[][][][][][][[I]]
Deutſche Geſchichte
im Zeitalter der Reformation.


Fünfter Band.

Berlin,: 1843.
Bei Duncker und Humblot.

[[II]][[III]]

Inhalt.


  • Seite
  • Neuntes Buch. Zeiten des Interims.
    Erſtes Capitel. Reichstag zu Augsburg 1547, 48. 3
  • Angelegenheit des Conciliums 3
  • Entzweiung zwiſchen Kaiſer und Papſt 10.
  • Weltliche Einrichtungen im Reiche 16
  • Abſicht den ſchwaͤbiſchen Bund zu erneuern 16.
    Landfriede, Kammergericht, Reichsanſchlaͤge 20.
    Burgundiſcher Vertrag 24. Reichskriegscaſſe
    29. Belehnungen 32. Rechtsentſcheidungen 34.
  • Das Interim 36
  • Zweites Capitel. Einfuͤhrung des Interims in
    Deutſchland
    56
  • Veraͤnderung der Stadtraͤthe 61. Uͤberwaͤlti-
    gung von Coſtnitz 63. Leipziger Interim 83.
  • Drittes Capitel. Stellung und Politik CarlsV
    1549 — 1551 90
  • Verhandlungen mit Rom 113
  • Reichstag zu Augsburg 1550 117.
    Succeſſionsentwurf 119
  • Die Proteſtanten in Trient 128
  • Saͤchſiſche und wuͤrtenbergiſche Confeſſion 130.
  • Viertes Capitel. Elemente des Widerſtandes in
    den großen Maͤchten
    142
  • Seekrieg im Mittelmeer 143
  • Erneuerung des Kriegs in Ungarn 152
  • Seite
  • Fortgang der Reformation in England 158
  • Heinrich II und die Farneſen 171
  • Fuͤnftes Capitel. Elemente des Widerſtandes in
    Deutſchland
    177
  • Belagerung von Magdeburg 179. Kirchliche
    Gewaltſamkeiten in Augsburg 188. Beleidi-
    gung der Reichsfuͤrſten 190. Gefangenſchaft
    des Landgrafen Philipp 194. Deutſch-oͤſtrei-
    chiſches und brandenburgiſch-preußiſches In-
    tereſſe 202. Zuſammenkunft zwiſchen Churf.
    Moritz und Markgraf Hans 207.
  • Sechstes Capitel. Kriegszug des Churfuͤrſten
    Moritz wider Carl
    V 1552 210
  • Erſte Entwuͤrfe 210. Moritz 221. Unter-
    handlung mit Frankreich 224. Kriegszug gegen
    Carl V 231. Aufloͤſung des Conciliums 246.
  • Zehntes Buch. Epoche des Religionsfriedens.
  • Erſtes Capitel. Verhandlungen zu Linz und zu
    Paſſau
    253
  • Vertrag zu Paſſau 277. Entlaſſung Johann
    Friedrichs 279. Ruͤckkehr des Landgrafen Phi-
    lipp 283.
  • Zweites Capitel. Franzoͤſiſch-osmaniſcher Krieg
    1552, 1553 285
  • Belagerung von Metz 287. Feldzug in Un-
    garn 291. Italien 294.
  • Drittes Capitel. Der Krieg zwiſchen Markgraf
    Albrecht und Churfuͤrſt Moritz im Jahr

    1553 299
  • Carl V in Verbindung mit Albrecht 303. Er-
    neuerung des Succeſſionsentwurfs 306. Hei-
    delberger Bund 310. Verbindung zwiſchen
    Moritz, Heinrich von Braunſchweig und Koͤ-
  • Seite
  • nig Ferdinand gegen Albrecht 311. Stellung
    und Natur Albrechts 315. Moritz in neuem
    Bunde mit Frankreich 321. Schlacht bei Sie-
    vershauſen 325.
  • Viertes Capitel. Allmaͤhlige Beruhigung der
    deutſchen Territorien
    330
  • Eintritt Churfuͤrſt Auguſts von Sachſen 330.
  • Friede zwiſchen Auguſt und Albrecht 333. Er-
    neuerung der Erbverbruͤderung zwiſchen Bran-
    denburg, Sachſen und Heſſen 333. Zutritt Fer-
    dinands zum Heidelberger Bund 334. Heinrich
    von Braunſchweig gegen Albrecht 335. Aus-
    gang Markgraf Albrechts 344. Beilegung ter-
    ritorialer Streitigkeiten in Deutſchland 347.
  • Fuͤnftes Capitel. Reichstag zu Augsburg 1555 352
  • Berathungen uͤber den Religionsfrieden 356
  • Geiſtlicher Vorbehalt 370.
  • Berathungen uͤber Friede und Recht 373
  • Executionsordnung, Kreisverfaſſung 373. Neue
    Kammergerichtsordnung 379.
  • Beſchlußnahme 383
  • Sechstes Capitel. Abdankung CarlsV393
  • Verbindung des Kaiſers mit England unter Ma-
    ria 393. Uͤbertragung der Erblande auf Phi-
    lipp 403, Unterhandlungen wegen der Uͤber-
    tragung des Kaiſerthums 411 ff. Anfang der
    ſelbſtaͤndigen Regierung Ferdinands 413. Chur-
    fuͤrſtenverſammlung zu Frankfurt 415. Chur-
    verein von 1558 418. Letzte Tage Carls V 423.
  • Siebentes Capitel. Fortgang und innerer Zu-
    ſtand des Proteſtantismus
    427
  • Einwirkung des Proteſtantismus auf die Reichs-
    verfaſſung 430. Reformation der Rheinpfalz,
    Badens 432. Conceſſionen in Baiern und Oͤſt-
    reich 433.
  • Seite
  • Grundzuͤge der proteſtantiſchen Kirchenverfaſſung 435
  • Theologiſche Streitigkeiten 443
  • Flacius 446. Major und Oſiander 448. Cal-
    vin 451. Maͤngel der Verfaſſung 459. Un-
    erledigte Fragen 462.
  • Achtes Capitel. Entwickelung der Literatur465
[[1_3]]

Neuntes Buch.
Zeiten des Interims.


Ranke D. Geſch. V. 1
[[1_3]][[1_3]]

Erſtes Capitel.
Reichstag zu Augsburg 1547, 48.


Angelegenheit des Conciliums.


Siege werden bald erfochten: ihre Erfolge zu befeſti-
gen, das iſt ſchwer.


Für Carl V war mit dem Siege über die ſchmalkal-
diſchen Stände nur erſt die Hälfte der Arbeit gethan: wollte
er die Gedanken ausführen, von denen er beſeelt war, ſo ſtand
ihm noch ein Gang mit ſeinem eignen Verbündeten bevor.


Wir wiſſen ſchon, wie wenig ihm die Art und Weiſe
genug that, in der das Concilium unter dem Einfluß des
Papſtes verfuhr: jene Feſtſetzung der ſtreitigen Lehrpuncte in
einem Sinne welcher die Proteſtanten abſtoßen mußte, die er
herbeizubringen gedachte; noch mehr die Translation der Ver-
ſammlung, zu der man geſchritten war, ſo bald nur von der
ſo oft verſprochenen Reform ein wenig ernſtlicher die Rede
ſeyn ſollte. Keinen Augenblick hatte er dieſe Dinge aus den
Augen verloren. Er hat wohl geſagt, im Laufe des Krie-
ges habe er mehr an Rom und an das Concilium gedacht
als an den Krieg ſelber. Noch war er nicht geſonnen, we-
der dieſe Verlegung ſich gefallen zu laſſen, oder auch nur
die publicirten Artikel anzuerkennen.


1*
[4]Neuntes Buch. Erſtes Capitel.

In Bologna wagte man doch wirklich nicht, zu con-
ciliaren Handlungen zu ſchreiten: 1 man begnügte ſich mit
vorläufigen Beſprechungen.


Wie die beiden Häupter dort einwirkten, davon iſt ein
Beiſpiel, daß als eine ſolenne Seſſion für die Mitte Sep-
tember angekündigt war und der Papſt ſich Ende Auguſt aus
Rom erhob, um ihr durch ſeine Gegenwart ſo größeres An-
ſehn zu geben, — er verſäumte nicht vorher die Geſtirne um
die glückliche Stunde zu befragen, — der kaiſerliche Geſandte
ihm nacheilte und ihn durch Drohungen dahin brachte, daß die
Sitzung nur in Form einer Congregation gehalten ward. 2


So recht römiſch kam es dem Kaiſer vor, daß der päpſt-
liche Geſandte, der ihn in Bamberg traf, ihn zu überreden
ſuchte, ſeine ſiegreichen Waffen nun gegen England zu wen-
den. Er antwortete, er wolle nicht aufs neue den Haupt-
mann eines Mannes machen, der ihn in der Mitte der letz-
ten Unternehmung verlaſſen habe. Der Nuntius erinnerte
ihn mit officieller Frömmigkeit an ſeine Pflichten gegen die
Religion. Der Kaiſer entgegnete, er wünſche nur, daß An-
dere ihre Pflicht in dieſer Beziehung ſo gut erfüllen möchten
wie er die ſeine. 3


Blieb er aber dabei, die Sache des Conciliums in ſei-
nem Sinne durchzuſetzen, ſo fand er dafür eine mächtige
Unterſtützung in dem Übergewicht das er jetzt in Deutſch-
land erworben.


[5]Reichstag zu Augsburg 1547. Concilium.

Am erſten September eröffnete er den Reichstag zu
Augsburg, mit einer Propoſition, in der er zunächſt die geiſt-
lichen Angelegenheiten da wieder aufnahm, wo ſie vor zwei
Jahren abgebrochen worden: aber unter ganz andern Um-
ſtänden und mit einer ohne Vergleich größern Ausſicht, ſeine
Meinung durchzuſetzen.


Die proteſtantiſche Corporation, welche früher nicht al-
lein nach ihrer eignen Meinung, ſondern auch vermöge der
ihnen gewordenen Zugeſtändniſſe eine geſetzliche Stellung ein-
nahm und an der excluſiv proteſtantiſchen Idee feſthielt, war
nicht mehr; der Kaiſer verbat ſich überhaupt abgeſonderte
Zuſammenkünfte und Berathungen. Alle die in des Kaiſers
Frieden gekommen, hatten ſich mehr oder minder ohne Rück-
halt zum Gehorſam in dieſer Hinſicht verpflichtet. Jene pro-
teſtantiſche Mehrheit, die ſich zuletzt im Churfürſtenrathe zu
bilden begonnen, war durch die Cataſtrophe des Erzbiſchof
Hermann von Cölln vollkommen beſeitigt. Die geiſtlichen
Fürſten, die ihre Erhaltung hauptſächlich dem Kaiſer ver-
dankten, hiengen ihm mit doppelter Ergebenheit an.


Unter dieſen Umſtänden konnte die Beſchlußnahme des
Reichstags, als nun der Kaiſer aufs neue die Anerkennung
des tridentiniſchen Conciliums forderte, auf keine beſondere
Schwierigkeit ſtoßen.


Der Fürſtenrath, der abermal die Initiative ergriff, er-
klärte, der wahre Weg die Spaltung in der Religion zu
heben ſey eben der, die Erörterung einem freien gemeinen
Concil heimzuſtellen, „immaßen das allbereit zu Trient an-
gefangen worden.“ Dieſem Gutachten ſtimmten die geiſt-
lichen Churfürſten beinahe wörtlich bei. 1 Nicht ſo entſchie-
[6]Neuntes Buch. Erſtes Capitel.
den war die Äußerung der weltlichen Mitglieder dieſes Col-
legiums; aber ſie widerſprachen wenigſtens nicht: ſie er-
kannten an, daß die ſtreitige Religion auf ein gemein frei
chriſtlich Concilium remittirt werden ſollte, es möge nun zu
Trient gehalten werden oder an einem andern Orte deutſcher
Nation. Die Städte hatten ein abweichendes Gutachten vor-
bereitet, aber durch die Vorſtellung des kaiſerlichen Rathes
Dr Haſe ließen ſie ſich bewegen davon abzuſtehn. Hierauf
konnte der Kaiſer dem Papſt erklären: was er mit ſo viel
Arbeit und Eifer herbeizuführen geſucht, das ſey nun ge-
ſchehen: Churfürſten, geiſtliche, weltliche Fürſten ſo wie die
Städte haben ſich dem nach Trient ausgeſchriebenen und
daſelbſt begonnenen Concilium unterworfen. 1


Nun enthielt aber dieſer Beſchluß im damaligen Augen-
blick nicht mehr einfach die Thatſache der Unterwerfung, ſon-
dern zugleich — denn abſichtlich ward auf die Bezeichnung
des Ortes viel Nachdruck gelegt — eine Erklärung gegen
die Translation der Kirchenverſammlung. Schon gleich in
den erſten Tagen nach ihrer Ankunft hatten die geiſtlichen
Fürſten den Papſt einmüthig um die Zurückverlegung er-
ſucht. Dieſes Begehren ward jetzt durch den allgemeinen
Beſchluß der Stände gewaltig verſtärkt.


Und dabei blieben ſie nicht ſtehen. Hatte der Kaiſer
1
[7]Reichstag zu Augsburg 1547. Concilium.
die Publication der zu Trient gefaßten Beſchlüſſe gemißbil-
ligt, ſo traten ihm auch darin die Stände bei. Die Für-
ſten, denen jene Feſtſetzungen wenigſtens amtlich noch nicht
mitgetheilt worden, forderten, wenn in den ſtreitigen Arti-
keln bereits etwas beſchloſſen ſey, ſo müſſe das doch aufs
neue vorgenommen und vor allem erſt die Erklärung der
Proteſtirenden darüber gehört werden. 1 Jene dogmatiſchen
Beſtimmungen, auf welchen ſpäter die Rechtgläubigkeit der
katholiſchen Kirche zu beruhen geſchienen, wollte fürs Erſte
ſo wenig das Reich wie der Kaiſer anerkennen. Es ver-
ſteht ſich, daß die proteſtantiſch-geſinnten Mitglieder beider
Räthe hierin noch eifriger waren. Die weltlichen Churfür-
ſten forderten ausdrücklich die Reaſſumtion der ſchon be-
ſchloſſenen Artikel: ſie fügten hinzu, nur nach der Norm der
göttlichen Schrift würden dieſelben zu entſcheiden ſeyn. Die
Stimmung zeigte ſich überhaupt ganz entſchieden. Verge-
bens trug Leonhard Eck darauf an, daß man, um weiter-
gehende Fragen abzuſchneiden, den Papſt als Vorſitzer des
Conciliums bezeichnen ſolle: die Zeiten ſeines Einfluſſes und
Übergewichts waren vorbei; in dem Rathſchlag des Für-
ſtenrathes findet ſich nichts hievon. Dagegen lautet das
Gutachten der weltlichen Churfürſten dahin, daß der Papſt
die Mitglieder des Conciliums aller Pflichten, mit denen ſie
ihm verwandt ſeyen, erledigen, und dem Concilium unter-
[8]Neuntes Buch. Erſtes Capitel.
worfen ſeyn ſolle: eine Reformation an Haupt und Glie-
dern brachten ſie aufs neue in Anregung. Und noch leb-
hafter drückten ſich die Städte aus. Die Entſcheidung über
die ſtreitigen Artikel dürfe mit nichten Sr Hoheit dem Papſt
(das Wort Heiligkeit vermieden ſie) und den Anhängern
deſſelben überlaſſen, ſie müſſe frommen, gelehrten, gottesfürch-
tigen und von allen Ständen dazu auserwählten Perſo-
nen, die von jeder Verpflichtung befreit worden, anheim-
geſtellt werden. 1


Auf Forderungen dieſer Art konnte und mochte Carl V
nun zwar in dieſem Augenblicke nicht eingehn. Auf keinen
Fall aber war ihm ein Beſtreben zuwider, das auf eine Er-
höhung der kaiſerlichen Gewalt und eine Einſchränkung der-
jenigen zielte, mit der er alle ſeine Tage zu kämpfen gehabt
und ſo eben wieder in heftige Irrungen verwickelt war. Am
Reichstag verlautete das Wort, daß der Kaiſer Präſident
des Conciliums ſeyn müſſe, nicht der Papſt. In den Reichs-
beſchlüſſen war von keinem Vorbehalt päpſtlicher Einwilli-
gung die Rede; 2 der Kaiſer verſprach in ſeinem eignen Na-
men, daß das Concilium in Trient gehalten, und die ganze
Tractation — er bediente ſich hiebei der Ausdrücke, die die
weltlichen Churfürſten gebraucht und die auf die älteſten
Schlüſſe in dieſer Sache zurückwieſen — gottſelig, chriſtlich,
nach göttlicher und der alten Väter heiliger Lehre und Schrift
vorgenommen und zu Ende geführt werden ſolle. Die wei-
tern Anträge der Churfürſten verwarf er doch nicht geradezu:
er bat nur auch in dieſer Hinſicht um das volle Vertrauen
der Stände.


[9]Reichstag zu Augsburg 1547. Concilium.

Hatte der Papſt die Zeit des Krieges benutzen können,
um das Concil auf ſeine Weiſe zu leiten, ſo machte der Er-
folg der Waffen es wieder dem Kaiſer möglich, ſich dieſer
Direction mit größtem Nachdruck zu widerſetzen.


Am 9ten November fertigte er den Cardinal von Trient,
Chriſtoph Madrucci, noch Rom ab, um die Zurückverlegung
des Conciliums, auf welche er bisher ſo ſtandhaft gedrun-
gen, nun auch im Namen des Reiches zu fordern.


Der Kaiſer erwähnte in der Inſtruction, daß er die
Anträge welche zum Nachtheil der päpſtlichen Autorität ge-
macht worden, nicht angenommen; er verſicherte ausdrück-
lich, daß das Concilium im Fall einer Vacanz dem Wahl-
recht der Cardinäle keinen Eintrag thun ſolle: aber da jetzt
das heilige Werk geſchehen, daß ſich das Reich dem Con-
cilium einfach unterwerfe, ſo möge nun auch der Papſt die
Umſtände, die ſo günſtig ſeyen wie man ſie niemals hätte
hoffen dürfen, benutzen und das Concilium nach Trient zu-
rückführen: 1 damit werde er ſeine Pflicht gegen Gott und
ſeine Würde erfüllen.


Was würde wohl geſchehen ſeyn, wenn die beiden Ober-
häupter ſich verſtanden, eine ernſtliche Verbeſſerung der au-
genſcheinlichen Mängel vorgenommen und dann mit verein-
ten Kräften und ungetheilter Autorität auf die Herſtellung
der alten Kirchenformen hingearbeitet hätten? Würden ſie
bei einiger Nachhaltigkeit des Verfahrens damit nicht wirk-
lich haben durchdringen können?


Es war ein großes Schickſal, daß in dem entſchei-
[10]Neuntes Buch. Erſtes Capitel.
denden Augenblicke die Erbitterung zwiſchen beiden größer
war als je.


Paul III fürchtete nichts mehr als die Übermacht eines
neu emporkommenden Kaiſerthums. So auffallend es auf
allgemeinem Standpunct ausſieht, daß er im Frühjahr 1547
dem Vorfechter des Proteſtantismus eher den Sieg wünſchte,
ſo gewiß iſt es doch: mit Freuden vernahm er die Nach-
richt von jenem Rochlitzer Ereigniß; der Hof gab zu erken-
nen, wie ſehr er wünſchte den Kaiſer in Ungelegenheiten ver-
wickelt zu ſehen. Dem König Franz ließ man von Rom
aus noch wiſſen, er könne nichts Nützlicheres thun, als Die-
jenigen unterſtützen, von denen dem Kaiſer Widerſtand ge-
leiſtet werde; mit dem Nachfolger deſſelben, Heinrich II, trat
der alte Papſt ſofort in die engſte Verbindung: er brachte
die Vermählung ſeines Enkels Horatio mit einer natürlichen
Tochter des neuen Königs zu Stande. Hierauf war von einer
dem Kaiſer entgegenzuſetzenden Ligue zwiſchen Frankreich, Ve-
nedig und dem Papſt unaufhörlich die Rede. Alle Gegner
des Kaiſers und ſeiner Partei ſahen in dem Papſt und ſei-
nem Hauſe ihre natürlichen Häupter. Pier Luigi Farneſe,
der Sohn des Papſtes, hatte an allen Bewegungen gegen
den Kaiſer einen mehr oder minder zu Tage liegenden Antheil.


Welch ein Schlag ohne Gleichen war es da, daß eben
dieſer Pier Luigi am 10ten September 1547 in Piacenza
ermordet ward.


Er hatte daſelbſt im Sinne der italieniſchen Tyrannen
alter Schule regiert, die Vorrechte der Edelleute aufgeho-
ben, die Bauern dieſen zwar gleichgeſtellt, aber dann mit
harten Frohnden belaſtet, eine Menge Geſetze gegeben, die
[11]Entzweiung zwiſchen Kaiſer und Papſt.
nur darauf berechnet ſchienen, diejenigen zu ſtrafen welche
ſie übertreten würden und ihre Güter zu confiſciren, was
dann ohne Weiteres geſchah. So eben baute er ſich ein
Schloß, zu welchem er geweihte Plätze eingezogen, Häuſer
von Witwen und Waiſen niedergeriſſen; man ſagte wohl,
er werde die Angeſehenſten ſeines Gebietes dahin einladen
und es mit ihrem Blute dem Satan weihen. So zog er
denn auch das Schickſal der alten Tyrannen über ſich herein.
Eine Verſchwörung bildete ſich, der er erlag. 1


Wie die Dinge der Welt einmal ſtanden, ſo griff dieſe
Ermordung mit allen großen Ereigniſſen zuſammen.


Der kaiſerliche Befehlshaber in Mailand, Ferrante Gon-
zaga, der längſt mit Mißvergnügen wahrgenommen daß Pier
Luigi franzöſiſche Soldaten nach Piacenza kommen laſſen,
ſäumte keinen Augenblick, dieſe Stadt jetzt im Namen des
Reiches, das ſeine Anſprüche daran niemals aufgegeben, in
Beſitz zu nehmen. Man glaubte allgemein, er habe das
Unternehmen der Verſchwornen gekannt und ſey damit ein-
verſtanden geweſen. Der florentiniſche Geſandte verſichert es
mit Beſtimmtheit; 2 er meint annehmen zu dürfen daß auch
Granvella darum gewußt habe. Wir finden Nachrichten,
nach welchen der Kaiſer befragt worden, ſich anfangs ge-
ſträubt und endlich eingewilligt hatte. 3


[12]Neuntes Buch. Erſtes Capitel.

Es iſt nicht zu beſchreiben, in welche Stimmung von
Haß und verhaltener Wuth der Papſt hiedurch gerieth.


Don Diego Mendoza berichtet, er habe geſagt, wenn
man ihm Piacenza nicht wiedergebe, ſo werde er ſich helfen
ſo gut er könne, und ſollte er die Hölle zu Hülfe rufen. 1
Mendoza iſt überzeugt, ein Bund mit Frankreich ſey dem
Abſchluß nahe, man denke den Herzog von Guiſe zum Kö-
nig von Neapel zu machen. Ein Wort des Cardinal Far-
neſe, der heilige Vater werde ſich mit Jemand verbinden,
von dem man es nicht denke, deutet er auf das Vorhaben
eines Bundes mit dem Sultan. Dem Geſandten dagegen
gieng der Gedanke durch den Kopf, ſich im Namen des
Kaiſers der Engelsburg zu bemächtigen: wäre nur der Ver-
dacht nicht ſo wachſam geweſen.


Dieſe weltliche Entzweiung machte nun den in den geiſt-
lichen Geſchäften eingetretenen Bruch vollends unheilbar.


Der Papſt ſah in den Anträgen, die der Cardinal Ma-
drucci brachte, doch nichts als eine neue Feindſeligkeit: er
wußte ſehr wohl, daß die Forderung der Zurückverlegung
noch keineswegs das letzte Wort des Kaiſers enthielt.


Dazu aber, dieſe Forderung geradehin zurückzuweiſen,
war jedoch ſeine Stellung auch nicht angethan. Wie der
Kaiſer, ſo mußte auch er maaßhaltend, mit der nöthigen
Rechtfertigung vor der Welt erſcheinen.


Zuerſt legte er die Sache einer Deputation von Car-
dinälen vor. Deren Urtheil war, daß Kaiſer und Reich es
nicht übel deuten könne, wenn S. Heil. in der wichtigen
[13]Entzweiung zwiſchen Kaiſer und Papſt.
Angelegenheit die in Bologna verſammelten Prälaten ſelbſt
zu Rathe ziehe.


Sehr beſonders: dieſelbe Verſammlung, deren Berech-
tigung der Kaiſer leugnete, wurde aufgefordert, ſich über die
Anträge zu äußern die er gegen ſie machte.


Und dieſe lehnte nun nicht mit dürren Worten ab, nach
Trient zurückzugehn, aber ſie machte Bedingungen die eben
ſo gut waren wie eine vollkommen abſchlägliche Antwort. Vor
allem ſollten die in Trient zurückgebliebenen Prälaten nach
Bologna kommen und ſich mit ihr vereinigen; dann wollte
ſie im Voraus wiſſen, ob die deutſche Nation ſich dem Con-
cil dergeſtalt unterwerfe, daß ſie die in Trient beſchloſſenen
und bereits bekannt gemachten Decrete über die Glaubensfra-
gen anerkenne, ſolche niemals in Zweifel zu ziehen ſich ver-
pflichte; ferner ob der Kaiſer nicht etwa die bisher beobach-
teten conciliaren Formen abzuändern gedenke; ob es der
Mehrheit des Conciliums frei ſtehn werde, über neue Trans-
lation oder Beendigung definitiv zu beſchließen. 1


Eine Antwort die den Forderungen der deutſchen Na-
tion und den Abſichten des Kaiſers ſchlechthin entgegenlief.
Der Papſt händigte ſie dem kaiſerlichen Bevollmächtigten als
ſeine eigne ein; dieſer erkannte, daß hier weiter nichts aus-
zurichten ſey, und trat ſeine Rückreiſe an. 2


Dem Kaiſer konnte dieß wohl nicht unerwartet kommen;
[14]Neuntes Buch. Erſtes Capitel.
er war entſchloſſen es nicht zu dulden, ſondern die alte Dro-
hung einer feierlichen Proteſtation endlich zu vollführen.


Auf die förmlichſte Art von der Welt kam es zum Bruch
zwiſchen beiden Gewalten.


Am 16ten Januar 1548 erſchienen die kaiſerlichen Pro-
curatoren, zwei Spanier, Licentiat Vargas und Doctor Ve-
lasco, in der Verſammlung der Prälaten zu Bologna. „Wir
ſind hier,“ begann der Licentiat, „im Namen unſers Herrn,
des römiſchen Kaiſers, um einen Act auszuführen den ihr
längſt erwartet. Ihr ſeht wohl welch ein Unglück der Welt
bevorſteht, wenn ihr hartnäckig auf einer Meinung behar-
ren wollt, die ihr einmal, ohne die gehörige Vorſicht, er-
griffen habt.“ — „Auch ich bin hier,“ entgegnete der Le-
gat Monte, „im Namen Sr Heiligkeit, des unzweifelhaf-
ten Nachfolgers Petri, Stellvertreters Jeſu Chriſti, und hier
ſind dieſe heiligſten Väter, die das Concilium unter Einwir-
kung des heiligen Geiſtes fortſetzen wollen, nachdem es recht-
mäßig, aus Gründen die ſie ſelber gebilligt haben, von Trient
verlegt iſt. Wir bitten Seine Majeſtät, ihre Meinung zu ändern
und uns ihren Schutz zu gewähren, denn man weiß, wie ſchwere
Strafen ſich Diejenigen zuziehen, die ein Concilium ſtören, wie
hoch auch die Würde ſeyn möge mit der ſie bekleidet ſind.“


Nachdem hierauf die kaiſerliche Vollmacht vorgewieſen
war — das Original auf Pergament, von dem ausdrücklich
bemerkt wird, es ſey darin nichts ausgeſtrichen oder radirt
geweſen, mit dem kaiſerlichen Inſiegel, 1 — verlas Velasco
die Proteſtation, in welcher der Kaiſer aus den öfter erwähn-
ten Gründen, die er noch einmal zuſammenfaßte, die un-
[15]Entzweiung zwiſchen Kaiſer und Papſt.
verzügliche Rückkehr der verſammelten Prälaten nach Trient
forderte. Würden ſie ſich, was er nicht hoffe, dazu nicht ent-
ſchließen, ſo proteſtire er hiemit, daß die Translation un-
rechtmäßig und ſammt allem was darauf folge, null und
nichtig ſey. Ihnen die ſich Legaten nennen, und den hier
verſammelten, größtentheils von dem Winke des Papſtes ab-
hängigen Biſchöfen, könne unmöglich das Recht zuſtehn, in
Sachen des Glaubens und der Reformation der Sitten der
chriſtlichen Welt Geſetze vorzuſchreiben, am wenigſten für eine
ihnen nicht eigentlich bekannte Provinz; die Antwort welche
ſie und S. Heiligkeit dem Kaiſer gegeben, ſey unangemeſſen,
voll von Unwahrheiten, nichts als Täuſchung. Er ſelbſt, der
Kaiſer, müſſe ſich der vom Papſt vernachläßigten Kirche an-
nehmen, und alles thun was nach Recht und Geſetz, nach
altem Herkommen und der öffentlichen Meinung der Welt
ihm zukomme, kraft ſeines Amtes als Kaiſer und als König.


Der Legat erwiederte, von dem was er gethan, wolle
er Gott Rechenſchaft geben, dulden aber könne er nicht,
daß die weltliche Gewalt ſich anmaße ein Concilium zu be-
herrſchen.


Wir ſehen: er hielt an ſeinem Begriffe von der Un-
abhängigkeit der geiſtlichen Gewalt feſt, und ließ ſich nicht
aus der Faſſung bringen. Andern aber war doch nicht wohl
zu Muthe. Der Secretär des Conciliums ſchließt ſeinen Be-
richt hierüber mit dem Gebet, daß dieſer Tag nicht der Anfang
des größten Schismas in der Kirche Gottes ſeyn möge. 1


Die Proteſtation iſt eigentlich eine geiſtliche Kriegserklä-
rung. Der Kaiſer war geſonnen, die Feindſeligkeit die er auf
[16]Neuntes Buch. Erſtes Capitel.
dieſem Gebiete begann, ſo ernſtlich auszuführen wie jemals
eine andre.


Die vornehmſte Maaßregel die er hiezu ergriff, iſt aber
ſo durchaus reichs-oberhauptlich und bildet ein ſo weſentli-
ches Stück ſeiner Reichsverwaltung, daß wir wohl am be-
ſten thun, dieſe zuvörderſt in ihren nächſten weltlichen Be-
ziehungen ins Auge zu faſſen.


Weltliche Einrichtungen im Reiche.


Wir berührten oben, welche Plane höchſt umfaſſender
Art den Kaiſer durchflogen, als er den Krieg unternahm.


Wollte er aber das Reich einmal erblich machen, wie
er dachte, ſo mußte er es vor allem regieren: er mußte ſich
in dem Vereine autonomer ſelbſtändiger Mächte die ihn um-
gaben, ein Übergewicht verſchaffen, durch welches ſie genöthigt
wurden, dem Antriebe zu folgen den er ihnen geben wollte.


Es iſt ſehr merkwürdig, daß er dieß anfangs weniger
auf dem Wege der Verfaſſung als durch einen Bund zu
thun beabſichtigte.


In den erſten Jahren ſeiner Regierung hatte er em-
pfunden, welch ein Moment der Macht in dem ſchwäbiſchen
Bunde lag: ſo wie jetzt ſein Glück wieder beſſer wurde, faßte
er den Gedanken denſelben zu erneuern und zu erweitern,
und unaufhörlich finden wir ihn ſeitdem dahin arbeiten.


Den Capitulationen der oberländiſchen Stände wurden
Ausdrücke einverleibt, an welche man ſpäter die Anmuthung
knüpfen konnte, in einen Bund dieſer Art zu treten. 1 Im Fe-
[17]Abſicht den ſchwaͤbiſchen Bund zu erneuern.
bruar 1547 dachte Carl in Perſon eine Verſammlung in
Frankfurt zu halten um denſelben zu Stande zu bringen; wir
finden ſeine Abgeordneten Caſpar von Kaltenthal und Hein-
rich Haſe jenen Franken durchreiſen, dieſen die ſchwäbiſche
Ritterſchaft verſammeln, um dazu vorzubereiten. 1 So lange
jedoch mächtige Feinde im Felde ſtanden, ließ ſich hievon we-
nig Erfolg erwarten. Erſt Ende Mai, nachdem der ſäch-
ſiſche Krieg glücklich beendigt worden, eröffnete ſich wirklich
ein Bundestag zu Ulm, an welchem der Biſchof von Augs-
burg und Markgraf Johann von Cüſtrin, dieſer eigentlich
an Statt König Ferdinands, der noch in Böhmen beſchäftigt
war, als kaiſerliche Commiſſarien auftraten, die alte Bun-
desformel vorlegten und zur Annahme derſelben einluden. 2


Bei weitem mächtiger aber wäre dieſer Bund gewor-
den als der frühere. Er ſollte das ganze Reich umfaſſen,
die einzige zugelaſſene Einung bilden, mit Bundesrichtern ver-
ſehen ſeyn, um jede innere Streitſache ohne viele Weitläuf-
tigkeiten zu Ende zu bringen; der Landfriede ſollte darin auf
das ernſtlichſte gehandhabt, jeder Vergewaltigte namentlich vor
allen Dingen wieder in ſeinen Beſitz hergeſtellt, dann erſt
ſeine Sache unterſucht werden. Die Reichsverfaſſung war
mit Förmlichkeiten überladen; bei dem Eintritt in die ver-
ſchiedenen Collegien ward ſchon jedes Mitglied vom Gefühl
1
Ranke D. Geſch. V. 2
[18]Neuntes Buch. Erſtes Capitel.
ſeiner Selbſtändigkeit erfüllt; Heimbringen, Proteſtiren war
faſt herkömmlich geworden: — in einem Bunde dagegen,
welcher die Vorausſetzung freiwilliger Theilnahme für ſich
hatte, waren die Beſchlüſſe einmüthiger, durchgreifender; we-
nigſtens der ſchwäbiſche hatte kein Heimbringen geſtattet; den
Schlüſſen der Bundesräthe zu folgen war ein jeder verpflichtet.


Es liegt am Tage, wie da das Übergewicht der Macht
ſich bei weitem eher durchſetzen konnte als im Reiche; der
Kaiſer, der mit den öſtreichiſchen und niederländiſchen Land-
ſchaften beizutreten gedachte, würde den Bund ohne Zweifel
beherrſcht haben. Die herkömmliche Autorität des Reichs-
oberhauptes würde durch die Bundesgewalt zu doppelter Ener-
gie gelangt ſeyn.


Eben darum mußte aber dieſer Entwurf doch auch den
größten Widerſpruch hervorrufen.


Die Städte bemerkten mit Schrecken, daß ſie fortan
an allen Kriegen des Hauſes Öſtreich in obern und nie-
dern Landen würden Theil nehmen müſſen; ſchon die Unko-
ſten der Zuſammenkünfte würden ihnen läſtig fallen, die un-
aufhörlichen Hülfleiſtungen aber ſie zu Grunde richten; ihr
Gewerbe nach den benachbarten Ländern, wie England und
Frankreich, würde ſie doppelter Gefahr ausſetzen. 1


Die Räthe der Fürſten überlegten, daß ſogar die Ter-
ritorialhoheit dadurch in Gefahr gerathen dürfte. Biſchöfe,
Grafen und Herrn würden ſich von der Regierung des Für-
[19]Abſicht den ſchwaͤbiſchen Bund zu erneuern.
ſten abſondern, deſſen Schutz ihnen nicht mehr nöthig ſey,
ſobald aller Schutz vom Bunde ausgehe. Churfürſt Moritz
erinnerte, die Erbeinung der Häuſer Heſſen, Brandenburg und
Sachſen, durch welche die Kaiſer oftmals genöthigt worden
mit deren Rathe zu handeln, werde nicht mehr beſtehn; 1 das
ſächſiſche Recht, um deswillen man von der Appellation befreit
ſey, und viele andere Privilegien würden bedroht werden. 2


Wilhelm von Baiern, der wieder in ſehr katholiſchem
Eifer war, fand eine Verbindung mit proteſtantiſchen Für-
ſten auch darum unthunlich, weil man dann genöthigt wer-
den könnte dem Reformationsweſen zuzuſehen.


Es war ſchon von ſchlechter Vorbedeutung, daß der Kai-
ſer in Ulm nicht vorwärts kam und die Verhandlung über den
Bund an den Reichstag ziehn mußte. Hier ließ er ſie aller-
dings nicht ſogleich fallen: der vorgelegte Entwurf ward von
den beiden höhern Collegien begutachtet, ein Schriftwechſel auf
die herkömmliche Weiſe darüber eingeleitet: wohlverſtanden
jedoch, mit dem Vorbehalt der Unverbindlichkeit; endlich
ward, nach langer Weigerung der Churfürſten, ein gemein-
ſchaftlicher Ausſchuß darüber niedergeſetzt; — ſo weit kön-
nen wir die Sache verfolgen: — wie nun aber der Ausſchuß
2*
[20]Neuntes Buch. Erſtes Capitel.
zuſammentreten ſoll, wo dann jeder weitere Schritt eine wirk-
liche Verpflichtung in ſich geſchloſſen haben würde, hören
die Acten auf darüber zu berichten; 1 die Städte ſelbſt ſind
verwundert, daß man davon nichts weiter an ſie bringt:
Alles ward rückgängig.


Es wirkte wohl zuſammen, daß die Fürſten eine un-
überwindliche Abneigung an den Tag legten, und der Kaiſer
dagegen die Ausſicht faſſen durfte, zu einigen der für ihn
bedeutendſten Zwecke, die er bei dem Entwurf hatte, in den
Formen des Reichstags zu gelangen.


In ſeiner Propoſition hatte er außer den religiöſen An-
gelegenheiten auch die übrigen herkömmlichen Gegenſtände der
Reichsberathung, Landfrieden, Kammergericht, Anſchläge, zur
Sprache gebracht.


Schon bei den beiden erſten gelang es ihm, das reli-
giöſe und reichsoberhauptliche Intereſſe, worauf es ihm vor
allem ankam, beſtens wahrzunehmen.


Als Verletzungen des Landfriedens wurden jetzt auch
die Beraubungen der Geiſtlichen ausdrücklich bezeichnet: ne-
ben Schlöſſern, Städten, Dörfern, die Niemand angreifen
dürfe, erſcheinen zum erſten Mal auch Kirchen, Klöſter, Clau-
ſen, die Jurisdictionen ganz im Allgemeinen.


Die Churfürſten hatten vorgeſchlagen, die Verſammlun-
gen herrnloſen Kriegsvolks ohne Ausnahme zu verbieten:
Kaiſer und Fürſten beliebten, daß ſie nur dann zerſtreut wer-
[21]Weltliche Geſchaͤfte des Reichstags von 1547.
den ſollten, wenn ſie nicht vielleicht eine Erlaubniß des Kai-
ſers und Königs nachweiſen könnten. 1


Nachdem jene Beſorgniſſe gehoben waren, welche der
Bundesentwurf erweckt hatte, zeigte ſich überhaupt eine ſehr
enge Verbindung des Kaiſers mit dem Fürſtenrathe.


Die Fürſten drangen darauf, daß fortan wie früher
ſämmtliche Mitglieder des Kammergerichts dem katholiſchen
Glauben angehören ſollten. Der Kaiſer gab es ihnen nach.


Dagegen forderte der Kaiſer, daß ihm für dieß Mal
die Beſetzung des Kammergerichts allein anheimgeſtellt würde.
Er brachte dabei die alten Gerechtſame des Kaiſerthums,
das Gericht am Hofe zu halten, in Erinnerung. Die Für-
ſten gaben es nach.


Hierauf ſchritt man zur Abfaſſung einer neuen Kam-
mergerichtsordnung. 2 Zwei alte Beiſitzer, Dr Viſch und
Dr Braun, ſahen die bisherigen Conſtitutionen durch, brach-
ten ſie in Ordnung und ſtellten, wo ſie Mängel und Lücken
bemerkten, ihre eigenen Vorſchläge auf. Mit aller Weitläuf-
tigkeit welche legislativen Arbeiten ſtändiſcher Verſammlun-
gen eigen iſt, verfuhr man bei der Berathung. Zuerſt
gieng ein ſtändiſcher Ausſchuß Artikel für Artikel durch wo-
bei er denn beſonders die neuen Vorſchläge in Betracht
zog, über welche er ſeine Bemerkungen machte. So revi-
dirt gelangte der Entwurf an die beiden Collegien der Für-
ſten und der Churfürſten, wo er ebenfalls von Anfang bis
[22]Neuntes Buch. Erſtes Capitel.
Ende durchgeſprochen ward. Die Collegien ſetzten ſich als-
dann mit dem Kaiſer in Verbindung, der nun auch ſeine
Bemerkungen machte, worüber man hin und her ſchrieb, bis
man ſich endlich vereinigte. Die Weitſchichtigkeit dieſes Ver-
fahrens hinderte jedoch nicht, die vorwaltenden Intereſſen, na-
mentlich der Fürſten, die der Kaiſer jetzt gewähren ließ, im
Auge zu behalten. Bei der Beſtimmung, wie die Präſentation
in Zukunft vorgenommen werden ſollte, ward des Antheils der
Grafen, Prälaten und Herrn nur noch in Einem Kreiſe gedacht.
Gern hätten die Städte an der Berathung einer Sache Theil
genommen, von der, wie ſie ſagten, ihr Geneſen und Ver-
derben abhänge: ſie blieben aber davon ausgeſchloſſen.


2


[23]Weltliche Geſchaͤfte des Reichstags von 1547.

Überhaupt erfreuten ſich die Städte an dieſem Reichstag
keiner beſondern Berückſichtigung. Auf ihre Klage, daß der
Landfriede die Straßen noch immer nicht ſichere, das Ge-
leite keinen Schutz gewähre, obgleich man gezwungen ſey ſich
daſſelbe zu verſchaffen, auf ihre Bitte, die Obrigkeiten für
jede Gewaltthat die in ihrem Gebiete geſchehe verantwort-
lich zu machen, nahm der Kaiſer in ſeiner Reſolution auch
nicht mit einer Silbe Rückſicht. 1


Und nicht beſſer gieng es ihnen, als nun die Reichs-
anſchläge zur Berathung kamen. Die Fürſten bewilligten
dem römiſchen König zur Bewahrung ſeiner Grenzen gegen
die Türken 50000 G.; bei der Vertheilung derſelben legten
ſie den Anſchlag von Coſtnitz zu Grunde, gegen welchen die
Städte immer proteſtirt hatten. Dieſe verſäumten nicht zu
bemerken, daß dergeſtalt faſt die Hälfte der ganzen Summe
auf ſie falle. Sie gaben an, von einigen unter ihnen fordere
man faſt ſo viel Mannſchaft, als ſie Bürger hätten, von
andern nicht viel weniger Geld, als ihr ganzes Einkommen
betrage. König Ferdinand erwiederte, ihre Klage möge ge-
gründet ſeyn, aber von dem Fürſtenrath laſſe ſich nun ein-
mal keine Abänderung des gefaßten Beſchluſſes erwarten:
er gebe den ehrbaren Städten zu bedenken, daß ihnen ihrer
Gewerbe halber noch mehr an einer Bewahrung der Gren-
zen liegen müſſe als den Fürſten.


Im Grunde eine ſehr natürliche Folge der Ereigniſſe.
Die Städte waren immer in der Oppoſition geweſen; der
Fürſtenrath hatte ſich dem Prinzip das den Sieg behaup-
[24]Neuntes Buch. Erſtes Capitel.
tete am nächſten gehalten. Das wirkte in den Feſtſetzun-
gen des Reichstags nach.


Überdieß kamen eben bei dieſen Berathungen ein paar
Angelegenheiten zur Sprache, in denen der Kaiſer der Gunſt
der Fürſten bedurfte, und die ihm höchlich am Herzen lagen.


Von allen die wichtigſte war eine nähere Verbindung
der Niederlande mit dem Reiche, wie ſchon der Bundesent-
wurf dahin gezielt hatte. Da es mit dieſem nicht gelungen
war, ſo ſuchte man nun auf dem gewohnten Wege zum Ziele
zu kommen. Königin Maria erinnerte den Kaiſer die Gele-
genheit nicht zu verſäumen, er könne nie eine beſſere finden. 1


Nun dürfte man aber nicht glauben, die Abſicht der
niederländiſchen Regierung ſey geweſen, die reichsſtändiſchen
Rechte und Pflichten ſchlechthin zu theilen: nichts würde ihr
leichter geworden ſeyn.


Schon unter Maximilian, der die zu ſeiner Zeit verei-
nigten Niederlande als den burgundiſchen Kreis bezeichnete,
ſuchte das Kammergericht dieſelben ſeiner Jurisdiction zu
unterwerfen und ſie zu den Reichsanſchlägen herbeizuziehen.
Seitdem hatte das Haus Burgund auch Utrecht und Gel-
dern, die zu dem weſtphäliſchen Kreiſe gehörten, erwor-
ben: weder das Kammergericht noch die Verſammlungen des
Kreiſes hatten ſich dadurch abhalten laſſen, dieſe Länder nach
ihrem bisherigen Verhältniß zu behandeln. Allein von den Nie-
[25]Burgundiſcher Vertrag.
derlanden hatte man ebenfalls von jeher ſowohl gegen das
Eine wie gegen das Andre remonſtrirt; im Jahr 1542
war die Sache am Reichstag in aller Ausführlichkeit ver-
handelt worden Auch jetzt, obwohl im Beſitz einer Reichs-
gewalt wie ſie ſeit Jahrhunderten keiner ſeiner Vorfahren
gehabt, ſetzte ſich der Kaiſer dagegen. Er bemerkte, die Er-
richtung des burgundiſchen Kreiſes ſey niemals zur Wirk-
ſamkeit gelangt: über Menſchen Gedenken ſey daſelbſt von
keinem Proceß des Kammergerichts die Rede geweſen: daſ-
ſelbe aber ſey von Geldern und Utrecht zu ſagen: nach
dem Bericht der Stände von Geldern ſeyen die Reichsan-
ſchläge von ihnen niemals gefordert, geſchweige denn gelei-
ſtet worden; die Landſchaft des Stifts Utrecht habe ſich ge-
weigert die Auslagen wiederzuerſtatten, welche Königin Maria
bei der letzten Türkenſteuer für ſie gemacht habe.


Ich möchte nicht behaupten, daß dieß nun auch die
Überzeugung des Kaiſers und ſeiner Räthe geweſen ſey: der-
jenige kaiſerliche Rath wenigſtens, der dieſe Sache in Augs-
burg bearbeitete, Viglius van Zuichem, ſagte ſpäter den Hol-
ländern, als ſie Miene machten eine zu Gunſten des Rei-
ches geforderte Anlage zu verweigern, nach altem Recht wür-
den ſie verpflichtet ſeyn zehnmal ſoviel beizutragen.


Das Intereſſe der niederländiſchen Regierung war, et-
was für ſich zu ſeyn, die Einwirkungen des Reiches ſo we-
nig wie möglich zu empfinden und doch den Schutz deſſel-
ben zu genießen.


In einer Inſtruction der Königin Maria heißt es, zur
Sicherheit der Niederlande ſey es wünſchenswerth, ein Of-
fenſiv- und Defenſiv-Bündniß derſelben mit dem Reich zu
[26]Neuntes Buch. Erſtes Capitel.
ſchließen, ohne ſie doch darum in ihren Freiheiten zu beein-
trächtigen und ſie dem Reiche zu unterwerfen. 1


Der Kaiſer hoffte dieß dem Weſen nach zu erreichen,
indem er ſich endlich bereit erklärte, mit ſeinen Erbniederlan-
den in den Reichshülfen immer mit einer beſtimmten Summe
aufzukommen, wogegen man jedoch dieſelben ſämmtlich in
Einem Kreiſe begreifen und in ihren Exemtionen von den
Reichsgerichten beſtätigen müſſe.


Die Dinge lagen ſo, daß die Stände dieß dem Kai-
ſer bei weitem mehr als dem Reiche vortheilhafte Begeh-
ren dennoch nicht ablehnten.


Sie forderten ihn zunächſt auf, die Lande die er in
Einen Kreis zu vereinigen gedenke, namentlich zu bezeichnen,
und anzugeben was er von denſelben leiſten wolle und da-
gegen vom Reich erwarte.


In ſeiner Antwort am 14ten Mai zählt nun der Kai-
ſer ſeine geſammten Erbniederlande auf: — die vormals fran-
zöſiſchen, Flandern und Artois, ſo gut wie die neu erworbe-
nen, Utrecht Overiſſel Gröningen Geldern Zütphen ſelbſt Ma-
ſiricht, ſchließt er ein; das Reich ſoll ſich verbinden, ſie wie
andre ſeiner Glieder zu vertheidigen, ohne ihnen darum ihre
Exemtionen zu entreißen; dafür will er den Anſchlag eines
Churfürſten zwiefach zahlen.


Die Stände waren nicht ſogleich mit ihm einverſtan-
den: ſie bezweifelten die Gültigkeit jener Exemtionen, ſie hiel-
[27]Burgundiſcher Vertrag.
ten einen dreifachen Anſchlag für billiger. Aber der Kaiſer
blieb bei ſeinen Behauptungen: ſogar die Freiheit des lo-
tharingiſchen Reiches, die auf ſeine Vorfahren und demnach
auf ihn fortgeerbt ſey, brachte er in Erinnerung; 1 was den
Anſchlag betrifft, ſo bemerkte er daß die Niederlande ſchon
an ſich für die Bewachung ihrer für das ganze Reich ſo
wichtigen Grenzen ſorgen müßten: ein Mehreres laſſe ſich
von ihnen nicht erlangen.


Churfürſten und Fürſten erklärten hierauf, es ſey nicht
ihre Meinung, ſich mit kaiſerlicher Majeſtät in Disputation
einzulaſſen, und nahmen den Vorſchlag an.


So kam der burgundiſche Vertrag zu Stande, der am
26ſten Juni vollzogen worden iſt. Der Kaiſer gelangte durch
denſelben zu allen ſeinen Abſichten.


Daß ſeine Erblande als ein einziger Kreis betrachtet
wurden, beförderte die Regierungseinheit, nach welcher er über-
haupt trachtete, und befreite ihn von dem fremdartigen Ein-
fluß benachbarter Kreisverſammlungen. Es hatte für ſein
Haus den größten Werth, daß Flandern und Artois, über
welche Frankreich noch immer die Oberherrlichkeit in Anſpruch
nahm, ſo oft es auch darauf Verzicht geleiſtet, als Theile
des Reichs betrachtet, in deſſelben Schutz und Schirm auf-
genommen wurden. Der zwiefache Anſchlag eines Churfür-
ſten war dafür gewiß kein zu hoher Preis, da die meiſten
[28]Neuntes Buch. Erſtes Capitel.
europäiſchen Kriege ohnehin die Niederlande betrafen, und
die Feindſeligkeit gegen die Türken, die einzige auf die es
noch außerdem ankam, ein anderes dynaſtiſches Intereſſe dar-
bot. Man trug Sorge jeden weiteren Anſpruch zu beſei-
tigen. Würde z. B. der Reichstag einmal einen gemeinen
Pfennig einzubringen beſchließen, dann ſollten, ſo ward feſt-
geſetzt, die Niederlande, ſtatt den Beſchluß ausführen, nichts
weiter als eine Summe zahlen derjenigen gleich, welche dieſe
Auflage in zwei Churfürſtenthümern am Rheine einbringe. 1
Übrigens ward die innere Unabhängigkeit der Provinzen jetzt
erſt eigentlich beſtätigt. Ausdrücklicher als jemals ward zu-
geſtanden, daß des Reiches Ordnungen und Satzungen ſie
nicht verpflichten ſollten. Und zwar geſchah dieß in derſel-
ben Urkunde, in welcher man ebenfalls ausdrücklicher als je-
mals früher feſtſetzte, daß der Erb- und Oberherr dieſer Nie-
derlande Sitz und Stimme am Reichstag haben ſolle wie
Öſtreich. Es liegt ein ſonderbarer Widerſpruch darin, daß
der Kaiſer in demſelben Augenblick wo er die Ernennun-
gen zum Kammergericht in ſeine Hand nimmt, ſich zugleich
ſo angelegentlich bemüht, ſein Erbland von demſelben zu exi-
miren, und iſt doch ſehr gut zu erklären. Reich und Kai-
ſerthum fallen noch mit nichten zuſammen: dieß iſt vor-
[29]Bewilligung einer Reichskriegscaſſe.
übergehend, jenes bleibt immer. Die Politik der vorwalten
den Mächte iſt es allezeit geweſen, ſelber Einfluß auszuüben,
aber keine Rückwirkung zu erfahren.


In dieſem Augenblicke ſetzte der Kaiſer aber noch eine
andre, ſehr ungewohnte, für ſeine Gewalt ſehr bedeutende
Bewilligung durch.


Wie es bei jenem Bundesentwurf einer ſeiner vornehm-
ſten Gedanken geweſen war, ſich die Mittel zur Fortſetzung
des Krieges zu verſchaffen, ſo trug er jetzt auch bei dem
Reiche, über das er ſo viel vermochte, auf Bildung „eines
Vorrathes“ d. i. einer Reichskriegscaſſe an. „Denn vor
allem ſey es nun auch nöthig den erlangten Frieden zu er-
halten: er könne nicht dafür ſtehn, ob ſich nicht gar bald
Jemand innerhalb des Reiches auflehnen oder ein auswär-
tiger Fürſt das Reich, wenn auch nur durch geheime Practik,
anfechten werde: nun wiſſe jedermann welchen Nachtheil die
bisherige Unverfaſſung veranlaßt habe, verfaßte Hand da-
gegen wehre Beſchwerungen ohne Mühe ab; ihm, der ſchon
ſo viele Bürden trage, könne man keine weitere Anſtrengung
zumuthen: er müſſe die Stände erſuchen, einen nahmhaften
Geldvorrath zuſammenzubringen, der dann, aber nicht ohne
ihr Vorwiſſen, zur Erhaltung Friedens und Rechtens ange-
wendet werden ſolle.“ 1


Eine Summe Geldes in der Hand eines ohnehin ſo
mächtigen Kaiſers, um jede innere Bewegung auf Koſten
des Reiches zu erdrücken: wahrhaftig, man braucht nicht
[30]Neuntes Buch. Erſtes Capitel.
zu erörtern wie ſehr dieſer Gedanke außerhalb alles Her-
kommens deutſcher Stände lag.


Auch fand derſelbe, wie wir aus den Protocollen des
Churfürſtenrathes ſehen, ſtarken Widerſtand. Mainz be-
merkte: durch die letzten Kriege ſey ein Jeder in ſeinem Kam-
mergut erſchöpft, eine neue Forderung an die ohnehin be-
ſchwerten Unterthanen dürfte Unruhen veranlaſſen. Bran-
denburg meinte, der Kaiſer ſey wohl an ſich mächtig genug,
zumal bei den Ordnungen des Kammergerichts und des Land-
friedens, einen auftauchenden Widerſtand zu erdrücken: man
möge doch ja nicht etwas bewilligen was dann vielleicht
nicht geleiſtet werden könne. 1 So erklärten ſich auch Pfalz
und Trier. Sachſen wünſchte wenigſtens Aufſchub. Cölln,
jetzt am meiſten kaiſerlich geſinnt, rieth doch in dieſem Fall,
den Kaiſer lieber mit der Beitreibung der noch aus dem letz-
ten Türkenkrieg rückſtändigen Steuer zu befriedigen. Genug
ſie waren im Grunde alle dagegen.


Allein es ſchien jetzt als könne das Reich dem Kaiſer
nichts mehr abſchlagen. Ein Ausſchuß ward niedergeſetzt,
deſſen Gutachten alle Gegengründe aufzählt, und doch mit
der Bewilligung eines halben Romzugs zu dem angegebenen
Zwecke ſchließt. Fürſten und Churfürſten zogen daſſelbe in wei-
tere Berathung: ſie endigten damit, dieß Erbieten auf einen
[31]Anſehen CarlsV.
ganzen Romzug zu erhöhen. Es bezeichnet die Einfachheit
der Epoche, daß ſie den erſten Termin dieſer Zahlung auf
Weihnachten anſetzten, weil man den Unterthanen Zeit laſſen
müſſe ihre Ernte einzubringen und zu verkaufen. 1


Seit vielen Jahrhunderten hatte nie ein Kaiſer eine grö-
ßere Hingebung erfahren. Bemerken wir nur mit welcher
Rückſicht ihm die gerechteſten Beſchwerden vorgetragen wur-
den. Denn gewiß lief es ſeiner Capitulation entgegen, daß
er ſpaniſche Truppen ins Reich geführt und ſie ſogar hie
und da in Beſatzung gelegt hatte. Nichts erregte lebhaftere
Klagen, und endlich entſchloſſen ſich die Stände auf den An-
trag von Pfalz, die Abſchaffung dieſes Kriegsvolks in Er-
innerung zu bringen. Sie thaten das aber nur, indem ſie
die Worte wegließen die dem Kaiſer hätten empfindlich fallen
können: ſpaniſch, fremd: und es dem kaiſerlichen Ermeſſen
überließen, ob die Zeit dazu ſchon gekommen. Der Kaiſer er-
wiederte: er wiſſe wohl, daß die Klagen die man gegen ſein
Kriegsvolk erhebe, größtentheils ungegründet ſeyen, doch wolle
er ſie unterſuchen laſſen: an der Abſchaffung der Mannſchaf-
ten aber werde er durch unvermeidliche Nothwendigkeit gehin-
dert. Und für dieſe „allergnädigſte“ Antwort nun, die doch
abſchläglich iſt, danken ihm die Stände unterthänigſt, flehen
ihn nur an, das nothwendige Einſehen zu haben: dann werde
er ein gottgefällig Werk thun: „ſo ſind es“, ſchließen ſie,
„gemeine Stände um Kaiſerl. Majeſtät auch unterthänigſt
zu verdienen willig, und thun ſich derſelben zu Gnaden hie-
mit unterthänigſt befehlen.“ Welch eine Häufung des Gnä-
[32]Neuntes Buch. Erſtes Capitel.
digſt und Unterthänigſt in einer Sache, die ſie mit gutem
Rechte hätten fordern können.


Der Kaiſer hatte nicht allein den Sieg erfochten und die
Macht im Allgemeinen in Händen, ſondern es lagen ihm
auch Streitſachen vor, die ihm auf das Wohl oder Wehe
der einzelnen Fürſten und ihrer Häuſer einen großen Ein-
fluß ſicherten.


Seinen Geburtstag, im Februar 1548, begieng Carl V da-
mit, daß er, „ſitzend in ſeiner kaiſerlichen Krone, Zierheit und
Majeſtät,“ wie ein gleichzeitiger Bericht ſagt, die Chur Sach-
ſen auf ſeinen Verbündeten Moritz übertrug. Zehn Fahnen
bezeichneten die verſchiedenen Rechte und Gebietstheile welche
Moritz in Empfang nahm. 1


Am 8ten April ward Adolf von Schaumburg in Ge-
genwart des Kaiſers und des Königs mit allem kirchlichen
Pomp zum Erzbiſchof von Cölln geweiht. Es war die zweite
Churwürde die der Kaiſer in Folge ſeines Sieges vergabte.


Und ſchon lag die Entſcheidung über eine dritte Chur-
würde in ſeiner Hand. Herzog Wilhelm von Baiern ſah mit
Verdruß, daß der neue Churfürſt von Sachſen und König Fer-
dinand von dem Kriege große Vortheile zogen, er dagegen, der
das Meiſte gethan zu haben glaubte, leer ausgieng. Mit ver-
doppeltem Ernſt forderte er in die pfälziſche Chur eingeſetzt
zu werden: — gleich als ſey er der Entſetzte und Beraubte,
wollte er den Beſitz der Vettern gar nicht mehr anerkennen,
und lehnte, auf ſeinen Vertrag vom J. 1546 ſich ſtützend,
[33]Belehnungen. Pfaͤlziſche Chur.
jeden weiteren Rechtsgang ab. So deutlich kam jedoch dem
Kaiſer ſeine Verpflichtung mit nichten vor: der Herzog mußte
ſich zu weiteren Erörterungen bequemen, und in den Acten
finden wir einen weitläuftigen Schriftwechſel über die Sache.
Es kam hiebei zu einem Äußerſten das man gar nicht er-
warten ſollte. Herzog Wilhelm erkannte die goldne Bulle
noch nicht an: er zog in Zweifel, ob Carl IV ohne Bewil-
ligung des Papſtes eine Beſtimmung über die Churfürſten-
thümer habe treffen können. 1 Was war aber Rechtens im
Reiche, wenn dieſe Urkunde nicht zu Recht beſtand? Aller-
dings war ſie im Geiſt der Oppoſition gegen das Papſt-
thum gefaßt: wir erkennen darin nur ein neues Motiv für
die Verbindung der Ludwigſchen Linie des Hauſes Wittels-
bach mit Rom; aber wie hätte der Kaiſer darauf eingehn
können, der nur kraft der goldnen Bulle regierte? Mit den
Pfalzgrafen, die ihm nahe verwandt waren, verſöhnt, mochte
er um ſo weniger daran denken, den Anſprüchen des Her-
zogs Statt zu geben.


Schon erhob derſelbe noch einen andern Streit gegen
ſeine Vettern. Er forderte die Beſitzungen des Pfalzgrafen
Otto Heinrich, der mit dem Kaiſer noch nicht ausgeſöhnt
war. Von pfälziſcher Seite erwiederte man, daß die Land-
ſchaften dann wenigſtens nicht an Baiern, ſondern an eine
andere Linie des pfälziſchen Hauſes fallen müßten.


Ranke D. Geſch. V. 3
[34]Neuntes Buch. Erſtes Capitel.

Und ein noch wichtigerer Rechtshandel war indeß von
König Ferdinand anhängig gemacht. Er erhob Anſpruch
auf Würtenberg, weil Herzog Ulrich den Vertrag von Ca-
dan, auf welchem ſein Recht beruhe, durch ſeine Theilnahme
an dem ſchmalkaldiſchen Kriege gebrochen habe. Im Fe-
bruar ward ein Gericht aus den kaiſerlichen Räthen Seld,
Haas, Viglius, Veltwyk unter dem Präſidium des neuen
Erzbiſchofs von Cölln zuſammengeſetzt, welche bald eine ſo
entſchiedene Hinneigung zu Gunſten des Königs kund ga-
den, daß die Anwälte von Würtenberg ſich nur noch auf
das unverwirkte Recht des jungen Herzog Chriſtoph bezie-
hen zu können glaubten. 1


Einen andern Proceß, der ſeit 20 Jahren ſchwebte, zwi-
ſchen Naſſau und Heſſen, hielt der Kaiſer für gut endlich
zu entſcheiden. Am 5ten Auguſt, nachdem der Reichstag be-
reits beendigt war, ſaß er in ſeinem Pallaſt zu offener Au-
dienz auf ſeinem Stuhl; die Procuratoren beider Parteien
erſchienen vor ihm: die naſſauiſchen baten um Eröffnung
des Urtheils, die heſſiſchen auch wegen der Gefangenſchaft
des Landgrafen um ferneren Verzug; der Kaiſer antwortete
dadurch, daß er ſeinen Protonotar herbeirief und ihm anbefahl,
das Urtel, das er ihm zugleich übergab, bekannt zu machen.
Ein großer Theil der bisher von Heſſen behaupteten ſtreiti-
gen Pfandſchaften, Nutzungen und Gebiete, darunter halb
Darmſtadt, ward dem Grafen von Naſſau zuerkannt, der nun
wirklich, wenigſtens auf einige Zeit, in Beſitz gelangte. 2


Nicht ſo entſchieden trat der Kaiſer in der preußiſchen
[35]Rechtsentſcheidungen.
Sache auf, die zu Augsburg aufs neue in Anregung kam.
Der Deutſchmeiſter Wolfgang Schutzbar von Milchling for-
derte die Execution der vorlängſt über Herzog Albrecht aus-
geſprochenen Reichsacht. Dagegen brachte ein polniſcher Ge-
ſandter, weil Preußen der Krone Polen angehöre, die Auf-
hebung derſelben in Antrag. 1 Ende Januar 1548 ward
ein Ausſchuß für dieſe Angelegenheit niedergeſetzt. Die-
ſer vereinigte ſich leicht darüber — ſelbſt der Churfürſt von
Brandenburg ſtimmte dafür — daß die Acht ohne ein neues
Rechtsverfahren nicht aufgehoben werden dürfe. Streit er-
hob ſich erſt, als man nun fragte, ob ſie exequirt werden
ſolle oder nicht. Mit vielem Eifer erklärte Baiern, man
müſſe dem Rechte ſeinen Lauf laſſen, und die ergangenen Ur-
tel ausführen, ohne erſt auf Gefahren die daher entſpringen
könnten, Rückſicht zu nehmen: ſonſt werde bald Niemand
mehr zur Erhaltung des Kammergerichts beitragen wollen.
Damit drang nun Baiern zwar nicht vollſtändig durch; — die
Majorität des Ausſchuſſes, welche keinen Bruch mit Polen
wollte, der den Osmanen zu Statten kommen könne, empfahl
dem Kaiſer einen erneuten Verſuch gütlicher Beilegung — aber
es bildete ſich doch eine Minorität, die auf unbedingte Vollzie-
hung des Rechtes antrug. Der Kaiſer hütete ſich wohl den
Streit zu entſcheiden. Er war ein Mittel mehr, das Haus
Brandenburg, das an dieſer Sache ein ſo großes Intereſſe
hatte, und dieß auch gar nicht verhehlte, an ſich zu feſſeln.


Uberhaupt gab es kein großes Haus im Reiche, das
3*
[36]Neuntes Buch. Erſtes Capitel.
nicht durch die eine oder die andre Sache von dem Wohl-
wollen des Kaiſers abhängig geweſen wäre. 1


Daher kam es eben daß alles ſich beugte, alles ge-
horchte. Es war einmal wieder ein Oberhaupt von durch-
greifender Macht in Deutſchland, und Jedermann fühlte daß
ein ſolches da war.


Das Interim.


Zur Entwickelung dieſer reichsoberhauptlichen Macht ge-
hört es nun recht eigen und wird davon bedingt, daß der
Kaiſer es unternehmen konnte, auch in den religiöſen Ange-
legenheiten Maaß zu geben.


Im Anfang der Verſammlung, als die altgläubig ge-
ſinnte Partei ſich ſo zahlreich und ſtark ſah, ward wohl ein
Gedanke laut, der auch dem Kaiſer einmal früher in den
Sinn gekommen, ob es nicht das Beſte ſey, die Religion in
den früheren Stand wiederherzuſtellen. Der Beichtvater hielt
die Sache noch immer für nothwendig und die Umſtände für
günſtig. Er meinte wohl: vor allem müſſe man die lutheri-
ſche Predigt verbieten, ihr unbedingt ein Ende machen: möge
dann das Volk glauben was es wolle; fürs Erſte komme
es nur auf die Erneuerung des alten Ritus und die Her-
ſtellung der Kirchengüter an. 2 Er drückte die Tendenz der
kirchlichen Reſtauration aus, welche dem Kaiſer vom ſüdli-
[37]Das Interim.
chen Europa her allerdings zu Hülfe gekommen war, aber
den Krieg doch nicht entſchieden hatte.


Denen welche Deutſchland kannten und die Lage der
Dinge ohne confeſſionelles Vorurtheil anſahen, kam dieß je-
doch unausführbar vor. König Ferdinand erwiederte dem
Beichtvater, man möge es unternehmen, wenn man ſich in
einen neuen Krieg ſtürzen wolle, der aber noch gefährlicher
ausfallen werde als der eben beendigte, — wenn man die
Mittel, die Kraft und den Muth dazu beſitze: er erinnerte,
daß man keinen Heller im Schatz habe. Er ſeinerſeits hatte
ſchon längſt einen andern Gedanken gefaßt.


War die reine Reſtauration unmöglich, ſo durfte man,
wie die Dinge nun einmal giengen, auch von keiner künf-
tigen Entſcheidung des Conciliums etwas Förderliches er-
warten; man konnte nicht denken, daß das Concilium etwas
andres, als die vollſtändige Reſtauration beſchließen würde.


Ließ ſich aber, nach der Niederlage welche die ſtreng-
proteſtantiſchen Meinungen erlitten, bei dem Übergewicht das
der Kaiſer in allen Angelegenheiten beſaß, jetzt nicht viel-
leicht eine Abſicht erreichen, die, obwohl auf einer andern
Stufe, ſchon früher gefaßt worden, nemlich: innerhalb des
Reiches, ohne Theilnahme des Papſtes, eine Vereinbarung
beider Parteien zu treffen?


Schon im Januar 1547, ſo wie die Irrungen mit dem
Papſt wieder ernſtlich ausbrachen, rieth Ferdinand ſeinem
Bruder, ſich nicht allein auf die Beſchlüſſe des Conciliums
zu verlaſſen, 1 da man dort wohl nicht alle Puncte durch-
[38]Neuntes Buch. Erſtes Capitel.
ſetzen werde auf die es ankomme, zumal wenn der Papſt
fortfahre wie er angefangen; dem Urtheil erfahrner Theo-
logen zufolge ſey es vielmehr, nachdem die ſtreitigen Arti-
kel ſo vielfach beſprochen und verhandelt worden, ſo ſchwer
nicht, in Deutſchland ſelbſt eine ſolche Conſultation und chriſt-
liche Reformation nach den Bedürfniſſen der Deutſchen auf-
zuſtellen, von der man hoffen dürfe daß die Proteſtanten
wenigſtens zum größten Theile ſie annehmen und auch Papſt
und Concil ſie nicht verwerfen würden. Zu Abfaſſung eines
ſolchen Entwurfes brachte der König gleich damals einige
Männer, die er für geeignet hielt, in Vorſchlag, namentlich
Julius Pflug Biſchof von Naumburg, und Michael Hel-
ding Weihbiſchof zu Mainz.


Eine ſehr erwünſchte Vorbereitung hiezu war, daß der
Fürſtenrath bei der erſten Antwort auf die Propoſition dem
Kaiſer heimgeſtellt hatte einſtweilige Ordnung zu treffen.


Wiewohl darin lag, daß eine ſolche nur bis zum Schluß
des Conciliums gültig ſeyn ſollte, woher ſich denn der
Name des Interim ſchreibt, ſo hatte die Sache doch an
ſich eine allgemeine Bedeutung, da jede Vereinbarung dieſer
Gegenſätze, wie bedingt auch immer, ein neuer großer Schritt
war, und da ferner die conciliaren Angelegenheiten ſo eben
hofnungsloſer wurden, als ſie jemals geweſen.


Bei der Sendung des Cardinal Madrucci hatte Carl
dem Papſt bereits angekündigt, daß er die Dinge unmög-
lich in dem Zuſtand laſſen könne, worin ſie ſeyen; als dieſer
nicht allein unverrichteter Sache zurückkehrte, ſondern nun
erſt der völlige Bruch erfolgte, hielt er ſich für doppelt be-
rechtigt zum Werke zu ſchreiten.


[39]Das Interim.

Die politiſch-religiöſen Intereſſen des Reiches, die
Machtentwickelung die es möglich erſcheinen ließ, jetzt etwas
zu erreichen, und die Differenz mit dem Papſt wirkten zuſam-
men, um den Gedanken des Interim in Gang zu bringen.


Es hätte aber nicht zum Ziele führen können, hiebei
den alten Weg ſtändiſcher Berathung einzuſchlagen. Der
Kaiſer ſchien wohl einen Augenblick darauf zu denken. Er
erſuchte die Stände, zur Berathung über die Mittel einer
chriſtlichen Vereinigung ihre Abgeordneten mit den ſeinen zu-
ſammentreten zu laſſen; als ſie, bei ihrer Heimſtellung be-
harrend, ihm überließen diejenigen ſelbſt zu wählen die er
hiezu für tauglich halte, machte er dieſen Verſuch wirklich;
allein ſogleich gab ſich die Unmöglichkeit kund, mti dieſem
Verfahren weiter zu kommen. Er konnte doch nicht vermeiden,
von beiden Seiten Männer zu ernennen, die ſchon an den
bisherigen Streitigkeiten Theil genommen: noch einmal ſaßen
der Carmeliter Billik, der päpſtlich geſinnte Politiker Leon-
hard von Eck neben dem Vorkämpfer des Proteſtantismus
Jacob Sturm. Jene forderten, wie der Beichtvater, die Her-
ſtellung der geiſtlichen Güter; dieſer trug, wie vor 25 Jah-
ren, auf ein Nationalconcilium an. Man kann ſich darüber
nicht wundern. Die großen Ereigniſſe der letzten Jahre ent-
hielten doch nichts was eine innere Annäherung der beiden
Parteien hervorgebracht hätte. An eine Vereinigung aber
war unter dieſen Umſtänden nicht zu denken: nach einigen
Tagen löſte die Verſammlung ſich auf und gab ihren Auf-
trag dem Kaiſer zurück.


Es mußte nun doch dahin kommen, was auch von An-
fang Ferdinands Gedanke geweſen, daß ohne ſo viele Rück-
[40]Neuntes Buch. Erſtes Capitel.
ſprache mit den entzweiten Ständen, ſo wie ohne Rückſicht
auf den Papſt, unter kaiſerlicher Autorität allein, der Ver-
ſuch einer Feſtſetzung gemacht würde, bei der ſich beide Theile
beruhigen könnten.


Wie die Ereigniſſe vor allem den Erfolg gehabt die
Macht des Kaiſers zu heben, ſo kam es hauptſächlich dar-
auf an, wie dieſelbe hiezu benutzt werden würde.


Der Kaiſer nahm wirklich die ihm von ſeinem Bru-
der vorgeſchlagenen Theologen an, Julius Pflug und den
Weihbiſchof Helding. Churfürſt Joachim II von Branden-
burg, in deſſen Ideen es von jeher lag eine Vermittelung
zu ſuchen, ließ ſeinen Hofprediger Johann Agricola an der
Arbeit Theil nehmen. Die drei Männer waren in gewiſſem
Sinne die Repräſentanten der drei vornehmſten theologiſchen
Parteien: Agricola, der an Luthers Tiſch geſeſſen, der pro-
teſtantiſchen, Helding der altkatholiſchen, Julius Pflug der
erasmiſchen. Julius Pflug hatte wohl ſchon früher die
Grundlage des Entwurfs ausgearbeitet; 1 von Helding findet
ſich einiges Handſchriftliche, deſſen ſich Pflug bedient zu ha-
ben ſcheint; daß der Antheil Agricolas nur gering geweſen
iſt, dürfte ſchon die Ruhmredigkeit beweiſen, mit der er da-
von ſpricht, wie denn auch ſonſt darüber nichts erhellt.


Das war nun aber hier nicht die Frage, welche Mei-
nungen in dem Geſpräche dieſer drei Gelehrten die Ober-
hand bekommen, ſondern vielmehr in wie fern ſie Mittel
und Wege finden würden den kaiſerlichen Gedanken zu ver-
wirklichen.


[41]Das Interim.

Dieſer war aber nicht eigentlich religiöſer, ſondern kirch-
lich-politiſcher Art. Die Abſicht des Kaiſers mußte ſeyn
und war es auch, die Hierarchie aufrecht zu erhalten, in der
er ſelber einen ſo hohen Platz einnahm, auf der ſein Kaiſer-
thum beruhte, und dabei doch den Proteſtanten die Möglich-
keit zu verſchaffen, ſich ihm wieder anzuſchließen, oder wenig-
ſtens nicht in offenen Widerſpruch mit ihm zu treten. Es
iſt unleugbar, daß darin zugleich ein großes Intereſſe der Na-
tion lag, ſowohl für ihren Frieden im Innern als für ihre
Macht nach außen. Die Frage war nur, ob es mit dem
Verſuche gelingen, ob die Theologen den vereinigenden Mit-
telweg entdecken würden.


Wir haben ein Schreiben des Fürſten, deſſen Seele
wohl an dieſem Geſchäft den größten Antheil nahm, Joa-
chims II von Brandenburg, über die Puncte, auf die es hie-
bei vorzüglich ankomme. Es ſind folgende: der Artikel über
die Juſtification, der Genuß des Abendmahls nach der Ein-
ſetzung des Herrn, Entfernung des Opus operatum aus der
Meſſe, und die Ehe der Geiſtlichen. Er verſichert: der ſelige
Doctor Luther habe ſich oft erboten, wenn dieſe Puncte er-
halten würden, dem Papſte den Fuß zu küſſen und den Bi-
ſchöfen ihre Gewalt zu laſſen.


Mag es mit dem Sinne dieſer Äußerung ſtehn wie
es wolle, gewiß iſt, daß vor allem die bezeichneten Puncte
wirklich der Erledigung bedurften: und wir haben nun zu
ſehen, wie der zu Stande gebrachte Entwurf, den der Kaiſer
jedoch, um der katholiſchen Orthodoxie vollkommen ſicher zu
ſeyn, noch von zwei ſpaniſchen Theologen, Soto und Mal-
venda, durchſehen ließ, ehe er ihn den Ständen vorlegte,
dieſe Aufgabe angriff.


[42]Neuntes Buch. Erſtes Capitel.

Noch einmal haben wir den ſchon ſo oft vorgekomme-
nen theologiſch-kirchlichen Streitfragen unſre Aufmerkſam-
keit zuzuwenden.


Mit denjenigen Artikeln nun, die am meiſten in die
Augen fielen, der Prieſterehe und dem Genuſſe von beider-
lei Geſtalt, hatte es die wenigſte Schwierigkeit: die kaiſer-
lichen Bevollmächtigten urtheilten, in dieſen Stücken ſey die
Neuerung zu weit eingeriſſen, zu allgemein geworden, als
daß man ſie ohne die größte Bewegung abſtellen könne: das
Concilium, dem ſich die Stände unterworfen, werde ohne
Zweifel dafür ſorgen, daß darin dem Frieden der Gewiſſen
und der Kirche gerathen werde.


Dagegen war bei dem Artikel von der Juſtification,
über den ſich ſeit den frühern Discuſſionen das Concil von
Trient ausgeſprochen hatte, eben hiedurch die Schwierigkeit
ſich zu vereinigen nur noch größer geworden. Waren dieſe
Beſchlüſſe auch vom Kaiſer nicht anerkannt, auf ſeine Theo-
logen mußten ſie gleichwohl wirken; von dem Begriff der in-
härirenden Gerechtigkeit konnten und wollten dieſe nicht ab-
weichen. In dieſem Lehrſtück kam es aber dem Kaiſer vor-
züglich darauf an, die Beiſtimmung der Proteſtanten möglich
zu machen. Gewiß war es keine Täuſchung, wenn trotz
der Annahme jenes Prinzips Julius Pflug ſich auf der an-
dern Seite doch wieder den Proteſtanten annäherte; ſeine
ganze Überzeugung gieng dahin. So wenig wie die Drei-
ſtigkeit der Unbegnadigten, die ihm Luthers Auffaſſung zu
veranlaſſen ſchien, wollte er doch auch die Sicherheit der
Vorgeſchrittenen die auf ihre Werke trotzen. 1 Genug man
[43]Das Interim.
ſetzte zugleich feſt, daß Gott den Menſchen gerecht mache,
nicht aus deſſen Werken, ſondern nach ſeiner Barmherzig-
keit: lauter umſonſt, ohne ſein Verdienſt: daß ſich ein Je-
der immer an Chriſti Verdienſt zu halten habe. Wie ſich
beides mit einander vereinigen laſſe, war freilich eine andre
Frage: man hütete ſich aber wohl darauf einzugehn: man
hätte fürchten müſſen die Zwiſtigkeit damit wieder zu erneuern:
und war ſehr zufrieden eine Satzung gefunden zu haben,
welche das als das vornehmſte betrachtete Dogma der Pro-
teſtanten gelten ließ.


Und noch mehr konnte man ſich ihnen in dem Artikel
von der Meſſe nähern, über den in Trient noch nichts be-
ſchloſſen war. Julius Pflug gab zu, daß darin lange Zeit
ein hochbeſchwerlicher Mißverſtand geherrſcht habe: er ließ
den Begriff von dem Sühnopfer, der darnach dennoch feſt-
gehalten worden iſt, fallen: indem er den Ausdruck Opfer
feſthielt, verſtand er darunter doch nur ein Gedenkopfer, ein
Dankopfer, wie ſie in dem alten Teſtament vorbildlich be-
ſtanden und Chriſtus ſie erneuert. In dieſem Sinn iſt der
Artikel abgefaßt. Durch das Blutopfer am Kreuz habe Chri-
ſtus die Verſöhnung erworben; das Dankopfer ſey nicht
dazu eingeſetzt, damit wir dadurch Vergebung der Sünden
verdienen, ſondern daß wir ſie, wie ſie am Kreuz verdient iſt,
uns durch den Glauben zu Nutze machen. Eine Auffaſſung,
1
[44]Neuntes Buch. Erſtes Capitel.
die ſich von der proteſtantiſchen hauptſächlich nur durch die
Beibehaltung des Wortes Opfer unterſcheidet. Julius Pflug
iſt der Meinung, daß dieſe Erklärung Niemand mehr einen
Vorwand laſſe, ſich von der Kirche abzuſondern. 1


Das war eben die Abſicht, bei allen Conceſſionen die man
machte, doch die große kirchliche Einheit aufrecht zu erhalten.


Auch in dem Artikel über die Kirche findet ſich eine ge-
wiſſe Annäherung an neuernde Vorſtellungen: er iſt wenigſtens
durchaus nicht papiſtiſch. Der Papſt wird als der oberſte
Biſchof betrachtet, der den andern vorgeſetzt iſt, um alle
Spaltung zu verhüten; aber auch den andern wird zugeſtan-
den, daß ſie wahrhaftige Biſchöfe ſeyen aus göttlichen Rech-
ten. Der Papſt wird erinnert, ſeine Gewalt ſey ihm ver-
liehen zur Erbauung, nicht zur Zerſtörung. Ubrigens aber
wird doch der Begriff der Kirche in aller Strenge behaup-
tet: es wird ihr das Recht vindicirt die Bibel auszulegen,
die Lehre daraus feſtzuſetzen, „ſintemal der h. Geiſt bei ihr
iſt,“ und auch über die Cerimonien Beſtimmung zu treffen.


Die Formel beſtätigt die Siebenzahl der Sacramente,
ſucht Chrisma und letzte Ölung zu rechtfertigen und hält
feſt an der Transſubſtantiation. Auch für das Anrufen der
Jungfrau Maria und der Heiligen um ihre Fürbitte, ſo wie
für die Beibehaltung der Faſten findet ſie Gründe; den Pomp
der Proceſſionen, überhaupt die Ordnung und Pracht der bis-
herigen Cerimonien trägt ſie Sorge zu behaupten.


[45]Das Interim.

Wir ſehen wohl: es iſt die alte Kirche, was hier aufs
neue proclamirt ward: etwas weniger abhängig von dem
Papſt, mit einer in einigen Artikeln dahin modificirten Doctrin,
daß die Abweichungen der Proteſtanten nicht geradezu ver-
dammt wurden, aber übrigens ſie ſelbſt mit ihrem Kirchen-
dienſt und in ihrer alten Einheit, als deren Mitrepräſentan-
ten ſich der Kaiſer betrachtete. Es war ohne Zweifel der
kaiſerliche Gedanke ſelbſt der ſich hier ausſprach: und man
mußte nun ſehen welchen Anklang er bei der Reichsverſamm-
lung finden würde.


Der Kaiſer legte den Entwurf zuvörderſt den mächti-
gern der Augsburger Confeſſion beigetretenen Fürſten zur An-
nahme vor.


Was auf dieſe Eindruck machte, war die Meinung daß
dieſe Formel für das ganze Reich, auch für den altgläubi-
gen Theil gelten ſollte.


Auch war dieß ohne Zweifel der urſprüngliche Sinn
des Kaiſers: was hätte ſonſt die Erklärung über das gött-
liche Recht der Biſchöfe zu bedeuten gehabt? Nur gegen den
Papſt war ſie gerichtet. Churfürſt Joachim II verſichert, er
habe nicht anders gewußt, als daß dieß die Meinung ſey:
eben darum ließ er ſich ſo leicht bewegen die Formel an-
zunehmen. Er ſah darin eine Beſtätigung der von ihm
von jeher gehegten Meinungen über Juſtification, Sacra-
ment, Prieſterehe und Meſſe, und glaubte daß dieſen auf ſolche
Weiſe der Weg über ganz Deutſchland hin eröffnet ſey. So-
gar einen Fortſchritt der evangeliſchen Lehre meinte er voraus-
ſehen zu können. 1 Der Churfürſt von der Pfalz trat ihm bei.


[46]Neuntes Buch. Erſtes Capitel.

Etwas mehr Schwierigkeiten machte der dritte weltliche
Churfürſt, Moritz von Sachſen, obwohl er ſeine Chur der-
ſelben Gewalt verdankte, deren Ausfluß dieſe Anordnung war.
Man dürfte nicht ſagen, daß dieß ganz in ſeiner Willkühr beruht
habe. Er hatte ſeinen Landſtänden in einem wichtigen Augen-
blick, und zwar auf das Wort des Kaiſers, unzweideutige
Zuſagen über die Beibehaltung ihrer Religion gegeben. Daran
erinnerte er jetzt den Kaiſer, und behielt ſich vor, erſt mit ſei-
ner Landſchaft zu berathſchlagen. Der Kaiſer erwiederte, er
habe nichts weiter verſprochen, als daß er die Lande nicht
mit Gewalt von ihrer Religion dringen, ſondern die Ver-
gleichung nur auf gebührlichem Wege ſuchen wolle, wie er
das jetzt thue; in dem Reiche ſey es nicht Herkommens,
über das was Fürſten und gemeine Stände bewilligt, an
die Landſchaften zurückzugehn: Moritz möge ſich nicht auch
von ſeinen Theologen verführen laſſen, wie ſeinem Vetter ge-
ſchehen. Moritz verſprach zuletzt, in dem Reichsrath nicht
durch offenen Widerſpruch Irrung zu veranlaſſen, ſondern
ſich dahin zu erklären, daß er ſich zwar in dieſer Sache für
ſeine Unterthanen nicht verpflichten könne, aber er denke, ſie
1
[47]Das Interim.
würden wohl einſehen, daß es nicht in ſeiner Macht ſtehe
etwas abzuändern was alle andern Fürſten und Stände ge-
willigt. 1 Der Kaiſer ſchien das nur für eine eigenthüm-
liche Form vollkommener Einwilligung zu halten; wenig-
ſtens gegen Andre drückte er ſich ſo aus, als ſey an ſol-
cher kein Zweifel.


Leicht waren die jungen kriegsluſtigen Fürſten gewon-
nen, Albrecht von Brandenburg, Erich von Braunſchweig,
die bisher überhaupt noch keine entſchiedene proteſtantiſche Mei-
nung kund gegeben. Dagegen gab es auch unter den eifrig-
ſten Anhängern des Kaiſers einige andre, wie Pfalzgraf Wolf-
gang, beſonders Markgraf Johann von Cüſtrin, die ſich wi-
derſetzten. Beim erſten Überleſen der Formel faßte Johann
— dem es beſonders nicht zu Sinne wollte, daß man die
Heiligen anrufen ſolle, da doch Chriſtus der einige Mittler
ſey, — einen heftigen Widerwillen dagegen.


Viel zu ſchwach waren jedoch dieſe Fürſten, als daß
ſich der Kaiſer um ſie gekümmert hätte. Es war ihm ge-
nug daß er ſich der mächtigſten verſichert halten durfte. Die
ganze weitere Frage lag für ihn darin, was nun die alt-
[48]Neuntes Buch. Erſtes Capitel.
gläubige Partei dazu ſagen würde. Mit Rückſicht auf ſie
hatte er den Entwurf ſo überwiegend katholiſch eingerichtet.
Er hatte bisher hauptſächlich mit der Majorität des Für-
ſtenrathes regiert, er mochte hoffen, denſelben auch jetzt auf
ſeine Meinung zu ziehen.


Wäre das geſchehen, ſo würde er einen factiſchen Ein-
fluß auf das Innere der Kirche gewonnen haben, der ihm
eine überaus großartige Stellung dem Papſt und dem Con-
cilium gegenüber gegeben, alles was dort ihm zum Ver-
druß unternommen worden, aufgewogen hätte. Dann erſt
konnte von der Einheit der Nation in religiöſer Hinſicht wie-
der die Rede ſeyn. Man hätte ſehen müſſen was mehr ge-
wirkt hätte, die Wiederherſtellung einiger Äußerlichkeiten auf
der proteſtantiſchen oder die den neuen Lehrmeinungen ge-
machten Conceſſionen auf der katholiſchen Seite.


Wie wäre es aber möglich geweſen, daß nicht auch
jetzt der alte Widerſtand ſich geregt hätte, der in Momenten
dieſer Art, auf den verſchiedenen Stufen der Entwickelung
dieſes Ereigniſſes, immer hervorgetreten war?


Wir berührten daß Herzog Wilhelm von Baiern, ſeitdem
ſeine Abſicht auf die Chur nicht durchgegangen, nicht mehr
der Freund des Kaiſers war. In ſeinen Anſchreiben ſprach
er das Gefühl ſeines Verdienſtes immer hochfahrender, ſeiner
Kränkung immer bitterer, übellauniger aus. 1 Als ihm dieſer
Entwurf vorgelegt wurde, mit dem doch auch die Macht
des Papſtes eingeſchränkt werden ſollte, hielt der Herzog für
gut, erſt bei dem Papſt anzufragen, ob er eine Genehmigung
[49]Das Interim.
deſſelben billigen würde. Es könnte ausſehen wie Ironie,
wäre nicht ein ſo bitterer Ernſt dabei.


In Rom und ſelbſt in Frankreich war man ſchon längſt
auf dieſe Entwürfe des Kaiſers aufmerkſam. Cardinal Bel-
lay ſchlug dem Papſt vor, ſeine Legaten mit den katholi-
ſchen Ständen entfernt vom Reichstag zuſammentreten zu laſ-
ſen, um zu einer freien Berathung außerhalb der vom Ein-
fluß des Kaiſers beherrſchten Kreiſe zu gelangen. 1 Deſto
erwünſchter kam nun die Anfrage des Herzogs dem römi-
ſchen Stuhl. Der Papſt, der nicht verſäumte die Hingebung
deſſelben zu beloben, antwortete ihm, er könne eine ſolche
Genehmigung nur mißbilligen. 2


Bei allem Anſehen das der Kaiſer genoß, machte das
doch ſo viel Eindruck auf das fürſtliche Collegium, daß die
Antwort die es gab, durchaus im Sinne des Papſtes aus-
fiel. Darin wurde das jetzt auch von Rom her in Erin-
nerung gebrachte Argument wiederholt, daß ein Geſtatten
des früher bei ſchweren Pönen Verbotenen, z. B. des Laien-
kelchs und der Prieſterehe, ein Bekenntniß begangener Un-
gerechtigkeit enthalten würde: es ſey ſogar zweifelhaft, ob der
Papſt in dieſen Stücken nachgeben dürfe, wenn er auch wolle,
Ranke D. Geſch. V. 4
[50]Neuntes Buch. Erſtes Capitel.
weil darin eine Abweichung von den Satzungen der Concilien
liegen würde. Beſtimmungen über die Lehre, die doch dem
Concilium heimgeſtellt worden, ſeyen aber vollends unſtatthaft:
man wiſſe recht gut, was in der gemeinen chriſtlichen Kirche
zu glauben, und bedürfe dazu keiner Ordnung des Kaiſers.
Die Fürſten gaben dem Kaiſer zu verſtehn, er überſchreite
ſeine Befugniſſe, nicht alle ſeine Sätze möchten ſich als gut
katholiſch bewähren: lieber möge er die Proteſtanten vermö-
gen von der augsburgiſchen Confeſſion abzuſtehn. 1


Der Kaiſer antwortete mit großer Lebhaftigkeit. Man ſage
ihm, die Lehre ſey dem Concilium heimgeſtellt: aber ſolle er
wohl bis dahin einen Jeden in ſeinem ſelbſtgeſchöpften Glau-
ben und bei unwiderſprechlichen Mißbräuchen laſſen? Man
fordere, er ſolle die Proteſtanten bewegen von der augsbur-
giſchen Confeſſion förmlich abzuſtehn: das heiße, unmögliche
Dinge verlangen. Er wiſſe jedoch, daß man damit nur die
Eintracht deutſcher Nation verhindern wolle; er kenne die
Leute wohl, deren verbittertes Gemüth ihn allenthalben ver-
haßt zu machen ſtrebe. 2


Und ſo weit gab der Kaiſer dieß Mal wirklich nicht
nach, daß er ſich eine ſo anzügliche Anſprache hätte gefallen
laſſen: er ließ ſie dem Fürſtenrathe zurückſtellen, als ſo be-
ſchaffen daß er ſie nicht annehmen könne.


[51]Das Interim.

Allein auch dahin brachte er es doch nicht, daß er ſei-
nen urſprünglichen Gedanken hätte durchführen können. Die
Fürſten ſchloſſen ſich dem Gutachten der geiſtlichen Churfür-
ſten an, das allerdings bei weitem milder ausgefallen war,
aber doch auch ſehr ſtarke katholiſche Anregungen enthielt,
z. B. Herſtellung der Güter, Nothwendigkeit der Dispenſa-
tion in Hinſicht der Prieſterehe und des Kelchs, und vor
allem dabei ſtehn blieb, daß die Anordnung Niemand an-
gehe, der bisher bei der alten Religion geblieben.


Das Letzte mußte der Kaiſer wirklich nachgeben. Er er-
klärte endlich, daß ſeine Declaration ſich nur auf die prote-
ſtantiſchen Stände beziehen ſolle: nur unter dieſem Vorbehalt
konnte er dazu ſchreiten ihr geſetzliche Autorität zu verleihen.


Am 15ten Mai 1548, Nachmittag 3 Uhr, verſammel-
ten ſich die Reichsſtände in der kaiſerlichen Behauſung: vor
Kaiſer und König. Erzherzog Maximilian ſprach einige ein-
leitende Worte; dann ward, was wir als Vorrede bei dem
Buche finden, als Propoſition verleſen; der Kaiſer erinnerte
an die ihm geſchehene Heimſtellung, legte die Schrift vor,
und verlangte unverweilte Annahme derſelben. Während
Kaiſer und König auf ihren Stühlen ſitzen blieben, traten
die Stände vor ihren Augen in dem Saale ſelbſt nach ihren
Collegien zuſammen. Es iſt gewiß, daß ſich manche abwei-
chende Meinungen regten. Den mächtigern Proteſtanten war
es neu und unerwartet, daß die Erklärung nicht auch für
die Katholiken gelten ſollte; 1 unter den Churfürſten machte
4*
[52]Neuntes Buch. Erſtes Capitel.
Moritz, unter den Fürſten Johann von Cüſtrin einige Op-
poſition; mehrere verlangten, daß die Schrift erſt abgeſchrie-
ben und nochmals regelmäßig in Berathung gezogen werden
ſollte: aber zuletzt drang doch der kaiſerliche Wille durch.


Nachdem die Unterredung wohl eine Stunde gewährt,
trat der Churfürſt von Mainz im Namen der Stände mit
der Antwort hervor, daß ſie ſich deſſen, was S. Maj. be-
gehre, gehorſamlich halten würden. Der Kaiſer nahm dieſe
Bewilligung als den Ausdruck der allgemeinen Meinung an
und betrachtete ſeine Schrift nunmehr als Reichsgeſetz. Jetzt
erſt ließ er zu, daß ſie in den verſchiedenen Collegien abge-
ſchrieben ward: es war dafür geſorgt daß man keine Be-
rathung darüber eröffnete.


In dieſem Augenblick war ein neuer päpſtlicher Nun-
tius angekommen. Das Interim war der römiſchen Curie
und von dieſer der Verſammlung zu Bologna mitgetheilt
worden: hier hatten ein paar Theologen Anmerkungen dar-
über gemacht, welche darauf hinausliefen, daß in den Arti-
keln die in Trient noch nicht entſchieden worden, gar man-
ches Unkatholiſche aufgenommen worden, in den übrigen
aber ohne Zweifel das Beſte ſey, einfach die tridentiniſchen
Satzungen zu wiederholen. 1 Es erhellt nicht ganz, ob dieſe
1
[53]Das Interim.
Einwendungen dem Nuntius ſchon bekannt waren, welche
Aufträge er überhaupt in dieſer Hinſicht hatte: auf keinen Fall
aber durfte er die Bekanntmachung des Interims billigen.
Eben darum eilte der Kaiſer ſeinem Einſpruch zuvorzukom-
men. Er gab ihm erſt Audienz, als die Sitzung vorüber,
die Publication geſchehen war.


Hatte nun aber der Kaiſer ſeinen urſprünglichen Ge-
danken, die Formel von allen Ständen annehmen zu laſ-
ſen, aufgeben müſſen, ſo blieb ihm doch noch ein andres
Mittel übrig, auch auf das katholiſche Deutſchland kirchli-
chen Einfluß zu erlangen.


Von jeher war über das Verderbniß des Clerus ge-
klagt, eine durchgreifende Reformation deſſelben gefordert wor-
den: zuletzt noch an dem Concilium; da ſich von demſel-
ben nichts erwarten ließ, ſo trug Carl V kein Bedenken
auch in dieſer Rückſicht auf eigne Hand ans Werk zu gehn.


Schon in dem Pflugiſchen Entwurf handelt der dritte
Theil von dieſen Gegenſtänden: bei weitem ausführlicher
aber und practiſcher war die Reformationsformel, welche
der Kaiſer wirklich zur Berathung brachte.


Über die Wahl der Kirchendiener, ihre verſchiedenen
Ämter, Predigt, Verwaltung der Sacramente und Beobach-
tung der Cerimonien, ihre Zucht und Sitte wurden hier ganz
umſichtige und nützliche Anordnungen gemacht. Einige Miß-
bräuche, über die man immer geklagt, z. B. Cumulation der
1
[54]Neuntes Buch. Erſtes Capitel.
Pfründen, wurden abgeſchafft; der Kaiſer verſprach, den rö-
miſchen Stuhl zu bewegen, gewiſſe Vorrechte in dieſer Hin-
ſicht fahren zu laſſen; den größten Werth legte er darauf,
daß allenthalben Viſitationen gehalten und beſonders die
Provincialſynoden wiederhergeſtellt würden; den Biſchöfen
ward ein beſtimmter Termin hiefür geſetzt, welchen ſie auch
größtentheils eingehalten haben. 1


Denn darauf war die Hauptabſicht des Kaiſers gerich-
tet, die deutſche Hierarchie wieder zu erneuern und ihre Wirk-
ſamkeit zu beleben.


Noch war das deutſche Bisthum faſt überall aufrecht
erhalten: da wo es erſchüttert worden, z. B. in Meißen
und Thüringen, war es jetzt wieder hergeſtellt; es bedurfte
nichts weiter, als die päpſtliche Erlaubniß, in den dem Pro-
teſtantismus zugeſtandenen exceptionellen Fällen zu dispen-
ſiren, um die biſchöfliche Jurisdiction überall wieder zur An-
erkennung zu bringen.


Unter den Befugniſſen, die der Kaiſer noch außerdem
für die Legaten forderte die ihm der Papſt ſchicken ſollte,
finden wir auch die, über die Herſtellung der geiſtlichen Gü-
ter zu verfügen, mit deren Inhabern unter kaiſerlicher Bei-
ſtimmung darüber Vertrag zu ſchließen.


Wir ſehen: der Kaiſer hoffte noch mit allen dieſen Din-
gen zu Stande zu kommen: die Proteſtanten, er allein, ohne
Zuthun des Papſtes, zu beruhigen und ſie zur Unterwer-
fung unter die Hierarchie des Reiches zu vermögen, —
[55]Das Interim.
dieſe auch ſelber durchgreifend zu verbeſſern, ebenfalls durch
eigene Macht, ohne beſondere Mitwirkung von Rom: —
und dann an der Spitze des wiedervereinten Reiches die al-
ten Rechte des Kaiſerthums auf die allgemeine Kirche zur
Geltung zu bringen.


Zunächſt mußte ſich zeigen was er mit den Proteſtan-
ten ausrichten würde.


[[56]]

Zweites Capitel.
Einführung des Interims in Deutſchland.


Wenn es dem Kaiſer gelungen wäre, wie er urſprüng-
lich beabſichtigte, der interimiſtiſchen Anordnung die er traf,
für alle deutſchen Landſchaften, auch die altgläubigen, Gel-
tung zu verſchaffen, ſo würde die Einführung derſelben einen
ganz andern Character entwickelt haben, als den ſie annahm,
da dieß nicht durchgegangen war.


In jenem Falle hätten die nachtheiligen Einwirkungen,
denen ſich die Proteſtanten unterwerfen mußten, durch die
Fortſchritte die nach der andern Seite hin möglich wurden,
eine Art von Ausgleichung gefunden. Von den leitenden
Ideen der religiöſen Bewegung wäre wenigſtens die, welche
auf eine nationale Selbſtändigkeit in religiöſen Dingen hin-
zielte, genährt und gefördert worden.


Nun aber war alles anders.


Da der Kaiſer ſich bewegen ließ, die Altgläubigen aus-
drücklich anzuweiſen, bei der Einheit der alten Kirche zu ver-
harren, ſo war an keinen Fortſchritt der reformatoriſchen
Beſtrebungen, an keine gemeinſchaftliche und nationale Ent-
wickelung des religiöſen Geiſtes zu denken.


Der Kaiſer ſeinerſeits fand noch ein Mittel, ſeine kirch-
[57]Einfuͤhrung des Interims.
liche Gewalt aufrecht zu erhalten: er konnte auf dem poli-
tiſchen Standpunct auf dem er ſich befand, allenfalls nach-
geben. Für die Proteſtanten aber wurde nun jede Herſtel-
lung des von ihnen Abgeänderten, jede Annäherung an das
entgegengeſetzte Prinzip, von dem ſie ſich erſt losgeriſſen, zu
einem Verluſte ohne allen Erſatz.


Bisher hatte ſich der proteſtantiſche Geiſt nach den eig-
nen innern Trieben in freier Autonomie entwickelt; er hatte
die Lehre durchaus umgeſtaltet, und von den Cerimonien nur
das behalten was ihm gemäß war. Jetzt ſollte er zwar
nicht das gerade Gegentheil ſeines Weſens anerkennen: er
ward in ſeinen Grundmeinungen, in einigen der vornehm-
ſten ſeiner Abweichungen geſchont, geduldet; allein dabei wollte
man ihm Äußerlichkeiten und Gebräuche, auch wohl Mei-
nungsbeſtimmungen aufdringen, die er mit vollem Bedacht,
als eigenthümliche Ausflüſſe des von ihm verworfenen Prin-
zipes, hatte fallen laſſen.


Die Anordnung, die von dem Gedanken der Verſöh-
nung ausgegangen, erhielt den Character der Unterdrückung.
Die Proteſtanten bekamen zu empfinden, was es heiße daß
ſie ſich hatten entzweien laſſen und ihre Oberhäupter, welche
ihr Syſtem darſtellten, beſiegt worden waren.


Allein es gab nun keinen Ausweg mehr: der Reichstag
hatte den Beſchluß gefaßt, die vornehmſten Fürſten, auch der
proteſtantiſchen Seite, hatten eingewilligt, und der Kaiſer war
entſchloſſen die Sache mit aller Kraft ins Werk zu ſetzen.
Wie heftig bedeutete er zwei mindermächtige Fürſten die
ſich widerſetzten. Dem einen, dem Markgrafen Johann,
ließ der Kaiſer, wie die officielle Relation ſagt, mit runden
[58]Neuntes Buch. Zweites Capitel.
und dürren Worten vermelden, er werde die Gebühr dage-
gen vornehmen müſſen; dem andern, Pfalzgrafen Wolfgang,
ward noch gröblicher angekündigt, er werde nächſtens ein
paar tauſend Spanier in ſeinem Lande ſehen.


Die erſte große Frage in dieſem Augenblicke lag nun
darin, wie ſich die Städte verhalten würden. Hier hatte ein
lange ſchon dazu vorbereitetes populares Element die reli-
giöſe Bewegung mit der größten Freude und Zuſtimmung
empfangen; die ſtädtiſchen Gewalten hatten ihren Wirkungs-
kreis dadurch mächtig erweitert, und ſich großentheils in ſich
ſelber demgemäß umgebildet; unzählige Mal hatte man ſich
und andern gelobt, Leib und Gut bei der Religion zu laſſen.
Jetzt kamen die Tage der Prüfung.


An dem Reichstag zu Augsburg regte ſich in den Städ-
ten die Abſicht, zu einer gemeinſchaftlichen Proteſtation zu
ſchreiten; ſie ſcheiterte aber, der Frankfurter Geſandte trägt
Bedenken zu ſagen wodurch. Es muß wohl noch etwas
Anderes geweſen ſeyn als die Verſchiedenheit der Religion,
von der er ohne Rückſicht hätte reden können.


Der kaiſerliche Hof behielt auch in dieſer Sache den
Vortheil, mit den einzelnen verhandeln zu können.


Die Zuſicherungen die denſelben bei den Capitulationen
meiſtentheils mündlich gegeben worden, hinderten ihn nicht,
auf die Annahme des Interims zu dringen, als bei welchem,
wie ihnen verſprochen war, ihre Religion beſtehen könne.


Zuerſt ward diejenige Reichsſtadt aufgefordert, in der
die popularen Elemente am ſchwächſten waren, die ſich von
jeher dem kaiſerlichen Hofe am nächſten gehalten, Nürnberg.
Der Kaiſer wollte ſich aber dieß Mal nicht mit dem Ge-
[59]Einfuͤhr. des Interims. Oberlaͤndiſche Staͤdte.
ſammtnamen Rath abfinden laſſen: er ließ den Mitgliedern
deſſelben wiſſen, von jedem einzeln werde er ſich Reſolution
einholen. 1 Hierauf unterwarfen ſie ſich ſämmtlich: die Äl-
tern des Rathes, der Rath ſelbſt, und die Genannten des
Rathes; ſie baten nur, daß man ihnen Zeit laſſen möge.


Nicht ganz ſo gefügig zeigte ſich der Rath von Augs-
burg: er reichte eine Schrift ein, in welcher er ſich nur zu
einigen Annäherungen erbot. Granvella weigerte ſich, die-
ſelbe auch nur anzunehmen, und forderte eine einfach beja-
hende Antwort. Er drohte, wenn dieſe nicht erfolge, werde
der Kaiſer ſich auf eine Weiſe erzeigen, daß andre Ungehor-
ſame ein Exempel daran zu nehmen hätten. Hierauf, am
26ſten Juni, wurde großer und kleiner Rath zuſammenberu-
fen und folgender Beſchluß gefaßt: in wie fern die Ord-
nung die Gewiſſen belange, könne man mit derſelben nicht
übereinſtimmen; aber ein geſammter Rath habe vor allem
auf das Wohl der Stadt zu ſehen, deren Verderben eine
abſchlägliche Antwort herbeiführen würde: und ſo unterwerfe
er ſich dem kaiſerlichen Gebot. 2


Dieſer Widerſtreit zwiſchen Gehorſam und Gewiſſen
trat an mehreren Stellen hervor: z. B. in der Antwort der
Memminger, der Regensburger. Einige Rathsherrn von Re-
gensburg bedienten ſich des Ausdrucks, ſie könnten nicht für
ihre Perſon einwilligen, ſondern nur im Namen der Stadt. 3
[60]Neuntes Buch. Zweites Capitel.
Schmerzliche Nothwendigkeit, die eigne Geſinnung zu ver-
leugnen um das Gemeinweſen nicht zu Grunde gehn zu laſ-
ſen. Sie ſagten mit alle dem doch zuletzt nur, daß ſie ge-
nöthigt ſeyen der Gewalt zu weichen.


Die kaiſerlichen Beamten ſpotteten ihrer Bedenklichkei-
ten, nicht ohne wegwerfenden Hohn. „Ihr habt Conſcien-
zen,“ rief der Vicecanzler Heinrich Haſe dem Frankfurter Ab-
geordneten zu, der ſich auch auf das Gewiſſen bezog, „wie
Barfüßerärmel, die ganze Klöſter verſchlingen.“ Beſcheident-
lich antwortete der Frankfurter Rathsfreund, er wiſſe nicht,
daß ſeine Herrn den Geiſtlichen das Mindeſte mit Gewalt
entfremdet. „Redet mir nicht davon,“ verſetzte Haſe, „ich
weiß es ſo gut wie ein andrer; aber das iſt des Kaiſers
Meinung, daß er das Interim gehalten haben will, und
ſollte er ein Königreich darüber zuſetzen. Lernt nur das Alte
wieder, oder man wird euch Leute ſchicken die es euch leh-
ren: ihr ſollt noch ſpaniſch lernen.“ 1


Zuweilen trat auch noch eine andre Schwierigkeit ein,
die in der Verfaſſung lag, wie in Straßburg. Der Rath
war nach langen vergeblichen Gegenvorſtellungen am Ende
geneigt, dem Beiſpiele der übrigen Städte zu folgen; allein
die Schöffen entſchieden, daß dieß ein Fall ſey in welchem die
Gemeine gefragt werden müſſe. Von dieſer Gemeine aber,
welche eine ſehr entſchieden proteſtantiſche Geſinnung hegte,
war niemals zu erwarten daß ſie ſich unterwerfen würde.
Nur mit großer Mühe und unter allgemeiner Aufregung
wurden die Schöffen bewogen ihren Beſchluß zurückzuneh-
men. Hierauf ward auch hier dem Biſchof vergönnt, we-
[61]Veraͤnderung der Stadtraͤthe.
nigſtens in einigen Kirchen das ganze Interim einzuführen,
während man ſich in andern die freie Predigt vorbehielt. 1


Der Kaiſer fühlte ſehr wohl, daß er auf einen Ge-
horſam dieſer Art nicht lange zählen, daß er überhaupt mit
Magiſtraten welche Krieg wider ihn geführt, ſchwerlich zum
Ziele der äußern Einheit, das er ſich einmal geſetzt, werde
gelangen können.


Er war nicht in einer Stimmung um vor durchgrei-
fenden Mitteln zurückzuſchrecken, und hatte die Macht die
dazu gehörte um ſie anzuwenden. Zuerſt Augsburg, wo er
ſich aufhielt, ſollte ihn kennen lernen.


Eines Tages, ganz unerwartet, ließ er die Thore der
Stadt ſchließen und großen wie kleinen Rath, Doctoren der
Rechte, Schreiber und Diener ſämmtlich in ſeinen Pallaſt
entbieten. Nachdem ſie eine Weile im Hof gewartet, ward
ihnen der große Saal eröffnet: und hier erſchien nun gegen
Mittag der Kaiſer, mit einigen ſeiner Räthe, und ließ ihnen
durch Georg Seld, einen gebornen Augsburger, kund thun,
wie er mit Schmerzen den Verfall, die Schmälerung und
die Unordnung ihrer Stadt anſehe, und ſich, um dem Ubel
an die Wurzel zu graben, nach fleißiger Nachforſchung und
ſeinem beſten Verſtand entſchloſſen habe, die Form ihres
jetzigen Regiments zu verändern und ihnen einen neuen Rath
zu verordnen. Man habe ihm vorgeſtellt, daß die Verja-
gung des alten Clerus und die Theilnahme am ſchmalkal-
diſchen Krieg allein von dem Übergewicht der Zünfte und
der dadurch herbeigeführten gewaltſamen Herrſchaft des Bür-
germeiſters Herbrot herrühre. Dadurch ſeyen die Erbaren,
die Geſchlechter die dem Kaiſer mit Leib und Gut anhän-
[62]Neuntes Buch. Zweites Capitel.
gig, Fugger, Baumgartner, Welſer, Neithart, Hörwart, un-
terdrückt worden. Sey es wohl billig daß die Feinde des
Kaiſers auch jetzt noch Herrn der Stadt blieben? — Man
hatte ihm als das vornehmſte Übel bezeichnet, daß bisher ſo
viele unerfahrene Leute, die beſſer ihres Handwerks gewartet,
in dem Rath geſeſſen, und er eilte es abzuſtellen. Sofort in
Gegenwart der Verſammelten wurden die Namen derjenigen
verleſen, denen der Kaiſer die Ämter der Stadt und den klei-
nen Rath anvertrauen wolle. Es waren ihrer 41. Wir
finden unter ihnen 3 Fugger, 3 Paumgartner, 4 Rehlinger,
— denn auch dem Älteſten von ihnen, der ſchon 80 Jahr
zählte, Alt-Conrad, ward dieſe Verpflichtung nicht erlaſſen,
— 2 Welſer, 2 Peutinger, überhaupt 31 ſolche Namen die
entweder den wenigen wirklich alten Geſchlechtern die noch
übrig waren, 1 oder denen welche im Jahr 1538 dieſen mit
gleichen Rechten beigefügt worden, angehörten. Der Ge-
meinde wurden nur 10 Stimmen bewilligt. Die Zünfte wur-
den mit Einem Schlage aufgehoben, ihre Häuſer, Baarſchaf-
ten, Privilegien mußten ausgeliefert werden. Am 7ten und
8ten Auguſt ward dem neuen Rath in den verſchiedenen
Vierteln geſchworen. Der Kaiſer empfahl ihm noch beſon-
ders die Religion und das von den Ständen bewilligte In-
terim. Bei der Eidesleiſtung kam die Formel „bei den Hei-
ligen“ wieder vor, doch ward ſie nur von den Wenigſten
nachgeſprochen. 2


[63]Uͤberwaͤltigung von Coſtnitz.

Ähnliche Veränderungen nahm der Kaiſer auch in an-
dern Orten, z. B. in Ulm vor. Der Rath beſtand bisher
aus 24 Geſchlechtern und 46 aus der Gemeine. Der Kai-
ſer beſetzte ihn für die Zukunft mit 20 Geſchlechtern und
11 aus der Gemeine.


Es hat einen tiefen Zuſammenhang, daß ſich einſt in dem
plebejiſchen Element das in den Städten emporkam, die erſte
Oppoſition gegen die Hierarchie geregt hatte, und daß nun
der Kaiſer, der dieſe aufrecht erhalten wollte, wenn auch
in ſeinem beſondern Sinn, eben dieſe plebejiſche Macht von
ihrem Antheil an der öffentlichen Gewalt zurückzudrängen
unternahm.


Nicht überall aber genügte dieß. Zuweilen ſchien wohl
auch der gegenwärtige Widerſtand ein Recht zu verleihen,
alte Pläne gegen die Freiheit einer Stadt zu vollführen.


Am 6ten Auguſt 1548 ward Coſtnitz, das nichts mehr
verbrochen als Andere, aber von dem Haus Öſtreich ſchon
längſt angefochten ward, plötzlich, während die Abgeordne-
ten noch mit dem Hofe unterhandelten, in die Acht erklärt,
und an demſelben Tage machte auch ſchon ein Haufen Spa-
nier einen Verſuch, ſich der Stadt ſelber durch Überfall zu
bemächtigen.


Die Einwohner, obgleich überraſcht, wehrten ſich doch vor-
trefflich: ſie ſahen ihre Weiber und Kinder an, und waren ent-
ſchloſſen ſie gegen den wilden Feind, deſſen Lüſte und Räube-
reien ihnen ſataniſch erſchienen, zu vertheidigen, und ſollte die
2
[64]Neuntes Buch. Zweites Capitel.
Stadt ihr Kirchhof werden. Als die Vorſtadt ſchon erobert
war und die erſten Feinde auf der Rheinbrücke erſchienen,
ſo daß man befürchtete, ſie möchten zugleich mit den Flie-
henden in das Thor eindringen, geſchah jene That, die man
nicht mit Unrecht der des Horatius Cocles verglichen hat.
Ein Bürger, mit zwei Spaniern im Handgemenge, erfaßte
ſie endlich beide, ſchrie zu Gott um Vergebung ſeiner Sün-
den und ſtürzte ſich mit ihnen über die Bruſtwehr in den
Rhein: ſo daß ſeine Mitbürger wirklich Zeit behielten das
Thor an der Brücke zuzuſchlagen, und ſich überhaupt für
dieß Mal des Feindes erwehrten.


Das konnte aber alles ihre Freiheit nicht retten. Da
ſie jetzt von keiner Seite Schutz hatten, weder auf der deut-
ſchen, noch auch von der Schweiz her, wo die evangeliſchen
Verbündeten durch die katholiſchen Gegner zurückgehalten
wurden, hörten ſie am Ende auf den Rath eines Haupt-
manns in König Ferdinands Dienſt, eines gebornen Con-
ſtanzers, Hans Egkli, ſich in des Königs Schutz zu bege-
ben, als das einzige Mittel um dem Zorne des Kaiſers zu
entgehn. Am 14ten October 1548 rückten daſelbſt einige
ferdinandeiſche Fähnlein ein.


Die Stadt hatte ſich indeß ſchon von ſelber bequemt das
Interim anzunehmen; damit war der König aber nicht zu-
frieden. Er befahl ſeinen Commiſſarien die alte wahre Reli-
gion wieder in Weſen zu bringen; nach einiger Zeit ward
die evangeliſche Predigt bei Todesſtrafe verboten.


Mit der reichsſtändiſchen Freiheit und der evangeliſchen
Lehre war es in demſelben Augenblicke vorüber.


Überhaupt entwickelte die Regierungsweiſe, wie ſie der
[65]Verfolgung der Prediger.
Kaiſer nunmehr ausübte, den Character einer gehäſſigen Ge-
waltſamkeit.


Nachdem man ſich der Gemeinheiten verſichert, kam
man nun an die Einzelnen: vor allem an die Prediger. Es
waren noch faſt überall die Männer die in den erſten Zei-
ten der Gefahr ſich erhoben, alle Wechſelfälle die ſeitdem
vorgekommen, beſtanden, an der Entwickelung der dogmati-
ſchen Feſtſetzungen lebendigen Antheil genommen, die kirch-
lichen Einrichtungen ausgebildet hatten; ihr Name war vor
dem Volke gleichſam die Sache ſelbſt. Die Frage ward an ſie
gerichtet, ob ſie nun auch feſthalten, oder im Angeſicht des
Unglücks, das ihnen ohne allen Zweifel bevorſtand, nach-
geben würden.


Die ehrlichen, frommen, beherzten Männer zweifelten
nicht: ſie zogen vor, das Unglück über ſich ergehn zu laſſen.


Noch unter den Augen des Kaiſers, in Augsburg er-
klärte Wolfgang Meuslin dem Rath, er könne und wolle
das Interim nicht annehmen: auch nur den Chorrock, von
dem zunächſt die Rede war, könne er nicht anziehen: nicht
als ob daran ſo viel gelegen wäre: aber er habe dagegen
gepredigt: er könne es nicht thun. Er dankte dem Rath
für die Wohlthaten die er in Augsburg genoſſen, und ver-
ließ die Stadt unverzüglich.


Vergebens hatte Agricola die Prediger in Nürnberg für
ſeine Formel zu gewinnen geſucht. Veit Diedrich, ſo mild
er ſonſt war, gab zu erkennen, in der Annahme derſelben
würde eine Verleugnung des evangeliſchen Glaubens liegen.
Als der Rath den Predigern ſeinen Entſchluß ankündigte,
das Interim anzunehmen, und ſie ermahnte nicht dawider
Ranke D. Geſch. V. 5
[66]Neuntes Buch. Zweites Capitel.
zu ſeyn, hörten ſie ſtillſchweigend zu und entfernten ſich ohne
eine Antwort zu geben. Nur die geiſtig-unbedeutendern
aber unterwarfen ſich. Veit Diedrich ward durch den Tod
dieſem Sturme entriſſen. Oſiander meinte, er wolle weichen
bis das Wetter vorübergezogen, und verließ Nürnberg; die
Stadt kündigte ſeiner Frau das Bürgerrecht auf.


In Ulm trotzte Frecht auf den Artikel ſeiner Vocation,
daß er das Evangelium ohne allen Zuſatz von Menſchenlehre
predigen ſolle; er ließ ſich auch die Anweſenheit des Kaiſers
nicht daran hindern. Dafür ward er ſammt ſeinen vornehm-
ſten Amtsgenoſſen in Ketten und Bande gelegt und unter der
Obhut einer ſpaniſchen Wacht dem kaiſerlichen Hoflager nach-
gefahren. Hinter dem Wagen lief ein Schulknabe her, der
es ſich nicht nehmen laſſen wollte, ſeinen geiſtlichen Meiſtern
in ihrem Gefängniß Dienſte zu leiſten. 1


Johann Brenz in Schwäbiſch-Hall ſaß mit Frau und
Kindern bei Tiſch, als er erfuhr, ein ſpaniſcher Hauptmann
ſey angekommen und dringe auf ſeine Auslieferung. Er that
als wolle er einen Kranken in der Vorſtadt beſuchen, und
eilte davon zu kommen. Auf einem Edelhofe in der Nähe
fand er eine Zuflucht, und auch ſeine Familie folgte ihm da-
hin nach; doch wagte er nur die Nächte daſelbſt zuzubringen,
denn fortwährend ward er geſucht; bei Tage hielt er ſich in
dem dichten Dunkel einer unwegſamen Waldung auf. Eine
beſſere Freiſtatt fand er endlich in dem würtenbergiſchen Schloß
Wettlingen auf dem Gipfel des Hohberges. Er hat daſelbſt
[67]Verfolgung der Prediger.
eine Auslegung des 93ſten Pſalmen geſchrieben, mit deſſen
Verheißungen er ſich tröſtete. „Die Waſſerſtröme erheben
ſich, erheben ihr Brauſen, heben empor ihre Wellen: grö-
ßer aber iſt der Herr in der Höhe. Herr, dein Wort iſt
die rechte Lehre.“ 1


So hielten ſie ſich allenthalben. In Regensburg er-
klärte Dr Nopp und ſeine Gehülfen: ſie wollten ſich mit
Weihwaſſer, Öl und Chryſam nicht beflecken; in Frankfurt
Ambach und Lullus: ſie würden eher Hunger, Elend und
den Tod ertragen als von der reinen Lehre weichen. In
Reutlingen nahm Matthäus Alber, welcher dieſer Gemeine
jetzt 29 Jahre vorangegangen, an dem Tag ſeinen Abſchied
als die erſte Meſſe gehalten ward. Ambroſius Blaurer in
Coſtnitz hatte um die Durchführung des proteſtantiſchen Prin-
zips in dem obern Deutſchland das Verdienſt eines Refor-
mators: von der Kataſtrophe ſeiner Vaterſtadt ward Nie-
mand tiefer betroffen: gleich nach Annahme des Interims
verließ er ſie. Am erſten November 1548 hielt Erhard
Schnepf ſeine Abſchiedspredigt in Tübingen, denn ſein Fürſt
konnte ihn nicht länger ſchützen; in langem Zuge begleitete
die Gemeinde den ehrwürdigen Greis weit hinaus vor die
Stadt. 2 Ein wenig länger hielt ſich Straßburg als die übri-
gen Städte; aber der Kaiſer hatte auch hier an den Begü-
terten, den reichen Handelsleuten Verbündete: ſchon hatten
ihrer funfzig die Stadt verlaſſen, noch mehrere drohten nach-
zufolgen, wenn man die Ungnade des Kaiſers nicht ver-
5*
[68]Neuntes Buch. Zweites Capitel.
meide. Hierauf entſchloß ſich die Stadt, Anfang Februar
1549, dem Biſchof zu verſprechen, daß in ihren Mauern
nicht mehr wider das Interim gepredigt werden ſolle. 1 In
dieſem Beſchluß ſahen Männer wie Butzer und Fagius ihre
Entlaſſung. Butzer fühlte ſich ohnehin durch den Ruf, daß
er allzu nachgiebig ſey, zu viel auf Vergleichung denke, der
wie ein Schickſal auf ihm laſtete, gedrückt, und wollte den-
ſelben um keinen Preis beſtätigen. Fagius entſchuldigte in
ſeiner Abſchiedspredigt den Rath, der ſo lange als möglich
feſtgehalten, und die zurückbleibenden Prediger, die gewiß
von der rechten Lehre nicht abfallen würden: für ſich bat
er um die Fürbitte der Gemeine daß er ſtandhaft bleibe in
ſeinem Kreuz. 2


Ich nenne nur die vornehmſten Namen: eine große
Menge Anderer geſellte ſich den Flüchtigen zu. Man wollte
bei 400 verjagte Prediger im Oberland zählen.


Dieſe Standhaftigkeit fand nun aber auch weiter im
Norden und Oſten Nachahmung.


Einer Vereinbarung welche Markgraf Albrecht von Culm-
bach mit ſeinen Landſtänden auf den Grund des Interims
getroffen, widerſetzten ſich die Prediger um ſo mehr, da man
ſich vorbehalten hatte, daran zu mehren oder zu mindern.
Ein langes Sorgen, ſagten ſie, ſey ein langes Sterben: ſie
verpflichte ihr Eid, nur das lautere Gotteswort zu lehren;
wolle man ſie zwingen davon abzuweichen, ſo wollten ſie
hiemit ſammt und ſonders um ihren Abſchied gebeten haben.
[69]Widerſtand in Norddeutſchland.
Albrecht ſchrieb dem Kaiſer, er ſey nicht abgeneigt ſie zu
entlaſſen: er wiſſe nur keine andern zu bekommen. 1


Im Calenbergiſchen, zu Pattenhauſen, hielt die Geiſt-
lichkeit förmlich eine Synode, in der ſie eine Erklärung ge-
gen das Interim, die ihr Superintendent Corvinus verfaßt
hatte, unterzeichnete.


Fand doch ſelbſt Churfürſt Joachim von Brandenburg,
der ſeiner Geiſtlichen eher ſicher zu ſeyn glaubte, da eins
ihrer Oberhäupter an der Abfaſſung des Interims Antheil
genommen hatte, als er ſie nach Berlin zuſammenrief, den
größten Widerſpruch. Sie erklärten, ſie würden die ewige
Verdammniß fürchten, wenn ſie von der erkannten Wahrheit
abweichen wollten: der Kaiſer ſey mächtig: aber Gott noch
viel mächtiger. 2


Auch in Sachſen, in dem Lande des Churf. Moritz
ſowohl, wie in den Landſtrichen welche den Söhnen Johann
Friedrichs verblieben, war man in derſelben Stimmung. Auf
einer Verſammlung die Moritz kurz nach ſeiner Rückkehr vom
Reichstage nach Meißen berief, zeigten ſich die Theologen
beſonders über die Vorrede der kaiſerlichen Formel, die ihnen
hier erſt bekannt ward, betroffen, da darin die Doctrin von
der ſie abgewichen, als ächt katholiſch bezeichnet ward: ſie
erklärten daß ſie nur die Neuerungen abgeſchafft, und zu
den urſprünglichen Lehren der wahren katholiſchen Kirche zu-
rückgekehrt ſeyen: 3 das Verfahren des Kaiſers, ſo mild es
[70]Neuntes Buch. Zweites Capitel.
auch ausſehen möge, bezeichneten ſie als verderblich und
tyranniſch; auch die einzelnen Beſtimmungen des Interim
griffen ſie mit vielem Ernſt an: in einer Erläuterung der
Juſtification von Melanchthons Hand werden die proteſtan-
tiſchen Grundſätze mit aller Schärfe hervorgehoben. Ganz
nach dieſem Vorgang ſtellten die Stände dem Churfürſten
vor, daß die Lehre ihrer Lande eben die ſey, welche die Glie-
der der wahren katholiſchen Kirche von jeher bekannt: ſie
erinnerten ihn an ſein Verſprechen ſie dabei zu ſchützen, das
auf allen Kanzeln dem Volk und durch offenen Druck der
Welt bekannt gemacht worden ſey.


Und dazu kam nun daß es im Reiche noch unüber-
wundene Regionen gab, welche dem kaiſerlichen Willen zu-
gleich politiſchen und geiſtlichen Widerſtand entgegenſetzten.


In ganz Niederſachſen ſprachen ſich die Oberhäupter
der Geiſtlichkeit dagegen aus, Äpinus zu Hamburg, Johann
Amſterdamus zu Bremen, Medler zu Braunſchweig; überall
wurden Synoden gehalten: zu Minden, Mölln, Hamburg;
die Städte correſpondirten darüber unter einander, und wur-
den endlich einig, wie der kaiſerliche Truchſeß Könneritz be-
richtet, das Interim ſämmtlich zu verwerfen, Leib und Gut
darüber zuſammenzuſetzen.


Beſonders heftig lautete die Erklärung von Magdeburg.
Das Interim verdunkle den Hauptartikel des chriſtlichen Glau-
bens, daß wir durch den Glauben ohne alle Werke gerecht
und ſelig werden; es richte die Anrufung der Verſtorbenen,
Vigilien, Seelmeſſen und die ganze Gottesläſterung des Pap-
3
[71]Widerſtand in Norddeutſchland.
ſtes wieder auf; es wolle „Uns Alle“ um unſre Seligkeit
bringen. 1 Und da die Stadt nicht allein unausgeſöhnt,
ſondern in der kaiſerlichen Acht war, da ſie nichts weiter
zu verlieren hatte, ſo ward ſie plötzlich der Heerd einer leb-
haften literariſchen Oppoſition. Eine Fluth von Gegenſchrif-
ten in jeder Form, — Satyre und Predigt, in Proſa und
Verſen, — gab das Interim der Verachtung und dem öffent-
lichen Haſſe Preis; in abenteuerlichen Caricaturen ward es
verſpottet; man hat ſogenannte Interimsthaler, auf denen
ein dreiköpfiges Ungeheuer den Urſprung und Inhalt dieſer
Schrift verſinnbildet. Da ſo viele Fürſten ſchwankten oder
abfielen, wendeten ſich alle Blicke auf Johann Friedrich, der,
obwohl ein armer Gefangener und in der Gewalt des Kai-
ſers, doch jedes Anſinnen dem Interim beizutreten ſtandhaft
zurückwies. Denn wohl wiſſe er, daß es in vielen Artikeln
dem Worte Gottes zuwider ſey: würde er es billigen, ſo
wäre es als ob er Gott droben in ſeiner Majeſtät und die
weltliche Obrigkeit hienieden mit gefährlichen Worten betrü-
gen wolle: er würde die Sünde gegen den heiligen Geiſt
begehn, die nicht vergeben werde. Ruhig ſah er zu, als
man ihm ſeine Bibel und ſeine lutheriſchen Bücher weg-
nahm: er werde ſchon behalten was er daraus gelernt.
Seine Haltung flößte ſelbſt den Feinden Hochachtung ein;
in den Gleichgeſinnten nährte ſie den ſtillen und ſtandhaf-
ten Widerſtand der gläubigen Gemüther. War Johann
Friedrich früher als der Vertheidiger des reinen Glaubens
geachtet und geliebt worden, ſo ward er jetzt als Held und
[72]Neuntes Buch. Zweites Capitel.
Märtyrer bewundert und verehrt. Man erzählte ſich, bei
der Übergabe jener ablehnenden Erklärung habe ein Donner-
ſchlag von heiterm Himmel gleichſam das göttliche Wohl-
gefallen bezeugt; man meinte die Geſtalt des Churfürſten in
der Luft in den Bildungen der Wolken zu ſehen.


Was würde erſt geſchehen ſeyn, wenn der Kaiſer wirk-
lich, wie man ihm gerathen, den Verſuch hätte machen wol-
len die alten kirchlichen Zuſtände geradehin zurückzuführen.
Er ſuchte jetzt nur einige Äußerlichkeiten herzuſtellen, eine
Modification in Lehre und Leben zu Stande zu bringen, in
welcher doch auch proteſtantiſche Elemente unverkennbar ent-
halten waren: und doch wurde ſein Entwurf mit tiefem
und allgemeinem Widerwillen empfangen. Die Unterwür-
figkeit der beſiegten, mit dem Ruin ihrer Städte bedrohten
oder erſt jetzt im Gefolge der Niederlage eingeſetzten Ma-
giſtrate, und einiger ſchwächern Seelen welche das Exil fürch-
teten, wollte doch wenig ſagen. Der proteſtantiſche Geiſt, in
ſeiner ganzen urſprünglichen Energie, ſetzte ſich dagegen.


Dieſer proteſtantiſche Geiſt aber ſollte in demſelben Au-
genblick einen Angriff erfahren, der ihm noch bei weitem tie-
fer gieng und gefährlicher wurde.


Churfürſt Moritz hatte das Interim, wie wir wiſſen,
nicht geradezu angenommen: er hatte es aber auch nicht ent-
ſchieden abgelehnt. Er war dem Kaiſer und dem König viel
zu ſehr verpflichtet, um ſich ſo dringenden Wünſchen derſel-
ben zu widerſetzen: hatte man ihn doch einſt in Eger der
katholiſchen Meſſe beiwohnen ſehen! Dagegen aber hatte
er ſeiner Landſchaft, welche die proteſtantiſchen Doctrinen um
ſo lebendiger aufgenommen, je länger ſie derſelben entbehren
[73]Haltung des Churfuͤrſten Moritz.
müſſen, das Verſprechen gegeben, ſie bei ihrer Religion, wie
ſie jetzt ſey, zu ſchützen, eine Zuſage die von dem Kaiſer
um der Gefahren des Krieges beſtätigt worden. Die pro-
teſtantiſche Geſinnung war durch die Vereinigung der älte-
ſten evangeliſchen Länder mit ſeinem bisherigen Territorium
nur um ſo ſtärker geworden. Moritz erklärte endlich dem
Kaiſer, er für ſeine Perſon habe nichts gegen die Formel des
Interim: was ſeine Landſchaft anbetreffe, ſo wolle er alles
Mögliche thun um ſie zur Annahme deſſelben zu bewegen. 1


Bei dem erſten Verſuch aber ward er inne, daß dieß
ſo geradezu nicht möglich ſey. Wenn wir recht unterrichtet
ſind, fand er überhaupt bei ſeiner Rückkehr in das Land
eine ſchlechte Aufnahme. 2 Bei der erſten Zuſammenkunft ſei-
ner Stände in Meißen empfieng er, wie berührt, eine ent-
ſchieden abſchlägliche Antwort.


Der Kaiſer forderte ihn auf, ungefähr eben ſo zu ver-
fahren, wie er ſelbſt in den oberen Landen und Städten
verfahren war, vor allen Dingen Melanchthon zu entfernen,
von dem ein Gutachten wider das Interim im Druck er-
ſchienen war. Die Stände dagegen hielten ihm ſein Verſpre-
chen entgegen: ſie ſchienen bereits ihre Augen auf ſeinen
Bruder Auguſt zu werfen.


Von entgegengeſetzten Anſprüchen und Pflichten gedrängt
faßte Churfürſt Moritz den Gedanken, wenn es ihm nicht
[74]Neuntes Buch. Zweites Capitel.
möglich ſey das ganze Interim einzuführen, den Kaiſer doch
wenigſtens durch möglichſte Annäherung an die Formel zu
befriedigen. Er forderte ſeine Stände und Theologen auf,
nochmals in Erwägung zu ziehen, was ſich dem Kaiſer mit
gutem Gewiſſen nachgeben laſſe.


Näher ward dieſer Gedanke für ihn beſonders dadurch
beſtimmt, daß Julius Pflug in das Bisthum Naumburg zu-
rückgekommen war, ſich aber hier trotz aller Befehle des
Kaiſers der Beihülfe des weltlichen Armes überaus bedürf-
tig fühlte. Und dieſer Biſchof war nun von den gelehrten
Theologen der katholiſchen Kirche wohl der gemäßigtſte, den
Proteſtanten in ſeinen Meinungen verwandteſte, nächſte. Chur-
fürſt Moritz meinte, die Modificationen welche in der augs-
burgiſchen Formel nothwendig ſeyn würden, durch den Bi-
ſchof, deſſen Autorität er dafür wieder anerkannte, dem Kai-
ſer empfehlen zu laſſen.


Hätte irgend ein andrer deutſcher Fürſt dieſen Plan ge-
faßt oder auch ausgeführt, ſo würde es ſo viel nicht zu ſa-
gen gehabt haben, da die Wirkung doch immer auf ein ein-
ziges Land beſchränkt geblieben wäre.


Hier aber war es von der größten Bedeutung. Das
Kriegsglück das für den Kaiſer entſchied, hatte die Metro-
pole des Proteſtantismus, jenes Wittenberg, von dem bis-
her die Feſtſetzung der dogmatiſchen Normen hauptſächlich
ausgegangen war, in die Hände des Churfürſten Moritz
gebracht. Einſt, bei den erſten Verfolgungen der Lehre, un-
ter Friedrich dem Weiſen, war Wittenberg das allgemeine
Aſyl geweſen. Und noch lebte daſelbſt der Mann der nächſt
Luther das Meiſte zur Entwickelung der neuen Kirche bei-
[75]Haltung Melanchthons.
getragen. Dahin war noch immer die Aufmerkſamkeit aller
Gläubigen gerichtet. Es war ein nicht allein für Sachſen,
ſondern für die ganze evangeliſche Welt im höchſten Grade
wichtiges Ereigniß, wenn es dem Churfürſten gelang, dieſen
Mann und ſeine Amtsgenoſſen zu einer Annäherung an die
kaiſerliche Formel zu vermögen.


Indem er dieß verſuchte, kam ihm zu Statten daß er
die in den Kriegsunruhen zerſtreute Univerſität wieder auf-
gerichtet, die alten Profeſſoren zurückberufen, ſich um alle
zuſammen und jeden beſonders perſönliche Verdienſte erwor-
ben hatte, auch um Melanchthon. Melanchthon war nach
England und nach Dänemark, nach Tübingen und Frank-
furt a. d. Oder berufen worden, auch die Söhne Johann
Friedrichs hatten ihm Anträge gemacht; er zog es aber vor,
nach Wittenberg zurückzukehren, an das ihn alle Gewohn-
heiten des täglichen Lebens feſſelten, wo ſeine Familie ſich
wohl befand, — ſeine liebſten Freunde, einverſtandene Col-
legen lebten; 1 ſein Ehrgeiz war, aus dem großen Schiff-
bruch, wie er ſagte, die Trümmer zu retten, die Univerſität,
deren Ruf und Daſeyn mit dem ſeinen verwachſen war, wie-
derherzuſtellen. Die neue Regierung zog ihn bei den Ge-
ſchäften zu Rathe, nahm auf ſeine Empfehlungen Rück-
ſicht; — als ſich einſt der Kaiſer darüber beklagte, daß
der mit ihm noch unausgeſöhnte Profeſſor in Wittenberg
wieder auftrete, und auf ſeine Auslieferung dringen zu wol-
len drohte, denn eben der ſey es, der den vorigen Chur-
[76]Neuntes Buch. Zweites Capitel.
fürſten in ſeiner Widerſetzlichkeit beſtärkt habe, nahm die Re-
gierung den Gelehrten in Schutz, und ließ ihn wiſſen daß
ſie das that. Einſt, auf einer Reiſe hat ſie ihn ſogar
gleich als ſey die dringendſte Gefahr vorhanden einen Au-
genblick entfernt: es ſchien ihm wohl als hänge von ihrer
Gunſt und Fürſprache ſein ganzes Daſeyn ab. Und zu die-
ſem Gefühl der Dankbarkeit kam noch ein andres. In den
letzten Jahren hatte ſich Melanchthon, aus Furcht den al-
ternden Luther zu verletzen, nicht mit voller Freiheit bewegt,
beſonders ſeine Gedanken über die Abendmahlslehre nicht
wie er wünſchte zu entwickeln gewagt; auch von dem am
Wortlaut feſthaltenden Hofe hatte er ſich beſchränkt gefühlt.
In dem Umſturz der Regierung, unter deren Schirme die
neue Lehre emporgekommen, ſah doch Melanchthon auch
wieder auf ſeinem wiſſenſchaftlichen Standpuncte gleichſam
eine Erleichterung. So geſchah daß er ſich dem neuen
Herrn mit einer ganz unerwarteten Hingebung anſchloß.
Mit jenen Räthen, deren bloßer Name Luthers Wider-
willen erweckte, trat er in Verhältniß: wir finden ihn den
Dr Komerſtadt auf deſſen Landgut beſuchen, er correſpondirt
mit Carlowitz. Wer wollte ihn an und für ſich darum ta-
deln? Mit dem einen berieth er die Geſchäfte der Univer-
ſität, die Herbeibringung der zerſtreuten Einkünfte; bei dem
andern ſuchte er etwa für einen alten Freund, Dr Jonas, die
Erlaubniß der Rückkehr an ſeine Stelle in Halle nach. Aber
indem man dieſe Wendung ſeiner Hinneigung und Abhängigkeit
beobachtet, erſchrickt man ſchon vor der Gefahr, in welche
ſeine perſönliche Haltung dadurch geräth. In einem unbe-
wachten Augenblick, in welchem er dem Carlowitz für die
[77]Haltung Melanchthons.
Gewährung eben jener Fürbitte für Jonas dankte, 1 ver-
lor er das größte Verhältniß ſeiner frühern Zeiten, das ihn
zu dem Manne in der Welt gemacht hatte der er war,
die Freundſchaft zu Luther, ganz aus den Augen. Das Ge-
fühl der Befriedigung brachte ihm ältere vorübergegangene
der Verſtimmungen ins Gedächtniß. Er ließ Klagen über Lu-
thers Eigenſinn und Streitſucht einfließen: er erlaubte ſich
Seitenblicke auf die frühern Herrn. Melanchthons Briefwech-
ſel erweckt ſonſt immer Theilnahme, Verehrung, Liebe: dieſen
Brief aber wollte ich, hätte er nie geſchrieben. Es mag
ſeyn daß er, wenigſtens bis auf einen gewiſſen Grad, Recht
hatte: wer würde es ihm verargen, wenn er ſeine Klagen,
zu jener Zeit, in den Buſen eines Freundes ausgeſchüttet
hätte. Jetzt aber, nach der Kataſtrophe ſeines Fürſten, nach
dem Tode des Freundes, Klagen gegen Den, in welchem
dieſer immer einen Widerſacher geſehen, und der das Meiſte
dazu beigetragen hatte jenen zu ſtürzen! — nun, man ſieht,
wohin auch ein edler Menſch, von momentanen Bezie-
hungen übernommen, gerathen kann. Melanchthon glaubte
wohl in ſeiner Beſcheidenheit, daß er ein einfacher Gelehrter
ſey. Ein Gelehrter aber wie er, der an den großen Ereig-
niſſen mithandelnd Antheil nimmt, führt kein Privatleben:
er hat die Pflicht eines Staatsmanns, immer das Ganze
ſeiner Thätigkeit im Auge zu behalten, ſeine Vergangenheit,
die unaufhörlich fortwirkt, nicht aufzugeben im überwiegenden
Gefühl der Nothwendigkeiten des vorhandenen Augenblickes.
Und für ihn war dieſe Pflicht ganz beſonders dringend. In
ihm mehr als in irgend einem andern lebenden Menſchen
[78]Neuntes Buch. Zweites Capitel.
lag die Einheit der proteſtantiſchen Kirche; der freie Fort-
gang ihrer Entwickelung knüpfte ſich an ihn. Jetzt war die
Zeit gekommen wo er die Zweifel an ſeiner moraliſchen
Stärke, die ſich ſchon regten, widerlegen, durch eine männ-
liche und unnachgiebige Haltung das Zutrauen zur allgemei-
nen Sache befeſtigen mußte. Welche Autorität würde er
dann gewonnen haben! wie hätte er mit dem wiſſenſchaft-
lichen Sinn und dem religiöſen Gefühl die ſich in ihm durch-
drangen, die vereinigten Geiſter noch eine Strecke weiter füh-
ren können! Die Werkſtätte der unabhängigen proteſtanti-
ſchen Gelehrſamkeit und Theologie, wo ſie auch aufgeſchla-
gen werden mochte, die war für ihn Wittenberg, nicht jener
Ort an der Elbe. Eine unglückliche locale Vorliebe aber
führte ihn in den Bereich einer ſtaatsklugen und verführeri-
ſchen Gewalt. Melanchthon drückte ſich in jenem Briefe auch
über den ihm ſchon mitgetheilten Entwurf des Interims ſehr
entgegenkommend aus. Er billigte den Artikel über die Kirche
und die Herſtellung der Gebräuche: er erwähnte ſelbſt, mit
welchem Vergnügen er in ſeiner Kindheit die kirchlichen Ceri-
monien mitgemacht; er brachte Vorſchläge bei wie die Prediger
zu gewinnen ſeyen: und meinte noch, ſeine Mäßigung werde
den Mächtigen nicht genugthun. Sie gereichte ihnen zum
höchſten Erſtaunen. Carlowitz theilte den Brief Jedermann
mit, der ihn ſehen wollte: zahlreiche Abſchriften giengen in
Augsburg von Hand in Hand: die Anweſenden können nicht
ausdrücken, wie zufrieden ſich die Prälaten darüber äußer-
ten, wie unglücklich ſich die Evangeliſchen darüber gefühlt
haben; die Geſandten ſchickten das Actenſtück ihren Höfen
ein. Auch dem Kaiſer ward das Schreiben vorgeleſen: „den
[79]Zuſammenkunft in Pegau.
habt ihr,“ ſoll er ausgerufen haben, „ſeht zu, daß ihr ihn
feſthaltet.“


Von einer Regierung, wie dieſe moritziſche war, ſo nach-
haltig und gewandt, ſo feſt in den einmal gefaßten Gedan-
ken und gnädig gegen jeden Einzelnen, die ſich vor allem
der Perſönlichkeiten zu bemächtigen ſuchte, ließ ſich wohl er-
warten daß ſie das verſtehn würde.


Am 23ſten Auguſt ward eine neue Zuſammenkunft zu
Pegau gehalten, wo die drei Biſchöfe, unter ihnen noch Georg
von Anhalt, der die geiſtliche Adminiſtration von Merſeburg
führte, neben Melanchthon noch ein andrer Wittenberger Pro-
feſſor, Paul Eber, und eine Anzahl fürſtlicher Räthe erſchienen.


Was man den Theologen damals bereits abgewonnen
hatte (es darf wohl angeführt werden, daß Melanchthon ein
paar Tage vorher, unter dem 20ſten Aug., dem Carlowitz eine
Schrift gewidmet hat), zeigt ſich recht, wenn man das Gut-
achten über die Lehre das ſie hier vorlegten, mit dem in
Meißen abgegebenen vergleicht, obwohl das Pegauer eigent-
lich nur eine Überarbeitung von jenem iſt.


Der Unterſchied war nicht allein, daß ſie Sätze weg-
ließen, worin die Verfaſſer des Interim und die tridentini-
ſchen Schlüſſe zugleich angegriffen waren, z. B. über die
Zweifelloſigkeit der Erlöſung, 1 oder in denen der urſprüng-
liche Gegenſatz beider Syſteme lebhaft hervorgehoben war,
[80]Neuntes Buch. Zweites Capitel.
wie da, wo von den Werken die Rede war, aus denen man
ohne Grund Gottesdienſt gemacht: in der Lehre von der
Rechtfertigung nahm man ſelbſt den Ausdruck eingegoſſene
Gerechtigkeit auf, der der entgegengeſetzten Anſicht angehört. 1
Julius Pflug war jedoch mit der Art wie das geſchah noch
nicht ganz befriedigt. Wenn die Theologen feſtſetzten, die
Gerechtigkeit des Verſöhnten bedeute nur, daß Gott ſich den
ſchwachen Anfang des Gehorſams um Chriſti willen gefal-
len laſſe, ſo forderte man katholiſcher Seits die Formel, daß
der Menſch durch den heil. Geiſt erneuert werde und das
Rechte mit der That vollbringen könne. Die Theologen ha-
ben auf Einreden der fürſtlichen Räthe endlich wirklich zu-
gegeben, daß beide Sätze vereinigt wurden. So iſt eine
Formel zu Stande gekommen, in der allerdings das prote-
ſtantiſche Prinzip vorherrſcht, die aber nichts weniger als
aus Einem Guſſe iſt: man ſieht gleichſam mit Augen, wie
eine Vorſtellung von anderm Urſprung mit demſelben in Be-
rührung geräth und dagegen vorzudringen ſucht. Höchlich
zufrieden erklärte ſich Julius Pflug. Da man über die Lehre
im Allgemeinen, über die Autorität der Kirche und die Sa-
cramente einverſtanden ſey, 2 ſo hofft er daß man ſich auch
in den übrigen Puncten im Sinne der kaiſerlichen Anord-
nung vereinigen werde.


[81]Zuſammenkunft in Celle.

Indeſſen gewann die Sache doch nicht den raſchen Fort-
gang den er vielleicht erwartete. Bei einer Zuſammenkunft
einiger Mitglieder der Ritterſchaft und einiger churfürſtlichen
Räthe mit den Theologen, die im October zu Torgau veran-
ſtaltet wurde, zeigten ſich die letzten unerſchütterlich. An der
Univerſität und in der Population war die Stimmung daß
man nichts mehr nachgeben dürfe. Man verglich wohl das
Interim mit dem Apfel welchen Eva dem Adam dargereicht:
ein einziger Biſſen habe dem Manne den Zorn Gottes zu-
gezogen. Es gieng eine Schrift von Hand in Hand unter
dem Titel, „daß man nichts verändern ſoll.“ 1 Dr Cruciger
meinte noch in den Phantaſien die ſeinem Tode voraus-
giengen, mit Disputationen dieſer Art geängſtigt zu werden,
aber Widerſtand zu leiſten. 2 Immer dringender jedoch wur-
den die churfürſtlichen Räthe. Am 17ten November, als
ihr Herr ſich bereitete nach Trient zu reiſen, um mit dem
Biſchof von Augsburg den Sohn des Kaiſers Don Phi-
lipp an den deutſchen Grenzen zu empfangen, hielten ſie eine
neue Zuſammenkunft zu Kloſtercelle mit den vornehmſten Su-
perintendenten und Predigern des Landes; nur die drei milde-
ſten Profeſſoren, Major, Camerarius und Melanchthon waren
zugegen. Die Räthe legten denſelben den Torgauer Entwurf,
jedoch mit abermaligen Modificationen vor, und erörterten da-
2
Ranke D. Geſch. V. 6
[82]Neuntes Buch. Zweites Capitel.
bei die Gefahr die eine Verwerfung deſſelben nach ſich ziehen
möchte: man könne bewirken, daß die Kloſtergüter, von de-
nen ſich jetzt Kirchen und Schulen erhalten, ihnen wieder
entriſſen würden, oder daß gar ein fremdes Kriegsvolk ein-
dringe und in Sachſen hauſe wie in Würtenberg. Vorſtel-
lungen, die auf die armen Gelehrten, welche an der Wahr-
haftigkeit und überlegenen Weltkenntniß dieſer Räthe keinen
Augenblick zweifelten, den größten Eindruck hervorbrachten.
Sie ſuchten nur den Vorwurf von ſich abzulehnen, als
ſeyen ſie ſtarrköpfige Leute: vielmehr betheuerten ſie, auch
ſie ſeyen kaiſerlicher Majeſtät und ihrem gnädigſten Herrn
zu unterthänigſtem gebührlichem Gehorſam erbötig. Ge-
nug ſie gaben nach. 1 Eine Formel kam dort in Celle zu
Stande, worin die biſchöfliche Jurisdiction wiederhergeſtellt
ward, ohne weitere Bedingung, als die ganz allgemeine,
das biſchöfliche Amt ſolle nach göttlichem Befehl ausgerich-
tet werden; ja der größte Theil der ſchon abgeſchafften Ce-
rimonien ward für wieder annehmbar erklärt, Firmelung,
Ölung, canoniſche Geſänge, Lichter, Gefäße, Läuten, faſt
der ganze Ritus der alten Meſſe, Faſten, Feiertage. Neh-
men wir Rückſicht auf die ſpätern Äußerungen der Theo-
logen, ſo läßt ſich wohl nicht bezweifeln, daß man ihnen
hier Vieles ſo zu ſagen über den Kopf weggenommen, ihr
Stillſchweigen für Übereinſtimmung erklärt hat; aber ſie
[83]Leipziger Interim.
wagten noch immer nicht zu widerſprechen. Ganz verän-
dert und umgekehrt zeigte ſich das Verhältniß, als die
Stände nach Leipzig berufen und dieſe Feſtſetzungen ihnen
mitgetheilt wurden. 1 Die Stände erhoben Bedenken: die
Theologen, weniger eifrig als ihre Pflegbefohlenen, ſuchten
dieſelben zu heben. Sie verſicherten, daß die Meſſe doch nie
ohne Communicanten Statt finden, das Frohnleichnamsfeſt
mit keiner Proceſſion verbunden, dem Öl keine abergläubi-
ſche Bedeutung beigelegt werden ſolle. Nach Maaßgabe
der zu Pegau und zu Celle getroffenen Vergleichungen ward
eine Schrift verfaßt, die unter dem Namen des Leipziger
Interim bekannt iſt, und als Norm für die Religionsübung
in den ſächſiſchen Landen dienen ſollte. 2 Als die Theolo-
gen ihr Werk anſahen, machte es ſie ſelber beſtürzt, daß ſie
ſich ſo weit hatten führen laſſen: ſie klagten, ſie ſeyen durch
die Meinungen der Machthaber unterdrückt; ihr Troſt war,
6*
[84]Neuntes Buch. Zweites Capitel.
daß doch alles was ſie zugegeben, ſich mit der Wahrheit
vereinigen laſſe, daß ſie dieß Joch nur auf ſich genommen,
um die Kirche der Verwüſtung nicht Preis zu geben. Und
ſo viel iſt gewiß, daß ſie, obwohl im Weichen und Nachgeben
begriffen, in Lehre und Cerimonien doch den evangeliſchen Lehr-
begriff in ſeinem Weſen nicht verletzt haben. Viele von dieſen
Satzungen und Gebräuchen waren eben ſolche, die Luther in
ſeinem Anfang nicht hatte wollen umſtürzen laſſen. Allein
welch ein unermeßlicher Unterſchied iſt es doch, das Herge-
brachte einſtweilen beſtehn laſſen, und das bereits Abgeſchaffte
wiederherſtellen. Dort ſchont der großmüthige Sieger: hier
unterwirft ſich, gedrängt und beängſtigt, der Beſiegte. Wenn
auch gemildert durch mannichfaltige Zugeſtändniſſe, immer war
es doch zuletzt die Idee der Einheit der lateiniſchen Kirche,
der man ſich durch die Umſtände genöthigt wieder unter-
warf. Nur ſo lange bis die nöthigen päpſtlichen Indulte
eingetroffen, überließen die Biſchöfe noch die Ordination den
proteſtantiſchen Predigern. Als Churfürſt Moritz von Trient
zurückkam, wo er mit dem Prinzen in das beſte Vernehmen
getreten, eilte er die Agende vollenden zu laſſen, die ſchon
in Celle entworfen worden war: im Mai ward ſie von den
Superintendenten angenommen, und bald darauf als Landes-
geſetz verkündigt.


Und ſo geſchah nun, daß während ſich anderwärts die
Oberhäupter der proteſtantiſchen Geiſtlichkeit zum Widerſtand
unter jeder Gefahr und Bedrängniß entſchloſſen, das Geburts-
land der proteſtantiſchen Entwickelung, die Mutteruniverſität,
von der die Anhänger der neuen Meinungen ausgegangen,
ja der große Lehrer ſelbſt, der allgemeine genannt, welcher
[85]Einfuͤhrung des Interims.
das höchſte Anſehen genoß, ſich der religiöſen Verordnung
des Kaiſers allerdings zwar nicht unterwarf, aber doch näher
anſchloß, als Jemand für möglich gehalten hätte. 1


Sein Beiſpiel und ſein Rath vermochten nun auch An-
dere zu einem ähnlichen Verfahren.


Triumphirend verkündigte Agricola in der Schloßkirche
zu Berlin die Zugeſtändniſſe der Wittenberger Theologen,
über welche zu Jüterbock mit den Räthen Joachims II Rück-
ſprache genommen worden, als eine Beſtätigung des kaiſer-
lichen Buches, das man ſo viel geſchmäht habe. Hierauf
fragten die märkiſchen Prediger in Wittenberg an, was es
mit ihren Beſchlüſſen auf ſich habe: ob wirklich das Wei-
hen von Waſſer, Salz und Öl, das Heben und Legen des
Kreuzes, Singen der Vigilien von ihnen hergeſtellt ſey; ob
man ſich wirklich wieder des von den Biſchöfen geweihten
Chrisma bediene? Gern, ſagen ſie, wollen wir bei eurer
Kirche bleiben und alles halten was ihr haltet, als eure
Schüler. Bugenhagen und Melanchthon antworteten, nie-
mals ſey es ihnen in Sinn gekommen, das Weihen von
Waſſer und Öl zu billigen, noch erſchalle die Lehre rein zu
Wittenberg und über den Inhalt der märkiſchen Kirchenord-
nung ſey man nicht hinausgegangen. Ihr Landesfürſt möge
das Interim nach Maaßgabe dieſer Übereinſtimmung einfüh-
ren. So viel ſey übrigens wahr, daß man eher eine harte
Knechtſchaft ertragen, als eine Verödung der Kirche zulaſ-
[86]Neuntes Buch. Zweites Capitel.
ſen müſſe. Und eben ſo antwortete Melanchthon den frän-
kiſchen Predigern. Nicht das ganze Interim, aber eine Kir-
chenordnung im Sinne deſſelben hatte man Dieſen vorgelegt,
und nur die Wahl zwiſchen deren Annahme oder dem Exil
gelaſſen. Viele waren geneigt auszuwandern: Melanchthon
dagegen rieth ihnen ſich nicht zu widerſetzen; ſey doch in
jener Ordnung weder von Weihungen noch von dem Ca-
non die Rede, überhaupt nichts darin enthalten was der
Lehre geradezu widerſpreche. „Wir müſſen nur darauf den-
ken,“ ſagt er, „daß die Kirche nicht verlaſſen, die Stimme
der Wahrheit nicht unterdrückt werde: eine gewiſſe Knechtſchaft
müſſen wir dulden, wenn ſie nur ohne Gottloſigkeit iſt.“ 1


Unglückſeliger Zuſtand! Jedes Widerſtreben gegen das
interimiſtiſche Anſinnen erfreute ſein Herz. Den noch Un-
bedrängten wünſchte er Glück zu ihrer Freiheit: von den noch
obſchwebenden Berathungen über den Canon in der Meſſe,
[87]Einfuͤhrung des Interims.
auf deſſen Wiederaufnahme Julius Pflug drang, ſo wie über
die Art und Weiſe der herzuſtellenden biſchöflichen Gewalt
fürchtete er noch Schlimmeres; aber indem er klagte daß
man Drohungen und Sophismen verbinde, geheimen Zwang
ausübe, fügte er ſich demſelben doch bis auf einen gewiſſen
Punct und rieth Andern ſich ebenfalls zu unterwerfen. Er
mußte erleben, daß ſeine beſten und wenigſtens würdigſten
Freunde an ihm irre wurden; der anmahnende Brief den
Calvin an ihn erließ, war voll von Hingebung, Anerken-
nung und Milde, aber er mußte ihm das Herz zerſchneiden. 1


Wie in den Oberlanden, ſo machte ſich hierauf das
Interim, obwohl unter gewiſſen Milderungen, auch in den
nördlichen und öſtlichen Fürſtenthümern geltend.


In Heſſen ſchritt man endlich zur Einführung dieſer
Formel, ſo ſehr die nunmehr herrſchend gewordene Gewohn-
heit, das religiöſe Bewußtſeyn, das Selbſtgefühl der Land-
ſchaft ſich dagegen ſträubten. Im Frühjahr 1549 melde-
ten die Söhne des gefangenen Landgrafen, das Interim ſey
zum guten Theil aufgerichtet, wegen des übrigen ſtehe man
im Werk: „wahrlich nicht mit geringer Beſchwerung vieler
chriſtlichen und gutherzigen Gewiſſen.“


Den Herzogen von Pommern machte der Kaiſer die
Annahme des Interims zur Bedingung ihrer Ausſöhnung.
Sie beriefen ihre vornehmſten Theologen und Prädicanten
nach Colbatz, und wenigſtens einen Theil derſelben überre-
[88]Neuntes Buch. Zweites Capitel.
deten ſie: wie man denn in Greifswald ohnehin gewohnt
war, dem Beiſpiele Bugenhagens, den Lehren Melanchthons
ſich anzuſchließen. Bartholomäus Suave, Biſchof von Ca-
min, aber evangeliſch und verheirathet, mußte auf den aus-
drücklichen Befehl des Kaiſers das Bisthum fahren laſſen.
Die Fürſten leiſteten auf den kirchlichen Einfluß den ſie bis-
her ausgeübt, förmlich Verzicht: dem Rath von Stral-
ſund haben ſie erklärt, darin Diejenigen ſchaffen laſſen zu
wollen, denen ſolches Amts halber gebühre. Nach dem Mu-
ſter des Leipziger Interim ward auch hier zunächſt eine ver-
mittelnde Formel aufgeſtellt.


Als Herzog Ulrich von Meklenburg zum Biſchof von
Schwerin poſtulirt ward, hielt er doch für gut, die Weihen
nach der Gewohnheit der alten Kirche zu nehmen. Der Bi-
ſchof Magnus von Skara ertheilte ſie ihm, wie er ſagt „un-
ter Mitwirkung der Gnade des ſiebenfältigen Geiſtes.“


Der Herzog von Cleve mußte jetzt endlich, was er bisher
noch immer vermieden, auf die Ausführung ſeines Tractats
mit dem Kaiſer denken: in Soeſt, Weſel, Lippſtadt ord-
nete er die Einführung des Interim an. Mit vielem Selbſt-
gefühl ließ ſich ſein Bevollmächtigter Gropper in Soeſt ver-
nehmen: „So will es S. kaiſ. Maj.“, rief er aus, „ſo will
es mein gnädigſter Fürſt, ſo will auch ich es haben.“ 1


Im Lippiſchen widerſetzten ſich vergebens die entſchloſ-
ſenſten Prädicanten, — merkwürdiger Weiſe vornehmlich Die,
welche aus dem Mönchthum übergetreten, — aber es gab
andre die ſich fügten.


In Oſtfriesland ſetzte der Canzler Weſten, deſſen Ge-
[89]Einfuͤhrung des Interims.
ſinnung jedoch Vielen zweifelhaft erſchien, ein Kirchenformu-
lar durch, kraft deſſen die weißen Chorröcke wieder erſchienen,
lateiniſche Geſänge, und was dem mehr: obgleich man auch
hier nicht alle Anordnungen des kaiſerlichen Buches einführte.


Wohl hörte die Oppoſition in alle den genannten Län-
dern darum nicht auf, aber die äußere Einheit machte doch
Tag für Tag Fortſchritte.


Und indeſſen wurden im katholiſchen Deutſchland kraft
eines von den Prälaten noch zu Augsburg gefaßten Beſchluſ-
ſes überall Synoden der Diöceſen und der Provinzen ge-
halten, um die von dem Kaiſer gebotene Reformation ein-
zuführen.


Beide Theile wurden von ſeinem Einfluß, ſeinem Wil-
len beherrſcht.


Der Fortgang ſeines Unternehmens war ſo glücklich
und umfaſſend, daß er wohl meinte auch die ſcandinaviſchen
Reiche herbeizubringen, ſein Interim auch in England durch-
zuſetzen. Hatte ihn doch der Czaar von Moscau um die
Zuſendung wie andrer Gelehrten ſo auch einiger Theologen
erſucht, und wenn wir recht unterrichtet ſind, die Abſicht
kund gegeben, durch ſeine Bevollmächtigten an dem verſpro-
chenen freien chriſtlichen Concil Antheil zu nehmen. 1


[[90]]

Drittes Capitel.
Stellung und Politik Carls V 1549 — 1551.


Dergeſtalt machte ſich, ſeit mehr als drei Jahrhunder-
ten zum erſten Mal, ein durchgreifender Wille in Deutſch-
land geltend, und zwar in derſelben zwiefachen Richtung, in
welcher die alten Kaiſer gewirkt. Es konnte ſcheinen als
würde der Druck den man erfuhr wenigſtens dadurch ver-
gütet werden, daß die alte Macht der deutſchen Nation, ihr
Übergewicht in Europa wiederhergeſtellt würde.


Wir haben jedoch längſt bemerkt, daß die Intereſſen
der Nation und ihres Oberhauptes mit nichten in einander
aufgiengen.


Carl V war ein Sprößling des burgundiſchen Hauſes,
das mit nationalen Beſtrebungen nichts gemein hatte.


Im funfzehnten Jahrhundert, als die kirchliche Einheit
nicht mehr ſo unbedingt vorwaltete, die Erbfolgekriege zu
haltbarem Beſitzſtand geführt hatten, England von Frank-
reich, Italien von Spanien, Polen von Ungarn abgeſondert
worden, und ſeitdem die Nationalitäten ſich in feſten Schran-
ken zu entwickeln begannen, auch die deutſche Nation den
Verſuch machte alle ihre Glieder durch umfaſſende Einrich-
[91]Stellung und Politik CarlsV.
tungen zu vereinigen, da war auch dieſe burgundiſche Macht
emporgekommen: aber im Widerſpruch mit allem nationalen
Beſtreben, nur auf Anſprüche der Erbfolge und Übergewicht
der Kräfte über die jedesmaligen Gegner gegründet: auf die-
ſem Grunde emporſtrebend und vom Glück begünſtigt. Carl
der Kühne kam um, indem er ſeine Herrſchaft über die Grenz-
lande von Deutſchland und Frankreich auszudehnen ſuchte.
Wie weit aber ſollte der Fortgang ſeines Hauſes die Erwar-
tungen übertreffen die er hätte hegen können. Carln V,
der an dem von ſeinem Ahnherrn gebildeten Hofe, welcher
deſſen Ideen feſthielt, erzogen worden, der den dynaſtiſchen
Gedanken Burgunds in ſeinem Wahlſpruch „Mehr Weiter“
auf ſeine Münzen prägen ließ, koſtete es einige Mühe, in
den verſchiedenen Ländern die ihm zufielen, in Beſitz zu kom-
men: in den ſpaniſchen Königreichen, wo er mit einer gro-
ßen Rebellion zu kämpfen hatte, in Italien, wo ihm ein
mächtiger Nebenbuhler lange Jahre die Spitze bot; aber
es gelang ihm damit: dieſer Nebenbuhler, urſprünglich an
Anſehen überlegen, vermochte doch das aufkommende Glück
Carls V nicht niederzuhalten: bald ſehen wir es wie in ſelb-
ſtändigem Fluge ſich erheben und den Glanz der franzöſiſchen
Waffen und Macht verdunkeln. Nicht minder gelang es
Carl V, die Beſchränkung die ihm jedes einzelne ſeiner Län-
der aufzulegen ſuchte, zu durchbrechen. Wir haben bemerkt,
wie Caſtilien zu ſeinen deutſchen Kriegen beiſteuerte; — ein
Sohn jenes ſeines niederländiſchen Freundes, des Vicekönigs
Lannoy, führte ihm neapolitaniſche Reiter über die Alpen; —
Deutſche und Italiener kämpften für ihn auf den africaniſchen
Küſten; — Antwerpen kam durch den Verkehr mit Spanien
[92]Neuntes Buch. Drittes Capitel.
und die Rückwirkung der Colonien in Aſien und Amerika empor
und vermittelte ſeine Geldhaushaltung. Eine gewiſſe Einheit
iſt dieſer Macht nicht abzuſprechen, aber man würde in Ver-
legenheit ſeyn, wenn man ſie mit einem beſtimmten an eine
Nation anknüpfenden Ausdruck bezeichnen ſollte. Noch dürfte
man nicht von einer ſpaniſchen Monarchie im ſpätern Sinne
des Worts reden: dazu war das ſpaniſche Element, da die
Niederlande noch ungetrennt gehorchten, da die höchſte Würde,
das Kaiſerthum, von ſo ganz anderm Urſprung herrührte,
noch nicht vorwaltend genug; eher machten die Brabanter
den Anſpruch alles zu regieren, 1 doch waren auch ſie durch
die Maſſe der übrigen Beſtandtheile weit überwogen: die
Einheit der Macht beruhte blos in der Perſon, dem Hauſe
des Fürſten ſelbſt, wie denn durch ihn allein geſchah daß
die Länder zuſammengehörten.


Wir werden uns, denke ich, nicht täuſchen, wenn wir aus
dieſer Lage der Umſtände das Verfahren herleiten, das er in
der innern Regierung ſeiner Länder befolgte. Es war keins,
aus deſſen Mitte ihm nicht ein beſondrer Wille entgegengetre-
ten wäre, wo er nicht mit Landſtänden zu verhandeln gehabt
hätte, von deren Bewilligung die Summe ſeiner Einkünfte
abhieng: er mußte ihre beſondern localen Intereſſen ſchonen
und fördern; aber niemals durfte er irgend einem von ihnen
überwiegenden Einfluß auf das Ganze ſeiner Verwaltung ge-
ſtatten: er würde damit alle andern verletzt haben und über-
haupt aus dem Mittelpunct ſeiner Gedanken gewichen ſeyn.
[93]Stellung und Politik CarlsV.
Die Macht die er beſaß, war nichts Fertiges, Abgeſchloſſe-
nes, ſondern etwas noch immerfort Werdendes, Sich-ent-
wickelndes: noch hatte er nach allen Seiten hin Anſprüche
und Pläne, an die er große Gedanken anknüpfte. Die For-
derung die er an ſeine Landſchaften ſtellte war hauptſächlich,
ihn bei Verfolgung derſelben in ſeinen auswärtigen Ange-
legenheiten zu unterſtützen, mit Leuten, Waffen und Geld:
beſonders mit Geld, wofür alles andre leicht zu bekommen
war: ſie dazu zu ſtimmen, bildete einen vorzüglichen Geſichts-
punct ſeiner Staatsverwaltung. Es leuchtet ein, daß die de-
liberativen Verſammlungen, die früher überall auf eine wenn
gleich minder mächtige, aber doch unabhängige centrale Re-
gierung Einfluß gehabt, dadurch nicht wenig verloren. Gar
bald finden wir in Caſtilien zwar noch die Städte ſich ver-
ſammeln, welche Bewilligungen machen, nicht aber die Gran-
den und hohen Prälaten, die den Königen einſt Geſetze ge-
geben. Nicht mehr die großen Angelegenheiten, deren Ent-
ſcheidung früher von Wirkung und Rückwirkung der entge-
gengeſetzten Parteien abhieng, ſondern nur provincielle In-
tereſſen kamen überall in den ſtändiſchen Verſammlungen zur
Sprache. Überhaupt muß man ſagen daß die Regierung
Carls V dem Prinzip ſtändiſcher, republicaniſcher oder muni-
cipaler Freiheit nicht günſtig war. In Italien wollte er auch
da, wo er nicht ſeine Herrſchaft, nur ſeinen Einfluß gegründet,
keine freie Bewegung der Kräfte, die leicht zu einem ihm un-
bequemen Umſchwung hätte führen können. Er hat Florenz
den Medici überliefert, in Genua alles gethan um das Über-
gewicht der Doria zu befeſtigen. Der letzte Mann der die
Herſtellung der republikaniſchen Freiheiten in Italien in Sinn
[94]Neuntes Buch. Drittes Capitel.
faßte, Franz Burlamacchi von Lucca, iſt in einem ſeiner Ge-
fängniſſe zu Mailand geſtorben. Wir berührten, wie die
Stadt Gent bei dem erſten Verſuche den ſie machte, von
dem alten Begriffe ſtändiſcher Berechtigung aus auf die Krieg-
führung Einfluß zu gewinnen, behandelt wurde. In dem
Umkreiſe dieſer Gewalt, gleichviel ob ſie eine directe oder
eine indirecte Herrſchaft ausübte, durfte kein Widerſtreben
ſichtbar werden. Carl V beſaß die Miſchung von Klugheit
und Nachhaltigkeit die dazu gehörte um ein ſolches Verfah-
ren durchzuführen, ohne doch das Selbſtgefühl der verſchie-
denen Provinzen zur Empörung aufzureizen.


Nun liegt am Tage, daß ein ähnliches Syſtem auch
in Deutſchland befolgt werden mußte, und befolgt ward.


So höchſt erwünſcht der Beſitz des Kaiſerthums war,
welches dieſer ganzen Macht erſt einen Namen gab, ſo gieng
doch der Sinn Carls V nicht dahin, außer vielleicht in Ei-
nem Puncte, deſſen wir bald gedenken werden, der Corpora-
tion, welche ihm die Würde übertragen, den Anſpruch zu
geſtatten den ſie machte, bei der Verwaltung derſelben einen
weſentlichen Einfluß auszuüben. Er entzog ſeine Niederlande
vollends der höchſten Gerichtsbarkeit des Reiches; während
er verſprochen die abgekommenen Reichslande wieder herbei-
zubringen und bei dem Reiche zu laſſen, riß er vielmehr ein
altes Reichsland, das Bisthum Utrecht, davon ab und ein-
verleibte es ſeinen eignen Landen; die italieniſchen Lehen, zu-
letzt auch Mailand, nachdem es ihm ſo lange zu einem Mo-
ment ſeiner Unterhandlungen gedient, vergabte er ohne Rück-
ſicht auf die Reichsfürſten; er ſah das Reichsſiegel mit Ver-
gnügen aus den Händen des Reichserzcanzlers in die Hände
[95]Stellung und Politik CarlsV.
ſeines vertrauteſten Rathes Granvella übergehn; der ihm
aufgelegten Capitulation zum Trotz hielt er fremde Truppen
im Reiche.


Für die innere Verwaltung des Reichs war ihm der
religiöſe Zwieſpalt, der ſie übrigens ſo ſchwierig machte, doch
in einer andern Beziehung wieder vortheilhaft. Wir wiſ-
ſen, wie die Proteſtanten durch die Zugeſtändniſſe die ihnen
geſchahen, gewonnen wurden und dabei doch auch die Ka-
tholiſchen, beſonders die Biſchöfe, den vornehmſten Rückhalt
der ihr Beſtehen ſicherte, in der kaiſerlichen Macht erblickten.
Schon bisher kam es denn doch zu allgemeinen Bewilligun-
gen, gemeinſchaftlichen Kriegszügen, wiewohl in der Regel erſt
nach zweifelhaften Unterhandlungen und neuen Conceſſionen.
Nunmehr aber war es ihm gelungen, auch dieſer Nothwen-
digkeit widerſprechender Rückſichten zu entkommen; in Folge
des Krieges beherrſchte er die Berathungen der Reichsver-
ſammlung zu Augsburg, wenn nicht vollſtändig, doch in
ihren wichtigſten Momenten: der deutſche Reichstag fieng
an, ſeinem Einfluß zu unterliegen, ſo gut wie andre Stände-
verſammlungen ſeiner Lande. Auch die Autonomie der Städte
hat er, obwohl er ſich zuweilen als Städtefreund bezeichnete,
in Deutſchland ſo wenig begünſtigt wie in ſeinen erblichen
Gebieten. Den Antheil an der Reichsregierung, den ſie un-
ter ſeinen letzten Vorfahren wenn nicht ganz rechtsbeſtän-
dig, doch thatſächlich gewonnen, haben ſie unter ihm, eben
auch großentheils in Folge des Krieges, welcher eine Art
von Städtekrieg und zwar der unglücklichſte von allen ge-
weſen iſt, wieder verloren. Genug, zu der Macht welche
die Regierung der übrigen dem burgundiſch-öſtreichiſchen Hauſe
[96]Neuntes Buch. Drittes Capitel.
angefallenen Länder bildete, kam nun auch eine tief eingrei-
fende Reichsgewalt. Carl V war in den Jahren wo wir
ſtehen der große Fürſt von Europa.


Fragen wir aber, was er in Beſitz dieſer Stellung nun
weiter beabſichtigte, ſo erfüllte ihn vor allem der Ehrgeiz,
was er war, in vollem Sinne des Wortes zu ſeyn, nem-
lich Kaiſer.


Er hatte dieſe Würde, in Bezug auf Macht, aus der
Hand ſeines Vorgängers mehr wie einen Anſpruch empfan-
gen: er war entſchloſſen denſelben auszuführen.


Er faßte aber das Kaiſerthum nicht ſo auf, daß er
ſich bloß als Oberhaupt des deutſchen Reichskörpers erſchie-
nen wäre: er betrachtete ſich alles Ernſtes, wie die alten Kai-
ſer gethan, als das weltliche Oberhaupt der Chriſtenheit.


Da hatte er nun den unermeßlichen Vortheil, daß er
nicht auf Deutſchland allein angewieſen war: die Kräfte al-
ler ſeiner Reiche wirkten dafür zuſammen. Der Beſitz je-
ner burgundiſchen, ſpaniſchen, italieniſchen, deutſchen Lande,
verbunden mit dem Königthum ſeines Bruders in Ungarn
und Böhmen, gewann eine höhere allgemeine Bedeutung, in-
dem die Realiſation der höchſten Ideen der weltlichen Macht
im Abendlande ſich daran knüpfte.


In den Jahren ſeiner Jugend, bis ziemlich tief in ſein
Mannesalter hinein, war es nun ſein vornehmſter Wunſch,
nachdem die Chriſtenheit ſeit dritthalb Jahrhunderten nur
Verluſte erfahren, ihr wieder einmal einen Sieg zu verſchaf-
fen. Eine der vornehmſten Tendenzen der ſpaniſchen Na-
tion zur Eroberung und Coloniſation von Nordafrica und
die drohende Gefahr, in welcher ſich Deutſchland, vor al-
[97]Stellung und Politik CarlsV.
lem ſein Bruder durch die Osmanen ſah, gaben ihm hiezu
einen gleich ſtarken Antrieb. Er ſah ſich in Gedanken ſchon
in Conſtantinopel, in Jeruſalem. Seinen Zug gegen Tunis
ließ er ſich im Ton einer Kreuzfahrt beſchreiben.


In den ſpätern Zeiten nahm jedoch ſein kaiſerlicher Ehr-
geiz eine andre Wendung.


Indem er im Jahre 1541, 42 zu beiden Seiten mit
den Osmanen ſchlug, ſah er plötzlich durch eine allgemeine
Combination ſeine Macht in dem Innern von Europa ge-
fährdet, und mit Nothwendigkeit erhob ſich ihm der Ge-
danke, daß er vor allem andern erſt dieſe befeſtigen, eine
beſſere innere Einheit gründen müſſe. 1 Es war der gefähr-
lichſte Augenblick den er erlebt hat, aber die Politik die er in
demſelben nach dem Innern gewandt ergriff, führte ihn raſch
zu den glücklichſten Erfolgen. Dort in der Nähe von Pa-
ris, wiewohl die Würfel noch zweifelhaft lagen, nöthigte er
doch den König Franz, zugleich auf ſeinen Bund mit den
Osmanen Verzicht zu leiſten und Zuſagen zu thun die ſelbſt
gegen den Papſt angewandt werden konnten. Denn in-
dem der Kaiſer die weltliche Einheit einigermaßen befeſtigte,
war er ſchon entſchloſſen auch die geiſtliche wiederherzuſtel-
len. Wirklich konnte der Papſt ſich nun nicht mehr ſträu-
ben das lange verſprochene Concilium anzukündigen. Daß
die Proteſtanten ſich weigerten es anzuerkennen, ward ein
Anlaß auch ſie mit Gewalt der Waffen heimzuſuchen. Der
glückliche Ausgang dieſer Unternehmung gründete die Macht
in deren Beſitz wir den Kaiſer ſehen: zur Wiederaufrichtung
Ranke D. Geſch. IV. 7
[98]Neuntes Buch. Drittes Capitel.
der alten Einheit fehlte es eigentlich an nichts, als an dem
Verſtändniß mit dem geiſtlichen Oberhaupt. Und war nicht
ſchon das ein großes Reſultat daß Carl V den alten Kampf
der weltlichen Macht gegen die geiſtliche, nicht wie frühere
oder ſpätere Könige mit beſchränkten Geſichtspuncten, ſon-
dern ganz im Allgemeinen, in den Angelegenheiten desjeni-
gen Conciliums das wirklich die katholiſche Rechtgläubigkeit
und Kirchenverfaſſung auf die folgenden Jahrhunderte fixirt
hat, wiederaufnehmen konnte? Einer ſeiner urſprünglichen
Gedanken, mit dem er bei ſeiner erſten Ankunft in Deutſch-
land auftrat, war die Reinigung und Reform der Kirche,
freilich in einem andern Sinn als in welchem Luther ſie
unternahm, in einem ſolchen, bei dem er als das weltliche
Oberhaupt der lateiniſchen Chriſtenheit beſtehn oder vielmehr
erſt wahrhaft auftreten konnte. Hiefür war es ihm lieb,
ſich auf die Bedürfniſſe und die Autorität des Reiches ſtützen
zu können. Die Anordnungen geiſtlichen Inhalts die er unter
Autoriſation des Reiches getroffen hat, gaben ihm eine geiſtliche
Berechtigung. Jetzt nun lebte und webte er in dieſem Gedan-
ken: ſeine geiſtlichen Einrichtungen im Reiche durchzuführen,
an den conciliaren Angelegenheiten eingreifenden Antheil zu
nehmen, beſonders die Reform ins Werk zu ſetzen, die auch
den römiſchen Hof betreffen mußte: Abſichten die nur dem
allgemeinen Wohle zu gelten ſchienen, aber dabei doch die
größte Machterwerbung herbeizuführen, den Fortſetzer Carls
des Kühnen wirklich zum Oberhaupt des Occidents zu ma-
chen verſprachen.


Wohl lag in dem urſprünglichen Begriffe des deutſchen
Kaiſerthums die Möglichkeit einer ähnlichen Stellung. Wäre
Carl V ein Deutſcher geweſen, von den nationalen Ideen
[99]Stellung und Politik CarlsV.
jener Zeit durchdrungen, allein auf die Hülfe der Nation
angewieſen, ſo konnte er eben ſo gut darnach ſtreben, doch
nur in evangeliſchem Sinne. Jetzt aber nahm er ſie in
Beſitz in Folge eines Sieges über die nationalen Beſtre-
bungen und Bündniſſe, zu welchem er durch ſpaniſche und
italieniſche Kräfte und eine fremde Gelehrſamkeit unterſtützt
worden war. Könnte man nicht vielmehr ſagen, daß er
das Kaiſerthum der deutſchen Nation entfremdete und gegen
dieſelbe kehrte, als daß er es in ihrem Sinne verwaltet
hätte, zu ihrem Beſten?


Seine Verhältniſſe waren nun aber nicht ſo beſchaffen, daß
ſie ihm nicht die mannichfaltigſte Rückſicht aufgelegt hätten.


Er hatte ſich zu dem Frieden mit den Osmanen beque-
men müſſen, die ſeine natürlichen Feinde waren und blieben.


Sein Glück wollte, daß dem neuen König von Frank-
reich die Zahlung der Geldſummen welche ſein Vater den
Engländern verſprochen gegen die geringe Sicherheit der da-
gegen ſtipulirten Herausgabe von Boulogne eine zu große
Laſt ſchien, und ſo der Krieg zwiſchen England und Frank-
reich, kaum beſchwichtigt, wieder ausbrach und die beiden
Nationen fürs Erſte vollauf beſchäftigte. Carl hütete ſich
wohl, ſich in ihre Zwiſtigkeiten einzulaſſen: man hat ihm
vielmehr Schuld gegeben daß er ſie nähre: gewiß hieng
es von denſelben ab daß er nach andern Seiten hin freie
Hand behielt.


Dabei verſäumte er jedoch nicht alle Bewegungen des
Königs von Frankreich mit ſcharfer Aufmerkſamkeit zu be-
gleiten. Die Unterhandlungen deſſelben mit dem Papſt und
mit Venedig gaben ſeinen Geſandten viel zu vermuthen und
7*
[100]Neuntes Buch. Drittes Capitel.
zu ſchreiben. 1 Die kaiſerlichen Miniſter drücken ſich zwar un-
beſorgt darüber aus, weil doch kein Theil dem andern trauen
werde: unter der Hand aber ergreifen ſie ſchon Maaßregeln
gegen ihre Erfolge. Mitten im Frieden nehmen ſie Anerbie-
tungen franzöſiſcher Hauptleute an, die etwa dahin zielen
ihnen eine Feſtung des Königs zu überliefern, und zahlen
ihnen Geld dafür, mit der Weiſung daß ſie ſich ſtill halten
ſollen bis etwa der König den Frieden breche. 2


Einer der vornehmſten Geſichtspuncte des Kaiſers gieng
dahin, keine Verbindungen der Franzoſen in Deutſchland zu
dulden, weder mit den Fürſten noch auch mit den Kriegshaupt-
leuten. Das Geſetz das er am Reichstage durchbrachte, daß
Niemand fremde Kriegsdienſte nehmen dürfe, nicht allein nicht
wider ihn oder ſeinen Bruder, ſondern auch nicht ohne ihre
Genehmigung, — das jedoch auch aus allgemeinen Gründen,
hauptſächlich darum Widerſpruch fand, weil es dem Kriegs-
gewerbe ſchade und man einmal keine Kriegsleute mehr finden
möchte, wenn man ihrer bedürfe, — war hauptſächlich ge-
gen Frankreich gerichtet. Und aufs ſtrengſte ward es in Voll-
zug geſetzt. Der Hauptmann Sebaſtian Vogelsberger hatte
dem König von Frankreich bei Gelegenheit ſeiner Salbung
ein paar Fähnlein zugeführt, die zu einer Demonſtration ge-
gen die engliſche Grenze gebraucht worden waren. Noch
während des Reichstags von Augsburg ward er dafür —
nicht ohne Hinterliſt — gefangen genommen, herbeigeführt
[101]Stellung und Politik CarlsV.
und zum Tode verurtheilt. Vogelsberger war ein ſchöner
Mann, „daß ich nicht weiß,“ ſagt Saſtrow, „ob ein Ma-
ler einen Mann anſehnlicher hätte malen können, hohes Ge-
müths, anſchlegig und beredt“: gut evangeliſch: die Prote-
ſtanten richteten nach ſo vielen Verluſten die ſie erlitten ihre
Augen auf ihn. „Herr Conrad,“ ſagte er zu Conrad von
Boineburg, den er auf ſeinem Wege zur Richtſtätte anſich-
tig ward, „iſt mir nicht zu helfen?“ „Mein Baſtian,“ ant-
wortete ihm Boineburg, „helfe Euch unſer Herre Gott.“
„Der wird mir auch helfen,“ antwortete Vogelsberger, und
ſchritt mit aufgerichtetem Haupte zum Richtplatz; er ſtarb,
vollkommen im Gefühl daß er unſchuldig leide; im Grunde
war dieß die allgemeine Meinung. Der Kaiſer ward ohne
Zweifel dadurch zu ſeinem Verfahren bewogen, daß einige
der nahmhafteſten Oberſten, der Rheingraf, Reckerode, Schärt-
lin, nach Frankreich geflohen waren und unter dem deutſchen
Kriegsvolk noch zahlreichen Anhang hatten. Durch den
Schrecken dieſer Execution ſuchte er alle Verbindung mit
ihnen abzuſchneiden.


Jede Nachricht von der Anweſenheit eines deutſchen Be-
vollmächtigten am franzöſiſchen Hofe ſetzt ihn in Aufregung.
Er beauftragt ſeinen Geſandten, alles zu thun um dahinter
zu kommen, ob ein ſolcher auch wirklich nur das betreibe,
was er als den Zweck ſeiner Sendung angiebt, oder viel-
leicht gar etwas Pflichtwidriges; er ſoll dabei kein Geld ſpa-
ren: denn es ſey eine Sache die man ergründen müſſe.


Eben ſo hat der Geſandte die Anweiſung, die Unter-
handlungen der einzelnen italieniſchen Fürſten mit Frankreich
im Auge zu behalten. Man dürfte nicht ſagen, daß der
[102]Neuntes Buch. Drittes Capitel.
Kaiſer keinen Grund dazu gehabt habe dieß zu befehlen —
der Herzog von Ferrara z. B., der ihm ſo viel verdankte, hatte
doch geſagt, er wolle ſein Land auf keine Weiſe gefährden,
auch nicht zu Gunſten des Kaiſers, — aber es bezeichnet ſein
in jedem Augenblick unſicheres Verhältniß, daß es ſo war.


Obgleich die venezianiſche Regierung ihm Vertrauen ein-
flößte, ſo verſäumte er doch nicht, immer einige der vornehm-
ſten Edelleute ihrer Terra ferma in ſeine Dienſte zu nehmen.
Die alte gibelliniſche Geſinnung der Colonnas diente ihm
den Papſt mitten in Rom doch immer in einer gewiſſen Be-
ſorgniß zu halten.


Gar mancher von den Räthen deutſcher Fürſten bezieht
eine Beſoldung von ihm, unter Andern Carlowitz: die Für-
ſten ſelbſt, oder wenigſtens die jüngeren Söhne aus den re-
gierenden Häuſern, ſind nicht ſelten durch Jahrgelder oder
Kriegsdienſte an ihn gefeſſelt. Selbſt an dem Hofe ſeines
Bruders ſucht er nicht allein Freunde zu haben, ſeine Ge-
ſandten geben ihm über die Geſinnung und politiſche Ten-
denz der Räthe deſſelben, über jede Abweichung ihrer Politik
von der kaiſerlichen eine nicht allzeit günſtige Kunde.


Mit ungemeiner Rückſicht wurden auch die entfernten
Höfe behandelt. Mit dem jungen Sigismund Auguſt von
Polen ſtand man nicht immer gut. Zu den preußiſchen An-
gelegenheiten, wo er die Widerpart des Kaiſers hielt, kamen
bald die ſiebenbürgiſchen hinzu; ſeine Vermählung mit einer
Eingebornen, nach dem frühen Tode einer öſtreichiſchen Prin-
zeſſin, die ſich dort keinen Augenblick glücklich gefühlt, hatte
kein gutes Blut gemacht; allein für alle ungariſchen, os-
maniſchen, ſelbſt für die erbländiſchen Verhältniſſe, — ich
[103]Stellung und Politik CarlsV.
finde unter andern, daß die Franzoſen ihn aufgefordert ſeine
alten Rechte an Schleſien geltend zu machen, — war ein
freundliches Vernehmen mit ihm unſchätzbar. Der Kaiſer
hätte ſonſt dem Großfürſten von Moscau gern den Titel
König, wie er es wünſchte, beigelegt: — die Rückſicht auf
Polen hielt ihn davon ab. 1


Noch viel begründeter war die Feindſeligkeit des Hau-
ſes Öſtreich gegen Dänemark: aber da die Niederlande ſchon
einmal die Nachtheile des Krieges empfunden, ſo mußte es
bei der Anerkennung Chriſtians III ſein Verbleiben haben,
wie ſehr auch das pfälziſche Haus ſich dagegen ſträubte.
Deutſche Fürſten ſuchten zuweilen durch die Fürſprache des
Königs in die Gnade des Kaiſers zu kommen; 2 Chriſtian
vermittelte ein freundſchaftliches Verhältniß zwiſchen Carl V
und Guſtav Waſa.


Wie weit die vorſorgende Umſicht gieng, davon iſt ein
Beiſpiel, daß einſt der portugieſiſche Geſandte am franzöſiſchen
Hofe bedeutet ward, nicht zu vortheilhaft von der Macht
des Sheriff von Marocco zu ſprechen, weil man dort ſonſt
Luſt bekomme ſich mit demſelben zu verbinden.


Die Erwägung und Behandlung dieſer Angelegenheiten
bildete nun das Tagewerk des Kaiſers.


In dem Briefwechſel deſſelben mit ſeinem Bruder, ſei-
ner Schweſter Maria, ſeinen Geſandten, beſitzen wir davon
die merkwürdigſten Documente. Die Briefe ſind wie Ge-
ſpräche, wo alle Verhältniſſe, große und kleine, durchgegan-
[104]Neuntes Buch. Drittes Capitel.
gen, hin und wieder erwogen werden: und ſo geſchieht es
wohl daß ſie zuweilen ein wenig gedehnt erſcheinen; allein
ſie zeigen ein vollkommenes, den Geiſt erfüllendes Bewußt-
ſeyn des gegenwärtigen Moments, den ſie auf das trefflichſte
erläutern: ſie ſind gründlich und fein, umfaſſend und ein-
dringend, ſie eröffnen die Motive der Handlungen mit über-
raſchender Klarheit, und halten immer an der großen Ten-
denz feſt, welche einmal ergriffen worden. Man dürfte aber
nicht glauben daß ſie alles ſagen. Ferdinand redet wohl
einmal von der Möglichkeit, daß der Kaiſer Herr von
Deutſchland werden könne: Carl V würde dieß Wort nie-
mals ausſprechen, niemals giebt er ſich bloß.


Vielmehr mit der unausgeſprochenen Abſicht die in ſei-
ner Seele lebt, beherrſcht er alle und leitet er alles.


Anfangs führten Chievres und Gattinara die Geſchäfte:
da bemerkte man nur, wie eifrig der junge Fürſt ſich denſelben
widme, wie er ſein vornehmſtes Vergnügen daran finde;
nach Gattinaras Tod nahm er ſie ſelber in die Hand.


Noch heißt es eine Zeitlang, er thue nichts ohne ſeine
Miniſter: bald darauf hören wir, daß ſie nichts thun ohne
ihn; allmählig bekennt ein Jeder, daß er ſelbſt die Haupt-
ſache ausrichtet, daß er von den klugen Leuten die er um
ſich verſammelt, ſelber der Klügſte iſt.


In dem Miniſter der ihm während der großen Ereig-
niſſe die wir betrachtet, vornehmlich zur Seite ſtand, Nico-
las Perrenot Granvella, dem ältern, hatte er jedoch in die-
ſem Rufe faſt einen Nebenbuhler und gewiß einen unver-
gleichlichen Gehülfen gefunden. Granvella war ein Mann der
den halben Virgil auswendig wußte, ſich in ſeiner Heimath
[105]Stellung und Politik CarlsV.
in der Franche-Comte eine Galerie von den Meiſterſtücken
der Kunſt anlegte, durch dieſe allgemeinen Beſtrebungen ſei-
nen Geiſt für die Geſchäfte erſt recht geſchärft hatte und
den wohlbegründeten Ruf genoß, daß er die europäiſchen
Geſchäfte vollkommen verſtehe. Er beſaß ein ausnehmendes
Talent die Dinge ſich von ferne bereiten zu ſehen: in den
ſchwierigſten Fällen fehlte es ihm nie an einem Auskunfts-
mittel. Einige haben gemeint daß er den Kaiſer leite: ich
finde daß er ſich den Geſichtspuncten deſſelben ohne eine ei-
gene Richtung jedes Mal mit vollkommener Hingebung an-
ſchloß. In zwei ganz verſchiedenen Epochen der kaiſerlichen
Politik, der erſten wo ſich der Kaiſer den Proteſtanten gefliſ-
ſentlich annäherte, und der zweiten wo er ſie angriff, finden
wir ihn, obwohl es ihm einige Mühe koſtete der letzten bei-
zutreten, gleich thätig und unermüdlich. Die Epoche des
Glückes die nunmehr eintrat, war für ihn, wie Mocenigo
ſich ausdrückt, ein Brunnen von Gold; doch wußte man
wohl, daß ihn kein Geſchenk von der Pflicht gegen den Kai-
ſer auch nur um ein Haarbreit abwendig machen könne, der
ihn dafür wie einen Vater ehrte. 1


Die Methode der Verhandlung zwiſchen Carl und ſei-
nen Miniſtern war, daß bei jedem zu faſſenden Entſchluß
alles was darüber geſagt werden konnte, unter den Rubri-
ken Für und Wider zuſammengeſtellt, und die Puncte auf
deren Entſcheidung es ankam, in Form der Frage dem Kai-
ſer vorgelegt wurden. Unzerſtreut durch irgend eine fremde
[106]Neuntes Buch. Drittes Capitel.
Gegenwart, mit ſich allein, in der Ruhe des Cabinets, er-
wog der Herr — denn mit dieſem und keinem andern Na-
men wird er in ſeinem Hauſe bezeichnet — die aufgeſtell-
ten Fragen, und entſchied ſie mit Ja oder Nein, Worte die
er an den Rand des Blattes ſchrieb, zuweilen mit ein paar
näheren Beſtimmungen. Alle Morgen trug der Kammer-
diener Adrian, eine wichtige Perſon an dieſem Hofe, da er
die Stimmung des Augenblickes kannte, — man ſagt, es
ſey ihm zu Statten gekommen daß er weder leſen noch
ſchreiben konnte — die Papiere hin und her. 1 Conferen-
zen folgten, doch waren ſie nicht ſo häufig, wie man glau-
ben ſollte: in ſchriftlichem Verfahren wurden die Beſchlüſſe
eingeleitet und gereift.


Überhaupt gieng es am Hofe des Kaiſers ſehr ſtill
her. Er verſchmähte ſinnliche Genüſſe nicht, wie er denn
zu viel und zu gut aß: 2 von andern Unordnungen möchte
er, wenigſtens während ſeines Witwerſtandes, nicht frei zu
ſprechen ſeyn; dagegen war an lärmende Vergnügungen,
Feſtlichkeiten, äußere Pracht bei ihm nicht zu denken: zu-
mal da die Krankheit ſein gewöhnlicher Zuſtand und Ge-
ſundheit die Ausnahme war. Schon im Februar 1549
wird er uns geſchildert, wie er mit gebücktem Rücken,
todtenbleich, mit farbloſer Lippe, in ſeinem Zimmer am
[107]Stellung und Politik CarlsV.
Stabe hin und her ſchleicht; allein er lacht wohl ſelbſt über
ſeinen Aufzug, weil er ſich ſo ſchwach nicht fühle wie er
ausſehen möge, und bald erfüllt ſich das matte Auge doch
wieder mit Glanz und Leben. Nicht übel bezeichnet ihn ſeine
Liebhaberei für künſtliche Uhrwerke, wo eine einmal angeregte
Kraft alles in regelmäßige Bewegung ſetzt. Unter den wiſ-
ſenſchaftlichen Dingen gewannen ihm die aſtronomiſchen Stu-
dien, frei von allen aſtrologiſchen Träumen, die größte Theil-
nahme ab: dem Wandel der Planeten, dem Ringgang der
Geſtirne galt ſeine Aufmerkſamkeit und Bewunderung: gern
unterrichtete er ſich an dem Himmelsglobus. Bis dann die
Zeit kam, wo der Gedanke, mit dem er die Welt zu lenken
hoffte, in ihm wieder zu voller Kraft gelangte. Ich weiß
nicht, ob er denſelben in Worten hätte ausdrücken können,
ob er nicht davon mehr erfüllt war wie von einem Gefühl,
in welchem ſich alle ſeine kirchlichen, politiſchen und dyna-
ſtiſchen Beſtrebungen zuſammenfaßten; es war ein Gedanke,
der mit der Macht des Unbewußten in der Tiefe ſeiner Seele
ruhte und doch in jedem Falle mit voller Klarheit und An-
wendbarkeit ergriffen, unaufhörlich, mit allen Mitteln des
Krieges und der Politik verfolgt ward.


Wir haben den Kaiſer oft auf ſeinen Kriegszügen be-
gleitet; auch in den Zeiten ſeiner Krankheit probirt er ſich
dann und wann den Harniſch an — denn wiewohl natür-
licher Weiſe eher zaghaft, ſo daß er wohl in ſeinem Zim-
mer vor dem leiſeſten Geräuſch erſchrecken konnte, — liebte
er doch das Handwerk der Waffen: er hegte ein ritter-
liches Gefühl für dieſen Beruf und wußte ſich Anſehen
bei den Kriegsleuten zu erwerben. Dazu jedoch waren die
[108]Neuntes Buch. Drittes Capitel.
Dinge nicht angethan, weder die eignen Kräfte ſtark, noch
die fremden ſchwach genug, daß er in offenem Angriff hätte
zu ſeinem Ziele kommen können: ſein Verfahren und ſein
Talent war, aus den entgegengeſetzten Elementen ſich Sym-
pathien zu erwecken und ſie zu Hülfe zu rufen. Es iſt ihm
hiebei das Unglaubliche gelungen.


Die Granden von Caſtilien haben ihm die Communen
unterworfen; der Gehorſam der Communen hat ihm dann
gedient, die Granden, die ihm entbehrlich geworden, von ſei-
ner Staatsverwaltung zu entfernen.


Ihm haben die Deutſchen, nicht ohne den Antrieb eines
proteſtantiſch-antipäpſtlichen Eifers, Rom erobert und den
Papſt gefangen gehalten. Dafür iſt ihm ein ſpäterer Papſt
mit Heereskraft ebenfalls aus Religionseifer über die Alpen
zu Hülfe gekommen um die Proteſtanten zu unterwerfen.


Nicht ſelten hat er mit Frankreich über einen Angriff
gegen England unterhandelt, dann hat der König von Eng-
land doch ſich mit ihm gegen Frankreich verbündet.


Die Proteſtanten, die es oft erfahren, daß in der euro-
päiſchen Oppoſition gegen das Haus Öſtreich das Ver-
hältniß lag das ihnen Raum in der Welt gemacht, hat er
doch bewogen, mit ihm wider das Haupt dieſer Oppoſition
zu Felde zu ziehen. Dafür ſah denn der König von Frank-
reich wieder zu, als ſie mit Krieg überzogen wurden.


Was wäre wohl aus Carl V geworden, wenn die deut-
ſchen Fürſten ſich jemals vereinigt hätten, den Begriff, die
Rechte des Reiches als einer Geſammtheit gegen ihn zu be-
haupten? Es ſind öfter Verſuche dazu vorgekommen, aber
immer noch zur rechten Zeit geſprengt worden. Die Un-
[109]Stellung und Politik CarlsV.
einigkeit der Stände verſchaffte ihm vielmehr eine täglich grö-
ßere Einwirkung.


Und ſelbſt hiemit hätte er noch nichts ausgerichtet, hät-
ten ſich nur wenigſtens die Neugläubigen zur Vertheidigung
vereinigt. Wie weit aber war er ihnen an Weltüberſicht
und Klugheit überlegen! er wußte zu bewirken daß ſie einer
wider den andern die Waffen ergriffen.


Es liegt wohl am Tage, daß eine Politik die immer
offen hervorgetreten wäre, von der man gewußt hätte was
ſich von ihr erwarten ließ, niemals dahin gelangt ſeyn
würde. Wer aber wäre im Stande geweſen dieſe Politik
zu durchſchauen? Die entſcheidenden Handlungen auf denen
ihre Erfolge beruhen, ſind immer von Zweifel umgeben, in
Dunkel gehüllt.


Kein größeres Glück für den Kaiſer, als daß die Deut-
ſchen ſich der Stadt Rom bemächtigten: er legte Trauer
darüber an. Wer kann ſagen, ob es irgend eine Bedin-
gung gab, unter der er Mailand an einen franzöſiſchen Prin-
zen wirklich abgetreten hätte? doch hat er ein Jahrzehent
darüber unterhandelt.


Welches war ſeine wahre Meinung, die welche Held in
Schmalkalden ausſprach, mochte dieſer gleich ſeiner dama-
ligen Inſtruction entgegenhandeln, oder die welche Lunden
darſtellte?


Wir haben die Zweideutigkeiten erörtert, in denen Carl V
ſich bei der Gefangennehmung des Landgrafen nicht ohne ein
Bewußtſeyn davon bewegte. Es wird ſchwerlich an Tag kom-
men, ob er zu der Ermordung Pier Luigis ſeine Einſtimmung
gegeben hat oder nicht.


Ich will nicht behaupten, daß er jemals etwas ver-
[110]Neuntes Buch. Drittes Capitel.
ſprochen in der beſtimmten Abſicht es nicht zu halten: aber
zuweilen ſieht es doch beinahe ſo aus.


Nicht unglaubwürdig wird erzählt, er habe in demſel-
ben Augenblick als er im J. 1544 den Proteſtanten jene
ſpeieriſchen Conceſſionen gewährte, den Katholiken entgegen-
geſetzte Verſicherungen thun laſſen: ihre Nachgiebigkeit wäre
ohne dieß wirklich ſchwer zu erklären. Kaum hatte er den
Frieden mit Chriſtian III geſchloſſen, der demſelben Däne-
mark und Norwegen ſicherte, ſo gab er doch dem Pfalzgra-
fen, der ſich darüber beklagte, die Erklärung, er wünſche daß
dieſe Reiche vielmehr ihm, dem Pfalzgrafen, gehören möch-
ten, und werde zu ſeiner Zeit alles dafür thun. 1


Wenn wir dabei nicht annehmen ſollen daß er das
gegebene Wort zu brechen entſchloſſen geweſen ſey, ſo giebt
es dafür keinen andern Grund, als daß auch die entgegen-
geſetzte Verſicherung ſo gewiß nicht war.


Die Verſprechungen werden, wie ſich Granvella einmal
ausdrückt, nach Zeit und Umſtänden gegeben.


Denn vor allem iſt immer ein nächſter Zweck zu errei-
chen, eine unmittelbar vorhandene Schwierigkeit wegzuräu-
men. Die Kräfte die ſich entgegenſetzen könnten, müſſen
davon zurückgehalten werden: durch jede Conceſſion die man
ihnen machen kann ohne mit ſich ſelbſt in offenen Wider-
ſpruch zu gerathen, durch jede Zuſage die dem Syſtem nicht
ſchnurſtracks entgegenläuft.


Das hindert aber nicht, daß man nicht insgeheim ſich
ein weiteres Ziel, und wäre es ſelbſt der Feindſeligkeit gegen
den jetzt Begünſtigten, vorbehalte.


[111]Stellung und Politik CarlsV.

Von der Königin Maria, welche das Geheimniß der
kaiſerlichen Politik am meiſten theilte, haben wir ein Schreiben
aus der Zeit, in der, mitten in großen Gefahren, eine An-
näherung an die Proteſtanten durchaus nöthig geworden, in
welchem ſie dem Kaiſer den dringenden Rath giebt darauf
einzugehn; aber bemerken wir wohl: ſie fügt hinzu: es
werde wohl Zeit und Gelegenheit kommen anders mit ihnen
zu verfahren. 1


Der Kaiſer trat ihnen nun, wie wir wiſſen, ſehr nahe,
aber die Folge zeigte daß er dabei den Vorbehalt künftiger
Feindſeligkeit keinen Augenblick aufgegeben hat.


Man könnte nur fragen, ob er da nicht auf der einen
Seite ſo weit gegangen iſt, daß doch ſein Vorbehalt nicht
wohl damit beſtehn konnte. Wenigſtens den Mitgliedern
des ſchmalkaldiſchen Bundes blieb keine Ahnung von der noch
fortdauernden Möglichkeit eines feindſeligen Verfahrens übrig.


Auch in den ſpätern Jahren tauchte ein ähnlicher Wider-
ſpruch auf. Carl hatte mehrere Stände in ihrer „habenden
chriſtlichen Religion“ beſtätigt, aber dabei doch ihre Unter-
werfung unter das Concilium ausbedungen. Er berief ſich
auf ihre, ſie beriefen ſich auf ſeine Zuſage.


Und wie es nun bei dieſer Bewandtniß der Dinge mit
ſeiner eignen Überzeugung ſtand?


Die Meinungen Carls V mögen ſich in mehreren noch
unentſchiedenen Puncten auf den Grenzgebieten beider Lehren
bewegt haben: in der Hauptſache aber kann ich nicht fin-
den, daß er von evangeliſchen Anſichten irgend wie ergriffen
[112]Neuntes Buch. Drittes Capitel.
geweſen ſey: er war und blieb katholiſch: an dem Geheim-
niß der Euchariſtie im katholiſchen Sinne und den Dien-
ſten die ſich daran knüpfen hat er wohl nie einen Augen-
blick gezweifelt.


Hat er den Proteſtanten Conceſſionen gemacht, ſo iſt
er dazu von dem Papſt ermächtigt geweſen.


Der Beichtvater ſpielte ſchon bei ihm eine Rolle. Der
jüngere Granvella beklagt ſich wohl, daß wenn er zu Ende
gekommen zu ſeyn glaube, die Hydra der Gewiſſensſcrupel
immer neue Köpfe hervorbringe. 1


Das vornehmſte Ziel das der Kaiſer verfolgte, war zwar
politiſcher, aber doch auch dem Weſen nach religiöſer und
zwar katholiſcher Natur.


Und höchſt gerechtfertigt gieng er dabei zu Werke. Er
begründete ſein Verfahren allezeit auf die Ideen von Reich
und Kirche.


Alles was er in Deutſchland unternahm, ward immer
mit den Pflichten gegen die allgemeine Kirche, ſeinem Eide
dieſelbe aufrecht zu erhalten, der Rückſicht auf die übrigen
Nationen vertheidigt. In jeder Forderung an den Papſt
dagegen traten die Rechte und Beſchlüſſe des Reiches, die
Nothwendigkeit die Entzweiungen der Reichsglieder beizule-
gen, als Beſtimmungsgründe hervor.


Die alten Formen die er noch einmal zu beleben ſuchte,
gaben ihm eben die Ausſicht durch ſie zu herrſchen. Je grö-
[113]Stellung und Politik CarlsV.
ßern Einfluß er auf den Reichstag gewonnen, deſto ſtrenger
forderte er die Beobachtung der Beſchlüſſe deſſelben; von kei-
nem Heimbringen, von keiner Selbſtbeſtimmung einer Land-
ſchaft wollte er mehr hören. Eben ſo aber dachte er mit
dem Concilium zu verfahren. Er wollte den Antheil an der
Leitung deſſelben haben der ihm als Kaiſer gebühre, dann
ſollte Jedermann ſeinen Satzungen gehorchen, namentlich auch
der Papſt ſelbſt.


Dahin hat es der burgundiſche Prinz doch gebracht,
daß die Wiederbelebung dieſer großen Ideen, an denen ſich
das Mittela[lt]er entwickelt hat, an ſein Daſeyn, ſeine Macht
geknüpft iſt. Die Doppelſeitigkeit ſeines Beſtrebens ſpie-
gelt ſich in den entgegengeſetzten Eigenſchaften die ſich in
ſeinem Character vereinigen. Carl V iſt zweideutig, durch
und durch berechnet, habgierig, unverſöhnlich, ſchonungslos,
und dabei hat er doch eine erhabene Ruhe, ein ſtolzes die
Dinge gehn laſſen, Schwung der Gedanken und Seelen-
ſtärke. Seine Ideen haben etwas Glänzendes, hiſtoriſch
Großartiges. Das Kaiſerthum wie er es faßt, enthält die
Fülle geiſtlicher und weltlicher Gewalt, und er nähert ſich
der Möglichkeit es herzuſtellen. Ob es ihm damit gelingen
wird, iſt die große Lebensfrage für Europa und die Welt.


Verhandlungen mit Rom.


In den Jahren 1549, 50 war Carl V hauptſächlich
in den conciliaren Erörterungen mit dem Papſt begriffen.


Am römiſchen Hofe ſuchte man jede Nachgiebigkeit in
geiſtlichen Angelegenheiten, wenn man ſich ja zu einer ſolchen
Ranke D. Geſch. V. 8
[114]Neuntes Buch. Drittes Capitel.
herbeilaſſen wollte, mit der Sache von Piacenza in Verbindung
zu ſetzen. Der Kaiſer antwortete ſehr trocken: er wolle die
öffentlichen Dinge nicht mit Privatangelegenheiten vermengen.
Seine Geſandten berichteten wohl, wenn er Piacenza zurück-
gebe, oder nur einen Erſatz dafür anbiete, werde er in den
übrigen Streitfragen alles was er wolle erreichen: er blieb
dabei, daß dieſe Sache für ſich behandelt werden müſſe.
Vor aller weitern Verhandlung drang er auf rechtliche Un-
terſuchung, wem die Stadt gehöre, dem Reiche oder der
Kirche: er ſey ſehr bereit, wenn das Urtel zu Gunſten der
Kirche ausfalle, Piacenza zurückzugeben; er wiſſe jedoch wohl,
daß es zum Reiche gehöre, ſo gut wie Parma. Indem
man hoffte, er werde Piacenza herausgeben, erhob er An-
ſpruch auch auf Parma.


Er lebte der Meinung, Paul III werde am erſten durch
Drohungen beſtimmt, und faſt ſchien es als hätte er Recht.


Sollte zunächſt wenigſtens eine vorläufige Ordnung in
Deutſchland eingeführt werden, ſo mußte der Papſt die deut-
ſchen Biſchöfe ermächtigen die den Proteſtanten durch das
Interim gemachten Zugeſtändniſſe anzuerkennen.


Eine Zeitlang zögerte er damit, wie das bei dem Wi-
derwillen den man in Rom gegen das Interim hegte nicht
anders ſeyn konnte: dann kam er mit ungenügenden Facultä-
ten hervor, endlich ließ er ſich auch genügendere abgewinnen.


Am 18ten Auguſt 1549 erſchien Cardinal Otto Truch-
ſeß, Biſchof von Augsburg, der wenn irgend ein andrer als
ein rechtgläubiger Anhänger der römiſchen Curie betrachtet
werden muß, in alle ſeinem Pomp, unter Vortragung des
Kreuzes, ſilbernen Scepters und ſeines Cardinalhutes, in der
[115]Verhandlungen mit Rom 1549.
Domkirche zu Augsburg. Er beſtieg eine Kanzel die eigens
für ihn aufgerichtet und mit rothem Sammet überzogen war,
um zu erklären, daß in dem Interim nichts Schädliches noch
Beſchwerliches enthalten ſey. 1


Die Indulte welche der Papſt gewährt, giengen man-
chem Eiferer faſt ſchon zu weit, und der Kaiſer mußte durch
eine beſondere Declaration ihre Anwendung auf die Länder
und Städte beſchränken, in welchen die neue Lehre Platz ge-
griffen. Für dieſe aber waren ſie nicht allein erwünſcht,
ſondern unentbehrlich. Die Anerkennung der Hierarchie auch
in den proteſtantiſchen Ländern war nur unter dieſer Bedin-
gung denkbar.


Und auch in Hinſicht des Conciliums gab der Papſt
dem Haſſe des Kaiſers gegen die Verſammlung zu Bologna
ſo weit nach, daß er ſie im September 1549 auflöſte. Ihm
ſelbſt fiel ſie bereits zur Laſt, da ſie unter den Umſtänden
der Zeit doch nichts ausrichten konnte.


Höchlich erfreut war der Kaiſer, als der Papſt hierauf
die Abſicht kund gab, in einer andern Verſammlung, zu
Rom, die Reformation ernſtlich vor die Hand zu nehmen.
Er machte nur noch die Bedingung, daß kein Beſchluß der-
ſelben den Anordnungen ſeines Interims oder der von ihm
8*
[116]Neuntes Buch. Drittes Capitel.
den geiſtlichen Ständen vorgeſchriebenen Reformation wider-
ſprechen dürfe.


Ehe es aber ſo weit kam, ſtarb Paul III; und eine Wahl
trat ein, welche dem Kaiſer ſogar die Möglichkeit eröffnete,
ſeine geiſtlichen Abſichten noch in aller Form zu erreichen.


Die kaiſerliche Partei war es — unter Vermittelung
des Herzogs von Florenz — durch welche der neue Papſt
Julius III auf den römiſchen Stuhl gelangte.


In ſeinem erſten Schreiben erkannte Julius dieß an:
nächſt Gott keinem Andern als dem Kaiſer ſchrieb er ſeine
Erhebung zu; durch ſeinen erſten Geſandten verſprach er,
den Kaiſer in allen allgemeinen Angelegenheiten der Chri-
ſtenheit zufrieden zu ſtellen, namentlich in der Sache des Con-
ciliums; es war wirklich einer ſeiner erſten Beſchlüſſe (wie
denn Jedermann einſah, daß dieß unumgänglich ſey, und die
Conciliarcongregation ſelbſt dafür ſtimmte), daß das Con-
cilium in Trient wieder eröffnet werden ſolle. 1 Nichts Beſ-
ſeres hatte bisher der Kaiſer gewünſcht: in einem ſeiner Briefe
an ſeinen Geſandten in Rom findet ſich der Ausdruck: er be-
dürfe keiner Verſicherung daß der Papſt gute Abſichten hege,
er nehme ſie aus ſeinen Handlungen ab.


Es war ſchon eine glänzende Rechtfertigung ſeines bis-
herigen Verhaltens, daß derjenige Mann der ſo lange den
Vorſitz im Concilium geführt und dabei, als Abgeordneter
[117]Reichstag zu Augsburg 1550.
Pauls III, ſich ihm entgegengeſetzt, jetzt nachdem er ſelber
auf den römiſchen Stuhl gelangt war, dieſen Widerſtand auf-
gab und die Wiedereröffnung des Concils zu Trient bewil-
ligte, gleich als erfülle er damit nur eine Pflicht. Aber über-
dieß gewährte es ihm für alle ſeine Pläne eine weite Aus-
ſicht, daß er endlich doch einen Papſt gefunden der ihm gün-
ſtig war und ſich ſeiner Politik anſchloß.


Zuerſt war nun die Erneuerung des Concils wirklich
zu Stande zu bringen.


Am 26ſten Juli eröffnete Carl V einen Reichstag, der
ſich abermals in Augsburg verſammelt hatte, mit einer Pro-
poſition, in welcher er die mancherlei noch unvollzogenen
Beſchlüſſe des vorigen Abſchieds, auch in Beziehung auf ſein
Interim, das er trotz der veränderten Umſtände mit nichten
fallen laſſen wollte, in Erinnerung brachte, hauptſächlich aber
den Ständen verkündigte, was bisher bei dem römiſchen
Stuhle nicht zu erhalten geweſen, das ſey von dem nun-
mehrigen Papſte bewilligt worden, die Continuation des Con-
ciliums zu Trient.


Nach allem was im Jahre 1547 vorgegangen, konnte
kein Zweifel ſeyn, daß die Reichsſtände ſich zur Beſchickung
deſſelben bereit erklären würden. Die einzige Frage war,
wie es dabei mit der Theilnahme der Proteſtanten gehalten
werden ſollte.


Wenn Churfürſt Joachim II nochmals ausſprach, daß
ein nationales Concilium dem allgemeinen voraufgehn ſolle,
um daſſelbe vorzubereiten, ſo war das vielleicht an ſich zu
wünſchen, aber bei der Stimmung des Kaiſers und der ka-
tholiſchen Stände nimmermehr zu erreichen. 1 Dieſe hatten
[118]Neuntes Buch. Drittes Capitel.
die ganze Entſcheidung dem Concilium vorbehalten, und es
war ſchon zweifelhaft, ob ſie die viel näher liegende For-
derung der Proteſtanten daß die an dem Concil bereits ab-
gehandelten Artikel aufs neue erörtert, oder wie dieſe ſich
ausdrückten, reaſſumirt werden ſollten, genehmigen würden.


Mit ausdrücklichen Worten haben ſie dieß in der That
nicht gethan, aber ſie haben es auch nicht verweigert. In
einem Reichsgutachten vom 8ten October heißt es: die Bitte
einiger Churfürſten und Fürſten gehe dahin, ihre Abgeord-
neten über die Puncte zu hören welche bereits decidirt ſeyn
möchten; leicht würde ſonſt der Ausdruck Continuation des
Conciliums ein Mißverſtändniß veranlaſſen. Auch dem Kai-
ſer ſchien es rathſam ſich in dieſer Unbeſtimmtheit zu hal-
ten. 1 Indem er Diejenigen, welche Änderungen gemacht,
aufforderte ſich an das Concilium zu verfügen und ihnen
hiefür ſicheres Geleit zuſagte, wiederholte er die Zuſicherun-
gen die er ſchon am vorigen Reichstag gegeben, und die
allerdings einige Worte aus dem Gutachten der proteſtan-
tiſchen Churfürſten enthielten, jene Forderung aber weder ab-
ſchnitten noch auch gewährten. Er zog es vor, ſo gut dieſe
wie andre Feſtſetzungen der künftigen Unterhandlung vor-
zubehalten. Auch dem päpſtlichen Nuntius, der auf die Her-
ſtellung der geiſtlichen Güter gedrungen, ertheilte er nur eine
ausweichende Antwort: er wollte in dieſen Dingen ſich im
Voraus zu nichts verpflichten. Nur das Eine Verſprechen
gab er, die Beſchlüſſe welche das Concilium faſſen würde
zu vollziehen, Deutſchland nicht zu verlaſſen, ehe ein ernſt-
[119]Succeſſionsentwurf.
licher Anfang dieſer Vollziehung gemacht worden. 1 Seine
Autorität mit der des Conciliums zu verbinden, war längſt
ſein Gedanke, der nun zur Ausführung reifte.


Damit ſchien ihm aber die Zeit eingetreten, wo er ſich
noch mit einer andern Abſicht hervorwagen könne, die er
längſt gefaßt, und die nicht minder weitausſehend war.


Succeſſionsentwurf.


Der Kaiſer hegte den Plan, ſeinem Sohn Philipp, Prin-
zen von Spanien, nachmals König Philipp dem zweiten, die
Nachfolge im Kaiſerthum zuzuwenden.


Schon 1548 hatte er daran gedacht, er hatte nur ge-
fürchtet, da ſo vieles andre im Werke und noch zweifelhaft
war, die Eiferſucht die das Haus Öſtreich ohnehin erweckte
allzuſtark zu machen. 2


Wie andre Geſchäfte mußte auch dieſes erſt unterbaut,
mit Umſicht vorbereitet werden. Vor allem mußte Philipp
ſelbſt gegenwärtig und den deutſchen Fürſten bekannt ge-
worden ſeyn.


Es hatte einige Schwierigkeiten ihn aus Spanien her-
überkommen zu laſſen, da man dort ſchon über die Abwe-
ſenheit des Kaiſers mißvergnügt war, und die Cortes von
Valladolid erklärten ſich dagegen. Der Kaiſer befriedigte ſie
dadurch, daß er ſeinen Neffen Maximilian, dem er ſo eben
[120]Neuntes Buch. Drittes Capitel.
ſeine Tochter Maria vermählte, — denn einen Prinzen von
Geblüt ſahen ſie nun einmal gern an ihrer Spitze — mit der
einſtweiligen Verwaltung der ſpaniſchen Regierung beauftragte.


Der Vorwand, wohl auch ein Grund, nur nicht der
wichtigſte oder einzige, wofür er hier gelten mußte, war der,
daß Philipp in den Niederlanden eingeführt werden und die
Huldigung daſelbſt empfangen ſollte. Die vornehmſte Ab-
ſicht aber galt unverkennbar dem Reich und den Deutſchen.


Der Prinz gab ſich auch in kleinen Dingen eine faſt
zu ſichtbare Mühe ſich den Deutſchen anzunähern. Nur auf
deutſchem Roß wollte er reiten, als er in Trient ankam,
auf deutſche Weiſe tanzen, deutſchen Gelagen beiwohnen: es
fiel um ſo mehr auf, da er das alles nicht eben auf das
geſchickteſte vollzog.


Ohne Zweifel um Vieles beſſer erwogen war es, wenn
man die Ankunft des Prinzen mit Gnadenbeweiſen in po-
pulärem Sinn bezeichnete: die armen Ulmer Prädicanten hat-
ten ſo lang in ihrem Gewahrſam ſchmachten müſſen, bis
der Prinz erſchien um ſie zu befreien.


In gewiſſen Kreiſen hielt man die Nachfolge des Prin-
zen im erſten Augenblick für eine ausgemachte Sache.


Die Herzogin von Baiern hatte dem Ankommenden et-
was mehr Ehre erwieſen, als den Hofräthen angemeſſen
ſchien: und dafür ſagte ihr denn der Biſchof von Trient
einige belobende Worte. „Ehrwürdiger Herr,“ erwiederte
ſie, „ich thue nur meine Pflicht gegen S. Hoheit, der einſt-
mals unſer Herr ſeyn wird.“


Churfürſt Moritz hatte den Prinzen perſönlich in Trient
eingeholt und war mit demſelben, wenn wir den Briefen des
[121]Succeſſionsentwurf.
Carlowitz trauen dürfen, in das vertraulichſte Verhältniß ge-
treten. Man wollte wiſſen, um ſeine Stimme angegangen
habe er geſagt, er ſey dem Sohne ſo ergeben wie dem Vater.


Ganz ernſtlich nahmen die jungen Landgrafen von Heſ-
ſen die Sache. Das wahre Mittel ihren gefangenen Vater
zu erledigen, ſahen ſie in der Unterſtützung welche die bei-
den Churfürſten die einſt für ihn gutgeſagt, Sachſen und
Brandenburg, bei dieſem Vorhaben dem Kaiſer würden zu
Theil werden laſſen, und trugen kein Bedenken ſie darum
zu erſuchen. 1


Wie es wohl zu gehn pflegt, Derjenige erfuhr am ſpä-
teſten von der Sache, den ſie am meiſten angieng, König
Ferdinand.


Endlich aber drang doch das Gerücht, und zwar in
der härteſten Form, als ſey es die Meinung des Kaiſers
ihm die Würde und das Amt eines römiſchen Königs zu
entreißen und dieſelben auf Philipp zu übertragen, bis zu ihm
vor, und er hielt für gut, nicht zwar geradezu ſeinen Bru-
der, aber ſeine Schweſter Maria, die um die geheimſten
Anſchläge und Verhandlungen zu wiſſen pflegte, darüber
zu fragen. Er that dieß jedoch nicht ohne hinzuzufügen,
[122]Neuntes Buch. Drittes Capitel.
er halte für ſo gewiß wie das Evangelium, daß ſein guter
Bruder, welcher ihm immer ein Vater geweſen, nicht an
eine Sache denke die ihm ſo wenig zum Vortheil und zur
Ehre gereiche.


Darüber nun wie er das Vorhaben auffaßte, konnte die
Königin ihn beruhigen. Obwohl ſie ſich für nicht hinreichend
unterrichtet erklärte, ließ ſie doch ſo viel erkennen, daß nur
von einer Verſicherung des Reiches nach dem Tode beider
Majeſtäten die Rede ſey. Bald aber trat ſie einen Schritt
näher und gab deutlichere Auskunft.


Nach ihrer Auffaſſung gieng der Gedanke des Kaiſers
nur dahin, das Verhältniß das zwiſchen den Vätern beſtand,
auch auf die Söhne zu vererben. Ferdinands Sohn Ma-
ximilian ſollte dereinſt wie Ferdinand römiſcher König, Phi-
lipp wie ſein Vater Carl römiſcher Kaiſer werden. Bisher
war wohl nichts verabredet, aber man hatte in der Vor-
ausſetzung gelebt, daß nicht allein nach dem Abgange Carls
ſein Bruder ihm in dem Kaiſerthum nachfolgen, ſondern daß
der Anſpruch auf dieſe ohnehin keineswegs erbliche Würde
den Söhnen deſſelben, der in Deutſchland angeſiedelten Li-
nie, nicht einem in Spanien erzogenen Prinzen, zufallen ſollte.
Auch der ermäßigte Plan war doch der ferdinandeiſchen Fa-
milie unerwartet und in hohem Grade widerwärtig.


Maria ſtellte dem römiſchen König vor, Philipp werde
nur ſelten im Reiche erſcheinen können; für ihn werde aus
jener Würde nur die Pflicht hervorgehn, daſſelbe zu unter-
ſtützen; aller Vortheil davon werde doch dem Hauſe Fer-
dinands zufallen, zumal da ſich Philipp in dieſem Fall mit
einer ſeiner Töchter zu vermählen bereit ſey. Sie erinnerte
ihn an das Verdienſt, das ſich der ältere Bruder um ihn
[123]Succeſſionsentwurf.
erworben, indem er ihm die Würde eines römiſchen Königs
verſchafft habe, ohne an den eignen Sohn zu denken. 1


Ferdinand antwortete: wie bisher, ſo wolle er auch
fortan alles thun was zum Dienſt ſeines Bruders und
des Prinzen gereiche: nur nicht in dieſem Puncte, der nicht
dienlich ſey. 2


So ſtanden die Verhältniſſe, als die beiden Brüder am
Reichstag zuſammentrafen. Sie ſahen einander in der Stadt
und machten eine kleine Reiſe mit einander nach München:
von dieſer Angelegenheit war zwiſchen ihnen nie die Rede.
Auch die Räthe gedachten derſelben nicht mit einem Worte.


Will man den Grund davon wiſſen, ſo drückt ihn der
jüngere Granvella unverholen aus. Er meint, wenn man
die Sache einmal vornehme, müſſe man den König nicht
Athem holen laſſen, bis er nachgegeben habe. Dazu ſollte
die Königin Maria, auf die auch Ferdinand von jeher das
größte Vertrauen geſetzt, von den Niederlanden herbeikom-
men. Sie ſelbſt giebt einen Vorwand an, unter dem ſie
erſcheinen könne.


Aber auch Ferdinand, der wohl ahnen mochte was man
ihm nicht ſagte, ſuchte ſich Hülfe. Er ſprach den Wunſch
aus, daß ſein Sohn Maximilian aus Spanien zurückkeh-
ren möchte.


[124]Neuntes Buch. Drittes Capitel.

Ich finde, der kaiſerliche Hof erſchrak hierüber; der Kai-
ſer und der Prinz giengen mit den beiden Granvellas förm-
lich zu Rathe. „Der Hunger“, meinten ſie, „treibe den Wolf
aus dem Holz.“ Sie beſchloſſen jedoch ihre Abſichten noch
nicht zu entdecken; fortwährend vermied der Kaiſer mit ſei-
nem Bruder in die Region dieſer Pläne zu kommen; der
jüngere Granvella ward ſogar beauftragt demſelben ſeine Be-
ſorgniſſe auszureden. 1


Erſt als Maria angekommen, im September, geſchah
die Eröffnung.


Der König erklärte jedoch, er könne ohne die Anweſen-
heit ſeines Sohnes, den die Sache am meiſten angehe, ſich
in nichts einlaſſen. Schon waren alle Vorbereitungen zur
Rückkehr deſſelben getroffen. Als Maximilian angelangt, kam
auch Maria aus den Niederlanden wieder, und nun erſt,
im December 1550, begannen ernſtliche Unterhandlungen.


Da ſie mündlich gepflogen wurden, ſo ſind wir über
ihren Gang nicht authentiſch unterrichtet.


Der päpſtliche Nuntius, der die Verhandlung mit ge-
ſpannter Aufmerkſamkeit verfolgte, behauptet, bei den erſten
Eröffnungen ſey von einer Erledigung der noch ſchwebenden
Würtenberger Irrungen zu Gunſten des Königs die Rede
geweſen; eine Geldhülfe von ein paar Millionen ſey ihm
zur Fortſetzung des türkiſchen Krieges angetragen worden.


Später wollte man wiſſen, die Königin ſey unwillig
über die Räthe Ferdinands, ja über ihren Bruder ſelber, der
[125]Succeſſionsentwurf.
ihr wenigtr Zutrauen ſchenke als dieſen Räthen: man wollte
bemerken, daß ſie einſt ganz entrüſtet von ihm gegangen, und
auch er ſie gegen ſeine Gewohnheit nicht begleitet habe. 1


In dem Publicum liefen ſehr abenteuerliche Erzählun-
gen über die Entzweiung um, die in der Familie und unter
den Räthen des Kaiſers und des Königs ausgebrochen ſey.


Im Februar 1551 faßte endlich der Nuntius einmal
das Herz, den Kaiſer darüber zu befragen. Der antwortete,
er ſey bei ſich ſelbſt noch nicht entſchieden, ob die Sache
zum Heile der Chriſtenheit nothwendig ſeyn werde.


Wir ſehen nur: die Unterhandlungen waren in tiefes
Geheimniß gehüllt: einige Schwankungen mochten eintreten:
zuletzt aber führten ſie doch zum Ziele.


Am 9ten März ward ein Tractat zwiſchen König Fer-
dinand und Prinz Philipp geſchloſſen, 2 worin der erſte ſich
anheiſchig machte, mit allen geeigneten Mitteln dahin zu wir-
ken, daß die Churfürſten „nach den glücklichen Tagen des
Kaiſers“ und ſobald er, der König, zum Kaiſer gekrönt ſeyn
werde, den Prinzen zum römiſchen König zu wählen verſpre-
chen ſollten. Man wollte ſie erſuchen, dieſer Verſicherung
die andre hinzuzufügen, nach dem Tode Ferdinands und der
Krönung Philipps zum Kaiſer den jungen Maximilian zum
römiſchen König zu erwählen. In dieſem Sinne ward eine
Inſtruction entworfen, die den Churfürſten vorgelegt werden
ſollte. Allein man konnte ſich nicht verbergen, daß es ſehr
[126]Neuntes Buch. Drittes Capitel.
ſchwer ſeyn werde, einen ſo weit in die Zukunft vorgreifen-
den Antrag bei ihnen durchzuſetzen. Man ſah die Antwort
voraus, daß eine Beſtimmung dieſer Art außerhalb ihrer Be-
fugniſſe liege. Auf dieſen Fall beſchloß man, daß ein Ver-
ſprechen Philipps, zu ſeiner Zeit die Erhebung Maximilians
zum römiſchen König befördern und dieſem alsdann die Ad-
miniſtration des Reiches auf dieſelbe Weiſe überlaſſen zu wol-
len, wie ſie Ferdinand jetzt führe, genügen ſolle. Es wur-
den noch mehrere Beſtimmungen getroffen, z. B. über die
Unterſtützung die Philipp dem jetzigen römiſchen Könige bei
ſeinem Krönungszug, ferner gegen jede Rebellion ſowohl
im Reiche wie in den Erblanden zu leiſten habe, über die
neue Verbindung der Familien durch die obgedachte Vermäh-
lung Philipps; die merkwürdigſte, däucht mich, iſt die fol-
gende. Sollte das Concil, heißt es in dem Tractat, was
Gott verhüte, nicht bei Lebzeiten des Kaiſers zu Ende ge-
bracht werden, oder ſollte es den erwünſchten Ausgang zur
Abhülfe der Sachen des Glaubens und unſerer heiligen Re-
ligion nicht haben, ſo verſpricht der Prinz, den König zu un-
terſtützen einmal zum guten Erfolg des Concils, ſodann in
deſſen Ermangelung in jeder andern Weiſe, um den An-
gelegenheiten unſeres heiligen Glaubens und der Religion
abzuhelfen. 1


Ich darf wohl nicht verſchweigen, daß ich kein unterzeich-
netes Exemplar dieſes Vertrages geſehen habe, ſondern nur
[127]Succeſſionsentwurf.
eine Abſchrift, in dem Brüſſeler Archiv: allenfalls könnte
Jemand vermuthen, daß derſelbe nur vorgelegt und viel-
leicht nicht vollzogen worden ſey. Er bliebe auch dann
ſehr merkwürdig, weil er die Gedanken des Kaiſers, ſeines
Hofes und ſeiner Räthe beſſer als irgend ein anderes Do-
cument darlegt das bisher bekannt geworden iſt. Aber
in der That finde ich doch nichts was einen ernſtlichen Zwei-
fel an der Annahme dieſer Verabredungen begründen könnte.
Wenigſtens iſt die im Vertrag erwähnte Inſtruction von
dem römiſchen König zugleich mit dem Kaiſer den Churfür-
ſten vorgelegt worden. Ferdinand bekennt darin, daß er
nach dem Abgang ſeines Bruders die Hülfe ſeines Neffen,
des Prinzen von Spanien, nicht werde entbehren können:
um dieſen aber zu vermögen ſolche zu leiſten, ſey wohl das
einzige geeignete Mittel, daß man ihm jetzt gleich verſichere,
ihn zu ſeiner Zeit zum römiſchen König und künftigen Kai-
ſer zu wählen. Über die Anſprüche ſeines Sohnes drückt
er ſich ganz aus, wie in dem Vertrag feſtgeſetzt worden war. 1
Die Churfürſten erſtaunten daß er es that: ſie waren über-
zeugt, er werde es nicht ernſtlich gemeint, nicht gern gethan
haben: aber genug, er hat es gethan.


Nun ſind dieß aber nicht einfache Succeſſionspläne,
ſondern ſie hängen mit allen politiſchen und kirchlichen Ab-
ſichten des Kaiſers aufs genaueſte zuſammen. Dem Kaiſer
entgieng nicht, wie hinderlich es ihm ſey, daß man ſeinen
baldigen Tod erwartete und mit demſelben eine Auflöſung
[128]Neuntes Buch. Drittes Capitel.
aller derjenigen Verhältniſſe welche Deutſchland wieder in
ſo nahe Beziehung zu dem ſüdlichen Europa gebracht, und
dem Kaiſerthum eine ſo eigenthümliche Stellung und Kraft
gegeben hatten. Für die Durchführung ſeiner Gedanken
hatte es unendlichen Werth, wenn Jedermann vorausſah,
daß auch in Zukunft der König von Spanien zugleich das
Kaiſerthum beſitzen und es in dem nunmehr feſtgeſetzten
Sinne verwalten werde. Dadurch würde zugleich, wie doch
ein Jeder begehrt, das was er zu Stande gebracht, die
Geſtalt die er der Welt zu geben gedachte, auf immer be-
feſtigt worden ſeyn. Ausdrücklich, wie wir ſahen, verpflich-
teten ſich ſein Bruder und ſein Sohn die Abſichten auszu-
führen, welche er in Beziehung auf das Concilium und die
Einheit des Glaubens hegte. Um ſo wichtiger iſt es, wie
dieſe ſich jetzt weiter entwickelten.


Die Proteſtanten in Trient.


Außer den übrigen Beweggründen deren wir gedacht,
trugen noch Bedrohungen mit einer Nationalkirchenverſamm-
lung, dieß Mal von Seiten des franzöſiſchen Hofes, der
über die Verbindung des Kaiſers mit dem Papſt ſehr un-
ruhig wurde, dazu bei, um Julius III zu vermögen, die
Ausführung ſeines einmal gegebenen Verſprechens auf keine
Weiſe zu verzögern.


Ende April 1551 erlebten die kaiſerlichen Prälaten welche
in Trient zurückgeblieben waren und ſich ſo ſtandhaft gewei-
gert hatten den Legaten Pauls III nach Bologna zu fol-
gen, den Triumph, daß die Legaten eines neuen Papſtes zu
[129]Die Proteſtanten in Trient.
ihnen nach Trient kamen, um das unterbrochene allgemeine
Concil fortzuſetzen.


Eigentlich nun erſt erhielt es den Character der ihm ur-
ſprünglich vom Kaiſer zugedacht worden: es ward jetzt Ernſt
mit dem Gedanken, die in Deutſchland erhobenen religiöſen
Streitfragen unter lebendiger Mitwirkung der Deutſchen auf
einem allgemeinen Concil zur Entſcheidung zu bringen. 1


Am letzten Tage des Auguſt nahmen die Churfürſten
von Mainz und von Trier in der allgemeinen Congregation
perſönlich ihren Platz ein: die älteſten erzbiſchöflichen Sitze
hatten ihnen den Rang gelaſſen. Nach einiger Zeit langte
auch der Erzbiſchof von Cölln an; andre Prälaten folgten.


Die Hauptſache aber war, daß indeß auch proteſtanti-
ſche Theologen und Procuratoren ſich fertig machten, am
Concilium zu erſcheinen.


Da dieſe aber durch keine kirchliche Würde eine Be-
deutung beſaßen, die perſönlich in ihnen geruht hätte, ſon-
dern nur als Repräſentanten der evangeliſchen Gemeinſchaft
etwas waren, ſo bereitete man ihre Sendung durch neue
Bekenntnißſchriften vor.


Das geſchah wohl nicht darum, wie man geſagt hat,
weil dem Kaiſer ſchon die Benennung der ſchmalkaldiſchen
Artikel, die einſt zu ähnlichem Behuf aufgeſetzt worden,
oder auch der augsburgiſchen Confeſſion ſo verhaßt gewe-
ſen wäre, daß man ihm damit nicht hätte kommen wollen.
Wir wiſſen recht gut, daß die Abfaſſung der frühern Confeſ-
Ranke D. Geſch. V. 9
[130]Neuntes Buch. Drittes Capitel.
ſionen mit Rückſicht auf die obwaltenden Verhältniſſe un-
ternommen worden war. So ſollte es auch dieß Mal ge-
ſchehen. Zurückgezogen nach Deſſau, um von den Zerſtreuun-
gen der Univerſitätsgeſchäfte ungeſtört zu bleiben, verfaßte
Melanchthon die ſogenannte ſächſiſche Confeſſion, die er als
eine Wiederholung der augsburgiſchen bezeichnet, wofür ſie
auch anerkannt worden iſt, die aber doch ſehr auf den
Stand der Streitfragen Bezug nimmt, wie er in dieſem
Augenblicke war. 1 Die evangeliſchen Lehren von der Recht-
fertigung und der Kirche — in ſo fern wieder eine und die-
ſelbe, als ſie beide auf einem Zurückgehn von dem Äußer-
lichen und Zufälligen auf das Innerliche, Ächte, in der hei-
ligen Urkunde Enthaltene beruhen — mußten nochmals her-
vorgehoben und erläutert werden, da man eben in dieſen
Puncten zuletzt mit der katholiſchen Doctrin in eine Be-
rührung gerathen war, welche neue Zweifel erweckt hatte.
Auch die Lehre vom Abendmahl ward in dem Sinne der noch
obwaltenden Concordie ausführlicher erörtert. Indeſſen ver-
faßte Johann Brenz, der ſeitdem wunderbare Schickſale er-
lebt hatte, — Volksſagen ſymboliſiren die Gefahren die er be-
ſtand und die Rettung die er erfuhr: eine Zeitlang hatte er
als Vogt fungiren müſſen, — und ſich noch immer verborgen
hielt, damals im Kloſter Sundelfingen, im Auftrag des Her-
zogs von Würtenberg eine ähnliche Bekenntnißſchrift, unter
verwandten Geſichtspuncten. Es iſt ein müßiges Vergnü-
gen der Gegner der Proteſtanten, über ihre mancherlei Con-
feſſionen zu ſpotten. Die Bekenntniſſe enthielten die Lehre bis-
[131]Die Proteſtanten in Trient.
her niemals in einer Formel, welche als unfehlbar und allein-
gültig betrachtet worden wäre: man konnte ſie bei veränder-
ten Umſtänden auch mit andern Worten als den einmal feſt-
geſetzten ſchriftgemäß ausdrücken; genug, wenn man das We-
ſen der Sache behauptete. Die würtenbergiſche Confeſſion
ward in Stuttgart von eilf der nahmhafteſten Theologen ge-
prüft und unterzeichnet; die ſächſiſche von den Profeſſoren
und Predigern im Gebiete des Herzog Moritz, des Mark-
grafen Georg Friedrich von Anſpach, der Herzoge von Pom-
mern, der Harzgrafen angenommen. Da man nicht hätte
wagen dürfen eine allgemeine Verſammlung zu berufen, ſo
rechnete man auf allmähligen Beitritt. 1 Die Straßburger
unterzeichneten die eine und die andre Schrift.


Zunächſt kam es aber nicht auf Confeſſionen an: bei
dem Stande der Dinge war die Vorfrage über die Art und
Weiſe der neuen Berathung noch von größerer Wichtigkeit.


Die Proteſtanten würden ſich ſelbſt das Urtheil geſpro-
chen haben, wenn ſie die bei den frühern Sitzungen in Trient
durchgegangenen Decrete anerkannt hätten: ſie blieben bei
ihrer Forderung der Reaſſumtion.


Und zwar waren ſie hiebei der Meinung, daß das ganze
Verfahren an dem Concilium abgeändert werden müſſe. Me-
lanchthon ſagte, der Papſt und ſeine Anhänger ſeyen von
den Proteſtanten ſo vieler Irrthümer angeklagt, daß eine von
ihnen ausgehende Entſcheidung nichts anders ſeyn würde
9*
[132]Neuntes Buch. Drittes Capitel.
als ein Urtheil in eigner Sache. 1 Er kam auf den Gedan-
ken zurück, daß man unparteiiſche Prälaten und Fürſten, die
freilich zuerſt ihrer Eidespflicht gegen den Papſt zu entledi-
gen ſeyen, aufſtellen müſſe, um zwiſchen beiden Parteien zu
entſcheiden. In verwandtem Sinn wurden Ende Septem-
ber auch die würtenbergiſchen Geſandten inſtruirt, obwohl
man hier, wo man der Gewalt ſo viel näher war, noch
mehr Anlaß hatte, Rückſicht zu nehmen. Die päpſtlichen Le-
gaten ſollten nicht mehr präſidiren: ſie ſollten nicht das Vor-
recht haben die conſultirenden Theologen anzuſtellen: den Cle-
rikern ſollten nicht allein die entſcheidenden Stimmen zuſtehen:
vor allem wollten ſie auch über die bereits entſchiedenen Ar-
tikel gehört ſeyn. 2


Wenigſtens die erſte dieſer Forderungen war dem Kai-
ſer ſchon am Reichstag vorgelegt worden; er fand jedoch
damals nicht rathſam, weder ſie anzunehmen noch ſie zurück-
zuweiſen: er fürchtete Streitfragen anzuregen, welche alles
verderben könnten. Jetzt aber war kein längeres Verziehen
möglich: eine feſte Meinung mußte ergriffen werden, ſey es
von ihm oder von ſeinen Bevollmächtigten.


Höchſt merkwürdig: der kaiſerliche Orator am Concil,
Licentiat Vargas, erklärte ſich ganz im Sinne der Proteſtan-
ten. In einem ſeiner Briefe an den Biſchof von Arras
heißt es, die bereits verhandelten Artikel müßten alle wieder
aufgenommen werden, von dem erſten über die Erbſünde bis
auf die letzte Controverſe.


[133]Die Proteſtanten in Trient.

Und nicht minder war es ſeine Meinung, daß die Ver-
faſſung des Concils überhaupt geändert werden müſſe. Wir
haben eine Denkſchrift von ihm, in welcher er das Verfah-
ren des päpſtlichen Hofes während der frühern Seſſionen,
als ein ſolches, das nur dahin gezielt habe die Mitglie-
der in Knechtſchaft zu halten, ſehr ernſtlich tadelt, den Vor-
ſitz der Legaten überhaupt verwirft, und die Praxis der al-
ten Concilien, die Rechte welche den Kaiſern dabei zuſtan-
den, wiederhergeſtellt wiſſen will. 1 Dieſe Denkſchrift ward
vor der Eröffnung des Conciliums geſchrieben, und um ſo
bedeutender iſt es, daß der Kaiſer den Verfaſſer derſelben
zu ſeinem Bevollmächtigten in Trient ernannte.


Wir werden den Kaiſer nicht ſo verſtehen, als ob er
eine geheime Hinneigung zu den Lehrſätzen der Proteſtanten
genährt hätte: davon war ſeine Seele frei; allein einmal
wollte er ihnen nichts auflegen laſſen was ſie zu offenem Wi-
derſpruch treiben konnte; ſodann war ſeine Abſicht nur gewe-
ſen ſie zur Idee der Einheit zurückzuführen, dem Concilium
zu unterwerfen: wenn ſie innerhalb dieſer Grenze dem Papſt-
thum Widerſtand leiſteten, ſo waren ſie vielmehr ſeine Ver-
bündeten als ſeine Feinde[:] ſie konnten doch niemals anders
als ſich an das Kaiſerthum halten: ſie unterſtützten ſeine
Politik, welche die alte blieb, auch als er einen befreundeten
Papſt hatte.


Umſtände, die freilich nicht dazu beitragen konnten, den
Prälaten, die an den herkömmlichen Begriffen des Pontifi-
cates feſthielten, die Ankunft der proteſtantiſchen Abgeordne-
ten wünſchenswerth erſcheinen zu laſſen.


[134]Neuntes Buch. Drittes Capitel.

Anfangs wollten ſie nicht glauben, daß die Proteſtan-
ten überhaupt ſich einfinden würden: je mehr ſich dazu ge-
wiſſe Ausſicht zeigte, deſto ſtärker ſprachen ſie ihren Abſcheu
dagegen aus: „ſie thun alles,“ ſagt Vargas, „um den Pro-
teſtanten die Thüre des Conciliums zu ſchließen.“ 1


Eine erſte voraufgehende Frage betraf die Form des
ihnen zuzugeſtehenden ſicheren Geleites.


Allem Widerſtreben des Legaten zum Trotz ſetzten die
kaiſerlichen Miniſter durch, daß dabei die Formel welche das
Concil zu Baſel, deſſen Andenken der römiſchen Curie ver-
haßt war, den Huſſiten bewilligt hatte, zu Grunde gelegt,
dagegen ein Canon des Coſtnitzer Concils, durch welchen die
den Nicht-Rechtgläubigen zu haltende Treue in Zweifel ge-
zogen ward, ausdrücklich zurückgenommen wurde.


Schon hatte der kaiſerliche Hof dafür geſorgt, daß kein
entſcheidender Schritt vor ihrer Ankunft geſchah. Eine der
erſten Arbeiten der neuen Verſammlung war die Erörterung
der Streitfragen über die Euchariſtie. Wäre, wie es wirk-
lich beabſichtigt wurde, gegen das Empfangen derſelben un-
ter beiderlei Geſtalt entſchieden worden, ſo würde dieß einer
Abkunft mit den Proteſtanten mächtig in den Weg getreten
ſeyn. Wenige Tage vor der anberaumten Seſſion lief ein
Schreiben des Kaiſers ein, worin er auf Suspenſion der
Beſchlußnahme drang. Der Legat Creſcentio fuhr anfangs
heraus, er wolle lieber abdanken, als die Schmach des Con-
ciliums dulden, daß es mit ſo gut vorbereiteten Decreten zu-
rückhalten müſſe; aber zuletzt gab er nach.


[135]Die Proteſtanten in Trient.

Der von dem Kaiſer eingeſetzte und ihm dafür dop-
pelt ergebene Churfürſt von Cölln äußerte den Gedanken, daß
alle Beſchlüſſe nur vorläufig genommen und erſt zuletzt zu
einer definitiven Entſcheidung zuſammengefaßt werden ſoll-
ten. Ein Gedanke, der die momentanen Schwierigkeiten ziem-
lich gehoben hätte und mit der Politik des Kaiſers, die da-
durch den weiteſten Spielraum erlangt haben würde, ganz
gut zuſammentraf.


Am 24ſten Januar 1552 ließen ſich nun die erſten Pro-
teſtanten, zunächſt die weltlichen Procuratoren, denn nur erſt
dieſe waren angelangt, in der öffentlichen Sitzung des Con-
ciliums vernehmen.


Der Legat fand die Vollmachten welche die Fürſten den-
ſelben gegeben, ungenügend, weil ſie darin nicht ausdrück-
lich geſagt, daß ſie ſich den Entſcheidungen des Conciliums
zu unterwerfen bereit ſeyen, ja ſogar anſtößig, in ſo fern
in denſelben von einer geiſtlichen und weltlichen Reform die
Rede war; er verwahrte ſich durch eine beſondre Schrift
gegen jedes Präjudiz das daraus entſpringen könne. Die
kaiſerlichen Miniſter ließen jedoch dieſe Proteſtation nicht zu
öffentlicher Verleſung kommen: ſie ihres Orts waren mit
den Vollmachten zufrieden.


Zuerſt erſchienen die würtenbergiſchen Procuratoren und
überreichten die von Brenz verfaßte Confeſſion, zu deren Er-
läuterung und Vertheidigung ihr Herr in Kurzem ſeine Theo-
logen ſenden werde. Sie ſetzten voraus, daß dann die ſchon
verhandelten Artikel nochmals erwogen würden; zu dieſer
Erörterung aber forderten ſie die Aufſtellung unparteiiſcher,
dem Papſt nicht verpflichteter Richter.


[136]Neuntes Buch. Drittes Capitel.

Die Verſammlung erwiederte, ſie werde dieſe Dinge in
Erwägung ziehen, und beſchäftigte ſich hierauf mit einem Ge-
ſuche des Churfürſten von Brandenburg in Hinſicht des Erz-
bisthums Magdeburg, das ſie gewährte. 1


Am Nachmittag traten die Geſandten des Churfürſten Mo-
ritz auf und zwar mit einer Rede, die von allen die am Conci-
lium vorgekommen, wohl die merkwürdigſte, von dem Herkom-
men abweichendſte iſt 2 — in welcher ſie nicht allein ebenfalls
die Reaſſumtion der ſchon beſchloſſenen Artikel und die freie
Theilnahme der Theologen an der Beſprechung derſelben for-
derten, ſondern auch den proteſtantiſchen Grundſatz aufſtell-
ten, daß bei der Entſcheidung die heilige Schrift die einzige
Norm zu bilden habe. Auch ſie forderten, daß die Mitglie-
der des Concils vor allem des Eides, mit dem ſie dem Papſt
verpflichtet ſeyen, erledigt würden, aber zugleich fügten ſie
hinzu, im Grunde verſtehe ſich das von ſelbſt. Denn wie
könne ſonſt wahr ſeyn, was doch durch die Synoden von
Baſel und Coſtnitz feſtgeſetzt worden, daß der Papſt dem
Concil unterworfen ſey. Frei müſſe Stimme und Zunge ſich
fühlen; man müſſe nicht nach dem Winke des Einen oder
des Andern reden, ſondern allein nach den Geboten der hei-
ligen Schrift. Dann erſt laſſe ſich erwarten, daß man über
die Lehre gültige Satzungen machen, Haupt und Glieder re-
formiren, den Frieden der Kirche herſtellen werde.


[137]Die Proteſtanten in Trient.

Zum erſten Mal berührte das proteſtantiſche Prinzip
die conciliaren Beſtrebungen unmittelbar; die Rede rührt ohne
Zweifel von Melanchthon her; ſie hatte an dem Concil den
größten Erfolg.


„In voller Sitzung“, ruft der Biſchof von Orenſe
freudig aus, „haben ſie ausgeſprochen, was wir uns nicht
zu ſagen getrauen.“ Er urtheilt, in den Reden der Prote-
ſtanten finde ſich neben Schlechtem doch auch vieles Gute;
ſehr weislich habe der Legat dafür geſorgt, daß ſie nicht von
einer größern Anzahl gehört worden ſeyen. 1


„Das Schlachtfeld iſt eröffnet,“ ſagt Vargas: „Me-
lanchthon und ſeine Gefährten können nun nicht mehr ver-
weigern zu erſcheinen: aber es iſt nothwendig daß ſie eilen.“
Er bemerkt, der Papſt und ſeine Miniſter ſeyen in hohem
Grade erſchrocken: es ſcheine ihnen, als gehe die Abſicht
des Kaiſers auf eine durchgreifende Reformation.


Daß dem wirklich ſo war, ergiebt ſich unter andern
auch aus einem Schreiben Malvendas. So lebhaft er ſonſt
die Proteſtanten bekämpft hat, ſo iſt er doch mit ihren Re-
formtendenzen höchlich zufrieden. Er findet, da nun einmal
die Sache ſo öffentlich zur Sprache gekommen, ſo könne
S. Majeſtät nun auch den Papſt erinnern, ja bei Pflicht
und Ehre und Gewiſſen auffordern, die alten Mißbräuche
zu heben.


Schon glaubte ſich der Legat ſo ernſtlich gefährdet, daß
er mit einem Schreiben des Kaiſers hervortrat, worin die-
ſer verſprach, die Oppoſition ſeiner Biſchöfe gegen die päpſt-
liche Gewalt zu verhindern. Doch machte er damit nur
[138]Neuntes Buch. Drittes Capitel.
wenig Eindruck. Vargas meinte, mit dieſer Zuſage habe man
wohl nur den Papſt zur Wiedereröffnung des Concils be-
wegen wollen; gewiß beziehe ſie ſich allein auf die gegründe-
ten und vernünftigen Anſprüche deſſelben; bei der Abſchaf-
fung augenſcheinlicher Mißbräuche könne den Prälaten die
Hand damit nicht gebunden ſeyn.


Am römiſchen Hofe war man auch dadurch in Schrecken
geſetzt, daß die ſpaniſchen Prälaten den Augenblick benutzen
zu wollen ſchienen, um die Collation der Pfarren und Pfrün-
den in Spanien ihm entweder ganz zu entziehen oder doch
gewaltig zu ſchmälern. „Daraus ſoll nichts werden,“ ruft
der Papſt aus, „eher wollen wir alles Unglück erwarten,
eher wollen wir die Welt zu Grunde gehn laſſen.“ 1 Dazu
kamen nun die Vorträge der Proteſtanten, die er als extra-
vagant und gottlos bezeichnet. „Unter dem Namen Miß-
brauch ſoll man uns das nicht angreifen was kein Mißbrauch
iſt; man ſoll unſre Autorität nicht antaſten.“ 2


Bis auf dieſen Punct gediehen die Dinge in raſchem
Fortgang auf dem neueröffneten Concilium.


Der Kaiſer war ſo weit wie jemals entfernt, dem
Papſt darin freie Hand zu laſſen. Er trieb ihn vielmehr von
zwei entgegengeſetzten Seiten in die Enge. Die alte Oppo-
ſition der ſpaniſchen Prälaten verband ſich jetzt mit den hier
zuerſt erſchallenden Forderungen der deutſchen Proteſtanten.
Beide ſchloſſen ſich an den Kaiſer an, der zugleich in Beſitz
uralter Anſprüche an eine geiſtliche Mitherrſchaft, eine gewal-
tige und trotz aller politiſchen Verbindungen für das Papſt-
thum furchtbare Stellung einnahm.


[139]Die Proteſtanten in Trient.

Wie er nun aber dieſelbe zunächſt zu benutzen, wohin
er die Dinge zu leiten gedachte?


Es kann wohl keine Frage ſeyn, daß er nunmehr jene
Reformation an Haupt und Gliedern, deren Nothwendigkeit
ihm ſchon einſt ſein Lehrer gezeigt, und ſein ganzes Leben
ihm weiter kund gethan, zu Stande zu bringen beabſichtigte.
Es war wie berührt der erſte Gedanke, mit dem er einſt
ſein öffentliches Leben begonnen: die Zeit ſchien gekommen
denſelben zu verwirklichen.


Minder deutlich erhellt, wie er in Hinſicht der dogmati-
ſchen Feſtſetzungen geſinnt war: ob er in Deutſchland den gan-
zen Katholicismus mit den in Trient bereits getroffenen Beſtim-
mungen, oder nur die allgemeine Einheit, mit den Modifica-
tionen die ſein Interim feſtſetzte, einführen wollte. Ich ſollte
das Letztere glauben. Er war zu den interimiſtiſchen Satzun-
gen auch darum geſchritten, weil er von dem Concilium nichts
erwartete, was den Proteſtanten eine Annäherung möglich
machte, ohne Beſchimpfung; es hatte ihn unendliche Mühe
gekoſtet ſie ins Werk zu ſetzen. Den Vorſchlag den man ihm
an dem letzten Reichstage machte, in der Durchführung der-
ſelben mildere Maaßregeln eintreten zu laſſen, hatte er zu-
rückgewieſen, und vielmehr gedroht bei den Einzelnen nach
der Urſache ihrer Säumniß zu forſchen: er hatte Ausdrücke
gebraucht die man faſt auf das Vorhaben einer Inquiſition
deutete. Die Reviſion der frühern Decrete, die er offenbar
begünſtigte, konnte doch, wenn ſie überhaupt irgend eine
Wirkung haben ſollte, nur eben dieſe haben, daß einige Ab-
weichungen der Proteſtanten geduldet wurden.


So wäre denn die Wiederherbeibringung der Abgewiche-
[140]Neuntes Buch. Drittes Capitel.
nen, die Reformation der Verfaſſung und die Aufrechterhal-
tung der alten Einheit zugleich durchgeſetzt worden.


Denn daran iſt kein Zweifel, daß er nun, wenn die
Beſchlüſſe einigermaßen in ſeinem Sinne ausfielen, alles zu
thun entſchloſſen war um ſie zur Vollziehung zu bringen.


Und war es nicht in der That der Mühe werth? Die
große Genoſſenſchaft zu behaupten, in der ſich die europäi-
ſche Welt ſeit ihrer erſten Gründung entwickelt, und doch
dabei die Mißbräuche zu heben, welche die Alleinherrſchaft
der römiſchen Päpſte hervorgebracht hatte, war das nicht
wirklich eine eines großen Fürſten würdige Abſicht?


Mit der Idee verband ſich aber der mächtigſte perſön-
liche Ehrgeiz. Das Kaiſerthum wäre wahrhaft erneuert
worden, es hätte Wurzel für die Zukunft geſchlagen. So
dachte er es noch ſelber zu verwalten und dann ſeinem
Sohne als einen Beſitz ſeiner Nachkommen zu hinterlaſſen.
Keinen Augenblick verließ ihn dieſer Gedanke. Mit den
geiſtlichen Fürſten hat er noch auf ihrer Reiſe zum Conci-
lium darüber unterhandeln laſſen, und wenigſtens Einer von
ihnen, der Churfürſt von Cölln, hatte ſeine beſten Dienſte
verſprochen. Unaufhörlich lud er Brandenburg und Sach-
ſen ein, ebenfalls in die Nähe zu kommen, um die Sache
zum Schluß zu bringen. Man glaubte, er denke ſich des
Conciliums ſelber zu ſeinem Zwecke zu bedienen. 1


[141]Die Proteſtanten in Trient.

Eine andre Frage freilich iſt, ob die Erreichung dieſer
Abſichten wirklich ſo ſehr zum Heile der europäiſchen Welt
gereicht haben würde, wie der Kaiſer meinte, — ob ſie ſich
auf dem Standpunct befand, wo die Wiederherſtellung des
Kaiſerthums mit ſeinen kirchlichen Attributen ihr förderlich
ſeyn konnte, — ob namentlich Deutſchland ſich Glück dazu
zu wünſchen hatte, Satzungen, wie ſie das tridentiniſche Con-
cilium faßte, wenn ſie auch gemildert worden wären, anneh-
men zu müſſen, mit alle ſeinem beſondern nationalen Beſtre-
ben einer allgemeinen Combination zu dienen.


Wir brauchen jedoch dieſe Frage nicht zu erörtern. So
nah am Ziele erhoben ſich dem Kaiſer unerwartete Hinderniſſe.


Denn nicht ſo leicht iſt die Welt zu überwinden. Je
mehr Jemand Ernſt machen wird ihr ſeinen Willen oder
ſeine Meinung aufzudringen, deſto ſtärker werden die freien
Kräfte ſich dagegen zum Kampf erheben.


1


[[142]]

Viertes Capitel.
Elemente des Widerſtandes in den großen
Mächten.


Wir haben die kirchlichen Entwürfe des Kaiſers, da-
von fortgezogen, bis zu dem Zeitpunct begleitet, wo ſie ihrer
Ausführung näher kommen und ſich zugleich erſt vollſtändi-
ger entwickeln: und ſehen wohl, welch ein univerſalhiſtori-
ſches Intereſſe ſich daran knüpft, ob ſie ausgeführt werden
oder vielleicht doch noch ſcheitern; um aber die Kräfte die
dabei fördernd oder hindernd auf einander wirkten, und die
ganze Lage der Welt zu überſchauen, müſſen wir noch bei
den einzelnen Richtungen verweilen, in welchen ſich dieſe ſo
gewaltig aufſtrebende Macht bewegt, und das Verhältniß be-
trachten, in das ſie zu den übrigen Elementen der damali-
gen Welt geräth, die ſie bekämpft und die ihr widerſtreben.


Unſre deutſche Geſchichte iſt nun einmal in dieſem Zeit-
alter gleichſam die allgemeine Geſchichte. Da der Schwer-
punct der deutſchen Geſchäfte in dieſem Augenblicke nicht
mehr in der Fürſtenverſammlung am Reichstage lag, ſon-
dern in dem Kaiſer, der aber zu dieſem Einfluß hauptſäch-
lich durch den Zuſatz von Macht gelangt war, welchen er
[143]Seekrieg im Mittelmeer.
aus ſeinen außerdeutſchen Verhältniſſen gewann, ſo wirkte
jede Veränderung dieſer letzten, oder auch nur ihr Schwan-
ken auf den Gang der deutſchen Angelegenheiten zurück.


Beginnen wir auch dieß Mal mit dem Entfernteſten,
dem Seekrieg im Mittelmeer, der jedoch zu der Idee des
Kaiſerthums, wie es Carl V wiederaufzurichten im Sinne
hatte, in unmittelbarſter Beziehung ſteht.


Seekrieg im Mittelmeer.


Es war ein Act zugleich der Großmuth und der Po-
litik, daß Carl V dem aus Rhodus verjagten Orden der
Johanniter eine Freiſtatt in Malta gab.


Um den Orden nicht länger umherirren zu laſſen, ſon-
dern ihm wieder einen feſten Sitz zu verſchaffen, „damit er,“
wie es in der Urkunde heißt, „ſeine Kräfte gegen die un-
gläubigen Feinde des chriſtlichen Gemeinweſens gebrauchen
könne,“ überließ ihm Carl zur Zeit ſeiner Kaiſerkrönung, noch
in Bologna, drei nicht unwichtige Plätze, die zu ſeinem ſici-
lianiſchen Königreich gehörten, Malta, Gozzo und Tripoli
in Africa, zwar als ein Lehen, aber mit ſolchen Rechten die
einen beinahe unabhängigen Beſitz ausmachten. 1


Dem Orden war es anfangs nicht angenehm, daß ihm
auch Tripoli übertragen wurde: er hatte nur um Malta und
[144]Neuntes Buch. Viertes Capitel.
Gozzo gebeten. Der Großmeiſter de L’isle Adam ergriff
ſelbſt von den Inſeln nur mit der Hofnung Beſitz, ſie bald
wieder zu verlaſſen, entweder nach Rhodus zurückzukehren
oder ſich im Peloponnes anzuſiedeln. Erſt als Tunis erobert
war, faßten die Ritter das Vertrauen Tripoli behaupten zu
können; 1541 fiengen ſie an, ſich in Malta ernſtlich zu be-
feſtigen; der Geſchichtſchreiber des Ordens bemerkt, daß der
Großmeiſter Omedes erſt zwei Jahr ſpäter, als ſich zeigte
daß das Unglück des Kaiſers vor Algier doch nicht ſo ver-
derbliche Folgen hatte wie man anfangs gefürchtet, aus ſei-
ner bisherigen Niedergeſchlagenheit erwachte. 1 Endlich ſah
er ſich wieder von einer glänzenden Ritterſchaft, die zu Krieg
und Berathung zuſammengekommen, zuverläßigen Söldnern,
zahlreichen Unterthanen umgeben, und mit Schiffen, Waf-
fen, und worauf es auf dieſem unfruchtbaren Felſen beſon-
ders ankam, auch mit Lebensmitteln gut verſehen.


Für den Kaiſer beſtand der Vortheil der Anſiedelung
darin, daß alle Balleien von Europa beiſteuern mußten, um
dieſe dem Angriff der Osmanen jetzt zunächſt ausgeſetzten,
zwar für Alle, doch für ihn noch mehr als jeden Andern
wichtigen Grenzplätze zu vertheidigen, eine Pflicht die ihm
ſonſt allein zugefallen wäre. Sein Verhältniß als Ober-
lehnsherr und ſeine natürliche Beziehung zu den vier Zun-
gen, Deutſchland, Aragon, Caſtilien und Italien (wie denn
von den deutſchen und den ſpaniſchen Mitgliedern das erſte
[145]Seekrieg im Mittelmeer.
Geſuch an ihn ausgegangen war) verſchaffte ihm einen grö-
ßern Einfluß auf den Orden als je ein Kaiſer gehabt.


Seit dem Jahre 1541 waren nun die Corſaren noch
beſchwerlicher geworden, als ſie früher geweſen. Mit ihren
kleinen geſchwinden Fahrzeugen — wir finden wohl, daß ſie
erbeutete Galeeren zerſchlagen, um ſich Galeotten und Fu-
ſten daraus zu zimmern, — bald einzeln, bald in ganzen
Geſchwadern, durchſtreifen ſie alle dieſe Gewäſſer: kein Schiff
iſt vor ihnen ſicher, das ſich aus dem atlantiſchen Ocean
durch die Meerenge wagt, oder auch nur das zwiſchen Malta
und Sicilien ſegelt, — kein Dorf an den weiten Küſten-
gebieten des inneren Meeres, ſo daß die Landleute ſich ge-
wöhnen müſſen gute Wacht zu halten, die Nächte in na-
hen Caſtellen zuzubringen: — wie oft hat man in Procida
Diejenigen wieder losgekauft die an der neapolitaniſchen
Küſte, etwa in Caſtellamare zu Gefangenen gemacht worden
waren. Der Kaiſer ſah ſich genöthigt ſeine Galeeren in
mehrere Geſchwader zu theilen, um die Communication zwi-
ſchen ſeinen Ländern nur einigermaßen zu behaupten. Da
kamen ihm nun die Galeeren des Ordens, als deren Ca-
pitän wir im Jahr 1542 einen Deutſchen finden, Georg
Schilling, trefflich zu Statten. Die Ordenschronik ſchildert
ihr mannichfaltiges Zuſammentreffen mit den Seeräubern:
wie dieſe ſich faſt immer mit verzweifelter Tapferkeit ſchla-
gen, namentlich die Renegaten unter ihnen, die freilich den
gewiſſen Tod vorausſehen, wenn man ſich ihrer bemäch-
tigte; wie aber auch die Ritter das weiße Ordenskreuz bis
in die entfernteſten Buchten furchtbar machen und meiſten-
theils die Oberhand behalten: die Chriſtenſclaven die an den
Ranke D. Geſch. V. 10
[146]Neuntes Buch. Viertes Capitel.
Rudern ſeufzen, werden befreit; die jungen Türken die bis-
her die Herrn waren, an die Ruder geſchmiedet; von dem
Kauffahrteiſchiff flieht wohl zuweilen die türkiſche Beman-
nung an das nahe Land: dann empfangen die Neger auf
dem Verdeck tanzend und ſingend den eindringenden Sieger,
der jedoch die Sclaverei als ihren natürlichen Zuſtand an-
ſieht und, vielleicht bedauernd, ihn beibehält. 1


Von dem größten Nutzen für den Kaiſer war ferner
die Behauptung von Tripoli, beſonders des dortigen Ha-
fens, welcher als der beſte von allen, 200 Miglien weit
nach Oſten und 200 Miglien nach Weſten hin, angeſehen
ward. In ſehr gefährlicher Nähe, zu Tanjura, faßte ein
alter Kiaja Chaireddins, der Renegat Morat Aga, Fuß, der
mit einer osmaniſchen Kriegscolonie die er herbeiführte und
mit den Eingebornen auf die er Einfluß gewann, den ſchlecht
befeſtigten Ort auf das ernſtlichſte bedrohte. La Valette, der
ſich ſpäter in Malta unſterblich gemacht hat, legte die erſte
Probe ſeiner Fähigkeit durch die Einrichtungen ab, die er zur
Vertheidigung von Tripoli traf. Den Rittern war der Land-
krieg ohnehin faſt lieber als der Seekrieg. Beſonders wirkſam
zeigten ſich die Hakenſchützen zu Pferd, nachdem man einmal
die Thiere ſo gut eingeübt hatte, daß man die Hände für den
Gebrauch der Büchſe frei behielt. Wir erſtaunen, wenn wir
bemerken, in welchem Sinne dieſer Krieg noch geführt ward.
Es iſt wohl einmal der Vorſchlag geſchehen, und Anſtalt zu
ſeiner Ausführung gemacht worden, über den Vorzug der
[147]Seekrieg im Mittelmeer.
einen Religion vor der andern, des katholiſchen Chriſten-
thums oder des Islam, durch einen Kampf von Zwölf ge-
gen Zwölf entſcheiden zu laſſen: ein ſonderbares Gegenſtück
zu den Religionsgeſprächen in Deutſchland. Die Ritter be-
hielten fürs Erſte auch hier in den Waffen die Oberhand.
Es gelang ihnen, einzelne Eingeborne, Scheiche großer Dör-
fer zwiſchen Tripoli und Tanjura für ſich zu gewinnen, An-
hänger Morats dagegen, die in ihre Gewalt fielen, zu dem
Schwur auf den Koran zu nöthigen, daß ſie in Zukunft die
Waffen nicht gegen den Orden tragen wollen. Allmählig
gefielen ſie ſich in dem reichen und anmuthigen Lande. Im
J. 1548 hat das Generalcapitel des Ordens den Beſchluß
gefaßt, ſeinen Hauptſitz in Zukunft in Tripoli aufzuſchlagen,
nur mit der Beſtimmung, daß dieß nach und nach, die er-
ſten Jahre verſuchsweiſe geſchehen ſolle. 1


Unter den Corſaren jener Zeit war nun kein Andrer ſo
geſchwind, glücklich und furchtbar, wie Thorgud Thorgudſcha-
beg, den die Abendländer Dragut nennen, der wahre Nach-
folger Chaireddins, der einſt wie dieſer an eine genueſiſche
Galeere geſchmiedet geweſen, aber durch ein Geſchenk, zur
rechten Zeit der alten Fürſtin Doria dargebracht, wieder frei
geworden war, und ſeitdem alle die berufenſten Seeräuber,
Gaſi Muſtafa, Uludſch, Karakaſo und Andere als ihr natürli-
ches Oberhaupt um ſich verſammelt hatte. Wir erinnern uns,
wie ſich Carl V nach jenem ſeinem tuniſiſchen Unternehmen
10*
[148]Neuntes Buch. Viertes Capitel.
der Stadt Afrikija oder Mehdia zu bemächtigen dachte, wo
Juden und Mauren, welche aus Spanien und Portugal
verjagt worden, ſich eine Art von Republik gegründet hatten.
Dieſes Platzes bemächtigte ſich Dragut mit einer glücklichen
von Verrätherei unterſtützten Verſchlagenheit, und ſuchte nun
von hier aus, je nachdem die Looſe des Alfaqui, den er befragte,
gefallen, bald die Küſten von Valencia auf, wo er Freunde
unter den Morisken hatte, bald die genueſiſche Riviera,
um ſich den Doria wieder einmal bemerklich zu machen,
oder Gozzo, das er beſonders gehaßt haben ſoll, weil ihm
dort ein Bruder gefallen und deſſen Leiche nicht herausgege-
ben worden: oder wohin das unglückliche Geſtirn eines Land-
ſtriches ihn führte. Den Seeraub hielt er für ſein gutes
Recht: er hat wohl den Rittern ihre Grauſamkeit gegen die
„armen Corſaren“ zum Vorwurf gemacht. Zuweilen hatte
er 40 Segel in See. Von den Schlöſſern wo man ihn
wahrnahm, ließ man Rauchſäulen zum Warnungszeichen auf-
ſteigen; doch gab es ſelten eine Vorſicht, die nicht ſeiner
Hinterliſt hätte unterliegen müſſen. Im Frühjahr 1550 ver-
einigten ſich nun die ſpaniſch-italieniſchen Geſchwader des
Kaiſers mit den Galeeren des Papſtes, des Herzog Coſimo
von Florenz und des Ordens zu einem ernſtlichen Unterneh-
men gegen Dragut. Er ſelbſt aber, durch das Beiſpiel
Chaireddins gewitzigt, war längſt wieder in See, ehe die
Chriſten ankamen, und dieſen blieb nichts übrig als ihm
ſeine Stadt zu entreißen. Die drei Oberhäupter der Flotte,
der Vicekönig Vega von Sicilien, Don Garcia de Toledo
und Andrea Doria, entſchloſſen ſich endlich dazu, obwohl ſie
zur Belagerung nur eine verhältnißmäßig geringe Mann-
[149]Seekrieg im Mittelmeer.
ſchaft zu verwenden hatten. Was ihnen Muth machte
war, daß die benachbarten Maurenfürſten ihnen verſpra-
chen das chriſtliche Heer mit ihrer Reiterei zu unterſtützen
und ihre Treue durch Geiſeln gewährleiſteten. Die Tür-
ken vertheidigten die Stadt ſo gut, wie jemals eine ihrer
Galeeren; dieß Mal aber waren ihnen die Chriſten überle-
gen. Mit Tapferkeit und altem Glaubenseifer — wie denn
der Beichtvater des Don Garcia wohl ein Crucifix auf eine
Pike geſteckt hat, um die Leute zu entflammen — verbanden
ſie eine größere, gleichſam gelehrte Geſchicklichkeit: die Erin-
nerung an eine Stelle des Appian ſoll es geweſen ſeyn,
was denſelben Don Garcia auf den Gedanken brachte, auf
ein paar mit ſtarken Ankern unbeweglich befeſtigten Galee-
ren eine Batterie zu errichten, welche die Mauern an der
Seeſeite zertrümmerte und die Eroberung entſchied 1 (10 Sept.
1550). Die Johanniter nahmen an derſelben nicht allein
mit gewohnter Tapferkeit Theil, — unter den Gefallenen fin-
den wir auch ein paar deutſche Namen — ſondern ſie üb-
ten auch noch andere Pflichten aus, die ihre Regel ihnen
auflegt. Unter dem Zelte des Spittlers fanden die Verwun-
deten Pflege und die fremden Ankömmlinge Beköſtigung.


Dieſe Eroberung ſchien aber von um ſo größerer Bedeu-
tung, da einige mächtige Maurenfürſten, wie Sſidi Arif von
Cairwan und jetzt auch der Nachfolger des Mulei Haſſan in
Tunis, der ſich früher eher feindlich bezeigt, mit dem Kaiſer
in Bund traten. Der Gedanke tauchte auf, Carl V werde
ſich noch mit dem Prieſter Johann, der doch hier kein an-
[150]Neuntes Buch. Viertes Capitel.
drer ſeyn könnte als der Beherrſcher von Abyſſinien, verbün-
den und die Osmanen in Ägypten und Syrien heimſuchen.


Um aber ein ſolches Ziel, wir ſagen nicht, zu erreichen,
ſondern nur ernſtlich ins Auge zu faſſen, hätte der Kaiſer
vom Drange der innern Geſchäfte weniger eingenommen und
im Stande ſeyn müſſen, die volle Gewalt ſeiner Streitkräfte
nach dem Orient hinzuwenden.


Wie ſeine Angelegenheiten wirklich beſchaffen waren,
ließ ſich zweifeln, ob die Eroberung der Küſtenſtadt ihm nicht
eher ſchädlich ſeyn werde als vortheilhaft.


Der eigentlichen Macht Draguts, die in ſeinen Galee-
ren beſtand, hatte man doch keinen Abbruch gethan. So
weit zeigte ſich das Glück dem Andrea Doria noch einmal
günſtig, daß er Dragut mit ſeinen Fahrzeugen in dem Golfe
von Dſcherbe einſchloß, der nach der andern Seite hin von
Untiefen und Sandbänken umgrenzt iſt, über welche damals
ſogar ein Weg nach dem Continent führte, den man trocknen
Fußes beſchritt. 1 Aber Dragut, dieſer Küſtengewäſſer trefflich
kundig, fand doch einen Ausweg, den er ſich freilich zum
Theil erſt bahnte — dem Arme ſeiner Matroſen kam die Fluth
zu Hülfe —: plötzlich erſchien er wieder bei Sicilien; Andrea
Doria, der ihn noch bei Dſcherbe eingeſchloſſen zu halten
glaubte, mußte von Malta aus benachrichtigt werden daß
der Seeräuber, den er bereits als ſeinen Gefangenen betrach-
tete, ihm abermals entkommen war: ſchon hatte Dragut wie-
[151]Seekrieg im Mittelmeer.
der die vornehmſte ſicilianiſche Galeere erbeutet, und erfüllte
die Küſten mit dem Schrecken ſeiner Nähe.


Noch bei weitem wichtiger aber war es, daß hiedurch
der Stillſtand zweifelhaft wurde, auf dem die ganze Poli-
tik des Kaiſers beruhte. Carl V entgegnete zwar auf die
Beſchwerden Suleimans, bei großen Fürſten ſey es nicht
herkömmlich, Seeräuber in ihre Tractate zu begreifen. Aber
lag es nicht am Tage daß es eben dieſe Seeräuber waren,
welche hier für den Sultan kämpften? Um keinen Preis
wollte ſich Suleiman den Verluſt einer Stadt gefallen laſſen,
die bereits von den Osmanen in Beſitz genommen war und
ſeine Oberhoheit anerkannte. Im Juli 1551 erſchien eine
große Flotte unter dem jungen Sinan, Eidam des Weſir Ru-
ſtan, dem Dragut zur Seite ſtand, in den ſicilianiſchen Gewäſ-
ſern. Zuerſt ließ Sinan die beiden Vicekönige von Neapel
und Sicilien wiſſen, er komme um Mehdia zurückzufordern;
da er hierauf eine ausweichende Antwort empfieng, ſo ſtürzte
er ſich, man möchte ſagen, nicht ohne eine gewiſſe Folge-
richtigkeit, auf die Beſitzungen der Johanniter, welche zu
dem Kaiſer in einem ähnlichen Verhältniß ſtanden wie die
der Seeräuber zu dem Sultan. Malta indeß, das er zuerſt
angriff, war ihm doch ſchon zu feſt, und die Stadt zu tief
im Lande, als daß er dort lange hätte verweilen können;
bei weitem weniger Widerſtand konnte er in Tripoli fin-
den. Die Kräfte der Ritter waren getheilt, Tripoli in dem
Schrecken des unerwarteten Anfalls mit Befehlshabern von
zweifelhaftem Verdienſt und ſehr untauglichen, friſch zuſam-
mengerafften Söldnern beſetzt. Hülfe war auch deshalb nicht
zu erwarten, weil Andrea Doria ſich beſchäftigen mußte den
[152]Neuntes Buch. Viertes Capitel.
Sohn des Kaiſers aus Italien nach Spanien und den Nef-
fen deſſelben aus Spanien nach Italien zu führen, was für
jene Succeſſionsentwürfe nöthig ſchien. Unter dieſen Um-
ſtänden entſchloſſen ſich die Ritter — und es bedurfte dazu
wohl nicht erſt, wie man argwöhnte, einer von dem fran-
zöſiſchen Geſandten Aramont angeſponnenen Verrätherei 1
zur Überlieferung dieſes Platzes an Sinan, welche am 14ten
Auguſt 1551 erfolgte. So raſch giengen die Hofnungen
welche der Orden an dieſen Ort geknüpft, in Rauch auf; der
alte Feind deſſelben, Morat Aga, erſchien als Sandſchakbey
in Tripoli, wo ſich nun das Seeräuberhandwerk wie in Algier
unüberwindlich organiſirte. Für den Orden war das Un-
glück vielleicht nicht ſo groß: er konnte nun ſeine ganze
Macht auf einen einzigen Punct concentriren, wie er auch
gethan hat; dem Kaiſer aber war der Verluſt des trefflichen
Platzes, den er nicht einmal erobert, ſondern ererbt, höchſt
empfindlich: das maritime Übergewicht des mächtigen Fein-
des, den er als den allgemeinen betrachtete, ſtellte ſich alle
Tag entſchiedener heraus.


Erneuerung des Kriegs in Ungarn.


Ähnlich war der Gang der Dinge in Ungarn. Aus
einem Unternehmen das eine große Erwerbung verhieß, ent-
[153]Erneuerung des Kriegs in Ungarn.
wickelte ſich eine Verfeindung mit den Osmanen, welche auch
den bisher noch geretteten Beſitz gefährdete.


Wie den König-Woiwoden Johann Zapolya, ſo be-
trachtete der Sultan auch den jungen Sohn deſſelben, den er
von Ofen nach Siebenbürgen verwieſen, als ſeinen Vaſallen.


Dagegen konnte Ferdinand die Verträge, kraft deren
das ganze Gebiet Zapolyas an ihn hatte übergehn ſollen,
noch nicht vergeſſen, und wir finden ihn von Zeit zu Zeit
mit dem ſiebenbürgiſchen Hofe über die Auslieferung dieſes
Landes unterhandeln.


Da geſchah nun daß dort im Lande ſelbſt ein Zwie-
ſpalt ausbrach.


Wir kennen Georg Martinuzzi, Frater György, wie ihn
die ungriſchen Chroniken nennen, deſſen geheimnißvoller und
weltkluger Thätigkeit der König-Woiwode ſein Beſtehn gro-
ßentheils verdankte: Ferdinand ſoll geſagt haben, er beneide
dieſen ſeinen Nebenbuhler um nichts als um einen ſolchen
Diener. In Siebenbürgen hatte Martinuzzi jetzt als Vor-
mund des jungen Fürſten und Gubernator die Zügel der
Macht in ſeinen Händen. Man ſah ihn in ſeinem rothen
mit 8 Pferden beſpannten Wagen, von ein paar hundert
Huſaren und Haiducken begleitet durch das Land fahren und
überall gleichſam aus eigner Macht ſeine Befehle ertheilen.
Die Kutte, die er noch immer trug, wie lang es auch her
ſeyn mochte daß er ſich um die Kloſterregel nicht mehr ge-
kümmert, warf er in plötzlichen Kriegsgefahren auch von ſich
und ward im Wappenrock und weithinwallenden Helmbuſch
mitten unter den Streitenden geſehen. Er beherrſchte den
Schatz und dadurch die bewaffnete Macht, das iſt das Land
überhaupt.


[154]Neuntes Buch. Viertes Capitel.

Nun konnte es ihm aber bei der Eigenmächtigkeit die-
ſer Stellung nicht an Gegnern fehlen. Einen gefährlichen
Nebenbuhler hatte er in ſeinem Mitvormund Petrovich, der
bei Hofe und im Lande größeres moraliſches Zutrauen ge-
noß. Zuweilen regte ſich wohl der Gedanke, den Mönch
wenigſtens durch ein aus der Mitte der mächtigen Landherrn
zu beſetzendes Rathscollegium zu beſchränken. 1 Beſonders
fühlte ſich die Königin Iſabella darüber unglücklich, daß ſie
ſo gar nichts vermöge, ſich ſo ganz in der Gewalt eines
Menſchen befinde, den ſeine Geburt zu dem niedrigen Dienſte,
aber zu keiner Herrſchaft beſtimmt habe; mehr als einmal
wollte ſie das Land verlaſſen: endlich entſchloß ſie ſich ihren
Schutzherrn, den Sultan, anzurufen, deſſen Majeſtät in dem
Kinde, welchem er Siebenbürgen überlaſſen, verletzt werde. 2
Ohnehin war Suleiman kein Freund dieſes Mannes, an
welchen doch die Selbſtändigkeit des Landes ſich knüpfte.
Der Paſcha von Ofen machte einen Verſuch, mit bewaffne-
ter Macht in Siebenbürgen einzudringen, ward aber von
Martinuzzi zurückgewieſen; einige andre Einwirkungen der
Türken ließen dem Mönch keinen Zweifel übrig, daß in Con-
ſtantinopel ſein Untergang beſchloſſen ſey. 3


Dadurch ward aber auch er ſeinerſeits bewogen, ſich
an den andern Nachbar, König Ferdinand, zu wenden, und
[155]Erneuerung des Kriegs in Ungarn.
ihm die Ausführung des alten Tractates, die Überlieferung
Siebenbürgens und der heiligen Krone anzubieten.


Am Hofe des Königs trug man anfangs Bedenken
hierauf einzugehn: Johann Hofmann, den wir kennen, ſoll
es widerrathen haben; aber die Gelegenheit war zu lockend
um ſie nicht zu ergreifen: dieß Mal, glaubte man, könne
der Mönch ſich nicht wieder mit den Osmanen verſtändigen.


Es wäre hier nicht am Ort, die oft doppelſinnigen
Verhandlungen die hierüber gepflogen wurden, im Einzelnen
zu begleiten: genug, nach einiger Zeit führten ſie zum Ziele.
Im Jahr 1551 ergab ſich die Königin in ihr Geſchick und
vertauſchte die Herrſchaft in Siebenbürgen mit einigen ſchle-
ſiſchen Beſitzungen. Hierauf leiſteten die Stände zu Clau-
ſenburg die Huldigung an König Ferdinand und überliefer-
ten die heilige Krone dem Befehlshaber deſſelben.


Martinuzzi ſchien hiedurch nur noch mächtiger zu wer-
den: er ward von Ferdinand als Schatzmeiſter und Woi-
wode des Landes und zwar ohne Collegen anerkannt und
zum Cardinal erhoben: da ihm ſo viel gelungen, fragte man
in dieſen Ländern wohl, ob er nicht noch Papſt werden könne.


Ganz ein andres Schickſal aber ſtand ihm bevor. Un-
verweilt nemlich, noch im September 1551, erſchienen die
Türken unter einem ihrer nahmhafteſten Anführer, Mehemet
Sokolli, 60000 M. ſtark, von Salankemen her über der Do-
nau, eroberten eine ganze Anzahl von Schlöſſern die vor ihnen
lagen, und durchzogen plündernd die von dem bisherigen Kriege
noch minder berührten Ebenen des Banates. Zwar wurde
nun die blutige Lanze und das blutige Schwert durch alle ſie-
benbürgiſchen Ortſchaften geſchickt; die ferdinandeiſchen Trup-
[156]Neuntes Buch. Viertes Capitel.
pen kamen herbei, und mehrere von dieſen Schlöſſern wur-
den wiedererobert, ſelbſt das einſt noch von Georg von
Brandenburg befeſtigte Lippa; allein einmal fehlte viel daß
man den Türken alle ihre Eroberungen wieder entriſſen hätte,
ſodann entſpann ſich eben aus dieſem zweifelhaften Erfolg
eine Verſtimmung zwiſchen Martinuzzi und dem ihm zur
Seite ſtehenden öſtreichiſchen Befehlshaber, die ſofort zu ei-
ner gräßlichen Kataſtrophe führte.


Martinuzzi ließ ſich wohl vernehmen, er hätte geglaubt
die Deutſchen würden ſtärker ſeyn als er ſie gefunden: und
obwohl aus den vorliegenden Actenſtücken kein Beweis da-
für hervorgeht, ſo iſt es doch nicht ohne Wahrſcheinlichkeit,
daß er daran gedacht hat, wie er ſich auch ohne Ferdinand
in Siebenbürgen behaupten könne. 1


Dagegen ſchöpften die königlichen Befehlshaber den
Verdacht, als unterſtütze er ſie abſichtlich nur ſchlecht und
denke auf ihr Verderben, um ſich dann unter türkiſchem
Schutz zum Alleinherrn Siebenbürgens zu machen.


Bei Ferdinand trafen ihre Meldungen mit beinahe gleich-
lautenden Nachrichten aus Conſtantinopel zuſammen. So
wichtig ſchien ihm der Beſitz von Siebenbürgen, ſo drin-
gend die Gefahr das kaum Gewonnene zu verlieren, und
von ſo gewaltſamen Entſchlüſſen und Handlungen erfüllt
waren noch die Zeiten, daß er es über ſich gewann, der
[157]Erneuerung des Kriegs in Ungarn.
Beurtheilung ſeiner Befehlshaber zu überlaſſen, ob ein Mann
leben oder ſterben ſolle, deſſen Schuld ihm ſelber zweifelhaft
war. 1 Caſtaldo und ſeine Freunde, von perſönlichem Haß,
der Beſorgniß am Ende ſelber verrathen zu werden, und der
Begierde erfüllt, ſich der Schätze des Mönches zu bemächti-
gen, von denen man Unglaubliches meldete, trugen kein Be-
denken augenblicklich zur That zu ſchreiten. In dem eignen
Schloſſe des Mönches, der doch dabei wenig Vorſicht zeigte,
Alvinz, fanden ſie Gelegenheit an ihn zu kommen. Mar-
tinuzzi ward in dem Augenblicke daß er ſich anſchickte einen
ihm überbrachten Brief zu leſen, wie dort in Neuburg Jo-
hann Diaz, von den Überbringern ermordet. Seine Schätze
fand man weit geringer als man gemeint.


Und nun läßt ſich denken, daß auch dem König aus
dieſen Dingen kein Heil erwuchs. Der Tod des Mannes,
der alles zuſammengehalten, mußte nothwendig alles auflö-
ſen. In Kurzem finden wir den öſtreichiſchen Befehlshaber
Caſtaldo zugleich mit einem Aufſtand der Szekler, den Ein-
fällen der Walachen und einem neuen türkiſchen Heere in
ungleichem Kampfe.


Die Hauptſache war auch hier, daß hiedurch der Still-
ſtand gebrochen war, den man mit ſo vieler Mühe zu Stande
gebracht hatte. Ich finde die Nachricht (wiewohl nicht mit
voller Sicherheit), die Unternehmungen auf Mehdia und auf
[158]Neuntes Buch. Viertes Capitel.
Siebenbürgen ſeyen von den beiden öſtreichiſchen Brüdern zu-
gleich in Erwägung gezogen worden: man habe ſehr wohl
geſehen, daß die Erneuerung des osmaniſchen Krieges die
unausbleibliche Folge davon ſeyn würde, aber es darauf
gewagt, um der großen Vortheile willen die man erwartete.
Die Vortheile waren nicht gewonnen; die Nachtheile traten
in vollem Maaße ein: zu beiden Seiten erhob ſich ein für
die beiderſeitigen Länder höchſt gefährlicher Krieg, der alle
Aufmerkſamkeit und Kraftentwickelung in Anſpruch nahm.


Und wenden wir nun unſer Augenmerk von dem Oſten
nach dem Weſten, wo die Thätigkeit des Kaiſers von ſei-
nen Beziehungen zu England und Frankreich und dem ge-
genſeitigen Verhältniß dieſer beiden Reiche bedingt wurde,
ſo waren auch hier die größten Veränderungen eingetreten,
oder bahnten ſich doch in dieſem Augenblicke an.


Bleiben wir zunächſt bei dem Gange der Dinge in
England ſtehn, der zugleich die kirchliche Seite der kaiſerli-
chen Unternehmungen nahe berührt.


Fortgang der Reformation in England.


Wenn ſich der Kaiſer und König Heinrich VIII nach
langem Hader wieder verbündeten, ſo konnte das, ſo viel
dringende Antriebe dafür vorhanden waren, bei der Sin-
nesweiſe jener Zeit doch nicht wohl geſchehen, ohne daß
auch in ihren kirchlichen Tendenzen wieder eine gewiſſe Ana-
logie eintrat.


Nachdem Heinrich VIII mit ſeinem Clerus und ſeinem
Parlament ſich einige Jahre daher in einer Richtung bewegt,
die dem deutſchen Proteſtantismus entſprach, vereinigten ſich
[159]Reformation in England.
dieſe drei Gewalten im J. 1539 zu dem Geſetz der ſechs
Artikel, durch welches Prieſterehe und Laienkelch verworfen,
das Dogma der Brotverwandlung dagegen, die herkömm-
liche Feier der Meſſen und die Ohrenbeichte bei ſtrenger Ahn-
dung eingeſchärft wurde.


Fragen wir, was ihn dazu bewog, ſo werden wir wohl
nicht irren, wenn wir dieß Geſetz zu den Maaßregeln der
Vertheidigung rechnen, welche er damals gegen die Verbin-
dung des Papſtes mit dem Kaiſer und dem König von
Frankreich ergriff. Bei der erſten Nachricht von dieſer Ver-
bindung waren alle heimlichen Anhänger des Papſtes in Be-
wegung gerathen; der franzöſiſche Geſandte meint, es gehöre
nichts weiter, als das Interdict und etwa ein kirchliches Han-
delsverbot dazu, um den offenen Aufruhr in England zu ent-
zünden. 1 Der König glaubte das von ihm ergriffene Syſtem
nur dadurch behaupten zu können, wenn er ſeine römiſch-ka-
tholiſchen Unterthanen, die noch die Mehrzahl ausmachten,
in Hinſicht der wichtigſten Lehrpuncte beruhigte. Eine Auf-
faſſung die ſich beinahe aufdringt, wenn man das Tagebuch
von Hollinſhed lieſt, wo die kriegeriſchen Vorkehrungen die
Heinrich VIII traf, — Befeſtigung der Häfen, Beſichtigung
aller Landungsplätze, Muſterung der Kriegsmannſchaften, —
und die Verkündigung dieſer Artikel in Einer Reihe genannt
werden. 2


[160]Neuntes Buch. Viertes Capitel.

Wenn Heinrich VIII dabei fürs Erſte mit den Prote-
ſtanten doch noch in Verbindung blieb und jene Ehe mit
Anna von Cleve ſchloß, ſo geſchah das aus dem verwand-
ten Grunde, weil ihm nichts erwünſchter und nützlicher war
als der Widerſtand derſelben gegen den Kaiſer. Sobald ſie
dieſen aufgaben, ward Anna verſtoßen, jede engere Verbin-
dung abgebrochen, der bisherige Führer der religiöſen Neue-
rung, Cromwell, ſeinen Feinden Preis gegeben.


Seitdem erſt begann man die Artikel mit der Strenge
zu handhaben, die ihnen den Namen der blutigen verſchafft
hat. Die Papiſten wurden mit dem Schwert hingerichtet,
die Gegner der Transſubſtantiation erlitten den Tod im Feuer:
beides im Namen des Geſetzes.


Dann konnte ſich der König auch wieder der Politik
des Kaiſers nähern, mit deſſen zugleich antipäpſtlicher und
dogmatiſch-katholiſcher Haltung die ſeine eine bei weitem
nähere Verwandtſchaft hatte als mit dem Geiſte des Prote-
ſtantismus.


Nur ganz in ſeinen letzten Tagen ſchien es ihm gut,
eine Veränderung wenn nicht eintreten zu laſſen, doch vor-
zubereiten.


Es wurden ihm Anzeigen gemacht, — er hat die be-
ſonders anzüglichen Stellen darin noch mit zitternder Hand
unterſtrichen 1 — nach welchen es ihm ſchien, als ob das
Haus Howard, das an der Spitze der katholiſchen Partei
ſtand, wohl ſeinem Sohne gefährlich werden könne. Gerade
zu der Zeit, in welcher er die Howards einkerkerte oder hin-
richten ließ, mußte es nun ſeyn, daß er diejenigen Männer
[161]Reformation in England.
ſchließlich ernannte welche während der Minderjährigkeit ſei-
nes Sohnes die Regierung führen ſollten. Aus dem Ver-
zeichniß derſelben tilgte er mit eigner Hand den Namen
Gardiners, der bisher die katholiſchen Lehrſätze nicht ohne
Geiſt und mit bemerkenswerther Feſtigkeit vertheidigt hatte;
den Namen Cranmers dagegen, des vornehmſten geiſtlichen
Werkzeugs der Reformation, fand man unter den vom Kö-
nig ernannten Executoren des Teſtaments obenan ſtehn.


Und ſo bildete ſich unmittelbar nach Heinrichs Tode eine
Regierung, in der die proteſtantiſchen Hinneigungen vorwal-
teten. Ein Mann der ſie mit Entſchiedenheit hegte, Edward
Seymour, jetzt zum Herzog von Sommerſet erhoben, trat
unter dem Titel eines Protectors als ihr Oberhaupt auf:
ſeine Mitexecutoren ließen ſich gefallen als ſeine Räthe zu
erſcheinen; gab es noch fremdartige Elemente unter ihnen,
ſo wurden ſie ohne Mühe ausgeſtoßen.


Mag nun die Geſinnung König Heinrichs geweſen ſeyn
welche ſie will, aller Grauſamkeit ſeiner Edicte zum Trotz,
durch das Ganze ſeiner Thätigkeit hat er die Fortſchritte der
religiöſen Neuerung mächtig befördert. Er hat die Summe
der geiſtlichen Gewalt mit der königlichen verbunden. Dieſe
neu begründete kirchlich-weltliche Macht hat er dann einer
Vereinigung von Männern hinterlaſſen, in welcher das pro-
teſtantiſche Prinzip auf der Stelle die Oberhand bekam.


Auch in dem Bisthum hatte unter Cranmers ſtillem
Einfluß die proteſtantiſche Anſicht Eroberungen gemacht: der
zweite Erzbiſchof des Reiches, mehrere andere Biſchöfe neig-
ten ſich ihr zu.


Es bedurfte nichts weiter als der natürlichen Entwicke-
Ranke D. Geſch. V. 11
[162]Neuntes Buch. Viertes Capitel.
lung der innerhalb der conſtituirten Gewalt auf dieſe Weiſe
ſchon geſchehenen Veränderung, um den neuen Meinungen
freien Raum zu machen. Man brauchte von dem durch
Heinrich VIII gebahnten Wege der Geſetzlichkeit nicht abzuwei-
chen und konnte doch zu ganz andern Reſultaten gelangen.


Wie hätte die neue Regierung auch zum Beiſpiel an
der Strenge feſthalten können, mit welcher Heinrich VIII
ſeine Gebote hatte handhaben laſſen.


Jetzt erſchienen fliegende Blätter und Reime, Hefte,
Bücher gegen das bisherige Syſtem; die Faſten wurden ge-
brochen, Bilder umgeriſſen. Niemand machte Miene ſich
darum zu bekümmern.


Vielmehr ward, ohne langen Verzug, eine neue Viſita-
tion vorgenommen um die Mißbräuche der Geiſtlichen aus-
zurotten; ſie knüpfte ausdrücklich an diejenigen Artikel an,
welche unter Cromwell bekannt gemacht worden.


Um das Volk zu unterweiſen, verfaßte der Erzbiſchof
Cranmer in deutſcher Weiſe eine Anzahl von Homilien, die
ſich beſonders in dem Artikel von der Juſtification von dem
herkömmlichen Syſtem entfernten.


Und hierauf nun verſammelte ſich das Parlament, Nov.
1547, unter dem Eindruck welchen die Veränderung der
Regierung überhaupt und beſonders eine Unternehmung ge-
gen Schottland gemacht, die ſehr glücklich gegangen war:
es theilte vollkommen die Geſinnung der Regierung.


Vor allem wurden die ſechs Artikel abgeſchafft. Cran-
mer brauchte wohl nicht, wie man geſagt hat, erſt darauf
aufmerkſam gemacht zu werden, daß ohne dieß kein weiterer
legaler Schritt möglich war. Das Parlament ergriff aber auch
[163]Reformation in England.
eine poſitive Maaßregel: es ordnete die Communion unter bei-
derlei Geſtalt an. Man ſollte glauben, daß die Überzeugung
von der Rechtmäßigkeit dieſer Abänderung ſehr verbreitet ge-
weſen ſey. Unter den Biſchöfen waren nur fünf, im Unter-
hauſe der Convocation, welches 64 Stimmen zählte, nicht
eine einzige dagegen.


Dabei hielt das Parlament das geiſtliche Supremat
der Krone auf das nachdrücklichſte feſt: beſonders ihr Recht
die Biſchöfe zu ſetzen.


Auch in dem jetzt vorherrſchenden Sinne hätte kein
Schritt ohne Erlaubniß der Regierung geſchehen dürfen. Wie
ſo durchaus anders giengen die Dinge jenſeit des Meeres,
als dieſſeit. Bei uns war die Bewegung von der Predigt
mit hervorgebracht: dort war die freie Predigt kaum einen
Augenblick erlaubt geweſen, ſo wurde ſie wieder verboten.
Der Grundſatz ward aufgeſtellt, daß Niemand Meinungen
und Gebräuche die der König noch dulden wolle, in Ver-
achtung bringen dürfe; einem Privatmanne könne nicht zu-
ſtehn Neuerungen anzufangen; 1 die Regierung behielt ſich
gleichſam das Recht vor, ausſchließend die öffentliche In-
telligenz zu ſeyn. Und nur ſehr bedachtſam gieng ſie zu
Werke. In dem Katechismus, den Erzbiſchof Cranmer übri-
gens nach deutſchem Vorbild bearbeitete, hütete er ſich doch
die Ideen vom Prieſterthum zu verletzen: die Lehre von
dem göttlichen Urſprung und der göttlichen Berechtigung
deſſelben wird darin mit aller Strenge feſtgehalten. 2 Es
11*
[164]Neuntes Buch. Viertes Capitel.
dauerte eine Weile ehe man die Prieſterehe erlaubte. Die
Commiſſion von Biſchöfen und Geiſtlichen, welche auf Be-
ſchluß des Parlaments dazu ſchritt eine neue gleichförmige An-
ordnung des Gottesdienſtes zu entwerfen, ließ es ihr haupt-
ſächlichſtes Geſchäft ſeyn, die verſchiedenen Liturgien die in
England in Gebrauch waren, von Sarun, Bangor, York,
zu vereinigen und zu verſchmelzen, und unterwarf ſie nur
einer Durchſicht und Reinigung. Sie verfuhr nach dem
Grundſatz, daß auch Chriſtus bei ſeinem Werke das Alte
nicht ganz verworfen, ſondern bei den beiden großen Inſti-
tutionen die er gemacht, ſich an die Gebräuche der Juden
angeſchloſſen habe. 1


So nahe wie möglich hielt man ſich an die hiſtoriſch
gegebenen Grundlagen. Aber dabei kam doch eine Neue-
rung zu Tage, durch welche ſich auch dort der reformatori-
ſche Gedanke endlich ſelbſtändig Bahn gebrochen hat.


Die Lehre von der Brotverwandlung war in England
am ſpäteſten durchgedrungen: ſie hatte dort in Wikliffe den
erſten wirkſamen und durchgreifenden Widerſpruch gefunden;
zwar hatte ſie ſich nichtsdeſtominder der Gemüther allmäh-
lig bemächtigt und war von Heinrich VIII mit Feuer und
Schwert vertheidigt worden, aber ſie mußte es doch wieder
ſeyn, was dort, nachdem man bisher hauptſächlich die Ver-
faſſung und die Gebräuche geändert, zu einer weſentlichen
Neuerung in der Lehre den entſcheidenden Anlaß gab.


Oder ſagen wir vielmehr Herſtellung, als Neuerung?


In England machte es noch größeren Eindruck als in
[165]Reformation in England.
Deutſchland, daß damals das Werk eines Mönches aus dem
9ten Jahrhundert, der immer unter den rechtgläubigen Kirchen-
ſchriftſtellern aufgeführt worden, das Buch des Ratramnus
von Corbei über Leib und Blut unſers Herrn, bekannt ward,
worin nicht allein die Brotverwandlung verworfen, ſondern die
leibliche Gegenwart überhaupt geleugnet, und dieſe Anſicht ei-
nem mächtigen König der damaligen Welt, Carl dem Kahlen,
als die wahrhaft katholiſche bezeichnet wird. 1 Einer der Füh-
rer der Reformation, Nicolaus Ridley, ſtudirte dieſe Schrift
auf ſeiner Landpfarre in Kent, und durchdrang ſich mit der
Überzeugung, daß die herkömmliche Auffaſſung nicht allein
unhaltbar, ſondern auch die neuere ſey: einer Meinung,
die er gar bald ſeinem Freunde, dem Erzbiſchof Cranmer
mittheilte. 2 Eben langten aus Deutſchland, zum Theil aus-
drücklich eingeladen, zum Theil durch die Gewaltſamkeit ver-
jagt mit welcher das Interim eingeführt wurde, auch ſolche
Leute an, denen die Wittenberger Concordie noch nicht ge-
nügte, wie Peter Martyr, der eine Zeitlang bei Cranmer zu
Lambeth lebte, und Johann a Lasco. Sie trugen nicht we-
nig zur Befeſtigung Cranmers in dieſen Abweichungen bei,
der dann wieder bei der geſammten Geiſtlichkeit darin Nach-
folge fand. Man begnügte ſich nicht die Meſſe aufhören zu
laſſen, — in der Mutterkirche der Hauptſtadt zu St. Paul trat
die Communion an die Stelle des Hochamtes, — ſondern in
der neuen Liturgie ward die Elevation, welche Luther ſo lange
beibehalten, und die Kniebeugung vor der Hoſtie verboten. 3
Die Viſitatoren des Jahres 1549 verpönten jede Beibehal-
[166]Neuntes Buch. Viertes Capitel.
tung der eigenthümlich römiſchen Gebräuche. 1 Auf der Uni-
verſität Oxfort focht Peter Martyr die Lehre über die Eu-
chariſtie, obwohl nicht ohne harte Kämpfe, durch; wie er ſie
feſtſtellte, iſt ſie darnach in die Bekenntnißſchriften der engli-
ſchen Kirche aufgenommen worden.


Indem nun aber die kirchliche Veränderung die Mo-
mente berührte, welche den Kern des katholiſchen Glaubens
ausmachten, mußte in England ſo gut wie anderwärts eine
allgemeine Erſchütterung erfolgen.


Was die ſechs Artikel einſt politiſch empfahl, zeigt ſich
erſt recht, wenn wir finden, daß die aufrühreriſche Menge
in mehreren Provinzen die Herſtellung dieſes blutigen Statu-
tes forderte.


Auch ganz entgegengeſetzte Motive miſchten ſich ein, be-
ſonders Widerſtand gegen das Umſichgreifen des Adels, na-
mentlich die weitern Einzäunungen des Landeigenthums, ver-
geſellſchaftet mit anabaptiſtiſchen Regungen, welche faſt an
den deutſchen Bauernkrieg erinnern. 2


Dieſe Bewegungen wurden nun zwar leichter als in
Deutſchland erdrückt, da ſie ſich in ſich ſelbſt widerſprachen,
und in England das Herrenrecht der Weltgeiſtlichkeit, die
ganze biſchöfliche Hierarchie aufrecht erhalten wurde; allein
ſie blieben doch nicht ohne die größte Rückwirkung.


Um zu Hauſe nicht zu unterliegen, mußte die Regie-
[167]Reformation in England.
rung die krieggeübten Leute, die bisher die Beſatzung von Bou-
logne ausgemacht, von dort wegführen: dadurch aber ward der
König von Frankreich veranlaßt, 1 ſeinen Krieg ernſtlicher zu
erneuern als bisher; er bemächtigte ſich in Kurzem der klei-
nen Befeſtigungen in jenem Gebiete.


Auch in Schottland konnten ſich die Engländer jetzt
nicht länger halten: nach mancherlei Verluſten entſchloſſen
ſie ſich, den vornehmſten Platz deſſen ſie ſich bemächtigt hat-
ten, Haddington, zu verlaſſen.


Wir werden wohl nicht irren, wenn wir den nächſten
Grund daß der Protector Sommerſet ſich nicht behaupten
konnte, in der Verflechtung dieſer Umſtände ſuchen, in der
ſchlechten Lage der öffentlichen Angelegenheiten, die man ihm
Schuld gab, den Mißgriffen die er perſönlich dabei begieng:
doch nicht hierin allein, ſondern zugleich in einer politiſchen
Hinneigung die er dabei an Tag legte.


Er nahm ſich der bedrängten Gemeinen ganz unzwei-
deutig an: die neuen Einzäunungen wurden an vielen Or-
ten durch die Commiſſarien die er ausgeſandt hatte, zerſtört,
und man ſchrieb ihm die Abſicht zu, in dem nächſten Par-
lamente eine nachdrückliche Acte zur Abſtellung der Übergriffe
des Adels einzubringen. Nachdem er die geiſtlichen Forde-
rungen beſeitigt, ſchien er geneigt die weltlichen Anſprüche
zu bewilligen. 2


[168]Neuntes Buch. Viertes Capitel.

Er war jedoch viel zu ſchwach für einen Plan, zu deſ-
ſen Durchführung Sieg im Feld, unbezweifeltes Übergewicht
im Rath und die entſchloſſene Unterſtützung eines kräftigen
Königs gehört hätten. Er erlag ſeinen Gegnern, welche
ſchon glaubten daß er es auf eine allgemeine Umwandlung
der Verfaſſung abgeſehen habe.


Man wird ſich nicht wundern, wenn der Sturz des vor-
nehmſten Führers der religiöſen Umbildung hie und da die Er-
wartung hervorrief als würde dieſe ſelbſt rückgängig werden.


Am kaiſerlichen Hofe zu Brüſſel war man mit der Ver-
waltung Sommerſets ſo ſchlecht zufrieden, daß der dortige
franzöſiſche Geſandte Marillac den Sturz des Protectors
von den Einwirkungen des Kaiſers herleitet. 1 Wenigſtens
ward das Ereigniß von dieſem Hofe mit lauter Freude be-
grüßt. Der erſten Geſandtſchaft des neuen Gewalthabers
Warwick, der ihn um Hülfe gegen Frankreich bat, wie auch
ſein Vorgänger gethan, eröffnete der Kaiſer mit einem gewiſ-
ſen Vertrauen, daß die engliſche Regierung ſich vor allen Din-
gen mit ihm in Sachen der Religion vereinigen müſſe. 2


Wie wäre aber Warwick, den dieſelben Männer —
für ihn ſchlechterdings unentbehrlich — umgaben welche die
Veränderung eingeleitet, daſſelbe Parlament das ſie beſchloſ-
ſen und ſchon ſo weit eingeführt hatte, wenn er auch ge-
2
[169]Reformation in England.
wollt hätte, im Stande geweſen, mit einer rückgängigen
Bewegung durchzudringen? Der erſte Verſuch dazu hätte
ihm ſelber zum Verderben gereicht.


In der nächſten Sitzung des Parlaments ward viel-
mehr das begonnene Werk in gleicher Richtung fortgeſetzt.


Die alten Rituale mußten ausgeliefert werden; die Bil-
der wurden vollends aus den Kirchen geſchafft; ein Ordi-
nationsbuch ward verfaßt, in welchem nun auch die Lehre
vom Character, die, wie wir oben andeuteten, zur Doctrin
von der Transſubſtantiation eine nahe Beziehung hat, und
die bisherige Anſicht von der Abſolution verworfen wurde.
Indeſſen machten ſich auch in Cambridge die evangeliſchen
Anſichten von Gnade und Rechtfertigung, Gotteswort und
Menſchenlehre durch den Einfluß beſonders Martin Butzers
unter den Gelehrten geltend. Es bereitete ſich alles zum
Abſchluß des Syſtemes vor, das in den 39 Artikeln feſtge-
ſetzt und in England behauptet worden iſt.


Da nun aber um ſo weniger an Hülfe des Kai-
ſers gegen Frankreich zu denken war, ſo mußte die ganze
Politik der engliſchen Regierung ſich ändern. Sie bewil-
ligte jetzt den Franzoſen die Rückgabe von Boulogne ohne
ſo viel drückende Bedingungen wie Heinrich VIII aufge-
ſtellt, und ſchloß einen Frieden mit dieſer Macht, der die
einſt in Gemeinſchaft mit dem Kaiſer im Jahr 1543 be-
gonnenen Feindſeligkeiten allererſt beendigte. Zwar hat es
dann im Laufe des Sommers noch einige Irrungen über
die Grenzen gegen Calais hin gegeben, von denen es wohl
Einem und dem Andern ſchien als würden ſie eine neue
Fehde veranlaſſen, aber zuletzt ward doch alles beſeitigt und
[170]Neuntes Buch. Viertes Capitel.
ein ganz gutes Verſtändniß gegründet, bei dem man ſogar
die Ausſicht auf engen Bund faßte.


Und nun leuchtet ein, welche Nachtheile zugleich kirchli-
cher und politiſcher Natur für den Kaiſer hierin lagen.


Seine kirchlichen Pläne umfaßten die ganze abendlän-
diſche Chriſtenheit. Unmöglich konnte es ihm gleichgültig
ſeyn, wenn in England die Meinungen emporkamen die er
in Deutſchland bekämpfte. Während er hier ſeine vor-
nehmſte Sorge ſeyn ließ die Meſſe herzuſtellen, ward ſie
dort aufgehoben.


Da ſich Prinzeſſin Maria weigerte, ſich der geſetzlichen
Uniformität zu unterwerfen, und er ſich ihrer hiebei annahm,
ſo gerieth er jetzt ſelbſt in Weiterungen mit der engliſchen
Regierung; 1 er hat ihr im Jahr 1551 mit Krieg gedroht,
und ich finde daß die flandriſchen Küſten gegen einen An-
fall, den die Engländer plötzlich unternehmen dürften, in Ver-
theidigungsſtand geſetzt worden ſeyen. 2


Eine noch bei weitem dringendere Gefahr für ihn aber
ſchloß es ein, daß König Heinrich II von Frankreich, der
ſich eben ſo ſtark wie ſein Vater als der natürliche Ne-
benbuhler und Opponent des Hauſes Öſtreich fühlte, durch
dieſen Frieden freie Hand bekam.


Der König ſelbſt hatte geſagt, er wolle dem Kaiſer
nicht länger das Vergnügen machen, ſeine Nachbarn in den
Waffen gegen einander zu ſehen. Die offenen und geheimen
Gegner des Kaiſers in aller Welt wurden bei dieſer Nach-
[171]HeinrichIIund die Farneſen.
richt von der Erwartung ergriffen, daß eine Änderung der
allgemeinen Politik bevorſtehe: ſie tranken wohl einander Glück
zu bei der Nachricht von dieſem Friedensſchluß.


Heinrich II und die Farneſen.


Ein ſehr außerordentliches Verhältniß waltete ſchon alle
dieſe Jahre daher zwiſchen dem König von Frankreich und
dem Kaiſer ob.


Im September 1548 trug der König dem Kaiſer noch
einmal die engſte Allianz an, die durch die Vermählung ſei-
ner Schweſter mit dem Prinzen von Spanien bekräftigt wer-
den ſolle. 1 Bei der Mittheilung dieſes Gedankens rief Gran-
vella aus, wenn er den Tod ſchon zwiſchen den Zähnen
hätte, würde ihn eine Mittheilung dieſer Art wieder ins Le-
ben zurückrufen, und die Unterhandlungen darüber wurden
wirklich eröffnet.


Aber gleich bei dem erſten Schritte ſcheiterten ſie auch.
Der Kaiſer bezeichnete eine Bedingung als unerläßlich, welche
die Franzoſen ſchlechterdings nicht eingehn wollten, die Her-
ausgabe von Piemont; — vorausgeſetzt daß es ja mit je-
nem Vorſchlag überhaupt jemals dem einen oder dem an-
dern Theile Ernſt geweſen iſt.


Montmorency bekennt in einem Brief an Marillac, er
habe damit nur Zeit zu gewinnen geſucht.


[172]Neuntes Buch. Viertes Capitel.

Dagegen ſagte wohl auch Granvella, er habe ſeine
weiten Ärmel voll von Beſchwerden gegen Frankreich, doch
ſey die Zeit noch nicht gekommen ſie geltend zu machen.


Seitdem beobachtete jeder Theil den andern mit bewuß-
ter und nur wenig verborgener Feindſeligkeit.


Von Anfang an aber waren hiebei die Franzoſen in
Vortheil. Der Kaiſer verfolgte ein ideales, kaum jemals
erreichbares Ziel. Sie dagegen nahmen mit voller Überle-
gung ſich vor, nur erſt ihre engliſch-ſchottiſche Angelegenheit
zu beendigen und ſich dann gegen den Kaiſer zu wenden.


Wir ſahen ſo eben, wie gut es dem König damit ge-
lang. Er hatte die Vereinigung von Schottland und Eng-
land zu Einem Reiche dieß Mal wirklich verhindert, die junge
Königin nach Frankreich geführt, um ſie mit dem Dauphin
zu vermählen, Boulogne wiedererobert, und dabei noch ein
gutes Verſtändniß mit England geſtiftet. Dergeſtalt nahm
er eine ſehr ſtarke Stellung in Europa ein. Er war ſieg-
reich, jung und kriegsbegierig. Er konnte darauf denken die
Oppoſition zu erneuern, die einſt ſein Vater gehalten.


Den nächſten Anlaß dazu gaben ihm die italieniſchen,
namentlich die farneſiſchen Angelegenheiten.


Nach der unglücklichen Kataſtrophe Pier Luigis in Pia-
cenza hatte Paul III Parma an die Kirche zurückgenommen:
Camillo Orſino hielt es bei ſeinem Tode im Namen der
Kirche beſetzt. Einem im Conclave gegebenen Verſprechen
zufolge fieng Julius III ſeine Regierung damit an, daß er
Parma dem Sohn Pier Luigis, Ottavio, wieder zurückgab.
Man wollte wiſſen, der Kaiſer habe hoffen laſſen, dieſen ſeinen
Eidam auch in Piacenza herzuſtellen. Die Farneſen ſchmei-
[173]HeinrichIIund die Farneſen.
chelten ſich, bei dem guten Verhältniß des Papſtes mit dem
Kaiſer noch in den Beſitz alles deſſen zu gelangen, was ſie
der Gunſt ihres Großvaters jemals verdankt.


Auf dem Reichstage von Augsburg, im September
1550, ward auch hierüber mit dem Kaiſer unterhandelt.


Es war aber nicht in ſeiner Weiſe, eine Landſchaft auf
die er Rechte zu haben glaubte, und die er größtentheils
ſchon inne hatte, ſo leicht wieder fahren zu laſſen. Daß
ſeine Tochter mit Ottavio verheirathet war, machte auf ihn
wenig Eindruck, nachdem das ganze Haus in Pier Luigi
tödtlich beleidigt worden. Die Verbindung des jüngſten von
den Brüdern, Oratio, mit Frankreich erregte von Anfang an
ſeinen Verdacht und Widerwillen. So weit war er ent-
fernt Piacenza zurückzugeben, daß er ſogar Anſprüche auf
Parma erhob, und eine Unterſuchung der zwiſchen Reich
und Kirche ſchwebenden Streitfrage über die Oberherrlich-
keit über dieſe Städte in Antrag brachte. 1 Ferrante Gon-
zaga ſetzte ſeine Feindſeligkeit gegen die Stadt Parma un-
aufhörlich fort.


Da konnten nun die Farneſen auch von dem Papſt
nicht viel Schutz erwarten. Es war nicht das Herkommen im
Kirchenſtaat, daß die Nepoten eines früheren Papſtes von
dem regierenden beſondere Rückſicht genoſſen. Eine der In-
ſtructionen Julius III beweiſt unwiderleglich, daß ihn wirk-
lich der Gedanke beſchäftigt hat, auch Parma dem Kaiſer
zu überlaſſen, bei günſtiger Gelegenheit, unter den nöthigen
[174]Neuntes Buch. Viertes Capitel.
Bedingungen. 1 Dem Herzog Ottavio ließ er endlich ge-
radezu wiſſen, daß die Kammer den Aufwand nicht länger
tragen könne welchen ihr der Schutz von Parma verurſache.


Es blieb kein Zweifel, daß die Farneſen verloren wa-
ren, wenn ſie nicht zu einem außerordentlichen Mittel griffen.


Papſt Paul III war durch den Zuſammenhang der geiſt-
lichen und weltlichen Geſchäfte abgehalten worden, in ein
entſchiedenes Verhältniß zu Frankreich zu treten. Bei ſei-
nen Enkeln fielen die geiſtlichen Rückſichten weg. Allerdings
hatten ſie in den Gebieten der Kirche und des Kaiſers nicht
wenig zu verlieren, allein ſie konnten auch gewinnen, ſich
vielleicht rächen, und vor allen Dingen ſich als Fürſten in
Parma behaupten.


Und an wen ſollten ſie ſich wenden, wenn nicht an
Heinrich II, in deſſen Familie einer von ihnen, Oratio, auf-
genommen war?


Dem König ward der Antrag gemacht noch ehe die Ir-
rungen mit England vollkommen beſeitigt waren; er trug
dazu bei daß dieß geſchah.


Zuerſt wurden einige zuverläßige Leute nach Italien ge-
ſendet, um die Lage der Dinge, auch die Haltbarkeit des
Platzes zu unterſuchen. Als deren Bericht günſtig ausfiel,
ward ein Vertrag geſchloſſen, kraft deſſen der König die
Farneſen in Schutz nahm und eine Mannſchaft zu Pferd
und zu Fuß nach Parma zu ſchicken verſprach, groß genug
um eine Belagerung auszuhalten, Ottavio dagegen ſich ver-
[175]Erneuerung des Kriegs mit Frankreich.
band, die Fahnen von Frankreich fliegen zu laſſen, und ohne
Einwilligung dieſer Macht kein Abkommen mit dem Kaiſer
einzugehen, auch nicht das günſtigſte.


Wir wiſſen, wie viel dem Kaiſer von jeher daran lag
die Franzoſen von Italien auszuſchließen. Jetzt mußte das
Mißverhältniß, in das er zu ſeinem eignen Eidam gerathen
war, ſie dahin zurückführen. Leicht hatte der König ein
paar tauſend Söldner in Italien werben laſſen, mit deren
Hülfe nun der junge Herzog und ſeine Stadt plötzlich ein
ganz andres Anſehen ſich verſchafften als ſie bisher gehabt.


Der Papſt war ergrimmt, daß „ein elender Wurm“,
wie er Ottavio nannte, ſich gegen ihn und den Kaiſer auf-
zulehnen wage. Seine Angehörigen thaten alles, um ihn
deſto enger mit dem Kaiſer zu verbinden. 1 Nachdem ſeine
letzten Vorſchläge abgewieſen worden, trug er kein Beden-
ken im Juni 1551 das Schwert gegen den rebelliſchen Va-
ſallen zu ziehen.


Merkwürdige Geſtalt der Dinge: der Papſt führte Krieg
mit ſeinem Vaſallen; jenen unterſtützte der Kaiſer, dieſen der
König von Frankreich, die doch noch Friede mit einander
hatten.


Allein ſchon ſah Jedermann, daß der Krieg zwiſchen
den beiden Fürſten ſelbſt ſich nicht werde vermeiden laſſen.


Im September 1551 geriethen die Truppen beider Theile
im Piemonteſiſchen an einander. Indeſſen ließ der König
dem kaiſerlichen Geſandten an ſeinem Hofe alle Beſchwerden
[176]Neuntes Buch. Viertes Capitel.
aufzählen, die er ſchon immer gegen den Kaiſer erhoben, —
die Züchtigung der Deutſchen die in ſeinen Dienſt getreten,
die Begünſtigung die den Engländern während des Krie-
ges zu Theil geworden ſey, endlich die Verbindung mit dem
Papſt wider Parma und Mirandula, — und ihm erklären,
da die Freundſchaft des Kaiſers nur in Worten beſtehe, und
ſich bei jeder Verhandlung in das Gegentheil verwandle, ſo
ſey er entſchloſſen dieß nicht mehr mit anzuſehen, ſondern
ſeine Angelegenheiten ſelbſt in Acht zu nehmen, wie es Gott
erlauben werde. 1


So brach die alte Feindſeligkeit wieder aus, welche mit
ſo viel Mühe bisher niedergehalten worden. Die Lage des
Kaiſers ward um ſo bedenklicher, da ſie zugleich mit jener
Erneuerung der osmaniſchen Anfälle verbunden war.


Wir wiſſen: es war der Friede mit dieſen beiden Mäch-
ten geweſen, was es dem Kaiſer möglich gemacht hatte die
Proteſtanten zu überwältigen. Es mußte ſich nun zeigen,
ob das damals gewonnene Übergewicht auch bei dem Wie-
derausbruch jener Kriege ſich haltbar beweiſen würde.


[[177]]

Fuͤnftes Capitel.
Elemente des Widerſtandes in Deutſchland.


Im Jahre 1547 hatte der Kaiſer ſein kriegeriſches Un-
ternehmen nicht ganz zu Ende geführt; auch ſeitdem wen-
dete er ſich nicht ſelber wider die Städte und Landſchaften
welche noch unausgeſöhnt die Waffen in der Hand hielten:
er zweifelte nicht, daß in Folge der Reichsordnungen die er
traf, und der Übermacht Derjenigen die ſeine Partei hielten,
ohne weitere Anſtrengung von ſeiner Seite auch die dorti-
gen Angelegenheiten ins Gleiche gebracht werden würden.


So erhoben ſich auch wirklich die Ritterſchaften der
Stifter Bremen und Verden gegen den Grafen Albrecht von
Mansfeld, der ſich daſelbſt auf immer feſtſetzen zu wollen
ſchien; nach mancherlei Glückswechſel haben ſie, unterſtützt
von den benachbarten Fürſten, ihn noch im J. 1548 wirk-
lich genöthigt, alle Schlöſſer und feſten Häuſer die er ein-
genommen, beſonders Vörde und die Rothenburg, heraus-
zugeben: jedoch nicht ohne daß ihm dagegen eine anſehn-
liche Summe Geldes hätte gezahlt werden müſſen. 1


Ranke D. Geſch. V. 12
[178]Neuntes Buch. Fuͤnftes Capitel.

Einen ähnlichen Anlauf nahm Herzog Heinrich von
Braunſchweig, der nach den Siegen des Kaiſers ohne
Schwertſchlag in ſein Land zurückgekehrt war. Er verſuchte
eine vollkommene geiſtliche und weltliche Reſtauration. Die
evangeliſchen Superintendenten fanden wohl eines Morgens
das Zeichen der Bedrohung, eine Ruthe und ein Paar Schuhe,
an ihre Thüre angeheftet, und eilten hierauf ſich durch die
Flucht zu retten. Die Mitglieder der Ritterſchaft, die ſich
dem Herzog feindlich gezeigt, die Warberg, Schwichelde,
Mandelsloh, Bortfelde, wurden aus ihren feſten Schlöſſern
verjagt. Hierauf griff der Herzog auch die Stadt Braun-
ſchweig an, mit der er von jeher in ausgeſprochener Feind-
ſeligkeit ſtand. Zuerſt ließ er nur geſchehen, daß ſeine An-
hänger den Waarenzügen derſelben auflauerten, ihre Dör-
fer überfielen und plünderten; die Stadt antwortete da-
mit, daß ſie dieſen ihren Feinden in ihre Schlupfwinkel, in
die benachbarten Wälder und Moräſte nachſetzte, bis ſie
dieſelben fand und erlegte; eines Tages, bei Gelegenheit ei-
ner großen Hochzeit, gelang es ihr, eine ganze Anzahl der-
ſelben auf einmal aufzuheben: zwei von ihnen wurden als
öffentliche Verbrecher behandelt und mit dem Tode beſtraft.
Nun erſt erſchien der Herzog ſelber über der Landwehr zu
Melverode und ſchickte ſich zur Belagerung an. Auch dieſe
beſtand jedoch hauptſächlich darin, daß er das Gebiet der
Stadt verwüſten, ihre Saaten — es war im Monat Juli
1550 — niederbrennen, ihre Dörfer zerſtören ließ: man ſah
wohl das Holz von den abgetragenen lutheriſchen Kirchen
zum Verbrauch ins Lager führen; — der Herzog machte fer-
ner einen Verſuch die Ocker zu dämmen, um die Mühlen
[179]Belagerung von Magdeburg.
die er nicht zerſtören konnte, ungangbar zu machen; aber
jene Verluſte fühlte, über dieſe Gefahr erſchrak man nicht,
da man ſich im Voraus mit allen Bedürfniſſen verſehen
hatte: auch die ſtädtiſchen Reiter ſtreiften unaufhörlich durch
das Gefild und waren oft im Vortheil. Im September ver-
ließ der Herzog ſein Lager. 1


Faſt gleiches Fehdeweſen erfüllte die Umgegend von
Magdeburg.


Dieſe Stadt, die nicht allein jede Annäherung an den
Sieger von ſich gewieſen, ſondern ſich als Mittelpunct der
Widerſetzlichkeit gegen das Interim aufgeſtellt, war längſt
in die Reichsacht erklärt, doch wollte ſich noch Niemand
an die Ausführung derſelben wagen. Der Sinn des Kai-
ſers wäre eigentlich geweſen, ſie durch die Ritterſchaft der
beiden Stifter und die Grafen am Harz vollziehen zu laſ-
ſen, wie er denn überhaupt in den territorialen Angelegen-
heiten mit dem Adel gern in Verbindung trat: Lazarus
Schwendi erſchien in dieſen Gegenden, um die Sache in
Gang zu bringen; allein ein großer Theil des ſtiftiſchen
Adels war ſelber evangeliſch und von der Partei Johann
Friedrichs: es kam lange Zeit auch hier zu nichts, als zu
kleinen Neckereien mit einzelnen Edelleuten aus dem Stifte
oder aus der Mark Brandenburg. Vorwerke und Amtshöfe
des Rathes wurden überfallen: eine Fuhre Zerbſter Bier, ein
Wagen mit Tuch aufgehoben; 2 dagegen gelang es auch den
12*
[180]Neuntes Buch. Fuͤnftes Capitel.
Magdeburgern, eine Anzahl Junker aus dem Lande Jerichow
gefangen zu nehmen; ſie überfielen die benachbarten Märkte
oder Klöſter; auch ſie nahmen wohl tangermündiſche Güter
weg, oder ſuchten ſich ihres Schadens an einem reichen Ju-
den zu erholen, der mit ihren Feinden in Verbindung ſtand:
das Fauſtrecht im Kleinen galt gleichſam wieder, und ein Je-
der fügte dem Andern ſo viel Schaden zu als er vermochte.


Ernſtlichere Feindſeligkeiten begannen dadurch, daß der
junge Georg von Meklenburg, der dem Herzog Heinrich ge-
gen Braunſchweig zugezogen war, mit einem Theil der von
dort entlaſſenen Truppen in dem magdeburgiſchen Gebiete
erſchien, eigentlich nur, um hindurchzuziehen und in ſeinem
Vaterlande gewiſſe Anſprüche, die er in Folge einer kaiſer-
lichen Anwartſchaft auf das Bisthum Schwerin erhob, ge-
gen ſeine Brüder und ſeinen Oheim durchzuſetzen. Er hielt
es für ganz erlaubt, auf ſeinem Wege die Ungehorſamen, die
Rebellen, wie man ſie nannte, ein wenig zu züchtigen. 1 In
den Bürgern war noch ein ſo energiſches Selbſtgefühl, daß
ſie auch ihr Gebiet nicht wollten beſchädigen laſſen und
dem Herzog im offenen Lande entgegenzogen. Aber bei wei-
[181]Belagerung von Magdeburg.
tem krieggeübtere Leute führte dieſer, als die Bauern waren
welche die Stärke der magdeburgiſchen Fähnlein ausmach-
ten: er trieb ſie aus einander, eroberte ihre Wagenburg
ſammt ihrem Geſchütz, und wandte ſich nun mit Entſchie-
denheit gegen ſie ſelber (22 Sept. 1550).


Und nicht allein hiedurch ſah ſich die Stadt plötzlich
bedroht, ſondern auch alle ihre andern Gegner wurden rege.


Die benachbarten Fürſten, denen es gleich unbequem
geweſen wäre, wenn ſich ein Weitergeſeſſener durch einen
plötzlichen Glücksfall daſelbſt feſtgeſetzt, 1 oder wenn das
Kriegsvolk, das ſich ſo unerwartet geſammelt, aus Man-
gel an Sold ſich wieder zerſtreut hätte, eilten ſich der Sache
anzunehmen.


Zuerſt, wenige Tage nach jenem Ereigniß, erſchien Chur-
fürſt Moritz im Lager des Herzog Georg, und nahm zu-
gleich mit demſelben das Kriegsvolk auf drei Monat in
Pflicht. Am 2ten October trafen auch Churfürſt Joachim,
Markgraf Albrecht von Brandenburg, die vornehmſten Dom-
herrn, — nicht ohne einige Mitglieder der Ritterſchaft, in
dem Lager zu Schönebek ein; da die Stadt die Aufforde-
rung ſich zu Handen der Churfürſten und Fürſten zu erge-
ben zurückwies, und vielmehr auch ihrerſeits Kriegsleute von
denen bei ſich aufnahm, die in oder vor Braunſchweig ge-
legen, ſo traf man Anſtalt zu einer förmlichen Belagerung:
Anfang November ward das erſte Blockhaus bei Buckow ge-
ſchlagen. 2


Nur wollten weder die einzelnen Fürſten noch die be-
[182]Neuntes Buch. Fünftes Capitel.
nachbarten Kreiſe ſich mit den Koſten eines ſo weitausſe-
henden Unternehmens beladen: ſie riefen die Hülfe von Kai-
ſer und Reich an, die damals eben in Augsburg verſam-
melt waren.


Wie wichtig der gewonnene Vortheil erſchien, mag man
daraus abnehmen, daß die ſächſiſchen Geſandten nicht war-
ten mochten, bis die Vesper aus war, der König Ferdi-
nand beiwohnte, ſondern während des Gottesdienſtes dem-
ſelben ihre Nachricht mittheilten. 1 Alles erfüllte ſich mit
neuen Erwartungen und Plänen.


Im Fürſtenrathe ward der Wunſch geäußert, daß der
Kaiſer ſelbſt, der den Krieg früher ſo glücklich geführt, auch
den Reliquien deſſelben, der magdeburgiſchen Rebellion, un-
terſtützt vom Reiche, ein Ende machen möge. Man begreift
es ſehr wohl, wenn unter andern Herzog Heinrich dafür war:
gegen Braunſchweig hätte ihm nichts beſſer zu Statten kom-
men können: merkwürdig aber, wie weitausſehende Gedanken
ſich von andern Seiten her daran knüpften. Die Biſchöfe
hofften, daß eine neue Waffenthat des Kaiſers die vollkom-
mene Herſtellung ihrer Gerichtsbarkeit und der geiſtlichen Gü-
ter zu Folge haben werde; der Deutſchmeiſter hegte die Mei-
nung, daß die Eroberung von Magdeburg dem Orden noch
den Weg zu einer Reſtauration in Preußen bahnen dürfte. 2
In Preußen und Polen verlor man wirklich die Bewegun-
gen des Ordens keinen Augenblick aus dem Geſichte; man
[183]Belagerung von Magdeburg. Reichsvorrath.
wollte wiſſen, der Deutſchmeiſter lege alle Jahr die Hälfte
ſeiner Einkünfte zurück, und habe ſchon eine bedeutende Baar-
ſchaft in Lübek, um demnächſt einen Anfall zu verſuchen;
es waren Anordnungen getroffen demſelben zu begegnen.


Indeſſen fühlte ſich der Kaiſer weder unbeſchäftigt noch
geſund genug, um auf dieſe Gedanken einzugehn: nochmals
einen deutſchen Krieg auf ſeine eigenen Koſten zu unterneh-
men, war auch er nicht geneigt. Er ſtimmte bei, wenn am
Reichstag der Beſchluß durchgieng, daß der Krieg im Namen
und auf Koſten des Reiches, durch Churfürſt Moritz, ge-
führt werden ſollte. Er bewilligte ſelbſt, daß das Geld hiezu
fürs Erſte aus dem indeß aufgebrachten und in den Lege-
ſtädten geſammelten Vorrath genommen werden ſollte. Da-
gegen verſprach man auch ihm, zur Erſetzung des Entnom-
menen zu ſchreiten, ſobald man nur ungefähr wiſſe, wie viel
die Belagerung koſten werde, und ſetzte hiezu ſogleich eine
beſondre Verſammlung an. 1 Das Geld ſollte dem Chur-
fürſten nicht in die Hand gegeben, ſondern von einem Reichs-
pfennigmeiſter verwaltet werden: Lazarus Schwendi ward
als kaiſerlicher Commiſſarius in das Lager geſchickt.


Es war nicht ein Executionskrieg, wie ihn öfter ein
und der andre Fürſt übernommen, ſondern ein förmlicher
Reichskrieg, nur unter dem Oberbefehl eines mächtigen Für-
ſten, von dem man jedoch hiebei in Erinnerung brachte daß
er zugleich Reichserzmarſchall ſey, durch welchen Magdeburg
angegriffen ward. Wenn es unterlag, ſo wurden die Reichs-
[184]Neuntes Buch. Fuͤnftes Capitel.
ordnungen in Bezug auf Concilium und Interim auch an
dieſer Stelle durchgeſetzt.


Doch hatte Moritz auch ein eigenes Intereſſe gegen Mag-
deburg. „Von keinem andern Orte im Reiche,“ ſchreibt ihm
Carlowitz, „ſind E. Churf. Gn. mehr geläſtert und geſchmäht,
ihre Unterthanen mehr zu Widerwillen verhetzt worden, und
ſind in Zukunft böſere Practiken, größere Widerwärtigkeiten
zu erwarten: 1 Niemanden auf der Welt liegt mehr daran,
daß die Stadt gedemüthigt und gezüchtigt werde.“


Am 28ſten November gelang es dem Churfürſten ſich
der Neuſtadt zu bemächtigen, die von ihrem beſondern Rath
nicht mit gehöriger Vorſicht bewahrt wurde: 2 wo er ſich
dann auf das beſte befeſtigen konnte. Damit nicht etwas
Ähnliches in der Sudenburg geſchähe, eilten die Belagerten
ſie abzubrechen. Aber hierauf wendete ſich nun der ganze
Anfall wider die Altſtadt ſelbſt; in Kurzem war ſie mit Block-
häuſern, Schanzen, Blendungen und andern Werken einge-
ſchloſſen, und alles ſchien zu einer Entſcheidung zu reifen.


Rathmannen, Innungsmeiſter und Gemeine der alten
Stadt Magdeburg waren entſchloſſen dieſelbe Gott vertrauend
zu erwarten.


Moritz hatte ihnen Vorſchläge gemacht, ſo vortheilhaft,
daß man am Reichstag überzeugt war, er werde ſie bei dem
[185]Belagerung von Magdeburg.
Kaiſer nicht durchſetzen: das freie Bekenntniß der reinen Lehre
nach der augsburgiſchen Confeſſion und die Beſtätigung al-
ler ihrer Freiheiten; da er aber die Bedingung hinzufügte,
daß ſie alsdann eine Beſatzung von Seiten der verbündeten
Fürſten würden aufzunehmen haben, ſo erhob ſich in ihnen
der Verdacht, der an den oberländiſchen Begebenheiten ſeine
Begründung fand, daß dieſe ſie doch mit der Zeit zu dem
was der Kaiſer begehre zwingen und nicht lange bei der
reinen Religion und ihren Freiheiten laſſen werde. 1 Sie
antworteten, ſie würden eher ſterben als dieſer Gefahr ſich
ausſetzen. Von den Theologen, die vor dem Interim wei-
chend bei ihnen Aufnahme gefunden, wurden ſie mit der ſtol-
zen Meinung durchdrungen, allein bei ihnen habe Gottes
Wort noch eine ſichere Freiſtätte: wer ſie bekämpfe, der ſtehe
dem Widerchriſt bei. Das Gefühl für Gott zu ſtreiten, er-
füllte ſie auch nach alle den erlittenen Niederlagen ihrer Glau-
bensgenoſſen mit der heldenmüthigen Zuverſicht, er werde
ſie nicht untergehn laſſen. Bürger auf der Wache ſahen
himmliſche Geſichte, die ſie mit tröſtlichen Zuſagen erfreuten.
Sie trugen kein Bedenken die zahlreiche Einwohnerſchaft
der Sudenburg, obwohl ſie zur Vertheidigung nicht viel
beitragen konnte, bei ſich aufzunehmen; längſt hatten ſie
ſich auf einen Fall dieſer Art vorbereitet, ſie waren auf
mehrere Jahre mit Lebensmitteln verſehen. Auch übrigens
war die Stadt in gutem Vertheidigungsſtand; noch unter den
[186]Neuntes Buch. Fuͤnftes Capitel.
Augen des Feindes ward ein neues Bollwerk, von ſeinem
Erbauer genannt der Heideck, errichtet. Alle Thürme wa-
ren mit Schlangen und Falkoneten beſetzt, die man zum
Theil aus dem Metall der aus den Klöſtern weggenomme-
nen Glocken gegoſſen: auf dem oberſten Umgang an den
Domthürmen, 433 Stufen hoch, hatte man ihrer vier aufge-
pflanzt; am beſten wirkten die Geſchütze auf dem St. Ja-
cobi Thurm, von dem Büchſenmeiſter Johann Kritzmann ge-
leitet, von dem man ſagt, es ſey ihm ſelten Jemand ent-
gangen de[n] er im Felde erblickte. Die geworbenen Trup-
pen und die Bürger verpflichteten ſich eidlich zu gegenſeiti-
ger Hülfleiſtung und Treue, und auf das beſte haben ſie
ihren Schwur gehalten. Von welcher Art Enthuſiasmus
ſie erfüllt waren, zeigt die Meinung die ſich unter ihnen ver-
hreitete, der Feind ſehe bei ihren Ausfällen einen Helden
auf weißem Roß vor ihnen daherziehen; ſie bildeten ſich
nicht ein, ihn ſelber zu erblicken: das litt die proteſtantiſche
Wahrhaftigkeit nicht; aber ſie meinten, der Feind werde durch
göttlichen Schrecken mit Zaghaftigkeit geſchlagen. 1 Und ganz
glücklich gieng es ihnen mit ihren Ausfällen. Am 19ten
December überraſchten ſie die ſtiftiſchen Truppen bei einem
Gelage, nahmen mehrere hundert Mann gefangen, Edelleute
und Gemeine, und führten den Stiftsbanner mit dem St.
Moritz mit ſich fort. Da der Churfürſt eben einem Kriegs-
haufen entgegengezogen der ſich im Gebiete von Verden ſam-
melte, ſo hielt es Georg von Meklenburg für ſeine Pflicht
dieſen Schimpf der Belagerer zu rächen. Er wagte ſich aber
[187]Belagerung von Magdeburg.
dabei ſo kecklich vor, daß er ſelber in die Hände der Feinde
fiel (20 Dec. 1551); unter ungeheurem Getümmel — gern
hätten die Weiber den Tod ihrer Männer an ihm gerochen
— ward er in des Kämmerers Haus zum Lindwurm in
Gewahrſam gebracht. Bald darauf ward freilich dagegen in
dem feindlichen Lager Freude geſchoſſen, weil jener Haufe
zerſtreut worden, von dem man eine Gegenwirkung beſorgt
hatte; Churfürſt Moritz kam von ſeinem Zuge wieder und
ſchlug zu den vier bereits vorhandenen ein fünftes Lager
vor der Stadt: die Scharmützel giengen nicht immer glück-
lich: auch die Geſchütze der Feinde machten Wirkung, und
fällten unter andern die Zinnen des Jacobi Thurmes; nach
und nach dachte man doch daran, ob man nicht die Ar-
men zu entfernen habe; man fühlte die Gefahr in der man
ſich befand.


Und nun läßt ſich denken, welche Theilnahme dieſer
Kampf, eben das Schwanken des Kriegsglücks und die Un-
gewißheit der Entſcheidung bei ſo viel Muth und Tapfer-
keit in der Nation erregte. Wir haben heitere und ironi-
ſche Volkslieder in alten ſchwungvollen Weiſen übrig, worin
der Widerſtand geprieſen ward, den das hochgewehrte Haus,
die werthe Stadt den fremden Gäſten leiſte, den Pfaffen-
knechten: „will der Kaiſer den Wein trinken der auf dem
Markte zu Magdeburg im Faſſe liegt, ſo muß er ſelbſt ein
Landsknecht werden; will Herzog Moritz die goldnen Schwer-
ter haben, die ihn erſt zu einem Churfürſten machen, ſo muß
er ſie da von den Mauern holen; indeſſen winden die Jung-
frauen ihre Kränze für den alten Churfürſten, deſſen Gemah-
lin und den Grafen Albrecht, der das Beſte gethan.“ Roger
[188]Neuntes Buch. Fuͤnftes Capitel.
Aſham verſichert, in Augsburg rede man von nichts weiter
als von der magdeburgiſchen Sache: jede andre trete dage-
gen zurück. Ihm als einem Claſſiſch-gebildeten ſtellen ſich
Papſt und Kaiſer als die mythologiſchen Ungeheuer dar, als
Cerberus und der ſpaniſche Geryon, die nur dieſe Eine Stadt
zu unterwerfen wünſchen. Werden die Pforten der Stadt
erbrochen, ſo wird jener wieder in Deutſchland herrſchen,
dieſer in ganz Europa.


Der Kaiſer ſeinerſeits ließ nicht in Zweifel, welche Folgen
die Ausbreitung ſeiner Herrſchaft in Deutſchland haben würde.


In Augsburg wurden die Proteſtanten von dem Kriegs-
volk das ihn umgab, als Beſiegte behandelt. Während der
Predigt in der Kirche zum heiligen Kreuz ergötzten ſich die Ita-
liener die dort in das Kloſter einfuriert worden, mit Ballſpiel:
der Ball fiel unter das zuhörende Volk auf dem Kirchhof. In
St. Ulrich zerbrachen die Spanier Kanzel und Stühle; dem
Stadtvogt mit ſeinen Leuten, die ihnen Einhalt thun wollten,
ſetzten ſie ſich mit bloßer Wehre entgegen; man bemerkte
daß nicht alles gemeine Söldner waren: einen Trabanten des
Prinzen Don Philipp unterſchied man unter ihnen. Dage-
gen ſah man wieder die Proceſſionen mit ihren Glöcklein
und Lichtern durch die Straßen ziehen; wehe dem der ſie
beleidigte. Eine Handwerkerfrau, die ſich ſpöttiſch verlau-
ten ließ, ob dieſer Gott nicht ohne Lichter ſehe, wurde erſt
in die Eiſen geſchlagen, dann aus der Stadt verwieſen:
hätte ſich Königin Maria nicht ihrer angenommen, ſo wäre
ihr noch Ärgeres geſchehen. Auf das ſtrengſte ward dar-
über gehalten, daß Freitag und Sonnabend nur Faſten-
ſpeiſen auf die Tiſche kamen. Die Schulmeiſter wurden an-
[189]Kirchliche Gewaltſamkeiten in Augsburg.
gewieſen, nichts zu lehren was nicht entweder der alten Re-
ligion oder dem Interim gemäß ſey, und ohne Gnade ab-
geſetzt wenn ſie ſich deſſen weigerten. Vier Lehrer in der
lateiniſchen Schule, neun in der deutſchen, ſogar einige Leh-
rerinnen waren ſtandhaft genug dieß Schickſal über ſich er-
gehn zu laſſen. Und mit entſprechendem Ernſt wurden die
Prediger vorgenommen. Vor dem Biſchof von Arras wur-
den ſie examinirt, ob ſie auch glauben daß unter Einer Ge-
ſtalt das Sacrament ſo gut mitgetheilt werde wie unter bei-
den; wie viel Sacramente ſie überhaupt annehmen. Da
ihre Erklärungen ſeh [...][ev]angeliſch lauteten, wurden ſie ange-
wieſen binnen drei Tagen beim Schein der Sonne die Stadt
zu räumen; ſie mußten ſchwören in den Grenzen des heil.
Reiches niemals wieder zu predigen oder prieſterliche Hand-
lungen zu verrichten, auch niemals Jemanden die Gründe
ihrer Ausweiſung mitzutheilen. 1 Wo die Mönche nicht ſelbſt
das Wort wieder ergriffen, wurden doch nur ſolche Predi-
ger geduldet welche ſich genau an das Interim hielten. Der
Kaiſer nahm an dieſen Dingen mit einem Eifer Antheil, als
wenn ſeine ganze Autorität davon abhienge. Es blieb ihm
nicht unbekannt, wenn ein Bürger von Ulm eins ſeiner Kin-
der auch nur außerhalb der Stadt nach evangeliſchem Ritus
taufen ließ; er drang darauf, daß derſelbe dafür aus dem
Rathe entfernt wurde. Er verweiſt es dem Rathe, wenn
er einem verjagten Prediger, der ein Handwerk treiben will,
das Bürgerrecht gewährt hat. Von allen Seiten wurden
[190]Neuntes Buch. Fuͤnftes Capitel.
die Prädicanten zuſammengefordert, um denſelben Verpflich-
tungen unterworfen zu werden, die in Augsburg auferlegt
worden. Da die regensburgiſchen nicht erſchienen, ließ der
Kaiſer die Rathsherrn von Regensburg vor ſich beſcheiden
und eidlich verpflichten, niemals einen Prädicanten anzuneh-
men, der nicht zuvor bei Gott und den Heiligen gelobe ſich
der alten Religion und dem Interim gemäß zu halten.


In weiten und weitern Kreiſen zeigten ſich verwandte
Beſtrebungen. Der Erzbiſchof von Mainz lud wohl die heſ-
ſiſchen Prediger auf ſeine Provinzialſynode. Was die Mag-
deburger fürchteten geſchah wirklich anderwärts. Die hohe
Geiſtlichkeit machte in den Städten den Verſuch, den nie-
dern Clerus wieder einzuſetzen und überhaupt die alten Ver-
hältniſſe zurückzuführen.


Auch in den Reichsgeſchäften hielt der Kaiſer ein Ver-
fahren ein, das allem Herkommen widerſprach und das
Selbſtgefühl der Fürſten aufregte.


In einem Gutachten über die Erſetzung des Vorrathes
hatten die Stände einige ihrer Beſchwerden doch etwas deut-
licher als am vorigen Reichstag, aber noch immer ſehr be-
ſcheiden zur Sprache gebracht, z. B. die Anweſenheit ſpani-
ſcher Truppen im Reiche, das bewaffnete Geleit mit wel-
chem der Kaiſer am Reichstag erſchienen war, die mancher-
lei Hülfsleiſtungen die ſie in den letzten Jahren geleiſtet.
Der Kaiſer nahm dieß nicht wenig übel: ſchon den Stän-
den im Allgemeinen gab er zu erkennen, daß er ihren Auf-
ſatz unbillig finde und ſich darüber etwas bewegt fühle;
hauptſächlich aber wandte er ſich an die Churfürſten. Die
beiden perſönlich anweſenden, Mainz und Cölln, und von
[191]Beleidigung der Reichsfuͤrſten.
jedem der andern der vornehmſte Rath mußten ihm in das
Innere ſeiner Gemächer folgen, wo er mit dem König feier-
lich Platz nahm und dann durch den Biſchof von Arras
vortragen ließ, mit welchem Mißvergnügen er bemerke daß
gerade ſie die Hartnäckigſten in der ganzen Verſammlung
ſeyen: ganz ohne Grund ſey was ſie in der übergebenen
Schrift ausgeführt: nur unbedeutend erſcheine die Reichs-
hülfe, wenn man ſie mit den überſchwenglichen Unkoſten ver-
gleiche die er ſelber zur Aufrechterhaltung des Reiches auf-
gewendet: der letzte Krieg habe ihm über 60 mal hundert
tauſend Gulden gekoſtet, und noch ſey nicht ſo guter Friede,
daß er des ohnehin nicht zahlreichen Kriegsvolkes das er
noch im Reiche habe, entbehren könnte: man möge nur rück-
wärts ſehen, ſo werde man wohl finden daß auch andre
römiſche Könige und Kaiſer Truppen an die Reichstage mit-
gebracht: er der Kaiſer trachte nach nichts als daß die Ge-
bühr im Reiche geſchehe, und er wolle nur wünſchen daß
auch kein andrer ſich ſeine Privathändel irren laſſe.


„Gnädigſter Churfürſt und Herr,“ ſchreibt der branden-
burgiſche Geſandte an Joachim II, „wir können nicht unter-
laſſen Ew. Churf. Gn. anzuzeigen, daß die beiden Churfür-
ſten, die anweſenden Fürſten und die Räthe der abweſen-
den über dieſes unerhörte Verfahren entſetzt ſind; wer dazu
gerathen, hat es ſchlecht verſtanden, und wär es auch der
kluge Arras geweſen.“


Großes Aufſehen machte eine Differenz die über die
Belehnung des Prinzen Philipp mit den Niederlanden aus-
brach. Der Kaiſer hatte die Abſicht ſeinen Geburtstag mit
dieſem Act zu feiern, und ließ eine prächtige Bühne dazu
[192]Neuntes Buch. Fuͤnftes Capitel.
herrichten. Allein der Lehnbrief den er darüber aufſetzen laſ-
ſen, wich ſo ſehr von dem Herkömmlichen ab, daß die Chur-
fürſten Bedenken trugen ihn anzunehmen. Bei einer und der
andern Provinz war mit abſichtlicher Unbeſtimmtheit von der
Oberlehnsherrlichkeit des Reiches die Rede; für alle insge-
ſammt war der Anſpruch erhoben daß ſie auch durch Frauen
vererbt werden ſollten. Die kaiſerlichen Miniſter entſchuldig-
ten das erſte damit, daß die alten Lehenbriefe verloren ge-
gangen, und man nicht mehr genau wiſſe was zum Reiche
gehöre: das zweite mit dem Wunſche die Niederlande auf
immer ungetrennt beiſammen zu halten. Allein damit war
der Erzcanzler des Reiches nicht zu befriedigen: er wandte
ein, wenn der Kaiſer z. B. Geldern nicht ausſchließlich als
Mannslehen anerkenne, ſo mache er ſeine eignen Rechte dazu
zweifelhaft. Ein Widerſpruch der ſo gut begründet war,
daß der Kaiſer ſich entſchließen mußte den Lehenſtuhl wie-
der abtragen zu laſſen. Wollte er ſeinen Sohn belehnen,
ſo mußte er es in ſeiner Wohnung thun. 1


Einen allgemeinen Widerwillen erweckte das Betragen
der Spanier: — „obwohl ihrer nur eine Handvoll iſt,“ ſagt
[193]Anmaßung der Spanier.
eine Augsburger Chronik, „ſo treiben ſie doch allen Muth-
willen ohne daß ihnen jemand einredet oder ſie daran hin-
dert: ſie machen daß in Augsburg niemand mehr Herr
und Meiſter iſt weder über Leib und Gut noch über Weib
und Kind“; — durch ihre nationale Anmaßung fühlten
ſich die Deutſchen gehöhnt. Bei einem Gaſtgebot, dem
der ſächſiſche Geſandte beiwohnte, beklagten ſie ſich daß
ihr Prinz in der Capelle unter den Churfürſten ſtehe: man
wiſſe in Deutſchland wohl nicht was ein Prinz von Hi-
ſpanien bedeute oder vermöge. Ohne Hehl ließen ſie ſich
vernehmen, das Kaiſerthum könne ihnen nicht entgehn: der
Churfürſt von Cölln ſey eine Creatur des Kaiſers, Mainz
der Rath deſſelben, Pfalz ein noch nicht ganz ausgeſöhnter
Feind der nichts verweigern dürfe, Sachſen durch die empfan-
genen Wohlthaten gefeſſelt, Brandenburg, das nicht die Mit-
tel habe ſeinen churfürſtlichen Stand aufrecht zu halten, werde
mit 100000 Gulden und etwa der Verſicherung der Stifter
zu gewinnen ſeyn, mit Trier wolle man ſchon fertig wer-
den: wollte Gott die Churfürſten wären nur alle zugegen:
ſähen ſie das Angeſicht des Kaiſers, würde man ihnen freund-
lich zuſprechen, mit ihnen bankettiren, ſo wäre alles aus-
gerichtet. Bei jener Vorhaltung in den kaiſerlichen Gemä-
chern hatte man Alba und Arras über die betroffenen Für-
ſten und Räthe lachen ſehen; die Spanier ſpotteten über
die Sorgloſigkeit des Landgrafen, der Thor genug geweſen
ſey ſich mit guten Worten in Haft bringen zu laſſen.


„Dahin,“ ruft der brandenburgiſche Geſandte, Chriſtoph
von der Straßen, aus, „iſt es mit den Deutſchen gekom-
men, die ſonſt von allen Nationen gefürchtet waren: jetzt
Ranke D. Geſch. V. 13
[194]Neuntes Buch. Fuͤnftes Capitel.
ſpottet man ihrer, Gott ſeys geklagt.“ Er widerräth ſeinem
Herrn nach Augsburg zu kommen, ſo ſehr der Kaiſer darauf
dringe und ſo ſehr die Wendung welche die religiöſen An-
gelegenheiten nehmen, es ſonſt wünſchenswerth machen würde.
„So viel vermerken wir, die Spanier wollen einen Fuß ins
Reich ſetzen; es gilt Euch Herren, wir bleiben immer arme
Geſellen.“ 1


Eine andere Angelegenheit von allgemeiner Bedeutung
bildete die noch immer fortdauernde Gefangenſchaft des Land-
grafen Philipp von Heſſen.


Während des erſten Reichstags zu Augsburg war er
zu Nördlingen, Heilbronn und Hall in Schwaben von Spa-
niern bewacht, alsdann den Rhein hinab nach den Nieder-
landen geführt und zu Oudenarde in engem Gewahrſam ge-
halten, endlich im Sommer 1550 nach Mecheln gebracht
worden. Auch in der Gefangenſchaft ward Philipp als der
regierende Herr ſeines Landes betrachtet; über alle wichtigen
Landesangelegenheiten ward an ihn berichtet. Das hinderte
jedoch nicht, daß er ſich nicht zuweilen die unwürdigſte Be-
handlung hätte gefallen laſſen müſſen. Man hat dem Schrei-
ber dem er einen Brief dictirte, das Blatt aus der Hand
geriſſen, einen Bettler dem er, als er ihn von ſeinem Fen-
ſter aus anſichtig ward, ein paar Stüber hinunterſchickte,
nicht ohne Züchtigung weggetrieben; der ſpaniſche Haupt-
mann hat die Speiſen die an einem Faſttag auf die fürſt-
liche Tafel getragen wurden, auf den Boden geworfen und
[195]Gefangenſchaft des Landgrafen Philipp.
beſchimpfende Worte hinzugefügt. Man ſollte nicht ſo oft
tadelnd darauf zurückkommen, daß Philipp ſein Unglück bei
weitem nicht mit der großartigen Gelaſſenheit getragen habe,
die wir an dem Churfürſten bewundern. Die Lage der bei-
den Fürſten iſt ſchon an ſich ſehr verſchieden. Der Chur-
fürſt war in der Schlacht gefangen und bereits zum Tode
verurtheilt geweſen; der Landgraf, wenn wir ja nicht ſa-
gen wollen, durch Betrug, doch durch Täuſchung in die
Hände des Kaiſers gerathen. Da hat er allerdings Au-
genblicke gehabt, wo der Wunſch wieder frei zu werden
und Einreden ſeiner Umgebung ihn zu einer undienlichen
Nachgiebigkeit vermocht hat, z. B. in Sachen des Interims:
er hat ſogar der Meſſe einmal beigewohnt; aber dieſe
Anwandlungen giengen bald wieder vorüber: in ſeinem Ge-
fängniß hörte man ihn doch mit heller Stimme geiſtliche
Lieder ſingen. Er ließ ſich Schriften der Kirchenväter ge-
ben: beſonders las er Auguſtinus gern; es machte ihm Ver-
gnügen, wenn ihn gelehrte Katholiken beſuchten und mit
ihm die Controverſen beider Theile, etwa über die Lehre
von der Rechtfertigung oder das Papſtthum oder die Anru-
fung der Heiligen, durchſprachen. Aus der Ferne ermahnt
er dann ſeinen älteſten Sohn, bei dem Evangelium zu ver-
harren, es koſte gleich Leib oder Gut, die flüchtigen Prä-
dicanten zu unterſtützen. Auch andre gute Ermahnungen
fügt er hinzu: z. B. er möge ſich vor einem unreinen Leben
hüten, Jedermann Gleich und Recht angedeihen laſſen. 1 In
ſeinem Gefängniß gedenkt er des Zuſtandes der armen Ge-
fangenen in ſeinem Lande und bringt die Verbeſſerung deſ-
13*
[196]Neuntes Buch. Fuͤnftes Capitel.
ſelben in Anregung. Er vergißt des Thieres nicht das ihn in
glücklichern Tagen getragen hat, das er jetzt bis zum Tode
zu füttern befiehlt, noch des treuen Hundes, den er ſeinem
Sohne, denn er könne ihm wohl noch eine Ente fangen,
zuſchickt: „laß aber wohl aufſehen,“ ſagt er, „daß ihn die
großen nicht todt beißen, laß ihn in deiner Kammer ſchla-
fen.“ Seine Seele lebt in der Heimath; ſie nährt ſich in
dieſen Erinnerungen und Sorgſamkeiten geringfügiger Art;
nach ſo viel ſtürmiſcher Thatkraft im Glück entwickelt ſie
Milde und Treue im Unglück. Von dorther entſprach man
ihm mit gleichem Verlangen. Alles was wir von ſeiner Ge-
mahlin hören, zeigt eine grundehrliche, durch nichts erſchütterte
Hingebung. Aber weder die Erfüllung der Capitulation, noch
jene religiöſen Annäherungen, noch die Anweſenheit des
Prinzen von Spanien, der doch ſeine Verwendung verſpro-
chen hatte, vermochten ſeine Feſſeln zu löſen. Man hat dem
Kaiſer angeboten, das Land fürs Erſte zu theilen, ſo daß
Philipp, im Beſitz nur der einen Hälfte, während die andre
an ſeinen Sohn fallen möge, gewiß unſchädlich ſeyn werde;
er ſelbſt fügte hinzu, er wolle dem Kaiſer ein Jahr lang im
Felde dienen und ſich niemals wieder von ihm ſondern: —
Alles vergeblich. Vielmehr verlautete wohl, der Kaiſer werde
der halliſchen Capitulation nachgekommen ſeyn, wenn er
den Gefangenen auch erſt in ſeiner letzten Stunde freigebe.
Auf eine neue Verwendung der Churfürſten am Reichstage
von 1550 erfolgte abermals eine abſchlägliche Antwort. Ver-
zweifelnd, jemals losgelaſſen zu werden, faßte der Landgraf
den Gedanken, zu entfliehen. Es gelang wirklich durch einen
jungen in Antwerpen ſtehenden Kaufdiener aus Heſſen, auf
[197]Gefangenſchaft des Landgrafen Philipp.
dem ganzen Weg von Mecheln nach dem heſſiſchen Gebiete
Poſten zu legen, d. i. nach dem Sprachgebrauch jener Zeit,
von 4 Meilen zu 4 Meilen friſche Pferde bereit zu halten; mit
den raſcheſten und ſicherſten ſtellte ſich der Zeugmeiſter Hans
Rommel in Mecheln ſelber ein: er hatte einige handfeſte
Leute, welche Diejenigen zurückhalten ſollten, die dem Flie-
henden nacheilen würden: und ſchon waren alle nöthigen Vor-
bereitungen getroffen, um den Fürſten aus einem Garten der
an den Hofraum ſeines Gefängniſſes ſtieß, zu entführen, als
die unglückliche Furchtſamkeit eines Dieners, der im Voraus
für ſich ſelber eine Zuflucht ſuchte, noch in dem letzten Au-
genblick das Vorhaben an Tag brachte. 1 Es liegt in der Na-
tur der Sache, daß der Gewahrſam des Fürſten nun doppelt
ſtreng wurde. Der Kaiſer, der namentlich die Aufſtellung je-
ner Leute für einen Eingriff in ſeine landesherrliche Gerichts-
barkeit erklärte, ſagte wohl, er habe Urſach, ſich noch an-
drer Geſtalt zu erzeigen als bisher. Der Landgraf verlor
nun vollends ſeine deutſchen Diener und ward überhaupt
recht eigentlich mißhandelt; bittere Thränen des Unmuths
ſtiegen ihm über die Art und Weiſe in die Augen, wie man
bei den Vernehmungen mit ihm, einem Reichsfürſten, um-
gieng. „Ich will lieber todt ſeyn,“ ſchrieb er, „als länger
gefangen.“ Wenn er angiebt, daß man ihn nach Spanien
zu führen beabſichtige, ſo darf man dieß für keine Einbildung
halten: es iſt gewiß, daß der Kaiſer dazu entſchloſſen war. 2


[198]Neuntes Buch. Fuͤnftes Capitel.

Wäre es auch nur aus Mitleid geweſen, ſo hätten ſchon
darum die deutſchen Fürſten ſich des Landgrafen in dieſer
Bedrängniß annehmen müſſen. Aber die beiden Churfürſten
Brandenburg und Sachſen hatten überdieß eine vertragsmäßige
Verpflichtung dazu; wiewohl der Kaiſer dieſelbe für nichtig
erklärte, konnten ſie ſich ihrer doch noch nicht erledigt glau-
ben. Ihre Geſandten bereiſten die verſchiedenen deutſchen
Höfe, um auch alle andern zur Theilnahme an einer allge-
meinen Fürbitte zu vermögen. Im October 1551 vereinig-
ten ſich hiezu in Augsburg oberländiſche und niederdeutſche
Abgeordnete, von Meklenburg, Holſtein, den pfalzgräflichen
Höfen, Würtenberg, Baden; 1 die welche keine Geſandten
geſchickt, Lauenburg, Lüneburg, geſellten ſich wenigſtens durch
feierliche Anſchreiben hinzu; auch diejenigen traten bei, die
ſich bisher eher feindlich gehalten, Baiern, wo ein ſehr för-
derlicher Regierungswechſel eingetreten war, Öſtreich ſelbſt,
das deutſche, in dem Bruder des Kaiſers. Es waren beinahe
ſämmtliche weltliche Fürſten: die Sache des Landgrafen er-
ſchien als die Sache des deutſchen Fürſtenthums.


Unter dieſen Vorgängen breitete ſich über die verſchiede-
nen Landſchaften und Bekenntniſſe das Gefühl aus, daß das
alte freie Germanien überwältigt ſey und gegen ſeinen Wil-
len nach einem ihm widerwärtigen Ziele geführt werde.


Der Haß der urſprünglich den Spaniern allein gegol-
ten, fiel allmählig auch auf den Kaiſer. Er ſoll es ſelbſt
bemerkt und dem Herzog von Alba wegen der Vernachläßi-
[199]Allgemeine Aufregung.
gung der Mannszucht unter ſeinen Leuten, die ſolche Fol-
gen nach ſich ziehe, Vorwürfe gemacht haben. Genug aber,
es war ſo. Als er im Mai 1551 von Augsburg nach Ty-
rol gieng, fand man dort einen Anſchlag des Inhalts: die
Römiſch Kaiſerliche Majeſtät begehre, man wolle die Thrä-
nen, ſo wegen J. Majeſtät, ihres Sohnes und der Spa-
nier Abreiſe fallen würden, fleißig ſammeln; J. Maj. be-
dürfe derſelben zur Arznei und werde ſie mit indiſchem Golde
theuer bezahlen.


Von den deutſchen Fürſten traf ein ähnlicher Haß be-
ſonders Moritz von Sachſen, der an ſeinem Vetter, an ſei-
nem Schwiegervater, an der gemeinſchaftlichen Sache zum
Verräther geworden ſey und ſich jetzt auch wider Magde-
burg gebrauchen laſſe. In gereimten Sprüchen ward er re-
dend eingeführt, mit dem Bekenntniß daß er das Evange-
lium verleugnet habe. „Schwert und Rautenkranz führe ich:
wie ichs gewonnen, als werds verlieren ich.“ 1 In hoch-
deutſchen und plattdeutſchen Chroniken erſcheint ſein Name
mit gehäſſigen Beiworten. Schon fühlte er in ſeinem eig-
nen Lande den Boden unter ſeinen Füßen erzittern. Seine
Ritterſchaft hat ihm förmlich verweigert gegen Magdeburg
Hülfe zu leiſten, und wie berührt, man wollte wiſſen ſie richte
ihr Augenmerk auf den jüngern Bruder, Herzog Auguſt.
In den Städten und auf dem Lande in Sachſen machte die
Beweisführung der Magdeburger, daß ihre Sache Gottes
[200]Neuntes Buch. Fuͤnftes Capitel.
Sache ſey, vielen Eindruck. Moritz iſt von ſeinen Amtleu-
ten erinnert worden, wenn er in Glaubensſachen auf die bis-
herige Weiſe vorſchreite, ſo werde ihm von hundert Men-
ſchen nicht einer gehorſam bleiben.


Mit neuem Eifer ſchaarten ſich die Geiſter, und viel-
leicht eben darum, weil ihnen eine Richtung nach der ent-
gegengeſetzten Seite gegeben werden ſollte, um das Banner
des evangeliſchen Glaubens. Nie waren die Kirchen in den
Städten, wo die Predigt noch erſcholl, gefüllter geweſen;
wir vernehmen von Augsburg, Straßburg, Regensburg, daß
die katholiſche Geiſtlichkeit verzweifelte das Volk ohne Ge-
walt in Zaum zu halten; ſo wird es auch anderwärts ge-
gangen ſeyn. In den Kirchengebeten durfte man begreiflicher
Weiſe Magdeburg nicht nennen: aber der dortige Kampf
war die große Angelegenheit welche die Gemüther beſchäftigte:
man bediente ſich allgemeinerer Ausdrücke, die jedoch keine
andre Beziehung haben konnten als eben auf dieſen Kampf.


Und indeſſen triumphirte der Biſchof von Arras, daß
ihm an dem Reichstage alle ſein Vorhaben, béſonders in
religiöſer Beziehung, gelungen: von den verjagten Predigern
rede man ſo wenig als ſeyen ſie nie da geweſen. In die-
ſem Lande, rief er aus, ſey alles möglich.


In der That, noch vieles hatte er vor.


Ihm konnte wohl nicht verborgen ſeyn, wie man die
Succeſſionsentwürfe in Deutſchland anſehe. „Ich finde Nie-
mand,“ ſchreibt ſelber Carlowitz, „weder hohen noch nie-
dern Standes, unter den Deutſchen, der damit zufrieden
wäre.“ Ohne die mindeſte Rückſicht darauf ſetzte der Hof
die Unterhandlungen mit dem größten Eifer fort, und wandte
[201]Allgemeine Aufregung.
alles an, um den Widerſtand zu brechen den der junge Ma-
ximilian noch leiſtete, und die Churfürſten endlich zu gewin-
nen. Mit Schrecken ſahen die Vaterlandsfreunde einen Trans-
port indiſchen Geldes aus Spanien ankommen. Sie mein-
ten nicht anders, als das Geld ſolle dienen die Churfürſten
zu beſtechen. Sie fragten, ob es Jemand wohl wagen
werde das Vaterland zu verrathen.


Und dazu kam nun die Erwartung der Beſchlüſſe des
Conciliums. Mochten auch die ſchon abgefaßten Decrete
reaſſumirt, und wie der Kaiſer wünſchte, in einem den Prote-
ſtanten annehmbaren Sinne umgeſtaltet werden, ſo wäre man
doch niemals über die Feſtſetzungen des Augsburger Interims
hinausgegangen; dieſe wären vielmehr wahrſcheinlich der ka-
tholiſchen Rechtgläubigkeit noch weiter angenähert und auf
das ſtrengſte feſtgehalten worden. Dem ſtarren Begriffe kirch-
licher Einheit würde ſich alles haben unterwerfen müſſen. 1


Tridentiner Beſchlüſſe, wenn auch nicht ganz wie ſie
ſpäter erfolgt ſind, aber dieſen doch ohne Zweifel überaus
nahe verwandt, nachdem die Proteſtanten bei ihrer Abfaſſung
zugegen geweſen, für ſie verpflichtend, — und zu deren Hand-
habung ein Kaiſer von der Macht und Geſinnung wie ſie
Philipp II entwickelt hat: — welch eine Ausſicht! Carln V
willkommen, deſſen Politik in den letzten Jahren dahin ge-
zielt hatte; aber eben ſo drückend und drohend für Deutſch-
land, das unter dieſen Umſtänden niemals das ſpätere
Deutſchland geworden, der freien geiſtigen Regung die ſein
Leben ausmacht verluſtig gegangen wäre.


[202]Neuntes Buch. Fuͤnftes Capitel.

Eben hier, wo ſie zuſammentreffen ſollten, ſchieden ſich
die Intereſſen des Kaiſers und der deutſchen Nation auf immer.


Hätte man nicht meinen ſollen, die Nation, in ihren
verſchiedenen Ständen beleidigt, in der Tiefe ihres Daſeyns
angegriffen und in ihrer Zukunft bedroht, werde ſich gegen
die Gewalt von der ſie ſo vieles litt und noch mehr fürch-
tete, plötzlich einmal wie Ein Mann erheben?


Das iſt nicht ihre Gewohnheit. Durch die Mannich-
faltigkeit der herrſchenden Gewalten iſt ihre Aufmerkſamkeit
von jeher zu ſehr nach verſchiedenen Puncten hin zerſtreut
geweſen, als daß dieß ſo leicht geſchehen könnte. Auch ſieht
ſie gern ihre Fürſten ſich vorangehen.


Und in dieſen fehlte es nicht an geheimem Widerſtand
und Regungen zu offenem.


Wohl merkwürdig, daß ſich Abſichten wie ſie Kaiſer
Carl V hegte, zunächſt ein deutſch-öſtreichiſches und ein bran-
denburgiſch-preußiſches Intereſſe entgegenſetzte.


Das erſte beruhte auf dem Widerwillen gegen die Succeſ-
ſion des Prinzen von Spanien. Ferdinand ſelbſt hatte ſich
endlich gefügt, aber weder ſein Sohn, auf den es eigentlich an-
kam, der dem jüngern Vetter ſein Lebtag hätte nachſtehn müſſen,
noch auch ſeine Räthe, welche die Verwaltung des Reiches
bald an ſich übergehn zu ſehen und auf immer in der deutſchen
Linie zu befeſtigen hofften. Und auch mit Ferdinand ſtand der
Kaiſer nicht mehr in dem alten Vertrauen. Er nahm es übel,
daß ſich derſelbe bei der Fürbitte für den Landgrafen bethei-
ligte. Den Übrigen gab er die ſchon oft vernommene Ant-
wort, er wolle ſich in Gnaden erweiſen, ſo viel nach Ge-
ſtalt des Handels thunlich; ſeinem Bruder ließ er außerdem
[203]Preußiſches Intereſſe.
ſagen, wenn er den Landgrafen befreie, müſſe er auch Jo-
hann Friedrich loslaſſen. 1 Er wußte wohl, daß Ferdinand
die Rückkehr dieſes Fürſten nicht wünſchte, der noch immer
einen ſtarken Anhang in Böhmen hatte.


In dem brandenburgiſchen Hauſe hatten ſich die bei-
den thatkräftigſten Fürſten, die dem Kaiſer im ſchmalkaldiſchen
Kriege beigeſtanden, ſeitdem von ihm abgewendet: Albrecht
von Culmbach, den zuerſt die Hinrichtung Vogelsbergers ver-
droſſen, worin er eine Verletzung der hergebrachten kriegsmän-
niſchen Ehre und Freiheit erblickte, und Johann von Cüſtrin,
der ſich an dem Interim geärgert, es vom erſten Augenblick
von Herzensgrund verdammt hatte. Markgraf Johann ſah
darin die Prophezeiung Carions erfüllt, daß im J. 1548
falſche Propheten aufſtehn würden, und war entſchloſſen ihm
zu widerſtehn. Während das übrige Deutſchland ſich beugte,
hat er wohl, fortfahrend wie er angefangen, wunderthätige
Bilder zerſtört, wie das zu Göritz. Johann Friedrich ver-
ſichert in einem an Carl V gerichteten Gutachten, daß zu der
Haltung des Hauſes Brandenburg auch die preußiſchen Ver-
hältniſſe beigetragen. Eben in dieſen Zeiten waren die An-
ſprüche der fränkiſchen Linie erneuert worden, und für die
Mitbelehnung des Geſammthauſes ein neuer Schritt geſche-
hen. Die polniſch-preußiſchen Stände ſahen in der Ver-
bindung mit dem Hauſe Brandenburg eine Verſicherung des
[204]Neuntes Buch. Fuͤnftes Capitel.
Friedens mit dem Reich, 1 der ſonſt, wie wir wiſſen, bedroht
war. Zu dem Kreiſe dieſer Verbindung gehörte Johann Al-
bert von Mecklenburg, der wie Markgraf Johann ſein müt-
terlicher Oheim, dem Interim zum Trotz die Reform fort-
ſetzte, und ſich in dieſem Augenblick mit der Tochter des Her-
zog von Preußen verlobte. Nun hatte Johann Albrecht in
jener Streitigkeit mit ſeinem Bruder Georg eine kleine Trup-
penſchaar geworben, deren er für ſich nicht mehr bedurfte,
als Georg ſich gegen Magdeburg wendete und dort ſtehn
blieb. Aber weder für Meklenburg noch für Preußen wäre
es rathſam geweſen, Magdeburg in die Hände von Kaiſer
und Reich fallen zu laſſen. Es war ein Gedanke Markgraf
Johanns, dem Kaiſer wenigſtens die Möglichkeit eines neuen
Widerſtandes zu zeigen, ihm wie er ſagte „ein Blatt über
die Füße zu welgern.“ Johan [...] Heideck, der ſich im ober-
ländiſchen Kriege, dann in Magdeburg hervorgethan, und der
junge Graf Volradt von Mansfeld erſchienen plötzlich an
der Spitze eines Heeres im Verdenſchen; durch Vermittelung
Johann a Lasco’s empfiengen ſie von England — es iſt die
erſte Rückwirkung der dortigen Religionsveränderung — ins-
geheim eine erwünſchte Geldunterſtützung.


Bei weitem zu gering jedoch war dieſe Macht, als daß
ſich etwas Durchgreifendes von ihr hätte erwarten laſſen:
ſich geradezu und in eigenem Namen dem Kaiſer zu wider-
ſetzen, dazu waren überhaupt die Verhältniſſe des Hauſes
Brandenburg nicht angethan. Noch viel weniger hätte Ferdi-
[205]Politik des Churfuͤrſten Moritz.
nand oder Maximilian, die durch alle denkbaren Bande ge-
feſſelt waren, dieß wagen können. Vielmehr kam alles auf
Denjenigen an, der durch ſeinen Übertritt zum Kaiſer den
ſchmalkaldiſchen Krieg entſchieden hatte, und der jetzt von al-
len Fürſten allein die Waffen gewaltig in der Hand hielt.


Moritz fühlte wohl ſchon von ſelbſt die Gefahr einer
Stellung die mit der öffentlichen Meinung in Widerſpruch
iſt. Schon längſt ſchloß er ſich nicht mehr ſo unbedingt
der kaiſerlichen Politik an. Er verſäumte nichts was dazu
dienen konnte, Maximilian durch geheimen Zuſpruch in ſei-
nem Widerſtand gegen die Succeſſionsentwürfe des Kaiſers
zu beſtärken; der ihn dafür für einen der beſten Freunde er-
klärt die er auf der Welt habe. Es war von einer zwi-
ſchen beiden Fürſten zu veranſtaltenden Zuſammenkunft die
Rede, und die Schwierigkeit lag nur darin ſie dem Kaiſer un-
bemerkt zu Stande zu bringen. 1 Bei den jungen Landgrafen
ließ Moritz bereits anfragen, wenn zwei Augen ſich zuthun
würden und er dann etwas zur Erledigung ihres Vaters
unternehme, weſſen er ſich zu ihnen verſehen könne. Es
war wohl nicht ſein Ernſt, bis zum Tode des Kaiſers zu
warten; die Landgrafen machten ihn aufmerkſam, der könne
noch manchen überleben: vielleicht zeige ſich bald eine andre
[206]Neuntes Buch. Fuͤnftes Capitel.
Gelegenheit, wenn der Kaiſer über Meer gehe, oder wenn
ſich ihm dieſſeit ein neuer Krieg erhebe.


Auf dieſe letzte Wahrſcheinlichkeit hatte vielleicht von
allen Deutſchen zuerſt Markgraf Albrecht von Culmbach bei
einer Anweſenheit in Weißenfels ſchon im Frühjahr 1550
die Aufmerkſamkeit gelenkt. Er ſagte, der eine von dieſen
Fürſten habe den Wahlſpruch: Mehr, weiter! der andre zum
Zeichen den zunehmenden Mond mit dem Worte „bis er
voll wird“: jeder wolle größer werden; aber der eine werde
abnehmen, der andre, der die Welt noch nicht ſo gut ge-
witzigt habe, fortſchreiten und wachſen; Heinrich II könne
dem Kaiſer wohl einen Schlag beibringen, ſo ſchlimm, als
ſein Vater jemals von dieſem erlitten.


Seit dem Frieden Heinrichs II mit England konnte ſich
Niemand verbergen, daß ein Wiederausbruch des Krieges
zwiſchen den beiden großen Mächten bevorſtehe.


Wie aber wenn alsdann der König von Frankreich die
Oberhand behielt? Er machte kein Hehl daraus, daß er
ſich der verjagten Fürſten und Kriegsmänner annehmen und
ſie zurückführen werde. Ein Vorhaben, voll Gefahr für Alle
welche den ſchmalkaldiſchen Bund zerſtören helfen und die
Partei des Kaiſers gehalten. Moritz ward erinnert, wie
ſchlechte Nachbarn er an den wiederhergeſtellten Grafen von
Mansfeld oder dem eignen Vetter haben werden. 1


Schon früh, im Sommer des Jahres 1550, finden
ſich Spuren einer Annäherung des Churfürſten an den Kö-
nig von Frankreich, der ſeine Augen auf jede mögliche Op-
[207]Politik des Churfuͤrſten Moritz.
poſition, unter andern ſogar auf König Maximilian, warf;
es fehlte jedoch noch viel, daß wirklich ein Verſtändniß ge-
ſchloſſen worden wäre: es blieb alles ganz im Unbeſtimm-
ten und Weiten.


Waren doch die mißvergnügten deutſchen Fürſten noch
weit entfernt einander zu trauen!


Das Ereigniß, wodurch zuerſt eine gewiſſe Annäherung
zwiſchen dieſen herbeigeführt worden iſt, war das Vorrücken
jener meklenburgiſch-heideckiſchen Truppen von Verden her
in der Richtung gegen Magdeburg. Moritz, der ſich in
ſeiner Belagerung nicht wollte ſtören laſſen, gieng wie be-
rührt auf dieſen Haufen los, und überlegen in den Waf-
fen wie er war, zwang er ihn Verden aufzugeben. Da-
bei geſchah nun aber das ganz Unerwartete. Der Chur-
fürſt machte den Anführer der geſchlagenen Truppen, Jo-
hann Heideck, der mit dem Kaiſer noch unverſöhnt war,
und nicht mit ihm verſöhnt ſeyn wollte, zu ſeinem Vertrau-
ten. Darin lag die erſte überzeugende Kundgebung einer
veränderten Richtung der moritziſchen Politik. Der Sieger
gieng, ſo zu ſagen im Momente des Sieges, zu der Mei-
nung der Beſiegten über.


Heideck ließ es eines ſeiner erſten Geſchäfte ſeyn, daß
er eine Zuſammenkunft zwiſchen Churfürſt Moritz und Mark-
graf Hans zu Stande brachte, die im Februar 1551 in
Dresden Statt fand.


Markgraf Hans erſchien nicht, ohne ſich vorher durch
hinreichendes Geleite ſicher geſtellt zu haben. Er traute dem
zweideutigen Nachbar mit nichten. Als ſie zum Zwiege-
ſpräch kamen, bedachte er ſich lange, ehe er mit ſeiner Mei-
[208]Neuntes Buch. Fuͤnftes Capitel.
nung hervortrat. Noch viel weniger aber hätte der geheim-
nißvolle Moritz geredet. Endlich erwähnte Hans den Ver-
denſchen Zug, durch welchen ihm Moritz ein gutes Vorha-
ben zu Grunde gerichtet habe. „Und doch weiß ich,“ redete
er Moritz an, „daß auch du ſo gut nicht hinkommſt. Was
würdeſt du ſagen, wenn dir Jemand 4000 Pferde zuführte,
um damit gegen Jeden zu dienen, der die Religion und
die deutſche Freiheit beſchweren wollte?“ „Weißt du nicht,“
ſagte Moritz, „daß ich im Dienſte des Mannes bin? Mit
4000 Pferden wäre ihm noch nicht viel abzubrechen, doch
auch ich, in der Religion bin ich kein Mameluk.“ Zögernd
eröffneten ſie ſich einander. So wie einer den andern aber
einmal verſtanden, waren ſie der Sache bald einig. Moritz
verſprach, die Religion laut der Augsburger Confeſſion zu be-
kennen, und zur Erhaltung derſelben, ſo wie der deutſchen
Freiheit, Land und Leute zu wagen. Markgraf Hans machte
ſich anheiſchig, ihm mit dritthalbtauſend Pferden zu Hülfe
zu kommen. Am 20ſten Februar 1551 iſt hierüber eine
förmliche Obligation aufgenommen worden. Der Markgraf
ſah ein, daß vor allem eine Verſöhnung der beiden ſäch-
ſiſchen Linien nothwendig ſey, und ſäumte nicht, alles mög-
liche dafür zu thun. 1


So erhoben ſich endlich auch in Deutſchland die zer
ſtreuten Regungen der Oppoſition zu einer feſten Geſtalt,
einer bewußten Tendenz.


Wunderbarer Anblick, den nun die Lage der großen
Angelegenheiten darbietet.


In Insbruck wo der Kaiſer ſich aufhält, am Conci-
[209]Allgemeine Lage der Dinge.
lium zu Trient hegt man die Meinung, und darf ſie hegen,
daß die Zeit gekommen ſey wo alle Entwürfe deſſelben ſich
erfüllen ſollen. Die verſchiedenſten von ferne her angelegten
Fäden werden verknüpft, alle entlegnen und zweifelhaften
Sympathien aufgerufen, um zu dem großen Erfolg einer
Herſtellung des Kaiſerthums in dem einmal aufgefaßten Sinne
und einer Befeſtigung deſſelben im Hauſe Öſtreich-Burgund,
älterer Linie, zuſammenzuwirken.


Aber indeſſen haben ſich die alten Feinde im Oſten und
Weſten, zur See und im innern Lande, mit denen der Kai-
ſer früher ſo oft gekämpft und die ſich eine Zeitlang ruhig
gehalten, aufs neue erhoben. Und nicht dieſe allein, ſon-
dern auch die beſiegten Oppoſitionen regen ſich wieder, und
zwar in ganz unerwarteter Geſtalt; neue in der unmittelbar-
ſten Nähe bilden ſich an.


Wird es dem Kaiſer gelingen dort das Ziel zu errei-
chen, ſo daß er ſich dann mit neu gerechtfertigten Waffen
gegen ſeine Feinde, einen nach dem andern, wird wenden
können?


Oder werden die Feinde ihm zuvorkommen? Werden
namentlich die verſchiedenen Gegner ſich unter einander fin-
den und zu einem Angriff auf ihn verſtehn?


Ranke D. Geſch. V. 14
[[210]]

Sechstes Capitel.
Kriegszug des Churfürſten Moritz wider Carl V.


Landgraf Philipp ſpottete darüber, als ihm in ſei-
nem Gefängniß eine freilich voreilige Kunde von dem Vor-
haben ſeines Schwiegerſohns Moritz gegen den Kaiſer zu-
kam. Denn wie wolle ein Sperling den Geier angreifen;
habe doch Moritz ſelbſt die andern Vögel verſtört; fremden
Nationen komme es lächerlich vor, daß ein Lutheriſcher wi-
der den andern ſey.


Eben dahin zielten nun die Bemühungen des Markgra-
fen Johann, dieſen Zwieſpalt zu heben, die beiden ſächſiſchen
Linien zu verſöhnen, dem Krieg von Magdeburg ein Ende zu
machen: „damit nicht“, ſagt er, „wir Chriſten unſerm eini-
gen Haupt Chriſto zur Schmach, uns unter einander mor-
den und würgen.“ 1 Auch nach jener Zuſammenkunft hält
er noch für nöthig, Moritz zu ermahnen, daß er ſich ſeiner
Verbindung mit den Geiſtlichen, die nur im Blute der Chri-
ſten zu baden wünſchen, entſchlage, und Chriſtum mit den
[211]Erſte Entwuͤrfe.
Übrigen bekenne. Wenn dieß geſchehen iſt, ſo hofft er alle
weltliche Fürſten dieſer öſtlichen und nördlichen Länder, den
Herzog von Preußen, die Herzoge von Mecklenburg, Lüne-
burg, Pommern, Holſtein, in den von ihm mit Moritz ver-
abredeten Bund zu ziehen.


Die erſte Abſicht hiebei war durchaus defenſiver Natur.


In der Obligation welche Moritz dem Markgrafen
Hans ausſtellte, verſprach er mit ausdrücklichen Worten, ein
Defenſivbündniß einzugehn, zur Erhaltung der Religion und
Freiheit der Deutſchen, Gut und Blut dabei aufzuſetzen; ſeine
Bedingung war allein, daß ihm Markgraf Hans von ſei-
nen Freunden die Verſicherung einer beſtimmten Hülfleiſtung
bringe, für den Fall daß er angegriffen werde. 1 Man hatte den
Gedanken, ein Heer von 20000 M. z. F. und 7000 z. Pf. auf-
zubringen und mehrere Jahre, oder doch auf Jahr und Tag,
auf den Beinen zu erhalten. Ein erſter, wiewohl noch ſehr
unentwickelter Gedanke von der Aufſtellung eines ſtehenden
Heeres zum Schutze der Religion. Es ſcheint als ſey die
Abſicht geweſen, dem Kaiſer Bedingungen zur Sicherung vor
allem der Religion vorzulegen und dieſen mit Aufſtellung ei-
ner ſo ſtattlichen Mannſchaft Nachdruck zu geben. Man
war jedoch hierüber noch nicht zu beſtimmten Entwürfen ge-
14*
[212]Neuntes Buch. Sechstes Capitel.
langt. Alle Unterredungen von Anfang an laſſen doch auch
die Möglichkeit offen, mit eignem Angriff zu Werke zu gehn.


Welchen Weg man aber auch einſchlagen mochte, ſo
mußte man ſich eingeſtehn, daß man, bei der Geringfügigkeit
der Landeseinkünfte und der allgemeinen Erſchöpfung, ſich
nicht ganz auf die eignen Kräfte werde verlaſſen dürfen.


Hatte doch der ſchmalkaldiſche Bund, dem noch die rei-
chen Kämmereien der oberdeutſchen Städte zu Gebote ſtan-
den, ſich nicht ſo lange als nöthig geweſen wäre, im Felde
zu halten vermocht.


Wie nun die Veränderung die in den europäiſchen An-
gelegenheiten eintrat, überhaupt Muth zu dem Gedanken
machte ſich bewaffnet dem Kaiſer entgegenzuſtellen, ſo er-
weckte ſie auch die Hofnung, von den beiden Mächten welche
ſich ſchon 1547, nur zu ſpät und insgeheim, geneigt bewie-
ſen hatten, jetzt aber in offener Oppoſition gegen den Kai-
ſer ſtanden, von Heinrich II in Frankreich und der prote-
ſtantiſchen Regierung in England, Unterſtützung und zwar
zunächſt in Geld zu erlangen. 1


Der erſte Gedanke des Widerſtandes war von dieſer
Abſicht durchdrungen. Bei der Zuſammenkunft in Dresden
äußerte der Markgraf, man werde wohl 100000 G. des
[213]Miſſionen nach dem Ausland.
Monats von Frankreich, 50000 von England erlangen kön-
nen. Zugleich dachte man auch ſchon daran, wie nützlich
es werden könnte, wenn der König von Frankreich den Kai-
ſer etwa durch einen Angriff in den Niederlanden beſchäf-
tige: dann könne man noch „alle Pfaffen und Mönche“ aus
Deutſchland verjagen.


Im Mai 1551 ward eine neue Zuſammenkunft zwi-
ſchen Moritz und Johann in Torgau gehalten, an der auch
Johann Albert von Mecklenburg und Wilhelm von Heſſen,
der älteſte von den jungen Landgrafen, Theil nahmen. Schon
ihr Erſcheinen bewies, daß ſie einverſtanden waren. Die
vier Fürſten beſchloſſen, ſich unter gemeinſchaftlichem Namen
und Siegel an die beiden Höfe zu wenden.


In der Inſtruction die ſie dem nach Frankreich beſtimm-
ten Geſandten, Friedrich von Reiffenberg, mitgaben, tritt be-
ſonders der politiſche Geſichtspunct hervor. Sie machen
darin bemerklich, daß der Kaiſer, ſobald er mit den deut-
ſchen Fürſten, die er in eine der Menſchenwürde widerſtre-
bende Knechtſchaft 1 zu bringen ſuche, fertig ſey, auch die
andern Potentaten und zunächſt Frankreich angreifen werde.
Um ihm Widerſtand zu leiſten, gebe es kein Mittel, als ſich
mit dem Rücken an einander zu ſtellen. Würde der König
ſie jetzt unterſtützen, — ſie beſtimmen ſeine Leiſtung auf
100000 Kronen, — ſo würden ſie außer andrer vielfältiger
Dankbarkeit in Zukunft einem römiſchen Kaiſer auch wider
ihn nicht beiſtehn. In aller Form tragen ſie ihm den Wunſch
vor, daß er ihnen durch einen Angriff auf Carl von der an-
dern Seite her zu Hülfe kommen möge.


[214]Neuntes Buch. Sechstes Capitel.

Zufällige Hinderniſſe, z. B. die Abweſenheit des ver-
trauten Secretärs, oder Zweifel über einen Titel, bewirkten,
daß die Sendung nach England ſich bis in den Juli ver-
zögerte. Abſichtlich, weil man kein Aufſehen erregen wollte,
ward ſie einem unbedeutenden Mann anvertraut. In deſſen
Inſtruction aber hoben die Fürſten beſonders den religiöſen
Geſichtspunct hervor. Sie forderten Eduard VI, als einen
chriſtlichen jungen König, der in der wahren und rechten Re-
ligion von Anfang an unterwieſen ſey, auf, ihnen gegen
Diejenigen beizuſtehn, von welchen dieſe Religion verfolgt
werde, und welche jetzt entſchloſſen ſeyen die evangeliſchen
Stände, ſo viel ihrer noch bei der augsburgiſchen Confeſ-
ſion verharren, vollends auszurotten. Ganz in dem Maaße,
in welchem der König ihnen helfe, ſind ſie erbötig ihn zu
unterſtützen, wenn er angegriffen werde. 1


Der Geſichtskreis der Verbündeten umfaßte auch das
nördliche Europa. Churfürſt Moritz ſetzte ſich mit dem Kö-
nig von Dänemark in Verbindung, der zu ſeinem Verdruß
mit Guſtav Waſa ſo eben in neue Irrungen gerieth. Mark-
graf Johann hielt, da der König von Polen allzu entfernt
war um ihn zu erreichen, eine Zuſammenkunft in dieſer Sache
mit ſeinem Nachbar, dem Staroſten von Poſen.


Sie ſahen die Macht des Kaiſers als eine allen un-
abhängigen Ländern von Europa gleich gefährliche an: daß
ſie eine deutſche ſey, kam ihnen nicht zu Sinne.


In Deutſchland ſelbſt lag die größte Schwierigkeit darin,
[215]Miſſionen nach dem Ausland.
die Söhne Johann Friedrichs mit Demjenigen in Friede zu
ſetzen der ſie der Chur beraubt hatte. Schon bei der Tor-
gauer Zuſammenkunft hatte man den Beſchluß gefaßt, wenn
ſie auch die Vorſchläge nicht annähmen die man ihnen ma-
chen würde, ſich doch dadurch von weiterm Fortſchreiten
nicht abhalten zu laſſen, und nur vergeblich bemühte ſich
Markgraf Johann noch eine Weile ſie herbeizuziehen; Mo-
ritz, in deſſen Briefen überhaupt nichts ſo häufig und ſo
dringend eingeſchärft wird wie das Geheimniß, um ſo mehr
da ihm Gerüchte vom kaiſerlichen Hofe kamen, man mißtraue
ihm dort und hege Beſorgniſſe, 1 fürchtete nur immer, es
möchte ſeinen Vettern zu viel mitgetheilt werden, ſo daß ſie
ihn verrathen könnten. Er ſeinerſeits hatte für den Erfolg
ſein Augenmerk von Anfang an noch mehr auf Frankreich
gerichtet als auf Deutſchland. 2 Mit Freuden vernimmt er,
daß ſich nach allen Nachrichten der Bruch zwiſchen Carl V
und Heinrich II unvermeidlich zeigt. Jetzt, meint er, werde
der König Freunde brauchen und fort müſſen.


Es verſteht ſich wohl, daß ein Antrag wie der von
Reiffenberg überbrachte, dem König von Frankreich im höch-
ſten Grade willkommen ſeyn mußte. Was er ohnehin zu
thun im Begriff war, dazu forderten jetzt deutſche Fürſten
ihn auf. Nicht allein eine ſehr erwünſchte und nützliche Hülfe
bot ſich ihm damit dar, ſondern auch, da man ihn ſuchte
[216]Neuntes Buch. Sechstes Capitel.
und brauchte, die beſte Gelegenheit, ſeine Macht nach der
deutſchen Seite hin auszudehnen, wo ſie bisher durch Carls
Vorkehrungen und die Gewiſſenhaftigkeit des älteren prote-
ſtantiſchen Bundes nur Verluſte erlitten.


Gleich die Antwort welche Reiffenberg mitbrachte, gab
dem urſprünglichen Gedanken eine etwas andre Wendung.


Indem ſich der König bereit erklärte auf den ihm ge-
ſchehenen Antrag einzugehn, bezeichnete er denſelben ſo, als
habe man ihm für den Fall daß er die Waffen gegen den
Kaiſer ergreife, ſey es zur Vertheidigung oder zum Angriff,
und daß er ſich dabei der Sache des Landgrafen öffentlich
annehme, verſprochen, ſich für ihn zu erklären und ihm gute
Dienſte zu leiſten. 1


Von dem Defenſivbündniß, auf das man zuerſt gedacht,
zu deſſen Ausführung man Hülfe von Frankreich gewünſcht
hatte, war hier nur noch im Vorbeigehn die Rede. Statt
deſſen trat die Abſicht hervor, gegen den Kaiſer mit deutſcher
Hülfe einen großen Krieg zu beginnen.


Oder hatte vielleicht Moritz, der ſchon ſeit längerer Zeit
für ſich allein mit Frankreich in geheimen Beziehungen ſtand, 2
dieſe Wendung durch frühere Äußerungen veranlaßt?


In Kurzem erſchien ein franzöſiſcher Geſandte de Freſſe,
Biſchof von Bayonne, in Deutſchland, der ſich in demſel-
ben Sinne erklärte. Bei einer Zuſammenkunft, im Anfang
[217]Unterhandlung mit Frankreich.
October in Lochau, brachte Markgraf Hans ſeine Defenſions-
gedanken nochmals vor. Der Geſandte ſagte wohl, auf
dieſe Weiſe werde die Scheuer der deutſchen Fürſten um-
friedet, die Umfriedung des Königs von Frankreich zu ſei-
nem alleinigen Schaden zerriſſen. Er wollte nur von ei-
nem Offenſivbündniß hören, und drang auf ſofortige un-
umwundene Erklärung darüber, damit man in Frankreich
Beſchluß faſſen könne, wie der Krieg im nächſten Frühjahr
zu führen ſey.


Und hiebei kam ihm die Meinung derjenigen von den
fürſtlichen Räthen entgegen welche bisher das Geheimniß
dieſer Geſchäfte getheilt oder vielmehr ſie geleitet hatten.
Mit Heideck war ein Mann in ſächſiſche Dienſte getreten,
der als Canzler deſſelben bezeichnet wird und ſpäter als
ſächſiſcher Amtmann erſcheint, Chriſtoph Arnold, der an die-
ſen Dingen den größten Antheil hatte. Er hauptſächlich
hat die Herſtellung eines guten Vernehmens zwiſchen Mo-
ritz und Markgraf Hans vermittelt, die Unterhandlungen
mit dem weimariſchen Hofe veranlaßt; er beſorgte die ge-
heime Correſpondenz: jene Inſtruction nach England konnte
darum nicht ausgefertigt werden, weil er, doch wieder in
eben dieſen Geſchäften, abweſend war. Von Arnold liegt ein
Gutachten bei den Acten, in welchem er auf entſcheidende
Maaßregeln dringt. Jetzt ſey die Zeit gekommen, wo man
das Haus Öſtreich, beſonders aber den Kaiſer in ſeinem
Herzen angreifen müſſe; zunächſt auf die Niederlande, den
Sitz ſeiner Macht, müſſe man losgehn, bis man ſeine Größe
gebrochen; und auf keine Weiſe dürfe man ſeine Anhänger
in Deutſchland dulden; gebe es Leute die nicht von ihm
[218]Neuntes Buch. Sechstes Capitel.
zu trennen, nicht für den Bund zu gewinnen ſeyen, die müſſe
man mit aller Gewalt verfolgen und ausrotten.


Der nemlichen Überzeugung war der heſſiſche Bevoll-
mächtigte, Simon Bing, der den franzöſiſchen Geſandten
mitgebracht: er legte einen Entwurf eines Offenſivvertrages
vor, in dem ſich zuweilen nahe die Worte des Arnoldiſchen
Gutachtens wiederfinden.


Markgraf Hans, von Natur hartnäckig bis zum Eigen-
ſinn und hier in ſeinem Rechte, wollte ſich ſeinen urſprüng-
lichen Gedanken nicht ſo ganz umgeſtalten laſſen. Es kam
darüber zu Mißverſtändniſſen, zu einem Wortwechſel ſelbſt
bei Tafel. „Du ſollſt“, ſagte ihm Moritz, „nicht immer
regieren wollen, du ſollſt mir nicht Fickfack machen.“ Mark-
graf Hans hielt fürs Beſte ſich auf der Stelle zu entfernen:
noch denſelben Abend, bei Fackelſchein, ritt er ab. 1


Dagegen gieng ſein Neffe, Johann Albert von Meck-
lenburg auf die neuen Entwürfe ſo gut ein wie auf die
früheren. Die jungen Landgrafen und Moritz theilten längſt
die Anſicht ihrer Räthe. Sie wollten nicht in den Feh-
ler des ſchmalkaldiſchen Bundes fallen, der ſich hatte iſoli-
ren laſſen, und dadurch vernichtet worden war. Sie wuß-
ten ſehr wohl, wie der Feind, den ſie anzugreifen gedach-
ten, ihnen ohne Vergleich an Kraft überlegen, wie klug und
kriegserfahren er ſey. Sie ſahen ihr Heil nur darin, daß es
gelinge, ihn unvermuthet, von allen Seiten zu überraſchen.


[219]Unterhandlung mit Frankreich.

Nun kam es nur auf die Bedingungen an, über die
man ſich mit dem König von Frankreich verſtehn würde.


Die deutſchen Fürſten forderten eine Subſidie von
100000 Kronen des Monats: der König antwortete ihnen
dafür mit zwei Gegenforderungen, welche univerſalhiſtoriſch
wichtig geworden ſind.


Einmal: er verlangte das Zugeſtändniß, daß er ſich
der zum Reiche, aber der franzöſiſchen Zunge gehörigen Städte
Metz, Toul, Verdun und Cambrai bemächtigen könne, nicht
allein um ſie dem gemeinſchaftlichen Feind zu entreißen oder
vor ihm zu beſchützen, ſondern auch um ſie als Reichsvicar
inne zu haben.


Sodann — jedoch erſt etwas ſpäter — kam der franzöſi-
ſche Geſandte mit der Bemerkung hervor, der Kaiſer habe nur
darum die hohe Geiſtlichkeit auf ſeiner Seite, weil dieſe von
einem Emporkommen ſeiner Gegner, der Proteſtanten, ihr
Verderben fürchte. Er forderte für ſeinen König die Be-
fugniß, die geiſtlichen Fürſten in ſeinen Schutz zu nehmen,
wie er mit ihnen Eines Glaubens ſey.


Vorſchläge, die uns einen Blick in die Pläne eröffnen,
welche die Franzoſen auf Eroberungen über das Reich und
einen durchgreifenden Einfluß innerhalb deſſelben hegten.


Dahin war es gekommen, daß man nur die Wahl zwi-
ſchen zwei harten Nothwendigkeiten hatte: entweder den Kai-
ſer ſeine Entwürfe vollenden zu laſſen, was die Cabinets-
regierung deſſelben wie das Interim befeſtigt, eine concen-
trirte weltlich-geiſtliche Gewalt einem Prinzen, der trotz al-
ler abſichtlichen Näherung doch immer als ein Fremder er-
ſchien, überliefert, und die freie Entwickelung der Nation auf
[220]Neuntes Buch. Sechstes Capitel.
ſpäte Generationen gehemmt hätte: oder ſich dem Neben-
buhler des Kaiſers anzuſchließen, der doch ſelber noch mehr
ein Ausländer war, und Abſichten auf einen Einfluß kund
gab, bei dem die politiſche Selbſtändigkeit der Nation im
höchſten Grade hätte gefährdet werden müſſen.


Es traten beinahe Erwägungen ein, wie damals als
es zweifelhaft war, ob Carl V oder Franz I zum Kaiſer ge-
wählt werden ſolle.


Aber der Unterſchied lag darin, daß man Carln V kennen
gelernt, in Erfahrung gebracht hatte, wozu die höchſte Gewalt
in dieſen Händen führen mußte, jetzt nichts mehr wünſchte
als ſich ſeiner Übermacht wieder zu entledigen, und daß man
dagegen dem König weder das Kaiſerthum übergab, wenn man
es ihm gleich in der Ferne zeigte, noch jenen Einfluß zugeſtand.


Hatten aber die Fürſten nicht Pflichten gegen den Kai-
ſer? war ihm nicht überdieß Moritz durch die Bande der
Dankbarkeit höher als vielleicht irgend ein andrer Fürſt im
Reiche verbunden?


Wenn man ihn kannte, ſo durfte man wohl nicht er-
warten, daß er hierauf viel Rückſicht nehmen würde.


Gleich ſeinen alten Vater hat Moritz durch eine allzu
frühe, ohne deſſen Einwilligung vollzogene Vermählung höchſt
unglücklich gemacht, ſo daß man fürchtete, dieſer möchte „aus
ſolch hohem gefaßten Harm an ſeinem Leben Schaden neh-
men.“ — Und dieſe ſeine junge Gemahlin hat dann doch wohl
auch einmal die Klage geführt, er habe die Wild-Schweins-
jagd lieber als ihre Geſellſchaft.


Wir kennen die Verdienſte Johann Friedrichs um Hein-
rich den Frommen, und wie er dann bei dem Tode deſſelben
[221]Moritz.
dafür ſorgte, daß die Lande ungetheilt an Moritz gelang-
ten. Dem zum Trotz, und zwar wohl deshalb weil man
es ihn ein wenig fühlen ließ, konnte ihn Moritz nicht lei-
den: wie er ſich gröblich ausdrückte, „den dicken Hoffart.“
Wie lange hätte es dauern können, beſonders bei der Lei-
besbeſchaffenheit Johann Friedrichs, die ihm kein langes
Leben verhieß, ſo hätte Moritz mit ſeinem Schwiegervater
die Leitung der evangeliſchen Angelegenheiten in die Hände
bekommen. Allein ihn zogen bei weitem mehr die gegen-
wärtigen Vortheile an, die ihm der Kaiſer anbot: er ge-
wann es über ſich, von dem ganzen politiſch-religiöſen Sy-
ſtem abzufallen dem er angehörte: es hielt ihn nicht zurück,
daß ſein Schwiegervater in denſelben Ruin gezogen ward,
den er dem Vetter bereitete.


Iſt es nun aber nicht der gewöhnliche Lauf der Dinge,
daß Derjenige, der einem Dritten zu Gunſten die Treue brach,
ſie auch dieſem nicht hält?


Zur Entſchuldigung von Moritz iſt von jeher Viel ge-
ſagt worden und läßt ſich wirklich Mancherlei ſagen. Ge-
wiß aber hatte er durch ſein bisheriges Verhalten nicht zu
der Meinung berechtigt, als werde er ſich durch Rückſicht
auf empfangene Wohlthaten — die er ja überdieß durch
entſcheidende Hülfe vergolten — abhalten laſſen dasjenige
zu thun, wozu ſein Vortheil ihn einlud.


Wenn man ſein tägliches Thun und Laſſen anſah, ſo
meinte man wohl, nur das Vergnügen des Tages habe
Reiz für ihn, die Wildbahn in den dichten Gehölzen von
Radeberg und Lohmen und in der erweiterten Dresdner
Forſt, oder die Freuden der Faſtnacht, die Ritterſpiele, in
[222]Neuntes Buch. Sechstes Capitel.
denen er, denn er war ſehr ſtark und gewandt, gewöhnlich
das Beſte that, oder das luſtige Leben auf den Reichstagen
und die ſich daran knüpfenden Beſuche an fremden Höfen,
wo er gern mit ſchönen Frauen Kundſchaft machte, oder die
Trinkgelage, bei denen er es auch den Meiſten zuvorthat. 1
Kaiſer Carl glaubte, Der vermöge am meiſten bei ihm, wer
ihm darin Vorſchub thue.


Allein hinter dieſem leichtfertigen Weſen barg ſich ein
tiefer Ernſt.


Der männliche Muth den er vor dem Feinde bewies
und der ihm früh einen Namen machte, zeigte zuerſt daß
er kein gewöhnlicher Menſch war. Dann aber muß man
ihn in ſeinem Lande beobachten, wie er das ganze Re-
gierungsweſen umbildet, und ihm in dem Mittelpunct eine
ſtärkere Haltung giebt, wie er die großen Vaſallen die An-
ſpruch auf Reichsunmittelbarkeit machen, den Ordnungen
des „berainten und bezirkten“ Territoriums, das keine Aus-
nahme zuläßt, unterwirft, dafür ſorgt daß die Unterthanen
Recht und Frieden und eine gewiſſe Gleichheit der Behand-
lung genießen: wie er ferner das Syſtem der Schulen grün-
det das dieſem Lande eine ſo eigenthümlich alle Claſſen
durchdringende Cultur verſchafft hat. Er zeigt eine ſehr be-
merkenswürdige Gabe ſowohl für das Ergreifen politiſcher
Gedanken als für ihre Ausführung. Er bekümmert ſich um
das Kleinſte wie um das Große. Aus dem Feldlager fragt
er ſeine Gemahlin, wie es in ihrem Vorwerk ſtehe; er
ſchilt darüber, daß man den Knaben in ſeiner neuen Land-
ſchule zu Pforte brandiges trübes Bier zu trinken gebe.


[223]Moritz.

In der Regel hielt er ſich leutſelig. Zwar gerieth er
leicht in Zorn; man bemerkte aber daß er den Beleidig-
ten dann wieder durch irgend einen Gnadenbeweis zu feſ-
ſeln ſuche.


Die religiöſe Richtung ſeines Jahrhunderts hatte auf
ihn, ſo viel ich ſehe, weniger beherrſchenden Einfluß als
vielleicht auf irgend einen andern fürſtlichen Zeitgenoſſen. In
ſeinen Briefen gedenkt er des allmächtigen Gottes, des ge-
rechten Gottes, der alles wohl machen werde: tiefer geht er
nicht; er ſcherzt wohl ſelbſt darüber, daß er wenig bete.


Allgemeine große Ideen von weltgeſtaltendem Inhalt,
wie ſie der Kaiſer hegte, finde ich nicht in ihm; deſto ſchär-
fer aber faßt er das Näher-liegende, bringe es nun Gefahr
oder Vortheil, ins Auge; unaufhörlich arbeitet ſeine Seele
an geheimen Plänen.


Er iſt dafür bekannt daß er verſchwiegen iſt: er ſagt
einmal ſelbſt, man wiſſe daß ihm der Schnabel nicht lang
gewachſen, es wäre denn indem er dieß ſchreibe. Geht
er ja mit ſeinen Gedanken heraus, ſo fängt er wohl damit
an, das Entgegengeſetzte von dem was er wünſcht vorzu-
ſchlagen, z. B. im Geſpräch mit dem Markgrafen die Be-
freiung ſeines Vetters Johann Friedrich, an der ihm nichts
liegt, nur damit dieſer ſelbſt die Befreiung des Landgrafen
zur Sprache bringe, die er zu bewirken wünſcht. An Brie-
fen liegt ihm wenig: „ein Geſpräch iſt beſſer als viel be-
ſchriebenes Papier.“ Niemals hat er große Eile: ein paar
Monat mehr kümmern ihn wenig, wenn die Sache nur
gründlich vorbereitet wird und verborgen bleibt. Seine Rä-
the beklagten ſich nicht mit Unrecht, daß unter Johann
[224]Neuntes Buch. Sechstes Capitel.
Friedrich ſelbſt im Felde die Canzleien regelmäßiger beſorgt,
beſſer berückſichtigt worden ſeyen als unter Moritz. Das
machte: Johann Friedrich hatte in der Regelmäßigkeit der
Verhandlungen wirklich die Summe der Geſchäfte geſehen.
Moritz dagegen trieb das Wichtigſte insgeheim, mit einem
oder dem andern vertrauten Secretär, während die übrigen
Räthe, die auch in ſeinem Vertrauen zu ſeyn glaubten, und
es bis auf einen gewiſſen Grad waren, in ihrem einmal ein-
geſchlagenen Gange blieben, ohne eine Ahnung von den
Dingen zu haben die ihr Herr eigentlich im Schilde führte.
Wichtige Briefſchaften auch nur etwa durch Zufall in ihre
Hände kommen zu laſſen hütet er ſich ſorgfältig: er ſchickt
ſie an ſeine Gemahlin, die ſie in ihrer Truhe wohlpetſchiert
aufbewahren ſoll: 1 ſie kannte ihn genug, um ſich nicht
daran zu vergreifen. Es giebt eine Art praktiſcher Zweizün-
gigkeit, in der er ſo weit als möglich gieng. Im Februar
1551 hatte er ſich verpflichtet das Concilium nicht anzuer-
kennen, und war entſchloſſen dazu: im Februar 1552 war
der gute Melanchthon noch unterwegs in keiner andern Mei-
nung, als er werde ſich nach Trient verfügen müſſen.


Damals nun hatte Moritz eine ganz entſchiedene Rich-
tung zum Bündniß mit den Franzoſen und gegen den Kai-
ſer genommen: er war nicht der Meinung, vor einer Forde-
rung die Frankreich machen konnte, zurückzuweichen, wofern
ſie nur nicht dem Zwecke ſelber entgegenlief.


Es mochte hinzukommen, daß der König von England
den Antrag, der ihm nunmehr auch geſchehen war, mit weit-
[225]Unterhandlung mit Frankreich.
läuftigen Anfragen über die Namen der verbündeten Fürſten
und die Sicherheit die ihm dafür angeboten werden könne,
beantwortete, überhaupt eine große Bedenklichkeit kund gab,
mit dem Kaiſer zu brechen. 1


Auch konnte dem Churfürſten an einem Defenſivbünd-
niß überhaupt nichts mehr liegen. Ein großer Schlag, gut
vorbereitet und plötzlich mit aller Kraft geführt, das war
ſeine Politik.


In ſeinen Briefen findet ſich nicht der Schatten eines
Scrupels über die Rechtmäßigkeit ſeines Verfahrens. Eher
blickt ein gewiſſes Vergnügen durch, daß er ihn angreifen
wird und vielleicht niederwerfen, den alten Sieger, der ſie
alle in Zaum hält. 2


Und ſo entſchloß er ſich, wozu man auch auf der Seite
der Landgrafen ſehr geneigt war, von jenen Forderungen
des Königs die erſte anzunehmen.


Er willigte damit nicht in eine Losreißung der drei
Städte vom Reich, deſſen Rechte er vielmehr ausdrücklich
vorbehielt: der König ſollte dieſelben beſetzen und inne be-
halten, aber nur als Reichsvicar, wozu man ihn befördern
wolle. Das Unvaterländiſche dieſes Zugeſtändniſſes entſchul-
digte man damit, daß auch der Kaiſer, der ſich bereits Cam-
brays, Utrechts und Lüttichs bemächtigt habe, ähnliche Ab-
ſichten auf die drei übrigen Städte hege, wodurch ſie dann
auch dem Reiche wenigſtens nicht minder entfremdet würden.


Ranke D. Geſch. V. 15
[226]Neuntes Buch. Sechstes Capitel.

Dazu aber, dem König den Schutz über die geiſtlichen
Fürſtenthümer anzuvertrauen, ließ Moritz ſich nicht bewegen.


In dem Entwurfe des Vertrages hieß es: daß die
Fürſten Diejenigen, welche ſich ihnen widerſetzen oder auch
nur nicht anſchließen würden, für dieſe Treuloſigkeit gegen
das gemeine Vaterland mit Feuer und Schwert zu verfol-
gen geſonnen ſeyen. Eben gegen dieſen Artikel waren die
Einwendungen der Franzoſen und ihre Schutzvorſchläge ge-
richtet. Da der Geſandte ſah, daß er damit ſo im Ganzen
nicht durchdringen werde, ſo wollte er wenigſtens Diejeni-
gen, die ſich nur nicht anſchließen würden, vor jener Gefahr
ſichern. Aber die Fürſten gaben weder das eine noch das
andre nach. Sie wollten ſich bei ihrer Unternehmung nicht
ſchon von Anfang Hinderniſſe ſchaffen, ihre Widerſacher nicht
mit ihren Verbündeten in Verhältniß ſetzen. Der Geſandte
mußte davon abſtehn.


Seinerſeits erkannte der König die Erwerbungen an,
welche Moritz im letzten Kriege gemacht, und verſprach —
nach einigem Hin und Herhandeln über die Summe — auf
die Dauer des Krieges monatlich 60000 Ecus, für die drei
Monate aber, die bis zu dem Beginn deſſelben verlaufen
ſeyn würden, 240000 zu zahlen, die denn zur Vorbereitung
des Unternehmens unentbehrlich waren.


Markgraf Albrecht von Brandenburg-Culmbach fand
es nicht rathſam, in dieſen Bund als eigentliches Mitglied
deſſelben einzutreten: ein freies, durch eigenthümliche Ver-
träge nach beiden Seiten geſichertes Verhältniß ſchien ihm
beſſer. Aber wie er wohl der Erſte geweſen, der den Ge-
danken einer Vereinigung wie dieſe überhaupt gefaßt hatte,
[227]Unterhandlung mit Frankreich.
ſo ließ er ſich auch keine Mühe verdrießen ſie vollkommen
zu Stande zu bringen. Gegen Ende 1551, Anfang 1552
finden wir ihn in Perſon am franzöſiſchen Hofe, wo ihn
Schärtlin einführte. Er trug den Namen Paul von Bi-
berach und gab ſich für einen der Hauptleute dieſes Kriegs-
oberſten aus. Schon genug daß ihn der König als den
ſehr hohen und mächtigen Fürſten, ſeinen theuren Vetter
Albrecht von Brandenburg erkannte. Nachdem alle Schwie-
rigkeiten vollends beſeitigt, beſonders die Geldſachen abge-
macht waren, unterzeichnete und beſchwur der König den
Bund am 15ten Januar auf dem Jagdſchloß Chambord
in Gegenwart des Markgrafen. Der Markgraf beſchwur
ihn im Namen der deutſchen Fürſten. 1


So geſchah nun doch, was zu verhüten Carl V ſeit
ſeiner Wahl ſo viel ängſtliche Sorge getragen: deutſche Für-
ſten vereinigten ſich mit dem König von Frankreich, und
zwar in der entſchiedenſten Feindſeligkeit gegen ihn, zu einem
großen Krieg, zum offenen Angriff.


Ohne Zögern rüſteten beide Theile, um ſo bald wie
möglich aufzukommen.


Moritz hatte den unſchätzbaren Vortheil, daß er die
Waffen vor Magdeburg in der Hand hielt.


Auch nach jenem erſten Zwiegeſpräch mit Markgraf
Johann ſetzte er die Belagerung fort: noch immer gab es
Scharmützel, noch mehr als einmal floß Blut. Der Mark-
graf ermahnte den Churfürſten wohl, den Schein nicht zu
weit zu treiben, aber auch er war dagegen, demſelben ſofort
15*
[228]Neuntes Buch. Sechstes Capitel.
ein Ende zu machen und die Aufhebung der Belagerung
allzu ſehr zu beſchleunigen. 1


Erſt nachdem ſichere Botſchaft aus Frankreich gekom-
men, Ende Auguſt, ward eine ernſtliche Unterhandlung mit
Magdeburg begonnen.


Moritz hielt an den früheren Vorſchlägen feſt, welche
im Weſentlichen dieſelben ſind, die den oberländiſchen Städ-
ten gemacht worden, allein er ließ ſich zu Erläuterungen
herbei, die wohl das Außerordentlichſte ſeyn mögen, was
unter dieſem Titel jemals vorgekommen iſt.


Der Kaiſer hatte gefordert, die Stadt ſolle ſich auf
Gnade und Ungnade ergeben: Moritz erläuterte dieß dahin:
wenn ſie die Capitulation annehme, ſolle alle Ungnade fal-
len, auch kein Prädicant davon betroffen werden. Der Kai-
ſer hatte ferner Vollziehung der letzten Reichsabſchiede und
alles deſſen was er zum Frieden des Reiches anordnen
werde, zur Bedingung gemacht: Moritz erklärte, daß ſich
dieß nur auf weltliche Angelegenheiten beziehen ſolle. 2


Heideck und Arnold waren oft in der Stadt: Moritz
verpflichtete ſich mündlich, alles heilig zu halten was Heideck
insgeheim verabreden werde. 3 Wir können nicht ſagen, wie
weit deſſen Eröffnungen giengen: ſo viel aber ſahen die
Magdeburger wohl, daß ſie ſich ohne Gefahr für ihre Re-
[229]Magdeburger Capitulation.
ligion auch derjenigen Bedingung fügen konnten die ihnen
früher die widerwärtigſte geweſen war: der Aufnahme einer
ſächſiſchen Beſatzung.


Nachdem dergeſtalt die Capitulation angenommen wor-
den, ritt der Churfürſt am 9ten Nov., begleitet von dem kai-
ſerlichen Commiſſarius Schwendi und einer ſtattlichen Schaar
von Fürſten, Herrn und Räthen, in Magdeburg ein. Bei
dem Denkmal Ottos des Großen kamen ihm die drei Räthe,
die Ordnungsmeiſter, hundert Mannen der Stadt, ſammt
ganzer Gemeine, entgegen um ihm die Huldigung zu leiſten.
Der ſächſiſche Canzler eröffnete den Act mit einer Auffor-
derung hiezu, „nachdem“, ſagte er, „die Stadt ſich nun-
mehr ergeben.“ Der Bürgermeiſter Levin von Emden fiel
ihm ins Wort: „vertragen und nicht ergeben.“ Der Chur-
fürſt ſagte: „es iſt vertragen: ſo ſoll es auch bleiben.“
Hierauf leiſtete ihm die Bürgerſchaft den Eid, bei Gott und
ſeinem heiligen Worte.


Man wird Moritz nicht zutrauen, daß er für die Er-
weiterung ſeiner Macht, die hierin lag, gleichgültig geweſen
ſey; er ward nun, was er ſo dringend gewünſcht, als Burg-
graf von Magdeburg anerkannt; in ſofern wenigſtens, als
dieß zu erreichen war, hatte er die Belagerung gewiß ernſt-
lich gemeint. Aber die Hauptſache war doch immer, daß
er eine ſo anſehnliche Truppenſchaar ſo lange an der Hand
behalten hatte. Auch jetzt löſte ſie ſich noch nicht auf,
da ſie noch nicht ihre vollſtändige Bezahlung empfangen.
Der Reichszahlmeiſter Wolf Haller gab ſich alle mögliche
Mühe, Anleihen auf den demnächſt einzubringenden Reichs-
vorrath — denn der eingebrachte war bereits erſchöpft —
[230]Neuntes Buch. Sechstes Capitel.
bei Ständen und Städten abzuſchließen; allein er fand nicht
viel Gehör, und es gieng ſehr langſam. Indeſſen behielt
Moritz Zeit, die Hauptleute für ſich beſprechen zu laſſen,
wozu er ſich des nunmehr wieder befreiten Georg von Meck-
lenburg bediente, der den Namen dazu hergab, und alles
zum Feldzug vorzubereiten.


Im Laufe des Februar ward den ſächſiſchen Landſtän-
den zu Torgau, den heſſiſchen zu Caſſel das Kriegsvorhaben
der beiden Fürſten zu dem Zweck den gefangenen Landgra-
fen zu befreien unumwunden eröffnet. Die ſächſiſchen mahn-
ten ihren Herrn geradezu ab, wie man denken kann ohne
Erfolg. Die heſſiſchen waren nicht insgeſammt erſchienen:
die anweſenden jedoch verſprachen ihren Beiſtand: die Städte
eine nicht unbedeutende Steuer, die Edelleute, ihr Blut für
den Fürſten zu wagen. 1


Indeſſen erklärte auch Heinrich II in voller Sitzung
ſeines Parlaments, daß er ſich an Denjenigen zu rächen ge-
denke, der durch Thaten, ſeinem Worte entgegen, gezeigt habe,
daß er ſein, des Königs, Todfeind ſey, — und traf Anord-
nung für die Regierung in ſeiner Abweſenheit. 2


Merkwürdigerweiſe ward ſein Unternehmen ihm, wenn
nicht allein, doch vornehmlich durch die Beiſteuer möglich,
zu der ſich damals ſein Clerus entſchloß, um eine von Franz I
eingeführte Beſchränkung ſeiner Jurisdiction wieder los zu
werden.


[231]Kriegszug gegen CarlV.

Schon langten die Landsknechte aus Deutſchland an,
welche Schärtlin, Reckerode und der Rheingraf geworben,
drei große Regimenter; aus Italien die alten Fahnen, die
bisher den Krieg in Piemont mit vielem Ruhme geführt;
zugleich erfüllte ſich ganz Frankreich mit eignen Rüſtungen.


Der urſprüngliche Plan der deutſchen Fürſten war, auf
den Kaiſer, wo er ſich auch aufhalten möge, unverweilt los-
zugehn und durch irgend einen großen Schlag ihm ſeine Re-
putation in Deutſchland zu entreißen. Was die Franzoſen
dabei thun, ob ſie in Italien mit einem großen Heere vor-
rücken oder lieber dieſſeit der Berge nur hauptſächlich die
niederländiſchen Kräfte des Kaiſers beſchäftigen ſollten, lie-
ßen die Deutſchen unentſchieden. Der König wählte, mit
ſeiner ganzen Macht von der Champagne her gegen den
Oberrhein vorzudringen: wie er ſagte, damit nicht etwa der
Kaiſer die zu ſchwachen Kräfte der Fürſten erdrücke, ohne
Zweifel auch darum, um die Landſchaften und Städte in
Beſitz zu nehmen, welche er zu erwerben gedachte. Gern
ließen ſich dieß die deutſchen Fürſten gefallen. Um ſo eher
konnten ſie hoffen, was ſie vor allem im Sinne hatten, dem
Kaiſer ſelber mit überlegner Macht beizukommen. Von ihnen
rührte der Gedanke her, ohne langen Verzug, ſchon im März,
im Felde zu erſcheinen.


Anfang dieſes Monats ſammelten ſich die heſſiſchen
Völker bei Kirchhain. Sie begannen ihr Unternehmen da-
mit, daß ſie eine neue Zollſtätte niederriſſen und das main-
ziſche Amöneburg zur Auslieferung des daſelbſt befindlichen
ſchweren Geſchützes nöthigten. Mitte März finden wir den
Landgrafen Wilhelm ſchon mit einem anſehnlichen Haufen,
[232]Neuntes Buch. Sechstes Capitel.
nicht ohne den franzöſiſchen Geſandten, vor Frankfurt, in
der Hofnung dieſe mächtige Reichsſtadt gleichſam durch eine
Überraſchung ihrer proteſtantiſchen Sympathien mit ſich fort-
zureißen: da es vergeblich war, nahm er ſeinen Weg die
große Straße nach Fulda hin, und überſtieg den Rhön, um
ſich hier mit dem Churfürſten zu verbinden.


Auch deſſen Truppen hatten indeß einen Verſuch auf
Erfurt gemacht, der aber ebenfalls mißlang; 1 den Nachwin-
ter hatten ſie in Mühlhauſen und Nordhauſen gehalten, je-
doch mit nichten, wie Spangenberg ſich ausdrückt, zu From-
men und Freuden der Bürger: immer noch neue Lands-
knechtſchaaren waren ihnen zugelaufen; jetzt endlich that ſich
ihnen der wahre Kriegsherr öffentlich kund: Churfürſt Mo-
ritz erſchien bei ihnen in den Erfurter Gerichten, und führte
ſie über den Thüringerwald nach Franken.


Hier hatte Markgraf Albrecht einen dritten Haufen ver-
ſammelt.


Die drei Haufen vereinigten ſich bei Rothenburg an
der Tauber, und ſchlugen nun, ohne einen Augenblick zu ver-
ziehen, die Straße nach Augsburg ein.


Eben in der Eroberung dieſer Stadt, wo der Kaiſer
ſo oft Reichstag gehalten, überhaupt ſeine Macht am ſtärk-
ſten entwickelt hatte, die in mancher Beziehung als der Mit-
telpunct des Reiches erſchien, ſahen die Fürſten den großen
Schlag welcher die Reputation des Kaiſers vernichten ſollte.
[233]Kriegszug gegen CarlV.
Man hat behauptet, es ſeyen ihnen hier ſchon aus der
Ferne Verſtändniſſe angeknüpft geweſen. Aber bei weitem
mehr kam ihnen zu Statten, daß man in Augsburg am
meiſten den weltlichen und geiſtlichen Druck des ſpaniſchen
Regiments empfunden und ſich mit einer nationalen Antipa-
thie gegen den Kaiſer erfüllt hatte. Der Biſchof von Ar-
ras ſollte erfahren, daß die Prediger doch nicht ſo leicht
vergeſſen waren. Bei der Aufregung welche die Nähe der
Verbündeten und ihre Aufforderung, die ganz im Sinne der
Einwohner war, verurſachten, konnte der Rath nicht verwei-
gern die Gemeinde zu berufen; dieſe erklärte: ſie wolle we-
der Krieg noch Belagerung. Am 4ten April verließ die bis-
herige Beſatzung mit ihren rothen Feldzeichen Augsburg;
zwei Stunden darauf rückten durch daſſelbe Thor die ver-
bündeten Truppen mit ihren weißen Kreuzen ein. Churfürſt
Moritz nahm Wohnung bei dem alten Bürgermeiſter Herbrot,
den der Kaiſer als ſeinen vornehmſten Feind betrachtete. 1


Und indem waren nun auch die Franzoſen im Felde
erſchienen. Der erſte Gebrauch den ſie von ihrem Über-
gewicht in den Waffen dieß Mal machten, beſtand darin,
daß ſie die Herzogin Chriſtine von Lothringen, eine Nichte
des Kaiſers, welche an der Verwaltung des Landes großen
Antheil hatte, mit Beiſtimmung der Stände davon entfernten,
ſie nöthigten ihnen ihren jungen Sohn auszuliefern und eine
Regierung nach ihrem eignen Gutdünken einrichteten. Indeſ-
ſen hatte ſich der Connetable Montmorency gegen Metz ge-
wendet. Wir haben ſchon oben bemerkt, daß die Partei
welche dort die Regungen des Proteſtantismus unterdrückt
[234]Neuntes Buch. Sechstes Capitel.
hatte, zugleich franzöſiſch geſinnt war. Wäre in Metz die
evangeliſche Meinung durchgedrungen, ſo würde es ſich viel-
leicht den Franzoſen eben ſo gut widerſetzt haben, wie Straß-
burg dieß that. Aber jetzt hatten Dieſe mehrere Mitglieder
im Rath und die hohe Geiſtlichkeit auf ihrer Seite: durch
den Biſchof der Stadt, Cardinal Lenoncourt, geſchah daß
der Connetable aufgenommen ward und die Stadt in fran-
zöſiſche Hände übergieng.


In dem Bezeigen Heinrichs II erſcheinen die ſchroffſten
Widerſprüche. Er kannte ſehr wohl das religiöſe Motiv
der proteſtantiſchen Fürſten: aber er war nicht ausgezogen,
ohne erſt von den Märtyrern Ruſticus und Eleutherius, und
St. Dionyſius, dem eigenſten Heiligen des allerchriſtlichſten
katholiſchen Königthums, Abſchied genommen zu haben. Er
nahm die Grenzlande der deutſchen Nation in Beſitz und
nöthigte ihnen ſeinen Willen auf, wie er denn die Verfaſ-
ſung der Stadt Metz auf der Stelle weſentlich veränderte:
und in demſelben Augenblick proclamirte er ſich als den Ver-
fechter der deutſchen Freiheit.


Indem dieſe Bewegungen ſich erheben, ſuchen unſre Au-
gen unwillkührlich den Kaiſer, gegen den ſie gerichtet ſind.


Er war noch in Insbruck, mit ſeinen conciliaren und
dynaſtiſchen Entwürfen auf eine Weiſe beſchäftigt daß er
für nichts andres Sinn zu haben ſchien. Eben in dieſer
Zeit meinte er dem Concil zu Trient die Richtung zu ge-
ben, welche er demſelben von jeher zu geben beabſichtigt
hatte; er hoffte außer den drei Churfürſten am Concil auch
die drei andern in Kurzem in ſeiner Nähe anlangen zu ſe-
hen, um die Succeſſionsſache mit ihnen zu Ende zu bringen.
[235]Kriegszug gegen CarlV.
So eben war ein neuer Verſuch auf König Maximilian
gemacht worden. Indem er dieſe idealen Abſichten verfolgte
und nur ſo viel als unbedingt nothwendig war, dafür that
um den Feindſeligkeiten der Franzoſen, die er in den Nie-
derlanden und in Italien erwartete, daſelbſt zu begegnen,
bemerkte er nicht, was in Deutſchland gegen ihn vorberei-
tet ward. Es fehlte ihm nicht an Warnungen. Sogar der
franzöſiſche Geſandte hat dem Hof einmal von einer Con-
ſpiration geſagt, von der er höre, wahrſcheinlich nur, um
denſelben auf eine falſche Spur zu leiten, die dann Arras
verfolgte, natürlich ohne etwas zu entdecken. Vielen An-
dern war die Verbindung der Franzoſen mit Moritz längſt
kein Geheimniß mehr. In der Relation eines veneziani-
ſchen Geſandten iſt derſelben ſchon im Jahr 1550, unmit-
telbar nachdem ſie begonnen hatte, und, wie wir aus den
Depeſchen Marillacs ſehen, auch ganz richtig gedacht wor-
den. Gegen Ausgang 1551 war es ein ganz allgemeines
Gerücht, das die kleinſten Höfe oder Provinzialregierungen
kennen. Auf den Kaiſer machte es keinen Eindruck: er ant-
wortete, man [...]rde ſich nicht von jedem Winde bewegen
laſſen. Gab ihm doch Schwendi fortwährend über die Stim-
mung und die Abſichten des Churfürſten ganz günſtigen Be-
richt: einer von deſſen vornehmſten Räthen, Franz Kram,
erſchien in Insbruck und meldete, ſein Herr werde unver-
züglich nachkommen. 1 Und hatte derſelbe nicht ſeine Pro-
[236]Neuntes Buch. Sechstes Capitel.
curatoren nach Trient, ſeine Theologen auf den Weg dahin
geſchickt? In Roſenheim am Inn hielten ſich zwei ſäch-
ſiſche Räthe auf in der feſten Meinung, ihren Herrn, der
auch wirklich eine Strecke in entſprechender Richtung vor-
wärts reiſte, zu erwarten. Der Kaiſer hielt für gewiß, der
Churfürſt werde kommen: hätte er etwas anderes im Sinn,
das wäre von einem deutſchen Fürſten nie erhört. Noch
am 28ſten Februar ſchrieb er dem Churfürſten von Bran-
denburg, er verſehe ſich zu Moritz alles Gehorſams, guten
und geneigten Willens. Aber einen größeren Meiſter in der
Verſtellung hat es wohl kaum je gegeben als Moritz war.
Keiner von ſeinen alten Räthen, Carlowitz ſo wenig wie die
andern, hatten Kunde von ſeinen Entwürfen. 1 Noch von
Schweinfurt aus, am 27ſten März, hat er die Bitte um
die Loslaſſung des Landgrafen erneuert, unter dem Vorge-
ben, daß er ſich ſonſt in das Gefängniß der Kinder deſſel-
ben einſtellen müſſe. Und doch vereinigte er in dieſem Au-
genblicke ſchon ſein Heer mit dem Kriegshaufen eben dieſer
jungen Landgrafen, durch alle denkbaren Verträge gebunden,
dem Kaiſer ſelber zu Leibe zu gehn.


Der Kaiſer glaubte wohl, als die Sache ernſter ward,
es ſey auf nichts anders abgeſehen als eben auf die Be-
freiung des Landgrafen. Er ließ ſich ganz trotzig verneh-
men, er werde den Leib deſſelben in zwei Theile zerlegen
1
[237]Kriegszug gegen CarlV.
und jeden davon einer der Parteien, die ihn zwingen woll-
ten, entgegenſchicken. 1


Allein die Ausſchreiben der verbündeten Fürſten, die in
Einem Moment durch Deutſchland flogen, belehrten ihn bald
eines Andern. Nicht allein von dieſer Befreiung war darin
die Rede, ſondern eine ganze Reihe Beſchwerden geiſtlicher
und weltlicher Natur ward darin nahmhaft gemacht: der
Überdrang der mit dem Concilium geſchehe, die Art und
Weiſe wie man auf den Reichstagen eine künſtliche Mehr-
heit hervorbringe, welche alles zugebe, unter andern eine
Schatzung nach der andern, bald unter dieſem bald unter
jenem Vorwand, die Anweſenheit fremder Truppen im Reiche,
während den Deutſchen ſelbſt verboten werde auswärtige
Kriegsdienſte zu nehmen, der Hohn, mit welchem nach dem
Kriege Gehorſame und Ungehorſame behandelt worden, die
Entfremdung des Reichsſiegels, die eigenmächtige Änderung
ſtädtiſcher Räthe. Würden ſie, die Zeitgenoſſen, das dul-
den, ſo würden ſie dafür von den Nachkommen als Ver-
räther der mit ſo viel Blut erworbenen Freiheit unter die
Erde verflucht werden. Albrecht von Brandenburg prote-
ſtirte, nicht der Perſon des Kaiſers gelte ſein Unternehmen,
ſondern er fechte nur gegen das, was dem heiligen Reich
zuwider geſchehe. 2 Was ihr Sinn war, drückt Moritz in
[238]Neuntes Buch. Sechstes Capitel.
einem ſeiner Briefe bündig und unumwunden aus: ſie wol-
len den Pfaffen und den Spaniern nicht unter dem Fuße
liegen.


Da leuchtete nun wohl ein, daß es auf eine Abänderung
des ganzen kaiſerlichen Regimentes, wie es in und nach dem
ſchmalkaldiſchen Kriege eingerichtet worden, abgeſehen ſey.
Noch einmal erhob ſich die ungebändigte Freiheit des al-
ten Germaniens gegen die Ordnung und Gewalt welche
der Sieger gegründet und zu gründen im Begriff war. Und
zwar ſtanden eben diejenigen an der Spitze, die früher von
ihren Glaubensgenoſſen abgefallen, die Niederlage derſelben
befördert, die Partei des Kaiſers gehalten hatten, die mäch-
tigſten und krieggeübteſten. Die Antipathien der Religion,
die durch alle die bisherigen offenen oder indirecten Angriffe
und durch die Bedrohungen des Conciliums angeregt wor-
den, gaben ihrem Unternehmen eine breite nationale Grund-
lage und kamen ihnen auf das mächtigſte zu Hülfe.


Und wenn nun der Kaiſer gegen dieſe Erhebung des
proteſtantiſchen Elementes Hülfe von den Katholiſchen er-
wartete, ſo ſah er ſich auch darin getäuſcht.


Er wendete ſich zunächſt an die geiſtlichen Churfürſten,
die unter dieſen Umſtänden Trient zu verlaſſen eilten. Der
Churfürſt von Trier antwortete, er werde ſich immer als
ein gehorſamer Reichsfürſt bewähren, um aber zu wiſſen
was er in dieſem Fall thun ſolle, müſſe er erſt mit ſeinen
Räthen ſprechen; ſo erklärte ſich auch Cölln; Mainz machte
ſogar auf Hülfleiſtung Anſpruch.


Und nicht bereitwilliger ließen ſich die älteſten Verbün-
deten und nahen Verwandten vernehmen. Herzog Albrecht
[239]Kriegszug gegen CarlV.
verſicherte ſeine Ergebenheit auch aus dieſem Grunde außer
der allgemeinen Pflicht, allein er gab zu bedenken, welcher
Gefahr er ſich ausſetze, wenn er ſich jetzt ohne Verzug auf
die Seite des Kaiſers ſchlage.


Schon früher hatte man ſich am kaiſerlichen Hofe be-
klagt, daß Ferdinand den Verſuch, zur Abdankung des von
Magdeburg abgezogenen Heeres eine Anleihe aufzubringen,
nicht mit ſeinem Credit unterſtützen wollte. Faſt feierlich
forderte ihn jetzt der Kaiſer auf, ihm zu ſagen, was er als
ſein Bruder und als römiſcher König aus den Mitteln ſei-
ner Länder in dieſer gemeinſchaftlichen Gefahr bei ihm zu
leiſten gedenke. Der König antwortete, er brauche alle ſeine
Kräfte wider die Osmanen in Ungarn. Statt der Unter-
ſtützung kam dem Kaiſer vielmehr von dieſer Seite eine For-
derung zu. Seine Tochter Maria, Gemahlin Maximilians,
erſuchte ihn in dieſem Augenblick um 300000 Duc. ihrer
Ausſteuer, wofür ſie ſich eine gut rentirende Beſitzung in
Ungarn kaufen wolle. Der Kaiſer war ſehr geneigt, dieſe
Bitte den Einflüſterungen ihres ihm im Herzen feindlichen
Gemahls zuzuſchreiben. Er meinte faſt, es ſey eine allge-
meine Verſchwörung gegen ihn im Werke. Die Wechsler-
häuſer in Augsburg, an die er ſich wendete, verweigerten
ihm ihre Unterſtützung, ſo günſtig auch die Bedingungen wa-
ren die er ihnen vorſchlug. 1


Wie war dem alten Sieger und Herrſcher da zu Muthe,
als ſich in demſelben Augenblicke alle Feinde erhoben und
alle Mittel verſagten.


[240]Neuntes Buch. Sechstes Capitel.

Einſt hatte es in ſeiner Wahl geſtanden, an der Spitze
der deutſchen Nation, mit Begünſtigung des reformatoriſchen
Elementes, laut der Reichsſchlüſſe von 1544, ſeine Macht
gegen die auswärtigen Feinde zu richten, wie die Franze-
ſen, welche beſonders durch deutſche Unterſtützung früher in
Italien beſiegt und damals in ihrer Heimath zum Frieden
genöthigt worden: ſo hauptſächlich gegen die Osmanen, was
in jener Zeit das größte Intereſſe hatte und der allgemeine
Wunſch war. Dann hätte er das Kaiſerthum in dem Sinne,
wie es ihm bei ſeinen Zügen nach Africa vorſchwebte, ent-
wickeln können. Freilich hätte er z. B. Philipp von Heſſen
nicht als Feind, ſondern als Mitſtreiter behandeln, die Ein-
heit der abendländiſchen Chriſtenheit nicht in die Gleichför-
migkeit des Bekenntniſſes ſetzen müſſen: dafür wäre es ihm
aber, ſo lange die Türken ſich noch nicht in Ungarn befeſtigt
hatten, vielleicht möglich geweſen zugleich dieſes Land zu be-
freien und den Trieb der Cultur und Ausbreitung der in den
Deutſchen lebte, nach der mittlern Donau, dem ſüdöſtlichen
Europa hinzuleiten. Aber er ſchlug einen entgegengeſetzten
Weg ein. Er traf eine Abkunft mit den Osmanen, die ihnen
Zeit ließ ſich in den eingenommenen Landſchaften zu befeſti-
gen, mit dem Werke der Barbariſirung fortzuſchreiten, und
nahm ſich vor, in den Streitigkeiten des Glaubens und des
Ritus, welche die Jahrhunderte nicht haben beſeitigen kön-
nen, beiden Parteien Maaß zu geben, er, von ſeinem po-
litiſchen Standpunct aus. Nun konnte aber die natür-
liche Feindſeligkeit gegen die Osmanen doch nicht auf die
Länge beſeitigt werden: im Jahr 1551 brach ſie wieder in
volle Flammen aus. Überhaupt wurde die kaiſerliche Politik
[241]Kriegszug gegen CarlV.
nach dem Tode des ältern Granvella nicht geſchickt genug
nach den friedlichen Geſichtspuncten hin geleitet. In dem-
ſelben Augenblicke erhob ſich die wetteifernde Macht von
Frankreich, die man unbekümmert ihrer andern Gegner hatte
Herr werden laſſen, zu den alten Beſtrebungen. Und indeß
war doch das Ziel der innern Politik mit nichten erreicht,
weder die Kirchenverſammlung in die erwünſchte Bahn ge-
leitet, noch die Succeſſion befeſtigt worden: vielmehr erwachte
in Folge dieſer Verſuche ein allgemeiner Widerwille in bei-
den religiöſen Parteien, über Italien und Deutſchland hin,
und ſtrömte nun in plötzlichem Ausbruch mit den äußern
Feindſeligkeiten zuſammen. In Ungarn verjagte der Paſcha
von Ofen die Haiducken und Spanier Ferdinands aus Sze-
gedin, noch ehe ſie ſich daſelbſt befeſtigt, und bezeichnete den
Anfang des April mit der Eroberung von Veſprim. Zugleich
näherten ſich noch zwei andre Heere unter dem Beglerbeg von
Rumili und dem zweiten Weſir der Pforte den ungariſchen
Grenzen. In Wahrheit, Ferdinand hatte ganz Recht, wenn
er darin eine Gefahr erkannte die alle ſeine Kräfte in An-
ſpruch nehme. Auch zur See regten ſich die Feinde: in den
Gewäſſern von Malta erſchien Sala Rais in denſelben Ta-
gen, in welchen der König von Frankreich durch Lothringen
nach dem Elſaß und dem Oberrhein zog und die proteſtan-
tiſchen Fürſten Augsburg bedrohten.


Der Kaiſer ſelbſt, ohne Truppen, noch Geld, entfernt
von den eigenen Landſchaften, aus denen er beides hätte zie-
hen können, ſah ſich überraſcht in dem wenig verwahrten
Insbruck, und ſo gut wie hülflos.


Er dachte ſich anfangs zu ſeinem Bruder zurückzuziehen:
Ranke D. Geſch. V. 16
[242]Neuntes Buch. Sechstes Capitel.
der konnte es aber, in der verlegenen und ſchwierigen Lage
in der er ſich perſönlich befand, ſelber nicht wünſchen, und
widerrieth es ihm.


Ein anderer Ausweg wäre geweſen, ſich nach Ita-
lien zu wenden und hier ſich aufs neue zu rüſten. Allein
auch da war der Krieg nicht eben glücklich gegangen, überall
war das Landvolk durch die Truppenzüge in Aufregung ge-
ſetzt. Es ſchien dem Kaiſer nicht rathſam, ſich mit ſeiner
geringen Umgebung auf die dortigen Landſtraßen zu wagen.
Auch meinte er, wenn er einmal in Italien ſey, eine Reiſe
nach Spanien nicht gut ablehnen zu können; wie leicht, daß
ihm dann bei der Überfahrt ein Unfall von den Franzoſen
oder gar den Osmanen begegne: die größte Schmach in ſei-
nen alten Tagen. Eher hielt er es für möglich den Ober-
rhein zu erreichen und nach den Niederlanden durchzukom-
men. Dazu hat er ſich wirklich in dieſen Tagen entſchloſſen
und den Verſuch gewagt. In tiefſtem Geheimniß, mit Zu-
rücklaſſung eines Briefes an Ferdinand, der aber erſt abgege-
ben werden ſollte, wenn die Sache gelungen ſey, brach der
Kaiſer am 6ten April nach Mitternacht von Insbruck auf,
begleitet von ſeinen beiden Kammerherrn, Andelot und Ro-
ſenberg, einem eigenen und zwei Dienern Roſenbergs. Sie
hofften die große Straße durch die Clauſe nach Ulm noch
frei zu finden. Durch Gebirg und Wald reitend kamen ſie
am 7ten Mittag nach Naſſereith und nach kurzer Raſt in
die Nähe der Clauſe. Hier aber erfuhren ſie, daß Moritz
bereits auf dem Wege ſey, um an demſelben ſiebenten Füßen
zu beſetzen. Sie wären ihm in die Hände gegangen, wären
ſie fortgeritten, und eilten, nach Insbruck umzukehren. 1


[243]Kriegszug gegen CarlV.

Es war für den Kaiſer keine Rettung als daß er zuerſt
nur dieſes nächſten und gefährlichſten Feindes durch irgend
eine Abkunft, einen Stillſtand ſich zu entledigen ſuchte.


Und ſo durfte es noch als ein Glück erſcheinen daß ſein
Bruder immer mit Moritz in freundlicher Verbindung gewe-
ſen war, und in dem Moment ſeines Auszugs aus Sachſen
eine Zuſammenkunft mit ihm in Linz verabredet hatte. 1 Dieſe
fand am 18ten April wirklich Statt und führte nach einiger
Unterhandlung — wir werden gleich davon mehr zu ſagen
haben — zu einem wenn auch nur vorläufigen Stillſtand,
der hauptſächlich dazu dienen ſollte um eine zahlreichere Ver-
ſammlung „zur Abſtellung der Irrungen und Gebrechen deut-
ſcher Nation“ in Paſſau möglich zu machen.


Allein nicht zu ſehr durfte ſich der Kaiſer auf dieſen
Stillſtand verlaſſen.


Moritz hatte den Anfang deſſelben wegen der Entfer-
nung ſeiner Bundesgenoſſen und mit Vorbehalt ihrer Ein-
willigung auf den 11ten Mai feſtgeſetzt. Sie genehmigten
ihn aber erſt vom 26ſten Mai an.


Nun hatte der Kaiſer im Laufe des April doch am
Ende einiges Geld zuſammengebracht, und begann ſich zu
rüſten. In weiterer Ferne, bei Frankfurt, ſo wie in der
Nähe, bei Ulm, ſammelten ſich Truppen auf ſeinen Namen,
1
16*
[244]Neuntes Buch. Sechstes Capitel.
ſein vornehmſter Muſterplatz aber war Reitti, unfern der
Ehrenberger Clauſe, die er ebenfalls beſetzen ließ. Die Ver-
bündeten meinten ihn genug zu kennen, um annehmen zu
dürfen, daß er ihnen nichts bewilligen werde, ſobald er wie-
der über ein Kriegsheer gebiete. Moritz trug kein Beden-
ken die zwiſchen der Bewilligung ſeiner Freunde und der ſei-
nen inne liegende Zeit zu benutzen, um die verſammelten Trup-
pen zu zerſtreuen und dem Kaiſer noch näher zu rücken.


Am 18ten Mai griffen die verbündeten Fürſten das
Lager von Reitti an und ſprengten es auf der Stelle aus
einander. Beſonders in dem freudigen Georg von Meklen-
burg erwachte hierüber eine Schlachtbegier und Siegeszuver-
ſicht die alles mit ſich fortriß. Da ſich ein Theil der Trup-
pen nach der Clauſe zurückzog, ſo ließen ſie ſich durch ihr
gutes Verhältniß zu König Ferdinand nicht abhalten unmit-
telbar auf dieſen Platz loszugehn. Noch in der Nacht nah-
men ſie eine Höhe ein welche die Befeſtigungen beherrſchte.
Von hier aus den andern Morgen vordringend fanden ſie
weder in den Schanzen an der Clauſe, noch in dem verboll-
werkten Paſſe, noch in dem Schloſſe ſelbſt nachdrücklichen
Widerſtand: 1 neun Fähnlein fielen in ihre Hand. Und wie
nun wenn ſie in dem hiedurch eröffneten Lande vordrangen
und den Kaiſer in Insbruck überfielen? Es iſt ein Irrthum
anzunehmen, ſie hätten das nicht gewollt. Am 20ſten Mai
iſt zwiſchen ihnen förmlich gerathſchlagt worden, ob ſie, wie
[245]Flucht CarlsV.
ſie ſich ſehr unehrerbietig ausdrücken, „den Fuchs weiter in
ſeiner Spelunke“ ſuchen ſollten: ſie entſchloſſen ſich hiezu.
Gott weiß was geſchehen wäre, hätte nicht das tumultua-
riſche Kriegsvolk, eben als es vorwärts gegen Aiterwang
geführt werden ſollte, nach dem Sturmſold geſchrien, den
es ſo eigentlich nicht verdient hatte und der ihm wirklich
aberkannt worden iſt, und darüber ſeine Waffen gegen Mo-
ritz ſelbſt gerichtet, ſo daß dieſer ihm nur mit Mühe entrann.


Dadurch bekam der Kaiſer Zeit, Insbruck zu verlaſſen:
er hat die Nachricht von dem Falle der Clauſe abgewartet,
ehe er ſich dazu entſchloß. Den 19ten Mai Nachmittags
ließ er noch den gefangenen Johann Friedrich in den Schloß-
garten zu ſich beſcheiden, und kündigte ihm dort ſeine Be-
freiung ſelber an: wiewohl unter der Bedingung daß er
noch eine Zeitlang dem Hofe freiwillig folgen ſolle. Fer-
ner trug er Sorge, daß die wichtigſten Schriften und Klei-
nodien nach dem feſten Schloß Rodenegg gebracht wurden.
Dann Abend um 9 Uhr brach er auf: beim Scheine bren-
nender Windlichter: die Nacht war regneriſch und kalt, das
Gebirge noch mit Schnee bedeckt: der Kaiſer litt an einem An-
fall ſeiner Krankheit. Sein erſter Zufluchtsort war Brunecken,
nicht einmal ein eigenes Schloß, ſondern dem Cardinal von
Trient gehörig, der in den Verhandlungen über die Wahl
nicht eben als ein Freund des Hofes betrachtet worden war.


Den andern Morgen folgte ihm Johann Friedrich auf
dieſem Wege. Er erlebte nun, was er immer von ſeinem
Gott erwartet: zum erſten Mal ſeit fünf Jahren ſah er ſich
von keiner ſpaniſchen Garde umgeben; er ſtimmte auf ſei-
nem Wagen ein geiſtliches Danklied an.


[246]Neuntes Buch. Sechstes Capitel.

Am 23ſten Mai rückte Moritz an der Spitze ſeiner Rei-
ter und Fußvölker in Insbruck ein. 1 Die Landsknechte brü-
ſteten ſich in den prächtigen ſpaniſchen Kleidern, denn alles
was den Spaniern gehörte, ward ihnen von dem Churfür-
ſten als gute Beute überlaſſen: auf ihren Hüten glänzten
portugieſiſche Goldſtücke; einer nannte den andern Don;
übrigens aber wußte ſie Moritz auf das beſte in Zucht zu
halten. Er tadelte Georg von Mecklenburg, der ſich nur eine
Truhe auf dem Schloß hatte eröffnen laſſen. Es war ihm
genug daß er ſo weit vorgedrungen, er begehrte nicht mehr.
Übrigens blieb er, was König Ferdinand einen Augenblick
bezweifelte, entſchloſſen, den Waffenſtillſtand von dem be-
ſtimmten 26ſten an zu beobachten; unverweilt machte er ſich
zu der angeſetzten Verſammlung auf den Weg.


Auch ehe wir die Verabredungen berückſichtigen, die da-
ſelbſt gepflogen worden, erkennen wir, daß ihm durch den
Gang der Begebenheiten und ihre Entſcheidung die größten
Erfolge gelungen waren.


Vor ihm her wich der mächtige Kaiſer höher ins Ge-
birg, nach Villach: er ließ die Brücken hinter ſich abwer-
fen und in den ſchwierigſten Päſſen ſpaniſche Soldaten auf-
ſtellen, um ein etwaniges Nachdringen zu verwehren.


Und indeſſen löſte ſich, auf der andern Seite des Ge-
birges, das Concilium von Trient von ſelber auf. Gleich auf
die erſte Nachricht von den deutſchen Ereigniſſen, am 15ten
[247]Aufloͤſung des Conciliums.
April, ſprach der Papſt, der ohnehin nur einen zu bekennenden
Grund dazu herbeigewünſcht, die erneuerte Suſpenſion des
Conciliums aus. Das Concilium, das man für gut hielt ſelb-
ſtändig handeln zu laſſen, machte dieſen Beſchluß am 28ſten
April zu dem ſeinen. Noch widerſetzten ſich jedoch die ent-
ſchiedenen Anhänger des Kaiſers, und bei weitem nicht Alle
waren abgereiſt, als die Nachricht von der Eroberung der
Clauſe erſcholl. Man glaubte in Trient, die proteſtantiſche
Bewegung werde unmittelbar der Stadt des Conciliums gel-
ten, und Alles, Prälaten und Einwohner, Vornehme und Ge-
ringe, flüchtete in wilder Verwirrung aus einander, höher
in die Berge hinauf, oder hinab nach der See: in die dich-
teſten Wälder oder die feſteſten Städte. 1 Der päpſtliche Le-
gat Creſcentio ließ ſich durch ſeine Krankheit nicht abhal-
ten dem allgemeinen Zuge zu folgen. Er ſtarb als er in
Verona ankam.


Das konnte man wohl vorherſehen, daß eine Combi-
nation kaiſerlicher und conciliarer Macht, wie die welche
Carl V ins Leben gerufen, und mit der er die Chriſtenheit
zu beherrſchen gedachte, ſobald nicht wieder erſcheinen könne. 2


Was aber erfolgen würde, wer hätte darüber in der Ver-
wirrung jener Tage auch nur eine Vermuthung hegen können?


Der König von Frankreich zog im Elſaß hin und her,
[248]Neuntes Buch. Sechstes Capitel.
beſetzte die kleineren Städte, nahm die größeren, z. B. Straß-
burg von den Hausbergen aus, in Augenſchein. Es war
eine Verſammlung der nächſtgeſeſſenen deutſchen Fürſten in
Worms gehalten worden, allein ſie hatten ſich nicht entſchlie-
ßen können Widerſtand zu leiſten: nur eine ſehr höfliche Bitte
legten ſie ein.


Schwach, wie die meiſten waren, ohne die Nähe des
mächtigen Kaiſers der ſie zuletzt vereinigt, von zwei mächti-
gen Feinden in die Mitte genommen, und ohne den Rück-
halt beſonderer Bündniſſe die ſie ſonſt wohl geſchützt hatten,
waren ſie auf ein nach beiden Seiten wohl abgewognes Ver-
fahren angewieſen, um nicht zu Grunde gerichtet zu werden.


Der Herzog von Cleve wagte nicht das längſt gegebene
Verſprechen eines Beſuches bei Königin Maria zu erfüllen,
weil er fürchtete, Moritz möchte ihn darüber öſtreichiſcher
Geſinnung verdächtig halten. 1


So gewaltig erſchien damals das Übergewicht der Geg-
ner dieſes Hauſes, daß in einer Verſammlung oberdeutſcher
Fürſten zu Heidelberg die Frage vorgekommen iſt, — ſo ver-
ſichert wenigſtens Königin Maria, — ob Carl V nicht des
Reiches zu entſetzen ſey. 2


Allein auch der Kaiſer gebot doch noch über mannich-
faltige Kräfte, die er nur zu ſammeln brauchte; nur die Über-
raſchung einer unerwarteten Combination hatte ihn im erſten
Augenblicke beſiegt.


Er hoffte ſogar einen Theil der Proteſtanten auf ſeine
Seite zu bringen. Das große Anſehen das Johann Friedrich
[249]Ausſichten.
genoß, ſollte ihm dienen, ſie um ſich zu ſammeln. Königin
Maria rechnete auf die Anhänglichkeit von Nürnberg und
Frankfurt. Ein Gedanke taucht von Zeit zu Zeit auf, der
die weiteſte Ausſicht eröffnet hätte, nemlich der, ſich mit dem
in den meiſten Territorien ſchwierigen Adel zu verbünden
und ihn gegen die Landesherren aufzurufen. Johann Fried-
rich meinte, der Kaiſer müſſe nur vor allem erklären, daß
er das Wort Gottes nicht verfolgen wolle, und die freie
Predigt erlauben, damit werde er die Zuneigung der deut-
ſchen Nation wiedererwerben. Er rieth ihm den alten from-
men Churfürſten von Cölln wiederherzuſtellen: dann wolle
er, Johann Friedrich, die Heerführung ſelber übernehmen
und das feindliche Heer gewiß aus einander ſprengen. 1


Wir ſehen: noch ſchien alles möglich.


Verlieren wir uns jedoch nicht in das Allzuentlegene,
ſo iſt die Hauptſache daß ein europäiſcher Krieg ausgebro-
chen war, der Deutſchland wieder in der Mitte zerſchnitt.
Es mußte ſich zeigen, ob in dem Kampfe der beiden großen
Mächte die Deutſchen vollends unter einander zerfallen, oder
ob ſie — denn auch dieſe Möglichkeit ſtellte ſich dar — zwi-
ſchen denſelben zu einer erneuten Selbſtändigkeit gelangen
würden.


[[250]][[251]]

Zehntes Buch.
Epoche des Religionsfriedens.


[[252]][[253]]

Erſtes Capitel.
Verhandlungen zu Linz und zu Paſſau.


Es mußte wohl ſo ſeyn, daß ein Fürſt von der Her-
kunft, Weltſtellung und Geſinnung wie Carl V Abſichten
faßte wie er ſie gefaßt hat, und bei den Kräften die er ein-
ſetzen konnte, dem Talent das ihm eigen war, und den Feh-
lern die ſeine Gegner begiengen, in ihrer Ausführung ſo
weit vorſchritt.


Die Nothwendigkeit der Dinge brachte aber doch mit
ſich, daß er damit nicht zu Ende kommen konnte.


Er verfocht Ideen der formellen Einheit der abendlän-
diſchen Chriſtenheit, welche noch nicht aufgegeben, von den
beſtehenden Zuſtänden und den Meinungen der Menſchen
noch nicht ausgeſchieden waren, aber doch auch weder die
einen noch die andern mehr beherrſchten.


Viel zu entwickelt, mächtig und voll Selbſtgefühl wa-
ren die andern europäiſchen Reiche, um ſich ein Übergewicht
des Kaiſerthums gefallen zu laſſen.


Und viel zu tief war der Widerwille gegen die vor-
nehmſte Repräſentation der geiſtlichen Einheit gewurzelt, der
Widerſpruch der wider ſie erhoben ward, viel zu gut begrün-
[254]Zehntes Buch. Erſtes Capitel.
det und zu weit verbreitet, als daß auch nur eine beſchränkte
Unterordnung unter dieſelbe ſich hätte wiederherſtellen laſſen.


Den aus der Vergangenheit aufſteigenden Ideen der
formellen Einheit ſetzten ſich Tendenzen politiſcher und reli-
giöſer Unabhängigkeit entgegen, welche den abendländiſchen
Nationen eine neue Zukunft eröffneten.


Es bedurfte eigentlich nur einer Verbindung des poli-
tiſchen und des religiöſen Gegenſatzes, um die geiſtlich-welt-
liche Autorität zu zertrümmern, die ſich über beide zu erhe-
ben ſuchte.


Da nun aber das Kaiſerthum, das zu ſo umfaſſenden
Planen Anlaß und Rechtstitel gab, wie es auf der deutſchen
Nation beruhte, ſo auch die Staatsgewalt in derſelben bil-
dete, ſo trat die Gefahr ein, daß durch einen Angriff auf
daſſelbe auch dieſe zerſprengt, und entweder die Anarchie
wieder zurückgerufen, oder einer fremden Macht ein verderb-
licher Einfluß eingeräumt werden möchte.


Glücklich die Zeiten wo ein einziger nationaler Gedanke
alle Gemüther ergreift, weil er alle befriedigt: hier war dieß
nicht der Fall.


Bei dem ihm ſelbſt unerwarteten Fortgang ſeines Glückes
gab zuweilen auch Moritz der Hofnung auf baldigen Frieden
Raum: man verſicherte ihm, der Kaiſer werde im Reich ſolche
Vorſehung thun, daß den Ständen augsburgiſcher Confeſſion
ihr Glaube, allen ihre Freiheit unangetaſtet bleibe: er werde
ſich auch mit dem König von Frankreich über deſſen An-
ſprache an ihn vertragen, worauf alle Macht der Chriſtenheit
gegen die Türken gewandt werden könne: wie wäre das aber
wirklich zu erwarten geweſen!


[255]Verhandlungen zu Linz und zu Paſſau.

Wer auf ein einigermaßen freiwilliges Zurücktreten des
Kaiſers von den einmal ergriffenen Planen rechnete, der
kannte ihn ſchlecht; noch viel weniger aber wären die Fran-
zoſen gemeint geweſen, ſich mit einer Auseinanderſetzung der
gegenſeitigen Anſprüche zu begnügen, und die Plätze die ſie
vom Reich eingenommen, ſo leicht wieder zu verlaſſen.


Vielmehr war nichts anderes zu erwarten als ein lang-
wieriger und gefährlicher Krieg, der leicht auf deutſchem Bo-
den ſelber ausgefochten werden, alles vollends entzweien, den
Türken eher den Weg nach Deutſchland eröffnen konnte.


In Epochen dieſer Art zeigt ſich am beſten, ob in ei-
ner Nation noch jene Kraft vorhanden iſt, welche Staaten
bildet und erhält, ein conſtitutiver Genius, der wenn das
Bisher-beſtandene zerfällt, die Fähigkeit entwickelt etwas
Neues und Angemeſſeneres hervorzubringen.


Leicht war es in unſerm Falle nicht, einen Ausweg zu
treffen. Die alte Parteiung zwiſchen Öſtreich und Frank-
reich, die alle Intereſſen anregte, berührte ſich mit der reli-
giöſen Entzweiung, welche längſt die Gemüther ergriffen: es
ſchien wohl, als ob es zu einem mitten durch das Reich
ſchneidenden Gegenſatz einer franzöſiſch-proteſtantiſchen und
einer öſtreichiſch-katholiſchen Partei kommen müßte.


Das erſte Moment was eine Rettung aus dieſer Ge-
fahr darbot, lag darin, daß der römiſche König weder die
Abſichten noch auch das Intereſſe ſeines Bruders vollkom-
men theilte. Unmittelbar vor dem Aufbruch des Kriegs-
heers erinnerte Churfürſt Joachim von Brandenburg ſeinen
Nachbar Moritz, ſich doch an König Ferdinand zu wenden,
der es immer gemißbilligt daß der Landgraf gefangen genom-
[256]Zehntes Buch. Erſtes Capitel.
men worden, überhaupt keinen Theil daran habe, wenn von
den kaiſerlichen Räthen die Wohlfahrt der deutſchen Nation
vernachläßigt und ſo viel Grund zur Beſchwerde gegeben
worden ſey, der vielmehr, „alle Sachen des gemeinen Va-
terlandes väterlich, treulich und gnädiglich meine.“ 1 Wir be-
rührten ſchon, wie Moritz, noch in ſeinem Land, eine Zuſam-
menkunft mit dem römiſchen König zu Linz verabredete.


Noch vor der Unternehmung auf die Ehrenberger Clauſe,
am 18ten April, fand dieſelbe Statt.


Churfürſt Moritz eröffnete ſie mit Aufſtellung einiger
Forderungen, die ſich zum Theil auf das unmittelbar Vor-
liegende bezogen, die Befreiung des Landgrafen, Sicherheit
für die welche die Waffen ergriffen, zum Theil aber auch,
und dieß war ohne Zweifel das Wichtigſte daran, auf die
großen Angelegenheiten der Religion und der Kirche. Und
da war nun beſonders merkwürdig, daß er die Zugeſtänd-
niſſe wieder forderte, welche der Kaiſer zu jener Zeit, in wel-
cher der Proteſtantismus in noch ununterbrochener Entwicke-
lung zu ſeiner größten Macht gelangt war, am Reichstag
zu Speier im Jahr 1544 gemacht hatte, und nur noch
auf eine klarere Verſicherung derſelben antrug. 2 Bei dem
erſten Umſchlag des Glückes tauchten ſie wieder auf, und
zwar unter dem Vortritt Desjenigen, der früher es haupt-
ſächlich dem Kaiſer möglich gemacht ſie unausgeführt zu
[257]Verhandlungen zu Linz.
laſſen. Von dem Interim, meinte Churfürſt Moritz jetzt,
dürfe niemals wieder die Rede ſeyn; eine Vergleichung der
Religion müſſe nicht weiter auf einem allgemeinen Concilium,
ſondern nur auf einem nationalen oder auf einem abermali-
gen Colloquium verſucht werden. Niemand dürfe in Zukunft
der Religion halber Kriegsgefahren zu beſorgen haben.


Und ſo viel gab König Ferdinand, wenngleich nur für
ſeine Perſon, auf der Stelle nach, daß ein allgemeines Con-
cilium wie das Tridentiner, zur Beruhigung von Deutſch-
land nicht ſehr geeignet ſey; er zeigte ſich überhaupt in al-
len Dingen entweder ſelbſt einverſtanden oder doch zur Nach-
giebigkeit bereit.


Nicht ſo aber der Kaiſer, dem die in Linz gewechſelten
Schriften durch Schwendi zugeſandt wurden.


Er weigerte ſich nicht mehr, den Landgrafen loszulaſ-
ſen, aber er forderte eine ſchwer zu beſtellende Sicherheit
gegen alle daraus etwa zu erwartenden Nachtheile. 1 Was
den Religionspunct betrifft, ſo verwahrte er ſich in ſeiner
officiellen Antwort zunächſt nur gegen jede Erwähnung des
Nationalconciliums, die ihm von Anfang an verhaßt gewe-
ſen war, allein kaum war dieſe Erklärung gegeben, ſo wollte
ihm ſchon ſcheinen als laſſe ſie eine allzu weite Deutung zu,
und er erläuterte durch ein paar eigenhändige Worte, daß
er auch ferner auf der Heimſtellung der Glaubensſtreitigkeiten
an ein Concil beſtehe, gemäß den bisherigen Beſchlüſſen der
Reichstage. 2


Ranke D. Geſch. V. 17
[258]Zehntes Buch. Erſtes Capitel.

Bei dieſem feſten Verharren des Kaiſers auf dem ein-
mal ergriffenen Standpunct, und da auch Churfürſt Moritz
nicht ermächtigt war für ſeine Bundesgenoſſen abzuſchließen,
konnte man hier keinen Schritt vorwärts kommen, und be-
ſchloß jede weitere Erörterung auf eine andre Zuſammen-
kunft zu verſchieben, nächſten 26 Mai, zu Paſſau, zu wel-
cher ſämmtliche Churfürſten und eine Anzahl geiſtlicher und
weltlicher Fürſten, die gleich hier benannt wurden, eingela-
den werden ſollten.


Wie geringfügig dieſer Erfolg auch ſcheint, ſo war er
doch [...]hr bemerkenswerth.


In frühern Zeiten hatten die beiden Parteien ſich in-
nerhalb der Reichsverſammlung einander entgegengeſetzt: jene
alte Mehrheit des Jahres 1529, und die proteſtantiſche Min-
derheit, die jedoch unaufhörlich anwuchs; und der Kaiſer
hatte es als ein Hülfsmittel der Macht benutzt, zwiſchen
ihnen eine Ausgleichung zu ſuchen; mochte man ſich anſtel-
len wie man wollte, — in dem Abſchied zu Linz drückte
man ſich auf das behutſamſte aus, — ſo erſchien jetzt der
Kaiſer als Partei, als die andre der in der Kriegshandlung
begriffene Bund; ſchon an und für ſich gewann ein Aus-
ſchuß der Reichsfürſten, der ausdrücklich dazu berufen ward
um eine gütliche Unterhandlung zwiſchen ihnen zu verſuchen,
eine großartige Stellung.


Die Abſicht des Churfürſten Moritz gieng gleich bei ſei-
2
[259]Verſammlung zu Paſſau.
nem erſten Antrage auf eine ſolche Verſammlung dahin,
daß derſelben die Beſchwerden die man gegen die bishe-
rige Regierung zu machen habe, vorgelegt, von ihr erörtert
werden ſollten. 1


Und keineswegs auf bloße Vermittelung mochte ſich
dieſe Verſammlung beſchränken. Sie war ungefähr auf die
nemliche Weiſe zuſammengeſetzt wie die alten Regiments-
täge, und eine wiewohl unregelmäßige Repräſentation des
Reichs. Churfürſt Moritz brachte ſie eben darum in Vor-
ſchlag, weil er und ſeine Freunde auf keinen Reichstag war-
ten wollten.


Um die beſtimmte Zeit erſchienen die eingeladenen Stände:
neben dem römiſchen König und dem Churfürſten Moritz die
fünf übrigen Churfürſten, die Herzöge von Braunſchweig,
Jülich, Pommern, Würtenberg, Markgraf Johann und der
Biſchof von Würzburg durch ihre Abgeordnete, der Herzog
17*
[260]Zehntes Buch. Erſtes Capitel.
Albrecht von Baiern, der Erzbiſchof von Salzburg, der Bi-
ſchof von Eichſtädt in Perſon.


Sehr bezeichnend iſt die Stellung welche die Stände
dem römiſchen König gegenüber einnahmen. Ferdinand hätte
gewünſcht an ihren Sitzungen Theil zu haben, denn nicht
als Partei ſey er hier, etwa als Stellvertreter des Kaiſers,
dieſer habe vielmehr ſeine eignen Räthe am Platz. Die
Stände hatten wohl nicht Unrecht, wenn ſie dieß nicht
ganz wörtlich für wahr hielten, da der König ſo eben
vom Kaiſer kam und mit demſelben ununterbrochen in brief-
lichem Verkehr ſtand. Beſcheidentlich antworteten ſie, ihr
Sinn ſey nicht, ihn auszuſchließen, ſondern ihm nur die
Mühe zu erſparen, ihren Sitzungen beizuwohnen, die Stim-
men abzufordern; aber wie ſie ſich auch ausdrücken moch-
ten, dabei blieben ſie, ſich erſt unter einander berathen zu
wollen: die Meinung über welche ſie einig geworden, wür-
den ſie dann dem König vorlegen, und ſich mit der verglei-
chen, welche er indeß ſelbſt gefaßt habe. 1 Indem ſie ſich
von ihm abſonderten, um nicht gleich bei der erſten Faſ-
ſung der Beſchlüſſe geſtört zu werden, waren ſie doch weit
entfernt ſich ihm entgegenzuſetzen. Sie gaben ihm vollkom-
men Recht, wenn er darauf drang, daß aller franzöſiſche
Einfluß vermieden werde. Obgleich der franzöſiſche Geſandte
zugegen war, ſo bekam er doch von deutſchen Geſchäften
nichts zu erfahren. 2 In dem Entwurf zu einer Inſtruction,
[261]Verhandlungen zu Paſſau.
nach welcher Markgraf Albrecht aufgefordert werden ſollte
dem von ihm noch nicht angenommenen Stillſtand beizu-
treten, war als ein Beweggrund angeführt worden, daß
der franzöſiſche Geſandte damit einverſtanden ſey, ein Mo-
tiv das hier wohl eine Wirkung haben konnte: auf die Er-
innerung des römiſchen Königs aber, daß ſolch eine Bezug-
nahme auf eine fremde Macht dem Reiche ſchlecht anſtehe,
ließ man ſie weg.


Der Sinn der Stände war, den Einfluß wie der kai-
ſerlichen, ſo noch viel mehr der franzöſiſchen Intereſſen zu
vermeiden, und aus dem Schooße des verſammelten Reichs-
fürſtenrathes eine Vermittelung der ausgebrochenen Strei-
tigkeiten hervorgehn zu laſſen.


Und da lag nun die Summe des Ereigniſſes, und ge-
wiſſermaßen ein neuer Anfang für die Erhaltung und Ent-
wickelung des Reiches darin, daß in dieſer Verſammlung
katholiſche und evangeliſche Fürſten vereinigt waren, einmü-
thig entſchloſſen keinen Krieg in Deutſchland zuzulaſſen. 1


Bisher hatten die katholiſchen Reichsfürſten noch immer
darauf beſtanden, den Proteſtantismus ſo weit wie möglich
zurückzudrängen, oder lieber ganz zu vernichten, ſey es nun
2
[262]Zehntes Buch. Erſtes Capitel.
ſelbſtändig, durch die Mehrheit der Stimmen am Reichstag,
oder unter der Führung des Kaiſers: jetzt ſahen ſie ein, daß
daran nicht mehr gedacht werden könne.


Die Übermacht der proteſtantiſchen Fürſten war in die-
ſem Augenblick vielmehr ſo groß, daß ſie ſelber von ihnen
überwältigt, ja vertilgt zu werden fürchten mußten. Der
Kaiſer war nicht im Stande ſie zu ſchützen, aber wäre ers
auch geweſen, ſo hätten ſie wenig Freude daran gehabt: ſie
fühlten ſo gut wie die andern, daß ſein überwiegendes An-
ſehen ihre Selbſtändigkeit, die Autonomie der Nation bedrohe.
Eine der wirkſamſten Veränderungen bildete der Regierungs-
wechſel in Baiern. Jetzt ſetzte ſich kein Leonhard von Eck
mehr in den Beſitz des maaßgebenden Einfluſſes bei den
katholiſchen Berathungen; Albrecht V, von Natur gemäßigt
und nachgiebig, in ſeinen erſten Jahren ſogar evangeliſchen
Anwandlungen nicht unzugänglich, jetzt überdieß bedroht und
gefährdet, hütete ſich die Politik ſeines Vaters fortzuſetzen,
die wenigſtens im Verhältniß zum Kaiſer nur zu Nachthei-
len geführt hatte.


In ſeinem erſten Gutachten nun gieng Churfürſt Moritz
von dem Zugeſtändniß Ferdinands aus, daß ein Concilium
wie das tridentiniſche ſchwerlich jemals zur Vergleichung füh-
ren dürfte, und kam auf die Idee eines Nationalconciliums
zurück, das ſo oft vorgeſchlagen worden und nie hatte erreicht
werden können. 1 Doch wollte er es auch auf deſſen Ent-
[263]Verhandlungen zu Paſſau.
ſcheidung nicht ankommen laſſen. Er forderte vielmehr ei-
nen Frieden welcher immer beſtehe, möge nun die Verglei-
chung zu Stande kommen oder nicht. Denn nur von den
Mißbräuchen, ſagte er, ſchreibe ſich die Spaltung her; in
den Hauptartikeln chriſtlichen Glaubens ſey man Gottlob ein-
verſtanden; der Kaiſer müſſe die Stände augsburgiſcher Con-
feſſion vor allem verſichern, daß ihnen keine Ungnade noch
Beſchwerung weiter bevorſtehe. Zu dem unbedingten Frie-
den aber gehöre ferner, daß man auch keine Entſcheidung
des Reichstags wo die der Confeſſion entgegengeſetzte Par-
tei das Mehr habe, noch des Kammergerichts wie es jetzt
eingerichtet ſey, befürchten dürfe: man müſſe die Artikel über
Friede und Recht wiederherſtellen und zur Ausführung brin-
gen, wie ſie 1544 gegeben worden.


Zweierlei, wie wir ſehen, forderte er: das Aufgeben je-
ner conciliaren auf die Wiederherſtellung der Einheit, auch
im Wege der Gewalt, hinzielenden Ideen, und dagegen eine
den Frieden der Evangeliſchen ſichernde Einrichtung im Reiche.
Es waren ganz die altproteſtantiſchen Tendenzen: nicht zu
bekehren, noch zu vertilgen, ſondern nur zu beſtehn, kraft
der alten Berechtigungen der auf Reichsſchlüſſe ſich ſtützenden
Minderheit. Im Jahr 1514 hatten die Proteſtanten ihre
Abſicht noch durch den Einfluß der kaiſerlichen Gewalt zu
erreichen gemeint: im Jahre 1552 hielten ſie das Schwert
in der Hand um ſie durchzuſetzen. Der Kaiſer war über-
raſcht, in ferne Alpen zurückgeſcheucht; die geiſtlichen Für-
ſten, die bisher die Majorität gebildet, in ihren Landſchaf-
ten angegriffen, und ſchon zum Theil in die Hände der
Proteſtanten geliefert. Unter dieſen Umſtänden bot ihnen
[264]Zehntes Buch. Erſtes Capitel.
Moritz noch einmal die alten Bedingungen an, die freilich,
wenn ſie dem Kaiſer abgerungen waren, weit eine andre
Bedeutung erhielten, als wenn er ſie frei und gern bewil-
ligt hätte.


Und auf die erſte dieſer Forderungen nun giengen die
in Paſſau verſammelten Fürſten mit allgemeiner Beiſtimmung
ein. Jene Idee einer Herſtellung der Einheit, wie ſie von
dem Kaiſer angeſtrebt ward, hatte ſich ihnen allen ſelber ge-
fahrbringend erwieſen. Auch ſie fanden, daß das tridenti-
niſche Concilium nicht geeignet ſey die Spaltung in der Re-
ligion zu heben. Zwar wollten ſie ſich hiebei nicht im Vor-
aus gegen ein andres allgemeines Concilium erklären: ſie
behielten dem Reichstag vor, nochmals zu unterſuchen, auf
welchem Wege das Ziel am beſten erreicht werden könne,
durch ein nationales oder doch wieder ein allgemeines Con-
cil, oder durch welches andre Mittel. 1 Darin aber ſtimm-
ten ſie dem Churfürſten bei, daß auf jeden Fall Friede be-
ſtehn müſſe, welches auch der Erfolg der Vergleichsverſuche
ſeyn möge, und eben darauf kam es an. Die Frage war,
ob im Kreiſe der abendländiſchen Chriſtenheit ein friedliches
und ſicheres Daſeyn möglich ſey, ohne die Oberhoheit des
Papſtthums oder auch eines Concils anzuerkennen, mochte
nun da ein Kaiſer oder ein Papſt den größern Einfluß ha-
ben. Dieſe Frage bejahten jetzt die mächtigſten Reichsfür-
ſten, auf welchen ſeit dem dreizehnten Jahrhundert das Reich
und zum guten Theil die Kirche gegründet geweſen, katho-
liſche und proteſtantiſche, geiſtliche und weltliche. Sie mein-
[265]Verhandlungen zu Paſſau.
ten, der Friede müſſe beiderlei Ständen zu Gute kommen
und ſie gegen einander ſicher ſtellen. Am 6ten Juni 1552
verfaßten die Fürſten dieſes auf ewig merkwürdige Gutach-
ten; am 7ten erklärte König Ferdinand in dieſem Puncte
ſeine Beiſtimmung dazu.


Wie nun aber dieſer Grundſatz in den Ordnungen des
Reiches geltend zu machen ſey, darüber konnte man ſich
nicht ſogleich vereinigen. Die vermittelnden Fürſten vermie-
den noch die Erwähnung der ſpeierſchen Beſchlüſſe von 1544,
die ihnen oder ihren Vorgängern größtentheils zuwider gewe-
ſen: nur Eine Stimme trug auf Wiedererneuerung und Voll-
ziehung derſelben an; aber ſie bewilligten, daß bei dem Abſchluß
des Friedens auch über die Beſetzung des Kammergerichts
Beſtimmung getroffen würde. König Ferdinand trat noch
einen Schritt weiter zurück: er wollte dieſe Beſtimmung ſo
wie die Beſchwerden die Moritz vorgebracht, auf den Reichs-
tag verweiſen. Churfürſt Moritz war hiemit nicht zufrieden:
er forderte die ausdrückliche Zuſicherung unparteiiſchen Rech-
tes und die Aufhebung des Reichsabſchiedes von 1530, auf
den die Aſſeſſoren bisher verpflichtet worden. Es kam hier-
über zu einem lebhaften Schriftwechſel, in welchem jeder Theil
auf ſeiner Meinung beſtand. Glücklicherweiſe hatte Moritz
auch ſeinerſeits etwas anzubieten. Bei der Verſicherung der
katholiſchen Fürſten in ihren Beſitzthümern, die eine andre
Hauptgrundlage des Friedens bildete, hatte er die Worte ein-
fließen laſſen: „ſo viel ſie noch in Poſſeſſion derſelben ſeyen“:
eine Clauſel von der größten Bedeutung, da ſchon manches
Amt biſchöflicher Lande von Markgraf Albrecht in Beſitz
genommen worden. Die vermittelnden Fürſten machten ihn
[266]Zehntes Buch. Erſtes Capitel.
aufmerkſam, daß dadurch das Recht verkürzt, der geſammte
Rechtszuſtand zweifelhaft werde. Indeſſen beſtand Moritz
ſo lange auf ſeinem Vorſchlag, bis ſie und der König ſich
ihm auf der andern Seite wieder näherten. Dabei blieb
es auch jetzt, daß die Sache definitiv erſt am Reichstag ab-
gemacht werden möge: aber im Voraus erklärten die Für-
ſten, daß alsdann die Gleichheit bewilligt und die Form des
Eides frei gelaſſen werden ſollte. Nicht ganz ſo weit, denn
nur in kleinen Schritten, ſehr langſam, rücken dieſe Angelegen-
heiten vorwärts, wollte König Ferdinand gehn. Die Gleich-
heit im Voraus zu bewilligen, ſchien ihm ein Punct den
der Kaiſer nicht genehmigen würde, aber dazu gab er ſeine
Zuſtimmung, daß es freiſtehen möge, ob man den Eid
zu Gott, oder zu Gott und den Heiligen ſchwören ſolle.
Man bemerkte, daß in den Rechten beide Formen gültig
ſeyen. 1 Und war dieß nicht im Grunde eben daſſelbe?
Die evangeliſchen Aſſeſſoren waren bisher zurückgewieſen wor-
den, weil ſie den Eid zu den Heiligen nicht ſchwören woll-
ten; ſie mußten angenommen werden wenn man denſelben
nicht mehr forderte. Der Verpflichtung auf den Reichsab-
ſchied von 1530 ſollte durch eine Clauſel begegnet werden,
nach welcher kein früherer Schluß dem neuen Friedſtand ab-
brechen, derogiren ſolle.


Dergeſtalt vereinigte man ſich in einer aus beiden Re-
ligionsparteien gemiſchten Verſammlung über die wichtigſten
Verhältniſſe die in Zukunft zwiſchen beiden obwalten ſollten.


[267]Verhandlungen zu Paſſau.

Die Katholiſchen, welche auch dort die Mehrzahl aus-
machten, gaben die Vortheile auf, welche ihnen aus der Idee
einer allgemeinen Vereinigung der Chriſtenheit und ihrem
Übergewicht am Reichstag entſpringen konnten.


Dagegen verzichtete man evangeliſcher Seits darauf,
ſich der Übermacht die man in dieſem Augenblicke beſaß, zu
bedienen, die hohen Geiſtlichen, wie man anfangs gedacht,
geradezu zu verjagen, oder auch nur die ihnen ſchon entriſ-
ſenen Gebietsſtrecken zu behalten.


Wurde der Rechtsſtand der Proteſtanten erweitert und
einigermaßen fixirt, ſo hatte die andre Partei dagegen die Ge-
nugthuung, ihre bedrohten Beſitzthümer geſichert zu ſehen.


Und da man nun in der Hauptſache verglichen war, ſo
folgten die andern Puncte von ſelber nach. Man kam überein,
daß der Landgraf in einer beſtimmten Friſt zu Rheinfels auf
freien Fuß geſetzt werden ſolle. Für die Urtel die während der
Cuſtodie in ſeinen Angelegenheiten geſprochen worden, ward
ihm Suſpenſion und Reviſion verheißen. Alle Die welche
in dem letzten Kriege um Land und Leute gekommen oder
die Flucht ergreifen müſſen, von den Kriegsanführern der
Rheingraf, Albrecht von Mansfeld und ſein Sohn, Chri-
ſtoph von Oldenburg, Heideck, Reckerode und Schärtlin, un-
ter den Fürſten Wolfgang von Anhalt und Otto Heinrich
von der Pfalz, ſollten wieder zu Gnaden angenommen wer-
den, und ſich nur verpflichten, fernerhin nicht gegen den Kai-
ſer zu dienen; die der jetzigen Kriegsübung Verwandten ſoll-
ten die Waffen niederlegen, ihre Eroberungen herausgeben
und dagegen einer Generalamneſtie genießen.


Mit Freuden melden die brandenburgiſchen Geſandten
[268]Zehntes Buch. Erſtes Capitel.
nach Haus, daß es ſo weit gekommen ſey, hauptſächlich auch
durch das eifrige Bemühen des römiſchen Königs.


Auch Moritz meinte wohl, daß hiemit ein feſter Friede
im Reich gegründet ſey. Sein Rath war, daß der verab-
redete Vertrag dem Kaiſer zu einfacher Annahme oder Ver-
werfung vorgelegt werden ſolle: indeß wolle auch er zu ſei-
nen Bundesverwandten reiten und wenn von dem Kaiſer
die Erklärung der Annahme eingelaufen, den Vertrag ohne
weiteres Grübeln unterſchreiben.


Daß nun aber dieſe Bedingungen erſt dem Kaiſer vor-
zulegen und von ihm zu beſtätigen waren, bildete eine Schwie-
rigkeit die ſich größer erwies, als man auch nach den be-
reits gemachten Erfahrungen glaubte.


Die Bevollmächtigten die er in Paſſau hatte, verſäum-
ten nichts um ihn dazu zu ſtimmen. Sie ſtellten ihm vor,
daß in Deutſchland alles den immerwährenden Frieden wün-
ſche, zumal da er, der Kaiſer ſelbſt ſchon um ſeiner vielfa-
chen Beſchäftigungen willen nicht im Stande ſey eintreten-
den Unordnungen zu ſteuern. 1 Der König motivirte bei
der Einſendung der Artikel die Bewilligung derſelben mit der
erwähnten Gefahr der katholiſchen, beſonders der geiſtlichen
Fürſten, und mit der Beſorgniß, daß ſich leicht, wenn die
Vereinbarung ſich an die Religionsſachen ſtoße, alle andern
[269]Widerſtand des Kaiſers.
Stände augsburgiſcher Confeſſion an die kriegführenden an-
ſchließen möchten. Man machte den Kaiſer aufmerkſam, daß
weder der Papſt, noch der König von Frankreich, noch irgend
ein andrer Fürſt von Europa an die Pflicht denke, die Ketze-
reien auszurotten, daß die ganze Laſt einer ſolchen Unterneh-
mung auf ihn allein fallen würde. Auch liege wohl ſo viel
an Tag, daß man wider die neuen Meinungen mit dem
Schwerte nichts ausrichten könne: die Deutſchen würden
ihre Hand nicht dazu bieten, durch fremde Nationen laſſe
es ſich nicht thun.


Im Angeſicht der Kämpfe welche die Welt erfüllen, der
Kräfte die dazu von beiden Seiten in Anwendung geſetzt
werden und der Erfolge die ſich ergeben, bilden ſich Über-
zeugungen, die plötzlich hervortreten und Jedermann ergrei-
fen, weil ſie aus dem Geſchehenen mit Nothwendigkeit ent-
ſpringen; man kann ſagen: ſie enthalten Geſetze für eine,
wenn auch erſt ferne Zukunft in ſich. So fühlte man jetzt
die Unmöglichkeit, das alte Syſtem der dogmatiſchen und
kirchlichen Einheit in der abendländiſchen Chriſtenheit aufrecht
zu erhalten, die Gemüther mit dem Schwert zu regieren.


Und davon hängt die Wirkſamkeit eines hochgeſtellten
Menſchen mit am meiſten ab, in welches Verhältniß er zu
Überzeugungen dieſer Art tritt, ob er ſie annimmt oder ſich
ihnen entgegenſetzt.


Carl V hielt unerſchütterlich an dem einmal ergriffenen
Syſteme feſt.


Es war der Gedanke ſeines Lebens; daß er in einem
unglücklichen Augenblick vor einem plötzlichen Anfall hatte zu-
rückweichen müſſen, konnte ihn darin nicht irre machen.


Die Einheit der Chriſtenheit aufrecht zu halten galt ihm
[270]Zehntes Buch. Erſtes Capitel.
für eine durch die Religion gebotene Pflicht. Während der
Verhandlungen wiederholte er ſeine Behauptung, daß dazu
ein allgemeines Concilium das einzig geeignete Mittel ſey.
Höchſtens wollte er die Sache, aber ganz in den gewöhn-
lichen Formen und mit Vorbehalt ſeiner alten Autorität,
noch einmal an den Reichstag bringen. Den immerwäh-
renden Frieden zu bewilligen, ſchlug er ohne Weiteres ab.
Nicht als ob er, wie es in einem ſeiner Briefe heißt, daran
denke, die Proteſtanten mit Krieg zu überziehen, wozu er jetzt
nicht einmal die Mittel habe: aber durch dieſe Bewilligung
würde alles rückgängig werden, was man mit ſo vieler
Mühe und ſo vielen Koſten erreicht, das Interim und die
letzten Reichstagsſchlüſſe; er würde die Ketzereien auch dann
dulden müſſen, wenn ſich Zeit und Gelegenheit zum Gegen-
theil zeige; ſchon jetzt müſſe er Scrupel haben für die, welche
er dann empfinden werde. Und auch jetzt könne er ſich
nicht damit entſchuldigen, daß ihm Gewalt geſchehe: noch
ſey ſie nicht geſchehen, noch könne er nach Italien oder
vielleicht nach Flandern gehn, und gewiß er wolle es thun,
ehe er ſein Gewiſſen beſchwere, ehe er dieſen Zaum ſich an-
legen laſſe. 1


Der Nothwendigkeit der Dinge, die er nicht anerkannte,
ſetzte er, wie wir ſehen, ſeine geiſtlichen Pflichten entgegen,
die er, ſeitdem er ſich ſo lange mit ihnen getragen, von Un-
glück und Gefahr mehr beſtärkt als erſchüttert, ſtrenger als
jemals auffaßte.


[271]Widerſtand des Kaiſers.

Ferdinand hielt nicht für rathſam, die Weigerungen und
Ausſtellungen des Kaiſers der Verſammlung wie ſie waren
mitzutheilen, er hätte den Bruch der ganzen Unterhandlung
gefürchtet. Nur im Allgemeinen bezeichnete er ſie, aber er
verſprach, ſich ſelbſt zu ſeinem Bruder zu verfügen und al-
les zu verſuchen, „gleich als gelte es ſeiner Seelen Seligkeit“,
um denſelben auf eine andre Meinung zu bringen. 1 Am 6ten
Juli reiſte er von Paſſau ab, am 8ten finden wir ihn in
Villach. Er ſtellte dem Kaiſer vor, in welche Gefahr ihn
der Wiederausbruch der Feindſeligkeiten in Deutſchland ſtür-
zen werde: ſchon ſey auch der Herzog von Baiern von den
kriegführenden Fürſten aufgefordert ſich zu ihnen zu ſchla-
gen, und im Weigerungsfall mit dem Ruin ſeines Landes be-
droht; dagegen verſpreche Moritz eine anſehnliche Hülfe in
Ungarn zu leiſten, wenn der Friede zu Stande komme, und
bei den unaufhörlichen Fortſchritten der Türken ſey für ihn
nichts dringender, nothwendiger. Auch bewirkte er damit
wohl, daß eine und die andre unweſentliche Einwendung
weggelaſſen ward, welche der Kaiſer gegen die vorgeſchlage-
nen Artikel gemacht; in Bezug auf das Gericht wurden all-
gemeine wiewohl nicht eben verpflichtende Verſicherungen
[272]Zehntes Buch. Erſtes Capitel.
ertheilt. In der Hauptſache aber richtete Ferdinand nichts
aus. Der Kaiſer erklärte mündlich eben ſo ſtandhaft wie
er es ſchriftlich gethan, daß er nichts zulaſſen werde was
ſeiner Pflicht, ſeinem Gewiſſen zuwiderlaufe, und ſollte dar-
über alles zu Grunde gehn. 1 Er wolle eher Deutſchland
dem römiſchen König überlaſſen, als etwas geſtatten was
der Religion nachtheilig ſey, oder ſich dem Urtheilsſpruch
Derer unterwerfen, die er zu regieren habe. Den Satz in
welchem immerwährender Friede zugeſagt wurde auch für
den Fall daß man ſich nicht verſtändige, ſtrich er aus. Er
gieng nicht weiter, als daß er, wie ſchon in der Linzer Er-
klärung, einem künftigen Reichstag zu beſtimmen vorbehielt,
auf welche Weiſe dem Zwieſpalt abzuhelfen ſey: wohlver-
ſtanden jedoch — — „mit Ihrer Majeſtät ordentlichem Zu-
thun“: nur bis dahin verſprach er Friede; er wiederholte
nicht einmal, daß er die Vergleichung nur durch friedliche
und gütliche Mittel herbeizuführen ſuchen werde. Auch die
vorgebrachten Beſchwerden ſollten dort, unter ſeiner Theil-
nahme, erörtert werden. Der römiſche König mochte ſa-
gen was er wollte, ſo mußte er ſich mit dieſem Beſcheide
nach Linz zurückbegeben.


Hier hatte man das doch nicht erwartet. Man meinte
faſt, es liege wohl an Ferdinand ſelbſt, und richtete die
dringende Frage an ihn, ob er nicht etwa noch eine Neben-
inſtruction habe. Der König antwortete, er handle rund
und ehrbar: hätte er weiteren Auftrag, ſo würde er denſel-
[273]Vertrag zu Paſſau.
ben von Anfang angezeigt haben, er habe den Befehl, nicht
einen Buchſtaben ändern zu laſſen. 1


Sollten nun aber nicht die vermittelnden Fürſten trotz
alle dem ihrerſeits auf den wohlerwogenen Vorſchlägen ver-
harren, die ſie gemacht?


Sie zogen in Erwägung daß der Kaiſer ihnen doch in
den weniger bedenklichen Puncten meiſtens beigetreten war,
— daß für den Augenblick, da das tridentiniſche Concilium
ſich aufgelöſt hatte und von einer Ausführung der Beſchlüſſe
deſſelben nicht mehr die Rede ſeyn konnte, auch in religiö-
ſer Hinſicht nichts zu befürchten ſtand, — daß dem Reichs-
tag, an den die Entſcheidungen, wiewohl mit dem Vorbe-
halt der Idee der allgemeinen Einheit, verwieſen worden,
ein weiter Spielraum offen blieb: und hielten für das beſte,
ſich dem unwiderruflichen Willen des Kaiſers zu fügen.


Die Frage war nur, ob dann auch die Evangeliſchen ihn
annehmen würden, namentlich Moritz, der ſeitdem noch ein-
mal nach Paſſau zurückgekommen war, und als er ſah wie
die Sachen ſtanden, es mit der Erklärung verlaſſen hatte, daß
auch er an ſeine Zuſage nicht weiter gebunden ſeyn wolle.


Mit gegründeter Beſorgniß nahm er die fortgehenden
Rüſtungen des Kaiſers wahr. Wie im Mai gegen Reitti
und die Clauſe, ſo ſtürzte er ſich im Juli gegen einen an-
dern Muſterplatz des Kaiſers bei Frankfurt a. M., wo ſich
bereits 16 Fähnlein z. F. und 1000 M. z. Pf. unter deſſen
Namen geſammelt.


Hier aber war ihm das Glück nicht ſo günſtig wie dort.


Nach der Ausſöhnung hatte ſich in Frankfurt der alte
Ranke D. Geſch. V. 18
[274]Zehntes Buch. Erſtes Capitel.
Einfluß des Kaiſers auf die Geſchlechter und den Rath von
Frankfurt wieder hergeſtellt: die Stadt entſchloß ſich, auch
unter den gefährlichen Umſtänden in denen man war, ſeine
Truppen bei ſich aufzunehmen. Der Oberſt der ſie befeh-
ligte und der Bürgermeiſter theilten die Schlüſſel der Thore
unter einander. Zur rechten Zeit traf ein kaiſerlicher Kriegs-
commiſſar mit dem nöthigen Gelde ein, um die Söldner zu-
frieden zu ſtellen und ein gutes Verhältniß mit den Bürgern
möglich zu machen.


Dadurch zog nun zwar die Stadt den Angriff der Ver-
bündeten gegen ſich ſelber herbei. Zerſprengte Flüchtlinge,
Rauchſäulen von der Holzhauſer Öde her kündigten bald
das Heer derſelben an. Im erſten glücklichen Scharmützel
ſprengte Moritz bis an die Stadtthore. Zu fürchten aber
war bei den guten Vorkehrungen die man in Frankfurt ge-
troffen, dieſer Feind, dem es an dem nöthigen Belagerungs-
geſchütz fehlte, mit nichten. Nicht allein ſeine Anfälle und
Stürme wurden abgeſchlagen, er erlitt auch einen großen
Verluſt. Der junge kriegsfreudige Georg von Meklenburg,
der ſelber mit ſeinem Fauſthammer an das Thor von Sach-
ſenhauſen klopfte, um zu ſehen ob es inwendig gefüllt ſey,
und da er das nicht ſo fand, ein Paar Büchſen heranbrin-
gen ließ um ſie auf daſſelbe zu richten, mußte dieſe Kühn-
heit mit dem Tode büßen. Moritz, der die Stadt auffor-
derte, bekam darauf die bittere Antwort, er möge erſt fromm
werden und die Judasfarbe ablegen.



[275]Vertrag zu Paſſau.

In dieſem Augenblick trafen die Abgeordneten mit dem nach
der kaiſerlichen Anweiſung veränderten Friedensentwurf ein.


Wäre Moritz Herr von Frankfurt geweſen, wer weiß
ob er den Vertrag angenommen hätte. Aber er war es
nicht; auch an vielen andern Stellen hielt ſich die kaiſerliche
Macht: wenn er den Vertrag abſchlug, ſo hatte er Achts-
erklärung und die unbedingte Herſtellung ſeines Vetters Jo-
hann Friedrich zu erwarten; 1 er mußte einen neuen Krieg
auf Leben und Tod beſtehen. Nahm er dagegen den Ver-
trag an, ſo ward der Landgraf befreit, was ihn einer
ſchweren perſönlichen Verpflichtung überhob; nicht unbedeu-
tende andere Zugeſtändniſſe, wenn auch nicht die letzten die
er gefordert, traten in Wirkſamkeit; für die Sicherheit ſei-
ner Erwerbungen war es von dem größten Werthe, wenn
er ſie zunächſt auch unter einer veränderten Ordnung der
der Dinge unangefochten behauptete. Seinem Bunde mit
dem König von Frankreich entſprach es zwar nicht; aber er
wußte ſehr wohl daß er darüber mit demſelben doch nicht
zerfallen würde. Nach einigem Bedenken nahm er am 29ſten
Juli den Vertrag an; zu Rödelheim bei Frankfurt iſt die
Originalurkunde, welche die Abgeordneten Ferdinands mit-
gebracht hatten, von Moritz, den jungen Landgrafen und
Johann Albrecht unterſiegelt worden. 2


18*
[276]Zehntes Buch. Erſtes Capitel.

Höchſt erwünſcht war dieß zunächſt dem König Ferdi-
nand, der nun ſeine Kräfte nach dem von einem türkiſchen
Einfall aufs neue bedrängten Ungarn wenden konnte; Mo-
ritz erneuerte ſein Verſprechen ihm ſelbſt zu Hülfe zu kom-
men. Die vor Frankfurt verſammelten Truppen der Ver-
bündeten, bis auf ein einziges, das reifenbergiſche Regiment,
das ſich zu Markgraf Albrecht ſchlug, leiſteten dem König
den Eid der Treue.


Ferdinand vergalt die Dienſte die er dergeſtalt empfieng,
dadurch, daß er ſeinen Bruder aufforderte, Johann Friedrich,
der noch immer dem Hofe folgte, nicht eher förmlich zu ent-
laſſen, bis er das zwiſchen ſeinen Söhnen und Moritz ent-
worfene Abkommen beſtätigt habe.


Schon war es jedoch dem Kaiſer, der täglich die Kräfte
ſeiner Gegner abnehmen und die ſeinen anwachſen ſah, wie-
der zweifelhaft geworden, ob er ſeinerſeits den Vertrag auch
nur ſo, wie er ihn zuletzt angenommen hatte, ratificiren ſolle.
Einer ſeiner Hauptleute und Räthe ſagte ihm, bis jetzt ſey
der Krieg von den Fürſten geführt worden, ohne Wider-
2
[277]Vertrag zu Paſſau.
ſtand: würden ſie ihren Meiſter und Herrn ſich gegenüber
ſehen, ſo würde ihnen das Gewiſſen ſchlagen und ſie wür-
den das Herz verlieren. Am 10ten Auguſt hat der Kaiſer
durch Andelot ſeinem Bruder wirklich noch einmal eine Er-
öffnung in dieſem Sinne machen laſſen: er ſehe jetzt die
Möglichkeit den gehorſamen Ständen zu Hülfe zu kommen;
allzu drückend ſeyen die Bedingungen die er eingegangen;
wer könne dafür ſtehn, daß Moritz nicht, wenn er nach Un-
garn gehn dürfe, dort einen Streich ſpiele wie vor Magde-
burg. Iſt Ferdinand je über eine Mittheilung ſeines Bru-
ders erſchrocken, ſo war es damals. Er beſchwur ihn, ihm
dieſen Schimpf nicht zuzuziehen: nur auf ſein Zureden, denn
er habe immer am meiſten auf die Herſtellung des Friedens
im Reiche gedrungen, ſeyen die Bedingungen des Vertrags
zuletzt von den Fürſten genehmigt worden; von Moritz fürchte
er nichts, da die Truppen ihm, dem König, geſchworen; und
entbehren könne er deſſen und des Reiches Hülfe nun ein-
mal nicht: ein Bruch würde ihm und ſeinen Kindern, allen
ſeinen Ländern, in dieſer Gefahr vor den Türken, zum voll-
kommenen Verderben gereichen. 1


Hierauf entſchloß ſich der Kaiſer den Vertrag zu beſtäti-
gen. „Ganz allein“, ſchreibt er ſeinem Bruder, „die Rück-
ſicht auf Eure beſondre Lage, Eure Königreiche und Lande
haben mich dazu bewogen.“ Auch ſeiner Schweſter meldet
er, die Betrachtung, welche Bedrängniß Ungarn und die ganze
Chriſtenheit von den Türken erfahren werde, wenn Moritz
nicht einige Hülfe leiſte, habe ihn vermocht den Vertrag zu
ratificiren.


[278]Zehntes Buch. Erſtes Capitel.

Unter einem ſo mannichfaltigen Wechſel von Berathun-
gen und Antrieben iſt der Paſſauer Vertrag zu Stande ge-
kommen.


Man könnte nicht ſagen, daß er für die große innere
Frage, in den religiöſen Angelegenheiten eine definitive Be-
ſtimmung gegeben oder auch nur in ſich eingeſchloſſen habe.


Der immerwährende Friedſtand zwiſchen den beiden Be-
kenntniſſen war ausdrücklich verweigert, die alte Idee der
kirchlichen Einheit, als einer Bedingung des politiſchen Le-
bens, vorbehalten, und jede weitere Feſtſetzung auf den Reichs-
tag verſchoben worden, von dem ſich doch nicht vorausſehen
ließ, ob er nicht durch ſeine Conſequenz gefeſſelt unter ähnli-
chen Einwirkungen wie früher auch wohl zu ähnlichen Be-
ſchlüſſen gebracht werden könnte.


Auch wurden nicht einmal die obſchwebenden Unruhen
dadurch beſeitigt. Markgraf Albrecht von Brandenburg wei-
gerte ſich ihn anzunehmen und ſetzte ſeine Züge gegen Stif-
ter und Städte, wie er ſie in Franken und Schwaben be-
gonnen, an Rhein und Moſel fort. Auf ſein Beiſpiel ſah
Graf Volradt von Mansfeld, der gegen Ende Mai in Ratze-
burg eingebrochen war, die ſilbernen Apoſtel aus der Dom-
kirche geholt und die Domherrn genöthigt hatte den jungen
Herzog von Lauenburg zum Biſchof zu poſtuliren: noch hielt
er dort an der Elbe eine beträchtliche Mannſchaft im Felde.


Bei alle dem war der Paſſauer Vertrag doch ein un-
ermeßliches Glück für Deutſchland.


Das nunmehr auch vom Kaiſer zuſammengebrachte Heer
und das heſſiſch-ſächſiſche hätten ſonſt mit einander ſchla-
gen müſſen, und die ganze Kriegswuth beider Theile hätte
ſich nach dem Reiche hin entladen.


[279]Entlaſſung Johann Friedrichs.

Jetzt aber wandten die beiden Gegner ihre Kräfte nach
den Grenzen hin. In dem Innern ward wenigſtens ſo viel
erreicht, daß der gedrückte, durch die Kriegserfolge von 1547
herbeigeführte Zuſtand aufhörte der bisher obgewaltet.


Zunächſt kehrten die beiden gefangenen Fürſten in ihr
Land zurück.


Als der Kaiſer ſich entſchloß die dem geweſenen Chur-
fürſten Johann Friedrich bewilligten Erleichterungen in eine
vollſtändige Befreiung zu verwandeln, ihn von dem Hofe,
der jetzt wieder nach Augsburg gekommen, zu entlaſſen, legte
er ihm doch noch zwei Bedingungen vor, die eine mehr in
ſeinem, die andre mehr in ſeines Bruders Sinn. Johann
Friedrich ſollte ſich noch verpflichten, den Beſchlüſſen eines
künftigen Conciliums oder Reichstags in der Religion Folge
zu leiſten und die Verträge mit ſeinem Vetter zu beobach-
ten. Das letzte war in ſo fern neu und ſchwer, als er zu-
gleich für ſeine Söhne gutſagen und andre Sicherheiten her-
beiſchaffen ſollte; aber er entſchloß ſich dazu: er erbot ſich
die Verträge zu unterzeichnen, ſobald als es Churfürſt Mo-
ritz gethan haben werde. 1 Was aber die erſte Anmuthung
betrifft, ſo blieb er nach wie vor unerſchütterlich. Gern ver-
ſprach er wegen der Religion mit Niemand in Bündniß zu
treten, noch die Altgläubigen thätlich zu beläſtigen; aber da-
hin war er nicht zu bringen, daß er ſich eine künftige Ver-
gleichung anzuerkennen verpflichtet hätte. In aller Demuth
erwiederte er dem Kaiſer, er ſey entſchloſſen, bei der Lehre
die in der augsburgiſchen Confeſſion enthalten, bis in ſeine
Grube zu bleiben.


[280]Zehntes Buch. Erſtes Capitel.

Durch ſeine Haltung in der Gefangenſchaft hatte Jo-
hann Friedrich erſt recht gezeigt, wie Ernſt es ihm auch
in glücklicheren Zeiten damit geweſen war, ſeinem Kaiſer Ge-
horſam zu beweiſen. Es iſt immer derſelbe Gedanke, —
bei aller einem Reichsfürſten geziemenden Hingebung, doch
in Beziehung auf göttliche Dinge, wo man einer andern
Welt angehört, die volle Unabhängigkeit des Gewiſſens zu
bewahren. Früher, bei den Conflicten, in welche die ſtrei-
tigen Rechtsverhältniſſe brachten, konnte dieſe Geſinnung
nicht immer hell und zweifellos erſcheinen: in der Gefan-
genſchaft, wo ſich die Gegenſätze reiner und einfacher ge-
ſtalteten, leuchtete ſie dann in vollem Glanze hervor. Und
recht naturgemäß entſprang ſie in ihrer doppelten Richtung
aus der deutſchen Geſchichte. Auf das tiefſte hatte die Idee
des Reichs und ſeiner Ordnung die Gemüther durchdrun-
gen; eben ſo lebendig waren ſie jetzt von dem göttlichen
Urſprung der heiligen Schrift und der unbedingten Gültig-
keit einer freieren Auffaſſung derſelben ergriffen; beides zu
vereinigen hätte Große und Geringe befriedigt. Aber Carl V
verſtand das entweder nicht, oder wollte doch nichts davon
hören; er wollte ſich Gehorſam in göttlichen und menſchlichen
Dingen erzwingen. Damit erzog er ſich eben Die, die ihm
endlich den einen wie den andern verſagten, und die Waf-
fen der Politik und des Krieges, die ſie von ihm führen ge-
lernt, nun gegen ihn ſelber wandten. Johann Friedrich da-
gegen beobachtete auch in ſeiner Gefangenſchaft vollkommene
Treue. Er wollte nicht einmal zugeben, daß jene Fürbitte der
Reichsfürſten für den Landgrafen auch auf ihn erſtreckt würde;
es machte ihm Sorgen, daß die Stände ſeines Landes und
[281]Ruͤckkehr Johann Friedrichs.
ſeine Söhne nicht ganz abgeneigt waren auf die Verbindung
mit Moritz einzugehn, und er ſelber hat es verhindert. Es
wäre zugleich grauſam und unklug geweſen, einen Mann
von dieſer Geſinnung länger zurückzuhalten. 1 Am erſten
September 1552, dem Tag ſeines Aufbruchs von Augs-
burg, entließ ihn der Kaiſer mit der Erklärung, er habe an
ſeinem Verhalten während der Verſtrickung ein gnädiges Ge-
fallen gehabt: er hoffe auch künftig zu allen Gnaden Ver-
anlaſſung zu haben. Der Fürſt ſchied mit dankbaren Er-
bietungen und ſchlug den Weg nach ſeinem Lande ein.


Von Anfang an zeigte er ſich entſchloſſen, keine Feindſe-
ligkeiten gegen Moritz vorzunehmen. „Geh hin“, ſagte er
einem von denen, die ihm zuerſt glückwünſchend entgegen-
kamen, „und ſage zu Hauſe, daß ich ohne Waffen komme
und keinen Krieg mehr führen will.“


Welch ein Wiederſehen war es, als er in ſeinem Stamm-
land bei Coburg wieder anlangte! Der erſte der ihm ent-
gegenkam, war ſein Bruder Johann Ernſt, der ſeinen Wahl-
ſpruch: ich trau Gott, nun erfüllt ſah. Bald erſchien auch
ſeine Gemahlin mit ihren herangewachſenen Söhnen. Die
Berge und Wälder wurden beſucht, um der lange entbehr-
ten Jagdluſt zu pflegen und die heimathliche Luft wieder
einzuathmen; an den hellen Quellen im Grunde der Forſten
ward das Mittagsmahl eingenommen. Vor den Städten
erſchienen dann weit draußen die Rathsherrn in den ſchwar-
zen Mänteln, ihrer Amtstracht, um den angeſtammten Herrn
[282]Zehntes Buch. Erſtes Capitel.
zu bewillkommen: die Bürger mit ihren Rüſtungen oder in
ihren beſten Kleidern bildeten ein Spalier; auf den Märk-
ten warteten die Geiſtlichen mit der männlichen Jugend auf
der einen Seite, auf der andern die eisgraueſten Bürger mit
den jungen Mädchen, die in fliegenden Haaren mit dem
Rautenkranz erſchienen; die Knaben ſtimmten das Tedeum
lateiniſch an, die jungen Mädchen antworteten mit dem deut-
ſchen: Herr Gott dich loben wir; der Fürſt, der ihrem Ge-
bet ſeine Rückkehr zuſchrieb, zog mit entblößtem Haupte, dan-
kend und gnädig, ſie alle vorüber; — neben ihm ſein Sohn
und Meiſter Lucas Cranach, der aus herzlicher Liebe, die
ihm auch erwiedert ward, die Entbehrungen der Gefangen-
ſchaft freiwillig mit ihm getheilt —; wenn er dann abge-
ſtiegen, brachte ihm wohl ein in die Hoffarbe gekleideter Knabe
aufgeſparte Goldſtücke der Bürgerſchaft in einem künſtlichen
Pokale dar. Johann Friedrich erſchien wie ein Märtyrer
und Heiliger. Als er in Weimar einzog, meinte man ein
langes weißes Kreuz über ihm zu ſehen. 1 Melanchthon —
denn auch aus dem verlornen Lande, von Wittenberg her
verſäumte man nicht ihn zu begrüßen — verglich ihn mit
Daniel unter den Löwen, oder jenen drei gläubigen Iſraeliten
im feurigen Ofen; Gott, der ihm dieſe Seelenſtärke verliehen,
und ihn nunmehr freigemacht, habe dadurch gezeigt, daß er
wahrhaftig Gott ſey, der in dieſem ſterblichen Leben ſich eine
ewige Kirche ſammle, ihr Bitten und Seufzen erhöre. 2


[283]Ruͤckkehr des Landgrafen.

Um dieſelbe Zeit kehrte auch der Landgraf Philipp in
ſein Land zurück. Erſt in dem Augenblick der definitiven
Annahme des Vertrags gab der Kaiſer Befehl zur Befreiung
des Gefangenen; bis dahin hatte derſelbe von dem eigen-
nützigen und übermüthigen Wächter der ihm beigegeben war,
noch manche Mißhandlung auszuſtehn. In Tervueren nahm
er dann von der Königin Maria Abſchied, die ſich aus ſei-
nen Reden überzeugte, daß er nun dem Kaiſer treu bleiben
werde. Als er in Caſſel anlangte, begab er ſich zuerſt in
die Martinskirche, die ſich ſofort mit dem herbeiſtrömenden
Volk erfüllte, und kniete vor dem Denkmal ſeiner indeß ver-
ſtorbenen Gemahlin nieder; ſo verharrte er in Gebet und
Nachdenken und Erinnerung an alle perſönlichen Verwicke-
lungen der Vergangenheit — bis die erſten Töne der Or-
gel den ambroſianiſchen Lobgeſang anhoben.


Wie die gefangenen Fürſten, ſo kehrten auch an vielen
Stellen die verjagten Prediger zurück. Hie und da, wie im
Würtenbergiſchen, ward das Interim durch fürſtliches Edict
abgeſchafft. Der Kaiſer ſelbſt ward bewogen, unter andern
in Augsburg, wo er ſonſt an den Einrichtungen die er getrof-
fen, nicht leicht etwas fallen ließ, neben dem interimiſtiſchen
Dienſt doch auch Prediger zu dulden die ſich zur augsbur-
giſchen Confeſſion hielten. Auch dem Markgrafen Johann
gab er vorläufig beruhigende Verſicherungen. Der religiöſe
Geiſt der Nation athmete wieder auf.


Wir ſehen: ſo unerſchütterlich der Kaiſer auch an den
alten Hauptgrundſätzen feſthielt, ſo konnte er doch in dieſem
Augenblick in ihrer Handhabung nicht mehr fortfahren.


Und war es nicht weiter ein großer Gewinn, daß ſich
[284]Zehntes Buch. Erſtes Capitel.
in den Berathungen der Reichsfürſten in Paſſau jene Über-
zeugung, deren wir gedachten, obwohl ſie dem kaiſerlichen
Gedanken entgegen lief, durchgeſetzt hatte?


Sehr gewiß, daß der Kaiſer, wenn er wieder in vol-
len Beſitz ſeiner Macht kam, derſelben nicht Raum geben
würde: — Moritz zweifelte nicht, er werde, wenn er köune,
auch alles das wieder zurücknehmen was er jetzt zugeſtanden; 1
— allein wie dann, wenn es ihm damit nicht gelang?


Dann ließ ſich wohl nichts anders erwarten, als daß
die in Paſſau von den Vermittlern gefaßten Geſichtspuncte
überwiegen und zur Geltung kommen würden.


Nochmals knüpfte ſich die Entſcheidung über die wich-
tigſten innern Verhältniſſe von Deutſchland an den Aus-
ſchlag der Waffengewalt in dem wiederausgebrochenen euro-
päiſchen Kriege an.


[[285]]

Zweites Capitel.
Franzöſiſch-osmaniſcher Krieg. 1552, 53.


Nach den erſten drückenden Verlegenheiten hatte der Kai-
ſer doch wieder die Mittel gefunden eine bewaffnete Macht
aufzubringen. Wie dort bei Frankfurt, ſo ſammelten ſich
auch bei Ulm und bei Regensburg Reiter und Fußvölker
zu ſeinen Fahnen; 1 deutſche Fürſten traten wieder in Dienſt,
unter andern auch Markgraf Johann, den der Fortgang der
moritziſchen Unternehmungen auf die andre Seite trieb. Über
die Alpen kamen ein paar tauſend Hakenſchützen und einige
Geſchwader neapolitaniſcher Reiter. Eine glänzende Schaar
ſpaniſcher Großen hatte ſich durch die Bedrängniſſe ihres
Königs aufgefordert gefühlt demſelben auch über das Meer,
was nicht ohne Gefahr geſchah, zu Hülfe zu eilen; der Kai-
ſer kehrte nach Insbruck zurück, um ſie daſelbſt zu empfan-
gen. Was aber von allem wohl das Wichtigſte war, der
Prinz Don Philipp, der ſich wieder in Spanien befand, er-
füllte das Verſprechen das er vor ſechs Jahren gegeben:
[286]Zehntes Buch. Zweites Capitel.
er wußte eine Million Ducaten zuſammenzubringen und über-
ſchickte ſie ſeinem Vater. 1


In Kurzem ſah der Kaiſer wieder ein Heer um ſich,
wie das, was er damals gegen die Proteſtanten geführt;
und um ſo erklärlicher iſt es, wenn ihm der Gedanke auf-
ſtieg, ſein Glück aufs neue in Deutſchland zu verſuchen.


Der Unterſchied war nur, daß er damals Friede mit
den Osmanen und den Franzoſen gehabt hatte, von dieſen
aber jetzt mit aller Macht angegriffen war. Was hätte,
wenn er den Krieg in Deutſchland fortſetzen wollte, anders
erfolgen ſollen, als daß ſich die Einen Ungarns, die Andern
der Niederlande bemächtigt hätten. Schon ließ Königin Ma-
ria ihren Bruder wiſſen, ſie getraue ſich nicht, die Nieder-
lande den Winter über zu vertheidigen.


Beſſer war es doch, im Reiche den Frieden eintreten zu laſ-
ſen und die Waffen gegen die auswärtigen Feinde zu richten.


Die beiden Heere, welche bereit geſchienen ſich mit ein-
ander zu meſſen, zogen es vor, nun von den beiden Fein-
den jedes den einen auf ſich zu nehmen.


Der Kaiſer wandte ſich gegen Frankreich. Am 19ten
September machte er der Stadt Straßburg ſeinen Beſuch,
der er für die gute Haltung dankte, welche ſie bei dem Ein-
fall der Franzoſen in den Elſaß bewieſen hatte. Während er
im Münſter eine Andacht hielt, zog ſein Heer an den Mauern
der Stadt vorüber.


Einige gaben ihm den Rath, wie früher, in das Innere
von Frankreich vorzudringen, was den König, deſſen Heer ſchon
nicht mehr recht in Stande war, in die größte Verlegenheit
[287]Belagerung von Metz.
bringen und vielleicht zu einem Frieden wie der von Creſpy
nöthigen könne. Der ſtolze Kaiſer aber konnte vor allem nicht
ertragen, daß eine Reichsſtadt von den Franzoſen bei ſeiner
Regierung ſollte in Beſitz genommen ſeyn. Auch meinte er
wohl durch die Eroberung derſelben die Sicherheit der Nieder-
lande zu vermehren. Der Herzog von Alba, der in dieſen An-
gelegenheiten das große Wort führte, verſicherte, daß es trotz
der vorgerückten Jahreszeit noch möglich ſeyn werde. Am
19ten October erſchienen die kaiſerlichen Truppen vor Metz.


Sehr beſchwerlich hätte ihm Markgraf Albrecht werden
können, der ſich an der Spitze von 10000 M. nach Loth-
ringen geworfen hatte; ohne viel Zeitverluſt aber gelang es
dem Kaiſer, — wir werden von den Bedingungen unter
denen es geſchah und den Ereigniſſen die ſich daran knüpf-
ten bald ausführlicher zu handeln haben, — den Markgra-
fen auf ſeine Seite zu ziehen.


Und ſo konnte er ſeine verſtärkte Macht unzerſtreut auf
die Belagerung wenden, von der man fühlte daß ſie noch
über mehr, als über die Zukunft dieſer Reichsſtadt ent-
ſcheide. Der florentiniſche Geſandte ſpricht die Überzeugung
aus, wenn es dem Kaiſer gelinge, ſo werde er auch alle an-
dern Feindſeligkeiten ſeiner Gegner überwinden und auf kein
Hinderniß ſtoßen, wohin er ſich auch wende.


Nur langſam jedoch ſchritt die Belagerung vorwärts.
„Schon liegen ſie mehrere Wochen vor Metz,“ ſchreibt der
König von Frankreich am 28ſten Nov. an ſeinen Verbün-
deten, den Sultan, „doch haben ſie noch nichts Ernſtliches
unternommen. Sollten ſie es noch thun, ſo haben wir
darin unſern Vetter, den Herzog von Guiſe, mit mehr als
[288]Zehntes Buch. Zweites Capitel.
10000 Mann, die ſich nicht ſo leicht werden überwältigen
laſſen; im Frühjahr ſind wir entſchloſſen ſie wieder aufzuſu-
chen: bis dahin werden ſie durch die Jahreszeit und die häu-
figen Regengüſſe welche ſchon angefangen haben, zu Grunde ge-
richtet ſeyn.“ — Eben in dieſen Tagen aber hatte der ernſtliche
Angriff begonnen. Ein Theil der Laufgräben war gezogen;
die Batterien waren errichtet, der Kaiſer, von ſeiner Krank-
heit wieder einmal frei geworden, hatte in einem benachbar-
ten halbzerſtörten Schloß Wohnung genommen; das Fuß-
volk war gutes Muthes, und zeigte ſich bereit zum Sturm,
wenn man ihm nur eine hinreichende Lücke eröffne. Hierauf
begann die große Batterie von 25 oder 26 Kanonen ihr
Feuer, das ſie ſehr lebhaft unterhielt; am 29ſten November
ſtürzte in der That ein Theil der Mauer auf der Südſeite
der Stadt, zwiſchen zwei großen Thürmen, zwanzig Schuh
breit zuſammen: ein lautes Freudengeſchrei erſcholl und al-
les lobte den Geſchützmeiſter des Kaiſers, Johann Man-
rique: — allein als der Staub ſich gelegt und man die
Breſche genauer anſah, ſo zeigte ſich hinter derſelben eine
neue, ſchon ein paar Fuß erhöhte Bruſtwehr, von Fahnen
und Standarten überweht, mit Hakenſchützen dicht beſetzt;
alles erſchien in ſolchem Stand, daß kein Menſch zu dem
Sturme Luſt behielt. Man mußte fürs Erſte die Laufgräben
weiter fortführen. In den Berichten die an den brandenbur-
giſchen Hof kamen, iſt von einem Verſuch die Rede, die
Mauern, ja den Platz auf welchem ſich die Feinde in Schlacht-
ordnung zu ſtellen pflegten, zu untergraben und in die Luft
zu ſprengen; allein nur des Gedankens wird Erwähnung ge-
1
[289]Belagerung von Metz.
than, keines Verſuches. 1 Überhaupt iſt die Geſchichte der
Belagerung, die wir Tag für Tag aufgezeichnet finden, ſehr
einförmig. Zu Angriffen welche Hofnung auf Erfolg gege-
ben hätten, kam es nicht mehr. Die naßkalte Witterung,
die ſchon den Deutſchen ſehr beſchwerlich fiel, wie wir von
einem großen Theil der brandenburgiſchen Reiter, welche der
Belagerung beiwohnten, die Meldung finden, daß ſie er-
krankt ſeyen, war den Italienern und Spaniern vollends
verderblich. 2 Man behauptet, daß von den Spaniern ein
Drittheil, von den Italienern die Hälfte umgekommen ſey.
Die Vorherſagungen Heinrichs II bewährten ſich nur allzu
gut: Anfang Januar 1553 mußte die Belagerung aufge-
hoben werden.


Die Franzoſen prieſen den glücklichen Vertheidiger Guiſe,
der wirklich eben ſo viel Muth wie Umſicht an den Tag gelegt
hat, als einen Helden: wir haben Denkmünzen, auf denen
ihm dafür die Krone Jeruſalem — denn von den Königen
dieſes Reiches leitete ſein Haus ſich her — zugeſagt wird.
Auf der kaiſerlichen Seite ergoß ſich alles in Tadel gegen
den Herzog von Alba, der durch die Hartnäckigkeit, mit der
er ſich zu ungünſtiger Zeit an eine ſo zweifelhafte Unterneh-
mung gewagt, das ſchönſte Heer ohne allen Nutzen zu
Grunde gerichtet habe. 3 Einſt in dem deutſchen Feldzug,
Ranke D. Geſch. V. 19
[290]Zehntes Buch. Zweites Capitel.
wo der Kaiſer ſelbſt das Meiſte gethan und von allen Sei-
ten guter Rath ertheilt worden, habe Alba leicht ein großer
Mann ſeyn können: hier aber, wo guter Rath von Anfang
an verachtet worden und der Kaiſer perſönlich weniger ein-
gegriffen, habe er bewieſen, daß es ihm an wahrem Ta-
lente gebreche.


Und nun erſt wurde Metz recht franzöſiſch. Gegen
Oſtern 1553 forderte der Biſchof-Cardinal die Macht in
weltlichen ſo wie geiſtlichen Dingen. Die Dreizehn antworte-
ten, in geiſtlichen Dingen ſey er allerdings ihre Obrigkeit,
auch ſtehe ihm einige Befugniß in weltlichen zu, jedoch mit
Vorbehalt der höchſten Gewalt, die Dem gehöre, welchem ſie
von den Ständen des römiſchen Reiches deutſcher Nation zu-
erkannt werde: ſie wagten den Kaiſer nicht zu nennen. Der
Cardinal antwortete, er wolle nichts weiter als die alte Gerech-
tigkeit ſeines Stiftes erneuern, und ließ die Gemeinden der
verſchiedenen Pfarren zuſammenberufen, um ihm eine An-
zahl Namen zu bezeichnen, aus denen er das Regiment der
Stadt ernennen könne. 1 An jenen Gegenſatz des Rathes
[291]Feldzug in Ungarn.
und der biſchöflichen Macht hatten ſich einſt die Regungen
der Reform geknüpft; wären ſie durchgedrungen, ſo hätten
ſie auch die Mittel und den Eifer des Widerſtandes ver-
mehrt, und alles müßte anders gegangen ſeyn. Der Herzog,
der die Stadt gegen den Kaiſer vertheidigt hat, iſt derſelbe,
der einſt die Verſammlung in Gorze zerſtörte; jetzt ließ er
alle lutheriſchen Bücher auf einen Haufen bringen und ver-
brennen. Die Entfremdung der Stadt vom Reich und die
völlige Unterdrückung der reformatoriſchen Regungen giengen
Hand in Hand.


Wie Carl V gegen Frankreich, ſo hatte ſich Churfürſt
Moritz nach Ungarn gewendet.


Hier war, wie oben berührt, der Feldzug bereits im
März 1552 vom Sandſchak von Ofen, Ali, einem Eunu-
chen, eröffnet worden. Vor Szegedin hatte er die rothe
Fahne erbeutet, auf der der kaiſerliche Adler mit ausgebrei-
teten Flügeln erſchien; dann hatte er Veſprim und mehrere
Bergſtädte eingenommen; den Anführer der aus den Erblan-
den zu eilender Hülfe aufgebrachten Mannſchaften, Erasmus
Teufel, Freiherrn zu Gundersdorf, nahm er gefangen und führte
ihn bei ſeiner Rückkehr nach Ofen förmlich in Triumph auf. 1


Und dieſen einheimiſchen osmaniſchen Streitkräften zur
Unterſtützung erſchien nun ſchon im Mai der Weſir Ahmed
mit dem aſiatiſchen Heere und den Reiterſchaaren die der
Beglerbeg von Rumili ihm zuführte, an der Donau. Die
19*
[292]Zehntes Buch. Zweites Capitel.
vor dem Jahr abgeſchlagene Belagerung von Temeswar
ward wieder aufgenommen, und auf die türkiſche Weiſe un-
ter ungeheuren Verluſten, deren man nicht achtete, gegen ei-
nen überaus tapfern, aber dieſer Macht nicht gewachſenen
Feind zu Ende geführt. Die andern Schlöſſer des Banats
folgten nach, und die türkiſchen Einrichtungen begannen, 1 die
ſich bis zum Jahr 1716 daſelbſt gehalten haben.


Es war nicht größere Tapferkeit was den Osmanen
ihre Vortheile verſchaffte, ſondern nur die Überlegenheit der
Anzahl und der Vorbereitung: die Anführer die ihnen wider-
ſtehn ſollten, bemerkten es mit tiefem Gram.


„Wie glücklich waren die alten Römer,“ ruft Caſtaldo
aus, „die mit zahlreichen wohlverſehenen Heeren, ſo und ſo
viel Legionen und Veteranen nach den entlegenen Provinzen
zogen: ich bin in dieſes Land gekommen, ohne etwas an-
ders ſagen zu können, als: ich bin ein Befehlshaber des Kai-
ſers.“ Er klagt, daß alles wider ihn ſey was für ihn ſeyn
ſollte, daß ſein Volk ſeit 7 Monat keinen Pfennig Sold
empfangen; er erblickt im Geiſt ſeinen Kopf ſchon auf ſo
einem Wagen, wie er ihn eben mit vielen abgeſchlagenen
Schädeln vorbeifahren ſieht. 2


Ganz ſo unglücklich gieng es jedoch nicht.


Nachdem die feſteſten wohlverwahrteſten Plätze gefallen,
hielt ſich ein kleinerer, dem man es nicht hätte zutrauen ſol-
len, Erlau; eine nur geringe Anzahl Landvolk aus der Zips,
das die Beſatzung ausmachte, wies unter Stephan Dobo,
der ſeinen Namen hier berühmt machte, wie Juriſchiz, die
[293]Feldzug in Ungarn.
Anfälle der vereinigten türkiſchen Heere zurück: drei große
Stürme beſtand es ſiegreich.


Und indeß langte Churfürſt Moritz mit 5000 M. z. F.,
6000 z. Pf. bei Raab an. Es ſcheint als habe ihm Fer-
dinand doch nicht ganz getraut und wenigſtens ſein Vor-
rücken nicht gewünſcht. 1 Aber ſchon die Nähe einer fri-
ſchen Heeresmacht, unter einem Fürſten der als ein glück-
licher Kriegsmann bekannt war, machte einen gewiſſen Ein-
druck bei den Osmanen. 2 Seine Anweſenheit, die Tapfer-
keit der Beſatzung und die erſten Zeichen des herannahen-
den Winters wirkten zuſammen, um die Osmanen zur Auf-
hebung der Belagerung von Erlau zu vermögen.


Die erlittenen Verluſte herbeizubringen, war ſeine Macht
überhaupt nicht fähig; dazu aber, daß den türkiſchen Fort-
ſchritten Einhalt geſchah und die Grenzen befeſtigt wurden,
hat er allerdings beigetragen.


War es aber nicht auch am meiſten eben ſeine Schuld,
daß dieſe Verluſte überhaupt erlitten worden ſind?


Ich bin weit entfernt ihn rechtfertigen zu wollen, aber
ich denke doch, dieß war bei weitem nicht ſo entſchieden der
Fall wie man meint. Eben ſo viel Schuld wie Moritz und
im Grunde noch größere hatte der Kaiſer, der von ſeinen
conciliaren Abſichten ganz erfüllt und hingenommen den aus-
[294]Zehntes Buch. Zweites Capitel.
wärtigen Verhältniſſen nur geringe Aufmerkſamkeit widmete.
Obwohl der Krieg mit den beiden Widerſachern ſchon aus-
gebrochen war, hatte er doch verſäumt, die weſtlichen Mar-
ken des Reiches in Vertheidigungsſtand zu ſetzen, und ſeinen
Bruder gegen einen Einfall in Ungarn zu ſichern.


Kriegsheere des Kaiſers oder des Königs ſind von den
Proteſtanten keinen Augenblick beſchäftigt worden.


Fern von ihrer Einwirkung, in Italien, gerieth der Kai-
ſer in ähnliche Nachtheile.


Die italieniſchen Verhältniſſe haben in ſo weit eine ge-
wiſſe Ähnlichkeit mit den deutſchen, als der andauernde ſtille
Druck, mit dem auch dort die kaiſerliche Oberherrſchaft aus-
geübt ward, eben ſo wohl einen geheimen Widerſtand erweckte,
der nur den geeigneten Augenblick erwartete um loszubrechen.


Wie die Farneſen Piacenza verloren, ſo waren die Ap-
piani in Gefahr, Piombino und Elba an Herzog Coſimo
abtreten zu müſſen. Dagegen erwarteten deſſen Feinde, die
florentiniſchen Ausgewanderten, zu einem Theil in Venedig,
zum andern in Frankreich aufgenommen, in Kurzem den Tag
ihrer Rückkehr zu erleben. In Mailand entdeckte Ferdinand
Gonzaga mehr als einmal verrätheriſche Verſuche, die er dann
mit ſcharfer, aber aufreizender Überwachung erwiederte. In
Genua ſuchte Luigi Alamanni, der in einem großen Helden-
gedicht franzöſiſche Tendenzen und Namen verherrlichte, auch
einmal die Anhänger Frankreichs zu vereinigen. In Neapel
entzweite ſich das Oberhaupt des einheimiſchen Herrenſtandes,
Fürſt Ferrante von Salerno, mit dem Vicekönig: und da er
glaubte, man ſtehe ihm nach dem Leben, ſo verließ er das
Land: nicht ohne den Gedanken, mit Gewalt zurückzukehren.


[295]Stillſtand in Italien.

Und dazu kam noch, daß unter Denen, welche die ita-
lieniſchen Geſchäfte im Namen des Kaiſers verwalteten,
Zwieſpalt ausbrach. Gonzaga in Mailand und Mendoza zu
Rom ſtanden mit dem Vicekönig von Neapel und dem Her-
zog Coſimo von Florenz in ganz offener Feindſchaft. Daß
die ihm zugeſagte Überlieferung von Piombino ſich ſo lange
verzögerte, ſchrieb Herzog Coſimo allein den beiden Gegnern,
beſonders dem Botſchafter in Rom, zu.


Unter dieſen Umſtänden können wir uns ſo ſehr nicht
wundern, daß die Belagerung von Mirandula und Parma
nicht zum Ziele führte. Papſt Julius klagt, er habe ſich
bis auf die Gebeine beraubt, er habe die Ringe verpfändet
die er ſonſt täglich an ſeinen Fingern getragen; der Unruhe
welche der Krieg ihm machte, müde, ſchloß er im April
1552 einen Stillſtand mit den Franzoſen, in welchem dieſe
verſprachen, weder kaiſerliches noch kirchliches Gebiet von
dieſen Plätzen aus feindlich zu behandeln. 1 Nach einigem
Bedacht nahm auch der Kaiſer dieſen Stillſtand an.


„Sehr rühmlich für mich,“ ruft Heinrich II aus, „ſehr
ſchimpflich für ihn, daß ich mitten in den Ländern des kai-
ſerlichen Gehorſams, ferne von den meinen, zwei feſte Plätze
behauptet habe!“ 2


Und nothwendig mußte das nun auf die ganze Halb-
inſel die größte Rückwirkung haben.


Im Kirchenſtaat erſchienen jetzt die Farneſen, Paolo
Orſino wieder; der Graf von Pitigliano, von dem Mendoza
dem Kaiſer geſagt daß er ſeiner ganz ſicher ſey, erklärte ſich
für die Franzoſen.


[296]Zehntes Buch. Zweites Capitel.

Vor allem gährte es in Siena. Von jeher gibelliniſch
und kaiſerlich geſinnt, wollte doch dieſe Stadt ſich die un-
mittelbare Herrſchaft nicht gefallen laſſen, die der Kaiſer aus-
zuüben unternahm. Schon ein paar Mal hatte ſie ſich der-
ſelben zu entziehen geſucht, aber den erſten Verſuch hatte
ſie durch die Aufnahme einer Beſatzung, den zweiten durch
Ablieferung aller Waffen gebüßt. Dann hatte Mendoza eine
Feſtung daſelbſt aufgeführt. Die Wölfin, das altrömiſche
Abzeichen der Stadt, fand man eines Tages in Ketten ge-
legt. Es läßt ſich wohl nicht bezweifeln, daß der Kaiſer die
Abſicht hatte eine feſte Regierung einzuführen und die Stadt
zum Sitz eines Reichsvicariats zu machen. 1 Aber um ſo ge-
waltiger brauſte der alte Geiſt republicaniſcher Unabhängig-
keit in Reden und Entwürfen: es bedurfte nichts als der An-
näherung einiger Ausgewanderten und Franzoſen und des al-
ten Rufes zur Freiheit, ſo erhob ſich die ganze Bevölkerung;
die Spanier, welche darauf nicht vorbereitet waren, konnten
ihr Caſtell nicht behaupten und wurden verjagt; die Stadt
nahm einen franzöſiſchen Botſchafter auf und rief den Kö-
nig von Frankreich zu Hülfe. Cardinal Tournon verſichert
dem König, Siena gehöre ihm mehr an als wenn er Herr
davon wäre, und biete ihm nun die beſte Gelegenheit dar,
zur Unternehmung von Neapel zu ſchreiten, oder zu jeder an-
dern die ihm gefalle. 2


Mit einiger Hülfe des Herzogs Coſimo von Florenz,
der zwar von einer Feſtſetzung der Franzoſen in Toscana,
[297]Angriff auf Neapel und Corſica.
an die ſich alle ſeine Feinde hielten, beſonders die Strozzi,
kein Heil erwartete, aber ſie eben darum weil ſie ihm ſo ge-
fährlich waren, mit größter Vorſicht behandelte, brachte im
Januar 1553 Don Garcia de Toledo ein kleines Heer zuſam-
men, das dann auch einige Thäler beſetzte, einige Bergfeſten
einnahm, allein im Ganzen doch nichts Entſcheidendes voll-
zog, vor Montalcino gänzlich ſcheiterte.


Und in dieſem Augenblick traten noch größere Gefah-
ren ein. Es liegt wohl ſehr in der Natur der Sache, daß
die beiden großen Gegner des Kaiſers ſich endlich auch zu
einer gemeinſchaftlichen Unternehmung gegen denſelben ver-
einigten. Schon im Jahr 1552 war eine Verbindung der
Flotten beabſichtigt, doch erſchienen die Franzoſen nicht zur
gehörigen Zeit. Deſto pünctlicher zeigten ſie ſich im Jahre
1553. Schon in den griechiſchen Gewäſſern trafen die fran-
zöſiſchen Galeeren unter de la Garde mit den Osmanen zu-
ſammen, denen Suleiman ſtatt jeder weiteren Anweiſung den
Befehl gegeben, alles zu vertilgen was ſich dem König von
Frankreich widerſetze.


Zuerſt richteten ſie ihre Angriffe gegen Neapel. Der
Fürſt von Salerno war für den Fortgang des Unternehmens
vielleicht eher hinderlich, indem er ſeine Freunde gegen die
Gewaltthaten der Osmanen in Schutz nahm. 1 Aber ſo viel
ward doch immer bewirkt, daß Don Garcia zur Vertheidi-
gung von Neapel abberufen und Siena dadurch für dieß
Mal ernſtlicherer Feindſeligkeiten überhoben ward. Dann
aber lenkten die Flotten ihren Lauf nach den toscaniſchen
Gewäſſern. Auch hier ſahen es die Osmanen auf Raub
[298]Zehntes Buch. Zweites Capitel.
und Plünderung ab, die Franzoſen auf Eroberung. Bei die-
ſem Zuge hat Dragut das fruchtbare Pianoſa wüſte gelegt,
ſo daß es ſich niemals wieder hat erholen können. Dage-
gen machten die Franzoſen einen erſten glücklichen Anfall auf
Corſica Sie riefen die Widerſetzlichkeit der Eingebornen ge-
gen Genua auf und nahmen beinahe die ganze Inſel ein. Dem
Papſt, der ſich darüber beſchwerte, antwortete der König, er
könne die Genueſer, von denen dem Kaiſer zu Land und zur
See Vorſchub geleiſtet werde, nur als Feinde ſeiner Krone
betrachten. 1 Im Beſitze der Provence, Corſicas und Porter-
cole’s, und dadurch Herr des Meeres, ward er ihnen ſelbſt
in hohem Grade gefährlich.


Zwar war mit alle dem noch nichts entſchieden. Der
Kaiſer hatte noch allenthalben dem Angriff auch ſtarke
Kräfte der Vertheidigung entgegenzuſetzen. Aber ein gewiſ-
ſes Schwanken kam damit doch wieder in die allgemeinen
Verhältniſſe, die bereits befeſtigt geſchienen hatten. So nütz-
lich es dem Kaiſer geworden wäre, wenn er Metz erobert
hätte, ſo ſehr mußte nun alle dieſes Mißlingen und Ver-
lieren ſein Anſehen ſchwächen, ſo gut in Deutſchland wie
anderwärts.


Überdieß aber nahmen die Dinge in Deutſchland durch
die Verbindung, in welche der Kaiſer mit Markgraf Albrecht
getreten war, eine höchſt eigenthümliche Geſtalt an.


[[299]]

Drittes Capitel.
Der Krieg zwiſchen Markgraf Albrecht und Chur-
fürſt Moritz im Jahr 1553.


Vergegenwärtigen wir uns vor allem das ein wenig
verwickelte Verhältniß des Markgrafen Albrecht überhaupt.


Er war nicht eigentlich ein Mitglied des im J. 1552
zwiſchen den deutſchen Fürſten und der franzöſiſchen Krone
gegen den Kaiſer geſchloſſenen Bündniſſes. Er ſagt, er habe
den Fürſten ſeine Hülfe zugeſagt: gleichwohl unverpflichtet.
Er leugnet, daß die Regimenter die er führte, in franzöſiſchen
Dienſten geſtanden: „keinem Herrn unter der Sonne haben
ſie geſchworen, als uns.“


Wie lebhaft er auch die allgemeinen Intereſſen umfaßte,
ſo war doch ſein Sinn, bei dem aufgehenden Kriegsfeuer
zugleich für ſich ſelbſt zu ſorgen. Von Schulden bedrängt,
welche durch ſeine Unternehmungen im Dienſte des Kaiſers
nur noch immer gewachſen, ohne Hofnung zu den Beloh-
nungen zu gelangen, die man ihm verſprochen hatte, faßte
er den Gedanken ſich an ſeinen Nachbarn, den geiſtlichen
Fürſten, mit denen er in altem Hader lag, und der Reichs-
ſtadt Nürnberg ſchadlos zu halten.


[300]Zehntes Buch. Drittes Capitel.

Bei den erſten Bewegungen ſprach man allgemein von
einer Eroberung und neuen Austheilung der Bisthümer. Der
gute Melanchthon warnte ſeinen Fürſten, ſich nicht einer Un-
ternehmung anzuſchließen, die dahin ziele, die ordentliche Ho-
heit und das gefaßte Reich umzuwerfen und eine allgemeine
Verwirrung anzurichten. 1


Moritz war viel zu bedachtſam und practiſch, um auf
Gedanken dieſer Art ernſtlich einzugehn: es war ihm genug,
ſich nicht durch entgegengeſetzte Verpflichtungen zu feſſeln.
Dem Markgrafen gab er im Einverſtändniß mit den übri-
gen Verbündeten die Zuſicherung, was er von ſolchen Stän-
den, die ſich dem Unternehmen nicht zugeſellen würden, durch
Brandſchatzung oder auf eine andre Art erlange, das ſolle
ihm und ſeinem Kriegsvolk zu Gute kommen.


Markgraf Albrecht ſah darin eine Art von Berechtigung,
und ſäumte nicht dieſelbe unverzüglich gegen die widerwär-
tigen und unvorbereiteten Nachbarn geltend zu machen.


Zuerſt griff er, und zwar mit erneuerter Bewilligung des
Bundes, den Biſchof von Bamberg an, und zwang ihn ein
volles Drittheil ſeines Stiftes gleich in förmlichem Vertrag
abzutreten. Mit Mühe konnte der Biſchof ſeine Heimath
Cronach retten. 2 Der Biſchof von Würzburg mußte ſich
nicht minder zu einigen Abtretungen verſtehn und beſonders
einen guten Theil der markgräflichen Schulden übernehmen.
Daß Nürnberg ſich durch eine Zahlung an die übrigen Für-
[301]Markgraf Albrechts Kriegszuͤge.
ſten ſicher zu ſtellen ſuchte, konnte auf Albrecht keinen Ein-
druck hervorbringen. Laut der ihm gewordenen Zuſicherung
forderte Albrecht, daß ſich die Stadt entweder dem Unter-
nehmen beigeſellen oder ihm eine große Brandſchatzung ge-
ben ſolle: er nöthigte ſie ihm 200000 G. zu zahlen.


„Wo er hinzieht,“ ſagte Moritz einſt zu Zaſius, „da
iſt es als ob ein Wetter dahergienge.“ „Ja wohl,“ ver-
ſetzte Dieſer, „Donner und Blitz und wildes Feuer könnten
nicht erſchrecklicher ſeyn.“ Es ſchien nicht, als ob das dem
Churfürſten mißfiele: er lachte.


Und ſehr entſchloſſen war Albrecht, was er dergeſtalt
gewonnen zu behaupten.


Nur um dieſen Preis wollte er ſich der Paſſauer Pa-
cification anſchließen. Er forderte Beſtätigung der von ihm
mit den beiden Biſchöfen und der Stadt aufgerichteten Ver-
träge: 1 mit den Eroberungen die er gemacht wollte er be-
lehnt werden.


Wir ſehen hier erſt, was jene von Moritz bei den Ver-
handlungen vorgeſchlagene Beſchränkung der Anſprüche auf
den damals eingetretenen Beſitzſtand zu bedeuten hatte. Wenn
[302]Zehntes Buch. Drittes Capitel.
er dieſe Clauſel endlich fallen ließ und den Vertrag ohne
ſolche unterſchrieb, ſo ſah Markgraf Albrecht darin eine
Treuloſigkeit; er hielt ſich für berechtigt ſeinen Krieg al-
lein fortzuſetzen. Nachdem er noch einmal ſeine Leuchtku-
geln über Sachſenhauſen aufſteigen laſſen, ſtürzte er ſich auf
die Bisthümer am Rhein. Nur mit einer ſchweren Con-
tribution erkaufte der Biſchof von Worms die Erlaubniß
auf ſeinen Sitz zurückzukehren. Der Erzbiſchof von Mainz
verſenkte ſein ſchweres Geſchütz, um es dem Feinde zu ent-
ziehen, in den Rhein und verließ ſeine Hauptſtadt; dafür
giengen ſeine Palläſte in Feuer auf. Da der Erzbiſchof von
Trier die Anmuthung ablehnte dem Markgrafen die Rhein-
und Moſelpäſſe einzuräumen, vielmehr an den wichtigſten
derſelben ſeine Befeſtigungen in Stand ſetzte, ſo überſtieg
Albrecht den Hundsrück und erſchien am 25ſten Auguſt vor
Trier. Der Rath der Stadt kam ihm entgegen und über-
reichte ihm die Schlüſſel ſeiner Stadtthore, was er nie ei-
nem ſeiner Fürſten gethan; dafür ward bei Todesſtrafe ver-
boten die Bürger zu beſchädigen. Dagegen wurden die Klö-
ſter und Stifte großentheils geplündert: man wunderte ſich,
daß die Leute das Blei der Dächer zurückließen. Es ſcheint
nicht als habe ihm dieß viele Feinde gemacht. Mit der Wie-
derherſtellung der geiſtlichen Macht war auch der Haß ge-
gen ſie erneuert worden. Wir finden wohl, daß jetzt wie
vor 30 Jahren ein päpſtlicher Nuntius auch unter ſonſt fried-
lichen Verhältniſſen nicht zu Land nach den Niederlanden zu
reiſen, ja ſelbſt nicht am Ufer auszuſteigen wagte, etwa um
einen Fürſten zu begrüßen; ſeiner Begleitung auf dem Schiff
ward eingeſchärft das tiefſte Geheimniß zu beobachten. 1


[303]Albrecht in Verbindung mit dem Kaiſer.

An der Spitze von 10000 Mann und von einem Theile
der Bevölkerung unterſtützt, nahm der Markgraf eine ſehr
bedeutende Stellung ein.


Mußte der Kaiſer, der jetzt auch des Weges daher zog,
um zur Belagerung von Metz zu ſchreiten, nicht vor al-
len Dingen den Verſuch machen ſich des Widerſtandes zu
entledigen, den ihm ein deutſches Heer unter der Anführung
eines deutſchen Reichsfürſten zu leiſten drohte?


Es kam ihm zu Statten, daß Albrecht, der ſich zu füh-
len anfieng, ſich nicht lange mit den Franzoſen verſtand.


Albrecht verſichert, man habe ihm früher verſprochen,
ihn zum Generaloberſten aller Landsknechthaufen zu ma-
chen, und ihm außer einer ſtattlichen Unterhaltung für die
nächſten zwei Monat 200000 Kronen zu zahlen, und habe
ihm dann von alle dem nichts gehalten. 1 Aus dem Brief-
wechſel in den er mit dem Connetable trat, leuchtet der in-
nere Widerſpruch hervor, der darin liegt, daß Albrecht in
Dienſten von Frankreich ſtehn und doch die Würde eines
Reichsfürſten behaupten wollte. Den Antrag den man ihm
zuletzt machte, daß er mit 100000 Kronen zufrieden ſeyn
und dafür mit ſeinem Haufen auf vorgeſchriebenem Weg
nach den Niederlanden vorrücken und dieſe angreifen ſolle,
fand er unannehmbar, und wies ihn zurück.


Dagegen bot ihm nun der Kaiſer nicht allein Dienſte
an, bei denen er als Fürſt beſtehn, Ehre und Geld erwer-
ben konnte, ſondern Carl V hatte ihm einen Preis zu bieten,
dem von franzöſiſcher Seite nichts an die Seite geſtellt wer-
[304]Zehntes Buch. Drittes Capitel.
den konnte: die Anerkennung und Beſtätigung jener mit den
Biſchöfen geſchloſſenen Verträge.


Schon öfter haben wir geſehen, wozu der Kaiſer, wenn-
gleich nicht ohne tieferen Vorbehalt, doch für den Augen-
blick, in dringenden Umſtänden zu bringen war; was er al-
les einſt den Proteſtanten bewilligte, um ſie von Cleve zu
trennen; wie er, im Begriff zur Erhaltung der hierarchiſchen
Ordnungen das Schwert zu ergreifen, dennoch dem Churfür-
ſten Moritz den Schutz über ein paar große Reichsſtifter
anvertraute: von allem aber was er gethan hat, wohl das
Stärkſte, iſt das Zugeſtändniß das er jetzt dem Markgra-
fen machte. Die Verträge waren eben Denen abgezwungen
welche man für ſeine Anhänger hielt, und allein auf den
Grund, daß ſie ſich ſeinen Feinden nicht zugeſellen wollten;
er hatte ſie ſelbſt für ungültig erklärt, und ſie waren bereits
von den frühern Verbündeten des Markgrafen aufgegeben
worden: jetzt beſtätigte er ſie, und ſetzte feſt, daß ſie „voll-
kommen, ganz und gar, ohne alle Ein- und Widerrede zu
vollziehen ſeyen.“ 1


Dem Markgrafen glückte es noch einen franzöſiſchen
Prinzen, Herzog von Aumale, der ihn feindſelig beobach-
tete und ihm ſeine Hauptleute abtrünnig zu machen ſuchte,
mit ſeiner Reiterei zur günſtigen Stunde zu überraſchen und
ſogar zum Gefangenen zu machen. Dann im Glanze ei-
nes neuen Sieges ſtellte er ſich dem Kaiſer dar, der ihn
[305]Markgraf Albrecht im Bunde mit dem Kaiſer.
mit Freuden empfieng und ihm ſelber die rothe Feldbinde
darreichte. Man wollte bemerken, daß der Markgraf den
Kaiſer dabei feſt ins Auge gefaßt habe, ob er auch der neuen
Freundſchaft und Zuſage trauen könne.


Was der Kaiſer zunächſt beabſichtigte, erreichte er hier-
mit allerdings. Er konnte nun ſeine Belagerung fortſetzen,
ohne Gefahr darin geſtört zu werden. Sie mißlang, wie
wir wiſſen, hauptſächlich durch die Ungunſt der Jahreszeit.
Albrecht erwarb ſich das Verdienſt den Rückzug zu decken.


Mit jenem Zugeſtändniß hatte nun aber Carl den
Grund zu einer Bewegung gelegt, die ſehr weitausſehend
werden mußte.


Er hat immer geſagt, ſein vornehmſtes Motiv ſey die
Beſorgniß geweſen, daß Markgraf Albrecht und Graf Vol-
radt, mit Heinrich II verbündet und beide an der Spitze
zahlreicher Truppenſchaaren, Deutſchland noch weiter in Un-
ruhe ſetzen und das Verderben aller geiſtlichen Staaten her-
beiführen würden. 1 Und wer möchte nicht an die Wahr-
haftigkeit dieſes Beweggrundes glauben? Er befand ſich in
der unbezweifelten Nothwendigkeit, die mächtigen Kriegshäup-
ter von den Franzoſen zu trennen. Damals hat man all-
gemein geglaubt, Carl habe in dem kriegsbereiten Markgra-
fen einen Bundesgenoſſen zur Ausführung ſeiner alten Ab-
ſichten zu gewinnen gedacht: König Maximilian hat dem
venezianiſchen Geſandten geſagt, Markgraf Albrecht ſey ge-
Ranke D. Geſch. V. 20
[306]Zehntes Buch. Drittes Capitel.
gen ihn und ſeinen Vater aufgeſtellt worden, um ſie zu nö-
thigen ſich in die Arme des Kaiſers zu werfen. 1


Das iſt eine nicht zu bezweifelnde Thatſache, daß der Kai-
ſer ſeine Succeſſionsentwürfe nach wie vor im Auge behielt.


Neujahr 1553 ließ er dieſelben bei dem Churfürſten
von Brandenburg durch deſſen Bruder Markgraf Hans noch
einmal ausführlich in Anregung bringen. In der Inſtruction
hiezu werden die früher vorgekommenen Gründe wiederholt,
beſonders der vornehmſte, daß dem römiſchen König nach
des Kaiſers Abgang zur Aufrechterhaltung des Reiches die
Hülfe des ſpaniſchen Prinzen nicht allein förderlich, ſondern
unentbehrlich ſey, dieſer aber ſich nicht dazu werde verpflich-
ten wollen, wenn er nicht die Verſicherung erhalte, zu ſeiner
Zeit ſelbſt zur römiſchen Krone zu gelangen. Der Antrag
bezog ſich dieß Mal nicht, wie früher, zugleich auf König Ma-
ximilian: er gieng nur darauf, daß die Churfürſten ſich ver-
ſchreiben ſollen, ſobald der römiſche König zum Kaiſer ge-
krönt ſey, den Prinzen ohne Verzug zum römiſchen König zu
wählen; man möge ihm, dem Kaiſer, in ſeinen alten Tagen
dieſe Freude gönnen; der Prinz ſey ein Erzherzog und Fürſt
des Reiches; wie er dazu erzogen worden der Bürde der
[307]Erneuerung des Succeſſionsentwurfs.
Regierung gewachſen zu ſeyn, ſo habe er von ſeiner Fähig-
keit ſchon jetzt in Spanien gute Proben gegeben; er werde
bald wieder ins Reich kommen und ſo viel möglich ſeine
Reſidenz daſelbſt nehmen, deutſche Fürſten und andre ge-
borne Deutſche an ſeinen Hof ziehen, das Reich nur durch
Deutſche verwalten laſſen und gewiß auch die deutſche Sprache
begreifen: jede billige Verſicherung werde er ausſtellen. 1


Wahrſcheinlich hängt es hiemit zuſammen, daß der Kai-
ſer auch ſchon ſelbſt daran dachte, den Deutſchen etwas mehr
Genugthuung zu geben und einen Reichshofrath aus deut-
ſchen Mitgliedern aufzurichten. Zum Präſidenten deſſelben
beſtimmte er den Cardinal von Trient, wogegen der römiſche
König meinte, der Churfürſt von Mainz würde den Deut-
ſchen lieber ſeyn. Zu Beiſitzern dachte der Kaiſer die Gra-
fen von Fürſtenberg, Eberſtein, Solms, die Freiherrn Wol-
kenſtein und Truchſeß, den Doctor Gienger und einige An-
dere zu berufen.


Auch die religiöſen Antipathien ſchonte er jetzt. Wenn
er z. B. in der frühern Inſtruction ſeine Bekämpfung Der-
jenigen erwähnt, die unter dem „anmuthigen Schein der
Religion“ das Reich unter ſich zu theilen gedacht, ſo er-
wähnte er jetzt nur das letzte, die vorgehabte Theilung: den
Schein der Religion ließ er weg.


Und nicht nur den Churfürſten ließ der Kaiſer ſeine
Anträge wiederholen. Auch dem Herzog Chriſtoph von Wür-
tenberg, der am franzöſiſchen Hofe gut deutſch geworden und
die Einmiſchung der Franzoſen in die deutſchen Angelegen-
20*
[308]Zehntes Buch. Drittes Capitel.
heiten faſt am lauteſten verdammte, eröffnete er durch ſeinen
Marſchall Böcklin am 26ſten Januar 1553, er wiſſe Nie-
mand, der dem Reiche, damit es nicht ganz zerriſſen werde,
„fürſtändiger ſeyn möchte“, als ſeinen Sohn. 1


Allein der Kaiſer irrte, wenn er nach alle dem was
man erlebt hatte und befürchten müſſen, das Vertrauen der
Fürſten wieder erwerben und ihnen ein Vorhaben, das ihre
Beſorgniſſe eben am meiſten erweckt hatte, annehmlich ma-
chen zu können glaubte. Seine Eröffnungen bewirkten das
Gegentheil von dem was er wünſchte. Schon am 5ten Fe-
bruar 1553 kamen Friedrich von der Pfalz, Albrecht von
Baiern, Wilhelm von Jülich, von denen ich nicht weiß, ob
ihnen ähnliche Mittheilungen gemacht worden, mit Herzog
Chriſtoph zu Wimpfen zuſammen, 2 um ſich förmlich zu ver-
abreden, wie dem Eindringen des ſpaniſchen Prinzen wider-
ſtanden und auch dem Biſchof von Arras die Verwaltung
der Reichsangelegenheiten, die er noch immer beſorgte, ent-
riſſen werden könne. Es waren, wie wir ſehen, abermals
Fürſten beider Bekenntniſſe. Auch davon handelten ſie, auf
welche Weiſe man dem Zwieſpalt über die Religion abhel-
fen könne, ob nicht doch wirklich durch ein Nationalconci-
lium, auch wider den Willen des Papſtes. Sie beſtärkten
ſich aufs neue in den Geſichtspuncten die bei den Paſſauer
Verhandlungen vorgewaltet.


Es leuchtet ein, wie viel ihnen dann daran liegen mußte
die Streitigkeiten zu verhüten, die bei der Rückkehr des Mark-
grafen, der nun ſeine von der höchſten Reichsgewalt beſtä-
[309]Verſammlung in Heidelberg Maͤrz 1553.
tigten Forderungen noch viel trotziger geltend machte als frü-
her, in Franken auszubrechen drohten.


Von dem Kaiſer ſelbſt dazu aufgefordert, nahmen die
Fürſten dieſe Sache im Februar in Wimpfen, im März zu
Heidelberg in langen Tagſatzungen in die Hand.


Sie waren in ſo weit auf der Seite des Markgrafen,
als ſie die Biſchöfe zu bewegen ſuchten, die ſtipulirte Ceſ-
ſion, wenn auch nicht durchaus, doch in der Hauptſache
zu genehmigen.


Wäre es nur auf Würzburg angekommen, ſo würde
man auch wohl dahin gelangt ſeyn. Das Capitel war nicht
abgeneigt ſich zu fügen; die Unterthanen fürchteten nichts
mehr als die Erneuerung des Krieges; der Biſchof ſelbſt
beſorgte die kaiſerliche Ungnade.


Dagegen war der Biſchof von Bamberg, Wigand von
Redwitz, der die ihm entriſſenen Ämter indeß wieder einge-
nommen, nicht herbeizubringen. Die Nachgiebigkeit von Würz-
burg machte auf ihn keinen Eindruck, da es bei dieſem mehr
auf Geld ankomme, bei ihm aber handle es ſich um Land
und Leute, und alle fürſtliche Regalien; — er wolle lieber
todt ſeyn, als dieſen entſagen. 1


Vergebens ſchlug man dem Markgrafen ein rechtliches
Verfahren vor. Er beſtand darauf daß ſeine Gegner auf
jeden rechtlichen Behelf Verzicht geleiſtet.


Höchſtens zu einer Geldentſchädigung wollte ſich der
Biſchof verſtehn. Aber dem Markgrafen kam es ſchimpflich
vor, eine Landſchaft, die ihm erſt von ſeinen Verbündeten und
dann von dem Kaiſer verſichert worden, gegen eine Geld-
zahlung aufzugeben.


[310]Zehntes Buch. Drittes Capitel.

Nur den Vorſchlag ließ er ſich gefallen, daß Bamberg
das Recht der Wiederablöſung haben, aber fürs Erſte die
Ämter ihm wieder überliefern ſolle. Da der Biſchof von
Bamberg dieſen Vorſchlag, wie ſich denken läßt, zurückwies,
ſo konnte auch Würzburg, durch alte Erbverträge beider Stif-
ter gefeſſelt, ſeine Zugeſtändniſſe nicht vollziehen. 1


Und nun meinte wohl der Markgraf, die vermittelnden
Fürſten würden auf ſeine Seite treten. Sie waren aber
weit entfernt, die Sache der Gewalt, die doch nur dem Kai-
ſer zum Vortheil ausſchlagen konnte, zu der ihren zu ma-
chen. Auch zu Heidelberg unterhandelten ſie zugleich über
die allgemeinen Angelegenheiten, die Succeſſion im Reiche,
die Entfernung des ſpaniſchen Einfluſſes. Und da nicht ab-
zuſehen war, wohin ein Wiederausbruch der Unruhen füh-
ren könne, ſo vereinigten ſie ſich wenigſtens unter einander
und mit den Churfürſten von Mainz und von Trier, ihre
Neutralität gegen Jeden der ſie angreifen werde, Niemand
ausgenommen, gemeinſchaftlich zu vertheidigen.


Nicht ohne Zeichen des Unwillens gieng Markgraf Al-
brecht von dannen: er war entſchloſſen ſich ſelbſt zu helfen.


Im Monat April 1553 finden wir ihn bereits mitten
in der wildeſten Fehde.


Indem er würzburgiſches Volk, das dem Biſchof von
Bamberg zuzog, bei Pommersfelden auseinanderſprengte, ward
er Herr im Stifte Bamberg; am 16ten April fiel die Haupt-
ſtadt, gleich darauf auch die Altenburg in ſeine Hand; von
dem ganzen Stifte hielt ſich nichts als Forchheim. 2


[311]Fehde in Franken.

Hierauf wandte er ſich gegen Nürnberg, das ſich mit
den beiden Nachbarn, deren Unglück es getheilt, auch zum
Widerſtand vereinigte: einige hundert ſchleſiſche Reiter, die
auf weitem Umweg durch Böhmen und das Eichſtädtiſche
der Stadt zu Hülfe heranzogen, jagte er erſt aus einander
und nahm ſie dann großentheils in ſeine Dienſte; darauf
fand er auch hier keinen Widerſtand: Laufen und Altdorf
wurden gebrandſchatzt und nachher doch noch in Brand ge-
ſteckt; faſt alle Schlöſſer, kleinen Städte, Dörfer und Klö-
ſter des würzburgiſchen wie des nürnbergiſchen Gebietes ge-
riethen im Laufe des Mai in ſeine Hand. Auch Schwein-
furt, obgleich eine Reichsſtadt, trug er kein Bedenken zu be-
ſetzen, als er fürchten mußte, daß es vielleicht ſonſt in die
Hände neuer von Niederſachſen her drohender Gegner ge-
rathen würde.


Wenn die oberdeutſchen Fürſten ſich neutral hielten, ſo
gab es doch einige andre im Reich, die nicht gemeint waren
ihn ſo ohne Widerſtand um ſich greifen zu laſſen.


Der vornehmſte war ſein alter Kriegscamerad und Bun-
desgenoſſe Moritz.


In ſeinem Herzen überzeugt, daß der Kaiſer ihm nie ver-
geben, vielmehr die erſte Gelegenheit ergreifen werde um ihn
anzufallen und zu verderben, ſah Moritz in der Verbindung
deſſelben mit dem Markgrafen vom erſten Augenblick an
Gefahr für ſich ſelber. Ohnehin grollte Albrecht wegen des
Paſſauer Vertrags, der mit jener ihm urſprünglich gegebe-
nen Zuſage in Widerſpruch ſtand, und machte ſeinem Un-
willen nicht ſelten in drohenden Reden Luft, die dann von
dienſtbefliſſenen Leuten dem Churfürſten hinterbracht wurden,
[312]Zehntes Buch. Drittes Capitel.
ſo daß ſich dieſer ein ganzes Verzeichniß davon anlegte. 1
Nicht, als hätte er jedem dieſer Worte geglaubt, aber er
fragte doch darüber einmal an, und gutes Blut machten ſie
nicht. Immer ſeinen Blick auf die kommenden Dinge ge-
richtet, meinte er in demſelben Grade bedroht zu ſeyn, in
welchem der Markgraf mehr emporkam. Er entſchloß ſich,
ihm bei Zeiten zu begegnen.


Moritz war kein Mann dem es Scrupel gemacht hätte,
eben die in Schutz zu nehmen, die einſt im Einverſtändniß
mit ihm angegriffen worden; er bot dem König Ferdinand,
der mit dem Markgrafen bereits in offenen Hader gerieth,
einen Bund an, in welchen die fränkiſchen Biſchöfe einge-
ſchloſſen ſeyn ſollten.


Und noch an einer andern Stelle, in Niederſachſen
fanden ſich Verbündete für dieſe Combination.


Auch über die Irrungen der braunſchweigiſchen Edel-
leute mit Herzog Heinrich dem Jüngern hatte man in Paſ-
ſau Beſtimmung getroffen, und zwar mehr zu Gunſten der
erſten; eben darum aber hatte ſie der Herzog nicht anerkannt:
Zuſammenkünfte die man darüber hielt, hatten ſich ohne
Frucht zerſchlagen, endlich war die Fehde wieder ausgebro-
chen, in der Graf Volradt ſich der Edelleute annahm und
den Herzog gewaltig bedrängte. Von den Verwandten deſ-
ſelben in Calenberg und Lüneburg nicht gehindert, von der
Stadt Braunſchweig unterſtützt, brachte er in Kurzem den
größten Theil der feſten Häuſer Heinrichs, ſo wie die viel-
beſtrittenen Klöſter Riddagshauſen und Steterburg in ſeine
Gewalt. Nur vergebens wendete ſich der Herzog an den
[313]Verbindung gegen Albrecht.
Kaiſer, der damals vollauf beſchäftigt war, und aus Rück-
ſicht auf Markgraf Albrecht ſich mit dem niederſächſiſchen
Kriegsvolk, das von dieſem abzuhängen ſchien, nicht ent-
zweien wollte. Eben dieß zweifelhafte Bezeigen des Kaiſers
aber verſchaffte nun dem Herzog einen andern Freund an
Churfürſt Moritz. Geübt in Unterhandlungen dieſer Art wußte
Moritz den Grafen Volradt auf ſeine Seite zu ziehen: das
Kriegsvolk deſſelben blieb, wie jenes magdeburgiſche, eine Zeit-
lang ohne benannten Herrn; endlich als es ſich auflöſte, gieng
es größtentheils in die Hände Heinrichs über. Hiedurch be-
kam dieſer aufs neue das Übergewicht, nahm ſeine Plätze
wieder und griff nun ſeinerſeits alle ſeine Gegner an, die
Edelleute, die Städte und ſeinen Vetter von Calenberg.


Leicht verſtändigten ſich hierauf Moritz und Heinrich
auch über die fränkiſchen Angelegenheiten. Schon im März
hat Herzog Heinrich den Biſchöfen ſeine Hülfe gegen einen
Beitrag zu den Kriegskoſten angeboten; 1 ohne Zweifel war
dieß ein Grund, weshalb der Biſchof von Bamberg ſich je-
der Conceſſion ſo entſchieden widerſetzte. Auch Moritz, der
den Markgrafen mit einem beißigen Hunde verglich, gegen
den ſich Jedermann wehren müſſe, verſprach ihnen einige
Reitergeſchwader und 10 Fähnlein Fußvolk zuzuführen.


Man ſprach damals viel von einem neuen Bunde zum
Schutze des Landfriedens, über den im Mai auf einer Zu-
ſammenkunft zu Eger ein ausführlicher Entwurf verfaßt wor-
den iſt. Er war wohl hauptſächlich darauf berechnet, unter
dieſem allgemeinen Titel noch andre Kräfte gegen den Mark-
[314]Zehntes Buch. Drittes Capitel.
grafen zu gewinnen. Der Kaiſer wunderte ſich, daß man
die Biſchöfe von Würzburg und Bamberg, die er einem ober-
deutſchen Verein vorzubehalten wünſchte, in dieſen mehr nie-
derdeutſchen Bund aufnehmen wolle, dagegen Johann Fried-
drich von Sachſen, der dahin gehöre, davon ausſchließe. An-
dre machten andre Einwendungen. 1 Eigentlich waren nur der
König, der Churfürſt, die beiden Biſchöfe, Herzog Heinrich
und etwa der Graf von Plauen einzutreten bereit, alles Geg-
ner des Markgrafen, dieſe aber waren auch ohne Bund ein-
verſtanden, und ſchon allein mächtig genug.


Ohne Zweifel hatte der Markgraf zu fürchten, in Fran-
ken in Kurzem von allen Seiten, von Böhmen und Meißen,
von dem anrückenden Kriegsvolk Heinrichs und neuen Streit-
kräften der Stadt Nürnberg angegriffen zu werden. Er faßte
den ſeiner Natur ſehr entſprechenden Entſchluß, dieß nicht
zu erwarten, ſondern vielmehr dem vornehmſten Feinde, der
jetzt allein gerüſtet war, dem Herzog von Braunſchweig, ſel-
ber zu Leibe zu gehn und ſich nach Niederſachſen zu werfen.


Was ihn dazu vermochte, war die ſichere Ausſicht, dort
Verbündete zu finden. Die Mutter Erichs von Calenberg,
geborne Markgräfin von Brandenburg, damals in zweiter
[315]Markgraf Albrecht von Brandenburg.
Ehe mit dem Grafen Poppo von Henneberg vermählt und
in Schleuſingen wohnhaft, ſelber von Herzog Heinrich in
ihrem Witthum beeinträchtigt, vermittelte ein gutes Verneh-
men zwiſchen Albrecht und ihrem Sohn.


Sich wohl vorſehend, das Gebiet des mächtigen Mo-
ritz nicht zu berühren, nahm Albrecht ſeinen Weg am Ge-
birg über Arnſtadt, Mansfeld, Halberſtadt; bei Braunſchweig
ſtießen 1000 Reiter Erichs zu ihm; in Hannover hatte er
mit dieſem ſelbſt die erſte Zuſammenkunft. Sie verſtändig-
ten ſich vollkommen. Mit vereinten Kräften und mit Hülfe
der Städte brachten ſie ein Heer zuſammen, mit dem ſie un-
verzüglich, an Statt Herzog Heinrichs, Herrn im Felde wur-
den und Jedermann in Schrecken ſetzten. Die nöthigen
Geldmittel wußten ſie ſich auf ihre Weiſe zu verſchaffen.
Das Capitel von Halberſtadt hatte dem Markgrafen bei ſei-
nem Durchzug eine anſehnliche Summe zahlen müſſen; in
Minden erbeutete er 50000 Thaler Brandſchatzungsgelder,
welche für Herzog Heinrich aufgebracht waren.


Auch politiſch und religiös nahm der ſtürmiſche Kriegs-
mann da noch einmal eine ſehr merkwürdige Stellung ein.


Während früher die Charactere nahmhafter Deutſchen
ſich eigentlich nur durch das Maaß von Thatkraft und Ener-
gie, oder von Treue und Hingebung, das ihnen beiwohnte,
unterſchieden, wurden ſie in unſerer Epoche dadurch gebil-
det, daß ein Jeder in religiöſer Hinſicht eine Partei zu er-
greifen, ſich ſelbſt zu beſtimmen hatte. Ganz andre Elemente
der Überzeugung, geſchärft durch die Gegenſätze auf die ſie
ſtießen, drangen dadurch in das perſönliche Leben ein. Und
dazu kam dann für die Evangeliſch-gläubigen, da der Kai-
[316]Zehntes Buch. Drittes Capitel.
ſer ihren Tendenzen zuweilen verſteckt, zuweilen ganz offen
Widerſtand leiſtete, jener Zwieſpalt zwiſchen weltlichem Ge-
horſam und religiöſer Überzeugung, deſſen wir oben gedach-
ten, in welchem die Geiſter, aufs neue zu eigener Entſchei-
dung und Wahl aufgerufen, entwickelt oder zerſetzt oder we-
nigſtens geprüft wurden.


Von Albrecht ſollte es zwar ſcheinen, als habe ihn
die Religion nur wenig gekümmert. Wir finden ihn früh
in der Geſellſchaft martialiſcher Kriegshauptleute, welche die
ihnen entgegenwachſende kräftige Natur des jungen Fürſten
an ſich zogen. Wie hätte auch ein Nachkomme des Albrecht
Achilles, von deſſen weidlichen Thaten man ſeine jugend-
liche Aufmerkſamkeit oft unterhalten haben wird, der Sohn
des tapfern Markgrafen Caſimir, ſich entſchließen können,
an der kleinen Hofhaltung zu Neuſtadt an der Aiſch ſpar-
ſame Wirthſchaft zu führen und die Schulden ſeiner Väter
abzutragen. Sobald ſein Alter es zuließ, finden wir ihn bei
den Kriegszügen des Kaiſers. Er ficht ſo gut gegen die
proteſtantiſchen Fürſten, wie gegen die Franzoſen. In ei-
ner Eingabe an den Kaiſer ſoll er ſich wieder als gut ka-
tholiſch bezeichnet haben.


Wer aber glauben wollte daß er ſich hiebei beruhigt
hätte, würde die Kraft verkennen, mit welcher die evangeli-
ſche Lehre in dieſen Zeiten die Gemüther ergriff. Die Unter-
weiſung eines guten Lehrers, 1 die er in erſter Jugend ge-
noß, hatte ihren Samen tief in ſeine Seele geſenkt.


[317]Markgraf Albrecht von Brandenburg.

Sichtbare Wirkung brachte es zwar auf den Fürſten nicht
hervor, daß ihn der Hofprediger Körber bei dem Beginn
des ſchmalkaldiſchen Krieges vor allem Antheil daran warnte,
denn derſelbe werde wider die evangeliſche Lehre gemeint ſeyn,
aber ohne Eindruck blieb es nicht: „wider mein Gewiſſen“,
ſagt er, „zog ich fort.“ Als er gegen Magdeburg aufbrach,
ſtellte ihm der Prediger Wolfgang Rupertus vor, daß ein
Krieg dieſer Art nicht ohne Nachtheil des Leibes und der
Seele geführt werden könne. Es iſt eine wunderliche Mi-
ſchung von Hohn und Glauben, wenn Albrecht ihm entgeg-
nete: „Fahren wir zum Teufel, Pfaff, ſo ſollſt du mit uns
fahren“, und den Mann, der ihm ins Gewiſſen redete, wirk-
lich als Feldprediger bei ſich behielt. Einem andern, der ihn
an die jenſeitigen Strafen erinnerte, ſoll er geſagt haben,
er werde ſeine Seele auf die Zäune ſetzen die Himmel und
Hölle ſcheiden, wer dann von beiden der ſtärkere ſey, der
möge ſie zu ſich herüberziehen, Gott oder der Satan.


Das ſehen wir wohl: über die großen Fragen war er
nicht zur Klarheit gekommen: übrigens aber zeigte er Geiſt
und Thatkraft.


Man bemerkte daß er lieber höre als rede; ſprach er
aber, ſo that er dieß mit einer natürlichen Beredtſamkeit, die
durch den vollen Ausdruck der Wahrhaftigkeit unterſtützt wurde:
Mienen, Gebehrden und Worte, ſagt ein Zeitgenoſſe, ſchie-
nen nichts auszuſprechen, als wovon ſein Herz voll war. 1


Seine Truppen, mit denen er alles theilte, Hitze und
Kälte, Hunger und Durſt, hiengen ihm dafür mit Hinge-
bung an. Er ſagte ihnen wohl: Keiner ſolle Mangel bei
[318]Zehntes Buch. Drittes Capitel.
ihm leiden, ſo lange er noch ein Laib Brot im Zelte habe,
auch nicht der Geringſte, aber eben ſo wenig Einer ein Haar
breit von ſeinen Befehlen abweichen, auch nicht der Oberſte.
Über alles gieng ihm die kriegsmänniſche Ehre. Die Hin-
richtung Vogelsbergers konnte er dem Kaiſer der ſie be-
fohlen, und dem Lazarus Schwendi der dazu geholfen, nie-
mals vergeben.


In Trier iſt er in gutem Andenken geblieben; mit Ver-
gnügen berichtet der gleichzeitige Chroniſt, wie er eines Ta-
ges die Rathsherrn der Stadt, als er ſie in Geſchäften ſuchte,
während ſie beim Würfelſpiel ſaßen, von der Straße her
mit einem Schuß aus ſeiner Handbüchſe, der durch das Fen-
ſter nach der Decke der Stube gieng, an ihre Amtspflichten
erinnerte. Auch noch eine andre Erzählung darf ich wohl
aus dieſer Chronik wiederholen, von einem Kloſtervorſteher,
der bei der allgemeinen Verfolgung der Geiſtlichen doch Gnade
bei ihm fand. Es war der Prior des Martinskloſters; er
gieng dem Eintretenden mit einem Becher des beſten Weins
entgegen. Der Markgraf koſtete den Wein, ließ vier Ohm
davon auf ſeinen Wagen laden und drückte dann ſein Sie-
gel an die Kloſterpforte, zum Zeichen, daß Niemand dieſes
Kloſter antaſten dürfe. 1


Wir berührten oben, wie er auch dann wenn er Dienſte
genommen, ſich doch immer als Reichsfürſt fühlte. Der Kai-
ſer hat ihm einmal, um ihn in einem Moment der Unzu-
friedenheit zu begütigen, eine Stelle an ſeinem Hofhalt an-
bieten laſſen. Er fragte: wie ihn denn der Kaiſer zu etwas
mehr machen wolle, als was er ſchon ſey, nemlich Mark-
graf von Brandenburg.


[319]Markgraf Albrecht von Brandenburg.

Überhaupt ſtanden ſeine Gedanken ihm hoch. Er hat
einſt der Thronerbin von England ſeine Hand angeboten. 1
Er ſoll ſich einſt gerühmt haben, er werde noch König von
Böhmen werden. Er dachte an die Nachwelt, und ich möchte
es ihm ſo übel nicht nehmen, wenn ihn ungünſtige Dar-
ſtellungen ſeiner Thaten, wie bei Avila oder auch bei Slei-
dan, verſtimmten.


Der Widerſtreit von Armuth und Kriegsluſt, Dienſtver-
hältniß und Stolz, Recht und Gewalt, worin er lebte, und die
Übertäubung jener innern Stimme die er doch immer hörte,
gaben ſeinem ganzen Weſen einen Beigeſchmack von Wild-
heit, der ſich denn fortan an ſeinen Namen geknüpft hat.


Furchtbar anzuſehen ritt er an der Spitze ſeines Hau-
fens daher: im Panzerhemd, eine Büchſe und ein paar Fauſt-
kolben an ſeiner Seite; Sommerſproſſen und ein rother Bart
bedeckten ſein männliches Angeſicht; weithin wallte ſein blon-
des Haupthaar; er nahm wohl ſelbſt eine Fackel zur Hand,
um das nächſte Dorf ſeiner Feinde anzuzünden.


Das war nun einmal noch der barbariſche Gebrauch
dieſer Zeiten.


Merkwürdig: bei alle dem hieng das gemeine Volk ihm
an. Er war ein Character, dem man ſeine Fehler nachſieht,
weil man ſie von keiner Bosheit herleitet. In dem Haſſe
gegen die geiſtlichen Machthaber traf er mit den populären
Leidenſchaften zuſammen. Er wußte das ſehr wohl und
trotzte darauf.


Jetzt war er wieder vollkommen Proteſtant. Seine An-
weſenheit im Calenbergiſchen bezeichnete er damit, daß er die
[320]Zehntes Buch. Drittes Capitel.
Abſchaffung des Interims vermittelte, die Befreiung der Pre-
diger, die noch immer auf ihren Bergfeſten im Gefängniß
ſchmachteten, überhaupt die Durchführung des proteſtanti-
ſchen Prinzipes. Auch Erich trat, wie ſeine ſorgſame Mut-
ter vorher berechnet, unter dieſer Einwirkung zu dem evan-
geliſchen Glauben zurück.


Auf Albrechts Seite ſtand noch einmal die Combina-
tion die Johann Friedrich 1547 ſtark gemacht: die evange-
liſchen Städte an der See und im innern Lande, alle Eifrig-
evangeliſchen bis nach Böhmen.


Ferdinand hegte einen Augenblick die Furcht, bei der
weitverbreiteten Bewegung, die ſich abermal in dem gemei-
nen Volke kund thue, dürfte es dem Markgrafen nicht ſchwer
ſeyn, an der Spitze deſſelben einen allgemeinen Umſturz zu
bewirken.


Und dabei behandelte ihn der Kaiſer mit aller Rückſicht
und Schonung. Er konnte ſich nicht mehr weigern, Edicte
gegen den Landfriedensbruch zu erlaſſen: ſorgfältig jedoch ver-
mied er — es erregte allgemeines Erſtaunen — den Mark-
grafen darin zu nennen.


Eben aber dieſe energiſche Haltung, dieſe weitausſehen-
den Beziehungen des Nebenbuhlers wollte Moritz auf keine
Weiſe ſich entwickeln und befeſtigen laſſen; gute Worte die
ihm derſelbe gab, vermochten nichts über ihn. Öffentlich
ſprach auch er hauptſächlich von dem Bruche des Landfrie-
dens den er rächen, von der Ruhe die er herſtellen müſſe;
trat man aber darüber in Unterhandlung, wie Markgraf Hans
es that, ſo bemerkte man bald, daß für dieſen Hader, der
an die großen Gegenſätze der europäiſchen Welt anknüpfte,
kein friedlicher Austrag zu hoffen ſey.


[321]Moritz in neuem Bunde mit Frankreich.

War Albrecht mit dem Kaiſer, ſo war Moritz noch im-
mer mit Frankreich verbündet.


Schon Anfang September des Jahres 1552, unmit-
telbar vor der Rückkehr des Landgrafen Philipp, noch im
Einverſtändniß mit deſſen Sohn Wilhelm, welcher die Mei-
nung hegte, ihre Sachen ſeyen noch nicht aufs Trockene ge-
bracht, hatte ſich Moritz aufs neue an Heinrich II gewen-
det und dieſem, wie er ſich ausdrückt, „eine andre gründli-
chere Verſtändniß“ angetragen. 1 Bald darauf erſchien ein
franzöſiſcher Abgeordneter, Cajus de Virail, hauptſächlich in
der Abſicht, die Hülfleiſtungen welche der Kaiſer damals
noch vor Metz erwartete, rückgängig zu machen. Moritz er-
griff dieſe Gelegenheit, um jenen Antrag, jedoch für ſich al-
lein, 2 nur noch förmlicher zu wiederholen. Er verſprach nicht
nur, ſo viel an ihm, keine Hülfe von Reichswegen wider den
König zu leiſten, vielmehr dafür zu ſorgen, daß dieſem ſelbſt
ſo viel deutſches Kriegsvolk zuziehe als er brauche; er wieder-
holte auch die in dem Vertrag von 1551 gemachte Zuſage,
daß der König den Titel eines Reichsvicarius haben, und bei
der nächſten Wahl, wenn er es wünſche, ſelber zur Würde
eines Hauptes im Reich erhoben werden ſolle: wogegen er
ſich die Beſchützung ſeiner Land und Leute und die Zahlung
eines nahmhaften Jahrgeldes ausbedang. Und ſehr geneigt
erklärte er ſich hiebei perſönlich mitzuwirken. Obgleich er den
Bund den er ſchließen will, als Defenſivbund bezeichnet, ſo
erbietet er ſich doch, wenn dem König auf das nächſte Früh-
Ranke D. Geſch. V. 21
[322]Zehntes Buch. Drittes Capitel.
jahr mit einem Heer von 4000 M. z. Pf. und 12000 z. F.
gedient ſey, daſſelbe aufzubringen, wie ſich das unter dem
Vorwand, daß er von ſeinem Vetter Johann Friedrich Ge-
fahr zu beſorgen habe, ganz gut thun laſſen werde, und zur
beſtimmten Zeit am Rhein zu erſcheinen. 1 Der König, der
ſich indeß in Metz auch ohne ſolch eine Hülfe behauptet, gieng
auf dieſe Anerbietungen nicht ſo raſch ein, wie der Chur-
fürſt wünſchte. Im Laufe des Winters ſchickte Moritz Vol-
radt von Mansfeld, der noch immer den Titel eines Die-
ners der franzöſiſchen Krone führte, nach Frankreich, um die
Sache aufs neue in Anregung zu bringen. Auch Volradt
fand anfangs Schwierigkeiten, und es liefen Briefe ein, nach
denen Moritz ſchon fürchtete, ſein Antrag werde ausgeſchla-
gen werden; es reute ihn faſt, ſchon ſo viel Geld auf die
Vorbereitungen verwandt zu haben, als er gethan. In-
dem aber wurden die Franzoſen andern Sinnes. Am 21ſten
Mai 1553 leiſtete Graf Volradt dem König einen neuen
Dienſteid. Heinrich II wünſchte nichts mehr als daß ihm
jene Mannſchaften zugeſchickt würden, die Moritz verſpro-
chen; am 13ten Juni ordnete er Bevollmächtigte nach Metz
ab, die mit den Geſandten welche Moritz dahin ſchicken werde,
verhandeln ſollten. Um die Sache zu beſchleunigen, begab ſich
Graf Volradt, begleitet von einem franzöſiſchen Edelmann,
perſönlich nach Deutſchland zurück. Wir haben mehrere
Briefe, in denen er gleichſam von Station zu Station der
franzöſiſchen Regierung von ſeiner Reiſe Nachricht giebt. An-
fang Juli erreichte er den Churfürſten, als dieſer eben in Be-
[323]Moritz in neuem Bunde mit Frankreich.
griff war, mit ſeinem Heere gegen Albrecht anzuziehen. „Ich
finde ihn“, ſchreibt er dem König am 4ten Juli, „in allen
Dingen, welche die Ehre und den Vortheil der Krone Frank-
reich betreffen, vollkommen wohl geſinnt, und entſchloſſen, von
dieſem Kriege nicht abzuſtehn, ehe nicht die Irrungen zwi-
ſchen derſelben und dem Reiche ausgemacht ſeyn werden.“ 1


Der König hatte, wie einſt Albrecht, ſo jetzt Moritz zu
einem Angriff auf die Niederlande aufgefordert; ein märki-
ſcher Rittmeiſter, Thomas von Hodenberg, verſichert, es ſey
wirklich die Abſicht des Churfürſten, dahin vorzudringen, und
Rar von Niederdeutſchland aus, ſobald er nur mit Mark-
graf Albrecht fertig geworden: ſchon habe er Leute abge-
ſchickt, um den Weg zu unterſuchen, namentlich die Furten
und Päſſe zu bezeichnen, welche man im Voraus einzuneh-
men habe. 2


Die Anhänger des Hauſes Öſtreich hegten über ſeine
Entwürfe die ſchlimmſten Vermuthungen. Der alte Fugger
hat dem König Ferdinand geſagt, die Abſicht des Churfür-
ſten werde ſeyn, ihn, den König, zu verdrängen und ſich ſel-
ber einzuſetzen.


So viel iſt richtig, daß wenn man nach dem letzten
Ziel der beiden Nebenbuhler fragte, Niemand es hätte nen-
nen können.


Man erſtaunte wenn man ſah daß der römiſche König
den Churfürſten mit Kriegsvolk unterſtützte, während der Kai-
ſer den Markgrafen ganz offenbar begünſtigte.


21*
[324]Zehntes Buch. Drittes Capitel.

Aber indem der Markgraf ſich an den Kaiſer hielt, nahm
er zugleich die Evangeliſchen in Niederdeutſchland in Schutz,
und ſchien nach einer popular-proteſtantiſchen Macht zu trach-
ten. Konnte das der Sinn des Kaiſers ſeyn?


Und indem der Churfürſt die Hülfe Ferdinands annahm,
machte er zugleich dem König von Frankreich Hofnung auf
die deutſche Krone, wovon man in Öſtreich keine Ahnung
hatte. Er, der ſo eben die Waffen für den Proteſtantismus
getragen und durch einen glücklichen Schlag die Feſſeln ge-
ſprengt, die man ihm angelegt hatte oder noch anlegen
wollte, ſtand jetzt mit den fränkiſchen Biſchöfen und mit [...]
nem Heinrich von Braunſchweig in Bund, der von jehe
als einer der größten Verfolger der Proteſtanten betrachtet
worden war.


Den Vortheil hatte Moritz, daß er den Landfrieden und
den beſtehenden Beſitz vertheidigte, während Albrecht An-
ſprüche verfocht, die im Augenblick der Noth mit Gewalt
erworben, vor keinem Gerichtshof zu Recht beſtehn konnten
und durch die Einwilligung des Kaiſers noch lange nicht ge-
ſetzlich begründet wurden.


Wenn Moritz ſiegte, ſo war das Anſehn des Kaiſers
vollends vernichtet, und ſofern es zu dem beſprochenen Un-
ternehmen auf die Niederlande kam, die Grundlage ſeiner
Macht höchlich gefährdet.


Schlug dagegen Albrecht den Gegner aus dem Felde,
ſo hätte wohl ein allgemeiner Sturm auf die Bisthümer be-
ginnen können, ja der ganze in Folge der letzten Kriege ge-
gründete Beſitzſtand wäre in Frage geſtellt worden: alle Feinde
des Churfürſten würden ſich erhoben haben.


[325]Schlacht von Sievershauſen.

Unter dieſen Ausſichten rückten die beiden Kriegshäup-
ter im Juli 1553 wider einander.


Moritz hatte ſeine meißniſche und thüringiſche Ritter-
ſchaft zu Halle, Merſeburg und Sangerhauſen gemuſtert: in
Sangerhauſen ſammelten ſich alle ſeine Haufen zu Fuß und
zu Pferd, und nahmen ihren Weg nach dem Eichsfeld. In
Giboldehauſen vereinigten ſich die fränkiſchen, in Eimbeck die
braunſchweigiſchen Schaaren mit den ſeinigen. Das ge-
ſammte Heer mochte nun achttauſend M. z. F. und acht-
halbtauſend Reiſige zählen, eingeſchloſſen tauſend böhmiſche
Reiter, welche Heinrich von Plauen im Namen des römi-
ſchen Königs herbeiführte.


Markgraf Albrecht lag vor dem feſten Haus Peters-
hagen, und war eben bei Tiſch, als ein Edelknabe des Chur-
fürſten ihm deſſen Verwahrungsſchrift brachte. Albrecht
fragte ihn, ob der Churfürſt wirklich Pfaffen und Huſa-
ren zu Haufen gebracht. „Ich ſollte dir wohl mehr ge-
ben,“ ſagte er dem Knaben, dem er vier Kronen ſchenkte,
„aber ich brauche mein Geld jetzt ſelbſt, und dich werden
die Franzoſen beſchenken.“


Indeſſen, daß er ſich den Sieg verſprochen hätte, dürfte
man nicht glauben. Nur an Fußvolk ſah er ſich ſeinem
Feinde gewachſen; an Reiterei, davon er nur 3000 M. zählte,
obwohl er vor Kurzem von den Niederlanden her verſtärkt
worden, war ihm dieſer bei weitem überlegen.


Eben deshalb faßte er den Gedanken, ſeinen Gegner
an günſtiger Stelle vorbeizugehn und ſich in ſeinem Rücken
durch das Stift Magdeburg auf deſſen Erblande zu ſtürzen.


Sehr wohl aber erkannte Moritz dieſe Gefahr; eine Furt
[326]Zehntes Buch. Drittes Capitel.
in der Nähe von Sievershauſen, welche Albrecht überſchreiten
mußte um nach dem Magdeburgiſchen zu gelangen, nahm
er glücklich noch vor ihm ein. „Er muß weichen“, heißt es
in einem ſeiner Briefe, „oder er muß ſchlagen.“ Moritz er-
füllte ſich mit der Schlachtbegier, die ihn immer bei der An-
näherung eines Feindes ergriff. Man hat ihn mit dem
Kriegsroß verglichen, das nicht mehr zurückzuhalten iſt, wenn
es das Wiehern der feindlichen Pferde gehört hat. Als der
Gegner herankam, — am 9ten Juli — vergaß er den Be-
ſchluß des Kriegsrathes denſelben in der günſtigen Stellung
die man genommen, zu erwarten, und ſtürzte ſich ihm ſelber
entgegen. Ohne Mühe warf er eine Abtheilung der albrechti-
ſchen Fußvölker über den Haufen.


Daß nun aber hiedurch die churfürſtliche Schlachtord-
nung geſtört ward, ſetzte den Markgrafen in den erwünſch-
teſten Vortheil. Jetzt rückte er ſeinerſeits vor, drang in
die churfürſtlichen Reiter ein, und warf ſie, unterſtützt von
dem Weſtwind, der den Feinden den Staub in die Augen
trieb; er nahm wirklich mit ſeinem Vortrab, dem aber der
Gewalthaufe auf der Stelle nachdrückte, die Furt in Beſitz,
an der ihm alles zu liegen ſchien.


Hiewieder aber ſetzten ſich nun der Churfürſt und Her-
zog Heinrich in Perſon, mit dem beſten Volke unter den
Hoffahnen von Braunſchweig und Sachſen, in Bewegung.
An dem engen Orte kam es zu einem ſtürmiſchen Zuſam-
mentreffen, in welchem die Reiter ihre Büchſen und Piſto-
len mit vielem Erfolg gegen einander brauchten. Mancher
wußte nicht, ob er Feind oder Freund getroffen. Die Chur-
fürſtlichen verloren ihre beſten Leute, — zwei Söhne des Her-
[327]Schlacht von Sievershauſen.
zogs von Braunſchweig, — Friedrich von Lüneburg, der die
Fahne von Moritzens Leibwache trug, erhielt zwei tödtliche
Stiche von einem Landsknecht, — den letzten Grafen von
Beichlingen, Johann Walwitz der einſt Leipzig vertheidigt,
und viele andere; aber ſie waren an Zahl überlegen: die
rothe Binde mit den weißen Streifen, die der Churfürſt
führte, behielt den Platz.


Damit war aber das Geſchick noch nicht erfüllt. In
dem wilden Getümmel des Reitergemenges, man wußte nicht
ob nicht gar aus einem Rohr ſeiner eignen Leute, war Chur-
fürſt Moritz von einer Kugel getroffen worden; in einem
Zelt, das man ihm unweit an einem Zaun aufgeſchlagen,
vernahm er den Sieg der Seinen; dann brachte man ihm
die erbeuteten Banner und Fähnlein, auch die Papiere des
Markgrafen, die er eifrig durchſuchte; er hatte die Genug-
thuung, noch den Siegesbericht in ſeinem Namen abfaſſen zu
laſſen; 1 allein die Wunde die er empfangen, war gefährlicher
als er ſelber glauben mochte: ſchon am zweiten Tag nach der
Schlacht brachte ſie ihm den Tod. Man ſagt, ſein letztes
Wort ſey geweſen: „Gott wird kommen!“ Ob zur Strafe,
oder zur Belohnung, oder zur Löſung dieſer wirren irdiſchen
Händel: man hat ihn nicht weiter verſtanden.


Eine Natur, deren Gleichen wir in Deutſchland nicht
finden. So bedächtig und geheimnißvoll; ſo unternehmend
und thatkräftig; mit ſo vorſchauendem Blick in die Zukunft,
und bei der Ausführung ſo vollkommen bei der Sache: und
dabei ſo ohne alle Anwandlung von Treue und perſönlicher
Rückſicht: ein Menſch von Fleiſch und Blut, nicht durch Ideen,
[328]Zehntes Buch. Drittes Capitel.
ſondern durch ſein Daſeyn als eingreifende Kraft bedeutend.
Sein Thun und Laſſen iſt für das Schickſal des Proteſtan-
tismus entſcheidend geweſen. Sein Abfall von dem ergrif-
fenen Syſtem brachte daſſelbe dem Ruine nah; ſein Abfall
von dem Kaiſer ſtellte die Freiheit wieder her. Wenn er jetzt
wieder hauptſächlich mit katholiſchen Fürſten verbündet war,
ſo würde das ohne Zweifel nicht ſein letztes Wort geweſen
ſeyn: unberechenbare Möglichkeiten hatte dieſer mächtige und
geiſtreiche Menſch noch vor ſich: — da, im Momente des
Sieges, in voller Manneskraft, kam er um.


Es war immer ein großer Erfolg dieſes Sieges, daß
die Macht des Markgrafen dadurch gebrochen war, und alle
Gedanken, die ſich an dieſelbe knüpften, in das Nichts zer-
rannen.


Eine noch viel größere Entſcheidung, auch für den Mo-
ment, lag aber im Tode des Churfürſten.


Was würde daraus geworden ſeyn, wenn Moritz am
Leben geblieben wirklich nach den Niederlanden vorgerückt
wäre, und ſich dort mit den franzöſiſchen Heeren, die ſich zu
entſprechender Zeit in Bereitſchaft ſetzten, vereinigt hätte?


Nachdem ſich der König von Frankreich der drei andern
Städte die ihm zugeſprochen waren, bemeiſtert hatte, dachte
er jetzt auch die vierte von der in ſeinem Bunde mit Moritz
die Rede geweſen, Cambrai, zu erobern. Ende Auguſt ſetzte
ſich ſeine Macht, ungefähr 40000 M. ſtark, dabei vier deut-
ſche Regimenter unter dem Rheingrafen und Reifenberg, ohne
ſich lange bei Bapaulme und Peronne aufzuhalten, geradezu
gegen jene Stadt in Bewegung, und forderte ſie auf, ihm
als dem Beſchützer der Freiheit, deren ſie von dem Kaiſer
[329]Niederlaͤndiſcher Feldzug.
beraubt worden ſey, ihre Thore zu öffnen. Wie ſehr kam
es da dem Kaiſer zu Statten, daß jener Angriff von Deutſch-
land her, mit dem Moritz umgegangen, nun nicht wirklich
eintrat. Er behielt ſeine Hände frei, wie er ſich auch ſchon ſel-
ber auf das beſte gerüſtet hatte. Die Franzoſen wagten doch
das Lager, das er bei Valenciennes aufſuchte, und in wel-
chem er ſelber erſchien, nicht anzugreifen. Bald trat Regen-
wetter ein, und ſie ſahen ſich genöthigt, unverrichteter Dinge
zurückzugehn. 1


Ihre Verbindung mit den deutſchen Fürſten, die von
einem ſo mächtigen Oberhaupt wie Moritz feſtgehalten noch
ſehr gefährliche Folgen hätte nach ſich ziehen können, löſte
ſich damit weiter auf.


Aber auch dem Kaiſer konnte nun von dem geſchlagenen
Albrecht keine beſondere Hülfleiſtung zu Theil werden, wenn
er ja überhaupt darauf gerechnet hat. Vielmehr hatte er
durch ſein Verhältniß zu demſelben, die Duldung ſeines offen-
baren Landfriedensbruches, die Wiederherſtellung ungerechter
und ſchon von ihm ſelber vernichteter Verträge ſeinem reichs-
oberhauptlichen Anſehen unendlich geſchadet.


Um ſo mehr fühlte man das Bedürfniß, die noch ob-
ſchwebenden Irrungen wo möglich ohne ſeinen Einfluß zu
beſeitigen.


[[330]]

Viertes Capitel.
Allmählige Beruhigung der deutſchen Territorien.


Gewiß, ein ſchweres Unternehmen, in Deutſchland Friede
zu ſtiften, bei den ſtarken Gegenſätzen die es theilten, den
gegenſeitigen Beleidigungen die man rächen wollte, der Kriegs-
begier der Truppen die im Felde ſtanden, und dem ſtarren
Sinn der Häupter.


Das erſte Ereigniß, wodurch die Dinge doch eine friedliche
Wendung nahmen, lag in dem Regierungswechſel in Sach-
ſen, dem Eintritt des Herzog Auguſt, Bruders von Moritz.


Auguſt war wohl nie ganz einverſtanden mit ſeinem
Bruder. Gegen die Strenge wenigſtens, mit welcher dieſer
auf die den Vettern nachtheiligſte Ausführung der Witten-
berger Capitulation drang, hat er ſich einſt ausdrücklich er-
klärt; 1 man meinte, durch eine Reiſe, die er kurz vor dem
Ausbruch der letzten Fehde nach Dänemark unternahm, habe
er ſein Mißvergnügen darüber kund gegeben. 2 Sey dem
[331]Eintritt Churfuͤrſt Auguſts von Sachſen.
wie ihm wolle: als er jetzt zurückkam, fand er ſein Land
durch die Steuern, Hülfleiſtungen und unaufhörlichen Kriegs-
züge ſo ganz erſchöpft und ſeine Caſſe mit ſo unerſchwing-
lichen Laſten beladen, daß er, und zwar, wie er ſelbſt erzählt,
im erſten Augenblick, bei ſich beſchloß, Friede zu machen. 1


Auch hatte er freilich weniger Haß auf ſich gezogen
und daher weniger zu fürchten als ſein Bruder.


Unmittelbar nach der Sievershauſer Schlacht ſandte Jo-
hann Friedrich ſeinen älteſten Sohn nach Brüſſel, und ließ
auf den Fall, daß der Kaiſer nicht durch einen beſondern
Tractat mit Auguſt daran gehindert werde, um die Rück-
gabe der Churwürde und der verlorenen Lande bitten, wo-
für ſein Haus dem kaiſerlichen ohne Aufhören dankbar ſeyn
werde. Der Kaiſer antwortete ihm: auch Auguſt ſey in
der Belehnung mit der Churwürde begriffen: Johann Fried-
rich werde nichts von ihm verlangen, was gegen ſeine Ehre
und Pflicht laufe. 2


[332]Zehntes Buch. Viertes Capitel.

Wie hätte auch der Kaiſer wagen können, einen Für-
ſten, der ein ſo ſtarkes Heer in den Händen und ſo ausge-
breitete Verbindungen hatte, ſich zum Feinde zu machen?


Auguſt war ſehr bereit, ſeine Vettern mit größerer Nach-
giebigkeit zu behandeln, wie denn darüber ſogleich Unter-
handlungen eröffnet wurden, die bald zu der erwünſchten Ab-
kunft führten: die Chur, welche ihm ſchon übertragen war,
hätte er ſich nie wieder entreißen laſſen.


Da ein Verſuch hiezu nun aber nicht zu befürchten ſtand,
ſo hatte auch der Krieg für ihn keinen Sinn mehr.


Die Verbindung ſeines Bruders mit Frankreich ſetzte
er, ſo viel wir ſehen können, keinen Augenblick fort.


Man ſtellte ihm vor, es dürfte ihm keinen guten Ruf
machen, wenn er den Krieg mit Markgraf Albrecht, in wel-
chem ſein Bruder gefallen, ſo bald abbreche; von den Rä-
then die er fand, waren ſowohl die welche die franzöſiſche,
als die welche die deutſch-öſtreichiſche Allianz wünſchten, Hei-
deck ſo gut wie Carlowitz, für eine Fortſetzung des Krie-
ges; 1 König Ferdinand drang darauf. Dagegen forderte
die Landſchaft, die an dem Krieg ſo wenig Gefallen gehabt
wie Auguſt, und von dem Markgrafen, der ſich furchtbar
zu machen gewußt, mit einem Einfall bedroht wurde, auf
einer Verſammlung zu Leipzig, Auguſt 1553, dringend den
Frieden. 2 Von den alten Räthen waren doch einige, wie
[333]Friede zwiſchen Auguſt und Albrecht.
Komerſtadt und Fachs, auf ihrer Seite. Sie gaben Auguſt
Rückhalt genug, um bei ſeinem erſten Entſchluß zu verhar-
ren. Unter Vermittelung des Churfürſten von Branden-
burg und des Königs von Dänemark kam ein Vertrag zu
Stande, zu Brandenburg am 11ten September, in welchem
Auguſt Frieden mit Albrecht eingieng, mit dem Verſpre-
chen, die Truppen die er abdanken werde, nicht den Fein-
den deſſelben zulaufen zu laſſen, und unter einigen andern
dem Markgrafen ganz günſtigen Bedingungen, „als eine Vor-
bereitung“, wie es in dem Vertrage heißt, „des wieder auf-
zurichtenden allgemeinen Friedens.“


An die Vollziehung des egerſchen Bündniſſes, das eine
feindſelige Richtung gegen den Markgrafen gehabt, war nun
vollends nicht zu denken. Eine Verſammlung zu Zeitz, die
dazu anberaumt war, kam, ſo viel ich finden kann, gar nicht
zu Stande.


Vielmehr, da auch Landgraf Philipp, der ſeinem Schwie-
gerſohn Moritz allerdings eine kleine Hülfe gegen Albrecht
geleiſtet, ſich jetzt mit dieſem ausſöhnte, konnte man daran
denken, 1 die alte Erbverbrüderung der drei Häuſer Bran-
denburg, Sachſen und Heſſen, deren erſte Gründung einſt
zur Beruhigung des nördlichen und öſtlichen Deutſchlands
ſchon ſo viel beigetragen, und deren Auflöſung den Un-
frieden allgemein gemacht hatte, wieder zu erneuern, und
2
[334]Zehntes Buch. Viertes Capitel.
zwar jetzt in entſchieden proteſtantiſchem und zugleich deut-
ſchem Sinne.


Dagegen faßte König Ferdinand, der in dieſem Augen-
blick nach einigem Schwanken der Stände in den Heidelberger
Bund aufgenommen ward, die Hofnung, denſelben zu einer Er-
klärung gegen den Markgrafen zu bewegen. Sollte aber dieſer
Bund, von dem einſt Albrecht Hülfe gehofft, ſich jetzt ſo enge
an Öſtreich anſchließen? Mächtige Mitglieder, wie die Chur-
fürſten von Mainz und Trier, fühlten die Wunden noch allzu
wohl, welche ihnen durch den erſten Einfall des Markgrafen
geſchlagen worden, wo kein Menſch ihnen Hülfe geleiſtet; ſie
hatten bei deſſen Rückzug ihre Neutralität verſprechen müſſen,
und waren geſonnen dieſelbe zu halten. Zuerſt auf einer
Verſammlung der Räthe zu Ladenburg, hierauf auf einer Zu-
ſammenkunft der Fürſten zu Heilbronn — die Churfürſten von
der Pfalz und von Mainz, die Herzöge von Würtenberg und
Baiern waren perſönlich, von Jülich und Trier nur die Räthe
erſchienen — ward über eine neue Verbeſſerung und Erwei-
terung des Bundes gerathſchlagt. Allenfalls der Herzog von
Baiern ſcheint geneigt geweſen zu ſeyn, ſich dem Wunſche
des römiſchen Königs zu fügen; von den Übrigen aber wollte
Keiner daran: die Clauſel, daß die Neutralität gegen beide
Theile, die fränkiſchen Verbündeten und den Markgrafen beob-
achtet werden ſolle, ward zuletzt in aller Form erneuert. 1


Wie in dem nördlichen, ſo bildete ſich hiedurch in dem
öſtlichen Deutſchland eine Vereinigung, deren Prinzip der
Friede war.


[335]Treffen bei Braunſchweig.

Den Bemühungen des Hauſes Brandenburg gelang es
nicht, Albrecht wie mit Auguſt ſo auch mit ſeinen übrigen
Feinden zu verſöhnen: aber es war nun wenigſtens dafür
geſorgt, daß dieſe Fehde nicht weiter um ſich greifen konnte:
es waren ihr beſtimmte Grenzen gezogen.


Innerhalb derſelben ließ die Entſcheidung nicht lange
auf ſich warten. Am 12ten September kam es noch ein-
mal zu einem Treffen zwiſchen Herzog Heinrich und dem
Markgrafen in der Nähe von Braunſchweig. Man er-
zählt, Albrecht habe bei ſeinem Angriff auf eine Meute-
rei gerechnet, die ſich im Heere des Herzogs, dem es an
Geld fehlte, entſponnen: noch zur rechten Zeit aber ſey der
nürnbergiſche Kriegszahlmeiſter eingetroffen, durch welchen
Reiter und Knechte befriedigt und wieder freudig gemacht
worden. Genug der Markgraf fand ſeinen Feind nicht al-
lein an Zahl überlegen, 1 hauptſächlich mit Fußvolk und Ge-
ſchütz auf das beſte verſehen, ſondern auch dieſer Truppen
ſicher, entſchloſſen und muthvoll. Bei Geitelde und Steter-
burg trafen ſie auf einander. Die Braunſchweiger ſtiegen
auf ihre Zinnen und Thürme, um den Gang des Gefechts zu
beobachten. Albrecht ſchlug mit gewohnter Tapferkeit: zwei-
mal warf er den Anfall des Feindes zurück, und faſt alle
Fahnen deſſelben ſanken; aber auch hier wie bei Sievers-
hauſen entſchied die Überlegenheit der Zahl: dem dritten
Anfall konnte er nicht widerſtehn. Der Herzog behauptete
[336]Zehntes Buch. Viertes Capitel.
die Wahlſtatt und ſchoß Victoria, daß in Braunſchweig die
Fenſter erzitterten.


Dieſes Ereigniß ward aber für Niederdeutſchland haupt-
ſächlich dadurch entſcheidend, daß Markgraf Albrecht, durch
ungünſtige Nachrichten von ſeinen Erblanden vermocht, den
Beſchluß faßte dahin zurückzukehren.


Herzog Heinrich war und blieb dort zuletzt doch Herr
und Meiſter im Felde.


Unverzüglich wandte er ſich gegen Braunſchweig; doch
hätte es ihm wohl ſchwer werden ſollen, mit ſeinem Geſchütz,
das er abermal auf einem nahen Berge aufpflanzte, die Stadt
zur Überlieferung zu zwingen. Dagegen kam ihm ſeine Ver-
bindung mit dem fränkiſchen Bunde, der ſich ſeiner Kriegskräfte
zu bedienen wünſchte, zu einem friedlichen Austrag zu Stat-
ten. Erasmus Ebner von Nürnberg leitete eine Unterhand-
lung ein, an welcher auch bald die umliegenden Städte,
auch Goßlar und Hildesheim Theil nahmen. Der Herzog
ſelber war milder geworden, und da auch er ſeine Wieder-
herſtellung wenigſtens guten Theils proteſtantiſcher Hülfe, der
des gefallenen Churfürſten und der Stadt Nürnberg verdankte,
mußte er wohl von der Heftigkeit ablaſſen, mit der er ſonſt
die Bekenner der neuen Lehre verfolgt hatte. Ohnehin waren
die Braunſchweiger nicht gemeint ſich ſeiner Gnade zu über-
laſſen. Als der Entwurf des Vertrags in einigen weſent-
lichen Puncten abgeändert zu ihnen zurückkam, beſchloſſen ſie
lieber mehr Volk zu werben und den Krieg aufs Äußerſte
fortzuſetzen. Hierauf fühlte ſich Heinrich bewogen, den Ver-
trag anzunehmen wie ſie ihn vorgeſchlagen.


So kam eine Streitſache zu Ende, welche alle nord-
[337]Friede zw. Hz. Heinrich u. d. St. Braunſchweig.
deutſchen Gebiete ſeit ſo vielen Jahren in Athem gehalten.
Der Herzog hatte den Städten die Veränderung der Reli-
gion nicht nachſehen wollen, ſondern vielmehr eben bei die-
ſer Gelegenheit ſie völlig in ſeine Hände zu bringen gedacht.
Dadurch waren die Städte bewogen worden, auch ihm die
Anerkennung ſeiner Oberherrlichkeit zu verſagen; Wechſel der
Übermacht und der Herrſchaft waren hier zahlreicher einge-
treten als irgendwo ſonſt. Jetzt aber entſchloß ſich der Her-
zog, die veränderte Religionsübung und die alten verbrief-
ten Gerechtſame anzuerkennen; wofür man auch ihm hin-
wieder ſeine Ehre gewährte. Die Abgeordneten der Bürger-
ſchaft thaten einen Fußfall; er ſagte ihnen, er vergebe ihnen
von Herzen und wolle fortan ihr gnädigſter Herr ſeyn und
bleiben. Am 29ſten October ward zu Braunſchweig das
Herr Gott dich loben wir unter Paukenſchlag geſungen: in
allen Kirchen dankte man Gott, daß er den „güldnen“ Frie-
den wieder ſchenke. 1


Schon früher war Herzog Erich durch Verwüſtung ſei-
nes Gebietes zu einem Abkommen genöthigt worden: ſo viel-
fachem Vorgang mußten jetzt auch die Edelleute folgen. Hein-
rich wandte das Geld, das ihm ſein alter Gegner Landgraf
Philipp zum Abtrag zahlte, zu ihrer Befriedigung an.


Hier fürs Erſte geſichert, nahm Heinrich nun den Weg
nach Franken, wohin ihn ſeine Bundesverwandten dringend
einluden.


Er hätte unterwegs Gelegenheit nehmen können, ſich an
ſeinen alten Gegnern, dem Grafen Albrecht von Mansfeld
und Johann Friedrich, zu rächen. Auch ſchien es wohl, als
Ranke D. Geſch. V. 22
[338]Zehntes Buch. Viertes Capitel.
habe er dieß im Sinn: er drohte alles zu verheeren, was
dem Grafen gehöre, ſeinen beſondern Antheil an dem Hauſe
Mansfeld auszubrennen; dem geweſenen Churfürſten warf
er neue Verbindungen mit Albrecht vor, und forderte eine
unerſchwingliche Brandſchatzung. Allein die Worte waren
ſchlimmer als die Handlungen. Die Zeiten waren vorüber,
wo Herzog Heinrich nur ſeinen Leidenſchaften folgte: jetzt
hörte er auf Entſchuldigungen und Fürbitten. Für dieß
Mal blieben die albrechtiſchen Beſitzthümer unzerſtört; mit
Johann Friedrich ward ein „endlicher, ewiger und gütlicher
Hauptvertrag“ aufgerichtet, in welchem er mit einer leidli-
chen Zahlung wegkam.


Dergeſtalt zog ſich die ganze Entſcheidung nach Fran-
ken, wo indeß der Krieg zwiſchen Albrecht und den Verbün-
deten ſehr ernſtlich fortgegangen war.


Zuerſt hatten die Völker der Biſchöfe und der Stadt
in Abweſenheit des Markgrafen die Übermacht im Felde er-
langt, und den Landen deſſelben vergolten was er in den
ihren gethan. Als ſie Neuſtadt an der Aiſch eroberten, nah-
men ſie ſich gar nicht einmal die Zeit, die dahin zuſammen-
geflüchteten Güter unter ſich zu vertheilen, ſondern ſie brann-
ten die Stadt mit denſelben unverzüglich auf. Mit ferdinan-
deiſchem Kriegsvolk war ihnen Heinrich von Plauen vom
Voigtland her zu Hülfe gekommen, hatte Hof eingenom-
men und ſich im Namen des römiſchen Königs daſelbſt hul-
digen laſſen.


Hierauf aber, unter dem doppelten Antrieb dieſer Nach-
richten und der in Niederſachſen erlittenen Niederlage, die ihm
dort keine Hofnung übrig ließ, war Albrecht zurückgekommen.


[339]Fehde in Franken.

Wie erſchraken die Plauenſchen Söldner, die ihrer Er-
oberung ſicher, ſich vor den Thoren von Hof gütlich thaten,
ſchmauſten und zechten, als der Markgraf, den ſie weit ent-
fernt wähnten, plötzlich mit der niederdeutſchen Reiterſchaar,
die den eilenden Ritt mit ihm gemacht, erſchien und ſie aus-
einanderſprengte. Seine Wuth gegen dieſen Plauen, „einen
Deutſchböhmen, der ſein von beiden Theilen zuſammenge-
raubtes Fürſtenthum nur immer weiter ausbreiten wolle,“
kannte keine Grenzen; dagegen bewies er den Bürgern, die
ſich ziemlich gut vertheidigt hatten, alle Anerkennung, die ſie
verdienten. Er hoffte es noch dahin zu bringen, daß er
ihnen alle ihre Verluſte erſtatten könne. Er hatte noch
Baireuth, Culmbach, die Plaſſenburg, wohin er jetzt das in
Hof erbeutete Plauenſche Geſchütz führen ließ, Schweinfurt
und Hohenlandsberg. Bald erfuhren ſeine Feinde, daß er
wieder da war: er entriß ihnen kleine Feſtungen, wie Lich-
tenfels; den ganzen Aiſchgrund hinauf trieb er Beute von
ihnen zuſammen.


Hätte nur ein Andrer indeß den Krieg in Niederdeutſch-
land an ſeiner Stelle geführt.


Da das nicht der Fall war, ſo geſchah was er durch
ſeinen Zug eben hatte verhindern wollen: der Fürſt, der dort
ihn geſchlagen, erſchien nun doch und zwar mächtiger und
angeſehener als je in Franken.


Bald mußte Albrecht fühlen, daß er der Verbindung ſo
vieler Feinde nicht gewachſen war.


Im Felde erlitt er am 7ten November bei Lichtenfels
eine Niederlage; bei Culmbach gelang es ihm nur eben ſich
durch die Feinde durchzuſchlagen. Hierauf flüchteten die Ein-
22*
[340]Zehntes Buch. Viertes Capitel.
wohner von Culmbach ihre fahrende Habe auf die Plaſſen-
burg und ſteckten ihre Wohnungen in Brand. Wie Culm-
bach, ſo fiel Baireuth und von neuem auch Hof in die
Hände der Feinde.


Und indem erſchien das lange zurückgehaltene Urtel des
Kammergerichts, durch welches Markgraf Albrecht wegen ſei-
ner landfriedensbrüchigen eigengewaltigen Thaten in die Acht
erklärt, ſein Leib, Hab und Gut Jedermann Preis gege-
ben ward.


Albrecht ſcherzte als er davon vernahm, aber bisher wa-
ren dieſe Urtel noch immer vollſtreckt worden, und daß auch
ihm nicht wohl dabei ward, zeigt die grenzenloſe Wuth, in
die er gerieth. Er befiehlt den Hauptleuten ſeiner Truppen,
ſie ſollen den Pfaffen, ſeinen Feinden, „zum glücklichen Neu-
jahr ein zehen Orte anſtecken oder zwanzig; ſie ſollen ein Feuer
anzünden, daß die Kinder im Mutterleibe einen Fuß an ſich
ziehen oder auch beide.“ „Wenn man mich verdirbt,“ rief
er aus, „wohlan, ſo will ich bewirken, daß auch andre Leute
nichts haben.“


Seine Stammesvettern und die Heidelberger Verbün-
deten ſuchten auch jetzt noch einen Austrag zu Stande zu
bringen: und zwei Mal ward im Anfang des Jahres 1554
darüber Verhandlung gepflogen; aber die Gegner wollten
dem gefährlichen Nachbar, den ſie jetzt nach Wunſch einge-
trieben, unter keiner andern Bedingung einen Stillſtand ge-
währen, als daß ſeine Ruhe von ſeinen Verwandten ver-
bürgt werde und er ſelber die Waffen niederlege.


Dazu wollte er ſich nimmermehr verſtehn. Noch hielt
er an allen ſeinen Anſprüchen, Brief und Siegel die er habe,
[341]Verhaͤltniß zu Frankreich 1554.
feſt. Die Anmuthung, den Kaiſer dieſer Verſchreibungen zu
entlaſſen, die ihm von dem Hof zu Brüſſel zugleich mit dem
Verſprechen einen alten Rückſtand zu zahlen zukam, wies
er mit Entrüſtung ab; 1 dem Biſchof von Arras, dem er
Schuld gab erſt ihn in ſeiner Abſicht gegen die Biſchöfe be-
ſtärkt und dann dieſe zum Widerſtand gegen ihn ermuntert
zu haben, ließ er entbieten, er werde durch keines Andern
als ſeine des Markgrafen Hand den Tod finden.


Ein Zuſtand, worin denn freilich nichts anders als ein
[...]rzweifelter Entſchluß zu erwarten war.


Wie in den beiden vorigen Jahren, ſo ſuchte der Kö-
nig von Frankreich auch zu dem neuen Feldzug, den er 1554
zu unternehmen beabſichtigte, Hülfe aus dem innern Deutſch-
land. An wen hätte er ſich, nachdem Moritz gefallen war,
eher wenden können als an den Markgrafen?


Einen nahen Anlaß bot das Geſchäft der Ranzionirung
des Herzogs von Aumale dar, der bisher noch immer gefan-
gen gehalten worden: — bald aber war man ohne Zweifel
noch über andre Dinge einverſtanden. Den Nachrichten zwar,
welche König Ferdinand ſeinem Bruder mittheilte, 2 als ſey
die Abrede, daß Albrecht dem Beiſpiel der Farneſen folgen
und die franzöſiſchen Fahnen in ſeinen Plätzen fliegen laſ-
ſen, dafür aber mit franzöſiſchem Geld zur Fortſetzung ſeines
Krieges un [...] werden ſolle, dürfte man nicht unbeding-
ten Glau [...]ſſen. Albrecht wenigſtens hat erklärt, der
Tractat mit dem man ſich trage, werde in Nürnberg oder
[342]Zehntes Buch. Viertes Capitel.
von ſeinem Feinde Arras geſchmiedet worden ſeyn. Aber
wahr iſt, und er ſelber geſteht es unumwunden, daß er die
franzöſiſchen Anträge nicht völlig von ſich wies. 1 Die Mei-
nung, vom kaiſerlichen Hofe mißhandelt, vom Reiche mit
Vernichtung bedroht zu ſeyn, und der trotzige Wunſch, die
Waffen um jeden Preis in der Hand zu behalten, trieben
ihn zu dieſem verzweifelten Schritte. Doch könnte man nicht
ſagen, worauf die Verabredungen gegangen ſind. Es ſcheint
als ſeyen einige frühere Verbündete im Verſtändniß gew [...]
ſen, wie Johann Albrecht von Meklenburg, Erich von [...]
lenberg. Auch die alten Kriegsoberſten ſuchte Heinrich II
zu gewinnen, deren Name bei jeder neuen Bewegung er-
ſcheint, Chriſtoph von Oldenburg, Wrisberg, von dem wir
einen Brief haben, worin er dem Kaiſer gar nicht verhehlt,
daß er mit fremden Fürſten in Unterhandlung ſtehe. Bis
an die Grenzen von Polen und Pommern waren Muſter-
plätze eingerichtet, wohin die Landsknechte bereits ihren Lauf
zu nehmen begannen; überall ſah man gardende Reiter;
bald machte ſich der Markgraf ſelbſt wieder nach Nieder-
deutſchland auf den Weg. Aus einer Inſtruction für einen
nach Deutſchland beſtimmten Abgeordneten ſehen wir, daß
ſich der König ſogar der Antipathien der deutſchen Linie des
Hauſes Öſtreich gegen den Kaiſer zu bedienen dachte. 2


[343]Verhaͤltniß zu Frankreich.

Wie ſehr aber waren die Verhältniſſe in Deutſchland
ſeit jenem erſten Bunde verändert. Jetzt wandte ſich der
allgemeine Widerwille bereits gegen Heinrich II ſelbſt, der
drei Städte des Reiches in Beſitz behalten und unter der
Hand immer weiter um ſich greifen zu wollen ſchien. Die
Leute mit denen er in Verbindung trat, waren bereits ge-
ſchlagen und auf das Äußerſte gebracht, ſie bedurften eher
Hülfe als daß ſie deren hätten leiſten können.


Und ſchon war Herzog Heinrich allen ihren Werbungen
zuvor gekommen. Georg von Holle und Willmar von Münch-
hauſen brachten ihm hauptſächlich mit fränkiſchem Geld zwei
große Regimenter zu Fuß, Hilmar von Quernheim und Li-
borius von Münchhauſen 1200 Pferde auf; einige Reiterge-
ſchwader ſchloſſen ſich ihm perſönlich an; eine Anzahl Lands-
knechte hatten ſich den Winter über im Verdenſchen unterhal-
ten. Mit dem Frühjahr ſuchte er alle Diejenigen heim, die
er für Anhänger des Markgrafen oder gar des Königs von
Frankreich hielt: die Herzoge von Lauenburg und Lüneburg,
welche der Verbindung mit Albrecht entſagen, Städte wie
Hamburg und Lübek, welche nicht unbedeutende Summen
zum Abtrag alter Feindſeligkeiten zahlen mußten, Herzog Jo-
hann Albrecht von Meklenburg, im Bunde mit dem Bru-
der deſſelben, Johann Ulrich, der ſich Antheil an der Lan-
desregierung erkämpfen wollte. Vergebens bot Johann Al-
brecht ſeine Ritterſchaft auf: Niemand wollte ſeine Pferde ge-
gen einen Feind ſatteln, mit dem einer ihrer Landesfürſten ver-
bündet war. 1 Dabei behielt Herzog Heinrich noch Leute ge-
nug, um auch nach andern Seiten hin Muſterplätze zu zer-
[344]Zehntes Buch. Viertes Capitel.
ſtören, z. B. einen in Tangermünde, albrechtiſche Reiter nir-
gends aufkommen zu laſſen.


Merkwürdiger Anblick, wie der alte Parteigänger ſich jetzt
als Executor der Reichsordnungen aufgeſtellt hat, von Ort
zu Ort zieht, und alles erdrückt was ſich empören will. 1


Und nun endlich ſprach auch der Kaiſer ſich aus. Er
hatte doch noch gewartet, bis Albrecht ihm ſeine Dienſte
förmlich aufkündigte. Hierauf erſt (18 Mai) erließ er die
Mandate zur Execution der über ihn geſprochenen Acht.


Das Schickſal Albrechts neigte ſich zu ſeiner Cataſtrophe.
In Niederdeutſchland etwas auszurichten, durfte er jetzt nicht
mehr hoffen. Die Abſicht gieng ihm durch den Kopf, mit
den ausgewanderten Proteſtanten die bei ihm waren, ſich
nach Böhmen oder Schleſien zu werfen; aber auch da war
man vorbereitet, ihn zu empfangen. Es blieb ihm nichts
übrig, als ſich nach Franken zurückzuwenden: mit ein paar
hundert Reitern, die ſich ihm in Ilmenau zugeſellt, gelangte
er Anfang Juni nach Schweinfurt.


Bereits ſeit ein paar Monaten war dieſe Stadt auf
das ernſtlichſte von biſchöflichem und nürnbergiſchem Volk
belagert. Noch wehrten ſich die Truppen Albrechts ſtand-
haft; auch die Einwohner nahmen mit Eifer an der Ver-
theidigung Theil, beſonders nachdem ſie den erſten Schrecken
[345]Ausgang Markgraf Albrechts.
überwunden, in den ſie anfangs durch die in die Stadt ge-
ſchleuderten Feuerkugeln verſetzt worden. 1 Schon war aber
der größte Theil der Wehren auf den Thürmen zerſchoſſen,
und nur mit großer Behutſamkeit konnte das Geſchütz noch
bedient werden; die Lebensmittel fiengen an zu mangeln,
Krankheiten riſſen ein, und nicht immer wollte das Kriegs-
volk ohne Beſoldung dienen. Der Markgraf ſah wohl daß
auch hier ſeines Bleibens nicht ſey.


Er hoffte noch, ſey es nun daß er dazu Grund hatte
oder ſich einer Täuſchung hingab, in Rothenburg Zuzug er-
warten zu können. Dahin brach er in der Nacht zum 13ten
Juni mit alle den Seinen von Schweinfurt auf. Aber die
Feinde waren ihm, und zwar auch, was er nicht gemeint,
an Reiterei viel zu überlegen als daß ſie ihn dahin hätten
entkommen laſſen. Schon auf der ſandigen Haide zwiſchen
Volkach und Kiſſingen holten ſie ihn ein. Sie hatten 1500
Hakenſchützen bei ſich, die man die freien Schützen nannte,
und die nun hier die beſten Dienſte leiſteten. Auf der Stelle
waren die Landsknechte Albrechts aus einander geſprengt und
ſeine Reiter warfen ſich in die Flucht; ſein Geſchütz, ſein
Silber, ſeine Briefſchaften und Kleider fielen dem Feinde in
die Hände. Mit Mühe rettete er ſich ſelbſt über den Main.
Indeſſen ward Schweinfurt, obgleich von den Truppen ver-
laſſen, von den Feinden ohne Erbarmen in Brand geſteckt.


[346]Zehntes Buch. Viertes Capitel.

Acht Tage ſpäter mußte auch die letzte culmbachiſche Feſte,
das alte Schatz- und Archivhaus, die Plaſſenburg, ſich er-
geben. Für die Verbündeten, deren Altvordern wie ſie ſel-
ber ſeit Jahrhundert von dieſer Burg her befehdet und be-
drängt worden, ein erwünſchter Anblick, als die Flammen
über die Zinnen aufſtiegen.


Denn ganz im eigentlichſten Sinn mit Feuer und Schwert
führte man in dieſen Zeiten den Krieg.


Markgraf Albrecht erſchien, doch nicht mehr als ein
Kriegsanführer, ſondern nur als ein Verbannter und Hülfe-
ſuchender in Frankreich. Wenigſtens nahe gekommen ſind
ihm noch ſpäter ſehr weitausſehende Entwürfe, doch iſt er
niemals wieder im Felde erſchienen. Vielmehr erhoben ſich
ihm allmählig die religiöſen Gedanken, mit denen ſeine Ju-
gend genährt worden, in aller ihrer urſprünglichen Stärke.
Er ſah ſein Unglück als eine Strafe Gottes an, deſſen Wort
er einſt verfolgt habe; er rechnete nach, wie Viele von De-
nen die den Zug nach Magdeburg mitgemacht, vor der Zeit
umgekommen ſeyen. Das ſchöne Kirchenlied, durch das er
bei den evangeliſchen Gemeinden in gutem Andenken geblieben
iſt, zeigt ein nach herber Prüfung wieder gefaßtes, den gött-
lichen Rathſchlüſſen in Leben und Tod vertrauendes Gemüth.


Indeſſen hatte in Deutſchland der fränkiſche Bund die
Oberhand. Er nahm kraft kaiſerlichen Indultes die Land-
ſchaft des Markgrafen in vorläufige Verwaltung; — auch
ließ er ſich nicht abhalten, bei einigen Ständen, welche ihm
anfangs beigetreten, ſpäter aber ſich wieder abgeſondert, wie
der Stadt Rothenburg und dem Deutſchmeiſter, ſein Recht
mit Gewalt zu ſuchen. Schon fürchtete Chriſtoph von Wür-
tenberg, an den Herzog Heinrich alte Anſprüche erhob, über-
[347]Beruhigung deutſcher Territorien.
zogen zu werden: er ordnete bereits ſein Kriegsvolk in ver-
ſchiedenen Aufgeboten; aber das Kammergericht und der Hei-
delberger Bund nahmen ſich ſeiner nachdrücklich an. Vier
Monat lang hielt der Bund Kriegsvolk im Felde, bis jede
Gefahr eines Angriffes vorübergegangen.


Herzog Heinrich begnügte ſich, die ihm näher geſeſſe-
nen alten Gegner heimzuſuchen, den Grafen von Henneberg,
Wolfgang von Anhalt, Albrecht von Mansfeld, mit dem er
jetzt mehr Ernſt machte, und deſſen Städte.


Und ſo viel wenigſtens ward hiedurch erreicht, daß nun
auch die fränkiſch-niederſächſiſchen Länder, wo kein Vertra-
gen möglich geweſen, in Folge der Entſcheidung der Waf-
fen beruhigt wurden.


Überhaupt neigte ſich alles zum Frieden. Die territo-
rialen Streitigkeiten in Deutſchland die bisher mit den großen
religiöſen Fragen oder den politiſchen Gegenſätzen von Eu-
ropa in Beziehung gekommen, wurden jetzt von denſelben ab-
gelöſt, und unter dem Einfluß der letzten Ereigniſſe, die keine
große Veränderung weiter erwarten ließen, meiſtentheils zu
Ende gebracht.


König Ferdinand hätte nicht in den Heidelberger Bund
aufgenommen werden können, hätte er nicht zu einem Aus-
trag ſeiner Streitigkeiten mit Würtenberg, auf das er ſeine
alten Anſprüche ſelbſt im Gegenſatz mit dem Kaiſer bisher
feſtgehalten, endlich die Hand geboten. Auf dem großen
Landtag von 1554, von welchem überhaupt der Geldhaus-
halt von Würtenberg einigermaßen geregelt ward, dachte man
auf die Mittel, die zur Ausgleichung mit Ferdinand nöthi-
gen Zahlungen zu leiſten.


Herzog Albrecht von Baiern, der in dieſer Sache mit
[348]Zehntes Buch. Viertes Capitel.
großem Eifer vermittelte, ſetzte die Politik ſeines Vaters we-
der gegen König Ferdinand, mit deſſen Tochter er vermählt
war, noch gegen die Pfalz fort. Wir finden nicht, daß er
der pfälziſchen Linie die Chur beſtritten habe.


Den katzenelnbogenſchen Streit, der in allen verſchie-
denen Lagen der öffentlichen Angelegenheiten aufgetaucht,
übernahmen jetzt, da es dem Kaiſer mißlungen war, einige
Mitglieder des heidelbergiſchen Bundes, die Churfürſten von
Trier und Pfalz, die Herzoge von Jülich und von Würten-
berg, auszutragen. Am 25ſten October hielten ſie die erſte
Sitzung darüber zu Frankfurt. Nach einiger Zeit brachten
ſie einen Entwurf zu Stande, der wirklich die Grundlage
des Vertrages geworden iſt, der einige Jahre ſpäter dieſe
Sache geſchlichtet hat. 1


Noch bei weitem tiefer hatten die Irrungen der beiden
ſächſiſchen Linien in die allgemeinen Angelegenheiten einge-
griffen. Der unwiderruflichen Entſcheidung welche die Waf-
fen darin gegeben, trat im Februar 1554 eine Abkunft zur
Seite, die den Frieden zwiſchen ihnen endlich wiederher-
ſtellte. Auguſt gab der Wittenberger Capitulation eine ſei-
nen Vettern bei weitem günſtigere Auslegung als ſein Bru-
der gethan. Jetzt erſt empfiengen ſie Altenburg, Eiſenberg,
Herbsleben, Altſtädt, das Recht der Einlöſung von Königs-
berg und mehrere andre Zugeſtändniſſe, die ihnen nach den
harten Verluſten die ſie erlitten, doch wieder einigermaßen die
Möglichkeit verſchafften, als deutſche Fürſten fortzudauern. 2


[349]Beruhigung deutſcher Territorien.

Abſichten, wie ſie Johann Friedrich auf Magdeburg ge-
hegt, waren durch den Lauf der Dinge beſeitigt. Der jüngſte
Sohn des Churfürſten Joachim, Siegmund, noch von ſei-
nem Lehrer geleitet, trat als Erzbiſchof ein. Die Oberherr-
lichkeit über die Stadt theilten Joachim und Auguſt mit
ihm. Im Jahr 1555 kam ein ausführlicher Vertrag, ge-
nannt das Tripartit, hierüber zu Stande.


Unter dem Schrecken der Anweſenheit der braunſchwei-
giſch-fränkiſchen Truppen in Boizenburg entſchloß ſich Jo-
hann Albrecht von Meklenburg zu der lange verweigerten
Theilung des Landes mit ſeinem Bruder Ulrich. Die Zwi-
ſtigkeiten zwiſchen Lauenburg und Ratzeburg wurden dadurch
beſeitigt, daß der bisherige Biſchof austrat und ein meklen-
burgiſcher Prinz ihm nachfolgte. Auch hier wirkte Herzog
Heinrich mit; indeß ließ man ihn auch hier nicht allzu weit
um ſich greifen. Die ſtarke Haltung welche Holſtein annahm,
hinderte ihn dahin vorzudringen. Der Kaiſer ſelbſt, der jetzt
zwar wieder mit Heinrich in Verbindung getreten, aber auch
mit Holſtein gut ſtand, hätte es nicht gewünſcht.


Durch den Gang den dieſe Ereigniſſe genommen, geſchah
nun nothwendig, daß die Franzoſen in dem Feldzug von 1554,
wiewohl ſie deutſche Truppen genug an ſich zogen, doch keine
Hülfe von dem innern Deutſchland her empfiengen.


Im Juni brach der König mit drei großen Heerhau-
2
[350]Zehntes Buch. Viertes Capitel.
fen in die Niederlande ein, die ſich außer mehreren andern
der feſten Plätze Marienburg, Bouvines und Dinant bemäch-
tigten. Dinant gehörte zu dem Bisthum Lüttich, das der
König ungefähr aus demſelben Geſichtspunct anſah wie Metz
und Cambrai, und dem er es nicht vergeben konnte, daß
es mit dem Kaiſer in ſo enge Verbindung getreten. In-
deſſen ſammelte der Kaiſer, den die Nachrichten von den Nie-
derlagen des Markgrafen von anderweiten Sorgen befreiten,
alle ſeine Macht zu Namur. Er wollte jedoch ſein Glück nicht
nochmals auf einen Schlachttag wagen, und ließ geſchehen
daß die Franzoſen vor ſeinen Augen über die Sambre gien-
gen und ſich nach dem Hennegau zogen; ſie bezeichneten ihren
Weg mit Verwüſtungen eben der blühendſten Orte, der Pal-
läſte zu Binche, der Gärten zu Marimont, welche ſich Köni-
gin Maria mit großen Koſten eingerichtet hatte: — angeblich
um ähnliche Verwüſtungen, die in Frankreich geſchehen wa-
ren, zu rächen; 1 — dann aber gieng das kaiſerliche Heer,
bei dem wir Graf Günther von Schwarzburg an der Spitze
einer ſchwarzen Reiterſchaar finden, die ſich nicht wenig her-
vorthat, den Franzoſen nach, drängte ſie nach Artois, entſetzte
Renty und drang zuletzt ſelbſt in die Picardie ein.


Während dem hatten ſich die Kreiſe, an welche die
Executionsmandate des Kaiſers gerichtet geweſen, zu Worms
verſammelt, um jeder Einwirkung welche Frankreich vermöge
ſeiner alten Verbindungen auf Deutſchland ausüben könne,
zu widerſtehn. Sie vereinigten ſich, daß dem Angegriffenen
[351]Beruhigung deutſcher Territorien.
oder auch nur Gefährdeten von allen Andern unverzügliche
Hülfe bis auf den Betrag eines doppelten Römermonats
geleiſtet werden ſollte.


Das war jedoch nicht mehr zu befürchten. Kriegsban-
denführer konnten ſich vielleicht für Frankreich erheben; da-
gegen war eine nachhaltige Verbindung eines mächtigen Für-
ſten mit dieſem Lande jetzt nicht mehr zu beſorgen.


Nach alle dem was geſchehen, und worüber man ſich
vereinigt, hatte Keiner mehr weder die alten Antriebe einen
Bund dieſer Art einzugehn, noch auch Ausſicht dadurch et-
was zu erreichen.


Da aber der Kaiſer hiezu nur wenig beigetragen, und
auch er ſeinerſeits des Reiches nicht mehr mächtig war, ſo
geſchah daß das Schwanken der allgemeinen Verhältniſſe
Deutſchland überhaupt nicht mehr ſo unmittelbar berührte
und ergreifen konnte wie bisher. Es blieb mehr ſich ſelber
überlaſſen.


Und hiedurch waren die Dinge ſo weit gereift, daß man
daran denken durfte, endlich auch die große Frage, von der
die allgemeine Unruhe hauptſächlich ihren Urſprung genom-
men, die religiöſe, zur Entſcheidung zu bringen.


[[352]]

Fuͤnftes Capitel.
Reichstag zu Augsburg 1555.


Im Sturme des Krieges war die Überzeugung von
der Nothwendigkeit einer religiöſen Ausſöhnung entſprungen:
ſchon der Paſſauer Vertrag war die Frucht deſſelben; durch
die beiden ſeitdem entſtandenen Bündniſſe, das heidelbergiſche
und das fränkiſch-braunſchweigiſche, in welchen Stände des
einen und des andern Bekenntniſſes einander zu Hülfe ge-
kommen, hatte ſie weiteren Grund und Boden gewonnen:
wie ganz anders als einſt, da das Nürnberger und das
ſchmalkaldiſche Bündniß die excluſiv confeſſionellen Gegen-
ſätze repräſentirten, und gegen einander in die Waffen zu
bringen drohten; allein mit alle dem war doch noch nichts
ausgemacht noch befeſtigt: nach mehr als zwei Jahren war
es noch nicht zu dem Reichstag gekommen, dem der Paſ-
ſauer Vertrag die wichtigſten Feſtſetzungen vorbehalten hatte;
Vielen däuchte es ſchon wieder gefährlich, daß ein ſo eifrig
katholiſcher Fürſt wie Herzog Heinrich zuletzt das Schwert
in der Hand hielt und ſich an allen ſeinen alten Feinden
rächen durfte.


Als endlich König Ferdinand, dem der Kaiſer volle Ge-
[353]Reichstag zu Augsburg 1555.
walt ertheilt hatte „abzuhandeln und zu beſchließen: abſo-
lute: ohne alles Hinterſichbringen“, den verſprochenen Reichs-
tag eröffnete, zu Augsburg, am 5ten Februar 1555, ſchien
ihm an dem Religionsfrieden wenig zu liegen; bei weitem
größeren Nachdruck legte er in ſeiner Propoſition auf die
Erneuerung des Landfriedens und eine durchgreifende Exe-
cutionsordnung. Einrichtungen zur Sicherſtellung des Be-
ſitzſtandes gegen Unternehmungen wie die letzten, wurden wie
von ihm, ſo von der Majorität der Fürſten, beſonders den
geiſtlichen, gefordert. 1 Was der fränkiſche Bund vollbracht,
die Stellung und Verfahrungsweiſe Herzog Heinrichs hatte
deren ganzen Beifall.


Auf einem Kreistage zu Frankfurt gegen Ende 1554
war ein Entwurf in dieſem Sinne vorgelegt worden, der
die Macht in wenigen Händen vereinigt hätte, nach der
Wahl der ſtändiſchen Mehrheit in den Kreiſen: die geiſtli-
chen Fürſten, welche zahlreich erſchienen waren, wünſchten,
daß vor allem andern dieſer Entwurf auf dem Reichstag
vorgenommen und durchgeführt würde.


Unmöglich aber durften die Proteſtanten dieß geſchehen
Ranke D. Geſch. V. 23
[354]Zehntes Buch. Fuͤnſtes Capitel.
laſſen, oder auch nur überhaupt die Einrichtung einer ſtar-
ken executiven Gewalt zugeben, ohne vorher über die wich-
tigſte geſetzliche Frage, den religiöſen Frieden, beruhigt zu
ſeyn. Unter den Umſtänden jener Zeit mochten die Gegner,
da das Gedächtniß an die letzten Ereigniſſe noch friſch war,
wohl nicht daran denken, die Proteſtanten zu bekriegen; aber
wie leicht konnten die Dinge ſich ändern: eine ſtarke Reichs-
gewalt in katholiſchen Händen, gegen die ſie nicht rechts-
beſtändig geſichert waren, konnte ihnen einmal ſo gefährlich
werden wie der Kaiſer geworden war.


Es ſieht wie eine nichtsbedeutende Formfrage aus, wenn
man vorläufige Berathungen darüber eröffnete, welcher Ge-
genſtand zuerſt vorgenommen werden ſolle, der Religions-
friede oder der Landfriede, aber es iſt eine Differenz welche
die Summe der Dinge berührt.


Die Proteſtanten fürchteten, wenn über den Landfrieden
beſchloſſen ſey, werde man ihnen den Religionsfrieden er-
ſchweren, vielleicht, ehe derſelbe bewilligt worden, den Reichs-
tag abbrechen.


In dem Churfürſtenrath wurde auch dieſe Angelegen-
heit, wie jetzt alle andern, zuerſt vorgenommen, lange jedoch
ohne Erfolg; fünf Mal ward Umfrage gehalten, ohne daß
man zu einer Mehrheit hätte gelangen können; ſchon ge-
ſchah der Vorſchlag, daß man die verſchiedenen Meinungen
dem Fürſtenrath referiren ſolle.


Die weltlichen Stimmen, welche auf die Priorität des
Religionsfriedens drangen, hatten jedoch den Vortheil, daß
ihre Forderung den vorhergegangenen Beſchlüſſen beſſer ent-
ſprach. In dem Paſſauer Vertrage hieß es, daß der Reichs-
[355]Reichstag zu Augsburg 1555.
tag die Religionsſache bald anfangs vornehmen ſolle; ſie
erinnerten ihre geiſtlichen Collegen, daß auch ſie jene Ab-
kunft „bei ihren fürſtlichen Ehren, in guter rechter Treue,
und bei dem Worte der Wahrheit bekräftigt“: würde man
von derſelben auch nur in Einem Puncte abweichen, ſo würde
alles was darin beſtimmt ſey, zweifelhaft oder ungültig wer-
den. Dazu kam, daß das Collegium, wenn es ſich entzweite,
an ſeiner Autorität verlor, was den geiſtlichen Mitgliedern
ſo wenig erwünſcht war wie den weltlichen.


Churfürſt Johann von Trier, ein geborner Iſenburg,
der auch ſonſt als ein gemäßigter und vaterländiſch-geſinn-
ter Mann erſcheint, wie wir denn wohl anführen dürfen,
daß ihn Sebaſtian Münſter wegen der Förderung rühmt,
die er ihm vor den meiſten andern Fürſten zu ſeiner Kosmo-
graphie gethan, erwarb ſich das Verdienſt, endlich, bei der
ſechsten Umfrage, auf die Seite der weltlichen Stimmen zu
treten. Dadurch war die Mehrheit entſchieden; doch hatte
es auch dabei nicht ſein Verbleiben: Cölln und Mainz folg-
ten dem Beiſpiele Triers nach. Ganz einhellig, und in ſol-
chen Ausdrücken, in welchen alle Andeutung einer urſprüng-
lichen Verſchiedenheit der Anſichten vermieden war, faßten
die Churfürſten den Beſchluß, daß am Reichstag zuerſt über
den beharrlichen Religionsfrieden berathſchlagt werden ſolle.


In dem Fürſtenrathe fehlte es nicht an Einwendungen
dagegen. 1 Beſonders machte man geltend, daß der Profan-
23*
[356]Zehntes Buch. Fuͤnſtes Capitel.
friede zunächſt bedroht ſey, und daher die nächſte Fürſorge
erfordere; kaiſerliche Schreiben und neue Zeitungen wurden
eingebracht nach denen ein unmittelbarer Friedensbruch be-
vorſtehn ſollte. Auch meinten wohl Einige, ſey erſt der Re-
ligionsfriede beſchloſſen, ſo werde man auf die Einrichtun-
gen des Landfriedens nicht mehr Bedacht nehmen.


Und wenigſtens dieſe letzte Beſorgniß brachte auf die geiſt-
lichen Churfürſten einen gewiſſen Eindruck hervor. Aber die
weltlichen gaben ihnen ihr Wort, daß nach der Feſtſetzung
des Religionsfriedens die Berathung über den Profanfrieden
unfehlbar folgen ſolle. Aller Widerrede zum Trotz mußten
am Ende auch die Fürſten ſich fügen.


Es hat acht Tage lebhaften Kampfes gekoſtet, ehe man
ſo weit kam; der Ausfall deſſelben aber gab nun auch für
die Hauptſache, zu der man nunmehr ſchritt, eine größere
Sicherheit.


Berathungen über den Religionsfrieden.


Von allen Forderungen welche die Proteſtanten jemals
aufgeſtellt, war die wichtigſte, daß ihnen ein nicht mehr durch
die Ausſicht auf eine conciliare Beſchlußnahme beſchränkter, ſon-
dern ein unbedingter immerwährender Friede bewilligt würde.


Nicht als hätten ſie mißkannt, wie wünſchenswerth für
1
[357]Berathungen uͤber den Religionsfrieden.
die deutſche Nation eine religiöſe Wiedervereinigung wäre;
aber ſie wollten dieſelbe nicht mehr von einem Concilium
erwarten: ſchon in Bezug auf den Glauben nicht, für den
ſie eine feſtere Grundlage gewonnen, als die in der leicht
von zufälligen Einflüſſen zu beſtimmenden Entſcheidung ho-
her Prälaten lag, eben ſo wenig aber für die äußeren Ver-
hältniſſe der Kirche, wo die Abweichungen, die ſie getroffen,
das ganze Weſen ihres Staates bedingten.


Von allgemeinem Standpunct angeſehen, war die Frage
die: ob es in der abendländiſchen Chriſtenheit noch ein als
unfehlbar betrachtetes höchſtes Tribunal geben ſollte, deſſen
Entſcheidungen für Jedermann verpflichtend ſeyen und mit
Gewalt durchgeführt werden müßten. Nicht allein die All-
gemeingültigkeit dogmatiſcher Feſtſetzungen hieng davon ab,
ſondern auch, und darin liegt noch mehr ihre welthiſtoriſche
Bedeutung, alle freie Staatenbildung, zunächſt das Beſtehn
der bereits in der germaniſchen Welt begonnenen minder
kirchlichen Gründungen.


Gewährte das Reich einen von keiner conciliaren Ent-
ſcheidung bedingten Frieden, ward dieſer zu einem Reichs-
geſetz erhoben, ſo bedurfte es keiner weitern Conceſſion der
bisherigen oberſten Kirche [...]t, die ſich auf ihre Ortho-
doxie zurückziehen mochte, aber doch niemals weiter auf
legale Unterſtützung der Reichsgewalt rechnen konnte. Viel-
mehr wäre dieſe ſogar zum Widerſtand gegen jeden einſei-
tigen Verſuch der Gewalt verpflichtet geweſen.


Über dieſe Frage waren die Proteſtanten im Jahr 1545
mit dem Kaiſer zerfallen: ſie gab, wie wir ſahen, den ei-
gentlichen Anlaß zum ſchmalkaldiſchen Kriege; nachdem aber
[358]Zehntes Buch. Fuͤnftes Capitel.
der Kaiſer geſiegt, war ſie noch vollkommener in das allge-
meine Bewußtſeyn getreten: die Vorbereitungen die dieſer
nicht ohne Gewalt zur Wiedervereinigung getroffen, darauf
die Beſorgniß vor einer nahen Entſcheidung des Conciliums
hatten die Geiſter in jene allgemeine Gährung gebracht, aus
der das Unternehmen des Churfürſten Moritz wenigſtens zum
Theil entſprang und gewiß ſeine beſte Unterſtützung zog.
Der Umſchwung des Glückes der hieraus erfolgte, brachte
dann auch die große Frage ſofort wieder in Gang. Der
unbedingte Friede war die erſte Forderung welche die Pro-
teſtanten in Paſſau aufſtellten, ſie enthält die Summe deſſen
in ſich, was ihnen nothwendig war.


Wir ſahen, wie ſich der Kaiſer auch unter den ungün-
ſtigen Umſtänden in denen er ſich damals befand, nicht be-
wegen ließ ſie zu bewilligen. Er hatte ſich nun einmal von
jeher als den Verfechter und Repräſentanten der großen kirch-
lichen Einheit betrachtet. Er drang auch fortan auf die Ver-
gleichung der Religion und behielt ſie ſich vor: nur daß er
ſich mit minderer Beſtimmtheit über die Art und Weiſe ſie
zu Stande zu bringen ausdrückte: er gewährte nichts als
einſtweiligen Frieden. Wäre er wieder Herr im Felde gewor-
den, ſo würde er leicht die Dinge in den alten Gang zurück-
geleitet haben. Allein ſein Glück war ſo ſchwankend gewe-
ſen, ſein Anſehen im Reich ſo ſichtbar in Abnahme gerathen,
daß er, die Kräfte erwägend die ihm entgegenſtanden, nicht
mehr hoffen durfte mit ſeinem Gedanken durchzudringen.


Aber auch das ließ ſich nicht erwarten, daß er ihn auf-
geben, oder es nur auf die Gefahr ankommen laſſen würde,
von dem Reiche zu einem ſeiner Sinnesweiſe entgegengeſetzten
[359]Berathungen uͤber den Religionsfrieden.
Beſchluß getrieben zu werden. Wie er immer geſagt, eher
war er entſchloſſen, das Reich ſich ſelber zu überlaſſen.


Dieß iſt der Grund, weshalb er Verzicht darauf lei-
ſtete an dem Reichstag zu erſcheinen und die Verhandlung
ſo ganz ſeinem Bruder überließ. Wir könnten es ſchon ver-
muthen, aber wir wiſſen es auch aus ſeinem Munde. Was
ſeine öffentlichen Ausſchreiben, enthielten, erläutert er ſeinem
Bruder in einem Briefe vom 10ten Juni 1554 ausführli-
cher. Er ſagt darin, daß Ferdinand als römiſcher König
auf dem Reichstag alles entſcheiden möge, was daſelbſt
vorkomme, ohne von ſeiner Seite Reſolution zu erwarten;
die Commiſſarien die er ſenden werde, ſollen ſich doch in
die Entſcheidung nicht zu miſchen haben; dieſe überlaſſe er
vielmehr dem König und den Ständen vollkommen, nicht
in ſeinem Namen noch in ſeiner Vollmacht. „Und um
Euch den Grund hievon anzugeben,“ fügt er hinzu, „es ge-
ſchieht allein aus Rückſicht auf die Religion, über welche
ich meine Scrupel habe.“ Er bittet ihn, keinen andern
Grund irgend einer Art zu vermuthen und ſich vielmehr daran
erinnern zu wollen, was er ihm vollſtändiger in Villach ge-
ſagt habe. 1


Und nun forderte er zwar auch ſeinen Bruder auf, nichts
anzunehmen, wodurch ſein Gewiſſen beſchwert, oder der Zwie-
ſpalt vergrößert und deſſen Abhülfe in allzu weite Ferne ge-
[360]Zehntes Buch. Fuͤnftes Capitel.
rückt würde: er hegte die Hofnung noch, das letzte, wider-
wärtigſte Zugeſtändniß werde ſich vermeiden laſſen; war das
aber nicht möglich, ſo wollte er wenigſtens nichts damit zu
ſchaffen haben. In ihm hatte ſich die religiöſe Überzeugung
mit dem Selbſtgefühl des Staatsmannes durchdrungen, der
den Schimpf nicht erleben will, den Gedanken fallen laſſen
zu müſſen, den er mit allen Mitteln lange Jahre daher zu
verwirklichen getrachtet. Mochte dann ſein Bruder mit ſich
ſelber zu Rathe gehn und die Dinge ſo weit führen als
er vermochte.


Nun leuchtet ein, wie ſehr ſich hiedurch die Lage der
Dinge änderte. Der Kaiſer, der bei den Verhandlungen in
Paſſau der ſonſt bei den Anweſenden allgemein geworde-
nen Überzeugung von der Nothwendigkeit des unbedingten
Friedens allein Widerſtand geleiſtet, zog ſich zurück und ließ
denſelben freien Lauf.


Freilich fehlte noch viel, daß die Sache damit entſchie-
den geweſen wäre.


An dem Reichstage wurde das geiſtliche Intereſſe bei
weitem ſtärker repräſentirt als in Paſſau. Überdieß war es
aber jetzt durch die Thätigkeit des braunſchweigiſch-fränkiſchen
Bundes bei weitem beſſer geſichert und der Bedrängniſſe über-
hoben, welche damals zur Nachgiebigkeit genöthigt hatten.
Auch iſt es doch ganz etwas anders, eine Sache vorläufig
für wünſchenswerth zu erklären, wie dort geſchehen war, und
ſie auf immer zu bewilligen, was der Erfolg eines Reichs-
tagsbeſchluſſes werden mußte.


Glücklicherweiſe war das Churfürſtencollegium friedlich
geſinnt. Die geiſtlichen Churfürſten waren noch eben Die,
[361]Berathungen uͤber den Religionsfrieden.
welche durch die albrechtiſchen Züge erfahren hatten, wohin
Religionskriege führen; wer ſtand ihnen dafür, daß nicht
bald ein neues kriegeriſches Oberhaupt ſich aus den Reihen
ihrer Gegner erhob? Zwei von ihnen waren Mitglieder des
heidelbergiſchen Bundes, und dadurch noch beſonders zu ei-
nem gemäßigten Verfahren gegen die Genoſſen einer andern
Confeſſion verpflichtet.


Das mußte denn auch in dem Fürſtenrathe unter an-
dern auf Herzog Albrecht von Baiern wirken, der demſel-
ben Bunde angehörte und der ſich auch ſonſt als ein ſchlech-
ter Freund der Spanier und ihrer Tendenzen auswies.


Schon der Ausfall der vorläufigen Frage hatte das
Verhältniß beider Räthe, das Übergewicht des churfürſtlichen
im Allgemeinen herausgeſtellt.


In dieſem kam nun auch die Frage von dem unbeding-
ten Frieden zuerſt zur Verhandlung, und zwar zunächſt in
einem Ausſchuß deſſelben, der dadurch gebildet wurde, daß
nicht die geſammten Geſandtſchaften erſchienen, ſondern von
jeder nur Ein Rath. 1


Und hier wurden nun anfangs einige ſehr abweichende
Gedanken geäußert. Eine geiſtliche Stimme rieth, den Ab-
ſchied von 1530 zu Grunde zu legen: die weltlichen erwie-
derten, daß dieß das Mittel ſeyn würde, — denn gegen die-
ſen Abſchied hatte ſich die ganze Bewegung des Proteſtan-
[362]Zehntes Buch. Fuͤnftes Capitel.
tismus erhoben, — nicht Friede zu ſtiften, ſondern den al-
ten Haß zu erneuern. Cölln meinte, man möge kaiſerlicher
Majeſtät nochmals die Vergleichung heimſtellen, — eben da-
hin aber hatte man bis jetzt gearbeitet, dem Kaiſer die Sache
aus der Hand zu nehmen; er ſelbſt ließ ſich nicht träumen,
daß dieß nochmals geſchehen konnte. Nach einigem Hin und
Herreden mußte man nothwendig auf die in Paſſau gefaßten
Geſichtspuncte und Vorſchläge zurückkommen. Der Canzler
von Mainz übernahm, aus dem Abſchied von 1544, der
jetzt endlich wieder zu Ehren kam, und den Paſſauer Be-
ſchlüſſen einen Entwurf zu neuen Artikeln zuſammenzuziehen,
die in der That die Grundlage des Religionsfriedens gewor-
den ſind. Wie ſie der Churfürſtenrath annahm, ſo ward
darin nicht allein die in Paſſau beliebte Formel wiederholt,
daß man zwar auf eine Vergleichung durch chriſtliche freund-
liche Mittel denken werde, der Friede aber beſtehen ſolle,
auch wenn die Vergleichung nicht zu Stande komme, ſon-
dern dieſe ward auf den Vorſchlag des ſächſiſchen Geſand-
ten durch den Zuſatz noch verſtärkt, „es ſolle in alle Wege
ein beſtändiger, beharrlicher, unbedingter, für und für ewig
währender Friede beſchloſſen und aufgerichtet ſeyn.“ 1


Eine vorläufige Frage erhob ſich hiebei noch, wie nem-
lich die beiden Parteien zu bezeichnen ſeyen, zwiſchen denen
der Friede geſchloſſen werde. Trier machte den Vorſchlag,
die Einen als Bekenner der alten katholiſchen Religion, die
Andern als Verwandte der Confeſſion die im Jahr 1530
[363]Berathungen uͤber den Religionsfrieden.
übergeben worden, aufzuführen. Es verdient angemerkt zu
werden, daß die weltlichen Churfürſten ſchon das Erſte zu-
rückwieſen, denn auch auf der andern Seite bekenne man
eine einzige katholiſche Kirche; ſelbſt den Ausdruck „Ver-
wandte der alten Religion“ gaben ſie nur zu, weil er ſchon
im Paſſauer Vertrag gebraucht worden; aber noch viel be-
merkenswerther und auffallender iſt es, daß ſie die ausdrück-
liche Beſchränkung auf die im Jahre 1530 übergebene Con-
feſſion verwarfen. Sie erinnerten ſich, daß die kleine auf
die Herſtellung der Eintracht in der Abendmahlslehre be-
zügliche Abänderung der urſprünglichen Worte von den Geg-
nern ſchon öfters hatte benutzt werden wollen ſie zu ent-
zweien. Nicht allein Pfalz ſtimmte gegen die Nahmhaftma-
chung der Jahrzahl, ſondern auch Sachſen war dagegen.
Der ſächſiſche Bevollmächtigte erklärte, die Dinge ſo enge
einzuziehen, würde Mißtrauen erzeugen: hier handle man
nicht von Religionsartikeln, ſondern vom Frieden; am beſten
werde man thun, wenn man auch hier dem paſſauiſchen Ver-
trage folge, worin die Confeſſion im Allgemeinen genannt
worden, ohne das Jahr. 1


Und ſo war der Beſchluß, einen Frieden aufzurichten,
der unberührt von den Differenzen der religiöſen Syſteme,
der proteſtantiſchen Meinung und Verfaſſung im Ganzen
und Großen ein ungefährdetes Daſeyn gewähren, aller Ge-
waltſamkeit aus religiöſem Grunde zwiſchen den verſchiede-
nen Ständen auf immer ein Ende machen ſollte.


[364]Zehntes Buch. Fuͤnftes Capitel.

Als nun aber dieſer Entwurf in den Fürſtenrath kam,
fand er den größten Widerſpruch.


Der päpſtliche Nuntius Morone erinnerte die geiſtlichen
Fürſten, welche hier die Mehrzahl ausmachten, an die Pflicht,
mit der ſie dem römiſchen Stuhle verwandt ſeyen.


Hierauf erklärte Biſchof Otto Truchſeß von Augsburg,
daß er von dem vorgelegten Entwurf des Friedens weder
viel noch wenig bewilligen könne; er vermaß ſich, ehe er
auf Verhandlungen darüber eingehe, Leib und Leben, alles
was er auf Erden habe, zu verlieren. 1


Viele andere meinten, daß man von einem künftigen
Austrag in der Religion nicht abſehen, nur einen beſchränk-
ten Frieden zugeſtehn, alle Streitigkeiten darüber zur Decla-
ration des Kaiſers ſtellen müſſe.


König Ferdinand machte noch einen Verſuch, die ganze
Berathung auf den Landfrieden zurückzuführen. Er ließ die
churfürſtlichen Geſandten perſönlich zu ſich kommen, um ſie
dazu zu vermögen, und legte im Reichsrath darauf bezüg-
liche Supplicationen vor.


Dagegen aber ergriffen die proteſtantiſchen Mitglieder
des Fürſtenraths den Entwurf der Churfürſten mit aller Theil-
nahme die er verdiente; beſonders zeigte ſich Chriſtoph von
Würtenberg, den man als „den Rädelsführer der Partei“
bezeichnete, unerſchütterlich.


Indeſſen würden ſie ſchwerlich durchgedrungen ſeyn, hät-
ten ſie nicht von außen her einige Unterſtützung bekommen.


Im März 1555 vereinigten ſich die Häuſer Sachſen,
[365]Berathungen uͤber den Religionsfrieden.
Brandenburg und Heſſen wie berührt zur Erneuerung ihrer
alten Erbverbrüderung. Es war recht das Gegentheil von
den religiöſen Entzweiungen, die bei einem ähnlichen Vorha-
ben, im J. 1537 zu Zeiz, zwiſchen ihnen ausgebrochen, daß
ſie jetzt dem römiſchen König einmüthig ihren Entſchluß er-
klärten, an der augsburgiſchen Confeſſion feſtzuhalten und
in religiöſen Dingen keine Stimmenmehrheit anzuerkennen.
Sie beſchwuren ihn, ſich nicht durch fremde, der deutſchen
Nation vielleicht feindſelig geſinnte Leute von dem hochbe-
theuerten paſſauiſchen Vertrag abführen zu laſſen, vielmehr
die Zuſage die er einſt gegeben, einen beharrlichen Frieden
aufrichten zu wollen, nunmehr zu erfüllen. 1 Der ſächſiſche
Geſandte weiß nicht auszudrücken, wie viel guten Namen
dieſe Erklärung der erbverbrüderten Fürſten mache, auch in
der Stadt Augsburg: in öffentlicher Predigt habe man Gott
dafür Dankſagung dargebracht.


Ferner aber geſchah, daß nach dem Tode des Papſt
Julius (am 24ſten März 1555) die beiden heftigſten Geg-
ner des Entwurfs, Morone und Truchſeß, beides Cardinäle
der römiſchen Kirche, den Reichstag verließen, um ſich zum
Conclave zu begeben.


Da dergeſtalt die Einen verſtärkt, die Andern geſchwächt
wurden, ſo überwog allmählig die mildere Meinung. Die
geiſtlichen Fürſten nahmen zwar nicht, wie ihre weltlichen
Collegen, den churfürſtlichen Entwurf förmlich an: ſie mach-
ten vielmehr in dem beſondern Gutachten das ſie eingaben,
viele Ausſtellungen dagegen; aber ſie wieſen ihn doch auch
[366]Zehntes Buch. Fuͤnftes Capitel.
nicht geradehin von ſich: ſie giengen auf die Hauptgrund-
lagen ein, freilich mit dem Vorbehalt, ſo weit es ihre geiſt-
liche Amtspflicht erlaube.


Merkwürdig welchen Eindruck ſie durch dieſe Erinnerung
wie durch jene frühere doch noch einmal bei ihren Amtsbrüdern
den Erzbiſchöfen im Churfürſtenrathe hervorbrachten. Es ſchien
faſt als wollten dieſe jetzt auf dieſelbe Weiſe ſich verclauſuli-
ren. Nicht von ihnen, meinten ſie, rühre die Einwendung her:
da ſie aber einmal vorgebracht worden, würden ſie ohne Tadel
ſich nicht weigern können ihr beizupflichten. Die weltlichen Rä-
the erinnerten: ſie rühre von Leuten her, die dem Papſte mehr
verwandt ſeyen als dem Reiche. Sie wollten nichts davon
hören, daß jene ſich wenigſtens Zeit ausbaten, um von ihren
Herrn Beſcheid über dieſe neue Schwierigkeit einzuholen;
dann, ſagten ſie, würden auch ſie Reſolution von den ihren
verlangen, bis wohin dann jede weitere Berathung unter-
bleiben müſſe; ſie hatten den Muth die Sitzung ohne Wei-
teres abzubrechen. Denn das leuchtete im erſten Augenblicke
ein, daß unter einem ſolchen Vorbehalt, der dem Einfluß
des römiſchen Stuhles, auf den er ſich hauptſächlich bezog,
Thür und Thor geöffnet hätte, an keine Beendigung des re-
ligiöſen Streites, keine Feſtſetzung des Friedens zu denken
geweſen wäre. Was der Kaiſer ſchon nicht bewilligen wol-
len, war von dem Papſt nimmermehr zu erwarten. Wohl
fühlten das auch die geiſtlichen Räthe: ſie bereuten ihren
Mißgriff faſt in demſelben Augenblick, in dem ſie ihn began-
gen. Schon indem man nach Hauſe gieng, näherten ſich
einige von ihnen den brandenburgiſchen Geſandten mit be-
gütigenden Worten. Bald darauf erſchien der mainziſche
[367]Berath. uͤb. d. Religionsfr. Jurisdiction.
Canzler in der Wohnung der ſächſiſchen Abgeordneten, und
bat ſie, die gewöhnliche Poſt an ihren Herrn, durch welche
ſie von dieſem Ereigniß hätten Nachricht geben müſſen, nicht
abzufertigen. Er verwarf jetzt dieſe Clauſel ſelbſt mit den
ſtärkſten Ausdrücken. 1 In den Erzbiſchöfen und Churfür-
ſten war von jeher ein lebendiges Gefühl der Autonomie
des Reiches, die ſie auch im Gegenſatz gegen Rom behaup-
teten. Den andern Tag ließen ſämmtliche Stimmen jenen
Vorbehalt fallen.


Nun erſt konnte der Beſchluß, den beharrlichen Frieden
zu Stande zu bringen, einigermaßen geſichert ſcheinen: vor-
ausgeſetzt daß man ſich über die einzelnen Beſtimmungen die
dabei getroffen werden mußten, einverſtehn würde.


Am leichteſten kam man mit dem Artikel über die Ju-
risdiction zu Stande. Die geiſtlichen Fürſten beider Colle-
gien ſahen ein, daß der Vorbehalt der Jurisdiction den Frie-
den, ja das Daſeyn des Proteſtantismus überhaupt unmög-
lich machen würde. Sie mußten nur darüber beruhigt wer-
den, daß man nicht die Capitel aus proteſtantiſchen Städ-
ten verjagen wolle. Unter dieſer Bedingung gaben ſie zu,
was ohnehin nicht mehr zu ändern ſtand. So leicht es aber
auch ward, ſo liegt hierin doch im Grunde die Summe der
Dinge. Das Beſtehen der proteſtantiſchen Kirchen gewann
erſt dadurch allgemeine rechtliche Anerkennung. Was einſt Phi-
lipp von Heſſen im erſten Eifer dem Churfürſten von Mainz
[368]Zehntes Buch. Fuͤnftes Capitel.
abzwingen wollen, ward jetzt durch Reichsbeſchluß allen Evan-
geliſchen gewährt.


Auch bei dem Artikel über die geiſtlichen Güter erhoben
ſich nicht ſo viele Schwierigkeiten als man an ſich hätte er-
warten ſollen, und als ſelbſt noch der erſte Entwurf, der
eine Menge Ausnahmen zum Vortheil einzelner Perſonen
enthielt, erwarten ließ. Die ſächſiſchen Geſandten erwarben
ſich das Verdienſt, einen annehmbaren Vorſchlag einzubrin-
gen. Er lautete dahin, daß alle eingezogenen Güter, welche
nicht Reichsunmittelbaren angehörig geweſen, in dem Frie-
den begriffen ſeyn, Niemand ihrethalb angefochten werden
ſolle. Dahin waren ſchon lange alle Erklärungen der pro-
teſtantiſchen Fürſten gegangen, daß man nicht diejenigen Gü-
ter auf welche das Reich gegründet ſey, angreife, ſondern
nur die andern, welche in jedem Lande gelegen, zu verwenden
gedenke. Es war eine andre Frage, die ſich bei pfälziſchen
Anſprüchen erhob, ob es nicht wieder einem Zweifel unter-
liege, in welche der beiden Kategorien jede Stiftung ge-
höre: genug daß man den Grundſatz anerkannte. Ob aber
nicht über die Verwendung der dergeſtalt der Hierarchie ent-
fremdeten Güter etwas beſtimmt werden ſollte? Mainz war
nicht dafür. Was gegeben, ſagte der Canzler, ſey für voll
gegeben worden; ſie ſeyen doch weg, wer wolle ihnen nach-
fragen? Dagegen ward von den Fürſten eine Clauſel bean-
tragt und wirklich in den Abſchied gebracht, nach welcher
das nur von den Gütern gelten ſollte die ſchon zur Zeit
des Paſſauer Vertrags eingezogen geweſen.



[369]Berath. uͤb. d. Religionsfr. Geiſtliche Guͤter.

Überhaupt, was bereits geſchehen, ließ man ſich gefal-
len: die großen Irrungen erhoben ſich darüber was in Zu-
kunft geſchehen dürfe.


Die weltlichen Churfürſten forderten auf den Vorſchlag
der Pfalz, daß der Friede allen Denen zu Gute kommen
müſſe die ihrer Confeſſion auch in Zukunft beitreten würden.
Noch einmal regte ſich hierüber in den geiſtlichen die Vor-
ausſetzung daß der alte Zuſtand der allein rechtliche gewe-
ſen: und Cölln meinte wohl, jede weitere Neuerung müſſe
ernſtlich verboten werden. Die weltlichen verſetzten: ob es
nicht heiße, den Frieden in Unfrieden verkehren, wenn man
Diejenigen mit dem Schwert verfolgen wolle, die zu ihnen
träten? Die Verhandlungen über dieſen Artikel mußten un-
terbrochen werden; es dauerte einige Zeit, ehe ſich die Geiſt-
lichen von den Begriffen losriſſen, die allerdings den al-
ten Einrichtungen zu Grunde lagen und die Geiſter lange
Jahrhunderte beherrſcht hatten. Unter Vortritt von Mainz
gaben ſie endlich zu, daß die Anhänger der augsburgiſchen
Confeſſion nicht angegriffen werden ſollten, „zu welcher Zeit
ſie auch derſelben verwandt geworden.“ Ein neuer Sturm
erhob ſich, als dieſer Entwurf in den Fürſtenrath kam. Die
weltlichen Fürſten, die ſonſt nicht nachzugeben pflegten, zo-
gen dieß Mal vor, die letzte Clauſel wegzulaſſen, und ein-
fach dabei ſtehen zu bleiben, daß Niemand wegen der augs-
burgiſchen Confeſſion angegriffen werden dürfe. 1 Und war
Ranke D. Geſch. V. 24
[370]Zehntes Buch. Fuͤnftes Capitel.
das nicht im Grunde daſſelbe? Die Zeitbeſtimmung diente
nur Widerſpruch zu erwecken. Schon genug, daß der Friede
nicht ausdrücklich auf die bereits Beigetretenen beſchränkt
wurde. Geiſtliche und weltliche Churfürſten trugen kein Be-
denken, hierin dem fürſtlichen Collegium nachzugeben.


Damit aber näherte man ſich einer andern Frage, der
wichtigſten und in ſich ſelbſt ſchwierigſten, die bei den Be-
ſtimmungen des Friedens überhaupt vorgekommen iſt.


Wie nun, wenn auch Diejenigen die Confeſſion annah-
men, welche die Hochſtifter des Reiches inne hatten? Durch
die Beſtimmungen die man getroffen, wären auch ſie in den
Frieden eingeſchloſſen geweſen. Erzbiſchöfe und Biſchöfe, die
geiſtlichen Churfürſten ſelbſt hätten Proteſtanten ſeyn können.
Dem evangeliſchen Bekenntniß wäre die Ausſicht eröffnet wor-
den, im Laufe der Zeit noch einmal zur vollen Herrſchaft im
Reiche zu gelangen.


Man gab wohl an, daß hiemit das Beſtehen des Rei-
ches überhaupt gefährdet ſey: aber ohne Zweifel mit Un-
recht. Die Einwendung, daß die Stifter erblich werden wür-
den, ließ ſich leicht widerlegen. Man brauchte nur, wie
die anweſenden Räthe vorſchlugen, durch eine beſondere
Reichsconſtitution feſtzuſetzen, daß dieß nicht geſchehen dürfe,
daß die Hochſtifter bei ihren Wahlen und ihrer ſonſtigen
Verfaſſung zu laſſen ſeyen; dann lag hierin ſogar das ein-
zige Mittel, die Einheit des Reiches durch die Gleichheit des
Bekenntniſſes in geiſtlichen und weltlichen Herrſchaften wie-
1
[371]Ber. uͤb. d. Religionsfr. Geiſtlicher Vorbehalt.
derherzuſtellen und für immer aufrecht zu erhalten. 1 Aber
unleugbar iſt, daß der Vorſchlag die größte Gefahr für den
Katholicismus einſchloß. Bei weitem die meiſten Reichsfür-
ſten waren evangeliſch, und leicht konnten alle Stifter von
ihnen eingenommen werden. Man darf ſich nicht wundern,
wenn ſich die Geiſtlichen lebhaft zur Wehre ſetzten. Sie
ſchlugen vor, das Zugeſtändniß, daß Niemand wegen der
Religion angegriffen werden ſolle, ausdrücklich auf die welt-
lichen Stände zu beſchränken, ſo daß es niemals auf geiſt-
liche angewendet werden könne. Sie führten aus, daß Ent-
ſetzung von Amt und Würden die natürliche Folge des Über-
tritts ſey. Die weltlichen Räthe antworteten, einmal, daß
dadurch der Friede wieder gefährdet werde: die Confeſſions-
verwandten würden ihre Freunde und Blutsverwandten nicht
um der Religion willen entſetzen laſſen; — und ſodann:
ſey es nicht ſchimpflich für die Confeſſion, daß ſie nur von
Weltlichen, nicht auch von Geiſtlichen bekannt werden ſolle?
es liege eine Art von Strafe darin, daß Jemand des Be-
kenntniſſes halber von den geiſtlichen Würden ausgeſchloſſen
ſey. Mochten ſie aber auch ſagen was ſie wollten, 2 dieß
Mal drangen ſie nicht durch. Mainz, das ſonſt in den
meiſten Stücken den Weltlichen beigetreten war, hielt jetzt
24*
[372]Zehntes Buch. Fuͤnftes Capitel.
auch deshalb feſt, weil ſo eben nach dem Tode Heuſen-
ſtamms ein neuer Erzbiſchof, Daniel Brendel, eintrat, der
Rückſicht auf die päpſtliche Confirmation nehmen mußte.
Auch die Weltlichen aber gaben nicht nach. Was in den
andern Puncten glücklich vermieden worden, geſchah in die-
ſem: dem römiſchen König wurden zwei entgegengeſetzte Gut-
achten eingereicht.


Die Reichsſtädte, welche noch immer die Nachwehen
ihrer Niederlage von 1547 fühlten, zumal da ſie ſich 1552
nicht wieder zu einem gemeinſchaftlichen Intereſſe vereinigt,
nahmen an, weſſen ſich die obern Stände verglichen, und
ſtimmten bei, daß wegen des Unverglichenen der König an-
gegangen werde. 1


Und ſo kam noch einmal unendlich viel auf König Fer-
dinand an, in den verglichenen Artikeln auf ſeine Beiſtim-
mung, in den unverglichenen auf ſeine Entſcheidung.


Ehe er ſie gab, nahmen die Stände nun auch die an-
dern Angelegenheiten von mehr weltlicher Natur vor, Profan-
frieden und Kammergericht, wie im Anfang beſchloſſen worden.


Wir haben ihrer ſchon öfter gedacht: erſt jetzt aber,
nachdem man über die Grundſätze des religiöſen Friedens
einig war und die Reichsgewalt nicht mehr zur Unterdrückung
der doch auch auf Reichsſchlüſſen begründeten proteſtantiſchen
Einrichtungen gebraucht werden konnte, bekam ihre Erörte-
rung Bedeutung für die definitive Geſtalt der Dinge.


2


[373]Berathungen uͤber Friede und Recht.

Berathungen über Friede und Recht.


Darüber war man längſt einig, daß die Beſtimmungen
des Landfriedens, deſſen Grundlagen aus einer Zeit ſtamm-
ten, wo von der religiöſen Entzweiung noch nicht die Rede
war, und deſſen Mängel dann öfter verbeſſert worden, an
und für ſich wohl überlegt und zutreffend ſeyen, und daß es
nur an der Handhabung mangle.


Für dieſe hauptſächlich hatten die Kreiſe, die ſich vor
dem Jahr zu Frankfurt verſammelt, durch eine neue Execu-
tionsordnung ſorgen wollen. 1


Der Entwurf den ſie gemacht, ward jedoch ſchon darum
nicht angenommen, weil er ſich allzu ſehr auf den damaligen
Augenblick, die vorgegebene Gefahr vor Markgraf Albrecht
bezog, ſo daß Brandenburg ſelbſt die Einleitung verwarf; es
ward vielmehr beſchloſſen die alten Reichsbeſchlüſſe zu Grunde
zu legen. Allein darum war jener Entwurf nicht unnütz; un-
aufhörlich ward er berückſichtigt, und gerade der Gegenſatz
verleiht den neuen Feſtſetzungen zum Theil ihren Character.


Alles kam hiebei auf eine weitere Ausbildung der Kreis-
verfaſſung an. Erwägen wir, wie wichtig dieſe in den ſpä-
tern Zeiten des Reiches geweſen iſt, wie alle lebendige Hand-
habung der höchſten Gewalt darauf beruhte, ſo ſind doch dieſe
Berathungen nicht ohne große Wichtigkeit für unſre Geſchichte.


Der erſte Mangel über den man mit Recht Klage führte,
lag darin, daß wenn ein Stand Vergewaltigungen erlitt, erſt
[374]Zehntes Buch. Fuͤnftes Capitel.
ein Kreistag ausgeſchrieben werden mußte, und wenn dieſer
dann auf Hülfe ſchloß, doch noch immer einige Zeit vorüber-
gieng, ehe man ſich vorbereitet hatte dieſelbe zu leiſten.


In Frankfurt nun hatte man den Entwurf gemacht,
in jedem Kreiſe einen Oberſten aufzuſtellen, der mit den ihm
von den Ständen deſſelben beizugebenden Räthen, welche
aber von der Pflicht gegen ihre beſondere Obrigkeit entbun-
den werden müßten, Beſchlüſſe faſſen und Unternehmungen
beginnen dürfe, in denen ihm ſämmtliche Kreisſtände beizu-
ſtehn ſchuldig ſeyn ſollten. Wie aber die Macht Eines Krei-
ſes ſelten zum Widerſtand hinreiche, hatte man es weiter
rathſam gefunden, zwei Generaloberſten im Reiche aufzuſtel-
len, einen über die ſechs oberländiſchen, einen andern über
die vier niederländiſchen Kreiſe, die von der Geſammtheit
dieſer Kreiſe, jedoch mit Vorwiſſen des Kaiſers und unter
Vorbehalt ſeiner Genehmigung, ernannt werden, und auf eine
ähnliche Weiſe den allgemeinen Zuzug zu beſtimmen haben
ſollten wie die Oberſten in den einzelnen Kreiſen.


Ein Entwurf der den beiden Fürſten welche zu Gene-
raloberſten erwählt worden wären, eine ungemein tief eingrei-
fende, allen andern überlegene Macht verſchafft haben würde.


Nicht mit Unrecht bemerkte Joachim II, dieß ſey mehr
die Verfaſſung eines Bundes, — wie denn wirklich die An-
ordnungen aus denen des ſchwäbiſchen und des ſchmalkal-
diſchen Bundes zuſammengeſetzt zu ſeyn ſcheinen, — als eine
Reichsordnung. Die Churfürſten kamen bald überein, jene
Generaloberſten überhaupt gar nicht zuzulaſſen, und auch den
Kreisoberſten nur ſo viel Macht beizulegen, als zur Verthei-
digung erforderlich ſey, nicht eine ſolche die ſie mißbrauchen
oder mit der ſie den Ständen beſchwerlich fallen könnten.


[375]Berathungen uͤber die Executionsordnung.

Wie das geſammte Executionsweſen auf den Ordnun-
gen beruhte, welche das Reichsregiment in den erſten Mo-
naten ſeines Beſtehens, Ende 1521, Anfang 1522, vorge-
nommen, ſo hatte ſich auf den Grund der damals beliebten
Bezeichnungen 1 ein Herkommen gebildet, kraft deſſen in je-
dem Kreiſe Ein Fürſt das Amt der Berufung der Stände
und der allgemeinen Leitung der Geſchäfte erhielt, den man
um das J. 1550 den kreisausſchreibenden zu nennen an-
fieng. Der Vorſchlag geſchah, zunächſt von Sachſen, daß
allemal der ausſchreibende Kreisfürſt zugleich auch Oberſter
ſeyn ſolle, wie denn wirklich ſpäter beiderlei Befugniſſe bei-
nahe ganz in einander gefloſſen ſind und dann das wich-
tigſte Vorrecht gebildet haben das einem Reichsfürſten über-
haupt zuſtand.


Eben deshalb aber weil ſich dieß vorausſehen ließ, fand
der Gedanke großen Widerſpruch. Brandenburg, das mit
Sachſen in Einem Kreiſe ſaß, dieſem aber noch den Vor-
rang laſſen mußte, war nicht minder dagegen als die geiſt-
lichen Churfürſten, die alsdann von ihrem weltlichen Collegen
in der Pfalz überflügelt zu werden fürchteten. Es entſtand
eine Mehrheit in dem churfürſtlichen Rathe die den Beſchluß
faßte, daß die Wahl des Oberſten den Ständen jedes Krei-
ſes anheimgeſtellt bleiben ſolle, von denen dann der kreisaus-
ſchreibende Fürſt oder auch ein andrer gewählt werden könne.
Die ihm beizugebenden Gehülfen wollte man nicht Räthe
nennen, was eine Art von Unterordnung unter ihn auszu-
drücken ſchien, ſondern Zugeordnete. Man bedingte noch
[376]Zehntes Buch. Fuͤnftes Capitel.
ausdrücklich, daß dem Kreisausſchreibenden oder dem Ober-
ſten durch dieß ſein Amt keinerlei Vorrang zufallen ſolle.
Die Frage entſtand, ob nicht wenigſtens die von den ver-
ſchiedenen Ständen zu ernennenden Zugeordneten ihrer beſon-
dern Eidespflicht gegen dieſelben zu erledigen ſeyen. Ur-
ſprünglich war Brandenburg ſo wie einige andre Stimmen
dagegen. Da man aber dann feſtſetzen wollte, daß der Zu-
geordnete die Verſammlung verlaſſen müſſe, ſo oft über eine
ſeinen Herrn angehende Angelegenheit berathſchlagt werde, ſo
zog auch Brandenburg die Auskunft vor, daß derſelbe zwar
der Berathſchlagung beiwohnen, aber auf dieſen Fall ſeiner
beſondern Pflicht erlaſſen werden möge. 1 Wir ſehen, wie
ſorgfältig man Bedacht nahm, daß nicht durch die neue Ein-
richtung der ſchon begründeten Landeshoheit Eintrag geſchähe.
Übrigens aber war man ſehr bereit das Nothwendige zu lei-
ſten. Dem Oberſten und den Verordneten ward die Befug-
niß gegeben, dringenden Falles einen doppelten Romzug auf
den Kreis auszuſchreiben. Gegen den Vorſchlag von Sach-
ſen, welches für jeden Kreis die Verpflichtung forderte, 500
M. z. Pf. und 1000 z. F. zu ſtellen, ward die Einwendung
gemacht, daß die Kreiſe ungleichen Vermögens, und nicht
wohl zu gleichen Leiſtungen anzuſtrengen ſeyen; und man
hielt für beſſer, bei den Reichsanſchlägen ſtehen zu bleiben.
Auch war man einverſtanden, daß nicht jedem Kreiſe die
[377]Berathungen uͤber die Executionsordnung.
Sorge für ſich ſelbſt überlaſſen werden dürfe, ſondern daß
in jedem erheblichen Fall deren fünf zuſammentreten, die Ko-
ſten tragen und die Mannſchaften ſtellen ſollten. 1 Die An-
führung beſtimmte man alle Mal dem Oberſten desjenigen
Kreiſes, welcher der Überwältigte ſey und die Hülfe der an-
dern in Anſpruch nehme. Die Säumigen wurden mit den
ſchwerſten Strafen bedroht.


Als dieſer Entwurf in den Fürſtenrath gelangte, gieng
es damit wie es mit den übrigen Entwürfen gegangen war:
die geiſtlichen Fürſten ſuchten ihn nach ihren eigenthümlichen
Bedürfniſſen und Geſichtspuncten umzugeſtalten.


Da ſie beſorgten, die neue Einrichtung dürfte doch in
den Händen der weltlichen Fürſten ihnen zum Nachtheil ge-
reichen, ſo ſuchten ſie die Ernennung der Kreisoberſten wo
möglich in die Hände des Kaiſers zu bringen, von dem ſie
ihrerſeits Rückhalt und Unterſtützung erwarteten. In die-
ſem Sinne arbeitete beſonders der Canzler des Biſchofs von
Augsburg, Dr Braun. 2 Die allgemeine Stimmung aber
war nicht der Art, um ein ſolches Vorhaben zu befördern.
Nachdem der Einfluß des Kaiſers ſeit mehreren Jahren ſo
tief herabgekommen, konnte man nicht daran denken denſel-
ben auf dieſem Wege wieder zu erneuern. Von jenen Vor-
[378]Zehntes Buch. Fuͤnftes Capitel.
ſchlägen wurden einige ſchon innerhalb des Fürſtenraths be-
ſeitigt; die übrigen zu verwerfen, blieb den Churfürſten über-
laſſen, deren Gutachten zuletzt in dieſem, wie in den mei-
ſten andern Puncten angenommen und zum Reichsgeſetz er-
hoben ward.


Und nicht allein gegen innere Unruhen ſollte die neue
Ordnung dienen, ſondern man beſchloß ſie auch bei den An-
griffen auswärtiger Feinde in Anwendung zu bringen.


Nur erhob ſich hiebei der Zweifel, ob die Verpflich-
tung einem Kreiſe zu Hülfe zu kommen auch auf den nie-
derländiſchen erſtreckt werden ſolle, der in einem beinahe fort-
währenden Kriege mit Frankreich lag. Die Sache würde gar
nicht haben in Frage kommen können, wenn ſich die Nieder-
lande ernſtlich zum Reiche gehalten, beſonders, worauf alles
ankam, ſich dem Kammergericht unterworfen hätten. König
Ferdinand vertheidigte eine Zeitlang die Anſprüche der Nie-
derlande. Die Einwendung aber, daß eine auf die Hand-
habung des Landfriedens bezügliche Ordnung unmöglich De-
nen zu Gute kommen könne, von denen die Reichsgerichts-
barkeit in Landfriedensbruchſachen gar nicht einmal anerkannt
werde, wußte er nicht zu beſeitigen. Er erlangte nur ſo viel,
daß es durch eine neue Clauſel in den Willen des Kaiſers
geſtellt wurde, ob er ſich mit ſeinen Niedererblanden jener
Jurisdiction unterwerfen wolle.


Wir ſehen wohl: zum Vortheil Carls V und ſeiner
kaiſerlichen Macht gereichten dieſe Beſchlüſſe mit nichten.


Die executive Gewalt gerieth dadurch eben ſo gut in die
Hände der Reichsſtände, wie ihnen die legislative dem Her-
kommen nach faſt ausſchließend zuſtand. Die Anwendung
[379]Berathungen uͤber das Kammergericht.
der für das Innere erfundenen Einrichtungen auf die äußern
Verhältniſſe beſchränkte jeden Dienſt, der dem Kaiſer für ſeine
Kriege daraus entſpringen konnte, auf Vertheidigung. Und
auch davon wurden nun ſeine Niederlande noch ausdrücklich
ausgeſchloſſen. Wie viel Mühe hatte er es ſich im J. 1548
koſten laſſen, um die Anerkennung der Niederlande als ei-
nes Reichskreiſes zu bewerkſtelligen. Aber die Bedingung
die er dabei gemacht, die Exemtion von den Reichsgerich-
ten, hob jetzt den Nutzen auf, welchen er ſich davon ver-
ſprochen. Die Stände ſagten kein Wort über den burgun-
diſchen Vertrag: ſie ließen ihn unangetaſtet ſtehn; aber der
Defenſivverfaſſung im Reiche, welche ſie beſchloſſen, gaben
ſie eine ſolche Entwickelung, daß ſie auf eximirte Lande wie
jene nicht mehr bezogen werden konnte. Es war dabei nicht
einmal Vorbedacht, kein übler Wille: es entſprang ganz aus
der Natur der Dinge.


Auch in einer andern großen Reichsangelegenheit, der
Sache des Kammergerichts, mußte man nach allem was
vorgegangen und den in Paſſau gefaßten Beſchlüſſen, von
den Anordnungen des Kaiſers zurücktreten.


In dem Vertrag zu Paſſau war nach manchem Hin
und Herhandeln zuletzt Förderung bei dem Reichstage ver-
heißen, daß die Verwandten der augsburgiſchen Confeſſion
von dem Kammergericht nicht mehr ausgeſchloſſen würden.


Der Zweideutigkeit dieſes Ausdrucks ſuchten ſich jetzt
einige geiſtliche Mitglieder des Churfürſtencollegiums zu be-
dienen, um ihren Rath zu begründen, daß man alles beim
Alten laſſen möge: denn nicht zu eigentlicher Beſchlußnahme,
nur zur Förderung ſeyen ſie verpflichtet.


[380]Zehntes Buch. Fuͤnftes Capitel.

Nun leuchtet aber ein, daß unbeſchränkte Theilnahme
am höchſten Gericht eins der größten Intereſſen der Prote-
ſtanten ausmachte: ſie würden ſonſt in allen ihren Angele-
genheiten der Einwirkung einer feindſeligen Meinung aus-
geſetzt geweſen ſeyn; unaufhörlich hatten ſie darum gekämpft,
und wenn es irgend eine Sache gab, worin ſie nicht nach-
geben konnten, ſo war es dieſe.


Bald lenkte auch der Canzler von Mainz ein, indem er
bemerkte, daß in dem Artikel des Vertrags von einer För-
derung mit Erfolg die Rede ſey, eine ſolche aber nicht ſtatt
finden könne, wenn man nicht ſelbſt einwillige.


Es bedurfte nichts weiter, um allem Widerſpruch ein
Ende zu machen. Man nahm jetzt an, daß die Sache durch
den Paſſauer Vertrag bereits entſchieden ſey, 1 und hatte
nichts weiter zu thun als einige Artikel der Kammergerichts-
ordnung darnach abzuändern.


Man ſetzte feſt, daß Kammerrichter, Beiſitzer und andre
Gerichtsperſonen ſo gut dem augsburgiſchen Bekenntniß wie
der alten Religion anhängig ſeyn, — daß ſie nicht, wie auch
hier vorgeſchlagen ward, auf die geiſtlichen Rechte, ſondern
auf gemeine des Reichs Rechte und den jetzt bewilligten
Friedſtand in der Religion, ſo wie auch, was auf Vorſchlag
von Mainz hinzugefügt ward, auf Handhabung des Land-
friedens verpflichtet werden, daß ſie endlich den Eid zu Gott
und dem heiligen Evangelium leiſten ſollten.


[381]Berathungen uͤber das Kammergericht.

Eben dieß war die Summe deſſen, was die Proteſtan-
ten von jeher gefordert, und was ihnen nothwendig war.
Auch der Fürſtenrath nahm es an. 1


Noch Ein Gedanke kam vor, der jedoch kein vorzugs-
weiſe proteſtantiſches, ſondern ein allgemeines reichsfürſtliches
Intereſſe hatte: die Achtserklärungen zu beſchränken, mit de-
nen früher das Gericht, ſpäter auch der Kaiſer ziemlich ge-
waltſam vorgeſchritten waren. Was die Achten des Ge-
richts gegen Fürſten anbelangt, ſo hielt das churfürſtliche
Collegium für gut, daß jedes Urtheil dieſer Art erſt einem
aus Abgeordneten des Kaiſers, des Königs, der Churfürſten
und deputirten Fürſten beſtehenden Ausſchuß vorgelegt wer-
den ſolle, der dann entweder auf eine Vergleichung hinarbei-
ten oder die Execution des Spruches vorbereiten würde. Aber
mit Recht ward hiegegen eingewandt, daß man damit einen
unſtatthaften Unterſchied zwiſchen Fürſten und andern Stän-
den mache; wie der König ſagte, daß man die förderlichen
Wege die bisher zur Beſtrafung des Übels vorgenommen
worden, eher verhindern werde. Die Churfürſten konnten da-
mit nicht durchdringen, und ließen ihren Antrag fallen. 2


[382]Zehntes Buch. Fuͤnftes Capitel.

Daß die Acht, die man mit Mühe der kaiſerlichen Ge-
walt zu Gunſten des Gerichtes abgerungen, nun auch noch
einer Vorberathung der Fürſten unterworfen werden ſollte,
war gleichſam zu viel, und hätte das Recht in eine Sache
der Convenienz verwandelt. Schon genug daß das Gericht
überhaupt ein ſtändiſches war, und dieß durch paritätiſche
Einrichtung nun erſt recht vollſtändig wurde. Die alten, zwei
Menſchenalter früher feſtgeſetzten Normen gehörten dazu, um
die neuen Einrichtungen und den gleichen Antheil der Evan-
geliſchen möglich zu machen, woran nicht hätte gedacht wer-
den können, wenn das Gericht noch wie einſt an den Hof
gebannt geweſen wäre.


Damit ſich aber nicht wiederholen möchte was früher
öfter geſchehen, daß das Kammergericht ſich um die durch-
gegangenen Veränderungen, wenn ſie nur dem Reichsab-
ſchied einverleibt waren, wenig gekümmert hatte, ward der
Beſchluß gefaßt, daß die Ordnung mit den Veränderungen
neu gedruckt werden, als eine neue Ordnung gelten, die Bei-
ſitzer ſie beſchwören ſollten.


Dergeſtalt vereinigte man ſich über die weltlichen An-
gelegenheiten, wie man ſich, Einen Punct ausgenommen, über
die geiſtlichen vereinigt hatte. Die eine Seite ergänzte gleich-
ſam die andre. Beide zuſammen bildeten ein neues Sta-
dium in der Entwickelung des Reiches.


2


[383]Beſchlußnahme.

Indeſſen: wir wiſſen, noch war man damit nicht zu
vollem Beſchluß gelangt: an dem Einen Streitpunct konnte
noch alles ſcheitern. 1


Beſchlußnahme.


Schon an und für ſich konnte Ferdinand mit ſeinen
Freunden nicht geneigt ſeyn ſo große Zugeſtändniſſe zu ma-
chen wie man ihm anmuthete. Einen ganz andern Gang
der [...]e hatte er erwartet. Er beklagt, daß er zu dem
was er wünſche ſchwerlich noch gelangen werde, und dage-
gen zugeben ſolle was ihm widerwärtig ſey. 2 Da er mit
dem erneuerten Antrag, auf Koſten des Reiches eine Kriegs-
macht unter Herzog Heinrich ins Feld zu ſtellen, nicht durch-
drang, ſo faßte er den Gedanken, und zwar mit Beiſtimmung
ſeines Bruders, der zwar nicht mehr eingreifen wollte aber
noch zu Rathe gezogen ward, den Reichstag auf künftiges
Frühjahr zu prorogiren, und brachte es förmlich in Vorſchlag.
Die Bevollmächtigten fragten bei ihren Fürſten darüber an,
allein die meiſten, vor allen aber die proteſtantiſchen, er-
klärten ſich mit Entſchiedenheit dagegen. Sie fürchteten die
Unterhandlungen die in dieſem Augenblick mit Frankreich und
[384]Zehntes Buch. Fuͤnftes Capitel.
den Osmanen gepflogen wurden: ſie meinten wohl, es könne
noch einmal etwas Ähnliches geſchehen wie im Jahr 1545,
und die Kriegsgewalt des Kaiſers, von den übrigen Fein-
den frei, ſich gegen ſie ſtürzen. Dem König mochten einige
ſeiner geiſtlichen Freunde beipflichten, allein ſie wagten ſich
aus Rückſicht auf die übrigen nicht zu äußern; 1 die allge-
meine Stimme war dagegen: und er mußte ſich entſchließen,
mit ſeiner Reſolution hervorzutreten.


Am 30ſten Auguſt 1555 gab er ſie, aber ſie lautete
nicht ſehr tröſtlich. Er weigerte ſich die vornehmſte Beſtim-
mung anzunehmen, daß der Friede dauern ſolle, die Verglei-
chung möge nun erfolgen oder nicht; außerdem aber trat
er in Beziehung auf die Ausſchließung der Proteſtanten von
den Stiftern dem Gutachten der geiſtlichen Fürſten bei und
vertheidigte es mit neuen Argumenten.


Es muß wohl dahin geſtellt bleiben, ob er die erſte
Weigerung ernſtlich meinte. Das Zugeſtändniß das in je-
ner Formel lag, war ſchon in Paſſau gemacht und damals
von ihm ſelbſt nicht verworfen worden; es war jetzt bereits
angenommen, und die Grundbedingung aller andern Feſt-
ſetzungen. Er konnte nicht erwarten mit ſeinem Widerſpruch
durchzudringen. Am 6ten September erklärte er in der That
den Proteſtanten in einer mündlichen Conferenz, daß er von
ſeinem Widerſpruch ablaſſen und den unbedingten Frieden in
der Formel wie ſie ihn vorgeſchlagen, annehmen wolle. Da-
gegen aber forderte er ſie auf, ihm in dem andern Punct,
[385]Schlußberathungen uͤber den geiſtl. Vorbehalt.
dem geiſtlichen Vorbehalt, beizuſtimmen. Er bat ſie, ſich auch
von ihrer Seite etwas gefallen zu laſſen, ſo wie er manchen
ſauren Biſſen verſchlucken müſſen; aber er erklärte auch auf
das Beſtimmteſte, daß er davon nicht weichen könne: ſein
Anſehen bei auswärtigen Fürſten, ſein Gewiſſen gebiete es
ihm: wolle man die Beſtimmung nicht förmlich annehmen,
ſo möge man ihm wenigſtens zulaſſen ſie aus königlicher
Machtvollkommenheit auszuſprechen, wolle man auch das
nicht, nun wohl, — er habe bei ſeiner Ehre geſchworen da-
von nicht abzulaſſen — ſo möge lieber alles Andre ebenfalls
rückg [...] werden. 1


Ein Moment voll Entſcheidung wie für dieſe Berathung
ſo für die geſammte Zukunft des Reiches.


Der König war dadurch ſtark, daß er die Geiſtlichen
faſt alle auf ſeiner Seite hatte. 2 Die proteſtantiſchen Räthe
aus beiden Collegien hielten für rathſam, ſich über die dem
König zu gebende Antwort in dieſem außerordentlichen Falle
zuerſt unter einander zu berathen.


Und da drangen nun Viele auch ferner auf die Verwer-
fung des geiſtlichen Vorbehalts, von dem in dem Paſſauer
Vertrag keine Erwähnung geſchehen und der dadurch ſtill-
ſchweigend ſchon aufgegeben ſey; daß die Feſtſetzung dem Kö-
nig anheimgeſtellt werde, ändere in der Sache nichts, da man
Ranke D. Geſch. V. 25
[386]Zehntes Buch. Fuͤnftes Capitel.
ſie ja doch bewilligen müſſe; eine ſolche Beſchränkung des
Bekenntniſſes dürfe man ſich nicht gefallen laſſen.


Andere jedoch erwiederten, dieſe ſey vielleicht ſo groß
nicht, wie ſie ſcheine. Der Übertritt ganzer Capitel werde
in der vorgeſchlagenen Formel nicht verboten; auch werde den
Capiteln nicht aufgelegt, ſondern nur zugelaſſen, Biſchöfe, die
der Confeſſion beigetreten, durch Andere, Altgläubige zu er-
ſetzen. Trotz der Beſchränkung die in dem Vorbehalt liege,
ſey der Friede vortheilhafter als jemals ein andrer, und man
werde ihn nicht ausſchlagen dürfen.


Dieſer Meinung war vornehmlich Churfürſt A [...][g]guſt von
Sachſen. Auf die Anfrage ſeiner Räthe bemerkte er zwar alle
die Nachtheile die aus einer Satzung wie die vorgeſchlagene
entſpringen müßten: aber er verwarf ſie nicht entſchieden, be-
ſonders wenn in dem Abſchied angegeben werde, daß die Stände
ſich nicht dazu vereinigt, und unter der Vorausſetzung, daß
man ihm eine Gegenforderung bewillige, die er jetzt erſt zur
Sprache brachte. In vielen biſchöflichen Gebieten waren
nemlich Städte und Adel großentheils evangeliſch; wenn man
ſie nicht in Schutz nahm, ſo ſtand zu befürchten, daß die
geiſtlichen Fürſten einmal Gewalt gegen ſie brauchen möch-
ten. 1 Churfürſt Auguſt forderte, daß ſie durch einen beſon-
dern Artikel im Frieden die Verſicherung empfangen ſollten,
bei ihrer Religion bleiben zu können.


Nach einigem Bedenken traten die übrigen evangeliſchen
Stände dieſem Vorſchlage bei. Brandenburg erklärte, es
[387]Schlußberathungen uͤber den geiſtl. Vorbehalt.
halte ſich in Dingen dieſer Art gern an Sachſen, das die
vornehmſten Theologen auf ſeinen Univerſitäten habe, von
denen auch dieſe Sache berathſchlagt worden ſey.


Allein um ſo heftiger erhob ſich der Widerſpruch der
Geiſtlichen. Sie beſtanden darauf, daß jede Obrigkeit das
Recht habe, über die Religion in ihrem Lande zu verfügen.
Sey den Confeſſioniſten bisher Duldung von ihnen gewährt
worden, ſo ſey das durch ihren freien Willen geſchehen; viel-
leicht daß es ihnen gefalle, ein ander Mal ihre alte Befug-
niß zu erfriſchen und in Übung zu bringen.


Forderung und Widerrede veranlaßten eine allgemeine
Aufregung. König Ferdinand ſagte, er habe ſchon geglaubt
im Hafen zu ſeyn, da ſteige ihm plötzlich noch dieß neue Un-
wetter mit einem Ungeſtüm auf, der alles zerrütten könne.


So viel erkannte er bei einer nochmaligen Conferenz
mit den Proteſtanten, daß dieſe in den Vorbehalt auch auf
die bedingte Weiſe, wie es geſchehen ſollte, nicht willigen
würden, wenn man ihnen nicht dagegen auch ihr Verlangen
erfülle; da die biſchöfliche Würde nun einmal der alten Re-
ligion vorbehalten wurde, ſo hielten ſie es für eine Gewiſ-
ſenspflicht, ihre Glaubensgenoſſen vor möglichen Gewaltſam-
keiten zu ſchützen. Wollte Ferdinand den Frieden noch zu
Stande bringen, ſo mußte er nicht allein ſelbſt ihnen beitre-
ten, ſondern auch alle ſeinen Einfluß dazu anwenden, die
Gegenpartei herbeizubringen. Er ſtellte ſeinen geiſtlichen
Freunden vor, daß ohne jenes Zugeſtändniß der Friede nur
ein halber Friede ſey und dem Bedürfniß nicht genüge. Da
ſie doch noch Schwierigkeiten machten, eröffnete er ihnen,
er werde ſie nicht von dannen gehn laſſen, bis ſie ſich mit
25*
[388]Zehntes Buch. Fuͤnftes Capitel.
ihm verglichen hätten. Sein feſter Wille bewirkte zuletzt,
daß ſie ſich fügten. Sie machten nur die Bedingung, daß
dieſer Beſchluß nur als eine Declaration und zwar nicht in
offenem Abſchied erſcheine.


Auch nachdem man ſo weit gekommen, fand ſich noch
eine Schwierigkeit in der Form. In dem Abſchied ward
jede einen Artikel deſſelben verändernde Erläuterung für un-
ſtatthaft erklärt. Es mußte erſt eine Derogation dieſer Be-
ſtimmung aufgeſetzt und von den Geiſtlichen bewilligt wer-
den, und zwar mit einer Clauſel, auf welche beſonders die
Proteſtanten drangen, daß eine weitere Erläuterung nicht mehr
zugelaſſen werden könne. 1


Und nun wäre nur noch übrig geweſen, auch über die
in Paſſau gegen die Reichsverwaltung in Anregung gebrach-
ten Beſchwerden zu Rathe zu gehn.


Man ließ die Sache in Augsburg nicht aus der Acht.
Die Entfremdung des Reichsſiegels, die hohen Taxen der
kaiſerlichen Canzlei und andre Dinge kamen im Churfürſten-
rath zur Sprache. Man ſchlug wohl vor, daß jeder Stand
ſeine beſondern Beſchwerden aufſetzen, und die Verſamm-
lung alsdann ein Verzeichniß aller dem König überreichen
möge. Sollte man aber nach einem ſo großen Umſchwung
der Dinge nochmals die alten Gehäſſigkeiten hervorſuchen?
Sachſen urtheilte, es ſey jetzt nicht mehr ſchicklich, nachdem
[389]Religionsfriede.
das vortreffliche Werk des unbedingten Friedens zu Stande
gekommen. 1 Von allen Erinnerungen ward nur die Eine
beliebt, daß nach der Zuſage des Kaiſers ein mit Deut-
ſchen beſetzter Hofrath mit einem deutſchen Präſidenten er-
richtet werden möge.


So kam es am 25ſten September 1555 zum Reichs-
abſchied von Augsburg.


Man wird eingeſtehn müſſen, daß die Beſtimmungen
über den geiſtlichen Vorbehalt und die religiöſe Autonomie
biſchöflicher Unterthanen künftige Zwiſtigkeiten wohl befürch-
ten ließen; indeß man konnte nun einmal nicht weiter kom-
men. Dieſe Beſtimmungen drückten ungefähr das Verhält-
niß der Macht aus, welches ſich damals in den beiden Par-
teien entwickelt hatte: ſie waren mehr eine Auskunft für den
Augenblick als ein Geſetz für alle Folgezeit.


Dagegen enthielt der Friede übrigens abſchließende Feſt-
ſetzungen von höchſtem Werthe.


Wie wir öfter bemerkt, der Proteſtantismus iſt nicht
bekehrender Natur. Er wird ſich jedes Beitritts, der aus
Überzeugung entſpringt, als eines Fortganges ſeiner guten
Sache freuen: ſonſt aber ſchon zufrieden ſeyn, wenn ihm
[390]Zehntes Buch. Fuͤnftes Capitel.
nur ſelber verſtattet iſt, ſich ungeirrt von fremder Einwir-
kung zu entwickeln. Dieß war es wonach die evangeliſchen
Fürſten vom erſten Augenblick an ſtrebten. Unaufhörlich aber
hatte man es ihnen ſtreitig gemacht, und die gefährlichſten,
allen Beſitz umwälzenden Kriege hatten ſie darüber beſtan-
den. Jetzt endlich gelangten ſie zum Ziel: es ward ihnen
ein unbedingter Friede gewährt. 1


Es mag nur wie ein leichtes Wort erſcheinen, wenn
es heißt: der Friede ſolle beſtehn, möge die Vergleichung er-
folgen oder nicht; aber darin liegt die Summe der Dinge,
die große Änderung der Verfaſſung.


Fortan war nicht mehr ſo viel daran gelegen, ob ein
päpſtliches Concilium die Proteſtanten verdammte oder nicht:
kein Kaiſer, keine Partei in den Reichsſtänden konnte ferner
daran denken, die conciliaren Decrete mit Gewalt gegen ſie
auszuführen und Grund davon hernehmen ſie zu erdrücken.


Auch waren es nicht einzelne Meinungen die man dul-
dete, wozu Carl V ſich wohl entſchloſſen hätte, es war ein
ganzes Syſtem der Lehre und des Lebens, das zu eigener
ſelbſtändiger Entwickelung gedieh.


Was Luther in dem erſten Moment ſeines Abfalls, bei
dem Colloquium von Leipzig in Anſpruch genommen, Unab-
hängigkeit von den Glaubensentſcheidungen wie des Papſtes
ſo auch der Concilien, das war nunmehr durchgeſetzt.


Die Vergleichung in der Religion, die man noch in
Ausſicht ſtellte, und wohl auch verſuchte, hatte zwar noch im-
[391]Religionsfriede.
mer ein großes deutſches Intereſſe, minder ein allgemeines:
man möchte ſagen: für die Welt war es wichtiger, daß
ſich die geſetzliche Trennung erhielt, die allein eine freie Be-
wegung nach dem nun einmal feſtgeſtellten Prinzip mög-
lich machte.


Und dabei hatten ſich die Reichsordnungen nach der
im 15ten Jahrhundert angebahnten Tendenz erſt eigentlich
feſtgeſetzt.


Die Feindſeligkeiten des Kammergerichts waren nicht
allein beſeitigt, ſondern dieſer Gerichtshof hatte durch den
Antheil der den Proteſtanten daran zu nehmen geſtattet ward,
nunmehr erſt die ſtändiſche Verfaſſung wahrhaft erlangt,
welche urſprünglich beabſichtigt worden. Daß auch die re-
ligiöſe Abweichung Niemand davon ausſchließen ſollte, darin
lag die volle Durchführung des urſprünglichen auf gleichen
Antheil Aller zielenden Gedankens. Die Kammergerichts-
ordnung von 1555 iſt immer als ein Reichsgrundgeſetz be-
trachtet worden; im weſtphäliſchen Frieden hat man ſich dar-
auf bezogen: ſpäter iſt nur der Entwurf einer Veränderung
zu Stande gekommen.


Zugleich hatte man doch eine gewiſſe Einheit erreicht,
eine Verfaſſung zum Widerſtand gegen innere und äußere
Feinde gegründet, die wenigſtens alle Diejenigen wirklich ge-
ſichert hat, die ſich ihr angeſchloſſen. Daß auch dieſe Ein-
richtung großentheils ſtändiſcher Natur war, gehörte zu dem
Ganzen der neuen Ordnung der Dinge.


Wie ganz anders nunmehr, als zu jenen Zeiten wo
die Reichstage ſich unter dem Vorſitz päpſtlicher Legaten
verſammelten, und die einſeitigen Berechtigungen des geiſt-
[392]Zehntes Buch. Fuͤnftes Capitel.
lichen und des weltlichen Oberherrn nichts als Verwirrung
veranlaßten.


Noch beſtanden aber die beiden Gewalten, von welchen
man ſich losriß. Noch lebte der Kaiſer, und war in der
Nähe, der den Einrichtungen einen ganz andern, dynaſti-
ſchen und religiöſen Character zu geben geſucht hatte. Noch
hielt das Papſtthum alle ſeine Anſprüche feſt, und war mäch-
tig genug um ſie nicht in Vergeſſenheit gerathen zu laſſen.
Wir haben zu betrachten welches Verhältniß ſich in dieſem
Augenblicke zu beiden bildete.


[[393]]

Sechstes Capitel.
Abdankung Carls V.


Die Aufmerkſamkeit des Kaiſers war in den letzten Jah-
ren zwar von Deutſchland nicht abgewendet, aber doch bei
weitem mehr auf England gerichtet, wo ein Ereigniß eintrat,
das alle alte Tendenzen ſeiner Politik nach dieſer Seite hin
noch einmal belebte.


Eduard VI, unter dem die weltlichen und geiſtlichen
Angelegenheiten von England einen ihm ſo widerwärtigen
Gang genommen, ſtarb im Juli 1553; nach kurzem Wider-
ſtreben einer von der Bevölkerung, namentlich auch der pro-
teſtantiſchen, nicht unterſtützten Partei beſtieg die Tochter Hein-
richs VIII von ſeiner katholiſchen Gemahlin, Maria, Ge-
ſchwiſterkind mit dem Kaiſer, den engliſchen Thron.


Das gute Verhältniß das ſich hierauf ſogleich bildete,
genügte jedoch dem Kaiſer noch nicht: er wollte es nicht
dabei laſſen, daß England in dem Kriege zwiſchen ihm und
dem König von Frankreich nur neutral ſeyn ſollte: die Zeit
ſchien ihm gekommen, wo der Gedanke Ferdinand des Ka-
tholiſchen, eine immerwährende Verbindung zwiſchen Spa-
nien, England und den Niederlanden zu Stande zu bringen,
[394]Zehntes Buch. Sechstes Capitel.
noch beſſer ausgeführt werden könne als dieſer es vermocht:
er bot der neuen Königin, mit der er einſt ſelbſt verlobt ge-
weſen, die Hand ſeines Sohnes an, des Prinzen Philipp
von Spanien, deſſen erſte Gemahlin vor ein paar Jahren
geſtorben war. Der römiſche König brachte einen ſeiner
Söhne in Vorſchlag; man wird ſich aber nicht wundern,
daß der Kaiſer darauf nicht eingieng. Kam es darauf an,
die antifranzöſiſche und zugleich katholiſche Politik des weſt-
lichen Europa zu conſolidiren, ſo war hiezu der künftige Be-
herrſcher Spaniens und der Niederlande bei weitem geeig-
neter als ein machtloſer Erzherzog. Es war die Zeit, in
welcher Churfürſt Moritz in der Schlacht blieb und die fran-
zöſiſchen Angriffe Widerſtand zu finden anfiengen. Carl V
glaubte den Glücksſtern noch einmal aufgehn zu ſehen, un-
ter welchem ſeine früheren Unternehmungen gelungen waren;
noch einmal ſtiegen ſeine weltumfaſſenden dynaſtiſchen Ge-
danken ihm auf.


Es iſt bemerkenswerth, daß die eifrigſten Geiſtlichen der
alten Kirche, ſo gut katholiſch Philipp II auch war, dieſe Ver-
mählung nicht unbedingt guthießen. Ihrem Enthuſiasmus
hätte es beſſer entſprochen, wenn eine jungfräuliche Köni-
gin ihre Sache ergriffen, das Schisma abgeſchafft, die alten
Gebräuche und Lehren wiederhergeſtellt hätte. Sie ſagten
ihr wohl ſelbſt, die Sorge für die Succeſſion an der Krone
möge ſie Gott überlaſſen, der ſie ſo wunderbar erhoben. Der
römiſche Hof aber billigte die Verbindung. Papſt Julius
erklärte, einen Gemahl müſſe die Königin haben, der ihr die
vielen Feindſeligkeiten, von denen ſie bedroht werde, beſtehn
helfe; mit einem Eingebornen dürfe ſie ſich jedoch nicht ver-
[395]Verbindung des Kaiſers mit England.
mählen, denn ein ſolcher würde, um ſich zu halten, den an-
dern Großen zu viel Zugeſtändniſſe machen müſſen; nur ein
Prinz von ſo großer und ſo naher eigener Macht, wie Kö-
nig Philipp, werde ſie gegen äußere und innere Feinde ver-
theidigen können und durch ſein Anſehen die Wiedervereini-
gung des Reiches mit der Kirche befördern. 1 Und die Haupt-
ſache: Maria ſelbſt, obgleich um vieles älter, gab einen ganz
unwiderſtehlichen Drang kund, ſich mit Philipp zu vermäh-
len. Sie hörte ſo viel von ihm, daß ſie ihn liebte, ehe ſie
ihn geſehen hatte. Auch ſchien es ihr ehrenvoll, daß ſich
eben der reichſte und mächtigſte Prinz, den es in der damali-
gen Welt gab, um ihre Hand bemühte: das religiöſe Mo-
tiv rechtfertigte die übrigen, genug: ſie willigte ein.


Im März 1554 kam der Ehetractat zu Stande, durch
welchen eine ganz neue Ausſicht für die Zukunft eröffnet
ward. Der älteſte Sohn aus dieſer Ehe ſollte dermaleinſt
England und die ſämmtlichen burgundiſchen Erblande ver-
einigen. Neben der ſpaniſchen und der deutſchen wäre noch
eine dritte, eine engliſche Linie des Hauſes Öſtreich entſtanden.


Aber auch für die nächſte Zeit hatte der Tractat viele
Bedeutung. Philipp erhielt den Titel eines Königs von Eng-
land, und die Befugniß an der Verwaltung des Landes Theil
zu nehmen.


Und das muß man zugeſtehn, daß Philipp, der nun
nach England kam, — am Tage des heiligen Jacob, des
[396]Zehntes Buch. Sechstes Capitel.
Apoſtels von Spanien, am 25ſten Juli, ward die Vermäh-
lung vollzogen, — ſich in ſeinem neuen Verhältniß mit vie-
ler Klugheit betragen hat. Keinen Eingriff, noch viel we-
niger irgend eine Gewaltſamkeit, wie allgemein gefürchtet
ward, ließ er ſich zu Schulden kommen. Vielmehr machte
er wohl manche Rechte die ihm zuſtanden, beſonders in Be-
zug auf ſein Einkommen, nicht geltend. Es war für ihn eine
Ehrenſache, nichts von England zu brauchen, eher etwas zu
geben als zu nehmen. Seine ganze Hofhaltung beſtritt er
mit ſpaniſchem und niederländiſchem Geld: 1 in langer Reihe
ſah man Wagen und Saumroſſe mit ſeinen Schätzen bela-
den durch die Straßen der Hauptſtadt nach dem Tower zie-
hen. Er nahm Engländer in ſeinen Dienſt, belohnte Die-
jenigen welche der Königin beſondere Treue bewieſen, ſagte
Penſionen zu und ließ ſie richtig auszahlen. Da die Königin
ſehr bald in allem Ernſte glaubte, guter Hofnung zu ſeyn,
ſo gewann Philipp, dem in den Ehepacten für den Fall
des Ablebens ſeiner Gemahlin die Vormundſchaft über den
Thronerben verſichert worden, von Tag zu Tag einen grö-
ßern Einfluß.


Es leidet keinen Zweifel, daß ſeine Anweſenheit zur
Herſtellung des Katholicismus in England mächtig beige-
tragen hat.


[397]Verbindung des Kaiſers mit England.

Schon war eine ſtarke Richtung dahin vorhanden, die
wohl auch daher rührte, daß die ſo eifrig proteſtantiſch ge-
ſinnten Häupter der vorigen Regierung nach dem Ableben
Eduards zu weit gegriffen, das Prinzip der einmal feſtge-
ſtellten Thronfolge verletzt, und einen Weg eingeſchlagen hat-
ten, der wirklich zur Erneuerung der Bürgerkriege hätte füh-
ren können. Unmittelbar nach der Krönung der Königin ver-
ſammelte ſich ein Parlament, das faſt wie jene welche wäh-
rend der Bürgerkriege von den jedesmaligen Siegern ver-
ſammelt worden, zu Beſchlüſſen ſchritt die den frühern ge-
radezu entgegengeſetzt waren. Zunächſt hielt man noch an
der von Heinrich VIII gegründeten Vereinigung geiſtlicher
und weltlicher Macht feſt, kehrte aber zu der von dieſem
König eingeführten Religionsform zurück und widerrief die
unter Eduard VI angenommenen Statuten. Natürlich ge-
ſchah das nicht ohne großen Widerſpruch, wie die Königin
ſelbſt ſagt, „nicht ohne heftige Disputation und eifrige Ar-
beit der Getreuen“; 1 aber es geſchah. Nach einiger Zeit
konnte man den Gedanken faſſen, zu einer noch größern Un-
ternehmung zu ſchreiten. Im November des Jahres 1554
ſollte auch die Religionsform Heinrichs VIII aufgehoben
und der Gehorſam gegen die römiſche Kirche überhaupt her-
geſtellt werden. Ich finde, daß der Kaiſer über die Art
und Weiſe dieß zu bewirken zu Rathe gezogen ward. 2 Auf
[398]Zehntes Buch. Sechstes Capitel.
ſeine Erinnerung trug man Sorge, den hohen Adel über
die Beſorgniß zu beruhigen, daß die von ihm in Beſitz ge-
nommenen geiſtlichen Güter zurückgefordert werden könnten.
Und ſo ſtark wuchs nun die katholiſche Meinung unter dem
Einfluß des Hofes und der vorwaltenden Stimmung des
Augenblicks an, daß ſich das Parlament wirklich entſchloß,
und zwar beinahe einmüthig, die Begründung einer engli-
ſchen Kirche, auch ſo weit ſie unter Heinreich VIII gedie-
hen, aufzugeben und unter den Gehorſam des Papſtes zu-
rückzukehren.


Auf den Kaiſer machte es einen großen Eindruck, daß
dieſe Rückkehr eines Königreichs in den Schooß der alten
Kirche mit der Ausſicht zuſammentraf, ein Geſchlecht katho-
liſcher Könige, ſein eignes Geſchlecht, in demſelben fortge-
pflanzt zu ſehen. Er ſagte wohl, wenn er ſchon halb todt
ſey, würden ihn Nachrichten dieſer Art wieder ins Leben zu-
rückrufen. Er ſah darin eine unmittelbare Fügung des Him-
mels, und gab zu vernehmen, ſein Sohn ſey noch zu großen
Dingen beſtimmt, für England und für die Chriſtenheit. 1


Wäre der Thronerbe geboren worden, den man in öf-
fentlichen Gebeten von Gott gleichſam forderte, mit beinahe
frevelhaft-ſtürmiſcher Überzeugtheit daß das Heil der Welt
darauf beruhe, und einer unglaublich ſichern Erwartung, ſo
2
[399]Verbindung des Kaiſers mit England.
würde Philipp wirklich in England Fuß gefaßt, alle neuen
Einrichtungen würden Feſtigkeit gewonnen haben.


So wunderbar iſt in der Verfaſſung der europäiſchen
Staaten die Verflechtung des Perſönlichen und des Allge-
meinen, daß es wie eine Art von Weltbegebenheit erſchien,
als das nicht geſchah, ſondern die Meinung der Königin über
ihren Zuſtand ſich endlich als ein Irrthum auswies.


Man fühlte ſogleich, daß ſich dann die von ihr unter-
nommene Herſtellung nicht über ihren Tod hinaus erhalten
würde. Durch eine Combination günſtiger Umſtände war
ſie zu Stande gebracht worden: mit denſelben mußte ſie ver-
ſchwinden. Zu tief war bereits die evangeliſche Lehre in die
Gemüther gedrungen. Man ſah es bei den blutigen Ver-
folgungen welche Maria verhieng und mit denen ſie ihren
Namen zum Abſcheu der ſpäteren Geſchlechter gemacht hat.
Sie brachte damit nur Märtyrer hervor, deren erhabene
Standhaftigkeit an die erſten Zeiten des Chriſtenthums er-
innerte und auf die Maſſe ſtärker wirkte, als die Predigten
jemals hätten wirken können, die man damit abzuſtellen ge-
dachte. Auch waren die evangeliſchen Lehren ſchon viel zu
weit verbreitet: der venezianiſche Geſandte will verſichern, daß
es unter den jüngern Männern, von weniger als 35 Jah-
ren, vielleicht nicht einen Einzigen von rein katholiſcher Farbe
mehr gebe. Und wie hätte Philipp auch nur hoffen dürfen,
ſich alsdann perſönlich dort zu halten? Man hatte ſich wohl
gehütet, ihm irgend ein von dem Leben ſeiner Gemahlin oder
dem Daſeyn eines Erben unabhängiges Recht zu gewäh-
ren, und war jetzt weit entfernt, ihm die Krönung, die er
wünſchte, zu bewilligen. Vielmehr gährte in der Tiefe der
[400]Zehntes Buch. Sechstes Capitel.
ganze nationale Widerwille, der ſeiner Ankunft vorausgegan-
gen, 1 deſſen Ausbruch zu verhüten ſo viel Vorſicht nöthig
geweſen; auch ſein Name war durch die blutigen Executio-
nen befleckt, als deren Beförderer er galt. Und dazu kam
daß die Staatsverwaltung, die freilich ſeit 20 Jahren haupt-
ſächlich auf die geiſtlichen Einkünfte angewieſen war, jetzt da
dieſe wegfielen, — wie denn die Königin ihr Gewiſſen nur
durch Zurückgabe aller der Krone zugefallenen Kirchengüter
beruhigen zu können meinte, — aus dem regelmäßigen Gange
wich, drückende Maaßregeln ergriffen, Schulden gemacht, und
dann doch die nöthigſten Zahlungen nicht geleiſtet wurden.
Es trat ein Zuſtand ein, wo man nur noch in der Voraus-
ſetzung gehorcht, die beſtehende Regierung werde doch nicht
lange dauern: wozu hier die ſchlechte Geſundheit Marias al-
len Anlaß gab. Aller Augen richteten ſich bereits auf die
nächſte Nachfolgerin, die Tochter Heinrichs von Anna Bo-
len, Mylady Eliſabeth. Welch ein Jubel empfieng ſie, wenn
ſie während der Verfolgungen, die auch ſie ihres Theils er-
lebte, in den Straßen von London erſchien, noch in der
Blüthe der Jugend, aber angegriffen, bleich, geiſtvoll und
ſtolz. Bald boten ihr die Mitglieder der vornehmſten Häuſer
wetteifernd ihre Dienſte an; ſie konnte als die Königin der
Zukunft angeſehen werden. 2


[401]Verbindung des Kaiſers mit England.

Obwohl Maria noch ein paar Jahr lebte, ſo mußte
doch die Abſicht, in welcher der Kaiſer ſie mit ſeinem Sohne
vermählt, ſchon im Sommer 1555 als geſcheitert betrachtet
werden. Man erzählt, er ſey gewarnt geweſen; 1 aber dieſe
religiös-dynaſtiſchen Combinationen waren ſtärker als ſeine
ſonſt in Berechnungen geübte Klugheit und Vorausſicht: ſie
riſſen ihn mit ſich fort.


Sehr begreiflich iſt die Ungeduld, mit der er die Nach-
richt von der Niederkunft der Königin Maria erwartete: er
hat den engliſchen Geſandten einſt früh um fünf Uhr an ſein
Bett kommen laſſen, um ihn wegen eines darüber verbrei-
teten Gerüchtes zu fragen; — nur ungern und langſam
überzeugte er ſich von der Nichtigkeit ihres Vorgebens.


Hätten die Dinge in England ſich befeſtigt, wäre dann,
worüber von London aus eifrig unterhandelt ward, ein Friede
mit Frankreich zu Stande gekommen, ſo möchte der Kaiſer
wohl auch auf der Prorogation des deutſchen Reichstags
beſtanden und der Conceſſion des Religionsfriedens ernſten
Widerſpruch entgegengeſetzt haben.


Statt der Erſtarkung des Prinzipes der alten Kirche
aber, die man erwartete, brach in der Mitte derſelben noch
einmal ein neuer Zwieſpalt aus.


Im Mai 1555 beſtieg ein Mann den römiſchen Stuhl,
den der Kaiſer von jeher als ſeinen perſönlichen Feind be-
2
Ranke D. Geſch. V. 26
[402]Zehntes Buch. Sechstes Capitel.
trachten müſſen, Johann Peter Caraffa, Paul IV, — der
nun weit entfernt, ſich dem Kaiſer anzuſchließen, wie Ju-
lius III, oder auch nur, wie Paul III, mit ſeinen Feindſe-
ligkeiten an ſich zu halten, ganz offen damit hervortrat, bei
der erſten Gelegenheit die Anhänger des Kaiſers verfolgte,
und nach wenigen Monaten ſchon ſo weit war, daß er ei-
nen ſeiner Vaſallen aufforderte, ſeine Truppen fertig zu hal-
ten, um die Bewegungen der Kaiſerlichen zu unterdrücken.
Der alte Hader zwiſchen Kaiſerthum und Papſtthum brach
nochmals aus. Wenn es dem kaiſerlich-toſcaniſchen Heer
unter dem Marcheſe von Marignano um dieſe Zeit gelang
Siena wieder zu erobern, Stadt und Gebiet, auch Porter-
cole (April bis Juni), und ſpaniſch-deutſche Beſatzungen
daſelbſt einzuführen, ſo gewannen dagegen die Franzoſen
an einem Papſt, der ihre alten Abſichten auf Neapel offen
begünſtigte, und um den ſich alle Mißvergnügten aus den
italieniſchen Ländern des Kaiſers ſammelten, einen ſtärkeren
Rückhalt, als ſie ſeit vielen Jahren gehabt. Man mußte
ſich auf einen Krieg gefaßt machen, der das ganze Syſtem
der ſpaniſchen Herrſchaft in Italien, das in Folge der letz-
ten Kriege aufgerichtet worden, noch einmal in Frage ſtel-
len, und vielleicht ein entgegengeſetztes, das der franzöſiſchen
Übermacht, herbeiführen konnte.


Bei dieſen Ausſichten neuer und allgemeiner Gefahren
fühlte man zuerſt, daß die in der letzten Zeit eingetretene Re-
gierungsweiſe der kaiſerlichen Gebiete nicht mehr haltbar war.


Die Vermählung ſeines Sohnes mit Königin Maria
hatte der Kaiſer dadurch gefeiert, daß er denſelben ſeiner Ge-
mahlin auch an Rang gleichſtellte und ihm das Königreich
[403]Uͤbertragung der italien. Laͤnder an Philipp.
Neapel übertrug, und zwar nicht allein dem Titel nach: gleich
darauf ward es im Namen Philipps mit allen bei einem
Thronwechſel herkömmlichen Formen in Beſitz genommen. 1
Auch Mailand übertrug er ihm, und belehnte ihn mit Siena,
ehe dieß noch erobert war. Hatte er ihn nicht zu ſeinem
Nachfolger im Kaiſerthum machen können, ſo überließ er
ihm wenigſtens dieſe italieniſchen Länder, an die ihm frei-
lich kein anderer Rechtstitel zuſtand als die alte Oberherrlich-
keit der Kaiſer darüber. Dieſe Übertragung iſt der Act, durch
welchen dieſe Länder ihren alten Zuſammenhang mit dem
Reiche, das dabei in keiner Weiſe zu Rathe gezogen ward,
vollends verloren haben. Damals war damit noch eine innere
Regierungsveränderung verknüpft. Die bisherigen Repräſen-
tanten des Kaiſers in Italien konnten ſich nicht mehr halten.
Don Diego Mendoza, dem wir erſt in Flandern, dann in
England begegnen, begab ſich nach Spanien. Ferrante Gon-
zaga ward nach den Niederlanden berufen und dort einer
ſtrengen Unterſuchung ſeines Verhaltens unterworfen, die
zwar mit perſönlicher Freiſprechung, aber doch nicht mit
Herſtellung in ſein Amt ſich endigte. Im Juni 1555 er-
ſchien der Herzog von Alba als Generalvicar Philipps II in
Italien; die toledaniſche Partei, der auch der Herzog von
Florenz angehörte, behielt unter dem Einfluß des neuen Für-
ſten zunächſt den Platz. Und auch hiebei konnte es ſein Ver-
bleiben nicht haben. Lange Zeit brachte man auch nach der
Übertragung alle Geſchäfte die ſich auf Italien bezogen, zu-
26*
[404]Zehntes Buch. Sechstes Capitel.
nächſt an den kaiſerlichen Hof. Erſt nachdem hier Bera-
thung darüber gepflogen und vorläufig Beſchluß gefaßt war,
wurden ſie dem königlichen Hofe zu London mitgetheilt. Da-
durch entſtand nun nicht allein eine neue, ſehr unzuträgliche
Verzögerung, ſondern bald gaben ſich auch Meinungsver-
ſchiedenheiten der Miniſter und der Höfe kund. „Was wir
hier dieſſeit machen,“ heißt es in einem Schreiben vom Hofe
Philipps, „wird von Euch da drüben verdorben, und von
uns, was Ihr macht.“ 1 Nachdem Mendoza und Gonzaga
gefallen, konnte ſich auch Granvella, ja ſelbſt Königin Ma-
ria, welche bisher die Regierung in der Nähe des Kaiſers
ungefähr in demſelben Sinne geleitet wie jene in Italien,
nicht länger in ihrer Autorität behaupten. Das neue Sy-
ſtem das Philipp gründete, trieb das alte mit Nothwendig-
keit aus ſeiner Stelle.


Da ereignete ſich nun, daß Donna Juana, die Mut-
ter des Kaiſers, deren Name, mit dem ihres Sohnes
vereinigt, noch immer an der Spitze aller königlichen Er-
laſſe ſtand, nach einem beſonders heftigen Ausbruch ihres
Wahnſinns endlich verſtarb. Um das hierüber erforder-
lich Werdende vorzukehren, und den Spaniern die Genug-
thuung zu geben, die ſie in der Anweſenheit eines Fürſten
aus dem regierenden Hauſe von jeher erblickten, ſchien es
nöthig, daß entweder Carl ſelbſt oder Philipp nach Spa-
nien gienge.


Eine Zeitlang ſchwankten die Meinungen in Brüſſel, wel-
cher von Beiden dieſe Reiſe unternehmen würde: ein ernſt-
licher Zweifel konnte aber wohl niemals obwalten.


[405]Abdankung des Kaiſers. (Niederlande.)

Dem Kaiſer hatten ſeine Ärzte längſt gerathen, ſich nach
einem wärmeren Himmelsſtrich, in reinere Luft zurückzuziehen.
Den jungen König würde dagegen eine Entfernung vom Mit-
telpunct der Geſchäfte, an denen er kaum Antheil zu nehmen
begonnen hatte, um allen Einfluß darauf und auch um ſein
Anſehen in Europa gebracht haben: die Gegner des Hau-
ſes wünſchten nichts Beſſeres. Wenn ſich aber der Kaiſer
entfernte und Philipp in den Niederlanden blieb, wie er denn
daſelbſt im September 1555 erſchien, ſo war nichts na-
türlicher als daß die Regierung auch dieſer Lande wie der
italieniſchen an ihn übergieng. Die bisherige Verwaltung
hätte ohnehin neben ſeinen Miniſtern keinen Augenblick be-
ſtehn können.


Noch im Laufe des September wurden die Ritter des
goldnen Vließes und die Stände der niederländiſchen Pro-
vinzen eingeladen, auf den beſtimmten Tag des folgenden
Monats in Brüſſel zu erſcheinen, um den König Philipp als
ihren Herrn und Fürſten zu empfangen. 1


Am 21ſten October 1555 begann der feierliche Act der
Abdication in der Verſammlung der Ritter des goldenen
Vließes. Der Kaiſer zeigte ſich weder kirchlich noch poli-
tiſch ſehr friedfertig geſtimmt. Er eröffnete dem Capitel, daß
er dem König Heinrich II von Frankreich den Michaelsorden
zurückzuſchicken gedenke, nicht allein wegen der andauernden
Feindſeligkeit die ihm derſelbe beweiſe, ſondern auch weil er
Ketzer und Verräther in denſelben aufgenommen. Die Frage
ward erhoben, ob Churfürſt Friedrich von der Pfalz, der
[406]Zehntes Buch. Sechstes Capitel.
des Lutherthums verdächtig ſey, noch ferner zu dem Capitel
berufen werden könne. Die Hauptſache aber war, daß der
Kaiſer den Verſammelten ſeine Abſicht ankündigte, wie die
Regierung der dieſſeitigen Länder ſammt Burgund, ſo auch
die Würde eines Hauptes und Souveräns des Ordens vom
goldnen Vließ, die an dieſelbe ſich knüpfe, auf ſeinen Sohn
den König von England zu übertragen. Philipp trat ei-
nen Augenblick ab, während deſſen die Ritter ſich beſprachen.
Man kann denken, daß ſich keine Stimme gegen den Vor-
ſchlag erhob, doch ſollte keine Form unbeobachtet bleiben.
Als Philipp wieder eintrat, ward er als der neue Souverän
des Ordens beglückwünſcht, und man faßte den Beſchluß,
demgemäß deſſen Siegel zu verändern. 1


Hierauf, am 25ſten, verſammelten ſich die Mitglieder
der Stände, die von den verſchiedenen Landſchaften hiezu
mit den nöthigen Vollmachten verſehen worden, im kaiſer-
lichen Pallaſt. Es war derſelbe Saal, in welchem Carl vor
vierzig Jahren für mündig erklärt worden, und die Re-
gierung dieſer Lande übernommen hatte. Dazwiſchen lag
ſein ganzes mit dem Kampfe aller lebendigen Elemente der
Welt erfülltes Leben. Nachdem einer der Räthe die Propo-
ſition der Abdankung vorgetragen, ergriff der Kaiſer ſelbſt
das Wort. Er ließ vor ſeinem Geiſte vorübergehn, was
ihn perſönlich ſeit jenem Anfang betroffen: wie der Gedanke
ſeiner Jugend, das Gebiet der Chriſtenheit gegen den Erb-
feind auszubreiten, durch den Widerſtand politiſchen und re-
ligiöſen Urſprungs, der ſich ihm von allen Seiten erhoben,
[407]Abdankung des Kaiſers. (Niederlande.)
unausführbar geworden ſey; wie ſchwer es ihm gefallen,
ſelbſt nur dieſe nächſten Feindſeligkeiten zu beſtehn; welche
Reiſen und Feldzüge er dazu unternehmen müſſen, nach dem
obern Deutſchland, nach Italien, Frankreich, Spanien, Africa,
wie oft er das Mittelmeer und den Ocean durchſchifft habe:
aber noch ſehe er ſich in gefährliche und heftige Kriege ver-
wickelt; er habe gethan was er gekonnt, ſeine Kraft ſey er-
ſchöpft: er würde eine ſchwere Verantwortung vor Gott auf
ſich laden, wenn er nicht die Regierung dem kräftigeren
Manne, ſeinem Sohne überlaſſe, den er ihnen hiemit als
ihren Herrn vorſtelle. Sein Sinn war noch nicht, demſel-
ben Alles abzutreten, er wollte ihm nur die Niederlande ein-
räumen. Allein es lag etwas in ſeiner Rede, als lege er
zugleich die ganze Regierung ſeines Reiches, die Aufgabe den
Gedanken derſelben zu realiſiren, in Philipps Hände nieder.
Indem er bekannte, ihm ſelber mit aller ſeiner Macht und
aller Anſtrengung ſey es nicht gelungen, ermahnte er noch
ſeinen Sohn und die Stände, an dem oberſten Grundſatz
wenigſtens feſtzuhalten, von der alten Religion nicht abzu-
weichen. Er lehnte ſich, indem er ſprach, mit ſeinem linken
Arm auf die Schultern des Prinzen Wilhelm von Oranien,
den rechten hatte er auf einen Stab geſtützt. Ein Moment
voll Schickſal und Zukunft! Die Anweſenden wurden von
dem Gefühl ergriffen, das ſich beim Anblick der Vergäng-
lichkeit menſchlicher Größe und des irdiſchen Daſeyns der
Gemüther unwiderſtehlich bemächtigt; auch dem Kaiſer ſel-
ber ſtiegen die Thränen auf. Nicht das etwa, fügte er
noch hinzu, thue ihm Leid, daß er die Herrſchaft aufgebe,
ſondern es ſchmerze ihn, daß er das Vaterland, worin er
[408]Zehntes Buch. Sechstes Capitel.
geboren worden, und ſo viele ergebene Vaſallen verlaſſen
müſſe; der Tod ſeiner Mutter rufe ihn nach Spanien. 1


Auch Königin Maria legte in dieſer Verſammlung das
Amt einer Regentin nieder. Den andern Tag leiſteten die
Stände dem neuen Fürſten den Eid der Treue.


Sogleich aber mußte ſich das begonnene Ereigniß noch
einen Schritt weiter zu ſeiner letzten Vollendung entwickeln.


Da widrige Winde und ein Krankheitsanfall den Kai-
ſer an ſofortiger Abreiſe verhinderten, ſo wurden die wich-
tigſten Sachen, auch wenn ſie z. B. Italien betrafen, wie
denn der florentiniſche Geſandte den Auftrag hatte den Kai-
ſer von allem in Kenntniß zu ſetzen, nach wie vor an ihn
gebracht. Er wies ſie nicht von ſich; da er aber nicht ge-
ſund genug war ſie zu erledigen, und nur die Antipathien
und Reibungen der beiderſeitigen Miniſter darüber erwach-
ten, ſo führte dieß zu einer Criſis, aus der die vollſtändige
Abdankung hervorgieng.


An ſich leuchtet ein, daß bei den engen Beziehungen die
ſich zwiſchen den Ländern des Kaiſers gebildet, eine Trennung
derſelben in zwei verſchiedene Adminiſtrationen die größten
Schwierigkeiten darbot. Ganz unüberſteiglich zeigten ſie ſich
in einem Augenblicke, wo ein neuer großer Krieg bevorſtand.
Gegen Ende des Jahres liefen Nachrichten von einem zwi-
ſchen Paul IV, dem König von Frankreich und dem Her-
[409]Abdankung des Kaiſers. (Spanien.)
zog von Ferrara zu einer neuen Vertheilung der italieniſchen
Länder getroffenen Bündniß ein. 1 Man muß bekennen, die
Miniſter Philipps II hatten nicht Unrecht, wenn ſie erklär-
ten, die burgundiſchen und italieniſchen Länder ohne Beihülfe
der ſpaniſchen nicht vertheidigen zu können. Wir haben un-
verwerfliche Nachrichten, daß Philipp II, von einigen Ita-
lienern wie Tornabuoni noch beſonders angefeuert, dieß ſei-
nem Vater eines Tages ſehr lebhaft und ernſtlich vorge-
ſtellt hat.


Und zugleich erhob ſich in dem Kaiſer, bei dem es für
alle ſein Thun eines äußern Anſtoßes bedurfte, eine Sehn-
ſucht nach Zurückgezogenheit und klöſterlicher Büßung, mit
der er ſich ſchon lange getragen, zu vollem Bewußtſeyn.


Noch als ſeine Gemahlin lebte, hatten ſie ſich wohl
geträumt, am Ende ihrer Tage, nach abgelegter Herrlichkeit
der Welt, in ein paar benachbarten Klöſtern zu leben, er in
einem Mannsconvent, ſie unter Kloſterfrauen, und dann unter
dem Altar einer Kirche gemeinſchaftlich begraben zu werden.


Bei der Rückkehr von dem unglücklichen Unternehmen
gegen Algier an die ſpaniſche Küſte bemerkte man, welchen
Eindruck der Friede, die Einſamkeit und die einfache Lebens-
weiſe des erſten Kloſters das er antraf, auf ihn machte.


Im tiefſten Geheimniß vertraute er bald darauf, im
Jahr 1542, zu Monzon, dem Francisco de Borja ſeine Ab-
[410]Zehntes Buch. Sechstes Capitel.
ſicht, ſich einmal in ein Kloſter zurückzuziehen, mit ausdrück-
lichen Worten an.


Damals aber hatte ihn der Strom der Ereigniſſe noch
einmal ergriffen: im Grunde iſt das Meiſte was ſein An-
denken in der Welt unvergeßlich gemacht hat, erſt nachher
geſchehen; er hatte noch einmal den kühnen und großartigen
Verſuch gemacht, ſeinen Begriff eines römiſch-gläubigen Kai-
ſerthums zu realiſiren; damit aber war es nun auch vorbei.


Was war ihm an der Macht gelegen, wenn ſie ihm
nicht mehr zur Ausführung ſeiner Gedanken dienen konnte?
Als er ſich in dem Falle ſah, den unbedingten Frieden in
Deutſchland zwar nicht ausdrücklich beſtätigen zu müſſen,
— niemals hätte er das gethan, — aber ihm doch auch
nicht widerſtreben zu können, meldete er ſeinem Bruder, daß
er ihm die kaiſerliche Würde überlaſſe. Nur in der beſon-
dern Bedeutung wie er das Kaiſerthum gefaßt, hatte es
Werth für ihn.


Und dazu kam noch eine Gewiſſensbedrängniß ſehr per-
ſönlicher Art, die jetzt erſt hervortaucht. Er bekannte, er habe
Unrecht daran gethan, daß er ſich aus Liebe zu ſeinem Sohne
nicht zum zweiten Male vermählt habe, und verhehlte nicht,
daß er darüber in Sünden gefallen ſey die er jetzt büßen wolle,
um ſich vor ſeinem Ende mit ſeinem Gott zu vergleichen. 1


Am 15ten Januar 1556, in einer Verſammlung der
angeſehenſten Spanier die ſich in den Niederlanden befan-
den, in Anweſenheit der beiden Königinnen ſeiner Schwe-
ſtern, übertrug der Kaiſer auch die ſpaniſchen Königreiche
an ſeinen Sohn.


[411]Abdankung des Kaiſers. (Das Kaiſerthum.)

In allen ſpaniſchen Hauptſtädten, auf der Halbinſel
ſelbſt und in den Vicekönigreichen auf einer andern Hemi-
ſphäre, wurden darauf die Fahnen für den König Don Fe-
lipe den Zweiten erhoben: nicht anders als ob König Car-
los, für ſie dieſes Namens der Erſte, bereits geſtorben ſey.


So raſch und leicht konnte es nun aber mit der Über-
tragung des Kaiſerthums nicht gehn.


Wie Ferdinand ſpäter erzählt, langte unmittelbar vor
dem Schluſſe des Reichstags von 1555 der kaiſerliche Ge-
heimſchreiber Pfinzing bei ihm in Augsburg an: mit der
mündlichen und ſchriftlichen Anzeige, daß Carl das Kaiſer-
thum ihm abzutreten wünſche, und zwar unverweilt: noch die
damalige Reichsverſammlung ſollte die Sache zu Ende brin-
gen. 1 Ferdinand zeigte wie unmöglich dieß ſey, da die Ver-
ſammlung noch an demſelben Tage geſchloſſen werden müßte,
und die Sache ohnehin nicht vor den Reichstag, ſondern
vor die Churfürſten gehörte. Er verſichert, er habe alles
gethan um den Kaiſer von dieſem Gedanken zurückzubrin-
gen: vier Mal nach einander, durch Pfinzing und Gusman,
dann durch ſeine Söhne Ferdinand und Maximilian habe
er ihm Gegenvorſtellungen machen laſſen, es ſey aber alles
vergeblich geweſen.


Manche wollten vermuthen, Ferdinand habe abſichtlich
gezögert die Sache in Gang zu bringen, um nicht etwa
ſeinem Neffen Gelegenheit zur Erneuerung ſeiner alten Ver-
ſuche zu geben, 2 wie denn wenigſtens der Einwand, den
[412]Zehntes Buch. Sechstes Capitel.
die Churfürſten machten, daß man nicht ſo viele Häupter
auf einmal haben könne, durch die Abdankung wegfiel. Al-
lein ich finde davon keinen Beweis. Noch vor dem Reichs-
tag hatte der Kaiſer ſeinem Bruder die Verſicherung gege-
ben, daß ſeine Abſicht nicht dahin gehe: nach ſeiner Art
nicht ausdrücklich, aber unzweideutig: daran hielt er feſt.


In dem Briefwechſel zwiſchen beiden Brüdern in den
Jahren 1555 und 1556, ſo weit ihn das Brüſſeler Archiv
aufbewahrt, findet ſich überhaupt das alte herzliche Verhält-
niß wieder, das früher ſo lange obgewaltet: war etwas da-
zwiſchen vorgefallen, ſo war das nun ſo gut wie vergeſſen.


„Wo ich auch ſeyn möge,“ ſchreibt Carl am 19ten
October 1555, zu einer Zeit wo von ſeiner nahen Abreiſe
die Rede war, „immer werdet Ihr in mir meine alte brü-
derliche Zuneigung finden, und ich will alles dafür thun, daß
ſich unſre Freundſchaft auch unter den Unſern fortſetze.“


„Ich darf verſichern,“ antwortet Ferdinand, „daß ich
nichts mehr wünſche, als in der Unterthänigkeit und brüder-
lichen Freundſchaft, die ich bisher gegen Ew. Majeſtät ge-
hegt, bis ans Ende zu verharren: ſo bleibe es auch unter
unſerer Nachkommenſchaft: ich werde die Meinen anweiſen,
daß ſie denſelben Weg wandeln.“


Noch einmal verſichert hierauf der Kaiſer ſeinen Bru-
der der Liebe die er ihm ſchuldig ſey: das wiſſe Der, der ſie
geſchaffen; ein großer Troſt würde es ihm geweſen ſeyn,
Ferdinand noch einmal vor ſeiner Abreiſe zu ſprechen.


Ferdinand ſendete wenigſtens Maximilian, der ſonſt nicht
in Gnaden geſtanden; aber jetzt ward auch dieß Verhältniß
ausgeglichen: alle gegenſeitigen Anſprüche wurden freundlich
[413]Abdankung des Kaiſers. (Das Kaiſerthum.)
gehoben, und Maximilian muß geſtehn daß er ſehr gut be-
handelt worden ſey.


Sorgfältig vermied der Kaiſer jede weitere Theilnahme
an Geſchäften die mehr als bloße Canzleiſachen waren. Zu
der Reichsverſammlung, die im Juli 1556 in Regensburg
eröffnet ward, verweigerte er Abgeordnete zu ſchicken, was
er doch noch vor dem Jahre gethan, ſo daß er jetzt auch
gar nicht mehr gefragt werden konnte. „Ich werde mich“,
ſchreibt Ferdinand, „dem Wunſche Ew. Majeſtät fügen, und
im Namen Gottes, ſo weit er es mir eingeben wird, die
Geſchäfte führen.“ Man ſieht: es iſt das Gefühl des Be-
ginnens, das ſich in dieſem Briefe ausſpricht: die Leitung
dieſer Verſammlung iſt der Anfang der ſelbſtändigen Reichs-
verwaltung Ferdinands.


Endlich, im September 1556 kam dann auch die Zeit
wo der Kaiſer wirklich von Seeland aus nach Spanien un-
ter Segel gieng. Es war eine ſeiner letzten Handlungen
in dieſſeitigen Landen, daß er eine Geſandtſchaft, an deren
Spitze Wilhelm von Oranien ſtand, abordnete, um den Chur-
fürſten ſeine Verzichtleiſtung zu Gunſten ſeines Bruders an-
zukündigen. In der Urkunde ſind die Ausdrücke, die jede
Bedingung dabei ausſchließen, recht abſichtlich gehäuft. Es
heißt darin, er trete demſelben das heilige Reich und römi-
ſche Kaiſerthum ab, ſammt deſſen Verwaltung, Titel, Ho-
heit, Scepter und Krone, mit allen und jeglichen Rechten,
frei, vollkommen, unwiderruflich.


Wenn Ferdinand nicht raſcher vorſchritt, ſo liegt das
nur daran, daß die Dinge in Deutſchland überhaupt lang-
ſam gehn und vor allem gut vorbereitet ſeyn wollen.


[414]Zehntes Buch. Sechstes Capitel.

Als die Churfürſten zuerſt, doch nur im Allgemeinen,
Nachricht von dem Vorhaben der Übertragung des Reiches
erhielten, und zu einer Zuſammenkunft deshalb eingeladen
wurden, fürchteten ſie faſt, es werde nur von der Verwal-
tung die Rede ſeyn, und Carl werde ſich Titel und Krone
vorbehalten wollen.


Sie urtheilten daß dieß nicht genügen würde, und nicht
unmerkwürdig ſind die Gründe die Sachſen und Branden-
burg, die bei Gelegenheit einer feſtlichen Zuſammenkunft dar-
über beriethen, dagegen anführen. 1


Sie meinen, dann könne es dem Kaiſer unter verän-
derten Umſtänden wohl beikommen, die Verwaltung einmal
wieder zu ergreifen, Truppen ins Reich zu führen, einen Frem-
den zum Kaiſer zu machen, und die Churfürſten, die ihre
Stimme dazu nicht geben wollen, mit Gewalt zu erdrücken.


Oder im Gegentheil, wenn das nicht geſchehe, der Kai-
ſer nur den Namen führe und nicht das Amt verwalte, ſo
könne der Papſt daher Anlaß nehmen, die kaiſerliche Krone
auf Frankreich, wie er ohnehin wünſche, zu übertragen.


Überhaupt aber müſſe wo möglich der Gefahr ein Ende
gemacht werden, daß der König von Frankreich durch ſeine
Kriege mit dem Kaiſer veranlaßt gegen das Reich um ſich
greife: leicht könne derſelbe ſonſt den Rheinſtrom gewinnen.


Wir ſehen wohl, dieſe ganze Combination, nach wel-
cher ein Fürſt, deſſen Macht auf außerdeutſchen Verhältniſ-
ſen beruhte, die Krone inne hatte, und dadurch entweder,
wenn er ſtark und mächtig war, die Freiheit des Reiches
gefährdete, oder wenn er das nicht war, die Grenzprovin-
[415]Churfuͤrſtenverſammlung zu Frankfurt.
zen dem gewaltſamen Umſichgreifen ſeiner Feinde ausſetzte,
wünſchten ſie abgeſtellt zu ſehen. Eine Übertragung der Ver-
waltung verwarfen ſie nur als unvollſtändig: aus demſelben
Grunde aber waren ſie ſehr geneigt die Verzichtleiſtung an-
zunehmen.


Eine Zeitlang war die Mahlſtatt der Verſammlung zwei-
felhaft. Ferdinand wünſchte einen den Erblanden bequem
gelegenen Ort, etwa Eger oder auch Ulm, die Churfürſten
beharrten auf dem für die Wahlhandlungen durch das Her-
kommen feſtgeſetzten Frankfurt; darüber ward dann weitläuf-
tig hin und her geſchrieben, und es dauerte bis in den An-
fang des Jahres 1558, ehe man — und zwar eben in
Frankfurt — zuſammenkam.


Am 25ſten Februar 1558 hörten die Churfürſten das
Anbringen des Prinzen von Oranien, der ſich entſchuldigte,
daß ſein Beglaubigungsſchreiben von ſo altem Datum ſey.


Da der Antrag mit den Wünſchen die ſie hegten zu-
ſammentraf, ſo fiel jeder Widerſpruch weg. Sie ergriffen
nur die Gelegenheit, durch die von dem römiſchen König zu
beſchwörende Capitulation den zuletzt getroffenen Reichsein-
richtungen eine neue Feſtigkeit zu geben.


Noch einmal wurde hier der zu Paſſau vorgelegten Be-
ſchwerden gedacht: wir finden ſie aufs neue Punct für Punct
von den churfürſtlichen Räthen begutachtet; allein wenn man
ſich ſchon in Augsburg überzeugt hatte, daß die meiſten durch
die dort beſchloſſenen Einrichtungen von ſelbſt erledigt wor-
den, ſo war das jetzt, da Würde und Verwaltung des Kai-
ſerthums auf immer an Ferdinand übergiengen, noch mehr
der Fall: — man hielt für hinreichend, ſie demſelben, wie
[416]Zehntes Buch. Sechstes Capitel.
ſie waren, zu übergeben, damit er ſelbſt ſehen möge, was
davon noch abzuſtellen ſey.


In der Capitulation dagegen ward nun die Verpflichtung
auf die Reichsbeſchlüſſe des Jahres 1555 überall, wo die
Gegenſtände derſelben in Erwähnung kamen, ſo nachdrücklich
wie möglich eingeſchaltet. Ferdinand gelobte, den Religions-
frieden ſowohl als den Landfrieden und deſſen Handhabung,
wie ſie im Jahr 1555 aufgerichtet worden, und die dort zu
Stande gekommene revidirte Kammergerichtsordnung ſtät und
feſt zu beobachten. Er verſprach nichts dagegen weder ſelbſt
zu verfügen, noch ſich von einzelnen Ständen bewilligen zu
zu laſſen, noch auch anzunehmen wenn es ihm bewilligt
würde. Alle frühern Reichsordnungen ſollten nur gültig
ſeyn, in ſo fern ſie mit den Beſchlüſſen vom Jahre 1555
übereinſtimmen.


Am 14ten März 1558 beſchwur zuerſt Ferdinand in Ge-
genwart ſämmtlicher Churfürſten in der Churcapelle der Bar-
tholomäuskirche dieſe Capitulation; hierauf ſetzte ihm der Erz-
cämmerer des Reiches, Churfürſt Joachim II, die goldene
Krone auf; dann begaben ſie ſich ſämmtlich auf eine dort
vor dem hohen Chor aufgerichtete Bühne. Indem ſie ſich
hier nach althergebrachter Ordnung niedergelaſſen: zur Rech-
ten des Kaiſers Mainz und Pfalz, zur Linken Cölln, Sach-
ſen und Brandenburg, vor ihm Trier, — die Unterämter
von Pfalz und Sachſen Seldeneck und Pappenheim, ſtan-
den mit Reichsapfel und Schwert vor Ferdinand, Joa-
chim II hielt das Scepter ſelbſt in ſeiner Hand, — ſtiegen
von der andern Seite eine breite Brücke welche die Kirche
mit der Bühne verband, die Bevollmächtigten Carls V, der
[417]Churfuͤrſtenverſammlung zu Frankfurt.
Prinz von Oranien und der Vicecanzler Seld hinauf. Seld
verlas die kaiſerliche Vollmacht und die Urkunde der Ceſſion;
Dr Jonas die der Annahme von Seiten Ferdinands, die
denn hauptſächlich enthielt, daß er mit dem Rathe der Chur-
fürſten, den er ſich erbat, zu regieren gedenke. Hierauf ward
König Ferdinand als erwählter römiſcher Kaiſer proclamirt.
Im Namen der Churfürſten begrüßte ihn der Erzcanzler des
Reiches: im Namen der Reichsfürſten, die ſich ſehr zahlreich
eingefunden, Chriſtoph von Würtenberg; Ferdinand gelobte
ihnen ihre Privilegien zu halten. Man ſah, daß ſich Alle,
welches auch ihre religiöſen Meinungen ſeyn mochten, wie-
der als eine Einheit fühlten, auf dem Grunde des von kei-
ner künftigen dogmatiſchen Feſtſetzung abhängigen immerwäh-
renden Friedens. Der Gottesdienſt mit welchem ſie die Feier-
lichkeit beſchloſſen, war ſo eingerichtet, daß die Einen und
die Andern demſelben beiwohnen konnten.


Man fühlte, daß es auch außerhalb der dogmatiſchen
Gegenſätze etwas gebe was doch auch Religion ſey, ob-
gleich es ſich nicht ſo leicht ausſprechen ließ; hauptſächlich
aber ſah man, daß jenſeit der Fragen über Mein und Dein,
die daraus entſprungen, und aller damit zuſammenhängen-
den politiſchen Irrung, noch etwas Gemeinſames liege, was
man ſchlechterdings feſthalten müſſe, die Idee des Reiches.
Carl V hatte in dem Kaiſerthum ein ihm zugefallenes, von
ihm perſönlich geltend zu machendes Recht geſehen: jetzt kam
daſſelbe wieder an die Gemeinſchaft der Fürſten zurück. In
jenem Verzeichniß der Beſchwerden wird der Begriff des hei-
ligen Reiches feſtgehalten; es wird als ein ſolches bezeich-
net, das auf dem Wege freier Wahl ſich ſelbſt und der gan-
Ranke D. Geſch. V. 27
[418]Zehntes Buch. Sechstes Capitel.
zen Chriſtenheit ein weltliches Haupt zu ſetzen habe, und
nach den alten Rechten und Herkommen, mit Wiſſen Wil-
len und Rath der Stände zu regieren ſey. 1 Man faßte
dabei ſehr gut die doppelte Beziehung der innern Ordnung
und des äußern Ranges, auf denen es beruht, die mit ein-
ander gegründet worden, nicht an die Perſon, ſondern an
die Gemeinſchaft geknüpft waren, und die man nicht fallen
laſſen durfte. Ein jeder fühlte wohl, daß er außerhalb die-
ſer Vereinigung nur wenig bedeute.


Beſonders waren die ſechs Churfürſten davon durch-
drungen.


Gleich bei der Einladung zu einer perſönlichen Zuſam-
menkunft hatten Sachſen und Brandenburg den Gedanken ge-
faßt, dieſelbe zur Erneuerung des Churfürſtenvereins zu be-
nutzen, der lange Zeit die vornehmſte Macht im Reiche gebil-
det. Sie waren der Meinung, auch das frühere Anſehen des
Collegiums laſſe ſich wiedergewinnen, wenn es nur in allem
zuſammenhalte, was die Wohlfahrt des Reiches und die
eigne Hoheit anlange. 2


Es kam ihnen hiebei zu Statten, daß die Erinnerung
[419]Churverein von 1558.
an die alten Rechte durch ein neues Verdienſt wieder be-
lebt worden war. Wie wir ſahen, waren die Einrichtun-
gen des Reichstags von 1555 in alle dem worin man ſich
vereinigt hatte, das Werk des Churfürſtenrathes.


In dem neuen Vereine nun, der wenige Tage nach dem
Acte der Renunciation, am 18ten März, zu Stande kam,
gelobten die Churfü[rſt]en vor allem, über dieſen Ordnungen
zu halten und [...] zu Hülfe zu kommen, wenn einer
von ihnen „dem Frieden in Religions- oder Profanſachen zu-
wider“ angegriffen werden ſollte. Bei dem Entwurf der Ca-
pitulation hatten ſie ſich das Recht vorbehalten wollen, nur
in ihrem eigenen Rathe zu deliberiren, nicht zu einem Aus-
ſchuß aus beiden Räthen genöthigt zu werden, — was in der
letzten Verſammlung ihnen und der gemeinen Sache ſo vor-
theilhaft geweſen war; — Ferdinand hatte jedoch aus Rück-
ſicht auf das Fürſtencollegium Bedenken getragen dieß zu
genehmigen: ſie halfen ſich dadurch, daß ſie in dem Ver-
eine übereinkamen, zu einem ſolchen Ausſchuß niemals ein-
zuwilligen. Mit beſonderm Nachdruck verpflichteten ſie ſich,
einer den andern nicht etwa um der Religion oder der Ce-
rimonien willen von den Wahlen auszuſchließen, dazu un-
fähig zu achten. Sie betrachteten ſich fortwährend als die
vorderſten Glieder des römiſchen Reiches; auch nachdem die
Hälfte von ihnen ſich von der römiſchen Kirche getrennt
hatte: in ihrer Geſammtheit als die Säulen des Reiches
und der Chriſtenheit. Sollte ſich Jemand, wer auch im-
2
27*
[420]Zehntes Buch. Sechstes Capitel.
immer, unterwinden, das heilige Reich der deutſchen Nation
zu entziehen und auf eine andre zu übertragen, ſo wollen
ſie ſich gemeinſchaftlich dagegen ſetzen, keiner ſoll den an-
dern verlaſſen. Das ſchwören ſie einander, alle in der von
den Proteſtanten angenommenen Formel, bei Gott und dem
heiligen Evangelium. 1


In dieſer Urkunde finden ſich Ausdrücke die an den
früheſten Churverein vom Jahr 1338 erinnern: ein ſpäterer,
von 1446, wird darin ausdrücklich erwähnt, die goldene
Bulle zu wiederholten Malen. Wie wir bemerkten daß alle
ſeit Friedrich III verſuchte Reichseinrichtungen durch die Be-
ſchlüſſe von 1555 vollendet und erſt recht feſtgeſtellt wur-
den, ſo gab es dem neuen Zuſtand der ſich in deren Folge
bildete, noch eine beſondere Gewähr, daß die Erneuerung
der churfürſtlichen Macht ſich damit verband, deren Wur-
zeln in noch bei weitem ältere Zeiten zurückreichen.


Freilich konnte ſich nun auch Niemand wundern, wenn
der Repräſentant der in den hierarchiſchen Jahrhunderten
gebildeten Rechtgläubigkeit und geiſtlich-weltlichen Gewalt, der
römiſche Papſt, ſich dieſen Dingen widerſetzte.


Paul IV haßte ohnehin das Haus Öſtreich, dem er
das Emporkommen der proteſtantiſchen Meinungen zuſchrieb;
er konnte Ferdinand nicht vergeben, daß unter ſeinen Auſpi-
cien ein Reichsabſchied zu Stande gekommen war, wie der
augsburgiſche von 1555. „Was könne“, heißt es in einem
ſeiner Schreiben, „dem katholiſchen Glauben Widerwärtigeres
[421]PaulIVund das Reich.
begegnen, als was dort in Augsburg beſchloſſen worden.“ 1
Der römiſche Hof hat ihn niemals anerkannt.


Eben ſo lief es aber allen Begriffen Pauls IV von
der päpſtlichen Oberhoheit auch über das Kaiſerthum entge-
gen, daß Carl V demſelben entſagte, ohne mit ihm darüber
Rückſprache genommen zu haben, und zwar in die Hände
der Churfürſten, nicht in die ſeinen. Er erklärte die ganze
Entſagung für null [...] nichtig: für nicht minder ungül-
tig die darauf erfolgte W [...] die von Ketzern, ja von Hä-
reſiarchen vorgenommen worden. Er äußerte Zweifel ſelbſt
über die perſönliche Befähigung Ferdinands, der da lebe wie
Eli, und ſich nicht darum kümmere, daß ſein Sohn Maxi-
milian den Abtrünnigen beigetreten ſey. 2 Den Geſandten
Ferdinands, Martin Gusman, wollte er lange Zeit nicht ſe-
hen: bei Nacht ſey er gekommen, rief er aus, bei Nacht
möge er ſich entfernen; nachdem Gusman eine Zeitlang in
Tivoli gewartet, ward er endlich zwar vorgelaſſen, aber nur
als Privatmann, und um die Einwendungen zu hören, welche
eine Congregation von Cardinälen gegen das Verfahren der
Deutſchen erhob. 3 Der römiſche Hof ſtellte die Forderung
auf, der neue Kaiſer ſolle zuerſt auf ſeine Würde wieder
Verzicht leiſten und erwarten was der Papſt alsdann ver-
ordnen werde.


So weit war es nun doch im Reiche gekommen, daß
ſich Niemand um dieſen Widerſpruch bekümmerte. Es war
[422]Zehntes Buch. Sechstes Capitel.
eine Zeit geweſen, wo die Fürſten auf den Wink des Pap-
ſtes zu neuen Wahlen ſchritten: jetzt waren ſie alle, geiſt-
liche wie weltliche, in der Abſicht einverſtanden, das Anſe-
hen des Reiches gegen denſelben aufrecht zu erhalten. Viel
Worte darüber zu wechſeln, ſchien nicht einmal nöthig. Nur
der Kaiſer ließ durch den Reichsvicecanzler Seld eine Wi-
derlegung der päpſtlichen Anſprüche ausarbeiten. 1 Vielleicht
das Merkwürdigſte darin iſt, daß auch das Intereſſe des
Reiches zu einer ausdrücklichen Verwerfung der päpſtlichen
Satzungen aus den letzt vorhergegangenen Jahrhunderten nö-
thigte. 2 So ernſtlich der Kaiſer und ſein Canzler ſonſt an
der hergebrachten Kirchenlehre feſthalten, ſo ſehen ſie ſich doch
auf ihrem Standpunct endlich zu einer Oppoſition getrieben,
die eine gewiſſe Verwandtſchaft mit dem erſten Auftreten des
Proteſtantismus hat. Die ganze politiſche Entwickelung des
Reiches wäre nun einmal ohne Gegenſatz gegen das Papſt-
thum gar nicht möglich geweſen. Wie die Churfürſten, ſo
mußte jetzt auch der Kaiſer auf die Zeiten Ludwigs des
Baiern zurückkommen. Aventins Darſtellung derſelben und
Lupold von Babenberg ſind für Seld eine große Autorität.


Während dieſer Irrungen lebte nun carl V ſchon längſt
in dem Zufluchtsort den er ſich auserſehen.


[423]Letzte Tage CarlsV.

In Eſtremadura, in der Vera von Placencia, die den
alten Ruf geſunder Luft genießt, in der Mitte von Baum-
pflanzungen, die von friſchen Quellen und Bächen vom Ge-
birge belebt ſind, liegt das Hieronymitenkloſter Juſte, das
damals aus zwei Kloſtergebäuden und einer Kirche beſtand,
an dem Abhang eines Hügels der es vor den Nordwinden
ſchützt, in vollkommener Einſamkeit. Dahin hatte ſich der
Kaiſer ſogleich nach ſeiner Ankunft in Spanien begeben.


Man dürfte nicht glauben daß er ein Kloſterbruder ge-
worden ſey. Er wohnte nicht in dem Kloſter, ſondern an
der Kirche war ihm ein eigenes Haus erbaut; unfern davon
waren Wohnungen für ſeine Dienerſchaft eingerichtet, die
noch den ganzen Apparat einer regelmäßigen Hofhaltung dar-
ſtellt. 1 Auch iſt ein Irrthum, anzunehmen, daß er aller Theil-
nahme an den Geſchäften entſagt habe. Mit ſeinem Sohne
ſtand er in unausgeſetztem Briefwechſel, und dieſer bat ihn
noch zuweilen, die Gewalt wiederzuergreifen: in Spanien un-
ternahm er noch einiges auf eigne Hand. Unter andern finde
ich, daß er nach dem Tode König Johanns III von Portugal
im J. 1557 jenen Francisco de Borja, der damals in den
Jeſuiterorden getreten war, nach Liſſabon ſchickte, unter dem
Scheine einer Viſitation dortiger Collegien, aber in der That,
um zu bewirken, daß in die neue Huldigung der junge Deu
Carlos, ſein Enkel, aufgenommen werde. 2 Der Unterſchied
[424]Zehntes Buch. Sechstes Capitel.
gegen früher lag beſonders darin, daß er nicht von laufenden
Geſchäften bedrängt war und keine Regierungspflicht mehr
hatte. Er konnte der Einſamkeit und Ruhe, nach der ihn
verlangte, ſo viel er wollte genießen. Seine Umgebung
hatte Befehl, keine Beſuche anzunehmen, und in dem Kloſter
war es ſo ſtill, als wäre er nicht anweſend. Oder vielmehr,
es ward noch ſtiller durch ihn: er bemerkte mit Mißfallen,
daß zuweilen Frauen an die Pforte kamen und mit den
Mönchen redeten: auf ſeinen Wunſch ward es abgeſtellt.
Man hatte dafür geſorgt, daß der Blick aus ſeinen Zimmern,
der über die Kloſtergärten hinführte, durch nichts Fremd-
artiges geſtört wurde. Sein Vergnügen war, wenn er ſich
wohl befand, nach einer kleinen ein paar Armbruſtſchüſſe
entfernten Einſiedelei zu luſtwandeln, unter dem Schatten
dichtgepflanzter Caſtanienbäume, welche vor der Sonne dieſes
Himmels ſchützten; zuweilen machte er den Weg auf einem
Saumthier, endlich war ihm auch dieß unmöglich. Beſonders
gern wohnte er dem Geſange in der Kirche bei, wie er denn
Geſchmack und Unterſcheidungsgabe für die Muſik beſaß;
die Obern des Ordens hatten nicht verſäumt, ihre beſten
Stimmen in dem Kloſter zu verſammeln. Seine Wohnung
war in eine ſolche Verbindung mit der Kirche geſetzt, daß
er in den Tagen der Krankheit den Geſang und die Feier
der Meſſe in ſeinem Schlafzimmer hören konnte.


Und ſo hoffte er wohl, das Ziel ſeiner Tage in tiefem
Frieden zu erreichen. Jedoch vergeblich. So lange der
2
[425]Letzte Tage CarlsV.
Menſch noch athmet und lebt, kann er ſich dem Kampfe der
Elemente nicht entziehen, welcher die Welt bewegt. Auch
in dieſer Abgeſchiedenheit ward Carl V von den ihm, ſeit
ſie den Umſturz ſeines Glückes veranlaßt, erſt recht verhaß-
ten neuen Meinungen erreicht. Plötzlich entdeckte man kleine
Gemeinen proteſtantiſcher Tendenz in Valladolid und Se-
villa. 1 Auguſtin Cazalla, der während des ſchmalkaldiſchen
Krieges um ihn geweſen und noch in Juſte vor ihm gepre-
digt, wies ſich ſelbſt als ein Lutheriſch-gläubiger aus. Der
Kaiſer war darüber betroffen, ja erſchüttert. Am Ende ſei-
ner Tage mußte er erleben, daß ein Mann der ſein Gewiſ-
ſen eine Zeitlang geleitet, die Meinungen bekannte, mit de-
nen er ſein ganzes Leben gekämpft hatte. In ſeinem letzten
Codicill, nur zwölf Tage vor ſeinem Tode, ermahnt er noch
ſeinen Sohn und die ſpaniſche Regierung auf das dringendſte,
die Ketzereien in ihrem Keime zu unterdrücken. Doch ſcheint
es faſt als habe er an menſchlichen Mitteln verzweifelt. Er
betete nur noch für die Einheit der Kirche: „in deine Hände,
o Herr,“ hörte man ihn ſagen, „habe ich deine Kirche über-
geben.“ 2 Er ſtarb in dem Gedanken der ſein Leben aus-
gemacht: 21 Sept. 1558.


Für eine Kirche von politiſch-religiöſer Einheit, die ganze
abendländiſche Welt umfaſſend, wie er ſie gedacht, war kein
Raum mehr in Europa. Der Gedanke ſelbſt iſt niemals wie-
der ſo lebendig in die Seele eines Menſchen gekommen, wie
Carl V ihn hegte. Schon genug, wenn die ſüdlichen Na-
tionen ſich der vordringenden Bewegung nur ſelber erwehr-
[426]Zehntes Buch. Sechstes Capitel.
ten: von den nördlichen einmal in der Abweichung begriffe-
nen war keine Rückkehr zu erwarten.


Und beruht denn die Einheit der Chriſtenheit wirklich
ſo ausſchließend auf dem gleichen religiöſen Bekenntniß?


Irre ich nicht, ſo hat ſie ſich auch unter den Gegen-
ſätzen behauptet, die doch die gewonnene Grundlage nicht
verleugnen können, ſich unaufhörlich auf einander beziehen,
einer ohne den andern nicht zu denken ſind. Zuletzt iſt der
gleichartige Fortſchritt der europäiſchen Cultur und Macht
an die Stelle der kirchlichen Einheit getreten. Was dieſe
verloren hatte, das Übergewicht über die Welt, iſt durch
jene im Laufe der Jahrhunderte wiedererworben worden.


Wie weit übertreffen die göttlichen Geſchicke menſchliche
Gedanken und Entwürfe.


Noch nicht zwei Monat nach Carl ſtarb Maria von
England, und die proteſtantiſchen Tendenzen, die nur durch
die Vorausſicht ihres baldigen Todes vom Ausbruch zurück-
gehalten worden, traten nun in neuer Kraft, durch die Prü-
fung die ſie beſtanden, erſt des nationalen Geiſtes recht mäch-
tig geworden, hervor. Königin Eliſabeth beſtieg den Thron,
und die Herrſchaft des Papſtthums hörte auch in England auf.


In Deutſchland bemerkten die evangeliſchen Fürſten auf
der Stelle, wie viel das auch für ſie zu bedeuten habe. Aus
ihren Briefen ergiebt ſich, daß ſie ſehr wohl die Verſtär-
kung wahrnahmen, die das von ihnen ergriffene Syſtem da-
durch erhielt.


[[427]]

Siebentes Capitel.
Fortgang und innerer Zuſtand des Proteſtantismus.


Wenn man im funfzehnten Jahrhundert wirklich der
Meinung geweſen iſt, wie man denn viel davon geſprochen
hat, daß ſich das Anſehen und die Macht des alten Kaiſer-
thums in Europa wieder herſtellen laſſe, ſo war es dahin
nun freilich nicht gekommen.


Vielmehr hatte die Verbindung des Reiches mit einem
über zwei Welten hin mächtigen Kaiſer, wie Carl V, nur
neue Verluſte nach ſich gezogen.


Die Siege welche die Deutſchen mit den Spaniern in
Verbindung in Italien erfochten, führten doch nur dahin,
daß die eröffneten Reichslehen, auf deren Erträge man wohl
einſt die Verwaltung des Reiches zu gründen gedacht, an
den Prinzen von Spanien übergiengen und von Deutſchland
vollends losgeriſſen wurden. Die Niederlande bildeten zwar
dem Namen nach noch einen Kreis des Reiches, aber in
ihrer innern Verwaltung waren ſie von den Anordnungen
der Reichsgewalten vollkommen unabhängig; daß der Kai-
ſer Geldern und Utrecht in Beſitz genommen, war für dieſe
ein eigentlicher Verluſt. Und dabei war der Kaiſer doch in
[428]Zehntes Buch. Siebentes Capitel.
ſeinem Kriege mit Frankreich zuletzt der Schwächere geblieben,
ſo daß der Einfluß der Franzoſen in Lothringen überwog, und
die Grenzlande der franzöſiſchen Zunge, die ſo viele Jahrhun-
derte hindurch behauptet worden, geradezu verloren giengen.
Wohl gelang es König Philipp dem II, kurz darauf das
Gleichgewicht zwiſchen beiden Mächten herzuſtellen; Frank-
reich mußte ſich entſchließen alle ſeine Eroberungen heraus-
zugeben; nur die behielt es, die es über das Reich gemacht.
Die Eidgenoſſenſchaft und Böhmen mit ſeinen Nebenlanden,
obwohl Glieder des Reiches, waren niemals in die Kreiſe
deſſelben eingezogen. Wie hätte man daran denken können,
die im funfzehnten Jahrhundert von Polen losgeriſſenen preu-
ßiſchen Landſchaften wieder herbeizubringen? In dem Über-
reſte derſelben, dem öſtlichen Ordenslande, hatte man das
einzige Mittel, eine gewiſſe Selbſtändigkeit für beſſere Zei-
ten zu retten, darin geſehen daß man ſich unter einem erb-
lichen Fürſten der polniſchen Krone freiwillig anſchloß. Daß
die Liefländer ſich nicht zu einem ähnlichen Schritte ver-
einigen konnten, mußte bald ihre völlige Entfremdung zur
Folge haben.


Der vornehmſte Grund von alle dem lag darin, daß
die Begriffe von Kaiſer und Reich nicht mehr in einander auf-
giengen. Wir bemerkten oft, daß gerade der Kaiſer, ſelbſt im
Zenith ſeiner Macht, die ſorgfältigſten Vorkehrungen traf,
ſeine Erblande von den Einwirkungen des Reiches zu be-
freien. Dagegen wollten auch die Stände nicht zu einem
Anhang der großentheils auf fremdartigen Weltverhältniſſen
beruhenden kaiſerlichen Macht werden. Während in allen
benachbarten Ländern die erbliche Gewalt fortſchritt und zu
[429]Einwirk. des Proteſt. auf d. Reichsverfaſſung.
Unternehmungen nach außen erſtarkte, brach in Deutſchland
ein Widerſtreit zwiſchen dem Oberhaupt und den Ständen
aus, der mit der Abdankung des Erſten endigte. Wir wiſ-
ſen, daß die Unruhen von 1552 nicht von den religiöſen
Irrungen allein herrührten, ſondern nicht weniger durch den
Widerwillen der in ihrer Autonomie gefährdeten Reichsſtände
gegen das Aufkommen einer durchgreifenden oberherrlichen
Gewalt veranlaßt wurden. Glück genug, daß man in den
Stürmen und Verwirrungen jener Tage nicht noch größeres
Mißgeſchick erfuhr, daß nicht, wozu es ſich einen Augenblick
wohl anließ, der Gegenſatz eines franzöſiſchen und eines kai-
ſerlich-ſpaniſchen Anhangs Deutſchland geradezu in zwei Par-
teien zerſetzte.


Und waren wohl überhaupt jene Verſuche die Reichs-
verfaſſung zu verbeſſern, dazu angethan, demſelben eine ſtarke
Stellung nach außen zu verſchaffen? Was auch dann und
wann beabſichtigt worden ſeyn mag: die Einrichtungen zu
denen es wirklich gekommen iſt, waren doch nur friedlicher
Natur. Der Kaiſer ward als die Quelle des Rechts, als
der Ausdruck und Inbegriff der Würde und Hoheit des
Reiches verehrt; Macht aber ſollte ihm von Anfang nicht
gegeben werden: dieſe ſollte allein in der Vereinigung der
Stände ihren Sitz haben.


Was ſich auf dieſem Grunde erreichen ließ, war nun
doch erreicht worden.


Eiferſüchtig hatte man den Vorrang feſtgehalten, der
dem Reiche in dem Verein der abendländiſchen Völker von
jeher zukam und auf welchem das Verhältniß der Stände,
die Abſtufung ihrer Macht und ihres Ranges nun einmal
[430]Zehntes Buch. Siebentes Capitel.
beruhte, und demſelben ſogar eine feſtere unabhängige Aner-
kennung verſchafft. Der Anſpruch der Päpſte, über das Reich
zu verfügen, entlud ſich nur noch in Worten: in der Sache
ſelbſt erſchien er matt und kraftlos.


Überhaupt war den Einwirkungen des römiſchen Stuhls,
der früher, ſelbſt in weltlicher Beziehung, eine wahrhafte Ge-
walt im Reiche ausmachte, eine Grenze geſetzt worden. Oder
ſollte es heutzutage Jemand geben, dem es als ein Nach-
theil erſchiene, daß päpſtliche Legaten nicht ferner deutſche
Reichstage eröffneten, der römiſche Hof nicht mehr zur Be-
ſtätigung von Zöllen, zur Schlichtung von Rechtshändeln
herbeigezogen wurde, noch Contributionen in Form des Ab-
laſſes ausſchreiben durfte?


Wir können ſagen: die Gedanken des vierzehnten Jahr-
hunderts, wie ſie dem älteſten Churfürſtenvereine und der
goldnen Bulle zu Grunde liegen, und das Beſtreben des
funfzehnten, an die Stelle der Willkührlichkeiten, welche der
kaiſerliche und der päpſtliche Hof von der Ferne her aus-
übten, wobei ſie doch den eingeriſſenen Gewaltſamkeiten nicht
im mindeſten ſteuern konnten, Ordnung Friede und Recht
einzuführen, waren jetzt erſt vollzogen; die urſprünglich beab-
ſichtigte ſtändiſche Verfaſſung war in großen umfaſſenden und
friedebringenden Conſtitutionen befeſtigt.


Es liegt am Tage, daß das Emporkommen der prote-
ſtantiſchen Meinung an allen dieſen Dingen den größten An-
theil hatte. Zu der Oppoſition gegen das Papſtthum gab
ſie zugleich Berechtigung und weiteren Antrieb. Dem Kai-
ſerthum, dem ſie an ſich nicht entgegen war, mußte ſie ſich
doch wegen ſeiner Verbindung mit der geiſtlichen Macht wi-
derſetzen. Erſt unter ihrem Einfluß kamen Landfriede, Kam-
[431]Einwirk. des Proteſt. auf d. Reichsverfaſſung.
mergericht, Executions- und Kreiseinrichtungen zu bleibender
Geſtalt; mit dem Religionsfrieden zuſammen bildeten ſie ein
einziges zuſammenhängendes ſchützendes Syſtem. Wer es
nicht annahm, gehörte nicht mehr in vollem Sinne des Wor-
tes zum Reiche.


Dadurch geſchah nun aber wieder, daß die proteſtan-
tiſche Entwickelung fortan unter dem Schutze der Reichs-
gemeinſchaft ſtand. Das Reich hatte ſich verpflichtet, keiner
Verdammung der Evangeliſchen, die etwa das Concilium
ausſprechen möchte, Folge zu geben.


War es nicht ein allgemeiner Gewinn, daß die hierar-
chiſche Macht, die alles weltliche und geiſtliche Leben der
Nationen nach ihren einſeitigen Geſichtspuncten zu leiten das
Recht zu haben glaubte, endlich einen unüberwindlichen Ge-
genſatz gefunden hatte? Es war das Werk des eigenthüm-
lich deutſchen Genius, der jetzt zuerſt auf den Gebieten des
ſelbſtbewußten Geiſtes ſchöpferiſch eintrat, und ein Moment
der großen welthiſtoriſchen Bewegung zu bilden anfieng.


Und dieß geſchah nun nicht allein, ohne daß die große
Inſtitution des Reiches, in welcher die Nation ſeit ſo vie-
len Jahrhunderten lebte, verletzt worden wäre, ſondern mit
einer inneren Befeſtigung ſeiner ſtändiſchen Ausbildung.


Es iſt ſchon geſagt worden, und hat eine unzweifel-
hafte Wahrheit, daß die Reichsgeſchichte, in die ſich ſeit dem
Abgang der großen Häuſer des alten Kaiſerthums niemals
alle Kräfte recht zuſammenfaſſen, erſt wieder ein großes In-
tereſſe gewinnt, ſeitdem die religiöſe Neuerung ſich erhob.
Man beſchäftigte ſich wieder mit einer Angelegenheit die aller
Anſtrengung und Aufmerkſamkeit würdig war. Einen Augen-
blick hatte es den Anſchein, als ſollte die Neuerung alle Ele-
[432]Zehntes Buch. Siebentes Capitel.
mente durchdringen und den vollen Sieg behalten. Da das
nicht geſchah, ſo war wenigſtens ein Glück, daß ſie dazu
beitrug, den allgemeinen Einrichtungen feſtere Formen zu ge-
ben. Auf den beiden Gegenſätzen und ihrem Verhältniß be-
ruhte fortan das Reich.


Es lag nun alles daran, fremde Einwirkungen, ſey es
der Meinung oder des Intereſſes, nicht wieder eingreifen
und das Eben-gegründete zerſprengen zu laſſen. Dann konn-
ten die geiſtigen Momente die das Reich enthielt, die althiſto-
riſchen, die ſeiner Bildung zu Grunde lagen, und die neuen
den Fortgang der Entwickelung bedingenden, ſich in friedli-
chem Beiſammenſeyn noch inniger durchdringen.


Noch ſchritt das proteſtantiſche Element unaufhörlich fort.


Was Churfürſt Friedrich von der Pfalz zwar unternom-
men, aber doch nicht mit voller Entſchiedenheit ausgeführt,
die Reformation der Rheinpfalz, davon ließ ſich deſſen Nach-
folger, Ottheinrich, durch keine Rückſicht abhalten. Elſaſſi-
ſche und würtenbergiſche Theologen wirkten dabei zuſammen:
bei der Reformation der Univerſität Heidelberg ward Me-
lanchthon zu Rathe gezogen.


Den deutſchen Fürſtenhäuſern, die bereits in ſo großer
Mehrzahl die Sache der Reform ergriffen, geſellte ſich im
Jahr 1556 auch Baden bei; Markgraf Carl von Baden-
Durlach ſah beſonders dahin, daß ſeine neue Kirchenordnung
den nachbarlichen gleichförmig ausfiel. Viele Prieſter alten
Glaubens nahmen ſie an.


Und da wo die Fürſten zögerten, ergriffen die Stände
dieſe Angelegenheit. Im Frühjahr 1556 ward Herzog Al-
brecht von Baiern durch die beharrliche Weigerung der welt-
[433]Verhaͤltniß katholiſcher Landesfuͤrſten.
lichen Mitglieder des Landtags vorher auf ſeine Propoſitio-
nen einzugehn, genöthigt, den Genuß des Abendmahls un-
ter beiderlei Geſtalt und die Strafloſigkeit der Übertretung
der Faſtengeſetze zu bewilligen. Das Verſprechen das er
gab, ſo viel an ihm ſey, dafür zu ſorgen daß das Wort
Gottes durch taugliche Seelſorger im Sinne der apoſtoliſchen
Kirche verkündet werde, ließ die weiteſte Auslegung zu, ſo
unbeſtimmt auch die Worte gewählt waren. 1


Durch ähnliches Andringen der Stände ward auch Kai-
ſer Ferdinand in demſelben Jahre bewogen, die General-
mandate, durch die er dem Gebrauch des Kelches im Abend-
mahl und andern Abweichungen Einhalt zu thun gedroht
hatte, fürs Erſte einzuſtellen und die Zugeſtändniſſe, die in
Böhmen und Mähren unwiderruflich geworden, jetzt auch
in den öſtreichiſchen Herzogthümern eintreten zu laſſen. In
Schleſien gab er auf, die von Fürſten und Ständen vor-
genommenen Veränderungen rückgängig zu machen.


Es wäre eine Täuſchung geweſen, hätte man die Ein-
willigung des römiſchen Hofes zu dieſen Schritten erwarten
wollen. Mit heftigen Scheltworten empfieng Paul IV den
cleviſchen Abgeordneten Maſius, der im Juli 1556 nach
Rom gekommen war, um einen verwandten Antrag zu ma-
chen. 2 Er ergoß ſich in Ausrufungen über die Undankbarkeit
der Deutſchen gegen die Kirche, welche doch das Kaiſerthum
von den Griechen auf ſie übertragen habe; der Abfall der
Nation werde verurſachen, daß ihr durch die Türken eben ſo
geſchehe, wie dieſe einſt den Griechen gethan.


Ranke D. Geſch. V. 28
[434]Zehntes Buch. Siebentes Capitel.

Dieſe Fürſten mußten ſogar in Bezug auf ihre altgläu-
bigen Unterthanen ſich ſelber helfen. Man kennt die Strenge,
mit welcher Herzog Wilhelm von Cleve ſeine Rechte bei der
Beſetzung der Pfarrſtellen feſthielt und keinerlei Eingriff ei-
ner fremden geiſtlichen Jurisdiction in ſeinem Lande geſtat-
tete; 1 ſeine Edicte haben allen ſpätern Regierungen zur Norm
gedient. 2 Öſtreich und Baiern lagen mit den Biſchöfen der
Diöceſen, zu denen ihre Landſchaften gehörten, in unaufhör-
lichem Hader. Auf den Synoden zu Salzburg 1549 und
1550, zu Mühldorf 1553, erhoben die Geiſtlichen laute Kla-
gen, daß man ihrer Gerichtsbarkeit nicht achte, ihre Immu-
nitäten verletze, ihnen ungewohnte Laſten auflege. Die Für-
ſten vertheidigten ſich damit, daß ſie den Biſchöfen Vernach-
läßigung ihrer geiſtlichen Pflichten Schuld gaben. 3 Es blieb
dabei, daß in den weltlichen Gebieten die kirchlichen Angele-
genheiten hauptſächlich unter dem Einfluß fürſtlicher Räthe,
nur mit Zuziehung eines und des andern ergebenen Clerikers
verwaltet wurden. Wenn man die Unterſuchungen über an-
gebliche Wiedertäufer anſieht, die in Baiern noch dann und
2
[435]Verhaͤltniß katholiſcher Landesfuͤrſten.
wann vorkommen, ſo findet man, daß ſolche von den her-
zoglichen Religionsräthen veranlaßt, von einer Provinzialre-
gierung und dem Pfleger eines kleinen Bezirks geführt wer-
den ohne alle eigentliche Theilnahme der biſchöflichen Ge-
walt, der man nur zuletzt einen als ſchuldig betrachteten
Prieſter zu canoniſcher Strafe ausliefert. 1


Nicht ſo durchaus verſchieden wie es ſcheinen ſollte, iſt
das Verhältniß der weltlichen Fürſten der alten Kirche zu
den Biſchöfen von dem, das ſich in den Landſchaften der
augsburgiſchen Confeſſion bildete. Nur erwehrte man ſich
hier der biſchöflichen Jurisdiction vollſtändig und mußte daran
denken ſie anderweit zu erſetzen. Wir dürfen nicht verſäumen,
auf dieſe Seite des Ereigniſſes noch einen Blick zu werfen.


Grundzüge der proteſtantiſchen Kirchenverfaſſung.


Wie der alte Zuſtand des mittelalterlichen Staates auf
einem Zuſammenwirken der geiſtlichen und weltlichen Gewalt
beruhte, ſo entſprang die Neuerung zunächſt daher, daß, als
die Biſchöfe die Anhänger lutheriſcher Lehren zu beſtrafen
verſuchten, die Fürſten ihnen dabei ihren weltlichen Arm
nicht mehr liehen. Dieß allein reichte hin, der biſchöflichen
Jurisdiction, welche bisher, z. B. in Sachſen, ziemlich be-
ſchwerlich gefallen, ein Ende zu machen. Die Erzprieſter
und Diaconen, oder Officialen und Commiſſarien, durch welche
ſie bisher ausgeübt worden, und die, da ſie mit ihrer Ein-
nahme an die Sporteln verwieſen waren, ſich ſelten ein Ver-
gehen hatten entſchlüpfen laſſen, erſchienen nicht mehr.


28*
[436]Zehntes Buch. Siebentes Capitel.

Nachdem aber dieſes ganze Syſtem gefallen, ſah man
doch auch, daß es etwas Gutes gehabt hatte und nicht ganz
zu entbehren war.


Man trug Bedenken, Eheſachen, die bisher einen ſo be-
deutenden Zweig der geiſtlichen Jurisdiction gebildet, geradezu
an die weltlichen Gerichte zu überweiſen, weil der Richter,
wie die Theologen oftmals wiederholen, darin dem Gewiſ-
ſen rathen müſſe.


Ferner bedurfte der geiſtliche Stand, der früher jede
Unbill die er erfuhr, als ein Verbrechen gegen die allgemeine
Kirche geahndet, jetzt eines andern Schutzes: über Beleidi-
gungen der Patrone oder der Pfarrer hatte er nicht ſelten
zu klagen.


War aber nicht für dieſen Stand ſelber Aufſicht nö-
thig? Gar bald fanden ſich auch unter den proteſtantiſchen
Predigern Leute, die ein unordentliches Leben führten, oder
in der Lehre ihrem Gutdünken nachhiengen: unmöglich konnte
man ſie gewähren laſſen.


Endlich forderten öffentliche Laſter ein Einſchreiten auch
von kirchlicher Seite heraus; der gemeine Mann, der ſonſt
alle Jahr fünf, ſechs Mal vor den Official citirt worden
war, und jetzt nichts mehr von demſelben hörte, mußte auf
eine andre Weiſe in Zaum gehalten werden.


Anfangs war nun der Gedanke, einen Theil dieſer Be-
fugniſſe und Pflichten an die Pfarrer und Superintendenten
übergehn zu laſſen, an jene den Bann und die Eheſachen,
an dieſe Aufſicht und Schutz. Es finden ſich Citationen,
welche Luther im Namen des Pfarrers von Wittenberg in
ganz juriſtiſcher Form erlaſſen hat.


Allein bald zeigte ſich, daß dieß nicht ausreiche. Die
[437]Proteſtantiſche Kirchenverfaſſung.
Pfarrer waren doch der weltlichen Angelegenheiten nicht kun-
dig genug, um nicht zuweilen groben Betrügereien ausge-
ſetzt zu ſeyn, und in den geiſtlichen vielleicht nur zu heftig.
Hauptſächlich aber, es fehlte ihnen an allem Nachdruck, al-
ler Zwangsgewalt. 1


Und woher ſollte dieſe auch überhaupt genommen, wor-
auf begründet werden?


Man konnte ſie nicht aus dem päpſtlichen Recht her-
leiten, das man verwarf, noch aus der alten Praxis, die
wieder auf dem Rechte beruhte. Auch ließ ſich nicht ein
Gemeinwille der Mitglieder der Kirchengeſellſchaft nachwei-
ſen, die noch lange nicht hinreichend von dem Prinzip durch-
drungen zum großen Theil erſt zu unterrichten, ja zu zäh-
men waren und noch reg[i] [...] werden mußten. Es fehlte
der neuen Geiſtlichkeit an einem zu Recht beſtehenden Grund
ihrer Jurisdiction.


Die Wittenberger Theologen fühlten dieſen Mangel ſo
lebhaft, daß ſie endlich Johann Friedrich baten, ihnen ei-
nen Commiſſar zu geben, einen rechtsverſtändigen Mann,
der die Jurisdiction aus unmittelbarem Auftrag des Für-
ſten ausübe. 2


[438]Zehntes Buch. Siebentes Capitel.

Die große Wendung für die Verfaſſung evangeliſcher
Landeskirchen liegt darin, daß Johann Friedrich ſich entſchloß,
dieſe Bitte zu erfüllen.


Ich denke wohl: er war dazu hinreichend befugt. Die
alten Reichsſchlüſſe hatten die einzelnen Landſchaften, in de-
nen eine allgemeine Verwirrung ausgebrochen war, ermäch-
tigt, für ſich ſelber Ordnung zu treffen. Schon hatten die
ſächſiſchen Landſtände, im Frühjahr 1537 in einem größern
Ausſchuß verſammelt, wahrſcheinlich auf Antrieb des Canz-
lers Brück, die Errichtung einiger kirchlichen Behörden, die
ſie Conſiſtorien nannten, in Antrag gebracht, hauptſächlich zu
den Eheſachen und dem Schutz der Pfarrer; und es war be-
ſchloſſen worden, dieſelben aus dem Sequeſtrationsfends zu
beſolden. Johann Friedrich entſprach dem Auftrag des Rei-
ches, dem Begehren der Stände, dem dringenden Anſuchen
der Theologen ſelbſt, wenn er ſeine landesfürſtliche Macht
zur Gründung eines feſteren kirchlichen Zuſtandes anwandte.
Er ſetzte das Conſiſtorium aus zwei weltlichen und zwei geiſt-
lichen Mitgliedern zuſammen, die er als ſeine Beauftragte
in Kirchenſachen, wie er es ausdrückt, als „ſeine von der
Kirchen wegen Befehlshaber“ bezeichnet. Sie ſollen in den
durch ein beigeſchloſſenes Gutachten der Theologen beſtimm-
ten Fällen — eben in den oben angegebenen — die Befug-
niß haben, ſeine Unterthanen vorzubeſcheiden, Verhör zu hal-
ten, Unterſuchung zu führen, und wofern es nöthig, rechtlich
zu verfahren. Alle Amtleute, Schöſſer, Vögte, in den Städ-
ten die Räthe weiſt er an, das zu vollziehen, was dieſelben
verfügen oder erkennen werden. 1


[439]Proteſtantiſche Kirchenverfaſſung.

Einſt hatten die Biſchöfe die weltliche Macht zu ver-
drängen gewußt, zuweilen ganze Diöceſen zu Fürſtenthümern
umgewandelt. Jetzt trat in weltlichen Gebieten die umge-
kehrte Entwickelung ein: die fürſtliche Macht dehnte ihre Ju-
risdiction über geiſtliche und gemiſchte Fälle aus, die bisher
ein geiſtliches Forum gehabt.


Die Theologen fanden, daß eine ſolche Ausdehnung dem
urſprünglichen Begriffe der Obrigkeit, wie er in der h. Schrift
vorliege, nicht allein vollkommen entſpreche, ſondern durch
dieſelbe vorausgeſetzt, gefordert werde. Durch Stellen des
alten und des neuen Teſtaments bewieſen ſie, daß die Obrig-
keit auch in geiſtlicher Beziehung Schutz gewähren und das
Böſe beſtrafen müſſe. 1


Das hängt auch damit zuſammen, daß die Reforma-
toren die Kirche nicht mehr in den Biſchöfen, dem geiſtlichen
Stande ſahen, ſondern eine Theilnahme der Laien, nament-
lich der angeſehenſten, an ihren Geſchäften für zuträglich und
nothwendig hielten.


An einen Gegenſatz der verſchiedenen Stände war hier
nicht zu denken, da alle vereinigt, nur ein und eben daſſelbe
Ziel hatten. Die fürſtliche Autorität war nicht zu entbeh-
ren, um die kirchliche Ordnung wieder aufzurichten. Doch
hätte ſie allein nicht vorſchreiten können; ſie bedurfte der
Mitwirkung der Geiſtlichen, und zwar aus dem eigenen, von
keinem Auftrage des Fürſten ſtammenden Prinzipe derſelben.
1
[440]Zehntes Buch. Siebentes Capitel.
Auch an andern Stufen ſollten die beiden Zweige concurri-
ren. Bei der jährlichen Viſitation aller Kirchen des Bezir-
kes, die dem Conſiſtorium aufgetragen ward, ſollte ſich daſ-
ſelbe in den Städten mit zwei Mitgliedern des Raths und
zweien von den Vorſtehern des gemeinen Kaſtens, in den
Dörfern mit den Älteſten oder einigen Mitgliedern der Ge-
meinde vereinigen, um Wandel und Haushalt des Pfarrers
zu prüfen; mit Herbeiziehung des Pfarrers ſelbſt ſollte dann
das Betragen der Gemeine unterſucht werden. Kein Mit-
glied ſollte Laſter dulden, durch welche der Zorn Gottes über
die Menſchen komme.


Denn dabei blieb man immer, daß die Kirche ein gött-
liches Inſtitut ſey, welches durch ein Zuſammenwirken aller
Kräfte aufrecht erhalten werden müſſe.


Die weltliche Gewalt erbot ſich, den Übelthätern, „als
die ihren Taufbund verleugnen,“ ihr Handwerk zu legen, alle
bürgerliche Gemeinſchaft zu unterſagen.


Das erſte Conſiſtorium trat in Wittenberg im Februar
1539 zuſammen. Es beſtand aus den Theologen Juſtus
Jonas und Johann Agricola, und aus den Juriſten Kilian
Goldſtein, der anfänglich beſtimmt war den Vorſitz zu füh-
ren, es aber abgelehnt hatte, und Baſilius Monner; war
aber noch ſehr formlos. Es fehlte ſogar an einem Amts-
ſiegel: die Mitglieder mußten ſich bei der Ausfertigung ihrer
Petſchafte bedienen. Eine eigentliche Inſtruction erfolgte erſt
1542, 1 die denn zugleich für zwei andre Conſiſtorien, die in
[441]Proteſtantiſche Kirchenverfaſſung.
Zeiz und in Saalfeld errichtet werden ſollten, beſtimmt war: doch
fehlte viel, daß alles ſogleich ins Werk geſetzt worden wäre.


War doch überhaupt der ganze Zuſtand noch proviſo-
riſch. Bei der erſten Ausſicht auf eine allgemeine Reforma-
tion im Reiche erklärten ſich die proteſtantiſchen Fürſten be-
reit, dieſe kirchliche Jurisdiction den Biſchöfen zurückzugeben,
vorausgeſetzt daß die Reinheit der Lehre gewahrt, und ein
ähnliches Inſtitut wie das Conſiſtorium unter biſchöflicher
Autorität eingerichtet würde.


Davon erfolgte jedoch, wie wir wiſſen, das Gegentheil.
Das Interim war auf eine vollſtändige Herſtellung der Hierar-
chie des Reiches abgeſehen: bei aller Vorſicht, mit der es
ſich ausdrückte, neigte es doch ſo überwiegend zu dem Sinne
der alten Kirche, daß dieſer nothwendig den Sieg hätte da-
von tragen müſſen.


In Bezug auf die Verfaſſung ward das Interim ſelbſt
da wo man ſonſt dazu geneigt war, nicht ausgeführt. So
ſehr man ſich in den moritziſchen Landen der kaiſerlichen For-
mel annäherte, ſo konnten doch die Biſchöfe auch hier die
Ordination, die mit einer Prüfung in katholiſchem Sinne ver-
bunden geweſen wäre, nicht wiedererlangen.


Wie viel weniger war daran zu denken, nachdem die
ganze Kraft der kaiſerlichen Anordnungen gefallen war!


Auf einer Zuſammenkunft ſächſiſcher und heſſiſcher Theo-
logen zu Naumburg, im Mai 1554, der von den Oberlän-
dern Sleidan beiwohnte, ward der Beſchluß gefaßt, auf die
frühern Einrichtungen definitiv zurückzukommen. 1 Man er-
[442]Zehntes Buch. Siebentes Capitel.
klärte es für unmöglich, die Ordination den Biſchöfen zu
überlaſſen, von denen die rechte Lehre nach wie vor verfolgt
werde, und beſchloß dieſelbe den Superintendenten zu über-
weiſen, bei denen ſie denn auch fortan geblieben iſt. Etwas
ganz anders war es in England, wo das große national-
kirchliche Inſtitut, — bei allem Wechſel den es durchmachte,
doch in ſich ſelbſt unangetaſtet, — zuletzt das evangeliſche
Syſtem in ſeinen Grundlehren annahm; und doch hat auch
da die Beibehaltung der Vorrechte des Bisthums den hef-
tigſten Widerſpruch hervorgerufen. In Deutſchland hätte
man an die Myſterien des Ordo wohl niemals wieder ge-
glaubt. Man behielt nur den einfachen Ritus der Hand-
auflegung bei, wie man das Vorbild davon in der Schrift
fand, und trug dafür Sorge, daß der Ertheilung dieſer
Weihe immer erſt Unterweiſung und Prüfung vorangieng.
Die Conſiſtorien traten wieder in ihre urſprüngliche Geltung
ein. Die Theologen erſuchten nur die Fürſten, ihre Amt-
leute zu unnachſichtiger Execution der gefaßten Decrete an-
zuweiſen: ſie wiederholten aufs neue, daß die Erhaltung
dieſes Inſtitutes ein Gottesdienſt ſey, der in das Amt der
Fürſten gehöre.


Auch hatte es jetzt von Seiten der Gegner damit keine
Gefahr mehr. Auf der Verſammlung zu Augsburg im Jahr
1555 beſchloß das Reich, daß den Biſchöfen in den zur
augsburgiſchen Confeſſion übergetretenen Gebieten kein An-
ſpruch auf die Jurisdiction mehr zuſtehe. Es kam gleich-
ſam auf die im Jahr 1526 ausgeſprochene Delegation zu-
rück, und beſtaͤtigte, was in Folge derſelben geſchehen war.
Seitdem ſetzte ſich denn die Conſiſtorialverfaſſung überall
[443]Proteſtantiſche Kirchenverfaſſung.
und auch da durch, wo man bisher die biſchöflichen For-
men beibehalten hatte. 1 Sie beruht auf einer Vereinigung
des neuen geiſtlichen Prinzipes und der Landeshoheit, die
dem Ereigniß wie es ſich nun einmal vollzogen hatte, voll-
kommen entſpricht. Die Geiſtlichkeit hätte ſich ohne das
Fürſtenthum nimmermehr behaupten können; dieſes dagegen
erlangte durch eine ergebene Geiſtlichkeit eine Ausdehnung ſei-
ner Befugniſſe, welche auch in katholiſchen Ländern geſucht,
aber doch nicht in ſo vollem Maaße erreicht werden konnte.


Freilich waren damit auch wieder bei weitem größere
Schwierigkeiten verknüpft. Es war nur erſt ein Grund ge-
legt, ein Anfang gemacht, und ſchon ſollte man die bedeu-
tendſten, weitausſehendſten Irrungen erledigen.


Von der Lehre war die Abſonderung von der alten Kirche
und die Einrichtung eines neuen Gemeinweſens ausgegan-
gen: nichts konnte widriger und bedenklicher ſeyn, als daß
man ſich über die Lehre wieder entzweite.


Theologiſche Streitigkeiten.


Vor dem ſchmalkaldiſchen Kriege herrſchte in der pro-
teſtantiſch-theologiſchen Welt ein ziemlich allgemeiner Friede.
Wohl war kurz vorher der alte Ingrimm Luthers gegen die
ſchweizeriſche Meinung noch einmal aufgeflammt, 2 eine Be-
[444]Zehntes Buch. Siebentes Capitel.
wegung aber war daraus nicht mehr entſtanden. Der Zwing-
lianismus, wie ihn Bullinger bekannte, war wie berührt da-
mals in ſehr enge Grenzen eingeſchloſſen; die deutſchen Kir-
chen hielten an der Wittenberger Concordie feſt. Eine kleine
Veränderung, 1 die Melanchthon in dem Wortlaut der augs-
burgiſchen Confeſſion vorgenommen, ward ihm wenigſtens
auf der evangeliſchen Seite noch nicht zum Vorwurf ge-
macht. 2 Abweichende Meinungen regten ſich dann und
wann, wie des Eisleber Agricola oder Oſianders in Nürn-
berg: ſie wurden aber leicht beſchwichtigt. Die hohe Schule
zu Wittenberg, die jedoch bei ſchwierigen Fragen niemals
verſäumte auch andre angeſehene beſonders practiſche Theo-
logen herbeizuziehen, bildete eine Autorität, vor der ſich alles
beugte. In ihr ſelber ließen ſich zwar verſchiedene Richtun-
gen unterſcheiden, die ſich an die Sinnesweiſe der beiden
großen Lehrer, Luther und Melanchthon, knüpften, allein ſie
traten vor einem höheren Einverſtändniß zurück. Ein un-
vergängliches Denkmal dieſer Gemeinſchaft der ſpätern Jahre
iſt die neue Ausgabe der Bibelüberſetzung, bei der Melanch-
thon, Cruciger, Bugenhagen und mehrere Jüngere den Doctor
Luther, jeder mit ſeiner beſondern Kunde unterſtützten, und die
nun nicht wie in den erſten Zeiten in Form einer Flugſchrift,
ſondern als ein Codex göttlicher Wiſſenſchaft der deutſchen Na-
[445]Univerſitaͤt Wittenberg.
tion dargeboten wurde. Auch ſonſt übte dieſe Univerſität ei-
nen unermeßlichen Einfluß aus. Die ganze deutſche Nation,
von Liefland bis nach Öſtreich auf der einen, und nach Bra-
bant auf der andern Seite, ſchickte ihre Jugend zu den Fü-
ßen der Wittenberger Lehrer. 1 Wittenberg war ſeit Bologna
und Paris die erſte ſelbſtändige hohe Schule die es gab:
keine Colonie mehr, wie die früheren geweſen. Eher konn-
ten die kleineren proteſtantiſchen Univerſitäten als Pflanzſtät-
ten von Wittenberg gelten, von wo aus ſie großentheils be-
ſetzt worden waren. Wenn man ſich hier nur verſtand, ſo
brauchte man übrigens keinen Zwieſpalt zu fürchten. Der
Eid den die zu Wittenberg creirten Magiſter ſchwuren, ſich
in ſtreitigen Fragen bei den Älteren Raths zu erholen, war
darauf berechnet, unreife Meinungsäußerungen und daraus
zu beſorgenden Zwieſpalt zu verhüten, wenn er auch nicht
darauf gieng, wie ihn einige verſtehn wollten, als ſollten die
wittenbergiſchen Lehrer immer zuerſt gefragt werden.


Wenn die Dinge in dieſem Gange geblieben wären,
ſo hätte ſich wohl eine ruhige Weiterbildung der Lehre in
[446]Zehntes Buch. Siebentes Capitel.
den Puncten wo ſie noch nicht genügte, namentlich in dem
Artikel vom Abendmahl, wo die Grundſätze der Wittenber-
ger Concordie noch nicht recht durchgearbeitet, zur Allgemein-
gültigkeit erhoben waren, erwarten laſſen.


Aber die großen Ereigniſſe, der ſchmalkaldiſche Krieg
und was demſelben folgte, unterbrachen auch hier den na-
türlichen Lauf der Dinge.


Wir gedachten oben der interimiſtiſchen Händel. Die
Metropole der evangeliſchen Doctrin, in den Bereich der vor-
dringenden Reſtaurationsverſuche gezogen, ließ ſich zu Annähe-
rungen herbei, die im Drange des Augenblicks allenfalls ent-
ſchuldigt, niemals aber die allgemeine Norm werden konn-
ten. Sie mußten vielmehr Denen ein Greuel ſeyn, die un-
ter perſönlicher Gefahr ähnlichen Anmuthungen widerſtan-
den, Flucht und Verbannung vorgezogen hatten, und auch
Die zurückſtoßen, die von der vordringenden ſiegreichen Ge-
walt nicht erreicht worden waren. Melanchthon gerieth un-
ter dem Einfluß einer provinziellen Politik in eine einſeitige
Stellung, in der er aufhörte „den Wagen Iſraels“ zu lenken.


In ſeiner unmittelbaren Nähe brach ihm darüber Wi-
derſpruch aus. Ein junger Lehrer der hebräiſchen Sprache,
Matthias Vlacich von Albona, genannt Flacius, — der einſt
im Kloſter von den Schriften Luthers angeregt, dieſen per-
ſönlich aufgeſucht, und ſich, nicht ohne den Zuſpruch deſſel-
ben, unter heftigen inneren Bedrängniſſen, von der Rechtfer-
tigungslehre allein durch den Glauben durchdrungen, ihre heil-
bringende Kraft an ſich erprobt hatte, — wollte nicht mit
anſehen, daß man ſich in dieſem Hauptartikel jetzt wieder
dem alten Syſteme annähere. Da er jedoch weder mit ſchrift-
[447]Theologiſche Streitigkeiten. (Flacius.)
lichen noch mit mündlichen Erinnerungen bei ſeinen Lehrern
Eingang fand, ſo entfernte er ſich lieber aus Wittenberg, und
begab ſich nach den Gegenden wo man von den Vermitte-
lungsverſuchen noch unberührt geblieben war. In Magde-
burg vereinigte er ſich mit Amsdorf, der ſein Bisthum ver-
loren hatte, und die Verſuche ſeiner frühern Collegen, ſich
mit den Feinden zu verſöhnen, denen er weichen müſſen, wohl
nicht anders als verdammen konnte: und mit Nicol. Gallus,
der des Interims wegen von Regensburg ausgewandert war:
von Hamburg her kam ihm Weſtphal, bei dem er ſich erſt
Raths erholt hatte, zu Hülfe. Noch beſonders durch jenen
Brief an Carlowitz gereizt, trugen ſie endlich kein Beden-
ken, den allgemeinen Lehrer in offenen Schriften anzugrei-
fen. Sie zogen die Differenzen ans Licht, die man früher
zu berühren vermieden, und erklärten die Zugeſtändniſſe, zu
denen ſich Melanchthon widerſtrebend hatte bewegen laſſen,
für eine abſichtliche Abtrünnigkeit. Daß er bei der Lehre
von der Rechtfertigung durch den Glauben das Wort „allein“
weggelaſſen, oder den Papſt nicht mehr geradezu für den
Antichriſt erklären wollte, ſchien ihnen eine Anbahnung zu
neuer Unterwerfung unter das alte Syſtem. Ein theologi-
ſcher Krieg brach aus, der das Getümmel der Waffen mit
ſeinem Geräuſche durchbrach.


Nachdem wir die Rettung des großen Prinzipes betrach-
tet, was unſre Aufgabe war, wollen wir nicht dieſe Ent-
zweiung im Einzelnen verfolgen; — faſſen wir nur auf, wo-
von hauptſächlich die Rede war.


Die erſte Streitigkeit betraf den Artikel über Glauben
und gute Werke.


[448]Zehntes Buch. Siebentes Capitel.

Es konnte Niemand mehr beikommen, unſer Heil von
den gebotenen kirchlichen Werken herzuleiten, oder die Erwer-
bung deſſelben damit in Verbindung zu ſetzen.


Dann aber machte die Ausdrucksweiſe, die man in der
evangeliſchen Kirche beibehielt, daß gute Werke zur Seligkeit
nicht nöthig ſeyen, allerdings ein Mißverſtändniß möglich,
welches in jenen Tagen unter dem Volke öfter hervorgetre-
ten iſt, als ſey ſchon der hiſtoriſche Glaube an das My-
ſterium der Erlöſung zur Seligkeit hinreichend. Die Be-
hauptung, die Lehre mache dadurch ſichere und rohe Leute,
gab den Gegnern wieder Waffen in die Hände, und ohne
Nutzen wäre es nicht geweſen ihnen jeden Grund dazu zu
entreißen.


Dahin eigentlich gieng die Abſicht Majors und Oſian-
ders, deren Doctrinen die Fehde, die ſonſt mit dem Interim
ſelbſt hätte aufhören müſſen, aufs neue belebten.


Georg Major, ein Schüler und treuer Anhänger Me-
lanchthons, blieb bei dem practiſchen Geſichtspunct ſtehn,
und lehrte, Niemand ſey noch ſelig geworden durch böſe
Werke, Niemand werde es ohne gute Werke. Er war
der Meinung, die Wiedergeburt bringe ſo unfehlbar gute
Werke hervor, wie die Sonne Licht und Wärme verbreite;
und ſo ſprach er die Lehre aus: gute Werke ſeyen zur Se-
ligkeit ohne allen Zweifel nothwendig.


Obgleich ſich Oſiander gegen die Wittenberger Schule,
deren Autorität ihn früher zuweilen beſchränkt hatte, na-
mentlich gegen Melanchthon und deſſen Anhänger, die Phi-
lippiſten, in heftigen Widerſpruch warf, 1 ſo gieng doch ſeine
[449]Theologiſche Streitigkeiten. (Oſiander.)
Meinung eben dahin: nur daß er ſie tiefer ergriff, und nicht
ohne Anklang an die deutſche Myſtik und die tauleriſchen
Lehren, von denen auch Luther einſt ausgegangen, entſchie-
dener ausbildete. Das Eigenthümliche ſeiner Meinung iſt,
daß er, an dem Mittleramt Chriſti und der Lehre von der
Genugthuung durch deſſen Leiden und Sterben feſthaltend,
doch den Artikel von der Erneuung und Heiligung, die er
mit dem Worte Rechtfertigung bezeichnete, ſtärker hervor-
hob als es gewöhnlich geſchah, und zu größerer Bedeu-
tung auszubilden ſuchte. Er war mit dem Begriffe von der
Einwirkung des heiligen Geiſtes nicht zufrieden, indem dieſe
nichts als ein creatürliches Leben wirke und nur uneigent-
lich als ein Einwohnen Gottes bezeichnet werden könne:
er lehrte vielmehr, daß die Gottheit in ihrer Fülle in De-
nen wohne welche lebendige Glieder Chriſti ſeyen, wie in
Chriſto ſelbſt. Die Rechtfertigung bezeichnet er als die in
uns wirkende weſentliche Gerechtigkeit Gottes, die ein ge-
rechtes Wollen und gerechte Werke hervorbringt: das gött-
liche Licht, das dem Menſchen zu Theil wird, als daſ-
ſelbe das den Tod überwindet, das Leben und Wort Got-
tes, Chriſtus, Gott ſelbſt. Im Weſentlichen das Nemliche
was Tauler lehrt, daß Gott ſein Wort im Grunde der See-
len ſpricht, das Wort, in welchem alle Dinge geſchaffen
ſind. Nur daß Oſiander ſeine Sätze dem Sprachgebrauch
der Zeit annähert und mit aller Gelehrſamkeit ſchriftmäßiger
1
Ranke D. Geſch. V. 29
[450]Zehntes Buch. Siebentes Capitel.
Theologie zu beweiſen ſucht. Sein Sinn iſt, daß Chriſti
Leiden und Sterben, auf das man gleichwohl allein zu trauen
habe, durch den Glauben ergriffen, den Leib der Sünde in
uns zerſtöre und allmählig den alten Menſchen tödte: eben
wie Major die innere Nothwendigkeit der guten Werke be-
hauptete, nicht die äußere.


Man wird nicht leugnen, daß dieſe Anſichten von ho-
her Wichtigkeit, einer weiteren Ausbildung höchſt würdig wa-
ren: wie ſie denn auch gleich damals nicht ohne Rückwir-
kung blieben; 1 aber durchdringen konnten ſie nicht, ſchon
darum nicht, weil ſie wenigſtens das Anſehen hatten als
näherten ſie ſich dem in Trident ergriffenen Syſtem: zu
einer Zeit wo nach kurzem Vermittelungsverſuch das Prin-
zip der Abſonderung und des Gegenſatzes wieder die Ober-
hand gewonnen hatte. Man wollte keine Annäherung mehr,
weil dadurch dieſſeit nur Schwanken und Entzweiung, jenſeit
Beſtärkung und neue Umgriffe veranlaßt würden. Melanch-
thon ſelbſt verwarf die Ausdrucksweiſe Majors, weil es
doch ſcheinen könne, als werde den Werken Verdienſt zuge-
ſchrieben, 2 und Major mußte ſie endlich fallen laſſen. Auch
die Oſiandriſten unterlagen, wiewohl ſie mächtige Unterſtützung
gefunden hatten. Aber der ſtrenger orthodoxen Partei, die
hier den Sieg behalten, wurde darum doch nicht geſtattet
ihr Prinzip zu weit auszudehnen. Übertreibende Behauptun-
[451]Theologiſche Streitigkeiten. (Calvin.)
gen, zu denen ſich Flacius und Amsdorf fortreißen ließen,
wurden zuletzt allgemein verworfen, und namentlich dem er-
ſtern ſelbſt verderblich. Es herrſchte in der Geſammtheit ſo
viel geſunder Sinn, daß ſie ſich aus der unter Luthers Füh-
rung eingeſchlagenen Bahn, die ſie den Katholiken gegenüber
behauptete, nicht auch nach der andern Seite hin abführen
laſſen mochte, wo ſie in das Sectireriſche gefallen wäre.


Während dem aber war auch der älteſte innere Streit,
über das Abendmahl, wieder in Gang gekommen, womit es
folgende Bewandtniß hat.


In der Wittenberger Concordie gaben, wie wir ſahen,
die beiden Parteien die ſchroffſten Behauptungen auf, durch
die ſie ſich früher an einander geärgert hatten. Ohne Zwei-
fel behauptete die lutheriſche Auffaſſung das Übergewicht,
aber ſie erſchien doch in ſehr milder Geſtalt. Jene Ände-
rung in dem Wortlaut der augsburgiſchen Confeſſion be-
wirkte daß dieſe von Jedermann angenommen werden konnte.


Wohl waren damit noch nicht alle Bedenken gehoben:
noch gab Manchem der ſich übrigens anſchloß, der Ausdruck
des Darreichens, oder die Bezeichnung „real, körperlich“
Anſtoß, Andere wollten ſich nicht überzeugen, daß auch Un-
würdigen der Leib Chriſti mitgetheilt werde. Melanchthon
ſuchte in den neuen Ausgaben ſeines theologiſchen Lehr-
buchs, der Loci, einige dieſer Zweifel zu heben: wie er z. B.
im Jahr 1543 den Ausdruck „körperlich“ nach dem Vor-
gang des Cyrillus beſſer auslegte, als es bisher geſchehen
war; nur bewirkte die Furcht, die alten Antipathien Luthers
aufzuwecken, daß er äußerſt behutſam vorſchritt.


Die Concordie hielt unter dieſen Umſtänden nicht al-
29*
[452]Zehntes Buch. Siebentes Capitel.
lein in Deutſchland die Gemüther vereinigt, ſondern ſie drang
auch in der Schweiz vor. In Bern und den von dieſer
mächtigſten Stadt der Eidgenoſſenſchaft abhängigen Land-
ſchaften gewannen die lutheriſchen Anſichten zwiſchen 1540
und 1546, unter dem Vortritt Simon Sulzers, unbezwei-
felt die Oberhand. Calvin, der nach Genf zurückgekommen
war, und dort ſeine große Laufbahn begann, ward noch als
ein Gegner Zwinglis betrachtet. Recht im Gegenſatz mit
den Zürchern, welche durch die Behauptung der ſubſtanziellen
Gegenwart hauptſächlich verhindert waren ſich der Concordie
anzuſchließen, 1 bekannte er einſt in ſeiner Confeſſion über
die Euchariſtie, welche auch von Butzer unterſchrieben wor-
den, die Mittheilung der Subſtanz des Leibes und Blutes
unſers Herrn. 2 Die räumliche Gegenwart nahm er wohl
nicht an, aber er tadelt die Schweizer daß ſie in Bekäm-
pfung derſelben zu weit gegangen, und faſt aus der Acht
gelaſſen, wie mit dem Zeichen auch die Wahrheit vereinigt
ſey. 3 Wir finden ihn im Jahr 1540 unter den deutſchen
Theologen welche die Religionsgeſpräche beſuchen; zu Genf
fuhr er fort dieſe Meinungen zu bekennen.


Sehr auffallend, wie das Unglück des ſchmalkaldiſchen
Bundes im Gebiete der Eidgenoſſenſchaft ſogar auf die rein
geiſtlichen Angelegenheiten zurückwirkte.


Woher es auch rühren mag, wahrſcheinlich doch aus
[453]Theologiſche Streitigkeiten. (Calvin.)
der Furcht, durch eine fernere Trennung von Zürich allen
Rückhalt zu verlieren: mit jenem Unglück trat eine Re-
action gegen die lutheraniſirenden Meinungen in Bern ein.
Man beſetzte entſtehende Vacanzen trotz des Widerſpruchs
der angeſtellten Geiſtlichkeit mit Anhängern des reinen Zwing-
lianismus; die Zöglinge der theologiſchen Schule wurden
einſt einer Prüfung unterworfen, und von ſechszehn nur ihrer
drei als ächte Anhänger Zwinglis befunden, alle übrigen in
gefängliche Haft genommen; nach einiger Zeit wurden Sul-
zer und deſſen nächſte Freunde durch förmlichen Rathsſchluß
ihrer Stellen entſetzt, und bald ſollte auch in der Waat nichts
anders anerkannt werden als was mit den Schlüſſen der
Berner Disputation übereinſtimme. 1 Calvins nächſte Freunde
und er ſelbſt ſahen ſich in Bern bedroht und mißhandelt.
Man eiferte dort über Calvinismus und Bucerianismus, was
man für einerlei hielt; man warf Calvin dunkle lutherani-
ſirende Lehren, den Begriff der Impanation vor; man ta-
delte ihn heftig, als er einſt nach Lauſanne gekommen um
da zu predigen; in Genf ſelbſt, ſagten ſeine Feinde, müſſe
er aus dem Kirchendienſt geſtoßen werden.


Bei den politiſchen Verhältniſſen Genfs, das nur un-
ter dem Schutze von Bern die Reformation angenommen,
ließ ſich in der That nicht denken, daß ſich dort eine Lehre
halten könne, die hier verdammt wurde.


Wie ein Seufzer aus tiefſter Seele bricht in einem Briefe
Calvins der Ausruf hervor: es wäre ehrenvoller geweſen die
geiſtliche Herrſchaft von Rom zu dulden als die von Bern. 2


[454]Zehntes Buch. Siebentes Capitel.

Wohl kam ihm der Gedanke, von Genf, wo die alten
Feinde ſich aufs neue regten, abermals zu weichen, aber da-
gegen machte ſich doch wieder die Betrachtung geltend, welch
ein treffliches Mittel ſchon die Lage dieſes Ortes zur Aus-
breitung der Lehre nach allen Seiten hin darbiete. 1


Und mußte es denn wirklich zu einem Äußerſten dieſer
Art kommen?


Calvin war ſich bewußt, daß der Haß mit dem man
ihn verfolgte, großentheils auf falſchen Vorſtellungen beruhte,
daß er bei ſeinem Bekennen der poſitiven Momente, dem
Weſen nach wie ſie in der Concordie ausgedrückt waren,
doch keineswegs in allen Streitpuncten mit den Zwinglia-
nern in Widerſpruch ſtand. Wie nun wenn er verſuchte
dieß Verhältniß geltend zu machen? indem er ſie anerkannte,
ſich ſelber Anerkennung zu verſchaffen?


Man dürfte nicht ſagen, daß hier lediglich von Nachgie-
bigkeit die Rede geweſen ſey: es waltete ein viel höheres und
allgemeineres Intereſſe ob. Calvin mußte zugleich das Werk
fortſetzen das Butzer nicht zu Ende bringen können, und eine
Vereinigung von allgemeiner Bedeutung unternehmen.


Butzer hielt es noch nicht für möglich: er machte einige
Artikel nahmhaft, in welchen man in Zürich niemals nach-
2
[455]Theologiſche Streitigkeiten. (Calvin.)
geben werde; und Calvin ſelbſt fühlte, welch eine ſchwere
Sache er unternehme. Wie oft hatte er früher über den
Starrſinn der Züricher geklagt, die ſich in ihre Meinungen und
Feindſeligkeiten immer mehr hineingeredet, über das Selbſt-
genügen Bullingers, der ein harter Kopf ſey. Als er jetzt,
im Juli 1549, in Begleitung Farels nach Zürich kam, ſchien
es nicht anders zu ſtehn als früher, und es war ein Au-
genblick wo er zum Ziele zu kommen verzweifelte. Plötz-
lich aber, ſagt er, ſahen wir Licht. Vielleicht, daß deutſche
Flüchtlinge wie Muſculus von Augsburg, der in Bullingers
Hauſe Aufnahme gefunden, dazu beigetragen hatten perſön-
liche Vorurtheile zu zerſtreuen. Raſcher als man hätte glau-
ben ſollen, kam zwiſchen Bullinger und Calvin eine Vereini-
gung zu Stande, der Conſenſus Tigurinus, in welchem einige
Meinungen Zwinglis wiederholt werden, aber dabei doch auch
die Grundgedanken der entgegengeſetzten Lehre ihr Recht be-
haupten. Den Satz, daß der Leib Chriſti auch den Unwür-
digen gegeben werde, ließ Calvin ſich nicht entreißen, ſo vie-
len Anſtoß auch die Schweizer von jeher daran genommen
hatten: er erläuterte nur näher, daß die Verheißung zwar
nur den Gläubigen zu Gute komme, welche Chriſtum geiſt-
lich genießen, mit dem Zeichen aber doch auch die Wahr-
heit deſſelben und ihr Inhalt den Ungläubigen dargeboten
werde. Den Ausdruck „darreichen: darreichende Zeichen“, der
den Sinn der Wittenberger Concordie ſo recht eigentlich aus-
ſprach, und von den Schweizern bisher verſchmäht worden
war, hielt er feſt. 1 Er lehrte unverändert, daß der Leib
[456]Zehntes Buch. Siebentes Capitel.
Chriſti welcher dargeboten werde, der nemliche ſey der am
Kreuze gelitten. 1 Genug, vom Objectiven des Myſteriums
wich er nicht ab. Es läßt ſich aber gar nicht denken,
daß er es zu dieſer Anerkennung deſſelben gebracht haben
würde, hätte er nicht dagegen wieder einige eigenthümliche
ſchweizeriſche Meinungen zu den ſeinen gemacht. Er gab
zu, was dort immer behauptet worden, daß in den Sacra-
menten nur Gottes eigene Kraft wirke, und erklärte ſich ſehr
nachdrücklich gegen Die, welche das Göttliche in den Ele-
menten ſehen wollen. Wie Zwingli nahm er an, daß Chri-
ſtus im Himmel wohne und räumlich von der Erde ent-
fernt ſey; er fügte nur hinzu, durch ſeine göttliche Kraft
ſteige er doch zu uns herab. In der Auslegung der Ein-
ſetzungsworte pflichtete er den Schweizern unumwunden bei.
Ich weiß nicht, ob er nicht vielleicht in einem und dem an-
dern Punct, wenigſtens im Ausdruck, einen Schritt weiter
gegangen iſt, als er urſprünglich beabſichtigt hatte; leicht
aber gab er zu, was die Summe ſeiner Anſicht nicht ver-
letzte, womit er übereinſtimmen konnte. Ohne Zweifel trägt
2
[457]Theologiſche Streitigkeiten. (Calvin.)
der Conſenſus noch ein ziemlich ſtarkes Gepräge des Ortes
wo er geſchloſſen wurde, der Umſtände unter denen er zu
Stande kam, aller jener provinziellen Bedingungen: als das
letzte Wort in der Sache kann er nicht betrachtet werden;
aber dabei läßt ſich doch, hiſtoriſch angeſehen, nicht leugnen,
daß die Ideen der Wittenberger Concordie, in denen das
lutheriſche Element überwog, dadurch einen Fortſchritt mach-
ten, an einer Stelle Eingang fanden, wo man bisher noch
niemals etwas davon hatte hören wollen: der Conſenſus iſt
ſchon eine neue Concordie, nur mit ſtarker ſchweizeriſcher
Verſetzung. Die Kraft der Formel zu der man ſich verei-
nigte, liegt darin, daß ſie beide Momente in ſich enthält;
der Freund Calvins, Butzer, der einige Abweichungen die in
England vorkamen und von Peter Martyr befördert wur-
den, nicht billigte, war doch mit dem Conſenſus einverſtan-
den: er ſah darin eine Fortſetzung ſeines eignen Werkes.


Es gieng auch dieſer Formel wie es Vermittelungen zu
gehn pflegt: ſie fand auf beiden Seiten Widerſpruch.


In Zürich zeigten ſich die Anhänger Zwinglis, in Ba-
ſel die mehr lutheraniſirenden Theologen ein wenig verſtimmt.
Die ſo eben in Bern emporgekommene Zwingliſche Partei
verweigerte eine Zeitlang ihre Unterſchrift. Es gehörte die
ganze Autorität des alten Bullinger dazu, um ſie endlich
dazu zu vermögen; doch hat es bis in das Jahr 1551
gedauert, ehe man den Conſenſus durch den Druck be-
kannt machte. 1


Kaum aber war es hier ſo weit gekommen, ſo erhob
[458]Zehntes Buch. Siebentes Capitel.
ſich der Widerſpruch von einer andern Seite her in tumul-
tuariſcher Aufwallung.


In einer ähnlichen Stellung wie damals die Zwinglia-
ner in Bern, welche die lutheriſchen Meinungen verdrängt
hatten, waren die Lutheraner in den niederdeutſchen Städten:
ihre Herrſchaft gründete ſich auf eine Unterdrückung zwinglia-
niſirender Meinungen, die hier einmal ſehr ſtark geweſen, und
jetzt, ſobald nur eine Annäherung dazu in Bremen hervor-
tauchte, ſich plötzlich wieder lebhaft regten. Dafür, daß Cal-
vin eine vermittelnde Richtung verfolgt, der dieſſeitigen Auf-
faſſung in ihrem Weſen bei den alten Gegnern Raum ge-
macht, hatten die Niederdeutſchen keine Augen. Sie bemerk-
ten nur die Hinneigungen nach der Zwingliſchen Seite, ſie
faßten einige anzügliche Ausdrücke auf, durch welche ihnen
das Gedächtniß Luthers verunglimpft zu ſeyn ſchien, das
vielleicht auch mehr hätte geſchont werden können: mit hef-
tiger Leidenſchaft begannen ſie den Krieg. Die frühern,
ſchon in Gang geſetzten Streitigkeiten ſtrömten bald mit die-
ſer zuſammen: Melanchthon meinte von Anfang, er ſey
es hauptſächlich, dem auch dieſer Angriff gelte. 1 Mochte
denn nun auch Calvin ſie auf den wahren Stand der Dinge
aufmerkſam machen, 2 ſo blieben ſie dabei, ihn mit Zwingli
gleich zu achten. Sie ihrerſeits forderten jetzt die ſchrofferen
Ausdrücke der ungeänderten augsburgiſchen Confeſſion zu-
[459]Maͤngel der Verfaſſung.
rück; die Wittenberger Concordie betrachteten ſie als nicht
geſchloſſen; ihre Unterſcheidungslehre, die Doctrin von der
Ubiquität des Leibes, bildeten ſie jetzt erſt förmlich aus und
nahmen ſymboliſche Autorität dafür in Anſpruch.


So erfüllte ſich das ganze Gebiet der evangeliſchen
Kirche mit innerem Krieg und Hader.


Mängel des kirchlichen Zuſtandes.


Es leuchtet ein, daß die Conſiſtorialverfaſſung, die nur
auf die innern, gleichſam häuslichen Verhältniſſe berechnet
war, nicht dazu beitragen konnte ihn zu heben.


Eben darin lag für die neuen Einrichtungen die große
Schwierigkeit, daß es auch kein andres Inſtitut gab, das
dazu geeignet geweſen wäre. Oftmals dachte man auf einer
allgemeinen proteſtantiſchen Synode eine Ausgleichung zu ver-
ſuchen. Mächtige Stände wie Pfalz und Würtenberg haben
es mehr als einmal in Vorſchlag gebracht; andre, wie Chur-
ſachſen, es wenigſtens ernſtlich in Berathung gezogen. Vor
allem wäre dann nöthig geweſen den Antheil der weltlichen
Stände feſtzuſetzen, wie denn hievon ſchon bei den frühern
Entwürfen des allgemeinen Conciliums oft die Rede gewe-
ſen war. 1 Man dachte ſich zu dem Grundſatz zu bekennen,
daß die Mehrheit das Recht der Entſcheidung habe, und
die Minderheit ſich ihr unterwerfen müſſe. Ob ſich aber
auch eine Mehrheit hätte gewinnen laſſen, in der das Ge-
fühl der Einheit, das Bewußtſeyn der gemeinſchaftlichen Ge-
[460]Zehntes Buch. Siebentes Capitel.
danken die Oberhand bekommen hätte? man dürfte das doch
wohl nicht ſchlechthin in Abrede ſtellen. Bei einer Zuſam-
menkunft, die im Jahr 1557 zu Frankfurt gehalten wurde,
hatten doch die gemäßigteren Tendenzen, wiewohl ſie noch
nicht zu vollem Verſtändniß gelangt waren, das offenbare
Übergewicht. 1 Und wie Viele gab es, die das Verdächtig-
machen alter Ehrenmänner, das Schelten auf den Kanzeln,
welches jetzt überhand nahm, auf das ernſtlichſte mißbillig-
ten. Es wäre ſchon ein unendlicher Gewinn geweſen, über-
haupt die Form einer allgemeinen Verfaſſung aufzuſtellen.


Indeſſen das Ungewohnte, Neue des Gedankens, ſo wie
die damit doch auch unleugbar verbundene Gefahr, ſchreck-
ten von ſeiner Ausführung zurück. Brenz ſagte wohl: „ja
wenn unter den Fürſten ein Conſtantin lebte, oder unter den
Gelehrten ein Luther!“ Melanchthon urtheilte, die Sache
müſſe erſt unter den einzelnen Fürſten vorbereitet werden,
man müſſe der Einigkeit im Voraus gewiß ſeyn, ehe man
ſie unternehme.


Berathung unter den vorwaltenden Fürſten war wirklich
das einzige Mittel das man zur Beilegung der Irrungen ergriff.


Und Dieſe waren nun, in der Epoche in der wir ſtehn,
ſehr friedfertig geſinnt.


Wir berührten wie ſie ſich beim Abſchluß des Reli-
gionsfriedens nicht zu Beſtimmungen fortreißen ließen die
den Zwieſpalt zwiſchen ihnen ſelber hätten entzünden können.


Bei jener merkwürdigen Zuſammenkunft vom J. 1558
zogen ſie neben den Reichsangelegenheiten auch die Religions-
[461]Maͤngel der Verfaſſung.
ſache in Betracht. In dem Receß, der daſelbſt abgefaßt
worden, drückten ſie ſich über den wichtigſten Punct, die
Euchariſtie, auf eine der Fortbildung der Concordie gemäße
Weiſe aus. Es ſchien ihnen genug daß ſie von der we-
ſentlichen, ſubſtanziellen Gegenwart redeten: der körperlichen
zu gedenken enthielten ſie ſich. 1 Der Gegenſatz den ſie aus-
ſprechen iſt noch immer hauptſächlich gegen die alte Kirche,
gegen die Anbetung des Sacraments gerichtet. Wenn ſie
die Lehre verdammen, daß die Zeichen bloß äußerliche Zeichen
ſeyen, ſo konnte das wahrhaftig Calvin nicht treffen.


In einer ſehr zahlreich beſuchten Verſammlung, zu
Naumburg im Jahre 1561, erkannten ſie aufs neue die
abgeänderte augsburgiſche Confeſſion an: 2 mit den Erklä-
rungen die der Churfürſt von der Pfalz gab, der ſchon als
ein Calviniſt betrachtet wurde, zeigten ſie ſich zufrieden.


Mit alle dem gelangte man jedoch nicht zur Herſtel-
lung der Eintracht: es gab jedes Mal Fürſten und Stände
die ſich abſonderten und Widerſpruch erhoben.


Und nicht allein von böſem Willen dürfte man das
herleiten. Die Dinge hatten innere Schwierigkeiten, denen
auf dieſe Weiſe nicht beizukommen war. Vielmehr zeigte
ſich eben in den Verſuchen ſie zu erledigen eine neue, und
zwar eine ſolche die nicht geringer war als die übrigen.


Die große Hauptſache war gewonnen, ein legales Da-
ſeyn gegründet; für die Entwickelung deſſelben auf dem glück-
[462]Zehntes Buch. Siebentes Capitel.
lich eroberten Grund und Boden aber lagen noch viele un-
gelöſte Fragen vor.


In unſrer hiſtoriſchen Betrachtung ſtellen ſich deren be-
ſonders drei heraus.


Nachdem der Grundſatz von der Rechtfertigung durch
den Glauben allein erhalten war, bedurfte doch die Lehre
von der innigen und geheimnißvollen Verbindung, in welche
der Menſch durch die fortgehende Erneuerung mit der Gott-
heit tritt, noch neuer Erläuterungen, um tieferen Geiſtern
völlig zu genügen. Hatte nicht eine Durchdringung der al-
ten ächten deutſchen Myſtik mit dem erneuerten Dogma in
der urſprünglichen Abſicht gelegen? Noch war ſie wohl
nicht gelungen. Nur allzu oft ſchlugen ſich die jungen,
ſtreitbaren Theologen wieder um die harten Schalen des
Glaubens, die aus der Scholaſtik übrig geblieben.


Ferner war, wie berührt, der Zürcheriſche Conſenſus
noch nicht der letzte Schritt in dem großen Werke der Ver-
einigung über die Abendmahlslehre. Es wäre wohl die Auf-
gabe geweſen, das an Zeit und Ort des Urſprungs Erinnernde,
mit zufälligen Beſchränkungen Behaftete, das er noch an ſich
trug, vollends fallen zu laſſen, und die weſentlichen Momente
beider Anſichten noch tiefer mit einander zu durchdringen.
Von allen Gelehrten eignete ſich gewiß Melanchthon am
meiſten, dieſe Sache durchzuführen; allein in ſchwieriger Lage
und von Widerſachern umgeben fand er nie den Muth, ſie
mit vollem Ernſt in die Hand zu nehmen, der Meinung
die er in ſich trug, eine allſeitig entwickelte Form zu geben
und ihr ein feſtes Daſeyn zu erkämpfen.


Und wie viel war noch in Hinſicht der Verfaſſung zu
[463]Unerledigte Fragen.
thun übrig! Das Verhältniß der Geiſtlichen zu den Ge-
meinen, ſo wie zu den Obrigkeiten, hatte noch viel Unbe-
ſtimmtes, von momentanen Regungen Abhängiges. Indem
die Landesherrſchaften ſo mächtig eingriffen, regte ſich an
andern Stellen der heftigſte Widerſpruch gegen jede Einmi-
ſchung derſelben. Es fehlte gleichſam an dem Schlußſtein
des Gebäudes, einer Einrichtung um über die aufſteigenden
Irrungen zu einer gültigen, von Jedermann anerkannten Ent-
ſcheidung zu gelangen.


Eine natürlich entſtandene Autorität wie die der hohen
Schule zu Wittenberg hätte ſich erweitern, fortpflanzen laſ-
ſen: hergeſtellt werden konnte ſie nicht, nachdem ſie einmal
gebrochen worden.


Den Proteſtanten war es nun einmal nicht gegeben,
ſich als eine einzige Genoſſenſchaft zu entwickeln. Aus vie-
len Gründen möchte man wünſchen, es wäre geſchehen; ob
es in jeder Rückſicht das Beſte geweſen wäre, wer will es
ſagen?


Da es aber nicht der Fall war, und doch überaus
wichtige Fragen die öffentliche Theilnahme, die lebendigen
geiſtigen und politiſchen Kräfte beſchäftigten, ſo mußte erfol-
gen, daß ſich auf einer Stelle mehr das eine, auf einer an-
dern mehr ein anderes Prinzip geltend machte.


Die Bewegung warf ſich in die verſchiedenen Territo-
rien, wo ſie mit mannichfaltigen andern Beſtrebungen in den
Zweigen der Adminiſtration oder des Rechts, der Cultur
oder der Befeſtigung des Landes zuſammenfiel. Dieſes land-
ſchaftliche Moment entwickelt ſich in den nächſten Zeiten auf
das eigenthümlichſte, und zwar in den Ländern der altgläu-
[464]Zehntes Buch. Siebentes Capitel.
bigen Stände nicht minder als in den proteſtantiſchen. Wir
müſſen uns enthalten hier näher darauf einzugehn. Die po-
litiſchen Geſtaltungen der einzelnen Landſchaften, die ſeither
allerdings vorbereitet worden, ſind doch erſt ſpäter zu ei-
ner gewiſſen Feſtigkeit gelangt, und zwar unter den wech-
ſelnden Einwirkungen anderer Weltverhältniſſe als der hier
betrachteten.


Nur Eine Frage ſcheint mir muß für unſere Epoche
noch erörtert werden. Wir ſahen wie die kirchliche Neuerung
aus der Geſammtheit einer großen geiſtigen Bewegung ent-
ſprang. Seitdem hat jene die öffentliche Aufmerkſamkeit faſt
ausſchließend beſchäftigt. Betrachten wir noch, welchen Fort-
gang dieſe in derſelben Zeit genommen hat.


[[465]]

Achtes Capitel.
Entwickelung der Literatur.


Den mächtigſten innern Antrieb hatte der deutſche Geiſt
im Anfange des ſechszehnten Jahrhunderts durch die Be-
kanntſchaft mit dem claſſiſchen Alterthum empfangen, die,
ſchon in den carolingiſchen Zeiten begonnen, während der
Herrſchaft der Hierarchie unterbrochen oder in Schatten ge-
ſtellt, ihm jetzt in aller Fülle zu Theil wurde.


Wir ſahen wie dieſes Studium zuerſt in den gramma-
tiſchen Schulen erneuert ward, wie viel Mühe es koſtete
und was es zu bedeuten hatte, daß es ſich endlich auch auf
den Univerſitäten feſtſetzte.


Auch in dieſer Beziehung nahm Melanchthon eine be-
deutende Stellung ein. In dem Sinne, wie er die alte Li-
teratur in Wittenberg förderte, thaten es die ihm nächſtver-
bundenen Freunde, Camerarius in Leipzig, Sabinus in Kö-
nigsberg und Frankfurt a. d. O.; ſeine Schüler in Marburg,
Tübingen, Heidelberg. In Roſtock gewährte Johann Al-
bert von Meklenburg, deſſen politiſche und kriegeriſche Un-
ternehmungen wir zuweilen berührten, und der zugleich einen
offenen Sinn für höhere Bildung bewies, dieſen Studien
ſeinen Schutz. Melanchthon ſieht im Geiſte die allenthal-
Ranke D. Geſch. V. 30
[466]Zehntes Buch. Achtes Capitel.
ben verſtoßenen griechiſchen Muſen bei ihm im Norden ihre
Zuflucht ſuchen. 1


Dabei behaupteten ſich aber auch noch einige Schulen
in großem Ruf.


Erſt ſeit dem Jahre 1531 entwickelte ſich das ganze
Verdienſt Valentin Trotzendorfs in Goldberg; — er hatte
eine Art von Jugendrepublik errichtet, mit Conſuln, Sena-
toren, Cenſoren, in deren Mitte er ſich ſelber als immerwäh-
renden Dictator aufſtellte.


Der letzte Abt von Ilfeld, der dieſes Kloſter aus eig-
nem Antrieb in eine Schule verwandelt hatte, fand in einem
Zögling von Goldberg, Michael Neander, ganz den Mann,
der dazu gehörte, nach ſeinem Tode dieſe Stiftung fortzu-
führen und ihr allgemeine Wirkſamkeit zu verſchaffen: — ei-
nen ſtillen Gelehrten, von gebrechlichem Körper und einem
in ſeiner Tiefe der Religion zugewandten Gemüthe, aber
doch weltklug und umſichtig genug, um ſeine Kloſterſchule
gegen die Anſprüche mächtiger Nachbarn zu ſchützen, und
von unermüdlicher Thätigkeit. Die Kenntniß der griechi-
ſchen Sprache hat er in den niederſächſiſchen Gegenden erſt
verbreitet; er wird als ein zweiter Lehrer von Deutſchland
geprieſen. 2


Eine faſt noch mehr europäiſche als deutſche Wirkſam-
[467]Schulen.
keit erlangte die Schule welche Johann Sturm 1537 in
Strasburg errichtete. Johann Sturm nahm an den öffentli-
chen Angelegenheiten lebendigen, wohl ſelbſt eingreifenden An-
theil: 1 doch verlor ſeine Schule dabei nicht, der er vielmehr
aus dem allgemeinen Geſichtspuncte um ſo größeren Eifer
widmete. Sie ward gleichſam eine allgemeine weltliche Aca-
demie für die proteſtantiſche Welt, wie Genf eine theologiſche.
Auch wurde ſie gern von dem deutſchen Adel beſucht, deſſen
Bedürfniſſe der Vorſteher in eignen Schriften erwog.


Bei der würdigen Stellung welche dieſe Studien em-
pfangen, konnte ſich das tumultuariſche Händel-ſuchende Trei-
ben der frühern Poetenſchulen nicht mehr halten. Das
Schickſal des Simon Lemnius, der es unter den Augen
Luthers fortſetzen wollte und darüber verjagt ward, iſt für
die Richtung überhaupt bezeichnend. Der neue Olymp die-
ſer Poeten ward ſchon wieder verworfen. Der feine und
elegante Micyll will nur von einer züchtigen Muſe wiſſen.
Er und ſeine Schüler haben wirklich keine andern Gefühle,
als die der großen Tendenz entſprechen in welcher die Na-
tion hauptſächlich begriffen iſt. 2


Schon nahm man mit ernſtem und anhaltendem Be-
mühen an der Arbeit der Wiederbekanntmachung und Erläu-
terung der claſſiſchen Werke Antheil.


30*
[468]Zehntes Buch. Achtes Capitel.

Noch waren die lateiniſchen Schätze deutſcher Klöſter,
wie Hirſchfeld oder Lorſch, nicht erſchöpft; man hatte Welt-
verbindung und Theilnahme für die Sache genug, um auch
griechiſche Handſchriften aus dem Orient an ſich zu brin-
gen, wie z. B. die Stadt Augsburg im Jahr 1545 zu Corfu
eine Summe Geld daran wandte; manches brachten Ge-
ſandte des römiſchen Königs oder Procuratoren der Fugger
herbei. Vincenz Opſopäus, der Lehrer des Markgrafen Al-
brecht, ſoll die deutſchen Buchdrucker zuerſt angeregt haben,
mit dem Ruhme der Aldus und Junta zu wetteifern und
die Werke der Alten dieſſeit der Berge zu publiciren. Er
ſelbſt konnte der Welt einen der großen Geſchichtſchreiber
des Alterthums, Polybius, aus einem Codex, den der Zu-
fall von Conſtantinopel nach Nürnberg geführt hatte, wieder
vorlegen; er hat dieſe Arbeit auf eine Weiſe vollzogen, die
ihm noch heute Ehre macht. 1 Nach und nach entwickelte
ſich eine lebhafte Thätigkeit in dieſem Zweige. Flavius Jo-
ſephus und Ptolemäus, die weſentlichſten Ergänzungen des
Diodorus Siculus, Livius, Ammianus und wie vieler an-
derer Schriftſteller in beiden Sprachen giengen zuerſt aus
deutſchen Preſſen hervor. Andre Autoren erſchienen mit ihren
Scholiaſten, ſpätern Fortſetzern: oder in berichtigten Texten,
die griechiſchen mit Überſetzungen, die zum Theil noch den
heutigen Ausgaben beigegeben werden. Es mag ſeyn, daß
dieſe Arbeiten noch oftmals kritiſch-grammatiſche Genauig-
keit vermiſſen laſſen; aber es giebt auch ſolche, die ein tie-
[469]Philologie. (Hier. Wolf.)
feres Eingehen, Kritik und ächtes Verſtändniß beweiſen. Joa-
chim Camerarius hat für Plautus vielleicht von allen Her-
ausgebern das Meiſte gethan; 1 er iſt der Erſte der die
Spuren einer doppelten Recenſion in dem vorliegenden Texte
der ciceronianiſchen Schriften, möge dieſelbe nun ſtammen
woher ſie wolle, bemerkt hat. 2 Ein entſchiedenes philologi-
ſches Talent war Hieronymus Wolf aus Öttingen: — eine
zarte, ſchwächliche, leicht verletzbare Natur, der darüber er-
röthete wenn ein Andrer eine Unwahrheit ſagte, der von der
Sohle bis zur Scheitel erzitterte, als er zuerſt den berühm-
ten Melanchthon anſichtig wurde; immer voll Furcht vor
dem Haſſe der Menſchen und dem widrigen Einfluß gehei-
mer ſataniſcher Kräfte; aber eben darum mit einſiedleriſchem
Fleiße unter den ungünſtigſten Umſtänden den Studien hin-
gegeben, und ſeiner Sache, obwohl er nie recht damit zu-
frieden war daß er ſie ergriffen hatte, vollkommen Mei-
ſter. Er wagte ſich an die Überſetzung des Demoſthenes,
eine Arbeit, vor der Erasmus und Budäus zurückgeſchrocken
waren, und führte ſie auf eine Weiſe durch, die ſeinen Na-
men mit dem ſeines Autors auf immer verknüpft hat. Er
iſt auch in der Kritik des Textes 3 der Soſpitator der Red-
ner, und hat ſie den ſpätern Zeiten erſt wieder zugänglich,
verſtändlich gemacht. Ohne ſeinen Fleiß würden die Byzan-
tiner wohl noch lange unbekannt geblieben ſeyn: er iſt glück-
[470]Zehntes Buch. Achtes Capitel.
lich gleichſam ein Ganzes byzantiniſcher Geſchichten zuſam-
menzuſtellen. Sehr leſenswürdig iſt doch die Autobiographie
die er hinterlaſſen hat. 1 Er erſcheint darin als ein recht
ehrlicher Patriot, freilich als ein ſolcher, der mit dem was
um ihn her vorgeht, oftmals ſchlecht zufrieden iſt: als ein
überzeugter evangeliſcher Chriſt, ohne Parteiweſen, wie denn
ſeine Religioſität nur dann und wann unwillkührlich hervor-
bricht: und als ein Philologe, der das Alterthum in Fleiſch
und Blut verwandelt hat: die ſinnreichſten Sprüche bieten
ſich ſeiner Erinnerung dar: man kann an ihm ſehen, daß
dieſe Elemente einander nicht widerſprechen.


Und Niemand ſollte ſagen, daß dieſe Studien in der
zweiten Hälfte des Jahrhunderts in Abnahme gerathen ſeyen:
in die ja Sturm, Neander und Wolf zum großen Theil
gehören. Schon lebten ihre Nachfolger Rhodomann und
Sylburg.


Auf die Fortpflanzung der Studien allein kam es je-
doch nicht an. Wir beſchäftigen uns mit einem Zeitalter,
von dem man nicht mit Unrecht geſagt hat, alle vier Fa-
cultäten ſeyen da im Grunde nur eine einzige geweſen, nem-
lich die der Grammatiker. Von der Herſtellung und Aus-
legung der Texte hieng jeder Fortſchritt ab.


Wir brauchen nicht darauf zurückzukommen, wie ſehr
dieß in der gelehrten Theologie der Fall war, die eben auf
dieſem Grunde beruhte. Die Publication der Kirchenväter,
auch der lateiniſchen, um die ſich nach dem Vorgange des
[471]Rechtswiſſenſchaft. (Haloander.)
Erasmus auch andere deutſche Philologen viel Verdienſt er-
warben, kam den Abweichungen der Proteſtanten mächtig zu
Statten. Vor der urſprünglichen Auffaſſung des chriſtlichen
Alterthums verſchwanden die hierarchiſchen Satzungen.


Verwandter Natur, wenn auch lange nicht ſo weit aus-
ſehend, iſt, was in der Rechtsgelehrſamkeit geſchah.


Bei weitem enger hatten ſich die Gloſſatoren ihrer Ur-
kunde, den juſtinianeiſchen Rechtsbüchern angeſchloſſen, deren
Wiederbelebung und Verbreitung die Welt ihnen eigentlich
verdankt, als die ſcholaſtiſchen Theologen der heiligen Schrift.
Ihr Text beruht auf alten Handſchriften, ihre Anmerkun-
gen ſind nicht ſelten ganz treffend. Aber dabei iſt doch un-
leugbar, daß dieſe beſonders unter den Händen ihrer Nach-
folger ſich immer mehr mit fremdartigen Elementen verſetz-
ten und nur größere Dunkelheit hervorbrachten, 1 jener durch
willkührliche Eintheilungen und Zuſätze entſtellt, nichts weni-
ger als zuverläßig war. Und doch wurden dieſe Rechtsbü-
cher als die kaiſerlichen, allgemein gültigen betrachtet, und
ſollten practiſch in Anwendung kommen. Die piſaniſche
Handſchrift der Pandecten, wie hoch man ihren Werth auch
anſchlug, ſo daß man ſich ihr nur mit einer Art von aber-
gläubiſcher Verehrung näherte, war noch nicht zu öffentli-
chem Gebrauche benutzt. Da wollte nun die Gunſt des
Zufalls, daß ein junger Deutſcher, Gregor Hoffmann aus
Zwickau, genannt Haloander, der in Begleitung Julius
Pflugs eine Reiſe nach Italien machte, in Bologna eine
[472]Zehntes Buch. Achtes Capitel.
Abſchrift von einer Collation jener Handſchrift benutzen konnte,
die einſt Politian an dem Rand eines Exemplars der Vul-
gata verzeichnet hatte. Auch von den Novellen, die bisher
nur in der ſogenannten Authentica vorhanden waren, gro-
ßentheils überſetzt und unvollſtändig, fand er dort Gele-
genheit die Abſchrift eines Manuſcriptes 1 zu copiren, das
bei manchen Lücken und Mängeln die es hatte, doch die
originale Grundlage eines neuen Studiums darbot. Mit
dieſen Hülfsmitteln erſchien Haloander im J. 1528 zu Nürn-
berg, wo ihm der proteſtantiſche Abt des Ägidienkloſters
freundliche Aufnahme und der Rath eine nicht unbedeutende
Geldunterſtützung gewährte, ſo daß er ohne perſönliche Sorge
unverweilt zur Herausgabe ſchreiten konnte. Haloander hat
nach dem Urtheil der kundigſten Männer, wie Savignys,
bei der Arbeit hiſtoriſche Gelehrſamkeit und kritiſches Ta-
lent gezeigt. Bei den Pandecten wußte er ſich der politia-
niſchen Collation, die an ſich ſehr unzureichend und über-
dieß durch den erſten Abſchreiber 2 hie und da gröblich miß-
verſtanden war, doch ſo geſchickt zu bedienen, daß er damit
eine große Menge Fehler weggeſchafft hat; es gelang ihm
Stellen klar zu machen, deren Sinn man vorher nicht ein-
mal zu errathen vermochte. Dem Codex der Conſtitutionen
gab er ſeine zwölf Bücher wieder; er ſpricht ſeine Genug-
thuung aus, wie viel Lücken er ausfüllen, wie viel Wunden
er habe heilen können. In den Jahren 1529 bis 1531
[473]Rechtswiſſenſchaft. (Oldendorp.)
erſchienen die einzelnen Theile des Corpus juris — denn
auch die Inſtitutionen konnten nach der Arbeit über die Pan-
decten leicht verbeſſert werden — in einer der urſprünglichen
Faſſung über alles Erwarten angenäherten Geſtalt.


Und mit der größten Freude ward nun dieſe Gabe von
den Gelehrten empfangen.


Dem Kaiſer Carl, der in Juſtinian ſeinen Vorgänger,
in deſſen Rechte ſein eigenes ſah, bemerkte Johann Olden-
dorp, wie früher durch die verunſtalteten Geſetze die Rechts-
übung ſelbſt unſicher geworden ſey, jetzt aber habe man Ge-
ſetze und Conſtitutionen in ihrem urſprünglichen Wortlaut wie-
der: ſeit vielen Jahrhunderten habe kein Volk etwas Ruhm-
volleres erlebt. 1 Oldendorp verbarg ſich nicht, daß damit
noch nicht alles was wünſchenswerth wäre geſchehen ſey.
Sehr ſchmerzlich empfand er den Verluſt der alten Rechts-
quellen, aus denen erſt volle Beſtimmtheit und Klarheit her-
vorgehn würde. 2 Wenn ich ihn recht verſtehe, war ſeine
Meinung, daß ſich das Syſtem auf der nunmehr gewon-
nenen Grundlage wiſſenſchaftlich weiter ausbilden, und zum
allgemeinen Recht aller Nationen erheben laſſe.


Aber auch Leute die nicht ſo weit giengen, ſahen doch
in der Anwendung des geſchriebenen Rechtes eine Verbeſſe-
rung. Ich finde überhaupt daß man weite Ausſichten er-
griff, ſchon damals die Tortur verwarf, 3 die Confiſcation
[474]Zehntes Buch. Achtes Capitel.
zu beſchränken gedachte, den Mißbrauch der Privilegien rügte,
eine Menge Übelſtände zur Sprache brachte, die noch lange
fortgedauert haben. Gabriel Mudäus, einer der ausgezeich-
netſten Lehrer auf der ſehr beſuchten Rechtsſchule zu Lö-
wen, erwarb ſich das Verdienſt, von ſeinem civilrechtli-
chen Standpunct aus den Gewaltſamkeiten der Inquiſition
entgegenzutreten.


Genug, mit dem Studium empfieng zugleich die Praxis
eine neue ſtarke Anregung, die dann beſonders auf die deut-
ſche Provinzialgeſetzgebung von größtem Einfluß geweſen iſt.


Und wenden wir unſern Blick auf eine dritte Facul-
tätswiſſenſchaft, die Arzneikunde, ſo traten auch in dieſem
Gebiete durchgreifende Umwandlungen ein.


Die Medicin hieng von viel verderbterer Überlieferung
ab als das Recht. Die griechiſche Heilkunde, wie ſie einſt
Galen ſyſtematiſcher als ſeine Vorgänger, aber ſchon nicht
mehr in voller Originalität zuſammenfaßte, hatte einen wei-
ten Weg gemacht um nach Deutſchland zu gelangen: —
wie ſie von arabiſchen Sammlern begriffen, dann durch Ver-
mittelung des Caſtilianiſchen in ein barbariſches Latein über-
tragen, und etwa von italieniſchen Commentatoren dem Be-
dürfniß der Zeiten angenähert worden, ſo ward ſie damals
3
[475]Medicin. (Paracelſus.)
auf den deutſchen Univerſitäten gelehrt; der Canon des Avi-
cenna, der Commentar des Johann d’Arcoli über eine Schrift
Arraſi’s waren die geſchätzteſten Lehrbücher, die man z. B.
noch in den zwanziger Jahren des ſechszehnten Jahrhunderts
in Wittenberg brauchte. 1 Es leuchtet ein, daß auf dieſem
Grunde die Kunſt nicht gedeihen konnte, zumal da ſich ihr
eine große Anzahl mittelmäßiger Köpfe widmete, die man
ohne Schwierigkeit zu Doctoren erhob.


Man muß ſich dieſen Zuſtand vergegenwärtigen, um die
Oppoſition des Paracelſus dagegen zu begreifen. Im ho-
hen Gebirg aufgewachſen, wo ſich mancherlei ſonſt verſchwun-
dene Kenntniſſe erhalten hatten, im Umgang mit Geiſtlichen
von geheimnißvoller Erfahrung, mit Freunden chymiſcher
Verſuche, wie Siegmund Fugger zu Schwatz, in ſtetem Ver-
kehr mit Bergleuten, Hüttenarbeitern, dem gemeinen Mann
überhaupt, hatte Paracelſus nicht allein Mittel kennen gelernt
und durch glückliche Curen erprobt, ſondern ſich auch Welt-
anſichten gebildet, die allem widerſprachen was auf den ho-
hen Schulen galt. Als er 1527 zu Baſel auftrat, erklärte
er zuvörderſt, daß er nichts auf fremde Autorität lehren werde.
Er ſpottete über den Proceß der ererbten Recepte; den Ca-
non des Avicenna hat er einſt in ein Johannisfeuer ge-
worfen; er wollte von nichts als von der Natur hören. 2
Denn nur die Bücher ſeyen wahrhaft und ohne Falſch
welche Gott geſchrieben: die Elemente müſſe man ſtudiren,
[476]Zehntes Buch. Achtes Capitel.
der Natur nachgehn von Land zu Land, da jedes einzelne nur
ein Blatt des großen Buches ſey; die Augen, „die an der
Erfahrenheit Luſt haben“, die ſeyen die wahren Profeſſoren;
und wie er ſonſt ſeinen Widerwillen gegen die Schriftgelehr-
ſamkeit ausſpricht. Auch das was er leiſtete, iſt in neuern
Zeiten wieder mehr zu Ehren gekommen: 1 auf einen Laien,
der ſeine Bücher durchläuft, macht beſonders ſeine Anſicht
von der fortwirkenden Energie des einmal angeregten Lebens
Eindruck, von der dem Organismus eingebornen und den-
ſelben von innen her erhaltenden Kraft der Natur. Es lebt in
ihm ein ſinnvoller, tiefer und mit ſeltenen Kenntniſſen aus-
gerüſteter Geiſt, der aber von dem Einen Puncte aus, den
er ergriffen, die Welt zu erobern meint: viel zu weit aus-
greifend, ſelbſtgenügſam, trotzig und phantaſtiſch: wie ſolche
wohl in der deutſchen Nation noch öfter hervorgegangen
ſind. Damals war mit der allgemeinen Bewegung der Gei-
ſter auch ein Verſuch verknüpft, das Joch der Zucht, die
Regel der antiken Diſciplin, ja Kirche und Staat von ſich
abzuwerfen. Die münzeriſchen Inſpirationen, die ſociali-
ſtiſchen Verſuche der Wiedertäufer und dieſe paracelſiſchen
Theorien entſprechen einander ſehr gut; vereinigt hätten ſie
die Welt umgeſtaltet. Zur Herrſchaft aber konnten ſie doch
nicht kommen: dazu waren ſie in ſich zu verworren und
überladen: ſie hätten nur den großen welthiſtoriſchen Gang
der Cultur unterbrochen.


In der Medicin war es zunächſt, eben wie in andern
Wiſſenſchaften, erforderlich, auf die ächtern Quellen der Be-
lehrung zurückzugehn.


[477]Medicin. (Cornarus.)

Merkwürdigerweiſe war es ein Landsmann Haloanders,
Johann Cornarus, der die Bahn hiezu brach. In Witten-
berg auf die Nothwendigkeit ſich vor allem des Hippokra-
tes wieder zu bemächtigen aufmerkſam gemacht, unternahm
er hiezu eine Reiſe nach Italien, aber ſchon in Baſel kam
ihm ſo zu ſagen ſein Autor ſelber entgegen: im Jahr 1526
war der griechiſche Text von Aldus, wiewohl ſehr uncor-
rect, gedruckt worden, und vor kurzem angelangt. Bei dem
erſten Studium durchdrang ſich Cornarus noch mehr mit der
Überzeugung, daß die Griechen die einzigen wahren Meiſter
der Heilkunde ſeyen, die man nur zuvörderſt wieder bekannt
machen müſſe. Mit Hülfe einiger Handſchriften die Froben
herbeiſchaffte, ſtellte er einen bei weitem richtigern Text auf,
und konnte es dann wagen auch eine Überſetzung zu ver-
ſuchen: 1 ein Werk, von dem ſein Lebensbeſchreiber rühmt,
es werde ſeit zwei Jahrtauſenden in der lateiniſchen Sprache
vermißt: ſo ganz fühlte man ſich dieſſeit noch als weſentlichen
Beſtandtheil der alten lateiniſchen Culturwelt. Hierauf er-
ſcheinen an den Univerſitäten Vorleſungen über Hippokrates
und den ächten Galen, dem Cornarus einen ähnlichen Fleiß
zuwandte; bei der Prüfung der Doctoranden legte man wohl
eine Stelle aus den Aphorismen, oder eine Definition Ga-
lens zur Erklärung vor. Es begann eine allgemeine Re-
action gegen die Araber. Leonhard Fuchs, ein glücklicher
Nebenbuhler des Cornarus, ſah ihre Wiſſenſchaft faſt aus
dem Standpunct einer nationalen Feindſeligkeit an: als eine
ſolche, durch die, wenn ſie länger beſtünde, der Untergang
[478]Zehntes Buch. Achtes Capitel.
der Chriſtenheit befördert werden würde: niemals ſeyen die
Griechen von ihnen verſtanden worden; ihre Theorien und
ihre Heilmittel ſeyen gleich verwerflich; er ſeinerſeits werde
nicht aufhören gegen dieſe Saracenen zu ſtreiten.


Nun konnte man ſich aber in der Medicin unmöglich
wie in der Jurisprudenz an die hergeſtellten Texte halten:
man ward durch die Alten ſelbſt zu eigener Beobachtung der
Natur fortgetrieben; nur auf eine ganz andre Weiſe als Pa-
racelſus im Sinn gehabt, eben auf dem von den Alten an-
gebahnten, noch nicht vollendeten Wege.


Die erſten wichtigen Erfolge erlangte man in der Ana-
tomie, nachdem man ſich einmal der Vorurtheile entſchlagen,
die bisher eine genügende Unterſuchung des menſchlichen Kör-
pers verhindert hatten. Es war eine auffallende Neuerung,
daß Dr Auguſtin Schurf in Wittenberg im Juli 1526 die
Anatomie eines Kopfes vornahm. Etwas Ähnliches ver-
ſuchte ein andrer Deutſcher, Johann Günther von Ander-
nach, zu Paris, doch wollte er weder von den Arabern noch
vollends von Galen laſſen. Einer ſeiner Schüler aber, An-
dreas Veſalius, aus einer Familie von Ärzten die von We-
ſel herſtammten, geboren in Brüſſel, that endlich den ent-
ſcheidenden Schritt. Veſalius war gleichſam von Natur zum
Anatomen beſtimmt: von Kindheit auf hatte er ſich halb aus
Muthwillen an Thieren geübt; in Paris trieb er ſich mit
Lebensgefahr auf dem Kirchhof des Innocents oder den Hö-
hen von Montfaucon herum, um aus den Gebeinen die er
auflas, wo möglich ein ganzes Skelett zuſammenzuſetzen.
Eben daran hatte es Galen gefehlt, und bald wurde der
muthige junge Mann die Irrthümer des alten Meiſters inne.
[479]Anatomie. (Veſalius.)
Er war erſt 29 Jahr alt, als er im J. 1543 ſein Werk
über den Bau des menſchlichen Körpers zu Baſel drucken
ließ, das die Grundlage aller ſpätern Anatomie geworden iſt.
Es fand um ſo mehr Eingang, da ein Schüler Titians, Jo-
hann von Calkar, den Text mit vortrefflichen Abbildungen
erläuterte. Wäre Veſalius nicht als Leibarzt Carls V dem
Hofe gefolgt, ſo hätte er vielleicht die Entdeckungen noch
vollendet die er angefangen, und wenigſtens ſeine Schüler
nicht beſtritten, die ſie wirklich gemacht hatten. 1 Auch am
Hofe hatte er von den Anhängern Galens viel zu leiden.


Auf jeden Fall war hiedurch der große Schritt geſche-
hen, auf den alles ankam: die innere Kraft des von den
Alten angeregten forſchenden Geiſtes führte über die Gren-
zen ihrer Wiſſenſchaft hinaus.


In allen verſchiedenen Zweigen der Naturgeſchichte gieng
man daran, die Kenntniſſe der Alten zugleich zu ſammeln und
zu erweitern.


Die Eigenthümlichkeit dieſes Beſtrebens lernt man recht
an dem zoologiſchen Werke Conrad Geßners kennen. Geß-
ner arbeitete viel für das Bedürfniß des literariſchen Publi-
cums, überſetzte, und verfaßte Wörterbücher: im Grunde aus
Noth. Er war glücklich, wenn er einmal die beſonderen Ge-
genſtände ſeiner Neigung feſthalten konnte, wie in der No-
menclatur der den Alten bekannten Pflanzen, der er die nicht
ohne Mühe aufgeſuchten neuen Namen beiſetzte. Endlich
erhob er ſich zu dem Gedanken, den Namen auch die Be-
ſchreibungen hinzuzufügen, in einem umfaſſenden Werke über
[480]Zehntes Buch. Achtes Capitel.
die Thierwelt alles das zuſammenzuſtellen was man über-
haupt von ihr wiſſe. Die Schilderungen der alten Auto-
ren, der heiligen und der profanen, bilden die Grundlage;
damit werden die Notizen der ſpätern Schriftſteller, auch
der arabiſchen, ſo weit ſie den Lateinern zugänglich ſind,
verbunden, und unter wiederkehrenden Rubriken, z. B. Va-
terland, körperliche Beſchaffenheit, Nutzen, beigeordnet; 1 auch
die Sprichwörter der verſchiedenen Sprachen, die ſich auf
Thiere beziehen, werden herangezogen; die Maxime des
Verfaſſers war, nichts zu wiederholen, nichts wegzulaſſen.
Nicht ſo häufig wie man meint iſt das Talent der Compi-
lation. Soll ſie der Wiſſenſchaft dienen, ſo muß ſie nicht
allein aus vielſeitiger Lectüre hervorgehn, ſondern auf äch-
tem Intereſſe und eigener Kunde beruhen, und durch feſte
Geſichtspuncte geregelt ſeyn. Ein Talent dieſer Art von der
größten Befähigung war Conrad Geßner. Als alles beiſam-
men war, zeigten ſich erſt die Lücken. Geßner ſetzte ſeine
literariſchen Bekannten in den verſchiedenen Ländern, deren
er über 50 zählt, Italiener, Franzoſen, Engländer, Polen
und hauptſächlich Deutſche, in Bewegung, um ihm mit Be-
ſchreibungen des noch Unbekannten und mit Abbildungen zu
Hülfe zu kommen. So brachte er einen Theſaurus zoolo-
giſcher Kenntniſſe zuſammen, 2 in dem ſich Gemeinnützigkeit
[481]Botanik.
und Wiſſenſchaftlichkeit vereinigen der fortan für den Fort-
gang des Studiums eine treffliche Grundlage bildete und
noch heute unentbehrlich iſt.


Das Gleiche wünſchte Geßner nun auch für das Pflan-
zenreich zu leiſten, wofür er ſein ganzes Lebenlang im Stillen
gearbeitet und alles vorbereitet hatte; doch war es ihm nicht
beſchieden, damit zu Stande zu kommen. Große Erwartun-
gen erweckte einſt für dieſen Zweig Valerius Cordus, der als
Studirender und junger Lehrer in Wittenberg ſich ſo zu ſa-
gen in inneren Beſitz der Pflanzenbeſchreibungen der Alten
ſetzte, und damit einen unermüdlichen Eifer ſelber zu ſuchen
und zu beobachten verband: er hat das meißniſche Hochland
ganze Tage durchſtreift, um ein einziges Heilkraut zu finden;
aber eben dieſer Ungeſtüm der Lernbegier zog ihm auf einer
italieniſchen Reiſe, wo er des Climas nicht achtete, einen frü-
hen Tod zu. 1 Man kam jedoch auch hier um vieles wei-
ter. Man hatte den natürlichen Vortheil über die Alten,
daß ſich die wiſſenſchaftliche Forſchung eines von denſelben
noch nicht beherrſchten Ländergebietes bemächtigen konnte.
In den Kräuterbüchern von Brunfels und Fuchs werden
hauptſächlich die einheimiſchen Gewächſe in die allgemeine
Kunde eingeführt. 2


Ranke D. Geſch. V. 31
[482]Zehntes Buch. Achtes Capitel.

Und ſogleich ward die aus dem Alterthum ſtammende
Wiſſenſchaft durch dieſe neue Berührung mit dem Boden Ger-
maniens auf ein Gebiet gerichtet, deſſen ſie ſich nur noch
unvollſtändig bemächtigt hatte: das Reich der Mineralien.


Es war eigentlich die Erwähnung metalliſcher Arznei-
ſtoffe, deren ſich die Alten bei äußern Schäden viel bedient
haben und die man nicht wiedererkannte, was einen jun-
gen, von der claſſiſchen Richtung durch und durch ergriffe-
nen Arzt, Georg Agricola, veranlaßte, ſeine Wohnung bei
den Bergleuten im Joachimsthal aufzuſchlagen. 1 Indem
er nun aber alle Notizen der Alten über die Mineralien
ſammelte, und ſie mit dem verglich was er vor Augen
ſah, ward er inne, daß ihn eine Welt umgab, von der ſich
wenigſtens aus den übrig gebliebenen claſſiſchen Schriften
kein Begriff bilden ließ. Er gieng von dem Wunſche aus, was
die Alten gewußt, für ſeine Zeit wieder zu beleben; ſah
ſich aber gar bald in dem umgekehrten Falle, die deutſchen
Bezeichnungen die er vorfand, in die gelehrte Sprache auf-
zunehmen. In dem uralten Betriebe des deutſchen Bergbaues
hatte ſich eine ſchon weit gediehene Kunde der Erze und Ge-
ſteine gebildet; bei den mancherlei metallurgiſchen Operationen
die man vornahm, hatte man in den Hütten Wahrnehmun-
gen gemacht und Erfahrungen geſammelt, die nur aufgefaßt
und in der Sprache der Gelehrſamkeit ausgedrückt zu werden
[483]Mineralogie.
brauchten, um in der Reihe der Wiſſenſchaften eine würdige
und glänzende Stelle einzunehmen. Dieß gethan zu haben
und zwar mit eigener Einſicht und dem unabläßigen Eifer, der
allein wiſſenſchaftliche Erfolge zu ſichern vermag, iſt das Ver-
dienſt Georg Agricolas. 1 Er hatte das Glück, nicht Anfänge
noch zweifelhafte Verſuche, ſondern erprobte und zuſammen-
hängende Kenntniſſe, beinahe Syſteme der Mineralogie und
Metallurgie darbieten zu können, die eine Grundlage aller
ſpätern Studien nicht allein dieſſeit der Alpen ſondern für
die Welt geworden ſind. 2


Ein herrliches Werk würde ſeyn, wenn einmal die Theil-
nahme welche die Deutſchen an der Fortbildung der Wiſſen-
ſchaften überhaupt genommen haben, im Lichte der europäiſchen
Entwickelung jedes Jahrhunderts mit gerechter Würdigung
dargeſtellt werden könnte. Zu einer allgemeinen Geſchichte der
Nation wäre es eigentlich unentbehrlich. Denn nicht allein
in den Bildungen des Staats und der Kirche, oder in Poeſie
und Kunſt, tritt der Geiſt eines großen Volkes hervor; zu-
weilen werfen ſich die beſten Kräfte auf die wiſſenſchaftlichen
Gebiete; man muß wiſſen, was ſie da ſchaffen und vollbrin-
gen, wenn man die Beſtrebungen einer Epoche überhaupt
verſtehen will. Die Zeit die wir hier betrachten, würde eine
31*
[484]Zehntes Buch. Achtes Capitel.
der fruchtbarſten ſeyn. Schon erſcheinen, z. B. bei Para-
celſus, die Anfänge der Chemie. Es kommen die feinſten
und eingreifendſten phyſikaliſchen Beobachtungen vor. Georg
Hartmann zu Nuͤrnberg, der ſich mit der Verfertigung von
Compaſſen beſchäftigte, hat dabei die Inclination des Ma-
gnets entdeckt; er bemerkte, wie der Nordmagnetismus beim
Streichen ſüdliche Polarität hervorbringe; er ſcheint noch mehr
gewußt zu haben als was er ausdrücklich ausſpricht. Gern
unterhielt er theilnehmende Fürſten, den König Ferdinand wäh-
rend des Reichstags, oder den Herzog Albrecht von Preußen
in Briefen, von der geheimnißvollen Tugend und Kraft des
Magneten. 1 Die Wißbegier Carls V die von []ſeiner Stel-
lung zu beiden Hemiſphären genährt ward, veranlaßte zu Ar-
beiten der mathematiſchen Geographie, welche allen Nationen
zu Statten gekommen ſind. 2 Aus Duisburg, von Mercator
rührt die erſte durchgreifende Verbeſſerung der Zeichnung der
Land- und Seecharten her. Ich werde mich in dieſen Gebieten
nicht weiter vorwärts wagen: wie es denn auch nicht an
dieſen Ort gehören würde einzelnen Richtungen nachzugehn;
gedenken wir nur noch einiger Erſcheinungen von allgemein-
ſter Bedeutung.


An den öſtlichen Grenzen wo die deutſchen Elemente
ſich mit den polniſchen berühren, gieng aus einer der geſchil-
derten ähnlichen Beſchäftigung mit dem Alterthum, gleich-
[485]Aſtronomie. (Copernicus.)
ſam unter dieſer geiſtigen Atmoſphäre, eine der größten Ent-
deckungen hervor die dieß Jahrhundert auszeichnen, die des
wahren Sonnenſyſtems.


Ptolemäus beherrſchte, wie die Erdkunde, ſo auch die
Aſtronomie: ſeit vielen Jahrhunderten war er hierin das Ora-
kel von Orient und Occident.


Schon einige Zeit daher aber, nachdem man ihn beſſer
verſtand und wieder eigene Beobachtungen begannen, regten
ſich Zweifel gegen ſeine Unfehlbarkeit. Neue Berechnungen
der Polhöhe verſchiedener Städte z. B. wollten mit ſeinen
Angaben nicht ſtimmen; aber ſo groß war die Verehrung für
ihn und die Alten, daß man eher an eine ſeitdem eingetretene
Veränderung im Weltſyſteme als an die Mangelhaftigkeit ih-
rer Beobachtungen glaubte.


Nicolaus Copernicus aus Thorn, Domherr zu Frauen-
burg, — ein auch in den Staatsgeſchäften des dem deut-
ſchen Orden entriſſenen preußiſchen Landes vielbeſchäftigter
Mann — fand nicht allein die Beobachtungen mangelhaft,
wenigſtens ſo weit ſie vorlagen, ſondern auch das ganze
Syſtem unverſtändlich und zur Erklärung vieler Erſcheinun-
gen unzureichend. Er meinte wohl, die beſten Beobachtun-
gen möchten verloren gegangen oder den Hypotheſen zu Gun-
ſten willkührlich verändert worden ſeyn; indem er dann in
den Alten weiter forſchte, fand er auch Andeutungen eines
ganz andern Syſtems als des ptolemäiſchen. 1 Im Alter-
thum war geſagt worden, daß ſich die Erde bewege, daß
[486]Zehntes Buch. Achtes Capitel.
ſie nicht allein eine rotirende Bewegung um ſich ſelber, ſon-
dern auch eine fortſchreitende habe: wie nun wenn hierin
die noch unbekannte Wahrheit lag? Copernicus ergriff die-
ſen Gedanken mit aller Kraft eines die Wahrheit vorahnen-
den Genius. In ſeiner Wohnung am Dome zu Frauenburg,
die ihm einen großen Horizont eröffnete, betrachtete er die
Höhen der Planeten, des Mondes, der Sonne und der Fix-
ſterne, mit ſehr unzulänglichen Inſtrumenten, nicht ſelten von
dem aus dem friſchen Haff aufſteigenden Nebel behindert,
aber im Ganzen vortrefflich; er überzeugte ſich, daß die Er-
ſcheinungen die bisher unbegreiflich geweſen, ſich wirklich
nur erklären ließen, wenn man die verworfene Hypotheſe,
die Bewegung der Erde annehme, und ſie mit der Bewegung
der Planeten und des Mondes combinire. So erſt ließen
ſich die Erſcheinungen der täglichen Bewegung der Himmels-
kugel, des jährlichen Laufs der Sonne in der Ekliptik, der
Wechſel der Jahreszeiten und Tageslängen, des Vor- und
Rückgehens der Planeten verſtehen; die Erläuterungen die
er davon gab, kamen einem Beweiſe ſeines Hauptſatzes
nahe. 1 Wohl war dieſer noch unvollſtändig und nicht von
allen Irrthümern riß ſich Copernicus los; aber er hatte einen
Gedanken von ſo ächter Wahrheit ergriffen, daß Mängel der
Darſtellung denſelben nicht hindern konnten ſich allmählig Platz
zu machen. Was man von Ariſtarch von Samos geſagt, das
hat in der That erſt Copernicus vollbracht: er ſetzte den
Heerd des Kosmos in Bewegung. Die Erde erſchien ihm als
1
[487]Aſtronomie. (Copernicus.)
das was ſie iſt, in dem Verhältniß eines Punctes zum Gan-
zen: auf das gewaltigſte durchbrach er die Welt des Scheines.


In dieſem Gedanken aber, der aller Anſchauung, in der
ſich die Menſchen bewegen, zuwiderläuft, liegt etwas, was
den Urheber deſſelben wohl bedenklich machen konnte ihn
zu äußern. Copernicus meinte faſt, es ſey das Beſte wenn
er wie Pythagoras ſeine Lehre nur mündlich fortpflanze.


Es gereicht der Schule von Wittenberg zur Ehre, daß
einer ihrer jungen Profeſſoren, Rhäticus, durch das Gerücht
in Kenntniß geſetzt, ſich zu Copernicus begab, der Welt die
erſte ſichere Nachricht über die Entdeckung mittheilte, und
wirklich den Druck des von dem Autor beinahe bei Seite
gelegten Werkes veranlaßt hat.


Den Vorwurf dürfte man überhaupt der Wittenberger
Schule damaliger Zeit nicht machen, daß ihre Theologie ſie ab-
gehalten hätte ſich auch mit andern Wiſſenſchaften zu beſchäfti-
gen. Wir finden die eifrigſten Theologen, wie Wigand zu Eis-
leben, die benachbarten Berge durchſtreifen um die Wunder
Gottes in den ſeltenen Kräutern zu ſchauen; Michael Nean-
der zu Ilfeld verband mit der Kräuterkunde ſelbſt medici-
niſche Einſichten: er wird als der Chiron des Harzes geprie-
ſen; Johann Matheſius beſaß eine treffliche Kenntniß der
Metalle und Erdgewächſe. In hohem Anſehen bei ſeinem
Leben und unvergänglichem Gedächtniß nach ſeinem Tode
ſtand Caſpar Cruciger, Profeſſor der Theologie, den aber phy-
ſikaliſche und beſonders mathematiſch-aſtronomiſche Einſich-
ten perſönlich faſt noch mehr auszeichneten. 1


Melanchthon, der ſich immer in lebendiger Theilnahme
[488]Zehntes Buch. Achtes Capitel.
an allen dieſen Fortſchritten zu halten ſuchte, in deſſen Vor-
leſungen z. B. Valerius Cordus Anregung zu ſeinen bota-
niſchen Ausflügen empfieng, widmete doch ſeinen beſten und
fruchtbarſten Fleiß den philoſophiſchen Studien.


In ſeiner Jugend, noch in Tübingen, hatte er es ſich
beinahe als die vornehmſte Aufgabe ſeines Lebens gedacht, die
Werke des Ariſtoteles von den Verunſtaltungen zu befreien, die
ſie während des Mittelalters erlitten, und den wahren Sinn
dieſes Philoſophen zu erforſchen. Wie von einer ganz an-
dern Natur auch der Beruf war, den ihm Leben und Ge-
ſchichte anwieſen, ſo tauchen doch auch dann und wann jene
Geſichtspuncte auf. Wir finden bei ihm polemiſche Erörterun-
gen gegen die arabiſche Auffaſſung ariſtoteliſcher Begriffe, 1 und
neue Verſuche, den ächten Sinn derſelben, zuweilen im Wider-
ſpruch mit den griechiſchen Erklärern, zu ergründen. 2 Nur
war ſein Ziel hiebei nicht die Wiederherſtellung des Autors,
ſondern die Ermittelung einer objectiv haltbaren Doctrin. In
den mancherlei Lehrbüchern die er verfaßte, —, über Dia-
lectik, Moral, Pſychologie, ſogar Phyſik — verglich er im-
mer auch die übrigen Philoſophen mit Ariſtoteles. In der
Regel zog er den letzteren vor, deſſen Feder in Sinn und
Verſtand getaucht ſey; die Hyperbeln der Stoa, die Zwei-
felſucht der Akademiker, die Ableugnungen des Epicur fand er
gleich unerfreulich; jedoch ſtieß er auch bei ihnen auf man-
ches Gute und nahm es an; am entſchiedenſten wich er von
Ariſtoteles ab, wo dieſer mit den Urkunden der Offenbarung
in Widerſpruch kommt. Stellen wir uns in den Geſichts-
[489]Philoſophie. (Melanchthon.)
kreis jener Zeit, ſo konnte von einer mit unbedingtem Selbſt-
vertrauen auf die höchſten Probleme hinſtrebenden Anſtrengung
des Gedankens überhaupt gar nicht die Rede ſeyn. Das
Räthſel der Welt war ſchon gelöſt, die Summe der Dinge
war ſchon bekannt; die allgemeine Anſicht gieng vielmehr
dahin, daß man „die allmächtige Kraft der göttlichen Ma-
jeſtät nicht ſchärfer zu erforſchen habe;“ nicht ohne Tiefſinn
ſagt Herzogin Eliſabeth von Braunſchweig: „könnten wir Gott
durch unſere Vernunft ausgründen, ſo nähme die Gottheit
ein Ende.“ 1 Es konnte nur darauf ankommen, die Reſul-
tate des philoſophiſchen Nachdenkens mit der Schrift in Ein-
klang zu bringen. 2 Man dürfte wohl nicht ſagen, daß
daraus ein blos formelles Ergebniß hervorgegangen wäre.
In den philoſophiſchen Schriften Melanchthons treten einige
Vorſtellungen, beſonders über das Weſen des Geiſtes, mit ei-
genthümlicher Stärke auf. Die Meinung als ſey die Seele
einer reinen Tafel gleich und erwerbe die Begriffe erſt durch
Erfahrung, verwirft er mit Widerwillen: er weiſt vielmehr zwei
verſchiedene Arten angeborener Begriffe nach, ſpeculative des
reinen Denkens, und practiſche der Moral; 3 eine ganze Reihe
von Urgrundſätzen beiderlei Art führt er auf; 4 von dem gott-
ähnlichen Weſen des Geiſtes wohnt ihm eine unerſchütter-
[490]Zehntes Buch. Achtes Capitel.
liche Überzeugung bei. So hat er denn auch, ohne an-
dere Beweiſe für das Daſeyn Gottes zu verſchmähen, doch
den moraliſchen mit beſonderem Eifer ausgebildet. Die
natürliche Unterſcheidung zwiſchen Gut und Böſe, die dem
Menſchen inwohne, das laſtende Bewußtſeyn welches aus
den Verbrechen entſpringe, die Freudigkeit, mit der das
Gute erfülle, endlich den heroiſchen Aufſchwung des Ge-
müthes bei der Gründung von Staaten oder auch im
Reiche der Wiſſenſchaften, ſieht er als Beweiſe eines gött-
lichen Urſprungs und eines höchſten Geiſtes an, von dem
der menſchliche herrühre. Zwei Jahrhunderte beinahe — ſo
lange nemlich der Glaube an die Offenbarung volles Leben
hatte — ſind dieſe Anſichten und das darauf gegründete ſehr
einfache und beſcheidene Syſtem in den proteſtantiſchen Schu-
len herrſchend geweſen; während in den katholiſchen die ſiegrei-
chen Mönchsorden das labyrinthiſche Gebäude der früheren
Zeit auch mit dem ächten Ariſtoteles aufrecht zu erhalten
wußten. Später haben ſich an den Gränzgebieten beider Wel-
ten andere Tendenzen des allgemeinen Geiſtes entwickelt. Selb-
ſtändig haben doch vornehmlich proteſtantiſche Gelehrten auf
den Gang der hiedurch angeregten Bewegung eingewirkt. Un-
möglich kann die Summe der Ideen die ſich dieſſeit be-
feſtigt hatten, ohne Einfluß auf die Art und Weiſe gewe-
ſen ſeyn wie dieß geſchehen iſt.


Welches aber auch das Verhältniß ſeyn mochte, in das
die Theologie zu andern Wiſſenſchaften trat, Eine wenigſtens
empfieng durch dieſelbe einen neuen, überaus förderlichen An-
trieb, die Wiſſenſchaft der Geſchichte.


Wollte man ſich den Fortſchritt encyclopädiſcher Ge-
[491]Geſchichte. (Sleidan.)
ſchichtskunde mit Einem Blick vergegenwärtigen, ſo dürfte man
nur das im Anfange des Jahrhunderts ungemein oft gedruckte
Compendium, den Fasciculus temporum von Rolewink, mit
dem vergleichen, das um die Mitte deſſelben aufkam und
ſich lange in Geltung erhielt, dem Buche Sleidans von
den vier Monarchien. 1 Dort iſt hauptſächlich von Päpſten,
Märtyrern und Heiligen die Rede: hier beruht ſchon alles
auf der erneuerten Bekanntſchaft mit dem Inhalt ſo vieler
ſeitdem wieder gedruckten Autoren. Sleidan kennt die Al-
ten ſehr gut, überall giebt er die Stellen an, aus denen
ausführlichere Nachricht zu ſchöpfen iſt; da er auch einen gro-
ßen Theil der Chroniſten des Mittelalters ſtudirt hat, ſo er-
weitert er auch da den Geſichtskreis nach allen Seiten; es
mag wenig Compendien geringen Umfangs von ſo gründ-
licher Arbeit geben.


Auch in andern Beziehungen wirkte das Studium der
alten Hiſtoriker ein. Man nahm ſie ſich bei Behandlung
der Zeitgeſchichte wenigſtens in der Sprache zum Muſter:
recht glücklich unter andern Urſinus Velius; einen unermeßli-
chen Eindruck machte auch in dieſer Hinſicht der ſo weit ſeine
Forſchungen reichten, zugleich urkundlich-gründliche Sleidan.


Mit alle dem aber war doch der Weg zu einer wah-
ren Geſchichte beſonders der Zeiten des Mittelalters noch
nicht eröffnet. Der ganze Umkreis derſelben war von ab-
ſichtlicher Fiction oder unwillkührlicher Dichtung verdunkelt
[492]Zehntes Buch. Achtes Capitel.
und umzogen. Während ſich in andern wiſſenſchaftlichen
Zweigen die Critik zur Anſchauung des Ächten erhob, hatte
hier, ſeitdem der falſche Beroſus erſchienen war, der Wahn
noch einmal um ſich gegriffen. Wohl erhoben ſich einzelne
Stimmen dagegen, aber der Betrug war doch immer ſo
geſchickt angelegt, daß ſich die Gelehrſamkeit jener Zeit noch
täuſchen ließ. Einmal aber auf den Irrweg geführt, gieng
man recht abſichtlich darauf weiter. Die Provinzialchroniſten,
unter denen ſich gleichwohl einige entſchiedene Talente finden,
namentlich für die Erzählung, die ſich dann und wann zu he-
rodoteiſcher Anmuth entfaltet, machten ſich faſt ein Geſchäft
daraus, die Fabel nach allen Seiten auszuarbeiten.


Unter dieſen Umſtänden brauchte man nichts ſo dringend
als eine durchgreifende Critik auf irgend einer Seite, welches
dieſelbe auch ſeyn mochte. Die Tendenz des Proteſtantismus
bewirkte, daß ſie zunächſt im kirchlichen Gebiete hervortrat.


Flacius und deſſen ſtreng lutheriſchen Freunde, Wigand,
Judex, Baſ. Faber, vereinigten ſich unter einander und mit
einer Anzahl jüngerer Freunde zur Abfaſſung einer ausführ-
lichen Kirchengeſchichte. Sie hatten es dabei hauptſächlich
auf eine Sammlung urkundlicher Materialien über den Fort-
gang der Lehre, der Cerimonien, der Kirchenregierung in den
verſchiedenen Jahrhunderten abgeſehen, und ſchon dieſe Aus-
dehnung der Geſichtspuncte über den herkömmlichen Kreis
der Kenntniſſe muß als ein Verdienſt betrachtet werden. 1
Ein noch viel größeres war, daß ſie Ernſt damit machten,
[493]Geſchichte. (Centuriatoren.)
das Unächte zurückzuweiſen, und die große kirchliche Fiction
die ſich im Laufe der Zeiten ausgebildet, zu durchbrechen.
Gleich beim erſten Jahrhundert nahmen ſie die Frage über
die falſchen areopagitiſchen Schriften vor, die Erasmus zwar
angeregt, aber lange nicht zu Ende geführt hatte; 1 — beim
zweiten griffen ſie mit gutem Recht einige Pſeudepigraphen
an, z. B. den Hirten des Hermas; ſchon da, noch mehr
aber im dritten und vierten Jahrhundert ſtellen ſich ihnen die
falſchen Decretalen dar. Die Centuriatoren ſind die Erſten,
welche die Unächtheit derſelben recht eingeſehen und mit ein-
leuchtenden unwiderleglichen Beweiſen dargethan haben. 2 Ge-
wiß wurden ſie hiebei von ihrem polemiſchen Eifer gegen
das Papſtthum angefeuert, aber indem ſie die Nebelgeſtalten
zertheilten, durch welche die hierarchiſche Macht ihren eige-
nen Urſprung verhüllt hatte, leiſteten ſie zugleich der allge-
meinen hiſtoriſchen Wiſſenſchaft einen großen Dienſt. Ohne
ein ſolches Verfahren war nirgends zu einer richtigen An-
ſchauung geſchichtlicher Entwickelung zu gelangen; ſie mach-
ten wenigſtens an Einer Stelle ziemlich freie Bahn. Der
fleißigen Sammlung ſtellte ſich eindringende Critik zur Seite:
was eben die beiden Grundlagen aller Hiſtorie ausmacht.
Nichts iſt ſtärkender als ein ſiegreicher Kampf gegen Irr-
[494]Zehntes Buch. Achtes Capitel.
thum und Wahn. Die Erkenntniß der Wahrheit an Einem
Puncte macht ſie an andern nothwendig, und ruft das Be-
ſtreben danach hervor. Nach und nach regte ſich die For-
ſchung in jedem Zweige.


Wir überſchauen die Arbeit in welcher der deutſche Geiſt
begriffen war. In allen Gebieten reißt er ſich von der Über-
lieferung los, welche ſich im Laufe der Zeit in hohem
Grade verfälſcht und mit Aberglauben erfüllt hatte. Aber
indem er zu ächteren Quellen der Belehrung aufſteigt, be-
merkt er doch was auch dieſe zu wünſchen übrig laſſen
Er iſt überall bemüht, die Kenntniß welche die Alten be-
ſaßen zu erweitern und zu ergänzen. Gegen die Syſteme
die ſie gebildet, ruft er den fragmentariſchen Widerſtand zu
Hülfe, der ſich unter ihnen ſelbſt geregt hat, und ſchickt ſich
an, aus eigner Kraft zur Anſchauung der Natur der Dinge
hindurch zu dringen. Die gewonnene religiöſe Überzeugung
flößt ihm Vertrauen und Furchtloſigkeit ein: Forſchung und
Critik werden ihm Natur. Wir nehmen nicht ein Beſtre-
ben wahr das aus dem Schooße der Nationalität ohne
fremde Einwirkung hervorgegangen wäre: der deutſche Geiſt
ſucht vielmehr den Boden der ſchon vor Zeiten gegründe-
ten Wiſſenſchaft nun auch ſeinerſeits vollſtändig zu gewin-
nen und an der Arbeit der Jahrhunderte thätigen Antheil
zu nehmen.


Wenn es eben daher rührt daß Latein die ausſchlie-
ßende Sprache der Wiſſenſchaft blieb, ſo ward doch auch
die auf die Mutterſprache angewieſene Bevölkerung von der
Theilnahme an der Bewegung nicht ausgeſchloſſen.


Schon die theologiſchen Flugſchriften, die Predigten, die
[495]Uͤberſetzungen.
immer ſchwerere Fragen in Anregung brachten, nahmen die
Aufmerkſamkeit der Ungelehrten in Anſpruch.


Ein großer Theil der alten Literatur ward ihnen in
deutſchen Überſetzungen zugänglich gemacht: es iſt bezeich-
nend was man überſetzte, was man bei Seite ließ. Man
nahm z. B. die Aeneide, die Metamorphoſen, nicht Horaz,
noch Catull: es war hauptſächlich der Stoff, den man ſich
anzueignen ſuchte. Man beſchäftigte ſich viel mit Terenz, ſei-
nes lehrreichen Inhalts wegen, der gleich auf dem Titel ge-
rühmt ward, wenig mit Plautus; man überſetzte nicht die
Reden Ciceros, ſondern ſeine populären philoſophiſchen Schrif-
ten. Am ſorgfältigſten ſind vielleicht diejenigen Werke be-
arbeitet, die zu unmittelbarem Gebrauch beſtimmt waren.
Vitruvius erſcheint „als ein Schlüſſel aller mathematiſchen
und mechaniſchen Künſte die zu der Architectur gehören, aus
rechtem Grund und ſattem Fundament, ſo daß jeder Kunſt-
begierige einen rechten Verſtand faſſen möge“: einer der ſchön-
ſten Drucke jener Zeit mit trefflichen Holzſchnitten, unter de-
nen auch das Bildniß Albrecht Dürers prangt. 1


Fehlt es auch nicht durchaus an freier Production, ſo
iſt es doch noch mehr die Aneignung, Populariſirung ſchon
vorhandener fremder Stoffe, was auch der deutſchen Lite-
ratur jener Zeit ihren Character giebt.


So recht eigen iſt dieß das Element, in welchem ſich
die umfangreichen Werke des „ſinn- und kunſtreichen, wohl-
erfahrnen“ Meiſter Hans Sachs bewegen.


Einen großen Theil der heiligen Bücher, alten und neuen
Ranke D. Geſch. V. 32
[496]Zehntes Buch. Achtes Capitel.
Teſtamentes, giebt er in Reimen wieder; daran ſchließen ſich
die Hiſtorien von den Märtyrern; dann folgen die weltlichen
Geſchichten, wo denn bei der alten Welt „der griechiſche Weiſe
Herodotus“, oder Juſtin oder Johann Herolt abwechſelnd
als die Gewährsmänner genannt werden, in der neuern die
Chroniſten, die franzöſiſch Chronica, die hochburgundiſch
Chronica; weiter finden ſich die Erzählungen der Volksbücher,
wie vom hörnen Siegfried oder der ſchönen Magelone; die
Sprüche der alten Philoſophen und die Thierfabel fehlen nicht;
zuweilen werden theologiſche Fragen aufgeworfen, wo dann
jeder Theil ſeine Zeugniſſe aufführt, Propheten und Apoſtel
gewiſſermaßen redend erſcheinen.


Indem ſich aber Hans Sachs faſt überall frühern Autoren
anſchließt, weiß er ſich doch ihrer Form zu erwehren. Sein
Verfahren ſteht anderer Poeſie beinahe entgegen. Während
Andere dem überlieferten Stoffe neue Geſtalt zu geben ſuchen,
führt er das Geſtaltete auf den Stoff zurück. Er nimmt zu-
weilen alte Comödien herüber, aber gleichſam auszugsweiſe;
ihm gewinnen hauptſächlich nur die Situationen, ihre Aufein-
anderfolge und das daraus hervorgehende Ergebniß Theilnahme
ab. Seine dramatiſchen Arbeiten ſind höchſt ſonderbar: man
könnte ſagen, ſie entbehren des Dialogs; wenigſtens arbeitet
ſich derſelbe aus der Erzählung nur eben erſt hervor. Und
ſelbſt mit ſeiner Erzählung verhält es ſich oft auf eine ähn-
liche Weiſe: er epitomirt die Volksbücher. Den großen
Inhalt der Literatur, der ihm ſelbſt zu Handen gekommen,
rückt er in einen ſeinen Leſern entſprechenden Geſichtskreis.
Nur da entwickelt er dichteriſche Gaben, wo er ſich ent-
weder in dieſem Kreiſe ſchon bewegt, wie in den Schwän-
[497]Hans Sachs.
ken, 1 oder wo er das Anmuthige, Heitere, Unſchuldig-ſinn-
liche berührt. Die grüne Tiefe der Wälder, die Maien-
luſt der Wieſen, Schönheit und Schmuck der Jung-
frauen weiß er mit unnachahmlicher Anmuth und Zartheit zu
ſchildern. Überhaupt muß man ihm Zeit laſſen und ihm nach-
gehn. Seine Anfänge pflegen proſaiſch und uneben zu ſeyn;
weiterhin wird die Sprache fließender, und die Gedanken tre-
ten mit voller Deutlichkeit hervor; mit treuherziger Einfalt
ſpendet er beſonders die Lehre aus. Es iſt ihm nicht ge-
nug, in ſeinem Garten die ſchönſten und würzigſten Blu-
men gepflanzt zu haben: er will auch kräftige Waſſer, heil-
ſame Säfte daraus abziehen, zur Stärkung der Geiſtig-ſchwa-
chen. Religiöſe Überzeugung und moraliſche Abſicht ſind
aber in ihm eins und daſſelbe. Mögen die Theologen über
einzelne Puncte noch hadern: ihn berühren dieſe Streitigkei-
ten nicht: er hat eine ſichere Weltanſchauung gewonnen, die
alles umfaßt, der ſich alles was in ſein Bereich kommt,
von ſelbſt unterwirft. Er hat Gefühl für den Reiz der ir-
diſchen Dinge, und oft beſchäftigt ihn die Vergänglichkeit
derſelben; man ſieht wohl, daß dieſer Gegenſatz inneren Ein-
druck auf ihn hervorbringt: aber er hat dafür einen ewi-
gen Troſt ergriffen, an dem ihm nichts irre machen kann.


Dieſe Bildung, die doch auch von ihrem Standpunct
aus die Welt umfaßt, und dieſe Geſinnung flößen uns Hoch-
achtung gegen den damaligen Stand der deutſchen Handwerker
ein, aus dem ſie hervorgieng. An vielen Orten wo von je-
her die Poeſie geblüht, fand man noch Meiſterſänger. Um
Hans Sachs hatten ſich deren, wie man ſagt, über zweihun-
32*
[498]Zehntes Buch. Achtes Capitel.
dert in Nürnberg geſammelt und noch oft hielten ſie ihre
Singſchule zu St. Catharina. Sie wiederholten gern die
Sage ihrer Altvordern, wie ihre Geſellſchaft einſt bei ih-
rem Urſprung von allem Verdacht der Ketzerei freigeſprochen,
und von Kaiſer und Papſt beſtätigt worden ſey; 1 wenn
dann aber das Hauptſingen begann, welches immer ſchrift-
mäßig ſeyn mußte, hatte der Vorderſte der Merker die lu-
theriſche Bibel vor ſich, und gab Acht, ob das Lied, wie mit
dem Inhalt des Textes, ſo auch mit den reinen Worten de-
ren ſich Doctor Luther bedient hat, übereinſtimmte. 2


Von den künſtleriſchen und poetiſchen Hervorbringungen
dieſer Zeit haben wohl diejenigen überhaupt den meiſten Werth,
welche die religiöſe Geſinnung ausſprechen. Das Kirchenlied,
deſſen Urſprung wir berührten, bildete ſich von Jahr zu Jahr
mannichfaltiger und eigenthümlicher aus; es vereinigt die
Einfalt der Wahrheit mit dem Schwung und der Tiefe des
auffaſſenden Gemüthes; es iſt zugleich von dem Gefühle des
Kampfes, deſſen verſchiedene Epochen ſich darin ausgedrückt
haben und der Gewißheit des Sieges durchdrungen: es iſt oft
wie ein Kriegsgeſang gegen den noch immer drohenden Feind.
Und mit dem Liede iſt zugleich die Melodie hervorgegangen,
häufig ohne daß man ſagen könnte wie das geſchehen iſt. Nur
geringe Anfänge enthalten die erſten Liederbücher von 1524;
im Jahre 1545 erſcheinen ſchon 98 Melodien, im Jahre 1573,
denn mit der Zeit wuchs auch die Gabe, 165. Bibliſche
[499]Kirchenlied.
Texte hatten eine beſondere Kraft die Muſiker anzuregen:
zu dem Magnificat finden ſich vier verſchiedene Weiſen, alle
gleich trefflich. Und hieran knüpfte ſich die kunſtgerechte
Ausbildung des Chorals. Das Unächte und Überladene,
das ſich der frühern Muſik beigeſellt hatte, ward ausgeſto-
ßen: man bemühte ſich nur die Grundtonart ſtreng und har-
moniſch zu entfalten; 1 die evangeliſche Geſinnung gewann
im Reich der Töne Ausdruck und Darſtellung.


Gewiß ſchloß man ſich auch hier an das Vorhandene
an: es hat Kirchenlieder vor Luther gegeben, die neue Mu-
ſik gründete ſich auf die alten Geſänge der lateiniſchen Kirche;
aber alles athmete doch einen neuen Geiſt. So beruhte ſei-
nerſeits auch der gregorianiſche Geſang auf den Grundſätzen
der antiken Kunſtübung.


Eben darin liegt die Eigenthümlichkeit der ganzen Be-
wegung, daß ſie das Conventionelle, Abgeſtorbene, oder doch
nicht zu weiterem Leben zu Entwickelnde von ſich ſtieß, und
dagegen die lebensfähigen Momente der überlieferten Cultur
unter dem Anhauch eines friſchen Geiſtes, der nach wirklicher
Erkenntniß ſtrebte, zu weiterer Entfaltung brachte.


Dadurch ward ſie ſelbſt ein weſentliches Glied des uni-
verſalhiſtoriſchen Fortſchrittes, der die Jahrhunderte und Na-
tionen mit einander verbindet.


In keiner andern Nation wäre dieß ſo bedeutend ge-
weſen wie in der deutſchen.


Die romaniſchen Völker beruhten doch noch, der Haupt-
ſache nach, auf den Stämmen, von denen die Herrlichkeit des
Alterthums ausgegangen: in Italien ſah man die alte Welt
[500]Zehntes Buch. Achtes Capitel.
wohl als die eigene nationale Vorzeit an: — daß ein urſprüng-
lich verſchiedener Geiſt, der germaniſche, an der Erneuerung der
alten Cultur lebendigen Antheil nahm, nicht allein lernend,
ſich aneignend, ſondern mithervorbringend, und zwar im
Reiche der poſitiven Wiſſenſchaften, die von nun an unauf-
hörlich fortſchritten, trug erſt recht dazu bei, ſie zu einem Ge-
meingut der Menſchheit zu machen.


Wie dadurch eigentlich erſt ausgeführt wurde was Carl
der Große bei ſeinen ſcholaſtiſchen Gründungen beabſichtigt
hatte, ſo war auch dieſer Standpunct wieder nur eine Stufe.


Es bedurfte noch geraumer Zeit, ehe die erwachten Ideen
ſich durcharbeiten, bewähren konnten: — auf Copernicus
mußte erſt Kepler folgen; — die Einwirkungen der mitſtreben-
den Nationen der europäiſchen Gemeinſchaft mußten erſt wo
ſie fördernd waren aufgenommen, wo aber das Gegentheil,
was doch auch geſchah, überwunden werden. Die Wiſſen-
ſchaften waren noch zu ſtreng an den Gebrauch der lateini-
ſchen Sprache gebunden, als daß der Geiſt der Nationen
neuerer Zeit ſich mit voller Freiheit darin hätte bewegen
können. Die Tiefe und Urſprünglichkeit der eigenthümlich
germaniſchen Anſchauungen war gleichſam zu ſtark zurück-
gedrängt. Es iſt eine Zeit gekommen, wo der deutſche Geiſt
das Alterthum noch lebendiger begriffen hat, dem Geheimniß
der Natur noch einen Schritt näher getreten und zugleich zu
eigner und doch allgemein gültiger Darſtellung gelangt iſt.


Dazu gehörte aber freilich — denn auch der wiſſen-
ſchaftliche Fortſchritt beruht auf dem langſam reifenden all-
gemeinen Leben — eine Entwickelung der politiſchen Verhält-
niſſe, die es möglich machte.


[501]Schluß.

Und für dieſe ſtanden, trotz alle dem was bereits er-
reicht war, noch die ſchwerſten Kämpfe bevor.


So viel hatte Carl V doch bewirkt, daß ſich der pro-
teſtantiſche Geiſt nicht der ganzen deutſchen Nation und ihrer
großen Inſtitute bemächtigen konnte.


Bald nach ihm aber trat in der alten Kirche ſelbſt eine
Umwandlung in Leben und Verfaſſung ein, die ihr neue Ener-
gie verlieh: in Kurzem warf ſie ſich dem noch immer vor-
dringenden proteſtantiſchen Elemente mit ganz andern Kräf-
ten entgegen als bisher. Auf das Zeitalter der Reforma-
tion folgte das der Gegenreformationen.


Es gelang dem Papſtthum zuerſt, in den Ländern ſei-
nes Urſprungs und ſeiner älteſten Herrſchaft alle entgegen-
geſetzten Regungen zu erſticken, alsdann auch in Deutſchland
vorzudringen, und die Landſchaften die keine proteſtanti-
ſchen Obrigkeiten hatten, ſich wieder vollkommen anzueig-
nen; der Widerſtand, auf den es hiebei an einer oder der
andern Stelle doch ſtieß, gab ihm Anlaß, endlich nochmals
zu den Waffen zu greifen; durch eine Verflechtung politi-
ſcher und religiöſer Verhältniſſe, die es zu keiner Vereinigung
unter den Proteſtanten kommen ließ, gewann es den Sieg;
ſeine Heerſchaaren überflutheten die Länder, aus denen der
Proteſtantismus hervorgegangen; der Gedanke an eine all-
gemeine Herbeibringung konnte ſich noch einmal regen.


Dahin freilich kam es nicht daß er auch ausgeführt
worden wäre; allein es mußte in einem wilden und verwil-
dernden Kriege, der die gewonnene Cultur zum Theil wirk-
lich zerſtörte, dagegen gekämpft werden; und als man endlich
den Religionsfrieden erneuern und auf die alten Grundla-
[502]Zehntes Buch. Achtes Capitel.
gen der Verfaſſung zurückkommen wollte, war die Selbſtän-
digkeit der Nation durch eine von beiden Seiten angerufene
und alsdann nicht wieder ſo bald zu beſeitigende Theilnahme
auswärtiger Mächte gefährdet.


Wie viel Mühe und lange andauernden Kampf hat es
gekoſtet, in Epochen voll wechſelnden Glückes und neuer Ge-
fahren den fremden Einfluß abzuwehren! wir müſſen ſagen,
erſt in der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts war es ei-
nigermaßen geſchehen.


Eher aber konnten die urſprünglichen Beſtrebungen, welche
das Zeitalter das wir betrachtet haben, erfüllten, nicht in vol-
ler Freiheit und Kraft wieder aufgenommen werden. Sie
zielten dahin, an den lebendigen Momenten der allgemeinen
und nationalen Geſchichte feſthaltend, eine allſeitige und un-
abhängige Entwickelung der Nation hervorzubringen; ſie ver-
knüpfen die Anfänge unſerer Geſchichte mit ihrer fernſten
Zukunft.


Appendix A

Gedruckt bei A. W. Schade.


[][][]
Notes
1.
Mendoza an den Kaiſer 26 Mai. Ha sido necesario ha-
blar a Farnesio, para que alli (a Bologna) no hiziesse algun acto,
y asegurarme primero con la palabra del papa diziendo que de
otra maniera yo haria el protesto.
2.
Mendoza an den Kaiſer 27 Aug., 2 Sept., 10 Sept.
3.
Bericht von Sfondrato. Pallavicini X, iii.
1.
Unter den Schriften welche Saſtrow in die Haͤnde bekom-
1.
Instructione al Cl de Trento 9 Nov. 1547. Lo substan-
tial sara avisar a S. Sd con quanto trabajo y cuidado nostro se
ha procurado que todos los estados de la Germania, assi electo-
res principes ecclesiasticos y seglares como las cibdades, se so-
mettiessen (como han hecho) al concilio ya inditto e celebrado
y que se celebre en Trento.
1.
men und ſeiner Lebensbeſchreibung einverleibt hat, fehlt das erſte Gut-
achten des Churfuͤrſtenrathes. Das was voranſteht (II, 112) iſt der
Zeit nach ſpaͤter als das ihm folgende fuͤrſtliche.
1.
„Ob auch im vhall von etlichen ſtreitigen Artikeln im Con-
cilio zu Triendt geredt oder beſchloſſen worden waͤre, welches doch nit
vor Augen, das dennoch nichtsdeſteminder dieſelbigen Artikel wiederum
fuͤr hand genommen und die proteſtirenden genugſamlich darauf ver-
hort und von inen gute rechenſchaft irer lere und glauben vernom-
men werde.“
1.
Staͤdtiſches Gutachten bei Saſtrow 143.
2.
Wie ſich Sfondrato beſchwert, Pallav. X, vi, 121.
1.
para dia certo e señalado con el mas breve termine que
ser pudiere.
(Worte der Inſtruction.)
1.
Details aus einer merkwuͤrdigen Vertheidigungsſchrift der
Verſchwornen. Supplica delli conti Agostino Landi, Giov. An-
gosciola, Alessandro e Camillo fratelli de Pallavicini, — nella
quale allegano le cagioni che gli indussero a conspirar contra
P. L. Farnese. (Inform. politt. IV.)
2.
V. Eccel. puo esser certa che D. Ferrante sapeva quel
che s’ordinava a Piacenza.
3.
Avvertimenti al Da di Terranuova: Inf. politt. XII.
1.
„que hara lo que pudiere y se ajutara con el diablo.“
(Mendoza 20 Sept)
1.
Schreiben des Cardinal de Monte an den Papſt, Bologna
20 Dec. 1547. Am 19ten war die Congregation gehalten, in wel-
cher die Beſchluͤſſe gefaßt worden ſind.
2.
Vedendo il Cle che con tutto il negotio che si è pos-
suto fare non s’havea altra resolutione, pigliò da S. Sà licentia.
(Rel. del Cl di Trento.)
1.
Datirt Augsburg 27 Aug., man ſieht vorlaͤufig.
1.
Actenſtuͤcke bei Rainaldus Tom. XXI, p. 373.
1.
Dem Herzog Ulrich ſagten die kaiſerlichen Abgeordneten,
1.
Relation was Caſpar v. Kaltentall mit den Stennden des
frenkiſchen Krays der Hilff und des tags zu Ulm ausgericht. (Arch.
zu Berlin.)
2.
Actenſtuͤcke im Berl. Archiv. (Vgl. den Anhang.)
1.
ſein Beitritt wuͤrde der Heilbronner Abkunft gemaͤß ſeyn. Sattler
III, 258.
1.
Inſtruction von Ulm. „Dieweil menigklich unverporgen, woͤl-
chermaßen der Kayſ. und Kon. Mt Erb und andere lender taglichs
von frembden Potentaten angefochten werden;“ ‒ ‒ Kſ. Mt ſey von
den Staͤnden zu bitten „von dieſem Iren beſchwerlichen Vorhaben
allergnedigſt abzuſteen.“
1.
Aus dem Concept zu einem undatirten, jedoch fruͤheren Schrei-
ben Joachims an Moritz: „Weil — wie E. Chf. Gn. erachten, dieſer
bund hier dieſen landen wenig nutzlich oder furtreglich, ſondern allein
zu untreglichen koſten gereichen wolt, ‒ ‒ bittet Chf. freundlich, ſ.
Chf. Gn. wolten die Unterrede und damals Ir Chf. Gn. Anzeigen
ingedenk ſeyn, ſich in dieſe Buͤndniß nit bereden laſſen, noch dieſelb
annemen, ‒ ‒ mit ferrer einfuͤrung das unſer alte beſchworne Erbeini-
gung dadurch abgethan werden wolt.“
2.
Rethe zu Torgau an den Churfuͤrſten zu Sachſen. (Dresd
Archiv.)
1.
Im Protocoll des Churfuͤrſtenrathes kann man die Sache
bis zum 31 Jan. verfolgen; im Schererſchen Auszug bei Fels heißt
es: „aber es iſt letzlich alle ſolche Handlung in ihr ſelbſt erſitzen und
den Staͤtten ferner nichts deshalb vorbracht.“ (Fels I, 211.)
1.
In den Acten findet ſich undatirt der Entwurf der Churfuͤr-
ſten und die Antwort des Fuͤrſtenraths, die Eingabe an den Kaiſer.
2.
Harpprecht hat die meiſten zwiſchen Kaiſer und Staͤnden
gewechſelten Schriften mitgetheilt. Von denen die er vermißte, fin-
den ſich mehrere in den von mir benutzten Archiven, namentlich dem
2.
Berliner: z. B. Bedenken, welche Articul aus der Cammergerichts-
ordnung in den Landfrieden gezogen und geſetzt werden ſollen, 14 Dec.
1547; — Bedenken uͤber den erſten Theil der Kammergerichtsord-
nung 14 Januar 1548; — des Ausſchuß Relation uͤber das ander
Theil der Kammergerichtsordnung. „Darin haben berurte Docto-
res aus allen des Reichs Abſcheiden und Conſtitutionen, desgleichen
aus dem Landfrieden ſo auf dieſen itzigen Reichstag ‒ ‒ gebeſſert ‒ ‒
alle vhelle und ſachen, darin dem kayſ. Kammergericht Gerichtszwang
zugeſtellt und gegeben, zu hauf getragen und verfaßt; dieſelbigen vhelle
und ſachen, das mehrer theil mit iren umbſtenden und zugehorungen,
derwegen ſie jederzeit den Abſcheiden einverleibt, ſo vil von notten,
in die Ordnung gezogen.“ — Sie haben dieſen Theil in zwei Ab-
theilungen geſondert, 1) perſonen und ſachen dem reich ane mittel,
2) perſonen und ſachen dem reich nit ane mittel untterworffen. „Wel-
chen zweien Stuͤcken die deputirten Doctores hin und wider new Ad-
dition und zuſetz, und volgends dem darzu verordenten Ausſchuß re-
lation, warumb ſolche newe zuſetz von inen fuͤr nuͤtzlich eracht, be-
richt gethan haben. Demnach hat der Ausſchuß nit umbgehn ſollen
oder wollen, ein jeden punct nach dem andern an die hand zu neh-
men, was darin befund den alten Abſcheiden gemeß, keine enderung
zu thun, ſo viel aber bei der Deputirten neuen zuſetzen vom Aus-
ſchuß ſemmtl. fuͤr annehmlich geacht, ſolches iſt mit B ſigniret.“ (Die
Zuſaͤtze der Deputirten ſelbſt mit A.)
1.
Schreiben des Frankfurter Geſandten Daniel zum Jungen
17 April. (Fr. A.)
1.
Instruction pour Messire Viglius de Zuichem de ce qu’il
aura a faire en la presente diete imperiale de Augsbourg a l’en-
droit des affaires des pays pardeça. „L’occasion pour radresser
les dits affaires est a present meilleur qu’elle ne fut oncque pour
le bon et heureux succès de S. Mé imple.“
(Arch zu Bruͤſſel.)
1.
A été advisé de trouver quelque expedient et bon moien,
pour l’asseurance dudit pays, de les allier avec led. empire tant
par ligue offensive que defensive envers et contre tous, moyen-
nant que l’on le pourroit faire sans prejudicier lesd. pays et leurs
libertés et priviléges et sans les assujettir and. empire.
1.
„So ſeint auch ſonſt der mehrertheil der niderlandt in dem
lottringiſchen reich, ſo dem lottario zwuſchen Frankreich und Germa-
nien gelegen, fuͤr ein ſonder reich in der Theilung Caroli Magni
enikel zugetheilt worden, und erbsweiß auff ir keyſ. Mt und deren
vorfaren von denſelbigen herkommen, welches eine ſondere Provinz,
welches von allen Jurisdictionen und Appellationen je und allwegen
uͤber unverdechtliche Zeit frei und exemt geweſen.“ — —
1.
In dem Berliner Archiv finden ſich außer den Acten uͤber
die Anſchlaͤge folgende Stuͤcke in Bezug auf Burgund. 1) Kaiſer-
liche Reſolution uf der Chf. FF. und Stend Bedenken der Anſchleg
halben des burgundiſchen Kreiſes, 28 Maͤrz; 2) der Churfuͤrſten,
Fuͤrſten und Stende Antwort, 12 April; 3) Kaiſerl. Mt andere Re-
ſolvirung, 27 April; 4) der Staͤnde Antwort, o. D.; 5) Kaiſ. Mt
Replic, 14 Maji; 6) Antwort der Staͤnde 20 Mai, falſch bezeich-
net als vom 20 Juni; 7) Neue kaiſ. Erklaͤrung 28 Mai; 8) Notel
des Buͤndniſſes 23 Juni.
1.
Kaiſ. Mt Propoſition und begeren etlich Geld im Reich zum
Vorrath zu erlegen. Actum am Pfingſtabend 20 Mai 1548. (Berl.
Archiv.)
1.
Votum von Brandenburg. „Kan nit erachten das die kſ.
Mt darumb beweget werden ſolt in dem das unmoͤglich; were beſſer
die urſachen jetzo anzuzeigen, denn das man zuſagen ſolt und nit lei-
ſten; das h. Reich ſtehe jetzt in ruiglichem weſen, obgleich was ent-
ſtund, ſeyen die kaiſ. Mt alſo gefaßt daſſelbig zu hindern; ‒ ‒ wann
ſolchs fuͤglich mit erzellung des unvermogens kaiſerlicher Mt fuͤrge-
tragen wirdet, wird es kſ. Mt zu keinen ungnaden bewegen.“ (Pro-
tocoll im Berl. Arch.)
1.
Bedenken des Ausſchuſſes 28 Mai; Antwort der Staͤnde
5 Juni; Kaiſerl. Reſolution 6 Juni; der Staͤnde letzte Antwort
10 Juni.
1.
Reimar Kock Luͤbeckſche Chronik: Den 24 Febr. hefft Hartch
Moritz tho Außborch mercedem iniquitatis, ik wolte ſeggen de Herl-
chet ‒ ‒ duth, hefft de gode alde Coͤrforſte angeſehen und gelachet,
dat me mit untruw ſodane herrlchet voͤrdenen ſhal und kann.
1.
„Zu dem allen iſt nit ein kleiner zweiffel, dieweyl die Orde-
nung der Churfuͤrſten von dem bepſtl. Stul erſtlich geſetzt, ob in Koͤ-
nig Carls gewalt geſtanden ſey one bepſtl. Heil. bewilligung und vor-
wiſſen inn ſachen die chur betreffende etwas news zu verordnen und
zu ſetzen.“ Herzog Wilhelms von Baiern Gegenbericht 22 Mar-
tii 1548.
1.
Sattler III, 269.
2.
Arnoldi Geſch. von Naſſau III, 1, 130. Saſtrow II, 563.
1.
Petit rex serenissimus odiosam illam proscriptionem ab-
rogari, evelli et eradicari. Oratio Stanislai Laski ap. Dogiel
Cod. dipl. Poloniae IV,
318.
1.
Protocoll bei Bucholtz IX, 447.
2.
Disp. fiorentino 19 Nov. 1547: Il confessore et altri theo-
logi sono in oppenione che si rimetta in Alemagna il culto di-
vino, creda ogn’uno cio che vuole, restituischinsi i beni eccle-
siastici et tolgasi via la predicatione luterana, fomento di tutte
eresie.
1.
Il semble chose dangereuse, s’en arreter simplement sur
la determination dudit concil general.
Bucholtz IX, 407.
1.
Vgl. Formula sacrorum emendandorum a Julio Pflugio
proposita, ed. Gottfr. Müller, Praef. XIII.
1.
Julius Pflug: Aus was guten und loblichen Bewegnuſſen
1.
die Kaiſ. Mt verurſacht worden ihre Declaration in Religion ſachen
dermaßen wie zw Augsburg auf juͤngſt gehaltenem Reichstage ge-
ſchehen, vorzunehmen und zu publiciren. Abgedruckt in Tzſchirners
und Staͤudlins kirchengeſch. Archiv Bd IV. Daß damit Pflug nur
ſeinen Entwurf meine, wie der Herausgeber Muͤller annimmt, nicht
das publicirte Interim, widerſpricht dem Titel geradezu und iſt uͤber-
haupt eine Chimaͤre. Jenes Motiv wird p. 115 auseinandergeſetzt.
1.
Pflug: „Da man ſich einer ſolchen wohlgegruͤndten und ſchein-
barlichen Erklaͤrung von der Meſſe vor 30 Jahren haͤtte vergleichen
koͤnnen, wuͤrde die Kirche ohne Zweifel ſolcher Meſſe halben in die
beſchwerliche Verbitterung und Weiterung nit gefallen ſeyn.“
1.
In dem Berliner Archiv findet ſich ein Aufſatz zur Verthei-
1.
digung des Interims, worin es heißt: Luther habe dreierlei gewollt:
1) quod Pontifex Romanus non sit caput ecclesiae, sed Chri-
stus; 2) missam non esse sacrificium ex opere operato, quae
possit applicari pro vivis et mortuis; 3) cerimonias debere esse
liberas et adiaphoras. ‒ ‒ Jam,
heißt es weiter, in hoc scripto
omnia haec tolluntur: conceditur, Romanum pontificem esse pri-
mum quidem episcopum propter tollenda schismata, ‒ ‒ et alios
episcopos esse simili modo episcopos ut ipse jure divino, et eis
esse commissam a Christo administrationem suarum ecclesiarum
jure divino; 2) missam non esse sacrificium ex opere operato,
sed sacrificium commemorativum etc. etc.
1.
„Iſt endlich dahin gehandelt, dieweil ſich mein gnaͤdigſter
Herr ane ſ. ch. G. Landſchaft Rat nicht hat entſchließen koͤnnen, wue
gemeine Stende durchaus das geſtelte Interim annhemen worden,
das im Reichsrathe m. gn. Herre keine zerruttung machen, Sondern
vor ſein Suffragium ſagen mochte, es were ſ. ch. Gn. nicht zu thuen
ſich ſeiner unterthanen zu mechtigen, ſ. ch. Gn. aber konnten wol er-
achten, was alle andern Chff. FF. und Stende ſchloͤſſen, das ſ. ch.
Gn. daſſelbige weder endern noch wenden konten. Das iſt alſo der
kayſ. Mt durch die koͤn. Mt angezeigt, die ſeint dorann zu frieden ge-
weſt.“ Protocoll im Dresdner Archiv uͤber die Verhandlungen mit
den beiden Churfuͤrſten am 17, 19, 20, und mit dem Kaiſer am
Palmabend, 24 Maͤrz.
1.
Ein ſolches Schreiben aus der Sammlung von Arrodenius
bei Sugenheim p. 37.
1.
Instructio Clis Bellaji super rebus concilii. MS St. Germ.
Paris 140, 1. Ubi convenient legati ubi Caesar non sit, erit ma-
jor libertas.
Vgl. ſ. Schreiben vom 31 Mai.
2.
Responsum Pauli III datum „cuidam praepotenti Ger-
maniae duci“,
der ſehr deutlich als der Herzog von Baiern bezeichnet
wird: es wird an die Forderung erinnert die von eben dort an Pius IV
ergangen. Ohne Zweifel ſind die Antworten vor der Bekanntmachung
des Interim geſchehen, weil davon die Rede iſt daß es in den Lan-
den des Herzogs eingefuͤhrt werden ſollte, was ſpaͤterhin nicht noͤ-
thig war.
1.
Der Fuͤrſten und verordenten Stend Bedenken auf das In-
terim, bei Saſtrow II, 327, jedoch unvollſtaͤndig.
2.
Bucholtz VI, 236. Daniel zum Jungen an Frankfurt 23
April: „Kſ. Mt iſt ſolch ires Bedenkens ganz ubel zufrieden geweſt,
und ſie weidlich erputzet, mit Vermeldung daß J. Mt inen die Ar-
tikel nit haben zuſtellen laſſen daß ſie ir Gutbedunken daruͤber an-
zeigen ſolten, ſondern daß ſie es inen wie es geſtellt, gefallen laſſen
ſollten.“
1.
In der Inſtruction des Churfuͤrſten von Brandenburg zum
Reichstag von 1550 heißt es: „Und wann es nochmalen dahin konnt
gehandelt werden, wie es denn auch von anfang und (in) allen Hand-
1.
Am 2ten Mai gieng die erſte Antwort der Legaten des Con-
1.
lungen nit anders gemeinet noch von uns und andern ſtenden ver-
ſtanden worden, allein daß die kaiſ. Mt hernach ohne jemands vor-
wiſſen in der Vorrede ein anders eingefuͤrt, daß die ſo der alten re-
ligion ſeyn daſſelbige ſo wol als die welche der augsb. Confeſſion,
annehmen und halten wollten, ſo waͤre daſſelbe unſers Erachtens nicht
auszuſchlagen, denn wir erhielten ja die vornehmſte Punct unſer chriſi-
lichen Religion, den Articul von der rechtfertigung, den rechten Brauch
der Sacramente, die Prieſterehe, ‒ ‒ nemen inen auch den Canon aus
der meß.“
1.
cils auf das Interim ab (Rainaldus XXI, 397, nr 51); davon haͤtte
der Nuntius, der den 11ten Mai in Augsburg ankam, allenfalls auf
dem Wege Notiz bekommen koͤnnen. Ihre ausfuͤhrlichere Erklaͤrung
war aber erſt vom 12ten.
1.
Valde nobis probatur, quod de celebrandis synodis dioe-
cesanis ad festum divi Martini proximum constituistis. Caroli V
Reformatio ecclesiastica,
unter andern bei Goldaſt Constit. III, 325.
1.
Am 19ten Juni langte der kaiſerliche Geſandte in Nuͤrnberg
an, am 22ſten wußte man ſchon daß die Stadt ſich unterwerfe.
2.
Gruͤndliche und ordentliche beſchreibung der ‒ ‒ Handlungen
in der Stadt Augspurg ‒ ‒ 1548 und an den folgenden Reichs-
tagen. MS der koͤn. Bibliothek zu Dresden.
3.
Gemeiner, p. 231.
1.
Bericht des Frankfurter Geſandten Humbrecht in der Samm-
lung kaiſerlicher Briefe im Frankf. Archiv.
1.
Roͤhrich II, 196.
1.
Von den 33 alten Geſchlechtern waren im Jahr 1538 nur
noch 8 uͤbrig, 2 Haͤuſer Langenmantel, Ravenſpurger, Rehlinger, Wel-
ſer, Hofmeier, Ilſung, Hoͤrwart.
2.
Wie Kaiſer Carol der V ainen cleinen und großen rath zu
Augsburg entſetzt geurlaubt, einen neuen Rath und Gericht geordent,
2.
in der gruͤndlichen und ordentlichen beſchreibung — — 43. Die Taxe
fuͤr die Confirmation des neuen Regiments betrug 1200 G. on das
Sigel und Canzleygelt.
1.
Auf Fuͤrbitte der Stadt antwortet Arras dem Ulmiſchen Ge-
ſandten Marchtaler: „daß ſie ſich in irer antwurt ſo uͤbel gehalten,
das ſie nit werd weren, das ſich die von Ulm jrer annemen.“ (March-
taler I Sept. 1548.)
1.
Eins der merkwuͤrdigſten Pſeudonymen: „Joanne Witlingio
autore.“
2.
Adami Vitae theologorum.
1.
Bucerus Calvino 9 Jan. 7 Febr., in Epistolis Calvini
nr.
96 (ein vortrefflicher Brief) und nr. 98.
2.
Ein Auszug dieſer Predigt findet ſich in der ſchwaͤbiſchen
Chronik des Martin Cruſius, der ſie hoͤrte, II, 274.
1.
Lang II, 209. 212. Bucholtz VI, 329.
2.
Leuthinger Commentarii 219. 228.
3.
Grave et hoc est quod nobis tribuitur, fuisse et esse
nos autores schismatum et novitatis, cum partis adversae recens
excogitatis et in ecclesiam inveclis doctrinae corruptelis et ab-
3.
usibus cerimoniarum rejectis et repudiatis redierimus ad primam
et veterem catholicae ecclesiae doctrinam et traditiones.
1.
Der von Magdeburg Entſchuldigung, bit und gemeine chriſt-
liche Erinnerung 1549.
1.
Dem Markgr. Hans laͤßt Koͤn. Ferdinand Dienſt. nach Trin.
ſagen: „J. Koͤnigl. Mt wolle J. f. Gn. unangezeigt nicht laſſen, daß
Herzogk Moritz das Interim vor ſein perſon angenommen, ſich auch
dabeneben erboten, hoͤchſten und muglichen Fleiß anzuwenden ſeine
Landſchaft dahin zu bereden, daß ſie ſolches auch annehmen ſolte.“
2.
Marillac 19 Sept. Vgl. ſpaͤteres Schreiben bei Ribier II, 218.
1.
„als ich bedacht habe, daß die Perſonen wie wir viel Jahr
beiſammen geweſen, zu Pflanzung loͤblicher Kuͤnſten und chriſtlicher Lehr
nuͤtzlich gedient haben.“ An Mkg. Joachim, Corp. Ref. VI, 734.
1.
28 April 1548. Corp. Ref. VI, p. 879.
1.
Adfirmamus igitur falsum esse et mendacium horribile
quod dicunt adversarii, dubitandum esse an habeas remissionem
peccatorum,
was gegen den § 8 des Interim gerichtet iſt. In dem
deutſchen Exemplar heißt es ſchon milder: „Und iſt dieſe Rede nicht
recht daß man zweifeln ſoll.“ Aber in der Pegauiſchen Schrift
fehlt es ganz.
1.
In der alten Redaction heißt es: Etsi igitur inchoari obe-
dientiam oportet, tamen non est cogitandum hominem habere re-
missionem;
in der nenen: Etiamsi nova obedientia inchoata est
et justitia infusa in homine, non tamen cogitandum est quod pro-
pter eam persona habeat remissionem.
Es iſt auffallend daß ſie
es nichts deſto minder nennen „Caput ex formula Mysnica de-
scriptum.“
2.
Epistola Pflugii ad Georgium Anhaldiae principem 14 Cal.
1.
Entſchuldigung Matthiaͤ Flacii an die Univerſitaͤt zu Wit-
tenberg Bog. 2, III.
2.
Eber an Melanchthon 16 Nov. Corp. Ref. VII, 194.
2.
Oct. 1548. Cum de doctrina de ecclesia ejusque autoritate et
potestate, de sacramentis denique jam conveniat inter nos, et ea
probemus quae a Caesaris consilio atque voluntate Christiana
aliena non sunt.
1.
Schreiben vom 19 Nov. Das deutſche Original: „wird
ſchwer ſeyn bei dem Volk dieſe beſchwerliche Rede zu ſtillen,“ waͤre
dunkel, wenn es nicht durch die lateiniſche Faſſung erklaͤrt wuͤrde,
AA. Synodica X, x, 4: Consideretis ipsi, quam non difficiles se
pastores exhibuerint, ‒ ‒ sed potius faciles, neglectis iniquis ju-
diciis et obtrectationibus, quas secuturas esse intelligunt et ut
reprimantur difficile esse futurum.
1.
Schreiben der Biſchoͤfe in Weller Altes aus allen Theilen
der Geſchichte Bd I, p. 607, wie denn die auf die Religion bezuͤg-
lichen Acten dieſer Landtage dort uͤberhaupt zuerſt mitgetheilt ſind.
Aus einer andern Handſchrift finden ſie ſich jetzt im Corp. Ref. VII,
254 ff.; mit einigen Zuſaͤtzen, die ſich auf den magdeburgiſchen
Krieg und die dem Kaiſer zu leiſtende Geldhuͤlfe beziehen, im Berli-
ner Archiv. Auch in den ſchon bekannt gemachten Stuͤcken zeigen ſich
da einige merkwuͤrdige Varianten: z. B. bei dem Bedenken ber Theo-
logen der Zuſatz „gebuͤhrlichen und ſchuldigen“ Gehorſam, der alſo
nicht ein ſpaͤterer Nachtrag iſt, ſondern dem erſten Entwurfe angehoͤrt.
2.
Joh. Bugenhagen verſichert, er habe ſeinen grauen Kopf
dargeboten, „ehe ich wolt annehmen die laͤſterlichen Pfaffenunction,
Conſecrationen ꝛc.“; noch ward da (zu Leipzig) vorgetragen die
extrema unctio nomine theologorum.“ Voigt, Briefe der
Gelehrten an H. Albrecht p. 93. Melanchthon an Hardenberg 18
Maͤrz 1549 (er will nicht beurtheilt ſeyn „ex pagellis, quibus quac-
dam inserta sunt quae non sunt nostra“). Corp. Ref. VII,
351.
1.
Schreiben Chriſtofs von Karlwitz Torgau 16 Maͤrz (Berl.
Arch.), im Anhang: „Mein gn. H. konte leiden daß es ehe beſcheen,
und heldet embſig darumb an.“ Expositio Ddd „librum agendo-
rum confecerunt ad formulam mandatam, qui perfectus fuit mense
Martio“ aō
49.
1.
Schreiben von Pfeffinger, Ziegler und Aleſius an die fraͤn-
kiſchen Prediger Lipsiae XIII Cal. Febr. 1549. Quarto est illud
quidem durum ac grave, id accipi quod religio et pietas conscien-
tiae refutat. Sed si accipi tali sensu et intellectu jubetur qui
non est veritati contrarius, feratur et haec molestia. ‒ ‒ Vestrae
conscientiae si sunt integrae et bonae, quod non vestrae gloriae
aut fortunarum aut etiam vitae causa, sed ecclesiarum respectu
et propter ministerium evangelii hoc jugum subieritis et istam
servitutem perpetiamini, permittatis filio dei Jesu Christo salva-
tori caetera. Quod si aliqui astute hoc agunt, ut ita paulatim
via veritatis obstruatur et reducatur populus in veteres errores,
vigilare quidem et diligentes esse oportet ‒ ‒ et exspectare auxi-
lium a domino: hic enim illud consilium malum in capita auto-
rum convertet.
Abſchrift im Archiv zu Berlin. Ich bemerke noch
daß das Schreiben Melanchthons „Concionatoribus Francicis“,
das im Corp. Ref. VII, 140 auf den 12 Sept. geſetzt wird, in der
Berliner Abſchrift ausdruͤcklich vom 20ſten Januar datirt iſt: ohne
Zweifel mit Recht.
1.
Epistolae Calvini nr 117. Plures tu unus paululum ce-
dendo querimonias et gemitus excitasti, quam centum mediocres
aperta defectione.
Der Brief iſt mit 1551 bezeichnet, aber wohl
kein andrer als der, deſſen nr 115 Erwaͤhnung geſchieht, alſo vom
Juni 1550.
1.
Hamelmann Hist. renovati evangelii p. 1116.
1.
Chytraͤus Saxonia 488. Desiderium conjunctionis cum
Germanico imperio adversus Turcas et concordiae in religione
ineundae exponit, quam missis ad liberum generale vel nationale
in Germania concilium hominibus suis promovere cupiat.
1.
Die „weltregierenden Brabanter mit ihren ſpitzen Finan-
zen“ ſind ihren Nachbarn ein Gegenſtand des Haſſes. Carl Harſt
an den Herzog von Cleve 21 Aug. 1540. „Unter dem Scheyn das
ſy den Keiſer haben, verhoffen ſie alles unter ir Joch zu bringen.“
1.
Die Kriege mit Frankreich wurden am ſpaniſchen Hof als
bella intestina betrachtet.
1.
Instruction à Simon Renard ambr à la cour de France.
„Il veillera d’assentir s’il se traictera quelque ligue entre eux
(le Pape et le roi) de la quelle il a ja esté pourparlé bien long-
temps et avec quclles conditions elle se fera.
2.
Schreiben Granvellas an Renard uͤber die Antraͤge des Ti-
berio de la Rocha. Pap. d’ét. III, 374.
1.
Aus Herberſteins Moscovia laͤßt es ſich wenigſtens ſchlie-
ßen; die Geſandten verſichern es ausdruͤcklich.
2.
Cragius 303.
1.
Mocenigo raͤth ſeiner Signoria nur, ihm „zuccari confetti,
speciarie“
zu ſchicken. E prudentissimo, destro, piacevole, affabile
molto
‒ ‒
1.
Dieſer Adriano della camera ſpielt in den Berichten der
Geſandten, z. B. der florentiniſchen, immer eine Rolle.
2.
Cose da generar humori, wie Badoero ſagt. Er klagte
einſt gegen Monfalcourt, daß die Speiſen unſchmackhaft bereitet wuͤr-
den; dieſer drohte ihm: di far fare una nuova vivanda di polaggi
et horologi.
Badoero wiederholt freilich nur den Ruf des Hofes,
aber er ſagt unumwunden: è stato nei piaceri venerei di non tem-
perata volontà.
1.
Instruction de Granvelle à Champagny. P. d’ét. III, 94.
1.
Sie raͤth ihm user du tems, jusques aurez moyen et op-
portunité d’en faire autrement.
(Schr. o. D. im Br. A.)
1.
Negotiato di D. Franc. di Toledo per l’acquisto di Piom-
bino: Bibliot. Maglibecchiana
zu Florenz. Granvella ſagt: resur-
gevano come i capi della hydra le riprensioni et advertimenti
della conscienza.
1.
Aus einem Schreiben des Card. Otto, Dillingen 3 Auguſt
1549 (Winter II, p. 151), ergiebt ſich, daß ſeine Indulte nicht allein
den Genuß beider Geſtalt, ſondern auch die Prieſterehe umfaßten.
Welche Schwierigkeiten dieß gemacht, indem dadurch der Unterſchied
zwiſchen Prieſtern und Laien aufgehoben zu werden geſchienen, ſehen
wir aus dem judicium variorum pracsulum, Rainaldus 1548, nr 66
— 72. Ich bemerke daß ſich trotz aller Gelehrſamkeit dieſe Herrn
doch auf die untergeſchobenen Canones apostolici beziehen (nr. 68).
1.
Es lautet nicht ſehr wahrſcheinlich, wenn Verantius wiſſen
will, Julius III habe dem Kaiſer erklaͤrt, uͤber den Ort des Concils
wolle er nicht ſtreiten, „etiamsi illud imperator in Belgio Bruxellae
haberi velit.“ Viennae 29 Aprilis
1550, bei Katona 21, 1041. Aber
der cleviſche Abgeordnete Maſius verſichert: Julius ſage „ausdruͤcklich
er woͤlle das das Concilium einen Fuͤrgangk (habe) es ſey zu Trient
oder wo es kaiſerlicher Maj. gelegen.“
1.
Inſtruction fuͤr die Reichstagsgeſandten im Arch. zu Berlin.
1.
Die Acten des Reichstags in den Archiven zu Frankfurt,
Dresden und Berlin.
1.
Antwort auf die Inſtruction des Papſtes vom 10ten Juni.
Der Kaiſer ſpricht die Beſorgniß aus, daß nichts geſchehen werde,
wenn er vorher den Ruͤcken wende.
2.
Darauf beziehen ſich die Aͤußerungen Koͤnig Ferdinands in
ſeinem Schreiben vom 15 Juli bei Bucholtz IX, 732.
1.
Wilhelm und Ludewig LL. zu Heſſen an unſre gnedigſte
Herrn die Churfuͤrſten zu Sachſen und Brandenburg, Ziegenhain 19
Maji 1549. „Bitten demnach ganz freundlich, E. L. wollen ſich nichts
verhindern laſſen, nochmals an ſeumen an keyſ. hove ſich zu verfu-
gen, den Printzen von Hiſpanien unſern herrn und freundt an der
hant zu behaltten, den biſchoff von Arras, als an dem wir horen vil
gelegen zu ſein, willig zu machen, und ſich gegen Keyſr Mt Printz
Philippſen uf den Fall zu einem Romiſchen konige zu erwelen und
keyſr Mt einen ſtattlichen Reiterdienſt zu thun erbieten, wie E. L. das
hiebevor zu vielmalen durch uns geſchrieben und eroffnet. So glau-
ben wir gewißlich es werde was wirken.“
1.
Schreiben der Koͤnigin 1 Mai 1550. Vous auriez satisfet
a l’obligation de rendre a S. Mé le bien qu’il vous a fait de vous
avoir preferé a son propre fils en ladite dignité, par etre cause
de l’avoir rendu au sien en le preferant au votre, lequel nean-
moins demoroit avec plus de commandement a l’empire que led.
Sr Prince, voiant que peu il porroit etre audit empire.
2.
hors cela, hors ledit article, qui n’est a propos. Bei
Bucholtz IX, 732.
1.
Schreiben Granvellas 25 Auguſt, im Anhang. Bei der
Sammlung der Pap. d’ét. haͤtte man ſich nicht ſo ausſchließend an
die Beſançonſchen Papiere halten, ſondern Wien und beſonders Bruͤſ-
ſel conſultiren ſollen.
1.
Lettere dell’arcivescovo Sipontino. Inff polit. Dispacci
fiorentini.
2.
Acte d’accord passé entre Ferdinand roi des Romains
et le prince Philippe des Espaigns, le 9 mars 1551 st. d. R.

Im Anhang.
1.
S’il advenait, que dieu ne veuille, que duvivant dud.
Se Empereur le concile indiqué ne s’acheva ou qu’il n’eut la fin
qu’on pretend e desire pour le remede de la ste foy et religion,
en ce cas led. sieur prince a promis e promet d’assister pour le
bon effet icelui Sr roi.
1.
Inſtruction, ſchon durch Schmidt und Bucholtz ziemlich be-
kannt. Die Urſchrift im 12ten Band der Bruͤſſeler Documente bie-
tet doch noch einiges Eigene.
1.
Die erſte Eroͤffnung fand am 1 Mai Statt, allein zu der
Verhandlung zu ſchreiten ſchob man bis zum 1 September auf, „per
aspettare i Tedeschi.“
Pallavicini XI, xiv, 4.
1.
Ein Schreiben Melanchthon an Kommerſtadt giebt eine ſolche
Ruͤckſicht an. Corp. Ref. VII, 796.
1.
G. Major an Chriſtian III von Daͤnemark bei Schumacher
II, 152: „dieweil alle Theologen ſo vieler Oberkeith zuſammenzu-
fordern faſt ſchwer, auch viele Oberkeith ſich in ſolche ſache einzu-
laſſen ein bedenken haben mochten.“
1.
Sententia et judicium Melanthonis de concilio triden-
tino. Corp. Ref. VII,
738.
2.
Inſtruction des Herzogs von Wuͤrtenberg an ſeine Geſand-
ten nach Trient, 29 Sept. 1551. Sattler IV, Urkk. 30.
1.
Memoire sur la maniere de regler le concile, in Levaſſor
Lettres et memoires de François de Vargas etc. p. 42.
1.
Vargas à l’eveque d’Arras, 7 Oct. 1551. Bei Levaſſor
p. 117.
1.
Die Ausdruͤcke deren ſich der brandenburgiſche Geſandte be-
diente, dem alles daran lag Magdeburg fuͤr einen jungen Markgra-
fen zu gewinnen, gehen ſo weit, als es fuͤr einen Proteſtanten moͤg-
lich war, und ſelbſt noch weiter: doch waren ſie ſo wohl abgewogen,
daß ſich doch keine ernſtliche Verpflichtung daher leiten ließ. Vargas
bemerkt: il ne specifie point en quoi il se soumet au concil.
2.
Bei Rainaldus XXII, 64. Dr Badehorn trug ſie vor.
1.
24 Januar. Bei Levaſſor p. 472.
1.
Giulio III al Cl Crescentio 16 Genn. 1552.
2.
Pp. Giulio a Monsignor de’ Grassi 20 Febr. 1552.
1.
Lettera dell arcivescovo Sipontino a Pp. Giulio III. In-
form. politt. XXII, f. 252. L’intentione di S Mà è di provare
ogni via di ottenere questo suo disegno con buona volontà degli
elettori et altri principi di Germania, se potrà: altrimenti pre-
valersi dell’autorità del concilio: e come è stato gia parlato del
modo, questa ombra sarà causa che gli elettori ecclesiastici per-
1.
sonalmente si ritroveranno al concilio et li secolari vi mande-
ranno li procuratori. Ancorche non intendano bene il secreto,
pur per una certa ombra che tengono che forse l’imperatore non
tratti di farli privare dell’elettione, o veniranno o manderanno
ad ogni modo.
Man ſieht daß die Art und Weiſe feſtgeſetzt war,
die Churfuͤrſten das Geheimniß ſelbſt nicht kannten, aber doch etwas
fuͤrchteten.
1.
in perpetuo feudo nobile libero et franco, con mero et
misto imperio, con ragione di proprietà d’utile dominio, tal-
mente che riconoschino il feudo sopradetto da noi come Regi
dell’ulteriore Sicilia et da successori nostri sotto feudo solamente
d’uno sparviero osia falcone.
Die Urkunde iſt zu Caſtelfranco aus-
gefertigt, aber ſchon zu Bologna concipirt und genehmigt.
1.
Boſio Istoria della sacra religione et illma militia di S.
Giovanni Gierusolimitano II
, 225. Vgl. 221: l’armata di mare
(des Kaiſers) restava in manicra restaurata, chel danno patito
sotto Algieri appena si sentiva.
1.
Vix contingit Rhodias vel deprimi vel capi, tanta est
militum illius ordinis virtus et militaris exercitatio. Calvetus
Stella de Aphrodisio expugnato. Schard. II,
372.
1.
che per quel primo anno si mandassero in Tripoli oltre
l’ordinario presidio 50 cavalieri, e che cosi d’anno in anno con-
seguentemente s’andasse crescendo fin tanto che la religione tutta
in quel loco trasportata si trovasse.
Bei Boſio I, 256.
1.
Nach Sandoval II, 671 fuͤhrten ſie auch „dos morteretes
grandes, que el emperador avia embiado de Alemaña.“
1.
Boſio: mare tutto pieno di seccagne e di bassi fondi ‒ ‒
potendosi nondimeno passare in terra ferma con piedi asciutti
da huomini da cavalli e dagli armenti per mezzo d’un assai an-
gusto sentiero. (II, 284.) La Cantera,
oder Alcantarat, die Bruͤcke.
1.
Nur moͤchte ich ihn nicht mit Flaſſan aus dem Zeugniß des
Großmeiſters Omedes rechtfertigen, das freilich in der Uͤberſetzung, wo
es heißt: nous attestons que les bruits repandus sont sans fon-
dement,
ſehr poſitiv lautet, aber nicht im Original, bei Ribier II,
303: quelli che hanno sparso quello rumore, non ci pare, l’ab-
biano fatto con ragione.
Man hegte in Malta allerdings einigen
Verdacht; eine Erwaͤgung der einzelnen Ereigniſſe aber, wie ſie Boſio
ſehr ausfuͤhrlich und glaubwuͤrdig mittheilt, laͤßt ihn nicht aufkommen.
1.
Das verſichert wenigſtens Verantius beabſichtigt zu haben:
ut quilibet optimatum dignitate et officio aliquo insigniretur, ex
eisque conflaretur consilium quo interregnum moderaretur.
Bei
Katona XXI, 1071.
2.
Bei Katona XXI, 793.
3.
So verſichert Ferdinand in einer amtlichen Denkſchrift an
den Papſt bei Bucholtz IX, p. 590. Man ſieht daraus, daß die erſten
Eroͤffnungen im Jahr 1549 gemacht ſeyn muͤſſen.
1.
Die beiden Schreiben des Mohammed Sokolli, abgedruckt
bei Hammer III, 723, beweiſen doch nichts als daß Br. Georg uͤber
die Herausgabe der noch nicht wiedereroberten ſiebenbuͤrgiſchen Schloͤſ-
ſer mit Mehemet in Unterhandlung ſtand. Br. Georg hatte ſie ſelbſt
eingeſchickt.
1.
Nach Ferdinands Inſtruction fuͤr ſeine Geſandten an den
Papſt bei Bucholtz IX, 600 war ſeine Weiſung an Caſtaldo: ut
fortiter dissimularet, quatenus monachum ‒ ‒ differre sentiret: si
tamen intelligeret rem aliter transigi non posse ‒ ‒ tunc potius
ipse eum praeveniret et tolleret e medio, quam quod primum
ictum expectando, ab ipso preveniretur.
1.
Castillon 2 Febr. 1538. Il luy semble (dem Geſ.) que
qui pourroit trouver moyen que le pape envoyast interdits et
excommuniements par les terres et pays qui luy portent obeis-
sance, et meme les marins, que nul marchand negociast ou pra-
tiquast en façon quelconque avec les Anglais, que sans autre
despence le peuple d’Angleterre s’esmouveroit et contraindroit
le roi à retourner à l’eglise.
2.
Hollinshed Chronicles III, 808.
1.
Statepapers I, 891.
1.
A letter sent to all those preacher, which the King’s
Majesty has licensed.
Bei Wilkins IV, 27.
2.
Vgl. Collier II, 251.
1.
Our liturgy is in great mesure a translation from the
catholic service. Hallam Constitut. history I,
115.
1.
Bertrami presb. liber etc. Col. 1532. Genev. 1541.
2.
Soames history of the reformation in England III, 177.
3.
Soames III, 377.
1.
Articles bei Burnet II, Coll. nr. 33. that no minister do
counterfeit the popish mess: as to kiss the Lords table, ‒ ‒ to
use no other cerimonies, than are appointed in the Kings book
of common prayers.
2.
Ein gewiſſer Ket nannte ſich der Meiſter oder Koͤnig von
Norfolk und Suffolk; er fuͤhrte die Widerſtrebenden in Ketten mit
ſich fort. Strype II, 290.
1.
Lorenzo Giustiniani Relne di Francia: Levorno i boni sol-
dati et esercitati che avevano in questa fortezza et vi mandarono
altretanti da sui Englesi non piu stati in guerra, di che acortosi
Chiatiglion lo fece saper al Condestabile, che prese questa oc-
casion persuase al re mandarci con ogni sforzo.
2.
In der von Tytler (Edward a. M. I, 208) bekannt gemach-
ten merkwuͤrdigen Proclamation heißt es vom Adel: non fearing that
the lord protector according to his promise would haved redres-
1.
Bei der Sendung Pagets klagte man am kaiſerlichen Hofe:
que non obstant qu’on voit qu’ils faisoient la guerre a dieu, ils
vouloient que l’empereur les defendist.
(Marillac 25 Juli 1549.)
2.
Er erinnert den Koͤnig „him and his council, to have mat-
ters of religion first recommended to the end, we may be at the
end all of one opinion.“
Cheyne bei Strype Mem. II, 308.
2.
sed things in the parliament, which he short ly intended to have
set to the intent that the poor commons may be godly eased.
1.
King Edwards Journal March 19 1551: Burnet II Coll.
23. The emperors ambr came with a short message from his ma-
ster of war, if I no would suffer the princess to use her mass.
2.
„per non esser trovati all’improvista.“ (Dispaccio fior.)
1.
Sehr unumwunden lautet dieſer Antrag: Cette intelligence
commune seroit à l’ung et l’autre le moyen pour mettre soubs
eux et à leur devotion ce qui seroit utile et propre à chacun
d’eux.
Worte des Connetable in einem Schreiben an Marillac o.
D. (Sept. 1548), angekommen im October.
1.
Pareva meglio che si conoscessero le ragioni della sede
apostolica e dell’imperio e le città si dessero a chi aveva ra-
gione.
(Seine Worte an Pighino 4 Sept.)
1.
Instruttione al Vescovo d’Imola: Er habe dem ſpaniſchen
Botſchafter geſagt: che se pure S. Mà haveva desiderio di haver
Parma, si aspettasse la maturità del tempo a parlarne.
1.
Battiſta di Monte an Diego de Mendoza, Lettere di prin-
cipi III, 110. Penso che se dalla banda di S. Mà li sarà cacciato
da voro, che pigliarà l’armi in tutti i modi, et hora è il tempo
che l’imperatore si può pigliare l’imperatore tutto per se.
1.
Schreiben des kaiſerlichen Geſandten S. Mauris 14 Sept.
1551. Die Worte ſind: que veendo el dicho Sr rey, que toda
la amistad propuesta por V. Md consiste en palabras, y que usa
de punctos contrarios en todas negociaciones, ha deliberade de
no sufrir mas tal manera de actos, antes proveer en sus cosas
come dios permitira.
(Arch. v. Simancas in Paris.)
1.
Chytraͤus Saxonia, 488; doch gieng Graf Albrecht nicht ſo-
gleich, wie es dort ſcheinen ſollte, nach Magdeburg: vgl. Schwendi
21 Mai 1548 bei Bucholtz IX, 445.
1.
Tagebuch bei Rehtmeier II, 913. Olfen 56 f.
2.
Heinrich Merckel Wahrhaftiger, ausfuͤhrlicher und gruͤnd-
licher Bericht von der Alten Stadt Magdeburg Belagerung. Hort-
leder II, 1244.
1.
Haſe an Viglius 21ſten October: „Iſt die Sache alſo er-
gangen, das Herzog Joͤrg von Meklenburg ain Zwieſpalt mit ſeinem
Vetter und Bruedern des Biſchthums Schwerin halber gehabt (vgl.
Rudolf N. Geſch. von Meklenburg I, 120; Krey Beitraͤge zur Mek-
lenburgiſchen Kirchen- und Gelehrtengeſch. enthaͤlt nichts von Be-
lang), da ime etlich trutzige wort von ſeinem Vetter Hz. Heinrichen
begegnet, deren er ſich gern gerochen hett, und hat alſo Hz. Heinrichs
von Braunſchweigh kriegsvolk an ſich gehenkt, in Meinung, ſich wie
vorlaut zu raͤchen: dieweil er aber kain Gelt gehabt und das kriegs-
volk auch arm geweſen, hat er gedacht ſich an denjenigen die der
magdeburgiſchen Rebellion etwas anhaͤngig geweſen zu erholen, die-
weil ſie daſelbſt nit wol ſuͤndigen koͤnnen“ — — (Bruͤſſ. Archiv.)
1.
Dreihaupt Saalkreis I, 272 gedenkt des Vorgebens, daß
Georg vertrieben werden ſolle.
2.
Spangenberg Eislebiſche Chronik I, 461.
1.
Franz Kram vom 28ſten September. (Dr. A.)
2.
Franz Kram 13 Nov. „Der Deutzſchmeiſter verhofft nach
dis orts vorrichter ſache zu Preuſſen zu kommen, dan er one das we-
nig troſt ſihet das Ime das Reich oder auch Kſ. Mt Itziger Zeit
helffen werde.“
1.
Briefe und Acten ſind davon voll, wie ſchwer man dazu
ſchritt. Arras erklaͤrte: „das die kſ. Mt von dem vorrath keinen hel-
ler nhemen wuͤrde laſſen, die erſetzung wurde dann itzo alsbald und
auf kurtze friſten gewilliget.“ Carlowitz an Moritz 9 Dec. (Dr A.)
1.
8 Maͤrz. „es ſey dieſer Ort, daraus E. Ch. G. und ire
unterthanen ſich hinfuro mherer widerwertikeit, boſer Practiken, hin-
derliſt, unterſchleuff irer widerwartigen und alles boſes mher dan ſonſt
aus keiner andern Stadt im Reich zu beſorgen haben.“
2.
Beſſelmeier Hiſtorie des Magdeburgiſchen Krieges: „dann
ſi denſelbigen Tag eben den Rath veraͤndert und newe Herrn ge-
macht hatten, derhalben ſie große Gaſtung und Schlamp gehalten.“
Hortleder II, iv, 18, 6.
1.
Der von Magdburg Verantwortung alles Unglimpfs 13 Dec.
1550. „weil dann damit umgangen wirdt, das Paͤpſtliche widerchriſt-
liche tridentiniſche Concilium zu erfolgen und mitler Zeit das gottloſe
Interim anzunehmen, das auch alle Gottes Diener von den paͤpſt-
lichen Biſchoͤfen ſollen verhoͤrt und habilitirt werden.“
1.
Merckel fuͤgt ſogar hinzu, ſie moͤgen ſelbſt wiſſen ob es
wahr iſt.
1.
Abſchaffung der evangeliſchen Predigcanten zu Augsburg und
was davor mit inen geredt gehanndelt und von den kayſ. rethen auf-
erlegt worden iſt. 26 Aug. 1551. In der gruͤntlichen und ordentli-
chen beſchreibung, aus der auch unſre andern Nachrichten ſtammen.
1.
Dispaccio Fiorentino 26 Febr. Carlowitz an Moritz 16
Februar. Außer den beiden obigen Puncten hatten die Deutſchen
noch eingewendet, daß die Lehnsberechtigung auch auf die natuͤrlichen
Nachkommen ausgedehnt werde. Sie verſtanden darunter Baſtarde.
Darin aber hatten ſie ohne Zweifel Unrecht; die kaiſerlichen Mini-
ſter erwiederten: „das Wort natuͤrliche Erben wollten ſie nicht uff
Paſtarden verſtehen, ſondern es ſolle zu dem Wort legitimis geho-
ren und an daſſelbig gehangen ſeind: wie man auch ſage: natuͤrli-
cher Herr.“ Marillac bemerkt daß daruͤber grande mocquerie ent-
ſtanden. Je scai au vray que l’investiture que l’empereur bailla
au prince d’Espagne sous la cheminée estait des pays bas se re-
servant l’administration durant sa vie.
1.
Chriſtoph von der Straßen, Doctor und Ordinarius, Mitt-
woch nach Nativitatis Mariaͤ 10 Sept. Der Brief iſt von deſſen
Hand; zugleich hat ſich Timotheus Jung unterſchrieben.
1.
Auszuͤge aus ſeinen Briefen bei Rommel II, 530—550.
1.
L’escrit du paige (Wersebe) bei Duller Neue Beitraͤge
zur Geſch. Philipps des Großmuͤthigen p. 119.
2.
In einem Schreiben des Kaiſers an Maria vom 6ten Maͤrz
iſt daruͤber ganz unumwunden die Rede. Etant deja resolu de faire
transporter le landgrave en Espagne.
1.
Die Inſtruction der Geſandten an den Kaiſer iſt auf einer
Zuſammenkunft der brandenburgiſchen Abgeordneten (Ad. v. Tr. und
Lamp. Diſtelmeier) mit den ſaͤchſiſchen Raͤthen, Dresden Dienſtag
nach Galli, berathſchlagt worden.
1.
Ein Spruch von Hertzog Moritzen von Sachſen; der zuerſt
in Augsburg zum Vorſchein kam, von dem man aber meinte, er ſey
aus Sachſen gekommen. „Herzog Moritz von Sachſſen heiß ich, den
namen mit der that hab ich; muͤrriſch und ſtoͤrriſch bin ich: aigen-
koͤpfiſch, hochfartig, tyranniſch bleib ich.“ Etc.
1.
Schon fruͤher ſagte Pighino, nach dem Auszug bei Palla-
vicini XI, ii, 16, es bleibe kein Mittel uͤbrig als das Schwert. „ve-
devasi che ogni opera era indarno eccetto quella di ferro.“
1.
Granvella an Koͤnigin Maria 13 December 1551. „pour
picquer led. Sr roy pour avoir semblé a S. M. qu’il enclinoit
trop a Sa dite Majesté.“
Ferdinand antwortete darauf: „Combien
que les mots desd. lettres soient modestes comme toutefois, l’on
y voit tres luyre quelque sentement, je crains que S. M. Imple
ne le sente.“
1.
Schreiben des Landtags zu Graudenz ad festum Michae-
lis 1548. non esse aversandam conditionem, quin pacis autores
in arctiora regni jura recipiantur.
Lengnich Preuß. Geſch II, do-
cum.
1.
1.
Carlowitz mußte antragen: wenn Maximilian den Churfuͤr-
ſten „an ein geheimen Ort zu ſich beſcheiden mochte, ſo wolde E.
Ch. G. (Moritz) derſelbigen (S. Kgl. Wuͤrde) allerlei anzeygen,
doran ſie Gefallen tragen ſolle.“ Maximilian geht darauf ein, je-
doch weil er mit ſeinem Vater nach Ungarn gehn ſolle, koͤnne er ſich
„noch nicht entſchließen, was wege und mittel zu gebrauchen, damit
ſolches fuglich und unvormarkt geſchehen mochte, wolt aber ſobald ſie
hinab kaͤme darauf gedenken und ſolchs von ferneſt irem Hern Va-
ter ſelbſt auch alſo ingeheim entwerffen.“ Schreiben von Carlowitz
11 Maͤrz 1551.
1.
Schreiben des Markgrafen an Albrecht 22 Maͤrz 1550 aus
dem Dresdener Archiv (im Anhang).
1.
Protocoll im Dresdener Archiv, abgedruckt bei Langenn.
1.
Was m. gn. Herr Markgr. Hans in entſtandener magde-
burgiſcher guͤtlicher Unterhandlung an Herzogk Moritz mit eigener
Hand geſchrieben. 1551 27 Merz.
1.
Handlung zu Dresden bei Langenn II, 331 iſt eine von den
heſſiſchen Abgeordneten, ohne Zweifel Simon Bing und Wilhelm von
Schachten, aufgeſetztes Protocoll uͤber ein Geſpraͤch mit Chrufuͤrſt
Moritz uͤber ſeine Verhandlung mit Markgraf Hans. Die Obliga-
tion vom 20 Febr. iſt das officielle Reſultat dieſer Verhandlungen:
„Herzog Moritz“, heißt es darin, „will die Religion laut der augs-
burgiſchen Confeſſion bekennen,“ was alſo noch immer zweifelhaft
war; „will zu erhaltung der Religion und freiheit der Deutſchen ein
Defenſiffbuͤndnuß machen.“
1.
Bedenken, wes man ſich in Handelung gegen den Koͤnig
von Engeland zu verhalten ao LI 14 d. Julii. „Ob es ſach were,
das ſich etliche Churfuͤrſten FF. und andre Stende des h. Reichs,
wellichen zuforderſt unſre h. chriſtl. Religion und Lehre des Evan-
gelii auch dazu die Freiheit ires Vaterlandes zu erhalten lieb were
und derbei zu bleiben neben einander bedacht weren, in ein chriſtlich
Verſtendniß einließen, und da ſie perurter zweier urſachen willen mit
Gewalt und der That angefochten und uͤberzogen, ſich der pillichen
Defenſion gebrauchen und alſo ‒ ‒ etwas wagen wolten, was alsdann
der Koͤnig ꝛc.“
1.
„viehiſche Servitut.“
1.
12000 M. wuͤrden 88000 G., 10000 M. 75666 G., 9000
M. 66000 G., 8000 M. 56666 G. koſten. Die beiden Inſtructio-
nen bei Langenn.
1.
Er erwaͤhnt der Reden am Hof: „man ſol auff Herzog Mo-
ritz ſehen, wan die Stadt Magtburg erobert, das er nuͤt ein Ge-
ſellſchaft an ſich heng und Reiſſ dem kaiſer ein Poßle.“
2.
„Da wir deſſelben mannes (Heinrichs II) nerva belli nit
ſollten haben, ſo acht Ich den Handel bei mir unmuglich.“ Schrei-
ben vom 18 Juni.
1.
Abgedruckt bei Langenn II, 334.
2.
Die erſte Notiz von einer Verbindung zwiſchen Moritz und
Heinrich II findet ſich im Juli 1550. Es ſcheint als habe Moritz
ſich bald nach der erſten Eroͤffnung Albrechts von Brandenburg an
Frankreich gewandt. 29 Juli empfiehlt der Geſandte Marillac einen
Italiener als Vermittler.
1.
In einem Schreiben Heidecks an Albrecht 29 Januar 1552
wird dieß dem Markgrafen ſehr zum Vorwurf gemacht. „Wo S.
Gn. zuvor entſchloſſen oder bedacht geweſen, one Mittel bei der De-
fenſion zu verharren und ſich in kein lauter Offenſion zu begeben,
ſo ſollte man mit dem Koͤnig ſo weit zu unterhandeln ‒ ‒ unterlaſ-
ſen haben.“
1.
So ſahen ihn auch die Italiener an.
1.
Brief nr 12 bei Arndt, Nonnulla de ingenio et moribus
Mauritii
1806.
1.
K. Edwards Journal bei Burnet I, p. 40.
2.
Moritz an Markgraf Hans 13 Aug. 1551. „ich hab gut
hofnung zu unſerm Handel: wir wollen dem Bock recht an die Ho-
den greifen.“
1.
Urkunde bei Du Mont IV, iii, 33. Schaͤrtlin, der ſonſt hier
gut unterrichtet iſt, giebt den 2ten Februar an.
1.
Schreiben vom 4ten Juni: „aus allerhand Bedenken die ſich
nicht wollen ſchreiben laſſen.“
2.
Capitulation bei Merckel Hortleder II, iv, xix, nr 231.
Es iſt aber zu merken, daß Moritz dieſe Capitulation dem Kaiſer
niemals vorgelegt hat. In einem Schreiben vom 22 Maͤrz 1552
klagt Carl V daruͤber keine Auskunft geben zu koͤnnen, „pour ne nous
avoir led. duc Mauris jusqu’à ores envoyé la capitulation.“
3.
Rathmann III, 591.
1.
Rommel I, 547.
2.
Discours du roi fait au parlement bei Ribier II, 376, doch
iſt das Datum 12 Jan. wohl ohne Zweifel falſch: bei Belleforeſt
heißt es: Dès le mois de Mars — le roy — alla prendre congé
de sa cours de parlement
— —
1.
Arnold Vita Mauritii, 1234. Militum proterviam Mauri-
tius molestam sibi esse fingebat — sed si oppido potiti fuissent
milites, dubio procul neque Caesari neque cuiquam alteri illud
restituisset.
1.
Gaſſarus bei Mencken I, 1867.
1.
Schreiben Granvellas an die Koͤnigin 30 Dec. L’agent du
due Mauris a dit, qu’il ne pouvoit penser que son maitre se vou-
lut tant oublier que de faire contre son devoir, comme aucuns
semoient par la Germanie, et que non seulement s’il le faisoit
1.
Ob es wohl Grund hat, was der florentiniſche Geſandte be-
richtet: Il duca Mauritio scrive di suo pugno, che procura di ri-
tirar il Marchese dall’impresa, con persuaderlo a posar l’armi,
promettendo di voler esser al certo alli 12 a Linz.
Wenigſtens
ſieht man, was man am Hofe glaubte.
1.
il abandonneroit son service, mais que la pluspart de sa noblesse
feroit le meme.
1.
Straß an Joachim II Oſterabend 1552.
2.
Des durchl. ‒ ‒ Hern Albrechten ‒ ‒ gemein Ausſchreiben und
Urſachen, bei Hortl. II, V, v; hieruͤber am ausfuͤhrlichſten. Er ge-
denkt auch des mit kaiſerlichem Privilegium erſchienenen Buches von
Avila, worin die deutſche edelſte und fuͤrnehmbſte Nation der ganzen
Chriſtenheit abconterfeyt werde, als ob ſie irgend eine barbariſche un-
bekannte Nation ſey.
1.
Comme si lesdits marchands avoient entre eux quelque
intelligence secrete, pour non nous servir. (Lettre à Ferdinand.)
1.
Eigener Bericht des Kaiſers an ſeine Schweſter 30 Mai
1.
Sommaire de la lettre du bourggrave de Meissen (Heinrich
Reuß von Plauen) au roy des Romains du 16m de Mars de Leip-
zik: ‒ ‒ qu’il a fait toute instance vers le duc, pour obtenir la
surseance des armes, mais que sans le sceu des autres luy n’a rien
voulu attendre.
Man waͤhlte Linz, „pour garder la reputation à S.
Mé et que icelle puisse etre de retour a Vienne.“
(Bruͤſſ. A.)
1.
1552, ohne den wir von dieſer Thatſache nichts wiſſen wuͤrden, bei
Bucholtz IX, 544.
1.
Nach der Tyroler Relation, in Hormayrs Chronik von Ho-
henſchwangau Urk. 61 p. 47, blieb das Schloß ſelbſt „unerobert, un-
angeſehen der feind ſolchen an ſieben Orten vermacht gehabt.“ Die
brandenburgiſchen Geſandten geben den Verluſt des Kaiſers auf 1200
Todte und 2500 Gef. an.
1.
Schreiben der brandenburgiſchen Geſandten 1ſten Juni: „Der
Chf. von Sachſen iſt alsbald gegen Insbruck verruckt und alles was
ſpaniſch und denſelben zuſtendig geweſt, welches die Buͤrger bei ſchwe-
rer ſtraf anzeigen und in ein kaufhaus zuſammenbringen muͤſſen, preis
gemacht: den koͤnigiſchen aber hat er nichts nehmen laſſen.“ (Berl. A.)
1.
Maſſarellus: unoquoque rebus suis fuga, vel ad altiores
mentes vel densas silvas aut maritima loca seu finitimas civita-
tes, consulente.
(Rainaldus XXI, p. 70.)
2.
Schreiben Bugenhagens an den Koͤnig von Daͤnemark 15
Aug. 1552. „Das Conciliabel iſt zu Trennt (zertrennt), es bleibt
zu Trennt, zu Trennt, ꝛc. (Schumacher Briefe an den Koͤnig von
Daͤnemark I, 186.)
1.
Schreiben der Koͤnigin 15 Mai, 24 Mai 1552. (Br. A.)
2.
Schreiben der Koͤnigin 1 Aug. 1552. (Br. A.)
1.
Les points et articles que le duc Jehann Frederic de
Saxe a faict par le secretaire Obernburger, 23 Mai.
(Br. A.)
1.
Artikel zu Torga kegen einander uͤbergeben. (Arch. zu Berl)
2.
Zweite Schrift von Moritz, in Linz. „weil gleichwol die
Stende der Augsburgiſchen Confeſſion, wie ſ. chf. Gn. anders nicht
wiſſen, mit dem Abſchied, ſo der Religion halber im 44 Jar zu
Speyer aufgericht, zufrieden geweſt, ſo verhoffen ſ. chf. Gn., der Kſ.
Mt werde auch nochmals nicht entgangen ſeyn, der Puncten halber
clare und gewiſſe Vorſehung zu thun.“
1.
Reponse de l’empereur donnée a Zwendy 25 Avril 1552.
(Anhang.)
2.
Copie des lettres de la main de l’empereur au roi Fer-
2.
dinand, Inspr. 10 Avril. M’a semblé outre le contenu de la dite
reponse vous declairer tres expressement et briefvement mon in-
tention qu’est en premier lieu quant a celui de la religion que
je n’entends m’obliger ny traitter sy non me remettant a ung con-
cile conforme aux decrets passés.
1.
„Dieweil ſich denn auch J. Chf. Gn. befaren, wo die beſchwe-
rungen und mengl ſo zuwidder der alten loblichen deutſchen Nation
hergebrachten Freihait an vill weegen angetzogen werden, allererſt auf
einen Reichstag ſolten verſchoben werden, das ſolches bey den Sten-
den ſo jetzo beiſammen ſeyn (ohne Zweifel: mit ihrem Kriegsvolk)
vorzuͤglich moͤchte angeſehen werden und allerley nachdenken machen,
So bedachten J. Ch. G. undertheniglichen zuforderſt, weill J. Ch. G.
auch entlich jetzund allhie zu ſchließen der andern halben nit gewalt
habe, das es am bequemſten und peſten ſeyn ſollte, das alsbald
jetzund etlich Chur und Fuͤrſten des Reiches benannt, des gleichen auch
ein Tag und Malſtadt nach der kunigl. Mt gnedigſten Gefallen an-
geſetzt wurde, auf welchem ſolch Chur und Fuͤrſten neben der Khun.
Mt und deſſelben geliebten Son Kh. Maximilian zuſammenkommen
und alſodann nach anhorung ſolcher beſchwerung, welche denn ein je-
der ſtand auf dieſelbe Zeit ſeiner Nothdurft nach anzuzeigen wird
wiſſen, aller dieſer Articl halber eine gewiſſe beſtendige und freund-
liche Vergleichung machen.“ Erklaͤrung von Moritz zu Lintz o. D.
im Berliner Archiv.
1.
Prothocoll Lambert Diſtelmeyers (hier und im Folgenden
meine vornehmſte Quelle) im Berliner Archiv.
2.
Er hielt eine Rede, von welcher Sleidan XXIV, p. 375 ei-
nen Auszug mittheilt. Die Staͤnde forderten ihn auf, zu weiterer
Unterhandlung ſeine Inſtruction einzugeben, wie damals Sitte war:
1.
Schreiben von Straß vigilia corp. Chi an den Churf. von
Brandenburg. „Die anweſenden ſtende allhie laſſen vernehmen, das
ſie keinen krigk in Deutſchland haben noch leiden wollen: welches
denn die ſache ſer treibet und fordert.“
2.
er hielt es fuͤr hinreichend ihnen eine Abſchrift ſeiner Rede mitzuthei-
len: non denegare orationem habitam scripto communicare, ut et
fecit, additis literis asserti secretarii regis Galliarum, ad se non
solitis literis sed characteribus
(Chiffern) scriptam, qua (epi-
stola) asserebat injunctum sibi, ea coram statibus proponere.
Alſo
eine chiffrirte Inſtruction theilte er mit, deren Sinn er ſelbſt aus-
legte. Prothocoll Diſtelmeyers.
1.
„darin die Gelehrten der h. Schrift beiderſeits gehoͤrt wer-
den und einander guten chriſtlichen Beſcheid geben.“ Die Verhand-
lungen begannen 1ſten Juni fruͤh 7 Uhr, wo Ferdinand Moritz auf-
forderte, wie er dem Kaiſer meldet, „de bailler sa reponse et deli-
beration sur les articles de Linz.“
Hierauf folgt die Erklaͤrung
von Moritz.
1.
Gutachten der Churfuͤrſten und Fuͤrſten am 6ten Juni, im
Berliner Archiv.
1.
„Dieweilen ohne das bede Formen in Rechten befunden.“
Auf des Churfuͤrſten von Sachſen Replik Bedenken der Churfuͤrſten
Fuͤrſten ꝛc.
1.
Rye und Seld an den Kaiſer, 15 Juni: nous trouvons
que tous les estats qui sont icy lesquels sont les premiers de
toute la Germanie sont merveilleusement enclins a cette paix uni-
verselle et les ecclesiastiques pas moins que les seculiers. Car
voyant que les choses du concil s’en vont a la longueur et que
tous les jours surviennent de nouveaux troubles et que V. Mé a
tant d’affaires contre les malveillants qu’elle ne peut si bien re-
medier aux iuconvenients comme elle desire, tout le monde veut
etre assuré.
1.
L’empereur au roi, undatirt, jedoch Anfang Juli: Si ne
puisje comme qu’il soit consentir la bride que en ce l’on me
veut mettre pour non pouvoir jamais procurer le remede.
1.
Vor ſeiner Abreiſe erklaͤrt er den Staͤnden: er wolle „alle
muͤgliche Perſuaſiones, ausfuͤhrung und anzeigung thun, dadurch Keyſ.
Mt zu bewegen, und in Summa den Fleiß anwenden, als langete
eß ihrer Mt Seelen Seligkeit an, dann J. Mt hetten deſſen treff-
liche urſach, und wolten nichts liebers wahn das Deutſchland muͤchte
zu ruge und die gehorſamen ſtende unbeſchedigt bleiben, ſo wehre eß
auch yhrer Mt eigene nothdurft, welche der ſchuch alſo drucket, das
ſie wohl mehr hinken dann gehen moͤchte. Sie wußten gewiß, das
die Tuͤrken auf die ſtunde wuͤrden vor Tomiſchwar liegen, und ſie
konnten doch weder mit Gelde noch mit volke volgen, wehren dieſer
handlung halben lange aus ihren landen geweſt.“
1.
Lettre de l’empereur à la reine 16 Juill. „qu’il ne fe-
roit rien contre son devoir et sa conscience, quand meme tout
devoit se perdre.“
1.
Le Roi des Romains à l’empereur 16 Juill. (Anh.)
1.
Timotheus Jung an den Churf. von Brandenburg. „25 und
26 haben Marggraf und Chf. zwen groß ſturm vor Frankfurt ver-
loren, und dermaaßen abgewieſen, das ſie leichtlich nicht wiederkom-
men.“ Vgl. Kirchner II, 192.
1.
In Paſſau hatte Johann Friedrich, nicht aus eigner Bewe-
gung ſondern auf Antrieb des Kaiſers, bei den Verſammelten anfra-
gen laſſen: — er erzaͤhlt es ſelbſt in der Propoſition auf dem Land-
tag zu Saalfeld (Hortleder II, iii, c. 87, nr 7): „was wir uns aufm
Fall, da unſer Vetter Herzog Moritz geaͤchtigt wuͤrde und wir un-
ſer Land wider einnehmen ſollten, vor Huͤlf und Zuſatz bei iren Lieb-
den zu verſehen.“
2.
Adam Trott an den Churf. von Brandenburg, Sonntag
2.
31 Juli. „Syn alſo uff den Abent Jacobi ankommen (24 Juli)
und folgendes tages gehort und an allem was moglich und zu dem
fryden, fornemlich zur Erledigung des Landgrafen dienſtlich ſein mogen
nichts unterlaſſen, aber heut Sontags nach Jacobi (31 Juli) ſeynd
mir erſt teutſche Antwort zu erlangen fortroſtet und hat myr der
Churf. geſagt die Sachen ſteen dermaß das ich uf der poſt den Land-
grafen holen ſolle.“ Adam Trott an die Raͤthe zu Paſſau 1ſten
Aug. — „magk Euch nicht verhalten, das die Handlung allhie Gott-
lobe verrichtet, aber doch nicht one große Mhue und auch durch ſon-
dern Vlyß des Churf. zu Sachſen, und hat ſych der Landgraff mit
den alten Rheten, die er itzond ſtattlich bei ſich hat, aufs beſt er-
zeigt.“ Das Datum in der neuen Sammlung der Reichsabſchiede,
gegeben zu Paſſau 2 Aug., iſt ohne Zweifel falſch. Die alten Ab-
ſchriften haben das richtige Datum 16 Juli.
1.
Ferdinand an den Kaiſer 20 Aug. 1552. (Anh.)
1.
Die ſogenannte Aſſecurationsacte. Eigner Bericht Johann
Friedrichs an ſeine Staͤnde. Hortleder II, iii, 87, nr. 7.
1.
Der Kaiſer verſprach: „der Religion halber gegen ihn oder
die ſeinen inſonderheit nichts vorzunehmen“ Dieß inſonderheit, die
gebuͤhrlichen Wege der Vergleichung ſchloſſen noch immer das Con-
cilium und eine allgemeine Reichsverpflichtung nicht aus.
1.
Johann Foͤrſter: Custodia et liberatio des durchlauchti-
gen ꝛc. Hortleder III, n, 88, nr. 55. Muͤller ſaͤchſiſche Annales a.
h. a.
Schultes Coburg-Saalfeldiſche Geſchichte I, 41.
2.
Schreiben vom 14 Sept. Vgl. Dedication des vierten Theils
der lutheriſchen Schriften vom 29 Sept. (Corp. Ref. VII, 1072, 78.)
1.
Anzeige an den franzoͤſiſchen Geſandten, unmittelbar vor der
Annahme des Paſſauer Vertrags: „man wußte wol und hetts genug-
ſam erfahren, das der Kaiſer wo er erhalten konnt damit er umb-
gehe, — Gott geb er verſchreib ſich was er wolt, weniger denn nichts
halten wuͤrde.“
1.
Briefe von Boͤcklin und Schwendi, welche in Boͤhmen die
Ruͤſtungen beſorgten, im Bruͤſſeler Archiv.
1.
Sepulveda XXVII, § 34, 35.
1.
Salignac Siège de Metz. Coll. univ. de Mémoires XL,
p.
86.
1.
Schreiben des brandenburgiſchen Leuttenampts Sylſchrongk
an Markgraf Hans 17 Dec. 1552 (Berl. A.). In dem Tagebuch
der Belagerten werden Contreminen erwaͤhnt.
2.
Pontus Heuterus lib. XIII, cap. XVII. Bruma enim con-
tinuo gelu corpora urebat, ingensque aere demissa nix molestis-
sima erat, quibus incommodis cum mox continuae supervenirent
pluviae, omnia aquis tegebantur corrumpebanturque.
3.
Dispacci fiorentini.
1.
Neue Zeitung aus Metz, Oſtern 1553. Auf die Forderung
des Biſchofs antworteten die Dreizehn: „Sie geſtanden ime als irem
Biſchof die Obrigkeit in spiritualibus, dazu das er auch etliche Ge-
rechtigkeit in temporalibus habe, aber nitt das er merum et mix-
tum imperium
bei inen habe; ſondern begeren ſie das er dasſelbe
dem laſſe, dem es zugehoͤre, und dem es die Stende des Reiches als
zugehorig erkhennen (haben Keyſ. Mt nit nennen duͤrfen), bitten auch
ſolchs der Zeith nit zu disputiren, ‒ ‒ aber es iſt der Cardinal die-
ſer irer Antwurt nit zufrieden geweſen, ſundern geſagt, er gedenk ſich
der Gelegenheit jetziger Zeit zu widereroberung ſeines Stifts alte Ge-
rechtigkeit zu bedienen, hat darauf der Gemeine bevolen, wie man
aus jeder pfarkirchen, deren 19 ſein ſollen, zu erwellen und jme zu
benennen, uß denen er das Regiment beſetzen moͤge.“
1.
Isthuanffius XVIII, p. 206. Taifalum ipsum equo insi-
dentem, tympanistis et tibicinibus ac fistulis pedestribus prae-
cedentibus moreque suo canentibus cum praecipuis captivis in
forum conduxit.
1.
Hammer aus Dſchennabi III, 303.
2.
Caſtaldo an Ascanio Centorio: L. d. p. III, 130.
1.
Moritz klagt 15 October, daß der Koͤnig nicht im Rath finde
noch zulaſſe daß er dem Feind entgegenziehe. Langenn I, 552.
2.
Camerarius verſichert: jactatas quasdam vaticinationes in
turcica gente de quodam acerrimo et quasi fatali oppugnatore po-
tentiae suae cujus nomen ad sonum nominis Mauriciani allude-
ret, significans facie torvum atque nigrum. Oratio in Maur. VII.

Nach Iſthuanffy verbreitete ſich die Meinung unter ihnen, Moritz
werde von der einen, Caſtaldo von der andern Seite ſie angreifen.
1.
Capitoli dell’accordo. Lettere di principi III, 123.
2.
Bei Ribier II, 392.
1.
In einem Schreiben vom 18 Nov. 1551 ſpricht er ſehr ru-
hig von der „buena occasion, que se ofrece, para justificar lo
del vicariato y establecer alli un governo perpetuo.“
2.
Bei Ribier II, 424.
1.
De la Garde an den Koͤnig, bei Ribier II, 443.
1.
Discours hardy du nonce, auquel S. M. a repondu ge-
nereusement.
Bei Ribier II, 477.
1.
Gutachten Melanchthons bei Hortleder II, v, ii. „Und hat
einer neulich zu mir geſagt, das Bier ſey noch nicht im rechten Faß,
aber es werde bald darein kommen.“
2.
„wo er zu Hauſe ſey und leſen gelernt.“ Hans Fuchs an
Wilhelm von Grumbach, Hortleder II, vi, 28, nr. 101.
1.
„Das ſ. fſtl. Gn. und dero Erben alles das gelaſſen werde,
ſo ſ. f. Gn. in irer befolen und aufgenommen Expedition an Land
und Leuten, Geld und Gut wie das namen haben mag erobert.“
„Denn wir verſichert, was wir von den Staͤnden ſo ſich J. L. Eini-
gung halben widerſetzen wuͤrden moͤchten uns zu Guten erlangen,
erbrandſchatzen oder in andre Weg bekommen, daß uns und unſerm
Kriegsvolk daſſelbe zu Erſtattung und Guten gelaſſen werden ſolle,
und dieweil wir denn von den beiden Pfaffen und Nuͤrnberg ver-
tragsweiſe beſchwerlich (kaum) ſo viel bekommen als wir unſerm
Kriegsvolk zu thun ſchuldig geweſen, ſo hetten wir, da wir dieſelben
unſere Vertraͤge ſollen fallen laſſen, in die Capitulation keineswegs
bewilligen koͤnnen, es were uns denn eine ſolche gebuͤhrliche Erſtat-
tung dagegen beſchehen deren wir zufrieden ſeyn koͤnnen.“
1.
Maſius an den Herzog von Cleve, 18 Juni. (Arch. zu Duͤſſ)
1.
Auch Schaͤrtlin verſichert, der Koͤnig habe „uͤbel gehalten,
was ihme Marggrafen vom Biſchof zu Bajonne und mir zugeſagt
war.“ (p. 220.) Albrecht meint, es ſey kein ungeſchicktes Vorha-
ben, mit 100000 Kr. die Niederlande zu erobern.
1.
„Woͤllen, — was ſich die biſchof und derſelben Capittel ge-
gen ſ. Lieb ſampt und ſonders verbrieft und verſchrieben, das die-
ſelbe verſchreibung und Contract vollkommen ganz und gar ohne alle
Ein und Widerrede gehalten und vollzogen werden ſollen.“ — Metzi-
ſcher Hauptvertrag 10 Nov. 1552 (der erſte v. 24 October). Hort-
leder II, vi, ii, nr. 45.
1.
Si comme il avoist determiné il se fust servy de la
correspondance des gens de guerre que le comte Volradt de
Mansfeld tenoit assemblées, pour prenant son chemin par la Fer-
rette venir ruer sur les évêques.
1.
Relatione di Suriano 1554. Mi disse il re di Bohemia
piu volte, che questo
(das Verfahren mit Markgr. Albrecht) faceva
credere che l’impre avesse acaro, di veder suo fratello et lui suo
genero constituiti in necessità di gettarsegli in braccio.
Albrecht
leugnet zwar, daß ihn der Kaiſer in Dienſt genommen um den roͤ-
miſchen Koͤnig „J. M. Hoheit zu entſetzen,“ und den Sohn des Kai-
ſers „zu einem Roͤmiſchen Kaiſer wider des h. Reichs Freiheit mit
gewalt uͤbertringen helfen“ (Bucholtz VIII, 111): die Worte aber
ſind ſo gewaͤhlt, daß dabei doch Vieles wahr ſeyn konnte. Gegen
Ferdinand und auf Gewalt war die Abſicht des Kaiſers gar nicht
gerichtet.
1.
Inſtruction fuͤr Markgraf Hans in dem Berliner Archiv; der
Hauptſache nach eine Uͤberarbeitung der alten Inſtruction von 1550.
1.
Pfiſter Herzog Chriſtoph p. 213.
2.
Stumpf Diplomatiſche Geſchichte des Heidelberger Fuͤrſten-
vereines. Zeitſchrift fuͤr Baiern 1817 V, p. 139.
1.
Actenſtuͤcke bei Hortleder II, vi, 27, nr. 76, nr. 80.
1.
Der ſogenannte Heidelberger Bund 29 Maͤrz 1553.
2.
Biſchoͤfliches Ausſchreiben bei Hortleder II, vi, 22. 1221.
1.
Langenn I, 557.
1.
Schreiben Heinrichs an Wrisberg, mit dem er damals wie-
der gut ſtand, 12 Maͤrz. Loſius Ehrengedaͤchtniß Beil. nr. 41.
1.
Nach Bucholtz VII, 124 waͤre der Bund doch zu Stande gekom-
men: Sonnabend nach Cantate. Im Archiv zu Berlin findet ſich aber
ein mit allen Siegeln verſehener Abſchied, worin es heißt: „Dieweil etz-
liche von uns, den Geſandten, mit vollkommenem Befelch nicht verſehen
geweſt und etzliche vorſtehender unſicherheit halber ſich auf die punct,
ſo in handelung unvorſehenlich vorgefallen, bei iren herrn und obern
notturftiges beſchaits nit haben erholen moͤgen, als hatt der ſchluß
dieſer handellung unumbgehenlich auff ein andere Zuſammenkunft muſ-
ſen verſchoben werden.“ Ein ausfuͤhrlicher Entwurf ward auch dem
Kaiſer mitgetheilt. Die naͤchſte Zuſammenkunft ſollte 24 Juli ſeyn.
1.
Arnoldus, Vita Mauritii, bei Mencken II, 1252: a tene-
ris annis literarum studiis informatus ‒ ‒ Leuthinger p. 106: in
literis, artibus et evangelii doctrina.
Opſopaͤus, ein guter Philolog,
war ſein erſter Lehrer.
1.
Roger Aſham der ihn am kaiſerlichen Hofe ſah.
1.
Gesta Trevirorum ed. Wyttenbach III, 14.
1.
Er iſt es doch gewiß, auf welchen ſich die Nachricht bei
Strype (Eccl. Mem. II, 374) bezieht.
1.
Memorial fuͤr Johann Gametz Freiherrn v. d. Marck. (Dr. A.)
2.
Es iſt ſehr hypothetiſch, wenn es bei den Verſprechungen
heißt: „mit denen Fuͤſten ſo ſich mit in Bund geben moͤchten.“
1.
Memorial, damit der Cajus v. Wyraill von Chf. Moritzen
dieſes Verſtendnuß halben nach Frankreich abgefertigt worden. (Dres-
dener Archiv.) Undatirt, aller Wahrſcheinlichkeit nach vom December.
1.
Schreiben Graf Volradts bei Mencken Scr. R. G. II, 1421.
2.
Auch der Kaiſer ſagt, er habe gehoͤrt „que si ledit duc
Mauris surmontoit le dit marquis, il devoit venir assaillir mes
pais de Geldern.“
(An Ferdinand 26 Aug. 1553.)
1.
Schreiben des Churfuͤrſten vom 7ten Juli bei Langenn II,
360, 9ten Juli, u. a. bei Mencken II, 1427.
1.
Das fuͤnfte Buch der Memoiren von Rabutin und die Aus-
zuͤge authentiſcher Documente, die ſich in der Ausgabe von 1788
(Bd 38, p. 400) dabei finden, erlaͤutern dieſen Feldzug.
1.
Schreiben bei Arndt: de variis principum Saxoniae con-
troversiis, Doc. p.
21.
2.
ut eventum belli, quod sine suo consilio et voluntale
susceptum esset, e longinquo specularetur. Stephanius Contin.
Craghii.
1.
Propoſitio ufm Landtage zu Dreßden Donnſtag nach Oſtern
1554. „Und wie wohl wir dieſelbe Zeit eine kleine Regierung ge-
hapt (vor 7 Jahren), ſo hatten wir doch ‒ zu dem liebſten gerathen
gefordert und geholfen, das frid und einigkeit in dieſen Landen und
der ganzen deutſchen Nation wer erhalten worden. Da es aber an-
ders erfolget und ſider des ein krig aus dem andern verurſachet,
das auch dieſe lande erbermlich verterbet, mordt brand und andre tref-
fenliche beſchwerung erleyden und ertragen muͤſſen, dorin ſind wir bil-
lig entſchuldiget, den es iſt am tage, das wir derzu keine urſach ge-
geben, ſondern nicht ein geringes mitleiden in unſerm gemuͤthe ge-
hapt.“ — Er ſagt nur, daß er den neuen Krieg gegen Albrecht nicht
erwartet; bei ſeiner Ruͤckkehr habe das Kriegsvolk monatlich 64000 G.
gekoſtet. — „Haben bei uns beſchloſſen durch Gottes Huͤlf und Gnade
den Frieden nicht abe noch auszuſchlagen ſondern zu foͤrdern.“ (MS
der Bibl. zu Berlin.)
2.
Schreiben des Kaiſers an Ferdinand 26 Aug 1553.
1.
Dieſe Verhaͤltniſſe theilte Landgraf Philipp dem Dr Zaſius
mit. Schreiben deſſelben 12 Oct. bei Bucholtz VII, 536.
2.
Die Staͤdte fuͤhrten zu Gemuͤth: do die beſchwerlichen laſt uff
den unterthanen lenger ligen, und die kriege continuirt, wurde es die
lenge nicht ertragen, und endlichen ſ. churf. Gn. ein wuſt ledig und
blos land behalten, und ſprechen die Hofnung zu S. Ch G. aus,
1.
Der ſiebente Artikel des Vertrages (bei Hortleder II, vi,
14) beſtimmt dieß ausdruͤcklich.
2.
ſie werden gnedigſt bedacht ſeyn auff die wege des fridens und das
man auß dem krieg komme und der trefflichen unkoſt und ander be-
ſchwerung enthept. (Saͤchſiſche Landtagsacten von 1553. MS der
K. Bibl. zu Berlin.)
1.
Schreiben des Zaſius a. a. O. p. 542. Die Actenſtuͤcke des
Tages allein waͤren ohne dieſe Erlaͤuterungen nicht zu verſtehen.
1.
Nach einem Schreiben von Mandelslo an Markg. Johann,
Braunſchweig 13 Sept., hatte der Herzog 1500 M. z. F., 3000
z. Pf. und ein gutes Feldgeſchuͤtz, der Markgraf 2000 Pf. Tobias
Olfen giebt dem letztern nur 1200 Pf.
1.
Tobias Olfen 77.
1.
Albrecht an ſeine Oberſten 30 Maͤrz 1554 bei Hortleder II,
vi, 25, nr.
45.
2.
Bucholtz VII, 151.
1.
Schreiben Albrechts an den Kaiſer vom 22ſten April. „Ob
nun durch dieß alls ich als ein armer verlaßner verderbter und ver-
jagter Fuͤrſt, der vermoͤg der Acht genzlich ausgetilkt werden ſoll, zum
hoͤchſten dazu gedrungen die wege zu ſuchen, das ich mein Aufent-
haltung und Schutz haben moͤge, wo ich halt den find, das wirdet
niemands unparteilich verdenken koͤnnen.“ (Arch. zu Berlin.)
2.
Instruction au comte de Roquendolf, pour offrir secours
au Roi de Boheme.
Ribier II, 507.
1.
Chytraͤus 529. Rudloff III, i, 140.
1.
Er klagt jedoch „das er in juͤngſter ſeiner Noth ſo gar von
der kaiſerlichen Majeſtaͤt verlaſſen, und auf ſein vielfeltig anſuchen nicht
3 oder 4 tauſend G. anlehensweiſe bekommen moͤgen.“ Schreiben
Schwendis an Koͤnigin Maria, Wolfenbuͤttel 5 Mai (Arch. z. Br.).
Auch ſprach der Herzog ſehr ernſtlich von dem Mißtrauen ſo der kſ.
Mt von wegen des Markgrafen Handlung und das er ſogar nicht
uͤber Acht und Reichsordnung halte auf dem Halſe liege, der Kaiſer
ſollte ſich ſeiner Pflicht gemaͤß der Executionsſache annehmen.
1.
Kilian Goͤbel Bericht von der Belagerung, bei Reinhard
Beitraͤge zur Hiſtorie Frankenlandes I, p. 239. „Wurden letzlich
Kufen voll Hammelhaͤut eingeweicht und lauter befunden zum Loͤ-
ſchen. Auch wurd der Vortheil alſo erlernet, daß alsbald ſie (die
Kugeln) fielen, man wiſſen kont, ob man ſie muͤßte verſchieſen laſſen
oder ob man ſie vor dem ſchieſen mit loͤſchen moͤge angreifen.“
1.
Arnoldi III, 147.
2.
Propoſition auf dem Landtag zu Dresden 1554: „Haben
ein ſtattliches nicht angeſehen und unß mit gemelten unſern lieben
2.
Vettern freundlich und in der Guͤthe aller unſrer Gebrechen, benant
und unbenant, genzlich und zu Grunde vertragen laſſen.“ Der haͤr-
teſte Artikel war der, nach welchem demjenigen Theil, der den Ver-
trag brechen wuͤrde, ſeine Landſchaft „widder rettig noch hilflich“ ſeyn
ſolle. „Gleichwol“, ſagt Auguſt, „haben wir dorein gewilliget, und
wollen den Vortragk ‒ ‒ halten, thuen euch auch uf obberurten falh
zu volge und vereinunge des Vortrags euer pflicht erlaſſen.“
1.
Schreiben des Connetable an Briſſac, gegen Ende Juli 1554:
„Avons fait et faisons encores tous les jours de si beaux feux
à 4 ou 5 lieues à la ronde du chemin.“ (Mem. Coll. univers.
XXXVIII, p
443.)
1.
Brandenburgiſche Raͤthe, Jacob Schilling, Chriſtoph von
der Straßen, Timotheus Jung und Lambert Diſtelmeier, letzten Fe-
bruar: „Im Fuͤrſten Rhat ſeind die hendel ‒ ‒ albereith ſo weith un-
derbauett, das ſie dahin votiren, das man den Artikel des Landfrie-
dens am erſten vor handen nehmen ‒ ‒ ſol.“ Die ſaͤchſiſchen Geſand-
ten, 21 Februar: „Die im Fuͤrſten Rath haben ſich anfangs faſt
bloß geben, was ſie des merern theil fuͤrhaben, nemlich allein die
handhabung des Landfriedens in weltlichen Dingen zu beſchließen, denn
daran iſt der Koͤn. Mt und den fraͤnkiſchen Ainungsverwandten al-
lein gelegen, und ſo es durch einen ausſchuß dahin gereichte, das ſie
die andern zu uͤberſtimmen hetten, ſo glauben wir das ſie den Frie-
den in Religionſachen dießmal nit worden ſchließen wollen.“
1.
Die ſaͤchſiſchen Geſandten bemerken: Herzog Heinrich von
Braunſchweig hat ſich noch beſonders „unnuͤtz gemacht.“ Die bran-
denburgiſchen bezeichnen den Erfolg in ihrem Schreiben vom 13ten
Maͤrz mit dieſen Worten: „dabei aber gleichwol ſo viel abgearbeitet,
1.
das wir numehr (ſpaͤterer Zuſatz: ſonderlich im Churfuͤrſtenrathe) ei-
nigk ſeien, das die handlung dieſes reichstags nach der ordnung und
inhalt der Paſſauiſchen handlung und Abſchiedes zu dirigiren und zu
richten, item, das in keinen ausſchuß zu bewilligen (d. h. der Geſammt-
heit), item, das die frankfordiſch handlung gar hinwegzuthun, welches
die vornehmſten puncte unſrer Inſtruction.“
1.
Die Worte: Et pour vous dire la cause ‒ ‒ et vous priant
non la vouloir imaginer autre, c’est seulement pour le respect du
point de la religion, auquel j’ai mes scrupules, que je vous ai si
pertinemment et plainement declairé et même en ma dernière
detenue a Villach.
Der ganze Brief aus dem Bruͤſſeler Arch. im
Anhang.
1.
Meine vornehmſte Quelle fuͤr dieß und alles Folgende ſind
4 Foliobaͤnde im Dresdener Archiv, betitelt: Augsburgiſche Reichs-
tagsacten 1555. Die Schreiben von Lindemann und Kram an Chur-
fuͤrſt Auguſt enthalten nicht allein die Protocolle des Churfuͤrſtenra-
thes, ſondern auch ſehr willkommene Erlaͤuterungen der bei der gan-
zen Verhandlung vorgekommenen Motive.
1.
Der Churfuͤrſtlichen Raͤth Bedenken und Relation, welcher-
maaßen auß dem Abſchiede zu Speier 1544 der Religionfriede zu
begreifen, mit foͤrmlicher Rubrik: Hactenus, bei Lehmann p. 25.
1.
Schreiben der ſaͤchſiſchen Geſandten o. D., in der Samm-
lung zwiſchen den Briefen vom 16 und 22 Maͤrz eingeſchaltet. Im
Anhang.
1.
Proteſtation bei Lehmann: de pace religionis acta publica
p.
24.
1.
Copia Schreibens von etlichen Chur und Fuͤrſten aus Naum-
burg bei Lehmann 116.
1.
„Iſt uns der mainziſch Canzler in unſer herberg nachgangen
und uns gebeten, wir wolten je keine poſt abfertigen, ſondern der ſa-
chen bis auf den andern tag anſtand geben, auch unter andern ge-
redt, der teufel hette dieſe clauſel gemacht, er muſte ſelber bekennen
daß ſie nichts werth.“
1.
„Man moͤge ſie ſieden oder braten.“ Schreiben der ſaͤch-
ſiſchen Geſandten vom 14ten April.
1.
Nach dem Bericht der ſaͤchſiſchen Geſandten wurden ſie von
den Geiſtlichen gelobt: „theten ganz billig daß wir jnen nachgeben
was uns nicht ſchadete, und jhnen gegen andern vorweislich; was
1.
man aber viel disputirt, die meinung haͤtt es und ſolt es haben daß
die alle fride ſolten haben ſo zu uns treten wolten: welchs denn vlei-
ßig prothocollirt worden.“
1.
Melanchthon de reservato ecclesiastico. Corp. Ref. VIII,
478. „Dann menſchlich iſt kein ander Weg zur Einigkeit zu geden-
ken, dann dieſer das die Warheit ſoll fuͤr und fuͤr mehr biſchoͤfe
Fuͤrſten und andre Regenten bewegen dieſe Lehre anzunehmen und
zu pflanzen.
2.
Ein Argument des Zaſius war: „es ſolten imer die biſchoͤfe
ſo lutteriſch werden wolten, billich daran begnuͤgen laſſen, das es
einem irer perſon halber frei gelaſſen, den ſo ſie der lehr aus drin-
gender Conſcienz und Zelo wollten anhangig ſeyn, ſo ſolten ſie der
1.
Der Frei und Reichsſtaͤtte Reſolution 20 Junii muͤndlich
fuͤrgetragen; bei Lehmann p. 59.
2.
Guter nicht achten, nach der Lehr im Evangelio Ecce reliquimus
omnia et te secuti sumus
. Wie denn Zaſius der Referent dieß
ganz honiſch geredt.“ Schreiben der ſaͤchſ. Geſandten vom 20 Juni.
1.
Uͤber die Verhandlungen zu Frankfurt benutzte ich die Acten-
ſtuͤcke die ſich im Staatsarchiv zu Berlin finden.
1.
„Als den,“ heißt es in dem erſten Schreiben des Regiments,
„den wir im ‒ ‒ Craiß zu ſolchem ſonderlich fuͤrgenommen.“ 17 Febr.
1524. N. S. d. Reichsabſch.
1.
„Haben wir es vohr nuͤtzlicher geachtet,“ ſchreiben die bran-
denburgiſchen Geſandten, „das ehr (der Zugeordnete) ſeiner pflicht
losgezalt wuͤrde, und bei der Berathſchlagung bleiben moͤchte, daher
wir uns in allewege gefliſſen die ſachen dahin zu richten, das im
oberſaͤchſiſchen Kreis E. Ch. Gn. in allen Rheten, ſo der Execution
oder Handhabung des Landfriedens halber muͤchten vorkommen, mit
weren.“
1.
„Damit nicht etwa, wenn Einem ein Rad uͤbers Bein gehe,
ein Andrer ſich freuen moͤge.“
2.
Saͤchſiſche Geſandte 5 Aug.: „Der Ausſchuß (des Fuͤrſten-
raths) hat wiederumb einen engen Ausſchuß, als nemlich des Hz.
von Wirtenpergk und D. Braun des Cardinal von Augſpurg Ge-
ſandten erwelet. Des Hz. v. W. Geſandter hat Dr Braun das Con-
cept ganz allein uͤbergeben, welcher dann das Concept geſtelt und
und unſre Ordnung mit Fleiß invertirt.“ (Anfang Auguſt kam der
Entwurf in den Churfuͤrſtenrath zuruͤck.)
1.
Schreiben vom 4ten Mai. Die Kammergerichtsordnung wird
verleſen. Bei dem 31: „haben es entlichen dahin bracht, das die Geiſt-
lichen zu ſetzen gewilligt die preſentacion zu beſcheen durch beide re-
ligion, und das vermuge des paſſauwiſchen vertrages die augsb. Con-
feſſionsverwandten nicht ſollten davon ausgeſchloſſen werden.“
1.
Bei Harpprecht VI, nr. 141 findet ſich der Schriftwechſel
in ziemlicher Vollſtaͤndigkeit. Viele von den zur Sprache gebrach-
ten Puncten ſind jedoch unerledigt geblieben, bis zum weſtphaͤliſchen
Frieden hin.
2.
Sonſt blieben die churfuͤrſtlichen Bedenken uͤber Landfrieden
und Gericht faſt unveraͤndert. Die ſaͤchſiſchen Geſ. 10 Aug.: „Haben
die Tage nach einander ganz ſehr im landfrieden gearbeit und bleibt
in Summa in unſerm Rath bei dem vorigen Churfuͤrſtenbedenken —
gleichergeſtalt wird es auch mit dem Cammergericht zugehen.“ Am
28 Aug. ward das neue Fuͤrſten Gutachten uͤber beide Puncte refe-
rirt und fand ſich bis auf wenige Puncte dem churfuͤrſtlichen gleich-
maͤßig. 30 Auguſt: „Stehen in Summa die Dinge darauf, daß die
2.
im Fuͤrſtenrath die Ordnung des Churfuͤrſtenraths nicht mehr fech-
ten, vergleichen ſich auch durchaus in Substancia mit unſerm Be-
denken außerhalb fuͤnf Punct in der Handhabung und Einem Punct
in der Kammergerichtsordnung. Aber in dem fuͤnften im Landfrie-
den iſt nichts ſonderlich prejudicial: — — im Kammergericht iſt der
Punct der Acht ſtreitig.“
1.
Die ſaͤchſiſchen Geſandten bemerken 29 Juni, daß „ehr (der
Religionsfriede) vielen ſauer eingeht, und wenig Luſt und guten wil-
lens dazu haben.“ 8 Juli: Kram: „ich befinde unſers widertheils
gemuͤther jetzo viehl verpitterter gegen uns denn jehmals vor der Zeit:
was nun ferner folgen wil gibt die Zeit.“
2.
Schreiben Ferdinands am 20ſten Aug. Et a la verité je
me trouve empesché de resoudre ce que je devrai faire pour ce
que je crains que ne pourray obtenir ce a quoy je pretends et
d’austre cousté pour etre les conditions qu’ils demandent bien
griefves et mal honnestes.
1.
Ferdinand à l’empereur 27 Août. Encores que les estats
catholiques a ma persuasion y voulsissent prester l’oreille j’en-
tends qu’ils n’oseront le faire par respect aux autres protestants.
1.
Schreiben der ſaͤchſiſchen Geſandten vom 9ten September.
(Im Anhang.)
2.
Man hat ſpaͤter geſagt, daß der Vorbehalt wohl zu ver-
meiden geweſen waͤre; auch moͤgen einzelne, z. B. Wuͤrzburg, geneigt
geweſen ſeyn. Sonſt aber berichten die ſaͤchſiſchen Geſandten das
Gegentheil: 30 Aug: „haben abermal aus vilen votis ſo vil verſtan-
den, das unſere geiſtlichen nunmehr davon nicht zu bringen, ſondern
in dieſen Dingen gantz auf der Koͤnigl. Mt Seite ſtehen.“
1.
„mit vorwendung, das es nicht Reichsſtete, darauf dieſer
Friede allein gienge, und das wir den biſchofen kein maß zu geben.“
Schreiben des Churf. Auguſt an den Rath o. D., vor dem der Raͤthe
vom 25 Sept.
1.
Saͤchſiſche Geſandte 25 Sept. „Und iſt hin und wieder
bedacht, von einer Clauſeln derogatoria derogatoriae; wir haben ge-
ſagt es muſt ir (der Geiſtlichen) consensus auch dobei ſeyn — ha-
ben es endlichen Gottlob dahin bracht, das Jonas ein Clauſel ge-
ſtalt, das die Geiſtlichen bewilligt, die Derogation im Religionsfrie-
den ſolle dieſer Erklerung und Entſchaid nicht abbruͤchlich ſeyn.“
1.
Man darf alſo mit nichten ſchließen, wie Bucholtz VII, 218,
daß die Gravamina etwa ein bloßer Vorwand geweſen ſeyen. „Ha-
ben bedacht,“ ſagen die ſaͤchſiſchen Geſandten, „das die Gravamina
eines theils alſo geſchaffen das ſie zu erledigen zugeſagt, etzliche durch
dieſen Reichsabſchied, wan er erfolgt, erledigt werden, die uͤbrigen ge-
heſſig, und ſich itziger zeit zu erhaltung gelimpfs in einem ſolchen fuͤr-
ſtehenden fuͤrtrefflichen werk des unbedingten Friedens ein Ding alſo
wie zu Paſſau zu ſuchen, ſich vielleicht nicht ſchicken mocht — —“
Aus dem Berichte der brandenburgiſchen Geſandten ergiebt ſich aber
daß dieſe damit ſchlecht zufrieden waren.
1.
Unter andern legte Koͤnig Ferdinand bei ſeinen andern Ver-
weigerungen darauf den groͤßten Werth: „ſo theten auch die vorigen
Abſchied nichts, denn ſie weren temporal, dieſer aber ewig.“ (9 Spt.)
1.
Morone al Cardl Polo 21 Dec. 1551. S. S per lo con-
trario confida in dio che il principe di Spagna, essendo catolico
nato e nutrito et avendo la potenza sua vicina di Spagna e di
Fiandra, possa con maggior autorità introdurre l’umore alla chiesa
e difendere la regina dalli nemici interni et esterni. (MS Corsin.)
1.
Micheli Relne d’Inghilterra 1556. Troppo ben conoscendo
il stato e l’impotenza della regina si è sempre fatto le spese e
nelle cose minime a lui e tutti li suoi con quello che di Spagna
e di Fiandra li era provisto, havendo per questa via dato un
tant utile al regno che già molti anni non ha ricevuto, facendo
conto per quello può havere speso lui e li suoi insieme con gli
altri forastieri ricapitati per rispetto suo in poco piu d’un anno
habbia importato meglio d’un milion d’oro tutto rimaso nell’isola.
1.
Non sine contentionc, disputatione acri et summo labore
fidelium.
Schreiben an Poole 15 Nov. 1553. (MS Corsin.)
2.
Am 4ten November ſchreibt der florentiniſche Geſandte: Il
luogotenente d’Amone se ne tornò gia cinque giorni sono in In-
ghilterra con la mente di Cesare circa quello che S. Mà desi-
dera che si tratti nel futuro parlamento. — Per li ravvisi della re-
1.
Schreiben Pagets vom 13 Nov., Maſons vom 25 Decem-
ber 1554. He trusted, God had ordained him (Philip) to done
some good to the whole estate of Christendom and to that realm.

Tytler II, 465.
2.
ligione, facendo però prima un decreto, che non si possa trattar
in modo alcuno di spogliar di beni ecclesiastici quelli che al dì
d’oggi ne son possessori, il numero de’quali interessati ascende
a piu di 40000 persone.
1.
Micheli: Nell’ intrinseco gli animi sono piu che mai al-
terati, ma non ardiscono di mostrarsi, per la paura che hanno
della perdita della vita e delli beni.
2.
Micheli: non è alcuno del regno, nè cavaliere nè signore,
che non abbia procurato e procuri tuttavia o entrare nel suo ser-
vitio o di metterle qualche suo figlivolo o fratello; tale è l’affet-
tion e l’amore che gli vien portato.
Aus den Depeſchen von Noail-
1.
Goſelini 201: Gonzaga habe erinnert „dovere, a giudizio suo,
la corona di Spagna far poco fundamento dell’Inghilterra pendente
dal debil filo di una donna non giovane non sana non fertile.“
2.
les (V.) ſieht man wie viel Muͤhe es im Anfang des Jahres 1556
den Franzoſen machte, die Anhaͤnger der Eliſabeth von einer gewalt-
ſamen Machination abzuhalten.
1.
Informatione di quanto è passato tra il Cle di Parecho
ed il marchese di Pescara nel pigliar il possesso del regno di
Napoli,
und Ragguaglio del possesso preso, Inf. pol. XII.
1.
Mitgetheilt in den Dispacci fiorentini.
1.
Le Prince à la Princesse d’Orange 28 Spt. Bei Groͤn
v. Prinſterer Archives de la maison d’Orange Nassau I, p. 17.
1.
Reiffenberg Histoire de l’ordre de la toison d’or p. 441.
1.
Die letzte Wendung berichtet der florentiniſche Geſandte. Uͤber
die Rede des Kaiſers giebt es uͤberhaupt verſchiedene Verſionen, doch
ſtimmen ſie in allem Weſentlichen uͤberein. Eine der merkwuͤrdigſten
iſt die des Pontus Heuterus XIV, ii. Er begeht allerdings den Feh-
ler, den faſt alle Geſchichtſchreiber theilen, daß er die Verhandlung
mit den Rittern v. g. Vl. auch auf den 25ſten ſetzt. Das kann aber
ſeine Glaubwuͤrdigkeit, namentlich uͤber die Aͤußerlichkeiten, nicht ſchwaͤ-
chen, da er ſelbſt, 20 Jahr alt, der Verſammlung beiwohnte.
1.
Disp. Fiorentino 4 Genn. 1555 (56). Questa freddezza
(zwiſchen den beiden Fuͤrſten) è nata di poi la venuta del capitano
Alessandro Tomasi, il quale vuole a tutti i partiti dar ad inten-
dere a queste MMà ed alli loro ministri, che i Franzesi unita-
mente col Papa voglion romper la guerra nel regno (di Napoli).

Noch war Sicilien als zu Aragon gehoͤrig unter kaiſerlicher Ver-
waltung.
1.
Bericht bei Arnoldi Hiſtoriſche Denkwuͤrdigkeiten p. 31.
1.
Kaiſerlicher Majeſtaͤt Selbſtrede, in den Acten der Reſigna-
tion des Kaiſerthums in Hoffmanns Sammlung ungedruckter Nach-
richten p. 27.
2.
Cabrera Felipe segundo p. 31.
1.
Berathſchlagung ſaͤchſiſcher und brandenburgiſcher Raͤthe.
1557. (Berl. Arch.)
1.
„Nachdem das heil. Reich deutſcher Nation ein frei reich iſt
— das aus ſeinen eignen Gliedern durch frei ordentliche wal der Chur-
fuͤrſten ein weltlich haupt zu erkieſen hat, welches haupt gleichwol in
ſachen daſſelbig Reich belangend, vermoͤge der guldnen bull, und al-
tem herkommen nach, mit Wiſſen Willen und Rath der Staͤnde und
ſonderlich der ſechs Churfuͤrſten als der vornehmſten Glieder regieren
ſoll.“ Kurtzer Bericht etlicher gemeiner auch ſonderbarer beſchwerungk
des heil. reichs deutſcher Nation — allein zu weiterm Nachdenken
und Erinnerung geſtalt. (Archiv zu Berlin.)
2.
„Und wurden die kaiſ. u. koͤn. Mt, wan ſie ſehen, das die
Churfuͤrſten ſich wiederum freundlich zuſammenhielten, und in dem
2.
das des h. reichs wolfahrt und ire ſelbſt churfuͤrſtliche Wuͤrde und
Hochheit anlangete, vor einen man ſtunden, ungezweifelt vil under-
wegen laſſen.“
1.
Neueſter gemeiner Verein aller Churfuͤrſten, unter andern bei
Gerſtlacher Handbuch der Reichsgeſetze IV, 511. G. erinnert, daß
1745 Boͤhmen und Hannover in den Verein aufgenommen wurden.
1.
An den Biſchof von Paſſau 18 Dec. 1555. Bei Rainal-
dus 22, 134.
2.
Babou au roi de France 11 Juin 1558 bei Ribier II, 746.
3.
Vgl. die Erzaͤhlung von Nores, das Original aller ſpaͤteren,
bei Bromato Vita di Paolo IV Bd II, 431.
1.
Die Beſchwerden und Anmuthungen des Papſtes ergeben ſich
aus dieſem „ausbuͤndigen treweiffrigen Rathſchlag“ beim dritten und
vierten Punct p. 189 und 195 beſſer als aus den bei Goldaſt p. 166
vorhergehenden apocryphen Artikeln.
2.
„Wan E. M. ſonſten gemeynet iſt die alten heiligen Cano-
nes zu halten und bei denſelben zu bleiben, ſo duͤrffen Sie Sich die
neuen parteiiſchen Baͤpſt Decretales nicht bekuͤmmern laſſen, quia ta-
lis est extravagans illa, unam sanctam.“
Seld bei Goldaſt Poli-
tiſche Reichshaͤndel p. 185.
1.
Aus den Legaten ſeines Teſtamentes lernt man die Mitglie-
der derſelben kennen, — eine ganze Anzahl Kammerdiener, beſondre
Diener fuͤr die Fruchtkammer, Obſtkammer, Lichtbeſchließerei, Auf-
bewahrung der Kleider, der Juwelen, meiſtens Niederlaͤnder, jedoch
unter einem ſpaniſchen Oberhofmeiſter Luis Quixada. Der Leibarzt
und eine Apotheke fehlten nicht.
2.
que desejava que Portugal jurasse condicionalmente na
2.
falta del rey D. Sebastian por sucesor de coroa ao principe
D. Carlos su neto.
Barboſa Machado Memorias para a historia
de Portugal, que comprehenden o governo del rey D. Seb[as]tiao

1736.
1.
MCrie Geſchichte der Reformation in Spanien p. 252.
2.
In manus tuas tradidi ecclesiam tuam. Sandoval II, 834.
1.
Freiberg Landſtaͤnde II, 330.
2.
Maſius Bericht vom 4ten Juli. „Darauf ſy (paͤpſtl. Hei-
1.
Er habe „leinene Saͤcke aufhenken laſſen, worin diejenigen,
ſo der geiſtlichen Jurisdiction halber etwas anzubringen unternehmen
wuͤrden, — als proditores patriae erſaͤuft werden ſollten.“
2.
Laspeyres Verfaſſung der katholiſchen Kirche Preußens p. 195.
3.
Auszuͤge aus den gewechſelten Schriften bei Bucholtz VIII,
208. Sugenheim 207. 218. „So ſein,“ ſagt Ferdinand 1549, „die
geiſtlichen ſolcher ihrer geiſtlichen Recht, Gewaldts und Gerichts-
zwangs, — ſonderlich in unſern Erblanden — gar nicht in Gebrauch;
— halten fuͤr billig, das diej. Laien, ſo de crimine heresis, sacri-
legii, falsi, simoniac, usurarum, adulterii, fractae pacis et perjurii

in Verdacht oder uͤberwunden, nindert anderſtwohin als von der
weltlichen Obrigkait gerechtfertigt und geſtraft und kainswegs fuͤr die
gaiſtlich Obrigkait gewiſen oder gezogen werden ſollten.“
2.
ligkeit) von Stund an mit vielen und heftigen worten, als die ſich
etwas entſetz, mir geantwort, ſolches ſey nicht zuzulaſſen.“
1.
Winter Geſchichte der Baieriſchen Wiedertaͤufer p. 83.
1.
In dem hauptſaͤchlich von Bugenhagen und Jonas herruͤh-
renden Bedenken der Theologen heißt es: „die Pfarrer ſeyen erm-
lich verſorgt und mit andern ſachen ufgehalten: die Superintenden-
ten haben keine Execution, keine Gewalt zu citiren, kein Einkommen
um nur die Boten zu lohnen.“
2.
„Derſelbig muſt ein wolgeſchickter mann ſein, gelehrt in jure,
und auch in der h. Schrift; derſelbige ſoll die Jurisdiction haben aus
Befehl ane mittel des landesfuͤrſten.“ Bedenken der Theologen. Fer-
ner „Hochvonnoͤthen gewiſſe Conſiſtoria aufzurichten, do die Judices
Befel und Gewalt hetten, rechtlich zu citiren, auch Urtel Straf und
Buß ufzulegen und entlich execution zu thun.“
1.
Copei churfurſtlichen Gwalts und Vollmachts: den Commiſ-
ſarien des Conſiſtorii gegeben: undatirt, von anderer Hand mit der
1.
Eine Stelle Eſaiaͤ 49 „die Koͤnige werden der Kirchen Naͤh-
rer ſeyn“ mag nun wohl dieſen Sinn urſpruͤnglich nicht haben: man
verſtand ſie aber in aller Aufrichtigkeit nicht anders.
1.
Jahrzahl 1538 bezeichnet; ferner ein Schreiben des Churfuͤrſten, Creuz-
burg Donnerſtag nach Dorotheaͤ (11 Febr.) an die eben bezeichneten
Mitglieder. (Weim. Arch.)
1.
Conſtitution und Articul des churf. geiſtl. Conſiſtorii zu Wit-
tenberg in Sachſen 42 aufgericht. (Weim. A.) Darin wird denn
auch der Bann ſehr ausdruͤcklich gebilligt.
1.
Relation der Verhandlungen im Convent zu Naumburg.
Corp. Ref. VIII, 282. Neudecker Neue Beitraͤge I, 102.
1.
Melanchthon findet folgenden Vortheil. „Wo Conſiſtoria
ſind, ſagt er, da iſt nicht einer allein gewaltig, ſondern die Sachen
muͤſſen durch etliche erfahrne Perſonen bedacht werden und alsdann
an die Herrſchaft gebracht, die ſolches auch weiter bedenken kann.“
Bedenken vom Synodo 1558.
2.
Calvin, Expositio consensionis capitum: ex sopitis car-
bonibus subinde micabant scintillae.
1.
Urſpruͤnglich hieß es: docent, ‒ ‒ quod corpus et sanguis
Christi vere adsint et distribuantur vescentibus in coena domini
et improbant secus docentes;
— ſpaͤter: docent, quod cum pane
et vino vere exhibeantur corpus et sanguis Christi vescentibus
in coena domini.
2.
Luther billgte beim Wiederabdruck aͤlterer Streitſchriften in
der Sacramentsſache die Weglaſſung anzuͤglicher und beleidigender
Stellen. Salig Geſch. der Augsb. Conf. III,
1.
Im Jahr 1540 finden wir 448, 1541 461, 1542 594,
1543 503, 1544 814, 1545 556, 1546 748 Inſcripti. Die große
Maſſe der Studirenden gaben die naͤchſten Landſchaften, Meißen,
Thuͤringen, Franken, Brandenburg, Heſſen; ſehr regelmaͤßig finden
wir unter den Inſcribirten auch Lieflaͤnder und Preußen, ferner z. B.
im Jahr 1544 35 Schleſier, 15 Pommern, 11 Hamburger, im Jahr
1543 7 Weſtphalen, 5 Frieslaͤnder, 4 Coͤllner; und dieſen Norddeut-
ſchen geſellten ſich dann die Oberdeutſchen und Rheinlaͤnder in ziem-
lich gleicher Anzahl bei: im Jahr 1543 finden wir 10 Augsburger
und noch 6 andre Schwaben, 2 Straßburger, 3 von Speier: Frank-
furt und Nuͤrnberg erſchienen jedes Jahr mit einer Anzahl Inſcriptio-
nen, eben ſo Oͤſtreich, auch die Stadt Wien. Schweizer, Hollaͤnder,
Brabanter ſind doch immer Einige.
1.
Nur ſollte man nicht immer wieder ſagen, daß der Neid des
1.
Staphylus uͤber eine Bevorzugung Oſianders in der Profeſſur den
Anlaß zum Streit gegeben habe. Arnold hat laͤngſt gezeigt, daß
Staphylus bereits reſignirt hatte, ehe Oſiander ernannt ward. Kir-
chengeſch. p. 413.
1.
Oſiander ſelbſt behauptet dieß: Widerlegung der ungegrund-
ten undienſtlichen Antwort Philippi Melanthonis: „warumb hat er
aber ſolchs in allen ſeinen Puͤchern nie gelehrt, noch bekennet, bis
ichs ihm in dieſem 1551 jar mit der h. ſchrift abgedrungen hab.“
2.
Vgl. ſ. Brief an die Nordhauſer 13 Jan. 1555. Er gab
nur zu, die Werke ſeyen noͤthig: nicht aber „noͤthig zur Seligkeit.“
1.
Ruchat Histoire de la reformation de Suisse V, 552.
2.
„ita ut nos ille (spiritus sanctus) carnis et sanguinis
domini substantia vere ad immortalitatem pascat.“
Worte der
confessio fidei quam obtulerunt Farellus, Calvinus, Viretus, cui
subscripserunt Bucerus et Capito.
3.
De coena domini, Opera VIII, p. 10. non cogitarunt, ita
signa esse ut veritas cum eis conjuncta sit.
1.
Hundeshagen: Die Conflicte des Zwinglianismus, Luther-
thums und Calvinismus in der berniſchen Landeskirche p. 200.
2.
Utrum generosius saltem fuit, Romae an Bernae sub-
1.
Dum expendo quantum habeat hic angulus momenti ad
propagandum Christi regnum, sum sollicitus de eo tuendo.
Aus
einem Schreiben Calvins (Mai 49) bei Hundeshagen p. 254.
2.
jici. Calvin an Bullinger 6 Cal. Jul. 1548 bei Henry II Anh. 132.
Es iſt nur ſehr auffallend, daß dieſer Brief ſchon einmal abgedruckt
iſt, aber nicht ohne große Abweichungen, bei Fuͤſſlin, Epistolae ab ec-
clesiae Helveticae reformatoribus scriptae, nr.
66. Obige Worte
lauten da: quid profecimus, tyrannide Papae excussa. Bei Henry
denke ich iſt das Urſpruͤngliche.
1.
Fatemur dignis simul et indignis Christum corpus suum
offerre, nec ullius hominis pravitate fieri quin panis verum sit et
exhibitivum, ut loquuntur, Christi corporis pignus.
1.
Defensio ad Westphalum VIII, 775. Scio quod semel
mortale Christus corpus induit, nunc novis coelestis gloriae qua-
litatibus esse praeditum, quae tamen non impediunt quo minus
idem substantia sit corpus; dico igitur illo corpore quod in cruce
pependit non minus in spiritualem vitam animas ipsas vegetari,
quam pane terreno corpora nostra aluntur.
2.
Ego aliter verba temperaveram, ſagt Calvin in einem Briefe
an Butzer, ceterum quia haec quam usurpavimus forma nihil con-
tinebat nisi quod sentiebam, aliam eis concedere non fuit religio.

In dem erſten Entwurf des Conſenſus (bei Henry II Anh.), der im
Mai nach Bern geſchickt wurde, fehlt die ausdruͤckliche Anerkennung
der ſchweizeriſchen Auslegung. Und enthaͤlt nicht in der That die
Lehre Calvins das lutheriſche Iſt doch auch in ſich?
1.
Hundeshagen p. 252.
1.
Scito quosdam praecipue odio mei eam disputationem
movere, ut habeant plausibilem causam ad me opprimendum.
An
Calvin 14 Oct. 1554. Corp. Ref. VIII, 362.
2.
Calvin bezeigt in der Defensio ad Westphalum, Opp. VIII,
785, ſein Erſtaunen daruͤber. Mihine, qui piae sacraeque concilia-
tioni semper dedi operam, haec merces nunc referenda est?
Eben
dieß Mißverſtaͤndniß der Gegner gab ihm aber die Uͤberlegenheit, die
in jener Streitſchrift unverkennbar iſt.
1.
Melanchthons Bedenken vom Synodo Corp. Ref. IX, 463.
„Soll die Potestas ſelbſt als ein Gliedmaß der chriſtlichen Kirchen
auch eine Stimme und vocem decisivam haben.“
1.
Vgl. das Schreiben eines Flacianers de conventu Franco-
ford.
1557 bei Salig III, 276 Note.
1.
Die merkwuͤrdigſte Auffaſſung dieſes Receſſes iſt wohl die
von Hospinian Historia sacramentaria II, 438.
2.
Neque animus est nobis, quod discedere ab ea (confes-
sione) quae anno XL exhibita est vel in minimo velimus. Prae-
fatio ad Ferdinandum
bei Gelbke Naumburger Fuͤrſtentag p. 184.
1.
Ergo per extremam Germani litoris oram
Hospitium miserae supplice voce petunt.
Corp. Ref. X. Carm. nr.
249.
2.
Juventutis formandae artifex juxta dexterrimus ac feli-
cissimus.
Rhodomannus, Oratio de lingua graeca, der dieſe Aus-
druͤcke braucht, fuͤgt hinzu: man habe auch griechiſch bei ihm ſchrei-
ben lernen: es ſey wohl geſagt worden: „plures ex eo gymnasio
graece doctos quam proceres ex equo trojano.“
Havemann Mit-
theilungen aus dem Leben Neanders p. 23. 24.
1.
In Schumachers Briefen an die Koͤnige von Daͤnemark fin-
den ſich viele von Sturm, mit ganz guten Notizen uͤber damalige
Kriegsereigniſſe.
2.
Micyllus: — Quae domini plantata est vinea verbo
Si cultu careat, terra jacebit iners.
Quos igitur cultus aut quas adhibebimus artes?
Nempe has quas secum Musa pudica refert.
1.
Schweighaͤuſer, Praefatio: Non paucae lectiones in hac
editione reperiuntur probatissimae, et ex hac in Basileensem
transierunt, a quibus temere deinde recessit Casaubonus. (LXXV
ed. Oxon.)
1.
Vgl. Leſſing Von dem Leben und den Werken des Plautus.
Saͤmmtliche Schriften herausgeg. von Lachmann III, 17.
2.
„quam observationem fecit suam C. Stephanus.“ Literar-
notiz vor der Zweibruͤcker Ausgabe des Cicero I, p. LXXXV.
3.
F. A. Wolf: saepe orator ibi etiam inoffensius legitur
quam in postrema Lipsiensi.
Vgl. Becker Literatur des Demoſthe-
nes p. 96.
1.
Hieronymi Wolfii ad cl. v. Joannem Oporinum commen-
tariolus de vitae suae ratione ac potius fortuna,
in den Oratt.
Attic.
v. Reiske, Tom. VIII, p. 773.
1.
Bebel an Zaſius: Creverunt Glossatorum commentaria
super omnes constitutiones, nec ullus finis est sperandus, nisi
Caesar ‒ ‒ verbositatem nodosissimam atque obscurissimam in
compendium reducat.
1.
Daß dieß die florentiniſche Handſchrift war, iſt von Biener,
Geſchichte der Novellen Juſtinians p. 560 f., nachgewieſen.
2.
Ludovicus Bologninus; an einem ſchlagenden Beiſpiel zeigt
dieß v. Savigny, Geſchichte des Roͤmiſchen Rechtes im Mittelalter
VI, p. 319.
1.
Variarum lectionum libri III. 1540. Dedication.
2.
Institutiones et libri rerum quotidianarum Caji, actiones
in ordinem ab Appio Claudio compositae, edicta praetorum ‒ ‒ ‒
quare non potuissent conservari?
3.
Jacob Lerſener: Antwort, Bericht vnd Beweiß, Auff die
Frage, Ob es beſſer ſei, nach gewiſſen, beſchriebenen, vnnd ſonſt be-
3.
werten breuchlichen Rechten, Geſetzen, Ordnungen vnd Gewonheyten,
Oder nach eygner Vernunfft, Sinn, Witz ‒ ‒ zu regieren, zu Vrtey-
len ꝛc. Getruckt zu Marpurg. 1542. C iij: „man findet, die luſt dazu
haben leute zuſtoͤcken vnd peinigen, ſuchen allerley newe kuͤnſtlein
vnmenſchlicher marter, dar durch ſie auch den aller vnſchuldigſten da-
hin engſtigen koͤnnenn, das er was ſie woͤllen, vnd das jme nie ge-
treumet oder in ſinne gefallen, verjehen muͤſſe, meynen ſie haben jr
ampt damit wol außgericht, Wie offt ſein leute alſo getoͤdtet wor-
den? wie offt ſein leuth auff ſolche bekentnus gericht worden, deren
vnſchuld ſich hernach befunden hat?“
1.
Adami Vitae Medicorum p. 38. Praelegebantur Avicenna,
qui princeps totius artis habebatur, Rasis deinde, etc.
2.
So Chriſtus ſpricht: perscrutamini scripturas, warum ſollt
ich nicht auch ſagen: perscrutamini naturas rerum? Die erſt De-
fenſion Opp. III, 163.
1.
Marx Zur Wuͤrdigung des Paracelſus, Leſſing Leben des
Paracelſus, Schulz Homoͤobiotik u. A.
1.
Er fand alle fruͤhern Verſuche unbrauchbar, „tribus aut
quatuor ad summum libellis exceptis.“
1.
Sprengel Geſchichte der Arzneikunde, Bd III, Abſchnitt uͤber
die vornehmſten anatomiſchen Entdeckungen § 46—78.
1.
Non physice aut philosophice tantum, sed medice etiam
et grammatice, — — ut ad alios autores super iisdem rebus post-
hac non sit recurrendum —
2.
Conradi Gesneri historiae animalium libri: opus philoso-
phis, medicis, grammaticis, philologis et poëtis et omnibus re-
rum linguarumque studiosis utilissimum simul jucundissimumque
futurum. Tiguri
1551. 4 Foliobaͤnde hat er noch ſelbſt herausgegeben.
1.
Per mare sic rutilas pinus latura cohortes
Ante diem rapido fulmine mota cadit,

ſagt Cruciger von ihm, wie denn uͤberhaupt ſein Tod als ein allge-
meiner Verluſt beklagt ward.
2.
Es war ein ganz eigenes Ungluͤck der Botanik, daß L. Fuchs
ein groͤßeres auf 3 Theile, jeden mit 300 Abbildungen, berechnetes
ſehr weit verbreitetes Werk „von allerlei Baͤumen und Kraͤutern“
auch nicht beendigte. Sein Briefwechſel mit Albrecht bei Voigt
p. 274.
1.
Georgii Agricolae Bermannus: Quid mirum, si ulcera quae-
dam ‒ ‒ non sanamus, cum pauca admodum emplastra, praesertim ex
metallicis composita, quibus veteres ‒ ‒ usi sunt ‒ ‒
(vergl. Hecker
Geſch. der Heilkunde I, 447) conficere possimus. Quae sane prae-
cipua fuit causa, quam ob rem me ad loca quae metallis abunda-
rent contulerim. (ed. Froben p.
422.)
1.
Die Beziehung auf die Alten gab er darum nicht auf. De
vett. et novis metallis (383). De rebus subterraneis, quas vel
sparsas et disjectas in Graecorum et Latinorum libris inveni, vel
ex bene peritis artis metallicae didici, vel denique ipse vidi in
fodinis et officinis, explicavi.
2.
Man findet bei ihm spathum, quarzum, wismuthum, zin-
cum, cobalum.
Beckmann Beitraͤge zur Geſchichte der Erfindungen
III, 552.
1.
Voigt Briefwechſel und Erlaͤuterung bei Dove Repertorium
der Phyſik II.
2.
Beiſpielsweiſe fuͤhre ich an: Cosmographie ou description
des quatre parties du monde etc. escrite par Pierre Apian: corri-
gée et augmentée par Gemma Frisius excellent geographe — —
Anvers
1581. So faſt in allen Sprachen.
1.
Incertitudinem mathematicarum traditionum cum diu me-
cum revolverem ‒ ‒ hanc mihi operam sumpsi ut omninm philo-
sophorum quos habere possem, libros relegerem ‒ ‒ ac reperi
1.
Ideler Uͤber das Verhaͤltniß des Copernicus zum Alterthum.
1.
quidem apud Ciceronem, primum Nicetam dixisse terram moveri
Copernicus de revolutt. orbb. coelestium. Praefatio.
1.
Laudes Crucigeri im Corp. Ref. VII, 223.
1.
„prodigiosas naenias Averrois.“
2.
Z B. bei der Erklaͤrung der Entelechie: de anima p. 19.
1.
Fuͤrſtenſpiegel von Strombeck p. 70.
2.
Theſis von 1542: angefuͤhrt von Brucker Hist. phil. IV,
281. Prodest studiosis erudita collatio philosophiae et doctrinae
quam deus tradidit ecclesiae
.
3.
Ethicae doctrinae elementa, 1554, p. 210.
4.
Quodlibet est aut non est; omnia quae oriuntur, ab aliqua
causa oriuntur; effectus non est praestantior causa; veritas amanda
est; pacta sunt servanda. De anima p.
265. Vergl. Buhle Ge-
ſchichte der Philoſophie II, 499 f.
1.
Dazwiſchen liegt noch die erſte Chronica Carionis, ohne Zwei-
fel hauptſaͤchlich ein Werk Melanchthons. Vergl. deſſen Schreiben
an Corvinus, Januar 1532. Misit ad me Carion farraginem quan-
dam negligentius coacervatam, quae a me disposita est
.
1.
Sie beabſichtigen, wie es in der Vorrede heißt, quoddam
cornu copiae omnium ecclesiasticarum materiarum et negotiorum
maxima diligentia et solertia comparatum
.
1.
Centuria II, c. IV, p 72. Den areop. Schriften weiſen
ſie auch ihre Zeit an.
2.
II, 7. III, 7. IV, 7. (Alles folgt nach durchgehenden Hauptru-
briken.) Ihr Urtheil: non est absimile vero, circiter id tempus
(Caroli M.), cum ecclesiae occidentales passim ex Romana biblio-
theca libros peterent, confictas et suppositas late sparsas esse
.
Wie ſie anderweit einzelne Interpretationen bekaͤmpften, davon iſt
Bd II, p. 906 ein Beiſpiel.
1.
Vergl. Degen, Nachtrag zu der Literatur der Uͤberſetzungen
der Roͤmer p. 300.
1.
Gervinus Geſchichte der poetiſchen Nationalliteratur II, 475.
1.
Als die vier Urheber bezeichnet Metzgers meiſterliche Freiung
der Singer einen hohen Geiſtlichen, einen Ritter, einen Gelehrten
und einen Handwerker.
2.
Wagenſeil uͤber die Minneſinger. De civit. Norimberg. 544.
1.
Winterfeld, der evangeliſche Kirchengeſang.

Lizenz
CC-BY-4.0
Link zur Lizenz

Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2025). Ranke, Leopold von. Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bnzs.0