Denn nur bey einem
Körper, dessen Leben unbeschränkt wäre, wür-
den alle Theile ganz abhängig von dem Ganzen
seyn. Da nun jedes Individuum ein beschränk-
tes Leben hat, so müssen bey jedem lebenden
Körper die einzelnen Theile untergeordnete Or-
gane der Sympathie besitzen, vermöge welcher
diese mehr oder weniger unabhängig von dem
Gan-
[559] Ganzen sind; sie müssen bey ihrem Ursprunge,
ihrer Ausbildung und ihrem Absterben einen ei-
genen, von dem des Ganzen verschiedenen Ty-
pus haben, und, auch nach der Absonderung
von dem letztern, diejenigen Funktionen, denen
sie vorstanden, als sie mit diesem in Verbindung
waren, noch eine Zeitlang vollziehen; kurz, sie
müssen ein eigenthümliches Leben haben.
Die Fortdauer dieses eigenthümlichen Lebens
nach der Trennung von dem Ganzen wird desto
länger seyn, je unabhängiger die untergeordneten
Organe der Sympathie von dem Hauptorgane
sind, also je weniger Unterschied zwischen je-
nen und diesem in der Gröſse und Gestalt ist,
folglich am längsten bey den Würmern, Zoophy-
ten und Pflanzen. Bey eben diesen Organismen
nun ist zugleich jeder Haupttheil dem Ganzen
ähnlich; er besitzt also dieselben Mittel zu sei-
ner Fortdauer, die das Ganze hat, und wird
daher, auch abgesondert von diesem, den
Kreislauf seines eigenthümlichen Lebens vollen-
den können.
Aber nicht blos als Theil wird er fortdauern;
auch zu einem lebenden Ganzen wird er sich
unter günstigen Umständen erheben. Alles Le-
ben des Einzelnen nehmlich geht auf Erhaltung
der Individualität gegen den Einfluſs der äussern
Welt.
[560] Welt. Diese Erhaltung aber ist auf eine zwey-
fache Art möglich: das Individuum modificirt
sich entweder nach jenem Einfluſs; oder es mo-
dificirt ihn selber. Das Letztere aber kann nur
dadurch geschehen, daſs durch jenen Einfluſs
in dem Individuum, welches von demselben ge-
troffen wird, eine ihm entgegenwirkende Funk-
tion geweckt, und z. B. durch die Einwirkung
einer oxydirenden Substanz ein Desoxydations-
Vermögen in Thätigkeit gesetzt wird. Diese Art
der Modifikation nun setzt Mannichfaltigkeit der
Funktionen und der Organe voraus; sie kann
daher nur den Organismen der höhern Classen
zukommen. Hingegen bey der andern Art von
Modifikation verhält sich der lebende Körper
mehr leidend; sie ist daher ein Attribut der ein-
fachern Organismen, und durch sie können ein-
zelne Theile dieser Körper, bey günstigen Ein-
flüssen der äussern Welt, zu eigenen Individuen
gebildet werden.
Dieses Vermögen der Würmer, Zoophyten
und Pflanzen, sich durch Theilung zu vermehren,
läſst sich auch noch auf einem andern Wege als
Folge der Beschränktheit des Lebens darthun.
Es sind nehmlich zwey Hauptarten der Beschrän-
kung des Lebens denkbar. Der erste ist: durch
verminderte Dauerhaftigkeit bey vermehrter Frucht-
barkeit des Individuums; der andere: durch ver-
mehrte
[561] mehrte Dauerhaftigkeit bey verminderter Frucht-
barkeit desselben. Aber es giebt Eine Art von
Einwirkungen, wogegen die Natur keinen leben-
den Körper völlig zu schützen im Stande war,
und die gerade eine der häufigsten ist, nehmlich
die der mechanisch wirkenden Potenzen. Es ist
kein so dauerhafter Organismus möglich, der
diesen Einflüssen zu widerstehen im Stande wäre.
Wie kann also mit diesen Einwirkungen Dauer-
haftigkeit des Lebens bestehen? Es giebt hier
zwey mögliche Auswege, und zwar ist der erste
dieser, daſs mechanische Zertheilung ein Mittel
zur Vervielfältigung des Lebens wird. So zeigt
sich auch von dieser Seite die Möglichkeit der
Vermehrung durch Theilung. Aber von diesem
Gesichtspunkte aus erhellet zugleich, daſs solche
Körper, die sich vorzüglich durch Theilung ver-
mehren, in anderer Rücksicht sehr unfruchtbar
seyn müssen; und dies zeigt sich auch an dem
Armpolypen, dessen Vermögen, sich auf jene
Art zu vervielfältigen, unerschöpflich ist, der
aber nur eine geringe Zahl von Eyern her-
vorbringt.
Der zweyte Ausweg, auf welchem Fortdauer
des Lebens bey der Gegenwart zerstöhrender me-
chanischer Kräfte bestehen kann, ist, daſs das
Individuum mit dem Vermögen der willkührli-
chen Bewegung begabt, und hierdurch in den
III. Bd. N nStand
[562] Stand gesetzt ist, sich der Einwirkung jener
Potenzen zu entziehen. Bey dieser Art von
Dauerhaftigkeit des Individuums kann die Frucht-
barkeit entweder dadurch beschränkt seyn, daſs
jedes Individuum zwar sich selber zur Fortpflan-
zung genug ist, aber nur eine geringe Anzahl
von Nachkommen hervorzubringen vermag; oder
dadurch, daſs mehrere Individuen sich zur Fort-
pflanzung vereinigen müssen. Hiermit ist also
die Frage beantwortet: Warum bey einigen le-
benden Körpern ein nothwendiges Erforderniſs
zur Fortpflanzung die Begattung ist? Sie ist es
nehmlich als eine Schranke der Fruchtbarkeit
jener Körper. Zwar sieht man nicht ein, warum
diese Schranke nicht auch dadurch erreicht wer-
den konnte, daſs jene Organismen eine geringe
Anzahl von Nachkommen ohne Begattung hervor-
brächten. Allein aus den empirischen Untersu-
chungen, die wir im dritten Kapitel des ersten
Abschnitts dieses Buchs angestellt haben, ergab
sich in der That auch, daſs es sehr zweifelhaft
ist, ob viele von denen Körpern, die sich in
manchen Fällen durch Begattung vermehren, sich
nicht auch ohne dieses Hülfsmittel fortzupflanzen
im Stande sind.
Aber giebt es nicht auch Körper, die sich
auf beyderley Art, sowohl durch Theilung, als
durch Eyer oder Saamenkörner fortpflanzen?
Aller-
[563] Allerdings können diese beyden Arten der Ver-
mehrung in einem und demselben Individuum
statt finden, jedoch nie zugleich, sondern immer
nur zu verschiedenen Zeiten. Ein Körper, bey
welchem beyde Arten zu einerley Zeit vorhanden
wären, wurde eine unbeschränkte Fruchtbarkeit
besitzen, welche nicht mit der Organisation der
Natur bestehen kann. Solche Körper, die sich
sowohl durch Theilung, als durch Eyer oder
Saamenkörner fortpflanzen, müssen aber nur auf
den untersten Stufen der Organisation gefunden
werden. Denn daſs diese Organismen sich zu
verschiedenen Zeiten auf verschiedene Art ver-
mehren, kann nur in dem veränderten Einflusse
der Aussenwelt seinen Grund haben, und oben
ist gezeigt worden, daſs nur Individuen aus den
untersten Ordnungen der lebenden Körper durch
äussere Einwirkungen so bedeutende Verände-
rungen der Form ihres Lebens erleiden, wie
hierbey vorausgesetzt wird. Jeder Körper, der
sich durch Theilung vermehrt, kann sich also
auch durch Eyer oder Saamenkörner fortpflan-
zen. Aber sobald die eine dieser Vermeh-
rungsarten eintritt, ist die andere aufgehoben.
Daher sind die Blüthen des Lilium bulbiferum
unfruchtbar, wenn diese Pflanze Knospen her-
vorbringt, und daher erzeugt sie keine Knospen,
wenn sie fruchtbare Blüthen trägt. Darum
pflanzen sich die Hydern nur im Herbste durch
N n 2Eyer
[564] Eyer fort, nicht aber im Sommer, wo ihre Ver-
mehrung durch Sprossen statt findet.
Mit den bisherigen Sätzen ist das Ziel, das
wir im Anfange dieses Abschnitts zu erreichen
uns vorgesetzt hatten, gröſstentheils erreicht. Nur
Eine Frage ist uns noch zu beantworten übrig.
Wir sahen uns nehmlich bey unsern empirischen
Untersuchungen gezwungen, zur Erklärung meh-
rerer Erscheinungen ein dynamisches Einwirken
der lebenden Körper auf einander anzunehmen.
Läſst sich diese Hypothese aus den Fundamental-
sätzen der Biologie rechtfertigen?
Die Antwort auf diese Frage ist in denen
Sätzen enthalten, die wir über die Grundkraft
der Materie in der Einleitung aufgestellt haben.
Wir fanden dort, daſs eine zahllose Mannichfal-
tigkeit von repulsiven Kräften die materielle
Welt ausmacht, daſs jede Kraft durch alle übri-
ge begränzt ist, und daſs sie in diesen Gränzen
als ein Körper von bestimmter Gröſse und Ge-
stalt erscheint, daſs sie aber noch über diese
Gränzen hinauswirkt, und mit den ihr entge-
genwirkenden Kräften Flächenkräfte von man-
nichfaltiger Richtung und Intensität bildet (r).
Diese Flächenkräfte geben das Phänomen imma-
teriel-
[565] terieller Wirkungen, weil sie den Raum nicht
nach allen Dimensionen erfüllen. Von jedem
Körper müssen solche Kräfte ausgehen; auch
die lebenden Organismen müssen immaterielle
Wirkungen äussern. Diese Wirkungen aber sind
es, die wir oben dynamische genannt haben.
Wir sind also allerdings befugt, solche Einwir-
kungen zur Erklärung empirischer Data zu Hül-
fe zu nehmen. Indeſs ist freylich Vorsicht nö-
thig, nicht etwas aus einer solchen Action abzu-
leiten, was in der That eine unmittelbare mate-
rielle Ursache hat.
N n 3Vier-
[566]
Vierter Abschnitt.
Bedingungen des Wachsthums und
der Abnahme der lebenden
Körper.
§. 1.
Wachsthum beruhet auf einer Thätigkeit des
lebenden Körpers. Alle Thätigkeit setzt von
Seiten der Aussenwelt eine erregende Potenz,
und von Seiten des thätigen Körpers Receptivi-
tät und Reaktionsvermögen voraus. Die äussern
Bedingungen des Wachsthums aufsuchen, heiſst
also, den Potenzen, wofür der lebende Organis-
mus Empfänglichkeit besitzt, und der Wirkungs-
art dieser Kräfte nachforschen. Das Wachsthum
im allgemeinsten Sinne aber ist das Resultat der
sämmtlichen Funktionen des lebenden Körpers.
Die Bedingungen des erstern sind daher zugleich
die der letztern, und der gegenwärtige Abschnitt
wird folglich die allgemeinern Gesetze aller Le-
bensthätigkeit enthalten. Der Weg hierzu ist
uns schon durch die Untersuchungen gebahnt,
die
[567] die wir im letzten Kapitel des zweyten Buchs
dieses Werks (s) über die äussern Bedingungen
der verschiedenen Formen des Lebens angestellt
haben.
Der Einfluſs äusserer Potenzen auf den le-
benden Körper geschieht auf eine doppelte Art:
sie wirken entweder ohne Zuthun des letztern
auf denselben ein; oder ihre Einwirkung setzt
eine vorhergegangene Thätigkeit desselben vor-
aus. Auf jene Art agirt z. B. die Wärme; auf
diese Art wirken die Nahrungsmittel. Vorerst
werden wir den lebenden Körper bey allen äus-
sern Einwirkungen blos als leidend betrachten.
Die erwähnten Potenzen sind ferner entwe-
der absolut, oder relativ äussere. Zu den
letztern gehören die Actionen einzelner Theile
des lebenden Körpers, in so fern sie einen noth-
wendigen Einfluſs auf den übrigen Organismus
haben; Potenzen der erstern Art sind alle Ein-
flüsse, die nicht in der Organisation des lebenden
Körpers einen nothwendigen Grund haben. Eine
absolut äussere Potenz ist z. B. das Sonnenlicht;
eine relativ äussere, die durch dasselbe erregte
Thätigkeit des Gesichtsorgans.
§. 2.
N n 4
[568]
§. 2.
Alles, was das Wachsthum beför-
dert, beschleunigt auch die Abnahme
des lebenden Körpers, und zwar ent-
weder durch die Dauer, oder durch
die Heftigkeit der Einwirkung. Es
giebt daher ein gewisses Maximum der
Erregung, über welches diese nicht
erhoben werden kann, ohne sich ihrem
Minimum wieder zu nähern.
Thatsachen, welche dieses beweisen, sind
folgende:
Münzenpflanzen kamen in 1½ Unzen Wasser,
womit 1 bis 2 Tropfen des stärksten Salpeter-
geistes vermischt waren, dem Anscheine nach
besser, als in bloſsem Wasser, fort. Enthielt
aber das Wasser mehr von dieser Säure, so gin-
gen sie sehr bald ein (t).
In 1½ Unzen Wasser, worin 3 Gran Koch-
salz aufgelöset waren, kamen Pflanzen besser
fort und erhielten sich länger, als in reinem
Wasser. Eine gleiche Menge Wasser, welche
mehr Kochsalz, doch nicht über 12 Gran ent-
hielt, beförderte anfangs das Wachsthum, töd-
tete
[569] tete aber bald darauf die Pflanzen. Waren mehr
als 12 Gran in jener Quantität Wasser aufgelöset,
so starben die Gewächse in demselben augen-
blicklich (u).
Saamenkörner der Kresse (Lepidium sativum
L.), die ich mit einer Emulsion von Mohnsaft
begossen hatte, keimten und wuchsen zum Theil
viel schneller, als andere, welche mit dieser
Mischung nicht waren befeuchtet worden. Aber
von jenen blieben auch weit mehrere, als von
diesen, unentwickelt. Zugleich wurden dieje-
nigen der erstern, die gekeimt hatten, bleich-
süchtig, und starben weit früher ab, als die
letztern (v).
Aus dem obigen Gesetze lassen sich auch die
widersprechenden Resultate verschiedener Versu-
che über den Einfluſs mancher Mittel, z. B.
des Camphers, auf das Wachsthum der Pflanzen
erklären. Barton(w) und Willdenow(x)
fanden, daſs der Campher die Vegetation beför-
dert.
N n 5
[570] dert. In mehrern, von mir über diesen Gegen-
stand angestellten Versuchen hingegen wurde das
Wachsthum der Pflanzen von einer Emulsion
jenes Mittels zurückgehalten, oder ganz aufge-
hoben (y).
Aus jenem Gesetze erhellet endlich auch,
warum in Spallanzani’s oben gedachten Versu-
chen über die Erzeugung der Amphibien, die
Entwickelung der Eyer dieser Thiere durch einen
gewissen Grad von Wärme beschleunigt, durch
Hitze aber aufgehoben wurde. Diese Versuche
beweisen zugleich, daſs auch sowohl das Ent-
wickelungsvermögen des noch unbefruchteten
weiblichen Zeugungsstoffs, als die befruchtende
Kraft des männlichen Saamens unter jenem Ge-
setze steht. Beyde erhielten sich länger in einer
mäſsigen Kälte, als in einer mäſsigen Wärme,
ohne Zweifel aus keiner andern Ursache, als
weil die Erregbarkeit dieser Materien in einer
wärmern Temperatur früher, als in einer käl-
tern, zu ihrem Maximum erhoben wurde.
§. 3.
Das erwähnte Maximum der Erre-
gung ist verschieden nach der Verschie-
den-
[571]denheit der einwirkenden Potenzen.
Es giebt einige, die schon Abnahme
der Lebensthätigkeit nach sich ziehen,
ehe noch verhältniſsmäſsige Zunahme
der letztern bemerkbar geworden ist.
Es erfolgen ganz andere Erscheinungen,
wenn das Wachsthum einer Pflanze durch Wär-
me und Licht befördert wird, als wenn man
es durch Opium und andere chemisch wirkende
Substanzen beschleunigt. Im erstern Falle trägt
das Gewächs Blüthen und Früchte, ehe die Pe-
riode der Abnahme des Lebens eintritt, wie die
Alpenpflanzen beweisen, welche, erregt durch
einen höhern und schneller eintretenden Grad
der Wärme und des Lichts, in weit kürzerer
Zeit, als die Gewächse des flachen Landes, den
Kreislauf ihres Daseyns vollenden, und doch da-
bey die höchste Stufe ihres Lebens erreichen (z).
Hingegen im letztern Falle fängt die Lebensthä-
tigkeit schon an zu erschlaffen, ehe noch der
vegetabilische Organismus zu dieser höchsten
Stufe gelangt ist. Roggenkörner lassen sich
durch destillirtes kohlensaures, mit dem achten
Theile flüssiger oxygenirter Salzsäure versetztes
Wasser sehr schnell zum Keimen bringen, und
das Wachsthum derselben läſst sich dadurch sehr
beför-
[572] befördern; aber ihre Halme sterben ab, wenn
sie eine Höhe von 9 bis 10 Zoll erreicht ha-
ben (a).
§. 4.
Jenes Maximum der Erregung ist
auch verschieden nach der Verschieden-
heit der Organismen und der Organe.
Saamenkörner, welche während dem Keimen
vom Sonnenlichte beschienen werden, gedeihen
nicht nur viel langsamer, als andere, im Schat-
ten liegende, sondern ein groſser Theil dersel-
ben verdirbt sogar völlig, und die, welche auf-
gehen, geben nur schwache Pflanzen (b). So-
bald aber der Keim Blätter getrieben hat, er-
reicht er nur beym Sonnenlichte die höchste Stu-
fe seines Lebens, und stirbt vor der Zeit, wenn
ihm dieses entzogen wird. Aber auch dann be-
darf er nur eines gewissen Grades von Licht zu
seiner weitern Ausbildung. Derselbe Grad, wel-
cher Pflanzen, die auf freyen, dem Sonnenlichte
von allen Seiten ausgesetzten Höhen wachsen,
unentbehrlich ist, tödtet diejenigen, die in dun-
keln Wäldern einheimisch sind.
§. 5.
[573]
§. 5.
Von den drey bisherigen Gesetzen haben
wir das erste (§. 2.) schon in der Einleitung (c)
aus den Begriffen des Lebens und der Materie
abgeleitet. Ehe wir weiter gehen, ist es nö-
thig, auch die beyden letztern aus den Funda-
mentalsätzen der Biologie zu entwickeln. — Fol-
gende Sätze sind es, woraus sich dieselben er-
klären lassen:
- 1) Die Receptivität für erregende Potenzen ist
verschieden sowohl in den verschiedenen Ar-
ten und Individuen der lebenden Körper,
als in den verschiedenen Theilen eines und
desselben Organismus.
Dieser Satz bedarf kaum einer Rechtferti-
gung. Die Wahrheit desselben erhellet schon
daraus, weil eine Verschiedenheit der Formen
des Lebens nur bey einer Verschiedenheit der
Receptivität für die Einwirkungen der Aussen-
welt denkbar ist. Sie erhellet auch aus dem
Antagonismus, den die verschiedenen Theile ei-
nes und desselben Körpers bey ihrem Wachsthu-
me gegen einander äussern. Nur die verschie-
dene Wirkungsart eines und desselben Reitzes
auf die verschiedenen Organe giebt eine befrie-
digende Erklärung dieses, sowohl aus Thatsa-
chen,
[574] chen, als aus höhern Gründen in den beyden
letzten Abschnitten bewiesenen Gesetzes.
- 2) Die Gewalt einer erregenden Potenz nimmt
mit jeder Einwirkung immer mehr ab.
Die Richtigkeit dieser zweyten Voraussetzung
ist weniger einleuchtend, als die der ersten.
Man sieht auf den ersten Blick nicht ein, wie
dabey die Erregung durch eine und dieselbe er-
regende Potenz erst bis zu einem gewissen Ma-
ximum gesteigert werden kann, ehe sie abzu-
nehmen anfängt. Es scheint, daſs das Maxi-
mum der Erregung schon bey der ersten Ein-
wirkung der erregenden Potenz eintreten müſste.
Inzwischen sprechen doch für jenen Satz Gründe
der Naturphilosophie und der Erfahrung. Die
erstere lehrt, daſs Erregung nur zwischen un-
gleichartigen Körpern statt findet, und in dem
wechselseitigen Bestreben besteht, sich in den
Zustand der Gleichartigkeit zu versetzen, daſs
in der leblosen Natur das letzte Resultat dieses
Bestrebens ein Tausch der Qualitäten beyder
Körper und Verwandelung derselben in eine drit-
te homogene Materie ist, daſs hingegen der le-
bende Organismus bey Erregungen seine eigen-
thümliche Form und Mischung behauptet. Aber
wie kann der erregte lebende Körper sich dem
Bestreben des erregenden, ihn zu verähnlichen,
anders entziehen, als dadurch, daſs er entweder
die-
[575] diesen selber assimilirt, oder daſs seine Recepti-
vität für den Einfluſs des letztern mit jeder Er-
regung immer mehr abgestumpft wird? In bey-
den Fällen muſs nun die Gewalt der erregenden
Potenz desto mehr abnehmen, je öfterer, oder je
länger sie auf den lebenden Körper einwirkt.
Die Erfahrung spricht ebenfalls für diesen Satz.
Wir wissen, daſs manche Pflanzen und Thiere,
die dem kalten Norden angehören, sich an das
Tropen-Clima gewöhnt haben, ohne daſs ihre
Organisation erhebliche Veränderungen erlitten
hat (d). Aber wie wäre dies möglich gewesen.
wenn die relative Gewalt der Wärme, des Lichts
und der übrigen erregenden Potenzen, welche
zusammengenommen das Clima ausmachen, nicht
in eben dem Maaſse abnähme, wie die absolute
Gewalt derselben zunimmt.
Bey allem dem würde aber jener zweyte
Satz doch zweifelhaft bleiben, wenn sich die
Schwürigkeit, mit ihm das allmählige Gelangen
der Erregung zu einem Maximum zu vereinigen,
nicht wegräumen liesse. Diese wird indeſs durch
folgende Voraussetzung gehoben:
- 3) In jedem lebenden Körper giebt es einen
Cirkel von Erregungen, der bis auf einen
gewissen Grad von den Einwirkungen der
Aussen-
[576] Aussenwelt unabhängig ist, jedoch durch die-
sen verstärkt werden kann.
Jener Cirkel von Erregungen besteht darin,
daſs die sämmtlichen Organe auf einander als
relativ äussere, erregende Potenzen wirken. Um
jene Voraussetzung zu rechtfertigen, ist es also
nothwendig, zuerst die Frage, ob es dergleichen
Potenzen giebt? aus Erfahrungsgründen zu be-
antworten. Wir sehen aber, daſs bey allen le-
benden Körpern gänzliche Ausleerung der Säfte
den Tod nach sich zieht. Es ist also zu ver-
muthen, daſs die flüssigen Theile relativ äus-
sere, erregende Potenzen für die festen sind.
Wir sehen ferner, daſs in jedem Theile das
Wachsthum und endlich alle Lebensthätigkeit auf-
hört, wenn entweder die Nerven, oder die
Blutgefäſse desselben unterbunden, oder auf an-
dere Art ausser Verbindung mit dem übrigen
Organismus gesetzt werden (e). Die Erfahrung
lehrt auch, daſs bey den Insekten ein ähnliches
partielles Aufhören der Lebensthätigkeit nach
dem Bestreichen der Luftlöcher einzelner Ringe
mit Oel eintritt (f). Hier bringt also die Ent-
ziehung
[577] ziehung einer absolut äussern Potenz, nehmlich
der athmosphärischen Luft, dieselbe Wirkung
hervor, welche dort aus dem aufgehobenen Ein-
flusse der Nerven und der Blutgefäſse, oder
des Bluts, entsteht. Es ist daher höchst wahr-
scheinlich, daſs diese Theile als erregend auf
den übrigen Organismus wirken, und so wird
die Antwort auf die obige Frage bejahend aus-
fallen müssen.
Aber mehrere Thatsachen beweisen auch, daſs
die Erregungen, welche von diesen relativ äussern
Potenzen herrühren, einen Cirkel bilden, der bis
auf einen gewissen Grad von den Einwirkungen
der Aussenwelt unabhängig ist. Viele Saamenkör-
ner, besonders der lilienartigen Gewächse des Caps,
die an ihrem Geburtsorte zur Reife gekommen,
und in eine andere Zone gebracht sind, keimen
hier zu der nehmlichen Zeit, wo sie in ihrem Va-
terlande aufgegangen seyn würden. Die Peruani-
schen Pflanzen blühen bey uns im Winter, der
mit dem Sommer von Peru gleichzeitig ist. Viele
fremde, nach Europa versetzte Bäume verliehren
hier ihre Blätter nicht im Herbste, sondern in
derjenigen Jahreszeit, die mit dem Herbste ihres
Landes übereinstimmt. Eben so verhalten sich
die aus Europa nach dem Vorgebirge der gu-
ten Hoffnung verpflanzten Gewächse; und das
III. Bd. O oNehm-
[578] Nehmliche findet auch beym Ausschlagen der
Knospen statt (g).
Man sucht vergeblich einen andern Erklä-
rungsgrund dieser Erscheinungen, als einen sol-
chen Cirkel von Erregungen, wie wir vorhin
angenommen haben. Doch müssen wir zu-
gleich voraussetzen, daſs dieser Cirkel nur bis
auf einen gewissen Grad von den Einwirkun-
gen der Aussenwelt unabhängig ist. Die er-
wähnten Eigenthümlichkeiten fremder Gewächse
nehmlich verliehren sich in eben dem Verhält-
nisse, wie diese in ihrer neuen Heimath mehr
einheimisch werden. Bey Pflanzen, die binnen
drey Monaten aufgehen, wachsen und Früchte
tragen, fangen sie nach drey bis vier Jahren an
zu verschwinden. Eine längere Zeit bedarf es
hierzu bey jährigen Pflanzen. In groſsen Bäu-
men werden sie mit allen Hülfsmitteln der
Kunst kaum in Jahrhunderten zerstöhrt (h).
Diese Gründe lassen sich noch durch an-
dere, welche aus der Natur des lebenden Or-
ganis-
[579] ganismus abgeleitet sind, unterstützen. Jedes
Organ desselben besitzt ein eigenthümliches Le-
ben; für jedes Organ ist also der übrige Or-
ganismus dasselbe, was für den ganzen Orga-
nismus die übrige Welt ist. Auf jeden Theil
wirken also die übrigen als erregende Poten-
zen, und jener wirkt wechselseitig eben so auf
die letztern. Die Erregung des Theils verbrei-
tet sich also über das Ganze, kehrt von dem
Ganzen wieder zum Theile zurück, und dauert
noch lange nach Entfernung der ersten veran-
lassenden Ursache fort. Aber bey dieser in
sich zurückkehrenden Kette von Erregungen
muſs dennoch die Empfänglichkeit für neue Ein-
wirkungen der äussern Welt fortdauern, weil
sonst alle Verbindung mit dieser aufgehoben
seyn würde. Jeder neue Reitz trifft also schon
vorhandene Erregungen an, die er modificirt,
und durch welche dessen Einfluſs auch gegen-
seitig modificirt wird. So hängt von dem ersten
Eindrucke, den der lebende Körper bey sei-
nem Entstehen empfängt, die Art der Existenz
für sein ganzes künftiges Leben ab; und so wur-
de die Beschaffenheit der jetzigen lebenden Natur
schon durch diejenigen Einflüsse bestimmt, unter
welchen sich vor Jahrtausenden die ersten leben-
den Erzeugnisse der Erde bildeten (i).
Durch
O o 2
[580]
Durch den obigen Satz ist nun die Schwü-
rigkeit gehoben, die uns im Wege stand, als
wir mit dem Satze, daſs jede erregende Po-
tenz bey wiederhohlter Einwirkung auf den
lebenden Körper an Wirksamkeit verliehrt, die
Thatsache vereinigen wollten, daſs die Erre-
gung durch den fortdauernden Einfluſs einer
und derselben Potenz allmählig bis zu einem
gewissen Maximum verstärkt wird. Aus jenem
Satze folgt nehmlich, daſs nur dann eine gra-
duelle Zunahme der Erregung statt finden kann,
wenn die Summe der erregenden Potenzen stufen-
weise vermehrt wird. Eine solche Vermehrung
tritt aber dann wirklich ein, wenn es relativ
äussere Potenzen giebt, welche wechselseitig auf
einander wirken, und in deren Cirkel eine ab-
solut äussere Potenz eingreifen kann. Diese
letztere Potenz wirkt bey ihrem ersten Einflusse
nur mit ihrer eigenen Gewalt; bey ihrem zwey-
ten Einflusse aber wird sie durch jene relativ
äussern Potenzen unterstützt: es ist daher be-
greiflich, wie die erste Erregung von der zwey-
ten an Stärke übertroffen werden kann, wenn auch
die absolut äussere Potenz, für sich betrach-
tet, bey der zweyten Einwirkung an Gewalt
verlohren hat.
§. 6.
[581]
§. 6.
Die Thatsachen, die wir im letzten Kapi-
tel des zweyten Buchs (k) aufgestellt haben,
beweisen, daſs jede absolut äussere Potenz, aus-
ser ihrem Einflusse auf die Vermehrung und
Verminderung der Lebensthätigkeit überhaupt,
noch eine specifique Nebenwirkung auf den Or-
ganismus hat, welche in Modifikationen der
Mischung, Textur und Struktur besteht. Diese
Nebenwirkung ist eine Folge der Beschränktheit
alles Lebens. Ein Körper, dessen Leben schran-
kenlos wäre, würde seine Organisation gegen
jede, auf ihn wirkende Potenz unverändert be-
haupten, indem er diese augenblicklich sich ver-
ähnlichte, ohne von ihr gegenseitig assimilirt
zu werden. Der Körper von beschränktem Le-
ben aber kann nichts seiner Natur homogen
machen, ohne einen Theil seiner Eigenthüm-
lichkeit zu verliehren.
Veränderungen der Mischung, Textur und
Struktur müssen Veränderungen der Receptivität
und des Reaktionsvermögens zur Folge ha-
ben. Diese aber können quantitativ oder qua-
litativ seyn. Daſs die Empfänglichkeit für äus-
sere Einwirkungen quantitativer Veränderungen
fähig
O o 3
[582] fähig ist, erhellet daraus, weil heftige Einwir-
kungen alle Receptivität vertilgen. Qualitativ
würden die Veränderungen der Receptivität dann
seyn, wenn jede einwirkende Potenz diese Fä-
higkeit nur für sich selber, nicht aber für an-
dere Potenzen verminderte, oder sie für an-
dere gar erhöhete. Solche qualitative Verän-
derungen der Receptivität giebt es wirklich. Es
ist nehmlich ein Satz, der sowohl aus dem
Begriffe der Reitzbarkeit folgt, als Erfahrungs-
gründe auf seiner Seite hat, daſs die Recep-
tivität für eine erregende Potenz ver-
mehrt wird durch Verminderung oder
Aufhebung des Einflusses dieser Potenz.
Veränderungen der Receptivität nun müssen in
vorhergegangenen Veränderungen der Mischung
und Form ihren Grund haben. Die letztern
aber entstehen aus der Einwirkung äusserer Po-
tenzen. Mithin haben alle Veränderungen der
Receptivität ebenfalls, folglich auch Erhöhungen
dieser Fähigkeit, hierin ihre Quelle. Allein oben
haben wir bewiesen, daſs alle einwirkende Po-
tenzen die Receptivität vermindern. Hier ist
also ein Widerspruch, der sich nur unter der
Voraussetzung heben läſst, daſs jede erregende
Potenz durch ihre Einwirkung auf die Recep-
tivität diese blos in Beziehung auf sich depri-
mirt, und zugleich sie in Beziehung auf andere
Potenzen exaltirt.
Bey
[583]
Bey diesen Schlüssen ist indeſs vorausge-
setzt, daſs alle einwirkende Potenzen die Re-
ceptivität vermindern, und dieser Satz läſst sich
in Zweifel ziehen. Man kann einwenden, daſs
das Gesetz des Sinkens der Receptivität bey wie-
derhohlten Einwirkungen blos von solchen Ein-
flüssen gilt, welche durch die Lebenskraft auf
die Receptivität agiren. Aber kann es nicht auch
Potenzen geben, welche unmittelbar und ohne
durch die Lebenskraft vorher gebrochen zu seyn,
auf den Organismus Einfluſs haben, und welche
Exaltationen der Lebenskraft, Depressionen der-
selben, oder Umwandelungen der Form des Le-
bens ohne vorhergegangene vitale Reaktionen
hervorbringen? Ja, haben wir nicht selber im
dritten Kapitel der Einleitung (l) bey der Dar-
stellung desjenigen biologischen Systems, wel-
ches durch unsere Untersuchungen über die Ent-
stehung und Verwandelungen der lebenden Kör-
per begründet ist (m), die Wirklichkeit solcher
Potenzen behauptet?
Diese Einwürfe lassen sich aber beantwor-
ten. In der Einleitung, wo unsere Absicht blos
war, von den drey möglichen biologischen Sy-
stemen Skizzen zu liefern, konnten wir freylich,
ohne
O o 4
[584] ohne uns in weitläuftige Untersuchungen einzu-
lassen, die exaltirenden und deprimirenden Po-
tenzen nicht anders, als verschieden von den
eigentlichen Reitzen (dieses Wort in der, S. 63
der Einleitung festgesetzten Bedeutung genom-
men) ansehen. Allein hier, wo es uns obliegt,
dasjenige von jenen Systemen, welches wir für
das wahre anerkannt haben, weiter auszufüh-
ren, müssen wir erinnern, daſs die Wirkungen
der erwähnten Potenzen nur Nebenwirkungen
der Reitze sind. Ehe wir indeſs diese Be-
hauptung rechtfertigen, werden wir vorher den
Beweis eines Satzes liefern, den wir oben vor-
ausgesetzt haben, ohne die Richtigkeit dessel-
ben darzuthun.
Wir haben nehmlich angenommen, daſs
die Empfänglichkeit für eine erregende
Potenz durch Verminderung oder Auf-
hebung des Einflusses der letztern er-
höhet wird. Dieser Satz aber folgt unmit-
telbar aus dem Begriffe der Reitzbarkeit. Sie
ist, wie wir in der Einleitung (n) gezeigt ha-
ben, das Vermögen lebender Körper, Einwir-
kungen der Aussenwelt so zu percipiren, daſs
die relative Stärke der letztern, ihrer absoluten
Verschiedenheit ohngeachtet, unverändert bleibt.
Allein dies heiſst mit andern Worten nichts an-
ders,
[585] ders, als die Receptivität steigt, so wie die Ge-
walt der einwirkenden Potenzen vermindert wird,
und sinkt, so wie diese zunimmt. Die Erfah-
rung giebt uns ebenfalls Beweise jenes Satzes.
Thiere und Pflanzen, die einem gewissen Grade
von Kälte eine Zeitlang ausgesetzt gewesen sind,
sterben, wenn sie plötzlich in eine Wärme ge-
bracht werden, die ihnen unter andern Umstän-
den nicht den mindesten Nachtheil zufügen wür-
de. Nachtfröste können ziemlich heftig seyn,
ohne den Gewächsen zu schaden, wenn der
Himmel am folgenden Tage umwölkt ist, und
die Pflanzen nicht eher von den Sonnenstrahlen
beschienen werden, als bis das Eis wieder ge-
schmolzen ist (o). Am meisten leiden von ihnen
Gewächse, welche vor dem Nordwinde geschützt,
und der Mittagssonne ausgesetzt sind, weit we-
niger die, welche von dem Nordwinde getroffen
werden (p). Die Erklärung dieser Erfahrungen
ist ohne Zweifel darin zu suchen, daſs die Re-
ceptivität bey der verminderten Wärme zu einer
Höhe anwächst, auf welcher schon ein geringer
Grad von Wärme eine eben so heftige Erregung
hervorbringt, wie sonst nur eine übermäſsige
Hitze nach sich ziehen würde. Aus einer ähn-
lichen Ursache verwelken Gewächse, die lange
unter
[586] unter engen Behältern, z. B. unter Glasglocken,
gestanden haben, sehr schnell, wenn sie plötz-
lich an die freye Luft gebracht werden.
Diese Zunahme der Receptivität bey
verminderter oder aufgehobener Erre-
gung hat aber eine gewisse Gränze. Bey
fortdauernder Verminderung oder Auf-
hebung der äussern Einwirkungen sinkt
sie eben so wohl, wie bey übermäſsi-
ger Heftigkeit der erregenden Potenzen,
zu einer niedrigsten Stufe herab. So
muſs es seyn, wenn die ganze lebende Natur
ein einziger groſser Organismus ist, in welchem
alle einzelne Körper wechselseitig für einander
Mittel und Zweck sind. Verhielte es sich an-
ders, so würde jedes Thier und jedes Gewächs
von diesem Organismus sich loszureissen im
Stande seyn, oder losgerissen werden können,
indem es in einen Zustand versetzt würde, wo,
bey gänzlicher Unthätigkeit, die Lebensfähigkeit
desselben dennoch fortdauerte. Bey jenem Ge-
setze aber ist jede Trennung vom allgemeinen
Organismus der Anfang des Uebergangs zu an-
dern Formen des Lebens, mit deren Entstehen
jene Trennung wieder aufgehoben wird. So ster-
ben alle lebende Körper eben so wohl von zu
geringer, als von übermäſsiger Wärme; und so
wurde in Spallanzani’s Versuchen über die Er-
zeu-
[587] zeugung der Amphibien den Eyern ihr Ent-
wickelungsvermögen, und dem männlichen Saa-
men seine befruchtende Kraft durch einen ge-
wissen Grad sowohl von Kälte, als von Hitze
geraubt.
Hier ist nun der Grund, auf welchem sich
unsere obige Behauptung stützt, daſs alle Exal-
tationen und Depressionen der Reitzbarkeit und
alle Umwandelungen der Form des Lebens nicht
Wirkungen eigener Potenzen, sondern Neben-
wirkungen der Reitze sind. Denn nur bey die-
ser Voraussetzung ist eine Erklärung des letz-
tern obigen Gesetzes möglich. Gäbe es Poten-
zen, welche die Receptivität erhöheten, ohne
zu reitzen, so wäre nicht einzusehen, warum
nicht diese Fähigkeit bey entzogenen Reitzen ent-
weder immer fort steigen, oder sich doch un-
verändert auf einer gewissen Höhe erhalten soll-
te, ohne daſs das Leben des Organismus wäh-
rend jener Entziehung dadurch beeinträchtigt
würde. Wirkt aber jeder Reitz zugleich als ex-
altirende Potenz, und zwar auf eine solche Art,
daſs er die Receptivität zwar in Beziehung auf
sich vermindert, aber in Beziehung auf andere
Reitze erhöhet, so findet bey entzogenen Reitzen
immer nur eine einseitige Erhöhung jener Fä-
higkeit, nehmlich in Beziehung auf diese ent-
zogenen Reitze, statt. Aber kein Körper kann
III. Bd. P pallen
[588] allen Einwirkungen der Aussenwelt gänzlich ent-
zogen werden, und könnte er es auch, so wür-
de der lebende Körper doch immer noch dem
Einflusse der relativ äussern Reitze ausgesetzt
seyn. Auch sind es diese, bey jeder Reitzent-
ziehung noch zurückbleibenden Irritamente, wel-
che jene einseitige Erhöhung der Receptivität her-
vorbringen. Indem sie aber eine solche Exalta-
tion bewirken, vermindern sie zugleich die Re-
ceptivität für sich selber, und diese Minderung
geht bald bis zur völligen Erschöpfung, weil,
der entzogenen Reitze wegen, kein Ersatz der
Receptivität in Beziehung auf die übriggebliebe-
nen Irritamente möglich ist. Nun erhöhet jeder
Reitz die Receptivität für andere Reitze nur da-
durch, daſs er als Reitz wirkt. Allein wo keine
Receptivität statt findet, giebt es auch keinen
Reitz. Die erwähnte einseitige Erhöhung der
Empfänglichkeit für die entzogenen Reitze dauert
also nur so lange, als die übriggebliebenen Irrita-
mente diese Fähigkeit in Beziehung auf sich noch
nicht völlig erschöpft haben. Mit der völligen
Erschöpfung höret auch jene Exaltation auf; das
Zusammenwirken der sämmtlichen Organe zu ei-
nem gemeinschaftlichen Zwecke wird ebenfalls
aufgehoben, und der Organismus zersetzt sich,
um sich zu andern Formen des Lebens wieder
zusammenzusetzen.
§. 7.
[589]
§. 7.
Alles naturgemäſse Wachsthum, folglich alle
gesunde Lebensthätigkeit überhaupt, beruhet da-
her auf dem Gleichgewichte antagonistischer
Reitze, welche bey ihrer Einwirkung auf den
lebenden Organismus die Receptivität in Bezie-
hung auf sich selber vermindern, aber wechsel-
seitig für einander erhöhen. Alle Stöhrung die-
ses Gleichgewichts nähert den Organismus der
niedrigsten Stufe des Lebens. Diese Stöhrung
kann aber auf eine doppelte Art geschehen: ent-
weder dadurch, daſs der eine von zwey anta-
gonistischen Reitzen vermehrt wird, indem der
andere unverändert bleibt; oder durch Vermin-
derung des einen bey unverändertem Einflusse
des andern. Der Erfolg dieser Stöhrung ist in
beyden Fällen Näherung zur niedrigsten Stufe
des Lebens. Aber die Phänomene dieser Nähe-
rung sind in beyden Fällen verschieden. So
stirbt die Pflanze eines andern Todes bey entzo-
genem Lichte und unveränderter Wärme, als bey
unverändertem Lichte und vermehrter Wärme.
Nicht jede Stöhrung jenes Gleichgewichts
zieht aber sogleich Krankheit nach sich. Es
giebt gewisse Gränzen, innerhalb welcher der
eine von zwey antagonistischen Reitzen das Ue-
bergewicht über den andern haben kann, ohne
daſs der Zustand der Gesundheit dadurch aufge-
P p 2hoben
[590] hoben wird. Diese Thatsache würde sich durch
folgende Voraussetzung erklären lassen: Gesetzt
A und B wären zwey absolut äussere Reitze,
und z. B. A eine oxydirende, B eine desoxydi-
rende Potenz, so wie α und β zwey Systeme
von Organen, deren Lebensthätigkeiten wechsel-
seitig auf einander als relativ äussere antagoni-
stische Reitze wirkten; gesetzt ferner, das Sy-
stem α besäſse blos Empfänglichkeit für den Reitz
der desoxydirenden Potenz B, und das andere β
blos für den Reitz der oxydirenden Potenz A,
doch wirkte ausser B auch die Lebensthätigkeit
von β mittelbar als erregende Potenz auf α,
so wie umgekehrt auf β ausser A auch die Le-
bensthätigkeit von α; gesetzt endlich, die Lebens-
thätigkeit von α brächte ähnliche Veränderungen
in β, wie der absolut äussere Reitz A, und die
Lebensthätigkeit von β analoge Veränderungen in
α, wie der Reitz B, hervor, jene wirkte also
ebenfalls oxydirend und diese desoxydirend; so
ist leicht einzusehen, wie in Ermangelung von
A die Lebensthätigkeit der Organe α, und in
Ermangelung von B die Lebensthätigkeit von β
die Stelle jener absolut äussern Potenzen bis auf
einen gewissen Grad ersetzen könnte. Der le-
bende Körper würde also im Stande seyn, sich
die Bedingungen seines Lebens einigermaaſsen
selber zu schaffen.
Hat
[591]
Hat jene Voraussetzung die Erfahrung auf
ihrer Seite? Man wird die Antwort auf diese
Frage im folgenden Buche finden. Es wird dort
gezeigt werden, das der lebende Körper das
Vermögen besitzt, Wärme, und mit Einem Wor-
te, die formellen Bedingungen seines Lebens bis
auf einen gewissen Grad selber zu erzeugen.
§. 8.
Jenes unaufhörliche Wirken und Gegenwir-
ken der Reitze, jene beständige Herabstimmung
und Erhöhung der Receptivität ist nicht ohne
einen beständigen Wechsel der Stoffe möglich,
woraus der lebende Körper zusammengesetzt ist.
Alles Leben besteht also in beständigen Zerset-
zungen und Zusammensetzungen; alles Leben-
dige ist ein unaufhörlich erlöschendes, und un-
aufhörlich sich wieder entzündendes Meteor.
Etwas muſs aber allerdings in diesem beständi-
gen Wechsel bleibend seyn: denn wodurch wür-
de der lebende Organismus sonst bestimmt, in
derselben Gestalt, worin er unterging, sich wie-
der zu erneuern? Jenes Bleibende ist nun ohne
Zweifel kein anderes, als dasjenige Organ, wo-
durch die einzelnen Theile des lebenden Körpers
zu einem einzigen Ganzen verbunden werden,
als das Organ der Sympathie. Doch absolut un-
veränderlich kann dieser Theil eben so wenig,
P p 3wie
[592] wie jede andere Materie, seyn; nur in Bezie-
hung auf die übrigen Organe kann ihm das At-
tribut der Unveränderlichkeit zukommen; er kann
nur etwas Dauerndes besitzen, in so fern er mit
einer höhern Sphäre in unmittelbarer Verbindung
steht, die in Beziehung auf das Individuum,
wovon er ein Organ ausmacht, unveränderlich
ist. Dauernd in Beziehung auf das Individuum
ist aber zunächst die Art, und dann die ganze
Natur. Das Organ der Sympathie ist also das-
jenige, wodurch das Individuum mit der Art
und der ganzen übrigen Natur in Verbindung
steht. Diese Verbindung nun kann keine blos
materielle seyn. Durch jenes Organ wird folg-
lich der Zusammenhang des Individuums mit je-
nem dynamischen Organismus, dessen schon bey
mehrern Gelegenheiten erwähnt ist, vermittelt.
Von dieser Verbindung des Individuums mit
dem allgemeinen Organismus hängt, wie wir in
der Einleitung sahen (q), die Nothwendigkeit
des Wachsthums und der Fortpflanzung ab.
Wachsthum und Fortpflanzung aber setzen ein
Einwirken des Individuums auf die äussere Welt,
eine Aufnahme und Aneignung fremder Stoffe,
kurz Ernährung, voraus. In dieser Funktion
müssen sich daher die allgemeinen Gesetze aller
Lebens-
[593] Lebensthätigkeit, die wir bisher aus den ober-
sten Sätzen der Biologie abgeleitet, und blos erst
in den Erscheinungen der Erzeugung und des
Wachsthums bestätigt gefunden haben, ebenfalls
auffinden und weiter verfolgen lassen. Sie wird
daher der Gegenstand unserer Untersuchungen im
folgenden Buche seyn. Dann aber werden wir
aus den Erscheinungen, die jenes Organ, wo-
durch der lebende Körper in einer dynamischen
Wechselwirkung mit der übrigen Natur steht,
darbietet, uns nähere Aufschlüsse über diese
Wirkungsart zu verschaffen suchen.
Druck-[[594]]
Appendix A Druckfehler.
- S. 3. Z. 8. St. Trümmer l. m. Trümmern.
- S. 74. Z. 4 in der Anmerkung. St. habent l. m. habet.
- S. 82. Z. 9. St. mineralogische l. m. mineralische.
- S. 305. In dem Citat u setze man nach Dec. hinzu: I.
- S. 436. Z. 16. St. der Rückenwirbel l. m. der erste Rük-
kenwirbel. - S. 505. Z. 4. Nach mehr setze man hinzu: Milch.
- S. 540. Z. 14. St. eigenen Organe l. m. einzelnen Organe.
[][][]
B. 2. S. 196 ff.
zu der mathem. und physikal. Kenntniſs der Erdku-
gel. Uebers. von Kästner. S. 151 ff.
2. S. 60. 61.
S. 215. Tilas ebendas. S. 219.
von Werner. B. 1. Th. 1. S. 7.
Staaten. Th. 2. S. 127.
Theodoro - Palat. Vol. VI physicum.
Vol. 2. p. 231. Zimmermann’s geogr. Gesch. des Men-
schen. B. 3. S. 210.
suite de celle de Jacques Dufoilloux. Paris. 1614.
p. 97.
Orientalis L. soll ebenfalls aus dem Orient nach Eu-
ropa gekommen seyn. Ich weiſs aber nicht, wor-
auf sich diese Behauptung stützt. Schon Matthio-
lus, der vor mehr als 200 Jahren schrieb, erwähnt
jenes Thiers.
Th. 1. S. 8.
the Hebrides. p. 232. 233. Linnei amoen. acad. Vol.
VII. p. 477. Schöpf’s Reisen durch die vereinigten
Staaten von Nordamerika. Th. 2. S. 399 ff.
hist. L. VIII. C. 15.
genstände. H. 4. n. 35.
Lichtenbero u. Forster. Jahrg. 1. S. 1. S. 109 ff.
Savoyen. S. 63.
S. 137. 138, in der Neuen Samml. von Reisebeschrei-
bungen. Th. 2. Mém. de l’Acad. des sc. de Paris.
1770. Hist. p. 25.
ten. Th. 1. S. 287, und an mehrern andern Stellen.
Th. 1. S. VII.
an mehrern Stellen.
Forster. S. 110.
ron’s Supplem. à l’Hist. nat. T. V. p. 288, und
Berg-
B. 1. S. 247 ff. gesammelt.
Ferber, Mém. de l’Acad. des sc. de Berlin. 1790
et 91. p. 151. 153.
schen Reichs. Th. 3. S. 227. Saussure’s Reisen durch
die Alpen. Th. 1. S. 114. Th. 2. S. 322. Schach-
mann’s Beobacht. über die Gebirge bey Königsheim.
S. 8.
der Chursächsischen Lande, an verschiedenen Stel-
len. Palasseau Mineralogie des Pyrénées. p. 155.
Ferber, Act. Acad. sc. Petropol. 1782. P. 2. p. 201
Von Buch’s geognostische Beobachtungen auf Rei-
sen durch Deutschl. u. Italien angestellt. B. 1. S. 245.
Jameson’s mineralog. Reisen durch Schottland u. die
Schottischen Inseln. Uebers. von Meuder. S. 19.
Link’s geolog. u. mineralog. Bemerkungen auf einer
Reise durch das südwestl. Europa. S. 25.
114. Ferber, Act. Petropol. 1782. P. 2. p.208.
trächtigen Freunde in Wien. 2ten Jahrg. 2tes Quart.
S. 42.
Chursächsischen Lande. S. 390.
andern Stellen.
S. 56.
et 91. p. 155 sv.
cis ramisque habent, quasi vegetatione crevissent:
scilicet quia delineatas a mensoribus hanc speciem
aliquando praebere vident. Nec dubium est, cum
prima telluris tenerae stamina duceret sapientissimus
conditor, aliquid formationi animali aut plantae
simile contigisse, sed incendiis et eluvionibus ac
ruinis nunc ita detortum perturbatumque in hac
superficie et velut cute, ut aegerrime nosci possit.
Leibnitii Protog. p. 17. 18.
S. 4. Versuch einer Beschreibung historischer und
natürlicher Merkwürdigkeiten der Landschaft Basel.
St. 7. Tab. 7. g. h. i. k. l. m.
Zweifel auch die sogenannten versteinerten Schwäm-
me (Fungiten) gerechnet werden.
specimen archaeologiae telluris etc. p. 23. Tab. II. fig. 9.
Ammoniten und Lituiten von den Nautiliten, de-
ren äusserstes Gewinde die innern umfaſst und mit
diesen verwachsen ist.
der-Deutschland’s gemachte Entdeckungen. S. 40.
Tab. II.
IV. S.510 ff.
fig. a. De Luc, Mém. présentés à l’ Acad. des sc.
à Paris. T. IV. 1763. p. 467.
dromus. Hollmann pentacrinorum etc. descriptio,
in Eiusd. Commentat. sylloge altera. Blumenbach
in Voigt’s Magazin f. d. Neueste aus der Physik
u. s. w. B. VI. St. 4. S. 1.
(Schriften der Berlin. Gesellschaft. B. V. S. 57.).
Indischen Flusses Gandica eine eigene Art von
Ammoniten, (Ammonites sacer. Blumenbach
specimen archaeolog. telluris etc. p. 21. Tab. II. fig.
7.) die bey den Indiern heilig ist.
aus der Physik u. s. w. B. VI. St. 4. S. 16.
S. 149.
Nat. Gesch. der Versteinerungen. Th. 2. Kap. XI. S.
69 ff.
p. 319.
p. 8.
p. 82.
tann. p. 109. — Eine Menge anderer Thatsachen
der Art haben Bergmann (Physik. Erdbeschr. B. 1.
S. 247. §. 57) und Hollmann (Commentat. sylloge
altera. p. 43. §. 12) gesammelt.
1753.
B. VI. S. 4.
vum diluvii universalis monumentum. Stuttg. 1724.
Collini in Commentat. Acad, Theodoro - Palat.
Vol. 3. phys. p. 69. Andreä’s Briefe aus der
Schweitz. Tab. 6. Blumenbach’s Abbildungen na-
turhistorischer Gegenstände. H. VII. Nro. 70.
Uebersetzung von Sprencel u. Forster.
1790 et 91. p. 162.
lands gemachte Entdeckungen. S. 14.
Deutschland’s. Th. 1. S. 15.). Fortis selber aber
drückt sich nicht so entscheidend aus. “Obschon”,
sagt dieser, “die von mir gefischte Terebratul nicht
„völlig mit seiner (des Baron von Hüpsch) Figur
„(der Taschenmuschel) übereinkömmt, so bin ich
„doch geneigt, sie für das Original der seinigen zu
„halten, da ich beobachtet, daſs auch unter den
„Exemplaren, die ich besitze, und die alle von
„gleicher Art sind, einige Verschiedenheit in der
„Bildung herrscht.” (Fortis Reise in Dalmatien.
Th. 1. S. 233.
St-Pierre de Maestricht. p. 30. Essai de Géologie.
T. 1. p. 58.
21 ff.
p. 408.
S. 49.
aus der Physik etc. B. VI. St. 4. S. 5 ff.
mer ebendas. p. 600. Da Costa ebendas. 1753. p.
286.
petrificatis specim. I.
Böhmen. B. 1. S. 246. Erlacher ebendas. B. V.
S. 299.
dig
nat. T. III. p. 19.
in der Schweitz gefunden ist, Andreä’s Briefe aus
der Schweitz. S. 339.
men. B. VI. S. 265.
petres d’une infinité de figures tout-à-fait dissem-
blables des dents de la Lamie, du Marteau et du
Carcharias. (Mém. de l’Acad. des sc. de Paris. 1723.
Ed. 8. p. 302.
animalibus rationem nullo modo habent ad corporis
vastitatem, sed ad naturam alimentorum, quae usur-
pant. Elephas molares decuplo majores habent
Rhinocerote, forte decies quinquies majores, licet
decuplo majus non sit animal. Equus quamquam
minor Camelopardali, dentes majores habet. Apri
aethiopici similiter iugentes habent molares, etiamsi
nostratibus aequale, immo minus habeant corpus.
De exsertis idem pronuntiandum. (Nov. Act. Acad.
sc. Petropol. T. II. p. 263.) Wir werden in der Fol-
ge auf diese Bemerkung zurückkommen.
der Naturkunde. B. VII. St. 6. S. 512.
p. 54.
93. 419.
127. 134.
der Physik. B. V. St. 1. S. 21 ff.
bey dem Dorfe Wangen am Bodensee. Bey Bestei-
gung dieses Berges findet man einen weichern
und
Gegenden voll Süſswasser-Musculiten stecket, deren
perlmutterähnliche Schaale ganz verschiefert ist.
Hin und wieder findet sich auch Granit, doch nur
in losen Stücken, die abgerollet sind. Oben auf
dem Berge ist die Dammerde thonig, und bedecket
den Bruch nur sparsam, unter dieser kömmt ein
weisser, nicht sehr harter, etwas schiefriger Mergel,
welcher viele Blätter von allerley Bäumen enthält,
die aber schlecht erhalten sind. Diese Lage ist
einige Lachter dick. Hierauf folgt ein weiſsgrauer
Schiefer, der sich in ziemlich dünne und groſse
Blätter spalten läſst, und hierin finden sich oft In-
sekten und Süſswasserschnecken, aber nur selten
Blätter und noch seltener Fische. Unter dieser,
einige Zolle mächtigen Schieferlage zeigt sich der
graue Stinkstein in mächtigen Lagen. Er liefert
eine Menge Dendriten, die aber nicht schön sind,
und in ihm kommen auch die schönsten Blätter-
und Fischabdrücke, doch nicht häufig, vor. Von
Süſswassermusculiten trifft man oft ganze Nester
darin an. Die Fische sind insgesammt solche, die
in dem Bodensee gefunden werden. Alle liegen
gerade ausgestrecket. Sie scheinen tod gewesen zu
seyn, als sie in den Schlamm gekommen sind:
denn man sieht deutlich, daſs einige vor der Ver-
steine-
dem giebt es in jenem Stinksteine auch Schilf und
Saamenkraut (Potamogeton): Andreä a. a. O.
S. 56.
einer Reise durch das südwestl. Europa. S. 45. 50.
84. 167.
schen Reichs. Th. 2. S. 406. 410.
aus der Physik. B. IX. St. 2. S. 57.
Mineralogie u. s. w. betreffend. Vers. 1. 2te Aufl.
S. 347 ff.
durch die nördlichen Karpathen. Th. 3. S. 72.
p. 14.
Malta u. Sicilien. Th. 2. S. 225.
sischen Reichs. Th. 3. S. 30.
Kräuterabdrücke und Pflanzenversteinerungen. H. 1.
S. 18.
byshire. S. 22. Von Schlotheim a. a. O. S. 20.
merkwürdigsten mineralogischen Gegenden der Her-
zogl. Zweybrückischen u. s. w. Läuder. S. 75. Mém.
de l’Acad. des sc. de Berlin. 1790 et 91. p. 153.
L. aus. Allein es ist schwer zu glauben, daſs
sich die innere Struktur dieser Conferve, worin
doch blos ihre unterscheidenden Merkmale liegen,
in einer Versteinerung erhalten haben sollte, und
darin zu erkennen gewesen wäre.
stand der Naturkunde. B. VI. S. 477.
p. 11.
p. 366.
byshire. S. 22.
Tab. II. fig. 1. Walch’s Nat. Gesch. der Versteine-
rungen. Tab. 10. fig. 2. Tab. 10. 11. fig. 1. Von
Schlotheim a. a. O. Tab. I. fig. 1. 2. Tab. II. fig. 3.
p. 367.
p. 140. T. 10. p. 140.
IV. S. 416.
nat. T. I. p. 445.
p. 89.
byshire. S. 22.
XI. fig. 1.
fig. 6. Da Costa, Phil. Trans. Vol. L. P. I.
Tab. V.
der. S. 31.
95. 96.
reich. Th. 1. S. 126. — Bey Volkmann (Siles. sub-
terran. P. I. Tab. XXII. fig. 4.) ist zwar eine Verstei-
nerung abgebildet, die allerdings von einem Tan-
nenzapfen zu seyn scheint. Aber es sind bey ihm,
wie bey allen Schriftstellern seiner Zeit, keine
Merkmale angegeben, woraus sich das Alter dieses
Petrefakts beurtheilen läſst. — Die versteinerten
Hölzer (Tab. VII. VIII. IX.), die er für Nadelhöl-
zer ausgiebt, sind gewiſs etwas ganz Anderes.
einer Reise durch das südwestliche Europa. S. 53.
mie. B. IV. S. 262.
tungen über einige hessische Gebirgsgegenden.
logie u. s. w. betreffend. 1ter Vers. 2te Aufl. S. 95.
Beschreibung des Uralischen Erzgebirges. S. 181.
Ruffey, Mém. de l’Acad. de Dijon. T. 1. p. 47.
pathen. Th. 3. S. 63. 64.
der Physik u. s. w. B. V. St. 1. S. 24. Von Berol-
dincen a. a. O. S. 242.
fig. 1-5.
281.
p. 407.
V. S. 337.
über einige hessische Gebirgsgegenden. S. 69 ff.
cilien.
B. 2. S. 302.
pathen. Th. 3. S. 21. — Vergl. Girtanner in Lich-
tenberg’s Mag. f. d. Neueste aus der Physik u. s. w.
B. IV. St. 2. S. 38.
céros qui se trouvent en Allemagne.
p. 58.
er, “gleichen ihrer Verlängerung nach denen des Ga-
„vial’s, nur sind die Zähne minder gleich, und
„die Näthe der Kopfknochen anders gebildet. Der
„auffallendste Unterschied liegt in den Halswirbeln.
„Bey allen übrigen bekaunten Crocodilarten ist die
„vordere Fläche des Körpers der Halswirbel concav,
„und die hintere convex; bey der von Honfleur
„findet gerade das Gegentheil statt. Auch sind die
„Fortsätze der Halswirbel verwickelter, als bey den
„gewöhnlichen Crocodilen. Das Thier scheint 18
„Fuſs Länge gehabt zu haben. Die Knochen sind
„versteinert und geben am Stahle Funken. Das
„schwammige Gewebe derselben ist mit Schwefel-
„kies ausgefüllt. Sie liegen in einem sehr verhär-
„teten graulichen mergelartigen Steine, woraus sie
„sich nur mit Mühe losmachen lassen” (Bulletin
des sc. de la Soc. philomath. n. 44.).
sai de Géologie. T. 1. p. 168. Pl. VIII.
St. 4. Tab. I. fig. 3.
jas-St-Fond (Essai de Géologie. T. 1. p. 180) führt
eben dieses Faktum aus den Philosophical Trans-
actions an, läſst aber Camper’n hier die Breite der
Schaale gar nur auf sechs Zoll angeben.
p. 97. Pl. XIII. p. 99. Pl. XIV. p. 101.
nat. T. 1. p. 108.
XV. fig. b.
Harenberg de lilio lapideo s. Encrino. Guelpher-
bit. 1729. J. S. Carl lapis Lydius philosophico-py-
rotechnicus ad ossium fossilium docimasiam analy-
tice demonstrandam adhibitus. Francof. ad M. 1704.
S. 97.
p. 294. obs. 175. Tentzelii epist. de scelet. elephant.
ad Anton. Magliabecchium. Gotting. 1696. Phil.
Trans. Vol. XXIV. n. 234. Voigt in dessen Mag.
f. d.
sellsch. B. 3. Ebenders. in den Schriften der Ber-
lin. Gesell. B. 3. S. 152. B. 4. S. 254.
Böhmen. B. 6. S. 260.
28-31.
1. S. 53.
de Madem. de Raab. T. II.
2. ann. 7. p. 446. obs. 234.
p. 303.
Ed. 8. p. 454.
Bl. 373.
p. 128.
verschiedene Provinzen des Russischen Reichs.
Prov. des Russischen Reichs.
436. T. XVII. p. 576. Reise durch versch. Provin-
zen des Russischen Reichs. Th. 3. S. 409.
Statthalterschaften des Russischen Reichs in den J.
1793 u. 1794. Th. 1. S. 36. 83. 89.
256. 263.
Staaten. Th. 1. S. 413.
S. 79.
Gilbert’s Annalen der Physik. B. XVI. S. 474.
475.
guay. T. I. p. LII.
thém. et phys. T. II. p. 1. Domeier, Neue Schrif-
ten der Berlin. Gesellsch. B. IV. S. 79.
S. 112.
An einer andern Stelle (Ebendas. S. 485) sagt aber
von Humboldt, daſs die Zähne, die er gefunden
hätte, von der Afrikanischen Art etwas verschie-
den seyen.
242.
der Physik. B. III. St. 4. S. 8.
2. 3. 5. 8.
die Mineralogie u. s. w. betreffend. Vers. 1. 2te Aufl.
S. 46. 47.
versch. Prov. des Russischen Reichs.
XIII. p. 445. T. XVII. p. 585 sq. Ebendesselben
Reise durch versch. Prov. des Russischen Reichs.
Th. 3. S. 97.
193 sq.
p. 275. 442.
n. 18. p. 137.
XIII. p. 461 sq.
S. 261.
S. 97.
p. 601.
Essai de Géologie. T. I. p. 543.
347. 348.
B. 2. S. 388.
XIII. p. 468. Camper, Nov. Act. Acad. Petrop.
T. II. p. 258.
p. 224.
p. 256.
p. 83.
Camper’s sämmtliche kl. Schriften. B. 3. S. 4.
D. 5. S. 402.
chiv für Zool. u. Zoot. B. 1. St. 2. S. 208.
kunde. B. V. S. 530.
nitii Protog. §. 34. 36. Tab. XI. fig. 2. 4. Sömme-
ring in Grosse’s Mag. f. d. Nat. Gesch. des Men-
schen. B. 3. St. 1. N. 3.
Zoolithen unbekannter vierfüſsiger Thiere. Eben-
ders. in den Schriften der Berlin. Gesellsch. B. 5.
S. 56. J. Hunter, Philos. Trans. Vol. LXXXIV.
P. II. p. 407. J. C. Rosenmüller’s Beiträge zur
Gesch. und nähern Kenntniſs fossiler Knochen. St. 1.
S. 38. 39.
ann. 3. 1672. p. 257. 366. Vollgnad ibid. Dec. I.
a. 4 et 5. 1673 et 1674. p. 226. Brückmann, Bres-
lauer Samml. Winterquartal. 1725. S. 509. Relat. XV.
S. 628. Relat. XXVI.
mehrere andere Verschiedenheiten angeführt sind.
XIX.
V. S. 75. 90. 91.
Sömmering in Grosse’s Mag, f. d. Nat. Gesch. B. 3.
St. 1. S. 60 ff. Tab. 1. 2. Blumlnbach specimen ar-
chaeologiae telluris. p. 14.
Act. Petropol. T. II. p. 251.) orbem nostrum variis
… ac horrendis catastrophis fuisse expositum ali-
quot seculis, antequam homo fnit creatus: numquam
enim hucusque, nec in ullo museo, videre mihi
contigit verum os humanum petrefactum, aut fossile,
etiamsi Mammonteorum, Elephantorum, Rhinocero-
tum etc. aliorumque perplura viderim ossa, et eo-
rum haud pauca specimina in Museo meo conser-
vem.
der Physik. B. V. St. 1. S. 16.
(Mém. de l’Acad. des sc. de Paris. 1760. Ed. 4. p.
209.) hatte den Irrthum derer, die jenen Kopf für
einen Menschenschädel hielten, zwar schon eingese-
hen, aber diesen unrichtig für einen groſsen Nauti-
liten gehalten.
auf der Insel Cythera. Strasburg. 1789.
sik. B. I. St. 4. S. 21.
f. d. Neueste aus der Physik. B. V. St. 1. S. 21.
Pl. I. fig. 1. 2. 3.
B. XVI. St. 4. S. 479.
S. 240 ff. Link’s geolog. u. mineralog. Bemerkun-
gen auf einer Reise durch das südwestl. Europa.
S. 21. 51 ff. 91.
B. 2. S. 145.
der Naturkunde. B. VII. St. 4. S. 364.
kleinen Saleve unter Bänken von Sandsteine Lagen
einer kalkartigen Breccie, welche die Bänke des so-
liden
Berges besteht, bedecken. Diese Beobachtungen,
sagt er, scheinen zu beweisen, daſs die Oberfläche
der Erde vor dem gänzlichen Zurückziehen des
Meerwassers ausserordentlich muſs erschüttert wor-
den seyn; daſs hierdurch einige Felsen zum Ber-
sten gebracht wurden, deren Bruchstücke sich wie-
der vereinigten, und unter der Gestalt von Brec-
cien, während noch das Meer auf diesem Theile
der Erde stand, zusammenkitteten; daſs hierauf
auch Sand herbeygesehwemmt und darauf in Sand-
stein verhärtet worden; und daſs nach diesem allen
eine noch heftigere Erschütterung entstand, welche
ganze Berge zerbrach und umstürzte, und jenen
schnellen und gewaltsamen Rückzug des Meers ver-
anlaſste, durch welchen die groſsen Bruchstücke von
Felsen fortgeführt wurden, die wir in unsern Thä-
lern und auf unsern Bergen zerstreut antreffen.
(Saussure’s Reisen durch die Alpen. Th. 1. S. 215.
Th. 2. S. 312.)
Chursächsischen Lande. S.38.
Böhmen. S. 129.
forscher, “die in einem flüssigen Körper schwim-
„men, unter einander ankleben, und senkrechte
„Schichten bilden können, dies begreifen wir gar
„wohl, und wir haben Zeugnisse davon an den
„Alabastern, Agathen, und selbst an den künstli-
„chen
„Stein von der Gröſse eines Kopfs sich mitten an
„einer senkrechten Wand angehängt, und dort ge-
„wartet haben sollte, bis die kleinern Theile des
„Steins ihn einzuwickeln und an dieser Stelle an-
„zuleimen und zu befestigen gekommen wären, ist
„eine unmögliche und absurde Voraussetzung. Man
„muſs es also für eine ausgemachte Sache anneh-
„men, daſs diese Breccien in einer horizontalen,
„oder wenigstens derselben nahe kommenden Lage
„gebildet, und erst nach ihrer Verhärtung in diese
„Stellung gebracht worden.” (Saussure’s Reisen
durch die Alpen. Th.3. S.116.)
therie’s Theorie der Erde. Uebers. von Eschen-
bach. Th.1. S.54.
B. IX. St. 1. S.88. §.24.
S. 220.
schen Reichs. Th.3. S.227. 228.
Kräuterabdrücke und Pflanzenversteinerungen. S. 18.
kreises. S. 177.
Freunde in Wien. 1ten Jahrg. 1tes Quartal. S. 11 ff.
S. 200.
Uebers. von Meuder. S. 165. — Das südlichste,
mir bekannte Land, wo sich noch Torf findet, ist
Portugal (Link’s geolog. u. mineralog. Bemerkungen
auf einer Reise durch das südwestl. Europa. S. 79.)
Fragen die Mineralogie u. s. w. betreffend. Vers. 1.
Aufl. 2. S. 37. 38.
Uebers. von Sprengel, S. 186.
S. 68. 69. 93.
T. XVII. p. 594 sq. Act. Acad. Petropol. 1777. P. 1.
Hist. p. 21.
Reisen durch Deutschland u. Italien angestellt. B. 1.
S. 36.
Freunde in Wien. 1ten Jahrg. 1tes Quart. S. 7.
S. 37. 38.
sie mit Coromandel zusammengehangen hat. Von
Marave in Madure geht eine lange und hohe Sand-
bank nach der Insel Manaar, die schon zu Ceylon
gehört. Die Bewohner von Ceylon nennen sie
die Budsobrücke, weil ihr groſser Lehrer Budso
darauf nach ihrer Insel herübergekommen seyn soll.
Zimmermann’s geogr. Gesch. des Menschen ete.
B. 3. S. 223.
sichen Reichs. Th. 3. S. 286. 569.
schen Reichs. T. 3. S. 423.
Ich habe diese Bläschen nirgends so deutlich gese-
hen, als in den Knospen der Ranunculus Ficaria L.
Eine zarte Scheibe derselben in Wasser unter das
Vergröſserungsglas gebracht, läſst sich mit der Spitze
einer Nadel in lauter Bläschen zertheilen.
Ausg. S. 281.
der Naturkunde. B. VII. St. 3. S. 202. 203.
pl. p. 208.
Placenta seminalis. Gleichen Neuestes aus
dem Reiche der Pfl.
Cotyledon. Meese method. pl. Böhmer sper-
matol. p. 356.
Perispermum. Jussieu gen. pl. Ed. Usteri.
p. XXVI.
Albu-
Pflanzen. S. 138. Vastel a. a. O. S. 201. 202.
p. 138.
188. §. 2.
Caduca reflexa. G. Hunter Anat. uteri gra-
vidi. Tab. XXXIII. fig. 1-4.
190. §. 3.
Tunica crassa. Hunter l. c. Tab. XXXIV.
fig. 3-6.
humanorum natura et usu. Hafniae. 1799. App.
p. 3. §. 2. p. 79.
Zinn in epist. ad Hallerum script. Vol. IV. p. 195.
Sömmering Icones foetuum humanorum. Tab. I.
fig. 2.
ovis avium inclusi. Tubing. 1796. — Nach Gir-
tanner’s unwahrscheinlicher Behauptung ist dieser
Behälter mit Wasserstoffgas angefüllt. (Girtanner’s
antiphlogistische Chemie. S. 255.)
la formation du coeur dans le poulet. Mém. 2.
p. 25.
Le follicule du jaune.Haller Mém. 1. p.
23. Mém. 2. p. 4.
Theoria generat. p. 99. §. 173 sq.
T. VIII. L. XXIX. p. 227.
musc. et gland. observ. specimen. p. 74.
Magazin f. d. Neueste aus der Physik. B. IX. St. 3.
S. 3.
hist. ranarum nostratium. Spallanzani’s Versuche
über die Erzeugung der Thiere u. Pflanzen. Abth. 1.
S. 14. 25. 39. 49. 70.
Ed. 8. T. III. P. 2. p. 140.
Vauquelin, Annales du Chimie. T. IX. p. 64.
geti Bibl. anat. T. I.
Geschichte der Insekten. B. 2. Q. 1. S. 31.
p. XIV.
Muséum d’Hist. nat. T. I. p. 162.): Les organes des
deux sexes sont absolument séparés, et même la
verge n’a aucune communication intérieure avec le
testicule; und von der Tritonia Hombergii (Ibid.
p. 493.): La verge est longue d’un à deux pouces,
cylindrique, faisant beaucoup de replis serpentins,
et se terminant par une pointe mousse et arrondie,
qui n’ est pas plus percée que dans le limaçon or-
dinaire. Bey der Bulla aperta setzt er hinzu: Si
la semence est versée par la verge d’un des indivi-
dus dans le vagin de l’autre, elle ne peut arriver
à cette verge que par la rainure qui joint exterieu-
rement les orifices des deux sexes. Ein solcher
Uebergang des Saamens ist aber deswegen unwahr-
scheinlich, weil bey vielen Schnecken gar keine
Rinne der Art vorhanden ist. Cuvier scheint diese
Unwahrscheinlichkeit in der Folge auch selber ge-
fühlt zu haben, indem er in einem spätern Auf-
satze bey der Beschreibung der Aplysia fasciata
(A. a. O. T. II. p. 307.) frägt: Cette rainure sert
elle à conduire la liqueur séminale d’une Laplysie
dans le corps de l’autre? C’est de cette question
que dépend l’explication de la maniere dont ces
animaux se fécondent. Mais pourquoi une telle
rainure n’existe-t-elle pas dans tant d’autres ga-
stéropodes qui n’ont pas non plus de communica-
tion intérieure entre leur verge et lour testicule?
Abtheilung.
sik. B. II. St. 1. S. 167.
gen für die Naturkunde. S. 1 ff.
anat. T. I. p. 609.
p. 269. 327.
mal. L. 3. c. 1.) bleiben Hühner sogar noch ein Jahr
nach einer einmaligen Paarung fruchtbar. Eben
dieser Naturforscher fand in dem After der weibli-
chen Vögel, ausser den Oeffnungen des Mastdarms,
der Mutterscheide und der Harnröhre, noch eine
vierte Höhlung, in welche, seiner Meinung nach,
der Saame des Hahns bey der Begattung dringt,
und worin derselbe zur Befruchtung der Eyer auf-
bewahrt wird (l. c. L. 3. c. 2.). Diese Hypothese
ist aber schon von Harvey (l. c. exerc. V. p. 606.)
widerlegt, der jene Cavität eben so wolil bey dem
Hahn, als bey der Henne fand.
gidi sanguinis. p. XXXIV.
tes. T. V. P. II. Mém. IX. Ed. 8. p. 166. Swammer-
damm’s Bibel der Natur.
p. 65.
11. p. 26.
1772. p. 24.
B. 1. S. 59.
S. 444.
Maupertuis. La Cepède Hist. nat. des quadr.
ovip. p. 439. 467.
1698. p. 90. Fahlberg, Abhandl. der Schwed.
Akad. B. XII. 1750. S. 199. Bloch, Schriften der
Berlin. Gesellsch. B. 1. S. 258 ff.
u. s. w. S. 31.
Gesch. der Reisen. B. 3.
De Geer’s Abh. zur Gesch. der Ins. B. 2. Q. 1.
S. 37. Schäffer die grünen Armpolypen u. s. w.
S. 58.
A. 3. 1695 et 1696. p. 3.
De Geer a. a. O. S. 38.
1724. Ed. 8. p. 462. Reaumur a. a. O. T. III. P. 2.
mém. 9. p. 61. De Geer a. a. O. S. 28 ff. Semler
in Lichtenberg’s Mag. f. d. Neueste aus der Phy-
sik. B. 2. St. 1. S. 73.
Doch widerspricht diesem Geoffroy (Hist. des Ins.
de Paris. T. I. p. 513.).
gen Wassers. S. 33 ff.
S. 15. Müller von Würmern u. s. w. a. a. O.
p. 164. Müller vermium etc. hist. Vol. I. P. II.
p. 9.
ler’s Versuchen, (A. a. O.) als meinen eigenen Be-
obachtungen noch zweifelhaft. Von mehrern Span-
nenmessern, (Hirudo geometra) die ich in der Mit-
te durchschnitt, starben die Vordertheile gleich nach
der Operation, und die hintern Hälften nach weni-
gen Tagen. Indeſs habe ich diese Versuche im
October angestellt. Vielleicht würden sie in der
Mitte des Sommers günstiger ausgefallen seyn.
Ed. 8. p. 46.
1752. S. 118.
aus der Physik u. s. w. B. VI. St. 2. S. 48.
B. VI. St. 4. Tab. I. fig. 1.
p. 24. Tab. III. fig. 11.
Geer, Abhandl, der Schwed. Akad. B. XXIII. 1761.
S. 112. Pallas l. c. p. 416.
S. 21 ff.
St. 2. S. 111.
berg u. Forster. Jahrg. 2. St. 1. S. 80.
das Studium der cryptogam. Wassergewächse. S. 35.
Botanik. B. 1.
p. 568.
diese merkwürdige Conferve gemachten Beobachtun-
gen habe ich im 2ten Bande der Biologie S. 205.
beschrieben. Im Herbste eben dieses Jahrs fand
ich eine Varietät derselben, welche auf der Erde
und an Mauern, zwischen der Dillwynschen
Conferva muralis, in der Gestalt eines Fells wächst,
von
ausserordentliche Schnelligkeit ihres Wachsthums
auszeichnet. Ein Stück jenes Fells, das ich in
Wasser gelegt hatte, trieb binnen wenig Stunden
Fäden, die mehrere Linien lang waren, und sich
von allen Punkten des Umfangs jener Substanz
strahlenförmig ausbreiteten. In ihren Bewegungen
kam diese Art oder Varietät mit derjenigen überein,
die ich in den Sommermonaten 1803 beobachtet
habe. Roth scheint diese Conferve, die man
Oscillatoria terrestris nennen könnte, im 2ten Hefte
seiner Catal. botan. (p. 192.) als eine Varietät seiner
Conferva amphibia, unter dem Namen Conferva
amphibia atra, angeführt zu haben. Sie hat aber
mit der Conferva amphibia nichts weiter gemein,
als daſs sie auch auf der Erde wächst.
Noch eine andere Art oder Varietät, die gröſste
und schönste, die mir bis jetzt vorgekommen ist,
fand ich im März 1804 in Gräben bey Bremen, wo
sie Haufen von verfaulten Blättern, die an einander
klebend auf dem Wasser schwammen, bedeckte.
Ihre Farbe war von dem schönsten, ins Blaue fal-
lenden Dunkelgrün. Ihre, dem bloſsen Auge
sichtbare Fäden waren halb so dick, wie die der
Conferva spiralis R. und zeigten unter einer stär-
kern Vergröſserung eine zahllose Menge, der Quee-
re nach liegender, paralleler, nur durch enge Zwi-
schenräume von einander abgesonderter Ringe. Die
Bewe-
als die der beyden oben erwähnten Arten. In der
Schnelligkeit ihres Wachsthums kamen sie aber de-
nen der vorhin erwähnten Oscillatoria terrestris völ-
lig gleich. Sogar unter einer Loupe, die nur ei-
nige mal im Durchmesser vergröſserte, konnte ich
die Verlängerung der Fäden deutlich wahrnehmen.
— Ich legte diese Conferve in ein gläsernes Gefäſs,
das einige Pfund Wasser enthielt. Hier trieb sie
dicke, mehrere Zoll lange Bündel von Fäden, die
von der Oberfläche des Wassers herabhingen. Von
Zeit zu Zeit sonderten sich einzelne Fäden von
diesen Bündeln ab, und sanken im Wasser zu Bo-
den. Vor ihrer Absonderung machten sie Oscilla-
tionen, die sich schon mit der bloſsen Loupe wahr-
nehmen liessen. Man muſs sich aber hüten, nicht
jede Bewegung dieser und ähnlicher Conferven für
automatisch zu halten. Ich beobachtete an einigen
jener Fäden, die zur Hälfte mit Schlamm bedeckt
waren, sehr heftige Oscillationen. Bey genauerer
Untersuchung aber fand ich, daſs diese durch eine
sehr groſse, meines Wissens noch unbeschriebene
Art von Infusionsthieren verursacht wurden, die
sich in dem Schlamme aufhielt.
auch noch diese einzelnen Seiten wieder. Ich er-
hielt im Anfange des August 1803 von meinem Bru-
der einen Haufen Wassernetze, woran jede Seite
des Pentagons nicht, wie gewöhnlich, einen Cy-
linder bildete, sondern aus zwey oder drey, durch
dünne Fäden zusammenhängenden ovalen Schläuchen
bestand. Vermuthlich würden sich diese Schläuche
an dem natürlichen Standorte jener Gewächse von
einander getrennt und zu eigenen Wassernetzen or-
ganisirt haben. Mir gingen sie indeſs, aller ange-
wandten Sorgfalt ohngeachtet, bald in Fäulniſs
über.
1722. Ed. 8. p. 165.) gelang es auch, diese Knospen
in Blumentöpfen, worin er sie auf Sand oder Erde
säete, aufzuziehen. Er erinnert aber, daſs er sie
niemals auf dem eigentlichen Nostoch, sondern auf
einer andern Art gefunden habe, die er den ge-
kräuselten Nostoch nennet, und welche ohne
Zweifel mit demjenigen Körper einerley ist, den Lin-
né unter dem Nahmen Ulva pruniformis beschrieben,
Roth aber anfangs unter die Tremellen, und nach-
her unter die Linckien versetzt hat. Zugleich be-
merkte er, daſs die gesäeten Knospen nie wieder
zu einer Tremella pruniformis, sondern immer zu
einer Tremella Nostoch wurden, und als solche nie
wieder Knospen ansetzten. Diese, von neuern
Schriftstellern übersehene Beobachtung beweist, daſs
die Tremella pruniformis und der Nostoch nicht ver-
schiedene Arten, sondern bloſse Varietäten sind.
N. J. Jacquin collectaneorum supplementum. p. 160.
Hedwig theor. generar. et fructif. plant. cryptogam.
Ed. 2. p. 228.
371. 1712. p. 26.
271 ff.
p. 29.
Fasc. VIII. p. 32.) von der Fistularia paradoxa, in
pisciculo nostro situs, magnitudo, cohaesio sunt
ejusmodi, ut ad peculiarem necessario usum desti-
natae videri debeant. Forte in sacco, quem effor-
mant, ova sua circumfert pisciculus donec excludan-
tur, uti Didelphis imperfectissimos catulos intra
saccum abdominalem maturare solet. Sic in Syn-
gnatho (ni fallor, non enim bene notavi) pelagico
ova rupto longitudinaliter abdomine protrusa et se-
riatim maternae alvo adhucdum inhaerentia vita.
Sed anne tunc masculis Fistulariae nostrae eadem
erit constitutio sacci ventralis? Et quanam ratione
sperma masculi ad ova laxo sacco latentia perve-
nit? Haec difficillime explicantur! Imo ne in Syn-
gnathis nostratibus (Acu et Typhle) viviparis
quidem, adhucdum scimus, anne masculi ope, per
intromissionem spermatis, foetura foecundatur, quum
aestate in omnium matrum alvo copiose vivam re-
perimus. Nemo circa hanc rem curiosior fuit. Ego
fere dubitare coepi, an dentur in horum pisciculo-
rum specie masculi, quum nuper (Mens. Jun. 1767)
ad Holsatiae littora, inter Squillas copiose captas
hujusmodi pisciculos omnes foeminini sexus esse et
etiam
unicum masculum. Disquiraut alii rem omni certe
attentione dignissimam.
p. 149.
mutter und über eine höchstmerkwürdige Harnbla-
senschwangerschaft insbesondere. S. 25 ff.
negotio nuperae observat. p. XIX. Tab. I. II.
Vol. V. n. 7.
non Osteogoniae et Odontogeniae anomale exemplum,
quam praeside G. G. Ploucquet defendet T. F. Braun.
Tubing. 1798.
Casp. Bauhini Theatrum anatom. L. I. cap. 35.
Blancardi Anatom. pract. Cent. 2. obs. 27. J. Bau-
hinus in Schenckii observ. med. L. IV. p. 556.
Hist. de l’Acad. des sc. de Paris. 1700. Ed. 8. p. 49.
Haller opuscul. patholog. obs. LI. In allen die-
sen Fällen war es der rechte Eyerstock, worin
die Haare befindlich waren. Ich begreife daher
nicht, wie Bose (Progr. de praeternaturali pilorum
proventu. Lips. 1776.) sagen kann, daſs vorzüglich
im linken Eyerstocke Haare gefunden seyen.
483 ff.
120. Ibid. A. 2. 1671. p. 348. Ibid. A. 3. 1672. p. 50.
Ibid.
p. 432. Ibid. Dec. 3. A. 1. 1694. p. 125. Ibid. A. 4.
1696. p. 66. Abhandl. der Schwed. Akad. 1745.
S. 286.
med. Journal. Vol. X. P. IV. No. 6.
A 1. 1682. p. 38. 122. Ibid. Cent. 1. 2. App. p. 198.
Act. Acad. Nat. Curios. Vol. VI. p. 295. Hist. de
l’Acad. des sc. de Paris. 1706. Ed. 8. p. 28. Ibid. 1742.
p. 59. Ibid. 1745. p. 40. Ibid. 1775. p. 24. Journal
des Sçav. 1696. Janv.
nat. des quadrupèdes du Paraguay par Don F. D’Aza-
ra. T. II. p. 313.
sellsch. B. 2. S. 394.
quod, dum harum structuram Algarum moliretur
natura, paululum deflexerit ab usitata sua operandi
ratione et quod nullis prolatis de florescentia ha-
rum plantarum testimoniis, verosimillimum duce-
retur, in his propagandi modum simplicem esse,
ut sibi ipsis vi insita restrictum, ab ullo exteriori
adiumento nequaquam pendentem et a principiis,
quibus sexuum distinctio asseritur, prorsus alienum.
Römer’s Archiv f. d. Botanik. B. 1. St. 3. S. 106.
vestigium, nec ejusmodi aliquid iis inesse puto, sed
per gemmas potius simplicissimas, quas b. Gärt-
ner in opere suo pretiosissimo de fructibus et semi-
nibus plant. introd. p. 3. gongylos appellat, propa-
gantur. Roth Tent. fl. German. T. III. P. I. p. 533.
der Physik. B. XI. St. 1. S. 26.
crypt. Ed. 2. Tab. XXXVII. f. 3.
d’eau douce.)
ungeöffnet abfallen, macht hiervon eine Ausnah-
me.
gus plantarum Giessensium in app. p. 77. Ejusd.
hist. muscorum in praefat. Linnei syst. plant.
Haller hist. stirpium Helvet. T. III. p. 42.
retractata et aucta. p. 152 sq. 171. 179. 194.
I. p. 87.
wig selber (l. c. p. 136), seu plenariam adaptatio-
nem suscipiendi vim masculam, ratione coloris nec
non structurae styli aliquo modo convenire viden-
tur cum genitalibus masculis. Cf. ejusd. Tab. XI.
XIII. fig. 3.
muscor. frondos. Tom. I. Tab. X. fig. 6.
137. — Diese Fäden sind indeſs nichts anders, als
zarte Haare. Ich finde einen ganz ähnlichen Bau
in den Haaren, womit die Blätter und Blattstiele
der Stachelbeeren (Ribes grossularia) besetzt sind.
lem. D. X. St. 2. p. 171. — Hedwig (a. a. O.) ver-
muthet zwar bey dieser Beobachtung von Meese ei-
nen Irrthum. Er glaubt, die weiblichen Indivi-
duen wären anfangs niedriger, als die männlichen,
und unter diesen verborgen gewesen. nach der Be-
fruch-
darauf von Meese für Sprossen der männlichen
Blüthen angesehen. Allein es ist kein Grund vor-
handen, einen so scharfsichtigen Beobachter, wie
Meese war, einer so groben Täuschung zu be-
schuldigen.
storie. B. 1. S. 1 ff.
p. 380.
Icon. rer. nat. Tab. XXXV. fig. B. b. 2.
fig. A. a.
fig. A. a. 2.
kal (l. c. p. 113.), visae mihi sint parvulae libere
natantes, casu, nescio quo, ingressae.
vo. Linnei Faun. Suec. 1272.
XVIII. S. 187. 1757. B. XIX. S. 296. Berkenmeyer,
Neue Abhandl. der Schwed. Akad. 1784. B. V. S. 80.
Bergmann (a. a. O. B. XIX. S. 296.), “sollten diese
„Würmer, ob sie gleich Zwitter sind, sich doch
zur
S. 42.
„glücklich gewesen, das geringste Zeichen davon
„zu sehen, ob ich gleich viel, und auch von un-
„terschiedenen Arten gesammelt, und genau darauf
„acht gegeben habe, nichts desto weniger haben
„sich verschiedene vermehrt.”
würmer thierischer Körper. S. 88.
Zoot. B. 2. St. 1, S. 20.
1749. p. 103. 1767. p. 3. Kölreuter, Act. Acad.
Theodoro-Palat. T. III. phys. p. 36 sq.
Versuchen, das Geschlecht der Pflanzen betreffend.
Idem in Nov. Commentar. Acad. Petrop. T. XX. p.
431. Act. Acad. Petrop. 1777. P. 1. p. 215. Ibid.
1778. P. 2. p. 261. Ibid. 1777. P. 2. p. 185. Ibid. 1778.
P. 1. p. 219. Ibid. 1781. P. 1. p. 249. Ibid. 1781. P. 2.
p. 303. Ibid. 1782. P. 2. p. 251. Nov. Act. Acad. Pe-
trop. T. 1. p. 339. Ibid. T. III. p. 277. Ibid. T. XI.
p. 389. Ibid. T. XII. p. 378.
p. 56.
in der Befruchtung der Blumen. S. 17.
phys. p. 117. Von Humboldt in Usteri’s Annalen
der Botanik. St. 3. S. 7. Ebendesselben Aphorismen
aus der chem. Physiol. der Pflanzen. S. 57. Des-
fontaines in Lichtenberg’s Mag. f. d. Neueste aus
der Physik. B. III. St. 4. S. 37-43. Smith ebendas.
B. VI. S t. 2. S. 34.
43. 44.
Brie-
Welt. S. 156. 157.
halts an Nau. S. 126.
Thiere u. Pflanzen. Abth. 2. S. 378. §. 16-19.
exortu. Tubing. 1749. Misc. Acad, N. C. Ann. IX.
d. 2. p. 212. Ann. X. p. 90.
p. 293.
tione. Lond. 1747.
p. 205.
de phys. 1775.
rum functioni sexuali inservientia. Würzburg. 1801.
Allgem. botan. Bibliothek des 19ten Jahrhunderts.
Herausgegeben von der botan. Gesellsch. in Regens-
burg. 1803. H. 3. S. 199.
mermann. Th. 2.
von Nordamerika. Th. 1. S. 545.
1761. p. 227.
S. 29.
1749.
Stauden u. Blumengewächse. Regensb. 1716.
von merkwürdigen neuen Reisebeschreibungen. B. X.
S. 89.
not. 15 *). Haller El. phys. T. VIII. L. XXIX. S. 1.
§. 18. p. 40. §. 25. p. 24.
f. d. Physiol. B. III. H. 1. S. 71. 72.
Physiol. B. III. H. 1. S. 78, Vers. 2. S. 88, Vers. 23.
S. 89, Vers. 27.
17. S. 85, Vers. 20.
p. 417.
der Pflanzen betreffenden Versuchen. §. 2 ff.
Abth. 1. S. 245 ff.
1764. p. 55.
Versuchen, das Geschlecht der Pflanzen betreffend.
§. 11. S. 9 ff.
Gran) Wasser gerechnet.
an Nau. S. 43 ff.
31 ff.
18. 20 *). Haller El. Phys. T. VIII. L. XXIX. S. 1.
§. 14. p. 27.
Vers. 1.
21. p. 72. §. 670. not. 2. §. 671. not. 1. Haller El. Phys.
T. VIII. L. XXIX. S. 1. §. 14. p. 28.
not. 20.
not. 6. Haller El. Phys. l. c. p. 18.
Mars. 1686. p. 173.
Hartenkeil’s med. chirurg. Ztg. 1792. B. 4. S.
323. Metzger’s verm. med. Schriften. B. 1. S. 195.
Schweickhard in Hufeland’s Journal der prakti-
schen Arzneykunde. B. XVII. St. 1.
p. 20. Hagen’s Versuch eines neuen Lehrbuchs der
prakt. Geburtshülfe. B. 2. S. 117. Richter’s chirurg.
Bibl. B. VI. S. 742. Walter’s Betrachtungen über
die Geburtstheile des weibl. Geschlechts. §. 13. Pyl’s
Aufs. und Beobacht. aus der gerichtl. Arzneywissen-
schaft. B. VIII. St. 2. N. 4. Osiander’s Denkwür-
digkeiten für die Heilkunde u. s. w. B. 2. S. 1 ff.
Josephi über die Schwangerschaft ausserhalb der Ge-
bährmutter etc. S. 19.
6. p. 103.
philos. observat. C. 1. Kuhlemann l. c. p. 32.
gerung und über die verschiedenen Systeme der Er-
zeugung. Aus dem Engl. übersetzt von Michaelis.
Zittau u. Leipzig. 1791.
1. S. 226. 227.
§. 15. 16.
amerika. Th. 1. S. 484.
rika. Hamburg. 1780. S. 399. 400.
derungen des menschl. Geschlechts. 3te Ausg. Th. 2.
S. 241.
p. 96.
269. Rudolphi’s Schwed. Annalen der Med. u. Nat.
Gesch. B. I. St. 2. S. 190.
S. 352.
Acad. Nat. Cur. Vol. V. 1740. p. 366.
B. 7. S. 490.
77 sq.
Reichs. Th. 3. S. 253.
p. 54.
then. S. 9.
178.
Bl. 99.
über die Vitalität. Uebers. von Harless. S. 7.
che ohne Gehirn und Hirnschädel lebendig gebohren
wurde. Petersburg. 1791.
III. p. 453. Tab. VI.
Fälle finden sich in Haller’s angeführtem Werke
p. 78 sq.
p. 303.
in dem nachgelassenen 3ten Bande der Heilkraft
des thierischen Magnetismus meines ver-
ewig-
sichtspunkten, als woraus ich sie hier darstellen
konnte, entwickelt finden.
156. 299. 461.
put ex duobus capitibus coaluisse videtur — —
Putes, Te manifesto causam videre, quae haec duo
capita in unum redegit, modo propius ad se invi-
cem adpressisse, modo minus accurate et cum ma-
jori intervallo. Haller l. o. p. 152.
burthen. §. 84.
Geburtshelfer. 1ten Bandes 1te Bogenzahl. S. 9.
aber an dieser Stelle Elle für Spanne.
der Physik etc. B. VI. St. 1. S. 9. 10.
Haar’s auserlesene med. u. chirurgische Abhandl. u.
Beobachtungen. 2ter Band. 17te Abh. Blumenbach
a. a. O. S. 18. Hacquet ebendas. B. VI. St. 4. S. 28.
p. 538.
min. T. III. p. 98. C. XXIX.
p. 91.
in den Mém. de l’Acad. des sc. de Paris. 1761. p.
218.
betrug,
plicat. tabularum.
phys. T. I. p. 230.
15 Fuſs 29/10 Zoll, und 1781 von 16 Fuſs 58/10 Zoll.
Sie nahm folglich bis in ihr 200jähriges Alter noch
an Dicke zu. Eine Ceder, welche 1748 nur 1 Fuſs
hoch war, hatte 1777 3 Fuſs 15/10 Zoll, und 1795
6 Fuſs 15/10 Zoll im Umfange. Marsham, Phil.
Transact. 1797.
Taf. 1.
let. Mém. 1. obs. 1.
im ersten Kapitel des vorigen Abschnitts bemerkt
worden, daſs es zweifelhaft ist, ob die Eyer der
Grätenfische einen Dotter besitzen.
p. 369.
S. 151. §. 31.
T. I. p. 221.
Neuen Journal der ausl. med. chir. Litteratur von
Hufeland u. Harles. B. I. St. 2. S. 20 ff.
T. II. p. 108 sq.
valvula Eustach. etc.
Pflanzen. Abth. 1. S. 328. 329.
saule. p. 385.
Lesser Theologie des Insectes. P. I. p. 152. not. (*).
berg’s Reisen. S. 74, im Mag. von merkwürdigen
neuen Reisebeschreibungen. B. VII.
me machen, und jährlich nach dem Abfallen ihrer
Geweihe neue erzeugen, die nicht länger werden,
wie die vorigen. Holsten, Abh. der Schwed. Akad.
1774. B. XXXVI. S. 151.
S. 380.
Zootomie. B. 2. St. 1. S. 151.
poissons. T. I. p. 108.
sellsch. B. V. S. 394.
Reaumur, Mém. de l’Acad. des sc. de Paris. 1712.
Ed. 8. p. 295. Leipziger oekonomisch-physikalische
Abhandl. T. VI. 1753. S. 333.
S. 215.
wegen finde ich für nöthig, bey dieser Gelegenheit
zu bemerken, daſs die hier angeführte Stelle in mei-
nem Manuscript folgendermaaſsen lautete: “Wir
„finden nehmlich erstens, daſs die Gröſse des Gehirns
„gegen die Dicke des Rückenmarks und der
„Nerven desto mehr abnimmt u. s. w.” daſs aber die
mit Cursivschrift gedruckten Worte beym Abschrei-
ben
se ausgelassenen Worte die auf der folgenden 461ten
Seite citirten Schriften von Haller und Barthez
beziehen.
Hamburg. Mag. B. VI. St. 31. S. 157 ff. Hunter
über das Blut. Th. 2.
mark. S. 208.
Exp. 17. p. 101. Arnemann a. a. O. Vers. 1. S. 8.
V. 2. S. 13. V. 9. S. 30. S. 204.
S. 24. V. 6. S. 26. V. 14. S. 42. S. 201. 202.
semblée publ. de la Soc. roy. des sc. à Montpellier.
1780. p. 85. Ludwigii advers. med. pract. Vol. III.
P. 1. p. 45 sq. Hist. de l’Acad. des sc. de Paris, 1770.
p. 50. Philos. Transact. Vol. LXIX. P. 1. p. 7. Med.
obs. and inquiries. p. 299.
menta.
ring’s Knochenlehre. §. 39. S. 40.
Arnemann a. a. O. V. 5. S. 24. V. 9. S. 31. V. 10.
S. 35. V. 12. S. 38. V. 15. S. 43. S. 204 ff.
Murray l. c. exp. 11. 12.
mering’s Gefäſslehre. S. 63. §. 52.
S. 19. V. 5. S. 24. V. 6. S. 29. V. 9. S. 32. V. 10. S. 35.
V. 11. S. 36 u. s. w. S. 187 ff.
Reil’s Archiv f. d. Physiol. B. 2. H. 1. S. 64. V. 6.
S. 65. V. 7.
f. d. Physiol. B. 2. H. 1. S. 57.
B. 2. H. 1. S. 71.
244-258.
theoret. u. prakt. Arzneywissenschaft. S. 101.
lait. Sect. 1.
mark. V. 1. S. 68. V. 2. S. 70. V. 1. S. 73.
S. 25 u. s. w.
Exp. 9. p. 73 etc.
Abhandl. S. 51.
et frigidi sanguinis. p. XXXI.
p. 163.
men. B. 4. S. 159.
Uebersetzung von Bonnet’s Contempl. de la Nat. in
der Vorrede. Memorie di Matematica e Fisica della
Societa Italiana. T. I. n. 15.
und Arzneywissenschaft. B. 1. St. 3. S. 566.
serv. sur la physique etc. T. 3. p. 370.
chylien. S. 50.
Ed. 8. p. 295.
p. 56.
p. 166. Lichtenberg’s u. Forster’s Göttingisches
Magazin. Jahrg. 3. St. 4. S. 563 ff.
Blumenbach über den Bildungstrieb. S. 23.
p. 811.
B. VI. St. 2. S. 109.
med. Bibl. B. 1. S. 673.
kunde. B. 1. S. 25.
derungen des menschl. Geschlechts. 3te Ausg. Th. 2.
Kap. 22.
p. 226. 231.
le der Naturlehre. Th. 1. S. 302.
tur- und Arzneywissenschaft. B. 1. St. 2. S. 274.
St. 2.
St. 2. S. 258. 274. 290. 297.
mie. B. 3. S. 533.
der Physik etc. B. V. St. 2. S. 43.
ler in Commentar. soc. Reg. sc. Gotting. T. IV.
p. 419. Arnemann über die Reproduktion der Ner-
ven. S. 26.
p. 79. Thunberg’s Reisen. S. 7, im Magazin von
merkwürdigen neuen Reisebeschreibungen. Bd. 7.
de Paris. 1737. Ed. 8. p. 404.
- Rechtsinhaber*in
- Kolimo+
- Zitationsvorschlag für dieses Objekt
- TextGrid Repository (2025). Collection 3. Biologie, oder Philosophie der lebenden Natur für Naturforscher und Ärzte. Biologie, oder Philosophie der lebenden Natur für Naturforscher und Ärzte. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bp3n.0